Revolutionen und Reaktion: Der Wiener Kongress, Österreich und die Amerikafrage

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1 Revolutionen und Reaktion: Der Wiener Kongress, Österreich und die Amerikafrage Von Christian Cwik (Universität zu Köln / Universidad La Habana) Einleitung Nur weil Österreichs wirtschaftliche und politische Interessen auf dem amerikanischen Kontinent und seinen Inseln im Zeitalter des Wiener Kongresses bislang kaum erforscht wurden, bedeutet dies nicht, dass es keine gab. Im Gegenteil gab es so viele Verbindungen, dass in diesem Beitrag gar nicht auf alle Beziehungen zwischen Österreich und den Amerikas zur Zeit des Wiener Kongress eingegangen werden kann. 1 Auch wenn die Politik der habsburgischen Regierung in Wien hinsichtlich der Amerikas im Vergleich zu anderen westeuropäischen Mächten als gering einzustufen ist, verfolgten die drei habsburgischen Kaiser Joseph II, Leopold I und Franz II (1780-1806) und in Folge Franz als österreichischer Kaiser Franz I. (1804-1835) eigenständige koloniale Konzepte. 2 Diese waren einerseits durch den Sieg der amerikanischen Revolution 1783 notwendig geworden, die im Wettstreit mit Großbritannien die Gründung (elitärer) demokratischer Republiken in Spanisch- und Portugiesisch Amerika förderte, sowie andererseits durch die allgemeine Bedrohung der Französischen Revolution (1789-1814), die Freiheit und Gleichheit proklamierte, die Sklaverei abschaffte und nach der Weltherrschaft griff, zu verhindern. Österreich stellte sich von Beginn an sowohl gegen das britische Modell der konstituionellen Monarchie, als auch gegen das US-amerikanische des demokratischen Republikanismus und die Französische Revolution. Stattdessen forcierte die Regierung in Wien die Wiederherstellung absolutistischer Macht in Spanien und Portugal und forderte die Restauration der Grenzen vor 1789 in Europa und in Übersee. Trotz aller politischen Bemühungen während des Wiener Kongresses, ist in den Schlussakten nur ein Bruchteil der Verhandlungsbemühungen um die Widerherstellung der Kolonien reflektiert. 1 Erwähnung finden österreichische Kolonialinteressen während des Wiener Kongresses zuletzt in Ansätzen bei Walter Sauer, Habsburg Colonial: Austria-Hungary’s Role in European Overseas Expansion Reconsidered. In: Austrian Studies, Nr. 20 (2012) 5-23. 2 Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, inwieweit die habsburgische Politik in Ost- und Südosteuropa als Kolonialpolitik zu definieren ist und verweise auf die Debatten hierzu bei: Andrea Komlosy, Innere Peripherien als Ersatz für Kolonien? Zentrenbildung und Peripherisierung in der Habsburgermonarchie. In: Endre Harz [et al.] (Hg.), Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (Tübingen/Basel 2006) 5578; sowie Moritz Csaky, Johannes Feichtinger, Prutsch Ursula (Hg.), Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. (Gedächtnis-Erinnerung-Identität 2, Innsbruck/Wien/München/Bozen 2003).

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Revolutionen und Reaktion: Der Wiener Kongress, Österreich und die Amerikafrage Von Christian Cwik (Universität zu Köln / Universidad La Habana)

Einleitung

Nur weil Österreichs wirtschaftliche und politische Interessen auf dem amerikanischen Kontinent

und seinen Inseln im Zeitalter des Wiener Kongresses bislang kaum erforscht wurden, bedeutet

dies nicht, dass es keine gab. Im Gegenteil gab es so viele Verbindungen, dass in diesem Beitrag

gar nicht auf alle Beziehungen zwischen Österreich und den Amerikas zur Zeit des Wiener

Kongress eingegangen werden kann.1 Auch wenn die Politik der habsburgischen Regierung in

Wien hinsichtlich der Amerikas im Vergleich zu anderen westeuropäischen Mächten als gering

einzustufen ist, verfolgten die drei habsburgischen Kaiser Joseph II, Leopold I und Franz II

(1780-1806) und in Folge Franz als österreichischer Kaiser Franz I. (1804-1835) eigenständige

koloniale Konzepte.2 Diese waren einerseits durch den Sieg der amerikanischen Revolution 1783

notwendig geworden, die im Wettstreit mit Großbritannien die Gründung (elitärer)

demokratischer Republiken in Spanisch- und Portugiesisch Amerika förderte, sowie andererseits

durch die allgemeine Bedrohung der Französischen Revolution (1789-1814), die Freiheit und

Gleichheit proklamierte, die Sklaverei abschaffte und nach der Weltherrschaft griff, zu

verhindern. Österreich stellte sich von Beginn an sowohl gegen das britische Modell der

konstituionellen Monarchie, als auch gegen das US-amerikanische des demokratischen

Republikanismus und die Französische Revolution. Stattdessen forcierte die Regierung in Wien

die Wiederherstellung absolutistischer Macht in Spanien und Portugal und forderte die

Restauration der Grenzen vor 1789 in Europa und in Übersee. Trotz aller politischen

Bemühungen während des Wiener Kongresses, ist in den Schlussakten nur ein Bruchteil der

Verhandlungsbemühungen um die Widerherstellung der Kolonien reflektiert.

1 Erwähnung finden österreichische Kolonialinteressen während des Wiener Kongresses zuletzt

in Ansätzen bei Walter Sauer, Habsburg Colonial: Austria-Hungary’s Role in European

Overseas Expansion Reconsidered. In: Austrian Studies, Nr. 20 (2012) 5-23.

2 Ich möchte hier nicht auf die Frage eingehen, inwieweit die habsburgische Politik in Ost- und

Südosteuropa als Kolonialpolitik zu definieren ist und verweise auf die Debatten hierzu bei:

Andrea Komlosy, Innere Peripherien als Ersatz für Kolonien? Zentrenbildung und

Peripherisierung in der Habsburgermonarchie. In: Endre Harz [et al.] (Hg.), Zentren, Peripherien

und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (Tübingen/Basel 2006) 55–78; sowie Moritz

Csaky, Johannes Feichtinger, Prutsch Ursula (Hg.), Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und

kollektives Gedächtnis. (Gedächtnis-Erinnerung-Identität 2, Innsbruck/Wien/München/Bozen

2003).

2

Der vorliegende Beitrag basiert auf ersten Ergebnissen eines gemeinsam mit Michael Zeuske

durchgeführten Forschungsprojekts über den Wiener Kongress und seine globale Dimension an

der Universität zu Köln. Das Ziel des Beitrages ist es, sowohl die revolutionären Veränderungen

in den Amerikas als auch die Reaktion Europas auf die politischen Umbrüche in Übersee zu

beschreiben. Innerhalb dessen wird die Bedeutung der Nord- und Südamerikafrage für die europäische

Politik im Zeitalter des Wiener Kongresses analysiert, wobei sich dieser Artikel als Review Beitrag

versteht und in erster Linie auf einer Zusammenfassung der wissenschaftlichen Literatur aufgebaut ist. 3

Besprochen werden die Amerikanische Revolution und ihre Auswirkung auf die Haitianische

und die iberoamerikanischen Revolutionen sowie die Position Österreichs vor und während der

Französischen Revolution. In Folge wird an verschiedenen Beispielen analysiert, inwieweit der

Wiener Kongress formal auf die Bedrohung durch die Revolutionen reagiert hat.

Zur Ausgangssituation

Ohne Zweifel existiert sowohl hinsichtlich politisch-sozialer Veränderungen als auch technisch-

ökonomischer Umwälzungen eine universal-historische Dimension der Französischen

Revolution. Sie bestimmte im Wesentlichen das gesamte 19. Jahrhundert hindurch die großen

kulturellen und industriellen Revolutionsprozesse in Europa und Übersee. Durch sie begann sich

eine bürgerliche Gesellschaftsordnung zu etablieren, die sich in weiterer Folge als global

beherrschendes System behaupten konnte. Ihren maßgeblichen Impuls erhielt die Französische

Revolution jedoch durch die Amerikanische Revolution (1775-1789), in der sich die Peripherie

gegen das Mutterland erstmals militärisch und politisch durchsetzen konnte. Bereits 1939

beschrieb William Spence Robertson die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die

Unabhängigkeitsbewegungen Lateinamerikas.4 Aber auch andere Ereignisse in den europäischen

Kolonien in den Amerikas, wie etwa der Ausbruch der Revolution „freier Menschen“ und

Sklaven in Haiti 1791, übten maßgeblichen Einfluss auf die Radikalisierung der Französischen

Revolution aus.

Die Erklärung der Menschenrechte in den 13 nordamerikanischen Kolonien und in Frankreich

1794 sowie die Abschaffung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien 1794 erschütterte

die Grundfeste okzidentalen Denkens in Europa. Dies erforderte in Europa eine intensivere

Auseinandersetzung mit anderen Erdteilen, was zur Folge hatte, dass eine einer Art

3 Noch ausständig ist Auswertung der vom Projekt bislang gesicherten offiziellen und inoffiziellen

Protokolle aus Beständen französischer und britischer Archive sowie der geretteten österreichischen

Geheimprotokolle, ein Großteil verbrannte während des Justizpalastbrandes 1927 vollständig. Ein Projekt

des Österreichischen Staatsarchivs versucht die Geheimprotokolle zu restaurieren (Interview mit GI

Wolfgang Maderthaner vom 13.1.2013).

4 William Spence Robertson, France and Latin American Independence. (Baltimore 1939).

3

„Verweltgeschichtlichung“ einsetzte. Neue technische und ökonomische Errungenschaften auf

beiden Seiten des Atlantiks ermöglichten neue Netzwerkstrukturen globalen Außmaßes, zumeist

auf der Basis von kapitalistischen Familienetrieben. So hatten räumliche - also lokale und

regionale Entscheidung in den Amerikas globale Auswirkungen auf die Politik und Wirtschaft.5

Der Wiener Kongress von 1814/15 versuchte, den epochalen Wandel vom merkantlitischen

Kolonialismus zum kapitalistischen Imperialismus (Sattelzeit)6 zu kanalisieren. Die Freiheit der

internationalen Flussschifffahrt, die Abschaffung des Sklavenhandels oder die Ächtung der

Sklaverei (Artikel 118) ebneten den europäischen Mächten diesen Weg in die Amerikas, aber

auch nach Afrika und Asien. Selbst das 1804 enstandene Kaisertum Österreich, das vor 1795

eine, wenn auch recht unbeschriebene, atlantische Macht war, beteiligte sich am Wettlauf um

Ressourcen in Süd-, Mittel- und Nordamerika.

Von der großen Mehrheit der Historiker wird der Wiener Kongress noch immer als Ereignis von

ausschließlich europäischer Reichweite dargestellt.7 Die Restauration und Neuordnung Europas

durch die europäische Pentarchie, die wegen der militärischen Niederlage Napoleons notwendig

wurde, und das damit verbundene endgültige Ende der Französischen Revolution (und ihren

Demokratiekonzepten) werden allgemein als zentrales Motiv für die Einberufung des Kongresses

herangezogen. Der Blick über den europäischen Tellerrand, vor allem die Berücksichtigung der

Tatsache, dass die großen europäischen Mächte (mit Ausnahme Preußens und Österreichs)

enormen Kolonialbesitz in Übersee besaßen, ihre Kriege global führten, fehlt in der

Historiographie über den Wiener Kongress und seine Nachfolgekongresse.

Eine Ausnahme stellen die wissenschaftlichen Arbeiten des deutschen Historikers Manfred

Kossok (1930-1993) von der Leipziger Schule für vergleichende Revolutionsforschung dar, der

über den Einfluss der iberoamerikanischen Revolutionen auf Europa und im speziellen auf den

5 Zur Wirkung der Globalgeschichte aus lokaler Perspektive siehe Andrea Komlosy, Globalgeschichte,

Methoden und Theorien. (Wien/Köln/Weimar 2011).

6 Reinhart Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, In: Werner Conze (Hg.),

Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts. (Stuttgart 1972) 10-28, hier

14f.

7 Ich möchte hier aufgrund der Fülle der Literatur zum Wiener Kongress nur auf einige ausgewählte

Werke verweisen: Wolfram Pyta (Hg.), Das europäische Mächtekonzert: Friedens- und Sicherheitspolitik

vom Wiener Kongress 1815 bis zum Krimkrieg 1853. (Köln 2009) sowie die vom Forschungsprojekt

„Wiener Kongress“ In: www.wiener-kongress.at publizierte Bibliographie zum Wiener Kongress online

unter <http://www.wiener-kongress.at/Bibliographie1.html> (29. September 2013). Carsten Holbraad,

The Concert of Europe: A Study in German and British International Theory 1815–1914. (London 1970);

Francis Roy Bridge, Roger J. Bullen, The Great Powers and the European States System 1815–1914.

(London/New York 1987); Eckart Conze, Wer von Europa spricht, hat unrecht. Aufstieg und Fall des

vertragsrechtlichen Multilateralismus im europäischen Staatensystem des 19. Jahrhunderts. In:

Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Nr. 121 (2001) 214–241.

4

Wiener Kongress und die Heilige Allianz gearbeitet hat. Durch das Studium seiner Schriften8

wird rasch klar, dass der Wiener Kongress viel mehr war als ein nur rein „europäisches

Spektakel“. Der Kongress in Wien, die Gründung der Heiligen Allianz sowie die vier

Folgekongresse veränderten, so Kossok, nicht nur die Situation in Übersee nachhaltig, sondern

waren eine Reaktion auf die historischen Ereignisse in Übersee. Der Einfluss, den die Aufstände

und Revolutionen in Lateinamerika auf die Destabilisierung Spaniens, die europäische Krise und

schließlich Überwindung des Systems der Heiligen Allianz ausübten, ist „bislang nur wenig ins

historische Bewusstsein eingedrungen“.9

Die Wiederherstellung räumlicher Herrschaft nach den Vorstellungen der Pentarchie bedeutete

insbesondere die territoriale Restauration auf der Basis der Grenzen von 1789 bzw. 1793. Die

Forderung nach der Wiederherrstellung des Status Quo von 1789/93 inkludierte von Beginn an

auch die Restauration der Kolonien in Übersee und war somit keineswegs nur auf Europa

beschränkt. Der Wiener Kongress sollte hierfür die Grundlagen erarbeiten und die an die

„Revolutionen“ verlorengegangenen Kolonien wieder in den Schoß der konservativen Mächte

zurückführen. Um Kolonien zurückzuerobern und Revolutionen10

bereits im Keim ersticken zu

können, erarbeitete der Wiener Kongress neue politische und militärische Prinzipien. Die

Gründung gemeinsamer politischer Kollektive zur Bekämpfung von Revolutionen garantierte

den fünf europäischen Großmächten das Interventionsrecht auf der Bais des

Legitimationsprinzips, sobald sie den territorialen Status Quo – egal wo - gefährdet sahen. Um

8 Manfred Kossok, Im Schatten der Heiligen Allianz. Deutschland und Lateinamerika, 1815-1830. Zur

Politik der deutschen Staaten gegenüber der Unabhängigkeitsrevolution in Mittel- und Südamerikas

1810-1830. (Studien zur Kolonialgeschichte und Geschichte der nationalen und kolonialen

Befreiungsbewegung Berlin 1964); Ders., Legitimität gegen Revolution. Die Politik der Heiligen Allianz

gegenüber gegenüber der Unabhängigkeitsrevolution in Mittel- und Südamerikas 1810-1830. In:

Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, Nr. 6/G

(1987a) Akademischer Verlag Berlin; Ders., Karl Marx und der spanische Revolutionszyklus des 19.

Jahrhunderts. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR,

Gesellschaftswissenschaften, Nr. 4/G (Leipzig 1987b).

9 Kossok, Im Schatten der Heiligen Allianz (1987a) 6; Alberto Filippi (Hg.): Bolívar y Europa en las

crónicas, el pensamiento político y la historiografía. Bd.1 (siglo XIX). (Caracas 1986) 209-213.

10 Damit waren Regierungen und Bewegungen gemeint, die nicht „organisch-gewachsen“, sondern auf

„nichtlegitimierten“ Weg entstanden waren. Valerian Aleksandrovi Zorin [et. al] (Hg.), Istorija

diplomatii, Bd. 1 (Moskau 1959) 494 f. hier Kossok, Legitimität gegen Revolution. Die Politik der

Heiligen Allianz gegenüber der Unabhänigkeitsrevolution in Mittel- und Südamerikas 1810-1830.

Kommentare und Quellen. In: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR,

Gesellschaftswissenschaften, Nr. 6, G (Berlin 1987a) 6.

5

die Gefahr rechtzeitig zu erblicken, errichteten sie ein diplomatisches Netzwerk, das die

politische und ökonomische Stabilität überwachen und den Frieden sichern sollte.11

Auch für das neugeschaffene Österreich ging es im Wiener Kongress um Fragen territorialer

Restauration, schließlich war man von der Französischen Revolution 1794 um die

Österreichischen Niederlande „erleichert“ worden. Die Spanischen Niederlande fielen nach der

Niederlage im Spanischen Erbfolgekrieg durch die Verträge von Rastatt 1714, als Kompensation

für den „Verlust“ der spanischen Kolonien an die Habsburger. Österreich musste somit seine

kolonialen Forderungen in Spanisch-Amerika endgültig aufgeben.12

Auch wenn die österreichischen Kolonialprojekte zwischen Afrika und Asien scheiterten (siehe

Kaiserliche Ostender Kompanie), besaß Österreich bis zum Verlust seiner innereuropäischen

Kolonie in den Niederlanden mehrere ausbaufähige Atlantikhäfen. Da die Regierung in Wien

weiterhin an Kolonialprojekten in den Amerikas interessiert war, bemühten sich die Österreicher,

während des gesamten Wiener Kongresses unter der persönlichen Leitung des Fürsten Klemens

Wenzel von Metternich um die Rückgewinnung der Österreichischen Niederlande.13

Erst der

Verzicht auf die Niederlande sicherte den Österreichern die Präsidialmacht im neugegründeten

Deutschen Bund, den man hinsichtlich seiner nationalstaatlichen Interessen benötigte.

Revolutionen in den Amerikas

Vergleichen wir Karten von koloniale Territorien in den Amerikas aus den Jahren vor 1790 mit

Kartenwerken des Jahres 1814/15, so lassen sich große Verschiebungen hinsichtlich der

kolonialen Herrschaft in dieser Weltregion beobachten. Die um die Restauration bemühten

Verhandungsdelegationen am Wiener Kongress erwartete ein ziemlich großer Arbeitsaufwand,

war doch in den Amerikas im besagten Zeitraum kaum ein Stein auf dem anderen geblieben.

11 Henry Alfred Kissinger, Großmacht Diplomatie. Von der Staatskunst Castlereaghs und Metternichs.

(München 11980) 1f; Ders., A World Restored: Metternich, Castlereagh and the Problems of Peace, 1812-

22. (Boston 21973).

12 Die besonders verdienstwürdige Arbeiten von Analola Borges und von David González Cruz

behandeln die Interessen des Hauses Habsburg, im Speziellen Karl von Österreichs an den

iberoamerikanischen zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714).Die besonders

verdienstwürdige Arbeiten von Analola Borges und von David González Cruz. Analola Borges, La

Casa de Austria en Venezuela durante la Guerra de Sucesión Española (1702-1715) (Salzburg 1963);

Dies., Los aliados del archiduque Carlos en la América virreinal. In: Anuario de Estudios Americanos,

Sevilla, 37 (1970) 321-370. David González Cruz, Guerra de religión entre príncipes católicos. El

discurso del cambio dinástico en España y América (1700-1714). (Madrid 2002).

13 Metternichs Vater, Franz Georg Karl Graf von Metternich-Winneburg, war der letzte österreichische

bevollmächtigte Minister in den Österreichischen Niederlanden. Alan Sked, Metternich and Austria: An

Evaluation. (London 2008).

6

Als größtes Problem schätzten die europäischen Monarchen zweifellos die Konsoldierung der

Vereinigten Staaten von Nordamerika als „freies und demokratisches Gesellschaftsmodell“ ein.

Der Wiener Hof stand von Anfang an dem Projekt der Vereinigten Staaten ablehnend gegenüber,

auch wenn Frankreich als Österreichs engster Verbündeter bereits am 17. Dezember 1777 die

vereinigten Staaten von Nordamerika als unabhängiger Staat anerkannt hatte. Die Wiener

Regierung verbot Österreichischen Söldnern, die aktive Teilnahme am Krieg, blieferte jedoch die

US-Unabhängikeitsarmee geheim mit Waffen.14

Der erste nach Wien entsandte US-Diplomat

William Lee wurde 1778 weder von Erzherzogin Maria Theresia noch von Staatskanzler Kaunitz

empfangen. Trotzdem traf Lee während seines Aufenthalts in Wien mehrere hochrangige

Persönlichkeiten des politischen und wirtschaftlichen Lebens der Habsburgermonarchie.15

Lee

traf beispielsweise am 28. Mai 1778 den Grafen Francis Xavier Koller sowie die Prinzessin

Anna Khevenhüller. Maria Theresia hatte bereits 1777 die Angebote des Philadelphia-

Kongresses abgelehnt, die dem Erzherzogtum Österreich weitgehende Freihandelsrechte

eingeräumt hätten. Ebenso scheiterten im Jahr 1792 endgültig die Verhandlungen um die

Etablierung diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die 1783 aufgenommen

worden waren.16

Großbritannien war es im Britisch-Amerikanischen Krieg von 1812-1814 weder gelungen einige

ihrer ehemaligen Kolonien zurückzuerobern, noch das „revolutionäre Gesellschaftsmodell“ zu

zerschlagen. Stattdessen verloren die Briten Teile West-Floridas an die USA, wodurch sie im

nordkaribischen Raum an Einfluss verloren. Die Verfassung von 1787 und die Bill of Rights von

1789-90 sicherten den Bürgern der USA im Rahmen einer freien und demokratischen

Gesellschaft auf der Basis von Werten der Aufklärung, bestimmte unveräußerliche Grundrechte

auf Life, Liberty, und der Pursuit of Happiness zu. Über atlantisch-interamerikanische Netzwerke

standen diese nordamerikanischen Kolonien seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit

britischen, niederländischen, dänischen und französischen Kolonien in regem Handelsaustausch,

ganz zu schweigen von den Handelsbeziehungen ins benachbarte französische und spanische

Louisiana. In das von 1763 bis 1800 von Spanien verwaltete Louisiana wanderten vor allem

14 Reinhold Wagnleitner, Das Problem Amerika als Artefakt der europäischen Expansion. In: Ders.,

Coca - Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem zweiten

Weltkrieg; V. Österreich und Amerika. <http://www.ejournal.at/Buecher/cocola/wga5.html> (29. März

2013)

15 Karl A. Roider, William Lee, our first Envoy in Vienna. In: The Virgina Magazine of history and

biography, Bd. 86, 2 (1978).163-68; Hanns Schlitter, Die Beziehungen Osterreichs zu den Vereinigten

Staaten von Amerika. (Innsbruck 1885) 7.

16, Hubert van Houtte, Documents on Commercial Conditions and Negotiations with Austria, 1783-1786.

In: American Historical Review, Bd. 16 (1911) 567-578.

7

Kanaren, Deutsche und frankokanadische Akadier ein. Die 37 Jahre bedeuteten die größte

Ausdehnung des Königreichs Spanien in den Amerikas.17

Städte wie Kingston auf Jamaika und Philadelphia in Pennsylvania sowie Boston in

Massachusetts und Bridgetown auf Barbados waren über Firmen und Familiennetzwerke

miteinander verbunden. Der Hafen von Pensacola in Westflorida wurde nach der Übernahme

durch die Briten 1763 in eine Drehscheibe für den atlantisch-karibischen Handel zwischen

Nordamerika und dem karibischen Raum ausgebaut, und als er 1783 wieder an die Spanier

verlorenging, behielt er als Schnittstelle seine Position.18

Um Republikanismus und Demokratie

in den europäischen Kolonien in den Amerikas zu verbreiten, griffen die amerikanischen

Revolutionäre zu teilweise abenteuerlichen Mitteln. Der französischstämmige Kapitän Louis

Michel Aury eroberte gemeinsam mit seinen indigenen Verbündeten aus den

Unabhängigkeitskriegen die Insel Ameila vor der Halbinsel Florida im Jahre 1817 und gründete

dort die Republik von Florida.19

1822 erklärte der ehemalige napoleonische General H. L. V.

Ducoudray Holstein, ein späterer Biograph Simón Bolívars, die Insel Puerto Rico zur Republik

Boricua (der Name stammt aus dem Arawak).20

Gedankengut gleich welcher Art erreichte die verschiedenen Hafenstädte, und es kam zur

Etablierung vorindustrieller autonomer Hafengesellschaften, einer Art Seeproletariat, das seine

relative Selbständigkeit auch mit Gewalt zu verteidigen im Stande war.21

Revolutionäre

Konzepte wurden zu ideellen Schmugglergut und verbreiteteten sich über die Hafenstädte ins

Landesinnere, zumeist über weitverzeigte Flusssysteme. Daran änderte sich auch kaum etwas

nach der Loslösung von Großbritannien.

Es war allen voran der Wunsch nach Freihandel, der die kreolischen Eliten in den spanischen

Kolonien der Amerikas Stellung gegen das Mutterland beziehen ließ. Seit 1797 forcierten die

USA ihre Handelsbeziehungen mit Havanna und dem mexikanischen Hafen von Veracruz.22

Kein geringerer als Alexander von Humboldt beschreibt die massive Präsenz von

17 Carl A. A Brasseaux, Refuge for All Ages: Immigration in Louisiana History. (Lafayette 1996);

Gilbert C. Din, The Spanish Presence in Louisiana, 1763-1803. (Lafayette 1996).

18, Ira Berlin, Many Thousands Gone: The First Two Centuries of Slavery in North America. (Cambridge

Mass. 1998) 306-307.

19 David Armitage, Declaraciones de Independencia, 1776-2011: De derecho natural al derecho

internacional, paper. Harvard, Seiten 15 online unter

http://scholar.harvard.edu/files/armitage/files/declaraciones.pdf (Zugriff: 31.3.2013)

20 Rufus Kay Wyllis, Filibusters of Amelia Island. In: Georgia Historical Quarterly, 12 (1928) 297-325.

21 Peter Linebaugh, Marcus Rediker, The many-headed hydra: sailors, slaves and commoners and the

hidden history of the revolutionary Atlantic. (Boston 2000); Marcus Rediker, Villains of all nations:

Atlantic prates in the golden age. (London 2004); Ders., Slave ship :a human history. (New York 2007).

22 Peggy K. Liss, Atlantic Empires. The network of Trade and Revolution, 1713-1826.

(Baltimore/London 1983) 173, 180.

8

amerikanischen Schiffen in den beiden Häfen.23

Humboldt selbst, der 1804 auch die USA

bereiste, wurde nach seiner Rückkehr nach Europa zu einem Übermittler amerikanischer

Ideologien zwischen Paris, London, Berlin und Wien. Sein Bruder Wilhelm von Humboldt

gehörte der preußischen Delegation beim Wiener Kongress an.

Inventarlisten einiger Privatbibliotheken in Veracruz und Cartagena widerspiegeln den Einfluss

US-amerikanischer Schriften zum Freihandel und Republikanismus. Der venezolanische

Intellektuelle Manuel Garcia de Sena publizierte 1811 in Philadelphia ein Handbuch der

Revolution La independencia de la Costa Firme, justificada por Tomás paine treinta años ha für

die spanischen Kolonien, das großen Einfluss auf die Unabhängigkeitsbewegungen ausübte.24

Durch den Erwerb Louisianas 1803 hatte US-Präsident Jefferson am 30. April 1803 den größten

Grundstücksverkauf in der Geschichte abgeschlossen. Der Kauf der französischen Kolonie

Louisiana (2.144.476km²), der sogenannte Louisiana Purchase, erregte höchste Aufmerksamkeit

in Europa. Die Rechtmäßigkeit des Geschäfts wurde von den europäischen Mächten in Zweifel

gezogen, änderte jedoch nichts an der Realität. Damit gelang es Jefferson das Staatsgebiet der

USA bis zum Golf von Mexiko auszudehnen, wodurch sich neue Handelswege in den Süden und

Südwesten öffneten. Die neutrale Haltung der USA in den Koalitionskriegen ermöglichte

Washington ab 1805 den Ausbau der Handelsbeziehungen zu den iberoamerikanischen

Kolonien. Durch ein Handelsembargo versuchte Jefferson zwischen 1806 und 1810 nicht nur

Großbritannien sondern auch Frankreich mit einer Handelsblockade vom amerikanischen Markt

auszuschließen und deren Einfluss auf die Unabhängigkeitsbewegungen in Iberoamerika

einzudämmen. Im Wettlauf mit Großbritannien, das um die Transformation der spanischen

Kolonien und Brasilien in eine von London unterstützte konstitutionelle Monarchien kämpfte,

setzten die USA auf ein breites Agentennetz, das unter dem Schlagwort „For us, the patria is

America“ republikanische Kräfte aus Spanisch- und Portugiesisch-Amerika unterstützte.25

Viele

der bekannten lateinamerikanischen Revolutionäre, wie etwa Miranda oder Bolivar, gingen z. B.

bei dem einflussreichen Kaufmann Stephan Girard aus Philadelphia ein und aus.26

Der Aufstand freier Farbiger und des weißen Lumpenproletariats erschütterte Frankreichs

ertragsreichste Kolonie Saint Domingue im Jahre 1790. Bis dahin exportierte die Perle des

23 Alexander von Humboldt, Personal Narratives of Travels to the Equinoctial Regions of the New

continent during the years 1799-1804, 7 Bde. (London 1822-29) hier Bd. 7, 221-248.

24 Tomás Paine, La independencia de la Costa Firme, justificada por Tomás Paine treinta años ha.

Manuel García de Sena (Hg. und Übersetzung) (Panamá 1949)

25 Alva Curtis Wilgus, Some activities of United State citizens in the South American wars of

Independence, 1808-1824. In: Louisiana Historical Quarterly, Nr. 14 (1931) 182-203.

26 Auch Simon Bolivars Bruder Juan Vicente Bolivar reiste nach Philadelphia und vereinbarte

Waffenlieferungen für die Aufständischen. Cristóbal Mendoza, Las primeras misiones diplomáticas de

Venezuela, 2 Bde. (Caracas 1962) 33-43.

9

französischen Kolonialreiches jährlich rund 75 Millinen Pfund Rohzucker, 51 Millionen

raffinierten Zucker, 43 Millionen Tonnen Kaffee sowie eine Million Pfund Indigo und zwei

Millionen Pfund Baumwolle. Frankreich, das sich selbst in einer revolutionären Umbruchphase

befand, sah plötzlich, was passieren konnte, wenn revolutionäre Idelogien erst einmal ihre

eigenen Kolonien erreicht hatten. Viele dieser Ideen kamen mit den tausenden französischen

Emigranten und Remigranten nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs in Britisch-

Nordamerika 1783 in die Kolonie. Als erfolgreiche französische Amerikakämpfer folgten sie den

Verlockungen des Reichtums in die vielversprechendste Kolonie ihres Königreichs.27

Doch die

meisten Veteranen scheiterten an den feudal-kolonialen Verhältnissen auf Saint Domingue und

so entstand ein weißes Lumpenproletariat auf der Insel. Gemeinsam mit den ebenfalls

diskriminierten Freien Farbigen nahmen sie ab 1791 den Kampf um Gleichberechtigung als

französische Bürger auf auf. In Paris hatte man in der Phase des Umbruchs ab 1789 die Kontrolle

über die Kolonien weitgehend an die weiße royalistische Pflanzerschaft verloren. Im Laufe des

Jahres 1792 gelang es den Aufständischen - eine Allianz aus Freien und Sklaven sowie Maroons

- rund ein Drittel der Kolonie gewaltsam unter ihre Kontrolle zu bringen. Den militärischen

Erfolg sicherten sich die Aufständischen mit Hilfe freigelassener Sklaven.28

Nach der Kriegserklärung Frankreichs an Großbritannien 1793 begannen die Briten mit ihrer

Unterstützung für die weiße Pflanzerschaft auf Saint Domingue, die sich unter den Schutz der

britischen Krone stellte. Eine Invasionsarmee kam der weißen Pflanzerschaft im Kampf gegen

die Aufständischen Armee zu Hilfe, die ihrerseits von der legitimistischen revolutionären

Kolonialregierung unterstützt wurde. Sie bestand aus Söldnern aus dem spanischen Teil der Insel

(Santo Domingo), darunter auch Sklaven, sowie aus Söldnern aus dem britischen Jamaika.

Zwischen 1793 und 1804 fielen zehntausende farbige Rebellen sowie rund 200.000 Sklaven (auf

beiden Seiten) und rund 100.000 Soldaten britischer, französischer und spanischer Verbände.29

Die Sklaverei wurde 1794 durch den Nationalkonvent in Frankreich und seinen Kolonien

abgeschafft und gleichzeitig die Gleichheit aller Bürger garantiert. Nach langjährigen

militärischen Auseinanderstzungen mit Großbritannien gelang es der Revolutionsarmee unter der

Führung von Toussaint Louverture, die Briten aus Saint Domingue zu vertreiben. Mit dem

Vertrag von Basel 1795, der das Ende des Kriegs zwischen Frankreich und Spanien bedeutete,

waren die Spanier gezwungen, sich aus Saint-Domingue zurückzuziehen.

27 Cyril Lionel Robert James, The Black Jacobins. Toussaint L'Ouverture and the San Domingo

Revolution. (London 1982).

28 Tausenden Kolonisten gelang die Flucht aus Haiti. Carl A. Brasseaux , Glenn R. Conrad (Hg.), The

road to Louisiana: The Saint Domingue Refugees, 1792-1809. (Lafayette 1992); Nathalie Dessens, The

Saint Domingue Refugees and the Preservation of Gallic Culture in Early American New Orleans. In :

French Colonial History, Nr. 8 (2007) 53-69.

29 David Patrick Geggus, Haitian Revolutionary Studies. Blacks in the Diaspora. (Bloomington 2002).

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Als Napoleon 1799 an die Macht kam, forderte er für die Kolonien Spezialgesetze ein. Die

Macht des französischen Gouverneurs Toussaint Louverture sollte gebrochen werden. Das

Gesetz zur Wiedereinführung der Sklaverei, löste 1802 neue Unruhen aus, die in der

französischen Invasion der Jahre 1802-03 gipfelte. Napoleon erlitt dabei eine schwere

Niederlage.30

Saint-Domingue proklamierte am 1. Jänner 1804 als neuer Staat „Haiti“ seine

Unabhängigkeit von Frankreich und beendete endgültig die Sklaverei. Alle französischen

Rückeroberungversuche scheiterten.

Zwischen Reaktionen und Unterstützung

Aber auch in den spanischen, niederländischen Kolonien sowie in Portugiesisch-Brasilien kam es

aufgrund der Französischen Revolution zu massiven politischen und territorialen Veränderungen.

Die Koaltionskriege hinterließen ihre Spuren überall in den Amerikas. Im September 1798

besiegte die britische Flotte unter der Führung von Captain John Moss und Superintendent

Thomas Barrow die spanische Armee in der Schlacht von Saint George´s Cay und sicherte sich

endgültig große Teile der Nordwestküste der Bucht von Honduras (heute Belize).31

Auch an der

benachbarten Moskito Küste, die durch die Anglo-Spanish Convention 1786 dem Königreich

Spanien zugesprochen wurde, setzten sich die Briten durch, indem sie die Miskitos in ihrem

erfolgreichen Krieg gegen die Spanier im Jahre 1800 unterstützten.32

Ebenfalls auf Kosten der

Spanier ging die britische Eroberung der Insel Trinidad 1797 vor der Mündung des Orinokos.

Mit dem Ausbruch des Kriegs gegen Frankreich fielen der Reihe nach französische Kolonien in

die Hände Großbritanniens. 1794 eroberten die Briten die Insel Martinique. Trotz der Rückgabe

der Insel an Frankreich durch die Vereinbarung des Friedens von Amiens im Jahre 1802,

kontrollierten die Briten Martinique bis zum Wiener Kongress. Obwohl den Briten im selben

Jahr auch die Eroberung von Guadeloupe gelang, konnte die Insel nicht lange gehalten werden

und ging im Dezember 1794 wieder an Frankreich verloren.

Erfolgreich schlugen die Briten zwischen 1793 und 1797 nicht nur sämtliche durch die

französische Revolutionsregierung unterstützte Sklavenrebellionen auf den westindischen Inseln

nieder, wie auf Tobago, Grenada, Saint Luicia und Saint Vincent, sondern auch die Eroberung

der niederländisch-batavischen Kolonien in Südamerika, Demerara, Essequibo und Berbice

sowie 1800 die karibischen Inseln Curacao und Bonaire, 1803 die Insel Saba sowie ab 1807 auch

30 Christope Belaubre, Jordana Dym, John Savage (Hg.), Napoleon´s Atlantic. The impact of Napoleonic

Empire in the Atlantic World. (Leiden/Boston 2010).

31 Jeremy Black, British foreign policy in an age of revolutions, 1783-1793. (New York 1994) 32–33.

32 Frank Griffith Dawson, William Pitt's Settlement at Black River on the Mosquito Shore: A Challenge

to Spain in Central America, 1732-87. In: HAHR 63, 4 (1983) 677–706.

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die benachbarte Insel Aruba. 1809 kam es zur Eroberung von Französisch Guyane durch

portugiesische Truppen, die mit Unterstützung der britische Marine von Para aus in der

französischen Kolonie einmarschierten und sie unter ihre Kontrolle brachten.

Die Serie an Niederlagen gegen Großbritannien und seine Verbündeten schwächte die Position

Spaniens in seinen amerikanischen Kolonien. Die Besetzung Spaniens durch Napoleonische

Truppen 1807 und das dadurch ausgelöste kolonialpolitische Chaos stärkten die republikanischen

Positionen in Übersee. Zwischen 1808 und 1811 kam es in allen Vizekönigreichen spanischer

Provenienz zu Unabhängigkeitsproklamationen.33

Um das ehemalige Wirtschaftsmonopol der

spanischen Krone kämpften Briten, Franzosen und US-Amerikaner. Da die von Großbritannien

gestützte Cortes von Cádiz, die seit 1810 als von Frankreich unabhängige Regierung im Namen

des exiliierten Königs Ferdinand VII. operierte, die iberoamerikanischen Vertreter nicht als

gleichberechtigte Partner anerkannte, verweigerten ab der Proklamation der Verfassung von

1812 einige Vertreter aus den Kolonien der Cortes die Gefolgschaft. Paraguay, das sich 1811

vom Vizekönigreich La Plata gelöst hatte, erklärte 1813 seine Unabhängigkeit. Mit der

neuerlichen Inthronisierung von Ferdinand VII. im März 1814 begann die Entmachtung der

Cortes. Im Mai 1814 setzte der Monarch die liberale Verfassung von 1812 außer Kraft und

errichtete eine absolutistische Diktatur. Längst war den Monarchen Europas klar geworden, dass

das portugiesische Brasilien auch unter der direkten Regentschaft des Braganzaprinzen João VI.

die ihm zugedachte Funktion eines Cordon sanitaire gegen die Rebellenrepubliken nicht

durchhalten werde können. Dies brachte Metternich Brasilien gegenüber zum Ausdruck, indem

er den portugieschen Herrscher, gleichsam mahnend und bittend, um ein rasches Ende des

Jakobinismus in Südamerika anflehte „Ne jacobinez pas“ 34

Gemeinsam mit dem französischen

Außenminister Chateaubriand warnte der österreichische Staatskanzler am Wiener Kongress vor

dem „Gespenst“ des südamerikanischen Republikanismus, das die alten europäischen

Monarchien beenden würde.35

Der Plan, die Revolutionen zu „monarchisieren“, sei so

Chateaubriand, die letzte Möglichkeit, die Lage unter Kontrolle zu bekommen.36

Diese

Einschätzung drückte auch der ehemalige spanische Außenminister und Botschafter in Wien

33 François-Xavier Guerra, Modernidad e independencias: Ensayos sobre las revoluciones hispánicas,

Bd. 36 (Ensayos, Ediciones Encuentros, Madrid 2009).

34 Ar uivo di lom tico da inde end ncia, Vol. IV, Austria-Estados da Allemanha. Rio de Janeiro 1922-

25, S.108 hier Kossok, Legitimität gegen Revolution (1987a) 7.

35 Jean Descola, Les messagers de l´independance. (Paris 1973) 157; William Spencer Robertson, France

and Latin American Independence. (New York 21967) hier Kossok, Legitimität gegen Revolution (1987a)

7.

36 Ebend.7.

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Pedro Ceballos (oder Cevallos) Guerra in einer Note an Metternich aus, indem er an den

Staatskanzler schrieb: „Die Revolution Amerikas ist die Revolution Euro as“.37

Der Koalition gegen Na oleon war, außer der „Monarchisierung“ der ortugiesischen Kolonie

Brasilien, kein weiterer Erfolg vergönnt. Mit britischer Hilfe war König João VI. im Novmber

1807 nach Rio de Janeiro geflohen. Begleitet wurde er von ungefähr 15.000 portugiesischen

Untertanen (Militärs und Zivilisten).38

João war nicht nur der erste portugiesische König in

Brasilien, er war überhaupt der erste europäische Monarch auf amerikanischen Boden. Rio de

Janeiro wurde 1808 Hauptstadt des Königreich Portugals, dessen europäisches Mutterland

bereits im Dezember 1807 in die Hände Frankreichs gefallen war. Trotz der „Befreiung“

Portugals von den Franzosen durch britische Truppen unter der Führung Wellingtons im August

1808, blieb João in den Tropen und kehrte nicht in das von den Briten besetzte Portugal zurück.

Stattdessen nutzte London die Anwesenheit des Monarchen, um in Südamerika Krieg gegen

Napoleon zu führen, wie dies die erwähnte Eroberung von Französisch Guyane demonstriert.

Durch die großen Veränderungen rückte die sogenannte Südamerikafrage in den Fokus des

politischen und ökonomischen Interesses der Großmächte am Wiener Kongress. Viele sahen im

möglichen Zusammenbruch des Kolonialsystems die Existenz Europas bedroht. So ist es auch

nicht verwunderlich, dass noch während der Wiener Kongress tagte, König Ferdinand bereits im

Februar 1815 seinen General Pablo Morillo y Morillo mit insgesamt 65 Schiffen in die

„abtrünnigen“ Kolonien entsandte. Im April begannen die spanischen Truppen mit der

Rückeroberung des Generalkapitanats von Venezuela. Nach dem Sieg in Venezuela wandte sich

Morillo nach Westen und eroberte das Vizekönigreich Neugranada. Gegen Ende des Jahres 1815

war die spanische Kolonialherrschaft im nördlichen Südamerika wieder hergestellt. Der im Mai

1815 ins Exil nach Jamaika geflüchtete Simón Bolívar suchte bei den Briten und danach beim

haitianischen Präsidenten Alexandre Petion um militärische Unterstützung für den

Befreiungskampf gegen Pablo Morillo an und erhielt Waffen, Munition und Söldner (British

Legions). Mit dieser Unterstützung sowie neuen Bündnisse mit Piraten, Warlords und Libertos

gelang Bolívar ab 1817 die Rückeroberung der von Morillo eroberten Gebiete.

Auch in Mexiko, wo nach den Aufständen der beiden Priesterrevolutionäre Hidalgo und Morelos

1814 die liberale Verfassung von Apatzingan ausgerufen wurde, eroberten königstreue Truppen

mit spanischer Unterstützung im Laufe des Jahres 1815 weite Teile von Neuspanien zurück. Die

revolutionären Kräfte in Mexiko waren zu schwach, um das Vizekönigreich Neuspanien zu

beseitigen und erst mit der Ausrufung der Revolution von 1820 in Spanien, dem sogenannten

37 HHstA. Wien: Staatenabteilung Spanien. Differend concernant les Colonies Espagnoles 1817 a 1818.

Fasz. 185. Cevallos an Metternich vom 20.2.1818, fol. 251. hier Kossok, Legitimität gegen Revolution

(1987a) 7.

38 Laurentino Gomes, 1808. Como uma rainha louca, um príncipe medroso, e uma corte corrupta

enganaram Napoleao e mudaram a história de Portugal e do Brasil. (Rio de Janeiro 2007).

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Trienio Liberal (liberales Triennium) oder Trienio Constitucional, konnten sich die liberalen

Kräfte unter Agustín Cosme Damián de Iturbide in Mexiko durchsetzen.39

Nach der erfolgreichen Verteidigung von Buenos Aires gegen britische Angriffe 1806 und 1807

durch argentinische Milizen, gewann die Aufständischen im Vizekönigreich La Plata die

Oberhand, die den weiteren Verbleib bei Spanien ablehnten. In der Mairevolution von 1810

übernahm eine Junta in Buenos Aires die Macht, setzte den spanischen Vizekönig ab und

erklärte die Vereinigten Staaten am Rio de la Plata als neues Staatskonstrukt. Paraguay erklärte

jedoch 1811 seine Unabhängikeit von diesem „Staatskonstrukt“ und wurde 1813 endgültig ein

eigener unabhängiger Staat.

Abgesehen von der Frage wie man die Revolutionen in den Amerikas beenden und vor allem ein

Übergreifen auf Europa verhindern könnte, stellte man sich in Wien auch die Frage, wie man die

russische Expansion in den Amerikas einschätzen solle. 1799 war die Russisch-Amerikanische

Kompagnie als Monopolgesellschaft gegründet worden. Unter der Leitung von Nikolai

Petrowitsch Resanow und Alexander Andrejewitsch Baranow versuchte sie die gesamte

Pazifikküste Nordamerikas in Besitz zu nehmen. 1805 erreichten die Russen den spanischen

Handelsstützpunkt Yerba Buena in der Bucht von San Francisco, scheiterten jedoch noch mit der

Errichtung einer Kolonie in Kalifornien. Dies gelang erst 1809 Iwan Alexandrowitsch Kuskow

mit der Errichtung der russischen Kolonie Port Rumyantsev (Bodega Bay), 85 km nordwestlich

von San Francisco. Drei Jahre später, 1812, gründete Kuskow Fort Rossija (Fort Ross), etwa 145

km nordwestlich von San Francisco.40

Damit standen sich Russen und Spanier (ab 1821

Mexikaner) in Nordamerika bis 1841 gegenüber.

Im Gegensatz zur österreichischen Regierung, die Spaniens und Frankreichs Reconquista

in den Amerikas politisch in absolutistischer Treue zu den Bourbonenherrschern unterstützte,

gab es österreichische Untertanen, die von Staatskanzler Metternich mehr direktes Engagement

in Spanisch-Amerika und in den unabhängigen Republiken verlangten. Der Wiener Historiker

Rudolf Agstner fand im Österreichischen Staatsarchiv Informationen über den 1766 in Triest

geborenen Kaufmann August Emanuel Pérez, der in den Wirren der Napoleonischen Kriege nach

Kuba geflohen war.41

Pérez schrieb Metternich ab 1816 mehrere Briefe, in denen er die

Regierung bat, österreichische Honorarkonsulaten in New York, New Orleans, Haiti und

Havanna zu errichten und Kommerzagenten aufzustellen. Darüberhinaus sollte sich die

39 Sergio Guerra Vilaboy, El dilema de la independencia. (Havanna 2007).

40 Leonid Shur, The Khlebnikov archive. Unpublished journal (1800–1837) and travel notes (1820, 1822,

and 1824) (Fairbanks 1990); Lyn Kalani, Rudy Lynn/ John Sperry (Hg.), Fort Ross (Jenner, CA 1998).

41 HHStA, Administrative Registratur (AR), Fach (F) 4, Karton (K) 253. Zitiert nach Rudolf Agstner,

Von Kaisern, Konsuln und Kaufleuten, Bd. 2. Die k. (u.) k. Konsulate in Arabien, Lateinamerika,

Lettland, London und Serbien. (Forschungen zur Geschichte des österreichischen Dienstes, Bd. 7,

(Hamburg 2012).

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Aufnahme von Handelsbeziehungen mit Hati für Österreich als vorteilhaft erweisen. Noch

deutlicher wurde Pérez bei der Frage, ob Österreich als Kolonialmacht in den Amerikas aktiv

werden sollte. 1820 schrieb Pérez an Metternich folgende Zeilen: „Wenn heute Österreich eine

Colonie in West-Indien an sich bringt, allen Nationen freyen Handel erlaubt, nota bene mit

niederen Zöllen – so ist es unausbleiblich, dass der Zulauf neuer Pflanzer sehr groß seyn wird –

weil sie unbeschränkten Absatz ihrer Erzeugnisse erlangen. Der Handel würde sich von

Westindien größtentheils in die österreichische Colonie ziehen, und die österreichischen

Producte und Manufacturen werden Gelegenheit eines großen Absatzes erlangen, und

Österreich würde sich alle Colonialwaaren mit Umtausch gegen ihre Erzeugnisse, und nicht

meist mit Geld, wie bisher, verschaffen. Auf die Frage, welche eine convenable Colonie für

Österreich wäre ist meine Antwort Porto Rico“42

.

Konklusionen

Österreichs Interessen um die Rückgewinnung der ehemaligen innereuropäischen Kolonie

„Österreichische-Niederlande“ wurden während des Wiener Kongresses zu Gunsten der

Vormachtstellung im deutschen Bund aufgegeben, um nicht zu sagen, fungierte der

Restaurationsanspruch auf die „Österreichischen Niederlande“ nur als strategisches Druckmittel.

Durch den Verzicht auf die atlantischen Häfen verspielte Österreich endgültig, die Chance

direkten Einfluss auf die Geschehnisse in Westafrika und den Amerikas zu nehmen, eine

Möglichkeit die beispielsweise die Hansestädte Hamburg und Bremen nutzten. Die

Verweigerung, die USA in einem frühen Stadium anzuerkennen, verbaute Österreich Handels-

und Wettbewerbsvorteile mit der aufstrebenden unabhängigen Macht in Nordamerika. Durch die

treue Unterstützung Spaniens und auch Frankreichs in den Amerikas ließ Wien die Möglichkeit

aus, als Kolonialmacht in Übersee aufzutreten. Nur im Falle von Portugal und Brasilien

versuchte Österreich durch die Eheschließung zwischen Kronprinzessin Leopoldine und dem

Prinzen Pedro 1817 Einfluss auf die Kolonialpolitik in Brasilien und die Bekämpfung der

Rebellenrepubliken (mittels der Heiligen Allianz) zu nehmen. Doch die „Bändigung der

Revolutionen“ erwies sich, so Eric Hobsbawm, „spätestens ab 1820 als vollständige

Fehleistung“.43

42 Ibidem.

43 Eric Hobsbawm, The age of revolutions, Europe 1789-1848 (London 1962) 136 f.