Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing

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1 Johannes Pöll, in: Kulturberichte aus Tirol 56 [55. Denkmalbericht] (2002) 132–133; ders., in: Fundberichte aus Österreich 40 (2001) 64–65; ders., Fortsetzung der archäologischen Untersuchun- gen an der frühbronzezeitlichen Siedlungsstelle auf dem Buchberg bei Wiesing, in: Archäologische Forschungen und Grabungsberichte aus Tirol (Archaeo Tirol, Kleine Schriften 3), hg. von Gerhard Tomedi / Josef Zeisler, Wattens 2001, 185–188; Rüdiger Krause, Elite dell’antica età del bronzo tra le alpi e il danubio. Riflessioni su strutture sociali e gerarchie nell’ambito della metallurgia, in: Guerrieri, Principi ed Eroi fra il danubio e il Po dalla Preistoria all’Alto Medioevo, hg. von Franco Marzatico / Paul Gleirscher, T rient 2004, 147–153, vgl. bes. 149, 152 Abb. 7; ders., Bronze age copper produc- tion in the alps: organisation an social hierarchies in mining communities, in: Metals an Societies, stu- dies in honour of Barbara S. Ottaway (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 169), hg. von Tobias L. Kienlin / Ben W. Roberts, Bonn 2009, 47–66, vgl. bes. 54; Martin Bartelheim, Elites and metals in the central european early bronze age, in: Kienlin/Roberts, ebd. 34–46, vgl. bes. 38 f.; ders., Die Rolle der Metallurgie in vorgeschichtlichen Gesellschaften. Sozioökonomische und kulturhistorische Aspekte der Ressourcennutzung. Ein Vergleich zwischen Andalusien, Zypern und dem Nordalpenraum (Forschungen zur Archäometrie und Altertumswissenschaft 2), hg. von Ernst Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing Johannes Pöll Der Autor erinnert sich gerne an die vielen Besuche von Franz Caramelle auf den unter- schiedlichsten Grabungen Tirols. Besonders interessiert zeigte sich der Jubilar an den zahlreichen Kirchengrabungen, die bis ins Jahr 2009 meist durch das Bundesdenkmal- amt im Zuge von Restaurierungsvorhaben durchgeführt worden sind. Das breit gefä- cherte kulturgeschichtliche Interesse von Franz Caramelle führte ihn aber auch an so manche prähistorische Fundstelle. Die Ausgrabungen am Buchberg von Wiesing besich- tigten wir 2001 im Juli gemeinsam im Anschluss an eine Begehung der Felsinschriften am Schneidjoch. Der vorzustellende Bronzedolch war damals gerade noch nicht ent- deckt, doch konnte ich diesen in restauriertem Zustand wenige Monate später im Rah- men einer Dienstbesprechung voller Stolz den Kolleginnen und Kollegen im Landes- konservatorat präsentieren. Dabei wurde das Stück nicht nur mit den Augen bestaunt, sondern auch in die Hände genommen. Neugier rief vor allem die seltsam gebogene Klinge hervor, und so kam es, wie es kommen musste: ein an sich behutsam in Angriff genommener „Elastizitätstest“ endete fatal, die Klinge brach nämlich auseinander. Der unvermittelte Bruch der Dolchklinge jagte einem der Anwesenden einen ganz besonde- ren Schrecken ein, nämlich Franz Caramelle, dem das Malheur höchstpersönlich pas- sierte. Weshalb es überhaupt dazu kommen konnte und warum die im ersten Moment vermutete Denkmalzerstörung gar keine war, mag der nachfolgende Text vor Augen führen. Das zu besprechende Stück wurde bereits in einigen wissenschaftlichen Publika- tionen 1 mitbehandelt, erwähnt oder abgebildet, aber noch nicht detailliert beschrieben, was durch diese kleine Studie geschehen soll.

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1 Johannes Pöll, in: Kulturberichte aus Tirol 56 [55. Denkmalbericht] (2002) 132–133; ders., in: Fundberichte aus Österreich 40 (2001) 64–65; ders., Fortsetzung der archäologischen Untersuchun-gen an der frühbronzezeitlichen Siedlungsstelle auf dem Buchberg bei Wiesing, in: Archäologische Forschungen und Grabungsberichte aus Tirol (Archaeo Tirol, Kleine Schriften 3), hg. von Gerhard Tomedi / Josef Zeisler, Wattens 2001, 185–188; Rüdiger Krause, Elite dell’antica età del bronzo tra le alpi e il danubio. Riflessioni su strutture sociali e gerarchie nell’ambito della metallurgia, in: Guerrieri, Principi ed Eroi fra il danubio e il Po dalla Preistoria all’Alto Medioevo, hg. von Franco Marzatico / Paul Gleirscher, Trient 2004, 147–153, vgl. bes. 149, 152 Abb. 7; ders., Bronze age copper produc-tion in the alps: organisation an social hierarchies in mining communities, in: Metals an Societies, stu-dies in honour of Barbara S. Ottaway (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 169), hg. von Tobias L. Kienlin / Ben W. Roberts, Bonn 2009, 47–66, vgl. bes. 54; Martin Bartelheim, Elites and metals in the central european early bronze age, in: Kienlin/Roberts, ebd. 34–46, vgl. bes. 38 f.; ders., Die Rolle der Metallurgie in vorgeschichtlichen Gesellschaften. Sozioökonomische und kulturhistorische Aspekte der Ressourcennutzung. Ein Vergleich zwischen Andalusien, Zypern und dem Nordalpenraum (Forschungen zur Archäometrie und Altertumswissenschaft 2), hg. von Ernst

Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing

Johannes Pöll

Der Autor erinnert sich gerne an die vielen Besuche von Franz Caramelle auf den unter-schiedlichsten Grabungen Tirols. Besonders interessiert zeigte sich der Jubilar an den zahlreichen Kirchengrabungen, die bis ins Jahr 2009 meist durch das Bundesdenkmal-amt im Zuge von Restaurierungsvorhaben durchgeführt worden sind. Das breit gefä-cherte kulturgeschichtliche Interesse von Franz Caramelle führte ihn aber auch an so manche prähistorische Fundstelle. Die Ausgrabungen am Buchberg von Wiesing besich-tigten wir 2001 im Juli gemeinsam im Anschluss an eine Begehung der Felsinschriften am Schneidjoch. Der vorzustellende Bronzedolch war damals gerade noch nicht ent-deckt, doch konnte ich diesen in restauriertem Zustand wenige Monate später im Rah-men einer Dienstbesprechung voller Stolz den Kolleginnen und Kollegen im Landes-konservatorat präsentieren. Dabei wurde das Stück nicht nur mit den Augen bestaunt, sondern auch in die Hände genommen. Neugier rief vor allem die seltsam gebogene Klinge hervor, und so kam es, wie es kommen musste: ein an sich behutsam in Angriff genommener „Elastizitätstest“ endete fatal, die Klinge brach nämlich aus einander. Der unvermittelte Bruch der Dolchklinge jagte einem der Anwesenden einen ganz besonde-ren Schrecken ein, nämlich Franz Caramelle, dem das Malheur höchst persönlich pas-sierte. Weshalb es überhaupt dazu kommen konnte und warum die im ersten Moment vermutete Denkmalzerstörung gar keine war, mag der nachfolgende Text vor Augen führen. Das zu besprechende Stück wurde bereits in einigen wissenschaft lichen Publika-tionen1 mitbehandelt, erwähnt oder abgebildet, aber noch nicht detailliert beschrieben, was durch diese kleine Studie geschehen soll.

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Pernicka / Martin Bartelheim, Rahden/Westf. 2007, 203 Abb. IV.10; Matthias Schubert / Ernst Pernicka, Die frühbronzezeitliche Kupferverarbeitung auf dem Buchberg im Unterinntal, Tirol, in: Cuprum Tyrolense – 5550 Jahre Bergbau und Kupferverhüttung in Tirol, hg. von Montanwerke Brixlegg AG / Klaus Oeggl / Veronika Schaffer, Reith i. A. 2013, 123–152, vgl. bes. 130 Abb. 6.

2 Wilhelm Sydow, Die prähistorischen Wehranlagen auf dem Buchberg, OG Wiesing, Tirol, in: Fund-berichte aus Österreich 23 (1984) 179–207, vgl. bes. 182–186.

3 Ludwig Wamser, Ein Felsspalten-Depositum der Fritzens-Sanzeno-Kultur vom Buchberg im Tiroler Inntal (OG Wiesing), in: Kult der Vorzeit in den Alpen, Opfergaben – Opferplätze – Opferbrauchtum (Schriften der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer), hg. von Liselotte Zemmer-Plank / Wolfgang Söl-der, Bozen–Innsbruck 2002, 985–1041, vgl. bes. 988 f., 1038; Wamser, ebd. 989 f. nimmt zudem an, dass das ältere Mauergeviert nicht frühbronzezeitlich ist, sondern der latènezeitlichen Mauerstruktur unmittelbar vorausgegangen sei, also vielleicht späthallstattzeitlich datieren könnte.

4 Wamser, Felsspalten-Depositum, ebd. 5 Ebd. 1027 f., 1039 f.6 Wilhelm Sydow, Eine frühbronzezeitliche Fundstelle am Buchberg, Gem. Wiesing (Tirol), in: Fund-

berichte aus Österreich 34 (1995) 567–573; Klaus-Peter Martinek, Archäometallurgische Unter-suchungen zur frühbronzezeitlichen Kupferproduktion auf dem Buchberg bei Wiesing, Tirol, in: Fund-berichte aus Österreich 34 (1995) 575–584; Siehe auch Klaus-Peter Martinek / Wilhelm Sydow, Frühbronzezeitliche Kupfermetallurgie im Unterinntal (Nordtirol). Rohstoffbasis, archäologische und archäometallurgische Befunde, in: Alpenkupfer – Rame delle Alpi (Der Anschnitt, Beiheft 17), hg. von Gert Weisgerber / Gert Goldenberg, Bochum 2004, 199–211.

Der Buchberg von Wiesing

Der Buchberg ist ein mächtiger, West-Ost-gelagerter Inselberg im Inntal östlich von Jenbach (Abb. 1). Er liegt im Schnittpunkt des Inntales mit zwei Seitentälern. Nord-wärts erstreckt sich das Achental, durch welches eine Verbindung ins bayerische Alpen-vorland gegeben ist. Nach Süden weitet sich das Zillertal. Dieser günstigen verkehrsgeo-grafischen Lage und dem Umstand, dass er sich im Kerngebiet der Kupfererzlagerstätten zwischen Schwaz und Brixlegg befindet, verdankt der Felsrücken seine nicht zu unter-schätzende Bedeutung in der Bronze- und Latènezeit. In den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte Wilhelm Sydow am südwestlichen Ende des Hügels eine als Befestigung gedeutete Anlage mit einer Ausdehnung von ca. 25 x 19 m unter suchen, die aus einem trocken gemauerten Geviert aus mächtigen Kalkblöcken gebildet wurde.2 Der Ausgräber datierte diesen Befund in die Frühbronzezeit. Diese Baustruktur hatte einen frühlatènezeitlichen Nachfolger, dem ebenfalls eine fortifikatorische Funktion zugesprochen wurde. Zuletzt wurde von Ludwig Wamser die Meinung geäußert, dass es sich dabei um ein Kultgebäude gehandelt haben könnte.3 In jedem Fall in kulti-schem Zusammenhang steht ein weiter nordwestlich in einer Felsspalte entdecktes Depot mit zwei Bronzeblechgürteln und einem Kettengehänge mit 28 Schmuck- und Klapper anhängern, das als Zeremonialgehänge einer Pferdeschirrung gedeutet wird.4 Die Gürtel datieren in die frühe Eisenzeit (Ha D3-Lt A/B), sie wurden nach langer Nutzungszeit mit dem Zeremonialgehänge frühestens in der Stufe Lt C (Fibel vom Mit-tellatèneschema) verborgen.5 Schon die Grabungen der frühen achtziger Jahre lieferten Hinweise darauf, dass am Buchberg in der Frühbronzezeit Kupfererz verhüttet wurde. Diese erhärteten sich durch eine 1994 durchgeführte Sondage, bei der Wilhelm Sydow und Klaus-Peter Martinek Kupferschlacken, Fahlerzbruchstücke, Tondüsen- und Guss-tiegelfragmente bergen konnten.6 Auslöser der Sondagen an der letztgenannten Stelle war ein bei Begehungen zutage getretener Fund eines frühbronzezeitlichen Randleisten-

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7 Klaus-Peter Martinek, in: Fundberichte aus Österreich 32 (1993) 694; Das Beil wird von Martinek dem Typ Langquaid II zugeordnet.

8 Hans-Peter Schrattenthaler / Brigitte Rieser, Neufunde am Tiergarten bei Wiesing, in: Tiroler Hei-matblätter 69, Heft 4 (1994) 102.

9 Martinek, Kupferproduktion (wie Anm. 6) 580–582. Für das Randleistenbeil wurde dieses Ergebnis zuletzt eher kritisch beurteilt. Der hohe Nickelgehalt weist auf den Typ „ostalpines Kupfer“ und passt nicht zu den Rohkupferstücken der Grabungen 1999–2004. Damit steht der angenommene Guss des Beiles am Buchberg in Frage. Siehe dazu Schubert/Pernicka, Kupferverarbeitung (wie Anm. 1) 133.

10 Den Hinweis verdanke ich Klaus-Peter Martinek. Die Dolchklinge wird auch von Stephan Möslein erwähnt. Siehe dazu Stephan Möslein, Die Straubinger Gruppe der donauländischen Frühbronze-zeit – Frühbronzezeitliche Keramik aus Südostbayern und ihre Bedeutung für die chronologische und regionale Gliederung der frühen Bronzezeit in Südbayern, in: Bericht der Bayerischen Bodendenkmal-pflege 38 (1997) 37–106, siehe bes. 68.

11 Vgl. dazu die in Anm. 1 und im Folgenden zitierten kurzen Grabungsberichte: Johannes Pöll, in: Fundberichte aus Österreich 38 (1999) 59–60; ders., in: Fundberichte aus Österreich 39 (2000) 59–60; ders., in: Fundberichte aus Österreich 42 (2003) 65–66; ders., in: Fundberichte aus Öster-reich 43 (2004) 74; ders., in: Kulturberichte aus Tirol 54 [53. Denkmalbericht] (2000) 137–139; ders., in: Kulturberichte aus Tirol 55 [54. Denkmalbericht] (2001) 141–142; ders., in: Kultur berichte aus Tirol 58 [57. Denkmalbericht] (2004) 154–155; ders., in: Kulturberichte aus Tirol 59 [58. Denk-malbericht] (2005) 139–140; ders., Ein bronzezeitlicher Siedlungsplatz auf dem Buchberg bei Wie-sing, in: Archäologische Forschungen in Ampass – Grabungsberichte aus Tirol (Archaeo Tirol, Kleine Schriften 2), hg. von Gerhard Tomedi / Josef Zeisler, Wattens 2000, 126–128.

12 Eine als Diplomarbeit an die Freie Universität Berlin vergebene Bearbeitung der Befunde und Funde wurde leider nicht fertiggestellt.

beiles7 sowie einer ebenfalls frühbronzezeitlichen Scheibenkopfnadel mit ovaler, unver-zierter Kopfplatte.8 Für beide Stücke nimmt Martinek anhand geochemischer Analysen eine Herstellung am Buchberg selbst unter Verwendung einer Mischung aus oxidischem Kupfererz und Fahlerz aus dem Schwazer Revier an.9 Eine ebenfalls frühbronzezeitliche Dolchklinge, offenbar Fund eines Sondengehers, befindet sich heute in Privatbesitz und ist noch unpubliziert.10

Die Fundstelle des frühbronzezeitlichen Vollgriffdolches

Jene Zone auf der Hügelkuppe, welche sich zwischen der in den achtziger Jahren er-forschten Befestigung und der 1994 durchgeführten Sondagegrabung erstreckte, war zwischen 1999 und 2004 Ziel von insgesamt fünf Ausgrabungskampagnen unter der Leitung des Bundesdenkmalamtes (Abb. 2).11 Die Grabungen wurden durch den nach Osten voranschreitenden Kalksteinabbau durch die Firma Gubert ausgelöst. Bei dem in etwa 200 m östlich der frühbronzezeitlichen Befestigung befindlichen Areal handelte es sich um das vom Kamm der Südwest-Nordost-streichenden Kuppe nach Südosten abfallende Hanggelände, an dessen unterem Ende eine ebene Fläche situiert war (Südterrasse) (Abb. 3). Gegen Nordosten begrenzte ein mächtiger, 25 m langer Abschnittswall das Gelände, an den sich östlich ein quer zum Hügelrücken verlaufender, tiefer, grabenartiger Einschnitt anschließt (Abb. 4). Die Ergebnisse der archäologischen Grabungen harren noch einer wissenschaftlichen Bearbeitung, weshalb an dieser Stelle nur mit wenigen Worten die Befundsituation angedeutet werden kann.12 Im Hang (Such-schnitte S1–S2) kamen mehrere Feuerstellen in einer unterschiedlich dicken Kultur-

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13 Diese Ansprache ist als grobe Einschätzung zu verstehen und erfolgte anhand von Vergleichen mit dem Fundmaterial der Grabungen von Wilhelm Sydow.

14 Siehe Abb. bei Pöll, Kulturberichte aus Tirol 54 (wie Anm. 11) 138.15 Zu diesen Befunden und Funden siehe Schubert/Pernicka, Kupferverarbeitung (wie Anm. 1) 129–132.16 Ebd. 144 f.17 So auch schon Martinek, Kupferproduktion (wie Anm. 6) 579.18 Bezüglich der absolut chronologischen Einordnung des Fundplatzes müssen 14C-Daten die Fund-

auswertungen ergänzen, Probenmaterial in Form von Tierknochen und Holzkohlen ist vorhanden.

schicht aus gelblichem, sandigem Lehm zutage. Der erwähnte Abschnittswall besteht aus gelblichem Lehm, es wurden mindestens zwei Aufschüttungsphasen beobachtet. Er überlagert einen frühbronzezeitlichen Siedlungshorizont, weshalb er eher einer jün-geren Periode angehören wird, was sich jedoch erst nach Auswertung des spär lichen keramischen Fundmaterials aus der Hügelschüttung näher bestimmen lassen wird. Auf der Südterrasse (Flächen S1 W-Erweiterung sowie F3–F6) konnte der dichteste Befund-niederschlag ausgemacht werden. Größere Gruben (Vorratsgruben oder Zisternen), Pfostenlöcher, die sich zu keinen Hausgrundrissen zusammenfügen ließen, sowie eine Reihe von Feuerstellen belegen die Siedlungsaktivität. Die bronzezeitliche Kulturschicht wies eine Dicke von 30–70 cm auf, stand bereits unter dem Waldboden an und reichte bis auf einen Übergangshorizont aus hellgelb-sandigem Lehm, der seinerseits den über dem Kalkfelsrelief entstandenen, grünen Verwitterungslehm überlagerte. Inner-halb der homogen wirkenden Kulturschicht ließ sich nur an wenigen Stellen eine strati-grafische Abfolge von Begehungshorizonten fassen, die auf eine längere Nutzungsdauer hinweist.

Im Fundmaterial überwiegt die grobe Gebrauchskeramik, die grosso modo dem Straubinger Horizont zugewiesen werden kann.13 Silexartefakte beschränken sich vorwiegend auf gestielte Pfeilspitzen und solche mit gerundeter Basis.14 Tierknochen (Rind, Schwein, Schaf/Ziege) kommen in geringen Mengen in verbrannter Form vor, meistens sind sie jedoch unverbrannt und als Schlachtabfälle zu interpretieren. Eine Feuerstelle, eine verziegelte Lehmschicht, eine kleine Grube zur Aufbewahrung von Roherzen, Schlacken, Rohkupferstücke, Erzbrocken und eine Blasrohrtondüse belegen metallurgische Prozesse innerhalb der Siedlung.15 Die Auswertung des zu metallurgi-schen Prozessen gehörigen Fundmaterials durch Matthias Schubert zeigte, dass offenbar in einem co-smelting-Verfahren Fahlerzstücke zusammen mit oxidischen Erzen, die in Form der Sekundärminerale Azurit und Malachit auftreten, verhüttet worden sind.16 Dabei werden die Erze in kleinen Mengen unter Zuhilfenahme von Blasrohrdüsen in offenen Feuer gruben unter einer Holzkohleschicht aufgeschmolzen. Das metallische Kupfer bildete sich dabei vorwiegend in Form von kleinen, in der Schlacke eingeschlos-senen Kupfertropfen, die durch das Zertrümmern der Schlackebrocken ausgesondert worden sind. So genannte Klopfsteine (faustgroße Kiesel), von denen eine Unzahl aus der Kulturschicht geborgen werden konnten, dürften wohl vorwiegend für diesen Zweck verwendet worden sein. Dieser technologische Prozess benötigt keine großen Verhüttungsanlagen wie Röstbetten oder Schmelzöfen, sondern kann in kleinen Feuer-stellen/Feuergruben, die an der Fundstelle in größerer Zahl aufgedeckt werden konnten, ausgeführt werden.17

Generell möchte man daher die Fundstelle in erster Linie als Werkplatz deuten. Hin-sichtlich der Datierung ist die Bearbeitung des keramischen Materials18 abzuwarten,

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Abb. 1: Der langgezogene Felsriegel des Buchberges von Wiesing grenzt im Osten, durchschnitten von der Inntalautobahn, an den Inn. Im Südwesten ist er durch einen Steinbruchbetrieb bereits schwer in Mit-leidenschaft gezogen (Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck).

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Abb. 2: Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck.

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Abb. 3: Die Grabungsflächen auf der Südterrasse am Grabungsende. Im Hintergrund das Inntal und die Ortschaft Maurach. Links oben sind Halden des mittelalterlich-neuzeitlichen Bergbaus auf Kupfer am Ringenwechsel bzw. Reitherkogel zu erkennen (Foto: BDA).

Abb. 4: Profilschnitt durch den Abschnittswall. Am unteren Ende ist die frühbronzezeitliche Kulturschicht als dünnes, dunkles Band zu erkennen (Foto: BDA).

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Abb. 5: Die Auffindungssituation des Dolches zeigt den Kalkstein, der die Waffe abdeckte. Seine Spitze befindet sich exakt über der Bruchstelle der Klinge (Foto: BDA).

Abb. 6: Der Dolch in Fundlage nach der Entfer-nung des Abdecksteines (Foto: BDA).

eine erste Grobdurchsicht zeigt keine wesentlichen Unterschiede zum bereits bekannten Fundstoff des Platzes, der von Sydow in die entwickelte Frühbronzezeit (Stufe Bz A1b-A2a bzw. FB IIa-b nach Möslein) gestellt worden ist.19

Die Fundsituation des Vollgriffdolches

Der Dolch kam während der Grabungskampagne 2001 auf der Südterrasse in Quadrant F5, ca. 0,90 m von der nördlichen und ca. 1,90 m von der westlichen Profilkante ent-fernt, beim händischen Abtrag von Schicht 7, in deren oberen Hälfte zu Tage (Abb. 11 und 12). Besonders bemerkenswert und außergewöhnlich stellte sich die Fundsitua-tion dar. Das Stück war unmittelbar von einem etwa 30 cm langen und 15 cm hohen Kalkstein abgedeckt (Abb. 5 und 6). Stein und Dolch lagen in Nord-Süd-Richtung, die Spitze des Dolches zeigte nach Norden. Der Stein wies annähernd eine länglich-drei-eckige Form auf, wobei eine spitze Kante des Steines keilförmig im Boden steckte. Sie befand sich exakt oberhalb der Bruchstelle im oberen Drittel der Klinge. Für eine wahr-scheinlich durch eben diesen Stein selbst herbeigeführte intentionelle Deformierung

19 Sydow, Frühbronzezeitliche Fundstelle (wie Anm. 6) 570 f. mit Korrektur der 1984 vorgeschlage-nen Datierung. Die Stufengliederung der Frühbronzezeit folgt dem für die Straubinger Kultur (besser: Straubinger Gruppe) entwickelten Schema. Auf Paul Reinecke basiert die an Hand der Metallfunde aus Gräbern verfeinerte zweistufige Gliederung von Walter Ruckdeschel, Die frühbronzezeitlichen Grä-ber Südbayerns: ein Beitrag zur Kenntnis der Straubinger Kultur (Antiquitas 2,11) I. Text, II. Katalog, Tafeln, Karten, Bonn 1978, bes. II Beil. 1; die jüngste, nun dreistufige Gliederung erarbeitete unter Einbeziehung der Keramik aus Siedlungen Möslein, Straubinger Gruppe (wie Anm. 10) 60–63, 87 Abb. 22; siehe auch ders., Die Straubinger Gruppe – Zur Frühbronzezeit in Südostbayern, in: Aktu-elles zur Frühbronzezeit und frühen Mittelbronzezeit im nördlichen Alpenvorland (Hemmenhofener Skripte 2), hg. von Beat Eberschweiler / Joachim Köninger / Helmuth Schlichtherle / Christian Strahm, Freiburg i. Br. 2001, 17–30, vgl. bes. 18–20. Vgl. zur Problematik der Periodisierung der Früh- und Mittebronzezeit kurz Wolfgang David, Fast schon eine Glaubenssache: Die Periodisierung der Früh- und Mittelbronzezeit, in: Archäologie – Fenster zur Vergangenheit in Bayern, hg. von Ursula Ibler u. a., Regensburg 2006, 100–103.

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des Dolches spricht zudem die Beobachtung, dass die Klinge exakt parallel zu der nach unten gerichteten Fläche des Steines situiert war, wohingegen der Griff nicht vom Stein bedeckt war. Die gewaltsame Einwirkung auf die Klinge wird durch einen gezielten Schlag herbeigeführt worden sein. Ein solcher müsste auf den Bereich der Bruchstelle in der oberen Klingenhälfte geführt worden sein. Dabei könnte die Klinge auch am vor-deren Ende in der Nähe der Spitze eine Beschädigung erfahren haben. Bei der Bergung war die Spitze jedoch noch nicht vollständig von der Restklinge gelöst, die Trennung und Neuverklebung musste erst im Zuge der Restaurierung durchgeführt werden. Die Fundlage spricht dafür, dass diese Zerstörungsaktion am Ort der Auffindung geschehen sein dürfte und zwar wahrscheinlich über einer kleinen, flachen Grube, die man zuvor ausgehoben hatte. Den Dolch hatte man sicher am Griff- und am Klingenspitzenende auf eine feste Unterlage platzieren müssen, damit der Schlag tatsächlich seine Wirkung entfalten konnte. Der zerstörte Dolch und der Stein, mit dem die Handlung ausgeführt worden war, verblieben schließlich als Deponierung in der Grube.

Beschreibung des Dolches

Der Vollgriffdolch ist 22,3 cm lang. An der breites-ten Stelle am Heft misst er 5,6 cm, die Klingenlänge beträgt 14,9 cm, die Länge der Griffsäule 6,2 cm, das Gewicht 127 g (Abb. 7 und 8). Die Klinge wird durch eine schmale Mittelrippe mit halbrund gewölbtem Querschnitt in zwei gleichmäßige Hälften geteilt. Der Klingenquerschnitt ist flach und verjüngt sich erst zu den Schneiden hin. Die Schneidenkanten sind zum Teil ausgebrochen, was auf einen natürlichen Abbauprozess an den hauchdünnen Schneiden bedingt durch die Bodenlagerung zurückgeführt werden kann. Trotz der Beschädigung ist der leicht konkave Verlauf der Schnei-denkanten unverkennbar. Es lässt sich nicht eindeutig entscheiden, ob diese einziehenden Schneiden kanten ein ursprüngliches Formmerkmal darstellen oder auf die Abnutzung – bedingt durch vermehrtes Schlei-fen – zurückzuführen sind. Die Heft schultern verlau-fen bogenförmig, aber nicht symmetrisch zueinan der, denn ein Ansatz an der Griffsäule liegt etwas höher als der gegenüberliegende. Das Heft weist eine Verzierung aus fünf Schein nieten auf. Die Nieten auf der zur Klin-genbiegung zugewandten Seite sind deutlich größer als jene auf der gegenüberliegenden Seite. Gerahmt werden sie von einer halbkreisförmigen Zierleiste. An der Basis weist die Zierleiste einen kleinen, halb ovalen Ausschnitt auf, in den die Mittelrippe hineinreicht. Parallel zum Heftbogen verläuft eine weitere Zierleiste. Diese Zierleisten sind durch sehr feine Meißelkerben in kleine Quadrate unterteilt. Die Griffsäule hat gerade,

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Abb. 7: Die besser erhaltene „Unter-seite“ des Wiesinger Vollgriffdolches im Zustand nach der letzten Restau-rierung aus dem Jahr 2012 (Foto: BDA).

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parallele Seiten, ihr Querschnitt ist mandelförmig. Am oberen Ende geht sie trichter-förmig in einen flachen, ovalen Knaufabschluss über. An beiden Griffoberflächen ist eine nahezu idente Verzierung zu erkennen. Dabei wird die Mittelzone von drei vertikal ste-henden Leisten eingenommen, die in der Manier der Heftabschlussleisten durch Meißel-kerben gegliedert sind. Gerahmt wird diese Mittelzone von quer stehenden, gröberen Wulstbündeln, auf einer Seite sind es zum Heft vier und zum Knauf fünf, auf der gegen-überliegenden Griffseite zum Heft ebenfalls vier, zum Knauf hin aber sechs Wülste.

Bemerkenswert ist der unterschiedliche Erhaltungszustand der Oberflächen. Während jene Seite, die dem Stein zugewandt war, eine sehr schadhafte Patina aufweist und durch die Korrosion etwa die vertikalen Zierleisten an der Griffsäule bis zur Unkenntlichkeit ver-schliffen sind, besitzt die bodennahe Unterseite durchwegs eine dunkelgrüne Edel patina.

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Abb. 8: Zeichnung des Wiesinger Vollgriffdolches im Maßstab 1:2. Links Griff und Heft der dem Stein zugewandten Seite (Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck).

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20 Eine chemische Analyse der Korrosionsschichten im Zuge der Restaurierung hat nicht stattgefunden, die Oxidationsprozesse an der Metalloberfläche können daher nicht detaillierter besprochen werden. Dass dieses auffällige Schadensbild möglicherweise auf gusstechnische Fehler zurückgeführt werden kann, scheint nicht ganz ausgeschlossen, ist aber ohne weiterführende Materialanalysen nicht beweisbar.

21 Ganz herzlich habe ich mich für das Zustandekommen der Untersuchung und die Überlassung der Röntgenbilder bei Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Krause/Frankfurt a. M. zu bedanken.

22 Die Beprobung des Dolches führte dankenswerterweise Univ.-Prof. Dr. Ernst Pernicka/Tübingen durch. Erze, Schlacken und Rohkupfer der Grabungen 1999–2003 wurden im Rahmen einer von Prof. Pernicka betreuten Diplomarbeit von Matthias Schubert bearbeitet.

23 Schubert/Pernicka, Kupferverarbeitung (wie Anm. 1) 133 Tab. 2.24 Zu den Ringdepots allgemein: Manfred Menke, Studien zu den frühbronzezeitlichen Metalldepots

Bayerns, in: Jahresbericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 19/20 (1978/79) 5–305; Zur Kup-fersorte: Rüdiger Krause / Ernst Pernicka, Frühbronzezeitliche Kupfersorten im Alpenvorland und ihr archäologischer Kontext, in: L’atelier du bronzier en Europe du XXe au VIIIe siècle avant notre ère (Actes du colloque international „Bronze ’96“ Neuchâtel et Dijon, 1996, I=Session Neuchâtel), hg. von Claude. Mordant / Michel Pernot / Valentin Rychener, Paris 1998, 191–202, vgl. bes. 195 f. Abb. 4–5; Rüdiger Krause, Studien zur kupfer- und frühbronzezeitlichen Metallurgie zwischen Karpaten becken und Ostsee (Vorgeschichtliche Forschungen 24), Rahden/West. 2003, 122 Abb. 81.

Dieser Gesamteindruck scheint am ehesten durch di- vergente Bedingungen bei der Boden lagerung an der Ober- bzw. der Unterseite des Dolches erklärbar.20

Der Wiesinger Dolch ist in einem Stück gegossen worden und zwar in einer zweischaligen Form. Sicht-bar ist das äußerlich an den Seiten der Griffsäule. Dort sind jeweils Nähte vorhanden, die sich beim Guss im Bereich der Kontaktzone der beiden übereinander lie-genden Gusshälften ausbilden. Eine Röntgenuntersu-chung21 bestätigt die Eingliedrigkeit des Objekts ebenso wie die massive Ausführung des Griffes (Abb. 9). An der Oberfläche sind am Übergang von der Griffsäule zum Knauf einige kleine „Löcher“, so genannte Guss-lunker, sichtbar, die beim Entweichen von Gasen wäh-rend des Gussvorganges entstehen können und einen technisch leicht mangelhaften Guss anzeigen.

Beim Metall22 des Dolches handelt es sich um Kupfer. Aus dem Vergleich der chemischen Zusam-mensetzung der Rohkupferstücke vom Buchberg, die das Abfallprodukt eines vor Ort angewandten metal-lurgischen Prozesses sind, mit dem Dolch lässt sich belegen, dass das Kupfer des Dolches aus dem glei-chen Erz gewonnen worden sein muss. Da im Metall der Rohkupferstücke und des Dolches an Verunreini-gungen hohe Werte von Arsen, Antimon, Silber und Bismut nachweisbar sind und der Nickelgehalt sich an der Nachweisgrenze befindet,23 handelt es sich bei der Kupfersorte um das in der Frühbronzezeit vor allem in den Ringbarrendepots des bayerischen Alpenvorlands verbreitete „klassische Ösenring-kupfer“.24 Mittels Bleiisotopenanalyse an den Metallen, Erzen, Rohkupferstücken und

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Abb. 9: Röntgenaufnahme die Wie-singer Dolches. Deutlich erkennbar sind der massive Griff und die fünf Scheinnieten, die auf der Ober- und Unterseite nicht exakt übereinander liegen (Bildquelle: Rüdiger Krause, Frankfurt a. M.).

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25 Schubert/Pernicka, Kupferverarbeitung (wie Anm. 1) 146 f. Tab. 4; Anzumerken bleibt, dass eine Herkunft der Erze aus dem Raum Brixlegg nicht ganz ausgeschlossen werden kann.

26 Otto Uenze, Die frühbronzezeitlichen triangulären Vollgriffdolche (Vorgeschichtliche Forschungen 11), Berlin 1938.

27 Ebd. 31–41, 68–70.28 Stefan Schwenzer, Frühbronzezeitliche Vollgriffdolche. Typologische, chronologische und technische

Studien auf der Grundlage einer Materialaufnahme von Hans-Jürgen Hundt (Kataloge vor- und früh-geschichtlicher Altertümer 36), Mainz 2004.

29 Ebd. 23–33.30 Ebd. 48–52, Abb. 30 (Verbreitung), 355 (Liste der Fundorte).31 Uenze, Vollgriffdolche (wie Anm. 26) 45–47.

Schlacken vom Fundplatz am Buchberg lässt sich eine Gruppe mit charakteristischer Signatur herausarbeiten, die als „Buchberg-Region“ angesprochen wird. Fahlerze aus dem Revier Schwaz-Falkenstein weisen Isotopenverhältnisse auf, die in die „Buchberg-Region“ gehören.25

Typologische Ansprache

Als trianguläre Vollgriffdolche werden jene frühbronzezeitlichen Dolche bezeichnet, deren Klinge einen dreieckigen Umriss aufweist und deren Griff aus Metall besteht, womit sie sich von der Gruppe der Dolche mit organischem Griff absetzen. Das Hauptverbrei-tungsgebiet erstreckt sich in einem breiten Gürtel quer durch ganz Mitteleuropa von der Ostseeküste bis ins Rhonegebiet, daneben sind sie in Italien noch sehr stark vertreten.

Otto Uenze26 hat 1938 in einer grundlegenden Arbeit eine erste typologische Ord-nung der Fundgattung vorgenommen. Er definierte insgesamt sieben Haupttypen mit diversen Varianten, deren Benennung er mit zwei Ausnahmen von ihrem Hauptverbrei-tungsgebiet ableitete. Uenze formulierte als Erster die Ansicht, dass nicht mehr Italien allein als Ursprungsland der Dolche zu gelten habe, sondern zusätzlich das Gebiet der Aunjetitzer Kultur dafür in Anspruch zu nehmen sei, eine Meinung, die sich durch-setzen konnte.27 Bis heute hat sich der Fundstoff merklich vermehrt. Zuletzt wurde das Material, insgesamt 320 Objekte, in einer monografischen Studie von Stefan Schwen-zer28 neu vorgelegt. Schwenzer baut seine Typologie auf formalen Kriterien einzelner Bestandteile des Dolches auf, nämlich dem Knauf, der Griffsäule, dem Heft und der Klinge. Verzierungen und Herstellungstechnik sind gegenüber der Form, die von der Funktion bestimmt wird, sekundär und werden in einem zweiten Schritt in Relation zur Typengliederung betrachtet. Die jeweils unterschiedlichen formalen Ausprägungen der einzelnen Teile werden in Merkmale untergliedert. Aus dem Vorhandensein gleicher Merkmale, wobei zwischen Haupt- und Nebenmerkmalen unterschieden wird, lassen sich Gruppen bilden. Kerngruppen mit möglichst vielen gleichen Merkmalen umschrei-ben einen Typ, davon setzen sich Stücke ab, die von der Kerngruppe nur gering abwei-chen, aber dieser noch als zugehörig eingestuft werden können, und solche, die sich in keine „Schublade pressen“ lassen.29

Nach der Einteilung von Schwenzer ist der Wiesinger Dolch dem Elbe-Warthe-Typ (EWT) zuordenbar, der seine Benennung dem Hauptverbreitungsgebiet verdankt.30 Uenze hatte diese Dolche einst noch als Variante 1 seines Oder-Elbe-Typs31 bezeichnet, mit denen sie aber bei genauerer Betrachtung nur wenig gemein haben.

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32 Die Abkürzungen richten sich nach den von Schwenzer, Vollgriffdolche (wie Anm. 28) Tab. 1–5 in Listen zusammengestellten Formmerkmalen. Vgl. dazu die Kombinationstabelle der Formmerkmale des EWT ebd. 53 Tab. 16.

33 Ebd. 103.

Der flach trichterförmige Knauf K3,32 wie er beim Wiesinger Dolch vorhanden ist, tritt bei den zehn dem EW-Typ zugeschriebenen Exemplaren fünfmal und damit am häufigsten auf. Identisch ist die Griffsäulenform G1 mit geraden parallelen Seiten, welche bei allen Objekten des EWT vorkommt. Probleme bereitet hingegen die Heftbogenform, die sich den von Schwenzer herausgestellten Formen nur mit Mühe anschließen lässt. Am ehesten wird man die Heftbogenform H15 mit gebogenen Schultern, geradem Heft-abschluss ohne Einzug und eher kleinem, halbovalem Heftausschnitt zuweisen. Von den am EWT regelhaft vorkommenden Heftabschlüssen H2 und H6 unterscheidet sich das Wiesinger Exemplar deutlich in der Größe des Heftausschnittes. Gute Übereinstimmung herrscht bei den Nieten. Es handelt sich immer um Scheinnieten (N4), was sich zwangs-läufig aus der Herstellungstechnik (Guss in einem Stück) ergibt, die kein sekundäres Anbringen der Klinge vorsieht. Eine Mehrzahl der bekannten Dolche besitzt am Heft sieben Scheinnieten, zweimal sind auch fünf Nieten, wie am Wiesinger Dolch, belegt (Abb. 10, Nr. 3 u. 7). Heterogen gestaltet sich die Klingenform. Von 13 definierten For-men kommen vier beim EWT vor. Einmal gibt es die Form Kl13, flacher Klingenquer-schnitt mit schmaler gewölbter Mittelrippe, wie sie beim Wiesinger Stück vorhanden ist (Abb. 10, Nr. 2). Auffällig ist, dass die Schneidekanten des EWT immer eingezogen sind, was auch für den Wiesinger Fund zumindest als wahrscheinlich gelten kann.

Hinsichtlich der Verzierungselemente verstärkt sich das an Hand der Form analyse gewonnene Bild. Die Griffsäule des Wiesinger Dolches mit den zwei horizontalen Wulstbänderzonen und der Gliederung des Mittelteiles mit vertikalen Kerbbändern ist identisch als Motiv zwar nicht belegt, doch kommen die einzelnen Zierelemente in anderer Kombination auf den Dolchen des EW-Typs vor. Wesentlich ist, dass die plas-tischen Wulstbänder überhaupt auf diesen Typ beschränkt bleiben und dass die Griffe der Dolche des EW-Typs immer verziert sind.33 Auf drei Dolchen aus dem Hortfund von Bresinchen gibt es in jeweils unterschiedlicher Anordnung diese Zierbänder. Ein-mal rahmen zwei Dreierbündel ein in der Mitte verlaufendes Fischgrätband (Abb. 10, Nr. 3). Ein in der oberen Griffhälfte situiertes Wulstbündel, an das nach unten vertikal angeordnete Ziernieten anschließen, gibt es auf einem Stück aus Bresinchen sowie auf einem Dolch aus Granowo und einem Dolch aus Liblice (Abb. 10, Nr. 5). Drei gleich-mäßig verteilte Dreiergruppen aus Zierwülsten sind auf den Griffsäulen eines Stückes aus Granowo sowie auf einem Stück ohne genaue Fundortüberlieferung („Donau-länder“) belegt (Abb. 10, Nr. 7).

Die im Mittelteil der Griffsäule auftretenden Zierbänder mit Einkerbung wieder-holen sich am Heft, wo gleichartige Bänder die Schultern des Heftes betonen und eine Rahmung für die Ziernieten bilden. Dasselbe Motiv aus gekerbten Bändern ist auf einem Dolch des EW-Typs aus Naundorf vorhanden (Abb. 10, Nr. 6). Sehr ähnlich ist dieses Zierelement auf einem Dolch aus Bresinchen ausgeführt, mit dem Unterschied, dass hier auch der Heftausschnitt durch das Zierband eingenommen wird, jedoch zu den Heftschultern hin keine zweite Zierleiste vorhanden ist (Abb. 10, Nr. 3).

Knauf, Klinge und Heftausschnitt des Wiesinger Dolches sind unverziert, was für den EW-Typ ebenfalls bezeichnend ist.

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Abb. 10: Zusammenstellung von Vollgriffdolchen des Elbe-Warthe-Typs nach Stefan Schwenzer. (1) Wie-sing, (2–5) Bresinchen, (6) Naundorf, (7) „Donauländer“ (Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Inns-bruck).

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34 Ebd. 52, 110, 114, 136.35 Ebd. 159 f.36 Ebd. 160.37 Ebd. 191–193.38 Ebd. 228–233.

Schwenzer kommt bei seiner Analyse zum Schluss, dass der EW-Typ in Zusam-menhang mit dem Italischen Typ 1 (IT 1) zu sehen ist, von dem er sich sogar ablei-ten könnte. Als Argumente führt er die Gestaltung der Heftform, die Betonung des Heftbogens mit einem Zierband und die Anzahl der Nieten an. Des Weiteren wären die auf sechs Stücken des EW-Typs vorhandenen vertikalen Scheinnieten in der unte-ren Hälfte der Griffsäule eine Nachahmung von echten Nieten, die bei Tüllengriff- dolchen des IT 1 vorkommen (Abb. 10, Nr. 4–6). Zudem gibt es bei den Dolchen des IT 1 an der Griffsäule die horizontalen Zierbänder, die beim EW-Typ wieder auftau-chen.34

Neben den formalen Kriterien und der Verzierung untersuchte Schwenzer die Guss-technik der Dolche. Alle dem EW-Typ zugeschriebenen Objekte gehören in seine guss-technische Gruppe IIIb.35 Darunter subsumiert man Dolche, deren Griff und Klinge in einem in eine zweischalige Form gegossen wurden, wobei der Griff immer massiv ausgeführt ist. Der Wiesinger Dolch entspricht, wie oben bereits dargelegt, diesem Her-stellungsverfahren. Diese Gusstechnik scheint von ihrer Verbreitung her begrenzt auf eine Zone zwischen Böhmen und der Linie Warthe-Spree im Norden und befindet sich daher im Gebiet der Aunjetitzer Kultur. Schwenzer rechnet mit dem Vorhandensein eines Werkstattkreises, dessen Zentrum nördlich bzw. südlich des tschechischen Erz-gebirges zu suchen sei.36

Von sechs Dolchen des EW-Typs liegen Metallanalysen vor, bei denen die chemische Zusammensetzung des Metalls ermittelt wurde. Es zeigt sich, dass vier davon aus ver-dünntem Ösenringkupfer, einer aus klassischem Ösenringkupfer und einer wahrschein-lich aus der ostdeutschen Kupfersorte Bresinchen gefertigt worden ist.37 Damit ergibt sich hinsichtlich der Kupfersorte ein loser Zusammenhang mit dem Wiesinger Dolch, der, wie oben beschrieben, aus klassischem Ösenringkupfer hergestellt worden ist.

Datierung des Wiesinger Dolches

Der Grabungsbefund ermöglicht mangels einer feinstratigrafischen Schichtabfolge keine präzise relativchronologische Einordnung des Wiesinger Dolches. Beim datier-baren Fundmaterial aus der frühbronzezeitlichen Kulturschicht 7, aus der der Dolch stammt, handelt es sich hauptsächlich um Keramiken. Vor Abschluss der wissenschaft-lichen Bearbeitung dieses Materials kann auf diesem Weg daher keine nähere absolut-chronologische Fixierung des Dolches ermittelt werden. Holzkohlen oder Tierknochen waren weder unter, beim oder über dem Dolch vorhanden, weshalb auch die Möglich-keit einer 14C-Datierung ausfällt.

Richtet man sich nach der Analyse von Stefan Schwenzer, dann ist der Wiesinger Dolch in die entwickelte Frühbronzezeit, also etwa zwischen 2000 und ca. 1700 v. Chr., zu datieren.38 Innerhalb der Aunjetitzer Kultur gehören Dolche des EW-Typs in die

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39 Vgl. die Chronologietabelle bei Schwenzer, Vollgriffdolche (wie Anm. 28) 219 Tab. 42.40 Ebd. 232.41 Luise Lorenz, Typologisch-chronologische Studien zu Deponierungen der nordwestlichen Aunjetitzer

Kultur (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 188), Bonn 2010, 88.42 Vgl. in Bezug auf die Entwicklung der Zinnbronzetechnologie Tobias L. Kienlin, Frühbronzezeit-

liche Vollgriffdolche und Randleistenbeile: Herstellungstechnik, Zusammensetzung und Materialwahr-nehmung, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 35 (2005) 175–189, vgl. bes. 179, 183–185.

43 Letztlich ist das allerdings nur eine auf statistischer Wahrscheinlichkeit beruhende Annahme, denn Fahlerz war in FBIIb neben dem Kupferkies aus dem Mitterberger Revier noch mit etwa 40 % präsent. Vgl. dazu Gerhard Tomedi / Ulrike Töchterle, Der Kupferbergbau als movens für die früh- und mit-telbronzezeitliche Aufsiedlung Nordtirols, in: Archaeological, cultural an linguistic heritage. Festschrift for Erzsébet Jerem in honour of her 70th birthday, hg. von Peter Anreiter / Eszter Bánffy / László Bar-tosiewicz / Wolfgang Meid / Carola Metzner-Nebelsick, Budapest 2012, 587–600, vgl. bes. 589 u. Abb. 1 (Chronologietabelle); Siehe auch Gerhard Tomedi / Markus Staudt / Ulrike Töchterle, Zur Bedeutung des prähistorischen Bergbaus auf Kupfererze im Raum Schwaz–Brixlegg, in: Schubert/Pernicka, Kupferverarbeitung (wie Anm. 1) 55–70, vgl. bes. 56–58.

44 Ein weiterer, heute verschollener Vollgriffdolch(?) soll aus Matrei am Brenner stammen: Osmund Menghin, Zur Früh- und Hochbronzezeit in Nordtirol, in: Beiträge zur geschichtlichen Landeskunde Tirols. Festschrift Franz Huter (Schlern-Schriften 207), Innsbruck 1967, 241–252, vgl. bes. 245 Anm. 19. Ein Vollgriffdolch aus Wattens gehört bereits in die Mittelbronzezeit: Paul Gleirscher, Zwei Neufunde der mittleren Bronzezeit aus Nordtirol, in: Fundberichte aus Österreich 23 (1984) 31–35, vgl. bes. 31.

Periode der „klassischen Aunjetitzer Kultur“ (Stufen Zich 4 bzw. Bartelheim 3).39 Eine relativchronologische Abfolge der Dolchtypen lässt sich aus der allgemeinen typologi-schen Entwicklung erschließen. Demnach ist der EW-Typ mit Merkmalen des Süd-pommerschen Typs vergleichbar, der seinerseits als eine Weiterentwicklung des Oder-Elbe-Typs anzusehen ist, und besitzt zudem formale Merkmale, die sich vom Italischen Typ 1 herleiten.40 Absolutchronologisch lässt sich bis dato diese typologische Entwick-lungsabfolge jedoch nicht festmachen. Einen Hinweis auf eine frühe Zeitstellung des EW-Typs innerhalb des Zeithorizonts liefert der ostdeutsche Hortfund von Bresinchen (Brandenburg – Landkreis Spree-Neiße), in dem gleich vier Dolche des EW-Typs vor-kommen. Dieser wurde jüngst über den Vergleich von Keramikgefäßen aus Döbeln (Sachsen – Landkreis Mittelsachsen), für die ein kalibriertes 14C-Datum 2150–1900 v. Chr. gemessen wurde, um 2000 v. Chr. datiert.41 Grobe chronologische Relevanz ist der Verwendung bestimmter Kupfersorten sowie der Legierung von Kupfer mit Zinn beizumessen.42 Umgelegt auf den Wiesinger Dolch kann dies bedeuten, ihn eher in der Stufe FB IIa (ca. 2000–1800 v. Chr.) zu verorten, also den Zeitraum, als das Inntaler Fahlerzkupfer ausschließlich dominiert.43

Kulturgeschichtliche Betrachtungen

Vollgriffdolche wurden in unterschiedlichen Fundkontexten entdeckt, häufig liegen keine exakten Beobachtungen zu den Fundumständen vor. Während sie etwa in der Zentral- und Westschweiz in Gräbern aufgefunden worden sind, kommen sie im Gebiet der Straubinger- und Aunjetitz-Kultur vermehrt in Depotfunden vor, wobei sie sowohl in Mehrstückhorten zu finden sind als auch als Einzeldeponierungen auftreten kön-nen. In Siedlungskontexten sind sie generell selten. Aus dem Raum Nord- und Südtirol kennt man bis heute nur vier Vollgriffdolche.44 Der jüngste Fund wurde 2007 in Süd-

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45 Markus Mahlknecht / Hubert Steiner, Ein frühbronzezeitlicher Dolch aus Martell, Flur „Altkaser“, in: Der Schlern 82, Heft 3 (2008) 4–25.

46 Ebd. 15 f.47 Ebd. 17 f.48 Wolfgang Neubauer / Thomas Stöllner, Überlegungen zu bronzezeitlichen Höhenfunden anhand

eines kürzlich in der Ostschweiz gefundenen Vollgriffmessers, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 41 (1994) 95–144.

49 Kurt Willvonseder, Die mittlere Bronzezeit in Österreich, Wien–Leipzig 1937, 82–84 Taf. 51 Abb 1 u. 2, 242; Uenze, Vollgriffdolche (wie Anm. 26) 61 f., 67 Taf. 51 Abb. 125.

50 Schwenzer (wie Anm. 28) 92 f. 118 f.51 Ebd. 128 f.; so schon Uenze (wie Anm. 26) 62.52 Allgemein kurz: Hans-Peter Uenze, Opfer in Mooren, Seen, Quellen und Flüssen im Alpenraum, in:

Zemmer-Plank/Sölder, Kult der Vorzeit (wie Anm. 3) 441–456; vgl. auch Christoph Huth, Waf-fenweihungen in der Bronzezeit Mitteleuropas, in: Waffen für die Götter. Krieger – Trophäen – Heilig-tümer, hg. von Wolfgang Meighörner, Innsbruck 2012, 91–99, vgl. bes. 91–97.

53 Uenze (wie Anm. 26) 79 f.54 Uenze benannte diese Gruppe als Aunjetitzer Typ und nahm eine Verbreitung aus dem Gebiete der

Aunjetitzer Kultur nach Oberitalien an.55 Siedlungsspuren oder Hinweise auf in der Nähe befindliche Gräber fehlen bis heute.56 Louis D. Nebelsick, Auf Biegen und Brechen. Ekstatische Elemente bronzezeitlicher Materialopfer –

ein Deutungsversuch, in: Gaben an die Götter. Schätze der Bronzezeit Europas, hg. von Alix und Bern-hard Hänsel, Berlin 1997, 35–41, vgl. bes. 37, wo der Autor mit Blick auf die bekannten Barren- und Gerätehorte darauf hinweist, dass diese Opfersitte in der Frühbronzezeit eine Randerscheinung darstellt und erst mit der mittleren Bronzezeit als gängiges Muster zu fassen ist; Siehe dazu für das nördliche Mitteleuropa Agnė Čivilyte, Wahl der Waffen. Studien zur Deutung der bronzezeitlichen Waffen-deponierungen im nördlichen Mitteleuropa (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie

tirol am Talschluss des Martelltales zufällig entdeckt.45 Das dem Rhone-Typ46 nahe-stehende Stück gehört in die Kategorie der Pass- und Höhenfunde, die von der Bronze- bis in die römische Zeit in unterschiedlich wechselnder Intensität nachweisbar sind.47 Sie werden meist als Opferfunde gedeutet.48 Der heute im Naturhistorischen Museum in Wien verwahrte, prächtige Vollgriffdolch von Landeck-Perjen wurde um 1880 am Ufer des Inn zusammen mit einer „Schwertspitze“ gefunden.49 Der Landecker Dolch zählt nach Schwenzer zu den Sonderformen. Einige Merkmale, darunter die Verzierung des Heftausschnittes mit einem halben Winkelkreuz, stellen ihn in die Nähe des Rhone-Typs.50 Er wird innerhalb der Fundgruppe sehr spät, an den Übergang von der Früh- zur Mittelbronzezeit, datiert.51 Die Fundsituation spricht dafür, ihn zur Gruppe der Gewässerfunde zu rechnen, womit er ebenfalls als Opfergabe gedeutet werden kann.52 Für den bereits 1867 im Zuge der Errichtung der Eisenbahntrasse auf den Brenner beim Mühltaler Tunnel aufgelesenen Dolch sind keine näheren Fundumstände überliefert.53 Nach Schwenzer ist er dem Baltisch-Padanischen Typ zuzuweisen.54 Obwohl letztlich nicht beweisbar, erscheint auf Grund der topografischen Situation eine intentionelle Deponierung nicht unwahrscheinlich.55

Aus Nord- und Südtirol liegen mit den angeführten Funden somit Dolche vor, die mit kultisch motivierten Niederlegungen in Verbindung zu bringen sind. Hinsichtlich des Wiesinger Dolches ist zunächst festzuhalten, dass dieser in Bezug auf die Lokali-tät mit Strukturen zu korrelieren ist, die metallurgische Tätigkeiten abbilden. Außer Zweifel steht die bewusste Deponierung und wohl auch die mit dieser in Verbindung stehende Zerstörung des Dolches. Solche Praktiken werden generell als Ausfluss kultisch motivierter Handlungen interpretiert.56

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167), Bonn 2009, bes. 68–72 (Dolche). Vgl. zum Thema mit Bezug auf den mittelbronzezeitlichen Hortfund vom Moosbruckschrofen in Piller bei Fließ auch Siegfried Nicolussi-Castellan, Auf Bie-gen und Brechen – 2. Teil (Archaeo Tirol. Kleine Schriften 4), Wattens 2002, 47–52.

Zusätzlich vermag die Befundsituation auf der Südterrasse selbst diese Interpreta-tion zu stützen (Abb. 11). Am Ostrand von Quadrant F5, dem Westrand von F6 und dem dazwischen liegenden Steg kam auf einer annähernd trapezförmigen Fläche von ca. 3 x 3,50 m ein dickeres Schichtpaket (Befund 50) aus braun-schwarzem, sandigem Lehm, der nach unten hin immer fetter wurde, zu Tage (Abb. 12). Die Schicht erreichte eine Dicke von bis zu 30 cm. An der Sohle überlagerte sie den anstehenden Lehm 11a. „Eingeschlossen“ wurde sie von der Kulturschicht 7, die sich auch über Befund 50 fand. Obwohl in der Schicht 7 in diesem Bereich kein Gehhorizont erkennbar war, von dem aus eine Grube eingetieft worden sein müsste, sprechen die in den Profilen dokumentier-ten Verläufe der seitlichen Kanten des Schichtpakets 50 dafür, dass es sich tatsächlich um die Einfüllung in einer in Schicht 7 angelegten flachen Grube handelt (Abb. 13). Sehr auffällig war an der Oberkante von Befund 50 eine massive Ansammlung von handlichen Kalksteinen (Befund 9), welche die Verfüllung bedeckte. Bemerkenswert war auch die Zusammensetzung der Schicht selber. Stellenweise gab es dünne, horizontale Lagen von Kalksteinsplittern, die eine gewisse Gliederung innerhalb des sonst homogen wirkenden Stratums anzeigten. Das könnte auf eine nicht in einem Zug durchgeführte Füllung der Mulde hindeuten, sondern das Resultat einer über einen längeren Zeitraum andauern-den Einbringung von Sedimenten sein, die jeweils von Kalksplittlagen abgedeckt worden waren. An der Sohle gab es randlich an zwei Stellen brandgeröteten Lehm, der auf Hitze-einwirkung schließen lässt. In der Verfüllung fanden sich Keramikscherben, Schlacken, wenige Stücke der Sekundärminerale Azurit und Malachit sowie einige Silexabschläge. Bestimmend für den Fundkomplex sind jedoch die unverbrannten Tierknochen, welche

Abb. 11: Blick von Westen über die Flächen F5 im Vordergrund und F6 im Hintergrund. Im Profil des Steges zwischen F5 und F6 ist der Befund 50 als dunkler Bereich erkennbar. Der Dolch lag in der linken Hälfte von F5 etwas oberhalb des natürlichen Felsbandes (Pfeil) (Foto: BDA).

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Abb. 12: Lage der steinabgedeckten Grube mit Brandresten und Tierknochen (Befund 50) sowie des Voll-griffdolches in den Flächen F5 und F6 (Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck).

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Abb. 13: Nordostprofil von Fläche 5 mit Darstellung der flachen Grube Befund 50 (Grafik: Barbara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck).

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den mit Abstand größten Anteil im Fundmaterial ausmachen. Es handelt sich dabei um Schlacht- und Speiseabfälle. Nachgewiesen sind Knochen von Rind, Schwein und Schaf/Ziege, wobei der Hauptanteil von Rindern und Schweinen gebildet wird.57

Nun könnte man diesen Befund zunächst als einfache Abfallgrube deuten. Jedoch sprechen einige Indizien dafür, die Grubenverfüllung mit einem Kultgeschehen in Verbindung zu bringen, im Zuge dessen man u. a. Reste von Opfermahlzeiten rituell deponierte. Hauptzeuge für eine derartige Deutung ist der Vollgriffdolch selbst, der nur knapp 3 m westlich der Grube niedergelegt worden ist und zwar in stratigrafisch glei-cher Position „innerhalb“ der Kulturschicht 7. Profane Abfallgruben konnten auf dem ganzen Grabungsareal sonst nirgendwo nachgewiesen werden. Tierknochen fanden sich zwar in allen Schnitten mehr oder weniger häufig, sie waren aber immer regellos in den Flächen verteilt, Ansammlungen und Konzentrationen von Knochen gab es nirgends. Schließlich weist die Deponierung des Dolches und der Verschluss der Grubenfüllung eine Parallele auf. Beide sind intentionell von einem Kalkstein bzw. einer Schicht aus Kalksteinen abgedeckt worden. Solche Praktiken, hinter denen man den Versuch sieht, die Opfergaben endgültig den numinosen Mächten zu überantworten und damit den Lebenden auf Dauer zu entziehen, kennt man beispielsweise von den jüngeren Brand-opferplätzen. Genannt sei hier beispielsweise das Heiligtum auf der Pillerhöhe bei Fließ, wo der Aschenhügel im Zuge der Aufgabe der Deponierung verbrannter Tierknochen mit einer Steinschicht abgedeckt worden ist.58

57 Die Untersuchung der Tierknochen findet derzeit im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts „Trans-alpine Mobilität und Kulturtransfer“ an der Ludwig-Maximilians-Universität in München statt. Für die Übernahme der Bearbeitung des Materials und die Übermittlung der ersten Ergebnisse habe ich Dr. George Mc Glynn und Dr. Hannes Napierala zu danken. Zum Projekt siehe http://www.for1670-transalpine.uni-muenchen.de/index.html (abgerufen am 7.6.2014).

58 Michael Tschurtschenthaler / Ulrike Wein, Das Heiligtum auf der Pillerhöhe und seine Bezie-hungen zur Via Claudia Augusta, in: Via Claudia. Neue Forschungen, hg. von Elisabeth Walde, Inns-bruck 1998, 227–259, vgl. bes. 232 f. Abb. 7; Eine sehr instruktive Zusammenstellung mit weiteren

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Beispielen aus dem Alpenraum liefert Hubert Steiner, Alpine Brandopferplätze. Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen (Forschungen zur Denkmalpflege in Südtirol V), 247–250.

59 Vgl. dazu die kompakte Darstellung von Ulrike Töchterle, Der Kiechlberg bei Thaur als Drehscheibe zwischen den Kulturen nördlich und südlich des Alpenhauptkammes. Ein Beitrag zum Spätneolithi-kum und zur Früh- und Mittelbronzezeit in Nordtirol (ungedruckte Dissertation, Universität Inns-bruck), Innsbruck 2012, 354–364 Abb. 250 (Fundstellenkartierung).

60 Siehe die immer noch grundlegende Studie von Karl Meuli, Griechische Opferbräuche, in: Phyllobolia. Festschrift für Peter von der Mühll, hg. von Olof Gigon / Karl Meuli / Willy Theiler / Fritz Wehrli / Bernhard Wyss, Basel 1946, 185–288; siehe auch Steiner, Brandopferplätze (wie Anm. 58) 622 f. Auf den Beginn der Brandopfersitte im inneralpinen Raum bereits in der Kupferzeit könnte die Fundstelle am Pigloner Kopf, Gemeinde Pfatten in Südtirol, hindeuten: Siehe dazu Hanns Oberrauch, Der Kultplatz am Pigloner Kopf und seine Beziehungen zur circumalpinen Kupferzeit (ungedruckte Disser-tation, Universität Innsbruck), Innsbruck 2004, 250–452; kurz auch Steiner, ebd. 616–619.

61 Manfred Pertlwieser, Zur prähistorischen Situation der „Berglitzl“ in Gusen, in: Jahrbuch des Ober-österreichischen Musealvereins 118 (1973) 17–34, vgl. bes. 30–33.

62 Schwenzer, Vollgriffdolche (wie Anm. 28) 22 Anm. 123.63 Henry de Lumley / Lucien Clergue, Fascinant Mont Bego. Montagne sacrée de l’âge du Cuivre et de

l’âge du Bronze ancien, Aix-en-Provence 2002.

Vergleiche zum Wiesinger Grubenbefund aus dem näheren Umfeld kennen wir nicht, was in erster Linie dem mangelhaften Forschungsstand geschuldet sein wird.59 Obgleich sich das blutige Tieropfer erst ab der mittleren Bronzezeit im Alpenraum anhand der Brandopferplätze als eine Hauptgattung kultischer Praxis manifestiert, dürften seine Wurzeln viel älter sein und auf Rituale steinzeitlicher Jägergesellschaf-ten zurückgehen.60 Hier sollen nur gewisse Parallelen zwischen der Wiesinger Grube und dem komplexen Befund am neolithisch-frühbronzezeitlichen Kultplatz auf der Berglitzl bei Gusen, Oberösterreich, angemerkt werden. Dort dokumentierte man eine Reihe von unterschiedlich großen und verschieden gestalteten Gruben, die mit Kera-mikbruch, zerschlagenen Tier-, vereinzelt auch Menschenknochen sowie Knochen- und Steingeräten gefüllt waren. Brandspuren an den Funden belegen, dass diese zum Teil dem Feuer ausgesetzt gewesen waren. In einem Areal mit „Rundsteinpflasterungen“, in dem Feuerstellen, unverbrannte Tierkörperteile und Gefäßdeponierungen zu Tage kamen, beobachtete man Abdeckungen mit Flusskieseln. Bemerkenswert ist auch die Niederlegung je eines besonderen Artefaktes, so z. B. auch eines triangulären Bronze- dolches, bei jedem „Handlungszentrum“.61 In der Nähe des Vollgriffdolches von Rastatt, Baden-Württemberg, fand man Tierknochen. Der Befund deutet die Mög-lichkeit einer Opferhandlung an, dem Dolch wäre dann vielleicht die Funktion eines Opfermessers zugekommen.62 In einen religiösen Kontext gestellt werden Darstellungen von Dolchen auf den wahrscheinlich frühbronzezeitlichen Felsbildern am Mont Bégo bei Saint Dalmas-de-Tende in den französischen Seealpen, wo sie zusammen oder in Kombination mit Stiersymbolen auftreten.63 Der Gedanke, die Stierprotome verkör-perten das Opfertier und die Dolche in der Funktion als Opfermesser versinnbildlichen den Opfernden, scheint nicht abwegig, allerdings ist das nur eine mögliche Erklärung unter anderen.

Vollgriffdolchen, egal ob sie nun mehr als Waffe oder als Werkzeug fungierten, kam zudem eine über ihre Gerätefunktion hinausgehende symbolische Bedeutung zu. Das impliziert der im Gegensatz zu Dolchen mit organischem Griff verschwenderische Umgang mit dem wertvollen Kupfermetall, die aufwändige Herstellungstechnik sowie

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64 Schwenzer, Vollgriffdolche (wie Anm. 28) 19–22.65 So z. B. auch Albert Hafner, Vollgriffdolch und Löffelbeil – Statussymbole der Frühbronzezeit, in:

Archäologie der Schweiz 18, Heft 4 (1995) 134–141.66 Allgemein: Rüdiger Krause, Sozialstrukturen und Hierarchien – Überlegungen zur frühbronzezeit lichen

Metallurgiekette im süddeutschen Alpenvorland, in: Vom Endneolithikum zur Frühbronze zeit: Muster sozialen Wandels? (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 90), hg. von Johannes Mül-ler, Bonn 2002, 45–59; ders., Elite dell’antica età del bronzo (wie Anm. 1) 149; ders., Bronze zeitliche Burgen in den Alpen. Befestigte Siedlungen der frühen und mittleren Bronzezeit, in: Interpretationsraum Bronzezeit. Bernhard Hänsel von seinen Schülern gewidmet (Universitäts forschungen zur Prähistori-schen Archäologie 121), hg. von Barbara Horejs / Reinhard Jung / Elke Kaiser / Biba Teržan, Bonn 2005, 389–413, vgl. bes. 392 Anm. 29; ders., Bronze age copper production (wie Anm. 1) 53 f.

67 Krause, Metallurgie Karpatenbecken (wie Anm. 24) 158 Abb. 139.68 Stephan Möslein, Neue Depotfunde der älteren Bronzezeit aus dem oberbayerischen Alpenvorland.

Ein Vorbericht, in: Depotfunde der Bronzezeit im mittleren Donauraum (Archäologie Österreichs, Sonderausgabe 9/10), hg. von Johannes-Wolfgang Neugebauer / Alexandra Krenn-Leeb, Wien 1999, 69–77, vgl. bes. 71.

69 Krause, Bronzezeitliche Burgen (wie Anm. 66) 398 f.70 Krause, ebd. 399 erkennt die Problematik und stuft die Datierung in die ausgehende Frühbronze-

zeit als fraglich ein; Noch einmal wird auf die Kritik von Wamser hingewiesen, der für das ältere Mauer geviert überhaupt eine Datierung in die Späthallstatt-Frühlatènezeit ins Spiel bringt. Siehe oben Anm. 3. Damit ist die Gleichzeitigkeit von Burg und Vollgriffdolch keineswegs gesichert, im Gegenteil. Für den Dolch muss, wie oben dargelegt, eine Zeitstellung in FB IIa-b postuliert werden, während für die Burg FB IIIa-b angenommen wird. Der an sich verlockende Zusammenhang Burg/Dolch ist aus chronologischer Sicht nicht haltbar, womit ein entscheidendes Argument für das Vorhandensein einer lenkenden Oberschicht am Wiesinger Buchberg wegfällt.

die oft üppige Verzierung.64 Die Träger dieser Dolche konnten sich das wertvolle Gut leisten, sie dokumentierten damit ihren herausragenden Status innerhalb einer zusam-mengehörigen Gruppe.65 Ob diese soziale Vorrangstellung auf einer politischen Füh-rungsrolle basierte oder sich dahinter eine kultisch-religiöse Macht position oder beides zusammen verbirgt, muss im Einzelfall hinterfragt werden.

Rüdiger Krause sieht in dem einstigen Träger des Wiesinger Dolches einen Ange-hörigen einer Elite.66 Diese Machtposition hätte sich auf Basis der Kontrolle der Kupfer metallurgie im Raum Schwaz herausgebildet. Abbau, Verhüttung, Produktion und Distribution mussten strukturiert, organisiert und vor allem kontrolliert werden. Bereits in der Frühbronzezeit sind große Mengen Kupfer aus den Inntaler Fahlerzrevie-ren gewonnen und ins bayerische Alpenvorland verhandelt worden, wo die Abnehmer zur Weiterverarbeitung angesiedelt gewesen sind.67 Die Bevölkerung der Straubinger Gruppe war selbst jedoch nicht die alleinige Endverbraucherin des Metalls, sondern die Region dürfte als Durchgangsland für das alpine Kupfer nach Norden und Osten in die Siedlungsgebiete der Aunjetitzer Kultur fungiert haben.68 In diesen Kontext lässt sich der Buchberg auf den ersten Blick durchaus einpassen. Der Inselberg bietet Schutz vor Naturgewalten, aber auch vor unerwünschten Angriffen. Als Reste einer Befestigung deutet Sydow das ältere Mauergeviert, das auf einer kuppenartigen Erhö-hung thronte. Gerade diese Befestigung, man kann dafür den Terminus Burg verwenden, unterscheidet den Fundplatz von unbefestigten Siedlungen in ungeschützter Position am Talrand oder auf Talrandterrassen.69 Ihre Datierung ist auf Grund des stratigrafi-schen Befundes jedoch unsicher, könnte aber immerhin vielleicht an den Ausgang der Frühbronzezeit gestellt werden und damit in eine Zeit, als eine allgemeine Siedlungs- intensivierung im mittleren Alpenraum zu verzeichnen ist.70 Nicht zuletzt war von die-

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sem Ort aus die Kontrolle des Flusstransportes auf dem Inn, der unmittelbar südlich des Felsrückens vorbeifließt, gleichermaßen möglich wie die Überwachung der Landtransportwege. Derartige Burgen werden in der Regel neben reich ausgestatteten und/oder mit großem Aufwand errichteten Gräbern (Grabhügel) – Letztere fehlen in Tirol in der Frühbronzezeit – als Niederschlag einer Hierarchisierung der Gesellschaft verstanden.71

Diesem Interpretationsansatz ist widersprochen worden. Tobias Kienlin und Tho-mas Stöllner rechnen für die entwickelte Frühbronzezeit mit einem saisonalen Abbau in den Revieren im Tiroler Unterinntal. Dieser könnte möglicherweise von Menschen-gruppen betrieben worden sein, die von alpenrandnahen Regionen kommend im Zuge von weiträumigen Wanderungen mit den Vieherden (Transhumanz) die Gebirgs-regionen aufgesucht hätten. Kleine Dauersiedlungen, wie am Wiesinger Buchberg und in Brixlegg, hätten primär wegen der auf Subsistenzbasis betriebenen Landwirtschaft existiert, die Nutzung der anstehenden Kupfererze sei mehr oder weniger nebenher erfolgt.72 Ähnlich argumentieren Ulrike Töchterle und Gerhard Tomedi bezüglich der Rolle der frühbronzezeitlichen Kupfermetallurgie im Inntal. Gemessen an der langen Dauer der Früh bronzezeit sei die produzierte Menge an Kupfer gering ausgefallen, von einer industriellen Produktion könne man nicht sprechen, denn in dieser Initialphase des Kupferbergbaus fand der Prozess der Verhüttung, quantitativ „auf kleiner Flamme“ und technologisch noch wenig entwickelt, innerhalb der Siedlungen statt.73 Wegen des Zeitfaktors stehe die uns heute als herausragend erscheinende Stellung des Buchbergs bei der Verhüttung von Fahlerzkupfer sowie der angenommenen Herstellung von Ösen-ringbarren und finalen Produkten dazu nicht im Widerspruch.74 Die wenigen und meist als Einzelfunde, oft in alpinen Höhenlagen, zu Tage getretenen Prestigegüter – zu denen auch die Vollgriffdolche zählen – stellen Kienlin und Stöllner in einen kultischen Kon-text. Die Funktion als Standesabzeichen einer Elite sei nicht zweifelsfrei belegbar, u. a. weil nicht ergründbar sei, wie viele Personen über Vollgriffdolche verfügen konnten und wie diese Waffen, den Symbolwert betreffend, im Verhältnis zu den Dolchen mit orga-nischem Griff einzustufen seien.75

Als Resümee ist festzuhalten, dass die bis dato bekannten Funde und Befunde vom Wiesinger Buchberg eine Interpretation in beide Richtungen zulassen, insgesamt aber beim derzeitigen Forschungsstand kaum geeignet sind, im Träger des Wiesinger Voll-griffdolches eine Person, der ein Elitenstatus im Sinne von Krause zukommt, erkenn-bar zu machen.76 Daraus darf umgekehrt nicht gefolgert werden, es hätte gar keine

Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing

71 Kurz Tobias L. Kienlin, Von den Schmieden der Beile: Zu Verbreitung und Angleichung metallurgi-schen Wissens im Verlauf der Frühbronzezeit, in: Prähistorische Zeitschrift 82 (2007) 1–22, vgl. bes. 13 u. Anm. 7 (ausführliche Literaturangaben).

72 Tobias L. Kienlin / Thomas Stöllner, Singen copper, alpine settlement and early bronze age mining: is there a need for elites and strongholds?, in: Kienlin/Roberts, Metals and Societies (wie Anm. 1) 67–104, vgl. bes. 83–90.

73 Tomedi/Töchterle, Kupferbergbau als movens (wie Anm. 43) 588.; Tomedi/Staudt/Töchterle, Schwaz–Brixlegg (wie Anm. 43) 56–59.

74 Tomedi/Töchterle, ebd. 592.75 Kienlin/Stöllner, Elites and strongholds (wie Anm. 72) 88.76 Zum Thema „Prähistorische Eliten“ ist im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren eine lebhafte,

kontrovers geführte Diskussion im Gange, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. dazu jüngst etwa die Beiträge in: Beyond Elites. Alternatives to hierarchical systems in modelling social

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formations (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 215), hg. von Tobias L. Kienlin / Andreas Zimmermann, Bonn 2012.

77 Eine solche Funktion ließe sich mit Bezeichnungen wie „Dorfältester“, „Sippenoberhaupt“, „Häuptling“, „Anführer einer Kriegerschar“ etc. umschreiben. Die verwendeten und erweiterbaren Begriffe stellen gewissermaßen Annäherungen mit heutigen sprachlichen Mitteln an das bronzezeitliche Sozial- und Herrschaftssystem dar und sind eigentlich nur Hilfskonstruktionen, um eine bildhafte Vorstellung von letztlich nicht bekannten Strukturen zu vermitteln. Das kommt zwar dem Wunsch der Archäologie nach einer narrativen Erzählweise entgegen, evoziert aber beim Rezipienten die gefährliche Vorstellung, man könne tatsächlich die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse im Detail beschreiben. Insgesamt ist es problematisch, aus der Sozialtheorie entnommene Begriffstypen in der Archäologie zu implementieren. Siehe dazu Matthias Jung, Der „Big Man“ – die Verselbständigung eines theoretischen Konstrukts und ihre Adaption in der Archäologie, in: Das Altertum 56 (2011) 187–204.

78 Tomedi/Töchterle, Kupferbergbau als movens (wie Anm. 43) 593.79 Siehe dazu Kienlin, Schmieden der Beile (wie Anm. 71) 4 f.80 Kritisch dazu aber Kienlin, ebd. 17 u. Anm. 12–14, der ethnografische Parallelen für Schmiede

anführt, die ihr Handwerk neben ihrem Hauptbetätigungsfeld in der Landwirtschaft ausüben.

soziale Hierarchisierung gegeben. Der Dolch ist als Rangabzeichen zu verstehen, jedoch kann dieses eben genauso gut eine im Rahmen der Kultausübung herausragende Person („Priester“) gekennzeichnet haben, wofür im Wiesinger Befund ja brauchbare Indizien vorliegen. Selbst wenn der hervorgehobene Status des Dolchträgers eine profane Macht-position abbilden sollte, kann diese durchaus nur in einem ganz engen Umfeld wirksam gewesen sein und demjenigen zugekommen sein, der letztlich führend bei der „Rege-lung des Alltags“ einer zusammengehörigen sozialen Gruppe gewesen ist.77

Wenden wir uns abschließend nochmals der Frage nach dem Herstellungsort des Dolches zu. Töchterle und Tomedi vermuten einen lokal wirkenden Bronzegießer, der am Buchberg die Waffe angefertigt habe. Auf Ateliers, die Artefakte in größerer Zahl und längerfristig gefertigt haben, könne man für die Frühphase der Bronzezeit jedoch nicht schließen.78 Nun ist zweifellos zu bedenken, dass die Arbeit eines Gießers großes technisches Können und Wissen erfordert. Zu bewerkstelligen ist nicht nur der Guss selbst, für den Werkzeuge gebraucht werden, etwa um Schlacke und Holzkohle, die auf dem flüssigen Metall aufliegt, zurückzuhalten. Gusstiegel und Gussformen müssen angefertigt werden. Nach dem Guss ist das Werkstück weiter zu bearbeiten, dabei sind Gussnähte und Gussgrate zu entfernen, Klingen müssen ausgeschmiedet, geschliffen und poliert werden. Die dafür notwendigen Werkzeuge müssen nicht nur angefertigt, sondern auch gewartet werden. Die Versorgung mit Brennmaterial muss sichergestellt sein.79 Das bedingte regelmäßiges Tun und diese Metallurgen wird man sicherlich als Spezialisten ansehen müssen, deren Tätigkeit auf professionellem Niveau ablief, was nur möglich erscheint, wenn verschiedenste Produkte in größerer Anzahl hergestellt wer-den. So gesehen würde man doch erwarten, dass der Hersteller des Dolches in einer spezialisierten Werkstätte zu suchen ist.80 Bei der Betrachtung der bis heute bekannten metallurgischen Funde und Befunde vom Buchberg müssen wir jedoch feststellen, dass konkrete Hinweise auf eine Gießer- und Schmiedewerkstatt eigentlich nicht vorliegen, vor allem fehlen die zu erwartenden Gussformen.

Auch die chorologische Auswertung liefert ein Bild, das zunächst nicht für eine Fer-tigung des Dolches am Wiesinger Buchberg spricht. Betrachtet man die Kartierung der bekannten Dolche des EW-Typs, so erkennt man im Wiesinger Stück einen „Ausreißer“, der weitab vom eigentlichen Verbreitungsgebiet aufgetaucht ist (Abb. 14). Folgerichtig

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341Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing

nimmt Stefan Schwenzer die Produktion dieses Dolchtyps im Verbreitungs gebiet selbst, nämlich irgendwo südlich oder nördlich des tschechischen Erzgebirges, an.81 Dem wird man kaum widersprechen, und würde man nicht die Herkunft des Metalls des Wiesinger Dolches dem Schwazer Falkensteinrevier zuordnen können, so bestünde kein begründe-ter Zweifel daran, dass es sich um ein Importstück aus dem Bereich der Aunjetitzer Kultur handeln müsste. Zu gut stimmen die formalen Merkmale, sieht man vom Heftausschnitt ab, die einzelnen Verzierungselemente und gerade auch die Herstellungstechnik82 mit den bekannten Dolchen aus dem tschechisch-ostdeutsch-westpolnischen Verbreitungs-gebiet überein. Ein direkter Import könnte allemal noch vorliegen, nähme man an, ein in Böhmen oder Ostdeutschland ansässiger Gießer habe eingehandeltes Kupfer aus dem Schwazer Revier verarbeitet. Da für die schon erwähnten Dolche des EW-Typs aus dem Hortfund von Bresinchen regionale Fahlerzkupfersorten83 verarbeitet wurden, ist die Ver-wendung des Schwazer Fahlerzkupfers jedenfalls in dieser Region wenig wahrscheinlich.

81 Siehe oben Anm. 36.82 Nicht richtig ist die Annahme von Tomedi/Töchterle, Kupferbergbau als movens (wie Anm. 43) 593,

der Wiesinger Dolch sei im Überfanggussverfahren hergestellt worden.83 Lorenz, Deponierungen Aunjetitzer Kultur (wie Anm. 41) 86 Abb. 7.32, 87 f.

Abb. 14: Kartierung der Fundorte von Dolchen des Elbe-Warthe-Typs nach Stefan Schwenzer mit Ergän-zung des Fundortes Wiesing. Grau markiert sind die Siedlungsgebiete der Aunjetitzer Kultur (Grafik: Bar-bara Pöll, Fa. monumentGUT, Innsbruck).

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84 Eine kurze Darstellung bietet Hermann Genz, Der Aunjetitzer in der Fremde, in: Der geschmiedete Himmel. Die Welt im Herzen Europas vor 3600 Jahren, hg. von Harald Meller, Stuttgart 2006, 194–197.

85 Hermann Genz, Alpine Dolche und Löffelbeile – Mitteldeutschland und seine Beziehungen nach Südwesten, in: Meller, ebd. 182–185; Hafner, Vollgriffdolch und Löffelbeil (wie Anm. 65) 136–138.

86 Möslein, Straubinger Gruppe (wie Anm. 10) 69 Anm. 146.87 Rüdiger Krause, Die endneolithischen und frühbronzezeitlichen Grabfunde auf der Nordstadtterrasse

von Singen am Hohentwiel (Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Würt-temberg 32), Stuttgart 1988, 134 f.

88 So kurz z. B. Krause, Sozialstrukturen und Hierarchien (wie Anm. 66) 46.

In Mitteleuropa kommt der Aunjetitzer Kultur eine zentrale Rolle hinsichtlich der frühen Kupfermetallurgie zu. Es werden dort Formen entwickelt, die nicht nur regio-nal Verbreitung finden, sondern weit über das Kerngebiet ausstrahlen.84 Bekannt sind etwa Ösenkopfnadeln, die als Importe in die Westschweiz in das Gebiet der Rhone- kultur gelangen und dort bald von einheimischen Werkstätten nachgeahmt werden. Beile und gegossene Armringe kommen bevorzugt in Norddeutschland und Süd - skandinavien vor, wo sie in großer Zahl als Barren – vielleicht im Gegenzug für Bern-stein – eingeführt worden sind. Dagegen sind goldene Noppenringe, Stabdolche und Vollgriffdolche als Statussymbole sowohl nach Norden als auch nach Süden und Westen verbreitet worden, was ihre grundsätzliche Akzeptanz in verschiedenen, weit voneinan-der entfernten Kulturkreisen belegt. Weitläufige Kontakte verliefen aber auch in umge-kehrter Richtung. Löffelbeile und Vollgriffdolche des Alpinen Typs, die im nordwest-schweizerischen Raum beheimatet sind, finden sich in Mitteldeutschland, Dänemark und Nordostpolen.85 Dahinter wird bisweilen ein Geschenktauschsystem zwischen gesellschaftlichen Eliten vermutet, mit dem man Handelsvereinbarungen, Bündnisse oder Heiraten besiegelte. Könnte es sich beim Wiesinger Dolch um ein solches Geschenk handeln, hergestellt in Wiesing von einem Gießer aus der Fremde? Beispielsweise hätte ein Abkommen zur Sicherung des direkten Zugriffes auf die Schwazer Kupfervorkom-men zwischen Stammesverbänden aus dem Gebiet der südlichen Aunjetitzer Kultur und der lokal ansässigen Bevölkerung erfolgen können, was natürlich das Vorhandensein einer dementsprechend potenten lokalen Elite im Sinne von Rüdiger Krause voraus-setzen würde. Eine solche Interpretation müsste sich auf weitere Funde stützen kön-nen, welche direkte Kontakte zwischen der Abbauregion im mittleren Inntal und dem Gebiet der Aunjetitzer Kultur belegen. Dafür gibt es derzeit keine Anzeichen, doch sei zumindest an eine Beobachtung von Stephan Möslein erinnert, der bezüglich der unge-wöhnlichen Verzierung des von Sydow gefundenen Bechers des Typs Burgweinting/Viecht auf eine Aunjetitzer Tasse aus Musov (Mähren) verweist.86 Zweifelsohne ist diese These reichlich spekulativ und übersieht zudem die Rolle der Straubinger Gruppe, deren Einfluss im Inntal – denken wir an die Keramik – sich archäologisch wesentlich klarer fassen lässt.

Einem weiteren gängigen Interpretationsansatz folgend, ließe sich die Herstellung des Dolches einem Wanderhandwerker zuschreiben. Rüdiger Krause etwa hat dies bezüglich verzierter Singener Ruderkopfnadeln in Erwägung gezogen, die in fast identer Form noch in Ostbayern vorkommen.87 Wanderhandwerkern wäre innerhalb bestehender, weit verzweigter Kommunikationsnetze die Rolle zugekommen, Metall und Artefakte sowie technologisches Wissen zu verbreiten.88 Wie weit der Radius solcher Wander-

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89 Kienlin, Schmieden der Beile (wie Anm. 71) 18 (mit Literatur).90 Tomedi/Töchterle, Kupferbergbau als movens (wie Anm. 43) 591 f.91 Schwenzer, Vollgriffdolche (wie Anm. 28) 60–64, bes. 63.92 Vgl. die kritischen Bemerkungen bezüglich der von Schwenzer angenommenen Ausbreitung u. a. des

Baltisch-Padanischen Typs von Süden nach Norden bei Kienlin, Vollgriffdolche (wie Anm. 42).

handwerker reichte, ist keineswegs bekannt. Ethnografische Daten bezeugen, dass diese in der Regel nicht über die Siedlungsgebiete jener Gruppen, zu denen sie bestehende soziale Kontakte haben, hinauskommen.89 Trifft das zu, muss diese Deutung dennoch nicht gleich über Bord geworfen werden. In Betracht zu ziehen ist nämlich eine indirekte Weitergabe über benachbarte Kulturräume hinweg. Mit längerem zeitlichem Abstand dürfte man zwar leichte Veränderungen gegenüber dem „Ursprungsmodell“ erwarten, doch spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein erfolgreiches Produkt technologisch und formal zumindest eine gewisse Zeit in einer neuen Produktionsstätte unverändert bleibt. Schließlich könnte der bereits mehrfach erwähnte typologisch abweichende Heftausschnitt des Wiesinger Dolches in diesem Sinne eine plausible Erklärung finden.

Gleichwohl wäre dieses formale Kriterium auch als Argument einsetzbar für die Vor-stellung, die Dolche des EW-Typs seien ursprünglich im mittleren Inntal entwickelt, gefertigt und in das Gebiet der Aunjetitzer Kultur exportiert worden, wo sie bald nach-geahmt worden sein müssten. Somit läge eine Umkehrung der aus dem Verbreitungsbild abzuleitenden Ausbreitungsrichtung vor. Am Ort der Rohstoffraffination einen idealen Produktionsstandort für fertige Objekte zu vermuten90 ist zweifelsohne einleuchtend, aber muss das auch für die Entwicklung eigenständiger Formen gelten? Immerhin böte die von Schwenzer postulierte starke typologische Abhängigkeit der Dolche des EW-Typs von Italischen Dolchen (IT 1) die Möglichkeit, eine Ausbreitungsrichtung von Süd nach Nord anzunehmen, wobei dem Tiroler Inntal dann in räumlicher Hinsicht die Funktion eines missing link zukäme. Dieser Ausbreitungsrichtung anzuschließen wären die Dolche des Baltisch-Padanischen Typs, deren Ursprung Schwenzer im Gegensatz zu Uenze in Oberitalien sieht. Das Stück aus Patsch (Mühltaler Brücke) sei bereits eine lokale Nachahmung des italischen Vorbilds (IT 1), erkennbar an der einfacheren Guss-technik und der flüchtigen Verzierung des Griffes.91 Aus Mangel an zusätzlichen Ver-gleichsfunden und wegen fehlender feinchronologischer Daten ist diese These momen-tan nicht weiter belegbar.92

Letztlich steht der Wiesinger Dolch als Beispiel für ein bereits in der Frühbronzezeit entwickeltes und komplexes System eines weiträumigen Güter- und Ideenaustausches, in das offenbar auch die vermeintlich unwirtliche inneralpine Zone eingebunden war.

Zusammenfassung

2001 fand man im Zuge von archäologischen Grabungen am Wiesinger Buchberg auf der so bezeichneten „Südterrasse“ einen frühbronzezeitlichen Vollgriffdolch. Das aus Schwazer Fahlerzkupfer bestehende Stück ist dem nach dem Hauptverbreitungsgebiet benannten Elbe-Warthe-Typ nach Schwenzer zuzuordnen, es kann in die entwickelte Frühbronzezeit, also in etwa zwischen 2000 und 1700 v. Chr., datiert werden. Die Auf-findungssituation spricht für eine rituelle Deponierung des Dolches, im Zuge dessen

Der frühbronzezeitliche Vollgriffdolch vom Buchberg bei Wiesing

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dieser bewusst unbrauchbar gemacht worden ist. Die Fundlage unweit neben einer mit Tierknochen gefüllten Grube deutet auf eine kultische Motivation der Niederlegung hin. Die Waffe wurde sicherlich von einer Person geführt, die eine besondere soziale Stellung innerhalb ihres Stammesverbandes eingenommen hat. Ob sich damit eine regelrechte Elite, deren Machtposition sich auf die Kontrolle der Metallurgie im mittle-ren Inntal gründete, nachweisen lässt, oder eher ein religiöses Oberhaupt oder eine lokal wirkende Führungsperson, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen. Obwohl mit eini-gen Unsicherheiten behaftet, spricht die Herkunft des verwendeten Kupfers aus dem Schwazer Erzrevier für eine Produktion des Dolches am Buchberg selbst oder in dessen näherem Umfeld. Jedenfalls unterstreicht dieser außergewöhnliche Fund die Wichtig-keit des Fundplatzes Buchberg/Wiesing für die Frühbronzezeitforschung in Tirol und bezeugt auf eindrückliche Weise Beziehungen und Kontakte der verschiedenen früh-bronzezeitlichen Kulturgruppen Mitteleuropas.

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