Drexler, Viktoria*: ' "Are you Male of Female? Kritik an der Zwei-Geschlechter-Ordnung im digitalen...

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DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Are you Male or Female? Kritik an der Zwei-Geschlechter-Ordnung im digitalen Spiel“ verfasst von Viktoria Drexler angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2014 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317 Studienrichtung lt. Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft Betreuerin: Univ.-Ass. Dr. habil. Andrea Seier, M.A.

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DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit

„Are you Male or Female?Kritik an der Zwei-Geschlechter-Ordnung im digitalen Spiel“

verfasst von

Viktoria Drexler

angestrebter akademischer Grad

Magistra der Philosophie (Mag.phil.)

Wien, 2014

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317

Studienrichtung lt. Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft

Betreuerin: Univ.-Ass. Dr. habil. Andrea Seier, M.A.

Ich danke meiner Familie,

Lucia Lechner,

Katrin Triebswetter

und Andrea Seier

für ihre Unterstützung.

Inhalt1. Einleitung.........................................................................................................................................8

2. Was, wenn nicht Zwei?.................................................................................................................12

2.1. Das Molekulare denken.......................................................................................................18

2.2. Der organlose Körper..........................................................................................................24

2.3. Mann oder Frau.....................................................................................................................27

3. Das digitale Spiel...........................................................................................................................31

3.1. Das Medium als Gefüge......................................................................................................32

3.2. Entscheidungslogik..............................................................................................................35

3.3. Paradox/Fluchtlinie..............................................................................................................42

3.4. Immersion durch Subjektivierung im digitalen Spiel......................................................45

3.4.1. „Zu Jemandem werden“ ≠ „Jedermann- Werden“................................................46

4. Analyse...........................................................................................................................................51

4.1. A CLOSED WORLD, 2011....................................................................................................53

4.1.1. One, simpel and important question …..................................................................54

4.1.2. Entscheidungslogik/Fluchtlinie.................................................................................57

4.2. A GAME OF THREES, 2014..................................................................................................61

4.2.1. Befreiung des Begehrens..........................................................................................65

4.2.2. eher_ oder eher_ Werden?→ .....................................................................................70

4.3. QUEER POWER, 2004..........................................................................................................71

4.3.1. Enjoy a trip in this odd world!....................................................................................72

4.3.2. „Other or Confused“ - das verwirrte „Andere“.......................................................76

4.4. GUESS MY GENDER, 2014...................................................................................................78

4.4.1. Zur Bezeichnung der „Anderen“...............................................................................79

4.4.2. I can't tell......................................................................................................................85

4.5. LOVED, 2010.........................................................................................................................86

4.5.1. You are not what you think you are!........................................................................87

4.5.2. Fragile Subjekte...........................................................................................................89

5. Schlussbemerkung........................................................................................................................90

6. Literatur- und Quellenverzeichnis..............................................................................................94

7. Abstract........................................................................................................................................100

8. Lebenslauf...................................................................................................................................101

5

6

„Der Baum oder die Wurzel rufen ein trauriges Bild des Denkens hervor,

das – von einer höheren Einheit, einem Zentrum oder Segment ausgehend –immer wieder das Mannigfaltige imitiert. Und tatsächlich spielt der Stamm,wenn man die Gesamtheit von Zweigen und Wurzeln betrachtet, für einedieser Unter-Einheiten, die von unten nach oben durchlaufen werden, die Rolleeines gegenläufigen Segments. Ein solches Segment ist ein "Verbindungsdipol",im Unterschied zu "Einheitsdipolen", die strahlenförmig von einem einzigenZentrum ausgehen. Aber auch wenn die Beziehungen sich wie in einemWurzelsystem vermehren, man kommt doch niemals aus dem Eins-Zwei undden nur vorgetäuschten Mannigfaltigkeiten heraus. Auch Regenerationen,Reproduktionen, Umkehrbewegungen, Hydren und Medusen helfen uns nichtweiter. Baumsysteme sind hierarchisch und haben Zentren der Signifikanz undSubjektivierung, zentrale Automaten, die als organisiertes Gedächtnisfunktionieren. Daher erhält in den entsprechenden Modellen jedes Elementseine Informationen immer aus einer höheren Einheit, und subjektiveRegungen gehen nur von bereits bestehenden Verbindungen aus. Das wird anden aktuellen Problemen der Informatik und der elektronischen Geräte rechtdeutlich, die so sehr an den ältesten Denkformen festhalten, daß die Macht anein Zentralorgan oder Gedächtnis delegiert wird.“

(TP, 28/29)

7

1. Einleitung

„The zeroes and ones of machine code seem to offerthemselfes as perfect symbols of orders of Westernreality[.]“1

„Was kann ich angesichts der gegenwärtigen Ordnungdes Seins sein?“2

„Are you male or female?“ Mit dieser Frage ist wohl jede_r Computerspieler_in

schon mindestens einmal konfrontiert gewesen und für viele ist sie wohl auch

sehr einfach zu beantworten. Doch was geschieht, wenn ein_e Spieler_in nicht

antworten möchte? Eventuell weil sie_er sich mit dieser Frage nicht

identifizieren kann? Gibt es einen Weg um die Frage herum? Ist es möglich

weiterzuspielen ohne eine Antwort zu geben?

Eine 2014 erschienene Dokumentation, ein Crownfunding Projekt einer

nordamerikanischen LGBTQ-Community, weiß Abhilfe für diese Problematik. In

Gaming in Colour3 wird die fehlende Repräsentation von LGBTQ-Charakteren in

Mainstream-Spielen ins Zentrum der Kritik gestellt und die Forderung ist

eindeutig: mehr Kategorien, damit mehr Identifikation für mehr Individuen

möglich werden kann.

Repräsentations-Kritik im digitalen Spiel ist auch nach wie vor ein zentrales

Thema der feministischen Perspektive auf digitale Spiele. Es wird über die

Darstellung von Tomb Raider4 gesprochen, den Umgang mit Sexarbeiter_innen

in den GTA Serien, die Darstellung von Prinzessin Peach bei Nintendo usw.

1 Plant, Sadie: Zeroes + Ones, Fourth Estate Limited, London, 1998, S.34. 2 Butler, Judith: „Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend“, in: Was ist

Kritik?, Jaeggi, Rahel; Wesche, Tilo [Hg.innen], Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2009, S.237.

3 Vgl. Trailer der Dokumentation, Zugriff über: http://gamingincolor.vhx.tv/, Zugriff am 30.06.2014.

4 Vgl. z.B Kennedy, Helen W.: „Lara Croft: Feminist Icon or Cyberbimbo? On the Limits of Textual Analysism“, Zugriff über: http://www.gamestudies.org/0202/kennedy/, Zugriff am 30.07.2014.

8

Leider ist es immer noch nötig auf diskriminierende Darstellungsweisen

hinzuweisen. Als Beispiel für die Brisanz die dieses Thema aktuell mit sich

bringt, kann auf Anita Sarkeesian's Blog Feminist Frequency5 verwiesen werden,

auf dem diskriminierende, sexualisierende Repräsentationen von Frauen in

popkulturellen Medien mit starkem Fokus auf digitale Spiele einer breiten

Masse vorgeführt werden. Da wie dort werden Fragen nach Sichtbarkeit und

Unsichtbarkeit gestellt sowie Fragen nach der Möglichkeit sich als Spieler_in

identifizieren zu können.

Neben der angesprochenen Forderung einer LGBTQ-Community an die

Macher_innen von AAA-Games die Identifikationskategorien für die

Spieler_innen zu erweitern, entwicklet sich langsam aber doch, eine queere

Indie-Game Szene. Dabei handelt es sich um nicht kommerzielle Spiele, die von

kleinen Teams, oft auch nur von Einzelperson entwickelt werden.

Ein mittlerweile in dieser Szene bekannter Name ist Anna Anthropy. Eines ihrer

oft besprochenen Spiele: dys4ia6. Es handelt von ihrer „hormone replacement

therapy“ und ist eine sehr persönliche Geschichte von der Transition ihres

Körpers und dessen Wahrnehmung in der Gesellschaft. Dabei wird vor allem

der Versuch des „Passings“ spielbar gemacht und damit das Scheitern, das

„anders Sein“ und „Nicht-Dazu-Gehören“ thematisiert. Ebenfalls dieser

Thematik widmet sich Mattie Brice mit ihrem Spiel MAINICHI7. Auch hier geht

es um persönliche Erfahrungen als trans* Frau und den damit verbundenen

Schwierigkeiten. Laut Mattie Brice soll ihr Spiel den Spieler_innen ermöglichen

sich in ihren Alltag und damit in ihre alltäglichen Probleme als trans* Frau in

5 Vgl. http://www.feministfrequency.com/, Zugriff am 30.07.2014.6 Zugriff über: http://www.newgrounds.com/portal/view/591565, Zugriff am

30.07.2014.7 Zugriff über: http://www.mattiebrice.com/mainichi/, Zugriff am 30.07.2014.

9

einer heteronormativen Welt hinein zu versetzen.8

Beide Spiele artikulieren damit Kritik aus einer repressionstheoretischen

Perspektive. Sowohl Anna Anthropy als auch Mattie Brice sehen das digitale

Spiel als Tool um ihre persönlichen Erfahrungen für andere spielbar zu machen.

Sie sehen die Möglichkeit des digitalen Spiels vor allem darin persönliche

Geschichten zu verarbeiten und über Immersion Identifikation herzustellen.

Dabei verweisen sie vorallem auf ein System der Unterdrückung und

verhandeln den Ausschluss bestimmter Subjekte aus einer heteronormativen

Matrix. Aber die Spiele vermitteln auch den Wunsch nach „Passing“ innerhalb

dieses Systems, also den Wunsch danach dazu zu gehören, als Norm

annerkannt zu werden. In beiden Spielen existiert eine Gewalt die von Außen

auf die Protagonist_innen einwirkt. Sie sind einer Macht ausgesetzt, werden

am Ausleben ihrer „inneren Wahrheit“ gehindert. Allein „das Außen“ ist es was

ihnen ihre Subjektivität verbietet und diese zu unterdrücken versucht. Beide

Spiele handeln letztlich nicht von der Kritk an der Zweigeschlechter-Ordnung,

sondern eher vom Wunsch danach Teil dieses Systems zu sein und nicht mehr

als „Anders“ wahrgenommen zu werden.

Neben Arbeiten wie jenen von Anna Anthropy und Mattie Brice, finden sich

auch eine Reihe digitaler Spiele, die die Subjektivierungskategorie Geschlecht

selbst in Frage stellen. Damit sind jene Spiele gemeint, die versuchen über das

binäre Konstrukt der Geschlechter selbst nachzudenken und damit eine queere

Auseinandersetzung mit digitalen Spielen, abseits von Repräsentationskritik

ermöglichen. Diese Spiele sind es, die für diese Arbeit relevant sind, da hier

davon ausgegangen wird, dass die heteronormative Matrix nur dann kritisiert

werden kann, wenn deren Basis, die Zwei-Geschlechter-Ordnung, in Frage

gestellt wird. Dieses Infragestellen der Geschlechterbinarität ist nötig um

Funktionsweisen einer subjektorientierten, durch Kategorien stabilisierten

8 Vgl. Mattie Brice Interview zu MANICHI, Zugriff über: http://www.polygon.com/features/2013/5/24/4341042/the-queer-games-scene, Zugriff am: 27.07.2014.

10

Gesellschaft in Frage zu stellen.9

Es bedarf einer kritischen Analyse dieses „Binär-Machens“ und damit jener

Kategorien, von welchen aus „das Andere“ her gedacht, abgeleitet und

organisiert wird.

Für diese Arbeit, ist es das Primat der Geschlechterdifferenz, Mann/Frau, von

der aus alle anderen Kategorien innerhalb einer heteronormativen Matrix

gedacht werden. Deshalb muss gerade jene Funktionsweise in den Blick treten,

die diesen so organisierten Raum anscheinend so gut „zusammenhält“. Die

Ordnung in Mann/Frau, diese Dichotomie muss in ihrem stabilisierenden,

einkerbenden Modus herausgearbeitet werden. Diese Dichotomien gilt es zu

kritisieren. Es soll nicht Ziel sein weitere Kategorien an diese Ordnung

anzuschließen.

Aber was heißt es, wenn ein digitales Spiel sich kritisch mit der binären

Geschlechterordnung auseinandersetzt, obwohl das Medium selbst binär

organisiert ist und außerhalb dessen nichts kennt und auch nicht erkennen

kann? Ist dieses Paradox unausweichlich, macht es jede Kritik zunichte?

Um dieser Frage nachzugehen, wird sich diese Arbeit mit fünf zeitgenössischen

digitalen Spiele auseinandersetzten und diese in Hinblick auf ihren kritischen

Zugang zur heteronormativen Matrix untersuchen. Die Aufmerksamkeit gilt vor

allem jenen Strategien, die die Zwei-Geschlechter-Ordnung in Frage stellen,

subversiv unterwandern. Die zentrale Frage lautet, wie und ob es möglich ist im

Medium digitales Spiel Kritik an der Geschlechterdifferenz zu üben,

beziehungsweise queere Inhalte spielbar zu machen, wenn die dem digitalen

Spiel inhärente Logik an eine binäre Struktur gebunden ist, auf strengen

Entscheidungsmomenten basiert und in diesem Sinne nur Nullen und Einsen als

logische Anordnungen kennt.

9 Vgl. Engel, Antke: Wider die Eindeutigkeit: Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation, Frankfurt am Main: Campus-Verlag, 2002, S.50.

11

2. Was, wenn nicht Zwei?

„Die Geschlechterdifferenz ist eher so etwas wie einnotwendiger Hintergrund für die Möglichkeit desDenkens, der Sprache und der Existenz als Körper inder Welt.“10

Dieser Satz Judith Butlers ist weniger als Resignation zu verstehen, vielmehr

als Ausdruck der noch immer so hartnäckigen, scheinbar innerhalb einer

westlich-industrialisierten Gesellschaft notwendigen Vorstellung, die Zwei-

Geschlechter-Ordnung zu denken. Auf der darauf folgenden Seite fragt

Butler:

„Die Geschlechterdifferenz – müssen wir sie uns als einen Rahmen vorstellen, aufgrund

dessen wir schon von vornherein besiegt sind? Was auch immer gegen sie gesagt

werden kann, ist ein Beweis, dass sie das was wir sagen, strukturiert. Ist die

Geschlechterdifferenz also irgendwie ursprünglich da und taucht wie ein Gespenst

immer wieder in den allerersten Unterscheidungen und in dem strukturellen Schicksal

aller Bedeutungsstiftung auf?“11

Verweist also jedes kritische Aufzeigen dieser Differenz gleich wieder auf

deren Gültigkeit? Ist die Ordnung in Mann oder Frau notwendig dafür,

überhaupt denken zu können? Ist es nicht viel mehr ein System, welches sich

verfestigt hat und sich seiner Instabilität durchaus bewusst ist und dadurch

immer und immer wieder wiederholt und verfestigt werden muss? Wenn dem

so ist, wie kann versucht werden, dieses Konstrukt aufzuzeigen und was

passiert

„[w]enn die Staffelei auf ihren zugespitzten und offensichtlich unstabilen Pfosten ins

Wanken kommt, wenn der Rahmen auseinaderbricht und die Tafel auf den Boden fällt,

wenn sich die Buchstaben verlieren, dann kann die »Pfeife« »brechen«: der

10 Butler, Judith: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2009, S.284.

11 Ebenda, S.285.

12

»Gemeinplatz« - banales Werk oder alltägliche Schulstunde – ist verschwunden.“12

Was Michel Foucault hier anhand René Magrittes Zeichnung

Morgendämmerung auf der Gegenseite beschreibt, soll hier als ein Beispiel

verstanden werden, als ein Bild für ein Bild, welches selbst nur versucht, einen

Gegenstand zu stabilisieren, welcher jedoch jeden Moment zerbrechen kann

und damit keiner Repräsentation Stand hält. Jenes scheinbare a priori, die

Pfeife, welche über der Tafel schwebt, ist in dieser Arbeit die Idee einer

Geschlechterdifferenz. Die Pfeife im Rahmen auf der Leinwand, steht hier für

das Abbild jenes Primaten, welches dem ewigen Bezeichnungsdrang unterliegt.

Die Unterschrift des Bildes „Dies ist keine Pfeife“ kann nun im Zusammenhang

mit jener Auseinandersetzung mit einer Zweigeschlechter-Ordnung durch „Dies

ist keine Frau, dies ist kein Mann“ ersetzt werden.

Wenn die Staffelei ins Wanken kommt und dieser scheinbar so fixierte Rahmen,

wie ihn Judith Butler zuvor beschrieben hat, zu Boden fällt und dabei zerbricht,

dann fallen diese Buchstaben heraus. Was zeigt sich nun? Die Buchstaben, die

sich verlieren, sind nur aneinander gereiht, geordnet und fixiert. Nur so

bezeichnen sie etwas, verleihen sie „Sinn“, bringen sie etwas in „Ordnung“.

Wird durch dieses Auseinanderfallen, welches Foucault der Staffelei in Aussicht

stellt, ihre Konstruktion am „Gemeinplatz“ sichtbar? Oder verschwindet dieser

mit dem Zerfallen selbst? Kann etwas erkannt werden, wenn es doch immer

schon im Erkennen zu einer Ordnung kommt? Kann die Geschlechterdifferenz

aufgelöst werden, indem sie dekonstruiert wird? Und wenn, was bleibt nach

der Dekonstruktion? Bilden sich noch mehr Kategorien oder werden jene zwei

Pole, indem sie als Konstrukte sichtbar werden, im selben Atemzug wieder

stabilisiert?

12 Foucault, Michel: Dies ist keine Pfeife, Berlin; Wien: Ullstein KunstBuch, 1983, S.23.

13

Wenn wir den „Gemeinplatz“ im Zusammenhang mit einer binären

Geschlechterordnung als die heteronormative Matrix bezeichnen, die, um sich

zu erhalten, auf die Geschlechterdifferenz als eine grundlegende

Voraussetzung angewiesen ist, lässt sich die Frage stellen, ob sich nicht schon

etwas geändert hat. Ob dieser Gemeinplatz gegenwärtig nicht schon längst

auch „anderes“ zulässt, sich wandelt, hin zu einem System, in dem alles möglich

ist, jede_r alles sein und werden kann. Bleibt nicht doch gerade durch diese

Eingliederung des „A-Normalen“ die Norm gefestigt, da sie noch immer im

Zentrum steht, von der aus alles andere bezeichnet und gedacht wird? Bedingt

nicht auch der interne Bezeichnungsdrang der gegen die Norm Stehenden

immer wieder die Verfestigung der Grenzen – dieselbe Struktur, derselbe

Rahmen, in dem es versucht wird, sich immer nur weiter einzupassen indem

man „(s)einem wahren Subjekt“ immer näher zu kommen glaubt. Aus einem

System, das verneint wird, folgt ein anderes, das wiederum problematisiert und

damit normiert, erneut Ausschlüsse produziert.

Ist dieser Gemeinplatz dem Verschwinden geweiht, wenn man den Rahmen

sprengt? Verliehrt die Kritik ihre Bedeutung, wenn sie das Konstrukt aufzulösen

versucht? Wie kann Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelles Begehren -

wenn wir nun von getrennten Entitäten sprechen - noch kritisiert werden,

wenn sich die Geschlechterdifferenz auflöst?

Wenn die Staffelei also niemals fällt, der Rahmen nie zerbricht, dann kann es

nie ein Außen geben. Alles ist in sich geschlossen, bezeichnet immer schon

Bezeichnetes mit Zeichen, welche sich hier und dort verfestigt haben.

Innerhalb dessen ist jedoch alles in Bewegung, verschiebt sich, erfindet sich,

fügt sich zu anderem Wissen zusammen, an anderen Stellen. Dieses Wissen

über die Dinge ist immer Konstrukt und auch im Versuch es zu dekonstruieren,

seine Konstruiertheit aufzuzeigen, wird wieder Neues konstruiert, mit Zeichen,

die nie den Rahmen verlassen, jedoch in diesem kritisch hinterfragt werden

14

können. Denn mit Dies ist keine Pfeife oder auch mit Dies ist keine

Geschlechterdifferenz, bezeichnen die Zeichen selbst, dass sie nur eine

Anordnung sind. Eine Anordnung um etwas zu bezeichnen, was sie selbst nie

sein werden, was jedoch auch das Bezeichnete selbst nie sein kann. Hier

bedingt das Sein die Bezeichnung und umgekehrt, erst dadurch wird es

handhabbar. Ist es dies einmal geworden, kann es nie mehr aus dem Rahmen

ausgeschlossen werden. Egal wie instabil die Pfosten scheinen, sie werden

immer in diesem Moment, kurz vor dem Fall, stehen bleiben.

Somit kann nur gedacht werden, was bereits erdacht wurde. Dies ist der

Rahmen, in dem sich Kritik üben lässt, jedoch immer im Rahmen dessen, was

schon gegeben ist. Es gilt nicht, einen Rahmen zu durchbrechen, eine „Macht“

zu erkennen um sie dann zu zerstören, eine Wahrheit zu finden, die hinter

alldem liegt.

Wenn dazu noch von einer Gleichartigkeit ausgegangen wird, dass also alle

Dinge unter den selben Bedingungen erst geworden sind, kann damit auch

versucht werden, über die binäre Geschlechterordnung nachzudenken. Die

Dinge nicht als voneinander different betrachtet werden, nicht auf Grund von

Ähnlichkeit zu Kategorien ordnen, sondern vielmehr versuchen, diese als

Gleichheit zu denken. Foucault beschreibt dies anhand Magrittes Arbeiten

folgendermaßen:

„Nunmehr ist die Gleichartigkeit auf sich selbst verwiesen – sie entfaltet sich von sich

aus und zielt auf sich selbst zurück. Sie ist nicht mehr der Zeigefinger, der die Leinwand

senkrecht durchstößt, um auf etwas anderes zu verweisen. Sie eröffnet ein Spiel von

Übertragungen, die auf der Ebene des Bildes umherlaufen, sich vermehren und

ausbreiten, einander antworten, ohne etwas zu affirmieren oder zu repräsentieren.

Daher Magrittes endlose Spiele mit der gereinigten Gleichartigkeit, die niemals den

Rahmen des Bildes überschreiten. Sie begründen Metamorphosen[.]“13

13 Foucault: Dies ist keine Pfeife, S.46.

15

Hier ist es möglich, diesen Gedanken der Gleichheit an das Denken einer

Differenz, wie sie Gilles Deleuze beschreibt, anzulehnen. Die Differenz ist bei

Deleuze keine mehr, die unterscheidet und strukturiert, repräsentiert und

darüber hierarchisiert14. Und deshalb können Magrittes Metamorphosen, wie

Foucault sie nennt, auch als ein „Werden“ im Sinne von Deleuze_Guattari wie

sie es in Tausend Plateaus bezeichnen, gedacht werden. Kein Spiel der

Repräsentation, sondern Spiele des Werdens, Spiele des Ineinandergreifens

von „Plateaus“, „Gefügen“, als „Rhizom“ in der „Dies-Heit“, sich vermehrend,

ausbreitend, wieder auflösend, neu zusammensetzend. Ein ständiges Werden

ohne Wiederholung, denn es gibt weder einen Anfang, noch ein Ziel. Der

Rahmen ist es, der das Rhizom einzufassen versucht, es zu einem Gemeinplatz

strukturieren will. Der Gemeinplatz oder mit den Worten von Deleuze_Guattari,

der „Wurzel-Baum“ ist als molarer Raum zu denken, der den molekularen Raum

formt, aber nicht tilgen kann. Der molekulare Raum tritt immer wieder hervor

und kann immer wieder hervorgebracht werden. Die „Fluchtlinien“, die sich

ständig durch diesen Gemeinplatz ziehen, „anderes“ freisetzen, was jedoch kein

„anderes“ ist, bzw. kein „anderes“ wäre, würde sich das Denken dem Rhizom

zuwenden. Dann wäre das „Andere“ nicht mehr diese, dem Dualismus

verschriebene, sondern die absolute Differenz. Eine Differenz in dem Sinne,

dass hierarchische Strukturen nicht mehr in der Lage wären sich zu verfestigen,

oder herzustellen und damit den Boden verlieren.

Die Arbeiten von Michel Foucault und auch von Judith Butler beschäftigen sich

immer wieder mit dem, was von Deleuze_Guattari als das molare System

bezeichnet wird, „wie Menschen zu Subjekten gemacht werden“15, wie sich

Macht-Wissen-Gefüge in der Zeit entwickeln, wie Geschichte wird,

Gegenstände hervorgebracht, Dinge geordnet und dadurch diszipliniert bzw.

14 Vgl. Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung, München: Fink, 1997.15 Foucault, Michel: „Das Subjekt und die Macht“, in: Hubert L. Dreyfus/Paul

Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt am Main: Athenäum 1987, S.243.

16

problematisiert werden.

„Welche Modalitäten der Ordnung sind erkannt, festgesetzt, mit Raum und Zeit

verknüpft worden, um das positive Fundament der Erkenntnis zu bilden, die sich in der

Grammatik und in der Philologie ebenso wie in der Naturgeschichte und in der

Biologie, in der Untersuchung der Reichtümer und der politischen Ökonomie

entfalten?“16

Dieses Entstehen einer Ordnung - die Ordnung der Dinge bei Foucault oder bei

Butler die Strategie der Subversion dieser Ordnung - ist es, was das Denken von

Deleuze_Guattari begleitet. Das Denken des Rhizoms ist nicht ein Denken der

Unterscheidungen, bzw. wie diese zu Stande kommen. Sie versuchen dem

Denken ein Werden zur Seite zu stellen, um damit das binäre und hierarchisch

organisierte Denken zu hinterfragen. Es ist ein Versuch in „Mannigfaltigkeiten“

zu denken, in Gefügen die nicht in Punkten enden, sondern die von Fluchtlinien

durchzogen werden und sich dadurch ständig verändern.

16 Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge, in: Michel Foucault. Die Hauptwerke, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2013, dritte Auflage, S.28.

17

2.1. Das Molekulare denken

„Aus eins wird zwei: jedesmal wenn wir dieser Formelbegegnen,[…] haben wir es mit dem reflektiertestenund klassischsten, mit dem ältesten und am meistenausgelaugten Denken zu tun.“17

„Ich habe kein Bedürfnis, logisch zu verknüpfen, […]auch mit der Logik läßt's sich spielen. Es ist ein Genuß,sich von den blödsinnigen Kausalitäten zu lösen, diedualistischen Formen aufzugeben, die tief in unsererErziehung sind.“18

Segmentierung, Ordnung, Organisation, Kategorie, Entität, Subjekt, Punkt,

Gleichbleibendes, sind einige Begriffe, die in Tausend Plateaus, jenes Denkbild

beschreiben, welches Deleuze_Guattari als den Wurzel-Baum bezeichnen.19 Ein

Baum der tief verwurzelt ist in Geschichte. Wurzeln, die aus einer zentralen

Wurzel hervorgehen aus denen wieder Wurzeln wachsen, welche jedoch nie

ihre hierarchische Struktur ablegen. Dieses Denkbild ist es, das

Deleuze_Guattari als das ausgelaugteste Denken bezeichnen.20 Ein Denken,

welches sie durch das Denken des Rhizoms in Bewegung setzten wollen.

Tausend Plateaus handelt vom Werden, von Mannigfaltigkeiten, Gefügen und

Plateaus, die ineinander greifen, die sich mit jeder Fluchtlinie

deterritorialisieren, sich so für das Werden öffnen und sich dadurch ständig

verändern. Es geht um ein Denken, welches nicht ordnet und strukturiert,

Dinge zu Entitäten macht, sie zu Objekten oder Subjekten strukturiert. „Die

Diagonale befreit sich, bricht oder schlängelt sich. Die Linie bildet keinen Umriß

17 Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin: Merve Verlag, 1992, S.14.

18 Zitat von Alexander Kluge in: Barth, Ariane: „Luftwurzeln und Wildwuchs verlieben sich“, in: Der Spiegel, 53/1980, S.98.

19 Vgl. Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.1420 Vgl. ebenda.

18

mehr und verläuft nun zwischen den Dingen und zwischen den Punkten.“21 Das

Rhizom beschreibt ein Denken von Differenzen nicht als Unterscheidungen, die

zur Produktion von Kategorien gedacht werden, nicht als das Finden von

Unterschieden und Ähnlichkeiten, die dann einer Ordnung nach sortiert und

damit legitimiert werden.

Von Differenz handelt auch Deleuzes Dissertation aus dem Jahre 1968:

Differenz und Wiederholung22. Hier geht es um ein anderes Denken dieses

Begriffs, weg von Aristoteles Vorstellung der Differenz, als einer

identitätsstiftenden, hierarchisierenden, ordnenden Voraussetzung des

Denkens. Differenz gilt bei Aristoteles als Grundlage eines Denkens, da es erst

durch Unterscheidungen möglich wird zu erkennen. Dorothea Olkowski,

beschreibt diese aristotelische Haltung, als jene, die das abendländische

europäische Denken seit Jahrhunderten dominiert hat und auch weiterhin

dominiert:

„For Deleuze, Aristotele's conceptualization does not simply create hierarchies of

thought; rather it serves to legitimate or justify certain visual, linguistic, social, and

political practices that develop around the demand for intelligibility, rigidity, and

hegemony.“23

Genau diese hierarchisierende Funktion der Differenz, wie sie Aristoteles

beschreibt, versuchen Deleuze_Guattari mit einem anderen Denken der

Differenz, nämlich mit dem Denken der Differenz selbst, zu beschreiben. Diese

ist aber nicht mehr mit jener Differenz zu vergleichen, welche „[…] als

Differenz nur eine schlichte Dualität […]“24 kennt. Differenz im Denken des

Wurzel-Baums, beschreibt auch Foucault in seiner Rezension Theatrum

21 Ebenda, S.700.22 Vgl. Deleuze: Differenz und Wiederholung.23 Olkowski, Dorothea: Gilles Deleuze and the Ruin of Representation, London:

University of California Press, Ltd., 1999, S.25.24 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.330.

19

Philosophicum zu Deleuzes Differenz und Wiederholung wie folgt:

„Die zäheste Unterwerfung der Differenz ist zweifellos diejenige unter die Kategorien.

Indem diese nämlich die verschiedenen Weisen das Sein zu sagen zeigen, indem sie die

möglichen Attribute im vorhinein spezifizieren, indem sie den Dingen ihr

Verteilungsschema auferlegen, sichern sie dem höchsten Gipfel eine Ruhe, die von

keiner Differenz getrübt ist. Die Kategorien reglementieren das Spiel der

Affirmationen und Negationen, begründen die Ähnlichkeiten der Repräsentation,

garantieren die Objektivität des Begriffs und seiner Arbeit; sie unterdrücken die

anarchische Differenz, verteilen sie auf Regionen, beschränken ihre Rechte und

schreiben ihr ihre Spezifizierungsaufgabe vor. Die Kategorien sind einerseits die

apriorischen Formen der Erkenntnis; aber sie sind auch die archaische Moral, der alte

Dekalog, den das Identische der Differenz aufgezwungen hat.“25

Die Differenz im Rhizom ist nicht, wie sie im Wurzel-Baum-Denken gedacht

wird, als jener Faktor zu beschreiben, der Kategorien, Segmentierungen und

Unterscheidungen legitimiert und damit Normen konstruiert, sondern

Differenzen sind im Rhizom zu denken als Mannigfaltigkeiten, die

durcheinander hindurchgehen, in keiner hierarchischen Ordnung zueinander

existieren und keine Entitäten oder Subjekte konstruieren. Das heißt, dass „[…]

die Differenz bejaht und sie nicht der Identität des Individuums untergeordnet

[wird].“26 Differenzen schließen sich zu Gefügen zusammen, die wiederum mit

anderen Gefügen Verbindungen eingehen.

Diese Verbindungen zwischen Gefügen haben jedoch nicht das Ziel „logische

Ordnungen“ herzustellen. Es geht beim „Rhizom-Werden“ nicht um die

Zuordnung von Ähnlichkeiten. Nicht um das Ankommen an einem Ziel, an dem

das „Subjekt“ seine „wahre“ Form erreicht hat, ganz bei „sich“ „ist“. Ein Rhizom

hat kein Ziel und keinen Ursprung. Das Rhizom-Werden ist in der Gegenwart

verhaftet, der „Dies-Heit“, was bedeutet, dass es sich und seine Verbindungen

25 Foucault, Michel: „Theatrum Philosophicum“, in: Der Faden ist gerissen, Berlin:Merve Verlag, 1977, S.44/45.

26 Ruf, Simon: Fluchtlinien der Kunst: Ästhetik, Macht, Leben bei Gilles Deleuze, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2003, S.27.

20

zu anderen Rhizomen ständig verändert. Mit dem Rhizom-Werden ist demnach

nicht die Konstruktion eines Subjekts gemeint ist, sondern eine Individuation,

„[…] die nur variable Schnelligkeits- und Langsamkeitsverhältnisse kennt und

daher in einen fortwährenden Werdensprozeß eingebunden ist.“27 Das

Zusammenspiel der Differenzen ist vielmehr als Ereignis zu verstehen, „ein

Ereignis als Ensemble von Intensitäten und kontingentes Zusammentreffen von

Kräften.“28 Die Kategorien sind die eingekerbten Kräfte, die verstopften

Fluchtlinien. Kategorien als modus operandi der abstrakten Maschine, die

ständig hergestellt werden müssen, um die Maschine selbst am Laufen zu

halten. Kategorien sichern das Individuum, stabilisieren das Subjekt bzw.

machen eine Individuation erst möglich. Sicherheit ist auch bei

Deleuze_Guattari eine Erklärung dafür, warum das Wurzel-Baum-Denken so

verankert ist in den individuierten Körpern. Die Sicherheit kann nur durch

stabile Entitäten und Kategorien garantiert werden. Alles was sich außerhalb

dessen befindet, was die abstrakte Maschine nicht als Norm erkennen kann,

gefährdet den Wurzel-Baum und damit seine Subjekte und Objekte. Es

gefährdet damit die „eigene“ Identität. Jedoch hat der Wurzel-Baum Strategien

entwickelt, sich das Unbekannte, das Nicht-Erkennbare einzuverleiben und es

wiederum durch Kategorisierung sichtbar und damit auch handhabbar und

regierbar zu machen. Denn erst wenn aus den unzählbaren Massen zählbare

Mengen werden, kann die abstrakte Maschine für Sicherheit garantieren.29 Erst

dadurch hat sie die Möglichkeit, ihre Entscheidungen zu treffen, Gesichter

abzulehnen oder anzugleichen, bzw. neue Kategorien zu erschaffen, die

wiederum in hierarchischer, binärer Beziehung zu den Kategorien stehen, von

denen sie abgeleitet und abhängig sind. Die Sicherheit, welche erst nach einer

Ordnung und Segmentierung gegeben ist, tilgt die Angst vor dem Dazwischen,

der Bewegung, die Angst vor dem Werden. Ohne diese Angst vor dem Werden

27 Ebenda, S.61.28 Ebenda, S.28.29 Vgl. ebenda, S.310.

21

könnte der Wurzel-Baum austrocknen und seine so sorgfältigen, zählbaren

Mehrheiten würden wieder in eine unzählbare Masse, in Mannigfaltigkeiten

zerfallen.

„Wir fürchten ständig, daß wir etwas verlieren. Sicherheit, die große molare

Organisation, die uns stützt, Baumstrukturen, an die wir uns klammern, binäre

Maschinen, die uns einen wohldefinierten Status geben, Resonanzen, an denen wir uns

beteiligen, das System der Übercodierung, das uns beherrscht - all das wünschen wir

uns. […] [W]ir verhärten unsere Segmente, wir überlassen uns der binären Logik, wir

werden um so härter in dem einen Segment, je härter man mit uns in einem anderen

Segment umgesprungen ist, wir reterritorialisieren uns auf irgend etwas, wir kennen

keine andere Segmentarität als die molare, und zwar sowohl auf der Ebene großer

Einheiten, zu denen wir gehören, als auch auf der Ebene kleiner Gruppen, in die wir uns

begeben, und auf der Ebene dessen, was in uns in unserem intimsten privatesten

inneren Winkel geschieht. Alles ist davon betroffen, die Art der Wahrnehmung, die

Handlungsweise, wie man sich bewegt, die Lebensart und das semiotische Regime“30

Die Angst davor, das „wir“ „uns“ verlieren, ist als die treibende Kraft zu

beschreiben, die alle Kräfte und Linien zu Punkten reduziert, und „uns“ damit

die Sicherheit gibt Subjekt zu „sein“. Subjekt können „wir“ jedoch nur „sein“,

wenn „wir“ „uns“ dem Werden verschließen und „uns“ festmachen an

Ähnlichkeiten und Wiederholungen, die die Differenz dazu verdammt, nichts

anderes als sich wiederholende Kategorien und damit Kopien herzustellen.

Ähnliches beschreiben die beiden am Ende von „Was ist Philosophie?“:

„Wir wollen doch nichts anderes, als daß unsere Gedanken und Ideen sich nach einem

Minimum an konstanten Regeln verknüpfen, und die Ideenassoziation hat nie einen

anderen Sinn gehabt: die uns schützenden Regeln zu liefern, Ähnlichkeit, Kontiguität,

Kausalität, die uns gestattet, ein wenig Ordnung in die Gedanken zu bringen, von

einem zum anderen überzugehen, gemäß einer Ordnung von Raum und Zeit, die

unsere »Phantasie« (Delirium, Wahnsinn) daran hindert, das Universum im Augenblick

zu durchqueren, um darin geflügelte Pferde und Feuerdrachen zu erschaffen.“31

30 Ebenda, S.310.31 Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Was ist Philosophie?, Frankfurt am Main:

Suhrkamp Verlag, 2000, S.238.

22

„Du wirst organisiert, du wirst zum Organismus, du mußt deinen Körper

gliedern – sonst bist du nur entartet. Du wirst Signifikant und Signifikat,Interpret und Interpretierter – sonst bist du nur ein armer Irrer. Du wirstSubjekt und als solches fixiert, Äußerungssubjekt, das auf ein Aussagesubjektreduziert wird – sonst bist du nur ein Penner. Der oK setzt dem Komplex derSchichten die Desartikulation (oder n Artikulationen) als Eigenschaft derKonsistenzebene entgegen, das Experimentieren als Vorgehensweise aufdieser Ebene (keinen Signifikanten, niemals interpretieren), das Nomadentumals Bewegung (bewegt euch, selbst auf der Stelle, hört nicht auf euch zubewegen, Reisen an Ort und Stelle, Entsubjektivierung). Was bedeutetdesartikulieren, aufhören, ein Organismus zu sein? Wie kann man erklären, daßes ganz einfach ist und wir es jeden Tag machen.Und mit der notwendigenKlugheit, der Kunst der Dosierung, und mit der Gefahr, der Überdosis. Mangeht nicht mit Hammerschlägen vor, sondern mit einer ganz kleinen Feile. Manerfindet Selbstzerstörung, die man nicht mit dem Todestrieb verwechseln darf.Den Organismus aufzulösen, hat nie bedeutet, sich umzubringen, sondern denKörper für Konnexionen zu öffnen, die ein ganzes Gefüge voraussetzen,Kreisläufe, Konjunktionen, Abstufungen und Schwellen, Übergänge undIntensitätsverteilungen, Territorien und Deterritorialisierungen, die wie voneinem Landvermesser vermessen werden. Letzten Endes ist es nichtschwieriger, den Organismus zu demontieren als die anderen Schichten,Signifikanz oder Subjektivierung. Die Signifikanz klebt nicht weniger fest an derSeele als der Organismus am Körper, auch sie wird man so leicht nicht los. Unddas Subjekt, wie können wir es von den Subjektivierungspunkten lösen, die unsbinden und auf eine gegebene Realität festnageln. Das Bewußtsein aus demSubjekt herausreißen, um daraus ein Forschungsinstrument zu machen, dasUnbewußte der Signifikanz und der Interpretation entreißen, um daraus eineechte Produktion zu machen, das sich sicher nicht mehr oder wenigerschwierig als den Körper dem Organismus zu entreißen. Klugheit ist die allendreien gemeinsame Kunst; wenn man den Organismus demontiert und dabeimanchmal mit dem Tod spielt, indem man der Signifikanz und derUnterwerfung ausweicht, dann spielt man mit der Falschheit, der Illusion, derHalluzination, dem psychischen Tod. […] Man muss genügend Organismusbewahren, damit er sich bei jeder Morgendämmerung neu gestalten kann; undman braucht kleine Vorräte an Signifikanz und Interpretation, man muß auf sieaufpassen, auch um sie ihrem eigenen System entgegenzusetzen, wenn dieUmstände es verlangen, wenn Dinge, Personen oder sogar Situationen euchdazu zwingen; und man braucht kleine Rationen von Subjektivität, man muß soviel davon aufheben, daß man auf die herrschende Realität antworten kann.“

(TP, 219/220)

23

2.2. Der organlose Körper

Die Herstellung von Subjekten über die Organisation der Körper ist ein

zentraler Moment in Tausend Plateaus. Sowie die Frage ob Subjektwerdung nur

durch den Modus der Differenzierung innerhalb eines dualen Denkens

garantiert werden kann und ob es klar definierte Subjekte braucht um zu

„sein“. Diesem Subjektwerden bieten Deleuze_Guattari die Möglichkeit an,

Körper nicht als fixe Entitäten zu begreifen, sondern diese ebenfalls in ein

„Werden“ zu übersetzen. Dafür finden sie den Begriff des „organlosen Körpers“

(oK), den sie als eine Möglichkeit sehen, individuierte Körper nicht erst durch

Kategorisierung zu Subjekten werden zu lassen, sondern diese auch als offene

Formen zu denken, als das Zusammentreffen von Kräften, Bewegungen und

Fluchtlinien. Es geht ihnen es um dieses Werden von organlosen Körpern. „Der

oK ist das, was übrigbleibt, wenn man alles entfernt hat. Und was man

entfernt, ist eben das Phantasma, die Gesamtheit von Signifikanzen und

Subjektivierungen.“32

Ein absoluter oK kann jedoch nie erreicht werden, da der oK das Werden selbst

„ist“ bzw. durch das Werden definiert wird. Er ist demnach also keine fixe

Entität und muss deshalb auch eher als ein Werden, weniger als ein

bestehender „Zustand“ oder ein „Sein“ gedacht werden. Der oK ist kein Körper,

der zu einem „[…] Wahr-Zeichen, ja zur inneren Wahrheit des Individuums

[wird].33“

32 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.208.33 Bublitz, Hannelore: „Wahr-Zeichen des Geschlechts“, 2001, Zugriff über:

http://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/kw/institute-einrichtungen/humanwissenschaften/soziologie/personal/bublitz/WahrZeichen.pdf, Zugriff am: 25.01.2014, S.1.

24

Damit ist der oK auch keine Repräsentation, sondern immer in der „Dies-Heit“

ein Werdendes, ein Ereignis. Deleuze_Guattari beschreiben ihn deshalb nicht

als etwas, das erreicht werden kann. Der oK findet nie zu einem Abschluss oder

einem Ziel. Auch geht es dabei nicht um eine „materielle“ Zerstörung des

organisierten Organismus. Der Organismus ist der eingekerbte Raum des oK

und dieser Organismus soll für diesen wieder geöffnet werden.

„Man erfindet Selbstzerstörung, die man nicht mit dem Todestrieb verwechseln darf.

Den Organismus aufzulösen, hat nie bedeutet, sich umzubringen, sondern den Körper

für Konnexionen zu öffnen, die ein ganzes Gefüge voraussetzen, Kreisläufe,

Konjunktionen, Abstufungen und Schwellen, Übergänge und Intensitätsverteilungen,

Territorien und Deterritorialisierungen, die wie von einem Landvermesser vermessen

werden.“34

Wenn Deleuze_Guattari davon sprechen, dass es von Nöten sei sich „genügend

Organismus [zu] bewahren“35 ist dies kein Widerspruch. Denn schließlich

sprechen sie auch immer wieder davon, dass auch der glatte und gekerbte

Raum, das Rhizom und der Wurzel-Baum, nicht von einander zu trennen sind.

Die Fluchtlinien sind auch im Organismus, im gekerbten Raum und dem

Baummodell vorhanden. Auch wenn sie blockiert sein mögen, so ist es doch

möglich, dass sie wieder in ihre Strombewegung übersetzt werden. Damit wird

auch jener Akt deutlich, dessen es permanent bedarf, um die Fluchtlinien zu

organisieren und zu strukturieren. Besonders deutlich beschreiben

Deleuze_Guattari diese nicht von einander zu trennenden Bewegungen, die

der Fluchtlinie und die der in einer blockierten, in einem Punkt endenden Linie,

welche jedoch auch wieder zu fließen beginnen kann.

„Man muss genügend Organismus bewahren, damit er sich bei jeder

Morgendämmerung neu gestalten kann; und man braucht kleine Vorräte an Signifikanz

und Interpretation, man muß auf sie aufpassen, auch um sie ihrem eigenen System

entgegenzusetzen, wenn die Umstände es verlangen, wenn Dinge, Personen oder

34 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.219.35 Ebenda, S.220.

25

sogar Situationen euch dazu zwingen; und man braucht kleine Rationen von

Subjektivität, man muß so viel davon aufheben, daß man auf die herrschende Realität

antworten kann.“36

Beide Denkbilder, das des Rhizoms und jenes des Wurzel-Baums, stehen nicht

in einem dualen, abgetrennten Verhältnis zueinander. Deleuze_Guattari

betonen immer wieder, dass es ihnen nicht darum geht, Dualismen zu

hinterfragen, indem sie gleichzeitig wieder binäre Strukturen und

Abhängigkeiten aufbauen.

„Wichtig ist vor allem, daß der Wurzel-Baum und das Kanal-Rhizom einander nicht wie

zwei Modelle gegenüberstehen. […] Wir benutzen den Dualismus von Modellen nur,

um zu einem Prozeß zu gelangen, in dem jedes Modell verworfen wird. Wir brauchen

immer wieder geistige Korrektoren, die die Dualismen auflösen, die wir im übrigen

nicht festlegen wollen, durch die wir nur hindurchgehen.“37

Damit ist der oK kein Nicht-Körper, kein zerstörter Körper, sondern einer, der

sich (wieder) für die Fluchtlinien geöffnet hat und diesen folgt.

„Ein Punkt ist immer ein Ursprungspunkt. Aber eine Linie des Werdens hat weder

Anfang noch Ende, weder Ausgangspunkt noch Ziel, weder Ursprung noch

Bestimmung. […] Ein Werden ist weder eins noch zwei, noch die Beziehung zwischen

beiden, sondern es ist dazwischen, die Grenze oder die Fluchtlinie, die Fallinie, die

vertikal zu beiden verläuft.“38

Das Denken des Wurzel-Baums ist im Gegensatz zum Rhizom eines, das immer

das eine vom anderen unterscheiden muss, um überhaupt sein zu können. Es

ist ein Denken in Dichotomien, ein binäres Denken, welches hierarchisch

strukturiert ist und in dem immer etwas mit etwas anderem in Beziehung

gesetzt werden muss. Egal welche Disziplin, ob nun Biologie, Linguistik oder

Psychoanalyse, sie alle sind der baumförmigen Kultur verhaftet.39 Die Ordnung

bzw. Segmentierung der Disziplinen zeugt selbst davon.

36 Ebenda, S.220.37 Ebenda, S.35.38 Ebenda, S.400.39 Vgl. ebenda, S.27.

26

2.3. Mann oder Frau

„[E]s ist nicht, oder nicht ausschließlich, eine Frage desOrganismus, der Geschichte und des Aussagesubjekts,durch die weibliche und männliche in den großendualen Maschinen einander entgegengesetzt werden.Es ist zunächst eine Frage des Körpers - des Körpers,den man uns stiehlt, um daraus Organismen zu bilden,die man einander entgegensetzen kann.“40

„Die Auftrennung in binäre Geschlechterkategoriendes Körpers und des Verhaltens, des Gehirns, desDenkens und der Fähigkeit bis hin zur dualistischenTrennung der gesellschaftlichen Geschlechterrollenund ökonomischen Bereichen, wird heute (wieder) alseinzige Möglichkeit postuliert, um den 'Kampf derGeschlechter' möglichst unblutig zu beenden. DieseArgumentation, dass eine funktionierendeGesellschaft notwendigerweise auf binärenGeschlechterkategorien beruhen muss, ist jedoch nurwirkmächtig, wenn eben jene DICHOTOMIE derZweigeschlechtlichkeit als ursprünglich, biologischdeterminiert und unveränderlich gilt – und über dieNaturalisierungsargumentation immer wiederuntermauert wird.“41

Das Disziplinieren der Polyvozitäten, dieses bi-univok oder binär machen,

beschreiben Deleuze_Guattari anhand mehrerer Dualismen. Entweder arm

oder reich, Chef oder Untergebener, Kind oder Erwachsener, Mann oder Frau,

usw.42

Mann oder Frau. Diese Entscheidung ist fest in die Wurzeln des Baumes

eingeschrieben. Der Baum erhält seine Stabilität zu einem großen Teil dadurch,

diese Dichotomie mit aller Kraft aufrecht zu erhalten um nicht das Primat

40 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.376.41 Schmitz, Sigrid: „Entweder – Oder? Zum Umgang mit binären Kategorien“,

in: Ebeling, Smilla; Schmitz, Sigrid [Hg.innen]: Geschlechterforschung und Naturwissenschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, S.333/334.

42 Vgl. Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.243.

27

dieser Differenz, Mann oder Frau zu verlieren. Der Mann als die molare Entität

par excellence, als ein zentraler Punkt des Gesetzes der baumartigen

Ordnung.43 „[D]as Rhizom dagegen bedeutet eine Befreiung der Sexualität,

nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzung, sondern auch im Hinblick auf

Genitalität. Bei uns ist der Baum in die Köpfe eingepflanzt, und er hat sogar die

Geschlechter verhärtet und in Schichten aufgeteilt.“44 Diese Genitalität, welche

es zu befreien gilt, wird auch bei Hannelore Bublitz erwähnt. Auch hier sind es

„[e]inzelne Körperteile und -elemente, die im Rahmen einer symbolischen

Ordnung 'Geschlechtsorgane' darstellen sollen, [die] als Wahr-Zeichen des

Geschlechts [gelten].“45 Der Dualismus der Geschlechter wird in Tausend

Plateaus als eine Notwendigkeit des Baumes beschrieben. Der Mann ist dabei

der zentrale Punkt des Baummodells, von dem alles andere unterschieden

wird. Der Mann als „ das Gesicht“, von dem aus die abstrakte Maschine des

binären Denkens alle Entscheidungen fällt und anderes auf Grund dessen erst

bezeichnet. Deleuze_Guattari sprechen hierbei von dem Gesicht Christi, auf

dem der „Standard“, die Mehrheit beruht:

„[…] weiß, männlich, erwachsen, „vernünftig“ etc., kurz gesagt, der

Durchschnittseuropäer, das Subjekt der Äußerung. Nach dem Gesetz der baumartigen

Ordnung ist es dieser zentrale Punkt, der sich im ganzen Raum oder auf dem ganzen

Schirm verschiebt und jedesmal einen deutlichen Gegensatz hervorbringt, je nach dem

Merkmal von Gesichthaftigkeit, das beibehalten wird: männlich-(weiblich),

Erwachsener-(Kind), weiß-(schwarz, gelb oder rot), vernünftig-(Tier). Der zentrale Punkt

[…] hat also die Eigenschaft, in den dualen Maschinen binäre Verteilungen zu

organisieren um sich im Hauptterm des Gegensatzpaares zu reproduzieren, während

der ganze Gegensatz gleichzeitig in ihm mitschwingt.“46

Das Gesicht wird als eine der Grundlagen von Signifikanz und Subjektivierung in

43 Vgl. ebenda, S.398.44 Ebenda, S.32.

45 Bublitz: „Wahr-Zeichen des Geschlechts“, S.1.46 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.398.

28

Tausend Plateaus beschrieben. Das Gesicht, oder auch eine Gesichthaftigkeit,

bedingen sowohl sie Signifikanz der Sprache als auch die Subjektivierung. Denn

ohne die Gesichthaftigkeit würde „Jemand“ kein molares und damit definiertes

und abgeschlossenes Sein „besitzen“. Hier ist es besonders wichtig, wieder auf

jene „Standard Mehrheit“, welche mit der Gesichthaftigkeit verbunden ist und

auf ihre normativen Einkerbungslinien zu verweisen. Denn:

„Gesichter sind zunächst nicht individuell, sie bestimmen Frequenz- oder

Wahrscheinlickeits-Bereiche und grenzen ein Feld ein, das Gesichtsausdrücke und

Konnexionen, die mit den entsprechenden Signifikationen nicht übereinstimmen, von

vornherein neutralisiert. Auch die Form der bewußten oder leidenschaftlichen

Subjektivität bliebe völlig leer, wenn Gesichter keine Resonanzböden bilden würden,

die das mentale oder empfundene Reale selektieren und es von vornherein an eine

vorherrschende Realität anpassen.“47

Das Gesicht beschreibt also das, was im ersten Moment von einer abstrakten

Maschine, die dem Wurzel-Baum-Denken nahe steht, erschaffen wird um dann

zu entscheiden, ob das Gesicht zuzuordnen ist oder nicht. Entscheidungen, wie

mit Nicht-Zuordnenbarkeit umgegangen wird, können eine Integration der

Abweichungen in die Maschine bedeuten, indem sie bi-univoke Beziehungen zu

den normierten Gesichtern herstellt bzw. jene Normen herstellt, über die erst

Gesichter generiert werden können. Kann also ein Gesicht in weder Mann noch

Frau gerastert werden, kommt es innerhalb der abstrakten Maschine zu keiner

weiteren Bezeichnung, die außerhalb jener binär-organisierten

Geschlechterordnung anzusetzen wäre. Eine andere Kategorie wird vielleicht

erschaffen, diese steht jedoch immer in Verbindung zu Mann oder Frau. Nichts

kann ohne dies bezeichnet werden. Immer wieder muss auf diesen „Umstand“

dieser Dichotomie verwiesen werden, um das „Andere“ innerhalb dieses

Denkens, erkennbar werden zu lassen.

47 Ebenda, S.230.

29

„S chachfiguren sind codiert, sie haben ein inneres Wesen oder ihnen

innewohnende Eigenschaften, aus denen sich ihre Bewegungen, Stellungenund Konfrontationen ergeben. Sie haben bestimmte Eigenschaften, derSpringer bleibt ein Springer, der Bauer bleibt ein Bauer, der Läufer bleibt einLäufer. Jede Figur ist so etwas wie ein Aussagesubjekt, das eine relative Machtbesitzt; und diese relativen Mächte verbinden sich in einem Äußerungssubjekt,also entweder im Schachspieler selber oder in der inneren Form des Spiels. Go–Steine dagegen sind nur Plättchen, Steine, einfache arithmetische Einheiten,und sie haben nur eine kollektive, anonyme Funktion, die in der dritten Personausgedrückt wird: „es“ rückt vor, und das kann ein Mann, eine Frau, ein Flohoder ein Elefant sein. Die Go-Steine sind Bestandteile eines nicht-subjektivierten, maschinellen Gefüges und sie haben keine ihneninnewohnenden, sondern nur situationsbedingte Eigenschaften. Deswegensind auch die Beziehungen in beiden Fällen ganz anders. Durch die ihneninnewohnenden Eigenschaften haben Schachfiguren bi-univoke Beziehungenuntereinander und zu den Figuren des Gegners, ihre Funktionen sindstruktural. Ein Go-Stein dagegen hat nur ein äußeres Umfeld und äußerlicheBeziehungen zu diffusen Anhäufungen oder Konstellationen, und durchEinfügen oder Setzen erfüllt er entsprechende Aufgaben, zum Beispielbegrenzen, einkreisen, zerschlagen. Ein einzelner Go-Stein kann gleichzeitigeine ganze Konstellation zerstören, während eine Schachfigur das nicht kann(oder nur Schritt für Schritt). Schach ist tatsächlich Krieg, aber eininstitionalisierter, geregelter, codierter Krieg mit einer Front,Rückzugsgefechten und Schlachten. Dagegen ist ein Krieg ohne Schlachtlinie,ohne Zusammenstöße und Rückzüge, sogar ohne Schlachten typisch für Go. Esist reine Strategie, während Schach eine Semiologie ist. Und schließlich handeltes sich auch nicht um den selben Raum. Beim Schach geht es darum, sich einenbegrenzten Raum einzuteilen, also von einem Punkt zum anderen zu gehen,eine maximale Anzahl von Feldern mit einer minimalen Anzahl von Figuren zubesetzen. Beim Go geht es darum, sich einen offenen Raum einzuteilen, denRaum zu halten und sich die Möglichkeit zu bewahren, an irgendeinem Punktüberraschend aufzutauchen: die Bewegung geht nicht mehr von einem Punktzum anderen, sondern wird beständig, sie hat kein Ziel und keine Richtung,keinen Anfang und kein Ende. Der „glatte“ Raum des Go-Spiels gegen den„eingekerbten“ Raum des Schachspiels. Der Nomos des Go gegen den Staat desSchach, Nomos gegen Polis. Beim Schach wird der Raum codiert und decodiert,während Go ganz anders verfährt und den Raum territorialisiert unddeterritorialisiert […]“

(TP, 483/484)

30

3. Das digitale Spiel

Im Laufe des folgenden Kapitels soll über das Medium digitales Spiel und

dessen spezifische Eigenschaften im Zusammenhang mit dem Begriff des

Gefüges nach Deleuze_Guattari sowie mit Dieter Merschs Begriff der

Entscheidungslogik nachgedacht werden. Die Vorstellung vom digitalen Spiel

als Gefüge ermöglicht es, dieses strikt binär organisierte Medium für das

Molekulare zu öffnen indem das Paradox des Digitalen, wie Mersch es nennt,

mit dem Denkbild der Fluchtlinien in Verbindung gebracht wird. Weiters

scheint es sinnvoll den Avatar48 als Immersionsstrategie näher zu betrachten,

da sich hier eine subjektkritische Auseinandersetzung ergibt und die

Wirkungsweise einer abstrakten Maschine sichtbar wird sowie die Organisation

des molaren Raums digitales Spiel.

48 Bei der Ausseinandersetzung mit digitalen Spielen, wird von verschiedenen Immersionsstrategien gesprochen. Als Beispiel kann hierzu Britta Neizls Text herangezogen werden: „Involvierungsstrategien des Computerspiels“, in: GamesCoop [Hg.innen], Theorien des Computerspiels zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag, 2012, S.75-101.

31

3.1. Das Medium als Gefüge

Das digitale Spiel ist trotz seiner technischen Abgeschlossenheit ein Gefüge.

Ähnelt es doch in dem Sinne anderen Medien, wie dem Film, dem Buch, der

Leinwand usw. Sie alle sind in ihrer Materialität in sich geschlossen, grenzen

sich von einem „Außen“ ab und „funktionieren“ als Medium nur durch deren

Struktur gewordenen Regeln. In Tausend Plateaus nähern sich Deleuze_Guattari

dem Gefüge anhand eines Mediums an, welches in seiner Struktur linear ist:

dem Buch. Dies tun sie nicht nur, indem sie über das Buch als Gefüge schreiben,

sondern auch, indem sie selbst in ihrem Buch Tausend Plateaus das Lineare mit

ihrem Denkbild des Rhizoms zusammen bringen: Tausend Plateaus ist der

Versuch, die Linearität des Buches aufzubrechen, es lesbar zu machen, egal, wo

es aufgeschlagen wird. Zusätzlich ist es auch nicht möglich, Aussagen auf einen

der beiden Autoren zurückzuführen. Sie sind nicht als voneinander getrennte

Autoren sichtbar, auch können weder Kapitel noch Textpassagen entweder

Deleuze oder Guattari zugeordnet werden.49

„Als Gefüge besteht es selber [das Buch] nur in Verbindung mit anderen Gefügen,

durch die Beziehung zu anderen organlosen Körpern. […] [M]an soll in einem Buch

nicht etwas verstehen, sondern sich vielmehr fragen, womit es funktioniert, in

Verbindung mit was es Intensitäten eindringen läßt oder nicht, in welche

Mannigfaltigkeiten es seine eigene einführt und verwandelt, mit welchen organlosen

Körpern es seinen eigenen konvergieren läßt. Ein Buch existiert nur durch das und in

dem, was ihm äußerlich ist.“50

Die abgeschlossene Programmstruktur des digitalen Spiels, seine materiellen

Grenzen und damit vorgegebenen Strukturen gleichen demnach dem Buch.

Beide sind trotz ihre materiellen Grenzen nicht abgeschlossen.

49 Deshalb ist auch in dieser Arbeit nicht von Deleuze und Guattari die Rede, sondern schlicht von Deleuze_Guattari.

50 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.13.

32

Zusammenfassend schreibt David Heckman über Deleuze_Guattaris' Gefüge

Begriff:

„The beauty of the assemblage [Gefüge] is that, since it lacks organization, it can draw

into its body any number of disparate elements. The book itself can be an assemblage,

but its status as an assemblage does not prevent it from containing assemblages

within itself or entering into new assemblages with readers, libraries, bonfires,

bookstores, etc.“51

Gibt es beim digitalen Spiel zwar keine_n Leser_in, so doch die_der Spieler_in.

Und sind es keine Lagerfeuer, so sind es beim digitalen Spiel Onlinespiele. Sind

es nicht die Archive, gibt es diverse online Archivprojekte für die Bereitstellung

„alter“ Spiele wie Abandonia52 oder Plattformen wie newgrounds.com, auf der

sich die unterschiedlichsten Mini Indie Games einer immer größer werdenden

Community finden lassen, abseits von AAA Games und damit abseits der

großen Konzerne. Und auch für Buchläden gibt es schon lange ein Pendant. Es

gibt Gameshops analog wie digital. Auch können Buch und digitales Spiel im

selben Laden erworben werden, dasselbe gilt auch für viele Videotheken, in

denen Filme und digitale Spiele schon seit Jahren nebeneinander stehen. Somit

kann das Gefüge digitales Spiel trotz seiner technischen Abgeschlossenheit in

andere Gefüge eindringen, sie durchdringen und es wird auch durch andere

durchkreuzt im Dazwischen, welches sich mathematisch nicht errechnen und

beschränken lässt.

Hier ist es hilfreich, sich dem Begriff des Nomaden nach Deleuze_Guattari

zuzuwenden, der mit dem von Mersch beschriebenen Paradox zusammen

gebracht werden kann. Es geht darum, wie aus einem scheinbar geschlossenen

System etwas entstehen kann, was vom System selbst nicht beschrieben

werden kann.

51 Heckman, David: „Capitalism, the War Machine, and the Pokemon Trainer. Glossary: Assemblage“, Zugriff über: http://www.rhizomes.net/issue5/poke/glossary.html, Zugriff am: 30.06.2014.

52 http://www.abandonia.com/, Zugriff am: 27.6.2014.

33

„Der Nomade hat ein Territorium, er folgt gewohnten Wegen, er geht von einem Punkt

zum anderen, ihm sind die Punkte (Wasserstellen, Wohnorte, Versammlungspunkte

etc.) nicht unbekannt. Aber die Frage ist, was ein Prinzip des nomadischen Lebens ist

und was nur eine Folge. Zunächst einmal sind die Punkte, selbst wenn sie die Wege

bestimmen, den Wegen, die sie bestimmen, streng untergeordnet, im Gegensatz zu

dem, was bei den Seßhaften vor sich geht. Die Wasserstelle ist nur da, um wieder

verlassen zu werden, jeder Punkt ist eine Verbindungsstelle und existiert nur als

solche.“53

Damit ist das digitale Spiel, um spielbar zu sein, auf seine festgeschriebenen

Algorithmen angewiesen und bleibt technisch immer auf seine Grundstruktur

der Nullen und Einsen, seine Entscheidungslogik, beschränkt. Etwas kann nur in

einer bestimmten Weise, ein Punkt nur auf einem festgelegten Weg erreicht

werden. Außerhalb dieses Weges, kann das Spiel nicht gespielt werden. Doch

schließen diese strikten Wege alles „andere“ nicht aus, sondern erzeugen es

gleichsam. Navigiere ich durch das Spiel, treffe ich Entscheidungen, die voll in

die Programmstruktur eingebettet sind und kein Außerhalb kennen, so

befindet sich zwischen all diesen Entscheidungen ein Weg. Denn „[e]in Weg

liegt immer zwischen zwei Punkten, aber das Dazwischen hat die volle

Konsistenz übernommen und besitzt Selbstständigkeit wie eine eigene

Richtung.“54 Der Weg ist hier das Paradox, das sich im Spiel ereignen kann, sich

aber nicht ereignen muss.

53 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.522.54 Ebenda, S.522/523.

34

3.2. Entscheidungslogik

Für Dieter Mersch ist es die Entscheidungslogik, welche das digitale Spiel von

anderen Medien grundlegend unterscheidet. Auf dieser Logik basieren sowohl

die spezifischen Aktions- und Navigationsstrukturen, als auch die

performativen Handlungen der Spieler_innen.55 All diese lassen sich

grundsätzlich auf die binären Entscheidungsprozesse des Digitalen

zurückführen. Immer geht es um ein „so oder so“, ein „entweder - oder“, „dort

oder da hin“. Die Narration eines Spiels kann allein erst durch diese

Entscheidungslogik entstehen. Findet keine Entscheidung statt, so entwickelt

sich auch kein Spiel.56 Dieter Mersch beschreibt die Entscheidungslogik als

darauf beschränkt, lediglich dies zu entscheiden, was in endlichen Algorithmen

als mathematischer Rahmen des digitalen Spiels festgelegt ist. Es gibt kein

„Algorithmus-Anderes“ wie es Mersch benennt:

„Reichweite und Grenzen des Computerspiels verdanken sich daher der vollständigen

digitalen Durchdringung, die impliziert, dass, unter Absehung der physikalischen

Hardware-Bedingungen, kein »Algorithmus-Anderes«, kein Externes ihrer Mathematik

existiert.“57

Es kann nur dort entschieden werden, wo etwas berechnet werden kann, wo

laut Mersch also schon die Lösbarkeiten von Problemen implementiert,

durchdacht und schon in die Programmstruktur selbst eingeschrieben sind.

Diese Entscheidungen stützen sich auf ein „entweder – oder“, basieren auf

einer binären Codierung, die allen Elementen des digitalen Spiels zugrunde

liegt, diese völlig durchdringt. Außerhalb dieser Codierung ist es nicht möglich,

55 Vgl. Mersch, Dieter: „Logik und Medialität des Computerspiels. Eine medientheoretische Analyse“, in: Distelmeyer, Jan; Hanke, Christine; Mersch, Dieter [Hg.innen]: Game over!? Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld: transcript Verlag, 2007, S.35ff.

56 Vgl. ebenda, S.32/33.57 Ebenda, S.35.

35

Entscheidungen zu treffen. Jene, die spielen, müssen daher ihr Denken dem

Programm anpassen, entlang dessen binärer Struktur, dessen

Entscheidungslogik spielen.58

Zwar ist es möglich, digitale Spiele „gegen den Strich zu spielen“,

umzumodellieren, scheinbar zu manipulieren, jedoch bleiben sie immer in ihrer

digitalen und damit binären Struktur verhaftet. Damit sind, wenn mit Mersch

argumentiert wird, auch MODs59 immer an die schon vorgegeben Algorithmen

gebunden. Zwar wird auf der Oberfläche z.B. die Narration verändert, jedoch

kann dies immer nur in den schon implementierten, endlichen Algorithmen

geschehen. Resultiert die Modifikation des Spiels in einem mathematischen

Fehler, also Programmfehler, kommt es zu einem Bruch mit dem Spiel. Denn

dort, wo nicht mehr gerechnet werden kann, kann auch nicht mehr gespielt

werden.

// SYNTAX ERROR //

Das Programm kann sich nicht mehr entscheiden, der Algorithmus ist nicht zu

Ende gedacht. Der Befehl läuft damit ins Leere. Vielleicht sind es jene

Momente digitaler Spiele, in denen das tertium non datur ganz offensichtlich

wird. Nämlich so, dass es genau hier erkennbar wird, dass ein Drittes immer

aktiv (d.h. in diesem Fall nicht willkürlich oder zufällig) ausgeschlossen werden

muss, das Binäre nur eine Form der Differenzierung darstellt, um das System

digitales Spiel überhaupt erst Medium werden zu lassen, „[…] ein Medium, das

sich allererst der »Logik« und den Potentialitäten des Digitalen verdankt, das

58 Vgl. ebenda. S.36.59 Als MODs werden von Nutzer_innen modifizierte Spiele bezeichnet. Das reicht

von einem „Gegen den Strich Spielen“, bis zum bewussten ausnützen von Programmfehlern (Bugs), bis hin zum aktiven Eingriff in die Programmstruktur von Expert_innen.

36

ohne den binären Schematismus, seine Algorithmen und Techniken nicht

existierte.“60 Die damit einhergehende Differenzierung, anders gesagt die

„Strukturierung des Offenen“61, ist es, wozu das Medium in der Lage ist. Somit

bedingen sie sich wechselseitig. Das Medium differenziert, gleichzeitig kann es

gerade erst durch dieses Differenzieren zum Medium werden und in Folge

dessen Gegenstände hervorbringen. In dieser binären Programmstruktur

scheint sich nun alles ereignen zu können, doch gerade dieses „sich ereignen“

kann sich nur auf der Basis von Ausschluss vollziehen. Damit bleibt in digitalen

Medien, laut Mersch, immer ein unberechneter Rest vorhanden, das er auch als

etwas „Sichentziehendes“62 beschreibt.

Dass die Entscheidungslogik das Fundament des digitalen Spiels bildet, ist laut

Mersch an zwei zentralen Paradigmen ablesbar. Diese aus „[…] der

durchgängigen, dem digitalen Schema korrespondierenden

entscheidungslogischen Grundlage des Spiels […]“63 hervorgehenden

Paradigmen sind zum einen die Bild- und Raumstruktur und zum anderen die

Verknüpfung von Narrativität und Performativität. Für Mersch handelt es sich

bei den Bild- und Raumstrukturen nicht um Abbildungen oder

Repräsentationen von schon „real“ Vorhandenem64, sondern dem Errechnen

und damit Ereignen im Augenblick. Demnach sind es für Mersch keine

Abbildungen, die das Digitale produziert, sondern simulative Bilder, die

dadurch auch an eine Zeitlichkeit gebunden sind und erst in der Zeit, also in

Echtzeit entstehen. An dieser Stelle wird auch die mathematische Struktur

digitaler Spiele relevant, seine in sich Geschlossenheit. Es kann nichts von

60 Mersch: „Logik und Medialität des Computerspiels“, S.21.61 Vgl. Mersch, Dieter: „Wort, Zahl, Bild und Ton: Schema und Ereignis“,

Vortrag im Rahmen von MoMo Berlin Philosophischer Arbeitskreis, Zugriff über: http://www.momo-berlin.de/files/momo_daten/dokumente/Dieter%20Mersch%20-%20Schema%20und%20Ereignis.pdf, Zugriff am: 30.06.2014, S.4.

62 Ebenda, S.6.63 Mersch: „Logik und Medialität des Computerspiels“, S.21.64 Vgl. ebenda, S.24.

37

„außen“ abgebildet werden, „[…] vielmehr ist das, was sichtbar „ist“, die

Funktion einer mathematischen Konstruktion.“65 Mit diesem Gedanken stellt

Mersch die These auf, dass das digitale Spiel demnach bestenfalls als

Nachahmung des Indexbildes gelten kann, da es keine „Spuren“ hervorbringt,

es nicht, wie in Film und Photographie, etwas zeigt, was gewesen ist und damit

in der Vergangenheit liegt. Im digitalen Spiel haben wir es nicht mit

Gedächtnisbildern zu tun, sondern mit der „[…] Ästhetik eines Gegenwärtigen,

das auf nichts anderes verweist als auf die Performanz des Spiels selbst.“66

Diese Gegenwärtigkeit kann auch mit den Worten Sybille Krämers verdeutlicht

werden. Sie schreibt: „Ziffern algorithmisch zu manipulieren, stellt ein

Zahlenrechnen nicht bloß dar, sondern ist ein Zahlenrechnen.“67

Dabei bezieht sie sich zwar auf das Rechnen mit Bleistift und Papier, jedoch gilt

dasselbe für das Rechnen des Computers. Das Errechnen ist ein Sich-Ereignen.

Dieses ist nicht nur eine Darstellung von Rechenschritten, sondern das digitale

Spiel selbst ist ein Zahlenrechnen, es errechnet sich im Augenblick. Dadurch

entsteht diese spezifische Performanz, die dort entsteht, wo entschieden und

damit gerechnet wird. Das Medium digitales Spiel basiert auf mathematischen

Rechenschritten, welche wiederum in ihrem Kern aus endlichen ja/nein

Operationen bestehen.

„Endlich“ sei an dieser Stelle ebenfalls noch einmal angesprochen, denn Räume

im digitalen Spiel sind gerade durch deren entscheidungslogische Grundlage

zur Endlichkeit bestimmt. Mögen manche Spiele noch so unendlich erscheinen,

wird diese Unendlichkeit nur durch sich immer wieder errechnende

Wiederholungen suggeriert. „Unendlichkeit im Spiel erweist sich aus diesem

65 Ebenda, S.23.66 Ebenda, S.24.67 Krämer, Sybille: „Simulation und Erkenntnis“, 2009, Zugriff über:

http://userpage.fu-berlin.de/~sybkram/media/downloads/Simulation_und_Erkenntnis.pdf, Zugriff am: 30.06.2014, S.5.

38

Grunde [da sie mathematische Spiele sind] als eine Funktion der Rekursivität

endlicher Algorithmen […].“68 Die Programmstruktur ist demnach

abgeschlossen, es gibt keinen Raum, der davor oder danach liegen würde. Das

System kann sich nur in sich selbst „erneuern“, Algorithmen verschieben und

sich damit transformieren. Damit wird, laut Mersch, auch die Wiederholung zu

einer Funktion, die nicht nur in der Programmstruktur, sondern auch in der

Spieldramaturgie eine zentrale Form darstellt.69 Die Wiederholung entsteht

gerade durch die leichte Verschiebung der Algorithmen, beispielsweise die

Spiel-Levels. Zwar kann hier eine Anhebung der Schwierigkeitsstufen feststellt

werden oder Variationen der Spielumgebungen, jedoch ändert das nichts an

der zugrunde liegenden Logik. Diese bleibt immer dieselbe. Die Algorithmen

ändern sich nicht, sie beruhen weiterhin auf dem performativen Akt des „Sich-

Entscheiden-Müssens“.

Diese Entscheidungen werden im Spiel besonders deutlich, wenn erkannt wird,

dass die Narration digitaler Spiele eins ist mit der Entscheidung, Geschichten

sich ereignen, indem sich entschieden wird, ein Spiel dort weiter geht, wo

die_der Spieler_in eine Entscheidung fällt.70 Und dies tut sie_er in jedem

Moment, in Echtzeit, während sie_er sich das Spiel dadurch erspielt, indem

sie_er sich durch das Spiel navigiert. Somit kann nach Mersch nur dort, wo das

Spiel Wahlmöglichkeiten zulässt, sich Schwellenorte ergeben, Narration

entstehen. Mit Schwellenorten bezeichnet Mersch Türen, Gänge u.ä., also Orte,

an denen die entscheidungslogische Dramatik der Handlung im Spiel in

Erscheinung tritt.71 In dem die_der Spieler_in sich durch das Spiel navigiert,

ereignet sich zugleich die Geschichte des Spiels. Deshalb beschreibt Mersch

auch das Labyrinth als topologisches Äquivalent digitaler

68 Mersch: „Logik und Medialität des Computerspiels“, S.36.69 Ebenda, S.36/37.70 Vgl. ebenda, S.24/25.71 Vgl. ebenda, S.25.

39

Entscheidungssituationen.72 D.h. für Mersch ebenfalls, dass „Bewegungen im

Raum entscheidbaren Formaten folgen müssen, […] das gilt auch für offene

Räume: Labyrinthische Kartierungen bilden das privilegierte Raumschema

digitaler Spiele; sie sind […] das genuine Produkt von Programmstrukturen

[.]“73 Demnach entscheiden sich nicht die Autor_innen einer Geschichte sich

einer bestimmten narrativen Form zu bedienen, die der Form des Labyrinths

ähnelt, sondern der Programmstruktur ist diese Form schon eingeschrieben

und nur auf diesem Wege kann mit ihr etwas erzählt werden. Digitale Spiele

folgen „[…] keinem narrativen Schema oder einer symbolischen Ordnung,

vielmehr gehorchen sie der binären Logik der Spielabläufe selber […].“74

Als „Phantasma der Souveränität“75 beschreibt Dieter Mersch die Vorstellung

der Spieler_innen, dem Spiel souverän gegenüber zu stehen, also den Glauben,

durch das Bedienen von Controllern (Tasten, Mouse usw.) das Spiel zu steuern,

es aktiv zu beeinflussen. Phantasma deshalb, da dem Digitalen die binäre

Struktur der Entscheidung bereits eingeschrieben ist. Nur auf Basis der

Entscheidung der Spielenden kann es, mit Mersch, zu narrativer Handlung

kommen. Damit ist die Entscheidung, die aktive Beeinflussung des Spiels durch

die_den Spieler_in, laut Mersch, kein Akt der Souveränität, sondern ein

notwendiger Akt, der von der Spielstruktur immer schon vorausgedacht ist. Im

Verlauf des Spiels ist es niemals möglich, sich für eine Option außerhalb der

Programmstruktur zu entscheiden. In diesem Zusammenhang verweist Mersch

auf Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb des digitalen Spiels: Ermöglicht

beispielsweise ein Dialog dem Anschein nach mit anderen Figuren, d.h. dadurch

mit dem Spiel, zu kommunizieren, um damit das Spielgeschehen maßgeblich zu

beeinflussen, handelt es sich auch hierbei lediglich um das Phantasma der

Souveränität, denn

72 Ebenda, S.24.73 Ebenda, S.24.74 Ebenda, S.25.75 Ebenda, S.32.

40

„[…] jede Kommunikationsmöglichkeit erweist sich als ebenso computergeneriert wie

computerkontrolliert und damit auch restringiert. […] Darum kann keine Figur in einen

Dialog verwickelt werden, weil kreative oder überraschende Reaktionen strukturell

nicht implementierbar erscheinen – notwendig bleiben sie unterhalb von Autonomie

und Freiheit einem entscheidungslogischen Schematismus verhaftet.“76

76 Ebenda, S.31.

41

3.3. Paradox/Fluchtlinie

Gerade das Unberechenbare, das Sichentziehende welches zwar im SYNTAX

ERROR vollkommen zu sich kommt, soll als das von Dieter Mersch besprochene

„Paradoxon“ beschrieben werden. Denn obwohl „[…] wir es mit einer Differenz

zu tun [haben], die untilgbar in die technischen Konstruktionen und ihren

Apparaturen eingeschrieben bleibt […]“77, entsteht genau dort jenes Paradox,

welches in der „[…] Indirektheit seines Zeigens […] allererst die

Aufmerksamkeit für die Differenz [öffnet].“78 Es kann gesagt werden, dass das

Spiel hier seine dichotome Form nicht mehr verbergen kann, es seine eigentlich

„reduzierte“79 Programmstruktur preisgibt. Damit wird auch deutlich, dass das

Netz an Möglichkeiten, das das digitale Spiel aufspannt, endlich ist, auch wenn

das Medium so oft mit dem Gedanken an die Unendlichkeit verknüpft wird.

Genau das kritisiert Dieter Mersch am digitalen Spiel:

„[…] schließlich entwickelt sich jedes Spielgeschehen zwar zwischen kaum

ausschöpfbaren Alternativen, doch bleiben diese als Wahlalternativen innerhalb eines

fest gefügten Registers von Verzweigungen, zwischen denen sich entschieden werden

muss. Was demnach die vermeintliche, innovative Verbindung zwischen Visualität,

Narrativität und Performativität im Spiel öffnet, schließt die Entscheidungslogik und

die Geschlossenheit des mathematischen Systems wieder aus.“80

Dass Mersch in diesem Text diesen Umstand eines geschlossenen

mathematischen Systems alleine für das Digitale attestiert, ist ebenfalls

bemerkenswert. Denn auch analoge Spiele, wie zum Beispiel das Schachspiel,

77 Mersch, Dieter: „Kunstmaschinen. Zur Mechanisierung von Kreativität“, 2005, Zugriff über: http://www.dieter mersch.de/download/mersch.kunstmaschinen.pdf, Zugriff am: 06.02.2014, S.15.

78 Ebenda, S.16.79 Eine Reduziertheit deshalb, da das digitale Spiel auf ja/nein Operationen

beruht.80 Mersch: „Logik und Medialität des Computerspiels“, S.37.

42

funktionieren allein innerhalb ihres Systems, ihrer Geschlossenheit. Spannend

ist Merschs Kritik an der Geschlossenheit des digitalen Spiels deshalb, weil er

mit dieser Argumentation dem digitalen Spiel sozusagen den „Kunstcharakter“

abspricht: Während er sich in Kunstmaschinen. Zur Mechanisierung von

Kreativität mit Momenten möglicher Kreativität in Form des Paradoxen

digitaler Maschinen beschäftigt, scheint er diese Möglichkeit für das digitale

Spiel nicht zu erkennen. Vielmehr schließt er mit der Bemerkung, dass „[…] das

Beunruhigende an digitalen Spielen […] nicht ihr Gewaltpotential [sei], sondern

die implizierte Vorschrift im Denken, die jede Kreativität auf ihr Raster

engführ[e].“81 Trotz dieser von Mersch vollzogenen Trennung in „digitale

Kunstmaschinen“ und digitale Spiele, soll hier der Vorschlag gemacht werden,

auch digitale Spiele auf die Bedingungen möglicher Kreativität hin zu

untersuchen, die laut Mersch zu definieren sind als:

„[…] der unbestimmbare Zwischenraum, die Klüfte oder Interferenzen zwischen dem

Entscheidbaren und dem sich jeder Unterscheidung zwischen Entscheidbarkeit und

Unentscheidbarkeit Verwehrende, wie auch das Chiastische jener Brüche, die

überhaupt erst die Möglichkeit von Unterscheidung und entsprechend von

Entscheidbarkeit zulassen […]“82

Mersch bezeichnet die Möglichkeit zur Kreativität als eine Paradoxie, da das

digitale System absolut an seine Binarität gebunden ist und bleibt. Die

Gebundenheit an die binäre Programmstruktur ist unhintergehbar, soll das

System nicht seiner Funktionalität beraubt werden. Trotzdem entsteht aus der

Programmstruktur etwas nicht Digitalisierbares, welches sich dem System

entzieht, obwohl es aus diesem heraus entstanden ist. Dieses Paradox ist es,

welches im „Rahmen der Entscheidbarkeiten“ eine Kluft eröffnet, in der sich bei

aller Berechenbarkeit das Unberechenbare ereignen kann.83

81 Ebenda, S.37.82 Mersch: „Kunstmaschinen. Zur Mechanisierung von Kreativität“, S.15.83 Vgl. ebenda, S.14.

43

„Die Paradoxie behauptet diesen Rang [etwas nicht Digitalisierbares hervorbringen zu

können], weil sie insbesondere die Binarität der digitalen Systeme durchquert und

sprengt und so auf deren Anderes, Nichtdichotomes und damit auch

Nichtdigitalisierbares hindeutet. Deshalb bezeichnen Paradoxien die vorzüglichsten

Mittel, die Maschine hinter dem Vorrang durch Witz, Ironie oder katachretische

Intervention „hinters Licht zu führen“ und auf diese Weise zu enttarnen.“84

Anders gesagt „[…] beruht […] die Relevanz des Paradoxen nicht im

Widerspruch selbst, den es mit sich führt, sondern in der Indirektheit seines

Zeigens. Es gleicht einem Wink, einer Weisung, ohne freilich mitzuzeigen,

worauf es verweist.“85 Gerade dieses Mitzeigen gilt es im digitalen Spiel zu

betrachten. Jene Momente, die sich der Maschine entziehen, sich nicht

digitalisieren lassen.

84 Ebenda, S.15.85 Ebenda, S.16.

44

3.4. Immersion durch Subjektivierung im digitalen Spiel

Der Avatar86 wird bei der Untersuchung von digitalen Spielen als einer jener

Bestandteile beschrieben, welcher es der_dem Spieler_in ermöglicht, in das

digitale Spiel „einzutauchen“87, durch den es möglich ist, die Immersion des

digitalen Mediums zu verstärken. Immersion ist jedoch etwas, worüber auch im

Zusammenhang mit anderen Medien gesprochen wird. Beim Film

beispielsweise, kann der Blick der Kamera als immersionsförderndes Mittel

betrachtet werden, in der Malerei eine bestimmte Perspektive, in einem Buch

die Erzählform. Im digitalen Spiel kann nun auch von ähnlichen

Immersionsstrategien ausgegangen werden. Der Avatar als Stellvertreter der

Spieler_innen, als Protagonist einer Geschichte, den die_der Spieler_in „lenken“

kann, soll hier besprochen werden. Als aktuelles kommerzielles Beispiel, soll an

dieser Stelle Sonys PS3 Serie LittleBigPlanet88 behandelt werden. Hier nimmt

die Tätigkeit der Gestaltung des Avatars eine zentrale Rolle ein. Die

Spieler_innen können aus scheinbar unzähligen Optionen das Aussehen des

„neutralen“ Sack-Avatars89 wählen. Der Sack erhält dadurch über seine „rohe“

Form hinaus einen „Charakter“. Dabei geht das Auswahlspektrum über Farben

weit hinaus. Es gibt unzählige Stoffmuster, Knöpfe, Kopfbedeckungen, Brillen,

Kostüme und Accessoires, die es dem_der Spieler_in ermöglichen, einen „ganz

individuellen“ Sack-Avatar herzustellen, den Sack zur „individuellen“

86 Als Avatar wird die digitale Repräsentation einer Person im digitalen Spiel bezeichnet. Im Glossar von „Theorien des Computer-spiels“ findet sich diese Definition: „Avatar Bezeichnet verschiedene Formen grafischer Stellvertreterdes Spielers und kann allgemein als >Spielfigur< verstanden werden. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Sanskrit und bezeichnet eine irdische, körperliche Inkarnation Gottes.“ (S.205)

87 lat. Immergere: verschmelzen, eintauchen88 Spiele der LittleBigPlanet-Serie erscheinen seit 2008, Sony Computer

Entertainment89 Hier handlet es sich tatsächlich um einen Avatar gewordenen Stoff-Sack.

45

Repräsentationsfigur des_der Spieler_in im LittleBigPlanet-Universum zu

machen. Das Aussehen kann zudem jederzeit geändert werden. Zusätzlich

können innerhalb der Spiele weitere Individualisierungsmöglichkeiten

gesammelt oder auch über den Sony Online-Store erworben werden. Die

Individualisierung des Avatars als eine Strategie, den_die Spieler_in an das Spiel

zu binden, ist in LittleBigPlanet bis ins kleinste Detail ausgeführt. Es ist

beispielsweise möglich, das Gesicht des Sacks, via Controller, zu steuern und

somit Emotionen auszudrücken. Wenn die Spieler_innen nun z.B. in

LittleBigPlanet-Karting gegen computergenerierte Figuren spielen, tragen

diese meist einen Pappkarton am Kopf, sodass ihr Gesicht nicht zu sehen ist. Sie

können also auch keine Emotionen zeigen und sind demnach keine

„Individuen“. Dadurch werden sie als die „Anderen“ markiert. LittleBigPlanet ist

ein Spielkonzept, welches zentral auf der Immersion durch Subjektivierung

beruht. Hier werden Subjekte hergestellt, die sich von „Anderen“ durch ihre

„Individualität“ abgrenzen, indem sie jedoch wiederum aus einem schon

vorgegebenen Baukasten diese „Identität“ kreieren.

3.4.1. „Zu Jemandem werden“ ≠ „Jedermann- Werden“

Mit Deleuze_Guattari kann an dieser Stelle auch über das, was sie als

„Jedermann-Werden“ und „zu Jemandem werden“90 bezeichnen nachgedacht

werden. Sie sprechen dabei von den Majoritären zählbarer Mengen, die immer

mit einer nicht-zählbaren Minorität verbunden sind und auch bei weiterer

„Integration“ des Minoritären (z.B. durch die Erstellung einer neuen Kategorie

im binären Verhältnis zu einer vorangegangenen) immer die Minorität erhalten

90 Vgl. Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.147 ff.

46

bleibt, diese dadurch nicht getilgt werden und dadurch das Werden des

„Jedermann-Werdens“ nicht gestoppt werden kann.91 Es geht um das

Handhabbar machen der unzählbaren Massen, indem sie zu zählbaren Mengen

gemacht werden. Dies geschieht bei Deleuze_Guattari über das Herstellen von

Gesichtern, die dann von einer abstrakten Maschine erkannt werden können.

Dieses „zu Jemandem werden“ darf jedoch nicht mit einem „Jedermann-

Werden“ verwechselt werden, denn „Jemand“, also ein Subjekt, entsteht nur

durch die Einkerbung der Fluchtlinien. Das Werden zu „Jemandem“ ist der

Bewegung beraubt, es endet in einem Punkt. In LittleBigPlanet lässt sich

Ähnliches beobachten: Es besteht die Möglichkeit, durch eine Subjektivierung

über schon vorgegebene Möglichkeiten den Sack zu „Jemandem“ zu machen.

Davor „ist“ der Sack zwar auch schon eine Einheit, da er über ein bestimmtes

Aussehen verfügt, jedoch sind alle Sack-Avatare zu Beginn des Spiels gleich. Sie

unterscheiden sich nicht. Sie sind also „Jedermann“ und werden erst durch die

vielen Add-Ons (Kostüme etc.) zu „Jemandem“.

Diese Add-Ons tragen dazu bei, dass die Spieler_innen den eigenen Sack-Avatar

nach ihren Vorstellungen gestalten können und er damit zu einer individuellen

Repräsentationsfigur der Spieler_innen wird. Somit wird nicht nur der Sack-

Avatar zu einem Individuum, auch das spielende Individuum kann dadurch seine

Subjektivität verfestigen. Über den Sack-Avatar wird es dem_der Spieler_in

ermöglicht, sich innerhalb der LittleBigPlanet-Welt auszudrücken und sich

anderen Spieler_innen zu präsentieren sobald diese Avatare in Online-Spielen

aufeinander treffen.

Für diese Arbeit ist es von besonderem Interesse zu fragen, was es überhaupt

braucht, um einen Avatar spielbar zu machen. Was benötigt ein Avatar um als

solcher überhaupt erst entstehen zu können? Über das Beispiel LittleBigPlanet

91 Vgl. ebenda, S.651 ff.

47

wird etwas deutlich, was auch für die folgenden Spiele gesagt werden kann:

Für die Herstellung eines Avatars, der für alle Spieler_innen immer derselbe ist,

sowohl narrativ, als auch innerhalb der Programmstruktur, also mathematisch,

bedarf es eines Subjektivierungsaktes um für die Spieler_innen spielbar zu

werden. Wie wird dieser Avatar innerhalb der hier besprochenen Spiele zu

“Jemandem“? Was genau ist es, was den Avatar hier zu einer

Repräsentationsfigur für die Spieler_innen macht? Wie in LittleBigPlanet

verändert sich auch bei den im Folgenden analysierten Spielen mit der Wahl

des Avatars nichts an der Mechanik der Spiele, d.h. die Spiele nehmen auch

inhaltlich keinen anderen Lauf. Deshalb kann auch die Frage gestellt werden,

warum es trotzdem zu einer Subjektivierung kommen muss, obwohl sich für

das Spiel selbst nichts ändert. Dies lässt sich mit Deleuze_Guattaris

Schachfiguren-Beispiel überdenken:

„Schachfiguren sind codiert, sie haben ein inneres Wesen oder ihnen innewohnende

Eigenschaften, aus denen sich ihre Bewegungen, Stellungen und Konfrontationen

ergeben. Sie haben bestimmte Eigenschaften, der Springer bleibt ein Springer, der

Bauer bleibt ein Bauer, der Läufer bleibt ein Läufer. Jede Figur ist so etwas wie ein

Aussagesubjekt, das eine relative Macht besitzt; und diese relativen Mächte verbinden

sich in einem Äußerungssubjekt, also entweder im Schachspieler selber oder in der

inneren Form des Spiels. […] Durch die ihnen innewohnenden Eigenschaften haben

Schachfiguren bi-univoke Beziehungen untereinander und zu den Figuren des Gegners,

ihre Funktionen sind struktural.“92

Durch die Entscheidung der Spieler_innen, den Avatar als „entweder X oder Y“

zu subjektivieren werden die Avatare codiert. Erst nachdem die Avatare diese

Codierung erfahren haben, die Spieler_innen sich selbst über den Avatar

innerhalb des Spiels verortet haben, ist es möglich, das Spiel zu spielen. Im

Unterschied zu LittleBigPlanet dient der Avatar in den für die Arbeit relevanten

Spielen nicht allein der Immersion, sondern stellt eine unhintergehbare

Entscheidung zu Spielbeginn dar. Über diese Entscheidung kommt es zu einer

92 Ebenda, S.483/484.

48

Subjektivierung des Avatars, der die_den Spieler_in überhaupt erst dazu

befähigt, das Spiel zu spielen. Erst dieser Akt garantiert, von der digitalen

Maschine erkannt zu werden. Das Codierte im digitalen Spiel wird gerade an

diesem Entscheidungspunkt besonders deutlich, da es nur durch die

anfängliche Entscheidung möglich wird, innerhalb der digitalen Struktur zu

handeln. Die Subjektivierung ist eine Strukturierung des Avatars, innerhalb

eines strukturierten Systems, in dem es erst durch konkrete Strukturen,

Ordnungen, zu einem Spiel kommen kann. Um es noch einmal mit

Deleuze_Guattari zu sagen: Die Figuren benötigen „ein inneres Wesen“ oder

ihnen innewohnende Eigenschaften, um im digitalen System ihre Funktion

erfüllen zu können. Das digitale Spiel selbst braucht jene generierten Entitäten,

welche genau diese oder jene Wesen und Eigenschaften innehaben, um ein

abgeschlossenes, funktionales System zu sein, da es nur klar definierte

Entitäten darstellen kann, in seiner binär organisierten Programmstruktur,

seinen Nullen und Einsen.

49

„D as hier ist weder ein Männer- noch ein Frauengesicht. Oder: das ist

weder ein Armer noch ein Reicher, ist es ein Gesellschaftlicher Absteiger, dendas Glück verlassen hat? Die Maschine lehnt immer wieder Gesichter ab, dienicht der Norm entsprechen oder verdächtig aussehen. Aber nur auf einerbestimmten Entscheidungsebene. Denn man muß nach und nachunterschiedliche Typen der Abweichung für all das schaffen, was den bi-univoken Beziehungen entgeht, und binäre Beziehungen zwischen demherstellen, der auf den ersten Blick akzeptiert wird, und dem, der erst auf denzweiten oder dritten Blick toleriert wird. Die weiße Wand wird immer größer,während das schwarze Loch gleichzeitig auf mehrere Weisen funktioniert. DieLehrerin ist verrückt geworden; aber die Verrücktheit ist ein Gesicht, das der n-ten Entscheidung entspricht (allerdings nicht der letzten, denn es gibt jaGesichter von Verrückten, die nicht so aussehen, wie ein Verrückter angeblichaussehen soll). Aha, das ist weder ein Mann noch eine Frau, sondern einTransvestit: die binäre Beziehung entsteht zwischen dem „Nein“ der erstenKategorie und einem „Ja“ der folgenden Kategorie, die unter bestimmtenBedingungen auch eine Toleranz ausdrücken kann, anstatt auf einen Feindhinzuweisen, den man unbedingt schlagen muß. Du bist auf jeden Fall erkannt,die abstrakte Maschine hat dich in ihr Raster eingefangen. Es ist klar, daß dieMaschine zur Erschaffung des Gesichts sich in ihrer neuen Rolle als Aufspürervon Abweichungen nicht auf individuelle Fälle beschränkt, sondern ebensoallgemein vorgeht, wie in ihrer ersten Rolle als Programmierer vonNormalitäten.“

(TP, 243/244)

50

4. Analyse

Die Analyse bedient sich keinem fixiertem Baukasten, anhand dessen alle Spiele

abgearbeitet werden sollen. Vielmehr soll hier versucht werden, den zuvor

beschriebenen Begriffen und Denkbildern von Deleuze_Guattari und denen

von Dieter Mersch in den digitalen Spielen nachzugehen, immer dort, wo sich

eine Möglichkeit bietet Verbindungen herzustellen und diese sichtbar werden

zu lassen. Wie wird in den Spielen über eine binäre Geschlechterordnung

nachgedacht? Welche Kritik an dieser lässt sich finden bzw. welche Fluchtlinien

entstehen aufgrund des paradoxen Moments der Entscheidungslogik innerhalb

der binären Programmlogik des digitalen Spiels? Wo kann das Rhizom aus dem

molaren, organisierten Raum hervortreten, wo wird es sichtbar? Welche Spiele

lassen ein Dazwischen entstehen und welche bleiben dem Bi-univoken

verhaftet?

Die für die Analyse zentrale Frequenz der Spiele wird zu Beginn der

Unterkapitel als Programmcode dargestellt. Dies soll ermöglichen, einen

Einblick in die Programmstruktur und deren binär organisierte Logik zu geben,

wenn auch nur als gewisse „Randbemerkung“. Anhand des Programmcodes

lässt sich die Entscheidungslogik des „entweder – oder“ und der damit

einhergehende Moment der Entscheidung darstellen. Dadurch kann ein

zusätzlicher Einblick in die Funktionsweise des digitalen Spiels gegeben

werden. Es handelt sich jedoch nicht um den tatsächlich verwendeten Code,

sondern um so genannten PseudoCode93, der zur Veranschaulichung zentraler

93 Vgl. Barnett, Granville; del Tongo, Luca: Data Structures and Algorithms: Annotated Reference with Examples, 2008, Zugriff über: http://dotnetslackers.com/projects/Data-Structures-And-Algorithms/, Zugriff am: 01.07.2014.

51

Abläufe eines Algorithmus/digitalen Programms dient. Es geht hier nicht

darum, den tatsächlichen Code zu erahnen, sondern um den Einzug einer

weiteren Perspektive um über die Frage nach der Programmstruktur digitaler

Medien und deren Entscheidungslogik nachzudenken. Damit kann gezeigt

werden, dass, obwohl sich die Spiele in ihrem Inhalt, ihrer Ausführung und

ihren Spielregeln unterscheiden, sie alle auf dieselbe Programmlogik, das

„entweder – oder“, zurückgreifen (müssen).

Bei allen der hier analysierten Spiele, handelt es sich um so genannte

IndieGames, die entweder direkt online gratis gespielt werden können oder

ebenfalls ohne Gebühr via Download zur Verfügung stehen.

52

4.1. A CLOSED WORLD, 2011by GAMBIT Singapore-MIT Game Lab, Todd Harper

print("Are you male or female?");

if ( getUserResponse() is equal "female" OR getUserResponse() is equal "male" )

then startTheGame();

Das Spiel A CLOSED WORLD94 wurde im Sommer 2011 von einem

Forschungsteam des Singapore-MIT GAMBIT Game Lab95 unter der Leitung von

Todd Harper entwickelt. Zweck des Spieles, laut den Entwickler_innen, ist es,

sowohl LGBTQ-Content in einem digitalen Spiel zu verhandeln, als auch Fragen

nach Gender und Identität zu stellen bzw. Gender und Identität in Frage zu

stellen. Zudem wollten die Macher_innen andere Identitäten und mit diesen

auch andere Geschichten im Medium Computerspiel sichtbar machen, welche

in der aktuellen Computerspiel-Industrie keinen Platz fänden96. Mit A CLOSED

WORLD stellen die Entwickler_innen die Spieler_innen vor die Aufgabe, die

eigene Rolle in einer heteronormativen Gesellschaft zu hinterfragen. Dafür

setzen sie schon bekannte Konzepte digitaler Spiele ein. Eines dieser Spiele ist

POKéMON97. Grundsätzlich basiert A CLOSED WORLD auf einer ähnlichen Logik

und damit Programmstruktur, jedoch werden gerade diejenigen strukturellen

Vorlagen, die das Spiel POKéMON auszeichnen, in A CLOSED WORLD durch

94 Zugriff über: http://gambit.mit.edu/loadgame/summer2011/aclosedworld_play.php, Zugriff am: 22.08.2014

95 Das MIT Game Lab ist eine Forschungs Initiative des Massachusetts Institute of Technology, welche sich explizit mit der Entwicklung digitaler Spiele und deren Erforschung beschäftigt. Dadurch soll auch eine Schnittstellezwischen Forschung und Praxis ermöglicht werden. Näheres dazu auf deren Website: http://gambit.mit.edu/campaign/index.php#whygambit

96 Vgl. Research Statement, Zugriff über: http://gambit.mit.edu/loadgame/aclosedworld.php, Zugriff am: 30.06.2014.

97 Vgl. POKéMON, GAME FREAK Inc., 1996.

53

andere ersetzt. Das bedeutet, dass in A CLOSED WORLD jene von POKéMON

bekannten Angriffstechniken à la „Flash Fire“, „Iron Fist“ oder „Volt Absorb“ mit

verbalen Techniken „Logic“, „Passion“ und „Ethic“ ausgetauscht werden. Ziel ist

es in A CLOSED WORLD nicht, beliebige Monster, wie aus der POKéMON-Welt

bekannt, zu bändigen und zu sammeln. In A CLOSED WORLD richtet sich der

Kampf gegen eine Handvoll Monster, die ihrerseits stellvertretend für eine

heteronormative, geschlossene Gesellschaft, einen Gemeinplatz, stehen und

die es durch verbale Konfrontation zu „besiegen“ gilt, um letztlich aus dieser

„closed world“ auszubrechen und ihre Mechanismen zu erkennen.

4.1.1. One, simpel and important question …

QUEER POWER, das in einem Folgekapitel analysiert wird, wurde am

Signal+Noise Media Art Festival (Vancouver, 2008) für die Umsetzung queer-

theoretischer Ansätze gelobt und auch in diversen Foren und Rezensionen als

gelungen bezeichnet. Im Gegensatz dazu wurde A CLOSED WORLD von LGBTQ-

Communities heftig kritisiert. Der zentrale Kritikpunkt an A CLOSED WORLD

bezog sich auf die Eingangssequenz des Spiels, in der der_die Spieler_in

gefragt wird: „Are you male or female?“ Diese Frage, so die Kritik, würde

diejenigen ausschließen, welche sich nicht einer binären Geschlechterordnung

zugehörig fühlten. Hinzuzufügen ist jedoch, dass diese Frage im Spiel nicht

alleine steht. Sie ist eingebettet in den folgenden Eröffnungsmonolog:

54

„Has it ever occured to you

just how much of our lives

is affected by the answer

to a very simple-sounding question?

The words we use ...

The way we interact with other people ...

The clothes we wear ...

Even the people we fall in love with ...

In some way,

they're are all affected by the answer

to one, important question ...

Are you male or female?“98

Wenn nun die Frage im Zusammenhang mit dem vorhergegangenen Monolog

betrachtet wird, lässt sich argumentieren, dass diese Frage nicht dazu dient

Ausschlüsse zu produzieren, sondern eine Strategie darstellt um die binäre

Geschlechterordnung und ihre hegemoniale Stellung zu verdeutlichen. Der_die

Spieler_in ist gezwungen eine Auswahl zu treffen um A CLOSED WORLD

spielen zu können, um Teil dieser „geschlossenen Welt“ zu werden aus der

er_sie im Weiteren ausbrechen soll. Game Director Abe Stein begründet die

Frage der Eingangssequenz wie folgt: „In asking the question we were trying to

emphasize the players' subjectivity, and specifically, the players' personal

notions of gender and identity.“99 Die Eingangssequenz kann deshalb als

künstlerische/mediale Verarbeitung jenes Vorgangs interpretiert werden, den

Judith Butler unter anderem mit dem Beispiel der Geburt eines Kindes

beschreibt und der folgenden Anrufung der Hebamme: „Es ist ein Mädchen!“.

Erst durch diese Anrufung wird das Geschlecht hergestellt. Der_dem Spieler_in

wird ein Sprechakt abverlangt, der seinen_ihren Avatar erst in A CLOSED

98 Zugriff über: http://gambit.mit.edu/loadgame/summer2011/aclosedworld_play.php, Zugriff am: 14.05.2014.

99 Zugriff über: http://gambit.mit.edu/updates/2011/10/reflections_on_a_closed_world.php, Zugriff am: 14.05.2014

55

WORLD eintreten lässt. Die Entscheidung, ob männlich oder weiblich, ist

zwingender Teil jener Bezeichnungspraxis, die uns in einer heteronormativen

Gesellschaft zuallererst zum Subjekt macht. Die Entscheidung in der

Eröffnungssequenz des Spiels verweist auf die Performativität des Sprechakts,

mit dem Unterschied, dass dieser Sprechakt des_der Spieler_in keinerlei

Konsequenz für den Verlauf des Spiels mit sich bringt. „Die Identität als Praxis,

und zwar als Bezeichnungspraxis zu verstehen, bedeutet, die kulturell

intelligiblen Subjekte als Effekte eines regelgebundenen Diskurses zu

begreifen, der sich in die durchgängigen und mundanen Bezeichnungsakte des

sprachlichen Lebens einschreibt.“100 A CLOSED WORLD beginnt mit einer

Wiederholung dieser Bezeichnungspraxis, um den_die Spieler_in im Folgenden

an die Grenzen ebenjener binären Geschlechtsmatrix stoßen zu lassen. „Die

Anweisung eine gegebene Geschlechtsidentität (gender) zu sein, produziert

zwangsläufig Verfehlungen, eine Vielzahl inkohärenter Konfigurationen, die in

ihrer Mannigfaltigkeit die Anweisung, die sie erzeugt hat, überschreiten und

anfechten.“101

Zwar kann nun mit Mersch argumentiert werden, dass auch dieses digitale Spiel

in seiner Programmstruktur ein geschlossenes System darstellt und jede

Wahlmöglichkeit Teil dieses endlichen Systems ist. Jedoch entsteht hier etwas,

das über die Programmstruktur hinaus weist und das als Paradox beschrieben

werden soll. Das hier entstehende Paradox lässt ein subversives Potenzial

erkennen, das an den Gedanken der Subversion im Sinne Butlers erinnert.

„Wenn Subversion möglich ist, dann nur als eine, die von den Bedingungen des

Gesetzes ausgeht, d.h. von den Möglichkeiten, die zutage treten, sobald sich das

Gesetz gegen sich selbst wendet und unerwartet Permutationen seiner selbst erzeugt.

Dann wird der kulturell konstruierte Körper befreit sein, allerdings weder für seine

100 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1991, S.212.

101 Ebenda, S.213.

56

„natürliche“ Vergangenheit noch für seine ursprünglichen Lüste, sondern für eine

offene Zukunft kultureller Möglichkeiten.“102

In A CLOSED WORLD ist der_die Spieler_in Teil einer geschlossenen

Gesellschaft. Spieler_innen befinden sich nicht außerhalb, nicht an einem Ort

utopischer Freiheit, der fern aller hegemonialer Normen existiert. Vielmehr

sind die Spieler_innen selbst darin verwoben und verflochten und es liegt an

ihnen, mit den Gesetzen dieser „geschlossenen Gesellschaft“ zu spielen, ihre

Handlungsmacht anhand der vorgefundenen „Mittel“ zu verschieben und neu

zu besetzen. Diese „Gesetze“, die hier personifiziert als Monster zu aktiven

Handlungsträger_innen werden, gilt es mittels Sprache mit ihren eigenen

Grenzen zu konfrontieren. Es ist hier die Sprache, die jene Grenzen anzugreifen

droht, die selbst über die Sprache konstruiert sind.

4.1.2. Die Fluchtlinie des „Sich-Entscheiden-Müssen“

„[…] all dieses Bi-Univok-Machen, dieses Binär-Machen(das nicht nur , wie man behauptet, auf derErleichterung von Berechnung beruht), setzt bereitsdas Aufstellen einer Wand oder eines Bildschirmsvoraus, die Errichtung eines Zentralcomputerlochs,ohne die man weder Botschaften erkennen nochEntscheidungen treffen könnte.“103

In A CLOSED WORLD lässt sich abermals erkennen, das die zentrale Funktion im

digitalen Spiel die Entscheidungslogik ist. Auch bezieht sich der Moment der

Entscheidung in A CLOSED WORLD darauf, sich zwischen zwei Optionen

102 Ebenda, S.142.

103 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.245/246.

57

entscheiden zu müssen, um weiterspielen zu können.

„Are you Male or Female?“

Wie in vielen Spielen dienen dafür die beiden Kategorien männlich oder

weiblich. Etwas anderes gibt es nicht. Etwas anderes stellt A CLOSED WORLD

nicht zur Verfügung. A CLOSED WORLD versucht genau an diesem Punkt seine

Kritik anzusetzen, Kritik an einer heteronormativen Matrix, welche immer

schon Subjekte anhand dieser beiden Kategorien unterscheidet, anordnet und

separiert. Auch wird in A CLOSED WORLD nicht zwischen biologischem

Geschlecht und einer Geschlechtsitentität unterschieden – es geht um die

binäre Struktur des Mann oder Frau an sich, die thematisiert wird. Diese Frage

an die Spieler_in: „Are you Male or Female?“ bezeichnet das binäre Denken

einer molar organisierten Gesellschaft, die nur dann erkennen kann, wenn ein

„Jedermann“ zu „Jemandem“ gemacht wird. Und dieses zu einer Entität

gemacht werden, passiert in der heteronormativen Matrix mitunter durch jene

„one, important question“: „Are you Male or Female?“.

Durch die Reduktion auf zwei Kategorien kann gezeigt werden, dass in einer

binär organisierten Gesellschaft nur diese zwei Möglichkeiten zur Verfügung

stehen. Denn alle anderen Kategorien, z.b. trans*, können ebenfalls nur dann

sichtbar gemacht werden, wenn sie weiterhin von einer binär organisierten

Struktur abhängig bleiben. Trans* kann nur gedacht werden, indem weiterhin

die bi-unvok gemachten Geschlechter fixiert bleiben. Außerhalb dessen, gibt es

nur „das Andere“. Dieses „Andere“ wird marginalisiert und entsteht demnach

im Wurzel-Baum-Denken, mit Deleuze_Guattari gesprochen, erst aus dem

zuvor männlich, dann weiblich. Erst durch diese strikte binäre Organisation der

Geschlechter, können sich „Andere“ Subjekte herausbilden, welche jedoch

weiterhin nur im Hinblick auf eine Zwei-Geschlechter-Ordnung denkbar sind

und in einer hierachischen Ordnung mit dieser verbunden bleiben. Der Moment

des „Sich-Entscheiden-Müssens“, um in jene heteronormative Welt in A CLOSED

58

WORLD einzutreten, wird zu einem qualvollen Akt, da klar wird, dass es ohne

diese Entscheidung, kein Subjekt in dieser Welt geben kann. Es wird deutlich,

dass es ohne sich zu entscheiden nicht möglich ist zu handeln, die Spieler_innen

unsichtbar bleiben. Und das dies alles abhängig ist von einer einzigen Frage.

Somit lässt sich auch in A CLOSED WORLD von der Präsenz einer Fluchtlinie

sprechen, oder besser noch von einer Möglichkeit, die Linie wieder in

Bewegung zu bringen. Selbst ein digitales Spiel, ein molar organisierter Raum,

kann sich nicht vor dem Rhizom verschließen. Die Fluchtlinie in A CLOSED

WORLD ist jener Moment, in dem deutlich wird, wie verschlossen und

eingekerbt das Denken ist und wie das Digitale ganz und gar in diesem Denken

verhaftet ist, es aber trotzdem möglich ist, dieses Denken zu durchbrechen. Es

wird sichtbar, dass sich das Molare, diese heteronormative Matrix, immer

wieder abzusichern hat und permanent Kräfte dazu benötigt, alles „in

Ordnung“ zu halten damit sich alles zählen und vermessen lässt und somit

einen „Sinn“ ergibt. Und doch ist es nie abgeschlossen. Die Möglichkeit das

Rhizom zu denken tritt in A CLOSED WORLD hervor. Die geschlossene molare

Welt, auch wenn sie noch so verschlossen erscheint, wird instabil, wenn ihre

Verschließungsmechanismen aufgezeigt werden. Damit kann das Denken des

Wurzel-Baums deutlich hervortreten, wodurch es möglich wird, dieses selbst

innerhalb eines molaren Systems zu öffnen.

Demnach ist die zuvor angesprochene Kritik einer LGBTQ-Community an A

CLOSED WORLD ein Beispiel dafür, dass das Denken einer westlichen

Gesellschaft immer noch eines des Wurzel-Baumes ist. Eines das weiterhin eine

binäre Struktur voraussetzt und immer mehr Kategorien konstruiert, damit die

Subjekte sich selbst immer „näher“ kommen können. Das wiederum führt zu

scheinbar stabilen Subjekten. Es wird jedoch außer Acht gelassen wird, dass

diese Kategorien schlussendlich immer noch auf die des Mannes oder der Frau

zurückfallen, weiterhin hierarchisch organisiert und damit fixiert bleiben, egal

59

wie viele Kategorien es werden da sie immer ein Ziel des „wahren Seins“

anstreben und sich damit einem Werden nach Deleuze_Guattari verschließen.

Diese Problematik, dieses Verstärken einer hierarchisierenden

Geschlechterdichotomie mit der Erschaffung „neuer“ Kategorien, kann mit

Anke Engel verdeutlicht werden, denn auch nach ihr können zwar

„[…] in Form von identitäts- oder minderheitenpolitischen Diskursen Ausschlüsse

beklagt und Einschluss gefordert werden. Da diese aber die zugeschriebene Differenz

wiederholen und bestätigen, bleibt die hegemoniale Definitionsmacht

unangefochten.“104

104 Engel: Wider die Eindeutigkeit, S.84.

60

4.2. A GAME OF THREES, 2014by QUEER Games, Visual novels by queers for queers.

while ( getUserResponse() is unequal "male"

OR getUserResponse() is unequal "female" )

repeat:

print("Before the game starts, would you like your character to be more

masculine or more feminine? A more masculine character will have shorter hair

and blockier clothing, whereas a more femenine character will have longer

hair and softer clothing.");

if ( getUserResponse() is equal "more masculine")

then

print("Okay. Masculine it is!");

setAvatarImage(more_masculine);

if ( getUserResponse() is equal "more feminine")

then

print("Okay. Feminine it is!");

setAvatarImage(more_feminine);

end repeat;

while ( getUserResponse() is equal “nothing” )

repeat:

print(“What is your name?”);

setNameOfAvatar(getUserResponse());

end repeat;

startTheGame();

A GAME OF THREES105 wird zwar von den Macher_innen als „visual novel“

bezeichnet, trotzdem lässt es sich, wie alle digitalen Spiele auf eine

algorithmische Programmstruktur zurückführen und somit auf die von Mersch

beschriebene Entscheidungslogik hin analysieren.

105 Zugriff über: http://www.mediafire.com/download/bt6h9e9eqgaagbl/A+Game+of+Threes.zip, Zugriff am: 30.06.2014

61

A GAME OF THREES handelt davon, sich die Erinnerung eines neu begonnenen

Collegejahres und den dazu gehörigen Einzug in eine Wohngemeinschaft, samt

neuen Mitbewohner_innen, zu erspielen. Dem Spiel sind vier mögliche

Erinnerungen inhärent, je nachdem, für welchen der vorgeschlagenen Wege

sich die_der Spieler_in entscheidet. Enden kann das Spiel dreimal mit der

Erinnerung an den Beginn einer Liebesgeschichte und einmal mit einer

Erinnerung noch vor Beginn jeglicher Romantik. Wenn es zu einer Beziehung

kommt, entwickelt sich diese zwischen dem Avatar der_des Spielers_in und

einer Figur aus der Wohngemeinschaft. Dreimal endet das Spiel mit den

Worten: „This is your story. May your memories of him/her/them106 stay sweet.“

Das vierte Ende ist für diese Analyse nicht von Belang, soll jedoch der

Vollständigkeit halber auch erwähnt werden, es lautet: „Stay in and study“. Das

passiert, wenn die_der Spieler_in sich dazu entscheidet, keine der

Mitbewohner_innen näher kennen zu lernen.

Zum Ende des Spiels kommt es, indem die_der Spieler_in mit den Figuren

Gespräche führt, indem sie_er auf deren Sätze mit vorgefertigten

Auswahlmöglichkeiten antwortet, indem sie_er sich für jeweils eine

entscheidet. Je nachdem, wie sich die_der Spieler_in entscheidet, setzt sich die

Geschichte fort, bleibt der_dem Spieler_in am Ende diese oder jene Erinnerung.

Es ist ein digitales Spiel, das, wie viele Spiele, zuallererst mit einem

Subjektivierungsakt beginnt und darüber die_den Spieler_in in das System

einbindet, ihr_ihm einen Platz zuweist.

In A GAME OF THREES erfährt dieser Avatar als erste Markierung jedoch kein

Geschlecht, keine Geschlechtsidentität oder ein Begehren. In A GAME OF

THREES ist es nicht eine Frage wie in A CLOSED WORLD: „Are you male or

female“, oder eine wie in QUEER POWER: „Do you consider yourself mainly a

106 Jeweils ein Pronomen für das jeweilige Ende. Also him, her oder them.

62

DICK-LOVER, PUSSY-LOVER, OTHER OR CONFUSED?“. In A GAME OF THREES

steht die_der Spieler_in vor der Entscheidung, eine präferierte Repräsentation

ihres_seines Avatars zu wählen:

„Befor the game starts, would you like your character to be more masculine or more

feminine? A more masculine character will have shorter hair and blockier clothing,

whereas a more femenine character will have longer hair and softer clothing.“107

Diese Frage ist deshalb spannend, da die_der Spieler_in nicht gefragt wird, ob

sie_er male oder female „ist“ bzw. dieses oder jenes Geschlechtsorgan begehrt,

worüber dann sozusagen ihr_sein Sein bestimmt wird. In A GAME OF THREES

entscheidet die_der Spieler_in, ob ihr_sein Avatar eher feminin oder eher

maskulin aussehen soll, wobei gleichzeitig auch beschrieben wird, welche

äußerlichen Merkmale im Rahmen dieses Spiels damit einhergehen. Gleich nach

dieser ersten Entscheidung, ob der Avatar „more masculine or more feminine“

aussehen soll, liegt es an der_dem Spieler_in, sich bzw. dem Avatar einen

Namen zu geben. Hier kann in ein Feld, alles mögliche über die Tastatur

eingegeben werden, egal ob Buchstaben, Sonderzeichen oder Zahlen. Das

einzige, was nicht möglich ist, ist den Avatar nicht zu bennenen.

Was bedarf es nun zusammenfassend um in A GAME OF THREES ein Subjekt

herzustellen? Es bedarf zuallererst einer Entscheidung über die äußerliche

Repräsentation und zweitens bedarf es eines Namens, der jedoch nicht mit der

Repräsentation übereinzustimmen hat. Damit wird ein Avatar-Subjekt erzeugt,

welches in diesem Spiel weder ein Geschlecht (sex) besitzt, noch eine

Geschlechtsidentität (gender). Denn nicht nur wird durch diese Strategie die

Frage nach einem biologischen Geschlecht außer Kraft gesetzt, sondern auch

jene nach einer Geschlechtsidentität (gender) und die nach dem Begehren. Die

Spieler_innen entscheiden sich lediglich für eine äußere Erscheinung, welche

jedoch weder an ein biologisches Geschlecht, noch an ein soziales gebunden ist

bzw. sich weder auf das eine noch auf das andere zurückführen ließe.

107 A GAME OF THREES, Anfangsfrequenz

63

Hier lässt sich also sagen, dass es in A GAME OF THREES unmöglich ist „die

Wahrheit am Grunde des Geschlechts“108 zu finden. Konkret heißt das: In A

GAME OF THREES wird nicht zwischen zwei Kategorien des Seins sondern

zwischen zwei Möglichkeiten des Werdens entschieden, die nicht

abgeschlossen sind und zu festen Entitäten führen. Die_der Spieler_in erhält

durch die Auswahl von „eher maskulin oder eher feminin“ keinen Avatar,

welcher „logisch“, aufgrund dieser Formulierung, auf sex, gender oder ein

sexuelles Begehren verweist. Der Avatar wird im Spiel weder mit Fragen zu

einem „biologischen Geschlecht“ noch zu einer „Geschlechtsidentität“ oder

einem „Begehren“ konfrontiert und auch wird nie über die Figur von den

anderen im Spiel befindlichen Figuren als vergeschlechtlichte Person bzw.

gegenderte Person gesprochen, sie wird weder von anderen als he/she oder

they bezeichnet, noch bezeichnet die Figur sich selbst mit einem dieser

Pronomina. Es ist immer der Name, mit dem das Subjekt angesprochen wird.

Nie wird das zu Beginn gewählte Äußere thematisiert. Es ist irrelevant, ob der

Charakter eher männlich, oder eher weiblich aussieht, das Äußere lässt keine

Schlüsse auf irgendeine Form „einer inneren Wahrheit“ zu, der abstrakten

Maschine ist es nicht möglich herauszufinden „[…] welches das wahre

Geschlecht ist, das sich hinter einem verworrenen Aussehen verbirgt […]“109.

108 Vgl. Barbin, Herculine; Foucault, Michel: Über Hermaphrodismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1998, S.11.

109 Ebenda, S.9.

64

4.2.1. Befreiung des Begehrens

„Wir werden zeigen, daß das Geschlecht nicht längerals »innere Wahrheit« der Anlage und der Identitätgelten kann, sondern eine performativ inszenierteBedeutung ist (und also nicht »ist«) […]“110

Maßgeblich verstärkt sich diese „Auflösung der Wahrheit des Geschlechts“

indem im Spiel das sexuelle Begehren des Charakters ebenfalls, wie schon

zuvor erwähnt, weder thematisiert noch bezeichnet wird. Es findet sich keine

Kategorisierung des Begehrens, wie etwa in ein heterosexuelles, lesbisches

oder schwules o.ä. Begehren bzw. ein Begehren wie in QUEER POWER, das sich

an ein biologisch definiertes Geschlechtsorgan knüpft. Auch haben die

Mitbewohner_innen kein festgelegtes Begehren, denn egal ob sich die_der

Spieler_in für den eher männlich aussehenden oder eher weiblich aussehenden

Avatar entscheidet, ist es möglich, mit allen drei Personen eine Beziehung

einzugehen. Damit ist sowohl das Begehren des Avatars als auch das der

Mitbewohner_innen weder an sex, noch an gender gebunden.

Um dieses von sex und gender losgelöste Begehren weiter zu beschreiben ist

es hilfreich, die Mitbewohner_innen zu besprechen. Diese haben zwar, wie der

Avatar der Spieler_innen, kein Begehren, welches sich kategorisieren ließe,

jedoch werden diese im Gegensatz zum Avatar der_des Spieler_in mit

Pronomina versehen. Die drei Mitbewohner_innen sind Jesse (he), Yun (she)

und Parker (they). Alle drei können als gender-queer bezeichnet werden, denn

alle drei fallen, wenn sie innerhalb einer heteronormativen Matrix betrachtet

werden, aus dieser heraus, da ihr Geschlecht (sex) und ihre

Geschlechtsidentität (gender) innerhalb dieser Matrix nicht übereinstimmen.

Im Laufe des Spiels stellt sich heraus, das Jesse sich als trans* bezeichnet und

110 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S.61.

65

soeben eine Operation hinter sich hat. Jedoch wird hier nicht klar, um welche

Operation es sich handelt, also in der binären Vorstellung gesprochen, ob es

sich um eine Operation von Mann zu Frau oder umgekehrt handelt. Interessant

ist, dass Jesse zwar als he bezeichnet wird, der Charakter ein Pronomen erhält,

jedoch kann weder sex, gender oder Begehren daran fest gemacht werden. He

würde zwar innerhalb einer heteronormativen Matrix bedeuten, dass Jesse

eine männliche Geschlechtsidentität hat bzw. für sich beansprucht, jedoch

spricht einiges gegen dieses „festmachen-können“. Wie gesagt, die_der

Spieler_in erfährt zwar, dass es eine Operation gegeben hat, jedoch führt dies

zu keiner „Wahrheit“, es kann nicht festgestellt werden, welches „wahre“

Geschlecht Jesse vor der OP hatte und auch wird nicht thematisiert, um welche

Art der Operation es sich gehandelt hat. Zusätzlich verstärkt wird diese

„Absurdität“ des „Kategorisieren-Wollens“ von Jesse, durch Jesses eher

weibliche Repräsentation. In einer heteronormativen Matrix, kann dies als

Irritation gelten. Denn weshalb würde sich Jesse als he bezeichnen, eine

Operation hinter sich haben (die in diesem Zusammenhang wohl immer

zuallererst als Operation zu „dem anderen Geschlecht“ gelesen wird), wenn

Jesses Äußeres doch weiterhin als eher weiblich zu bezeichnen ist und dieser

sich dann trotzdem als he definiert. Damit soll gesagt sein, dass Jesses

Pronomen, weder auf gender noch auf sex schließen lässt. Das Pronomen wird

lediglich zu einer Bezeichnung, die es möglich macht, über Jesse zu sprechen.

Hier wird auch besonders anschaulich, dass der molare Raum nicht vom

molekularen Raum zu trennen ist, dass die beiden ineinander greifen, der

molare den molekularen nie ganz zu verschließen vermag. Denn, wie

Deleuze_Guattari so deutlich machen:

„[m]an muss genügend Organismus bewahren, damit er sich bei jeder

Morgendämmerung neu gestalten kann; und man braucht kleine Vorräte an Signifikanz

und Interpretation, man muß auf sie aufpassen, auch um sie ihrem eigenen System

entgegenzusetzen, wenn die Umstände es verlangen, wenn Dinge, Personen oder

66

sogar Situationen euch dazu zwingen; und man braucht kleine Rationen von

Subjektivität, man muß so viel davon aufheben, daß man auf die herrschende Realität

antworten kann.“111

Auch im Zusammenhang mit dem Begehren macht das Pronomen in einer

heteronormativen Matrix keinen Sinn mehr, denn die_der Spieler_in kann

sowohl als eher männlich oder auch als eher weiblich aussehender Avatar eine

Beziehung zu Jesse eingehen. Demnach kann Jesses Begehren nicht über das

Pronomen he kategorisiert werden und verliert an Bedeutung. Wo das

Pronomen sonst fixe Entitäten beschreibt, sie erst bildet, ist es in diesem Spiel

dazu nicht in der Lage, denn schlussendlich könnte Jesse sich auch als she oder

they bezeichnen, in allen Fällen wäre es nur eine Bezeichnung, die auf alles

weitere keinen Einfluss hat. Das Pronomen als notwendige Bezeichnung von

Subjekten, um jene zu solchen zu machen, um sie dadurch überhaupt erst

ansprechen zu können, entzieht sich in A GAME OF THREES einer Logik, der

eine binäre Geschlechterordnung zu Grunde liegt.

Ähnliches gilt auch für Yun und Parker. Yun hat im Spiel das Pronomen she,

Parker das Pronomen they112. Bei beiden ist es ebenfalls nicht möglich gender,

sex und Begehren am gewählten Pronomen fest zu machen. Auch bei Parker

wird das Thema Operation besprochen. Das ist in Parkers Fall vor allem deshalb

interessant, da durch die Verwendung des Pronomens they, die Frage nach der

Angleichung zu welchem sex/gender ad absurdum geführt wird, da they sich

gerade dafür anbietet, Entitäten nicht mehr als entweder männlich oder

weiblich zu bezeichnen und zusätzlich durch die Verwendung der Mehrzahl den

Subjektbegriff selbst in Frage stellt. Die abstrakte Maschine hat ein Problem,

denn die Aussage: „Du wirst Signifikant und Signifikat, Interpret und

Interpretierter – sonst bist du nur ein armer Irrer. Du wirst Subjekt und als

111 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.220.112 Im englischen Sprachraum, wird they als ein Pronomen neben he und she

verwendet. Damit wird versucht, auf keine Bezeichnung innerhalb der binären Geschlechterordnung zurückzugreifen.

67

solches fixiert, Äußerungssubjekt, das auf ein Aussagesubjekt reduziert wird

[…]“113 wird in A GAME OF THREES ihrer Wirkungsmacht beraubt.

Zusammenfassend: In allen drei Fällen (Jesse, Parker, Yun), ist weder das

Geschlecht (sex) noch die Geschlechtsidentität (gender) relevant, wenn es

darum geht, eine der drei näher kennen zu lernen. Egal ob sich nun die

Spieler_in zu Beginn für eine eher männliche oder eher weibliche Figur

entscheidet hat dies keinen Einfluss auf den Spielverlauf. Keine der im Spiel

befindlichen Figuren, hat ein Begehren, welches kategorisiert werden kann

oder sich auf eine binäre Geschlechterordnung zurückführen lässt.

Damit kann auch mit Judith Butler gesagt werden, dass A GAME OF THREES

durch das Sprengen jener Trias sex/gender/Begehren Kritik an dieser übt, da in

A GAME OF THREES sichtbar wird, das es diese Trias ist, welche die Grundlage

einer institutionalisierten Heterosexualität bildet, die diese Trias benötigt, um

sich als Norm stabilisieren zu können. Butler schreibt dazu in Das Unbehagen

der Geschlechter:

„Damit bedarf die innere Kohärenz oder Einheit jeder Geschlechtsidentität, sei es die

Identität »Frau« oder »Mann«, eines festen und zugleich gegensätzlich strukturierten

heterosexuellen Systems. Diese institutionalisierte Heterosexualität erfordert und

produziert zugleich die Eindeutigkeit eines jeden der geschlechtlich bestimmten Terme

(gendered terms), die in einem grundsätzlichen binären System die Grenze möglicher

Geschlechtsidentitäten bilden. Diese Konzeption der Geschlechtsidentität setzt nicht

nur eine kausale Beziehung zwischen anatomischen Geschlecht (sex),

Geschlechtsidentität (gender) und Begehren voraus, sondern legt außerdem nahe, daß

das Begehen die Gechlechtsidentität widerspiegelt und zum Ausdruck bringt – ebenso

wie umgekehrt die Geschlechtsidentität das Begehren.“114

Gerade dieses Widerspiegeln und zum Ausdruck bringen einer

Geschlechtsidentität, eines Sexes oder auch eines Begehrens, ein Festmachen

von einem „Sein“, genau das ist in A GAME OF THREES nicht möglich. Die Trias

113 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.219.114 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S.45/46.

68

führt zu keiner bezeichenbaren „Lösung“. Sie wird deshalb nichtig, da sie nichts

bezeichnet und keine Schlüsse auf ein „wahres“ gender, sex oder Begehren

zulässt. Alle Kategorien die über diese Trias gebildet werden könnten, finden in

A GAME OF THREES zu keiner stabilen Identität, in die sich die Avatare

einordnen ließen.

In A GAME OF THREES hat diese Trias ihre Ordnungsmacht verloren, sie wird

schließlich sichtbar, indem deutlich wird, dass sie keine Handlungsmacht mehr

besitzt, ihre binäre Struktur keinen „Sinn“ mehr generiert, obwohl weiterhin

von männlich und weiblich die Rede ist, diese aber nicht als „Seins-Kategorien“

bestehen. Dadurch wird die „institutionalisierte Heterosexualität“115 als etwas

Institutionalisiertes und Gewordenes sichtbar, dessen Ordnung in A GAME OF

THREES schlussendlich keinen Sinn mehr ergibt. Damit kann auch von einer

„Befreiung des Begehrens“ gesprochen werden, wie Butler über Monique

Wittig in Das Unbehagen der Geschlechter anmerkt.116 Das Begehren in A GAME

OF THREES kann als ein freies Begehren gedacht werden, da es weder an ein

anatomisches Geschlecht oder eine Geschlechtsidentität gebunden ist und

dadurch nicht eingegrenzt wird. Das Begehren lässt sich auf nichts

zurückführen.

Es ist in A GAME OF THREES ein Werden, eine Fluchtlinie, die nicht daran ist,

fixe Entitäten zu schaffen, um damit Normen zu produzieren. Das Begehren

steht in A GAME OF THREES für sich alleine, ist jedoch nicht sesshaft, da es

nichts produziert, was geordnet werden könnte. Das Begehren entwischt in A

GAME OF THREES der Bezeichnung und ist allein in seiner „Dies-Heit“ etwas,

aber es hat keine Dauer, da es ständig in Bewegung ist, nicht greifbar und

damit auch nicht einzugrenzen.

115 Vgl. ebenda. 116 Vgl. ebenda, S.50.

69

4.2.2. eher_ oder eher_ Werden?→

Die Entscheidung der Spieler_innen, ob der Wahl eines eher männlichen oder

eher weiblichen Aussehens, ist der Punkt, der das Spiel A GAME OF THREES so

bemerkenswert macht. Durch das Wort „eher“ vor beiden Kategorien, männlich

oder weiblich, kann die Bezeichnung mehr als eine Möglichkeit, eine nie

abgeschlossenen Annäherung beschrieben werden, und wird damit nicht zu

einer inneren „Wahrheit“ einem fixen „Sein“ des Subjekts.

Zudem lässt sich in diesem Entscheidungsmoment auch die Schwierigkeit

etwas außerhalb dieser Dichotomie innerhalb eines molaren Systems zu

denken verdeutlichen. In A GAME OF THREES wird deutlich, dass selbst trans*

nicht außerhalb dieser zwei Repräsentationsfiguren dargestellt werden kann.

Es stellt sich schlussendlich immer noch die Frage „eher männlich oder eher

weiblich“. Dies wird sowohl anhand der eigenen Spielfigur, als auch anhand

denen der Mitbewohner_innen klar, denn wie ließe sich eine trans* Figur

repräsentieren, wenn jede Repräsentation immer schon innerhalb eines binär

organisierten Denkens zugeordnet und bestimmt wird? Mit dieser

Entscheidung zwischen einem eher männlichen oder eher weiblichen Avatar,

lässt sich genau jener Prozess im Denken beschreiben, der aufgrund von

Ähnlichkeit sofort auf eine fixe Entität zu schließen versucht ist. Die Reduktion

auf diese zwei Möglichkeiten, beschneidet die Fluchtlinie, obwohl es bei einem

anderen Blick möglich wäre, die Linie sehr wohl weiter fließen zu lassen, indem

das eher vor jede Geschlechterkategorisierung des binären

Geschlechterdenkens gesetzt wird, um dieses starre Denken von sex/gender

wieder zu öffnen. Dieses „eher“ kann eine Möglichkeit sein, das Werden selbst

im molaren Raum denkbar zu machen.

70

4.3. QUEER POWER, 2004by Molleindustria

while( noButtonWasClicked )

repeat:

print("Do you consider yourself mainly a ...

DICK-LOVER, PUSSY-LOVER, OTHER OR CONFUSED");

if ( getUserResponse() is equal "DICK LOVER" )

then

setAvatarAttributes(DICK_LOVER);

if ( getUserResponse() is equal "PUSSY LOVER" )

then

setAvatarAttributes(PUSSY_LOVER);

if ( getUserResponse() is equal "OTHER OR CONFUSED" )

then

setAvatarAttributes(OTHER_OR_CONFUSED);

end repeat;

startTheGame();

Hinter dem Namen Molleindustria steht Paolo Pedercini, der sich seit 2003 mit

Critical Gamedesign beschäftigen. Sein Anliegen ist es über das Medium

digitales Spiel politische/soziale Missstände aufzuzeigen und zu kritisieren.

Themen, die von ihm bearbeitet wurden, sind zum Beispiel die

Drohneneinsätze der USA in UNMANNED oder der Herstellungsweg von

Smartphones in PHONE STORY.117

117 Alle von Molleindustria entwickelten Spiele sind auf deren Website frei zugänglich, können heruntergeladen oder direkt online gespielt werden http://www.molleindustria.org/

71

Für diese Arbeit ist ein 2004 erschienenes Spiel relevant: QUEER POWER118, in

dem Pedercini versucht, einen kritischen Zugang zum Thema Geschlecht als

kulturelle Konstruktion zu ermöglichen.

4.3.1. Enjoy a trip in this odd world!

Grundsätzlich basiert QUEER POWER auf der Programmidee eines „One-on-

One Fight Games“. Ein Spielkonzept, bei dem es darum geht, das ein_e

Spieler_in versucht, den_die andere Spieler_in bzw. den Computer im

Nahkampf zu besiegen.

QUEER POWER verschiebt jedoch das klassische „fight and kill“, wie es z.B. aus

TEKKEN119 bekannt ist, hin zu einem „give and receive pleasure“. Ziel des Spiels

ist es, einen Avatar schnellst möglich zum Orgasmus zu bringen, wobei das

biologisches Geschlecht (sex) des Avatars auf Tastendruck wechseln kann. Laut

Natasha Barsot bezieht sich Pedercini auf Judith Butlers Queer-Theorie:

„QUEER POWER is also loosely inspired by queer theory and particularly the work of

gender theorist Judith Butler, author of Gender Trouble, adds Pedercini, who says the

intention was to unpack gender as a cultural construct, as something that can be freely

chosen and changed.“120

QUEER POWER beginnt mit einer Adressierung des_der Spielers_in. Hier wird

zu Beginn erstmals und einmalig dazu aufgefordert eine Entscheidung über

118 Zugriff über: http://molleindustria.org/en/queer-power/, Zugriff am: 22.08.2014.

119 Namco, 1994.120 Barsot, Natasha, „Queer video game turns genre on its head. VIRTUAL

REALITY / Fucking not fighting“, 24.4.2008, Zugriff über:http://dailyxtra.com/canada/arts-and-entertainment/queer-video-game- turns-genre-head, Zugriff am: 30.06.2014.

72

„ihre_sein Identität“ zu treffen. Es geht jedoch nicht darum, sich für eine

Geschlechtsidentität (gender) oder ein Geschlecht (sex) zu entscheiden. Bei

QUEER POWER bezieht sich die Entscheidung auf ein Begehren, das an

bestimmte Geschlechtsteile gekoppelt ist. Es kann zwischen „Dick-Lover“,

„Pussy-Lover“ oder „Other or Confused“ entschieden werden und je nachdem

für welches Begehren sich entschieden wurde, wird der Avatar die höchste Lust

empfingen, wenn ein sexueller Akt mit „Pussy“, „Dick“ oder mit einem „other or

confused“ Charakter zustande kommt. Wie bereits erwähnt kann das sex des

Avatars während des Spiels gewechselt werden. Begierde und Körper stehen in

QUEER POWER, im Gegensatz zur Konzeption des heterosexuellen Systems, so

wie Butler es beschreibt, in keiner zwingenden Verbindung. Denn die

Konzeption der Geschlechtsidentität setzt nicht nur eine kausale Beziehung

zwischen anatomischen Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und

Begehren voraus, sondern legt außerdem nahe, dass das Begehren die

Geschlechtsidentität widerspiegelt und zum Ausdruck bringt – ebenso wie

umgekehrt die Geschlechtsidentität das Begehren.121

In QUEER POWER definiert sich der_die Spieler_in ausschließlich über sein_ihr

Begehren, der Körper kann gewechselt werden. QUEER POWER strebt eine

Geschlechterverwirrung und Vervielfältigung von Geschlechtsidentitäten an,

indem Körperlichkeit ad absurdum geführt wird. Problematisch an diesem

Onlinespiel ist jedoch, dass es trotz dem Versuch einer Geschlechterverwirrung

auf „benannte Geschlechtsteile“122 rekurriert und den erogenen Körper

fragmentiert. Penis, Brüste, Vagina verweisen auf eine binäre

Geschlechterdifferenz, „Mann“ und „Frau“ werden über diese Attribute

gesellschaftlich eindeutig definiert. Der „Other or Confused“-Charakter bricht

diese Binarität nicht auf, sondern verstärkt sie in gewisser Weise, da alle nicht-

121 Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S.45/46.122 Ebenda, S.170.

73

heteronormativen Sexualpraktiken auf ihn ausgelagert werden. So können

gleichgeschlechtliche Avatare nicht miteinander agieren, sie stoßen sich sogar

voneinander ab. Akte, die homosexuellem Begehren zugeschrieben werden,

sind nur mit dem „Other or Confused“-Charakter möglich und somit eigentlich

nicht existent. Die einzige Möglichkeit das nicht präferierte Geschlecht

abzulehnen, also keinen Sex zu haben, ist somit das Geschlecht des_der

Gegenspieler_in anzunehmen. Auffällig ist ebenfalls, dass der sexuelle

Handlungsradius von männlichen und weiblichen Avataren auf Fortpflanzungs-

Praktiken beschränkt ist. Sobald männliche und weibliche Avatare aufeinander

treffen, penetriert der Mann die Frau. Somit kann behauptet werden, dass

QUEER POWER den Fortpflanzungszwang der heterosexuellen Sexualität nicht

aushebelt, sondern sie auf ihn reduziert. Anale und orale Praktiken sind nur mit

dem „Other or Confused“-Charakter möglich. Dieser Umstand steht so in einem

weiteren Widerspruch zu Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter. Laut

Butler ist der Fortpflanzungszwang „[…] eine falsche Stabilisierung der

Geschlechtsidentität im Interesse der heterosexuellen Konstruktion und

Regulierung der Sexualität.“123 Im Rahmen dieses Spiels wird aber gerade jene

Geschlechtsidentität bestärkt. Ein weiterer Punkt an dem dieses Spiel versucht

subversiv zu sein und darin scheitert, ist dass es sich an einem utopischen

Außerhalb der Gesellschaft ansiedelt. Am Startbildschirm zu QUEER POWER

heißt es:

„Queerland inhabitants don't have fixed sexual orientations and roles. They fornicate

following their highly changable desires. Forget what you learned at school about the

two genders and enjoy a trip in this odd world!124

Dieser utopischer Staat, namens Queerland, ist also eine explizit so benannte

„sonderbare/befremdliche“ Welt in die die_der Spieler_in eintreten kann. Dem

Begriff queer wird hier seine negative Konnotation zurück gegeben, was

123 Vgl. ebenda, S.199.

124 Zugriff über: http://www.molleindustria.org/en/queer-power, Zugriff am: 14.05.2014.

74

besonders spannend ist, da sich ja gerade die Queer-Theorie den Begriff

subversiv angeeignet hat. QUEER POWER suggeriert also eine „sonderbare“

Welt außerhalb der „normalen“ Welt, welche es sich zu besuchen lohnt, da

einem dort sexuelle Freiheiten geboten werden, die in der „normalen“ Welt

nicht vorstellbar sind oder unter ein Tabu fallen. Somit visualisiert es abermals

die als Tabu geltenden Vorstellungen von Geschlecht (sex),

Geschlechtsidentität (gender) und sexuellem Begehren und verstärkt damit die

heteronormative Hegemonie.

Diese Kritik impliziert demnach, dass es bei QUEER POWER nicht gelingt, eine

binäre Geschlechterordnung tatsächlich in Frage zu stellen. Dazu bleibt QUEER

POWER zu sehr in Biologismen verhaftet, die von eindeutigen Geschlechtern

ausgehen. Dies wird vor allem durch den dritten Avatar „Other or Confused“

sichtbar. Neben eindeutig feststellbaren Geschlechtsorganen wie Penis und

Vagina, gibt es ein anderes Drittes, welches nicht eindeutig wahrnehmbar ist

und damit nicht angesprochen werden kann. Diese dritte Wahlmöglichkeit ist

problematisch, denn sie suggeriert, dass mit dieser Auswahl ein Eingeständnis

getroffen wird, das besagt, dass dieses Begehren sich noch nicht entschieden

hat oder das, was begehrt wird, keiner Norm entspricht. Damit wird die binäre

Struktur Dick/Pussy verstärkt.

Trotzdem muss festgehalten werden, dass QUEER POWER die Kategorien

männlich oder weiblich nicht anbietet. Der_die Spieler_in entscheidet sich

ähnlich wie bei A GAME OF THREES weder für ein Geschlecht, noch eine

Geschlechtsidentität des Avatars. Die Subjektivierung passiert hier alleine über

das Begehren, welches jedoch durch die Reduktion auf „Dick/Pussy/other or

confused“ die heteronormative Matrix nicht zu kritisieren vermag, da durch die

Konzentration und Reduktion auf zwei Geschlechtsorgane plus dem

offensichtlich „Anderen“, welchem ein „verwirrtes“ Begehren zu Grunde liegt,

75

die Zwei-Geschlechter-Ordnung aufrecht erhalten bleibt.

4.3.2. „Other or Confused“ - das verwirrte „Andere“

Von Fluchtlinien kann in QUEER POWER nicht gesprochen werden, da das

Begehren durch klar definierte Kategorien vorgegeben ist. Es kann sich nur

zwischen einem Begehren nach Penis oder Vagina entschieden werden. Oder

eben einem Begehren, welches als das „verwirrte“ oder „andere“ beschrieben

wird, als eines, dass sich noch nicht für entweder Vagina oder Penis

entschieden hat. Es ist dargestellt als ein Begehren, das sich an etwas

„anderem“ als Penis oder Vagina festmacht, was somit außerhalb dieser Norm

gesetzt wird. Damit öffnet dieser Entscheidungsmoment zu Beginn des Spiels

keine Möglichkeit Fluchtlinien aus dieser binären Struktur zu finden. Schon zu

Beginn wird klar definiert, was der Norm angehört und was nicht, da explizit

zwei biologische Geschlechter benannt, kategorisiert und voneinander

abgegrenzt werden und eine dritte Kategorie, die vielleicht einen „Ausweg“

suggerieren möchte, bloß die binäre Geschlechterordnung verfestigt, die

Linien wiederum einkerbt und die Fluchtlinien damit abschneidet. Die Ordnung

dieses dritten möglichen Begehrens in „Other or Confused“ verweist genau auf

jene Strategie eines molaren Systems, welches die binären Strukturen dadurch

aufrecht erhält, indem es ein „Anderes, das Abweichende“, zwar tolerieren

kann, es jedoch immer in eine hierarchische Relation zur Norm gestellt wird,

ohne die sonst das „Andere“ nicht sichtbar gemacht werden kann. Es kann

somit eine Toleranz gegenüber der Abweichung entstehen, jedoch immer mit

der Voraussetzung, dass sie klar von einer Norm abgeleitet wird, selbst nicht

76

zur Norm wird und damit die Norm wieder verstärkt. Jegliche Fluchtlinien

werden somit sofort wieder einkerbt. Das „Andere“ dient damit auch in QUEER

POWER weiterhin zur Erhaltung einer Norm, die binär strukturiert und

hierarchisch angeordnet bleibt.

„Das binäre Verhältnis gehört in diesem Fall zum Typus "ja-nein". Das leere Auge des

schwarzen Loches nimmt auf oder lehnt ab, wie etwa ein seniler Despot noch ein

Zeichen der Zustimmung oder der Ablehnung gibt. […] Das hier ist weder ein Männer-

noch ein Frauengesicht. […] Die Maschine lehnt immer wieder Gesichter ab, die nicht

den Normen entsprechen oder verdächtig aussehen. Aber nur auf einer bestimmten

Entscheidungsebene. Denn man muß nach und nach unterschiedliche Typen der

Abweichung für all das schaffen, was den bi-univoken Beziehungen entgeht, und

binäre Beziehungen zwischen dem herstellen, der auf den ersten Blick akzeptiert wird,

und dem, der erst auf den zweiten oder dritten Blick toleriert wird.“125

Mit Deleuze_Guattari kann hier gesagt werden, dass durch die Einführung der

Kategorie „Other or Confused“ ein Typ, also eine Kategorie für all jenes

geschaffen wird, was der bi-univoken Beziehung entgeht.

Hiermit kann QUEER POWER als ein Beispiel dafür gelten, wie das binäre

Denken im digitalen Spiel sein absolutes Pendant findet. Ein Denken, welches

außerhalb seiner binären Struktur immer schon das „Andere“ bezeichnet und

von einer Norm ableitet um es handhabbar zu machen. Wie die

Programmstruktur ist auch das digitale Spiel selbst in diesem auf allen Ebenen

ein klar abgegrenzter Raum mit Regeln und klar voneinander abgegrenzten

Entitäten, die damit auch das Denken in seine Schranken verweisen, da es von

Beginn an schon alles „Andere“ bzw. die Fluchtlinie als solche bezeichnet, damit

marginalisiert und beschneidet. Die Entscheidung verbleibt innerhalb der

heteronormativen Matrix, stellt diese demnach auch nicht kritisch in Frage, da

alles beschränkt bleibt auf Subjekte, die sich über ein Begehren definieren,

welches klar auf eine binäre Geschlechterordnung verweist, diese damit

repräsentiert und somit weiterhin vielmehr reproduziert als kritisiert.

125 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.243/244.

77

4.4. GUESS MY GENDER, 2014by clit*IT

showPicture();

if ( getUserResponse() is equal "It's a girl!"

OR getUserResponse() is equal "It's a boy!"

OR getUserResponse() is equal "I can't tell!" )

showNextPicture();

„This is a "girl," however, who is compelled to "cite"the norm in order to qualify and remain a viablesubject. Femininity is thus not the product of a choice,but the forcible citation of a norm, one whosecomplex historicity is indissociable from relations ofdiscipline, regulation, punishment. Indeed, there is no"one" who takes on a gender norm. On the contrary,this citation of the gender norm is necessary in orderto qualify as a "one," to become viable as a "one,"where subject-formation is dependent on prioroperation of legitimating gender norms.“126

GUESS MY GENDER127 ist ein digitales Spiel, das im Zuge dieser Arbeit

entwickelt worden ist. Mit der Analyse zu QUEER POWER entstand die Idee sich

ebenfalls Butlers Theorie zu sex und gender als Vorlage zu nehmen, eine

andere Form der Umsetzung dafür zu finden und den Fokus auf die

Subjektwerdung zu verschieben. Das Spiel versucht auf den Moment der

„Bezeichnung der Anderen“ aufmerksam zu machen, jene frühe Bezeichnung

bei der eine erste Ordnung zur Herstellung eines Subjekts über die Einordnung

in eine binäre Geschlechterordnung von statten geht. Zusätzlich soll mit GUESS

MY GENDER Deleuze_Guattaris Binär-Machen einer abstrakten Maschine

thematisiert werden. Der Versuch bestand darin, einen praktischen Zugang zu

der Frage, ob Kritik an einer Zwei-Geschlechter-Ordnung in einem binär

126 Butler, Judith: „Critically Queer“, in: GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies, November, Vol. 1, 1993, S.23.

127 Zugriff über: http://clitit.itch.io/guess-my-gender, Zugriff am: 22.08.2014.

78

organisiertem Medium möglich sein kann, zu finden.

4.4.1. Zur Bezeichnung der „Anderen“

„Die Politik der Wahrheit gehört zu jenenMachtbeziehungen, die von vornherein eingrenzen,was als Wahrheit zu gelten hat und was nicht, alsWahrheit, die die Welt auf eine bestimmteRegelhaftigkeit und Regulierbarkeit hin ordnet unddie wir dann als das gegebene Feld des Wissenshinnehmen. Wir können die Bedeutung dieses Punktesverstehen, wenn wir zu fragen beginnen: Wer gilt alsPerson? Was gilt als kohärenteGeschlechterzugehörigkeit? Wer ist als Bürgerqualifiziert? Wessen Welt ist als reale legitimiert?Subjektiv fragen wir: Wer kann ich in einer Weltwerden, in der die Bedeutungen und Grenzen desSubjektseins für mich schon festgelegt sind? WelcheNormen schränken mich ein, wenn ich zu fragenbeginne, wer ich werden kann? Und was passiert,wenn ich etwas zu werden beginne, für das es imvorgegebenen System der Wahrheit keinen Platzgibt?“128

GUESS MY GENDER ist ein „Quiz ohne Lösung“. Die Quiz-Form hat sich deshalb

als geeignet erwiesen, da diese Spiellogik sich mit der Entscheidungslogik des

digitalen Spiels paradigmatisch deckt: In der Quiz-Form wird die Logik der

Entscheidung im digitalen Spiel besonders deutlich. Dieser Spielmodus

verweist in seiner Reduziertheit auf das „Sich-Entscheiden-Müssen“ innerhalb

eines digitalen Systems und damit zugleich sowohl auf die technische

Programmstruktur des digitalen 0 oder 1 als auch das digitale „entweder/oder“.

Genau jene Struktur drückt auch den Bezeichnungs- und damit

Ordnungsmodus einer heteronormativen Matrix aus.

128 Butler, Judith: Was ist Kritik?, S.236/237.

79

Als Gedankenbild liegt dem Spiel ein bekanntes Beispiel zur Performativität von

Geschlecht zu Grunde. Das Spiel beginnt mit einem Vorspann, in welchem ein

Krankenhaus zu sehen ist, aus dessen Fenster Sprechblasen hervortreten, die

das Schreien von Babies andeuten. Gleich danach erscheint auf dem Bildschirm

der Titel des Spiels: GUESS MY GENDER. Damit ist auch schon geklärt, was es zu

tun gilt, wenn nach dem Intro das Bild eines Babies erscheint und darunter drei

Knöpfe, zwischen denen nun die_der Spieler_in wählen muss. Zur Wahl stehen

folgende Optionen:

It's a girl! It's a boy! I can't tell

Nun ist es an der_dem Spieler_in eine Entscheidung zu treffen. Ist das Baby auf

dem Foto ein Junge oder ein Mädchen? Hat die_der Spieler_in eine

Entscheidung getroffen, erscheint das nächste Foto, usw.

Es geht darum, dass die_der Spieler_in die Babies auf den Fotos bezeichnet, die

Babies in eine binär strukturierte Geschlechterordnung einordnet. Durch die

Quiz-Form des Spiels wird dem_der Spieler_in suggeriert, es gäbe eine Lösung.

Den Spieler_innen steht auch die Option „I can't tell“ zur Verfügung, mit der sie

ebenfalls zum nächsten Foto gelangen.

Ein Quiz zeichnet sich in der Regel durch das Vorhandensein einer „wahren“

Lösung, die hinter den Fragen steht, aus. Indem die Auswahloption „I can't tell“

im Kontext eines solchen Quizzes steht, erhält das Bekunden des eigenen

„Nicht-Wissens“ eine Funktion die der eines „Skip-Buttons“ nahe kommt. „Skip-

Buttons“ an sich werden in der Regel nicht als Antwort-Optionen

wahrgenommen, sondern gelten vielmehr als ein Scheitern der Spieler_innen.

Wenn „I can't tell“ als „Skip-Button“ interpretiert wird, bleibt den Spieler_innen

nur dieses sich zwischen zwei Optionen entscheiden zu können, dieses

Bevormunden von Anderen, die selbst noch keine Möglichkeit haben zu

handeln, wird in diesem „Über sie sprechen“ verdeutlicht, bzw. kann

verdeutlicht werden, auch indem es die Möglichkeit „I can't tell“ gibt, die auch

80

wenn sie nicht gewählt wird, ein mögliches „Anderes“ offen lässt, auf die

Absurdität verweist, jene die noch nicht in der Lage sind, handlungsfähig in

einer molaren Gesellschaft zu agieren, sie einzuordnen in diese, obwohl es sich

jeglich um einen „Anschein“ handelt, der auf etwas zu schließen vermag, was

„davor“, „dahinter“ ist, auf eine Natur oder eine „Wahrheit“ zu schließen, die

selbst nur zu dieser wird, da sie in einem binär-organisierten System durch die

Beschneidung und Einkerbung des offenen Raumes immer wieder dazu

gemacht werden muss, damit hierarchische Strukturen herstellt, die keine

Differenz mehr als solche zulässt, sondern Differenz alleine im Modus von

Ähnlichkeiten herstellt, die in einer Gesellschaft, die nur zwei Geschlechter

kennt, immer zum Ausschluss „des Anderen“ führt, da es dadurch zu „etwas

anderem“ gemacht wird. Es wird in Relation gesetzt, geordnet, zwei

Kategorien, die selbst nur Teile dieser Ordnung sind, eine die nur aus dieser

Ordnung hervorgehen konnte und durch diese diese Ordnung auch weiterhin

bestehen kann. GUESS MY GENDER bezieht sich damit auf den Prozess des

„gendering der Anderen“ über einen performativen Sprechakt. Das Baby wird

performativ einem Geschlecht zugeordnet und dadurch zu diesem „gemacht“.

Die_der Spieler_in entscheidet, aufgrund welcher Assoziationen auch immer,

welches Geschlecht das Baby „hat“ bzw. welches Geschlecht das Baby „ist“.

Diese Praxis im Spiel bezieht sich auf das der heteronormativen Matrix

innewohnende Prinzip der Ordnung und damit Herstellung von Subjekten über

die Kategorie „Geschlecht“ und verdeutlicht damit ebenfalls die

Bezeichnungspraxis, welche nötig ist um ein binär-strukturiertes System zu

erhalten. Auch kann an Hand von GUESS MY GENDER gesagt werden, dass

gerade dieses „Vergeschlechtlichen der Anderen“ erst von statten gehen kann,

wenn die, die bezeichnen, selbst auch schon bezeichnet sind, da diese nur

dadurch wiederum über diese Möglichkeit eines binär-organisierten Denkens

verfügen und damit „[…] die Fähigkeit, jemanden anzureden, sich offenbar von

81

der Tatsache ableitet, angeredet zu werden.“129 130

In GUESS MY GENDER wird nicht klar, ob es darum geht, ein anatomisches

Geschlecht festzustellen oder eine Geschlechtsidentität. Die Spieler_innen

haben Babies vor sich, denen sie ein Geschlecht „anlegen“. Die Spieler_innen

bestimmen damit ein „Sein“, welches jedoch nicht von den betreffenden Babies

artikuliert werden kann. Mit GUESS MY GENDER soll genau diese

Entscheidungspraxis spielbar werden. Dieses „es muss entschieden werden um

weiterzuspielen“ bzw. es muss für das Baby entschieden werden, damit es

Subjektstatus erhält und damit Zutritt in eine heteronormative Gesellschaft.

Damit lässt sich zeigen, dass die Kategorie Geschlecht, ob nun sex oder gender,

in einer institutionalisierten heteronormativen Gesellschaft nur zwei

Möglichkeiten zulässt: Entweder Junge oder Mädchen. Es scheint ganz vertraut

Babies in diese binäre Struktur einzuordnen, denn diese Kategorien sind es, die

einer westlichen Gesellschaft zur „[…] administrative[n] Konstruktion von

Identitäten […]“131 dienen. Damit soll genau jene von Butler beschriebene

Praxis verdeutlicht werden:

„In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines

Subjekts, von dem sich sagen ließe, das es der Tat vorangeht. […] Hinter den

Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte

129 Vgl. Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2006, S.55.

130 Dieser Modus wird auch anhand von Butlers Gedanken zu einem Wahrheitsregime deutlich, welches ebenfalls mit der abstrakten Maschine gelesen werden kann. In Kritik der ethischen Gewalt (Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2007) beschreibt sie die Funktionsweisen einer Norm zur Anerkennung der Anderen, somit auch einem Erkennen der Anderen. Diese können jedoch nur erkannt werden, wenn sich ein Subjekt als solches versteht, ein „ich“ beansprucht. Damit geht jedoch einher, dass dieses „ich“ selbst schon mit einem Wahrheitsregime in Verbindung steht und an einen normativen Rahmen gebunden ist, sich also das eigene „Sein“ gerade wieder auf diese Normen stützt.

131 Demirivic, Alex: „Über Michel Foucault: ‚So wollen wir nicht leben!‛“, SPEXonline, 2014, Zugriff über: http://www.spex.de/2014/06/25/ueber-michel-foucault-so-wollen-wir-nicht-leben/, Zugriff am: 26.06.2014.

82

Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch

diese »Äußerungen« konstruiert, die angeblich ihr Resultat sind.“132

Die Performativität einer Äußerung, die dadurch ein Baby zu einem Subjekt

macht, indem das Baby-Gesicht in eine binär organisierte Geschlechterordnung

eingeordnet wird, bevor dieses Baby überhaupt in der Lage ist, sich selbst als

ein Subjekt zu artikulieren. Oder um es es ebenfalls mit Butler zu beschreiben:

„Denken wir an eine Situation, in der jemand benannt wird, ohne davon zu wissen, wie

es schließlich uns allen zu Beginn unseres Lebens (und manchmal sogar noch zuvor)

widerfährt. Wenn der Name jemanden gesellschaftlich konstituiert, so geschieht dies

ohne das Wissen der Person.“133

Dieser performative Sprechakt ist es, den GUESS MY GENDER durch seine Quiz-

Form verdeutlicht. Ein binär strukturiertes Wurzel-Baum-Denken, welches einer

binären Vorstellung von Geschlecht bedarf, um Subjekte generieren zu können.

Die_der Spieler_in ist damit so etwas wie die abstrakte Maschine, die

Deleuze_Guattari in Tausend Plateaus beschreiben:

„Das Gesicht ist also von Natur aus eine ganz spezielle Vorstellung, was es aber nicht

daran gehindert hat, eine äußerst allgemeine Funktion zu erwerben und auszuüben,

nämlich die Funktion, bi-univok oder binär zu machen. […] Welchen Inhalt man der

Maschine auch gibt, sie schafft die Einheit des Gesichts, eines elementaren Gesichts,

das eine bi-univoke Beziehung zu einem anderen Gesicht hat: ein Mann oder eine Frau,

ein Reicher oder ein Armer, ein Erwachsener oder ein Kind, ein Chef oder ein

Untergebener, "ein x oder ein y". Die Verschiebung des schwarzen Loches auf dem

Bildschirm, der Weg des dritten Auges auf der Referenzfläche, bildet lauter

Dichotomien oder Baumformen, wie Maschinen mit vier Augen, die elementare

Gesichter sind, die paarweise miteinander verkoppelt sind. […] Beim zweiten Aspekt

hat die abstrakte Maschine zur Gesichtschaffung die Aufgabe, eine selektive Antwort

zu finden oder eine Entscheidung zu treffen. Wenn ein konkretes Gesicht gegeben ist,

entscheidet die Maschine, den Einheiten der elementaren Gesichter folgend, ob es

durchgeht oder nicht, ob es geht oder nicht. Das binäre Verhältnis gehört in diesem

Fall zum Typus "ja-nein". Das leere Auge des schwarzen Loches nimmt auf oder lehnt

132 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S.49.133 Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, S.55.

83

ab, wie etwa ein seniler Despot noch ein Zeichen der Zustimmung oder der Ablehnung

gibt.“134

Gerade um das Sichtbar-Machen dieses Binär-Machens geht es in GUESS MY

GENDER. Die Entscheidungsmöglichkeit „I can't tell“ soll zum Ausdruck bringen,

dass über diese Bilder keine Möglichkeit besteht, eine „wahre“ Identität zu

erkennen, ein „wahres“ Geschlecht auszumachen. Das es hier eigentlich nichts

zu sehen gibt und erst über die Bezeichnung der Babies ein Geschlecht

entsteht, erst über den Akt des Bezeichnens Babies zu vergeschlechtlichten

Entitäten werden. „I can't tell“ verweist auf die Abbilder, die Ähnlichkeiten

herstellen zu anderen Abbildern, Bilder die durch Ähnlichkeiten Normen

herstellen, Assoziationen hervorrufen, die so stark in das Binäre-Denken

eingeschrieben sind, ohne die die abstrakte Maschine nicht in der Lage wäre,

Entscheidungen zu treffen. Denn dieses System „[…] muß schon den ganzen

Raum gerastert, seine Baumstrukturen oder Dichotomien aufgezeichnet

haben, damit der Signifikant und die Subjektivität auch nur die Möglichkeit

ihrer Baumstrukturen oder Dichotomien begreiflich machen können.“135

Diese Entscheidungslogik ist das Grundprinzip des Spiels. Die Entscheidung

zwischen zwei möglichen Optionen oder eben das „I can't tell“, welches das

Baby nicht bezeichnet, ihm kein „Sein“ zuweist. Die Suche nach „den Zeichen“

wird aufgegeben und das Baby der abstrakten Maschine entzogen. Nach der

„Ordnung der Babies“ kommt es im Spiel zu einer Auflistung dessen, was

die_der Spieler_in gewählt hat (wie viele Jungen, wie viele Mädchen, wie oft

„nichts“ erkannt wurde). Danach folgt die „Lösung“, die es nicht gibt. Die_der

Spieler_in erfährt nicht, wie viele Babies „richtig“ eingeordnet worden sind. Die

einzelnen Entscheidungen beeinflussen den Ausgang des Spiels somit nicht.

Alles führt zum selben Schluss: Zur „Auflösung der Lösung“.

134 Deleuze_Guattari: Tausend Plateaus, S.243.135 Ebenda, S.246.

84

4.4.2. I can't tell

„Das Werden ist die Bewegung, durch die die Linie sichvom Punkt befreit und die Punkte ununterscheidbarmacht: das Rhizom, der Gegensatz zur baumartigenOrdnung; man muß sich von der baumartigenOrdnung freimachen. Das Werden ist ein Anti-Gedächtnis.“136

Der Moment, in dem die Spieler_innen die Babies zuordnen ist deckungsgleich

mit der Programmstruktur und der ihr inhärenten Entscheidungslogik. Was

Mersch als die durch die Entscheidungslogik manifestierte „Vorschrift im

Denken“137 bezeichnet, wird in GUESS MY GENDER gerade dadurch nutzbar

gemacht, indem es die vorgegebene Struktur des Quizes einsetzt um auf die

binär-organisierte Denkstruktur eines molar organisierten Denkbildes zu

verweisen. Nicht ist es das digitale Spiel, welches in der Entscheidungslogik

beschränkt zu bleiben scheint. Es ist das Denken einer molar organisierten

Gesellschaft selbst, die nach ähnlichen Regeln wie das Digitale verfährt und aus

denen sich auch erst das Digitale entwickeln konnte. Deshalb kann für das

Digitale dasselbe gelten, wie für ein binär organisiertes Denken: Auch das

Digitale verfügt über jene Fluchtlinien. In GUESS MY GENDER ist diese Linie

gerade dieser Prozess des Bezeichnens der Anderen, der sich zu einer

Fluchtlinie entwickeln kann.

136 Ebenda, S.400.137 Mersch: „Logik und Medialität des Computerspiels“, S.37.

85

4.5. LOVED, 2010by Alexander Ocias

while( noButtonWasClicked )

repeat:

print("Are you a man, or a woman?");

if ( getUserResponse() is equal "woman" )

then

print("No, you are a boy.")

if ( getUserResponse() is equal "man" )

then

print("No, you are a girl.")

end repeat;

startTheGame();

Im Gegensatz zu den anderen hier analysierten Spielen befasst sich LOVED138

nicht mit Fragen zu sex/gender/Begehren. Trotzdem soll es hier analysiert

werden, da sich die Entscheidungsfrequenz am Anfang von LOVED als durchaus

aufschlussreich im Rahmen dieser Arbeit erweist. LOVED ist ein „Jump-and-Run

Game“, in dem die Spieler_innen mit einem Avatar durch eine Spielwelt laufen

und springen müssen, um diese zu bewältigen. Dazu gehört das Umgehen und

Ausweichen von bzw. vor Hindernissen. Ist das Ziel erreicht endet auch das

Spiel. Es besteht lediglich aus einem Level.

138 Zugriff über: http://www.alexanderocias.com/loved.php, Zugriff am: 30.06.2014.

86

4.5.1. You are not what you think you are!

„Durch das Sprechen verletzt zu werden bedeutet,daß man Kontext verliert, also buchstäblich nichtweiß, wo man ist. Vielleicht macht tatsächlich geradedas Unvorhersehbare des verletzenden Sprechens dieVerletzung aus, der Adressat wird seinerSelbstkontrolle beraubt.“139

Das Spiel beginnt auch hier mit einer Frage, die suggeriert den Avatar über ein

sex/gender herzustellen. Die Spieler_in muss sich entscheiden:

Are you a man, or a woman?

Wie sich nun die_der Spieler_in auch entscheiden mag, anschließend wird die

Entscheidung in LOVED sofort negiert. Egal welche Entscheidung die_der

Spieler_in trifft, das Spiel macht diese zu einer verfehlten Entscheidung. Das

Geschlecht für das sich entschieden wird, ist in beiden Fällen nicht „wahr“. Das

Spiel antwortet in beiden Fällen mit einer Korrektur. Diese „Korrektur der

Entscheidung“ ist es, die sich als interessant erweist. Wird „man“ gewählt,

antwortet das Spiel: „No, you are a girl.“. Entscheidet sich der_die Spieler_in für

„woman“, kommt es zur gegenteiligen Antwort: „No, you are a boy.“

Es ist auch hier wieder das Geschlecht über das es der_dem Spieler_in in LOVED

ermöglicht wird seinen_ihren Avatar zu subjektivieren. Dadurch aber, dass

LOVED jede Entscheidung sofort wieder zunichte macht, kommt es zu einer

Kränkung des Subjekts, einer Beleidigung. Zuerst bietet das Spiel die

Möglichkeit an, sich entweder für einen männlichen oder einen weiblichen

Avatar entscheiden zu können, spielt jedoch schlussendlich diese

Entscheidungsmöglichkeit nur vor, tut so, als hätte die_der Spieler_in eine

Möglichkeit sich „frei“ zu entscheiden, als hätte die_der Spieler_in die

139 Butler: Haß spricht, S.13.

87

Möglichkeit souverän zu handeln. In LOVED wird das „Phantasma der

Souveränität“, wie es Mersch bezeichnet, außer Kraft gesetzt. Hier entsteht ein

Moment in dem die_der Spieler_in in eine Situation versetzt wird, in der das

Spiel nicht der Entscheidung des_der Spieler_in folgt, sondern seinen eigenen

Regeln. Diesen folgt das digitale Spiel zwar immer, jedoch wird es im Moment

der Negation der Entscheidung des_der Spieler_in besonders deutlich. LOVED

bietet demnach zwar die Möglichkeit einer Subjektivierung über ein Geschlecht

an, entzieht aber jeder Entscheidung der Spieler_innen seine Gültigkeit und

vollzieht damit einen unerwarteten Moment innerhalb eines digitalen Spiels.

Denn wenn sonst diese Subjektivierungsentscheidungen oft vor allem dazu

dienen, die_den Spieler_in an das Spiel zu binden, findet hier eine Abwertung

gegenüber der Entscheidung und damit eine Beleidigung der Spieler_innen-

Subjekte statt. Diese Beleidigung verfährt über das Geschlecht. Dieser Moment

zeigt auch, wie sehr Subjekte „sprachliche Wesen“140 sind.

Das Geschlecht, das die_der Spieler_in (erhalten) hat oder sich angeeignet hat,

wird in LOVED „nicht ernst genommen“. Wenn also Butler in Haß spricht davon

schreibt, dass „[e]inen Namen zu erhalten [auch] zu den Bedingungen [gehört],

durch die das Subjekt sich sprachlich konstituiert […]141“, dann kann dies auch

für das Geschlecht gelten. Und damit, ebenfalls mit Butler gesprochen, kann

wohl behauptet werden, dass „[u]nsere Verletzbarkeit durch die Sprache

vielleicht darauf [beruht], daß es ihre Bedingungen sind, die uns

konstituieren[.]142“ Nach dieser ersten Verletzung des Subjekts widerfahren

dem_der Spieler_in weitere Beleidigung, z.B. wenn sie die Handlungsangaben

im Spiel nicht befolgen. Zudem kommen noch andere Fragen, die, egal wie

die_der Spieler_in sich entscheidet, ins Gegenteil gekehrt werden. Nur wenn

die_der Spieler_in sich an die Handlungsangaben des Spiels hält wird er_sie

140 Vgl. Butler: Haß spricht, S.9.141 Vgl. ebenda, S.9/10.142 Vgl. ebenda, S.9.

88

„gelobt“. Also entweder mit „Good girl“ Oder „Good boy“.

Die Spieler_in wird somit auch für den Rest des Spiels mit dem nicht von

ihm_ihr ausgewähltem Geschlecht angesprochen.

4.5.2. Fragile Subjekte

In LOVED wird deutlich, wie sehr Geschlecht in einem binär organisierten

Denken als Subjektivierungskategorie dient und wie schnell diese ins

Schwanken geraten kann. Da sich jedoch der Spielverlauf auch in diesem Spiel

nicht ändert, kann sowohl über die Kategorien und deren Wichtigkeit selbst

nachgedacht werden. Weder hat der Avatar ein anderes Aussehen, noch

verändert sich die Umgebung, der Inhalt oder das Ende des Spiels. Damit kann

gesagt werden, das LOVED zwar nicht explizit als Kritik einer binären

Geschlechterordnung gilt, aber dennoch die Relevanz jener Ordnung in

entweder Mann oder Frau in einer molar strukturierten Gesellschaft deutlich

wird und wie sehr die Negierung der darauf bezogenen Entscheidung der

Spieler_innen zu einer Kränkung des Subjekts führen kann. LOVED produziert

demnach eine Fluchtlinie, indem es als digitales Spiel nicht wie sonst dem_der

Spieler_in suggeriert, Handlungsmacht gegenüber dem digitalen Spiel zu

besitzen, sondern die Spieler_innen in die Situation bringt, nicht mehr souverän

handeln zu können. Diese Fluchtlinie durch die negierte Entscheidung der

Spieler_innen eröffnet die Möglichkeit, Geschlecht als

Subjektivierungsstrategie sichtbar zu machen, als eine Kategorie, über die sich

Subjekte generieren und die zu einer Kränkung führt und damit auf eine fragile

Subjektkonstruktion innerhalb eines molaren Systems verweist.

89

5. Schlussbemerkung

Abschließend sollen hier noch einmal jene zentralen Momente, die

beschriebenen Paradoxa, die über die Analyse der Spiele deutlich geworden

sind, zusammengefasst werden:

In A CLOSED WORLD ist es der Moment des „Sich-Entscheiden-Müssens“ der

Spieler_innen, der nötig ist um Teil dieses digitalen Systems bzw. dieser dort

vorgefundenen „geschlossenen“ Welt zu werden, die als eine Analogie auf eine

heteronormativ organisierte Welt, der eine binär organisierte

Geschlechterordnung zu Grunde liegt, zu lesen ist.

In A GAME OF THREES gelingt es durch den Zusatz des Wortes „more“, dass die

Spieler_innen zwar ebenfalls eine Entscheidung treffen müssen um einen

Avatar zu generierenen, dieser jedoch durch das Wort „more“ keine „innere

Wahrheit am Grunde des Geschlechts“ besitzt und sich einem

unabgeschlossenen Werden zuwendet.

Bei GUESS MY GENDER wird die Funktion der abstrakten Maschine deutlich,

indem die Spieler_innen zu jenen werden, die Andere bezeichnen, damit diese

zu „Jemandem“ werden können.

Und zuletzt LOVED. Hier wird besonders deutlich, wie sehr Subjektivierung

innerhalb einer heteronormativen Gesellschaft an Geschlecht geknüft ist und

wie fragil dieses ist, also wie schnell es zu einer Verletzung des Subjekts über

das Geschlecht kommt.

Alleine QUEER POWER vermag es nicht die binäre Struktur des Digitalen zu

nützen um jenes Paradoxe Moment herzusetellen, um so Kritik an dem

Dualismus der Geschlechter hervorzubringen. Vielmehr reproduziert,

stabilisiert es diese Ordnung, indem es „das Andere“ konstruiert und damit

weiterhin auf eine binäre Geschlechterordnung referiert.

90

Über die Analyse konnte gezeigt werden, dass digitale Spiele, obwohl sie binäre

Systeme sind und keine Abweichungen erlauben, Paradoxa herstellen bzw.

Fluchtlinien freisetzen können. Mit den Fluchtlinien/Paradoxa wird es möglich

eine binär organisierte Gesellschaft, welcher eine Zwei-Geschlechter-Ordnung

zu Grunde liegt und die durch diese stabilisiert wird, in dem Sinne zu kritisieren,

indem das digitale Spiel selbst auf seine Binärität verweist. Die Binarität des

digitalen Spiels besteht darin, dass es sich nur in einem festgelegten

entweder/oder ausdrücken kann. Die Ausschlussmechanismen und die

hierarchischen Strukturen eines molaren System werden im Digitalen sichtbar,

indem es diese überzeichnet und erkennbar macht. Die binäre Logik des

Digitalen steht in einem Bezug zur heteronormativen Gesellschaft, da diese

ebenfalls auf diesen entweder/oder Operationen beruht, also darauf

angewiesen ist Individuen zu kategorisieren um diese überhaupt erst zu

Subjekten zu machen.

Damit ist Mersch Kritik am digitalen Spiel nicht haltbar, denn auch außerhalb

dessen ist eine heteronormative Gesellschaft eine binär organisierte, eine die

selbst durch einen bestimmte „Vorschrift im Denken“ organisiert ist. Ein

Denken des Wurzel-Baum, ein Denken das sich an Ähnlichkeiten festhält und

über diese den offenen Raum immer wieder versucht zu rastern, das Werden

damit in einen Stillstand versetzt. Nicht nur das Digitale ist es, was wieder für

die Mannigfaltigkeiten geöffnet werden soll, bzw. dessen Fluchtlinien sichtbar

gemacht und hervorgehoben werden sollen. Das binär organisierte Denken

selbst muss sich öffnen für ein Werden, dass sich nicht an Erinnerungen

klammert. Analog wie Digital, bedarf es über ein anderes Denken

nachzudenken. Welches immer schon vorhanden ist, nur wird es ständig

geordnet und blockiert und steht damit dem Werden, nach Deleuze_Guattari,

entgegen. Wenn es dem Digitalen also nicht möglich ist auf fixe Einheiten zu

referieren, der Programmcode also Fehler aufweist, kann das Programm nicht

91

mehr ausgeführt werden, es kommt zu einem Syntax Error, das System bricht in

sich zusammmen. Es kann erst wieder gespielt werden, wenn das Error

behoben worden ist, also „das Problem“ in die bestehende Programmstruktur

eingegliedert wurde. Ähnliches gilt für Individuen, die von der abstrakten

Maschine weder als Mann oder als Frau erkannt werden können. Erst wenn sich

für entweder Mann oder Frau entschieden wurde, beziehungsweise eine neue

Kategorie für das „Andere“ bereitgestellt wurde, welche jedoch immer in einer

hegemonialen Verbindung zu den Kategorien Mann/Frau bestehen bleibt, kann

ein Individuum zu einem Subjet werden. Diese Subjektivierung über das

Geschlecht wird auch in vielen digitalen Spielen genützt. Darüber wird es den

Spieler_innen ermöglicht Teil des digitalen Systems zu werden. Ebenjene

Subjektwerdung über das Geschlecht kritisieren die hier analysierten Spiele. Bis

auf QUEER POWER können die hier analysierten Spiele als Beispiele dafür

dienen zu zeigen, dass es durchaus möglich ist, Kritik an einer Zwei-

Geschlechter-Ordnung, beziehungsweise an einer binären Struktur, zu üben,

obwohl digitale Spiele selbst binär organisierte Systeme sind. Diese Möglichkeit

der Kritik konnte mit Hilfe von Deleuze_Guattari und deren Denken des

molukelaren Raums, also des Rhizoms und den das Rhizom durchziehenden

Fluchtlinien beschrieben werden. Das Paradox, welches Dieter Mersch als ein

dem Digitalen innewohnendes Moment beschreibt, kann als Fluchtlinie

interpretiert werden. Daher galt es bei den Analysen ebenjene Paradoxa

herauszuarbeiten, die Fluchtlinien nachzuzeichnen und sie somit freizusetzen.

Gerade das digitale Spiel konnte daher dazu genutzt werden um zu zeigen, wie

ein in sich geschlossenes System sich nicht dem Rhizom zu verschießen vermag

und gerade dafür genutzt werden kann, die Binarität im Denken selbst in Frage

zu stellen und diese garade durch dieses paradoxe Verhältnis sichtbar zu

machen.

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6. Literatur- und Quellenverzeichnis

Abbildungen

1. FunCaptcha, S.6.

2. monochrom.at, S.88.

Print

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United Front Games; Media Molecule: LittleBigPlanet-Karting, PS3, 2012.

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7. Abstract

Was heißt es, wenn sich ein digitales Spiel kritisch mit der binären

Geschlechterordnung auseinandersetzt, obwohl das Medium selbst binär

organisiert ist und außerhalb dessen nichts kennt und auch nichts erkennen

kann? Ist dieses Paradox unausweichlich, macht es jede Kritik zunichte?

Um dieser Frage nachzugehen, setzt sich diese Arbeit mit fünf zeitgenössischen

digitalen Spiele auseinander und untersucht diese in Hinblick auf ihren

kritischen Zugang zur heteronormativen Matrix. Die Aufmerksamkeit gilt vor

allem jenen Strategien, die die Zwei-Geschlechter-Ordnung in Frage stellen,

subversiv unterwandern.

Die zentrale Frage lautet, wie und ob es möglich ist im Medium digitales Spiel

Kritik an der Geschlechterdifferenz zu üben, beziehungsweise queere Inhalte

spielbar zu machen, wenn die dem digitalen Spiel inhärente Logik an eine

binäre Struktur gebunden ist, auf strengen Entscheidungsmomenten basiert

und in diesem Sinne nur Nullen und Einsen als logische Anordnungen kennt.

Dabei soll über das Medium digitales Spiel und dessen spezifische

Eigenschaften unter anderem im Zusammenhang mit Begriffen nach

Deleuze_Guattari, zum Beispiel dem der Fluchtlinie, oder auch mit Dieter

Merschs Begriff der Entscheidungslogik und dem sich daraus ergebenden

Paradox nachgedacht werden.

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8. Lebenslauf

Viktoria Drexler

seit 2013 Tutor_in bei Univ.-Ass. Dr. habil. Andrea Seier, M.A.(Universität Wien)

seit 2009 Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft (Universität Wien)

seit 2008 Redaktionsmitklit des Magazins „fiber. werkstoff für feminismus und popkultur“

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