Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief - Wandel oder Kontinuität?

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GEISTESWISSENSCHAFTLICHES ZENTRUM GESCHICHTE UND KULTUR OSTMITTELEUROPAS E.V. AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa Herausgegeben von Winfried Eberhard Adam Labuda Christian Lübke Heinrich Olschowsky Hannes Siegrist Petr Sommer Stefan Troebst Band 46

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GEISTESWISSENSCHAFTLICHES ZENTRUMGESCHICHTE UND KULTUR OSTMITTELEUROPAS E.V.AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG

Forschungen zur Geschichte und Kulturdes östlichen Mitteleuropa

Herausgegeben vonWinfried EberhardAdam LabudaChristian LübkeHeinrich OlschowskyHannes SiegristPetr SommerStefan Troebst

Band 46

Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen

Franz Steiner Verlag

Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609

Herausgegeben von Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec und Martina Thomsen

Gedruckt mit Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig.Übersetzung der Beiträge mit Unterstützung des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik.Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UG0710 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

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Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar.© Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014Druck: Laupp & Göbel GmbH, NehrenGedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany.ISBN 978-3-515-10609-2 (Print)ISBN 978-3-515-10594 (E-Book)

Umschlagabbildung: Ausschnitt aus dem Einblattdruck Böhmische Friedenfahrt, s. l. 1618

Lektorat: Robert GieselRedaktion: Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec, Martina ThomsenÜbersetzung der tschechischen Beiträge: Anna Ohlidal

Inhalt

Vorwort.....................................................................................................................5

Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec und Martina Thomsen Der rudolfinische Majestätsbrief: Entstehungsgeschichte, Forschungsstand und konzeptionelle Überlegungen .........................................................................11

Vorgeschichte und Vorbilder

Winfried EberhardKonfessionelle Polarisierung, Integration und Koexistenz in Böhmen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert ........................................................25

Ines RößlerDie Confessio Bohemica als Basis des Majestätsbriefs Rudolfs II. – Ausdruck konstituierten Rechts oder „neuer Toleranz“? .......................................45

1609 und die europäische Politik

Tomáš ČernušákDie päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief – Wandel oder Kontinuität? ......................................................................................55

Jaroslava HausenblasováDie diplomatischen Aktivitäten des sächsischen Kurfürsten Christians II. in Prag 1609 .....................................................................................63

Ständische Interessen und Strategien

Václav BůžekDie Glaubensfreiheit im Denken und Alltagsleben des Peter Wok von Rosenberg ................................................................................85

Tomáš KnozDas Žerotín’sche Mähren – ein „anderes Konzept“ des Majestätsbriefs .............103

8 Inhalt

Pavel MarekDie Rezeption des rudolfinischen Majestätsbriefs im Milieu des böhmischen katholischen Adels .....................................................................117

Petr VorelDie Fiskal- und Währungsstrategie der böhmischen Stände in den Jahren 1609–1618 .....................................................................................133

Ideal, Norm und Realität – die Alltagspraxis

Jiří JustDie Neuordnung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in Böhmen nach dem Majestätsbrief: Ziele und Probleme .....................................................143

Pavel KůrkaRudolfs Majestätsbrief und die Prager Pfarreien .................................................155

Wulf WäntigPolitische Rhetorik, religiöse Praxis, konfessionelle Identität – der Majestätsbrief in seinen Wirkungen an der Peripherie des Königreichs Böhmen .....................................................................................161

Martin HolýVereitelte Hoffnungen? Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen in Böhmen .................................................171

Spuren in zeitgenössischer Propaganda und Mentalität

Antonín KostlánDer böhmische Calvinismus zwischen Majestätsbrief und der Schlacht am Weißen Berg .......................................................................183

Jana HubkováDer Majestätsbrief Rudolfs II. und seine Rolle in den Flugblattpolemiken des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts ...............................................................195

Petr HlaváčekRudolfs Majestätsbrief, Comenius und die Exklusivität der Tschechen in der Heilsgeschichte ..........................................................................................215

Jiří MikulecDer Majestätsbrief im Denken der katholischen Barockgesellschaft in Böhmen ............................................................................................................225

9Inhalt

Formen der Rezeption

Jaroslav PánekDer Majestätsbrief zur Religionsfreiheit von 1609 als historiographisches Problem ..........................................................................239

Martina ThomsenReligionsfrieden als Gegenstand der Erinnerungskultur: ein Vergleich zwischen Böhmen, Polen-Litauen und dem Alten Reich ..............261

Zeittafel ................................................................................................................275Autorinnen und Autoren ......................................................................................278Ortsregister ...........................................................................................................283Personenregister ...................................................................................................286

Tomáš Černušák

Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief – Wandel oder Kontinuität?

Die päpstliche Nuntiatur spielte besonders seit der Übersiedlung des Kaiserhofes nach Prag im Jahr 1583 eine bedeutende Rolle im Rekatholisierungsprozess der böhmischen Länder.1 Bereits unter dem damaligen Nuntius Francesco Bonomi wurde ein wichtiges Rekatholisierungsprogramm ausgearbeitet, das sich in den Ak-tivitäten seiner Nachfolger an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert deutlich widerspiegelte.2 Während der Nuntius Cesare Speciano nur einen geringen Teil seiner Pläne umsetzen konnte,3 beeinflusste Filippo Spinelli, der dieses Amt in den Jahren 1598–1604 innehatte, mit Hilfe eingefädelter Intrigen den umfangrei-chen Personalaustausch in den oberen Landesämtern zugunsten der radikalen böh-mischen Katholiken; außerdem erreichte er ein energischeres Vorgehen gegen die Brüderunität.4 Sein Nachfolger Giovanni Ferreri setzte 1605 die Einberufung ei-

1 Zur Bedeutung der Prager Nuntiatur s. köHler, Jochen: Der Beitrag der Prager Nuntiatur zur Festigung des Katholizismus in Ostmitteleuropa. In: Historisches Jahrbuch 93 (1973), 336–346. – koller, Alexander: Die böhmischen Länder im Spiegel der Berichte der Nuntien und kurialen Instruktionen. In: Společnost v zemích habsburské monarchie a její obraz v prame-nech (1526–1740). Hg. v. Václav Bůžek und Pavel král. České Budějovice 2006 (Opera his-torica 11), 175–191. Die neueste knappe Bewertung der Prager Nuntiatur und ihrer Bedeutung findet sich bei CatalaNo, Alessandro: Zápas o svědomí. Kardinál Arnošt Vojtěch z Harrachu (1598–1667) a protireformace v Čechách [Der Gewissenskonflikt. Kardinal Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667) und die Gegenreformation in Böhmen]. Praha 2008, 62–63.

2 stloukal, Karel: Počátky nunciatury v Praze. Bonhomini v Čechách v letech 1581–1584 [Die Anfänge der Nuntiatur in Prag. Bonhomini in Böhmen 1581–1584]. In: Český časopis histo-rický 34 (1928), 1–24, 237–279.

3 Zur Nuntiatur von Cesare Speciano s. PazderoVá, Alena: Instrukce pražského nuncia Caeta-niho pro jeho nástupce Speciana [Die Instruktion des Prager Nuntius Caetani für seinen Nach-folger Speciano]. In: Facta probant homines. Sborník příspěvků k životnímu jubileu prof. dr. Zdeňky Hledíkové. Hg. v. Ivan hlaváČek und Jan HrdiNa. Praha 1998, 351–361. – PazderoVá, Alena: La Boemia multiconfessionale e la nunziatura di Cesare Speciano a Praga. In: Kaiserhof – Papsthof (16. – 18. Jahrhundert). Hg. v. Richard Bösel, Grete kliNgeNsteiN und Alexander koller. Wien 2006, 25–32. – matouŠek, Josef: Kurie a boj o konsistoř pod obojí za adminis­trátora Rezka [Die Kurie und der Kampf um das utraquistische Konsistorium unter dem Admi-nistrator Rezek]. In: Český časopis historický 37 (1931), 16–41, 252–292.

4 Zu Spinellis Nuntiatur s. stloukal, Karel: Papežská politika a císařský dvůr pražký na předělu XVI. a XVII. věku [Die päpstliche Politik und der Prager Kaiserhof an der Wende vom XVI. zum XVII. Jahrhundert]. Praha 1925, 103–210. – BoroviČka, Josef: Pád Želinského. Obsazení zemských úřadů v Čechách v letech 1597–1599 [Želinskýs Sturz. Die Besetzung der Landes-ämter in Böhmen 1597–1599]. In: Český časopis historický 28 (1922), 277–304. Zum Mandat gegen die Brüderunität s. glüCkliCH, Julius: Mandát proti Bratřím z 2. září 1602 a jeho prová-dění v letech 1602–1604 [Das Mandat gegen die Brüder vom 2. September 1602 und seine Durchführung in den Jahren 1602–1604]. Praha 1904.

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ner kirchlichen Synode durch, in deren Verlauf der Klerus der Prager Diözese die Dekrete des Konzils von Trient annahm.5

Ihre Bedeutung behielt die Prager Nuntiatur auch unter dem päpstlichen Nun-tius Antonio Caetani,6 dessen diplomatische Tätigkeit in Prag in die Zeit zwischen Mai 1607 und Januar 1611 fiel. Die neuesten Forschungen deuten an, dass die päpstliche Politik am Beginn des Pontifikats von Papst Paul V. (1605–1621)7 in Mitteleuropa – im Unterschied zu früheren Zeiten – eher zu einer defensiven Taktik überging.8 Eine interessante Informationsquelle für die Ereignisse in Mitteleuropa sind die von Caetani nach Rom gesandten Berichte aus dem Jahr 1609, die derzeit für eine Edition bearbeitet werden. Wichtig sind zudem die Weisungen, die Caetani damals von dem Kardinalnepoten Scipione Borghese aus Rom erhielt, der die Au-ßenpolitik des Heiligen Stuhls leitete. Diese Quellen werfen die Frage auf, ob und auf welche Weise sich die päpstliche Politik im Hinblick auf den rudolfinischen Majestätsbrief veränderte.

Bei der Untersuchung der Korrespondenz aus der Zeit vor dem Majestätsbrief, das heißt aus der ersten Hälfte des Jahres 1609, stellt man fest, dass Nuntius Caetani zunächst mit Skepsis, aber doch nicht gänzlich hoffnungslos auf die Verhandlungen des böhmischen Landtags und die religiösen Forderungen der böhmischen Stände blickte. Wenn es gelänge, die Uneinigkeit unter den Nichtkatholiken zu schüren, die politische Macht in Prag zu bewahren sowie die Ansichten des Kaisers zu stützen, seien die Aussichten für die katholische Partei nicht schlecht.9 Als päpstlicher

5 Zu Ferreris Wirken in Böhmen s. NoVák, Jan Bedřich: Über die Bedeutung der Nuntiaturbe-richte für „Die böhmischen Landtagsverhandlungen“. In: Mitteilungen aus dem Landesarchive des Königreiches Böhmen 1 (1906), 75–116, bes. 78–85. Zur Synode von 1605 s. VaCek, Fran-tišek: Diecézní synoda pražská z r. 1605 [Die Prager Diözesansynode von 1605]. In: Sborník historického kroužku 5 (1896), 25–45.

6 Zur Persönlichkeit des Nuntius Antonio Caetani s. Le istruzioni generali di Paolo V. ai diplo-matici pontifici 1605–1621. Hg. v. Silvano giordaNo. Tübingen 2003, 162–164. – Epistulae et acta Antonii Caetani 1607–1611. Bd. 1. Hg. v. Milena liNHartoVá. Praha 1932, I–XVI. – Dizio-nario Biografico degli Italiani. Bd. 16. Roma 1973, 120–125.

7 Zur Außenpolitik des Heiligen Stuhls unter Paul V. neuerdings: Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605–1621). Hg. v. Alexander koller. Tübingen 2008. Von Bedeutung ist immer noch Pastor, Ludwig: Geschichte der Päpste im Zeitalter der katholischen Restauration und des Dreißigjährigen Krieges. Bd. 12: Leo XI. und Paul V. (1605–1621). Freiburg i. B. 1927.

8 S. dazu ČernuŠák, Tomáš: Nuncius Caetani a jeho obrana katolických zájmů v době před vy-dáním Majestátu Rudolfa II. (1608–1609) [Nuntius Caetani und seine Verteidigung der katho-lischen Interessen in der Zeit vor dem Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs (1608–1609)]. In: Časopis Matice moravské 128 (2009), 35–46. – ders.: La riconciliazione tra gli Asburgo – parte del programma della diplomazia papale nell’anno 1608. In: Roma – Praga/Praha – Řím. Omaggio a Zdeňka Hledíková. Hg. v. Kateřina BoBkoVá-ValeNtoVá u. a. Praga 2009 (Bollet-tino dell’Istituto Storico Ceco di Roma, supplemento 2008), 339–344. – ders.: Pražská nuncia­tura a počátky Katolické ligy [Die Prager Nuntiatur und die Anfänge der Katholischen Liga]. In: Český časopis historický 108 (2010), 114–126. – ders.: Papežská politika v českých ze-mích za nunciatury Antonia Caetaniho (1607–1609) [Die päpstliche Politik in den böhmischen Ländern während der Nuntiatur des Antonio Caetani (1607–1609)]. In: Folia historica bohe-mica 25/1 (2010), 7–22.

9 Archivio Segreto Vaticano [im Folgenden: ASV], Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 40r–41r:

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Diplomat wusste er jedoch, dass die Möglichkeiten, seinen Einfluss auf dem Feld der Landespolitik stärker geltend zu machen, äußerst begrenzt waren. Deshalb gab er eher indirekten Aktivitäten den Vorzug: Er ermutigte die katholischen Herren, unter den Nichtkatholiken Unfrieden zu säen und rief die Minister auf, den Kaiser in seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Forderungen der Nichtkatholiken zu bestärken.10 Außerdem bemühte er sich, den Herrscher direkt zu beeinflussen: Zwar erhielt er keine Privataudienz, aber er arbeitete zu jeder Forderung der Nicht-katholiken ein eigenes schriftliches Memorandum aus, das er mit Hilfe seiner Ver-bündeten bei Hof – besonders des Geheimen Rats Johann Barvitius – dem Kaiser zuzustellen versuchte.11

Caetanis Haltung blieb bis zum Erlass des Majestätsbriefs unverändert: auf kei-nen Fall den Forderungen der Stände nachgeben und alle Kompromissvorschläge ablehnen. Diesen Ton schlugen auch die ständig wiederholten Instruktionen aus Rom an.12 Der Grund für die radikale Haltung dürfte in der Tatsache zu sehen sein, dass für den Heiligen Stuhl jede Beteiligung von Katholiken an Vereinbarungen mit Protestanten inakzeptabel war.13 Im August 1609 drückte Kardinal Borghese dies recht treffend mit den Worten aus, dass „nichts etwas entschuldigen kann, das die katholische Religion einschränkt und beschädigt“.14 Aus diesem Grund äußerte Caetani mehrfach seine Unzufriedenheit über einige Katholiken, vor allem über den Oberstburggrafen Adam von Sternberg. Ihn störte deren geringer Eifer im katholi-schen Glauben und die übertriebene Bereitschaft zu Verhandlungen mit den Nicht-katholiken.15 In der ersten Hälfte des Jahres 1609 wuchs Caetanis Skepsis. Es gab zwar Augenblicke, in denen sich die Situation für die katholische Partei besser zu

„Primieramente si procura, quanto più si può, la disunione de gl’Ussiti con gl’altri e questa non riesce difficile, pur che gli Ussiti havessero più fermo capo. Tra Luterani e Piccardi v’è anco qualche discordia, la qual si cerca di accrescere.“ Ähnlich auch ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 57r–58v.

10 ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 68r–73v: „Io per mia parte non posso far più ch’essor-tar questi signori Cattolici a pugnar valentemente e che vogliano ricordar a i Luterani, che in loco d’introdurre la dottrina di Lutero introdurrano quella di Calvino ogni volta, che si allarghi più la religione in questi paesi, propositione quando fosse ben capita da loro più che vera, e del resto pregar i ministri di Sua Maestà a tenerla svegliata e salda in quello che conviene, il che lo faccio quanto posso, [...].“

11 Beispielsweise ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 96r–99v, 147r–150r, 161r–164r, 189r– 192r.

12 Beispielsweise ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 437r, 438v.13 S. dazu auch koller, Alexander: Prudenza, zelo e talento. Zu Aufgaben und Profil eines nach-

tridentinischen Nuntius. In: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotes-tantismus in der Habsburgermonarchie. Hg. v. Rudolf leeB, Susanne Claudine Pils und Tho-mas WiNkelBauer. Wien-München 2007, 45–59, bes. 57 f.

14 ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 9r–10r: „[...] veramente niuna scusa può difendere quello, che si fa con diminutione et danno della religione cattolica [...].“

15 ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 139r–140r: „Io non mi affligo tanto degli heretici, quanto della poca fermezza de i nostri Cattolici, tra quali il Burgravio ch’è capo tituba et hora tratta di voler fare un impiastro d’un interim, hor vorrebbe, che Sua Maestà concedesse qualche cosa oretenus, in somma vacilla, e non sta saldo allegando, che gli heretici siano delle case di Baroni 150 e de’ Nobili 400 e di i nostri i Baroni soli 19 et i Nobili solo 30, et essagera anco il pericolo dell’union di costoro con gli Austriaci et il poco modo di difesa, che ha l’Imperatore

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entwickeln schien, z. B. während der Unterbrechung des Landtags,16 jedoch zeigen seine Berichte deutlich, dass er sich der beschränkten Möglichkeiten des im Prinzip wehrlosen Kaisers hinreichend bewusst war.17 Der Verlauf der Geschehnisse sollte seine Befürchtungen bestätigen, und am 29. Juni 1609 informierte Caetani Rom über die Entscheidung Rudolfs II., den religiösen Forderungen der Nichtkatholiken nachzugeben.18

Will man die Zeit vor und nach dem Erlass des Majestätsbriefs beurteilen, so sei festgehalten, dass die wesentlichen Leitlinien der päpstlichen Politik auch nach dem Erlass des Majestätsbriefs unverändert blieben: Der katholische Einfluss musste erhalten werden, was übrigens schon in der für Caetani erlassenen General-instruktion anlässlich seines Amtsantritts im Jahr 1607 formuliert worden war.19

Ein weiteres wichtiges Merkmal war die Reflexion der Ereignisse in Böhmen, die – sofern es sich um das Streben nach Religionsfreiheit handelte – nicht unab-hängig, sondern immer im Rahmen des konfessionellen Ringens in ganz Mitteleu-ropa wahrgenommen wurden: in Österreich, Schlesien und vor allem im Heiligen Römischen Reich. Dieses kontextualisierte Verständnis des Geschehens in Mittel-europa zeigt sich bereits in den Berichten vom Herbst 1608, als Caetani die beun-ruhigenden Nachrichten über die Aktivitäten der unzufriedenen österreichischen Stände kommentierte. Die Situation in Böhmen, in Schlesien und im Alten Reich hing seiner Ansicht nach unmittelbar davon ab, wie die Ereignisse in Österreich ausgingen – so formulierte er es in einem Bericht vom 15. September.20 Das Vorge-hen der böhmischen Stände in der ersten Hälfte des Jahres 1609 stellte Caetani zu-folge eine Gefahr für die Länder der deutschen katholischen Fürsten, und darunter besonders für die geistlichen Herrscher, dar. Es könnte nämlich als Vorbild für die dortigen Protestanten dienen, ebenfalls religiöse Freiheiten zu erzwingen.21 Noch deutlicher zeigt sich die Wahrnehmung der Ereignisse in Böhmen im Rahmen der

circondato da malinconia e da tante altre miserie.“ S. ähnlich auch ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 147r–150r; serie II, 169, fol. 60r–63r.

16 ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 11r–14r, Bericht vom 4. Mai: „Par finalmente che queste cose di Boemia comincino a pigliar miglior piega, di che non se ne può veramente recar la causa ad altro che alla misericordia di Dio benedetto.“

17 ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 161r–164r, 209r–212v.18 ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 141r–145v.19 Le istruzioni (wie Anm. 6), 438–458.20 ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 37r–37v: „Del resto non entro intorno alla dieta a farne

giuditio nessuno, perché non dipenderà l’esito di essa da i motivi di questo regno solo. Le per-turbationi dell’Austria, secondo che saranno cresciute o cessate, si faranno sentire anco qua, ma se la Slesia con quella ostination, che si teme, verrà anch’essa di fianco a percuoterci, et farà le medesime dimande e protestarà altrimenti levar l’obedienza, non veggo, come con tante nostre debolezze saremo potenti a difenderci. Dio benedetto nondimeno può dar rimedio al tutto.“ S. ähnlich ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 134r–135r, 152r–153r, Berichte vom 3. und 10. November 1608.

21 ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 68r–73v: „[...] la materia è degna da essere riferita a Vostra Signoria Illustrissima con i suoi particolari, non solo per esser per stessa grave, ma anco per le conseguenze pericolisissime che ne possono nascere, poiché se i sudditi dall’Imperatore istesso estorqueno la libertà della conscienza ne i suoi stati medemi, che farrano gli altri heretici per l’Imperio verso i Principi cattolici e massime gli ecclesiastici?“

59Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief

mitteleuropäischen Zusammenhänge in einem Chiffren-Bericht vom 29. Juni 1609, in dem der Nuntius seine Ansichten zu den möglichen Folgen des Majestätsbriefs zusammenfasste. Er fürchtete zwei große Gefahren: Zum einen könnte es nach dem Tod Rudolfs II. Bemühungen geben, den Habsburgern die Herrschaft über die böh-mischen Länder zu entreißen und einen Protestanten zum böhmischen König zu wählen, womit für die Katholiken eine Kurfürstenstimme verloren ginge. Die zweite Gefahr sah er in der Möglichkeit, dass der Kaiser wie ein Gefangener gehal-ten und zur Unterzeichnung eines Dokuments zugunsten der protestantischen Kur-fürsten gezwungen werden könnte.22 Eine ähnliche Einordnung der böhmischen Problematik zeigte sich auch in den die Katholische Liga betreffenden Briefen. Als Caetani am 29. Juni Rom über die Entscheidung des Kaisers informierte, den böh-mischen Nichtkatholiken nachzugeben, reagierte der Heilige Stuhl am 18. Juli 1609 mit einem chiffrierten Sonderschreiben. Darin wurde konstatiert, dass die einzige Abhilfe in der Formierung einer Katholischen Liga zu sehen sei,23 die dann auch tatsächlich noch im selben Monat in München gegründet wurde.24 Dabei hatte sich die päpstliche Diplomatie ursprünglich gegenüber dieser Initiative des bayrischen Herzogs Maximilian sehr reserviert bis ablehnend verhalten. Der Grund hierfür dürfte wahrscheinlich in einer vorsichtigen und abwartenden Taktik zu sehen sein: Der Heilige Stuhl wollte durch eine Unterstützung der Liga offensichtlich keinen Anlass für ein weiteres Anwachsen der Spannungen im Alten Reich liefern. Erst als im April 1609 der pfälzische Kurfürst Friedrich IV. einige Besitzungen des Speyrer Bischofs besetzte, kam es zu einem Stimmungswandel. Caetani initiierte im Mai und Juni eine eigenständige Unterstützung für die Liga, und er gehörte zu den Per-sonen, die eine Reise des Kapuzinerpredigers Laurentius von Brindisi nach Spanien anregten, wo dieser den spanischen König Philipp III. für den Gedanken der Liga gewinnen sollte. Im Oktober 1609 hatte er damit Erfolg.25 Zwei Monate später führte Caetani mit dem Speyrer Koadjutor Philipp Christoph von Sötern, der die geistlichen Kurfürsten vertrat, wichtige Gespräche über die neuen, größeren

22 ASV, Fondo Borghese, serie II, 157, fol. 262r–263r: „Con la rebellione di questo regno si cor­reno due manifesti pericoli; l’uno che non si camini a fine d’escludere in perpetuo la Casa d’Austria da questi stati et mandarvi dopo la morte di Sua Maestà Cesarea un re heretico, il che più manifestamente apparirebbe se fosse chiamato per Generale il Conte d’Analt, o quel di Nassau, donde, oltre la perdita di questo regno, si perderebbe anco un voto elettorale et per conseguenza l’Imperio; il secondo che detenendosi Sua Maestà come prigione, potrebbono questi heretici ad instanza dei tre Elettori protestanti farli sottoscrivere per forza qualche foglio in favor di qualche soggetto heretico, che approvato poi da loro si complirebbe il numero di quattro voti, né basterebbono li tre Ecclesiastici ad impedirlo.“

23 ASV, Fondo Borghese, serie III, 110–111, sine fol.: „Rimedio delle rovine è la lega cattolica tra secolari et ecclesiastici Cattolici, ma la secretezza è l’unico mezo e però è necessario conclu-derla prima che venga alla notitia d’heretici.“

24 Zu den Anfängen der Katholischen Liga s. beispielsweise litzeNBurger, Andrea: Kurfürst Jo-hann Schweikard von Kronberg als Erzkanzler. Mainzer Reichspolitik am Vorabend des Drei-ßigjährigen Krieges (1604–1619). Stuttgart 1985, 219–236. – alBreCHt, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573–1651. München 1998, 391–418. – Neuer-laNdfried, Franziska: Die Katho-lische Liga. Gründung, Neugründung und Organisation eines Sonderbundes 1608–1620. Kall-münz 1968, 12–96.

25 Genauer dazu ČernuŠák, Pražská nunciatura (wie Anm. 8).

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Möglichkeiten der Katholischen Liga. In Reaktion auf das Entgegenkommen des spanischen Königs fiel hier der Vorschlag, die Liga auch zu nutzen, um die Stellung der österreichischen Habsburger zu stärken – z. B. für den Fall, dass die böhmischen Stände nach Rudolfs Tod einen Protestanten zum König wählen sollten.26

Man kann allerdings nicht behaupten, dass die päpstliche Politik nach dem Er-lass des Majestätsbriefs gänzlich unverändert blieb. Eine deutliche und meiner An-sicht nach grundsätzliche Wende zeigt sich in den Weisungen, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1609 aus Rom gesandt wurden. In ihnen wird vor allem ein Wan-del im Verhältnis zu Kaiser Rudolf II. deutlich. Der Heilige Stuhl war zwar schon früher bis zu einem gewissen Maß kritisch gegenüber dem Kaiser eingestellt gewe-sen. Dabei ging es nicht nur um die langfristig ungelöste Frage der Nachfolge im Alten Reich, die auch 1609 immer wieder in der Nuntiaturkorrespondenz auftauch-te.27 Die päpstliche Diplomatie störte an Rudolf außerdem dessen häufige Un ent­schlossenheit,28 seine Weigerung, sich mit seinem Bruder Matthias zu versöhnen sowie die damit verbundenen Absichten, die 1608 verlorenen Länder, insbesondere Mähren, wiederzugewinnen.29 Solange der Kaiser jedoch den Forderungen der böhmischen nichtkatholischen Stände widerstand, wurde er aus Rom gelobt, indem man seine Umsicht (prudenza) und seinen Eifer (zelo) für den katholischen Glau-ben betonte.30 Nach dem Erlass des Majestätsbriefs hörte man aus Rom allerdings keine derartigen Elogen mehr. Eine Veränderung in der Beurteilung des Kaisers lässt sich in der Nuntiaturkorrespondenz bereits Anfang Juli 1609 beobachten. Da-mals sandte Rudolf II. seine Geheimen Räte Leopold Stralendorf und Hermann Attems zum Nuntius, damit sie sich in seinem Namen beim Papst für den Erlass des Majestätsbriefs entschuldigten. Caetani antwortete ihnen bei dem Treffen recht scharf, dass dem Kaiser und allen, die sich am Erlass des Majestätsbriefs beteiligt hatten, die Exkommunizierung drohe.31 Auch in Rom fand man für das Handeln des Kaisers keine Entschuldigung. Dem Heiligen Stuhl zufolge war Rudolf II. seinem

26 ASV, Fondo Borghese, serie I, 540–542, fol. 47r–48r: „Similmente non vedo ripugnanza al dar ogni honesta satisfattione al Re Cattolico in stringere i collegati ad una obligatione reciproca nelle cose giuste et honeste in servitio della Casa d’Austria et che spettano alla conservatione della religione in Alemagna, come sarebbe a dire in dar appoggio a Ferdinando caso che fosse travagliato per causa di religione, et Matthias, morto l’Imperatore quando i Boemi eleggessero un re heretico.“

27 Beispielsweise ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 14r–15r, Bericht vom 5. Januar; ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 430r–430v, Weisung vom 7. Februar; ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 198r–199r, Bericht vom 30. März.

28 Zum Beispiel ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 37r–37v.29 Zu dieser Frage: ČernuŠák, Tomáš: Die Papstpolitik und die Entwicklung des Bruderzwistes in

der Korrespondenz des Nuntius Antonio Caetani (September 1608 – Juni 1609). In: Bruder-zwist im Hause Habsburg. Hg. v. Václav Bůžek u. a. České Budějovice 2009 (Opera historica 14), 211–224.

30 ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 432v–433r: „Da le attioni di Cesare non si può congetturar, che pronta et pia voluntà di conservare et accrescere la santa religione in coteste parti et le dili-genze fatte per disunir gl’heretici mostrano la molta prudenza di Sua Maestà.“ Ähnlich auch ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 445v–446r, 448r.

31 Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag), Sbírka opisů – cizí archivy (Abschriftensammlung – ausländische Archive), Simancas, Kart. 1, Baltasar de Zúñiga an den König (Praga,

61Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief

Schwur untreu geworden, bis zum Vergießen des eigenen Blutes für den katholi-schen Glauben zu kämpfen.32 In den nächsten Monaten wurde der Kaiser in den Weisungen aus Rom wiederholt als sehr schwacher Herrscher ohne Autorität be-zeichnet, so beispielsweise in jener vom 8. August33 bzw. vom 3. Oktober, in der stand, dass „er in allen Dingen langsam und unentschieden ist, mit Ausnahme der Erteilung von Privilegien zur Unterstützung der Häretiker“.34 Ähnliches findet sich auch in der Weisung vom 7. November.35 Neue Brisanz erhielt jetzt zudem die Frage nach Rudolfs Nachfolger im Heiligen Römischen Reich. In einem Bericht vom 6. Juli übermittelte Caetani die Ansicht des spanischen Gesandten Baltasar Zuñiga, es sei unerlässlich, jetzt einen römischen König zu wählen.36 In einem chif-frierten Begleitbrief vom selben Tag informierte er dann sogar über einen Vor-schlag, der Zuñiga sehr gefallen habe: Falls Rudolf II. sich in dieser Frage unwillig zeige, solle man ihn durch die Androhung der Exkommunizierung wegen des Ma-jestätsbriefs unter Druck setzen.37 In Rom wurde Caetanis Idee jedoch als zu riskant abgelehnt.38 Die Lösung des Problems blieb in den folgenden Monaten aus, und noch Anfang November 1609 musste der Heilige Stuhl unzufrieden konstatieren, dass hinsichtlich der Wahl des römischen Königs weiterhin Stille herrsche.39

Vor dem Hintergrund der Nuntiaturkorrespondenz aus der zweiten Hälfte des Jahres 1609 wirkt es so, als sei der Majestätsbrief von der päpstlichen Diplomatie nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem es zur Formierung der Katholischen Liga und einer Verschiebung der Machtverhältnisse kam, als eine Katastrophe bewertet wor-den. Letztlich war also Kaiser Rudolf II. der Einzige, der im Licht dieser Korres-pondenz als Besiegter erschien.

18.07.1609). Für diese Information bin ich Mgr. Pavel Marek, PhD. zu Dank verpflichtet. Ähnlich auch ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 11v–12r.

32 ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 9r–10r: „[...] veramente nissuna scusa può difendere quel lo, che si fa con diminutione et danno della religione cattolica, per la quale Sua Maestà dovrebbe pugnare conforme al debito et al giuramento, che ne tiene sino all’effusione del pro-prio sangue, [...].“

33 ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 12r–13r.34 ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 51r–52r: „L’Imperatore in ogni altra cosa è lento et

inresoluto, fuorché a privilegi et concessioni a favor d’heretici et come, che si veda il castigo, che gli ne segue per la gran perdita d’auttorità et di reputatione et di evidente pericolo di per-dere il tutto.“

35 ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 81v–82v.36 ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 153r–154v.37 ASV, Fondo Borghese, serie II, 157, fol. 260r–260v: „[...] io ho proposta, e all’Ambasciatore

piace, che per mia parte mi potria incuter timore all’Imperatore di dichiararlo scommunicato per la concessione fatta a i Boemi ogni volta, che la Maestà Sua non dia a Sua Santità questo gusto di risolversi circa l’elettione.“

38 ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 480r–480v.39 ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 86r–87r.