Der Sound des hedonisch-performativen Körpers und das Spiel der Elektrogitarre

18
273 Werner Jauk, Graz/Österreich DER SOUND DES HEDONISCH-PERFORMATIVEN KÖRPERS UND DAS SPIEL DER ELEKTROGITARRE I. Die Gitarre ist das meist mystifizierte Instrument des Pop. Sie ist Sex-Symbol und Instru- ment der Gegen-Macht, damit »Superzeichen globaler Jugendkulturen« 1 . Die Wirtschaft nutzt sie als Logo im öffentlichen Raum, die Kunst thematisiert ihre Zeichenfunktion, die Pop-Musik spielt in postmoderner Manier mit ihr als stildefinierendes Sound-Utensil. Ihr Gebrauch scheint gleichsam außermusikalische Betrachtungen anzuregen, wo kultur- wissenschaftliche Betrachtungen den Sound der elektrischen Gitarre als Produkt einer instrumentarisierten kulturellen Handlung und damit das Wie der Klangerzeugung im Zusammenhang mit den kulturellen Bedingungen sieht. Die Geschichte der elektrischen Gitarre stellt sich bislang als Geschichten über große Er- finder und Spieler dar, deren Verquickung, meist wenig sachlich begründet, im Mythos von Heroes eingekleidet ist, wo einer das Schwert schmiedet, das der andere siegbringend schwingt, wo vom einen neue Instrumentarien erdacht werden, die dem anderen erlauben, noch lauter, noch schneller zu spielen. Trotz allgemeinen Bekenntnisses zur Klangdominanz von Pop-Musik 2 ignoriert die musikwissenschaftliche Betrachtung den Zusammenhang zwischen Sound und Spiel- verhalten. Sie widmet sich analytisch dem in Codes rudimentär transkripierten Sound. Außermusikalische Betrachtungen des Pop-Sounds fokussieren diesen meist als Ergebnis von Technologien und schaffen damit einen weiteren Mythos, sie vernachlässigen Spiel- techniken als instrumentalisierte Handlungen – und damit Technologien – der Klanger- zeugung im musikalischen Kontext. Ein Zusammenführen dieser beiden Zugänge scheint nun als Entwicklung sich auch ästhetisch manifestierender Technologien sinnvoll. Das Spiel der Gi- tarre ist dann als ein in Klang gesetztes performatives kulturtechnisches Verhalten zu betrach- ten. 3 Dabei kann das theorienfindende Arbeiten aus dem chronologischen Nacheinander der Ereignisse zugunsten des theorienprüfenden empirischen Arbeitens verlassen werden. In Weiterführung des theoretischen Ansatzes Webers 4 kann das Modell der Mediamor- phose 5 auf die Entwicklung pop-ästhetischer Erscheinungen angewandt werden. Technische 1 Gerald Matt, »Vorwort« (Go Johnny Go: Die E-Gitarre – Kunst und Mythos [Ausstellungskatalog] (Wien: Steidl, 2003), S. 8. 2 Dörte Hartwig-Wiechell, Pop-Musik, Analysen und Interpretationen (Köln: Volk, 1974). 3 Vgl. Werner Jauk, »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper« (Jahrbuch für Musikwissenschaft 19, 2002), S. 131–152. 4 Max Weber, Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (München: Drei Masken Verlag, 1921). 5 Kurt Blaukopf, Beethovens Erben in der Mediamorphose: Kultur- und Medienpolitik für die elektronische Ära (Heiden: Niggli, 1989). – Alfred Smudits, Mediamorphosen des Kulturschaffens: Kunst und Kommunikations- technologien im Wandel (Wien: Braumüller, 2002).

Transcript of Der Sound des hedonisch-performativen Körpers und das Spiel der Elektrogitarre

273

Werner Jauk, Graz/Österreich

DER SOUND DES HEDONISCH-PERFORMATIVEN KÖRPERSUND DAS SPIEL DER ELEKTROGITARRE

I.

Die Gitarre ist das meist mystifizierte Instrument des Pop. Sie ist Sex-Symbol und Instru-ment der Gegen-Macht, damit »Superzeichen globaler Jugendkulturen«1. Die Wirtschaftnutzt sie als Logo im öffentlichen Raum, die Kunst thematisiert ihre Zeichenfunktion, diePop-Musik spielt in postmoderner Manier mit ihr als stildefinierendes Sound-Utensil. IhrGebrauch scheint gleichsam außermusikalische Betrachtungen anzuregen, wo kultur-wissenschaftliche Betrachtungen den Sound der elektrischen Gitarre als Produkt einerinstrumentarisierten kulturellen Handlung und damit das Wie der Klangerzeugung imZusammenhang mit den kulturellen Bedingungen sieht.

Die Geschichte der elektrischen Gitarre stellt sich bislang als Geschichten über große Er-finder und Spieler dar, deren Verquickung, meist wenig sachlich begründet, im Mythos vonHeroes eingekleidet ist, wo einer das Schwert schmiedet, das der andere siegbringendschwingt, wo vom einen neue Instrumentarien erdacht werden, die dem anderen erlauben,noch lauter, noch schneller zu spielen.

Trotz allgemeinen Bekenntnisses zur Klangdominanz von Pop-Musik 2 ignoriert diemusikwissenschaftliche Betrachtung den Zusammenhang zwischen Sound und Spiel-verhalten. Sie widmet sich analytisch dem in Codes rudimentär transkripierten Sound.

Außermusikalische Betrachtungen des Pop-Sounds fokussieren diesen meist als Ergebnisvon Technologien und schaffen damit einen weiteren Mythos, sie vernachlässigen Spiel-techniken als instrumentalisierte Handlungen – und damit Technologien – der Klanger-zeugung im musikalischen Kontext. Ein Zusammenführen dieser beiden Zugänge scheint nunals Entwicklung sich auch ästhetisch manifestierender Technologien sinnvoll. Das Spiel der Gi-tarre ist dann als ein in Klang gesetztes performatives kulturtechnisches Verhalten zu betrach-ten.3 Dabei kann das theorienfindende Arbeiten aus dem chronologischen Nacheinander derEreignisse zugunsten des theorienprüfenden empirischen Arbeitens verlassen werden.

In Weiterführung des theoretischen Ansatzes Webers4 kann das Modell der Mediamor-phose5 auf die Entwicklung pop-ästhetischer Erscheinungen angewandt werden. Technische

1 Gerald Matt, »Vorwort« (Go Johnny Go: Die E-Gitarre – Kunst und Mythos [Ausstellungskatalog] (Wien: Steidl,2003), S. 8.

2 Dörte Hartwig-Wiechell, Pop-Musik, Analysen und Interpretationen (Köln: Volk, 1974).3 Vgl. Werner Jauk, »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper« (Jahrbuch für Musikwissenschaft 19, 2002),

S. 131–152.4 Max Weber, Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (München: Drei Masken Verlag, 1921).5 Kurt Blaukopf, Beethovens Erben in der Mediamorphose: Kultur- und Medienpolitik für die elektronische Ära

(Heiden: Niggli, 1989). – Alfred Smudits, Mediamorphosen des Kulturschaffens: Kunst und Kommunikations-technologien im Wandel (Wien: Braumüller, 2002).

274

Entwicklungen aus zweckrationalem Handeln bedingt seien es, denen soziale wie – hier fo-kussiert – ästhetische Veränderungen folgen. Technische Entwicklungen seien Instrumen-tarisierungen körperlicher Handlungen in der Körper-Umwelt-Interaktion, ein Schritt imProzeß der Mediatisierung, der Entfernung der unmittelbar körperlichen Interaktion zurvermittelten im Kommunikationsprozeß des Menschen mit seiner Umwelt. Zeichen seienjene Kulturtechniken, die dann letztlich auch die Gestaltung von Umwelt abseits der natür-lichen als Kultur erlauben 6 – Techniken werden zu Kulturtechniken. Musik ist eine Kultur-technik, die als Mediatisierungsprozeß des menschlichen Ausdrucksverhaltens erachtet wer-den kann. Nach der Ausbildung abbildender Zeichensysteme, die den Gegenstand der Kom-munikation repräsentieren, in der Art des ikonischen Zeichens, kann erst in der Zwölfton-technik unter der Prämisse der Gleichwahrscheinlichkeit der Tonstufen, allgemein in deralgorithmischen Komposition, das Zeichen als willkürlich gebrauchbares gelten, kann da-mit die willentliche Gestaltung abseits der Einschränkungen naturbedingter Regel- unddaraus erlernter Denksysteme7 angenommen werden; dies gerät in der Kunst des commonDigits, der Gestaltung bedeutungsneutraler und von jeglicher Referenz zur Außenwelt ge-löster digitaler Codes, in die Nähe der höchsten Mediatisierungsstufe. Die Generierung vonImmaterialitäten, von Wirklichkeiten abseits eines materiellen Bezugs,8 wäre damit denkbar.In diesem Mediatisierungsprozeß, in dem Langer9 die Musik insgesamt bereits als präsen-tatives Zeichen gewertet hat, als in Form gebrachte Gegenwärtigkeit von Gefühlen, ist Pop-Musik als unmittelbar körperliches (kollektives) Musizieren ein Rückschritt im Mediati-sierungsprozeß vor die zeichentheoretisch betrachtbare Stufe zur Instrumentarisierung desemotionalen Ausdrucks (mit darin intuitiv kommunikativer Komponente), der erst in derTranskription eine präsentative Zeichenform erhalten kann.

Die Entwicklungen popmusikalischer Technologien sind meist in Überhöhung der Um-bewertung nicht nur einzelner sozio-ökonomischer Zeichen, sondern entsprechender Sys-teme, als Negation der Entwicklung, als Prozesse der Enteignung und des Mißbrauchs10 vonvorhandenen Technologien betrachtbar. Sie sind weiterhin möglicherweise als grundlegen-de Negation dieser kulturellen Entwicklung auch nicht die Entwicklungen von klanglichenZeichensystemen oder Zeichensystemen für Klang, sondern der Rückschritt zur direktenlautlichen Äußerung der Erregtheit und zur unmittelbar (körperkontrollierten) Modulati-on von Klang – darin besteht die Spezifität der Sounddominanz von Pop-Musik11 und derParadigmenwechsel gegenüber einer Existenz- und Betrachtungsform von Musik, die mitZeichensystemen entstanden bzw. an diese gebunden ist.

Diese gering mediatisierte, originäre Musizierform der direkt körperlichen Klanggene-rierung, möglicherweise gerade deswegen aus wissenschaftlichen analytischen Betrachtun-gen mit dem dominanten Blick auf Zeichensysteme verdrängt und als trivial gewertet, hat

6 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen [1923] (Darmstadt: Wissenschaftlicher Buchverlag, 1953).7 Pierre Lévy, »Die Metapher des Hypertextes« (Claus Pias [u. a.] (Hg.), Kursbuch Medienkultur: Die maßgebli-

chen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt), S. 525–528.8 Vgl. Jean-Francois Lyotard [u. a.], Immaterialität und Postmoderne (Berlin: Merve, 1985).9 Susan Langer, Feeling and Form: A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key (London: Routledge,

1953).10 Vgl. Umberto Eco, »Für eine semiologische Guerilla« [1967] (Umberto Eco (Hg.), Über Gott und die Welt,

München: Karl Hanser Verlag, 1985), S. 146–156.11 Vgl. Jauk, »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper«.

275

auch früh über die stets weiten Grenzen des Pop hinausgewirkt und als Überstrahlung ähn-lich expressiv-kommunikativ orientierte Gestaltungsarten erregt: den Jazz; der Fusion-Jazzbasiert auf der dem Pop eigenen technischen Instrumentarisierung und jener dem originä-ren Jazz eigenen gestaltenden Interaktionsformen, den kommunikativen Ausdrucksformenals kollektives Gestaltungsmittel. Die Gitarre findet darin eine zentrale Rolle als solistischesInstrument, dessen Klang und Spielweise dann auch auf den Synthesizer und sein Spiel-verhalten wirkten, das seinerseits auf die Gitarre rückwirkte. Pat Metheny beschreibt dieMutation des Sounds der Pat Metheny Group (später) als die Extension der Körper, als dieExtension der Band als kollektiven Klangkörper mittels Technologien: »[...] we tried toaddress some specific aspects of popmusic and the culture at large in the sound of the band[...] we wanted to expand the range of the sonic elements [...] [to] sound much bigger thanthe number of people there are on the stage [...] the basic sound of the band [is] some of thatis a direct result of a sort letting our imagination run with the technologies that has beenoffered to us«.12 Neben anderen Aspekten ist es der Schritt Methenys von der perkussivenJazz-Gitarre zu der das sustain direkt spielbaren Synthesizer-Gitarre, die das mit entsprechen-dem Körperverhalten gekoppelte erregungsinduzierte Spiel mit Verschleifungen kontinuier-lichen Klangs erlaubt.

Erregung ist der unmittelbar Klang erzeugende instrumentarisierte Körperzustand, derin kompositorischer Arbeit seine Mediatisierung findet; z. B. im Schenker’schen Ursatz,13

nach dem kompositorische Arbeit letztlich auf die basale Kraft der Strukturierung durchSpannung und Lösung baue.

Erregungsinduziertes Verhalten hat kommunikativen (Signal-)Charakter. Das Gestaltenim Hier und Jetzt der originären musizierenden Formen rekurriert auf die unmittelbare Kör-perlichkeit. »Die freie kollektive Musizierform des Free-Jazz, die Avantgarde der Wir-be-stimmten sechziger Jahre, nutzt diese informelle Kommunikationsform zur musikalischenGestaltung; sie ist ›Komponieren‹ aus der musikalischen Interaktion«.14

»In der Polyphonie ist Musik die Objektivation des ›Wir‹15 und damit die Formalisierungmusizierenden Sprechens16 des kollektiven originären Musizierens, das auch die freien For-men des Jazz prägt.«17 »Polyphone Musik sagt ›wir‹, selbst wo sie einzig in der Vorstellungdes Komponisten lebt und keinen Lebenden sonst erreicht.«18 Die Objektivation des Wir istdie Mediatisierung der Gestaltung aus erregungsbasierter Kommunikation.

12 Pat Metheny Group, Imaginary Day live: Special Features / Reflections on Imaginery Day: An Interview with PatMetheny (Metheny Group Productions / eagle vision, 2001).

13 Heinrich Schenker, Der freie Satz (Wien: Universal Edition, 1935).14 Wolfram Knauer, »Free Jazz« (Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine En-

zyklopädie der Musik, 2., neubearb. Auflage, Sachteil Bd. 4, Kassel [u. a.]: Bärenreiter, 1996), Sp. 1410. – WernerJauk, Der musikalisierte Alltag der digital Culture [Habilitationsschrift, Graz 2005] (in Druck: epos –Osnabrück), S. 535–536.

15 Vgl. Theodor W. Adorno, Philosophie der Neuen Musik [1949] (Frankfurt: Suhrkamp, 1958).16 Werner Jauk, »Musikalisches Sprechen: Interaktion – Strukturierung durch kommunizierendes Verhalten«

(A. Erjavec [u. a.] (Hg.), XIV International Congress of Aesthetics: Aesthetics as Philosophy, Acta Philosophica XX, 2,part II, 1999), S. 349–359.

17 Jauk, Der musikalisierte Alltag der digital Culture, S. 33.18 Adorno, Philosophie der Neuen Musik, S. 23–24.

276

II.

Neben der direkten körperlich-klanglichen Äußerung, der menschlichen Stimme, gilt dieelektrische Gitarre als das Instrument des Pop. Mit ihren pop-spezifischen Spielweisen ist sieeinerseits als Erweiterung der unmittelbar klanglichen Expression, andererseits der Aus-drucksbewegung betrachtbar. Musik ist die kulturelle Überhöhung des emotionalen Aus-druckslautes,19 Musik ist die kulturelle Überformung des Ausdrucksverhaltens,20 Pop alsKörpermusik21 ist der Rückgriff auf diese kommunikativen Ausdrucksformen.

Beiden anthropologisch fundierten Entstehungstheorien von Musik folgt die Entwick-lung der elektrischen Gitarre als Instrumentarisierung des Ausdrucks. Das technische Instru-ment akustische Gitarre produziert naturgemäß wenig modulierbare perkussive Klänge underlaubt damit geringe Variabilität des unmittelbaren emotionalen Ausdrucks im Spiel. Diespezifische Konstruktion und Stimmung der akustischen Gitarre ermöglicht die Produkti-on von Klängen nahe denen der Vokale.22 Das ist eine Ausgangsposition der Entwicklungder elektrischen Gitarre weg vom sinoiden und perkussiven Klang hin zur Modulation desemotionstragenden Vokallautes.23 Die Überwindung des sinoiden Klanges geschieht zuerstin entsprechend motivierten Entwicklungen am Weg vom akkordischen Solo zum Single-Note-Spiel durch die technische Erhöhung der Lautstärke. Als Artefakt dieser ist die Verzer-rung anzusehen, die im sozialen Umfeld der Subculture definierenden Pop-Stile nicht nurzum Zeichen dieser Haltungen, sondern zur ästhetischen Größe wurde, die nicht Gegen-haltung vermittelte, sondern Erregung stimulierte, auf deren Basis außermusikalischeSurroundings die Musik – nach dem Paradigma des Schachter-Singer-Experiments 24 – poli-tisch aufgeladen haben.25

Die intern klangkoppelnde Bauweise der Solid-Body-Guitar verhindert ungewollteRückkoppelung der lauter werdenden Gitarre und überwindet den perkussiven Klang derGitarre. Verzerrung und Sustain werden durch spezifische Spielweise moduliert – das Feed-back, die Rückwirkung der verstärkten Schwingung auf den Erreger, wird durch körperli-ches Verhalten kontrolliert.

Klangverhalten und Spielweisen der Elektro-Gitarre sind Ergebnis von Entwicklungenim Instrumentenbau wie – oftmals darin motiviert – des Mißbrauchs von Instrumenten;

19 Georg Knepler, Geschichte als Weg zum Musikverständnis: Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musik-geschichtsschreibung (Leipzig: Reclam, 1977).

20 John Blacking, »Towards an Anthropology of the Body« (John Blacking (Hg.), The Anthropology of the Body,London: Academic Press, 1977).

21 Vgl. Peter Wicke, »Sound-Technologien und Körper-Metamorphosen: Das Populäre in der Musik des 20. Jahr-hunderts« (Peter Wicke (Hg.), Rock- und Popmusik: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert 8, Laaber: Laaber,2001), S. 11–60.

22 Caroline Traube / Philippe Depalle, »Timbral analogies between vowels and plucked string tones« (Proceedingsof International Conference of Acoustics, Speech and Signal Processing (ICASSP ’04), 17th–21st May, 2004). –Ders., »Phonetic gestures underlying guitar timbre description« (Proceedings of International Conference of MusicPerception and Cognition (ICMPC 8), 3rd–7th August, 2004).

23 Klaus R. Scherer, »Vocal affect expression: A review and a model for future research« (Psychologica Bulletin 99,1986), S. 143–165.

24 Stanley Schachter / Jerome E. Singer, »Cognitive, social, and psychological determinants of emotional state«(Psychological Review 69, 1962), S. 379–399.

25 Vgl. Jauk, »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper«.

277

beide münden in einer Instrumentarisierung des Emotionslautes in einem unmittelbaremotional motivierten, körperlich kontrollierbaren Sound der distorted Guitar als Teil einespop-kulturellen Verhaltens.

Hendrix’ Spielweise ist in Weiterführung der Parallelführung von Stimme und Gitarredes schwarzen Blues die Nachahmung des klanglichen Duktus der Stimme und durch denEinsatz des Wah-Wah-Effekts die technische Extension der Stimme. Vor allem ist das körper-kontrollierte Feedback eine emotional motivierte Spielweise, die Klänge direkt moduliertund nicht Codes in Klang versetzt. Abseits showmäßiger Überhöhung gilt Hendrix damitals extremes Beispiel des direkt emotional körperlich geformten Klanges,26 als Extension derlautlichen Qualität der Stimme wie als Instrumentalisierung des Ausdrucksverhaltens. DerSound der »Jimi Hendrix Experience« ist noch jener der britisch dominierten liedhaftenGestaltung der Drei-Mann-Gruppe mit den Features des Tonstudios als Instrument vonEddie Kramer – dem Beispiel George Martins folgend – in die weiße Kunstform erweitert.Die »Band of Gypsys« stellt einen Rückgriff Hendrix’ auf seine amerikanische Lehr- undSpiel-Phase (auch personell vollzogen) dar und ist der musikalische »Rückschritt« in dieBlack Music – dort vollzieht er diese den Körper, seine Stimme wie sein Ausdrucksverhaltenunmittelbar instrumentarisierenden Spielweisen, die konsequenterweise in die Nachahmungder lautlichen Äußerungen führen, die eine Emotion begleiten – betrachtet man Ausdrucks-verhalten und -laut als korreliert.27

Diese gering mediatisierte Klangproduktion findet Adaptionen in unterschiedlichensozioästhetischen Feldern. Einerseits führte die Rezeption dieses originären Musizierens imUmfeld der künstlerischen Verwendung des Geräusches als sign für Gegenhaltung zur Spiel-haltung des Garage-Punk. Abseits der Körperkontrolle nutzt dieser Feedback zur Gestaltungvon Klanggestalten, die vor ihrer Zeichenhaftigkeit (vor ihrer zeichenhaften Besetzung)unmittelbar körperlich wirken, in denen ihre erregende Qualität in der Rezeption als Instru-mentarisierung der Erregung im Spiel präsent wird. Gleichsam in der Art prozessualerMusikgenerierung der elektronischen Avantgarde in Fortführung der Reihentechnik und injener Avantgarde der High Intensity Art wurde Feedback-kontrollierter Klang zur unmittel-baren körperlichen Kontrolle der Rezeption genutzt – als Stimulans. »Metal Machine Music«von Lou Reed ist eine künstlerische Form der Nutzung des Artefakts Feedback als Gestal-tungsmittel zusammengeführt mit der Ideologie der unmittelbaren Stimulans von HighIntensities.

In einem anderen ideologischen Umfeld führte die Rezeption des unmittelbar körperhaftklangmodulierenden Musizierens zu dessen Kultivierung im Instrumental Rock. In der an

26 Sabine Beck, »Vinko Globokar und der performative Körper: Ein Beitrag zur Performance-Forschung«. Samples:Notizen, Projekte und Kurzbeiträge zur Popularmusikforschung 3, 2004, www.aspm-samples.de/Samples3/beck/htm. (10. 7. 2004). – Jauk, »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper«.

27 Vgl. Manfred Clynes, Sentics – The Touch of Emotions (New York: Anchor Press/Doubleday, 1977). – Ders., »TheCommunication of Emotion – Theory of Sentics« (R. Plutchik [u. a.] (Hg.), Emotion-Theory, Research andExperience, Vol. 1, Theories of Emotion, New York: Academic Press, 1980), S. 271–301. – Ders. (Hg.), Music,Mind and Brain: The Neuropsychology of Music (New York: Plenum, 1982). – Haruyo Hama / Kenroku Tsuda,»Finger-pressure waveforms measured on Clynes’ sentograph distinguish among emotions« (Perceptual MotorSkills 70, 1990), S. 371–376. – Studien zum interkulturellen Vergleich finden sich bei Clynes, »TheCommunication of Emotion – Theory of Sentics« sowie bei Hama/Tsuda, »Finger-pressure waveformsmeasured on Clynes’ sentograph distinguish among emotions«.

278

der Rezeption des Blues orientierten britischen Szene in den Clubs von London verschmolzdas Artefakt des Spiels des Gitarre-Verstärker-Systems mit zunehmend höheren Lautstärkenmit der Ästhetik der von den weißen pubertierenden Jugendlichen rezipierten SchwarzenMusik zu einer Heavy Music: Was bei den einen zu einem virtuosen Single-Note-Solo-Spielführte, haben andere mit dem distorted Power Chord – und diesen noch in einer tieferenStimmung der Gitarre gespielt – zum Metal, Black-Metal, Doom und Stoner Rock Soundstilisiert. Tony Iommi von Black Sabbath ist mit seinem System von Gibson SG und dembritischen Laney Stack Vater dieses heavy distorted Chord Sound; ein kurzes prägnantes Riffund ein am Grundton rhythmisiert gewichtig ruhender Power Chord als rhythmisch har-monische Stütze des strophengegliederten Gesangsparts sind stilistische Eigenheiten desHeavy Metal der 1968 in Birmingham gegründeten Gruppe Black Sabbath und seitdemBasis für alle entsprechenden Entwicklungen.

Das Single-Note-Spiel mit distorted Sound in einer am Blues orientierten Musik derLondoner Clubs findet in jener Zeit ihren Höhepunkt, in der diese Musik – meist im Trio(und auf Bühnen von Konzertsälen) gespielt – in die Nähe des Jazz rückte. Die Renaissanceder gerade nicht modern aussehenden wie klingenden Gibson Les Paul und die Konstruk-tion des leicht übersteuerbaren Marshall Bluesbreaker ist die technische Basis dieses Sounds,Eric Claptons melodiöse Soli die ästhetische Basis. Die britische Verstärkerindustrie mit demVox AC 30, später den in Huddersfield gebauten Orange-Verstärkern, bietet den pop-ori-entierten Gruppen den Übertritt in den Heavy Sound der späten 60er Jahre mit Laney undvor allem Marshall-Stacks realisiert.

Auch die US-Musik – und hier gerade die der West Coast und nicht die des an der eu-ropäischen Avantgarde, insgesamt eher an Musik als Kunstform (z. B. Velvet Underground)orientieren Ostens – liefert einen kräftigen Input in die Mutation des perkussiven und/odercleanen Klanges der Country- und Hillbilly-Music zu einer speziellen Art des distortedSounds.28 Die heavy Form des meist als happy gewerteten Sounds kann als Vorbote dercrunchy Version solistischen Spiels mit distorted Sounds gesehen werden. Dick Dales Spielmit der Stratocaster und dem für ihn entwickelten Fender Dual Showman im Stil des dirtySurf Sound gilt als eine Avantgarde der punkigen US-Version des Spiels mit der Feedback-kontrollierten Gitarre im höhendominierten geräuschhaften Overdrive Sound. Die Verwen-dung von Dick Dales »Miserlou« als Filmmusik zu »Pulp Fiction« (1994) von QuentinTarantino belegt die ästhetische Konnotation dieses Sounds.

Während der noisy Punk US-amerikanischer wie britischer Herkunft eher das leicht er-zeugbare, aber dafür wenig kontrollierbare akustische Feedback der Single-Coil Fender bzw.der Semiakustik-Gitarren geräuschhaft nutzte, hat der Instrumental Rock den sustainreichenKlang der Solid-Body-Guitar durch gezieltes Feedback verlängert. Die Übersteuerung die-ses akustisch sustainreichen Klangs aus den obertonärmeren Humbucker-Tonabnehmernwird durch die Verzerrung physikalisch und die über die gesamte Hüllkurve relativ konstan-te Obertonstruktur psychisch verlängert. Der Sound ist ähnlich dem eines Saiteninstrumentsmit konstant zugeführter Energie obertonreich und während seines Erklingens in der Zeit

28 In Generalisierung des Bonanza-Sounds wurde dieser gleichsam zum underscoring eines imaginierten Bildes desüber heimatlichen Boden reitenden lonely American Hero, das heute in dekonstruierender Umdeutung seinerZeichenhaftigkeit (vgl. Hebdige, Subculture sowie Eco, »Für eine semiologische Guerilla«) im neuen Sign-Popbeispielsweise von Muse im Video »Knights of Cydonia« verwendet wird.

279

kontrolliert modulierbar. In beiden Fällen ist der Klang zudem technisch komprimiert.Dadurch wird der Pegel der Anschlagspitzen gesenkt, wodurch der Klang in seinem gesam-ten Zeitverlauf dann verstärkt werden kann. Ein noch höheres Sustain und ein höhererDichte-Eindruck werden dadurch erreicht.

Instrumental Rock wird ab den 70er-Jahren zu einer sehr virtuos gespielten solistischenMusik mit fein verzerrtem Sound und in jeder Phase des Erklingens kontrolliertem Feed-back mit spezifischen, diese technischen Aspekte gezielt nutzenden Spielweisen. Die Ver-schulung dieser Spielweisen affirmiert Virtuosität. Virtuosität und Verschulung sind Aspek-te des sozioästhetischen Gefüges abseits des Anspruchs von Authentizität der Rock-Musikder aufklärerisch modernen frühen 60er Jahre.29

III.

Die Entwicklung der Bauweise der Gitarre ist als Entwicklung eines kontrollierbaren sustain-reichen und dabei obertonreichen Klanges zu sehen, der ob dieser Eigenschaften hohe inter-ne Klangmodulationen in der Zeit erlaubt. Diese Kontrolle ist durch spezifische Spielwei-sen gegeben wie durch die vor allem körperliche Kontrolle der zuerst unerwünschten Arte-fakte der elektrischen Verstärkung. Die Kontrolle der Rückkoppelung impliziert die Erwei-terung des Instruments auf das System Gitarre – Verstärker und ist als Entwicklung einer ArtMißbrauch gegen die Gebrauchsanweisung zu sehen, als eine Art des Hacking.

Grundlegend ist die Entwicklung der verstärkten Gitarre darin motiviert, den leisenKlang der Gitarre lauter, sie im Kontext eines Jazzensembles damit durchsetzungsfähiger zumachen und somit die Funktion der rhythmisch harmonischen Stützung um die solistischein der Single-Note-Spielweise zu erweitern.

Die Stahlsaite, die Vergrößerung des Korpus zum 17 Zoll Body (Gibson’s Le Grand) undder akustische Resonator sind die ersten mechanischen Elemente in der Bauweise der Gitarre,die dem Ziel der Laustärkeerhöhung folgten – dem Single-Note-Spiel trägt noch ein Cuta-way Rechnung, die Spielbarkeit in den hohen Lagen fördernd.

Charlie Christian gilt als einer der ersten, der sich Gehör verschaffen wollte und nachder Erprobung der Mikrophonverstärkung rasch zur Gibson ES 150 mit EH-150-Combogriff, einem 15-Watt-Verstärker in der Bauart eines Verstärkerteils eines Rundfunkempfän-gers. Vor der Zeit der ALNICO-Magneten bzw. Ferritmagneten hatte die ES 150 noch rie-sige Magneten zur Tonabnahme im Korpus einer Archetop-Gitarre integriert. Meist mit Blä-sern spielend, übernahm Christian die Melodiebögen des Saxophons, ab 1937 ermutigt derPosaunist Eddie Durham Christian seine Linien zu doppeln, John Hammond bringt ihn zuBenny Goodman. Nach anfänglichem Bedenken baut Goodman Christians solistisches Sin-gle-Note-Spiel in sein Sextett ein – ein Beispiel dieser neuen Synthese ist das Swing-Stück»Solo Flight«. Was zuerst mit akkordischen Soli realisiert wurde, konnte mit zunehmenderLautstärke zu einem Single-Note-Spiel werden.

Schon in den ersten Tagen war Rückkoppelung spielhemmend beim Umsetzen vonCodes in Klänge, der traditionellen Spielweise der elektrischen Gitarre orientiert an einer der

29 Vgl. Karl-Heinz Bohrer, »Die drei Kulturen« (Jürgen Habermas (Hg.), Stichworte zur geistigen Situation der Zeit,Bd. 2, Politik und Kultur, Frankfurt: Suhrkamp, 1979), S. 636–669.

280

akustischen Gitarre. Dennoch, dieses störende Artefakt erwies sich als Grundlage des Spielsder elektrischen Gitarre im Pop als Körpermusik30 – dem körperkontrollierten direktenSound-Shaping – der Modulation von Feedback über den Körper wie das Vibratosystem derGitarre.

Vorrangig ist die elektrische Verstärkung der Gitarre gerade mit der Vermeidung vonFeedback durch die Entwicklung der Solid-Body-Guitar verwachsen. Implikation dieserBauweise ist die Überwindung des perkussiven Klangs durch die höhere akustische Koppe-lung zwischen den schwingenden Saiten und dem mitschwingenden Massivholz-Klangkör-per: je höher die Dichte des Materials des Massivholzes, desto höher die Klangkoppelung,desto länger die Erregungsdauer der schwingenden Saite durch die »Speicherung« der Er-regungsenergie, die bei frei schwingenden Resonatoren an die umgebende Luft abgegebenwird. Dadurch klingt die Solid-Body-Guitar länger; die geringere Amplitude wird durch dieVerstärkung kompensiert.

Systematische Untersuchungen demaskieren den Kult mit seltenen und sogenanntenausgesuchten Hölzern und deren Einfluß auf das Sustain von Solid-Body-Guitars. Span-platten, unter Druck verleimte Holzfasern, haben hohe Dichte. Gitarren aus diesen billigenMaterialien haben hohes Sustain; Dichte und damit Härte beeinflussen direkt das Sustain,31

Obertonverhalten und die Optik rechtfertigen dennoch den Einsatz klassischer höhen-betonender Ahorndecken, selbst wenn sie nicht freischwingend, sondern mit schwerem Ma-hagony fest verleimt sind. Diese spezifische Holzkombination resoniert ein Schwingungs-verhalten in den mittleren und höheren Klanganteilen und erzeugt die akustische Basis fürden typischen Ton einer Gibson-Gitarre der Les-Paul-Bauart und entsprechender Replika-tionen.

Wohl am ersten Prototyp, der Frying Pan von Adolphe Rickenbacker, orientiert, die wie-derum den Übergang von der bereits am Solid-Body-Konzept basierenden Hawaian Guitarzur Elektrifizierung der Gitarre markiert, gilt Les Paul als der Initiator der Solid-Body-Guitar. Einer legendenumwobenen Geschichte folgend soll Gibson seine Innovation ur-sprünglich abgelehnt haben, eine Konstruktion, bei der ein Hals mit einem Holzblock ver-leimt war, auf dem der Steg und die Tonabnehmer montiert waren, woran dann Seitenteileeiner Archtopgitarre angeleimt waren. Die Gibson ES Serie, die Electric Spanish, folgt spä-ter direkt diesem Bauprinzip. Es ist dies eine semiakustische Gitarre, in deren Innerem sichein Holz- als Sustain-Block befindet, der die Gitarre ihrem Schwingungsverhalten nach zueiner Solid-Body-Guitar macht – dies bei leichter Anlehnung an das Schwingverhalten ei-ner akustischen Gitarre, bei voller Angleichung an das optisch gewohnte Bild einer akusti-schen Gitarre mit Doppelcutaway. Diese optische Annäherung an eine akustische gilt alsKatalysator des Eindringens sustainreicheren und dieses Sustain (z. B. durch Bendings)modulierender Spielweisen sowie auch bei höheren Lautstärken rückkoppelungsfreien Sin-gle-Note-Spiels in den Jazz – im Fusion-Jazz wurden die tradierten (an der Verstärkung des

29 Vgl. Karl-Heinz Bohrer, »Die drei Kulturen« (Jürgen Habermas (Hg.), Stichworte zur geistigen Situation der Zeit,Bd. 2, Politik und Kultur, Frankfurt: Suhrkamp, 1979), S. 636–669.

30 Vgl. Wicke, »Sound-Technologien und Körper-Metamorphosen«. – Werner Jauk, »Pop – ein emotionales po-litisches Konzept« (Beiträge zur Popularmusikforschung 29/30, 2002), S. 57–77.

31 Ulrich May, »Elektrische Saiteninstrumente in der populären Musik: Entstehung, Konstruktion und Akustikder elektrischen Gitarre und verwandter Instrumente« (Diss., Universität Münster, 1984).

281

perkussiven Klangs orientierten) Klangkonventionen mit der ES 335 als Paradeinstrumentdurchbrochen.

Nach dem Prototyp der von Gibson dann letztlich doch produzierten Les Paul, die spä-ter als SG weitergeführt wurde, war die Les Paul in der Form einer akustischen Gitarre miteinem Cutaway sehr konservativ gestylt. Das konservative Styling zielte auf die Jazz-Gitar-risten, denen jedoch der Sound zu neu war; Styling und Sound entsprachen zugleich nichtdem »modernen« Zeitgefühl, das der Rock ’n’ Roll lebte.

Dem traditionellen Styling entsprach auch die traditionelle Bauweise und damit der tra-ditionelle Sound, der später in der Heavy-Ära eine ästhetische Renaissance jenes im Umfelddes authentischen schwarzen Blues orientierten Spiels erlebte – viel Sustain, mittiger Klangund hoher Output brachten die Röhrenverstärker rasch in den Overdrive-Modus. Dieserdistorted und damit noch sustainreichere (gemäßigt aber dafür kontinuierlich), oberton-angereicherte Klang und die Neigung zum (kontrollierbaren) Feedback bei hoher Lautstär-ke ermöglichten letztlich den violinartigen Sound und körperorientiertes Spielverhalten, dasdann im Ausbau dieses Equipments und dem Rückgriff auf Spielweisen, bei denen nichtjeder Ton mit der rechten Hand angeschlagen wird wie der Innovation weiterer solcher undentsprechend körperkontrollierter Feedback-Spielweisen, im Instrumental Rock kultiviertwurde.

Es ist ein Mythos, daß Leo Fender der Erfinder einer hell und perkussiv klingendenGitarre sei. Sein Patent ist das für die industrielle Fertigung einer Elektrogitarre mit einfa-chen Bauteilen zur modularen Fertigung und somit günstigem Preis. Der Sound ist Artefaktdieser wirtschaftlich bedingten Ökonomie, Amateure sind die Zielgruppe, amateuristischesSpiel mit exciting Sounds ihr ästhetisches Feld – das Styling verstärkt den Zugang dieser Ziel-gruppe zu diesem Instrument.

Ein flacher Korpus aus einem Stück Esche (vorwiegend in den 50er Jahren), danach Erlemit einem aus einem Stück (in den 50er Jahren sogar ohne aufgeleimtes Griffbrett) gefertig-ten, am Korpus angeschraubten Hals mit (holzsparend) flacher Kopfplatte und einemKunststoffteil mit aufgesetzter Elektronik in die Ausfräsung am Korpus eingelassen, markie-ren diese materialsparende und maschinell produzierbare, somit kostengünstige Gitarre.Diese Konstruktionsweise bestimmt die im traditionellen Styling für die Hillbilly-Amateur-musiker gebaute Nocaster, später Telecaster, ebenso wie die bereits für den beginnendenRock ’n’ Roll-Musikmarkt konzipierte modern geformte Stratocaster. Ihren angestammtensozioästhetischen Bereichen heute noch treu, prägten Fender-Gitarren vor allem den West-Coast-Surf-Sound sowie später den angezerrten crunchy Sound des amerikanischen Indie-Rock mit Punk-Sound-Attitüde. Die extrem höhenbetonten Fender-Röhren-Verstärker –zwar für den cleanen Sound 32 nahe der Hawaian-Guitar gebaut – unterstützen den hellen

32 In die britische Szene zog dieser Sound über die Begleitband von Cliff Richard ein, der den amerikanischen Rock’n’ Roll der späten 50er Jahre direkt in Großbritannien realisierte. Die Shadows übertrugen den amerikanischenSound nach Großbritannien, die britische Industrie holte ihre Abtrünnlinge rasch zurück und machte den cleanAmerican Sound mit britischen Instrumenten: Die Stratocaster wurde gegen die noch heller klingende BurnesMarquee ausgetauscht, der Sound des Fender Twin Amps mit dem etwas rougher klingenden Vox AC 30 reali-siert, Hank Marvin das Aushängeschild dieser britischen Instrumentenindustrie. Der Sound der Shadows wurdezu einem Meilenstein in der Entwicklung des Instrumental Rock. Wie der Dirty Surf Sound boomt der Soundder Hank Marvin’schen Gitarre heute wieder in den mit Zeichen verweisenden Sign-Pop wie in den mit demSample als Sound spielenden Gitarre-Electronic-Stücken des Postpunk.

282

Klang dieser Gitarren und leisten bei gegebener Lautstärke den nahtlosen Übergang vomcleanen zum schneidend scharfen Sound in den Höhen, zum roughen crunchy Sound in denMitten und im akkordischen Spiel.

Bauweise und Holzart bieten nur den Ausgangspunkt der Klangerzeugung, der durch diejeweilige Tonabnahme noch überhöht wird. Gibson verwendet den weich klingendenHumbucker mit hohem Output, Fender den schrill und metallen klingenden Single-Coil-Tonabnehmer mit geringerem Output. Das Maß des Outputs bestimmt die Übersteuerungdes Verstärkers.

Dieser Verstärkung geht die Tonabnahme, die Wandlung von mechanischer Bewegungin Strom voraus. Zuerst nach dem Prinzip des Piezotonabnehmers realisiert, eines durchakustische Koppelung mit schwingenden Elementen verformten Kristalls, dessen piezoelek-trische Eigenschaft die Verschiebung von Ladung bewirkt und deswegen Spannung abgebenkann, hat sich für die elektrische Gitarre die Induktion von Strom als brauchbares Prinzipdurchgesetzt. Die Metallsaite schwingt in einem Magnetfeld, ändert den magnetischen Flußund erzeugt dadurch in einer Spule zur Schwingungs-Frequenz der Saite analoge elektrischeWechsel-Spannungen, die dann extern verstärkt werden. Der ursprünglich konzipierte Sin-gle-Coil-Tonabnehmer mit einer Spule ist sehr anfällig auf Geräuscheinstreuungen. DieseStörung sollte eine zweite in Reihe geschaltete entgegengesetzt gewickelte Spule und entge-gengesetzt gepolte Magneten minimieren. Der Humbucker-Tonabnehmer reduziert dasBrummen, er bringt als Doppelspuler dementsprechend mehr Energie, zugleich jedoch ei-nen Höhenverlust. Der Tonabnehmer kann als Schwingkreis aufgefaßt werden, der eineEigenfrequenz besitzt. Das Bauprinzip des Single-Coil-Tonabnehmers bedingt hohe Reso-nanzfrequenz, das des Humbucker-Tonabnehmers niedrige Resonanzfrequenz, womit dieBetonung entsprechender Klanganteile einhergeht.

Nach Prototypen aus der Anfangszeit der Tonabnehmerkonstruktion gilt der FenderSingle Coil als der Standard-Single-Coil-Tonabnehmer, Gibson gilt als der Entwickler desHumbucker-Tonabnehmers. Seine Patentbezeichnung PAF steht nicht nur für Authentizi-tät, sondern auch für den typischen Sound. Beide Typen liegen in unzähligen Variationenmit vor allem mehr Output zur Übersteuerung der Verstärker vor, um die aus der Übersteu-erung entstandenen und diese zur Klangmodulation nutzenden modernen Spielweisen zuoptimieren. Sie werden von den Entwicklerfirmen wie von später entstandenen Spezial-firmen getuned.

Der Humbucker-Tonabnehmer verlängert die Wahrnehmung des Klanges, da der gerin-gere Obertonabfall nach dem Anschlag ob des insgesamt geminderten Obertonanteils denKlang in seiner Zeitwahrnehmung subjektiv nicht teilt und somit als kontinuierlich erschei-nen läßt – Single-Coil-Abnehmer bringen einen enorm obertonreichen Anschlag, derallerdings schnell abklingt, danach wird das eher sinoide Schwingungsverhalten einer Gitar-re ähnlich von Humbucker wie von Single-Coil-Abnehmern umgesetzt 33 – im Anschlag und

33 Die Verzerrung kompensiert durch ihren Kompressoreffekt die Teilung des Klanges in der Zeit und hebt denPegel des bei Fender-Typ-Single-Coil-Gitarren amplitudenschwachen Ausklangs, zugleich wird bei Gibson-Typ-Humbucker-Gitarren das geminderte Obertonspektrum angehoben – »Der Unterschied in der Lautstärkevon Anschlagsgeräusch zur Sustain-Phase wird vermindert, das bisher nicht oder kaum zu hörende Ausklingenwird verstärkt und führt zu einer scheinbaren Tonverlängerung. Scheinbar ist diese Verlängerung deshalb, weil derTon nicht länger schwingt als unverzerrt auch, lediglich ist das leise Verklingen nun hörbar« (Ulrich DieterEinbrodt, Experimentelle Untersuchung zum Gitarrensound in der Rockmusik, Frankfurt a. M.: Lang, 1997, S. 219).

283

in Decay liegen die Gründe für die Wahrnehmung perkussiv hell klingender Gitarren vonFender bzw. kontinuierlich warmer Klänge von Gibson-Type-Gitarren. Die spezifischeKonstruktionsweise, die durch akustische (Rück-)Koppelung zwischen der schwingendenSeite und den Hölzern das Schwingungsverhalten der Saite bestimmt, geht als Vorbedingungin die Tonabnahme ein: Gibson-Type-Gitarren bestehen aus massiver Mahagony/Ahorn-Verleimung oder auch nur Ahorn-Hölzern und sind mit einem Mahagony-Hals mit aufge-leimtem Palisandergriffbrett verleimt. Die akustische Koppelung bewirkt bereits einensustainreichen, aber nicht obertonreichen akustischen Klang. Fender-Gitarren mit Esche-oder Erlen-Korpus haben bereits akustisch einen eher obertonreichen und perkussiven Klang,das Sustain ist durch die geringere Klangkoppelung aufgrund des angeschraubten Halsesetwas gemindert.

Konstruktionsweisen, die aufgrund hoher Klangkoppelung der Bauteile und geringerAbstrahlung der Schwingungsenergie, nach außen gepaart mit Tonabnehmern, diese Schwin-gungsenergie (je spezifisch) mit hoher Amplitude weiterleiten, sind Ausgangsbedingungenzur Erzeugung eines Signals, dessen amplitudenstarke Hüllkurve im Verstärker verzerrt ver-stärkt wird. Je höher das Eingangssignal, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß die Ver-stärkung nicht-linear ist, sondern Verzerrungen auftreten, die der Funktionsweise der ver-stärkenden Bauteile an ihrer Leistungsgrenze entspringen. Die Elektronen-Röhre ist jeneselektrotechnische Fossil, das bei konstanter Zunahme der anliegenden Spannung kontinu-ierliche Verzerrung und diese vor allem als harmonische Verzerrung leistet – der Ton wird,abhängig von der Spieldynamik, mit Obertönen angereichert bis hin zur Schwingungsformähnlich einem Sägezahn, der Schwingungsform von Saiten, die durch Streichen in kontinu-ierliche Schwingung versetzt werden. Mit Elektronenröhren sind jene Verstärker-Typenbestückt, die dynamische Verzerrung direkt liefern sollen – spielbare Simulationen lassensich dennoch heute mit Transistortechnologie wie digitaler Technologie erzeugen.

VI.

Was ursprünglich als zu vermeidendes Artefakt gesehen wurde, wurde auf dem Hintergrundder mit politischem Gehabe und Theorie aufgeladenen Pop-Musik vor allem der 60er Jahrezu dem distorted als dissidentem Sound – als verstehbares Zeichen34 wie als funktionaleGröße, als unmittelbar erregende Stimulans.35 Übersteuerung der Verstärker wurde bewußtprovoziert, der Aufbau des Fender Bassman diente als Vorbild zur Konstruktion jenes briti-schen Verstärkers, dessen Sound synonym für distorted Sound wurde, des Marshall JMC. DieAbkoppelung der verzerrenden Übersteuerung von hohen Lautstärken bedingt die gesonderteRegelung der Verstärkervorstufe; moderne (vor allem) Combo-Verstärker sind damit ausge-stattet.

»Die Anhebung der Höhen durch die Verzerrung [ist] sehr intensiv, ohne Verzerrung kaum aus dem Geräusch-Untergrund heraustretende harmonische Teiltöne sind nun deutlich isoliert erkennbar. Es handelt sich hierbeinicht um eine simple Anhebung, sondern um eine neue, künstlich von der Verzerrung hervorgerufene Höhen-Struktur« (Ebd., S. 217). Trotz Annäherung der Klangstrukturen im Obertonverhalten über die Zeit bleibendennoch die charakteristischen Klangunterschiede erhalten.

34 Dick Hebdige, Subculture: The Meaning of Style (London: Methuen, 1979).35 Jauk, »Pop – ein emotionales politisches Konzept«, sowie ders., »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper«.

284

Der Nachbau der dynamisch spielbaren Verzerrung über externe Geräte mit Transisto-ren, deren Kennlinie nicht kontinuierlich und deren Verzerrung im Grenzbereich nicht har-monisch verläuft, erlaubte – vor der Zeit der getrennt regelbaren Vorstufen – die kontrol-lierte Verzerrung abseits überdimensionierter Lautstärken. Der rauhe unharmonische Soundder Fuzzbox wurde »verfeinert« zum Overdrive-Sound des Tube-Screamers, der Single-Note-Spiel wie harmonisches Spiel vor allem mit dem Power-Chord erlaubt – die Fuzz-Box derersten Stunde ermöglichte bloß das geräuschhafte perkussive Spiel in der Nähe klar identi-fizierbarer Tonhöhe. Overdrive, Super-Overdrive und Röhren-Verzerrer ermöglichen dasdifferenziert klangmodulierende solistische Spiel.

Digitale Simulationen der verstärkereigenen Verzerrung wie jener von klassischen Effekt-geräten ebenso wie deren Wiedergabe über spezifische Lautsprecher, schließlich das Modelingdes Sounds von verschiedenen Verstärkertypen werden heute von der elektronischen Musik-industrie angeboten (z. B. Line-Systeme), sie sind neben der Produktion in der puristischhandverlöteten Art z. T. auch in die klassischen Verstärker-Typen integriert (z. B. FenderCyber-Twin, Vox Valvetronix AD 120VT). Damit ist der distorted Sound verfügbar undleichter spielbar geworden. Akustische Rückkoppelungen benötigen aber dennoch hoheLautstärken und sind dem Live-Spiel auf Bühne vorbehalten und – unter gewissen techni-schen Bedingungen – im Studio produzierbar; heute wie in den ersten Tagen wird die Mo-dulation des Feedback durch Körperbewegung kontrolliert, Körperbewegungen, die mit deremotionalen Qualität des daraus entstehenden Sounds korrelieren – auch wenn sie show-mäßig überhöht wurden, sind sie notwendiges performatives Verhalten.

Was in den frühen 60er Jahren vor allem mit den britischen Verstärkern und den AhornSemiakustik-Gitarren begann, später mit den Humbucker-bestückten High-Gain-Output-Gibson-Solidbody-Gitarren gesteigert wurde – wofür Eric Claptons Equipment in seinerZeit bei Mayall’s Bluesbreaker ebenso als ein Beispiel genannt werden kann wie seine Spiel-weise als Mr. Slow-Hand bei Cream – und am sozioästhetischen Kampffeld der durchGegenhaltung definierten Subcultures getragen wurde, führte schließlich zur Konstruktionexterner Overdrive- und Distortion-Simulatoren und zu einem kultivierten Spielverhaltendieses Systems von sustainreicher Gitarre, dynamisch übersteuerbarer Verstärker und Über-höhung der Verstärkungs-Distortion durch entsprechende externe Effekte sowie simultane»Nachbearbeitung« des Signals durch den Kompressor, der die Anschlagspitzen des Pegelskomprimiert und den Ausklang um den durch die Kompression gewonnenen Headroomanhebt. Die Folge ist eine Verlängerung des quasistationären Klanges.

Durch diese Technologien wird der Sound nicht nur sustain- und obertonreicher, erwird – stets im Bereich vor dem Feedback – auch sensibler in seiner Enervierung. KurzeAttacktimes erlauben powervolle Bendings zum Anschleifen der Töne aus beiden Richtun-gen – dünne Saiten mit dennoch hoher Schwingungsstabilität sind mechanische Vorbedin-gungen dafür. Spezifische Anschlagtechniken erlauben, die Obertöne aus dem Klangspek-trum als künstliche Flageoletts zu isolieren. Nicht alle Töne werden mit der rechten Handangeschlagen. Sie werden mit den Fingern der linken Hand auf das Griffbrett gehämmert(hammer on), abgezogen (pull off ) oder mit den Fingern der rechten Hand getappt(tapping); manchmal werden auch skalenbasierte Saitenübergänge nur mit der linken Handgespielt und nicht von entsprechenden Streichbewegungen der rechten Hand kontrolliert(sweepings) – die niedrige Saitenlage begünstigt dies. In virtuoser Handhabung werden alldiese Techniken kombiniert und Feedback durch Körperbewegung, durch dosierte Abschir-mung der aus den Lautsprechern auf die Schwingung der Saiten rückwirkenden Frequenzen

285

sowie den Vibrato-Hebel, durch die gezielte Veränderung der Rückkoppelungs-Frequenz,kontrolliert. Es entstehen aus dem Spiel der akustischen Gitarre adaptierte oder der distortedGuitar adäquate und damit neue Spielweisen.

Die Marker der Entwicklung dieses Sounds und dieser Techniken haben mittlerweileeigene Instrumente entwickelt, die für diesen modernen Sound stehen und sich meist vonden beiden tradierten grundlegenden Gitarren-Typen abheben; es sind dies Super-Strat-Mo-delle mit Humbucker in der Steg-Position wie Gibson-Type-Gitarren mit moderner Korpus-form und aktiven (wie zu Single-Coils trennbaren) Humbuckern – die meisten sind anstelleder Vintage-Vibrato-Systeme mit Floyd-Rose-Systemen ausgestattet, die den verstimmungs-freien ungestümen Umgang mit extremen Tonhöhenveränderungen erlauben. Vor allem dieGitarrenhersteller Ibanez und MusicMan haben diese Techniken zur Ermöglichung spezifi-scher Spieltechniken und Sounds zu ihren gehobenen Markenzeichen gemacht.

Diese Spielweisen, von Joe Satriani eingeführt, von Eddie van Halen popularisiert, wur-den über die Schulen des Rock-Guitar-Spiels vor allem im Instrumental Rock, der seit sei-nem Auftreten in den 50er Jahren technische Innovationen aufnahm, perfektioniert.36 SteveVai vertritt die akademische Seite dieses Genres. Allan Holdsworth, fast nur mit der linkenHand spielend, markiert die am Jazz orientierte Avantgarde der Spielweise. Eivind Aarsetdefiniert den Gitarrenklang neu als Raum aus Rauschen, durch den sein Spiel mit E-Bowpassagenweise wie eine endlose Filterreise führt, Yngwie J. Malmsteen steht für die an derbürgerlichen Hochkultur orientierte ästhetische Haltung, Steve Morse führt Spieltechnikender klassischen Gitarre mit virtuosen Pickings der Country-Music im glasklaren Endless-Sound, ähnlich dem der Steel-Guitar zusammen, Steve Lukather verweist auf den Rock,indem er die schwarze mit technoiden Spielweisen zusammenführt. Damit steht er in derTradition des Hendrix der »Band of Gypsys«, dessen Gitarrespiel, aus der kampfvollen Zäh-mung der »unspielbaren« (weil extrem feedback-anfälligen) Kombination von FenderStratocaster mit dem Marshall Stack (aus 1959 Super-Lead-»Plexi«-Topteil mit extremerPresence-Regelung und den beiden 1960-Cabinets mit 8 x 12 inch Celeston-Speakers be-stückt) hervorgegangen, zu einem Oszillieren zwischen einem nur durch entsprechendemotional motivierte Körperbewegung kontrollierbaren Spiel des Feedbacks und der puris-tisch stimmmalenden Spielweise, mit dem Anschlagen von Klängen großer Tonsprünge ar-tikuliert und dem Wah-Wah technisch instrumentarisiert, des schwarzen Blues wurde. Darinwurde das körperliche Spiel von Hendrix zur Avantgarde der direkten emotional motivier-ten Klangformung, zum lustvollen körperlichen Spiel mit Artefakten. Der InstrumentalRock kultiviert diesen hedo-nisch-performativen Klang.

Die modulierende Spielweise der Gitarre hat einst die Konstruktion des modularen Syn-thesizers vom prozessual seine Module wechselseitig steuernden Tool der elektronischenMusik zu einem musizierenden Gerät beeinflußt. Die Perfektionierung dieser Modulation

36 Duan Eddy experimentiert mit dem cleanen Holow-Body-Sound der Gretsch Chet Atkins, das Spiel auf denBasssaiten mit Bigsby-Vibrato und sehr viel Hall markieren seinen Klangstil. Link Wray spielt die Kunststoff-gitarre Supro Dual Tone Solidbody.»Rumble« ist sein Hit und seine Soundmarke, wofür er einen Verstärker nicht nur übersteuerte, um den Soundzu verzerren, sondern auch die Lautsprechermembran perforierte. »I had Premier amplifier with a big speakeron the bottom and two tweeters on each amp. It was a crossover head. I got me a pen and started punching holesin the tweeters [...] I started playing it and I got that distorted sound [...]« (Chris Gill, »Link Wray«, Guitar Player11, 1993, S. 26).

286

des elektronischen Klanges nach Parametern des Ausdrucks(lauts) im Spiel des Mini-Moog(beispielsweise von Jan Hammer) hat wiederum auf das Gitarrespielen rückgewirkt. Nunwirkt das performative Spiel gerade der Gitarre – nach der Zeit der Stilisierung der Domi-nanz der Maschine im Electronic Pop37 durch cooles, körperlich regungsloses Spiel – als Mo-dell für ein intuitives immersives – emotional involvierendes – Interface zur körperkontrol-lierten Modulation nicht nur von Sounds, sondern von anderen Materialien und Bedingun-gen in den elektronischen und digitalen Künsten. Es ist dies ein Rückgriff nicht nur auf diemechanische Instrumentarisierung des Körpers, sondern auch auf die notwendigerweisehedonische Regulierung des Bezugs von Körper und Umwelt in einer nun neuen, aus digi-talen Codes konstruierten virtuellen Umwelt, die sich dem Zugriff des mechanischen Kör-pers entzieht. Ein hedonisches Interaktions- und Gestaltungs-Verhalten wird nach der Trans-gression des Mechanischen als notwendig erachtet: Von jeglichem Zweck, jeglicher inhalts-kommunizierenden Handlung befreit, ist körperliche Handlung von Spannung und Lösungreguliert.

Hedonische Erlebniskultur, interaktive Events – Avantgarden der Popwelt in Kunst undAlltag – sind demnach in der Virtualität der Digital Culture begründet. Als Körperkulturwar Pop bereits zuvor eine hedonische Gegenkultur zur zeichenhaften Repräsentation undSchaffung von Kultur durch Zeichensysteme.38 Gerade in der Pop-Musik ist die technischermöglichte Körper-Klang-Koppelung in Generierung wie Rezeption erregungsbestimmtund dominant. Was früher in Codes mediatisiert wurde, was sich in Zeichen präsentierte,39

ist heute unmittelbar in Klang formbar – Pop ist unmittelbare Körper-Musik, das Spiel derGitarre die Instrumentarisierung des Ausdruckslautes und der Ausdrucksbewegung –, dasSpiel-Verhalten mehr als Show: technisch ermöglichtes originäres Musizieren mit Sound.Einerseits hat diese Mediamorphose als technisch bedingte Rückentwicklung am Weg derMusik zu einer mediatisierten Ausdrucksform im Instrumental Rock zurückgeführt in dasan der vorsprachlichen Kommunikationsform orientierte originäre Musizieren, andererseitsgreift sie weit nach vorne und dient uns körperhaften Wesen als Interface in eine künftigevirtuelle Welt.

Literatur

ADORNO, Theodor W.1958 Philosophie der Neuen Musik [1949]. Frankfurt: Suhrkamp.

BECK, Sabine2004 »Vinko Globokar und der performative Körper: Ein Beitrag zur Performance-Forschung«. Samples: No-

tizen, Projekte und Kurzbeiträge zur Popularmusikforschung 3. www.aspm-samples.de/Samples3/beck.htm (10.7.2004).

BLACKING, John1977 »Towards an Anthropology of the Body«. John BLACKING (Hg.). The Anthropology of the Body. London:

Academic Press. S. 1–28.

37 Mercedes Bunz, »Das Mensch-Maschine-Verhältnis: Medientheorie mit Kraftwerk, Underground Resistanceund Missy Elliott« (Jochen Bonz (Hg.), Sound-Signatures: Pop-Splitter, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001),S. 272–290.

38 Vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen.39 Langer, Feeling and Form.

287

BLAUKOPF, Kurt1989 Beethovens Erben in der Mediamorphose: Kultur- und Medienpolitik für die elektronische Ära. Heiden:

Niggli.BOHRER, Karl-Heinz

1979 »Die drei Kulturen«. Jürgen HABERMAS (Hg.). Stichworte zur geistigen Situation der Zeit. Bd. 2. Politikund Kultur. Frankfurt: Suhrkamp. S. 636–669.

BUNZ, Mercedes2001 »Das Mensch-Maschine-Verhältnis: Medientheorie mit Kraftwerk, Underground Resistance und Missy

Elliott«. Jochen BONZ (Hg.). Sound-Signatures: Pop-Splitter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 272–290.CASSIRER, Ernst

1953 Philosophie der symbolischen Formen [1923]. Darmstadt: Wissenschaftlicher Buchverlag.CLYNES, Manfred

1977 Sentics – The Touch of Emotions. New York: Anchor Press/Doubleday.1980 »The Communication of Emotion – Theory of Sentics«. R. PLUTCHIK / H. KELLERMANN (Hg.). Emoti-

on-Theory, Research and Experience. Vol. 1. Theories of Emotion. New York: Academic Press. S. 271–301.CLYNES, Manfred (Hg.)

1982 Music, Mind and Brain: The Neuropsychology of Music. New York: Plenum.ECO, Umberto

1985 »Für eine semiologische Guerilla« [1967]. Umberto ECO (Hg.). Über Gott und die Welt. München: KarlHanser Verlag. S. 146–156.

EINBRODT, Ulrich Dieter1997 Experimentelle Untersuchungen zum Gitarrensound in der Rockmusik. Frankfurt a. M.: Lang.

GILL, Chris1993 »Link Wray«. Guitar Player 11. S. 26.

HAMA, Haruyo / Kenroku TSUDA

1990 »Finger-pressure waveforms measured on Clynes’ sentograph distinguish among emotions«. Perceptualand Motor Skills 70. S. 371–376.

HARTWIG-WIECHELL, Dörte1974 Pop-Musik, Analysen und Interpretationen. Köln: Volk.

HEBDIGE, Dick1979 Subculture: The Meaning of Style. London: Methuen.

JAUK, Werner1999 »Musikalisches Sprechen: Interaktion – Strukturierung durch kommunizierendes Verhalten«.

A. ERJAVEC [u. a.] (Hg.). XIV International Congress of Aesthetics: Aesthetics as Philosophy, ActaPhilosophica XX, 2, part II, S. 349–359.

2002a »Pop – ein emotionales, politisches Konzept«. Beiträge zur Popularmusikforschung 29/30. Hamburg:Coda. S. 57–77.

2002b »Pop: Mediatisierung und der dissidente Körper«. Helmut RÖSING / Albrecht SCHNEIDER / MartinPFLEIDERER (Hg.). Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 19. S. 131–152.

2005 Der musikalisierte Alltag der digital Culture. [Habilitationsschrift Graz .] In Druck: epos – Osnabrück.KNAUER, Wolfram

1996 »Free Jazz«. Ludwig FINSCHER (Hg.). Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädieder Musik. 2., neubearb. Aufl. Sachteil Bd. 4. Kassel [u. a.] 1996. Sp. 1384–1421.

KNEPLER, Georg1977 Geschichte als Weg zum Musikverständnis: Zur Theorie, Methode und Geschichte der Musikgeschichts-

schreibung. Leipzig: Reclam.LANGER, Susan

1953 Feeling and Form: A Theory of Art Developed from Philosophy in a New Key. London: Routledge.LEVY, Pierre

2000 »Die Metapher des Hypertextes«. Claus PIAS [u. a.] (Hg.). Kursbuch Medienkultur: Die maßgeblichenTheorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt. S. 525–528.

LYOTARD, Jean-Francois [u. a.]1985 Immaterialität und Postmoderne. Berlin: Merve.

MATT, Gerald2003 »Vorwort«. Go Johnny Go: Die E-Gitarre – Kunst und Mythos [Ausstellungskatalog]. Wien: Steidl. S. 8.

288

MAY, Ulrich1984 »Elektrische Saiteninstrumente in der populären Musik: Entstehung, Konstruktion und Akustik der

elektrischen Gitarre und verwandter Instrumente«. Diss. Universität Münster.SCHACHTER, Stanley / Jerome E. SINGER

1962 »Cognitive, social, and psychological determinants of emotional state«. Psychological Review 69. S. 379–399.

SCHENKER, Heinrich1935 Der freie Satz. Wien: Universal Edition.

SCHERER, Klaus R.1986 »Vocal affect expression: A review and a model for future research«. Psychologica Bulletin 99. S. 143–

165.SCHULZE, Gerhard

1993 Die Erlebnisgesellschaft. Frankfurt: Campus.SMUDITS, Alfred

1988a »Industrialisierung des Kulturschaffens seit 1934«. SWS-Rundschau 28/2. S. 253–263.1988b Kommunikationstechnologien und Kunst: Mediamorphosen des Kulturschaffens. [Habilitationsschrift.]

Wien.2002 Mediamorphosen des Kulturschaffens: Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel. Wien: Brau-

müller.TRAUBE, Caroline / Philippe DEPALLE

2004a »Timbral analogies between vowels and plucked string tones«. Proceedings of International Conferenceon Acoustics, Speech and Signal Processing (ICASSP ’04), Montreal, Quebec, Canada, 17th–21st May2004.

2004b »Phonetic gestures underlying guitar timbre description«. Proceedings of International Conference ofMusic Perception and Cognition (ICMPC 8), Evanston, Illinois, 3rd–7th August 2004.

WEBER, Max1921 Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik. München: Drei Masken Verlag.

WICKE, Peter1992 »›Populäre Musik‹ als theoretisches Konzept«. Forschungszentrum Populäre Musik (Hg.). PopScriptum

1/92 – Begriffe und Konzepte. Beiträge zur populären Musik. Berlin. S. 6–19.2001 »Sound-Technologien und Körper-Metamorphosen: Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts«.

Peter WICKE (Hg.). Rock- und Popmusik: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert 8. Laaber: Laaber.

S. 11–60.

DVD-Material

PAT METHENY GROUP

2001 Imaginary Day live: Special Features / Reflections on Imaginery Day: An Interview with Pat Metheny.Metheny Group Productions / eagle vision.

Summary

To make the guitar »louder« and to change its musical function in the jazz ensemble may beconsidered being the motivation to amplify the acoustic guitar. The development of thesolid-body-guitar was intended to avoid uncontrollable feedback. As an artefact thepercussive sound of the acoustic guitar became a sound with more sustain.To reach a larger audience the »loudness« of pop-music increased; this overstrained theamplifiers: The sound of the amplified guitar became distorted (the number of partialsincreased). Despite the percussive sinoide sound of the acoustic guitar, the sustained anddistorted sound allows to be modulated in time and spectrum.

289

Feedback is an artefact of high intensities even played by solid-body-guitars – but morecontrollable at least with body-movements shielding the feedback. In musical performance,these body-movements could be seen as part of expressing behaviour. Bodily controlledfeedback-playing is the instrumentalization of expressive behaviour producing adequateemotional sounds. This technique of modulating a sustained distorted sound was cultivatedin instrumental rock.

Due to a theoretical background where technological developments lead to aesthetic andsocial changes these developments are not considered being intended in any sense but arerather results of hacking. At least the distorted sound, the bodily way to play it and its specificdevelopment was reinforced by the aesthetics of pop-subcultures.

290