Post on 12-Jan-2023
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Philosophische Fakultät
Institut für Germanistische Literaturwissenschaft
Formen und Formeln der Kunstbeschreibung in den
italienischen Aufzeichnungen Wilhelm Heinses
Magisterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades
MAGISTRA ARTIUM (M.A.)
vorgelegt von Juliane Blank
geboren am 06.11.1981 in Magdeburg
Erstgutachter: PD Dr. Bernd Auerochs
Zweitgutachter: Prof. Dr. Dirk Oschmann
Jena, 15.12.2007
2
Inhalt
1 Einleitung .............................................................................................................................. 4
2 Die Krise der Repräsentation. Heinses Aufzeichnungen vor dem Hintergrund der
Kunstbeschreibung im 18. Jahrhundert ................................................................................ 6
2.1 Prosaische vs. poetische Kunstbeschreibung .................................................................. 7
2.2 Zweifel an der Übersetzbarkeit des Bildes .................................................................... 10
3 „Ich habe große Lust wieder nach Rom“ - Italien und die Folgen ................................ 14
3.1 Sehnsucht nach dem „Winckelmannischen Apollo“ ..................................................... 14
3.2 Italienerlebnis ................................................................................................................ 16
3.3 „Das Sehen nimmt mir viel Geld weg.“ ........................................................................ 19
4 Kunst als Dokument des Lebens ....................................................................................... 21
4.1 „Leben allein wirkt in Leben“. Die Norm der Natur ..................................................... 21
4.2 Lebensnähe und Lebensferne ........................................................................................ 23
4.3 Ansicht und Durchsicht als Grundprinzipien der Kunstbeschreibung .......................... 26
4.4 Der lebensweltliche Anker. Imaginierte Modelle und Äquivalenzfiguren ................... 28
5 „Zur Schönheit selbst gehört der Charakter...“. Charakterisierung als Strategie der
psychologischen Verlebendigung .......................................................................................... 32
5.1 Der Individualcharakter in der Literatur des 18. Jahrhunderts ...................................... 33
5.2 Strategien einer psychologischen Verlebendigung ....................................................... 35
5.3 Vermenschlichende Charakterisierung von Göttergestalten ......................................... 37
5.4 Imagination von Szenarien ............................................................................................ 39
6 Das Pygmalion-Modell ....................................................................................................... 41
6.1 Der enthusiastische Betrachter und die Stärkung des Auges ........................................ 42
6.2 Pygmalion als hermeneutisches Modell ........................................................................ 44
6.3 Abwehr erotischer Assoziationen .................................................................................. 46
6.4 Objekte der Begierde ..................................................................................................... 48
6.5 Kunstgenuss - Liebesgenuss .......................................................................................... 50
3
7 Der sexualisierte Blick und seine Revision. Heinses Selbstzensur ................................. 53
7.1 Die Entsexualisierung der Literatur .............................................................................. 54
7.2 Brüste, Hintern, Schenkel – Das „Nackende“ als Beschreibungskategorie .................. 57
7.3 Heinses Selbstzensur. Die Entschärfung der erotischen Kunstbeschreibung................ 60
7.4 Ein gescheitertes Projekt ............................................................................................... 64
8 Komposition, Zeichnung, Kolorit. Die Formeln der Gemäldebeschreibung ................ 65
8.1 Die Etablierung der Beurteilungskategorien für Gemälde ............................................ 65
8.2 ‚Platzhalter’ der formalen Bildbeschreibung ................................................................ 68
8.3 Heinses Umdeutung der Klassifikationskriterien am Beispiel des Kolorits ................. 74
9 Antike Skulpturen durch „Winckelmanns Brille“ .. ........................................................ 78
9.1 Winckelmanns Lehrgebäude und die Kunstbetrachtung nach 1755 ............................. 79
9.2 Heinses Kontrafaktur von Winckelmanns kanonischen Beschreibungen ..................... 84
9.3 Die Macht von Winckelmanns „schönen Worten“ ....................................................... 87
10 Resümee ............................................................................................................................. 92
Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 96
Abbildungen ........................................................................................................................... 107
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... 116
4
Lieber, der arme Rost hat kein Herz, seine Seele ist in seinem Blute...1
1 Einleitung
Das literaturgeschichtliche Kuriosum Wilhelm Heinse passt in viele Schubladen und in keine.
Er ist als Vorbote der dionysischen Lebensauffassung dargestellt worden, als präromantischer
Kunstanbeter, als Sturm-und-Drang-Ästhetiker, als Anti-Winckelmann. Alle diese Ansätze
zeigen wichtige Bestandteile seiner literarischen Persönlichkeit auf, aber keiner eignet sich als
alleinseligmachender Schlüssel zum merkwürdig uneinheitlichen Werk Heinses. Die
vorliegende Arbeit befasst sich mit den Beschreibungen von Skulpturen und Gemälden, die
Heinse während seiner Italienreise (1780-1783) niederschrieb.2 Dabei geht es nicht primär um
eine literarische ‚Ehrenrettung’ Wilhelm Heinses. Es soll hier nicht versucht werden, Heinse
als Konkurrenten der literarischen Größen seiner Zeit zu stilisieren. Die vorliegende Arbeit
interessiert sich vielmehr für die Aussagekraft der Abweichung und befasst sich deswegen mit
den größtenteils unveröffentlichten und oft fragmentarischen Kunstbeschreibungen. In diesem
Medium probiert Heinse vieles aus, was in dieser Form nicht an die Öffentlichkeit dringt. Die
Untersuchung stützt sich auf die seit 2005 vorliegende vollständige Edition der
Aufzeichnungen bei Hanser.3 Rein quantitativ bedeutet diese Ausgabe gegenüber Leitzmanns
unvollständiger Auswahl aus den Aufzeichnungen eine Bereicherung. Grimm weist jedoch
darauf hin, dass die Edition „unser Bild von Heinse nicht grundsätzlich verändern“ wird.4 Der
Wert der neuen Ausgabe besteht vielmehr darin, dass die Basis, auf der Aussagen über
Heinses Schaffen getroffen werden können, nun gleichsam befestigt ist.
1 Friedrich Heinrich Jacobi am 21. Oktober 1774 an J.W. Goethe. Friedrich Heinrich Jacobi, Gesamtausgabe, Bd. I,2, Briefwechsel 1775-1781. Nr. 381-750, hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Reinhard Lauth und Siegfried Sudhof in Zusammenarbeit mit Peter-Paul Schneider, Stuttgart - Bad Cannstadt 1983, S. 265. Den Namen Rost verwendet Heinse in Briefen an Gleim und Jacobi. 2 Architekturbeschreibungen werden nicht berücksichtigt, da Heinse Bauwerke nicht im gleichen Maße als Kunst betrachtet wie Skulpturen oder Gemälde. Architektur wird vielmehr immer auch nach ihrer Funktionalität beurteilt: „Ein Gebäude ist ein Kleid, das einen vor bösem Wetter schützt, u muß daraus beurtheilt werden.“ (FN I, 582 – N14, 62r.) Vgl. hierzu auch Albert Zippel, Heinse und Italien, Jena 1930, S. 100. 3 Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass [im Folgenden im Text zitiert als FN], 5 Bde., hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2003 bis 2005. Diese Ausgabe wird in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich verwendet. Darüber hinaus wurde auch die Schüddekopf-Leitzmann-Ausgabe und Baeumers kritische Studienausgabe des Ardinghello (Reclam) verwendet. 4 Gunter E. Grimm, Gehobene Schätze. Wilhelm Heinses Frankfurter Nachlass, in: IASLonline (12.12.2006), URL: <http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Grimm3446204024_1610.html> (abgerufen am 03.07.2007).
5
Heinse reist ausdrücklich mit dem Ziel, Kunst zu erleben, nach Italien. Aus der Lektüre von
kunsttheoretischen und ekphrastischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
entsteht ihm das Bedürfnis, selbst zu sehen und das Gesehene mit literarischen Mitteln zu
fixieren. Dabei ist selbst für die fragmentarischen Formen die Funktion eines ekphrastischen
Bauteils anzunehmen. Bernauer weist darauf hin, dass Heinses Aufzeichnungen nicht als
persönliche Tagebücher, sondern eher als Ansammlung von ‚Werkteilen’ für eine spätere
literarische Verwendung zu betrachten seien. Durch die Lektüre der Aufzeichnungen erhalte
man vor allem „einen einzigartigen Einblick in eine Autorenwerkstatt des 18. Jh.s, wie sie in
Qualität und Kompaktheit nicht ihresgleichen hat.“5
Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet: Wie beschreibt Heinse Kunst? Vor dem Hintergrund
der Debatte um die Autonomie der Kunst und die Grenzen der einzelnen Künste erschien eine
Übersetzung des Mediums Bild in das Medium Text zum Zeitpunkt von Heinses Italienreise
bereits problematisch, wenn auch noch nicht unmöglich. Heinse sucht nach innovativen
Strategien der Kunstbeschreibung, die die Wirkung eines Kunstwerkes transportieren können.
Sein ekphrastisches Schaffen steht unter dem Vorzeichen der Verlebendigung – Heinse ist
nicht primär an den materiellen und technischen Aspekten eines Kunstwerkes interessiert,
sondern fokussiert vielmehr auf die ‚dahinter’ liegende Bildwirklichkeit. Er sieht und
beschreibt die dargestellten Figuren nicht als übermenschliche Ideale, sondern als lebendige
Charaktere, die in der Lebenswelt des Künstlers verortet werden können.
„Verlebendigung“ heißt bei Heinse auch, dass die Schönheit einer Venus nicht nur eine über
das Menschliche erhabene Schönheit der reinen Form ist. Wie Pygmalion, dem sich eine
Statue zum Objekt sexueller Begierde verlebendigt, sieht Heinse in einer solchen Venus in
erster Linie die schöne Frau in ihrer erotischen Anziehungskraft. In welchem Ausmaß Werke
der bildenden Kunst mit einem gleichsam ‚sexualisierten Blick’ erfasst werden, wird erst
durch die Lektüre der Aufzeichnungen deutlich.6 In dieser Arbeit soll u.a. geklärt werden,
welche Rolle die Fokussierung auf das Sinnlich-Erotische innerhalb von Heinses Verfahren
der Kunstbeschreibung spielt.
Ein zweiter Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Beobachtung, dass Heinses
Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen nicht nur innovativ und originell
sind, sondern sich auch in hohem Maße an den ‚Formeln’ der kunstliterarischen Tradition
5 Markus Bernauer, Zur vorliegenden Ausgabe, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005, S. 415-424, hier S. 415. 6 Besonders in den unzähligen fragmentarischen Passagen hat das Erotische einen festen Platz.
6
orientieren. Dies gilt vor allem für die formale Beschreibung eines Kunstwerkes, für die
Erfassung seiner künstlichen Gemachtheit. Hier bedient sich Heinse des ‚Jargons’ der
Kunsttheorie, wohl auch um sich durch eine fachkundige Beschreibung als Kunstkenner zu
legitimieren. Für die Gemäldebeschreibungen ist eine Verwendung traditioneller
Beurteilungskategorien zu verzeichnen, die zwar auf der Oberfläche der klassizistischen
Kunsttheorie zu folgen scheint, sich bei genauerer Betrachtung jedoch als bloß formelhaft
herausstellt. Heinse deutet die zentralen Begriffe der Gemäldebeschreibung (Kolorit,
Zeichnung, Ausdruck, etc.) in seinem Sinne um und macht sie für seine Kunstauffassung
fruchtbar. Auch im Bereich der Skulpturenbeschreibung sieht Heinse sich mit einem
wirkungsmächtigen Muster konfrontiert. Die Sicht auf antike Skulptur war in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts maßgeblich von Winckelmanns Wahrnehmung und Beschreibung
der ‚klassischen’ Skulpturen in Rom geprägt. Heinses Suche nach innovativen
Beschreibungsformen ist auch als Versuch einer Emanzipation von Winckelmann zu
verstehen.
Die Arbeit ist in drei thematische Blöcke gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln soll zum
einen der terminologische Rahmen geklärt und der Frage nachgegangen werden, wie sich die
kunstwissenschaftliche Bildbeschreibung von Heinses vorkunsthistorischer
Kunstbeschreibung unterscheidet und mit welchem Begriff diese zu fassen ist. Zum anderen
muss näher auf die Bedeutung eingegangen werden, die Italien als „Land der Kunst“7 für
Heinse hatte. Der zweite Teil der Arbeit, der aus vier Kapiteln besteht, befasst sich
schwerpunktmäßig mit den innovativen ekphrastischen Strategien, die Heinse zur
Verlebendigung des Kunstwerkes anwendet. Im letzten Teil der Arbeit soll der Schwerpunkt
der Untersuchung auf der ‚Formel’ der Kunstbeschreibung im Gegensatz zur innovativen
Form liegen, wobei Gemälde- und Skulpturbeschreibungen getrennt betrachtet werden sollen.
2 Die Krise der Repräsentation. Heinses Aufzeichnungen vor dem Hintergrund der Kunstbeschreibung im 18. Jahrhundert
Die Beschäftigung mit Kunst kann als ein literarischer ‚Trend’ der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts bezeichnet werden. Ausgehend von Baumgartens Aesthetica (1750), in der das
Nachdenken über Kunst zur philosophischen Disziplin erhoben wurde, entstanden in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche kunsttheoretische und -philosophische 7 Zippel, S. 14.
7
Schriften. Einen festen Platz innerhalb dieser Schriften hat die Beschreibung konkreter
Kunstwerke, die dazu geeignet ist, die jeweilige Kunstauffassung am konkreten Kunstwerk zu
exemplifizieren.8 Die Kunstbeschreibungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
entstanden sind, entstammen einer vorkunsthistorischen Zeit und unterscheiden sich in Form
und Intention von der „sachlichen“ Bildbeschreibung, wie sie heute im Rahmen der
Kunstwissenschaft praktiziert wird. Es wird zu klären sein, inwiefern die
kunstwissenschaftliche Bildbeschreibung und die literarische Ekphrasis einander als
„prosaische“ und „poetische“ Kunstbeschreibung gegenübergestellt werden können.
Bedeutsam für die Kunstliteratur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist auch das
zunehmende Bewusstsein für die Übersetzungsproblematik der Kunstbeschreibung. Die so
genannte „Krise der Repräsentation“9 schlägt sich auch in Heinses ekphrastischen Texten
nieder.
2.1 Prosaische vs. poetische Kunstbeschreibung Um den Formen der Kunstbeschreibung in Heinses Werk gerecht werden zu können, muss
zunächst zwischen einer sachlichen und einer literarischen Kunstbeschreibung unterschieden
werden. Die Textform der Kunstbeschreibung wird vor allem mit dem akademischen Fach der
Kunstwissenschaft assoziiert und findet in diesem Rahmen ihre häufigste Anwendung. Ihre
Funktion ist rein zweckmäßig: sie dient als Vorstufe auf dem Weg zum Kunstverständnis. Die
sachliche Kunstbeschreibung unterliegt den Maßstäben kunsthistorischer Zweckdienlichkeit.
Nicht Nachdichtung des Kunstwerkes wird verlangt, sondern „klare, eigenschaftsbenennende
Aussage“.10 Maßgeblich für die Entstehung der „wissenschaftlichen Beschreibung“11 ist die
Entwicklung der Fotografie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Diente die Beschreibung eines
Kunstwerkes vorher als „Bildersatz“, so tritt sie nun lediglich ergänzend zu einer
Reproduktion des Werkes und fungiert als eine Art ‚Sehanleitung’.12 Otto Pächt proklamierte
1930/31 das „Ende der Abbildtheorie“ und wandte sich damit gegen jede mit poetischen
8 So wählt Winckelmann in seiner Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) die antike Skulptur des Laokoon als Repräsentanten seiner Vorstellung von „edler Einfalt“ und „stiller Größe“. Vgl. Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Sendschreiben. Erläuterung, hg. von Ludwig Uhlig, Stuttgart 1969, S. 20. 9 Raphael Rosenberg, Von der Ekphrasis zur wissenschaftlichen Bildbeschreibung. Vasari, Agucchi, Félibien, Burckhardt, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995), S. 297-318, hier S. 312. 10 Ernst Rebel, Darf Bildbeschreibung „Erlebnis“ bieten? Tendenzen und Diskussionen seit Burckhardt, in: Ders. (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Betrachten der Kunst, Ostfildern 1996, S. 74-90, hier S. 85. 11 Rosenberg unterscheidet als Formen der Kunstbeschreibung die antike Ekphrasis, die sachliche und die wissenschaftliche Bildbeschreibung. Vgl. Rosenberg, S. 299, 302 und 312. 12 Vgl. Ebd., S. 313.
8
Mitteln arbeitende Kunstbeschreibung, die selbst wieder zur Beschreibungskunst gerät.13 Von
einer Bildbeschreibung erwartet man heute Zurückhaltung in der sprachlichen Form zu
Gunsten des beschriebenen Werkes. Das Benennen von Formen, Farben und deren
Konstellationen tritt vor das Beschreiben von Bild-Geschichten. Rosenberg charakterisiert
diese Spielart der Kunstbeschreibung als „prosaische Tradition der Bildbeschreibung.“14
Im Gegensatz zur sachlichen Kunstbeschreibung steht die vorkunsthistorische
Beschreibungspraxis. Die Kunstwissenschaft entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert zu einer
akademischen Disziplin.15 Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden
literarische Kunstbeschreibungen jedoch in großer Vielzahl. Besonders die Briefform in ihrer
„Vermittlerrolle zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit“ ist für Kunstbeschreibungen
verbreitet.16 Die Verbreitung der literarischen Kunstbeschreibung ist u.a. auf den Umstand
zurückzuführen, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts alle bedeutenden deutschen
Kunstsammlungen nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.17 Die in
Zeitschriften erscheinenden Beschreibungen von Galeriebesuchen zielten gleichsam darauf
ab, diese Veröffentlichung der Kunstsammlungen an die literarische Öffentlichkeit
weiterzugeben.18 Dieser Form der Kunstbeschreibung geht es darum, mit sprachlichen Mitteln
ein anschauliches Abbild des beschriebenen Kunstwerkes zu evozieren. Die Form, das Wie
der Beschreibung, spielt hier eine bedeutende Rolle in der Vermittlung des Kunstwerkes, da
sie auf die Imagination des Rezipienten einzuwirken vermag.
In Analogie zu Rosenbergs Charakterisierung der sachlichen Bildbeschreibung als einer
„prosaischen“ Form kann man hier von einer „poetischen“ Bildbeschreibung sprechen, die
sich eher den Maßstäben der Literatur als denen der Kunst verpflichtet fühlt. Die
Literaturwissenschaft hat diese Art der poetischen Kunstbeschreibung mit dem antiken
13 „Es gibt eine Art, Kunstwerke zu beschreiben, die den Anschein erwecken muß, als sollten die Werke der bildenden Kunst mit poetischen Mitteln wiedergegeben werden.“ Otto Pächt, Das Ende der Abbildtheorie, in: Ders., Methodisches zur kunsthistorischen Praxis. Ausgewählte Schriften, hg. von Jörg Oberhaidacher, Artur Rosenauer und Gertraut Schikola, München 1995, S. 121-128, hier S. 121. 14 Rosenberg, S. 302. 15 Der erste Lehrstuhl für Kunstgeschichte wurde 1844 in Berlin für Gustav Friedrich Waagen eingerichtet. 16 Vgl. Charis Goer, Ungleiche Geschwister. Literatur und die Künste bei Wilhelm Heinse, München 2006, S. 99. Als Briefe konzipiert sind z.B. Diderots Salons aus den Jahren 1759 bis 1781 und natürlich Heinses Gemäldebriefe. 17 Vgl. James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München 2002, S. 42. 18 Zu nennen sind hier u.a. Heinses Düsseldorfer Gemäldebriefe (1776), Georg Forsters Beschreibung von Düsseldorfer Gemälden in Ansichten vom Niederrhein (1790) und A.W. Schlegels Gemälde-Gespräch aus der Dresdner Galerie (1798).
9
Terminus der εκφρασις belegt.19 In der griechischen Antike bezieht sich Ekphrasis nicht so
sehr auf eine literarische Gattung als auf einen rhetorischen Modus, nämlich den der bildlich
veranschaulichenden Rede. Theon von Smyrna (1./2. Jh. n. Chr.) definiert in den
Progymnasmata Ekphrasis als „diejenige Art von Rede, bei der genaue Beschreibung geboten
und so ein Gegenstand augenfällig gemacht wird.“20 Bei Nikolaos von Myra (5. Jh. n. Chr.)
ist Ekphrasis ein Mittel, „Hörer zu Zuschauern“ zu machen.21 Beide Definitionen heben auf
die veranschaulichende Vorgehensweise der Ekphrasis ab. Ekphrasis in ihrer antiken
Ausprägung, so resümiert Rebel, wird überall eingesetzt, „wo die Schilderung von
Ereignissen, landschaftlichen Reizen, Eigenarten einer Person, aber eben auch der
Schönheiten eines Kunstwerkes vor das innere Auge des Lesers oder Zuhörers gebracht
werden soll.“22
Als rhetorischer Modus findet die antike Ekphrasis in unterschiedlichen literarischen
Gattungen Anwendung und ist in ihrem Inhalt nicht beschränkt. Werke der bildenden Kunst
gehören zunächst nicht zu ihrem Inhaltsspektrum. Spätestens mit den Eikones des Philostratos
beginnt jedoch die Ausdehnung des Begriffes auf die Beschreibung von Kunstwerken.23 Als
‚Prototyp’ der antiken Ekphrasis gilt Homers Beschreibung des Schildes des Achilles im 18.
Gesang der Ilias. Homer beschreibt nicht den Schild als Gegenstand, sondern seine
Entstehung – ein Kunstgriff, den Lessing später als optimale Überbrückung der Kluft
zwischen Wort- und Bildkunst preisen sollte.24
Der moderne Begriff der Ekphrasis ist Resultat einer Umdeutung der antiken Textform
Ekphrasis. Wie die antike Gattungsbezeichnung bezieht er sich auf den Modus der
anschaulichen Beschreibung. In seinem inhaltlichen Umfang ist der moderne Begriff jedoch
auf die Beschreibung von Werken der bildenden Kunst begrenzt. Webb weist darauf hin, dass
eine solche Verwendung des Begriffs eine gattungsinterne Kontinuität von der Antike bis in
die heutige Zeit suggeriert, von der keine Rede sein kann, da sich der moderne Begriff der
19 Maßgeblich für die Etablierung des Begriffs sind vor allem Leo Spitzer, The ‚Ode on a Grecian Urn’, or Contents vs. Metagrammar, in: Ders., Essays on English and American Literature, hg. von Anna Hatcher, Princeton 1962, S. 67-97; Jean Hagstrum, The Sister Arts. The Tradition of Literary Pictorialism in English Poetry from Dryden to Gray, Chicago 1958; Glanville Downey, “Ekphrasis”, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 921-44. 20 Zit. nach: Downey, „Ekphrasis“, Sp. 922. 21 Zit. nach: Wolf-Dietrich Löhr, „Ekphrasis“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 76-80, hier S. 76. 22 Ernst Rebel, Bis Winckelmann, Etappen auf dem Weg der modernen Bildbeschreibung, in: Ders. (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Betrachten der Kunst, Ostfildern 1996, S. 13-39, hier S. 16. 23 Vgl. Rosenberg, S. 299. 24 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1964, S. 134.
10
Ekphrasis nur bestimmte Aspekte des antiken Terminus anverwandelt.25 Trotz aller
Berechtigung von Webbs Einwand hat sich der Terminus Ekphrasis jedoch auch für
Kunstbeschreibungen in modernen Texten etabliert und wird auch in dieser Arbeit in dieser
Weise verwendet.
Wie Ernst Rebel anmerkt, ist die Bildbeschreibung schwerlich als eigene Textsorte
anzusehen, da es ihr an sprachlicher Autonomie fehlt.26 In ihrer vorkunsthistorischen
Ausprägung kann sie eine Vielfalt von literarischen Formen annehmen, die mit der
Etablierung der Kunstwissenschaft und ihren objektiv-analytischen Ansprüchen versiegen.27
Die vorkunsthistorischen Formen der Bildbeschreibung können laut Rosenberg auch als
„Bilderzählung“ bezeichnet werden, da sie, wie die antike Ekphrasis, darauf abzielen, mit
narrativen Mitteln das Bildgeschehen vor dem geistigen Auge des Lesers bzw. Hörers
wiedererstehen zu lassen.28 Diese Formen dominieren – in verschiedenen Ausprägungen - bis
ins 18. Jahrhundert und werden dann zunehmend in die kunstwissenschaftliche Methodik
‚eingebaut’.29
Zwischen sachlicher und literarischer bzw. „prosaischer“ und „poetischer“ Kunstbeschreibung
ist scharf zu unterscheiden. Die hier untersuchten Kunstbeschreibungen Wilhelm Heinses
stammen aus den Jahren 1780 bis 1783. Sie zielen auf die oben angesprochene
Vergegenwärtigung des Abwesenden und sind nicht so sehr dem beschriebenen Kunstwerk
als der beschreibenden Kunst, der Literatur, verpflichtet. In dieser Hinsicht sind sie als
„poetische“ Beschreibungsformen zu bewerten. Andererseits sind sie unter dem Einfluss von
Winckelmanns stilgeschichtlichen Erfassungen antiker Skulpturen entstanden und weisen
somit einen gewissen sachverständigen Anspruch auf.
2.2 Zweifel an der Übersetzbarkeit des Bildes Kunstbeschreibung will die Darstellung einer Darstellung liefern, das Abbild des
Abgebildeten. Sie erfüllt eine Funktion doppelter Vermittlung. Heffernan definiert sie in
25 Siehe Ruth Webb, Ekphrasis Ancient and Modern: The Invention of A Genre, in: Word & Image, 15/1 (Januar-März 1999), S. 7-18, hier S. 9: „It is one thing to borrow an ancient term (like ‚ekphrasis’ or, to take an example from another domain, ‚democracy’) and endow it with an altered meaning. It is quite another to assume that the shared name is a sign, or proof, of real historical continuity.” 26 Vgl. Rebel, Bis Winckelmann, S. 13. 27 Vgl. Heinrich Dilly, Bildgeschichten und Bildkritik der traditionellen Kunstgeschichte (20.01.2004), online verfügbar unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=390> (abgerufen am 29.05.2007). 28 Vgl. Rosenberg, S. 299. 29 Vgl. Rebel, Bis Winckelmann, S. 14f.
11
diesem Sinne als „verbal representation of a visual representation“.30 Die inhaltsbedingte
Schwierigkeit der Kunstbeschreibung als literarischer Form besteht darin, dass sie ein
künstlerisches Medium in ein anderes übertragen will. Bis ins 18. Jahrhundert wurde die
grundsätzliche Möglichkeit der ‚Übersetzung’ stillschweigend vorausgesetzt. Bildende und
darstellende Künste (genauer: Malerei und Literatur) wurden eng aufeinander bezogen.31
Diese Vorstellung berief sich auf wirkungsmächtige antike Topoi: Horaz hatte in seiner Ars
poetica das Diktum „ut pictura poesis“ geprägt.32 Er rekurriert wiederum auf einen
Ausspruch, den Plutarch Simonides von Keos zuschreibt: „Simonides nun nennt Malerei
stumme/ lautlose Dichtung und Dichtung sprechende Malerei.“33
In der Vorrede zum Laokoon greift Lessing auf diesen Topos zurück. Er verwahrt sich jedoch
gegen die „wildwuchernden Vergleiche“34 zwischen bildender Kunst und Literatur, die in der
Berufung auf die antiken Topoi entstanden seien. Die „Afterkritik“ dieser Topoi habe „in der
Poesie die Schilderungssucht, und in der Malerei die Allegoristerei erzeuget“ und so die
Wirkungsgrenzen der Künste überschritten.35 Lessing grenzt die Malerei und Skulptur als
Kunst des Raums von der Literatur als Kunst der Zeit ab:
Gegenstände, die nebeneinander oder deren Teile nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.36
Lessings Argumentation stellt die Idee von der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Künste
in Frage und entzieht dem Konzept von der Übersetzbarkeit des Bildes in Worte seine Basis.
In der Folge bildet sich ein Bewusstsein für die Problematik, die der Kunstbeschreibung
inhärent ist. Dieses Bewusstsein ist es, das Baxandall Ende des 20. Jahrhunderts zu der
resignativen Behauptung veranlasst, die Kunstbeschreibung könne weder das Bild noch den
30 James A. W. Heffernan, Museum of Words: The Poetics of Ekphrasis from Homer to Ashbery, Chicago 1993, S. 3. 31 Vgl. Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer, Einleitung. Wege der Beschreibung, in: Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer (Hgg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 9-19, hier S. 9. 32 Quintus Horatius Flaccus, Ars poetica. Die Dichtkunst, rev. und bibliograph. ergänzte Aufl., übers. und mit einem Nachwort hg. von Eckart Schäfer, Stuttgart 1984, S. 26 (V. 361). 33 Plutarch, Bellone an pace clariores fuerint Atheniensis, in: Ders., Moralia, Bd. IV, hg. und übers. von Frank Cole Babbitt, London 1960, S. 489-527, hier S. 501. 34 Christoph Buch, Ut Pictura Poesis. Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács, München 1972, S. 28. 35 Lessing, Laokoon, S. 5. 36 Ebd., S. 114.
12
Akt des Sehens angemessen wiedergeben, sondern lediglich „Gedanken über das
Gesehenhaben des Bildes“ formulieren.37
Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Sichtweise auf die Kunst verändert.
Zunehmend wurde man sich der „geschichtlichen Besonderheit“ und der „ästhetischen
Eigengesetzlichkeit“ der Kunst bewusst.38 Die Folgen für die Kunstliteratur können mit
Rosenberg als „Krise der Repräsentation“ bezeichnet werden.39 Die Kunstbeschreibung sieht
sich nun immer häufiger mit der Notwendigkeit konfrontiert, über ihr eigenes Vorgehen zu
reflektieren. Pfotenhauer fasst die Situation folgendermaßen:
Von nun an hat die Ekphrasis ihre Unschuld verloren; sie ist um die Möglichkeit gebracht, darauf loszureden im Vertrauen darauf, dass Kunst ja stumme Dichtung sei und deshalb jederzeit in Sprache übersetzbar. Von nun an wird das Geschäft der Deutung komplex und reflexiv oder sollte es zumindest werden. Und es mischt sich darein immer auch ein wenig Trauer über das sisyphoshaft Aussichtslose des Unabdingbaren der in Sprache aufgelösten Kunst.40
Die literarische Kunstbeschreibung sucht nach neuen Lösungen für die angemessene
‚Übersetzung’ vom Bild ins Wort. Diese Bemühungen sind schon in Heinses 1776 und 1777
erschienenen Düsseldorfer Gemäldebriefen erkennbar. Dort bezieht Heinse implizit Stellung
zur Problematik der ‚Übersetzung’, indem er die Gestalt eines taubstummen Malers einführt,
der über einen besonderen Zugang zu den Gemälden verfügt.41 Diese Figur „weiß von allen
den Vorurtheilen und Unnatürlichkeiten wenig, die wir durch’s Gehör und in den Schulen
erhalten“ (SW IX, 284) und repräsentiert somit das unvoreingenommene, unverbildete
Sehen.42 Die Figur des taubstummen Malers ist für Heinses Beschreibungspraxis insofern
bedeutsam, als er in den Gemäldebriefen darauf abzielt, „das Urerleben, den originären Genuß
37 Michael Baxandall, Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären von Kunst, Berlin 1990, S. 37. 38 Robert Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung. Von der Norm zur Freiheit des Blicks, Köln 1997, S. 163. 39 Rosenberg, S. 312. 40 Helmut Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse. Die Typen der Beschreibungskunst im 18. Jahrhundert oder die Geburt der neueren Kunstgeschichte, in: Gottfried Boehm und ders. (Hg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 313-340, hier S. 328f. 41 Vgl. Robert Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise – oder einige Anmerkungen zur Wechselwirkung von Rationalität und Sinnlichkeit in der Kunstbetrachtung, in: Ernst Rebel (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Beschreiben der Kunst, Ostfildern 1996, S. 40-73, hier S. 43. 42 Laut Goer steht der taubstumme Maler für einen Blick auf Kunst, der mit Max Imdahls „sehendem Sehen“ zu vergleichen ist. Vgl. Goer, S. 124. „Sehendes Sehen“ meint bei Imdahl eine Wahrnehmung, die darauf verzichtet, die Bildgegenstände aus der Erfahrung zu identifizieren. Vgl. Max Imdahl, Cézanne – Braque – Picasso, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. III: Reflexion – Theorie – Methode, hg. und eingel. von Gottfried Boehm, Frankfurt/M. 1996, S. 303-380. Der Begriff des „sehenden Sehens“ ist an der modernen Malerei entwickelt worden. Eine Parallele zu Heinses taubstummem Maler lässt sich allenfalls auf der Ebene der unvoreingenommenen Perspektive aufzeigen. Um ein nicht-identifizierendes Sehen kann es Heinse wohl kaum gegangen sein.
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der Betrachtung“ zu vermitteln.43 Die Gemäldebriefe weisen mehr als einen Hinweis darauf
auf, dass Heinse sich der Grundproblematik der Ekphrasis bewusst war. Den Rubens-
Beschreibungen schickt er die Bemerkung voraus: „Gemahlt und beschrieben ist schier so
sehr von einander verschieden, wie sehen und blind seyn […].“ (SW IX, 341.)
Heinse hat die „Krise der Repräsentation“ verinnerlicht. Er sieht die mediale Kluft zwischen
dem Kunstwerk und jeder potentiellen Beschreibung. Allerdings ist diese Erkenntnis in
Heinses Fall noch nicht gleichbedeutend mit dem Verzweifeln an der Aufgabe. Bei Karl
Philipp Moritz, der 1786 in Rom eintrifft, führt das Bewusstsein für die Unübersetzbarkeit des
Kunsterlebnisses zu einem furchtsamen Verstummen angesichts der Gefahr einer
unangemessenen Beschreibung. Über seinen Besuch in den Vatikanischen Museen schreibt
Moritz in den Reisen eines Deutschen in Italien:
Ich bin denn auch im Vatikan gewesen, habe den Apollo von Belvedere, den Laokoon und den Torso gesehen, den Fechter in der Villa Borghese und so viel andre herrliche Monumente, dennoch wage ich es jetzt nicht, über dies alles eine Silbe zu schreiben. [...] Ich muß Sie also bitten, mein Lieber, so lange mit einer Beschreibung von der Villa Medicis, von einem Aufzuge des Papstes usw. vorliebzunehmen, bis allmählich sich mir die Zunge löset und ich imstande bin, über Schönheit und über Kunst die ersten Laute hervorzubringen, die ihres Gegenstandes würdig sind.44
Während Moritz verstummt, führt Heinses Weg, der Übersetzungsproblematik der Ekphrasis
beizukommen, über die Sprache. Zwar ist auch sein ekphrastisches Schaffen bereits von einer
grundlegenden Skepsis gegenüber der angemessenen Vermittlung von Kunst durch Sprache
geprägt, jedoch führt diese Skepsis nicht zu einer Furcht vor der unangemessenen
Beschreibung und letztlich zum Verstummen, sondern im Gegenteil zu einer unermüdlich
wiederholten Annäherung an das Kunstwerk aus unterschiedlichen Blickwinkeln.45 Er sucht
nach neuen Möglichkeiten, Werke der bildenden Kunst mit den Mitteln der Sprache so
lebendig darzustellen, wie sie ihm erscheinen.46 Die Tatsache, dass Heinse in den
italienischen Aufzeichnungen deutlich weniger häufig über das Vorgehen der Beschreibung
43 Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise, S. 43. 44 Karl Philipp Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788. In Briefen, in: Ders., Werke in zwei Bänden, Bd. 1, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Berlin und Weimar 1973, S. 1-199, hier S. 44f. 45 Die italienischen Aufzeichnungen zeigen, dass Heinse gerade die ‚klassischen’ antiken Skulpturen mehrfach gesehen und beschrieben hat. 46 Allerdings muss einschränkend bemerkt werden, dass Heinses Kunstbeschreibungen nicht ausschließlich innovativ sind. Tatsächlich ist seine Beschreibungspraxis in den italienischen Aufzeichnungen an vielen Stellen von traditionellen Ansprüchen an die Kunstbeschreibung beeinflusst. Siehe hierzu Kapitel 8 und 9.
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reflektiert, macht deutlich, dass Heinse diese Möglichkeiten nicht in theoretischer
Überlegung, sondern in der Beschreibungspraxis selbst zu finden hofft.
3 „Ich habe große Lust wieder nach Rom“ - Italien und die Folgen
In seinem Aufsatz über den Ardinghello bezeichnet Macher Heinses Italienreise als „zentrales
Ereignis seines Lebens“.47 In der Tat existierte der Plan einer Italienreise bereits lange vor der
Abreise. Seit 1772 war Heinses Studium und literarische Produktion quasi als Vorbereitung
auf die Reise zu verstehen. Heinse studiert die italienische Malerei und Literatur, übersetzt
Tasso und Ariost. Die Finanzierung des Unternehmens stand damals noch in den Sternen. Erst
1780 kann Heinse, finanziell unterstützt von Gleim und Friedrich Heinrich Jacobi,
aufbrechen. Sein ästhetisch geschulter Geist sucht in Italien vor allem das Kunsterlebnis, sei
es in den Gemälden der italienischen Meister, den Skulpturen der alten Griechen, der
Architektur der Renaissance-Palazzi und Kirchen oder der Musik der Opera seria. Im
Folgenden soll die Bedeutung des ‚Italienerlebnisses’ für Heinses Schaffen näher beleuchtet
werden.
3.1 Sehnsucht nach dem „Winckelmannischen Apollo“ Der erste Gedanke an eine Italienreise ist in einem Brief an Gleim vom 2. Juni 1772 zu
finden. Hier schreibt Heinse:
Auch ich wusste weder Weg noch Steg, wohin ich wandeln sollte, ich weiß ihn zwar iezt auch nicht, aber Sie haben mir Muth gemacht, unwegsame Pfade zu betreten und gleich einem Herkules würd ich’ nunmehr über die Gebürge des Caucasus gen Circassien und Georgien dahin schreiten, wie viel leichter über den Brenner und die Tyrolischen Gebürge nach Italien?48
Von hier an spricht Heinse in seinen Briefen häufiger über Reisen in ferne Länder. Italien
steht noch nicht im Fokus seines Fernwehs. Vielmehr ist seine Reiselust als eine Art
Trotzreaktion auf seine unbefriedigende Situation in Deutschland zu verstehen. Diese
Vermutung legt zumindest ein weiterer Brief an Gleim vom 18. Juni desselben Jahres nahe.
Dort spricht Heinse über die Hoffnungen, die er in die Fürsprache von Christian August
Clodius setzt und fügt hinzu: „Und wenn Herr Clodius und seine schöne und weise Julie
47 Heinrich Macher, Heinses Ardinghello als Ergebnis seiner Italienreise, in: Klaus Manger (Hg.), Italienbeziehungen des klassischen Weimar, Tübingen 1997, S. 153-179, hier S. 154. 48 Wilhelm Heinse, Sämmtliche Werke [im Folgenden im Text zitiert als SW], Bd. IX, hg. von Carl Schüddekopf, Leipzig 1904, S. 61f.
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nichts für mich können – nun! dann reis’ ich ganz gewiß nach Griechenland oder zum Aly
Bey [...].“ ( SW IX, 72.) Im September 1772 erhält Heinse durch die Vermittlung Gleims eine
Hauslehrerstelle in Halberstadt. Italien verliert er jedoch nicht aus den Augen. Wie Macher
bemerkt, können die Studien Heinses seit 1772 als eine kontinuierliche Vorbereitung auf die
Reise betrachtet werden.49 Mit der Mutter seines Zöglings, Elisabeth von Massow, liest er die
italienischen Dichter. Als Ergebnis dieser Studien sei er, so schreibt Heinse am 8. Dezember
1773 an Gleim, jetzt „so in Italien zu Hause, als wenn ich in diesem Tempe der Erde gebohren
und erzogen worden wäre [...].“ (SW X, 152.) In ebendiesem Brief tritt das Ausmaß von
Heinses Italiensehnsucht zum ersten Mal deutlich zutage:
Es ist mir nicht möglich, die heftige Leidenschaft, die Schönheiten Italiens zu empfinden, in dem Herzen zu ersticken, und sollt’ ich auch bey Wasser und Brod, und zu Fuße nach Rom wandern und bey dem Anblicke des Winckelmannischen Apollo Buttlers Tod sterben. (SW X, 154.)50
Eindeutig ist als Reiseziel der so genannte Apollo vom Belvedere (Abb. 1) benannt, der durch
Winckelmanns Beschreibung in der Geschichte der Kunst des Altertums (1764) endgültig
kanonische Wirkung erlangt hatte.51 Indem Winckelmann dem Apollo, dem Laokoon (Abb. 2)
und dem so genannten Torso vom Belvedere (Abb. 4) besondere Aufmerksamkeit schenkt,
etabliert er eine strenge Hierarchie, die keine Abweichungen erlaubt. Pfotenhauer illustriert
die Wirkung dieser Hierarchie sehr eindrücklich an einem Reflex in Georg Christoph
Lichtenbergs Sudelbüchern:
Ich habe in England, wenn ich ein Kabinett besah, die Regel gnau beobachtet, ich erinnere mich unter andern auf einem Landhaus des Lord Hollands […] einen Demokrit gesehen zu haben, der mir eigentlich besser gefiel als alle die kostbaren teuren Antiken, die da waren, allein den Henker hab ich das gesagt, ich stund minutenlang vor einem Caligula und Trajanus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, wer wird sich von den Bedienten auslachen lassen?52
Italien war im 18. Jahrhundert zum „Land der Kunst“ avanciert53 und zog vor allem Dichter
und Künstler von jenseits der Alpen an. Heinse strebt jedoch nicht nach theoretischem
Kunstwissen im Sinne einer aufklärerischen Bildungsreise. Seine Idee einer Italienreise ist 49 Vgl. Macher, S. 154. 50 Vom „Winckelmannischen Apollo“ spricht Heinse auch in der Vorrede zur Petronius-Übersetzung. Diese schließt mit den Zeilen: „Geschrieben in Augsburg im May 1772 während meiner Reise nach Italien, um den Winckelmannischen Apollo zu betrachten.“ (SW II, 23.) 51 Terras stellt fest, dass Heinse Winckelmann frühestens in Düsseldorf und möglicherweise erst in Italien selbst gelesen hat. Er war jedoch mit Winckelmanns Ansichten über Sekundärliteratur - vor allem Friedrich Justus Riedels Theorie der Schönen Künste (1767) - bekannt. Vgl. Rita Terras, Wilhelm Heinses Ästhetik, München 1972, S. 25. 52 Sudelbücher, Heft E, Nr. 165, in: Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 1 und 2, hg. von Wolfgang Promies, München 1968, hier Bd. 1, S. 382. 53 Zippel, S. 14.
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vielmehr bestimmt von dem Bedürfnis, sein kunsttheoretisches Wissen vor dem Original
mittels der eigenen Wahrnehmung zu überprüfen.54
Die Wurzel von Heinses Italiensehnsucht sieht Kruft in seiner Verbindung zum
anakreontischen Kreis um Wieland und Gleim.55 Wie diese identifizierte Heinse in hohem
Maße das zeitgenössische Italien mit dem vergangenen Griechenland der Antike. Zeller weist
darauf hin, dass, seit Winckelmann in Rom „die griechischen Originale durch die römischen
Kopien hindurch gesehen hatte“, jeder Italienreisende meinte, mit Rom zugleich auch
Griechenland zu sehen.56 Heinses Bedürfnis selbst zu sehen bezieht sich zunächst also auf die
in Italien ausgestellten antiken Statuen, die im 18. Jahrhundert noch durchweg als griechische
Originale galten. Eine unwiderstehliche Sehnsucht, so schreibt er am 6. Juni 1778 an Gleim,
ziehe ihn „unter die Schatten der Griechen zu Florenz und Rom“ (SW IX, 393).
3.2 Italienerlebnis Mit den Jahren verlagert sich jedoch der Fokus. Als Heinse 1780 endlich aufbricht, geht es
ihm vor allem um „ein unmittelbares Erleben“ des mystifizierten Landes.57 Davon zeugen die
zahlreichen Notizen von der Reise durch die Schweiz und durch die italienische Landschaft.
Heinse hängt der von Dubos58 formulierten und von Winckelmann und Lessing
aufgegriffenen Klimatheorie an, nach der die Kunstfähigkeit eines Volkes unmittelbar mit der
vom Klima beeinflussten Lebensqualität zusammenhängt.59 Nach dieser Auffassung
herrschten in Griechenland die günstigsten Bedingungen für die Entwicklung einer
Hochkultur und ihrer Kunst. Heinse überträgt die Annahmen der Klimatheorie auf Italien. In
seinen Augen weist das Land der Römer ein Mehr an Leben auf, das notwendigerweise zu
einem Mehr an Kunst führt. Dieses Surplus an Lebensqualität hofft Heinse am eigenen Leib
zu erfahren.
Ähnlich wie Winckelmann hofft Heinse, in Italien etwas zu finden, was es in Deutschland für
ihn nicht gibt. Kruft spricht in diesem Zusammenhang von einem „Durchdringen zum eigenen
54 Vgl. Terras, S. 22. Wie Baeumer in seiner Studie zu Winckelmann und Heinse überzeugend darlegt, kann man in bezug auf die 1770er Jahre eigentlich noch von einem Verifizierungsbedürfnis sprechen. Die Auflehnung gegen Winckelmanns kanonische Beschreibungen der Antiken im Vatikan kristallisierte sich erst vor Ort heraus. Vgl. Baeumer, S. 21. 55 Hanno-Walter Kruft, Wilhelm Heinses italienische Reise, in DVjs für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 41 (1967), S. 82-97, hier S. 83. 56 Hans Zeller, Wilhelm Heinses Italienreise, in: DVjs für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42 (1968), S. 23-54, hier S. 30. Auch Kruft bemerkt diese Identifikation von Italien und Griechenland. Vgl. Kruft, S, 83. 57 Kruft, S. 84. 58 Jean-Baptiste Dubos, Réflexions critiques sur la poésie, la peinture et la musique (1719). 59 Vgl. Terras, S. 32.
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Leben“.60 Italien ist für Heinse der Ort, an dem sein ‚richtiges Leben’ stattfindet, während
seine Existenz in Deutschland von der verzweifelten Suche nach einem Broterwerb bestimmt
wird. Seine Bemühungen, die Abreise aus Rom hinauszuzögern bzw., wieder in Deutschland,
eine Stelle zu finden, die ihm die Rückkehr nach Italien ermöglicht, lassen vermuten, dass er
das Erhoffte gefunden hat. Aus Rom schreibt er am 3. Mai 1783 an Jacobi:
Binnen drey Wochen reis ich sicherlich von hier ab, eher kann ich mich nicht losreißen. Treff ich zu Livorno ein Schiff, das auf günstigen Wind nach Holland wartet: so seegl ich bald an den Zaubergestaden vorbey vergöttert in die hohen Fluthen des Ozeans. Und o., fänd ich da einen Columbus nach einer neuen Welt! oder hätte selbst ein Argonautenchor dahin! mein Herz lüstet nach Gefahren. Ist aber keins da, so laß ich die Ohren hängen, und mache mich auf den Weg nach München, und streiche von dort im Flug nach dem Rhein hin, der mich dann gütig Adleraugen hell auf seinem Rücken zu Ihnen tragen wird ach! in ein für mich Unruhigen zu paradiesisch leben; denn mein Puls hat unter dem welschen Himmel noch schneller schlagen gelernt, und der neidische Müller beißt die Zähne zusammen, wenn er sich in dreyßig Schlägen sechse von mir zurück fühlt.61
Heinse reist größtenteils zu Fuß, was wohl in erster Linie den knappen finanziellen Mitteln
geschuldet ist. Andererseits kann man die bewusst langsame Art zu reisen mit Macher auch
als Ausdruck eines Paradigmenwechsels betrachten. Wenngleich seine Reiseroute weitgehend
Johann Jakob Volkmanns Historisch-kritischen Nachrichten von Italien (1770-71) folgt,
weicht die Zielstellung seiner Reise von derjenigen der aufklärerischen Bildungsreise oder der
Kavalierstour ab.62 Heinse sucht Italien vor allem als „Land der Selbstverwirklichung“ auf, an
dem sein Leben Bedeutung bekommen soll.63 Seine Italienreise steht unter dem Zeichen des
Erlebens, das Natur und Kunst, Land und Leute umfasst. Wie Kruft bemerkt, bilden Natur
und Kunst, Vergangenes und Gegenwärtiges „eine Einheit, die sich in der übergeordneten
Vorstellung des ‚Lebens’ zusammenschließt.“64 Dilthey beschreibt das „Erlebnis“ als eine
Form der intensiven, persönlichen Aneignung der Welt:
Denn im persönlichen Erlebnis ist ein seelischer Zustand gegeben, aber zugleich in Beziehung auf ihn die Gegenständlichkeit der umgebenden Welt. Im Verstehen und Nachbilden wird fremdes Seelenleben erfasst, aber es ist doch nur da durch das hineingetragene eigene.65
60 Kruft, S. 84. 61 An Jacobi am 3. Mai 1783. Friedrich Heinrich Jacobi, Gesamtausgabe, Bd. I,3: Briefwechsel 1782-1784. Nr. 751-1107, hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Heinz Gockel, Reinhard Lauth und Peter-Paul Schneider, Stuttgart - Bad Cannstadt 1987, S. 140. Heinse reist übrigens nicht „binnen drey Wochen“ ab, sondern verlässt Rom erst am 7. Juli 1783. 62 Vgl. Macher, S. 158. 63 Ebd., S. 158. 64 Kruft, S. 86. 65 Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin, Leipzig 1988, S. 166.
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Höhepunkt der Reise ist unbestreitbar Rom. Von einer Reise nach Neapel unterbrochen, lebt
Heinse dort fast zwei Jahre. Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1781 bis 1783 belegen, dass
er so gut wie alles gesehen haben muss, was man damals in Rom sehen konnte.66 Er besucht
Kunstsammlungen und sieht die bedeutendsten Kunstschätze von Rom. Er besichtigt die
Palazzi und Villen einflussreicher Römer Familien. Er erlebt die italienische Musik in der
Oper und in Konzerten. Er durchstreift die Ruinen der antiken Monumente, besichtigt die
Kirchen der Stadt und steigt immer wieder auf die Hügel hinauf um die Stadt im Rahmen der
sie umgebenden Natur zu betrachten. Sein Anspruch ist es nicht, Wissen anzuhäufen, sondern
die Stadt Rom ‚am eigenen Leibe’ zu erleben.
In das Romerlebnis spielen Kunst und Natur in ihrer Funktion als Ausdruck des Lebens zu
gleichen Teilen hinein. Diese Verquickung bestimmt bereits die ersten Eindrücke von der
Stadt, die Heinse in seinem ersten Brief aus Rom an Jacobi beschreibt:
Es war mir, wie ich anlangte, als ob ich mich der eigentlichen Herrschungssphäre näherte. Die triumphierende Lage, ungeheuer lang und breit, um den wilden Tyberstrom herum, mit den gebietrischen Hügeln voll stolzer Palläste in babylonischen Gärten, und despotischer Tempel mit himmelhohen Kuppeln, an dem prächtigen Amphitheater der Gebürge von Frescati und Tivoli; die Brückengewölbe, thürmenden Thore, flammenden Obelisken, bemoosten und mit Grün überzognen Ruinen alter Herrlichkeit, und das kühle Rauschen von Schritt zu Schritt von tausend und aber tausend lebendigen Springbrunnen wie in den quellenreichen Alpen drinn, und manche männliche und weibliche antike Gestalt mit heißem blick und warmen Gebehrden in Helden und Siegerinnengang auf den weiten Plätzen und in den unabsehlichen Straßen erweckten eine Wunderempfindung von einer neuen Natur in mir, die ich noch nicht gehabt hatte.67
Die „Wunderempfindung von einer neuen Natur“ versucht Heinse, in den folgenden Jahren
immer wieder in literarische Form zu gießen. Bezeichnenderweise verdeutlicht sich Heinses
‚Italienerlebnis’ an seinen Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst. Kunst steht für
Heinse nicht im Gegensatz zur Natur, sondern ist deren Ausdruck.68 Nach Heinses
grundsätzlich mimetischem Kunstverständnis soll die Kunst das Leben erfassen. Dieses kann
sie, mit Dieterles Worten, nur, „wenn der Künstler, auch wenn er traditionelle Themen
behandelt, aus der sinnlich erfahrbaren, ihn umgebenden Welt schafft, ja allgemein aus dem
Erleben der eigenen, historischen und nationalen Situation schöpft.“69 Diese Auffassung tritt
66 Vgl. Zippel, S. 57. 67 Am 15. September 1781 an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,2, S. 339. Heinse war um den 27. August herum in Rom angekommen. 68 Vgl. Goer, S. 109. 69 Bernard Dieterle, Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden, Marburg 1988, S. 31.
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uns besonders aus den Beschreibungen antiker Statuen entgegen, die für Heinse in erster Linie
Dokumente griechischen Lebens sind.70 Vor Heinses Augen verschwindet die Materialität des
Kunstwerkes und gibt den Blick frei auf die Natur, nach der der Künstler geschaffen hat.
Kunst ist nicht in ihrer Gemachtheit interessant, sondern als Zeugnis eines Lebens, dem
Heinse in Italien auf der Spur ist.
3.3 „Das Sehen nimmt mir viel Geld weg.“ Charis Goer überschreibt das Kapitel über Heinses Düsseldorfer Gemäldebriefe mit dem
Schlagwort „Selbstsehen“.71 Es kann prinzipiell auch als Prämisse von Heinses italienischen
Kunsterfahrungen gelten. An Gleim schreibt er im Juni 1782 aus Rom: „Man muss Italien
selbst sehen, lieber Vater Gleim, es lässt sich wenig darüber schreiben, was einem andern statt
eignen Anschauens dienen könnte“ (SW X, 164). Die Bedeutung des Selbstsehens als
Bestandteil einer Individualästhetik erläutert Goer folgendermaßen:
Das Selbstsehen ist die bildästhetische Ausprägung des für Heinse charakteristischen Ansatzes einer Individualästhetik, derzufolge jeder Einzelne seine eigene, ihm gemäße Erkenntnisweise hat. Deshalb kann und soll der Horizont des Kunstrezipienten sich nicht darauf beschränken, das Gedachte und Empfundene des Künstlers oder die Beschreibungen und Interpretationen gelehrter Kritiker nachzuvollziehen. Das Selbstsehen ist vielmehr ein eigenwertiger kreativer Prozeß, dessen Ergebnis vorläufig und subjektiv ist.72
Wie oben demonstriert wurde, war Italien für Heinse lange Zeit das Land des
„Winckelmannischen Apollo“. Das Bild von Italien und seinen Kunstschätzen war geprägt
durch die einschlägige Reiseliteratur und Winckelmanns kanonische Beschreibungen der in
Italien aufbewahrten antiken Statuen. Wie später Goethe benutzte auch Heinse den Volkmann
und verglich seine eigenen Eindrücke mit den im Reiseführer enthaltenen Kunst- und
Architekturbeschreibungen. Vom Beginn seiner Reise an legt Heinse jedoch Wert darauf, nur
das zu beschreiben und zu beurteilen, was er selbst längere Zeit vor Augen hatte. Seine
eigenen Ansprüche an Kunstbetrachtung und –beschreibung treten in der Kritik an dem 1728
veröffentlichten Traité de la peinture et de la sculpture von Jonathan Richardson (Vater und
Sohn) besonders deutlich hervor.
70 Siehe hierzu ausführlicher Kapitel 4.4. 71 Goer, S. 97. Wie Goer aufzeigt, war Lessing in bezug auf das Selbstsehen noch ganz anderer Meinung. Im 13. der Briefe antiquarischen Inhalts heißt es: „[…] ich bin nicht in Italien gewesen; ich habe den Fechter nicht selbst gesehen! – Was tut das? Was kömmt hier auf das selbst Sehen an?“ Gotthold Ephraim Lessing, Briefe, antiquarischen Inhalts, in: Ders., Werke, Bd. 5,1: Werke 1766-1769, hg. von Wilfried Barner, S. 353-582, hier S. 398. 72 Goer, S. 125f. Vgl. auch Ebd., S. 43.
20
Der Sohn hat kurze Zeit und oft flüchtig genug noch dazu gesehen; und der Vater meistens wie es scheint, u er machen hernach zu Hause weitläuftige Anmerkungen großentheils aus andern Kunstbüchern darüber, und ersetzen aus eignem Gehirn, was der Sohn nicht recht sah an Ort u Stelle. [...] Sie vertheidigen sich in der Vorrede, daß der Sohn sich nur wenige Monate in diesem reichen Lande aufgehalten habe; und wenn sie etwas gründliches-fürtrefliches geliefert hätten: so könnte man es immer hingehen lassen; aber albern ist gewiß, wenn ein andrer hernach sich eben so vertheidigen will, daß er gar nichts gesehen hat von allem dem, worüber er die Kreuz u die Queere u die Länge und die Breite urtheilt aus anderer Geschreibsel u Hörensagen. (FN I, 988 – N11, 47r-47v.)
Dem Prinzip des Selbstsehens folgend, kommt es für Heinse nicht in Frage, sich aus der
Ferne, also anhand der Gipsabgüsse in deutschen Sammlungen, eine Meinung über die antike
griechische Skulptur zu bilden.73 Ebenso wenig will er sich anmaßen, italienische Malerei zu
beurteilen, ohne den Gemälden in ihrem Entstehungsland persönlich begegnet zu sein.
Wiederum tritt Heinses Vorstellung von Kunst als Ausdruck des Lebens hervor. Die
Erfahrung von Land und Leuten liefert ihm den Hintergrund, vor dem die italienischen
Meister zu lesen sind. Wie einem Brief an Jacobi vom 26. Januar 1781 zu entnehmen ist, ist
diese Vorstellung maßgebliches Movens für eine Reise nach Griechenland:
Ich bin so überzeugt, als von meiner Existenz, daß man weder italiänische Musik, noch Poesie, noch Mahlerey (wie ich anderwärts darthun werde) vollkommen oder richtig verstehen und genießen kann, ohne in Italien gelebt zu haben; und eben so ists mit griechischer Kunst. Ich finde dieß, was mich immer auf und davon getrieben hat, jetzt alle Tage in der Anschauung und Wirklichkeit wahr. Die alten Helden und Schönen und Weisen und Künstler sind gestorben: aber die Natur lebt noch.74
So ist das Besichtigen von Kunstsammlungen in Venedig, Florenz oder Rom für Heinse nicht
in erster Linie kognitive Tätigkeit im Sinne eines Studiums, sondern sinnliche Erfassung.
„Das Sehen nimmt mir viel Geld weg“ schreibt er am 15. September 1781 aus Rom.75
Die Bedeutung des Selbstsehens für Heinse kann nicht überschätzt werden. In den zahlreichen
Kunstbeschreibungen aus italienischen Sammlungen tritt Heinse dem Leser immer wieder in
der Rolle des Augenzeugen gegenüber. Die Bedeutung der Augenzeugenschaft äußert sich
vor allem in den detaillierten Erfassungen des Zustands der antiken Statuen im Vatikan. Über
mehrere Seiten zählt Heinse jede Ergänzung, jede Beschädigung auf.76 Dabei geht es nicht um
archäologische Vollständigkeit. Heinses Anspruch ist es vielmehr, kraft seiner eigenen
73 Vgl. Terras, S. 72. 74 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,2, S. 260. 75 Ebd., S. 342 [Hvhb. J.B.]. 76 Vgl. z.B. die Zustandserfassung des Apollo vom Belvedere (FN I, 752f. – N18, 33r-34r) oder der Laokoon-Gruppe (FN I, 759f. – N18, 45v-46v).
21
sinnlichen Wahrnehmung einen Zugang zum Kunstwerk in seiner Materialität und Bedeutung
zu finden.
4 Kunst als Dokument des Lebens
Auch wenn sich diese Arbeit nicht mit den ästhetischen Auffassungen Heinses befasst, muss
sie doch der Untersuchung der italienischen Kunstbeschreibungen einen Exkurs über Heinses
Kunstverständnis und dessen zentrale Begriffe voranstellen. Wie später deutlich werden wird,
versteht Heinse Kunst nicht als Darstellung eines überzeitlichen Ideals (wie es z.B.
Winckelmann getan hatte), sondern als „Ausdruck der Wirklichkeit und Besonderheit eines
Volkes, einer Landschaft und eines bestimmten Zeitalters.“77 Seine Kunstauffassung ist
grundsätzlich mimetisch, bezieht sich allerdings nicht auf die Nachahmung einzelner
zufälliger Erscheinungen, sondern fordert vom Künstler eine genaue Kenntnis der ihn
umgebenden Natur, die ihn befähigt, das Wesentliche seiner Welt zu erfassen und
wiederzugeben.78 Vor dem Hintergrund dieser Kunstauffassung wird die Beschreibung zur
Rekonstruktion der Natur, die der Kunst zugrunde liegt.
4.1 „Leben allein wirkt in Leben“. Die Norm der Natur Für Heinses Kunstauffassung ist der Begriff der Natur von großer Bedeutung. Die Natur ist in
ihrer Schönheit der Schönheit der Kunst grundsätzlich überlegen.79 Bereits sein Ausruf in den
Gemäldebriefen zeugt von Heinses Höherschätzung der Natur als schöpferischer Kraft: „O
heilige Natur, die du alle deine Werke hervorbringest in Liebe, Leben und Feuer, und nicht
mit Zirkel, Lineal, Nachäfferey, dir allein will ich ewig huldigen!“ (SW IX, 344.) Demzufolge
muss die Kunst bei der Natur ansetzen. Nach Heinses Überzeugung kann die Kunst nur durch
77 Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997, S. 19. 78 Vgl. Terras, S. 32. 79 Hiermit richtet er sich gegen die klassizistische Kunstauffassung, die sich auf Belloris These von der Übertreffung der Natur durch die Kunst gründet. Siehe hierzu Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Leipzig 1924. Auch Mengs setzt die ‚zusammengesetzte’ Schönheit der Kunst gegen die Schönheit der Natur. Nach dieser Auffassung zeichnet sich der große Künstler durch seine Fähigkeit zur Auswahl aus. Vgl. Anton Raphael Mengs, Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 195-249, hier S. 207-210.
22
die Nachahmung der Natur überhaupt eine Wirkung erzielen.80 Dieses Konzept von
Kunstproduktion richtet sich gegen Winckelmanns Überzeugung, die Nachahmung der
Antiken sei der kürzeste Weg zur „Kenntnis des vollkommenen Schönen“.81 Winckelmanns
Vorstellung vom Schaffen nach dem Vorbild der antiken Kunst setzt er das Konzept eines
Schaffens nach dem Leben bzw. nach der Natur entgegen.82
Nach dieser Vorstellung wurzelt die Kunst in der unmittelbaren Lebenswelt des Künstlers und
speist sich aus seinen individuellen Erfahrungen mit dieser Welt. Der Künstler erreicht dann
wahre Größe, wenn er „aus der sinnlich erfahrbaren, ihn umgebenden Welt schafft, ja
allgemein aus dem Erleben der eigenen, historischen und nationalen Situation schöpft.“83
Wenn sich die Kunst vom Leben entfernt, wird sie zum bloßen „Gespenst“,84 ist sie jedoch im
Leben verwurzelt, kann sie den Betrachter erreichen und berühren. „...Denn Leben allein
wirkt in Leben“, resümiert Heinse in den Gemäldebriefen (SW IX, 300). Das Verhältnis
zwischen Kunst und Leben ist nicht eines der Opposition, sondern der Verankerung. Wie
Goer bemerkt, sind Natur und Kunst bei Heinse „keine Antonyme, sondern Natur ist in
diesem speziellen Sinn als Gegenbegriff zum klassizistischen Ideal zu verstehen.“85 Der
lebensweltliche Anknüpfungspunkt ist sowohl für den Kunstproduzenten als auch für den
Rezipienten von entscheidender Bedeutung.
In den Gemäldebriefen wählt Heinse Rubens als Gewährsmann für die Vorstellung einer aus
dem Leben entspringenden Kunst. Rubens repräsentiert für Heinse wahre künstlerische
Größe, da er in seinem Schaffen immer seiner unmittelbaren Lebenswelt verhaftet geblieben
sei. Statt „griechische Schönheit“ nachzuahmen, habe er aus seiner Erfahrung geschöpft und
sei so zu einer „flamändischen“ Schönheit gelangt, „auf seinem Boden empfangen und
gebohren“ (SW IX, 341). Gegen Winckelmanns normative Vorstellung des klassischen Ideals
setzt Heinse das Konzept der Individualschönheit, die historisch variieren kann. Nach dieser
historistischen Auffassung hat das Ideal der Griechen für die nachfolgenden Künstler keine
Gültigkeit mehr. Wie im folgenden Kapitel deutlich werden wird, ist die Schönheit der
griechischen Skulpturen für Heinse das Resultat eines lebendigen Verhältnisses zur Natur.
Demzufolge ist es nicht die Nachahmung der griechischen Werke, die die modernen Künstler
80 Vgl. Gottfried Boehm, Anteil. Wilhelm Heinses „Bildbeschreibung“, in: Helmut Pfotenhauer (Hg.), Kunstliteratur als Italienerfahrung, Tübingen 1991, S. 21-39, hier S. 36. 81 Winckelmann, Gedanken, S. 13. 82 Die Begriffe Natur und Leben werden bei Heinse weitgehend synonym verwendet. 83 Dieterle, S. 31. 84 „Die bildende Kunst hat sich so weit von ihrem Ursprung entfernt, daß sie heutiges Tages kein Alter mehr hat: entweder Gespenst ist, oder heilige Erscheinung, oder so verklärt, daß man wenig von unserm Fleisch und Bein an ihr sieht.“ (SW IX, 330.) 85 Goer, S. 109.
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wie die Griechen werden lassen kann, sondern die künstlerische Aneignung der Natur. In N10
proklamiert Heinse: „Die Natur ist die Norm“ (FN I, 941 – N10, 123v). Die größten Künstler
sind für Heinse diejenigen, die erkennbar der Norm der Natur gefolgt sind.
4.2 Lebensnähe und Lebensferne In den italienischen Aufzeichnungen hebt Heinse vor allem die Bildhauer der klassischen
Antike und die Maler der italienischen Renaissance als vorbildliche Künstler hervor. Wie für
Winckelmann sind auch für ihn die Bildhauer der griechischen Antike absolut unangreifbar:
Die Alten drückten alle das Leben, was sie empfunden hatten, in den vollkommensten Formen und Gestalten aus, die dazu stimmten; und deßwegen sind sie die Götter der Kunst. Noch dazu war das Leben, das sie von ihren Menschen in sich empfanden, edel in reiner Natur, und nicht bloß bürgerliche Convenienz. (FN I, 583 – N14, 63r.)
Die größere künstlerische Qualität der antiken Werke ist nach Heinse durch zwei Umstände
bedingt: Zum einen ist die Kunst enger mit dem Leben verknüpft, wodurch sie nicht nur
thematische, sondern auch formale Wahrhaftigkeit gewinnt. Zum anderen erscheint ihm das
Leben der Griechen generell ‚natürlicher’ und weniger von Konventionen der modernen
Gesellschaft verfremdet. Die innigere Verbindung der Griechen zur Natur, besonders zum
nackten menschlichen Körper, ist auch ein Bestandteil von Winckelmanns Griechenbild. In
den Gedanken schreibt er: „In Griechenland aber, wo man sich der Lust und Freude von
Jugend auf weihete, wo ein gewisser bürgerlicher Wohlstand der Freiheit der Sitten niemals
Eintrag getan, da zeigte sich die schöne Natur unverhüllet zum großen Unterrichte der
Künstler.“86
Für Heinse ist es nicht nur das Verhältnis der Griechen zum menschlichen Körper, das sie
über andere Völker erhebt. wie bereits oben erwähnt wurde, schreibt er den klimatisch
begünstigten Ländern Griechenland und Italien gewissermaßen einen Mehrwert an Leben zu.
Unter der südlichen Sonne, so scheint ihm, intensiviert sich das Leben. Dieses Mehr an Leben
führt notwendigerweise zu einem Mehr an Kunst. In seinem letzten Brief aus Italien an Jacobi
schreibt Heinse:
Die Künste sind Töchter der Freude; und die südlichen Völker haben weit mehr Uebung darin, als die nördlichen, welche sich immer mit physischen und melancholischen Uebeln plagen müssen, und nicht die lebendige und schöne Natur um sich haben.87
86 Winckelmann, Gedanken, S. 8. 87 Am 12. August 1783 aus Mantua. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 196.
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Das Verhältnis der Griechen zur Natur und die Verwurzelung ihrer Kunst in der Lebenswelt
sind das Maß, an dem Heinse alle nachantiken Kunstwerke misst. Heinse schließt vom Leben
auf die Kunst. Durch ihre innigere Beziehung zur Natur im weitesten Sinne haben
Griechenland und Italien einen kunstschöpferischen Vorteil gegenüber den nördlichen
Ländern. Für die Entfremdung von der ‚schönen Natur’ macht Heinse außerdem die
Konventionen der modernen Gesellschaft verantwortlich. Als Opfer dieser Entfremdung
haben zeitgenössische Künstler bei ihm keine Chance. Grundsätzlich attestiert Heinse den
neueren Künstlern einen Mangel an Lebensnähe und einen Hang zur Manier. Sein Zorn auf
die zeitgenössische (klassizistische) Kunst entlädt sich in einer der wenigen Passagen, in
denen Heinse ästhetische Reflexionen anstellt:
Und solche unerträglich leere Gesichter und Gestalten nennen die elenden Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipsen gelernt haben, wahre hohe Kunst, und wollen mit Verachtung auf die kraftvollen Menschen herunter sehen, die die Schönheiten ihres Jahrhunderts mit lebendigen Herzen in sich erbeutet haben!(FN I, 884 – N10, 42v.)
Die Schönheiten ihres Jahrhunderts mit lebendigen Herzen in sich erbeuten – nichts weniger
als das ist es, was Heinse vom Künstler fordert. Kunst erscheint in diesem Zusammenhang als
ein ‚Dokument’ des Lebens als individueller historischer Situation. Die Norm allen
Kunstschaffens ist nicht das überzeitliche Ideal der Griechen, sondern vielmehr „die
Übereinstimmung mit der ständig wechselnden Natur, die kein absolutes Ideal zulässt.“88 Die
Griechen stellen in dieser Vorstellung das Nonplusultra des Kunstschaffens dar. Unter den
neuzeitlichen Künstlern sind es besonders die großen Vertreter der italienischen Renaissance-
Malerei, allen voran Raffael, die Heinse begeistern können. Jedoch werden auch die verehrten
Renaissance-Maler immer wieder in ihrem Schaffen kritisiert.89 Pfotenhauer weist darauf hin,
dass Heinse sich selbst an den eindeutig antiklassizistischen Stellen seines Werkes nicht
völlig vom „herrschenden Geschmack“ lösen kann.90 Die Hierarchie der Künstler, an deren
Spitze die Bildhauer der griechischen Antike stehen, wird auch bei Heinse nicht angetastet.
Der antiklassizistische Reflex zeigt sich bei ihm in einer Umdeutung der
Gestaltungsprinzipien. Als lebensnahe ‚große Menschen’ können die antiken Bildhauer und
88 Terras, S. 12. 89 So kritisiert Heinse z.B. an Michelangelo dessen angeblichen Mangel an Lebenserfahrung: „Die größten Meister der neuern Zeit sind Michel Angelo an Richtigkeit im Nackenden, und Erhabenheit seiner Denkungsart. Doch hat er kein Gefühl für schöne Form gehabt, und ein elendes Auge für Farbe, und war gar zu arm an Gestalt. Er hatte wenig Gemeinschaft mit andern Menschen, und wußte also auch wenig, was sie freut.“ (FN I, 1045 – N22, 51v). 90 Helmut Pfotenhauer, Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik, Tübingen 1991, S. 66.
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die Maler der italienischen Renaissance auch ihm wertvoll sein.91 Auch Raffael, den
Winckelmann als Gewährsmann für das Kunstschaffen aus der Idee heraus anführt,92
erscheint bei Heinse als ein lebensverbundener, aus der Natur schaffender Künstler.93
Terras bezeichnet Heinses Kunstauffassung als „extremen ästhetischen Naturalismus“.94 Wie
die Forschung mehrfach angemerkt hat, greift diese Positionsbestimmung jedoch zu kurz und
muss differenziert werden.95 Zwar ist Kunst nach Heinses Verständnis Dokument des Lebens,
jedoch ist seine daraus resultierende Forderung an die Kunstproduktion nicht die eines
‚platten’ Naturalismus. Die oben zitierte Vorstellung eines Erbeutens „mit lebendigen
Herzen“ impliziert eine empfindsame Aneignung der Natur, die sich nicht in der formalen
Genauigkeit erschöpft, sondern auf das Wesentliche der ‚schönen Natur’ abzielt.96 Heinses
Konzept der Naturerschließung ist primär sinnlich, jedoch ist die sinnliche Wahrnehmung
unmittelbar an das ‚Organ’ der Empfindung gekoppelt.97 „Man kann die Natur nicht
abschreiben; sie muß empfunden werden, in den Verstand übergehen, und von dem ganzen
Menschen wieder neu gebohren werden“, notiert Heinse in Rom (FN I, 1044f. – N22, 51r).
Das Zusammenwirken von sinnlicher Wahrnehmung, Empfindung und Verstand ist die
Voraussetzung für ein Kunstwerk, das „wieder andre Natur“ wird (FN I, 1045f. – N22, 52r).98
Naturnachahmung bedeutet für Heinse also keineswegs, wie Terras behauptet, lediglich das
„Kopieren der stofflichen Wirklichkeit“,99 sondern ist ein Prozess, an dem Gefühl und
Verstand gleichermaßen teilhaben.100
91 Vgl. Goer, S. 109 über die Gemäldebriefe. 92 Vgl. Winckelmann, Gedanken, S. 10. Winckelmann bezieht sich hier auf einen Brief Raffaels an Baldassare Castiglione, in dem Raffael die Bedeutung der Idee für sein künstlerisches Schaffen würdigt: „Übrigens muß ich Euch sagen, daß ich, um eine Schöne zu malen, deren mehrere sehen müsste, und zwar unter der Bedingung, daß Ew. Herrl. sich bei mir befänden, um eine Auswahl der Allerschönsten zu treffen. Da nun aber immer Mangel an richtigem Urteil wie an schönen Frauen ist, bediene ich mich einer gewissen Idee, die in meinem Geiste entsteht. Ob diese nun einige künstlerische Vortrefflichkeit in sich trägt, weiß ich nicht; wohl aber bemühe ich mich, sie zu erreichen.“ Zit. nach: Künstlerbriefe der Renaissance, ausgewählt auf Grund des Werkes von Ernst Guhl, mit einer Einführung von Wilhelm Miessner, Berlin 1913, S. 63. 93 Vgl. Rosemarie Elliott, Wilhelm Heinse in Relation to Wieland, Winckelmann, and Goethe: Heinse’s Sturm und Drang Aesthetics and New Literary Language, Frankfurt/M. 1996, S. 87; Terras, S. 49. 94 Terras, S. 38. 95 Vgl. Elliott, S. 67; Pfotenhauer, Um 1800, S. 37. 96 Vgl. Karl Detlev Jessen, Heinses Stellung zur bildenden Kunst und ihrer Ästhetik. Zugleich ein Beitrag zur Quellenkunde des Ardinghello, Berlin 1901, S. 38 und 41. 97 Vgl. Boehm, Anteil, S. 24f. 98 Der Begriff fällt im Zusammenhang mit Raffaels mangelhafter Behandlung des Nackenden, das eben nicht „andre Natur“ geworden sei. 99 Terras, S. 42. 100 Elliott bezeichnet Heinses Würdigung der Rolle des Verstandes bei der Erschließung der Natur als einen Reflex der Aufklärung. Vgl. Elliott, S. 69f.
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4.3 Ansicht und Durchsicht als Grundprinzipien der Kunstbeschreibung Wenn die Kunst, wie Heinse annimmt, Dokument der Lebenswelt des Künstlers ist, dann ist
es die Aufgabe des Betrachters, dieses Leben aus dem Kunstwerk wieder herauszudestillieren.
Eben dieser Prozess des ‚Herauslesens’ ist an vielen Kunstbeschreibungen in den italienischen
Aufzeichnungen zu erkennen. Sein Blick greift gleichsam durch die Materialität des
Kunstwerkes hindurch und erfasst die Quelle des Kunstwerkes in der Lebenswelt des
Künstlers. Bernauer weist auf eine Passage in den Beschreibungen aus Venedig hin, in der
Heinse die Beschreibung des Bethlehemitischen Kindermordes von Guido Reni in die
Kategorien Natur und Kunst unterteilt (FN I, 338 – N32, 23r). Die unmittelbar darauf
folgende Beschreibung von Carraccis Geburt Johannis101 kann Heinses Anliegen
verdeutlichen.
Die Geburt Johannis. Das beste Gemählde von Ludwig Carracci, das ich gesehen habe. - Viel Conventionelle Natur; in der alten Elisabeth, die von dem Kinde zärtlich wegblickt, u ihr Glück mit Mienen zeigt. Bewunderung voll Naivität, in der Donna, die ihr zur rechten sitzt, und dem alten Zacharias mit der Feder, der auch wegblickt. Das junge Weib, das davor kniet, macht mit ihrer prächtigen Mahlerstellung die Composition vollkommen. Kunst. Ist wirklich außerordentlich. Schöne Composition, schöne Beleuchtung, schöne Zeichnung, Mannigfaltigkeit in Gestalten, schönes Kolorit. Und der Jubel der Engel vom Himmel macht ein herrliches Ganzes. (FN I, 338f. – N32, 23v. Hvhb. J.B.)
Bernauer sieht hier ein ekphrastisches Verfahren begründet, das für Heinses italienische
Kunstbeschreibungen bestimmend ist. Er fasst die Gegenüberstellung der
Beschreibungskategorien Natur und Kunst als eine „Verdrehung“ von Winckelmanns
Beschreibungsdualismus einer „Idealischen Beschreibung“ und einer Beschreibung „nach der
Kunst“ auf.102 Bei Winckelmann widmet sich die Beschreibung „nach der Kunst“ vor allem
der Gemachtheit des Kunstwerkes, seinen bildhauerischen Eigenschaften und deren
Bedeutung als Stilmerkmale. Die „idealische Beschreibung“ imaginiert auf der Basis des
visuell Feststellbaren die ursprüngliche Gestalt und Bestimmung einer fragmentarischen
101 Lodovico Carracci, Geburt Johannis des Täufers (fertiggestellt 1604), Öl/ Lw., 420x268 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 463. Die Angaben zu den Kunstwerken sind dem umfangreichen Kommentar zur Neuausgabe der Aufzeichnungen entnommen. Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. III: Kommentar zu Bd. I, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005. 102 Markus Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005, S. 249-322, hier S. 287. Winckelmann thematisiert sein Vorgehen erstmals in der Torso-Beschreibung in der Bibliothek der Schönen Wissenschaften und der Freyen Künste, 5,1 (1762). Vgl. Johann Joachim Winckelmann, Torso-Beschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 167-185, hier S. 174.
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Skulptur und ist also eher literarische Nachschöpfung als Deskription.103 Heinses
Beschreibung nach der Natur ist letztendlich eben so imaginativ wie Winckelmanns
„idealische Beschreibung“. Sein Blick zielt jedoch auf eine ganz andere Ebene.104 Während
Winckelmanns „Idealische Beschreibung“ die dargestellte Figur in ihrem überzeitlichen
mythologischen Kontext rekonstruiert, sucht Heinses Beschreibung den Anschluss an die
Natur, wie sie der Künstler erfahren haben kann.
Im Beschreibungsfeld der Natur richtet Heinse seinen Blick durch die Darstellung hindurch
auf das Dargestellte. Im Zusammenhang mit Raffaels Doppelbildnis des Andrea Navagero
und des Agostino Beazzano105 spricht Heinse von der „Natur in der Kunst“, die dem
Betrachter aus dem Bild entgegentrete (I, 1047 – N22, 54r). Hier tritt die „entschiedene
Aktualisierung der Bildwirklichkeit“ zutage, die Boehm an Heinses Kunstbeschreibungen
bemerkt hat.106 Je stärker Heinse vom Ausdruck des Kunstwerkes beeindruckt ist, desto mehr
tritt die Betrachterwirklichkeit zurück. Aus Leinwänden und Marmorsäulen werden reale
Räume und reale Menschen. Das Kunsterlebnis ist im Wesentlichen ein Erlebnis der
Entgrenzung.107
Dieses Phänomen ist sicher nicht nur Heinse begegnet. Vermutlich kennt jeder
Kunstliebhaber das Erlebnis einer plötzlichen, irrationalen Ergriffenheit von den Vorgängen
der Bildwirklichkeit, vor der die Gemachtheit des Kunstwerkes verschwindet. Heinse jedoch
erlebt diese Entgrenzung nicht nur, er räumt ihr in seinen konkreten Kunstbeschreibungen
einen wichtigen Platz ein. Die Unterscheidung der Beschreibungskategorien Natur und Kunst
lässt darauf schließen, dass das häufig wiederkehrende Phänomen des Durchgriffs auf die
Bildwirklichkeit als Lebenswelt des Künstlers nicht nur unreflektierter Ausdruck einer
spontanen Ergriffenheit ist, der in einer veröffentlichten Form getilgt worden wäre. Vielmehr
scheint hier eine bewusste Entscheidung vorzuliegen, die der Entgrenzung als rezeptivem
Phänomen den Vorrang einräumt. Wie Boehm bemerkt, geht es Heinse nicht primär um das
103 Vgl. Rosenberg, S. 311. 104 Elliott bemerkt, dass Heinses imaginatives Verfahren sich insofern von Winckelmanns unterscheidet, als er auf die Evidenz der materiellen Beschaffenheit reagiere. Sie bezieht sich damit auf Heinses erotische Deutung des Torso (siehe Kapitel 5.4), die sich angeblich auf der Beobachtung basiert, dass in den Schenkeln des Torso Zapfenlöcher vorhanden sind. Vgl. Eliott, S. 84. Dieses Argument kann für andere Fälle wohl kaum geltend gemacht werden. 105 Öl/ Lw., 77x111cm, Galleria Doria-Pamphilj, Inv. 130; 01. 106 Boehm, Anteil, S. 36. 107 Mit dem Begriff der Entgrenzung operiert vor allem Baeumer. Siehe Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 40; Max L. Baeumer, Das Dionysische in den Werken Wilhelm Heinses. Studie zum dionysischen Phänomen in der deutschen Literatur, Bonn 1964, S. 121.
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Schaffen eines ‚Abbildes’, sondern darum, das Kunstwerk „als ein Gefüge von Wirkungen,
als ein Parallelogramm von Kräften“ zu erschließen.108
Auf den ersten Blick scheint die Unterteilung in Natur und Kunst lediglich die Kategorien des
Inhalts und der Form zu bezeichnen, wie sie seit Alberti die Struktur jeder Kunstbeschreibung
bestimmen.109 Allerdings meint die Kategorie der Natur bei Heinse nicht lediglich das Was im
Gegensatz zum Wie, sondern stellt sich vielmehr als direkter Zugriff auf eine (imaginierte)
lebensweltliche Quelle des Kunstwerkes dar. Die Einführung der Natur als
Beschreibungskategorie bekommt vor dem Hintergrund von Heinses Kunstauffassung eine
andere Gewichtung. Obwohl Heinse die Differenzierung in Natur und Kunst nicht in dieser
Form durchhält, bleibt sie doch für seine Technik der Kunstbeschreibung maßgeblich. In der
Beschreibungspraxis erscheinen die Kategorien der Natur und der Kunst als unterschiedliche
Verfahren der Annäherung an das Kunstwerk. Unter der Kategorie der Kunst fasst Heinse
eine Ansicht des Werkes, während die Beschreibung der Natur eines Werkes im Wesentlichen
eine Durchsicht auf das zugrunde liegende ‚Leben’ ist. Aufschlussreich ist eine Bemerkung
Heinses in N32, die als Selbstanweisung zu lesen ist: „Such in jedem Kunstwerk zuerst die
Natur, und hernach die Kunst; wenn du davon richtig urtheilen willst. Wer anders thut, sucht
die Quellen vom Strom bergab; und schwatzt davon wie ein Narr“ (FN I, 368 – N32, 67v).110
Nach diesem Grundsatz greift Heinses Blick durch die Materialität des ‚Produkts’ auf seine
Quelle in der konkreten Lebenswelt des Künstlers.
4.4 Der lebensweltliche Anker. Imaginierte Modelle und Äquivalenzfiguren In seiner Untersuchung der Gemäldebriefe bezeichnet Pfotenhauer eines der oben
angesprochenen Verfahren als eine „Technik anekdotischer Veralltäglichung“.111 Er bezieht
sich damit auf Heinses ‚Übersetzung’ von Bildgeschehnissen in Phänomene, die der Rezipient
in seiner Lebenswelt verorten kann. Dabei bedient sich Heinse vor allem der
„psychologisierenden“112 Ausdeutung von Ausdruck und Stellung der Figuren. Er eröffnet
damit einen Spielraum, in dem dargestellte Person und Rezipient sich begegnen können, in
dem Bildwirklichkeit und Betrachterwirklichkeit miteinander verschmelzen. Als eine Unterart
der „Veralltäglichung“ kann Heinses Tendenz betrachtet werden, eine Verbindung zur
Lebenswelt des Künstlers, eine Art ‚lebensweltlichen Anker’ zu konstruieren. 108 Boehm, Anteil, S. 37. 109 Vgl. hierzu Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse, S. 317. 110 Diese Bemerkung erschien Heinse offenbar so bedeutsam, dass er sie 1799 in das ‚Bewahrheft’ N63/II eintrug. Vgl. FN II, 1065 – N63/II, 9v. 111 Pfotenhauer, Um 1800, S. 43. 112 Ebd., S. 43.
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Wie oben bereits erläutert, funktioniert Kunst für Heinse nur über den „Vergleichspunkt“ in
der Natur.113 Demzufolge spielt die Imagination des lebensweltlichen Vorbildes in Heinses
Kunstbeschreibungen eine wichtige Rolle. So schreibt er über den so genannten Genius
Borghese114: „Es scheint, als ob ein junger Kastrat dazu Modell gestanden hätte.“ (FN I, 1019
– N22, 19v.) Tizians Venus von Urbino115 (Abb. 5) hingegen erscheint ihm als „eine reizende
junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren“ (FN I, 433 – N32, 166r).
Im Falle der antiken Skulpturen kann die Rekonstruktion des Vorbilds als Reflex gegen
klassizistische Idealvorstellungen und als Aufwertung im Sinne von Heinses Auffassung von
der „Natur in der Kunst“ zu gelesen werden. Zwei weibliche Statuen aus den Vatikanischen
Sammlungen erscheinen ihm umso reizvoller, da sie „gewiß Gesichter aus Griechenland“ sind
(FN I, 750 – N18, 30v.)116 Auch Gestik und Mimik einer dargestellten Figur entspringen
notwendigerweise einer lebensweltlichen Quelle. Das Schreien des älteren Laokoon-Sohnes117
(Abb. 3) erscheint Heinse von „einem Kind genommen, das die Ruthe vor sich sieht, und
schon ein paar rasende Hiebe gekriegt hat.“ (FN I, 770 – N18, 63r.)
Durch die Verbindung zwischen Kunstwerk und lebendiger Person, die durch die Imagination
des Modells etabliert wird, kann Heinse das ansonsten bezugslose Dargestellte in der
Lebenswelt des Künstlers verorten. Das Verfahren ist somit als ein Reflex gegen das
klassizistische Idealschöne im Allgemeinen und gegen Winckelmanns Skulpturendeutung im
Besonderen zu verstehen.118 Figuren der Mythologie im weitesten Sinne (d.h. auch der
christlichen ‚Mythologie’) und allegorische Figuren werden über die Imagination des Modells
mit der Lebenswelt des Künstlers verbunden. Mit Hilfe dieses Kunstgriffs können Werke, die
keine realen Personen abbilden, sondern Personifikationen abstrakter Konzepte sind und
somit Heinses Darstellungsprinzipien widersprechen, für seine Kunstauffassung gerettet
werden.119
113 Boehm, Anteil, S. 36. 114 Marmor, 171 cm, Römisch-kaiserzeitliche Kopie einer Statue des Praxiteles, heute im Louvre (MA 545). 115 Öl/ Lw., 119x165 cm, Florenz, Uffizien. Entstanden vor 1548. 116 Es handelt sich um die Statue einer Göttin, als Demeter ergänzt, Marmor, 298 cm, Vatikanische Museen, Sala Rotonda, Inv. 254 und um die Statue der Euterpe, als Melpomene ergänzt, Marmor, ohne Plinte 392 cm, heute im Louvre, Inv. MA 411. 117 Laokoon-Gruppe, Weißer Marmor, Höhe 184 cm, Cortile del Belvedere, Inv. 1059. Die Gruppe wurde 1506 in Rom gefunden und bald darauf im Statuenhof ausgestellt. 118 Winckelmann hatte den antiken Skulpturen ihren festen Platz im Rahmen der Mythologie zugewiesen und sie damit auf eine übermenschlich-ideale Ebene angehoben. Ausführlicher dazu in Kapitel 8.1. 119 Ein ähnlicher Fall liegt auch in Heinses Beschreibung von Raffaels Vertreibung des Heliodor in den Vatikanischen Stanzen vor. Heinse kann die Engelsfiguren nicht als bloße Kopfgeburten akzeptieren, sondern vermutet, Raffael habe sie „an ein paar zürnenden feurigen Römischen Burschen im Sprung abgesehen.“ (FN I, 1032 – N22, 34r.)
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Nahe verwandt mit und kaum abzugrenzen von dem Verfahren der Modellimagination ist
Heinses Strategie, eine Äquivalenzfigur zu konstruieren, die der dargestellten Gestalt in Typ
und Ausdruck gleicht. Über eine Büste des Sarapis120 bemerkt er: „Es ist das wahre Bild von
einem tüchtigen Sultan.“ (FN I, 762 – N18, 50r.) Die Auffassung, dass jede Darstellung des
menschlichen Körpers notwendigerweise eine lebensweltliche Quelle gehabt haben müsse, ist
Winckelmanns Konzept von der idealischen Schönheit diametral entgegengesetzt. Für Heinse
gibt es keine rein idealische Gestalt, wie sie Winckelmann in den antiken Statuen im Vatikan
ausgedrückt sah. Über den Apollo vom Belvedere121 heißt es in der Geschichte der Kunst des
Altertums:
Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen.122
Abstraktion und Idealisierung als künstlerische Grundprinzipien sind für Heinse inakzeptabel.
Eine Gestalt, die nur der Imagination des Künstlers entspringt, kann auf den Betrachter mit
‚lebendigem Herzen’ niemals wirken. Da die Werke der griechischen Bildhauer aber auch auf
ihn selbst ihre Wirkung nicht verfehlen, so Heinses Schlussfolgerung, muss Winckelmann die
Gestaltungsprinzipien falsch gefasst haben. „Jede Form ist individuel, und es giebt keine
abstrakte; eine bloß ideale menschliche Gestalt läßt sich weder von Mann noch Weib und
Kind und Greis denken“, notiert Heinse (FN I, 883 – N10, 42r). Die Gestalt der antiken
Statuen wird hier entschieden auf das Leben im antiken Griechenland zurückbezogen. In Rom
notiert Heinse:
Winckelmann hat ganz unrecht, daß er die Statuen der Götter von den Griechen so enthusiastisch über die Menschen setzt; Jupiter bleibt Mensch u Apollo; alles, was über die vollkommne menschliche Form hinausgeht, ist Fratze. Jupiter ist Monarch, u Apollo ein erhabner feuriger Jüngling, nichts weiter. (FN I, 878f. – N10, 35r.)
Heinse wendet das Äquivalenzverfahren nicht nur auf Göttergestalten der griechischen
Mythologie an, sondern auch auf Sujets aus dem Bereich der christlichen Religion. So
120 Marmor, 93 cm (antiker Teil), Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 245. 121 Marmor, 224 cm, Cortile del Belvedere, Inv. 1015. Hadrianische Kopie nach einem Original des Leochares aus dem dritten Viertel des 4. Jh.s v. Chr. Der Apollo gelangte 1509 in den Vatikan. 122 Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums [im Folgenden zitiert als GK], in: Ders.: Schriften und Nachlass, Bd. 4, hg. von Adolf H. Borbein, Mainz/Rh. 2002, S. 814 [Die Seitenzählung folgt der Paginierung des Originals]. Die Ausgabe stellt die erste und zweite Auflage der Geschichte nebeneinander. Da Heinse die zweite Auflage studiert und exzerpiert hat, soll diese hier verwendet werden.
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erscheint ihm Christus in einer Marienkrönung in Perugia123 wie „ein Sonnenverbrannter
Enthusiast aus Kalabrien […], in seinem starken Bart um die Kinnbacken, u derbem rechten
aufgehobnen Arm.“ (FN I, 1173 – N19, 40r.) Hier liegt eine Veralltäglichung vor, die nicht
als Satire gemeint ist, sondern auf eine Vermenschlichung der eigentlich übermenschlichen
Figur abzielt. Gepaart mit historisch aufgeladener Überhöhung, zeigt sich diese Absicht auch
in der Beschreibung einer vermeintlich michelangelesken Kreuzigungsdarstellung124:
Christus ist ein leidender Pyrrhus, Alexander, Caesar u Hannibal, und was man Großes u erhabnes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling voll Güte für den großen Haufen, der der Menge unterlag. Ein Tiberius Gracchus u die Mutter eine Cornelia voll Feuer u Geistesstärke u Größe. (FN I, 1017 – N22, 17r.)
Die Vermenschlichung erfolgt hier über den Vergleich mit ‚großen Männern’ der Antike, die
durch das tertium comparationis des würdevollen Scheiterns miteinander verbunden sind.
Baeumer deutet Heinses Analogieverfahren als „extreme Umdeutung der christlichen
Demuts- und Leidensgestalten in antike Krafthelden, damit sie der Schönheitsauffassung des
Sturm und Drang und seiner exaltierten Antikenverehrung entsprechen.“125
Die Konstruktion einer Verankerung in der historischen Lebenswelt wirkt in zwei
Richtungen. Zum einen können die nach klassizistischem Kunstverständnis großen Künstler
auch für die antiklassizistische Kunstauffassung Heinses vereinnahmt werden. Zum anderen
will das imaginative Verfahren der Modellbestimmung auch eine Verbindung zur
Vorstellungswelt des Rezipienten schaffen. Heinse geht davon aus, dass der Kunstbetrachter
nur von denjenigen Kunstwerken affiziert wird, die in Form und Inhalt an seinen
Erfahrungshorizont anknüpfen.126 Die Forderung nach lebensweltlicher Verwurzelung gilt
somit nicht nur für den Kunstschaffenden, sondern auch für den Rezipienten. In den
Gemäldebriefen schreibt Heinse:
Der Schwede sieht in der Mediceischen Venus ein Weib, von dessen gleichen er nie ein Gefühl im Herzen gehabt hat; und hält es also, ohne den mindesten Grad der Täuschung für ein wohlgerathenes Kunstwerk von kaltem weißen Marmor (wenn er Geschmack hat,) und das Wunder wird an ihm zu Schanden, ärger
123 Raffael (?) und Werkstatt (u.a. Giulio Romano und Gianfrancesco Penni), Marienkrönung (Altarretabel mit Predella, zwischen 1503 und 1505 in Auftrag gegeben), Öl/ Holz, 354 x 230 cm, heute Pinacoteca Vaticana, Inv. 359. Der Vergleich mit dem „sonnenverbrannten Kalabrier“ geht übrigens auch in die Beschreibung im Ardinghello ein (A 325). 124 Die Beschreibung wurde bisher meist auf Marcello Venustis Kreuzigung bezogen. Allerdings unterscheidet sie sich deutlich von Heinses Beschreibung der Venusti-Kreuzigung in der Villa Doria-Pamphilj. Eventuell bezieht sich die Beschreibung auf eine Kreuzigungsdarstellung von Venusti (um 1550) in Florenz (Öl/Lw., 50x32,7 cm, Florenz, Uffizien, Inv. 1559, als Dauerleihgabe in der Casa Buonarroti). 125 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 40. 126 Vgl. Terras, S. 70f.
32
prostituirt, da sie allein ist, als Juno und Pallas, nach der Fabel, beym Paris. (SW IX, 299.)
Hier tritt die doppelte Bindung von Heinses Lebensbegriff zutage. Einerseits erreicht der
Künstler nur dann wahre Größe, wenn er aus seiner unmittelbaren Lebenswelt schöpft,
andererseits kann der Rezipient nur unter der Bedingung einer lebensweltlichen
Bekanntschaft mit dem Bildgegenstand von der Wirkung der ‚Täuschung’ erfasst werden. In
seinen Kunstbeschreibungen zieht Heinse die Konsequenz aus dieser Auffassung: durch
verschiedene Analogiestrategien konstruiert er eine Verbindung zwischen der durch den
Künstler erlebten Natur und dem Kunstwerk und schlägt so eine Brücke zu den
Erfahrungsmöglichkeiten des zeitgenössischen Rezipienten.
5 „Zur Schönheit selbst gehört der Charakter...“. Charakterisierung als Strategie der psychologischen Verlebendigung
Wie bereits festgestellt worden ist, sind Heinses beschreibende Texte der „poetischen“
Tradition der Kunstbeschreibung zuzuordnen, da sie weniger dem beschriebenen Kunstwerk
als vielmehr der beschreibenden Kunst verpflichtet sind. So verwundert es nicht, dass
literarische Entwicklungen des 18. Jahrhunderts sich in Heinses Kunstbeschreibungen
wiederspiegeln.127 Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit den italienischen
Aufzeichnungen ist das Konzept des Individualcharakters im Gegensatz zum Typus.128
Heinses Kunstbeschreibungen fokussieren auf die dargestellten Personen und sind somit
häufig als ‚Charakterisierungen’ zu lesen. Die Charakterisierung der dargestellten Figuren
erfolgt über verschiedene Strategien. Die künstlerische Kategorie des Ausdrucks spielt in
Heinses Beschreibungen grundsätzlich eine bedeutende Rolle. Das Verfahren der
Charakterisierung überschreitet jedoch die Grenzen des visuell Ablesbaren. An vielen Stellen
arbeitet Heinse imaginativ und erschafft so die dargestellten Figuren neu nach dem Bilde der
Literatur.
127 Baeumer stellt besonders die literarische Bewegung des Sturm und Drang als maßgeblichen Einfluss auf Heinses Werk heraus. Vgl. Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997. 128 Laut Gero von Wilpert ist ein Charakter „jede in einem dramatischen oder erzählerischen Werk auftretende, der Wirklichkeit nachgebildete oder fingierte, aber durch individuellere Charakterisierung in ihrer Eigenart als unverwechselbare, vielschichtige, auch widersprüchliche Persönlichkeit von den bloßen unprofilierten Typen abgehobene Figur einer Dichtung.“ Gero von Wilpert, „Charakter“, in: Sachwörterbuch der Literatur, hg. von Gero von Wilpert, Stuttgart 2001, S. 128-129, hier S. 128.
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5.1 Der Individualcharakter in der Literatur des 18. Jahrhunderts Für Heinses Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst ist der Begriff des Charakters
von zentraler Bedeutung. Aus der Physiognomie einer Figur spricht nicht ein Typus, sondern
ein differenzierter Charakter. Dass im Laufe des 18. Jahrhunderts auf allen Ebenen der
Literatur Typen von Charakteren abgelöst werden, ist Konsens der Literaturwissenschaft.129
In der Hamburgischen Dramaturgie hatte Lessing Charaktere „von gleichem Schrot und
Korne“ wie die Rezipienten gefordert.130 In Lessings eigenem dramatischen Schaffen kann
man die Entwicklung vom Typus zum Charakter deutlich nachvollziehen. Während die
früheren Stücke noch der Typenkomödie verpflichtet sind und Titel wie Der junge Gelehrte
(1747) oder Die alte Jungfer (1749) tragen, tritt die Individualisierung in der
Charakterkonzeption der späteren Dramen bereits im Titel zutage. Miß Sara Sampson (1755)
oder Minna von Barnhelm (1763 begonnen, gedruckt 1767) nennen ihre Protagonistinnen
beim Namen und machen so den Fokus auf ein bestimmtes Individuum deutlich. Die
Ablösung des Typus durch den Charakter zeigt sich nicht nur in der Literatur. Jannidis
bemerkt, dass auch in der bildenden Kunst und in der Musik ein „Prozeß zunehmender
Differenzierung in der Personendarstellung“ zu beobachten ist.131
Auch auf die bildenden Künste nimmt der Wandel in der Individualitätskonzeption Einfluss.
Herder legt im Ersten Kritischen Wäldchen den dichterischen Ursprung der griechischen
Mythologie dar und schlussfolgert daraus, dass die mythologischen Figuren ebenfalls den
Gesetzen der literarischen Charakterkonzeption unterworfen sind. Als grundlegend
literarische Wesen seien sie keine Abstrakta, sondern „himmlische Individua, die freilich
durch ihre Handlungen sich einen Charakter festsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee
in Figur zu zeigen [...].“132 Die Individualisierungsforderung betrifft bei Herder auch die
bildende Kunst, die in vielen Fällen auf die Mythologie zurückgreift. Insofern sie ihre Sujets
aus der Mythologie bezieht, kann sie auch Darstellungstechniken der Literatur verwenden und
auf typisierende Attribuierungen von mythologischen Figuren verzichten. Die folgenden
Bemerkungen über mythologische Figuren sind mithin auch in Anwendung auf die bildenden
Künste zu lesen.
129 Vgl. z.B. Peter J. Brenner, Die Krise der Selbstbehauptung. Subjekt und Wirklichkeit im Roman der Aufklärung, Tübingen 1981, S. 86. 130 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie (75. Stück), in: Ders., Werke und Briefe, Bd. 6: Werke 1767-1769, hg. von Klaus Bohnen, Frankfurt/M. 1985, S. 181-694, hier S. 559. 131 Fotis Jannidis, Das Individuum und sein Jahrhundert. Eine Komponenten- und Funktionsanalyse des Begriffs ‚Bildung’ am Beispiel von Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Tübingen 1996, S. 51. 132 Johann Gottfried Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, In: Ders., Werke in zehn Bänden, Bd. 2: Schriften zur Ästhetik und Literatur 1767-1781, Hg. von Gunter E. Grimm, Frankfurt/M. 1993, S. 57-245, hier S. 146.
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Ich schließe also: daß Götter und geistige Wesen ‚bei dem Dichter nicht bloß handelnde Wesen sind, die über ihren allgemeinen Charakter noch andre Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können,’ wie Herr L. sagt, sondern daß diese andre Eigenschaften und Affekten, kurz! eine gewisse eigne Individualität ihr wahres Wesen und der allgemeine Charakter, der etwa aus dieser Individualität abgezogen, nur ein späterer, unvollkommener Begriff sei, der immer untergeordnet bleiben mußte, ja bei Dichtern oft in gar keinen Betracht komme.133
Auch Heinse ist der Idee vom charakterstarken Individuum verpflichtet. Nicht nur in seinen
Romanen nimmt der Individualcharakter eine bedeutende Position ein. Das
‚Charakteristische’134 wird auch zum Maßstab für die bildende Kunst. In Auseinandersetzung
mit Lessings These, dass die Schönheit das höchste Ziel der Kunst sei,135 schreibt Heinse:
„Zur Schönheit selbst gehört der Charakter, oder das, wodurch sich eine Person von der
andern unterscheidet; individuelles Wesen. Körperliche Schönheit mit lebendigem Charakter
ist das schwerste der Kunst.“ (FN I, 914 – N10, 86v.) Die Vorstellung von der
charakteristischen Figur wendet sich somit gegen ein rationalistisches Kunstverständnis und
gegen das klassizistische Konzept eines übergeordneten Ideals.136 Im Folgenden soll
exemplarisch gezeigt werden, welche Rolle der Charakter in Heinses Kunstbeschreibungen
spielt und welcher Strategien sich Heinse bei der Charakterisierung der dargestellten Figuren
bedient. Die erotische Ebene der Kunstbeschreibungen soll hierbei nicht als minderwertig
ausgeblendet werden, da sie ein wichtiger Bestandteil von Heinses ekphrastischem Schaffen
ist.137
133 Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 146. 134 Zum Begriff des „Charakteristischen“ in der Literatur um 1800 siehe Friedrich Denk, Das Kunstschöne und Charakteristische von Winckelmann bis Friedrich Schlegel, München 1925; Alessandro Costazza, Das „Charakteristische“ ist das „Idealische“. Über die Quellen einer umstrittenen Kategorie der italienischen und deutschen Ästhetik zwischen Aufklärung, Klassik und Romantik (16.01.2006), in: Goethezeitportal, URL: <http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/epoche/costazza_charakteristische.pdf> (abgerufen am 03.07.2007). 135 „Ich wollte bloß festsetzen, daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sei. / Und dieses festgesetzt, folget notwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet sein müssen.“ Lessing, Laokoon, S. 16. 136 Vgl. Goer, S. 31f. 137 Die Frage, inwiefern die Idee des „Charakteristischen“ auf die extrem kurzen Beschreibungspassagen in den italienischen Aufzeichnungen einwirkt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. In diesen ‚Schnelldurchläufen’ hebt Heinse scheinbar willkürlich Eigenschaften des Bildes heraus und erhebt sie zu repräsentativer Funktion. Es ist zu vermuten, dass dieses Verfahren der Annäherung auf die Erfassung des ‚Wesentlichen’ eines Kunstwerks abzielt.
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5.2 Strategien einer psychologischen Verlebendigung Der Charakter einer Figur spricht bei Heinse vor allem aus dem Ausdruck, den der Künstler
ihr verliehen hat. Die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen richten einen
besonderen Fokus auf die Affekte, die die dargestellten Figuren zu bewegen scheinen.
Ausdruck ist bei Heinse in erster Linie eine mimische Kategorie. Aus Winckelmanns
Geschichte der Kunst des Altertums exzerpiert Heinse: „Ausdruck bezieht sich hauptsächlich
auf Mienen und Gebehrden des Gesichts.“ (FN I, 277 – N55, 9r.)138
Fasst der erste Satz oft das ‚Thema’ oder den Stoff des Bildes kurz zusammen, wendet sich
der Blick unmittelbar darauf dem Ausdruck der Figuren als werkbestimmender Kategorie zu.
Nach Kriterien des Ausdrucks sieht und beschreibt Heinse dann auch die Physiognomien der
dargestellten Personen. Exemplarisch kann diese Beschreibungs- und Erfassungsweise an der
Beschreibung eines Porträts gezeigt werden, das von Heinse als ein Bildnis Raffaels gedeutet
wird.139 Die Physiognomie des Dargestellten wird nicht nach ihrer Form und Bildung,
sondern nach ihrem Ausdruckwert erfasst: „In den Lippen etwas trotziges. Das frischeste
Leben in den Augen, heitre Stirn voll Kraft, Lippen von Wollustquelle u Fülle höchste
Bubenschönheit voll Geist u Leben u Spröde.“ (FN I, 1003f. – N22, 3v.)140
Noch deutlicher wird die Strategie der Charakterisierung am Beispiel von Heinses Beschreibung von Herrscherbüsten, die auf die Imagination der Lebensgeschichte aus der Evidenz der Physiognomie fokussieren. Die Bildnisbüste eines Unbekannten deutet Heinse als den Kopf vom Jüngern Scipio141 und beschreibt ihn als ein Muster von einem GeneralsGesicht; wie ein Schwerin u Winterfeld. Scharfer mächtiger Blick, äußerste Strenge, und Mord und Tod ohne Erbarmen bis der Sieg da ist. Funfzig Jährige Erfahrung in Falten u scharfen Gesichtszügen und Uebung von unten auf in manchen Schlachten. Löwenmaul, u Löwenruhe und Ernst. (FN I, 750 – N18, 32v.)
Die Identifikation der Büste als Bildnis des Scipio Africanus nimmt Heinse zum Anlass, nach
Anhaltspunkten für eine Feldherrenexistenz in den Gesichtszügen des Dargestellten zu
suchen. Die Falten und scharfen Konturen im Gesicht des Dargestellten liest er als Zeichen
von langjähriger Kriegserfahrung. Von der Konstatierung des Blickes, die noch als Erfassung
einer Ausführungskategorie gelten kann, geht Heinse unmerklich zur Deutung des Ausdrucks
138 Hvhb. im Original, -J.B. 139 Hierbei handelt es sich um das Bildnis eines Jugendlichen von Ridolfo del Ghirlandaio (Öl/ Holz, 37x26 cm, Florenz, Galleria Borghese, Inv. 399). 140 Häufig suggerieren Heinses Formen der Attribuierung, dass die Bestandteile der Physiognomie von einem bestimmten Affekt erfüllt sind bzw. aus ihm bestehen. 141 Die Büste (Marmor, 48 cm) befindet sich noch heute im Vatikan, Sala dei Busti, Inv. 619. Im 18. Jh. wurde sie allgemein als Bildnis des Scipio Africanus gedeutet.
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über. Der Blick spricht zu Heinse vom erbarmungslosen Charakter des Feldherrn – „Mord
und Tod ohne Erbarmen bis der Sieg da ist.“
Im selben Saal findet Heinse die Büste eines hellenistischen Dynasten oder eines Priesters,142
die bis ins 19. Jahrhundert als Bildnis des Alten Augustus gedeutet wurde:
Er ist des Regierens müde, und es verdrießt ihn, daß er noch Achtung geben muß, wohl einsehend endlich, daß dieß an und für sich nicht glücklich macht. Sehr guter Kopf mit zusammen gehenden Augbranen, u Edelgestein an der Stirn im Diadem. (FN I, 750 – N18, 32v-31r.)143
Auch hier ist das Verfahren imaginativ. Wie in der oben zitierten Beschreibung des
vermeintlichen Scipio beschränkt sich Heinse nicht darauf, die Büste in ihrer Materialität zu
beschreiben, sondern kreiert eine imaginative ‚Innenansicht’ der dargestellten Person. Dieses
Verfahren ist wiederum als die „psychologisierend-erzählende Erschließung der in den
Bildern angedeuteten Seeleninnenräume“ zu deuten, die Pfotenhauer als eine Spezialität
Heinses herausstellt.144 Die ‚psychologisierende’ Beschreibung ist Teil einer
Verlebendigungsstrategie, die darauf abzielt, eine künstlerisch dargestellte Figur als
lebendigen Charakter auf Augenhöhe mit dem Rezipienten zu etablieren.145 Die Basis dieses
Verfahrens ist die visuelle Erschließung des Ausdrucks der dargestellten Figur. Die
Gemütsregungen, die Heinse dem vermeintlichen Augustus unterstellt, sind jedoch zu
differenziert, um aus der künstlerischen Darstellung entnommen sein zu können. Hier
überschreitet Heinse die Grenzen der im Grunde deskriptiven Gattung der Kunstbeschreibung
und betritt den Bereich der erzählenden Literatur. Der Charakter des Alten Augustus wird in
der Beschreibung zu einer literarischen Schöpfung des Wilhelm Heinse.
142 Marmor, 61 cm, Vatikanische Museen, Sala dei Busti, Inv. 716. 143 Die eigentümliche Blattangabe resultiert aus einer Neuordnung der Blätter durch die Herausgeber der Aufzeichnungen. 144 Pfotenhauer, Um 1800, S. 45. Pfotenhauer bezieht sich hier auf die Gemäldebriefe. Die Bemerkung kann jedoch auch für die späteren Kunstbeschreibungen Heinses geltend gemacht werden. 145 Wie Pfotenhauer aufzeigt, hatte sich auch Winckelmann in der frühen Beschreibung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdner Galerie eines psychologisierenden Verfahrens bedient. (Text verfügbar in: Johann Joachim Winckelmann, Kleine Schriften und Briefe, Auswahl, Einführung und Anmerkungen von Wilhelm Senff, Weimar 1960, S. 3-16.) Allerdings entschied er sich später für die „wissenschaftliche Versachlichung“ der Kunst und gegen die Verlebendigung vor den Augen des Betrachters. Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse, S. 314. Heinse kann Winckelmanns fragmentarische Beschreibung der Dresdner Gemälde jedoch nicht gekannt haben, da sie erst posthum veröffentlicht wurde.
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5.3 Vermenschlichende Charakterisierung von Göttergestalten Im Sommer 1781 sieht Heinse in Florenz die so genannte Venus Medici (Abb. 6).146 In die
Beschreibung, die eine nur persönlichen Vorlieben verpflichtete sprunghafte Blickführung
nachvollzieht, sind Aussagen über den Charakter der dargestellten Venus eingeflochten, die
offenbar als Schlussfolgerung aus der Betrachtung zu verstehen sind. In N32 notiert Heinse:
„Stolz und Güte und Zärtlichkeit lebt in den Lippen.“ (FN I, 431 – N32, 164r.) Über die
Attribuierung einzelner Körper- bzw. Gesichtspartien mit bestimmten Eigenschaften werden
diese der dargestellten Person als solcher zugeschrieben. Die Beschreibung des Ausdrucks
liest sich also als Charakterisierung. Heinse schlussfolgert: „Aus dem ganzen spricht
jungfräulicher Ernst und Stolz, und gar nichts lockendes.“(FN I, 432 – N32, 165v.)
Natürlich ist der Ausdruck einer Figur auch bei Heinse in erster Linie eine Kategorie der
künstlerischen Darstellung. Das ist an sich nichts Neues. Auch der von Heinse verehrte und
abgelehnte Winckelmann sieht im Gesicht des Apollo vom Belvedere (Abb. 1) Affekte am
Werk:
Verachtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen.147
Allerdings deuten die Eigenschaften, die sich nach Winckelmann im Gesicht des Apollo
zeigen, auf sein übermenschliches, unsterbliches Wesen hin. Heinses
Ausdruckszuschreibungen sind jedoch immer, auch wenn sie sich sehr nah an der
Beschreibung etablierter Typen bewegen, als Charakterisierungen eines aus dem Kunstwerk
sprechenden Individuums zu lesen. Während die antiken Statuen Winckelmann als
Idealdarstellungen einer göttlichen Gestalt in „stiller Einfalt und edler Größe“ erscheinen,
sind sie für Heinse in erster Linie menschliche Körper, erfüllt von einem Charakter, den er in
seiner Vorstellung vom antiken Griechenland verorten kann. Besonders im Fall der antiken
Skulpturen weisen Heinses Kunstbeschreibungen eine deutliche Tendenz zur
Vermenschlichung und Veralltäglichung der Figuren auf.
Diese Strategie der vermenschlichenden Charakterisierung lässt sich besonders gut an der
ungewöhnlichen Einführung der Statue des Herakles mit dem Telephos (Abb. 8) im Vatikan
146 Marmor, 153 cm, Florenz, Uffizien. Einen Eindruck der Ausstellungssituation in den Uffizien im 18. Jahrhundert vermittelt Johan Zoffanys Darstellung der Tribuna (Abb. 6). 147 Winckelmann, GK, S. 814.
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zeigen.148 Herakles erscheint Heinse hier als „ein Auswamser, Krakeeler u Todschläger [...].“
(FN I, 768 – N18, 59v.)149 In der Negativattribuierung tritt das Charakteristische nur noch
mehr hervor. Herakles ist hier kein strahlender Held, sondern wird, fernab von
Heraklestypisierungen, in umgangssprachlicher Direktheit als ein unangenehmer Charakter,
aber eben als ein Charakter, dargestellt. Bezeichnend ist, dass die unangenehme Wirkung, die
sich in der Charakterisierung äußert, nicht auf die Darstellungsweise übertragen wird. Heinse
schreibt die unangenehme Wirkung nicht einem Fehler des Künstlers, sondern der
charakterlichen Disposition des dargestellten Menschen zu.150 Hier begegnet uns wieder das
Phänomen des ‚Durchblicks’ auf die Lebenswirklichkeit, die Heinse als Basis der antiken
Kunst voraussetzt.
In Heinses Charakterisierungsstrategie spielt auch die Sexualität der dargestellten Figuren
eine wichtige Rolle. Die so genannte Juno Barberini151 (Abb. 9) wird in Heinses
Beschreibung als sexuelles Objekt und Subjekt zugleich charakterisiert:
Juno ist das Bild von einem königlichen edlen großen Weibe, das ihn mächtig drin haben will von dem größten u stärksten aller Männer u einen kraft und saftvollen Grund dazu hergiebt, u selbst mächtig arbeitet. Sie schaut Adlerlüstern mit den großen fast oblongen Augen u stolzen weiter nichts als günstigen nicht lockendem Mund nach einem edlen liebevollen. [...] Es ist wahr u zugleich Ideal; einer Königin, u der Herrschaft gewohnten. Zu einer Madonna ist sie nicht zu brauchen; sie hätte sich einem heil. Geist nicht preis gegeben, u keinen Joseph zum Pflegvater gelitten. (FN I, 772 – N18, 67r-68v.)
Sexuelle Vitalität ist eine Eigenschaft, die Heinse seinen Figuren in den Romanen und in den
Kunstbeschreibungen häufig zuschreibt. So zieht Heinse zur Erklärung der Bestrafung des
Laokoon ausdrücklich eine Quelle heran, die Laokoon als sinnlich-leidenschaftlichen
Menschen charakterisiert: „Servius sagt: es sey deßwegen geschehen, weil er seine Frau im
Tempel des Apollo beschlafen habe.“ (FN I, 1038 – N22, 42r.) Wie Elliott und Baeumer
148 Marmor, ohne Plinthe 202 cm. Vatikan, Museo Chiaramonti IX 3, Inv.1314. 149 Das Verb wamsen wird im 18. Jh. in der Bedeutung „verprügeln“ verwendet. Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer, München 1999, S. 1536. 150 Tatsächlich tritt diese Art der Identifikation von künstlerischer Darstellungsweise und Charakter der dargestellten Person in den italienischen Aufzeichnungen häufiger auf. Dies führt in einigen Fällen zu der merkwürdigen Vorstellung, der Künstler bearbeite nur eine lebendige Vorlage, statt ein materielles Werk zu erschaffen. So bemerkt Heinse über eine Büste des Perikles im Vatikan: „...um die Augen u Stirn hat der mittelmäßige Künstler doch die tiefe weitaus sehende Weisheit nicht wegnehmen können.“ (FN I, 763 – N18, 52v. Hvhb. J.B.) 151 Statue einer Göttin, so genannte Juno (oder Hera) Barberini, Marmor, 283 cm, Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 249.
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feststellen, steht Heinse in seinen literarischen Überzeugungen dem Sturm und Drang nahe.152
So sind auch die Charaktere, die er den antiken Skulpturen zuschreibt, vom Konzept des
„Kraftmenschen“ des Sturm und Drang gefärbt. Als eine Art idealer Charakter tritt in Heinses
Werk immer wieder der unverbildete, naturnahe und vitale „Kernmensch“ hervor. Als ein
solcher Kernmensch ist Ardinghello konzipiert und auch Rubens als Mensch „voll Saft und
Kraft“ trägt in den Gemäldebriefen seine Züge (SW IX, 362). Elliott weist auf die Herkunft
des Heinseschen „Kernmenschen“ aus dem Geniegedanken des Sturm und Drang hin: „The
Kernmensch may be seen as an expansion of the ‚Genie’ with whom he shares special gifts
from benevolent Nature.”153 Kern-Metaphern werden in Heinses Kunstbeschreibungen immer
dann mobilisiert, wenn die zu beschreibende Figur als besonders ursprünglich-sinnlich
charakterisiert werden soll.154
5.4 Imagination von Szenarien Der Charakter eines Individuums, so der Konsens der Poetiken des 18. Jahrhunderts,
erschließt sich durch die Handlung. Werfen wir einen Blick in die oben zitierte Passage aus
Herders Erstem Kritischen Wäldchen. Dort heißt es über die mythologischen Figuren: „Es
sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter festsetzen
[...].“155 Dass Handlung auch für Heinse eine charakterkonstituierende Kategorie ist, zeigt
seine Methode der Imagination von Szenarien, die die dargestellten Figuren charakterisieren.
Diese tritt vor allem in den Skulpturbeschreibungen auf, da die Malerei sich zu Heinses Zeit
hauptsächlich mit historischen Sujets befasste. Innerhalb dieses Gattungsrahmens ist das
Szenario meist bereits vorgegeben.156 Nicht so bei der antiken Skulptur. Ihr Gegenstand sind
isolierte menschliche Körper, die zwar in Konstellationen gruppiert werden können, aber der
Einbettung in einen narrativen Kontext vollständig entbehren. Bei Heinse findet man die
imaginative Ergänzung dieses Kontextes. Als prominentestes Beispiel kann wohl die
Beschreibung des Hermaphroditen Borghese157 (Abb. 10) gelten, den Heinse zunächst als
152 Vgl. Rosemarie Elliott, Wilhelm Heinse in Relation to Wieland, Winckelmann, and Goethe: Heinse’s Sturm und Drang Aesthetics and New Literary Language. Frankfurt/M. 1996; Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997. 153 Elliott, S. 76. 154 Siehe z.B. Heinses Charakterisierung des Torso vom Belvedere: „Es ist das höchste Ideal von einem Kernmann so weit die Natur reicht.“ (FN I, 767 – N18, 58v.) 155 Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 146. 156 In Übereinstimmung mit der etablierten Hierarchie der malerischen Gattungen beschreibt Heinse größtenteils historische Gemälde und interessiert sich nur in Einzelfällen für die ‚untergeordneten’ Gattungen Porträt und Genre. 157 Marmor, 148 cm, heute im Louvre, Inv. MA 231. 1619/ 20 von Gianlorenzo Bernini restauriert (Matratze).
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Gipsabguss in Venedig sieht. Hier imaginiert Heinse eine Situation, dessen Resultat die
dargestellte Haltung des Hermaphroditen ist:
Bienenstich, plötzlicher, nach langem Schwärmen süßer Begierde ohne Gegenstand des Genusses, daß der Leib herumfliegt auf dem einsamen Lager mit samt der Decke, die unten noch in die Zehen der Füße sich verflicht und hängen bleibt – So überwältigte vielleicht einst der Feuergeist die Sappho in einer fruchtbaren Frühlingsnacht unter den Liebesschlägen der Nachtigall, und erregte tief in ihr die Verzweiflung, daß sie kein Mann sey. (FN I, 368 - N32, 67r.)
Das verzweifelte Herumwälzen als Ausdruck der sexuellen Unzufriedenheit ist in diesem Fall
nicht als momentaner Zustand, sondern als wesenhafter Zug des Hermaphroditen zu
verstehen. Heinse liest in der dargestellten Haltung eine vorhergehende Bewegung des
Herumwälzens, die das Medium der Statue natürlich bestenfalls andeuten kann. Tatsächlich
ist eine solche vorzeitige Handlung in der Verwicklung der Füße in die Decke angedeutet. Bei
Heinse wird die Bewegung zum Ausdruck des individuellen (sexuellen) Charakters des
Hermaphroditen, der in seiner Zwittrigkeit ewig unbefriedigt bleiben muss.
Auch Heinses ‚berüchtigte’ erotische Phantasie angesichts des Torso vom Belvedere (Abb.
4)158 ist letztlich als Imagination eines Szenarios zu betrachten. Die Wortwahl ist im
Vergleich zur Beschreibung des Hermaphroditen drastisch und derb:
Torso. Eine Centnermäßige Kraft von Mannheit, Arsch u Schenkel ein strammer Berg von Fleisch, u das Gewächs zur Brust hinauf Stärke, alles zu erdrücken; u doch schwingen sich die Formen alle in nerviger Fettigkeit zart in einander. Eine Fotze, die seinen Schwanz aushalten kann, ohne zersprengt zu werden, genießt die Liebe mit vollem Munde armsdick, u muß die glückseeligste Sphäre der Welt an dieser Achse seyn, denn sie muß ganz in Entzücken schweben u hangen, u von aller andern Berührung frey u los seyn, so daß sie keine mehr fühlen kann. – Und wer weiß ob er nicht ein nackend Geschöpf der Lust auf seinen Armen wiegte? Gewiß waren sie aufgehoben, wie man an der Bewegung u den Stummeln derselben sieht, und an dem Zapfen in dem rechten Schenkel am Knie oben; u dem Zapfen im linken auf der äußern Seite am Knie, umsonst sind sie gewiß nicht da, u zu welcher andern Bedeutung? Auch ist die Nerve des linken Arms im Rücken zum Tragen gespannt. (FN I, 767 – N18, 57v-58r.)
Heinse gibt sich hier zunächst einer erotischen Phantasie über die körperliche Beschaffenheit
des als Herakles gedeuteten Torso hin, die sich zu „kosmisch entgrenzter sexueller
Lustvorstellung“ steigert.159 In einem zweiten Schritt wird die materielle Beschaffenheit der
Skulptur gleichsam auf die Möglichkeit des imaginierten Szenarios hin überprüft.160 Heinse
158 Marmor, 159 cm, Vatikanische Museen, Sala delle Muse, Inv. 1192. Erstmals erwähnt wurde der Torso 1432/ 34. 159 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 46. 160 Vgl. Elliott, S. 84.
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stellt fest: es könnte durchaus so gewesen sein. Durch die Verortung des Torso inmitten einer
sexuellen Handlung wird die Figur des Herakles zum einem virilen und sinnlichen Charakter
stilisiert, der Heinses Vorstellung eines „Kernmannes“ erfüllt. Diese Interpretation des Torso
steht in krassem Gegensatz zu Winckelmanns Beschreibungen, die den Torso streng im
Rahmen des Herakles-Mythos gedeutet hatten.161 Während Winckelmann im Torso den allen
menschlichen Leidenschaften enthobenen, bereits vergöttlichten Herakles sieht, imaginiert
Heinse ein Szenario, in dem eben diese menschlichen Leidenschaften des Herakles die
Hauptrolle spielen.
Heinses Verfahren der Charakterisierung ist letztlich aus der Aufwertung des Individuums in
der Literatur des 18. Jahrhunderts und der Etablierung des Individualcharakters abzuleiten.
Der kunstbeschreibende Heinse hat diese Entwicklung verinnerlicht und wendet die
individualitätsbetonte Charakterkonzeption auf die Beschreibung von Figuren in Werken der
bildenden Kunst an. Auch die antiken Skulpturen, die für Winckelmann die Reinform des
Ideals repräsentiert hatten, werden bei Heinse zu individuellen menschlichen Charakteren
umgedeutet, die häufig von der Sturm-und-Drang-Vorstellung des „Kerls“ gefärbt sind.
Heinses Charakterisierungen von dargestellten Figuren überschreiten an vielen Stellen die
Grenzen der gegenstandsgebundenen Beschreibung und tendieren zum Imaginativen. Heinses
Verfahren ist nicht nur als Beschreibung eines Kunstwerks, sondern als Nachschöpfung, wenn
nicht gar Schöpfung, der Figuren nach dem Bilde der Literatur zu verstehen.
6 Das Pygmalion-Modell
Wie bereits gezeigt wurde, ruht Heinses Blick nicht auf den Kunstwerken als materiellen
Produkten einer künstlerischen Arbeit, sondern zielt auf die lebensweltliche Quelle des
Kunstwerks. Die Sicht auf Gemälde und Skulpturen ist die eines Pygmalion, der angesichts
der Schönheit des Werkes dessen Künstlichkeit bereitwillig aus den Augen verliert. Heinse
sieht nicht die Kunst, sondern die ‚Natur’ eines Werkes. Im Folgenden soll gezeigt werden,
mit welchen sprachlichen Mitteln die Verwandlung des Kunstwerks in ein lebendiges Subjekt
zu leisten ist. Die „pygmaliontische“ Sicht auf Werke der bildenden Kunst hat bei Heinse eine
explizit erotische Komponente, die in der zeitgenössischen Kunstbeschreibung meist nur
sublimiert auftritt. 161 Zu dem Kontrast zwischen Winckelmanns ‚edler Einfalt und stiller Größe’ und Heinses sexueller Phantasie vgl. auch Goer, S. 182.
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6.1 Der enthusiastische Betrachter und die Stärkung des Auges „Ach da sitz ich so da, u verwandle mir den Marmor in Leben mit Geist u Fleisch u Blut“,
schreibt Heinse in Venedig, überwältigt von seiner ersten Begegnung mit den antiken,
vermeintlich griechischen Statuen (FN I, 344 – N32, 35r). Bezeichnenderweise beschreibt er
die Verlebendigung des Marmors als Resultat seiner eigenen imaginativen Anstrengung.
Heinse sieht sich selbst nicht nur als passiven Betrachter, der als Augenzeuge einer
Verwandlung beiwohnen darf, sondern als den Verursacher der Verlebendigung. „Ich
verwandle“, sagt er und rückt damit die Verlebendigung in den Bereich des Rezipienten.
Die Zuschreibung von Lebendigkeit ist laut Fehrenbach „einer der ältesten und dauerhaftesten
ekphrastischen und kunsttheoretischen Topoi“.162 Bereits in der Antike galt die Erzeugung
von illusionistischer Lebensähnlichkeit als erstrebenswerte künstlerische Fertigkeit. Das
Schlagwort, das auch in Heinses Kunstbeschreibungen noch ein „Leitmotiv“ darstellt, ist das
der Täuschung.163 Täuschung meint in diesem Zusammenhang „Naturnachahmung als
Illusion, Kunst als Suggestion wirklichen Lebens. Nicht Überbietung der Natur und
Transzendierung auf ein Idealschönes hin wäre die Devise, sondern Vergegenwärtigung der
Natur in ihrer Fülle.“164 Plinius kolportiert die Legende des Künstlerwettstreits zwischen
Zeuxis und Parrhasios, den Parrhasios gewann, weil seine Malerei sogar einen Maler täuschen
konnte.165
Heinse fasst die Wirkung von Lebendigkeit nicht nur als ein Ergebnis der Fertigkeit des
Künstlers, sondern stellt die eigene Wahrnehmung als Agens der Verlebendigung in den
Vordergrund. Elliott weist darauf hin, dass Heinse die Wahrnehmung des Lebendigen in der
toten Materie von einer generellen Genussfähigkeit abhängig macht.166 In den
Gemäldebriefen heißt es hierzu:
Nur wenig Menschen haben in ihrem Leben viel und mancherley Genuß, und nur die edelsten haben den der höhern Freuden. Und unter diesen beyden Klassen sind
162 Frank Fehrenbach, „Lebendigkeit“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 222-227, hier S. 222. 163 Helmut Pfotenhauer, unter Mitarbeit von Thomas Franke, Kommentar zu Heinses Gemäldebriefen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition. Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 678-756, hier S. 685. 164 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 685. 165 Zeuxis hatte Trauben gemalt, die so täuschend waren, dass die Vögel an ihnen zu picken versuchten. Daraufhin lud Parrhasios Zeuxis in seine Werkstatt ein, um ihm dort seinen Beitrag zum Wettstreit zu präsentieren. Zeuxis betrat die leere Werkstatt und erblickte einen Vorhang, hinter dem er das Gemälde vermutete. Als er den Vorhang zur Seite ziehen wollte, musste er feststellen, dass dieser nur gemalt war. Vgl. Gaius Plinius Secundus, d.Ä., Naturalis Historiae, lat. und dt., hg. und übers. von Roderich König, München 1978, Buch 35, XXXVI, 65ff. 166 Vgl. Elliott, S. 68.
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wieder nur wenige von so lebendiger Phantasie und unruhigem Herzen, daß sie den überaus feinen Augensinn in Gefühlsinn verwandeln, sich täuschen lassen, und wie von wirklicher Gegenwart ergriffen werden könnten. (SW IX, 290.)
Der Rezipient von „lebendiger Phantasie und unruhigem Herzen“ stellt das Gegenstück zu
Heinses Vorstellung eines Künstlers dar, der ‚mit lebendigem Herzen die Schönheiten seines
Jahrhunderts in sich erbeutet’. Die Täuschung erscheint hier nicht als die Überwältigung der
Sinne, die Zeuxis nach einem gemalten Vorhang greifen ließ. Sie bedarf der Beteiligung des
Betrachters. Gombrich bezeichnet die täuschende Wirkung der Malerei als ein „merkwürdiges
Zwischenreich zwischen Wahrheit und Trug […], in dem wir uns der Illusion bewusst und
freiwillig hingeben.“167 Bereits Platon hatte die Werke der Malerei als „einen menschlichen
Traum für Wachende“ bezeichnet und somit ihre Wahrnehmung als eine Erfahrung
charakterisiert, die der Betrachter zulassen muss um von ihr überwältigt zu werden.168 Der
zweigesichtige Charakter ist dem Lebendigkeitstopos also von Anfang an immanent.
Bei Heinse jedoch, der in einer Zeit lebt, die Langen als eine „Kultur des Auges“ bezeichnet
hat,169 tritt der Anteil und die Anteilnahme des Betrachters noch deutlicher hervor. In Heinses
italienischen Aufzeichnungen findet sich ein Rezeptionsmodell, das in Analogie zu dem
Phänomen funktioniert, das Coleridge als „willing suspension of disbelief“ bezeichnet hat.170
Der Betrachter akzeptiert die Bildwirklichkeit als eigene Realitätsebene und befördert so die
Wirkung der Täuschung. In N10 reflektiert Heinse:
Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit schwer und schier unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe von Tizian u Van Dyk rund u hervorgehend, u die Fernen u Mittelgründe des Claude im gehörigen Abstand zu sehen. (FN I, 911 – N10, 82r.)
Die Eigenwertigkeit der visuellen Wahrnehmung ist eine Prämisse von Heinses
Kunstbeschreibungen. In ihnen findet, so Boehm, eine „konsequente Stärkung des Auges“
statt.171
Eine Stärkung des Auges ist auch eine Stärkung des Betrachters. Der eingangs zitierte Ausruf
Heinses ist Ausdruck einer Rezeptionsvorstellung, die mehr und weniger ‚geeignete’
167 Ernst H. Gombrich, Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 1986, S. 172. 168 Platon, Der Sophist, in: Ders., Werke in acht Bänden, Bd. 6: Theaitetos. Der Sophist. Der Staatsmann, Bearbeitet von Peter Staudacher, Griechischer Text von Auguste Diés, Deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, Darmstadt 1990, S. 219-401, hier S. 395 (266c). 169 August Langen, Anschauungsformen in der deutschen Dichtung. Rahmenschau und Rationalismus, Jena 1934, S. 11. 170 Samuel Taylor Coleridge, Biographia Literaria, hg. von John Shawcross, Bd. II, Oxford 1907, S. 6. 171 Boehm, Anteil, S. 36.
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Betrachter unterscheidet.172 Vor dem Hintergrund einer solchen Unterscheidung ist auch die
folgende Passage aus den Gemäldebriefen aufschlussreich: „Doch, ich werde zum Schwärmer
über der Betrachtung. Und Dank dem Himmel, daß ich das werden kann! Schwärmerey für
das Schöne macht allein zum glücklichen Menschen“ (SW IX, 314). Heinse nimmt sich selbst
wahr als einen der im 18. Jahrhundert die Galerien erobernden „enthusiastischen
Betrachter“,173 denen Kunstbetrachtung mehr privates, emotional aufgeladenes Erlebnis als
Bildungsveranstaltung ist. Herding fasst diese neue Form der Kunstbetrachtung und ihre
literarischen Äußerungen unter dem Begriff des „Galerieerlebnisses“, der für eine
„distanzlose gefühlsbetonte Anschauung“ in Abgrenzung zu traditionellen Strömungen der
Künstlerbiographik, zur Form des Galerie-Inventars und zur französischen Kunstkritik
steht.174 Die ‚Verlebendigung’ des Kunstwerks als rezeptives Phänomen und
kunstliterarisches Motiv ist als Symptom einer solchen betont distanzlosen Kunstbetrachtung
zu bewerten.
6.2 Pygmalion als hermeneutisches Modell Die Forschung hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Pygmalion-Motivs für
die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hingewiesen.175 Von 1740 an genießt die Legende des
zyprischen Bildhauers, der sich in sein eigenes Werk verliebt, enorme Popularität. Sie wird
für verschiedene Diskurse fruchtbar gemacht, von denen hier diejenigen über das
Kunstschaffen und über die Kunstbetrachtung herausgegriffen seien.176 Im
produktionsästhetischen Diskurs fungiert Pygmalion als Inbegriff der Vorstellung vom
172 Elliott deutet Heinses „Ach“ in diesem Sinne als Ausdruck seiner Dankbarkeit für die Fähigkeit, Kunst verlebendigend sehen zu können und also einer der Menschen mit „unruhigem Herzen“ zu sein. Vgl. Elliott, S. 85. 173 Oskar Bätschmann, Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 237-278, hier S. 238. 174 Klaus Herding, „...Woran meine ganze Seele Wonne gesogen...“. Das Galerieerlebnis – eine verlorene Dimension der Kunstgeschichte?, in: Peter Ganz, Martin Gosebruch, Nikolaus Meier und Martin Warnke (Hgg.), Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 257-286, hier S. 260. 175 Siehe besonders Helmut Pfotenhauer, Pygmalion. Heinses Hermeneutik lebendiger Bilder, in: Ders., Um 1800. Studien zur Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik, Tübingen 1991, S. 27-57; Oskar Bätschmann, Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 237-278; Oskar Bätschmann, Belebung durch Bewegung. Pygmalion als Modell der Kunstrezeption, in: Mathias Meyer und Gerhard Neumann (Hgg.), Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg i.Br. 1997, S. 325-370. 176 Zu den vielzähligen Diskursen, die sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts der Pygmalion-Legende bedienen, siehe Gerhard Neumann, Der Körper des Menschen und die belebte Statue. Pygmalion – ein kulturgeschichtliches Paradigma, in: Claudia Monti u.a. (Hgg.), Körpersprache und Sprachkörper. Semiotische Interferenzen in der deutschen Literatur, Bozen 1996, S. 195-233.
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Künstler als Schöpfer, als ‚alter deus’.177 Sein Werk folgt dem mimetischen Gesetz der
Täuschung; es ist so täuschend, dass sogar sein eigener Schöpfer sich seiner illusionistischen
Wirkung nicht zu entziehen vermag. Bei Ovid heißt es: „virginis est verae facies, quam vivere
credas, / et, si non obstet reverentia, velle moveri: / ars adeo latet arte sua.“178 Die Kunst
verbirgt ihre eigene Gemachtheit und wird selbst scheinbar wieder Natur.
Rezeptionsästhetisch gedeutet, spricht der Pygalion-Mythos vom „innigste[n] Anschluss“179
an das Kunstwerk, von einer gleichsam liebenden Betrachtung. Die zentrale Bedeutung
innerhalb dieser neuen Rezeptionsauffassung kommt der Einbildungskraft des Betrachters zu.
Vor diesem Hintergrund deutet Pfotenhauer Pygmalion als „Exempel für die belebende Kraft
ästhetischer Imagination“.180 Die Legende vom Bildhauer, der sich in sein eigenes Kunstwerk
verliebt, fungiert als wirkungsmächtiges Muster für eine enthusiastische Kunstbetrachtung,
die dem toten Kunstobjekt den Status eines lebendigen Subjektes zuspricht. „Die Werke
werden selber zu Subjekten durch die tätige Einbildungskraft des Betrachters“, schreibt
Bätschmann und berührt damit den Dreh- und Angelpunkt der Kunstbetrachtung und –
beschreibung nach dem Muster Pygmalions.181
Wie Pfotenhauer anmerkt, ist Heinse nicht der Einzige, der nach dem ‚Pygmalion-Modell’
Kunstwerke betrachtet und beschreibt.182 Bereits Winckelmann hatte in den Gedanken
gefordert, man müsse mit den antiken Statuen „wie mit seinem Freunde, bekannt geworden
sein […].“183 Auch Diderot behandelt in seinen Salons die Bildwirklichkeit grundsätzlich als
unmittelbar gegenwärtig und vollzieht den oben beschriebenen Durchgriff auf das ‚Leben in
der Kunst’.184 Obwohl Heinse Diderots Salons wohl nicht gelesen hatte185 und sich gegen
Winckelmanns kanonische Kunstbeschreibungen abzugrenzen suchte, scheinen die drei
177 Der ‚alter deus’-Topos wurde geprägt von Iulius Caesar Scaliger, Poetices Libri Septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst, Bd. I: Buch 1 und 2, hg., übers., eingel. und erl. von Luc Deitz, Stuttgart 1994, S. 72. 178 („Wie einer wirklichen Jungfrau ihr Antlitz, du glaubtest, sie lebe, / wolle sich regen, wenn die Scham es nicht ihr verböte./ So verbarg sein Können die Kunst.“) Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, hg. und übers. von Erich Rösch, München und Zürich 1990, S. 370. Siehe hierzu auch Neumann, S. 199; Pfotenhauer, Um 1800, S. 35. 179 Boehm, Anteil, S. 22. 180 Pfotenhauer, Um 1800, S. 27. Bätschmann benennt als ‚Teildisziplinen’ dieser Imagination die Prinzipien der Verwandlung und der Ergänzung. Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 242. 181 Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 240. Bätschmann weist auch auf die bezeichnende Mode hin, antike Statuen bei Nacht im Fackelschein zu betrachten und sich so freiwillig der Illusion hinzugeben, es handle sich um belebte Gestalten. Vgl. Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 354. William Pethers Mezzotinto nach Joseph Derby of Wrights An Academy by Lamplight kann diese Art der Kunstbetrachtung illustrieren (Abb. 11). 182 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 699. 183 Winckelmann, Gedanken, S. 4. 184 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 693. 185 Vgl. Ebd., S. 693.
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Autoren nach dem gleichen „hermeneutischen Modell“186 zu operieren. Ihnen allen geht es
zunächst um eine Kunstbetrachtung jenseits steifer Akademismen, in der sich der Betrachter
in eine gleichsam persönliche Beziehung zum Kunstwerk versetzt.187 Das ‚pygmaliontische’
Verhalten, das bei Winckelmann, Diderot und Heinse festzustellen ist, äußert sich laut
Bätschmann in „Beschreibungen, die nicht mehr nur auf das Objekt ausgerichtet sind, sondern
Wahrnehmungen und Erlebnisse des Subjekts einbringen und seine Empfindungen
offenlegen.“188 Für Heinse bedeutet dies: Die Erfassung des Kunstwerkes wird nicht primär
über die Aufzählung der formalen Details gewährleistet. Stattdessen erkennt der Betrachter in
seinem eigenen Verhältnis zum Kunstwerk dessen wahre Bedeutung.
6.3 Abwehr erotischer Assoziationen Die Pygmalion-Legende handelt von einem Bildhauer, der sein eigenes Kunstwerk so
begehrenswert findet, dass er es zu seiner Frau machen will. Die erotische Dimension der
Legende ist nicht zu übersehen. Dennoch wird sie im 18. Jahrhundert (zumindest für den
Kunstdiskurs) üblicherweise ausgeblendet bzw. erscheint in sublimierter Form. Obwohl die
erotisch-sinnliche Dimension in den meisten Kunstbeschreibungen nicht explizit thematisiert
wird, scheint sie doch im Bewusstsein der Kunstbeschreibenden als Bedrohung präsent zu
sein. Die Assoziation des Triebhaft-Sinnlichen gefährdet die Vorstellung einer erhabenen
Kunst. Die erotische Anziehungskraft besonders der nackten Gestalten der antiken Skulptur
wird deshalb nicht nur vernachlässigt, sondern entschieden abgewehrt. Herder gibt seinem
Plastik-Aufsatz (1778) zwar den Untertitel Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt
aus Pygmalions bildendem Traume, weist jedoch den Verdacht auf sinnliche Assoziationen
angesichts der Kunstobjekte entschieden zurück:
Selbst im Reizbaren zur Verführung ist das Nackte in beiden Künsten [Bildhauerei und Malerei, -J.B.] gar nicht dasselbe. Eine Statue steht ganz da, unter freiem Himmel, gleichsam im Paradiese: Nachbild eines schönes Geschöpfs Gottes und um sie ist Unschuld. Winckelmann sagt recht, daß der Spanier ein Vieh gewesen sein muß, den die Statue jener Tugend zu Rom lüstete, die nun die Decke
186 Pfotenhauer, Um 1800, S. 32. Von der gemeinsamen Basis aus führen die Wege von Winckelmann, Diderot und Heinse jedoch in ganz unterschiedliche Richtungen. 187 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 698f. 188 Vgl. Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 338.
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trägt;189 die reinen und schönen Formen dieser Kunst können wohl Freundschaft, Liebe, tägliche Sprache, nur beim Vieh aber Wollust stiften.190
Die Abwehr von nahe liegenden erotischen Assoziationen zeitigt Beschreibungsformen, die
sich in einem merkwürdigen Spannungsfeld zwischen Evokation und Verleugnung der
Sinnlichkeit bewegen. Repräsentativ für eine Beschreibung, die „Schutzvorkehrungen“191
gegen die Wirkung des Beschriebenen treffen muss, ist Hans Heinrich Füsslis Beschreibung
der Niobe-Gruppe192 (Abb. 12), in der die körperliche Erscheinung der weiblichen Figuren
von einer sinnlichen in eine erhabene Schönheit umgedeutet wird:
Ich gehe in die Villa Medicis, und athme da die reinste Luft. Ich lagere mich auf einen beblümten Rasen; Orangen-Schatten deken mich; da staun’ ich ungestört ein Grupp der höchsten weiblichen Schönheiten an. Niobe, meine Geliebte, du schöne Mutter schöner Kinder; du schönste unter den Weibern, wie lieb’ ich dich! Steh still Wandrer! lernensbegieriger Jüngling, steh mit Bewundrung stille! Dies ist keine liebäugelnde Venus. –Fürchte dich nicht, sie will nicht deine Sinne berauschen, sondern deine Seele mit Ehrfurcht erfüllen, und deinen Verstand unterrichten[…].“193
Wie in diesem Beispiel wird das „Auf-den-Leib-Rücken“ in den Kunstbeschreibungen der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts meist durch die Beschreibungssprache sublimiert.194 Bei
Heinse erscheint es jedoch explizit und unverhüllt. Seine Beschreibungssprache ist
unmissverständlich und teilweise derb; seine Blickführung verrät eine Fixiertheit auf primäre
und sekundäre Geschlechtsmerkmale. Pfotenhauer charakterisiert Heinse in dieser Hinsicht
als die Ausnahme von der klassizistischen Regel. Heinse verstehe sich als „ein zweiter
Pygmalion, dem sich im Kunstgenuß die ganze menschliche Leidenschaft aktualisiert, dem
Erkennen Empfinden ist, Lieben, Einswerden.“195
189 In seinem Brief An den Übersezer von Herrn Webbs Versuch, über die Mahlerey berichtet Hans Heinrich Füssli die ‚Legende’ eines Spaniers, der mit einer Statue Unzucht getrieben haben soll. Veröffentlicht in: Daniel Webb, Untersuchung des Schönen in der Mahlerey und der Verdienste der berühmtesten alten und neuern Mahlern, hg. und übers. von Hanns Conrad Vögelin, Zürich 1766, S. I-LXXX, hier S. XXI. 190 Johann Gottfried Herder, Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume. In: Ders., Werke, Bd. 4: Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 1774-1787, hg. von Jürgen Brummack und Martin Bollacher, Frankfurt/M. 1994, S. 243-326, hier S. 266. 191 Pfotenhauer, Um 1800, S. 33. 192 Gruppe der Niobe mit ihrer jüngsten Tochter, Marmor, 228 cm. Heinse sieht die Skulpturengruppe in dem 1781 speziell für sie eingerichteten Raum in den Uffizien. 193 Füssli, An den Übersezer, S. VIII. 194 Pfotenhauer, Um 1800, S. 83f. 195 Ebd., 34.
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6.4 Objekte der Begierde Die nicht zu übersehende „Obsession in eroticis“,196 die die Heinse-Forschung seit ihren
Anfängen beschäftigt hat, tritt im Rahmen der hier untersuchten Kunstbeschreibungen
besonders deutlich zutage. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass es sich um
unveröffentlichte, in vielen Fällen vorläufige Beschreibungsformen handelt.197 Sie können als
‚pygmaliontisch’ im wahrsten Sinne des Wortes gelten, insofern sie die Kunstwerke zu
Objekten der Begierde und zu Akteuren erotischer Szenarien machen. Der Roman
Ardinghello, der aus den italienischen Notizen hervorgegangen ist, mildert die explizite Erotik
der Aufzeichnungen zu einer koketten, anspielungsreichen Sinnlichkeit und ist in dieser
Hinsicht auch als Zeugnis einer Selbstzensur Heinses zu lesen.
Häufiges Mittel der pygmaliontischen Perspektivierung ist der Blick auf ein Kunstwerk als
ein lebendiges Objekt der Begierde. Die Schönheit menschlicher Gestalten wird über ihre
Anziehungskraft auf das andere Geschlecht verdeutlicht. So wird auch der so genannte
Antinous (Abb. 13),198 historisch als der Geliebte Hadrians verbürgt, in einen heteroerotischen
Kontext gerückt: „Die Brust vom rechten Arm schwillt wirklich milchig, und ich kenne nichts
verführerischers für ein Weib zur Umfassung.“ (FN I, 746f. – N18, 26r.) Wenn die
dargestellten Figuren weiblich sind, tritt häufiger der Beschreibende selbst als begehrendes
Subjekt auf, das die Schönheiten in Marmor und Ölfarbe mit den Augen eines Pygmalion
ansieht. Über die Herme der Aspasia im Vatikan199 heißt es: „Ihr Kuß muß Nektar seyn; mit
einem solchen Weibe könnt ich mich ein ganzes Lebenlang zusammenpaaren.“ (FN I, 773 –
N18, 68v.) Interessanterweise erregt auch der Hermaphrodit Borghese (Abb. 10) mit seiner
uneinheitlichen sexuellen Identität Heinses Fantasie. In der folgenden Beschreibung tritt er
ebenfalls als Objekt der Begierde auf: „Es ist ein solches Leben drin, daß man glaubt, er
springt vor Geilheit auf u davon. Er liegt so recht da, wie eine süße reife Frucht für den
Schwanz, der wie ein schäumender wilder Tieger darüber hermöchte.“ (FN I, 1012 – N22,
12v.)200
196 Wolfgang Adam, Kanon und Generation. Der Torso vom Belvedere in der Sicht deutscher Italienreisender des 18. Jahrhunderts (08.11.2004), in: Goethezeitportal, URL: <www.goethezeitportal.de/db.wiss/epoche/adam_kanon.pdf> (abgerufen am 10.03.2007), S. 31. 197 Heinse selbst betitelte das Notizheft 18 Beschreibung einiger antiken Statuen alles augenblicklich oft noch im Krieg und Streite wie ein Chaos länger Leben und günstig Schiksal wird vielleicht noch Licht u Ordnung hineinbringen. Zu Heinses grundsätzlicher Beziehung zum ‚Unfertigen‘ siehe Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 249f. 198 Hermes, so genannter Antinous, Marmor, 195 cm, Cortile del Belvedere 53, Inv. 907. 1543 erstmals erwähnt, seit 1545 im Statuenhof bezeugt. 199 Marmor, 170 cm, Vatikan, Sala delle Muse, Inv. 272. 200 Dass die Imagination des Kunstwerks als Objekt der Begierde tendenziell auf weibliche Figuren angewandt wird, verleitet Pfotenhauer zu der Behauptung, Heinse würde die Ambivalenz des
49
Eine hyperbolische Steigerung erfährt die Attraktivität der dargestellten Figur durch die
Einführung einer selbst überaus schönen Verehrerfigur. Ein Bacchus mit dem Faun201
erscheint ihm so schön, „daß jede Venus, von tausenden angebetet, ihn allein doch umfassen
möchte.“ (FN I, 346 – N32, 36v.) Dieselbe Konstruktion liegt in einer Beschreibung der
Venus Medici (Abb. 6) vor: „Selbst ein Alcibiades, der schönste und edelste Jüngling der
Sterblichen, muß sich vor ihm [dem „überirdischen Wesen“, -J.B.] niederwerfen, und das
höchste, was er verlangen kann, ist ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben.“ (FN
I, 431 – N32, 163r.) Die Haltung des imaginierten Verehrers ist hier eine der Anbetung, der
Selbsterniedrigung vor der Schönheit der Venus.202
Anbetung und Begehren werden hier als legitime Annäherungsweisen an das Kunstwerk
gefasst. Sie stellen einen Gegenentwurf zu historisch und kunstkritisch zergliedernden
Ansätzen dar, wie sie z.B. von der mit Winckelmann auf den Weg gebrachten
Kunstgeschichte oder von der französischen Salonkritik vertreten wurden. Bätschmann
beschreibt den Affekt der admiratio als eine Haltung, die sich „präzis gegen Kritik und
Analyse“ richtet.203 Auch Heinse ist diesem antirationalistischen Ansatz verpflichtet. Als er
1786 Friedrich von Matthison durch die Düsseldorfer Galerie begleitete, soll er die Führung
vor dem Johannes in der Wüste204 mit den Worten „Nun beten Sie an!“ beendet haben.205
Die Affekte des Begehrens und der Verehrung bringen den Betrachter dem Kunstwerk auf
einer menschlichen Ebene näher als etwa die Methode der stilgeschichtlichen Einordnung.206
Pfotenhauer fasst die ‚pygmaliontische’ Kunstbeschreibung als einen Versuch, die Kunst, die
sich scheinbar in ihr eigenes Reich zurückgezogen hatte, in den Bereich der eigenen
Erfahrung zurückzuholen:
In der Zeit nämlich, in der man, wie seit Mitte des 18. Jahrhunderts, Kunstwerke zum einen zunehmend als geschichtlich wahrnimmt und zum andern immer deutlicher in ihrer ästhetischen Eigenart, werden jene genannten
Hermaphroditen ignorieren und ihn als weibliche Gestalt deuten. Vgl. Pfotenhauer, Um 1800, S. 84. Die übrigen Beschreibungen des Hermaphroditen in den Aufzeichnungen sprechen jedoch eine andere Sprache. 201 Dionysos, an Satyr gelehnt, Marmor, Dionysos 203 cm, Satyr 167 cm, Venedig, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 119. 202 Wie bereits erläutert wurde, ist weibliche Schönheit bei Heinse gleichbedeutend mit sexueller Anziehungskraft. Auch die bloße Anbetung dieser Schönheit hat demnach eine sexuelle Konnotation. Hierauf wird im nächsten Abschnitt ausführlicher einzugehen sein. 203 Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 350. 204 Der Johannes in der Wüste galt im 18. Jh. noch als ein Werk Raffaels. Tatsächlich ist es wohl die Replik eines römischen Werkes von Daniele da Volterra, das sich heute im Museo del Palazzo dei conservatori befindet. 205 Zit. nach: Albert Leitzmann, Wilhelm Heinse in Zeugnissen seiner Zeitgenossen, Jena 1938, S. 22. 206 Siehe hierzu Jessen, der behauptet, Heinses „Genußstrategie” habe ihn „weiter” gebracht als Winckelmann. Jessen, S. 45.
50
Überbrückungstechniken wichtig, die das tendenziell Unwiederbringliche und das tendenziell Inkommensurable und Eigene in den Verstehenshorizont des Einzelnen zurückholen. Und dafür stehen dann diese Einfühlungsstrategien und Übersetzungskünste, für die Heinse eines der prominentesten Beispiele abgibt.207
Letztendlich ist Heinses starke Betonung der sexuellen Anziehungskraft der dargestellten
Figuren als das Extrem solcher „Einfühlungsstrategien“ zu betrachten, ein Extrem, das
zweifellos niemals die gleiche Breitenwirksamkeit hätte erreichen können wie Winckelmanns
Verehrung von Idealschönheiten. Zu derb sind die erotischen Assoziationen; zu eindeutig
wird der Leser auf die grundsätzlich sinnengesteuerte Natur seiner Verehrung für nackte
Schönheiten hingewiesen.208
In der pygmaliontischen Kunstbetrachtung verwischen sich die Grenzen zwischen Subjekt
und Objekt, zwischen Natur und Kunst. Die ‚abwesenden’ Gestalten der bildenden Kunst
gewinnen in der Beschreibung eine verführerische Präsenz. Das Motiv der Verwandlung von
toter Materie in lebendiges Fleisch spielt eine wichtige Rolle in Heinses
Kunstbeschreibungen. Über die Personifikation der irdischen Liebe in Tizians Irdischer und
himmlischer Liebe209 (Abb. 14) notiert Heinse: „Die nackende fängt an wirklich zu leben u
wird warm; u man hat nackend süß Fleisch u Blut in reizender Wölbung vor sich.“ (FN I,
1006 – N22, 5v-6r.) Jedoch kann die pygmaliontische Beschreibung nicht umhin, dem
grundlegend illusionären Charakter ihres imaginativen Verfahrens Rechnung zu tragen. In den
Aufzeichnungen Heinses wird immer wieder jene Spannung von Animation und Mortifikation
thematisiert, die Neumann als einen wichtigen Aspekt des Pygmalion-Themas nennt.210 Der
Täuschung steht die Ent-Täuschung gegenüber – letztlich muss der enthusiastische Betrachter
aus „Pygmalions bildendem Traume“211 wieder erwachen. Angesichts der verwirrenden
Schönheit des Hermaphroditen grollt Heinse: „Man wird dabey zum Tantalus, u ärgert sich,
daß die göttlich schönen Formen von Stein sind.“ (FN I, 1012 – N22, 12r.)
6.5 Kunstgenuss - Liebesgenuss Heinses Zugang zu den Werken der bildenden Kunst ist sinnlicher Natur. Im Zentrum dieses
Zugangs steht die Kategorie des Genusses, die für Heinse einen wichtigen Bestandteil sowohl 207 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 699. 208 „Die Entsublimierung in Heinses Konzeption stößt gerade deshalb auf gereizte Reaktionen bei den ‚klassischen’ Autoren, weil sie auf das Moment der Verdrängung aufmerksam macht, das jeder Idealisierung in Literatur und Poetik innewohnt.“ Michael Hofmann, Radikaler Sensualismus. Entsublimierung als Grundimpuls in Heinses ‚Ardinghello’, in: Lenz-Jahrbuch 8/9 (1998/99), S. 229-254, hier S. 251. 209 Tizian, Himmlische und irdische Liebe (um 1514), Öl/ Lw., 118x279cm, Galleria Borghese, Inv. 147. 210 Neumann, S. 200f. 211 So lautet der Untertitel von Herders Plastikaufsatz.
51
der Künstler- als auch der Betrachtererfahrung darstellt.212 Genuss ist für Heinse im Sinne der
epikuräischen Philosophie zentrales Movens des Lebens.213 Auch die Kunst funktioniert in
diesem Sinne nach dem Prinzip des Genussempfindens und –verschaffens. Doch was bedeutet
Genuss in diesem Zusammenhang für Heinse? In den wenigen „ästhetischen Reflexionen“,214
die von Heinse überliefert sind, definiert er Kunst als „Sinnenlust“ (FN I, 900 – N10, 64r).
Die angenehme Stimulation der Sinne kann nur im Augenblick existieren.215 Der höchste
Genuss ist für Heinse der Genuss eines anderen Körpers, die sexuelle Vereinigung.216 Der
Begriff des Genusses hat bei Heinse also, wie Sauder feststellt, von vornherein ein „sexuelles
Telos“.217
Kunstgenuss ist bei Heinse ebenfalls im Rahmen dieser sexuell aufgeladenen
Begrifflichkeiten zu betrachten. In den oben bereits angesprochenen ästhetischen Reflexionen
definiert er Kunst als „ein Merkmal zur Erinnerung des verfloßnen Genußes hauptsächlich für
den Künstler selbst, u dann für diejenigen, die gleiches genoßen haben“ (FN I, 885 – N10,
45r). Hier treffen wir wieder auf die Vorstellung vom Kunstschaffen als Schöpfen aus der
unmittelbaren, sinnlich zu erschließenden Umgebung, diesmal jedoch in konkretem Bezug auf
die sexuellen Erfahrungen des Künstlers. Auch dem Erlebnis des Rezipienten legt Heinse den
Rückgriff auf eigene sexuelle Erfahrungen zugrunde: „Wir können das Nackende an den
Statuen doch nur durch Erinnerung genießen.“ (FN I, 915 – N10, 87v.) Bereits in den
Gemäldebriefen äußert Heinse die Ansicht, dass „wir nur das Schön zu benennen pflegen, was
wir lieben, was wir fassen können mit unserm engen Sinn, womit wir uns vereinigen, eins
werden mögten.“ (SW IX, 294). Genuss in seiner sexuellen Bedeutungsdimension
kristallisiert sich als die Grundlage von Kunstproduktion und –rezeption heraus.
Von daher verblüfft es nicht, dass Heinses Kunstbeschreibung großenteils auf das Erlebnis der
Vereinigung abhebt. In den italienischen Aufzeichnungen nimmt die ‚pygmaliontische’
212 So begründet sich für Heinse die Großartigkeit der Griechen aus ihren gesteigerten Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Genuss: „Sie lebten in täglichem Genuß, u ihr Geist war dessen eine volle frische Quelle für andre. Sie brauchten sich nur hinzusetzen u zu arbeiten“ (FN I, 1061 – N23, 6v). 213 Vgl. Terras, S. 52. 214 Pfotenhauer verwahrt sich dagegen, diese Reflexionen als eigenständige Ästhetik zu bezeichnen, da es sich bei ihnen um „keine kontinuierliche Gedankenfolge mit dezidierten, argumentativ ausgewiesenen Ergebnissen“ handle. Pfotenhauer, Um 1800, S. 38. 215 „Der gegenwärtige Augenblick ist unser alles, und giebt allein wahrhaften Genuß; wer sich zu lange bey der Vergangenheit oder Zukunft, besonders in seinem Ich aufhält, ist ein Phantast, oder hat wenig reelles.“ (FN I, 1048 – N22, 54v.) 216 Ich habe von dem Menschen, außer der fleischlichen Vermischung, hauptsächlich Genuß durch seine Reden u Handlungen durch Worte u Bewegungen; beydes kann mir die bildende Kunst nicht geben.“ (FN I, 905 – N10, 72r.) „Die höchste Wollust ist der Genuss aller Sinnen zusammen.“ (FN I, 418 – N32, 142r.) 217 Gerhard Sauder, Die Sexualisierung des Ästhetischen bei Heinse, in: Gert Theile (Hg.), Das Maß des Bacchanten. Wilhelm Heinses Über-Lebenskunst, München 1998, S. 77-90, hier S. 85.
52
Betrachtungsweise Formen an, die das bloße Sehen gleichsam zum sexuellen Erlebnis macht.
In einer Variante der oben zitierten Beschreibung von Tizians Irdischer und Himmlischer
Liebe wird das Auge zum Organ des Tastsinns und die Farbe auf der Leinwand wird zu
„Fleisch für den Blick als ob man es mit dem Finger berührte“ (FN I, 1012 – N22, 12r). Über
eine Tragische Muse218 in den Vatikanischen Sammlungen notiert Heinse gar: „Es ist eine
solche Wollust u Schönheit in dem Ganzen Köpfchen, daß jeder Blick darauf gleich ein
Liebesgenuß wird.“ (FN I, 755 – N18, 39v.) Sein Blick berührt den Marmor der Statue wie
eine begehrende Hand das Fleisch der Geliebten. Kunstgenuss wird zum Liebesgenuss.
Die Gleichsetzung von Blick und sexueller Vereinigung ist bezeichnend für Heinses
Kunstbetrachtung. Die erotische Komponente des Blickes kann hier, wie Boehm feststellt, bis
zum geschlechtlichen „Erkennen“ gedacht werden.219 Das Phänomen der Entgrenzung gerät
zur vollständigen ‚Vereinigung’ mit dem Kunstwerk. In diesem Sinne charakterisiert Boehm
auch das Ziel von Heinses Kunstbeschreibungen: „Absicht dieser Betrachtung, die für Heinse
einen sinnlichen, genusserfüllten, gesteigerten und doch höchst erkenntnisgesättigten Akt
darstellt, ist der engste Anschluss des Auges ans Bild.“ 220
Die bis zur ‚Vereinigung’ gesteigerte erotisierte Kunstbeschreibung des „zweiten
Pygmalion“221 Heinse ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, „Sinnlichkeit und abstruse
Denkweisen durch bildende Kunst zu veredeln und aufzustutzen“, wie Goethe dem Verfasser
des Ardinghello unterstellte.222 Ebenso wenig erschöpft sich der Sinn und Zweck von Heinses
sinnlich-erotischen Kunstbeschreibungen in einer bloßen Provokation, die sich gegen die
weitgehende Tabuisierung von Sexualität in der bürgerlichen Öffentlichkeit richtet. Sie dienen
vielmehr der Vermittlung des Kunsterlebnisses als höchster „Sinnenlust“, als lebendiger
Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk. In diesem Zusammenhang ist Pfotenhauer
bedingungslos zuzustimmen, der feststellt, dass „Heinses pygmaliontisches Prinzip mehr ist
als platter Abbild-Naturalismus, welcher sich voyeuristisch nur an den erotischen Details
erfreute, sondern daß Verlebendigung Suggestion äußerster Lebensfülle bedeutet.“223
Bätschmann arbeitet in seinem Aufsatz über Pygmalion heraus, dass die (erotische)
Verlebendigung des Kunstwerkes auf die Etablierung einer vermeintlich überzeitlichen
Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter abzielt: „Die Verwandlung des Werkes in der
218 Heute als Stehende Muse (Melpomene) bezeichnet. Marmor, 174 cm, Vatikan, Sala delle Muse, Inv. 299. 219 Boehm, Anteil, S. 25. 220 Ebd., S. 22. 221 Pfotenhauer, Um 1800, S. 34. 222 Zit. nach: Leitzmann, S. 33. 223 Pfotenhauer, Um 1800, S. 38.
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Betrachtung ist der paradoxe Versuch, ihm als Subjekt eine Zeit zu verschaffen, die der
Geschichtlichkeit nicht untersteht. Die Dauer des Lebendigen ist der Ort des Eros.“224 Dieser
Versuch ist als Reaktion auf die Winckelmannische Melancholie angesichts der für immer
vergangenen griechischen Werke einerseits,225 auf das zunehmende Bewusstsein für die
eigene Geschichtlichkeit andererseits zu betrachten.226 Für Heinse liegt die Möglichkeit, der
Zeit zu entkommen, im Genuss. In N10 notiert er: „Bey jedem Genuß scheinen wir ewig zu
seyn, und die Zeit nicht mehr zu fühlen.“ (FN I, 897 – N10, 59v.) Der „intime ‚Moment
Heureux’“,227 den der Betrachter in der erotischen Beziehung zum Kunstwerk erlebt, ist ein
ewiger Moment.
7 Der sexualisierte Blick und seine Revision. Heinses Selbstzensur
Die Forschung ist sich einig, dass Heinse „in einem ungewöhnlichen Maße Erotik und
Ästhetik in eins gesehen hat.“228 Sie hat sich jedoch schon immer schwer getan, zu dem
erotischen Aspekt von Heinses Werk Position zu beziehen. Welche Rolle die Erotik in
Heinses Werk tatsächlich spielt, ist erst mit Veröffentlichung einer Auswahl aus Heinses
Aufzeichnungen durch Leitzmann bekannt geworden. Nachdem mit dieser Ausgabe „Heinses
eigentliches ‚Werk’“229 vorlag, musste sich die neu auflebende Heinse-Forschung auch mit
den explizit erotischen Passagen auseinander setzen. Die Heinse-Forschung des frühen 20.
Jahrhunderts vermeidet die direkte Konfrontation mit den allzu befremdlichen erotischen
Aspekten von Heinses Werk. Jessen, der 1901 den Nachlass sichtet, verurteilt die „Spuren
einer abstoßenden, ja geradezu perversen Sinnlichkeit“, die er darin findet.230 Brecht versucht
224 Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 258. 225 In der Torso-Beschreibung in der Bibliothek der Schönen Wissenschaften und Freyen Künste schreibt Winckelmann: „O möchte ich dieses Bild in der Größe und Schönheit sehen, in welcher es sich dem Verstande des Künstlers geoffenbaret hat, um nur allein von dem Ueberreste sagen zu können, was er gedacht hat, und wie ich denken sollte! […] Voller Betrübniß aber bleibe ich stehen, und so wie Psyche anfieng die Liebe zu beweinen, nachdem sie dieselbe kennen gelernet; so bejammere ich den unersetzlichen Schaden dieses Herkules, nachdem ich zur Einsicht der Schönheit desselben gelanget bin.“ Winckelmann, Torso-Beschreibungen, S. 179. 226 Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 248. 227 Ebd., S. 266. 228 Sauder, S. 77. 229 Walter Brecht, Heinse und der ästhetische Immoralismus. Zur Geschichte der italienischen Renaissance in Deutschland, Berlin 1911, S. IX. 230 Jessen, S. VIII.
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sich 1911 an einer vorsichtigen Rehabilitation von Heinses ‚sexualisiertem Blick’ auf die
Kunst und das Leben und formuliert die These von Heinses „ästhetischem Immoralismus“.231
Die neuere Heinse-Forschung, die in den 1960er Jahren beginnt, schenkt den erotischen
Aspekten mehr Aufmerksamkeit. Die Erklärungen für Heinses ‚Obsession’ mit dem
Erotischen sind vielfältig. Bis in die 1990er Jahre jedoch gab es eine Tendenz, diese Aspekte
von Heinses Oeuvre zu Gunsten seiner literarischen Ehrenrettung zu ignorieren oder zu
beschönigen und nur die ‚vortragsfähigen’ Passagen zu untersuchen.232 Die folgenden
Abschnitte wollen den schwierigen Versuch unternehmen, die explizit erotischen Passagen in
die Untersuchung miteinzubeziehen und zu klären, ob sie nur Nebenprodukt einer erotisch-
sinnlichen Lebenseinstellung sind, oder ob sie innerhalb der Kunstbeschreibungen eine
bestimmte Funktion erfüllen.233
7.1 Die Entsexualisierung der Literatur Bereits vor der Veröffentlichung des Ardinghello, in dem Heinse seine Figuren unbefangen
Grundsätze der ‚freien Liebe’ propagieren lässt, ist er als „Schmuddelkind“234 der deutschen
Literatur verschrieen. Die 1773 veröffentlichten Petronius-Übersetzungen erschienen zwar
anonym, jedoch war der Name des Übersetzers in literarischen Kreisen durchaus bekannt.
Wieland, dessen Gunst sich Heinse immer wieder zu erwerben sucht, stört sich nicht so sehr
an der Übersetzung selbst, sondern vielmehr an Heinses Anmerkungen, die den erotischen
Gehalt des Textes in einer für Wieland inakzeptablen Weise vereindeutigen.235 Die Stanzen,
die Heinse Wieland mit Bitte um Veröffentlichung im Teutschen Merkur zuschickt, treiben
Wieland erst recht zur Verzweiflung. Er wendet sich an Gleim:
[…] ich bitte mir Ihre Vermittlung aus […], um dem Hrn. Heinse die beyliegenden Stanzen wieder zurük zu geben.
231 Walter Brecht, Heinse und der ästhetische Immoralismus. Zur Geschichte der italienischen Renaissance in Deutschland, Berlin 1911. 232 Exemplarisch für dieses Vorgehen ist Elliott, die enthusiastisch Heinses Bedeutung im Rahmen der Kunst- und Literaturgeschichte herausstellt und dabei die eigentlichen Charakteristika seines Schaffens nivelliert. Vgl. Elliot, S. 184 u.ö. 233 Sauder hatte bereits 1998 eine Klärung der Dimension von Heinses sexualisierter Ästhetik bei der Entwicklung eines neuen Bildbeschreibungsverfahrens gefordert. Vgl. Sauder, S. 83. 234 Markus Bernauer, Kunst als Natur – Natur als Kunst. Heinses Entwurf der italienischen Renaissance, in: Gert Theile (Hg.), Das Maß des Bacchanten. Wilhelm Heinses Über-Lebenskunst, München 1998, S. 91-124, hier S. 91. 235 Siehe Wielands Brief an Gleim vom 6. Dezember 1773: „Hätte der Unglückliche nur das vom Petron übersezt, was ehrliche Leute lesen können und hätte dies desto besser gemacht und poliret, so hätte er ein gutes Werk gethan! Aber nun – und seine unausstehlichen Noten! – seine öffentlich profitirete Asotie! – Der Elende!“ Wielands Briefwechsel, hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte durch Hans Werner Seiffert, 5. Bd.: Briefe der Weimarer Zeit, Berlin 1983, S. 188.
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Es ist viel schöne Poesie in diesen Stanzen; der Mensch hat eine glühende Phantasie, er schreibt aus der Fülle einer äusserst erhizten Sinnlichkeit; daher sind seine Gemählde kräftig und warm bis zum Brennen – aber, auch blos als Dichter betrachtet, ist sein Geschmack noch sehr ungeläutert, seine Imagination üppig, sein Geist wild und ausschweiffend. […] Seine Seele ist mit einem unglüklichen Priapismus behaftet, der, wie es scheint, bereits zum unheilbaren Übel geworden ist.236
Der Vorwurf des ‚Priapismus’ bezieht sich auf Heinses „unbefangene Darstellung und
Wertung der Sinnlichkeit“,237 die mit Wielands verspielt-erotischer Liebesauffassung nichts
mehr zu tun hat. Der Anteil erotischer Bilder an Heinses literarischem Ausdruck ist zum Teil
bis heute ein Problem für die Forschung. Es soll keinesfalls behauptet werden, dass Heinse
nur aufgrund seiner „problematischen Erotik“, wie Klinger verlegen formuliert,238 nicht zu
den Größten der deutschen Literatur gerechnet wird. Jedoch scheint die Unterscheidung
zwischen erotischer und ‚richtiger’ Literatur die Rezeption Heinses bis heute zu beeinflussen.
Eben diese Opposition von Kunst und Sittlichkeitsverletzung mobilisieren Heinses
Zeitgenossen in ihrer Kritik an seinen Werken.
Heinses Erotik, um es auf den Punkt zu bringen, ist für seine Zeitgenossen zu explizit und zu
zielstrebig. Er verweigert sich jeder Sublimierung des aller Verführung und Galanterie
zugrunde liegenden Geschlechtstriebes. Schon in den Briefen von zwo vornehmen Damen239
behauptet Heinse gegen das platonische Liebesideal: „Die eigentliche Quelle, woraus diese
Liebe [die platonische, -J.B.] entspringt, ist doch allezeit der thierische Trieb.“ (SW I, 184.)240
In seinem Entsublimierungsbestreben, seinem „radikalen Sensualismus“,241 unterscheidet sich
Heinse von den in der Literatur seiner Zeit vertretenen Liebeskonzeptionen: Anders als den
libertinen Autoren geht es ihm nicht um den Prozess der Verführung, sondern um die
Vereinigung selbst. Auch der spielerische Charakter der anakreontischen Dichtung ist bei ihm
gänzlich ausgeblendet. Schlussendlich distanziert sich Heinse mit seiner Akzentuierung der
körperlichen Liebe auch deutlich von den empfindsamen Liebesdiskursen. Heinse verzichtet
auf jegliche Überhöhung des ‚tierischen’ Triebes. Jedoch ist es zu kurz gegriffen, diese
zugegebenermaßen recht einseitige Sicht als Reduktion des Menschen auf seine animalischen
236 Am 22. Dezember 1773 an Gleim. Wielands Briefwechsel, Bd. 5, S. 211. 237 Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik, Halle 1931, S. 226. 238 Uwe R. Klinger, Heinses problematische Erotik, in: Lessing Yearbook 10 (1978), S. 123-148. 239 Wilhelm Heinse, Prosaische Aufsätze aus dem Thüringischen Zuschauer (1770), in: Ders., Sämmtliche Werke, Bd. I, hg. von Carl Schüddekopf, Leipzig 1902, S. 147-204. 240 Vgl. hierzu auch Bernauer, Kunst als Natur, S. 92. 241 Michael Hofmann, Radikaler Sensualismus. Entsublimierung als Grundimpuls in Heinses ‚Ardinghello’, in: Lenz-Jahrbuch 8/9 (1998/99), S. 229-254.
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Instinkte zu verurteilen. Was Heinse anstrebt, ist vielmehr eine Rückbindung des Menschen
an die ihm ureigene sinnliche Natur.
Die Natur spielt im Sexualitätsdiskurs des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle.242 Vor dem
Hintergrund Rousseauischen Naturverständnisses wird Sexualität als Bestandteil der
menschlichen ‚Natur’ legitimiert, behält aber die negative Konnotation der Verwandtschaft zu
tierischer Triebhaftigkeit.243 Rehabilitationsversuche der Sexualität bedienen sich
notwendigerweise des Mittels, das die Aufklärung als Ausweg aus der triebgesteuerten
Existenz propagiert hatte: der Vernunft. Schindler bringt es auf den Punkt: „Das
Jahrhundertprojekt, rohe Natur durch moralische Rationalisierung in eigentliche, d.h.
vernünftige ‚Natur’ umzuwandeln, findet in der Sexualität ihr Objekt par excellence […].“244
Die Literatur spielt bei diesem ‚Projekt’ eine wichtige Rolle. Während in der Volkspoesie des
15. und 16. Jahrhunderts Sexualität noch explizit und teilweise derb thematisiert wird, beginnt
sich die Literatur des 18. Jahrhunderts von einer direkten Benennung sexueller Handlungen zu
distanzieren.245 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts lässt sich eine deutliche Veränderung in der
Darstellung von Sexualität in der Literatur feststellen: sie verschiebt sich zunehmend in den
metaphorischen Ausdruck.246
Hull weist darauf hin, dass man im 18. Jahrhundert der Einbildungskraft den maßgeblichen
Einfluss auf den Sexualtrieb zuschrieb.247 Hierin liegt der Grund für die gefürchtete
Verbindung von Literatur und sexueller Ausschweifung. Wenn Literatur die angenommene
starke Wirkung auf die Einbildungskraft hat, so lautet die Denkfigur, kann die Darstellung
sexueller Handlungen den Rezipienten zu ‚unmoralischem’ Denken und Handeln verführen.
Vorgebeugt wird diesem Einfluss durch zensorische Maßnahmen wie Tilgung expliziter
Passagen oder Verbot von einzelnen Werken. Goulemot merkt an, dass diese Maßnahmen die
Wirkungskraft der Literatur im Grunde überschätzen: „Alle Zensur geht einher mit der
242 Vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt/M., S. 139: „Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts ermöglicht schließlich der Begriff der Natur, für die jetzt verstärkt als solche thematisierte Sexualität und für leidenschaftliche Gefühle einen gemeinsamen Nenner zu finden, der zugleich ausdrückt, daß Liebe sich aus den Fesseln der Gesellschaft herauslöst und als Natur dazu ein Recht hat.“ 243 Vgl. Luhmann, S. 145. Siehe auch Isabel V. Hull, Sexuality, State, and Civil Society in Germany 1700-1815, Ithaca und London 1996, S. 237. 244 Stefan K. Schindler, Eingebildete Körper. Phantasierte Sexualität in der Goethezeit, Tübingen 2001, S. 23. 245 Siehe hierzu Wolfgang Müller, Seid reinlich bei Tage und säuisch in der Nacht (Goethe) oder: Betrachtungen über die schönste Sache der Welt im Spiegel der deutschen Sprache – einst und jetzt, in: Rudolf Hoberg (Hg.), Sprache – Erotik – Sexualität, Berlin 2001, S. 11-61, hier S. 14. 246 Vgl. Schindler, S. 74. 247 Vgl. Hull, S. 173. In der frühen Neuzeit war man hingegen noch davon ausgegangen, dass üppiges Essen und Trinken den Sexualtrieb stimulieren könnten.
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Verherrlichung der Macht des Gedruckten und einer ganz erstaunlichen Leugnung der
Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes gegen diese Form der Subversion.“248
Die „Entschärfung“249 der Literatur ab Mitte des 18. Jahrhunderts vollzieht sich vor dem
Hintergrund des aufblühenden Bürgertums, das sich von libertinären Liebeskonzepten, wie sie
mit der Dekadenz des Adels assoziiert werden, distanziert. Schlaffer charakterisiert die
präferierte Liebeskonzeption des Bürgertums folgendermaßen: „Gerade in der Liebe hat der
Bürger, der sich die Literatur sonst realistisch auf der Ebene des mittleren Stils einrichtete, die
Konzeption des hohen Stils bewahrt – und damit die Liebe als etwas ‚Höheres’ aus seiner
Arbeitswelt herausgerückt.“250 Sexuelle ‚Unmäßigkeit’ wird jedoch nicht nur wegen ihres
‚unmoralischen’ Charakters abgelehnt, sie wird auch als Bedrohung für die Werte und die
Ordnung des Bürgertums konzeptualisiert. Wie Schindler aufzeigt, führt die Auffassung, dass
„illegitime Sexualität schon im Bereich der Vorstellung oder der ästhetischen Repräsentation
das Wohl der Bürger gefährdet“, zur strikten Verbannung der Darstellung sexueller
Handlungen aus den Künsten.251
7.2 Brüste, Hintern, Schenkel – Das „Nackende“ als Beschreibungskategorie Sexualität spielt in allen Werken Heinses eine wichtige Rolle. Besonders deutlich tritt seine
Vorliebe für diese Thematik in den Aufzeichnungen hervor. Hier ist der Ausdruck explizit, ja
geradezu derb. Die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen sind nicht
durch kritische Distanz gekennzeichnet, sondern vielmehr durch das erotische Interesse des
Beschreibenden an den dargestellten Körpern. Besonders aufschlussreich sind in diesem
Zusammenhang Heinses Beschreibungen antiker Statuen. Wie Winckelmann beginnt Heinse
meist beim Kopf der Statue und lässt den Blick an der Figur hinabgleiten.252 Allerdings erhält
die Beschreibung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale bei Heinse einen
besondern Akzent, der so bei Winckelmann nicht angelegt war. Vom Kopf abwärts erkundet
Heinse die Topographie des marmornen Körpers und bemisst die Bedeutung seiner
248 Jean-Marie Goulemot, Gefährliche Bücher. Erotische Literatur, Pornographie, Leser und Zensur im 18. Jahrhundert, Reinbek 1993, S. 59. 249 Schindler, S. 72. 250 Heinz Schlaffer, Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland, Stuttgart 1971, S. 223f. 251 Schindler, S. 24. 252 Terras sieht zwischen Heinses und Winckelmanns Antikenbeschreibungen deutliche Parallelen und schließt daraus, dass Heinse Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in Rom bei sich gehabt haben müsse. Vgl. Terras, S. 74.
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Bemerkungen nach dem Grad ihrer sexuellen Attraktivität. Von der Gruppe des Dionysos und
eines Satyrs253 sieht er fast nichts außer Geschlechtsteilen:
Bacchus mit einem Faun auf den er sich stützt u lehnt. Außerordentliche Weichheit u Zartheit, wie von Milch zart aufgeschwellt. Der Schwanz ist einmal unversehrt, u rund spitz wie ein Pflock, am Leibe dick. Er steht wirklich da wie ein Träumer zwischen Schlaf u Wachen wie von einem kühlen Lüftchen Lust an allen Nerven bis ins innerste gerührt. Er hat keine Haare am Schwanz, da der Faun welche hat. Die Hoden liegen ruhig im Sack drin. Die Schenkel schweifen fast weiblich aus. (FN I, 777 – N18, 75r-75v.)
Sauder stellt fest, dass Heinses einzigartiger und eigenartiger Beschreibungsweise eine
„Sexualisierung des Sehens“ zugrunde liegt.254 Im Gegensatz zu Kluckhohn, der Heinses
Vorliebe für das Erotische auf die „Wärme seines eigenen Blutes“ zurückgeführt hatte,255
fasst Sauder diesen ‚sexualisierten Blick’ eher als literarische Strategie, die gleichsam an das
‚pygmaliontische Potenzial’ der Leser rühren soll.256
Natürlich gibt es Figuren, die eher einen ‚sexualisierten Blick’ hervorrufen als andere.
Prädestiniert für die erotische Interpretation ist z.B. die Figur der Maria Magdalena, die
innerhalb der christlichen Ikonographie schon immer eine Möglichkeit zur Darstellung von
durchaus aufreizender weiblicher Schönheit bot. Vasari hatte in seinen Viten noch über eine
Magdalena von Tizian bemerkt „Muove questa pittura, chiunque la guarda, estremamente; e,
che è più, ancorché sia bellissima, non muove a lascivia, ma a commiserazione.”257 Im
Gegensatz zu Vasari wird Heinse durchaus von Darstellungen der schönen, meist halbnackt
dargestellten Sünderin affiziert. Über eine andere Tizian-Magdalena258 notiert er: „Magdalena
von Tizian ganz Wollust u mit der rechten Hand auf der vollen Brust, Kernstück voll zum
Abzapfen: sie sprüht Geilheit um sich her aus den Augen.“ (FN I, 1022 – N22, 23v.) Dass die
erotisierende Kunstbeschreibung jedoch nicht ausschließlich vom Sujet abhängt, zeigt die
folgende Beschreibung einer Vestalin.259 Die Figur bietet weder in ihrem Ausdruck, noch in
253 Marmor, ohne Basis 220 cm, Vatikan, Museo Chiaramonti 588, Inv. 1375. 254 Sauder, S. 90. 255 Kluckhohn, S. 219. Es erübrigt sich festzustellen, dass die Schlussfolgerung, dass Heinse ‚einfach so veranlagt war’, in keiner Weise zu weiteren Erkenntnissen über sein Werk führt. 256 Vgl. Sauder, S. 90. 257 Le Opere di Giorgio Vasari, hg. von Gaetano Milanesi, Florenz 1973 [Nachdr. der Ausg. von 1906], Bd. VII, S. 454. „Und so rührt dieses Gemälde jeden, der es betrachtet, in tiefster Weise an, und was noch mehr gilt: Obwohl von höchster Schönheit, ruft sie nicht Lüsternheit, sondern Mitleid hervor.“ Giorgio Vasari, Das Leben des Tizian, neu übers. von Victoria Lorini, komm. und eingel. von Christina Irlenbusch, Berlin 2005, S. 48. 258 In der Sammlung Doria-Pamphilj sind zwei Kopien nach einer Replik der Florentiner Magdalena (im Palazzo Pitti) aus der Werkstatt Tizians erhalten (88x69 cm bzw. 99x76 cm; Inv. 566; s88 bzw. 235; s78). 259 Statue der Juno, Marmor, ca. 175 cm, Vatikan, Magazin.
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ihrer Haltung oder Bekleidung einen Anlass zur erotischen Perspektive. Dennoch fokussiert
Heinses Blick auf ihre weiblichen Reize, die ihn, obwohl gut bedeckt, in ihren Bann ziehen:
Das Gewand ist herrlich, u wahrhaft priesterlich. Unter den Brüsten gebunden, die stark bedeckt sind und doch in ihrer jungen Form zum Vorschein kommen über den Unterleib geschlagen, u die Faltenfülle fällt doch nicht steif u lästig zwischen die Füße unten, u das ganze rechte Bein kömmt mit seinem Schenkel schön zum Vorschein. (FN I, 781 – N18, 80r.)
Der ‚sexualisierte Blick’ entzündet sich also nicht nur an erotisch konnotierten Sujets wie der
Darstellung einer Venus, sondern auch an gänzlich ‚unverdächtigen’ Figuren. Mitunter
geraten sogar Heilige oder Madonnen in den Fokus von Heinses erotischem Interesse. Bei der
Beschreibung von Madonnendarstellungen gestattet sich Heinse zumindest von Zeit zu Zeit
eine Bemerkung über die weiblichen Rundungen der Madonna, die sich unter ihrem Gewand
abzeichnen. Raffaels Madonna di Foligno260 (Abb. 15) nötigt ihm in diesem Punkt
Bewunderung ab: „Wie reizend schwellen die Brüste unter dem rothen sittsamen Gewand
hervor“, ruft er aus (FN I, 1162 – N19, 27r). Auch die Heiligen sind ihm in erster Linie
schöne Frauen, die, im Leben wie in der Kunst, sein erotisches Interesse wecken.
Trotz ihrer offensichtlich nicht-fleischlichen Oberfläche reizen gerade die Skulpturen der
Griechen und Römer in ihrer detaillierten Körperlichkeit Heinse zu erotischen Phantasien.
Eine Kategorie, der Heinse sowohl in den Skulptur- wie in den Gemäldebeschreibungen viel
Gewicht beimisst, ist die Modellierung des Fleisches und seine täuschende Wirkung, die den
Beschreibenden zu erotischen Assoziationen hinreißt. Fleisch ist eine der häufigsten
Vokabeln der Kunstbeschreibungen. In der Malerei wird die verführerische Illusion in erster
Linie über das Kolorit vermittelt. Schon in den Gemäldebriefen hatte Heinse die Bedeutung
der Farbe hervorgehoben und sich damit in Opposition zur klassizistischen Hochschätzung
der Zeichnung begeben.261 Im Bereich der Skulptur wird der Reiz des nackten Fleisches nicht
über die täuschende Farbigkeit vermittelt, sondern über die attraktive Form. Bereits
Winckelmann hatte den „Kontur“ der griechischen Skulpturen als perfekt charakterisiert. In
den Gedanken heißt es:
Der edelste Kontur vereiniget oder umschreibet alle Teile der schönsten Natur und der idealischen Schönheiten in den Figuren der Griechen; oder er ist vielmehr der höchste Begriff in beiden. […] Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Überflüssigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die größten neueren Meister sind über diese nicht allezeit greifliche Grenze auf beiden Seiten zu sehr
260 Wahrscheinlich 1512 vollendet. Ursprünglich auf Holz, 1801 auf Lw. übertragen, 320x198 cm, heute Pinacoteca Vaticana, Inv. 329. 261 Zur Stellung der Kategorie Kolorit innerhalb von Heinses Kunstauffassung und Beschreibungspraxis ausführlicher in Kapitel 8.3.
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abgewichen. Derjenige, welcher einen ausgehungerten Kontur vermeiden wollen, ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen, in das Magere.262
Für Heinse geht es aber nicht um eine ‚reine’ Form, sondern um größtmögliche Lebensnähe.
Nur die Form, die trotz des kalten und harten Materials die Illusion von lebendigem, warmem
Fleisch erzeugen kann, entspricht Heinses Vorstellungen von großer Kunst. Aufschlussreich
ist in diesem Zusammenhang auch Heinses Kritik an Tizians Venus von Urbino (Abb. 6):
„Ihre Form macht einen starken Unterschied von der Griechischen [der Venus Medici, -J.B.].
Wie das Leben sich in dieser in allen Muskeln regt und sanft hervorquillt und hervortritt: und
bey der Venezianischen alles nur eine ausgedehnte Form ist!“ (FN I, 433 – N32, 166v.) Eine
weitere wichtige Vokabel der Kunstbeschreibungen ist das Attribut wollüstig, das Heinse zur
Charakterisierung von Körperformen, Gesichtsausdrücken, aber auch zur Beschreibung einer
Figur in ihrer Gesamtheit heranzieht.263 „Das Körperliche wird dir geistig werden“, heißt es in
Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Pariser Manuskript.264 Im Gegensatz zu
Winckelmanns idealischer Überhöhung der erotischen Anziehungskraft antiker Skulpturen
verweilt Heinses Wahrnehmung und Beschreibung genussvoll im Bereich des Körperlichen.
Das „Nackende“ stellt bei Heinse geradezu eine eigene künstlerische Kategorie dar, deren
Beherrschung einen Künstler in seiner Wahrnehmung bedeutend erhöhen kann.265
7.3 Heinses Selbstzensur. Die Entschärfung der erotischen Kunstbeschreibung Heinses Roman Ardinghello ist zu einem großen Teil aus den italienischen Aufzeichnungen
hervorgegangen.266 Die explizite Erotik der Kunstbeschreibungen wird jedoch im Roman
deutlich zurückgenommen. Allzu drastische Formulierungen werden getilgt oder
metaphorisiert. Baeumer weist darauf hin, dass die Übertragung von Heinses
„pornographischen Bildern“ in „gemäßigte Bilder von gleicher Anschaulichkeit“ nicht immer
262 Winckelmann, Gedanken, S. 15 und 16. 263 „Sie gehört unter die schönsten u wollüstigsten weiblichen Konturen.“ (FN I, 1076 – N23, 25v); „wollüstiger süß und kernfleischig gespaltner Rücken“ (FN I, 1215 – N26 ½, 87r); „hat etwas recht verführerisch wollüstiges im Gesicht“ (FN I, 1046 – N22, 52r-52v); „ein wollüstig Geschöpf“ (FN I, 1019 – N22, 21r). 264 Johann Joachim Winckelmann, Apollo-Beschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 156-158, hier S. 157. 265 So bemerkt er über den verehrten Raffael: „Alles Nackende, was zu unsern Zeiten am Menschen sichtbar ist, hat er in seiner Gewalt. An Gestalt ist keiner reicher als er, u darin fühlt er einige Gattungen von Seelenschönheit aufs lebendigste.“ (FN I, 1045f. – N22, 51v-52r.) 266 Vgl. Terras, S. 23. Baeumer stellt fest, dass über 90 % der Kunstbeschreibungen im Ardinghello aus den Reiseaufzeichnungen übertragen sind. Vgl. Max L. Baeumer, Nachwort, in: Wilhelm Heinse, Ardinghello und die glückseligen Inseln. Kritische Studienausgabe, hg. von Max L. Baeumer, Stuttgart 1975, S. 641-718, hier S. 684.
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gelingt.267 Offenbar gerät Heinse in eine Zwickmühle: In seiner Kunstauffassung fühlt er sich
weiterhin dem Genusskonzept verpflichtet, nach dem das Erkennen von Schönheit, im 18.
Jahrhundert noch ein unabdingbares Kriterium für Kunst, mit sinnlichem Begehren
weitgehend gleichgesetzt werden kann. Andererseits muss er sich bewusst sein, dass die
seiner Kunstauffassung entsprechende erotische Beschreibungsform ihn in den Augen der
literarischen Öffentlichkeit diskreditieren würde. Im Ardinghello folgt Heinse der „Forderung
nach ästhetischer Reinigung“268 - zumindest sprachlich sind die ekphrastischen Passagen
deutlich entschärft. Ein repräsentatives Beispiel ist die Beschreibung der Venus von Urbino
(Abb. 5) von Tizian. Die Aufzeichnungen enthalten mehrere Annäherungsversuche an das
Gemälde. Die erste in den Aufzeichnungen enthaltene Beschreibung der Venus ist laut
Bernauer das Resultat von Heinses erstem Besuch der Uffizien im Jahr 1781. In ihrer
sprachlichen Form ist die Beschreibung recht ausgefeilt.269 Sie wird ohne nennenswerte
Veränderungen als erster Teil der Venus-Beschreibung in den Ardinghello übernommen. In
elliptischen Sätzen charakterisiert Heinse die Venus als
Eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren mit schmachtendem Blick, bereit hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen, die an statt die Hand vorzuhalten schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt, und mit den zarten Fingerspitzen die regsamsten gefühligsten Nerven des höchsten Lebens berührt. Bezaubernde Beyschläferin und nicht Griechen Venus; Wollust und nicht Liebe; Körper und nicht Geist und Seele. (FN I, 433 – N32, 166r-v.)
Die späteren Beschreibungen der Venus stammen aus dem Jahr 1783. Heinse besucht auf der
Rückreise nach Deutschland noch einmal die Uffizien und fasst nun seinen Eindruck in
deutlichere Worte:
Sie giebt sich ganz preis, u wartet mit Verlangen furchtsamlich geil auf den Kommenden. Man siehts ihr deutlich an, daß schon alles Jungfräuliche durch u weggevögelt ist; es ist nur Schaam da vor mehrern zugleich, wenn sie auf einmal kommen sollten. Ihr Haar ist blond, kastanienbräunlich u schön verstreut über die rechte Schulter, u ein Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Schaam, in deren Ritze gerad die zwey ersten Finger der linken Hand mit den Koppen hinein fühlen, u die empor schwellenden Schenkel vorn sind äußerst wollüstig. […] Sie ist lauter Hurenhuld, es recht zu machen. (FN I, 1216 – N26 ½, 87v.)
Das Vokabular ist explizit-derb (geil, weggevögelt). Die Position der Finger wird ohne
metaphorische Verschleierung benannt. Die in der ersten Beschreibung bereits angedeutete 267 Baeumer, Nachwort, S. 694f. 268 Schindler, S. 79. 269 Der Grad der Bearbeitung ist hier und an anderer Stelle an dem Fehlen der bei Heinse sonst so geläufigen Abkürzungen (u für und, Elision von –ich-Endungen) und dem relativen syntaktischen Ebenmaß (im Gegensatz z.B. zu Drei- bis Vierfachattribuierungen in den Aufzeichnungen) erkennbar.
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Interpretation der dargestellten Figur als Prostituierte wird hier deutlicher. Heinses Blick
fokussiert auf der auch malerisch akzentuierten Partie von Unterleib und Schenkeln. Das
Heinsesche Lobesprädikat wollüstig kommt hier wieder zum Einsatz. Einige Seiten später
ergänzt Heinse seine Beobachtungen. Auch hier ist das Vokabular wieder von
charakteristischer Deutlichkeit:
Venus Tizians liegt gerad auf dem Arsch, und ein klein wenig kömt noch die linke Seite hervor. Die Mitte sollte mehr angezeigt seyn; so ist sie gar zu los gelassen bis zur Schlappheit. Aber ein rechtes Wollustferkel von den Hüften bis zu den Kniekehlen um den Hintern herum liegt sie da. Die Brüste sind herrlich angedeutet, besonders steht die linke empor spitz straff. (FN I, 1220 – N26 ½, 93r.)
Wieder fokussiert der Blick auf die erotischen Details des nackten Körpers. Das Gesicht der
Venus und der bedeutungsvolle Blick werden vollständig ausgespart. Deutlicher noch als in
der vorhergehenden Beschreibung kommt Heinses Deutung der Venus in dem Begriff
„Wollustferkel“ zum Ausdruck. Sauder liest diese Passage als Beispiel einer ausnahmsweise
nicht positiv konnotierten Sexualität und vermutet, dass Heinse an dieser Stelle Kritik an einer
zu ordinären sexuellen Bereitschaft übt.270 Allerdings deutet nichts auf eine negative
Konnotation hin. Im Gegenteil: Die Attribuierung als „Wollustferkel“ ist eine adversative
Ergänzung der vorhergehenden Kritik an der „Schlappheit“ der Figur und ist somit nicht als
Kritik, sondern als ‚schmutzige’ Form der Verbalerotik zu bewerten.
Im Ardinghello werden nur die Venus von Urbino und die ebenfalls in der Tribuna der
Uffizien aufgestellte Venus Medici als „wollüstig“ beschrieben.271 Der ‚sexualisierte Blick’
auf Werke der bildenden Kunst, der in den italienischen Aufzeichnungen deutlich zutage tritt,
wird im Roman zum verstohlenen Seitenblick.272 Die ausführlich erotisierende Beschreibung
tritt im Ardinghello nur im Zusammenhang mit prädestinierten Sujets auf. Die Darstellung
einer nackten Venus stellt einen solchen Fall dar. Auch im Ardinghello behält Heinse seine
270 Sauder, S. 89f. 271 In den anderen Kunstbeschreibungen wird die erotische Wirkung der weiblichen Figuren mit dem abgemilderten Begriff „reizend“ gefasst. 272 So gönnt sich Heinse z.B. einen ausführlichen Blick auf die Brüste der von Ardinghello gemalten Madonna: „Auch der Bube, so recht in Liebe erzeugt, trug die Spuren der vollen Wonne seines Werdens in der Gestalt; er hielt sich mit dem einen Händchen an der rechten halb entblößten Brust unter dem rötlichen Gewand an, und lächelte von der offnen straff geschwellten jugendlichen linken ab mit seinem blonden Köpfchen in die schöne Natur.“ (A 41.)
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Deutung der Venus als venezianisches Freudenmädchen bei, da diese Interpretation es ihm
ermöglicht, auch Tizian als einen ‚lebensnahen’ Maler zu verstehen.273
Diese ist eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit schmachtendem Blick, aufs weiße widerstrebende Sommerbett, im frischen Morgenlichte, faselnackend vor innrer Glut von aller Decke und Hülle, bereit und kampflüstern hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen; die, anstatt die Hand vorzuhalten, schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt und mit den Fingerkoppen die regsamsten gefühligsten Nerven ihres höchsten Lebens berührt. Bezaubernde Beischläferin und nicht Griechenvenus, Wollust und nicht Liebe, Körper bloß für augenblicklichen Genuß. […] Der Schatten an der Scham und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind äußerst wollüstig, so wie die jungen Brüste. Die großen gräulichtbraunen Augen mit den breiten Augenbrauen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sömmerlicher Lage, und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht’s ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Besorgnis vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht. Tizian wollte keine Venus malen, sondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichen Blut durchflossen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgendein andrer geleistet. (A 331f.)
Im Gegensatz zu den Aufzeichnungen erscheint die Beschreibung der Venus von Urbino im
Ardinghello deutlich entschärft. Die Entschärfung findet jedoch hauptsächlich auf der
lexikalischen Ebene statt.274 Die grundsätzliche Richtung der Beschreibung bleibt erhalten:
Keine Venus hat der Betrachter vor sich, sondern eine erfahrene Prostituierte. Allerdings ist
allzu derbes Vokabular getilgt bzw. durch harmlosere Begriffe ersetzt worden. Die
Berührungsfläche der Hand der Venus wird wieder zu den „regsamsten gefühligsten Nerven“
metaphorisiert, die Hurenhuld zur Huld verharmlost, und das Jungfräuliche, so formuliert
Heinse vorsichtig, ist gewichen. Die Venus wartet nicht mehr mit Verlangen furchtsamlich
geil (FN I, 1216) auf ihren Freier, sondern mit gierigem Verlangen furchtsamlich. Heinses
ambivalente Bemerkung über die Furcht vor mehreren Liebhabern zur gleichen Zeit (FN I,
1216) wird durch den Zusatz wegen der Eifersucht gleichsam entsexualisiert.
273 Das Freudenmädchen kann hier im Sinne von Kapitel 4.4 als ‚lebensweltlicher Anker’ betrachtet werden. 274 Auch Adam weist darauf hin, dass die Lesefassung zwar mit Rücksicht auf das Lesepublikum abgemildert worden sei, die Kunstbeschreibungen im Ardinghello jedoch ihre grundsätzliche Genussorientiertheit nicht verleugnen können. Vgl. Adam, S. 31.
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7.4 Ein gescheitertes Projekt Im Nachwort zum Ardinghello spricht Baeumer von Heinses „pornographischen Bildern“ in
den Beschreibungen von Gemälden und Statuen.275 Baeumer verwendet den Terminus, um
dem offensiv erotischen Charakter einiger Kunstbeschreibungen gerecht zu werden.
Allerdings suggeriert das Attribut pornographisch auch, dass es Heinse primär darum geht,
beim Rezipienten sexuelle Erregung hervorzurufen.276 Vor dem Hintergrund von Heinses
Kunstauffassung betrachtet, wird jedoch klar, dass die Imagination erotischer Szenarien, die
Baeumer als „pornographisch“ bezeichnet, sich nicht in ihrer Funktion als Stimulans sexueller
Erregung erschöpft.
Vielmehr ist es so, dass Kunst für Heinse nur über ihre Anbindung an die Sinnlichkeit
funktioniert, Schönheit nur als erotisches Interesse wahrgenommen werden kann. Nichts
könnte Heinse fremder sein als Kants Konzept vom „interesselosen Wohlgefallen“.277 Ihm
liegt nichts an einer klassizistischen Bereinigung der Schönheit des menschlichen Körpers, an
einer geistigen Überhöhung der sinnlichen Begeisterung. Während Zeitgenossen die erotische
Wirkung von nackten Gestalten entschieden abwehren, arbeiten Heinses
Kunstbeschreibungen mit dem „expressive[n] Gehalt des Erotischen und Sensualistischen“.278
Die Kunstbeschreibung als Erschließen von Wirkungen, wie sie Boehm charakterisiert
hatte,279 fokussiert auf die Wahrnehmung erotischer Wirkung als grundlegendes
Schönheitsempfinden. Dennoch, das kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden,
geht es immer noch um die Kunst und nicht um Stimulation sexueller Begierde als
Selbstzweck. Baeumers Formulierung vermittelt zwar einen Eindruck von der sprachlichen
Radikalität der Heinseschen Bilder, verfehlt aber den Kern der erotisierenden
Kunstbeschreibung.
Schiller hatte den Ardinghello als „sinnliche Karrikatur ohne Wahrheit und ohne ästhetische
Würde“280 abgelehnt. Wie Schindler aufzeigt, bezieht sich dieses folgenreiche Urteil auf die
bereits deutlich entschärfte Druckversion.281 Trotz der hier wie an anderen Stellen von Heinse
275 Baeumer, Nachwort, S. 694. 276 Laut Reinhard Döhl verfolgt pornographische Literatur den „ausschließlichen Zweck sexueller Stimulation.“ Reinhard Döhl, „Pornographische Literatur“, in: Metzler Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen, hg. von Günther und Irmgard Schweikle, Zweite, überarbeitete Auflage, Stuttgart und Weimar 1990, S. 359. Vgl. auch Gero von Wilpert, „Pornographie“, in: Sachwörterbuch der Literatur, hg. von Gero von Wilpert, Stuttgart 2001, S. 624-625. 277 Vgl. u.a. Sauder 1994, S. 69. 278 Hofmann, S. 231. 279 Boehm zufolge geht es Heinse darum, das Kunstwerk „als ein Gefüge von Wirkungen, als ein Parallelogramm von Kräften“ zu erschließen. Boehm, Anteil, S. 37. 280 Zit. nach: Leitzmann, S.36. 281 Vgl. Schindler, S. 79.
65
vorgenommenen Selbstzensur erregt der Roman Anstoß. Was hätte Schiller erst über die
Aufzeichnungen gedacht? Der andere ‚große’ Zeitgenosse Heinses, Goethe, kritisiert die
übermäßige Sinnlichkeit der Kunstbeschreibungen im Ardinghello: „Jener [der Ardinghello, -
J.B.] war mir verhaßt, weil er Sinnlichkeit und abstruse Denkweisen durch bildende Kunst zu
veredeln und aufzustutzen unternahm […].“282 Goethe erkennt Heinses Projekt der
erotisierenden Kunstbeschreibung nicht an. Auch als heutiger Leser ist man durch die
ungewöhnlich deutliche Verbindung von Kunst und Erotik eher befremdet als ergriffen. Heute
wie damals drängen sich angesichts der schier endlosen Reihe von Brüsten, Hintern und
Schenkeln Zweifel auf: Darf man Kunst so sehen? Auch Heinse hat sein Projekt wohl, dafür
sprechen die selbstzensorischen Maßnahmen, als gescheitert erkannt.
8 Komposition, Zeichnung, Kolorit. Die Formeln der Gemäldebeschreibung
In den vorangehenden Kapiteln wurde versucht, einige von Heinses innovativen Strategien
zur Beschreibung von Kunst darzustellen. Neben ihrer Neuartigkeit weisen Heinses
Kunstbeschreibungen jedoch auch einen formalisierenden Aspekt auf, der in den
Aufzeichnungen mal stärker, mal weniger stark zutage tritt. Bei aller literarischen
Eigenständigkeit und Originalität bedient sich Heinse doch in hohem Maße traditioneller
Kunstbeurteilungskategorien (wie z.B. Zeichnung, Kolorit und Komposition), um mit ihrer
Hilfe das Kunstwerk nach seinen formalen Kriterien ‚abzuarbeiten’. Einerseits erschließt
Heinse neue Perspektiven auf Gemälde und Skulpturen, andererseits ist er in hohem Maße
von traditionellen Beschreibungsmustern abhängig. Gerade im Bereich der
Gemäldebeschreibung setzt Heinse häufig die ‚Formeln’ der Kunsttheorie an die Stelle einer
detaillierten Erfassung der technischen Aspekte eines Bildes.
8.1 Die Etablierung der Beurteilungskategorien für Gemälde Rebel weist darauf hin, dass die Kunstbeschreibung an sich kaum als eigene Textsorte zu
bezeichnen ist, da es keine gattungsspezifischen sprachlichen Formen gebe.283 Bei der
Kunstbeschreibung handelt es sich um eine Textform, die durch ihren Gegenstand und nicht
durch ihre Form definiert ist. Trotzdem weist die Textform besonders auf dem Gebiet der
Gemäldebeschreibung eine hohe formale Konstanz auf, die der wirkungsmächtigen
Zergliederung des Bildes in seine Bestandteile durch die Kunsttheorie der italienischen
282 Zit. nach: Leitzmann, S. 33. 283 Rebel, Bis Winckelmann, S. 13.
66
Renaissance geschuldet ist. Leon Battista Alberti legt 1436 in seinem Traktat De Pictura284
die Kategorien Zeichnung („Umschreibung“), Komposition, und Kolorit (bzw. „Lichteinfall“)
als die wesentlichen Kriterien der Malerei fest.285 Hiermit schafft er die Grundlage für einen
Klassifikationskatalog für Gemälde, dem später als wesentliche Kategorien Idee, Ausdruck,
Draperie und Licht/ Schatten hinzugefügt werden.286
Die Erfassung von Gemälden nach diesen formalen Kriterien stellt die bedeutendste
strukturelle Konstante der Textform Kunstbeschreibung dar. Von der italienischen
Kunsttheorie etabliert und vom französischen Akademismus im 17. Jahrhundert
institutionalisiert, bleiben die Beurteilungskategorien im Prinzip so lange gültig, bis die
Malerei sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfassung nach traditionellen Kriterien entzieht.
Für das 18. Jahrhundert wurden die grundlegenden Klassifikationskriterien nochmals von
Anton Raphael Mengs in seiner Schrift Gedanken über die Schönheit und über den
Geschmack in der Malerei kodifiziert.287 Heinse hat diese Schrift, wie auch Christian Ludwig
Hagedorns Betrachtungen über die Mahlerey, in denen die Kategorien Komposition,
Zeichnung und Kolorit ausführlich behandelt werden, gründlich studiert.288 Es ist
anzunehmen, dass Heinse mit den Begrifflichkeiten der Kunsttheorie und Ästhetik zunächst
über die Schriften seiner Lehrer, besonders die Theorie der schönen Künste und
Wissenschaften seines Erfurter Professors Friedrich Justus Riedel, bekannt geworden war.289
Spätestens für die Zeit des Italienaufenthaltes ist jedoch von einer persönlichen Kenntnis von
Mengs’ Gedanken und Hagedorns Betrachtungen auszugehen.290
Innerhalb des Klassifikationssystems für Kunst gibt es eine strenge Hierarchie, die im Prinzip
bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht aufgehoben werden kann. Seit den
kunsttheoretischen Traktaten der italienischen Renaissance wird das Kolorit der Komposition
oder der Zeichnung untergeordnet. Die italienische Kunsttheorie des Quattrocento hatte den
Begriff des disegno etabliert um die Malerei als geistige Tätigkeit im Sinne der artes liberales
284 Albertis Traktat existiert in lateinischer, italienischer und toskanischer Fassung. Im Folgenden wird die von Bätschmann besorgte Übersetzung der lateinischen Fassung verwendet. Leon Battista Alberti, Die Malkunst, in: Ders., Das Standbild, Hg., eingel., übers. und komm. von Oskar Bätschmann, unter Mitarbeit von Kristine Patz, Darmstadt 2000, S. 194-315. 285 Alberti betrachtet die Farben als Ergebnis von Licht und Schatten und bezeichnet das Kolorit deshalb als „Lichteinfall“. Vgl. Alberti, S. 247. 286 Vgl. Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung, S. 164. Im Folgenden sollen die kunsttheoretischen Termini, die zur Beschreibung eines Gemäldes traditionell eingesetzt werden, als Kategorien der Beschreibung bzw. der Beurteilung bezeichnet werden, da sie Grundbegriffe des Verstehens von Kunst darstellen. 287 Vgl. Pfotenhauer, Um 1800, S. 40; Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 688. 288 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 686. 289 Vgl. Terras, S. 24. 290 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 687.
67
vom Handwerk abzugrenzen.291 Bereits Alberti vertritt die Idee, dass das Kolorit im
Gegensatz zum disegno nicht das Wesen des darzustellenden Gegenstandes erfassen könne,
sondern lediglich dazu diene, ihm zusätzliche sinnliche Attraktivität zu verleihen.292 Die von
Alberti angedeutete Hierarchie der Kategorien wird von Vasari als feste Größe der
Kunsttheorie installiert. Die Farbgebung eines Gemäldes ist bei Vasari nur die materielle
Vollendung eines geistigen Entwurfs, der sich in der Zeichnung unmittelbar ausdrückt.293 Der
disegno, nicht die Farbe, gilt ihm als Grundlage der Künste. In der Vorrede zum Gesamtwerk
der Viten schreibt Vasari: „Und so sage ich, daß Skulptur und Malerei in Wahrheit
Schwestern sind, die von einem Vater – dem disegno – abstammen und aus einer Geburt
zugleich hervorgegangen sind […].“294
Von hier aus entsteht im 17. Jahrhundert im Umkreis der französischen Akademie die
Vorstellung eines Antagonismus’ von disegno und colore. Im Gegensatz zur
wesenserfassenden Kategorie der Zeichnung, die einer geistigen Tätigkeit entspringt und den
Geist des Betrachters ansprechen soll, wird die Farbe als bloße Augenfreude diskreditiert, als
zufällige äußere Erscheinung der Materie. Der Gegensatz, wie Rosen aufzeigt, kann als einer
zwischen „Substanz“ und „Akzidenz“ gefasst werden.295 Trotz wiederkehrender Versuche, die
akademische Hierarchie der Kategorien zu durchbrechen,296 bleibt die Vorrangstellung der
Zeichnung als primärem Ausdruck der geistigen Dimension der Kunst der Leitgedanke der
Kunsttheorie und –kritik bis ins 18. Jahrhundert. Seit Vasari, so kann man die Entwicklung
abkürzen, dominiert der disegno.297 Im 18. Jahrhundert wurde die tradierte Hierarchie von der
291 Disegno lässt sich mit „Zeichnung“ übersetzen, meint jedoch nicht nur das Resultat der Tätigkeit des Zeichnens, sondern erscheint vor allem bei Vasari und Doni im Sinne eines „mentalen Habitus“. In diesem Sinne ist auch die spätere Unterscheidung zwischen disegno interno und disegno esterno zu verstehen. Vgl. Wolfgang Kemp, Disegno. Beiträge zu einer Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19 (1974), S. 219-240, hier S. 225. 292 Alberti, S. 281f. 293 Vgl. Sabine Feser, „Kolorit“, im Glossar zu: Giorgio Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übers. von Victoria Lorini, hg., eingel. und komm. von Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 231. 294 Giorgio Vasari, Vorrede des Gesamtwerks, in: Ders., Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übers. von Victoria Lorini, hg., eingel. und komm. von Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 27-42, hier S. 39. Zur Entwicklung des disegno-Begriffs siehe auch Kemp. 295 Vgl. Valeska von Rosen, „Disegno und Colore“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 71-73, hier S. 72. 296 Puttfarken nennt als wichtigste Verteidiger des Kolorits gegen den disegno Roger de Piles und Eugène Delacroix und bemerkt, dass selbst sie Schwierigkeiten hatten, sich gegen die herrschende Hierarchie durchzusetzen. Vgl. Thomas Puttfarken, The Dispute about Disegno and Colorito in Venice: Paolo Pino, Lodovico Dolce and Titian, in: Peter Ganz, Martin Gosebruch, Nikolaus Meier und Martin Warnke (Hgg.), Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 75-99, hier S. 78. 297 Vgl. Von Rosen, S. 72.
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klassizistischen Kunsttheorie, die sich auf die klassische Antike und ihre italienische
‚Wiedergeburt’ berief, nochmals bestätigt.
Während Alberti Komposition, Umschreibung und Lichteinfall als Bestandteile des Bildes
und somit als Fertigkeiten des Künstlers behandelt, werden diese Kategorien in Giorgio
Vasaris Viten als grundlegende Kriterien der Kunstbeschreibung kodifiziert. Sie entwickeln
eine gesamteuropäische Wirkung, der sich bis ins 19. Jahrhundert niemand, der sich
literarisch mit Kunst auseinandersetzt, entziehen kann. Jedoch zeigt sich im Gebrauch der
Kunstbeurteilungskategorien eine Tendenz zum Schlagwortartigen – sie verbrauchen sich
schnell zum bloßen ‚Jargon’ der literarischen Kunstbeschreibung. Zu dieser
Entkonkretisierung der Begriffe hat sicherlich die Tatsache beigetragen, dass die
Beschäftigung mit Kunst im 18. Jahrhundert nicht mehr Hoheitsgebiet des Künstlers war,
sondern sich vielmehr zur Domäne des ‚Kunstkenners’ entwickelt hatte.298
Auch Heinse ist kein bildender Künstler. Seine Kenntnisse der Malerei sind rein theoretisch.
Diesem Umstand ist es wohl auch geschuldet, dass er sich im Prinzip nicht für die
‚Produktion’ von Kunst interessiert und in seinen Beschreibungen sehr stark auf die ihn
unmittelbar angehende Wirkung der Kunstwerke fokussiert. Seine Verwendung der
traditionellen Beurteilungskategorien zeigt an vielen Stellen eine Tendenz zum Formelhaften.
Als „formelhaft“ sollen diese Passagen deshalb bezeichnet werden, weil Heinse sich in ihnen
der traditionellen Kategorien der Kunstbeschreibung gleichsam anstelle einer ausführlichen
formalen Bildbeschreibung bedient. In den folgenden Abschnitten soll gezeigt werden, wie
Heinse die traditionellen Kategorien zum einen gewissermaßen als ‚Platzhalter’ einer
formalen Beschreibung anwendet und sie zum anderen in seinem Sinne umdeutet und in den
Dienst seiner Kunstauffassung stellt.
8.2 ‚Platzhalter’ der formalen Bildbeschreibung Um einen korrekten Eindruck von Heinses Verwendung der etablierten
Kunstbeurteilungskategorien zu gewinnen, muss man sich zunächst einen Überblick über sein
‚Vokabular’ verschaffen. Wie bereits in den Gemäldebriefen arbeitet Heinse auch in den
298 Das 18. Jh. prägt für den nicht selbst künstlerisch tätigen Kenner den Begriff des „Kunstrichters“. In Sulzers Allgemeiner Theorie wird dieser als dem Künstler überlegen definiert: „Zwar scheint es, dass der Künstler auch der beste Richter über die Kunst sein sollte. Wenn man aber bedenkt, wie viel Zeit, Nachdenken und Fleiß die Ausübung erfordert; so lässt sich begreifen, dass ein zur Kunst geborenes Genie, (und ein solches muss der Kunstrichter sein) das sich selbst mit der Ausübung nicht beschäftigt, in gar vielen zur Kunst gehörigen Dingen noch weiter sehen muss als der Künstler selbst.“ Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Frankfurt und Leipzig 1771-1774 (1. Aufl.), online verfügbar unter: <http://www.textlog.de/sulzer_kuenste.html> (abgerufen am 29.09.2007).
69
italienischen Aufzeichnungen mit den.‚klassischen’ Beurteilungskategorien Komposition,
Kolorit, Zeichnung, Ausdruck, Stellung der Figuren, Licht und Schatten und Draperie. Die
Bedeutung, die er den einzelnen Kategorien beimisst, lässt sich am besten aus der
Beschreibungspraxis erkennen. Bei weitem am häufigsten ruft Heinse die Kategorie des
Ausdrucks auf, die bereits für Vasari entscheidend war. An zweiter Stelle folgt der Begriff des
Kolorits. Die Kategorie Zeichnung verwendet Heinse weniger häufig, sie ist jedoch immer
noch zu den ‚Kernkategorien’ zu rechnen. Grundsätzlich machen Kategorien des Malerischen
(Kolorit, Fleisch, Nackendes, Täuschung) einen größeren Anteil an Heinses
Gemäldebeschreibungen aus als solche des Zeichnerischen (wie z.B. Zeichnung, Kontur oder
Form).299
Neben den umfangreichen Beschreibungen, in denen sich Heinse den
Betrachtungsgegenständen wieder und wieder aus verschiedenen Perspektiven nähert und zu
nahezu epischen Beschreibungsformen findet, stehen in den italienischen Aufzeichnungen
ekphrastische Klein- und Kleinstformen, die Schipper-Hönicke als „Miniaturen“
bezeichnet.300 Innerhalb solcher Kleinformen tritt gelegentlich eine frappierende
Formelhaftigkeit auf. So gibt es bestimmte Phrasen, die in den Gemäldebeschreibungen
immer wieder auftauchen, aber nie näher erläutert werden, sondern in ihrer Formelhaftigkeit
als eine Art abgekürzte Beurteilung fungieren. Die Bewertung der künstlerischen Arbeit
erfolgt meistens durch Formeln wie „meisterhaft gemahlt u gezeichnet“ (FN I, 1005 – N22,
5r), „fürtrefl. gezeichnet u colorirt“ (FN I, 1010 – N22, 10v) oder „sehr brav gezeichnet u
gemahlt“ (FN I, 1014 – N22, 14r). Ebenso bedient sich Heinse der Formel „schönes Kolorit“
(FN I, 1216 – N26 ½, 87v) oder „gutes Kolorit“ (FN I, 1033 – N22, 35v), ohne im Einzelnen
darauf einzugehen, wie der Betrachter sich ein „schönes Kolorit“ vorzustellen hat.
Die von der Kunsttheorie kodifizierten Begriffe haben im Laufe der Jahrhunderte eine solche
Bedeutungsschwere entwickelt, dass sie im Rahmen der Kunstbeschreibung ohne weiteres als
‚Platzhalter’ für eine detaillierte formale Beschreibung fungieren können. Man bedient sich
ihrer gleichsam als Kürzel für die Beschreibung des Gesehenen. Die Beobachtung, dass die
Farben eines Gemäldes miteinander harmonieren, nicht zu grell sind, zur plastischen Wirkung
299 Die Unterscheidung des Malerischen und des Linearen folgt hier im Wesentlichen Wölfflins Definition: „Der zeichnerische Stil sieht in Linien, der malerische in Massen. Linear sehen heißt dann, daß Sinn und Schönheit der Dinge zunächst im Umriss gesucht werden […], daß das Auge den Grenzen entlang geführt und auf ein Abtasten der Ränder hingeleitet wird, während ein Sehen in Massen da statthat, wo die Aufmerksamkeit sich von den Rändern zurückzieht, wo der Umriß dem Auge als Blickbahn mehr oder weniger gleichgültig geworden ist und die Dinge als Fleckenerscheinungen das Primäre des Eindrucks sind.“ Heinrich Wölfflin, Kunsthistorische Grundbegriffe, Dresden 1983, S. 27f. 300 Gerold Schipper-Hönicke, Im klaren Rausch der Sinne. Wahrnehmung und Lebensphilosophie in den Schriften und Aufzeichnungen Wilhelm Heinses, Würzburg 2003, S. 19.
70
des Gemäldes beitragen und ganz allgemein das Auge erfreuen, kann mit der
kunstliterarischen Formel „schönes Kolorit“ verständlich abgekürzt werden.301
Heinses Gemäldebeschreibungen sind nicht primär an den technischen Aspekten der Malerei
interessiert. Möglicherweise ist hierin der Grund dafür zu sehen, dass Heinse dazu neigt,
traditionelle Beurteilungskategorien ‚gebündelt’ anzuwenden. Neben Passagen relativer
struktureller und inhaltlicher ‚Freiheit’ stehen Sätze, die im Prinzip nur eine Anhäufung von
Beurteilungskategorien darstellen. So folgt dem Lob eines vermeintlichen Porträts der
Johanna von Aragon302 ein Satz, der abgekürzt die Quintessenz von Heinses Urteil über die
künstlerische Qualität des Bildes beinhaltet:
Von Leonardo da Vinci das beste weibliche Porträt von ihm vielleicht jetzt in ganz Italien, wenigstens werden äußerst wenige von seinen vollkommnen Sachen so gut erhalten seyn. Die Wahrheit des Charakters in Zeichnung und Farbe ist zum Verwundern u schlägt alles neben ihm nieder. (FN I, 1026 – N22, 28r. Hvhb. J.B.)
Heinse erfasst zwar die Wirkung der künstlerischen Qualität, scheint jedoch in keiner Weise
daran interessiert zu sein, zu erläutern, wie diese Wirkung zustande kommt. „Die Wahrheit
des Charakters in Zeichnung und Farbe“ wird als absolute Gegebenheit, nicht als Ergebnis
eines technischen Prozesses konzeptualisiert.
Ähnliche Anhäufungen von Kategorien finden sich an vielen Stellen in den Aufzeichnungen.
Über ein Gemälde von Sebastiano del Piombo303 bemerkt Heinse: „Eine erstaunliche Natur im
Kolorit, das Fleisch die reinste Wahrheit; ein außerordentlicher Zauber der Farben am
Gewand u der Landschaft durchs Fenster.“ (FN I, 1012 – N22, 12v. Hvhb. J.B.) Alle für ihn
im Augenblick der Betrachtung erfassbaren Aspekte des Kunstwerks werden komprimiert in
einem Satz ‚abgearbeitet’. Die Beschreibung der Drei Grazien von Rutilio Manetti304 beendet
Heinse mit dem Urteil: „Die Grazie vom Rücken ist ein Meisterstück, fürtrefl. gezeichnet u
colorirt u in Licht u Schatten gehalten.“ (FN I, 1010 – N22, 10v.) Ebenso ist auch der letzte
Satz zu Domenichinos Diana mit Nymphen beim Spiel305 als eine Art ‚Platzhalter’ einer
301 Dabei hängt es jeweils von der zeitgenössischen Kunsttheorie und -praxis ab, womit diese ‚Formel’ gefüllt ist. 302 Öl/ Lw., 124,7x99 cm, Galleria Doria-Pamphilj, Inv. 358; l1. Tatsächlich stammt das Gemälde weder von Leonardo noch stellt es Johanna von Aragon dar. Es handelt sich vielmehr um eine Kopie nach Raffaels und Giulio Romanos Bildnis der Vizekönigin von Neapel, Dona Isabela de Requesens y Enriquez de Cardona-Anglesola. 303 Verschollen. Wiecker nimmt an, es könnte sich um eine Kopie der Dorothea in Berlin handeln. Vgl. Rolf Wiecker, Wilhelm Heinses Beschreibung römischer Kunstschätze: Palazzo Borghese – Villa Borghese, Kopenhagen 1977, S. 83. 304 Freie Kopie nach Raffael, Öl/ Lw., 33x38 cm, Rom, Galleria Borghese. Bei Heinse als Werk Giulio Romanos geführt. 305 Öl/ Lw., 225x320 cm, Rom, Galleria Borghese.
71
detaillierten formalen Bildbeschreibung zu verstehen: „Uebrigens sieht man immer den
Meister in einigen schönen Figuren, die meistens meisterl. gezeichnet sind, u einige auch
schön colorirt. Die Scene ist ein Vorgrund von einem Walde.“ (FN I, 1013 – N22, 12v.)
Die Knappheit, in der sich Heinse über die formalen Aspekte eines Gemäldes äußert, kann
sein eklatantes Desinteresse an der ‚künstlichen’ Seite der Kunst illustrieren. Die technischen
Elemente der Malerei, so paradox es auch klingen mag, scheinen nur dann seine
Bewunderung zu verdienen, wenn sie nicht als solche hervortreten. Ein Gemälde darf keine
Spuren seiner Entstehung zeigen, sondern muss den Betrachter in die dargestellte Welt
entführen, bevor er sich der eigentlichen Beschaffenheit des Bildes (d.h. der bemalten
Leinwand) bewusst werden kann. Diesem ‚Credo’ verleiht Heinse in seinen Aufzeichnungen
zu Gemälden in der Villa Doria-Pamphilj Ausdruck:
Jedes Bild muß leicht weg gemacht scheinen, weil es nur einen Moment Zeit, oder gar keine enthält. Aller Fleiß stört in der Täuschung, man darf gar keinen merken, es muß wie hingezaubert seyn. Wie eine schöne Phantasie im Kopfe auf einmal an die Wand; Ein Blick verträgt sich nicht mit den Spuren von Jahrelanger Arbeit. (FN I, 1023 – N22, 24v.)306
Wie bereits gezeigt wurde, gilt Heinses primäres Interesse der täuschenden Wirkung des
Gemäldes und seiner Macht über die Einbildungskraft des Betrachters. Deshalb erregen die
formalen Aspekte der künstlerischen Umsetzung nicht im gleichen Maße Heinses
Aufmerksamkeit und fließen auch nicht im gleichen Umfang wie die Beobachtungen zu
Charakter und Ausdruck der Figuren in die Kunstbeschreibungen ein. Die Überzeugung, dass
technische Perfektion noch kein bewegendes Kunstwerk ausmacht, spricht auch aus der
Beschreibung von (ausgerechnet!) Mengs’ Fresken in der Stanza dei Papiri307:
...für den Menschen von Gefühl u Verstand ist wenig darin; für den bloßen Künstler ist es das höchste der neuern Kunst. Die Buben sind ein Meisterwerk von Formen, von Zeichnung und Kolorit durch alle Theile […] aber alles greift nicht ein, und thut keine Wirkung: man bleibt kalt dabey, nichts ist von innerm Leben erfüllt […]. (FN I, 985 – N11, 43v-44r.)
Pfotenhauer legt dar, dass die formalen Gesichtspunkte der Bildbeschreibung bei Heinse nicht
so stark betont werden, weil sie „Distanz und Abstraktionsbereitschaft fordern und die
Hermeneutik der Verlebendigung, der Lebenswärme, kalt konterkarieren würden.“308 In den
Passagen, in denen sich Heinse dennoch mit der Form der künstlerischen Umsetzung befasst,
306 Zu Heinses Abneigung gegen den „Fleiß“ siehe auch Elliott, S. 92. 307 Anton Raffael Mengs, Allegorie auf das Museum Clementinum, Vatikan, Stanza dei Papiri. 308 Pfotenhauer, Um 1800, S. 44.
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ist die Beschreibungssprache deutlich stärker von den traditionellen ‚Formeln’ der
Kunsttheorie geprägt.
Wenn Heinse nun aber gar nicht an den ‚künstlichen’ Elementen der Malerei interessiert ist,
warum fließen sie dann zu einem so großen Teil und in dieser Form in seine Aufzeichnungen
ein? Es entsteht der Eindruck, dass die Agglomerationen von Beurteilungskategorien in
Heinses italienischen Kunstbeschreibungen als ‚Platzhalter’ für eine formale
Bildbeschreibung fungieren, die Heinse im Moment der Betrachtung nicht leisten kann oder
nicht leisten will. Heinse scheint sich jedoch bewusst zu sein, dass eine Beschreibung, die
ausschließlich als ‚Durchblick’ auf das Dargestellte konzipiert wäre, den formalen
Anforderungen an eine literarische Kunstbeschreibung nicht genügen würde. Am 9.
September 1782 schreibt er an Jacobi: „Ich habe mich seither in das Studium der Kunst so
vertieft, daß ich gar nicht heraus kann; doch werden die Künstler am Ende wenig mit mir
zufrieden seyn.“309 Aus diesen Zeilen spricht das Bewusstsein für die Problematik des eigenen
Blicks auf Kunst. Heinse ist sich darüber im Klaren, dass seine Beschreibungen nicht das
erfassen, was Künstler an Gemälden und Skulpturen interessieren würde – die kunstvolle
Gemachtheit. Statt für die Kunst interessiert sich Heinse für die „Natur in der Kunst“.
Heinse ist jedoch mit ekphrastischen Textformen ausreichend vertraut, um zu wissen, dass
eine Bildbeschreibung, die sich von etablierten Mustern vollständig emanzipiert und in keiner
Weise auf die kunstvolle Gemachtheit des Kunstwerks eingeht, vom Lesepublikum
bestenfalls als Phantasie abgetan werden würde. Obwohl die Aufzeichnungen selbst natürlich
nicht für die Öffentlichkeit konzipiert sind, stellen sie doch potenzielle Vorstufen für an das
Lesepublikum adressierte Texte dar. In den Briefen an Jacobi äußert sich Heinse mehrfach
über literarische Projekte. Im Frühjahr 1783 trägt sich Heinse mit Plänen für ein „Journal“.
Am 22. März schreibt er an Jacobi:
Das Journal hieß Italiänische Bibliothek nebst Nachrichten von Kunstsachen, und käme monatlich oder auch vierteljahrsweise heraus; enthielt: eigne Aufsätze über Italiänische litteratur, und Kunst überhaupt, als Mahlerey, Bildhauerkunst, Architektur, Musik; Auszüge aus den neusten schriften und Urtheile darüber und den ältern von zehn bis zwanzig Jahren […] und noch ungedruckten Handschriften aus dem Vorrath der welschen Bibliotheken; lebensbeschreibungen von jüngst verstorbnen Gelehrten und Künstlern, und den berühmtesten noch lebenden […] Neuigkeiten und unbemerkte interessante Dinge von Rom, Neapel. Venedig, Mayland, Florenz p […] Anzeige der jüngsten Arbeiten der Künstler […] Bekanntmachung der neu aufgefundnen Antiken seit Winckelmann […]
309 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 4.
73
(Die Abschriften der besten Opernscenen […].)310
Der Plan für Heinses Italiänische Bibliothek wurde nicht realisiert. Im Januar 1784, dem
Termin, den er als Erscheinungsbeginn anvisiert hatte, befindet sich Heinse bereits wieder in
Deutschland. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Heinses Produktion von
Kunstbeschreibungen in Italien von dem Hintergedanken an „eigne Aufsätze“ in diesem oder
einem ähnlichen Medium getragen wurde.311
Am 13. Oktober 1782 hatte Heinse gegenüber Jacobi ein weiteres literarisches Projekt
erwähnt: „Inzwischen hätt’ ich Ihnen doch schon vieles über Neapel und andre Oerter
unterwegs geschrieben, wenn ich nicht gerad an einem Werke brütete, worin verschiedne
Scenen dahin versetzt sind; und ich mag nichts doppelt beschreiben.“312 Hier wird wiederum
deutlich, dass Heinses Aufzeichnungen auch in ihrer fragmentarischsten Gestalt mit einer
(wenn auch noch unbestimmten) literarischen Absicht verfasst worden sind.313 Ein Blick auf
die von Heinse notierten Titel der Notizhefte bestärkt diese These: Die
Gemäldebeschreibungen aus Rom, so notiert Heinse später auf dem Umschlagblatt von N22,
seien „zur Stärkung der Rückerinnerung“ entstanden (FN I, 1001). Auch N17, das die
Beschreibungen von Raffaels Stanzen im Vatikan enthält, wird im Titel für eine spätere
Verwendung bestimmt: „Auszüge und Beschreibungen zu sehr auf dem Raub für die
wichtigen Gegenstände; doch immer gut für die Zukunft“ (FN I, 1085).314
Vor diesem Hintergrund ist Heinses Kunstbeschreibungspraxis in den italienischen
Aufzeichnungen eher als Produktion von ‚Werkteilen’ für eine spätere literarische
Verarbeitung zu verstehen. Auch Bernauer merkt an, dass der Blick in die Aufzeichnungen
Heinses vor allem als „Einblick in eine Autorenwerkstatt des 18. Jh.s“ aufschlussreich sei.315
Aus dem Charakter der Gemäldebeschreibungen als potenzielle Vorstufen literarischer
310 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 134f. 311 Zu Heinses literarischen Plänen in Italien siehe auch Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 22. 312 Am 13. Oktober 1782 aus Rom an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 58. Ob es sich bei dem erwähnten Projekt um eine Vorstufe des Ardinghello handelte, ist ungeklärt. Zumindest belegt Heinses Bemerkung, dass es bereits in Italien Pläne zu einer literarischen Verarbeitung des Gesehenen gab. Vgl. Terras, S. 22. 313 Wie Bernauer anmerkt, enthalten die Notizhefte auch Entwürfe für Briefe an Friedrich Heinrich und Betty Jacobi, die offenbar bewusst im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung als Reisebriefe konzipiert sind. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 284. 314 Bernauer merkt hierzu an, die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen „hätten sich tatsächlich für ihre Ausarbeitung zu Journalbeiträgen geeignet, weil sie vielfach verwendbar gewesen wären.“ Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 298. 315 „Sie sind keine Tagebücher, sie sind aber auch keine Materialsammlungen, wie sie beispielsweise Winckelmann oder Jean Paul in ihren Exzerptsammlungen anlegten. Schon von Anfang an sind Heinses Aufzeichnungen beides, Sammlungen von Lektürefrüchten und die Kommentare dazu – und schließlich auch oft die Ergebnisse davon.“ Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 279.
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Veröffentlichungen erklärt sich der eigentümliche Gebrauch von traditionellen Kategorien zur
Beurteilung von Gemälden. Sie dienen als ‚Platzhalter’ einer formalen Beschreibung, die
Heinses Auffassung von bildender Kunst eigentlich fremd ist. Die Erfassung der Lebendigkeit
des Dargestellten, der „Natur in der Kunst“, nimmt bei Heinse oft sprachliche Formen an, die
einen Eindruck der rauschhaften Begeisterung vermitteln.316 Hingegen kann sich die
sprachliche Gestalt der Beschreibung der ‚künstlichen’ Aspekte eines Gemäldes zur bloßen
Formel versteifen. Diese beiden Aspekte stehen in Heinses italienischen Aufzeichnungen
nebeneinander und verbinden sich zu der für Heinse charakteristischen Art der
Kunstbeschreibung zwischen innovativer Form und traditioneller Formel. Zum einen mag die
Anwendung der Beurteilungskategorien tatsächlich einen systematischen Nutzen für die
„Rückerinnerung“ gehabt haben. Zum anderen muss die starke Formalisierung jedoch auch
im Hinblick auf Heinses Reputation als Kunstschriftsteller als ein Kompromiss zwischen
Innovation und Tradition betrachtet werden.317
8.3 Heinses Umdeutung der Klassifikationskriterien am Beispiel des Kolorits Wie soeben gezeigt wurde, verwendet Heinse die Beurteilungskategorien der Kunsttheorie
kontinuierlich, jedoch in auffälliger Knappheit und Formalität. Terras untersucht die Herkunft
von Heinses ‚ästhetischen’ Grundsätzen und betont die Bedeutung von Mengs’ Gedanken
über die Schönheit. Aus Heinses häufiger Verwendung der bei Mengs nochmals befestigten
Beurteilungskategorien schließt Terras, er habe die Malerei mit Mengs gesehen wie er die
Skulptur mit Winckelmann gesehen habe.318 Die Übereinstimmung mit Mengs ist jedoch nur
vordergründig. Heinse übernimmt zwar die Beurteilungskategorien als Instrumentarium der
Kunstbeschreibung, macht sich jedoch nicht die ästhetische Hierarchie zu Eigen, die Mengs’
Verwendung der Begriffe impliziert.
Pfotenhauer stellt bereits für die Gemäldebriefe fest, dass Heinses Verwendung der
Beurteilungskategorien nicht als eine widerspruchslose Übernahme der Tradition zu verstehen
ist:
Es ist höchst bezeichnend, wie Heinse sie [die Beurteilungskategorien, -J.B.] aufgreift, Zugeständnisse mithin macht an die Tradition und an den herrschenden
316 Charakteristisch ist vor allem Heinses Verwendung des ‚enthusiastischen Superlativs’, die begeisterten Ausrufe besonders in den späteren italienischen Kunstbeschreibungen und die relative Länge der Sätze, die oft aus vielen, durch Semikola getrennten Einzelbeobachtungen bestehen. 317 In diesem Zusammenhang sei auf die starke Legitimationsfunktion hingewiesen, die von der (korrekten) Anwendung von Fachtermini ausgeht. Auch Heinse wird sich bewusst gewesen sein, dass die Beherrschung des formalen Beschreibungsvokabulars seiner Anerkennung als Kunstkenner förderlich sein würde. 318 Vgl. Terras, S. 83f.
75
Geschmack, um die Klassifikation dann aber sofort in seinem Sinne, nämlich vitalistisch und gegenwarts- statt antikebezogen, umzudeuten.319
Pfotenhauer illustriert diese Umdeutung am Beispiel der grundlegenden Bemerkungen zu den
traditionellen Klassifikationskriterien von Malerei zu Beginn der Gemäldebriefe. Zwar
entspricht die Hierarchie der Kategorien hier derjenigen der zeitgenössischen Kunsttheorie,
die besonders auf die Zeichnung als Ausdruck der Idee abhebt.320 Allerdings ist die etablierte
Theorie mit Heinses eigenen Vorstellungen vermischt.
Also auch in der Mahlerey: zuvor das Göttliche, Idee und Zusammensetzung. Dann Zeichnung: Form, Gefäß des Göttlichen, Leben; dann Erscheinung daraus, Kolorit: Puls und Lebenswärme. Die wesentlichsten Stücke der Kunst, ohne die das Göttliche nicht bestehen kann. Dann Licht und Schatten: Stellung in der Welt, Lebensathem; Zeit und Tag und Stunde und Augenblick, Gegenwart, Scene und Anordnung. Dann Bekleidung: höchste Täuschung. (SW IX, 288f.)321
Zeichnung ist hier, wie bei Mengs, die Kategorie der Form, sie ist aber auch die Instanz, die
„Leben“ vermittelt. Das Kolorit verleiht der Darstellung nicht bloß visuellen Reiz, sondern
„Puls und Lebenswärme“. Schließlich wird in der Charakterisierung der Kategorie der
Bekleidung noch einmal die Täuschung aufgerufen, in der nach Heinses Auffassung die
primäre Wirkung der Malerei besteht.
Am eindrücklichsten kann die von Heinse vorgenommene Umdeutung am Beispiel seiner
Verwendung der Kategorie Kolorit illustriert werden. Wie Pfotenhauer aufzeigt, interessiert
sich Heinse schon in den Gemäldebriefen eher für die Kategorie des Kolorits in ihrer
Sinnlichkeit vermittelnden, täuschenden Wirkung als für die von den Klassizisten bevorzugte
Kategorie der Zeichnung: „Die Farbe, insbesondere aber das Inkarnat, welches pulsierendes
Leben, lebendiges Fleisch vorstellt, tritt in den Mittelpunkt des Interesses. Sie ist nicht mehr,
wie im Klassizismus, jenes dem disegno nachgeordnete, lediglich verdeutlichende
Medium.“322 Mit der Bevorzugung des Kolorits steht Heinse in der Tradition von Roger de
Piles, der das Kolorit als bedeutendstes Pro-Rubens-Argument im Streit der Poussinisten
gegen die Rubenisten anführte.323 Seine Bevorzugung des Kolorits führt jedoch nicht zu einer
kunsttheoretischen Stellungnahme. Zumindest in den Aufzeichnungen herrscht eine
auffallende ‚Theoriearmut’. Wenn Heinse sich zu ästhetischen oder kunsttheoretischen Fragen 319 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 688. 320 Zur Bedeutung der Idee für den Klassizismus siehe Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Leipzig 1924, bes. S. 57-63. 321 Die Hervorhebungen sind in der Schüddekopf-Ausgabe gesperrt gedruckt. 322 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 685. 323 Zur Bedeutung von De Piles’ Abrégé als Quelle für die Gemäldebriefe siehe Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 682. Terras weist auch darauf hin, dass Heinses Verteidigung des Kolorits keineswegs eine fortschrittliche Position darstellt. Vgl. Terras, S. 127f.
76
äußert, geschieht dies fast immer in Auseinandersetzung mit Quellen.324 Theorie ist bei
Heinse nur Nebenprodukt der dokumentierten Anschauung. Auch seine Einstellung zum
‚Paragone’ zwischen disegno und colore ist eher der Praxis der Kunstbeschreibung zu
entnehmen.
Als Instrument eines künstlerischen Naturalismus gerät das Kolorit bei den idealistisch
orientierten Klassizisten in Misskredit, während es von den Gegnern des Klassizismus in eben
dieser Funktion hervorgehoben wird.325 Wie bereits oben ausgeführt, ist die Kategorie der
Täuschung für Heinses Kunstauffassung zentral. In Übereinstimmung mit den von ihm
rezipierten Quellen326 fasst Heinse das Kolorit in seiner illusionistischen Wirkung, bewertet
diese aber im Kontext der „Wahrheit“ eines Gemäldes als grundlegend erstrebenswert. Die
Kategorie Kolorit wird dementsprechend in den Gemäldebeschreibungen besonders häufig im
Konnex Leben – Natur – Wahrheit mobilisiert.
So attestiert Heinse Domenichinos Johannes in der Kuppel von S. Andrea del Valle327 ein
„lebendig Colorit“ (FN I, 876 – N10, 31r) und bemerkt über Raffaels Madonna di Foligno:
„Das Kolorit ist täuschend abgewechselt, wie die Natur thut […].“ (FN I, 1162 – N19, 26v.)
Das Altarbild zu S. Niccolò in Foligno328 lobt er als „voll Natur in Gestalt u Kolorit“ (FN I,
1164 – N19, 29r). Entspricht die Farbgebung Heinses Vorstellungen von
Lebendigkeitsvermittlung, wird sie als „feurig warm“ (FN I, 1007 – N22, 7r)329 gepriesen;
verfehlt sie ihre Wirkung, kritisiert Heinse sie als „ein wenig hölzern“ (FN I, 1219 – N26 ½,
91v).
Heinse widerspricht der zeitgenössischen Auffassung vom Kolorit als Instrument der
Täuschung nicht. Er deutet sie lediglich um, sodass das Kolorit in seinen 324 Z.B. die Auseinandersetzung mit Lessings Laokoon in N10 oder die Bemerkungen zu Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in N55. Zum grundsätzlich „respondierenden Charakter“ der Schriften Heinses siehe Schipper-Hönicke, S. 13. 325 Hagedorn geht sehr detailliert auf das Kolorit und seine künstlerische Anwendung ein. Auch er begreift die „Farbengebung“ als Mittel der Täuschung, wertet die lebendige Wiedergabe der materiellen Erscheinungen jedoch positiv. „Wohlgewählte Localfarben vollenden die Ueberredung“, bemerkt Hagedorn. Christian Ludwig von Hagedorn, Betrachtungen über die Mahlerey, Leipzig 1762, S. 635. 326 Den Boden bereitet hat sicherlich Riedels Theorie der Schönen Künste und Wissenschaften, in der die Täuschung und das Instrument des Kolorits eine bedeutende Rolle spielen. Laut Riedel muss der Künstler „uns sein Objekt unter einem solchen Colorit zeigen, daß wir nicht glauben, die Vorstellung, sondern die Sache selbst zu sehen.“ Friedrich Justus Riedel, Theorie der schönen Künste und Wissenschaften. Ein Auszug aus den Werken verschiedener Schriftsteller, Jena 1767, S. 152. Zum Einfluss Riedels auf Heinses Kunstauffassung siehe Terras, Kapitel I. 327 Domenichino (eigtl. Domenico Zampiero), Johannes, Fresko, Rom, S. Andrea del Valle. Die vier Fresken in der Kuppel von S. Andrea del Valle entstanden 1622-27. 328 Niccolò di Liberatore (gen. Alunno), Fünfteiliges Altarbild (Mitteltafel: Geburt Christi, 1492 geweiht), Tempera/ Holz, 340x300cm, Foligno, S. Niccolò (Predella im Louvre). 329 Die Feuermetapher ist ein Mittel, das Heinse häufig anwendet, um ein gelungenes Kolorit hervorzuheben. In dieser Formulierung schlägt sich die in den Gemäldebriefen bereits angeklungene Vorstellung von der „Lebenswärme“ des Kolorits nieder.
77
Kunstbeschreibungen gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen erscheint. Ebenso verfährt er
mit dem klassizistischen Vorurteil, dass das Kolorit nur den oberflächlichen, quasi zufälligen
Reiz der Gegenstände erfassen könne und nicht, wie die Zeichnung, ihr ideales Wesen.
Winckelmann schreibt in der Geschichte der Kunst des Altertums: „Die Farbe trägt zur
Schönheit bey, aber sie ist nicht die Schönheit selbst, sondern sie erhebet dieselbe überhaupt
und ihre Formen.“330 Heinse leugnet den oberflächlichen Reiz, der durch das Kolorit
vermittelt wird, nicht. Vielmehr erhebt er ihn innerhalb seiner Kunstauffassung zu einem
Wert. Auch bei ihm wird die Farbe mit dem Reiz, mit der „Grazie“ verknüpft, die ihr seit
jeher zugestanden worden ist.331
Der Reiz der Oberfläche ist für Heinse besonders im Hinblick auf die Darstellung des nackten
menschlichen Körpers bedeutsam. Die Farbe, die Heinse interessiert, ist die Farbe des nackten
Fleisches: „Es bleibt ausgemacht, das fürtreflichste in der bildenden Kunst ist das schöne
Nackende […].“ (FN I, 902 – N10, 68r.)332 Selten wird der Begriff des Kolorits in
Verbindung mit anderen Oberflächen als der des menschlichen Körpers verwendet. Den
Terminus des Inkarnats verwendet Heinse nicht, stattdessen spricht er von der „Fleischfarbe“
(FN I, 1224 –N26 ½, 97r) einer Figur. Aus der Assoziation von Kolorit und „Fleischfarbe“
erklärt sich auch, wie die Bemerkung „wollüstig fleischig coloriert“ (FN I, 1010 – N22, 10r)
zu verstehen ist.
Nicht nur für Heinse ist das „Nackende“ die malerische Kategorie, in der sich die wahre
Meisterschaft des Künstlers zeigt. Auch Sulzer behandelt „die Farbe des Nackten am
menschlichen Körper“ als eine Unterkategorie des Kolorits, die in besonderer Weise dazu
geeignet ist, Lebendigkeit zu suggerieren:
Die natürliche Nachahmung dieser Farbe in den Gemälden ist einer der wichtigsten Teile der Farbengebung, nicht nur, weil der Mensch der vornehmste und schönste Gegenstand der Malerei ist, sondern auch wegen der großen Schwierigkeit, die man dabei antrift. Die Farben aller anderen Körper gehören ganz zu ihrem äußeren und zufälligen; es scheint aber, dass die Natur, wie die Form des Körpers, also auch seine Farbe mit dem Geist gleichsam verwebt habe. Schon die Farbe allein drückt das Leben aus; folglich auch die verschiedenen Stufen und Kräfte des Lebens, mithin auch einen Teil des Charakters der Menschen.333
330 Winckelmann, GK, S. 257. 331 „Viel Grazie in der Farbe“ attribuiert Heinse der Kreuzabnahme von Federico Barocci im Dom von Perugia (FN I, 1171 – N19, 38r). 332 Hvhb. im Original, J.B. 333 Johann Georg Sulzer, „Fleischfarben“, in: Ders., Allgemeine Theorie der schönen Künste, Frankfurt und Leipzig 1771-1774 (1. Aufl.), online verfügbar unter: <http://www.textlog.de/sulzer_kuenste.html> (abgerufen am 29.09.2007).
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Das „Nackende“, stellt Heinse fest, „muß meisterhaft coloriert seyn, wenn es Effekt machen
soll.“ (FN I, 1034 – N22, 36v.)334 Wenn Heinse über die Omphale in Alessandro Turchis
Herkules und Omphale335 schreibt, „die Brüste, das Leibchen, die Beine bezaubernd u treflich
koloriert“ (FN I, 503 – N60, 90r), bemerkt er damit nicht nur eine visuelle Annehmlichkeit,
sondern würdigt zugleich auch die Überzeugungskraft, die der Attraktivität der Oberfläche
innewohnt. Sie trägt wesentlich dazu bei, die bildende Kunst ein „Merkmal zur Erinnerung
des verfloßnen Genusses“ werden zu lassen und gewinnt durch diese Fähigkeit eigenen
ästhetischen Wert im Sinne der ‚pygmaliontischen’ Kunstanschauung.
Die Inhalte von Heinses Konzept der malerischen Kategorie Kolorit unterscheiden sich in
keiner Weise von denen der zeitgenössischen Kunsttheorie. Auch Heinse betrachtet die
Farbigkeit eines Gemäldes als primäres Instrument der Täuschung und als Mittel zur
Reizsteigerung. Um es in linguistischer Terminologie auszudrücken: Die Proposition ist
dieselbe, nur ist sie nach Heinses Auffassung nicht negativ, sondern positiv zu bewerten. Er
widerspricht den tief verankerten Vorurteilen gegen das Kolorit nicht, sondern unterzieht sie
einer Umwertung in seinem Sinne. Die Täuschung wird zum Hauptzweck der Kunst; der Reiz
der Oberfläche wird erotisch interpretiert und erhält so einen zentralen Stellenwert in Heinses
Kunstauffassung. Entscheidend jedoch ist, dass Heinse diese Umwertung des Kolorits nicht
theoretisch festlegt, sondern sie in der Praxis der Kunstbeschreibung vollzieht.
9 Antike Skulpturen durch „Winckelmanns Brille“
Die Beschreibung von Gemälden unterliegt einer deutlich ausgeprägteren formalen Tradition
als die Beschreibung von Skulpturen. Jedoch ist auch dieser Bereich der Ekphrastik durch das
Vorbild einflussreicher Schriften geprägt worden. Für das 18. Jahrhundert geht der dominante
Einfluss auf diesem Gebiet unzweifelhaft von Johann Joachim Winckelmann aus, der von
1763 bis zu seinem Tod im Jahr 1768 als „Prefetto dell’antichità“ in Rom tätig war. Seine
Beschreibungen der antiken Skulpturen in Rom setzten Maßstäbe und entfalteten nicht nur
eine enorme Wirkung auf den ‚Kanon’ klassischer Kunstwerke, sondern auch auf die Art und
Weise, in der antike Skulpturen fortan gesehen und beschrieben wurden. Im Folgenden soll
gezeigt werden, in welcher Form sich Heinses Skulpturenbeschreibungen an Winckelmanns
334 Hervorhebung im Original, -J.B. 335 Um 1620, Öl/ Lw., 166x237 cm, München, Alte Pinakothek, Inv. 496. Heinse interpretiert die Omphale als Iole.
79
Betrachtungsraster anlehnen und wie weit sie sich trotz Einhaltung der Form doch von den
ästhetischen Grundsätzen Winckelmanns entfernen können.
Heinse wurde bereits zu Studienzeiten mit den Ansichten Winckelmanns bekannt. Der
Vermittlung durch Riedels Theorie der schönen Künste und Wissenschaften folgte spätestens
in Italien ein persönliches Studium von Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in
der zweiten (von Riedel besorgten) Auflage von 1776. Reflexe dieser Lektüre finden sich im
Notizheft N55, das zu einem Großteil aus Winckelmann-Exzerpten besteht.336 Aus diesen
Exzerpten wie aus den späteren Aufzeichnungen in Italien lässt sich ablesen, dass Heinses
Verhältnis zur Autorität Winckelmanns ambivalent war. In den folgenden Abschnitten soll
gezeigt werden, wie sich dieses ambivalente Verhältnis auf Heinses
Skulpturenbeschreibungen auswirkte.
9.1 Winckelmanns Lehrgebäude und die Kunstbetrachtung nach 1755 Bereits in den 1755 in Dresden veröffentlichten Gedanken über die Nachahmung der
griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst wählte Winckelmann eine der in Rom
aufgefundenen antiken Skulpturen als Repräsentanten seiner klassizistischen Ästhetik.
Obwohl die Beschreibung des Laokoon (Abb. 2) ‚aus der Ferne’ entstanden war, wies sie
bereits auf die wirkungsmächtigen Beschreibungen antiker Skulpturen voraus, die
Winckelmann in Rom verfassen sollte. 1759 erschien Winckelmanns erste Beschreibung des
Torso in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, die „in der deutschen
Antikenrezeption eine Zäsur markiert.“337 Diese und die folgenden Skulpturenbeschreibungen
stellen eine neue Form der Erfassung von antiker Kunst dar. Im Gegensatz zu der Würdigung
des Laokoon in den Gedanken entstehen sie aus der unmittelbaren detaillierten Anschauung
der Originale und setzen in der Folge formale und inhaltliche Maßstäbe. Nicht von ungefähr
betitelt Goethe seine Aufsatzsammlung über die Kunst des 18. Jahrhunderts Winckelmann und
sein Jahrhundert.338
Winckelmanns Bedeutung für das 18. Jahrhundert konstituiert sich u.a. dadurch, dass er die
Bedeutung der direkten, wiederholten Anschauung propagiert. Wie Trautwein aufzeigt,
vollzieht Winckelmann deutlich den „Übergang vom ‚diskursiven’ Buchgelehrten zum
336 Terras zieht die Möglichkeit in Betracht, dass die Exzerpte erst in Italien entstanden sind (Vgl. Terras, S. 25), während Hüfler sie im Kommentar zur Ausgabe der Aufzeichnungen sie als Vorbereitung der Italienreise interpretiert. Vgl. FN III, S. 171. Baeumer vermutet gar, Heinse habe Winckelmann schon für die Petronius-Übersetzung als Quelle herangezogen. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 13. 337 Adam, S. 18. 338Johann Wolfgang Goethe, Winckelmann und sein Jahrhundert, in: Ders., Sämtliche Werke, Bd. 18: Ästhetische Schriften 1806–1815, hg. von Friedmar Apel, Frankfurt/M. 1998, S. 9-232.
80
‚schauenden’ Kenner“.339 Er schickt der ersten Auflage der Geschichte die Bemerkung
voraus, er habe „die Werke der alten Kunst mit Muße zu untersuchen alle erwünschte
Gelegenheit gehabt“ und sei erst nachdem diese Voraussetzung erfüllt gewesen sei, zur
literarischen Arbeit geschritten.340 Winckelmann vertritt die Auffassung, dass es der
wiederholten Anschauung bedarf um sich vom paralysierenden ersten Eindruck zu lösen und
zu einer systematischeren Betrachtung fortzuschreiten. In diesem Zusammenhang heißt es in
der Geschichte:
Der erste Anblick schöner Statuen ist bey dem, welcher Empfindung hat, wie die erste Aussicht auf das offene Meer, worinn sich unser Blick verlieret, und starr wird, aber in wiederholter Betrachtung wird der Geist stiller, und das Auge ruhiger, und gehet vom Ganzen auf das Einzelne.341
Diese Haltung nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Sichtweise der Italienreisenden in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Goethe, der 1786 in Rom ankommt, sieht sich die
berühmtesten Skulpturen mehrfach an. In der Italienischen Reise fasst er die aus der
mehrfachen Anschauung gewonnene Erkenntnis folgendermaßen: „Ich fange nun schon an,
die besten Sachen zum zweiten Mal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben
und reineres Gefühl des Wertes der Sache auflöst.“342
Auch für Heinse wird die wiederholte Beschäftigung mit den antiken Skulpturen zur
Mindestanforderung an den Kunstkenner. Spöttisch äußert er sich über die
Besichtigungsgeschwindigkeit des Kurfürsten Carl Theodor, der sich von Mai bis Juni
1783343 in Rom aufhält: „Durch das Musäum und die Stanzen Raphaels sind sie wie die
Philister alle nur ein einzigsmal wie aus Höflichkeit ein Viertelstündchen eilig weggeschlüpft,
ohne sich bey irgend etwas aufzuhalten, als obs der Mühe werth wäre.“344 Heinse missbilligt
ganz offenkundig die ‚touristische’ Herangehensweise an Werke der bildenden Kunst, die
lediglich auf ein ‚Gesehenhaben’ abzielt. Im Gegensatz zu Winckelmann und Goethe
339 Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung, S. 93. 340 Winckelmann, GK, S. XXI. 341 Winckelmann, GK, S. 594. 342 Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, In: Ders., Werke in zwölf Bänden, Bd. 10, Berlin und Weimar 1988, S. 154. Goethe erwähnt Winckelmann in der Italienischen Reise mehrfach und würdigt dessen Vorschlag einer stilgeschichtlichen Kunstbetrachtung, die auf der Anschauung des Details gründet. Vgl. Ebd., S. 171f. u.ö. 343 Heinse schreibt an Jacobi am 7. Juni 1783: „Vorgestern ist Ihr durchlauchtiger Karl Theodor nach Neapel abgereist. Für jetzt war sein hiesiger Aufenthalt an die zwölf Tage.“ Jacobi, Briefwechsel, I,3, S. 157. 344 Am 7. Juni 1783 an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 157f. In N26 ½ notiert Heinse über diese Begebenheit: „Wir haben das Museum gesehen, u die Bibliothek, u die Stanzen u Logen von R. u die Sakristey; u es waren noch ein paar Stunden bis Mittag; wir sind herum gefahren, weil wir nicht wußten, was wir anfangen sollten. Alles in einem Morgen. Wir blieben gerad so lang darin, als man hin u her geht.“ (FN I, 1188 – N26 ½, 54v.)
81
verspricht er sich jedoch von der mehrfachen Annäherung an die antiken Skulpturen keine
zunehmende Systematisierung seiner Beobachtungen, sondern zielt vielmehr auf eine tiefere
Einsicht in Charakter und Lebenswelt der dargestellten Figur ab.
Ein wichtiges Charakteristikum von Winckelmanns Skulpturenbeschreibungen ist auch der
Versuch, den mythologisch-szenischen Hintergrund der isolierten Figur zu rekonstruieren. Im
Zusammenhang mit der Apollo-Beschreibung Winckelmanns weist Pfotenhauer darauf hin,
dass „Winckelmann als erster Archäologe die Kunstwerke überhaupt auf ein mythologisches
Szenario bezog und sie damit aus dem Bereich der Willkür leerer und eitler Phantasie in den
Bereich gestalterischer Präzision und genau identifizierbarer Kunstabsicht holte.“345 Aus der
Körperhaltung des Apollo (Abb. 1), die darauf schließen lässt, dass die Figur ursprünglich
einen Bogen bei sich hatte, rekonstruiert Winckelmann folgendes Szenario: „Er hat den
Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger
Schritt hat ihn erreichet und erleget.“346 Den Torso (Abb. 4) wiederum beschreibt
Winckelmann als ruhenden, bereits vergöttlichten Herkules347 und verwendet die
künstlerischen Details als Indizien für diese Deutung; er „synchronisiert“ jedes körperliche
Detail mit einer Tat des Herkules.348
In der Vorrede zur 1764 erschienenen ersten Auflage der Geschichte der Kunst des Altertums
erklärt Winckelmann seine Absicht, mit seinem Werk nicht nur eine Chronik der Kunst,
sondern auch „einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern.“349 Dieses „Lehrgebäude“ hebt
im Besonderen auf die Erfassung künstlerischer Details ab, die eine stilgeschichtliche
Verortung des Kunstwerks erlauben. Diese nüchterne, objektivierende Beschreibung „nach
der Kunst“ dient gleichsam dazu, die „idealische“ Beschreibung auf die Realitätsebene der
materiellen Skulptur zurückholen.350 Wiederum in der Vorrede zur Geschichte heißt es: „Die
Beschreibung einer Statue soll die Ursache der Schönheit derselben beweisen und das
Besondere in dem Stile der Kunst angeben: es müssen also die Theile der Kunst berühret
werden, ehe man zu einem Urtheile von Werken derselben gelangen kann.“351
345 Helmut Pfotenhauer, unter Mitarbeit von Thomas Franke, Kommentar zu Winckelmanns Statuenbeschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition. Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 486-599, hier S. 519. 346 Winckelmann, GK, S. 815. 347 Die Deutung des Torso als Herkules geht auf die erste Erwähnung des Torso durch Cyriacus von Ancona im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zurück. Vgl. Raimund Wünsche, Der Torso. Ruhm und Rätsel. Ausstellung der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek München, München 1998, S. 25. 348 Adam, S. 21. 349 Winckelmann, GK, S. IX. 350 Vgl. Pfotenhauer, Heinse und Winckelmann, S. 328. 351 Winckelmann, GK, S. XI.
82
Die „Ursache der Schönheit“ sieht Winckelmann in Proportion und Harmonie. Nach diesen
Kriterien behandelt er die einzelnen Teile des menschlichen Körpers und definiert den
Zustand ihrer absoluten Schönheit. An Profil, Augen, Mund, Brust, Unterleib und Haar wird
das Vorhandensein der einen idealischen Schönheit überprüft. Je mehr sie der vollkommenen
Proportion entsprechen, je schöner sie sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie
der von Winckelmann bevorzugten Epoche des „schönen Stils“ entstammen.352 Wie Baeumer
aufzeigt, befasst sich ein Großteil von Heinses Notizen zur Geschichte in N55 mit den von
Winckelmann angewandten Betrachtungsprinzipien für antike Skulptur.353
Im Kommentar zu N55 bemerkt Hüfler, dass Heinses Notate besonders zu Beginn des
Exzerpts einen „diskursiv-kritische[n] Charakter“ aufweisen.354 Heinse reagiert oft
unmittelbar und impulsiv auf das Gelesene, wobei der Ton nicht immer schmeichelhaft für
Winckelmann ausfällt.355 So kommentiert er Winckelmanns wiederholten Verweis auf die
Notwendigkeit der Antikennachahmung mit den Worten: „Hier kömt wieder der
Antiquarische Pedant.“ (FN I, 270 – N55, 1v.) Auch Winckelmanns Betonung der Grazie als
charakteristisches Merkmal der antiken Skulptur wird von Heinse scharf kritisiert:
„Geschwätz! Geschwätz! wovon eine Menge sind angesteckt worden, u alle Grazie geleyert
haben.“ (FN I, 293 – N55, 24v.) Trotz seiner weitgehend kritischen Einstellung erweist er sich
im Folgenden als gelehriger Schüler und aufmerksamer Leser. Die Früchte dieser Lektüre
bestimmen wesentlich seine professionelle Sichtweise auf antike Skulptur. Heinse ‚lernt’ von
Winckelmann z.B. das visuelle Abtasten der Figur von oben nach unten und die damit
einhergehende Beurteilung der einzelnen Bestandteile des Gesichts und des Körpers.356
Winckelmanns Ausführungen zu Darstellungsnormen von Stirn, Augen, Nase, Mund, usw.
exzerpiert er weitgehend widerspruchslos.
Scheinbar ebenso wie Winckelmann arbeitet Heinse antike Skulpturen nach Kriterien ihrer
Gesichts- und Körperbildung ab. Er übernimmt auch Winckelmanns Technik,
physiognomische Details als Träger eines Affekts oder einer Eigenschaft der dargestellten
Person zu beschreiben. Im Vatikan notiert Heinse:
352 Winckelmann begrenzt diesen Zeitraum von der Lebenszeit des Praxiteles bis nach der Regierungszeit Alexanders des Großen. Vgl. Winckelmann, GK, S. 476. Heinse spricht hingegen von der Zeit von Perikles bis Alexander. Vgl. FN I, 294 – N55, 26r. 353 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 34. 354 FN III, 175. 355 Baeumer hebt hervor, dass Heinse sich nur im privaten Kontext der Aufzeichnungen abfällig über Winckelmann äußert und diese harsche Kritik in keinem Fall in die Veröffentlichungen überträgt. Baeumer vermutet, dass diese Zurückhaltung auf Heinses Bewusstsein für Winckelmanns ungeheure Popularität zurückzuführen ist. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 30 und 32f. 356 Vgl. Terras, S. 74.
83
Der so genannte Antinous. Ein junger Held, der sinnt, wie er einen Kampf mit dem besten Verstand abmachen soll. Der Zug des Denkens ist über dem rechten Auge, wodurch der Knochen desselben weit schärfer hervorkömt, als beym linken; das heroische sitzt in der Kraft geschwellten Stirn, und dem gefassten Blick, u den Lippen, wo sich das Gefühl seiner bewußten Stärke öfnet u wie hervorblüht. (FN I, 756 – N18, 41r. Abb. 13.)
Im Vergleich zu Heinses ausdrucksorientierter Beschreibungsweise ist Winckelmanns
Erfassung der Physiognomie einer Statue wesentlich systematischer. Die physiognomischen
Details werden bei ihm ebenso häufig als Stil- wie als Ausdrucksmerkmale herangezogen.
Auch wenn die beschreibenden Passagen in der Geschichte einzelnen Statuen gelten, schweift
Winckelmanns Blick ab zu anderen ihm bekannten Exemplaren und stellt Vergleiche an.
Neben der verlebendigenden Charakterisierung der antiken Skulpturen als Figuren der
Mythologie steht in der Geschichte das Bedürfnis, Darstellungsnormen für bestimmte Figuren
aufzudecken. Die Gestaltung von Augen, Nase und Haar spricht zu Winckelmann nicht nur
von den Eigenschaften und Empfindungen der dargestellten Person, sondern auch von ihrer
Position innerhalb der Kunstgeschichte. So heißt es in seiner Beschreibung des
vermeintlichen Antinous (Abb. 13): „Das Auge, welches, wie an der Göttin der Liebe, aber
ohne Begierde, mäßig gewölbet ist, redet mit einnehmender Unschuld […].“357 Hier rekurriert
Winckelmann auf seine eigene Feststellung, dass die Augen an den antiken Skulpturen
meistens weit geöffnet seien und nur die Venus mit halb geschlossenen Augen dargestellt
worden sei.358 Die Augen des Antinous gewähren Winckelmann gleichzeitig Aufschluss über
die Wesensart der dargestellten Person und über die stilistische Zugehörigkeit des
Kunstwerks. Heinse hat, wie bereits erläutert wurde, Schwierigkeiten mit der Würdigung der
‚künstlichen’ Seite der Kunst. Er macht sich zwar Winckelmanns formale Vorgehensweise
bezüglich Physiognomie und Körperbau zu Eigen, blendet jedoch den Aspekt der stilistischen
Einordnung konsequent aus. Insofern greift es zu kurz, Heinse zu unterstellen, er sei in Rom
Winckelmanns klassizistischer Wahrnehmung auf die antiken Skulpturen ‚unterlegen’, wie
Jessen behauptet hatte.359 Das Verhältnis der Heinseschen Antikenbeschreibungen zu den
kanonischen Texten Winckelmanns ist einerseits geprägt von Verehrung und andererseits von
dem Bedürfnis, sich von der theoretischen Übermacht Winckelmanns in der literarischen
Praxis zu befreien.
357 Winckelmann, GK, S. 845. 358 „Venus hingegen hat die Augen kleiner, und das untere Augenlid, welches in die Höhe gezogen ist, bildet das liebreizende und schmachtende […].“ Winckelmann, GK, S. 359. 359 Vgl. Jessen, S. 22 und 151.
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9.2 Heinses Kontrafaktur von Winckelmanns kanonischen Beschreibungen Der Erfassung der physiologischen und physiognomischen Details legt Winckelmann
bestimmte Grundprinzipien der antiken Kunst zugrunde, die er in den Beschreibungen antiker
Skulpturen immer wieder als ‚Kronzeugen’ der Bedeutung der griechischen Kunst aufruft.
Als die wichtigsten Prinzipien treten Proportion, Ausdruck, Komposition, Grazie und Ideal
hervor. Heinse nimmt diese Prinzipien auf und wendet sie auf das in Italien Gesehene an.
Allerdings scheint er Winckelmanns Betrachtungsvorgaben in der Geschichte nicht als ein
unumstößliches ‚Lehrgebäude’ zu betrachten. Pfotenhauer legt dar, dass Heinses
Beschreibungen der antiken Skulpturen in den Aufzeichnungen und im Ardinghello
weitgehend als eine „Kontrafaktur“ zu Winckelmanns Vorgaben gelesen werden können.360
Heinse argumentiert zwar auch mit Winckelmanns Grundprinzipien der antiken Kunst, er füllt
diese Begriffe jedoch vollkommen anders. Besonders eindrücklich kann das Prinzip der
Kontrafaktur an Winckelmanns und Heinses Verwendung der Kategorie Ausdruck illustriert
werden.
Nach Winckelmanns Auffassung unterliegt der Ausdruck einer Skulptur den Anforderungen
der Schönheit. Als ausschlaggebendes Charakteristikum der Schönheit definiert er in der
Geschichte die „Unbezeichnung“, d.h., eine Gestalt, die nicht einen bestimmten Menschen
oder einen bestimmten Zustand darstelle und in ihrer Entindividualisierung als universell
schön zu gelten habe. Winckelmann schließt: „Nach diesem Begriffe soll die Schönheit seyn,
wie das vollkommenste Wasser aus dem Schooße der Quelle geschöpfet, welches, je weniger
Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen geläutert
ist.“361
Ausgehend von dieser Grundannahme verurteilt Winckelmann jedes expressive Extrem als
abstoßende Verzerrung, die den Anforderungen der Schönheit zuwider läuft. Die Stille sei
„derjenige Zustand, welcher der Schönheit, so wie dem Meere, der eigentlichste ist; und die
Erfahrung zeiget, daß die schönsten Menschen von stillem gesitteten Wesen zu seyn
pflegen.“362 Die „edle Einfalt und stille Größe sowohl in der Stellung als im Ausdrucke“363
360 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 543. Goer ergänzt, dass die Kontrafaktur sowohl auf intra- als auch auf intertextueller Ebene stattfindet. Vgl. Goer, S. 175f. Auch Baeumer hatte bereits die formale Anlehnung an Winckelmann bei abweichender inhaltlicher Füllung bemerkt, allerdings ohne den Begriff Kontrafaktur ins Spiel zu bringen. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 22. 361 Winckelmann, GK, S. 262. 362 Winckelmann, GK, S. 317. In den Gedanken hatte Winckelmann ebenfalls die Meeresmetapher herangezogen: „So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig beibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.“ (Winckelmann, Gedanken, S. 20.)
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exemplifiziert Winckelmann in den Gedanken am Laokoon. Laut Winckelmann ist es der
bildenden Kunst nicht gestattet, den Laokoon wie in der literarischen Vorlage schreiend
darzustellen. Die bildende Kunst unterliege den Gesetzen der Schönheit und müsse sich daher
in der Affektdarstellung mäßigen. Allein die Debatte, die durch Winckelmanns Ausführungen
über das Schreien des Laokoon ausgelöst wurde, kann die enorme Wirkung von
Winckelmanns Schriften illustrieren.364
Gerade Winckelmanns Einstellung zum Ausdruck ist es, die Heinse in den Exzerpten zur
Geschichte zu entschiedenem Protest bewegt. Sein Kommentar nimmt mehr Raum ein als das
eigentliche Notat:
Der Ausdruck verändert die Formen; und je größer diese Veränderung ist, desto nachtheiliger ist sie der Schönheit. (Ist zu einfeltig gesagt; man kann es gerade umkehren: desto fürtreflicher ist sie für dieselbe, wenn der Ausdruck edel ist. Dieß ist nicht der Grund, warum Stille in einer Figur der beste Zustand ist. Und das sind Grillen, daß die Stille der Schönheit wie dem Meere der eigentlichste Zustand ist, u daß die schönsten Menschen von stillem gesittetem Wesen zu seyn pflegen. Das Meer im Sturm ist schöner, als in der Stille, und Alkibiades und Phryne u Lais, die schönsten Menschen unter den Griechen waren warlich nicht von stillem gesittetem Wesen.) (FN I, 277 – N55, 9r.)
Gegen Winckelmanns Metapher der unbewegten Meeresoberfläche setzt Heinse das Bild des
Sturms, das besonders in den Laokoon-Beschreibungen immer wieder auftaucht. Elliott weist
darauf hin, dass die Sturmmetaphorik eine Konstante in Heinses bildlichem Vokabular
darstellt und von den Gemäldebriefen bis zum Ardinghello die Stellen indiziert, an denen
Heinse am merklichsten von Winckelmann abweicht.365 Und tatsächlich treten in der
„Umkehrung der Meeresmetaphorik“366 die grundlegenden Unterschiede von Heinses und
Winckelmanns Kunstauffassung deutlich zutage. Winckelmanns stilles Meer steht in diesem
Zusammenhang für den gemäßigten Ausdruck, der ausnahmslos der Schönheit unterliegt.
Heinses Plädoyer für den Sturm hingegen macht deutlich, dass Expressivität in seiner
Kunstauffassung über Schönheit steht.367
Andere Begriffe, auf denen laut Winckelmann die Schönheit der antiken Skulpturen basiert,
verwendet Heinse in seinen Beschreibungen lediglich schlagwortartig. So schreibt er über den
Eros von Centocelle368: „Der geöffnete Mund ist ganz Grazie u Schalkheit mit dem
lebendigen Blick der Augen, die in süßer Größe aus den scharfen Knochen hervorblicken.“
363 Winckelmann, Gedanken, S. 20. 364 Siehe hierzu Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 532-540. 365 Vgl. Elliott, S. 66. 366 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 544. 367 Vgl. Ebd., S. 544. 368 Marmor, 85 cm, Vatikan, Galleria delle Statue, Inv. 769. Von Heinse als Ganymed bezeichnet.
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(FN I, 764 – N18, 54r. Hvhb. J.B.)369 Und über die Statue eines bärtigen Gottes370 im Vatikan
heißt es: „Der ganze Knochenbau ist in schöner eleganter Proportion u Anatomie angedeutet;
das ganze Gebäude äußerst schön geformt.“ (FN I, 765 – N18, 55r. Hvhb. J.B.) Hier tritt
wieder die im vorhergehenden Kapitel bemerkte Formelhaftigkeit in der Verwendung
tradierter Kunstbeurteilungskategorien zutage. Heinse bedient sich des ‚Jargons’, der sich für
das Gebiet der Skulpturenbeschreibung etabliert hat, wie er die traditionellen
Beurteilungskategorien für Gemälde aufgreift.
Am meisten irritiert wohl Heinses Verwendung des Ideal-Begriffs, die sich mit seiner
Kunstauffassung scheinbar nicht vereinbaren lässt. Heinse verwendet den Begriff selten, aber
nicht - wie von dem ‚Anti-Winckelmann’ zu erwarten wäre - immer negativ. Über den Torso,
kurz zuvor Gegenstand von Heinses erotischer Phantasie, heißt es abschließend: „Es ist das
höchste Ideal von einem Kernmann so weit die Natur reicht.“ (FN I, 767 – N18, 58v.) Ideal
und Natur in eins gedacht – das erscheint widersinnig. Der Widerspruch löst sich jedoch auf,
wenn man in Betracht zieht, dass Heinse eben nicht, wie Terras behauptet hatte, einem
„extremen ästhetischen Naturalismus“ anhängt und jegliche Form von Idealisierung
kategorisch ablehnt,371 sondern durchaus eine gewisse Abstraktion vom Vulgäralltäglichen
fordert. Pfotenhauer bemerkt hierzu:
...auf der einen Seite steht die Favorisierung des Momentanen, Alltäglichen, Individuellen, auf der anderen Seite verlangt die Kunst, will sie sich nicht in der bloßen Natur verlieren, doch auch ein ‚allgemein Schönes’, eine Organisierungs-, Steigerungs- und Überbietungsleistung des unmittelbar Gegebenen, die von Winckelmanns Ideal kaum mehr zu unterscheiden ist.372
Heinses Verwendung der von Winckelmann postulierten Grundprinzipien der antiken
Skulptur wirft einiges Licht auf sein ambivalentes Verhältnis zur Autorität Winckelmanns.
Sowohl Baeumer als auch Bernauer weisen auf Heinses Abhängigkeit von Winckelmann hin.
Bernauer legt dar, dass Heinse ohne Winckelmann „seine eigenen ästhetischen Überlegungen
nicht hätte formulieren und die wichtigsten seiner poetischen Texte nicht hätte schreiben
können.“373 Einerseits stützt sich Heinses eigene Annäherung an die antiken Skulpturen auf
Winckelmanns Erkenntnisse, andererseits lehnt er die diesen Erkenntnissen zugrunde liegende
369 Zur Einstellung des jungen Heinse zur „Winckelmannischen Grazie“ siehe Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 13. 370 Marmor, ohne Basis 195 cm, Vatikan, Galleria delle Statue, Inv. 580. 371 Terras, S. 38. 372 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 418. 373 Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 253f. Vgl. auch Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 50.
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Kunstauffassung ab.374 Winckelmann wird in den italienischen Aufzeichnungen Heinses als
Vorbild und als Feindbild gleichzeitig heraufbeschworen.
9.3 Die Macht von Winckelmanns „schönen Worten“ Auch Winckelmanns formale Umsetzung der Kunstbetrachtung wirkt in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts fort. Pfotenhauer vergleicht die kunstliterarische Innovation von
Winckelmanns Apollo-Beschreibungen mit den stilistischen Neuerungen, die von Klopstock
ausgingen.375 Die ersten Versuche, den Apollo zu beschreiben, seien „selbst schon Kunst und
werden von den Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen auch so empfunden“.376 Hier
rekurriert Pfotenhauer auf Herder, der im Ersten Kritischen Wäldchen gegen Lessing
Winckelmanns Partei ergriffen und bemerkt hatte: „Winckelmanns Styl ist wie ein Kunstwerk
der Alten. Gebildet in allen Teilen, tritt jeder Gedanke hervor, und stehet da, edel, einfältig,
erhaben, vollendet: er ist.“377 Auch Goethe attestiert Winckelmann, dass
er selbst als Poet auftritt, und zwar als ein tüchtiger, unverkennbarer in seinen Beschreibungen der Statuen […]. Er sieht mit den Augen, er faßt mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen.378
Winckelmanns Beschreibungsweise wird jedoch nicht von allen Zeitgenossen
widerspruchslos anerkannt. So stört sich z.B. Karl Philipp Moritz an Winckelmanns Eigenart,
vom beschriebenen Gegenstand abzuweichen und sich ästhetisierenden Exkursen hinzugeben.
In den Reisen eines Deutschen in Italien nimmt Moritz Winckelmanns Tendenz zur
„Entkonturierung in der rhetorischen Klimax“379 kritisch ins Visier:
Winckelmanns Beschreibung des Apollo in Belvedere scheint mir für ihren Gegenstand viel zu zusammengesetzt und gekünstelt. Der Genius der Kunst war neben ihm eingeschlummert, da er sie niederschrieb; und er dachte gewiß mehr an die Schönheit seiner Worte als an die wirkliche Schönheit des hohen Götterideals, das er beschrieb.380
Selbst in der Kritik wird Winckelmanns Autorität auf dem Gebiet der Kunstbeschreibung
noch deutlich. Moritz rekurriert zwar in abgrenzender Weise auf Winckelmanns
Beschreibungsverfahren, trotzdem stellt dieser eine Autorität dar, zu der man sich auf die eine
374 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 24f. 375 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 511. 376 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 511. 377 Johann Gottfried Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 67 [Hvhb. im Original, -J.B.]. 378 Goethe, Winckelmann und sein Jahrhundert, S. 202f. 379 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 520. 380 Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien, S. 156.
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oder andere Weise verhalten muss. Wie auch immer sich die Zeitgenossen zu Winckelmann
stellen – ignorieren können sie seine Leistungen auf dem Gebiet der Kunstbeschreibung nicht.
Auch Heinse kämpft in den Aufzeichnungen gegen Winckelmanns Sichtweise auf die
klassischen Skulpturen, die sich an manchen Stellen vor die eigene unmittelbare
Wahrnehmung zu schieben drohen.381 In den Gemäldebriefen hatte sich Heinse über die
grundsätzliche Unzulänglichkeit von literarischen Kunstbeschreibungen geäußert: „Selbst die
Beschreibungen Winckelmanns sind nur Brillen; und zwar Brillen nur für diese und jene
Augen.“ (SW IX, 342.)382 „Winckelmanns Brillen“383 bestimmen in Rom an vielen Stellen
seine Wahrnehmung der ‚klassischen’ Skulpturen und wirken bis auf die motivische und
teilweise die lexikalische Ebene der Beschreibungen fort. In N55 urteilt Heinse über
Winckelmanns Verfahren:
Herrliche Beschreibungen, von griechischer Poesie genährt […]. Doch auch nur schöne Worte gereyht, ohne ins Wesentliche zu gehen, meistens. Es fehlt ihm der scharfe Blick u Feuergeist der Erfindung, um andern Erfindern den Gang nachzugehen. (FN I, 276 – N55, 7v.)
Trotz der Kritik an Winckelmanns Vorgehensweise kann sich Heinse den „schönen Worten“
Winckelmanns nicht entziehen. Besonders beim Apollo fällt es ihm sichtlich schwer, sich von
der wirkungsmächtigen Beschreibung Winckelmanns zu emanzipieren. Die an den Anfang
der Statuenbeschreibungen in N18 geheftete Apollo-Beschreibung384 setzt bereits mit einer
Referenz auf Winckelmann ein. In der Geschichte hatte Winckelmann über den Apollo
geschrieben: „Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeiget von der
ihn erfüllenden Größe.“385 Bei Heinse heißt es: „Es ist eine Erhabenheit im Ganzen, besonders
aber im Kopf, die den Menschen ganz niederblitzt.“ (FN I, 745 – N18, 25r.) Winckelmann
stellt fest: „Verachtung sitzt auf seinen Lippen“,386 und aus Heinses Beschreibung schallt es
zurück: „Lippen voll Verachtung“ (FN I, 745 – N18, 25r). Der bei Winckelmann bemerkte
381 Vgl. Bernauer, Kunst als Natur, S. 115. 382 Goer weist auch auf die Konnotation des Brillenmotivs als vermitteltes Sehen im Gegensatz zum Selbstsehen hin. Vgl. Goer, S. 125. 383 Die Prägung „Winckelmanns Brillen“ stammt von Robert Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise, S. 41. 384 Die Editoren der Nachlassausgabe gehen davon aus, dass Heinse selbst die Beschreibungen der ‚klassischen’ Skulpturen, die in ihrer sprachlichen Form denjenigen im Ardinghello sehr nahe kommen, an den Anfang des Notizheftes heften ließ. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 296; Dürten Hartmann, Zu Entstehung, Bestand und Überlieferung der Aufzeichnungen, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, München und Wien 2005, S. 323-396, hier S. 351. 385 Winckelmann, GK, S. 814. 386 Ebd., S. 815.
89
„erhabne Blick“387 geht ebenfalls in Heinses Beschreibung ein: „Die Augen übergroß u
blicken ganz erhaben“, bemerkt er (FN I, 769 – N18, 61v). Trotz dieser motivischen
Übereinstimmungen distanziert sich Heinse jedoch deutlich von Winckelmanns ‚idealischer’
Interpretation des Apollo. Winckelmann bemerkt:
Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebaut, und er hat nur ebenso viel Materie dazu genommen, als nötig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen.388
Heinse spricht dem Apollo seinen außergewöhnlichen Status nicht ab; er bemüht sich jedoch
in zahlreichen Beschreibungsansätzen, ihm eine Bedeutung abzuringen, die ihn auch nach den
Maßstäben seiner eigenen Kunstauffassung zu einem Meisterwerk machen kann. In diesem
Sinne ist auch Heinses Stellungnahme zur idealischen Gestalt des Apollo zu verstehen: „Er ist
lauter Ideal, u doch hat der Kopf viel Natur, die man gesehen hat.“ (FN I, 751 – N18, 31v.)
Und in einer anderen Beschreibung heißt es in klarer Opposition zu Winckelmanns
Interpretation: „Alles, was Apollo hat, ist Individuell und läßt sich außer dem Ausdruck nicht
übertragen.“ (FN I, 746 – N18, 25v.) Baeumer zeigt auf, in welch eigentümlichem Verhältnis
Heinses Apollo-Beschreibung zu derjenigen Winckelmanns steht – obwohl Heinse mit der
von Winckelmann betonten Erhabenheit beginnt, widerspricht Heinses Deutung des Apollo
Winckelmanns Beschreibung in jedem Detail.389 In Heinses Beschreibungen wird der Apollo,
für Winckelmann das „höchste Ideal der Kunst“, zum Repräsentanten einer Kunst
umgedeutet, die primär an Expression und Individualität interessiert ist.
Die motivischen Referenzen auf Winckelmanns Skulpturenbeschreibungen in Heinses
Aufzeichnungen sind vielfältig. Mitunter weisen diese Referenzen eine über das in N55
exzerpierte Material hinausgehende Kenntnis von Winckelmanns Schriften auf.390 So schreibt
Heinse z.B. über einen Dionysos391 im Vatikan: „Er steht wirklich da wie ein Träumer
zwischen Schlaf u Wachen wie von einem kühlen Lüftchen Lust an allen Nerven bis ins
innerste gerührt.“ (FN I, 777 – N18, 75v.) Das Motiv des Träumens stammt aus
387 Ebd., S. 815. 388 Winckelmann, GK, S. 814. 389 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 47. 390 Terras vermutet, Heinse habe in Rom Winckelmanns Geschichte als eine Art ‚Beschreibungsanleitung’ benutzt. Vgl. Terras,. S. 74. 391 Gruppe des Dionysos und eines Satyrs, Marmor, ohne Basis 220 cm, Vatikan, Museo Chiaramonti 588, Inv. 1375.
90
Winckelmanns Beschreibung der „idealischen Jugend“,392 wie sie in Darstellungen des
Bacchus zu finden sei:
Das Bild dieser Gottheit ist ein schöner Knabe, welcher die Gränzen des Frühlings des Lebens und der Jünglingschaft betritt, bey welchem die Regung der Wollust wie die zarte Spitze einer Pflanze zu keimen anfängt, und welcher wie zwischen Schlummer und Wachen, in einem entzückenden Traum halb versenkt, die Bilder desselben zu sammlen, und sich wahr zu machen anfängt […].393
An vielen Stellen drängt sich die Reminiszenz an Winckelmann derart an die Textoberfläche.
Bis zu einem gewissen Grad muss man Terras also zustimmen, die bemerkt hatte, Heinse sei
in seiner Wahrnehmung der antiken Skulpturen in Rom wesentlich von Winckelmann geprägt
gewesen.394 Allerdings scheinen die Parallelen zu Winckelmanns Antikenbeschreibungen eher
unwillkürlichen Charakter zu haben und nicht Zeichen eines Zugeständnisses an die
klassizistische Kunstauffassung zu sein.
Auch die motivische Anlehnung an Winckelmann unterliegt dem Prinzip der Kontrafaktur.
Besonders deutlich wird dies an Heinses Beschreibungen der Laokoon-Gruppe. Wie schon am
Beispiel des Apollo illustriert, bemerkt Heinse auch am Laokoon die gleichen körperlichen
Details, sieht sie jedoch „in bewusstem Unterschied und Gegensatz zu dessen Beurteilung“.395
Die Kontrafaktur setzt bereits bei grundlegenden Beobachtungen ein: Heinse gesteht ein, dass
Laokoon und seine Söhne nicht lauthals schreien – so weit stimmt er mit Winckelmann
überein: „Es ist kein Schreyen aus vollem Halse, denn dazu haben sie den Athem u die Kraft
nicht.“ (FN I, 761 – N18, 48v.) Allerdings heißt es in einer anderen Beschreibung gleichsam
ergänzend: „...er ist im letzten Takt seines Schreyens, u der Othem bald erschöpft, oder
vielmehr er ist im Moment wieder welchen zu hohlen, wenn er ihm vor Tod nicht außen
bleibt.“ (FN I, 947 – N10, 132v.) Das Schreien, wie auch Pfotenhauer bemerkt, gehört fest zu
Heinses Laokoon-Konzept.396 Zwar kann auch er die gemäßigte Öffnung des Mundes nicht
leugnen, er kann jedoch den dargestellten Moment auf den Augenblick unmittelbar vor dem
Schreien verschieben.397
Heinse legt in seinen Beschreibungen besonderen Wert auf die Augen- und Stirnpartie des
Laokoon, die bereits in Winckelmanns Beschreibung als besonders ausdrucksvoll
392 Winckelmann, GK, S. 284. 393 Ebd., S. 284f. 394 Vgl. Terras, S. 84. 395 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 45. 396 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 544. 397 Zumindest am Rande sollte auch angemerkt werden, dass Heinse sich hier sozusagen en passant einer Stellungnahme zu einer der wichtigsten ästhetischen Debatten seiner Zeit entledigt. Diese Art und Weise, in der Beschreibungspraxis theoretische Positionen ‚anzutippen’, ist bezeichnend für Heinse.
91
hervorgehoben wird: „Der Vater hat in seinen Augen einen edlen Ingrim über sein
Unvermögen, die Stirn über der Nase arbeitet bey allen dreyen, beym Vater aber am höchsten,
die Kraft schleudert sich im Schmerz aus, so weit sie kann.“ (FN I, 770 – N18, 63r-63v.) In
Winckelmanns Beschreibung in der Geschichte erscheint die Partie ebenfalls betont, ihre
Bewegtheit wird aber als Ergebnis der Beherrschung des Schmerzes interpretiert: „Unter der
Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit
großer Weisheit gebildet […].“398 Elliott interpretiert Heinses Äußerungen über die
Bewegtheit der Augenpartie als Kontrafaktur im Sinne des Sturm und Drang. Heinse deute
die Mimik des Laokoon nicht als Ausdruck einer „stillen Größe“, sondern des „höchsten
Lebens“.399 Baeumer legt dar, dass hier der grundlegende Unterschied zwischen
Winckelmanns „apollinischer“ und Heinses „dionysischer“ Deutung des Laokoon zum
Ausdruck kommt. Während Winckelmann den Sieg des Geistes über den körperlichen
Schmerz in die Mitte seiner Interpretation rückt, sieht Heinse im Laokoon das bis ins Extrem
gesteigerte Leben kurz vor dem Verlöschen.400
Auch an anderer Stelle kommt das Prinzip der Kontrafaktur zum Einsatz. So bemerkt Heinse,
wie Winckelmann, die Meißelspuren am Oberschenkel des Laokoon. Während sie für
Winckelmann jedoch „zur Bedeutung einer erstarreten Haut“ helfen,401 sieht Heinse in ihnen
den Ausdruck lebendigen Fleisches: Sie „helfen das herrliche Fleisch bilden“ (FN I, 761 –
N18, 48v).402 Winckelmann verwendet das Motiv des lebendigen Fleisches in seiner
Bedeutung der ‚versteinerten’ Lebendigkeit, während es bei Heinse im Rahmen eines
illusionistischen Konzepts auftritt. Heinses Beurteilung der Meißelspuren ist, wie Pfotenhauer
feststellt, auch in diesem Punkt „präzise Kontrafaktur“ zu Winckelmann.403
Winckelmanns Beschreibungen setzen formale und inhaltliche Maßstäbe. Auch Heinse lässt
der Beschreibung der durch Winckelmann zu klassischen Würden erhobenen Skulpturen
besondere Sorgfalt angedeihen. Trotz seiner Bestrebungen, sich von der etablierten
Sichtweise zu befreien,404 weisen die Beschreibungen der antiken Skulpturen in Rom jedoch
sowohl auf bildlicher wie auch auf sprachlicher Ebene mehr als ein Echo auf Winckelmann
398 Winckelmann, GK, S. 700. 399 Vgl. Elliott, S. 58. Diese Arbeit will sich mit literarhistorischen Einordnungen Heinses zurückhalten und verfolgt deshalb die Deutung Heinses als Vertreter des Sturm und Drang nicht weiter. 400 Baeumer, Das Dionysische, S. 118. 401 Winckelmann, GK, S. 701. 402 Vgl. Elliott, S. 58. 403 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 545. 404 Beim Apollo besteht Heinses eigener Impuls z.B. in dem Versuch, ein alternatives Szenario zu etablieren. „So ließ sich sein Ausdruck denken, als er die Familie der Niobe erlegte“, stellt er fest (I, 745f. – N18, 25r).
92
auf. Um es zugespitzt zu formulieren: Heinse schreibt mit Winckelmann gegen
Winckelmann.405 Seine wiederholte Annäherung an die zu beschreibenden Werke stellt sich
in diesem Licht nicht nur als eine Suche nach der angemessenen Form, sondern auch nach der
von Winckelmann unabhängigen Form dar.
10 Resümee
Wilhelm Heinses Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen sind nicht als ein
homogenes ‚Werk’ zu verstehen und wurden in dieser Arbeit auch nicht als solches
behandelt.406 Vielmehr stellen die unzähligen kleinteiligen und fragmentarischen
Beschreibungsansätze ‚Werkteile’ eines ekphrastischen Projekts dar, das letztendlich nicht in
der angedeuteten Radikalität verwirklicht wurde. Die vorliegende Arbeit hat versucht,
innerhalb der vielfältigen Beschreibungsansätze übergeordnete ‚Muster’ der Kunstbetrachtung
und -beschreibung herauszuarbeiten. Primäres Ziel der Arbeit war es, das Spannungsfeld
zwischen Innovation und Tradition, zwischen Ergriffenheit und kunstliterarischem Kalkül, zu
rekonstruieren, aus dem die eigentümliche Zweigesichtigkeit von Heinses italienischen
Kunstbeschreibungen resultiert.
Ein Aspekt von Heinses italienischen Kunstbeschreibungen ist der Versuch, der Tradition der
Ekphrasis eine neue Perspektive zu eröffnen. Heinses ekphrastische Strategien folgen letztlich
alle dem Ziel der Verlebendigung des Kunstwerks. Sein Blick ist der eines Pygmalions, dem
sich das Bild in lebendiges Fleisch verwandelt. Dieser Blick ist unverkennbar erotisierend.
Die erotischen Aspekte von Heinses Kunstbeschreibungen werden in dieser Arbeit nicht in
den Fußnotentext verbannt, sondern als wichtige Bestandteile der literarischen Vermittlung
von Kunst ernst genommen.407
Heinses Kunstbeschreibungen fokussieren auf das der Kunst zugrunde liegende ‚Leben’, auf
die „Natur in der Kunst“. Sein Beschreibungsverfahren entsteht quasi organisch aus einer
Kunstauffassung, die für jedes große Kunstwerk eine ‚Verankerung’ in der Lebenswelt des
Künstlers annimmt. Dennoch ist sein ekphrastisches ‚Werk’ in keiner Weise als Manifest für
405 Elliott fasst die von Winckelmann (willkürlich oder unwillkürlich) übernommenen Phrasen in Heinses Antikenbeschreibungen als „a tool to work back against him [Winckelmann, -J.B.]“ auf. Elliott, S. 73. 406 Bereits Brecht hatte die Notizhefte als „Heinses eigentliches ‚Werk’“ bezeichnet. Brecht, S. IX. Bernauer weist darauf hin, dass die Aufzeichnungen zwar einen bedeutenden Anteil an Heinses Schaffen darstellen, jedoch nicht als ‚Werk’ im eigentlichen Sinne bezeichnet werden könnten. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 249. 407 Explizit erotische Passagen wurden ausdrücklich nicht aus provokativem Selbstzweck aufgenommen. So wie es Heinse bei aller erotisierenden Abschweifung immer noch um die Kunst geht, geht es in dieser Arbeit immer noch um literarische Strategien.
93
die eine oder andere literarische oder kunsttheoretische Position zu bewerten.408 In seinen
Aufzeichnungen herrscht im Gegenteil ein erstaunlicher Mangel an Reflexion über das
ekphrastische Verfahren wie an expliziten kunsttheoretischen Stellungnahmen.409 Heinse ist
weder Ästhetiker noch Kunsttheoretiker. Die Kunstbeschreibungen sind, wie Waetzoldt
bemerkt, in erster Linie „eines Dichters Werk“.410 So sucht Heinse auch nicht in der
Abgeschiedenheit seines eigenen Geistes nach Auswegen aus der „Krise der Repräsentation“,
sondern versucht, den Werken der bildenden Kunst „schreibend beizukommen.“411
Im Prinzip ist die Beharrlichkeit, mit der Heinse zu einer eigenen Form der
Kunstbeschreibung zu gelangen versucht, ein Indiz für seine grundlegende Abhängigkeit vom
Vokabular der etablierten Kunstliteratur. Seine Verwendung der Vorgaben der
zeitgenössischen Kunstliteratur, besonders der Schriften Mengs’ und Winckelmanns, ist
jedoch nicht als Zugeständnis an die klassizistische Kunstauffassung zu bewerten. Vielmehr
scheint Heinse sich des etablierten ‚Jargons’ zu bedienen um den Anforderungen an die
Textform Kunstbeschreibung gerecht zu werden. Die Beschreibung des künstlerischen Anteils
an der Täuschung eines Bildes ist etwas, das Heinses Kunstauffassung fremd ist. Die
etablierten ‚Formeln’ der Kunstliteratur dienen ihm als Platzhalter für eine formale
Kunstbeschreibung, die Heinse mit Rücksicht auf seine kunstliterarische Reputation nicht
vernachlässigen kann.
Heinses Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen stellen sich also nicht als
„Herzensergießungen eines kunstliebenden Italienreisenden“ dar - sie sind nicht in erster
Linie Aussprache eines persönlichen Empfindens, sondern auch in ihrer fragmentarischsten
Form Schritte auf dem Weg zu einem literarischen Produkt. Alles, was Heinses ‚Werkstatt’ in
Italien verlässt, ist sorgfältig komponiert.412 Bernauer weist darauf hin, dass die
Kunstbeschreibungen nicht nur spontaner Ausdruck einer „sinnliche[n] Begegnung mit der
Kunst“ seien, sondern auch das Ergebnis langwierigen Studiums.413 Zwar ist für Heinse das
‚Selbstsehen’ der Dreh- und Angelpunkt der Begegnung mit Kunst, es ist jedoch ein
408 Elliott deutet Heinses Gemäldebriefe z.B. als „manifesto for Sturm und Drang, rivalling, if not surpassing Von deutscher Art und Kunst“. Elliott, S. 53. 409 Schipper-Hönicke weist darauf hin, dass Heinses „Arbeitshefte“ überwiegend „Reaktionen auf einen Stimulus“ beinhalten. Schipper-Hönicke, S. 13. 410 Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker. Bd. 1: Sandrart bis Rumohr, Leipzig 1921, S. 117. 411 Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 281. 412 So ist davon auszugehen, dass die Briefe an Gleim und Jacobi in Hinblick auf eine mögliche Veröffentlichung verfasst wurden. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 284. 413 Bernauer rekonstruiert, dass Heinse zwar in seinem ersten Brief aus Rom den Eindruck vermittelt, sich sofort in die Kunstbetrachtung ‚gestürzt’ zu haben, er jedoch mindestens ebenso viel Zeit in Bibliotheken wie in Kunstsammlungen verbracht haben muss. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 294.
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vorbereitetes Sehen. Die Lektüre von kunstliterarischen Schriften wie Winckelmanns
Geschichte der Kunst des Altertums ist zentraler Bestandteil seiner Selbstausbildung als
Kunstkenner.
Am Ende dieser Untersuchung bleibt die Frage, welche Bedeutung Heinses italienische
Aufzeichnungen im Rahmen der Ekphrasis haben. Das literarische Ergebnis der Italienreise,
der Roman Ardinghello, enthält etliche der in Italien verfassten Beschreibungen in
überarbeiteter Form. Obwohl Heinse sich in diesem Punkt einer Selbstzensur unterzog, wurde
der Ardinghello mit gemischten Gefühlen gegenüber der gewagten Verbindung von
Sinnlichkeit, Kunst und Philosophie aufgenommen. „Ich möchte dies Stück haben schreiben
können und doch nicht geschrieben haben“, schreibt Heinrich Christian Boie über den
Ardinghello.414 Die Ablehnung, die Heinse durch die einflussreichen Literaten seiner Zeit
erfuhr, ist laut Hofmann darauf zurückzuführen, dass die Entsublimierung, die u.a. in seinen
Kunstbeschreibungen vollzogen wird, „auf das Moment der Verdrängung aufmerksam macht,
das jeder Idealisierung in Literatur und Poetik innewohnt.“415
Heinse ist unzeitgemäß, allerdings nicht in dem Sinne, dass er als ‚Vorbote’ einer späteren
literarischen Strömung gelesen werden könnte. Selbst heute noch ist das Zusammendenken
von Kunst und Erotik, wie es Heinse in seinen Aufzeichnungen praktiziert, nicht
selbstverständlich und wirkt an manchen Stellen befremdlich. Die Basis dieses teilweise
eigentümlich anmutenden Beschreibungsverfahrens ist jedoch Heinses Bedürfnis, Werke der
bildenden Kunst auf einer Ebene äußerster „Lebensfülle“ zu vermitteln.416 Seine
Kunstbeschreibungen zielen auf eine ‚Versinnlichung’ des Kunstwerkes im doppelten Sinne:
Sie wollen nicht nur einen visuellen Eindruck des Kunstwerkes evozieren, sondern dasselbe
auch bis zum erotischen Objekt und Subjekt verlebendigen, es dem Rezipienten gleichsam in
die Arme schreiben. Gegenstück der lustvollen Täuschung, die die pygmaliontische
Kunstbeschreibung vermittelt, ist jedoch immer die Ent-Täuschung: der Blick auf das
Kunstwerk in seiner Gemachtheit.
Hölderlin schreibt am 16. Februar 1797 über Heinse: „Ich habe noch nie so eine grenzenlose
Geistesbildung bei so viel Kindereinfalt gefunden.“417 Auch die Kunstbeschreibungen in den
italienischen Aufzeichnungen zeugen von einem Zusammenwirken von „Kindereinfalt“ und
„Geistesbildung“ - spontane Begeisterung für das Kunstwerk und kunstliterarische
414 Heinrich Christian Boie am 24. September 1787 an Anton von Halem. Zit. nach: Leitzmann, S. 26. 415 Hofmann, S. 251. 416 Pfotenhauer, Um 1800, S. 38. 417 An Neuffer. Zit. nach: Leitzmann, S. 38.
95
Vorbildung wirken in gleicher Weise auf die italienischen Kunstbeschreibungen ein und
stellen gleichsam die Basis einer ‚natürlichen’ und einer ‚künstlichen’ Reaktion auf die Werke
der bildenden Kunst dar.
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Schweikle. Zweite, überarbeitete Auflage. Stuttgart und Weimar 1990.
Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hg.
von Ansgar Nünning. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart und
Weimar 2004.
Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe. Hg. von Ulrich Pfisterer.
Stuttgart und Weimar 2003.
Sachwörterbuch der Literatur. Hg. von Gero von Wilpert. Achte Auflage. Stuttgart 2001.
107
Abbildungen
a
Abb. 1: So genannter Apollo vom Belvedere. Marmor, 224 cm. Cortile del Belvedere, Inv. 1015.
108
Abb. 2: Laokoon-Gruppe. Weißer Marmor, 184 cm. Cortile del Belvedere, Inv. 1059.
Abb. 3: Detail Laokoon-Gruppe.
109
Abb. 4: So genannter Torso vom Belvedere. Marmor, 159 cm. Vatikanische Museen, Sala delle Muse, Inv. 1192.
110
Abb. 5: Tizian, Venus von Urbino (entstanden vor 1548). Öl/ Lw., 119x165 cm. Florenz, Uffizien.
Abb. 6: So genannte Venus Medici. Marmor, 153 cm. Florenz, Uffizien.
111
Abb. 7: Johan Zoffany: Tribuna (ca. 1772-78). Öl/ Lw., 123,5x155 cm. Windsor, Royal Collection.
Abb. 8: Herakles mit dem Telephos. Marmor, ohne Plinthe 202 cm. Vatikan, Museo Chiaramonti IX 3, Inv.1314.
112
Abb. 10: Hermaphrodit Borghese. Marmor, 148 cm. Paris, Louvre, Inv. MA 231.
Abb. 9: So genannte Juno Barberini. Marmor, 283 cm. Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 249.
113
Abb. 11: William Pether nach Joseph Derby of Wright: An Academy by Lamplight (1769). Schabkunstblatt. Kiel, Kunsthalle.
114
Abb. 12: Niobe mit ihrer jüngsten Tochter. Marmor, 228 cm. Florenz, Uffizien.
Abb. 13: Hermes, so genannter Antinous. Marmor, 195 cm. Cortile del Belvedere 53, Inv. 907.
115
Abb. 14: Tizian: Himmlische und irdische Liebe (um 1514). Öl/ Lw., 118x279cm. Galleria Borghese, Inv. 147.
Abb. 15: Raffael: Madonna di Foligno (wahrscheinlich 1512 vollendet). Ursprünglich auf Holz, 1801 auf Lw. übertragen, 320x198 cm. Pinacoteca Vaticana, Inv. 329.
116
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. II: Museo Pio
Clementino. Cortile Ottagono. Hg. von Bernd Andreae. Berlin und New York 1998. S. 34.
Abb. 2: Ebd. S. 63.
Abb. 3: Ebd. S. 79.
Abb. 4: Raimund Wünsche: Der Torso. Ruhm und Rätsel. Ausstellung der Staatlichen
Antikensammlung und Glyptothek München. München 1998. S. 24.
Abb. 5: Filippo Pedrocco: Tizian. München 2000. S. 167.
Abb. 6: Guido A. Mansinelli (Hg.): Galleria degli Uffizi. Le Sculture. Bd. I. Rom 1958. Tafel
45a.
Abb. 7: Luciano Berti: Die Uffizien. Vorwort von Giulio Carlo Argan. Stuttgart und Zürich
1984. S. 45.
Abb. 8: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. I, 2: Museo
Chiaramonti. Hg. von Bernd Andreae. Berlin und New York 1998. S. 670.
Abb. 9: Georg Lippold (Hg.): Die Sculpturen des Vatikanischen Museums. Im Auftrag und
unter Mitwirkung des Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. 3,1: Sala delle
muse. Sala rotonda. Sala a croce greca. Berlin 1936. Tafel 37 (546).
Abb. 10: <www.louvre.fr>
Abb. 11: Oskar Bätschmann: Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und
Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Wolfgang Kemp (Hg.): Der Betrachter
ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin 1992. S. 237-278, hier S. 254.
Abb. 12: Guido A. Mansinelli (Hg.): Galleria degli Uffizi. Le Sculture. Bd. I. Rom 1958.
Tafel 70a.
Abb. 13: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. II: Museo Pio
Clementino. Cortile Ottagono. Hg. von Bernd Andrete. Berlin und New York 1998. S. 23.
Abb. 14: Filippo Pedrocco: Tizian. München 2000. S. 106.
Abb. 15: Roger Jones und Nicolas Penny: Raffael. München 1983. S. 87.