Pedron, Angelika: Germanismen im Südtiroler Italienisch - Deutsche Entlehnungen in der...
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Deutsche Entlehnungen in der italienischen Schriftsprache Südtirols
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zur Erlangung des Grades einer Mag.a phil.
am Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik der philologisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät
an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
verfasst von Angelika Pedron eingereicht bei Ao. Univ.-Prof. Dr. Oskar Putzer
-2007-
2
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis...................................................................................................................2 I. Abkürzungen und Zeichen...................................................................................................6 II. Einleitung ..........................................................................................................................7
II.I. Gegenstand und Ziel der Arbeit....................................................................................7 II.II. Methoden ...................................................................................................................7
0. Wichtige Begriffe zur lingualen Interferenz ........................................................................9 0.1. Interferenz und Entlehnung..........................................................................................9 0.2. Fremdwort und Lehnwort...........................................................................................11
0.2.1. Lehnwörter nach v.Polenz und Schank ................................................................12 0.3. Lexikalische Interferenz oder inneres Lehngut nach Betz...........................................15
1. Linguistische und extralinguistische Faktoren der Übernahme ..........................................16 1.1. Linguistischer (systemhafter) Aspekt der Übernahme: Phonetischer, graph(em)ischer und morphologischer Grad der Integration........................................................................16
1.1.1. Definition des Terminus Integration ....................................................................16 1.1.2. Stellenwert der Entlehnungen in der Replikasprache ...........................................19
1.2. Extralinguistischer (pragmatisch-funktionaler) Aspekt der Übernahme ......................19 1.2.1. Der sachbezogene (onomasiologische) Aspekt.....................................................20 1.2.2. Der sprachökonomische Aspekt...........................................................................22 1.2.3. Der kommunikative Aspekt ..................................................................................22
1.3. Zusammenfassendes Schema: Die Faktoren der Übernahme nach Blasco Ferrer ........26 2. Die soziolinguistische Situation in Südtirol.......................................................................27
2.1. Geographische, demographische und soziologische Eckdaten zu Südtirol ..................27 2.2. Territorialgeschichte und Regionsbildung ..................................................................27 2.3. Die soziolinguistische Situation in Südtirol ................................................................28 2.4. Die Definition des Begriffs Bilingualismus nach Tesch..............................................30
2.4.1. Formen des Bilingualismus .................................................................................30 2.4.2. Entwicklung des Bilingualismus ..........................................................................31
2.5. Die Domänen der Sprachverwendung ........................................................................32 2.5.1. Chronologische Darstellung der Domänen der deutschen Sprache......................33
3. Deutsch in Südtirol – Südtiroler Deutsch ..........................................................................35 3.1. Die Situation der deutschen Sprache in Südtirol .........................................................35 3.2. Die kulturelle Situation der deutschen Sprachgruppe..................................................35 3.3. Varietäten der deutschen Sprache in Südtirol .............................................................36 3.4. Der Sprachgebrauch: Mediale Diglossie.....................................................................37 3.5. Sprachhistorische und sprachtypologische Einordnung des Südtiroler Dialekts ..........38 3.6. Linguistische Besonderheiten.....................................................................................39
4. Italienisch in Südtirol – Südtiroler Italienisch ...................................................................40 4.1. Die besondere Situation der italienischen Sprachgruppe in Südtirol ...........................40 4.2. Die italienische Sprachgruppe vor dem Ersten Weltkrieg ...........................................40 4.3. Die Annexion Südtirols und der Zustrom von Italienern im Faschismus.....................40
4.3.1. Einteilung der italienischen Einwanderer nach ihren beruflichen Tätigkeit .........41 4.4. Geographische Distribution der Italiener in Südtirol...................................................42 4.5. Der „disagio“ der Italiener in Südtirol ........................................................................43 4.6. Die Italiener und ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte im Land Südtirol..................44 4.7. Das Italienisch der Italiener in Südtirol ......................................................................45
4.7.1. Die Bildung einer italienischen „Koiné“ auf der Basis der Nationalsprache .......46 4.7.2. Varietäten der italienischen Sprache in Südtirol..................................................48
3
4.7.3. Phonologie des Italienischen in Südtirol..............................................................50 5. Die Deutschkompetenz der Italiener .................................................................................52
5.1. Die Italiener und die deutsche Sprache: Ein schwieriger Start ....................................52 5.1.1. Soziologische Faktoren für die Deutschkenntnisse der Italiener ..........................53
5.2. Die Bemühungen um bessere Deutschkenntnisse .......................................................54 5.3. Die gegenwärtige Deutschkompetenz der Italiener .....................................................54
6. Gegenüberstellung der beiden indoeuropäischen Sprachen Deutsch und Italienisch ..........56 6.1. Die sprachtypologische Klassifikation der Sprachen ..................................................56 6.2. Der Sprachbau im Vergleich ......................................................................................58
6.2.1. Die Komposition und andere Wortbildungsmechanismen des Deutschen im Vergleich mit dem Italienischen ....................................................................................60
7. Das Prestige der deutschen Sprache in Südtirol.................................................................62 7.1. Der Status der deutschen Sprache in der Welt ............................................................62 7.2. Das Prestige der deutschen Sprache in Südtirol im historischen Abriss ......................63
7.2.1. Die Stellung der deutschen Sprache im Faschismus ............................................63 7.2.2. Der „Pariser Vertrag“ - ein gescheiterter Versuch zur Rehabilitation der deutschen Sprache ........................................................................................................63 7.2.3. Vom „Los von Trient“ bis zum „Paket“ ..............................................................64 7.2.4. Das Zweite Autonomiestatut: Der Beginn des sprachlichen „Umdenkens“..........65 7.2.5. Die Achtziger-Jahre: Das wachsende Prestige der deutschen Sprache ................66 7.2.6. Die Sprachsituation von den 90er-Jahren bis heute .............................................67
7.3. Die aktuelle rechtlich-politische Stellung der deutschen Sprache................................68 7.4. Langers positive Voraussetzungen für die Zweisprachigkeit.......................................68 7.5. Einschätzung der drei Varietäten: Italienisch, Hochdeutsch und Südtiroler Mundart ..69 7.6. Der Druck des Deutschen...........................................................................................70
8. Der Sprachkontakt zwischen Italienisch und Deutsch .......................................................71 8.1. Die Definition des Begriffs Sprachkontakt nach Tesch...............................................71 8.2. Forschungsstand ........................................................................................................72 8.3. Geschichtliche Entwicklung des Sprachkontakts zwischen Deutsch und Italienisch ...73 8.4. Faktoren, welche die linguistischen Begebenheiten beeinflussen................................73 8.5. Diamesischer Aspekt .................................................................................................74 8.6. Themenbereiche.........................................................................................................74 8.7. Anpassungsformen in der graphischen Realisierung...................................................75
9. Germanismen im Italienischen..........................................................................................75 9.1. Historischer Abriss der Germanismen im Italienischen ..............................................75 9.2. Germanismen in der italienischen Sprache der Gegenwart .........................................77 9.3. Germanismen im Südtiroler Italienisch: Forschungsstand ..........................................79
9.3.1. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Germanismen im Südtiroler Italienisch .....................................................................................................................84 9.3.2. Belege für im Standarditalienisch integrierte deutsche Lehnwörter in der italienischen Schriftsprache Südtirols ...........................................................................89
10. Linguistische Analyse des Lehnguts ...............................................................................97 10.1. Formales zur Einordnung der Entlehnungen.............................................................97
10.1.2. Anführungsform der lexikalischen Belege ..........................................................97 10.2. Einordnung der Entlehnungen nach onomasiologischen Aspekten............................97
10.2.1. Speisen und Getränke........................................................................................97 10.2.2. Politik und Verwaltung....................................................................................106 10.2.3. Land- und Forstwirtschaft ...............................................................................114 10.2.4. Allgemeine Einrichtungen, Vereine/Verbände, Lokalitätseigennamen Feste, Events .........................................................................................................................118 10.2.5. Südtiroler Geschichte ......................................................................................123
4
10.2.6. Drittes Reich ...................................................................................................129 10.2.7. Begriffe aus Kultur und Geisteswissenschaften................................................132 10.2.8. Südtiroler Kultur und Brauchtum ....................................................................137 10.2.9. Rechtswesen ....................................................................................................141 10.2.10. Sport, Spiel und Freizeit ................................................................................142 10.2.11. Mode .............................................................................................................146 10.2.12. Varia .............................................................................................................148
10.3. Einordnung der Entlehnungen nach pragmatisch-funktionalen Aspekten................151 10.3.1. Der kommunikativ-pragmatische Fakor ..........................................................151 10.3.2. Deutsche Ausdrücke mit Symptom- und Signalfunktion....................................151
10.4. Einordung der Entlehnungen nach systemhaften Aspekten.....................................153 10.4.1. Phonetischer, graph(em)ischer und morphologischer Grad der Integration ....153 10.4.2. Sprachlich-formale Vorgeprägtheit .................................................................157
10.5. Ausblick auf den Gebrauch von Germanismen in der gesprochenen Sprache..........158 10.5.1. Gruß- Wunsch- und Anredeformen in der mündlichen Alltagssprache .............158
11. Forschungsergebnisse ...................................................................................................161 11.1. Ausblick ................................................................................................................165
Quellenverzeichnis .............................................................................................................166 Lebenslauf..........................................................................................................................173
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Widmung & Dank
Ein Dank ergeht an meinen Betreuer Ao. Univ.-Prof. Dr.Oskar Putzer für sein offenes Ohr,
seine Anregungen und sein Vertrauen in mein selbständiges Arbeiten.
Danken möchte ich all meinen Freunden für ihre unerschütterliche Loyalität in guten und vor
allem in schlechten Zeiten! Ihr seid unersetzbar.
Danken möchte ich an dieser Stelle aber vor allem meiner Familie, insbesondere meinen
Eltern. Danke für eure aufopfernde Geduld, danke für euren materiellen und besonders euren
immateriellen Beistand, den man mit nichts auf der Welt aufwiegen kann! Ihr habt uns Kinder
stets unterstützt, unsere Bildung wie selbstverständlich gefördert und uns allen die
Möglichkeit gegeben, zu studieren. All dies ist nicht selbstverständlich! Seid euch gewiss:
Wir wissen es zu schätzen!
Widmen möchte ich diese Arbeit
meiner Mutter.
6
I. Abkürzungen und Zeichen Abkürzungen AA = Alto Adige Adj. = Adjektiv ca. = circa/zirka CA = Corriere dell’Alto Adige1 best. = bestimmter Bsp. = Beispiel bzw. = beziehungsweise d.h. = das heißt dt. = deutsch f. = feminin friul. = friaulisch germ. = germanisch geschl. = geschlossen got. = gotisch lang. = langobardisch integr. = integriert it. =italienisch Jh. = Jahrhundert lat. = lateinisch m. = maskulin Ma. = Mundart mhd. = mittelhochdeutsch n. = neutrum nhd. = neuhochdeutsch off. = offen österr. = österreichisch Pl. = Plural Präp. = Präposition Sg. = Singular Standardspr. = Standardsprache süddt. = süddeutsch Tosk. = Toskanisch u. = und u.a. = unter anderem v.a. = vor allem venez. = venezianisch vgl. = vergleiche vs. = versus westl. = westlich z.B. = zum Beispiel
1 Kürzel der restlichen Primärliteratur siehe unter Quellenverzeichnis
Zeichen � = geworden zu � = entstanden aus * = rekonstruierte Form <italienische Entsprechung> <<in it. Standardspr. integr. Lehnwort>>
7
II. Einleitung
II.I. Gegenstand und Ziel der Arbeit
Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist die These, dass in Südtirol mit
Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts 1972 und der Einführung der
Zweisprachigkeitsprüfung der bis dahin marginale Einfluss der deutschen Sprache an Stärke
und Bedeutung gewonnen hat. Ziel dieser Arbeit ist es nun, einen Beweis dafür zu liefern,
dass im Sprachkontakt der beiden Sprachen Italienisch und Deutsch in Südtirol die
sprachlichen Einflüsse nicht mehr nur in eine Richtung strömen (Italienisch > Deutsch),
sondern mit Verbesserung der Zweitsprachkenntnisse der Italiener auch immer mehr deutsche
Entlehnungen (Germanismen) in die italienische Sprache eindringen.
Die Untersuchung basiert auf schriftlichen Quellen, also auf dem „reflektiertem
Sprachgebrauch“ (vgl. Pernstich 1981: 2). Schriftliches Belegmaterial hat Vor- und
Nachteile: Von Nachteil ist, dass sich die Lehnmotivationen nicht aus dem unmittelbaren
Sprachgebrauch der Sprechergemeinschaft herleiten lassen, sondern nur mehr sekundär
rekonstruiert bzw. vermutet werden können. Andererseits hat es den Vorteil, dass allgemeine
Tendenzen und der Stand der Integration aufgezeigt werden können (vgl. Pernstich 1981:
26). Im letzten Teil der Analyse wird ein kurzer Ausblick auf den Gebrauch von
Germanismen in der gesprochenen italienischen Sprache Südtirols gegeben.
Die Untersuchungsgrundlage der vorliegenden Diplomarbeit bilden zwei italienischsprachige
Südtiroler Tageszeitungen („Alto Adige“ und „Il Corriere dell’Alto Adige“), mehrere
italienischsprachige Sachbücher, die sich mit Südtiroler Themen beschäftigen und
sekundärliterarische Aufsätze zum Thema Germanismen im Südtiroler Italienisch (insgesamt
31). Diese schriftlichen Quellen wurden in Hinblick auf Germanismen untersucht. Auf der
Grundlage dieser Sammlung von Germanismen konnte ein Korpus an deutschem Lehngut in
der italienischen Sprache Südtirols erstellt werden.
II.II. Methoden
Die Ausrichtung dieser Arbeit ist synchron-deskriptiv (vgl. Pernstich 1981: 3). In einem
ersten Schritt werden die für die Analyse gesammelten empirischen Daten des Korpus’ nach
8
Themen bzw. Sachgebieten (semantischer Aspekt) gegliedert. Gleichzeitig wird in einem
zweiten Schritt versucht, die Fremdlexeme im Hinblick auf ihre morphologische, phonetische
und graph(em)ische (systemhafter Aspekt) Beschaffenheit bzw. ihren Integrationsgrad hin
zu beschreiben und die jeweilige Lehnmotivation (pragmatisch-funktionaler Aspekt) zu
rekonstruieren.
Als Zeitraum für die beiden Tageszeitungen „Alto Adige“ und „Il Corriere dell’Alto Adige“
wurde der Jahrgang 2005 ausgewählt, wobei beim „Alto Adige“ die Monate Jänner bis
Dezember untersucht wurden, beim „Corriere“ hingegen nur der Zeitabschnitt Juli bis
September. Das Zufallsprinzip bestimmte die Auswahl der einzelnen Ausgaben:
Schätzungsweise wurden beim „Alto Adige“, der im Jahr 1945 gegründet wurde und die
auflagenstärkste und meist gelesene italienische Tageszeitung Südtirols ist2, pro Monat
durchschnittlich an die 13-14 Zeitungen auf Germanismen hin durchgesehen, der 2003
gegründete „Corriere“ wurde hingegen nur stichprobenartig herangezogen. Bei der
Untersuchung war das besondere Augenmerk auf die Provinz Bozen und die den deutschen
Sprachraum betreffenden Themen gerichtet. Besonders interessant dabei war, dass im
„Corriere dell’Alto Adige“ trotz des kurzen Untersuchungszeitraumes proportional und
distributionell gesehen mehr Germanismen vorkommen als im „Alto Adige“. Einerseits rührt
dies sicherlich daher, dass sich der „Corriere“ ausschließlich auf lokale Berichterstattung mit
Kommentaren und Editorials beschränkt, andererseits ist es aber auch darauf zurückzuführen,
dass die Zeitung eher links-liberal ausgerichtet ist und sich vor allem an Leser der mittleren
bis höheren Bildungsschicht, also an die Intellektuellen, wendet. Der Umgang mit
Germanismen erscheint hier jedenfalls freier und ungezwungener3.
Der Vorteil bei Zeitungen ist, dass sie alle Gebiete des täglichen Lebens abdecken und somit
ein umfassendes Spektrum liefern. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Beiträge in den
Zeitungen von verschiedenen Autoren geschrieben werden (Pernstich 1981: 26f). Diese kann
man aber diastratisch eingrenzen, denn die Autoren - vor allem die namentlich genannten
Autoren der Leitartikel im „Alto Adige“ - gehören der Bildungsschicht bzw. den
Intellektuellen an. Ihrem Bildungsniveau entsprechend ist auch das Vokabular, das
gelegentlich auch auf fremde Lexeme zurückgreift.
Die in den Tageszeitungen verbreiteten Themenbereiche, in denen Germanismen vorkommen,
sind etwa Lokalpolitik, Südtiroler Geschichte, Gastronomie, Südtiroler Kultur und
Brauchtum, Alltagssprachliches, Einrichtungen/Verbände, Feste/Events, Mode oder
Sport. 2 http://it.wikipedia.org/wiki/Alto_Adige_(quotidiano) 3 vgl. http://it.wikipedia.org/wiki/Corriere_dell'Alto_Adige
9
Die Untersuchung der beiden anderen schriftlichen Quellen, den Sachbüchern und der
Sekundärliteratur, dehnt sich auf einen größeren Zeitraum aus, nämlich den von 1963 bis
2005. Er umfasst also ca. 40 Jahre. Hier wurde der Fokus jedoch weniger auf den Zeitraum
und die synchrone Beschreibung gerichtet, sondern auf die verschiedenen Sachbereiche, in
denen Germanismen anzutreffen sind. Die Themenbereiche der Fach- und Sachbücher, die auf
Germanismen hin untersucht wurden, sind: Südtiroler Geschichte, Südtiroler Kultur und
Brauchtum, Freizeit, Gastronomie, Sport, Landwirtschaft und Rechtswesen.
Die in der Sekundärliteratur vorkommenden Germanismen sind in folgenden Bereichen
auszumachen: Lokalpolitik, Mode, Gastronomie, Alltagssprache/Floskeln, Alpinismus,
Mineralogie, Signalwörter, Drittes Reich, Habsburgerzeit, Geisteswissenschaften und
Kultur.
0. Wichtige Begriffe zur lingualen Interferenz
0.1. Interferenz und Entlehnung
Zwischen diesen beiden Begriffen herrscht in der Linguistik weitgehend Unklarheit vor.
Weinreich definiert Interferenz als von der Sprachnorm abweichende Elemente, die vor
allem bei Bilingualen als Ergebnis einer Sprachkontaktsituation auftreten. In diesem Sinne
wird unter dem Begriff der Interferenz sowohl die gegenseitige als auch die einseitige
Beeinflussung verstanden. Also kann es bei Zweisprachigen laut H. Paul passieren, dass die
Muttersprache durch die fremde Sprache und die Fremdsprache durch die eigene Sprache
beeinflusst wird.
Entlehnungen werden meist an die eigene Sprache angepasst. Nach Luedke ist die
Entlehnung „die Beeinflussung einer Sprache in ihrem Wortschatz sowie in ihrer
Wortbildung“ (Luedke zitiert nach Tesch 1978: 33). Die Interferenz betrachtet er hingegen als
lexikalische und phonetisch/phonologische, morphologische und syntaktische Einflüsse.
Haugen unterscheidet beim so genannten „borrowing“ zwei Lehnvorgänge: „importation“
vs. „substitution“ zu Deutsch: „Übernahme“ und „Ersetzung“. Im ersten Fall wird das
sprachliche Zeichen als Ganzes übernommen, im zweiten erfolgt nur eine Entlehnung von
Inhalten und/oder Strukturmustern.
10
Juhász führte den Terminus „Transfer“ ein, dem zufolge eine Sprache A auf eine Sprache B
einwirkt, ohne deren Norm zu schädigen. Den Fall der Normenverletzung bezeichnet er
hingegen als „Interferenz“.
Auch Czochralski stellte eine Unterscheidung zwischen den Begriffen Interferenz und
Entlehnung auf. Seinen Ausführungen zufolge handelt es sich bei der Entlehnung um die
„Herübernahme fremden Sprachguts in die Muttersprache“ (Czochralski 1971 zitiert nach
Tesch 1978: 36), während die Richtung der Übertragung bei der Interferenz umgekehrt ist,
denn „als Modelle werden muttersprachliche Strukturen […] auf die Fremdsprache
übertragen, richtiger – projiziert.“ (Czochralski zitiert nach Tesch 1978: 36). Interferenz
betrachtet er als „Die gegenseitige Einwirkung und Beeinflussung von Strukturen, die zwei
verschiedenen Sprachsystemen angehören.“ (Czochralski zitiert nach Tesch 1978: 35).
Weiters empfindet er die Entlehnung als „Bereicherung der Muttersprache um eine in ihr
bisher nicht vorhandene oder als irgendwie besser empfundene sprachliche Einheit“
(Czochralski zitiert nach Tesch, 1978: 36), während er die Interferenz als „einen Mißbrauch
der Fremdsprache gemäß einem systemfremden Modell“ (Czochralski zitiert nach Tesch
1978: 36) betrachtet.
Der Hauptunterschied zwischen den beiden Begriffen ist also der, dass Interferenz in der
Sprachverwendung erfolgt, die Entlehnung hingegen durch den lingualen
Integrationsprozess ein Bestandteil des Sprachsystems4 wird. Dabei muss der Faktor
„Zeit“ nicht unbedingt eine Rolle spielen, wie es beispielsweise Kirkness und W. Müller
annehmen, indem sie sagen, dass die Entlehnung schon eine gewisse Zeit des Gebrauchs
voraussetzt. Oft wird der Terminus „Entlehnung“ auch im weiteren Sinn verwendet. Er
umfasst also Vorgang und Ergebnis des Prozesses.
Scheler unterscheidet drei Lehntypen:
a) primäre oder heterogene Entlehnungen: Fremdartige Gebilde werden übernommen und
bewirken eine qualitative Veränderung.
b) partielle oder homogene Entlehnungen: In der Muttersprache werden durch fremden
Einfluss neue Varianten einer bekannten Struktur geschaffen und veranlassen ebenfalls eine
qualitative Veränderung.
4 Wenn die „Abweichung“ (das Interferenz- oder Entlehnungsprodukt) fester Bestandteil des Sprachverkehrs und zur Norm wird, spricht man von Integration (Tesch 1978: 38). Hier sein auf E. Martins´ Definition hingewiesen: „Die Interferenz gehört der Parole an, wenn sie nur als Notlösung momentan und – meistens – unbewusst auftritt. Wenn sie bewußt und kollektiv betrieben wird, um notwendig gewordene Begriffe einzuführen, hinterläßt sie dauernde Spuren in der Langue“ (E. Martins 1970 zitiert nach Tesch 1978: 40)
11
c) sekundärer Einfluss: Durch fremden Einfluss wird der Gebrauch von muttersprachlichen,
heimischen Sprachphänomenen gesteigert und bewirkt quantitative Veränderungen (Tesch
1978: 31-38).
0.2. Fremdwort und Lehnwort5
H. Hirt bemerkte schon 1921:
„Man unterscheidet heute im gelehrten Sprachgebrauch Lehn- und Fremdwörter, indem man unter Lehnwörter die Worte versteht, die vollständig in unseren Sprachgebrauch aufgenommen und eingedeutscht sind, während man mit Fremdwörtern deutlich erkennbare Entlehnungen bezeichnet. Diese Unterscheidung kann aber nicht als wesentlich angesehen werden; sie ist ein Ergebnis des Zufalls und der Zeit.“ (Hirt zitiert nach Tesch 1978: 45)
Unter Fremdwort versteht man im Allgemeinen eine lexikalische Einheit, die aus einer
anderen Sprache übernommen wurde, aber in das phonologische, morphologische und
semantische System der Aufnahmesprache noch nicht (ganz) eingegliedert ist.
Unter Lehnwort versteht man ein in Form und Inhalt (Bedeutung) aus einer fremden Sprache
übernommenes Einzelwort, das bei Aufnahme in das heimische Sprachsystem gewisse
morphologische, phonetisch/phonologische, graphische und semantische Veränderungen
erfährt (Beispiel: lat. corpus � dt. ‚Körper’). So wird das lexikalische Element vollständig in
das neue Sprachsystem integriert und angepasst, gewissermaßen leicht modifiziert.
Wie schwierig es jedoch ist, diese beiden de facto zu unterscheiden, zeigt Haugens
Kommentar bezüglich des Lehnguts im Deutschen: „The Germans make a distinction
between the Lehnwort, a historical fact, and the Fremdwort, a contemporary fact. But it does
not appear just how the line is to be drawn.” (Haugen 1950 zitiert nach Tesch 1978: 45) Auch
Zindler schlägt in dieselbe Kerbe, indem er sagt, dass sich das Fremdwort vom deutschen
Wort in Aussehen, Lautung und Betonung unterscheidet, Lehnwörter sich jedoch dem
Deutschen angleichen (Tesch 1978: 45).
Synchronisch betrachtet beschränken sich Fremdwörter laut v.Polenz auf den individuellen
Gebrauch: Der einzelne Sprachteilnehmer verwendet ein Wort oder eine Wendung einer
5 Tesch 1978: 42-45
12
Fremdsprache nur manchmal und dann als Zitatwort6. Ein solches ist beispielsweise das von
Akademikern oft benutzte lateinische Adverb ‚pro forma’, welches in der deutschen Sprache
nur Zitatcharakter hat. Auch Bezeichnungen für Dinge, die es nur bei anderen Völkern gibt
wie z.B. ‚Kolchose’, sind als Zitatwörter einzustufen. Für das Verständnis beim Leser oder
Gesprächspartner ist die Kenntnis der Fremdsprache vorauszusetzen. (v.Polenz 1979: 22f).
Pernstich verwendet weitgehend synonym zum Begriff Zitatwort den Terminus Direkte
Übernahme. Dabei behalten Wörter und Wortgruppen (mindestens zwei syntaktisch
verknüpfte Wörter7) die fremdsprachliche Lautgestalt und Norm bei Übernahme in die
Muttersprache bei. Direkte Übernahmen sind wie die Zitatwörter Gelegenheitsbildungen.
Auch Wörter, welche Dinge bezeichnen, für die der Muttersprachler entweder kein
„eigensprachliches Pendant“ hat, dieses nicht kennt oder ihm nicht geläufig ist, sind laut
Pernstich als Direkte Übernahmen zu bezeichnen. Stilistische Absichten spielen dabei nicht
selten eine wichtige Rolle, denn mittels Zitatwort kann beispielsweise Ironie ausgedrückt oder
Sprachspiel betrieben werden. Weiters kann der fremde Ausdruck „präziser, expressiver,
treffender“ sein (Pernstich 1981: 56; 66).
Die Unterscheidung zwischen Fremd- und Lehnwort bleibt jedoch weitgehend dem
Sprachgefühl des einzelnen Beurteilers überlassen. Somit gibt es auch keine endgültige
Entscheidung (Tesch 1978: 45).
0.2.1. Lehnwörter nach v.Polenz und Schank
In der Fremdwort-Lehnwortforschung dominierte sehr lange ausschließlich der
diachronische bzw. etymologische Ansatz. Seit Mitte der 70er-Jahre rückte jedoch der
synchronische Forschungsansatz bei der Beschreibung des Lehnguts stärker ins Zentrum
(Schank 1979: 32), der sich mit folgender Frage beschäftigt „Wie verhalten sich die Wörter
fremdsprachiger Herkunft im Systemzusammenhang des Wortschatzes zu den
sinnbenachbarten Wörtern aus heimischem Sprachmaterial?“ (Zitat v.Polenz 1979: 17).
Lehnwörter sind synchronisch betrachtet alle Wörter fremdsprachlicher Herkunft, die von
einer größeren Gruppe verwendet werden. Diese Wörter lassen sich in sprachsoziologische
Kategorien unterteilen:
6 Zitatwörter = Wörter für Gegenstände, für welche der Sprecher kein passendes eigensprachliches Pendant kennt. Lexeme, welche in Lautgestalt und Norm der Fremdsprache folgen, in der Sprachgemeinschaft wegen ihrer Häufigkeit jedoch so integriert sind, dass man sie nicht mehr als „ad-hoc“-Übernahmen bezeichnen kann, stellen die erste Stufe der sprachlichen Integration dar (vgl. Pernstich 1981: 56f). 7 Pernstich 1981: 59
13
- Bildungswortschatz: Dies sind Wörter, die nur von akademisch Gebildeten
verwendet werden und meist auch nur von ihnen verstanden werden, aber nicht an
bestimmte Fachbereiche gebunden sind (Bsp.: ‚nonkonformistisch’).
- Fachwortschatz: bezieht sich auf Lehnwörter bestimmter Berufe und Sachgebiete.
- Gemeinwortschatz: ist allen Sprachteilhabern einer Sprachgemeinschaft geläufig
und gehört zu deren aktivem Wortschatz (v.Polenz 1979: 23f).
Laut v.Polenz kommt es in der Lehnwortforschung darauf an,
a) von wem das Wort gegenüber wem benutzt wird
b) wie die Sprech- oder Schreibsituation, der Sachbezug, der Kontext und die Stilfärbung sind
c) welche Stellung das Lehnwort im zugehörigen Wortfeld einnimmt
d) wie die graphische, phonetische und die flexivische Angleichung aussieht (Schank 1979:
36).
Schank ergänzt bzw. erweitert v.Polenz’ Merkmale um folgende Kriterien:
• Frequenz/Häufigkeit von Lf8: Die Häufigkeit des Vorkommens von Lf in
muttersprachlichen Texten weist uns auf die Verbreitung und den Bekanntheitsgrad des
Fremdlexems hin.
• Kommentierungen zu Lf: Wird ein Fremdlexem im muttersprachlichen Kontext zum
ersten Mal verwendet, kommt es häufig vor, dass der Sprecher/der Schreiber die
Neueinführung kommentiert, was darauf hinweist, dass das Fremdlexem noch nicht in das
aufnehmende Sprachsystem integriert ist, sondern erst am Anfang dieser Entwicklung
steht und dass der Hörer/der Leser eventuell noch Verständnisschwierigkeiten hat. Eine
solche Kommentierung könnte in etwa so aussehen:
- „Lf (um ein lateinisches Wort zu gebrauchen […] )“
Die sprachliche Kommentierung kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen:
Einerseits durch Übersetzungen oder Erläuterungen (Schank 1979: 37f), andererseits
durch das Setzen von Anführungszeichen. Diese drei Kommentierungsformen
unterstreichen den Zitatcharakter eines Wortes (Pernstich 1979: 62f).
• Synonyme zu Lf: Ein Lf kann übernommen werden, weil es in der eigenen Sprache für
die neu eingeführte Sache keine Bezeichnung, keine Synonyme gibt.
8 Lf = fremdsprachliches Lexem
14
• Soziale Verbreitung von Lf: Das Fremdlexem ist zunächst nur wenigen Benutzern
geläufig, dringt dann aber mit der Zeit in den passiven oder aktiven Wortschatz der
Sprachgemeinschaft ein. Für seine Verbreitung ist zunächst der Begriff „soziale Gruppe“
relevant. Weiters hängt die Fremdwortverwendung auch maßgeblich von der (Aus-)
Bildung seines Benutzers ab ( = soziale Schicht).
• Verwendungssituationen von Lf: In diesem Kontext kommt die Frage nach den sozialen
Situationen, in denen Fremdlexeme verwendet werden, zum Tragen. Man unterscheidet
dabei zwischen geschriebener und gesprochener Sprache.
• Textsortenspezifische Verwendung von Lf: Als Desideratum führt Schank hier eine
Texttypik für die geschriebene und gesprochene Sprache an, mittels der die graduelle
Verbreitung eines Fremdlexems dezidierter beschrieben und verfolgt werden kann (so wie
beispielsweise das Lf ‚Hit’ aus der Textsorte Schlageransage in die Textsorte „Werbetext“
wandert).
• Sachbereichspezifische Verwendung von Lf: Viele Fremdlexeme werden zunächst nur
in einem sehr eingeschränkten Sachbereich und –Zusammenhang verwendet. Von diesem
Ausgangsbereich können sie dann in andere Sachbereiche übernommen werden.
• Phonembereich von Lf: Das Lf kann ein oder mehrere Phoneme besitzen, die das
Phoneminventar der aufnehmenden Sprache nicht kennt. Diese fremden Phoneme werden
mit der Zeit durch klangähnliche und vertrautere Phoneme des muttersprachlichen
Phonemsystems ersetzt.
• Flexion von Lf: Manche Fremdlexeme haben bei der Übernahme ins heimische
Sprachsystem noch eine andersartige Flexion. Bei steigender Verbreitung des Lfs kann es
dazu kommen, dass dieses flexivisch an die Zielsprache angepasst wird.
• Betonung von Lf: Meist bleibt die ursprüngliche Betonung des Lfs erhalten, kann sich
aber auch an das Betonungsschema der aufnehmenden Sprache angleichen. Bei schriftlich
fixierten Texten kann man die Betonung allerdings nur in sprachlich gebundenen Texten
überprüfen, in der gesprochenen hingegen kann sie problemlos überprüft werden.
• Wortbildung von Lf: Dabei denke man an Fälle, in denen fremde Morpheme in der
eigenen Sprache aktiv und produktiv werden können (z.B. das englische Suffix -ing im
Deutschen � ‚Camping’, ‚Dancing’)
• Motiviertheit von Lf als ein sprachliches Zeichen in muttersprachlichen Kontexten:
An der Zahl der vom Benutzer verwendeten Kommentare zu einem Fremdlexem ist
dessen Motiviertheit erkennbar.
15
• Sprachliche Distribution von Lf ( = semantischer Gesichtspunkt): Hierbei könnte
einerseits die Frage nach den „lexikalischen Solidaritäten“ zwischen dem Lf und dem
muttersprachlichen Ausdruck, andererseits die Bildung von Syntagmen und
Phraseologismen mit dem Lf als „tragendem Element“, interessant sein.
(vgl. Schank 1979: 37-42).
0.3. Lexikalische Interferenz oder inneres Lehngut nach Betz
Betz stellt in seiner Arbeit „Deutsch und Lateinisch“ (1949) drei Möglichkeiten der
lexikalischen Entlehnung fest: Lehnwort, Lehnbildung und Lehnbedeutung. Lehnbildung
und Lehnbedeutung fasst er unter dem Oberbegriff Lehnprägung zusammen. Im Gegensatz
zum Lehnwort bilden Lehnprägungen „die fremde Lexikoneinheit mit eigensprachlichem
Material nach“ (Zitat Tesch 1978: 112). Lehnwörter sind also äußeres Lehngut
(Materialentlehnungen), Lehnprägungen inneres Lehngut (Tesch 1978: 111f). Beim inneren
Lehngut wird nur die Inhaltsseite übernommen, während beim äußeren Lehngut die
Inhaltsseite gleichzeitig mit der Ausdrucksseite übernommen wird (Pernstich 1981: 94f).
Abb.1. Das innere Lehngut (vgl.: Pernstich 1981: 104)
Wenn ein neuer Wortkörper gebildet wird, spricht man von Lehnbildung. Nimmt ein
eigensprachliches Wort die Bedeutung eines fremdsprachlichen Wortes an, ist von
Lehnbedeutung die Rede. Die Lehnbildung untergliedert Betz weiter in Lehnformung, bei
der einerseits Glied für Glied (Lehnübersetzung), andererseits auch nur Einzelglieder
16
übersetzt sein können (Lehnübertragung), und Lehnschöpfung, bei der ein neues,
eigensprachliches Wort geschaffen wird, das sich formal nicht an das fremdsprachliche
Vorbild anlehnt (Pernstich 1981: 96; 141).
1. Linguistische und extralinguistische Faktoren der Übernahme
1.1. Linguistischer (systemhafter) Aspekt der Übernahme: Phonetischer, graph(em)ischer und morphologischer Grad der Integration
1.1.1. Definition des Terminus Integration
Integration ist laut Metzler (2000) die Bezeichnung „für die Eingliederung von
anderssprachigen Elementen in das System oder das Lexikon einer Spr.[ache]“ (Zitat Metzler
2000: 305). Im Unterschied dazu treten Interferenzen laut Weinreich nur in der Rede bzw.
der Sprachverwendung auf, während Integrate bereits Bestandteil der Norm im Sprachsystem
geworden sind. Die Grenze zwischen den beiden ist jedoch nur schwer zu ziehen, denn die
Übergänge sind fließend. Man spricht von Integraten, wenn die Interferenzen vollständig an
die Empfängersprache angepasst und eingebürgert sind und auch im Sprachverkehr einer
Sprechergemeinschaft verwendet werden. (Pernstich 1981: 39-42).
Wenn Lehngut aus anderen Sprachen in die eigene Sprache übernommen wird, kann die
aufnehmende Sprache auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems beeinflusst werden.
Je nach Assimilierung oder Nichtassimilierung der Lehnwörter (im weitesten Sinne) in
phonetischer, graphischer und morphologischer Hinsicht unterscheidet man (assimilierte)
Lehnwörter (im engeren Sinn) und (fremd gebliebene) Fremdwörter (Metzler 2000: 402).
Auch zwischen den beiden Begriffen Lehnwort und Fremwort kann man nur schwer eine
genaue Grenze ziehen. Laut Stiberc sind die beiden Begriffe gewissenmaßen wie zwei Pole,
zwischen denen es Abstufungen gibt. Hauptkriterium für die Zuweisung ist der Grad der
Anpassung an die Replikasprache9, wobei die Aussprache (Lautung und Betonung), die
Schreibung und die Flexion eine tragende Rolle spielen (Stiberc 1999: 171).
9 Replikasprache = beeinflusste (dominierte) Sprache (http://romani.uni-graz.at/romani/download/files/gls50-igla.pdf)
17
Ausschlaggebend für die Unterscheidung zwischen Fremd- und Lehnwort sind nach W.
Müller vor allem „die graphischen, die grapho-phonetischen und die semantisch-
lexikalischen sowie die grammatisch-morphematischen Merkmale“ (Zitat Müller 1979: 60).
a) Phonetische und graphisch-graphemische Integration
Mit Wörten, die eine für die aufnehmende Sprache untypische Schreibung (Schriftbild10) und
Lautung haben, die es im Phonem- bzw. Graphemsystem nicht gibt, wird auf folgende Art
und Weise verfahren:
• Entweder wird das eigene Laut- bzw. Graphemsystem erweitert oder
• der fremde Laut/der fremde Buchstabe wird in das eigene Laut- oder Graphemsystem
integriert, indem er mit einem Ersatzlaut/Ersatzbuchstaben ausgetauscht wird.
Aber nicht nur Laute, sondern auch Lautkombinationen können typisch oder untypisch für
eine Sprache sein (vgl. Stiberc 1999: 171ff). Dies wären im Italienischen beispielsweise „pf“,
„st“ und „sp“.
b.) Morphologisch-grammatische Integration
Von grammatischer Integration spricht man, wenn ein Lehnwort die Form einer bestimmten
Flexionsklasse (Deklination, Konjugation) der Replikasprache annimmt, also an deren
Mustern angepasst wird. Das Lehngut gliedert sich auf diese Weise grammatisch in der
Nehmersprache ein.
Tesch führt exemplarisch einige Fälle der grammatischen Integration der Nomina an:
• Kasusintegration: Meistens wird das Wort nur in einer Kasusform entlehnt, die
gleichsam als „Leitform“ oder „Leitkasus“ auftritt. Nomina werden normalerweise in ihrer
Nominativ-Singular-Form übernommen. Wenn sich das Lehnwort jedoch nicht
automatisch in das Flexionssystem der aufnehmenden Sprache einfügt, können
Unregelmäßigkeiten in der Flexion auftreten. Zu bemerken ist weiters, dass der Kasus in
nicht-deutschen Sprachen nicht nur durch Endungen, sondern auch durch Artikel oder
diesen ersetzende Wörter ausgedrückt werden kann. Tesch zufolge ist dies „ein Indiz für
geringe linguale Integration“ (Zitat Tesch 1978: 182).
10 Müller 1979: 62
18
• Numerusintegration: Von Numerusintegration spricht man, wenn das fremde Lexem an
die Numerus-Bildung der Replikasprache angepasst wird (Singular- bzw. Pluralbildung).
• Genusintegration: Lehnwörter erfahren oftmals einen Genuswechsel (Artikel). Mit
Baranow gesprochen erfolgt die Genuswahl entweder nach dem natürlichen Geschlecht,
der Wortform oder der Bedeutung der verdrängten Synonyme. Das Lehnwort wird auch
oft dem gleichen Genus zugeteilt, das die nächstliegende Übersetzung besitzt (vgl. Tesch
1978: 181-187).
• Wortbildungsintegration: Nach W. Müller sind die Fremdlexeme einerseits immer unter
Einbeziehung der verschiedenen grammatischen Kategorien zu betrachten und
andererseits – falls gegeben – auch unter semantisch-lexikalischen Gesichtspunkten
(Wortbildungsmittel: Suffixe, Präfixe). (Müller 1979: 62). Wenn sich Lehngut mit
indigenen Wortbildungsmustern verbindet, wird es in der Empfängersprache produktiv
(vgl. Tesch 1978: 181-187).
Differiert der Grad der Integration eines Fremdlexems auf verschiedenen Ebenen der
linguistischen Beschreibungen, spricht man von nicht vollständiger oder partieller
Integration. So kann ein übernommenes Wort beispielsweise zwar der phonetischen
Repräsentation der Replikasprache entsprechen, aber graphisch nicht repräsentiert werden
(vgl. engl. ‚match11’). Wenn die Entlehnung auf allen Ebenen angepasst ist, spricht man von
vollständiger Integration.
Für nicht vollständig oder partiell Integriertes lassen sich Skalen aufstellen, mittels derer
der Grad der Integration angegeben werden kann:
1.) eine Skala, die den Integrationsgrad z.B. an der Unsicherheit eines Sprechers in Bezug
auf die morphologische, graphische oder phonetische Realisierung einer Entlehnung
misst.
2.) eine zweite Skala, die den Integrationsgrad auf jeder einzelnen Ebene der
Beschreibung (Morphologie, Phonetik, Graphie) nach Integration und Nichtintegration
analysiert.
Partielle Nichtintegration auf graphischer und morphologischer Ebene treten häufig
kombiniert auf (Wienold 1979: 107). Aufschluss über den Grad der Integration des entlehnten
Wortes geben unter anderem auch das „Kursiv-Setzen“ des Ausdrucks, das Anführen von
Übersetzungen oder Erläuterungen (vgl. Schank 1979: 37f), das Setzen von Klammern
und/oder das „Unter-Anführungszeichen-Setzen“ des Fremdlexems.
11 Im Deutschen würde es graphisch ‚Metsch’ heißen.
19
1.1.2. Stellenwert der Entlehnungen in der Replikasprache
Den Stellenwert, den die jeweiligen Interferenzen bzw. Integrate in der entlehnenden Sprache
einnehmen, kann man wie folgt beschreiben:
• Manche fremdsprachlichen Ausdrücke haben keinen eigensprachlichen Konkurrenten,
sind also unvermeidbar (Interferenzen ohne eigensprachliche Entsprechung)
• Manchen fremdsprachlichen Ausdrücken steht ein eigensprachliches Pendant zur
Verfügung. Diese „Entsprechungspaare“ stehen also in einem mehr oder weniger
starken, konkurrierendem Verhältnis zueinander (Interferenzen mit eigensprachlicher
Entsprechung)
• Manche fremdsprachliche Ausdrücke stehen zur entlehnenden Sprache in
komplementärer Beziehung. Sie bereichern und differenzieren den Wortschatz
(Moser/Putzer 1980: 151-155).
1.2. Extralinguistischer (pragmatisch-funktionaler) Aspekt der Übernahme
Die extralinguistischen Faktoren des Sprachwandels bzw. der Übernahme gehören der der
Pragmatik und Sigmatik an. Die linguistischen Faktoren beziehen sich laut K.H. Schmidt
(1973) auf Sprache als homogenes System, während sich die extralinguistischen Faktoren auf
Sprache als heterogenes Diasystem beziehen. Die durch Kontakt bedingte Interferenz ist
ergo als ein extralinguistisch-pragmatischer Bestandteil des Sprachwandel zu untersuchen.
Unter „Lehn-motivation“ versteht man das Suchen nach den Gründen der Entlehnung.
Dieser Terminus kann im eigentlichen Sinne nur für den „kommunikationsbezogenen Aspekt“
in Anspruch genommen werden.
Die „äußeren Voraussetzungen“ oder „Realursachen“ der Interferenz sind charakterisiert
durch die jeweiligen historischen, geographischen, politischen, ökonomischen und sozialen
Faktoren. Dem Faktor Modus der Zweisprachigkeit kommt hierbei eine besondere Bedeutung
zu: Die Abhängigkeit des Lehnmodus hängt vom Grad des Bilingualismus ab.
Untersucht werden sollen hier die „Inneren Ursachen“. Eine exakt-systematisierende
Untersuchung der Interferenz- bzw. Integrationsmotivation war im Jahre 1979 noch nicht
vorhanden. Weinelt meint skeptisch hierzu, dass der Grund, aus dem ein Fremdwort anstelle
eines eigenen Wortes verwendet werde, meist nicht anzugeben sei.
20
Der Zufall sei meist nicht auszuschließen, jedoch sind auch typische Motivationen erkennbar.
Je nach Sprachebene, Denotatbereich, Areal- und Schichtzugehörigkeit treten hierbei jedoch
Variationen auf. Auch sind die Motivationsfunktionen bei unilingualen Sprechern anders
gelagert als bei bi- oder multilingualen, bei Individuen anders zu bewerten als bei sozialen
Gruppierungen.
Weinreich stellt die Differenz zwischen infra- und extralinguistischen Motivationen auf.
Baranow untergliedert die infralinguistischen Motivation weiters in die Faktoren
Sachbezogenheit, Sprachökonomie und relative Häufigkeit. Die extralinguistischen
Motivationen nennt er „kommunikativer Aspekt“.
Es ist immer schwierig, einen Motivationsfaktor isoliert zu analysieren, da meist mehrere
Faktoren zusammenwirken. Tesch versucht trotzdem eine Differenzierung:
1.2.1. Der sachbezogene (onomasiologische) Aspekt
Extralingual hervorgerufene Bezeichnungslücken (Bellmann bezeichnet dies als „Eins-zu-
Null-Äquivalenz“) motivieren sprachliche Entlehnungen.
Foltin meint hierzu: „Im Sachwandel /und im Begriffswandel/ ist wohl die wichtigste Ursache
für den Untergang und die Neubildung von Bezeichnungen zu suchen.“ (Foltin 1963 zitiert
nach Tesch 1978: 201). Unter anderem kann der Sach- und Begriffswandel kontaktbedingt
erfolgen, nach dem Motto: „Interferenz im lexikalisch-semantischen Bereich tritt also dort
auf, wo die Kenntnis der Sx einen Bedarf, eine Distinktion hervorgerufen hat, die Sy nicht
kennt oder nötig hat.“ (Martins 1970 zitiert nach Tesch: 201).
Zu einer Bezeichnungsentlehnung kommt es vor allem, wenn die sachliche Innovation aus
einem fremden Kulturkreis importiert wird, in dem es schon die entsprechende Bezeichnung
gibt. Der Bikulturalismus wirkt nach folgendem Prinzip: „neue ‚Sache’, neue Bezeichnung,
interferenzfördernd, besonders dann auch, wenn – hier kommt der Faktor Sprachökonomie
mit ins Spiel – die Fremdbezeichnung weniger lange syntagmatische Einheiten fördert.“ (vgl.
Oksaar 1972 zitiert nach Tesch 1978: 202).
Als zusätzlicher Teil-Motivationsfaktor sei auch die zwischen Wissenschafts- und
Fachsprachen notwendige internationale Verständigung angeführt, die auf immer mehr
kollektivierende Sprachformen zusteuert.
Baranow spricht im Zusammenhang mit den Appellativa, die von ihrer kontextuellen
Funktion her in die Nähe von Eigennamen rücken (das sind beispielsweise Bezeichnungen für
Ämter, Geschäfte, Schulen), von „Lehnzwang“. Denn offenbar erweist sich die Verknüpfung
21
von Bezeichnung und Sache im zwischensprachlichen Kontext als so beständig, dass die
Fremdwörter die Bezeichnungslücke füllen.
Ühmann nennt die Kategorie sachnotwendiger Entlehnungen Bedürfnislehnwörter und stellt
sie den Luxuslehnwörtern gegenüber, also jenen Fremdwörter, die in die Sprache einflossen,
ohne dass ein wirkliches materielles Bedürfnis bestand, weil einheimische Synonyme zur
Verfügung standen. Nach Zindler gibt es allerdings keine reinen Luxuslehnwörter, weil
nämlich in der Sprache keine Synonyme im eigentlichen Sinne des Wortes existieren. Deroy
spricht im Zusammenhang mit Luxuslehnwörtern von „practical necessicty“ und „emotional
needs“. Haugen meint dazu: „Yet he recognizes that there is no absolute necessity of
borrowing a foreign name along with a new product, and conversely that emotional needs are
just as real as any other.“ (Haugen 1957 zitiert nach Tesch 1978: 204). Aus diesem Grund
sind Letztere auch nicht als negativ oder snob-haft zu bewerten.
Einige Lexeme ermöglichen es nach Zindler sogar, an einer schon bekannten Sache bzw. an
einem bereits vorhandenen Begriff neue Seiten zu sehen oder zu benennen.
Die Duden-Redaktion rät zu einem richtigen Gebrauch von Fremdwörtern, manche völlig
entbehrliche solle man isolieren. In einem deskriptiv-systematisierenden Ansatz sollte
hingegen davon ausgegangen werden, dass die Entlehnung sprachlicher Erscheinungsformen
bereits ihre Notwendigkeit impliziert, wenn nicht im Hinblick auf das Sprachganze, dann vom
Standort des Sprechers/Schreibers aus betrachtet.
Willis, seines Zeichens Sprachpurist, untersuchte Fälle, in denen das Fremdwort seiner
Meinung nach missbraucht und „entartet“ werde:
a) fremdsprachliche Effekthascherei, Prahlsucht, Titelsucht und Eitelkeit
b) geistige Bequemlichkeit, Gedankenlosigkeit und sprachliche Unsicherheit
Tesch bemerkt abschließend, dass man einerseits Juhász Recht geben müsse, der bemerkt,
dass – je häufiger eine sprachliche Erscheinung angewandt wird – umso weniger zu
analysieren noch zu bewerten sei. Andererseits sei es die Aufgabe der
verantwortungsbewussten Sprachpflege, die oben angeführte Aussage nach Maß, Muster,
Regel und Auswahl und nach dem faktisch verbreiteten Sprachgebrauch zu überprüfen.
In der vorliegenden Arbeit wird das Korpus in Anlehnung an Riedmann zunächst vom
onomasiologischen Standpunkt aus betrachtet. Riedmann hat das für sein Opus „Die
Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in Südtirol“ (1972) gesammelte Sprachmaterial
an Italianismen im Südtiroler Deutsch respektive an spärlich gesäten Germanismen im
Südtiroler Italienisch nämlich einzelnen Sachgruppen zugeteilt und diese ebenfalls vom
22
onomasiologischen Gesichtspunkt aus betrachtet. Andere Möglichkeiten zur Ordnung des
Wortschatzes führt Riedmann nicht an. Immerhin gibt diese Gliederung nach Sachbereichen
einen Einblick in besonders aufnahmefreudige Wortschatzbereiche (Moser/Putzer 1980:
151f).
1.2.2. Der sprachökonomische Aspekt
Der Definition Martinets zufolge ist Sprachökonomie
„dieses ständige Streben nach einem Gleichgewicht zwischen widerstreitenden Bedürfnissen, denen Genüge getan werden muss: Kommunikationsbedürfnis auf der einen, Gedächtnisträgheit und Trägheit des Artikulierens – diese beiden in ständigem Konflikt – auf der anderen Seite, und alle diese Faktoren in ihrem Wirken eingeschränkt durch verschiedene Tabus, die die Sprache durch den Ausschluss jeder allzu deutlichen Neuerung zu fixieren streben.“ (Martinet 1963 zitiert nach Tesch 1978: 207)
Zum einen ist der Sprecher also bemüht, die verschiedenen Funktionen der Sprache je nach
Situation zu berücksichtigen, zum anderen tendiert er zur Minimalisierung des dafür nötigen
Energieaufwandes.
Nicht immer setzt sich aber „die handliche, treffende, der leichten Aussprache
entgegenkommende Bezeichnung mit größtmöglichen Informationswert durch“ (Martin zitiert
nach Tesch 1978: 208). Das Fremdwort wird meistens unbewusst verwendet.
Was für unsere Belange von besonderem Interesse sein dürfte, ist, dass vor allem in
Zweisprachigkeitssituationen das Prinzip der Sprachökonomie auftritt und die Interferenz
fördert. Nachdem sich beide Kontaktsprachen auf dieselbe außersprachliche Wirklichkeit
beziehen, tendieren Bilinguale zu Kompromissstrukturen. Als Beispiel aus dem bilingualen
Bereich ist etwa portugiesisch ‚oficina’ statt ‚Reperaturwerkstätte’ zu nennen, denn die
Silben- und Phonemanzahl ist dort geringer.
1.2.3. Der kommunikative Aspekt
a) Darstellungsfunktion
Im interlingualen Verkehr tritt oftmals ein „switching“ ein, wenn dem Bilingualen das gerade
erforderliche Sprachelement nicht einfällt und es keinen äußeren Zwang zur scharfen
Trennung gibt. Es dominiert hier die Absicht, vom Empfänger wenigstens verstanden zu
23
werden. Diese Intention zeigt sich besonders dort, wo in der einen Sprache gegebene wichtige
Informationen durch Ausdrücke der anderen Sprache ausgeschmückt und verdeutlicht
werden.
b) Symptom- und Signalfunktion
Diese beiden Funktionen kommen miteinander vor, denn der Bezug zu Sender bzw.
Empfänger lässt sich in Hinblick auf die nun folgenden „lehnmotivierenden Faktoren
stilistischer Ausprägung“ (Baranow 1973) nur schwer feststellen. Impliziert sind auch meist
Momente der Darstellungsfunktion. Stave schreibt:
„Immer hat der Sprecher das Fremdwort als Redeschmuck benutzt (stilgerecht sprechen). Als Euphemismus (taktvoll sprechen) oder als Mittel der Abkürzung (sparsam sprechen), immer hat es ihm dazu gedient, seine Rede bedeutend erscheinen zu lassen (Schwellwert), sie abzutönen (Fächerwert), Gemeinsamkeit herzustellen (Verbundwert) oder sich abzuriegeln (Sperrfunktion)“ (Stave 1973 zitiert nach Tesch 1978: 210)
• Stilvariation
Lehngut erzeugt vorher nicht existierende Synonyme, was auch die Voraussetzung des
Begriffs „Stil“ darstellt, dessen Bedingung die Wahlmöglichkeiten sind. Bellmann führt
an, dass „Sach- und Lebensbereiche, die vom Realen her starke Affektbetontheit erwarten
lassen, sich durch besonders reichen Ausbau der entsprechenden Synonymengruppen
auszeichnen“ (Bellmann 1968 zitiert nach Tesch 1978: 210).
Besonders produktiv sind lobende und tadelnde Ausdrücke, welche zu einer
Wortfeldbereicherung führen (z.B. nett, famos, süperbe, grandios). Im Deutschen herrscht
nach Richter eine „wahre Nuancensucht“ vor. Mit dem Fremdwort kann nämlich gezielt
eine bestimmte Atmosphäre erzeugt werden. Besonders der Journalismus und die
Literatursprache bedienen sich mit Vorliebe solcher Interferenzen.
• Sprachlicher Spieltrieb
Zu diesem Punkt sind vor allem Eigentümlichkeiten bestimmter Sondersprachen
anzuführen, z.B. die Studentensprache, die Fremdwörter heranzieht, um scherzhafte
Effekte zu erreichen.
Als Beispiel seien die Dichter Ringelnatz und Morgenstern angeführt, die unter anderem
den Begriff Wortwitz prägten (Klavier - Klafünf, Damen - Dämlichkeiten). Décsy spricht
vom homo ludens, der mit Sprache spielt. F.J. Hausmann definiert das Wortspiel als
24
„die objektsprachliche Formulierung einer metasprachlichen Information über die
semasiologische Ökonomie der Sprache“ (Hausmann 1974 zitiert nach Tesch 1978: 211).
Im Medium Sprache macht sich das Zusammentreffen von Ungleichem bemerkbar.
Im kommerziellen Alltag ist es vor allem Ziel, mit Fremdwörtern die Aufmerksamkeit des
Lesers zu erregen.
• Euphemismus und Kakophemismus
Durch das Fremdwort können gewisse Tabus, z.B. im sexuellen Bereich, umschrieben
werden (‚callgirls’ vs. ‚Telefonhuren’). Weiters kann man mit dem Fremdwort auch Dinge
beschwichtigen oder verschleiern, denn es ist dem Laien oft nicht bekannt und fungiert
demnach als „Hüllwort“. Für kakophemische Zwecke werden gerne pejorative
Konnotationen entlehnt.
• Reiz des exogenen Lexems
Bestimmte Sprachen wirken exotischer und romantischer als andere. Nach F. Seiler üben
Fremdwörter, die reich an Vokalen sind und die einen vollen Klang haben, einen eigenen
Reiz im Deutschen aus.
Die deutsche Sprache hat mehrere Epochen der Modeerscheinung „Fremdsucht“ erlebt.
Hier sei beispielsweise die Übernahme französischen Lehngutes im Hochmittelalter durch
das Rittertum und seine Literaten zu nennen. Im 17. und 18. Jahrhundert, der so genannten
Alamodezeit, hat sich diese Erscheinung in allen Volksschichten verbreitet. Heute
überwiegt die Begeisterung für amerikanische Modeausdrücke.
Seiler zufolge befriedigt die Mode das unausrottbare Bedürfnis des Menschen nach
Wechsel, sie vermehrt den Besitz, „beseitigt sodann das Verbrauchte und Abgeleierte und
bringt Neues und Frisches, das nicht deswegen schon schlecht zu sein braucht, weil es neu
ist“ (Seiler zitiert nach Tesch 1978: 213)
Exogene Lexeme werden vorwiegend in den Textsorten der Reklame und der politischen
Sprache angewandt, weil sie einerseits Einprägsamkeit und einen besseren Werbeeffekt
und andererseits den Stilwert des Modernen und Unkonventionellen besitzen.
• Sozialer Wert der Modellsprache
Tesch schreibt in Anlehnung an Scotton, Okeju und Weinreich:
„Der Prestigefaktor macht sich nicht nur bei bilingualen Sprechern bemerkbar – wo er je nach Art des Bilingualismus relativiert wird […] – , auch für den unilingualen
25
haben Lexeme prestige-beladener Fremdsprachen einen sozialen Mehrwert.“ (Zitat Tesch 1978: 213)
Besonders Menschen, die dem (gebildeten) Mittelstand angehören, verwenden
Fremdwörter, auch wenn es in ihrer eigenen Sprache treffendere Alternativen gibt. Hier
zeigt sich ein gewisser Akkulturationsgrad. Bei so genannten „Halbgebildeten“ wirkt
der Fremdwortgebrauch hingegen oft lächerlich und unnatürlich.
Der Faktor sozialer (Mehr-)Wert der Modellsprache darf jedoch nicht isoliert gesehen
werden, denn er ist nur Konsequenz eines „’intensive and extensive bilingulism’ with a
certain time-depth“ (Nadkarni zitiert nach Tesch 1978: 213). Fremdsprachen können des
Weiteren ihren sozialen Status auch verlieren. Deshalb sind diastratische Momente nicht
nur synchron, sondern auch diachron zu untersuchen.
• Unwillkürliche Vermischung der Sprachen
In ganz oder teilweise bi- oder multikulturellen Gesellschaften kann sich das
Sprachempfinden lockern, so dass es bei den Sprechern unbewusst zu
Interferenzerscheinungen kommt. Laut Weinreich ist besonders die „affective speech“
davon betroffen, in der sich der Sprecher mehr auf den Inhalt als auf die Form
konzentriert.
Ferner seien als Motivationsfaktoren Oberflächlichkeit, Bequemlichkeit, journalistische
Zeitknappheit etc. genannt.
• Frequenz und Lehndauer
Nadkarni bemerkt: „If speakers of language A make constant use of language B, features
of B tend to get carried into A merely as a function of the frequency factor.“ (Nadkarni
1975 zitiert nach Tesch 1978: 214).
Nach Weinreich führt die geringere Frequenz indigener Spracheinheiten in der
Primärsprache dazu, dass die betroffenen Lexikoneinheiten weniger stabil sind, so dass
fremde Wörter sie leicht verdrängen können. Häufig verwendete Spracheinheiten sind
indessen gegen Verdrängung immun. Sekundärsprachliche Einheiten üben nach Baranow
einen „Lehndruck“ auf primärsprachliche Einheiten aus. Die Integrationschance der
sekundärsprachlichen Einheiten steigt mit der erhöhten Frequenz in der Primärsprache.
Als weiterer Faktor ist die Lehndauer zu nennen, deren zeitliche Konkretisierung mit der
Art der interferierten Sprachebene variiert. Nadkarni konstatiert beispielsweise bei von
26
ihm beschriebenen entlehnten Syntax-Strukuren „a time-depth of more than four
centuries“ (Nadkarni 1975 zitiert nach Tesch 1978: 215)
Als Abschluss sei Baranows Bewertung der Motivationsanalyse angeführt: Motivationen
lassen sich nicht immer zwingend beweisen. Eine Lehnmotivation alleine wirkt nur selten
plausibel, denn es wirken immer mehrere Faktoren zusammen und gelegentlich auch
gegeneinander (Tesch 1978: 198-21812).
1.3. Zusammenfassendes Schema: Die Faktoren der Übernahme nach Blasco Ferrer
Die primären Parameter, die bei der Analyse von Lehnwörtern laut Blasco Ferrer
berücksichtigt werden, sind:
• Externe Faktoren („cause esterne“) aus Politik (it. ‚Realpolitik’), Religion,
Technologie oder soziokulturellem Kontext (it. ‚Weltanschauung’), welche die
Übernahme von Lehnwörter begünstigen.
• Interne Faktoren:
- starke Expressivität
- Sprachökonomie
- Produktivität
• Notwendigkeit der Übernahme:
- Bedürfnislehnwörter vs. Luxuslehnwörter (‚prestiti di neccessità o di lusso’).
Bedürfnislehnwörter haben in der aufnehmenden Sprache kein autochthon-
sprachliches Pendant, da sie meist mit der neuen „Sache“ übernommen werden
(Man denke vor allem an die neuen Technologien). Luxuslehnwörter hingegen
(auch Dubletten/doppioni genannt) sind nicht notwendigerweise erforderlich, da
sie in der eigenen Sprache auf Synonyme stoßen.
• Grad der Anpassung oder formalen Integration in der Zielsprache:
- keine
- partielle
- totale
• Morphosyntaktische oder semantische Veränderungen, z.B. Wechsel des
grammatischen Geschlechts (Blasco Ferrer 1999: 207). 12 = Motivationsanalyse
27
2. Die soziolinguistische Situation in Südtirol
2.1. Geographische, demographische und soziologische Eckdaten zu Südtirol
Das Land Südtirol befindet sich an der Südseite der Zentralalpen und umfasst eine
Gesamtfläche von 7.400 km². Politisch gesehen ist Südtirol eine italienische Provinz mit
einem Sonderstatut, deren offizielle Bezeichnung „Autonome Provinz Bozen/Südtirol –
Provincia Autonoma Bolzano/Alto Adige“ lautet (Egger/Heller 1997: 1350).
Laut der im Jahr 2001 durchgeführten Volkszählung wohnen in Südtirol 460.635 Personen.
Die Bevölkerung ist zusammengesetzt aus drei Sprachgruppen: Deutschen, Italienern und
Ladinern. Die Deutschsprachigen stellen mit 69,15% die Mehrheit der Bevölkerung, der
Anteil der Italiener an der Gesamtbevölkerung beträgt 26,47% und der der Ladiner 4,37%
(ASTAT 2001). Die drei Sprachgruppen sind nicht homogen auf das ganze Territorium der
Provinz Bozen verteilt: Die deutschsprachige Bevölkerung wohnt heute hauptsächlich in den
Tälern, mit Ausnahme der zwei Sellagruppe-Täler, dem Gadertal und dem Grödnertal, die von
den Ladinern bewohnt werden. Die italienischsprachige Bevölkerung ist vor allem auf die
Städte und die größeren Zentren konzentriert, z.B. Bozen (Frabboni 2002: 97). Bei der
deutschsprachigen Bevölkerung dominieren die traditionellen Bereiche Landwirtschaft,
Handwerk, Handel, Fremdenverkehr, Kleinbetriebe und die Lokalverwaltung, bei den
Italienern die Industriearbeit, der öffentliche Dienst (Staatsdienst) und das Baugewerbe
(Langer 1996: 18f), wobei jedoch zu bemerken ist, dass es gegenwärtig fast keine
ausschließliche Domäne der einen oder anderen Sprachgruppe mehr gibt.
Die Wirtschaft blüht in Südtirol. Das erkennt man auch daran, dass die Arbeitslosenrate in der
Provinz Bozen unter 3% liegt. Auch das Bildungsniveau ist gestiegen. Im Jahre 1997 war ein
Drittel der Bevölkerung in Besitz eines höheren Diploms oder eines Hochschulabschlusses
(Frabboni 2002: 52-55).
2.2. Territorialgeschichte und Regionsbildung
Südtirol ist seit jeher ein Grenzgebiet. Das Land durchlebte deshalb auch eine wechselvolle
Geschichte. Im Jahr 15 v. Chr. eroberten die Römer das ursprünglich rätische Gebiet und
romanisierten es. Mit dem Untergang des Weströmischen Reiches 476 wurde das Land von
germanischen Stämmen, hauptsächlich den Bajuwaren, besiedelt und germanisiert.
28
Südtirol war ursprünglich Teil des historischen Tirol und gehörte bis 1919 zu Österreich.
(Egger/Heller 1997: 1350). Der Teil Tirols, der sich auf der Alpensüdseite befand, wurde in
Deutschsüdtirol und Welschtirol untergliedert. Die sprachliche und verwaltungstechnische
Grenze zwischen Deutsch- und Welschtirol bildet seit 1754 die Salurner Klause (Riedmann
1972: 11). Aufgrund des Friedensvertrages von Saint Germain wurde das historische Tirol
aufgespaltet: Südtirol wurde 1919 von Italien annektiert, während Ost- und Nordtirol bei
Österreich blieben. Der Kontakt zwischen den beiden Sprachen Deutsch und Italienisch, der
nur im Süden Südtirols schon seit Jahrhunderten bestand, fand nun auch im restlichen Südtirol
statt. Im Faschismus, der von 1922 bis 1943 währte, versuchte man das „Südtirolproblem“
durch Entnationalisierung der Südtiroler (z.B. Verbot der deutschen Sprache, deutscher
Schulen und Ortsnamen), Massenansiedlung von Italienern und Aussiedelung der
Südtiroler, der so genannten „Option“, zu lösen.
Der 1946 zwischen Österreich und Italien abgeschlossene Pariser Vertrag gilt als Grundstein
für den besonderen Schutz der deutschen Sprachgruppe in Südtirol und wurde durch das
Autonomiestatut von 1948 und dessen Neufassung 1972, das so genannte „Paket“,
abgesichert. Südtirol ist somit einerseits durch die Autonomie und andererseits durch die
Schutzmacht Österreich geschützt (vgl. Egger/Heller 1997: 1350).
2.3. Die soziolinguistische Situation in Südtirol
Um die Südtiroler Sprachsituation zu beschreiben, wurde hauptsächlich die Domänenanalyse
angewandt. Diese wird jedoch erst im nächsten Kapitel behandelt.
Für Egger/Heller ist die sprachliche Situation in Südtirol einerseits gekennzeichnet durch
Mehrsprachigkeit (Kontakt von Deutsch, Italienisch und Ladinisch) und innerhalb der
deutschen Sprache durch Diglossie, also den Kontakt der zwei Sprachvarietäten Mundart und
Hochsprache (Egger/Heller 1997: 1355).
Einen wichtigen Stellenwert in Südtirol nimmt aber vor allem die Zweisprachigkeit (die
beiden Landessprachen Italienisch und Deutsch) ein. Auf die Bedeutung derselben wird aber
noch in den folgenden Kapiteln detaillierter eingegangen.
Die Kenntnis der deutschen und italienischen Sprache wird mittels der so genannten
Zweisprachigkeitsprüfung festgestellt.13 Die Ablegung derselben wurde im Zuge des 1972
in Kraft getretenen Südtiroler Autonomiestatuts Pflicht für all jene, die in der Provinz Bozen
13 Ladinischsprachige können die Dreisprachigkeitsprüfung (Italienisch, Deutsch und Ladinisch) ablegen.
29
im öffentlichen Dienst14 arbeiten woll(t)en (Putzer 2001: 153). Die Zweisprachigkeitsprüfung
wird in vier Schwierigkeitsgrade unterteilt (A – B – C – D15), die sich danach richten, welche
Ausbildungsnachweise für die ausgeschriebenen Stellen im öffentlichen Dienst erforderlich
sind. Die Prüfungskommission besteht je zur Hälfte aus deutschsprachigen und
italienischsprachigen Bürgern. Nach Ablegung der Prüfung wird eine Bescheinigung über die
Kenntnis der beiden Landessprachen ausgestellt, welche die Voraussetzung dafür ist, dass
man zu Wettbewerben zugelassen wird (Südtirols Autonomie 2002: 143f).
Die Stadtbevölkerung Südtirols besitzt allgemein gesehen eine größere
Zweisprachigkeitskompetenz als die Landbevölkerung. In Bozen dominiert etwa das
Italienische, in Meran ist das Verhältnis der beiden Sprachen in etwa äquivalent, in Brixen
und besonders in Bruneck herrscht das Deutsche vor. In den Städten ist die sprachliche
Situation durch Bilingu(al)ismus gekennzeichnet (Deutsch – Italienisch). Laut Cavagnoli
erfolgt hier eine sogenannte „Dreiteilung“ des Sprachgebrauchs, die von den Faktoren
Empfänger und Kommunikationssituation abhängt. Es werden Hochdeutsch, Dialekt und
Italienisch gesprochen. Der Dialekt wird jedoch in stärkerem Maße in den Tälern verwendet.
Welche der drei Sprachen bzw. Sprachvarietäten gesprochen wird, hängt vom
kommunikativen Umfeld ab. So wird laut Cavagnoli im Arbeitsbereich, besonders in
öffentlichen Ämtern, sowohl Deutsch als auch Italienisch verwendet. In den – vor allem
deutschsprachigen - Familien hingegen herrscht der Dialekt vor. Die Kommunikation
zwischen italienisch- und deutschsprachigen Südtirolern erfolgt normalerweise entweder auf
Italienisch oder (seltener) in deutscher Hoch- bzw. Umgangssprache. In einer
wissenschaftlichen Arbeit wurde in diesem Zusammenhang vom „unfeinen“ Hochdeutsch
gesprochen. Demnach schwenken die deutschsprachigen Südtiroler in der Kommunikation
mit Italienern lieber auf das Italienische um, als auf die deutsche Hochsprache, die für beide
Parteien gewissermaßen einen höheren Grad an Anstrengung darstellen würde. Die
Muttersprache des Südtirolers ist nämlich der Dialekt und nicht das Standarddeutsche, nur
dort fühlt er sich kommunikativ wohl.16
In den Tälern finden wir eine monolinguale Sprachsituation vor. Hier wird fast ausschließlich
Dialekt gesprochen. Cavagnoli hat in diesem Zusammenhang aber eine „Zweiteilung“ des
Sprachgebrauchs (Dialekt und Umgangssprache) vorgenommen. Die Sprachsituation in den
Tälern wäre also geprägt von Monolingu(al)ismus mit innerer Mehrsprachigkeit.
14 Öffentlicher Dienst: Staats-, Provinz- oder Gemeindedienst 15 A ist der höchste Schwierigkeitsgrad, D der niedrigste. Ersterer besteht aus einer schriftlichen und mündlichen Prüfung, letzter nur aus einer mündlichen. 16 vgl.: Bertagnolli, Judith (1994): Das „unfeine“ Hochdeutsch in Südtirol: mit der Auswertung einer soziolinguistischen Spracherhebung in Bozen. Diplomarbeit, Wien.
30
Nur sehr wenige Italiener leben in den Haupttälern. Diese sind Cavagnoli zufolge oftmals
sozial so stark in die deutsche Gemeinschaft integriert, dass sie sich auch sprachlich anpassen
und in der Kommunikation den deutschen Dialekt verwenden.
Eine genaue Analyse der soziolinguistischen Situation in Südtirol wird jedoch erschwert
durch die effektiv bilingualen Personen, deren Elternteile entweder zwei verschiedenen
Sprachgruppen angehören oder aus Gegenden stammen, wo beide Sprachen gleichwertig
verwendet werden (Unterland). Es gibt jedoch bis heute keine öffentlich-rechtliche
Anerkennung der zweisprachigen Personen, obwohl von offizieller Seite eine perfekte
Zweisprachigkeit gefordert wird. Die Zweisprachigen bzw. Bilingualen müssen sich mittels
Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung zu einer der beiden Sprachgruppen bekennen (vgl.
Cavagnoli 2001: 119f).
In der Sprachverwendung macht sich ein Generationenwechsel bemerkbar: Während die
Italiener der älteren und mittleren Generation kaum Deutsch verstehen und sprechen
(wollen?) und sowohl mit Italienern als auch deutschsprachigen Südtirolern Italienisch
sprechen, zeichnet sich in der dritten und vierten Generation eine Öffnung gegenüber der
deutschen Sprachgruppe und Sprache ab. Die Italiener wollen nun eher Deutsch lernen und
sprechen.
2.4. Die Definition des Begriffs Bilingualismus nach Tesch
Eine Situation, in der Sprachkontakt stattfindet, führt nicht selten zu Bilingualismus
(Zweisprachigkeit) und Multilingualismus (Mehrsprachigkeit). Bilingualismus wird definiert
als die mehr oder weniger große Fähigkeit, über zwei Sprach-Kodes zu verfügen und diese je
nach Situation und Redekonstellation anzuwenden.
Unter Monolingualismus (Einsprachigkeit) wird ein einziger, heterogener Komplex von
Sprachgewohnheiten verstanden. Die phonologischen, lexikalischen und grammatischen
Einheiten sind die gleichen, lassen aber dennoch Spielraum für Varianten.
2.4.1. Formen des Bilingualismus
Da sogar der Einsprachige unvollkommen spricht und es in der Folge keinen „ambilingualen
Sprecher, der zwei Sprachen ‚vollkommen’ beherrscht“ im engeren Sinn geben kann (G.
Bellmann, zitiert nach Tesch 1978: 76), kann letzterer nur als Idealtypus verstanden werden.
31
Décsy führte die Unterscheidung „Grenzgebiet-Bilingualismus“ und „sozialer Bilingualismus“
ein. Oftmals sind diese beiden nicht voneinander zu trennen, wie man es am Sprachverhältnis
Französch-Deutsch im Elsass erkennen kann.
Wenn absolute soziale Gleichwertigkeit der beiden Adstratsprachen vorliegt, wird von
einem „coordinate system“ gesprochen, bei Dominanzabstufung hingegen von „compound
systems“.
Nach Nadkarni hat die interferenzbedingte linguistische Innovation bzw. das „structural
borrowing“ nur bei extensivem Bilingualismus die Aussicht auf Integration.
2.4.2. Entwicklung des Bilingualismus
In einer bilingualen Situation erfolgt entweder System-Konvergenz oder Sprachwechsel.
„Bei einem nicht kompensierbaren Ungleichgewicht der […] extralingualen Faktoren kommt es […] zur Dominanz der einen der konkurrierenden Sprachen, deren Ergebnis in der schließlichen Unilingualisierung der Gruppen eines Areals besteht.“ (Bellmann 1971 zitiert nach Tesch, S. 79)
Es erfolgt demnach Sprachwechsel aus der Perspektive der nicht dominanten Sprachgruppe,
aus der Sicht der dominanten Sprachgruppe jedoch nur eine scheinbare Rückkehr zum
früheren unilingualen Sprachzustand, denn während der Zweisprachigkeitsphase wurden auch
Elemente der nichtdominanten Sprache in das eigene System aufgenommen.
Hinsichtlich der untergehenden Kontaktsprache unterscheidet W.A. Koch substratinfizierte
und superstratinfizierte Sprachen.
Die Substratsprache ist gekennzeichnet durch Autochthonie, die Superstratsprache
hingegen durch exogene Herkunft. In der Geschichte hat sich gezeigt, dass sich beide,
Substrat- und Superstratsprache, in Kontaktsituationen durchsetzen können. Ursprünglich
nahm man an, dass für die Dominanz eines Strats wohl die Faktoren qualitative, militärische
und besonders kulturelle Überlegenheit eine große Rolle spielen. Berner-Hübin zufolge ist
jedoch „Für die Aufnahme von fremdem Kulturgut […] allgemein die Einstellung zum Träger
dieses Guts von entscheidender Bedeutung“ (Berner-Hübin 1974, zitiert nach Tesch, S. 81).
Eine Sprachgruppe dominiert also aufgrund extralingualer Faktoren, wie beispielsweise
durch ethno-proportionalen, politischen oder administrativen Einfluss. Diese Sprachexterna
entscheiden, welche Sprache in einem Gebiet dominiert (Tesch 1978: 74-83).
32
2.5. Die Domänen der Sprachverwendung
Egger versucht in seinem Opus „Zweisprachigkeit in Südtirol“ aus dem Jahre 1977
festzustellen „in welchen Bereichen die Sprachen dominieren“ und welche Positionen die
deutsche Sprache wiedergewonnen hat, „die sie im Kontakt mit dem Italienischen verloren
hatte“ (Zitat Egger 1977: 5).
Veränderungen im Sprachgebrauch werden in der Zweisprachigkeitsforschung hauptsächlich
durch zwei Methoden festgestellt: durch die Domänenanalyse und die
Dominanzkonfiguration zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Egger 1982: 169).
In Anlehnung an Fishman17 beschreibt Egger zunächst den Begriff „Domäne des
Sprachverhaltens“. Darunter versteht man eine Summe von Situationen, „in denen ein
Individuum die eine Sprache eher verwendet als die andere und auch die eine Sprache eher
von einem Individuum erwartet wird als die andere“ (Zitat Egger 1977: 17). Auf Fishman
Bezug nehmend führt Egger fünf Domänen an: Familie, Freundschaft, Religion, Erziehung
und Bildung, Beruf.
Eine Unterteilung dieser Bereiche in Situationen unternimmt Schmid-Rohr, der neun
Domänen anführt: Familie, Spielplatz, Schule, Kirche, Literatur, Presse, Militär,
Gerichtswesen, öffentliche Verwaltung.
Domänen bestehen ihrerseits aus Situationen. Aus den so genannten kongruenten
Situationen, in denen „eine bestimmte Rollenbeziehung mit Rechten und Pflichten realisiert
wird, zu einer angemessenen Zeit und an einem angemessenen Ort18“ (Zitat Egger 1977: 18),
kann man die Verwendung einer Sprache mit einiger Sicherheit bestimmen. Beispielsweise
könnte man voraussagen, dass in der Situation „Kontrolle durch die Straßenpolizei“
wahrscheinlich die italienische Sprache verwendet wird (Egger 1977: 17f). Im Folgenden soll
nun der Fokus auf die Domänen gerichtet werden, welche die deutsche Sprache in Südtirol
einnimmt.
17 Fishman, Joshua A. (1975): Soziologie der Sprache. Eine interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Betrachtung der Sprache in der Gesellschaft. Hueber München. 18 Hervorhebungen A.P.
33
2.5.1. Chronologische Darstellung der Domänen der deutschen Sprache
1.) Die Zeit von 1918 bis 1945
Die faschistische Politik in Südtirol plante die Assimilierung der deutschen Sprache und die
radikale Ersetzung der Muttersprache durch die italienische Sprache. Mittels Gesetzen und
Verordnungen sollten der deutschen Sprache gezielt die Domänen entrissen werden. Von den
Gesetzen bezüglich der Sprache betroffen waren die Domänen Verwaltung, Bildung und
Schule, Presse und Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit (Egger 1977: 20). In den
Domänen Familie und Religion konnte die Politik jedoch keine Erfolge erzielen. Die
Gottesdienste und der Religionsunterricht in den Pfarrhäusern wurden weiterhin auf Deutsch
abgehalten. Der soziale Aufstieg wurde den deutschsprachigen Südtirolern durch die
Verteilung der Italiener auf die Domänen öffentliche Verwaltung und Bildungswesen
jedoch verwehrt. Diese Domänenkonstellation hielt sich größtenteils auch nach dem Ende des
Faschismus. Nur in den Domänen Presse und Beruf/Arbeit konnte sich das Italienische nicht
so konsequent durchsetzen (Egger 1977: 22)
2.) Die Zeit von 1946 bis 1976
Gegen Ende des Faschismus und in der unmittelbar darauf folgenden Zeit ist in der
Dominanzkonfiguration eine starke Zweisprachigkeit der deutschen Sprachgruppe
auszumachen (Egger 1977: 27). Neben den nach wie vor „resistenten“ Domänen Familie und
Religion (Egger 1977: 23) eroberte sich die deutsche Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg
(durch das Pariser Abkommen 1946 zwischen dem österreichischen Außenminister Gruber
und dem italienischen Ministerpräsident Degasperi und das Erste Autonomiestatut 1948)
viele Bereiche wieder zurück, die ihr während der repressiven faschistischen Politik verwehrt
waren. Deutsch konnte und kann nun –zumindest theoretisch- in jedem Bereich des
öffentlichen Lebens verwendet werden. In einer Reihe von Domänen müssen nun nämlich
auch die Italiener Deutschkenntnisse besitzen, auch wenn in einigen Domänen immer noch
vonseiten der deutschen Bevölkerung das Italienische verwendet wird (Egger 1982: 171).
Auch die Erziehung und Bildung erfolgt für deutschsprachige Südtiroler wieder in ihrer
Muttersprache. Jede der beiden Sprachgruppen verfügt nun über eigene kulturelle
Veranstaltungen, Presseprodukte, Radio- und Fernsehprogramme. (Egger 1977: 20-23). In der
Domäne öffentliche Verwaltung werden nach Einführung des ethnischen Proporzes und
der Zweisprachigkeit beide Sprachen benutzt (Egger 1977: 27f).
34
3.) Die 70er-Jahre
Laut Egger gibt es zum Zeitpunkt seiner Untersuchung (1976) bzw. in absehbarer Zukunft
(Ausnahme Militär) keine ausschließlich von der italienischen Sprachgruppe besetzte Domäne
mehr (vgl. Egger 1977: 30).
4.) Die gegenwärtige Situation
Im Hinblick auf die Domänen, die das Deutsche gegenwärtig in Südtirol einnimmt, meinen
Egger/Heller :
„Insgesamt kann festgestellt werden, dass die deutsche Sprache in den letzten vierzig Jahren viele Bereiche zurückgewonnen hat. Es gibt nun kaum einen Bereich des öffentlichen Lebens (wenigstens der Rechtslage nach), in dem nicht auch das Deutsche verwendet werden kann;“ (Zitat Egger/Heller 1997: 1352).
Weil aber immer noch viele Italiener des Deutschen nicht mächtig sind, wird in einigen
Domänen (vor allem Politik und öffentliche Verwaltung) jedoch noch einige Zeit die
italienische Sprache vorherrschen (vgl. Egger/Heller: 1351f). Dies bestätigt auch die im
Februar 2006 vom Landesamt für Statistik vorgelegte Studie –im Folgenden kurz ASTAT-
Studie genannt– zum Thema „Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol“. Dieses so
genannte „Südtiroler Sprachbarometer“ basiert auf einer direkten Befragung von 1.134
Personen deutscher und italienischer Muttersprache ab 19 Jahren und einer telefonischen
Befragung von 398 ladinischsprachigen Südtirolern. Die Studie berücksichtigt nicht nur die
Sprachkenntnisse, sondern auch die Befindlichkeiten der SüdtirolerInnen, beispielsweise in
Bezug auf das Zusammenleben oder den Proporz (ff Nr.7, 16.02.2006, S.38f). Auf die Frage
hin, in welchen Ämtern der öffentlichen Verwaltung die befragten deutschsprachigen Südtirol
nicht ihre Muttersprache verwenden konnten, wurden an erster Stelle die Carabinieri
und/oder die Gemeindepolizei genannt (56,8%), gefolgt von Polizei und/oder Finanzwache
(44,3%), Sanitätseinheiten/Krankenhäusern (43,5%), Steuer- und Finanzämtern (34,1%),
Eisenbahn (28,6%) und Post (27,9%). Immerhin geben nur 9,6% der Deutschsprachigen an,
oft und 39,1% manchmal die Erfahrung gemacht zu haben, dass sie ihre Muttersprache in
öffentlichen Ämtern nicht verwenden konnten, was von einem bestimmten Erfolg der
Bestimmungen zur Mehrsprachigkeit zeugt19.
Nach Ansicht Mionis scheint die deutsche Sprache im Bereich der Provinzverwaltung zu
dominieren, während die italienische Sprache in den Bereichen vorherrscht, die mit der
Zentralverwaltung des Staates zusammenhängen (Mioni 1990: 16).
19 ASTAT 2006: 198f
35
3. Deutsch in Südtirol – Südtiroler Deutsch
3.1. Die Situation der deutschen Sprache in Südtirol
Die deutsche Sprache in Südtirol ist im Gegensatz zur italienischen Sprache historisch und
organisch in einer über tausendjährigen Tradition gewachsen (Kramer 1981: 103). Sie ist im
Territorium verwurzelt und somit autochthon. Die ersten schriftlichen Belege für die
Existenz einer deutschen Sprache in Tirol stammen aus dem 11. Jahrhundert. Seit dem 14.
Jahrhundert sind alle Urkunden in deutscher Sprache verfasst. Schriftstücke in italienischer
Sprache sind aus jener Zeit laut Riedmann jedoch keine überliefert (Riedmann 1972: 11).
Es tauchen jedoch sehr wohl neulateinische bzw. vulgärsprachliche Dokumente in Südtirol
auf. Das älteste Zeugnis der neulateinischen Volkssprache in Südtirol ist das im Vinschgau
gefundene „urbario di Laces“, auch bekannt als „il registro pastoreccio di Laces“, das auf
etwa 1348-51 datiert wird (Bruni 1994: 212f). In diesem Schriftstück sind Personen
aufgelistet, die der Kirche Vieh schulden (Cortelazzo 2002: 283).
3.2. Die kulturelle Situation der deutschen Sprachgruppe
Die deutsche Sprachgruppe führt ein autonomes kulturelles Leben (Egger/Heller 1997: 1351).
Das war nicht immer so, man denke an die Zeit der Unterdrückung durch die Faschisten, in
der alles Deutsche verboten war. Bis in die 60er-Jahre wirkte diese Unterdrückung noch
unterschwellig fort.
Doch die Situation hat sich grundlegend verändert. Es gibt nun eine Reihe von sozial- und
bildungspolitisch bedeutsamen Verbänden und Vereinen und eine große Zahl an
deutschsprachigen Presseprodukten aus In- und Ausland (vgl. Egger/Heller 1997: 1351). Die
deutsche Sprache wird außerdem auch in Radio und Fernsehen verbreitet. In Südtirol kann
man nun neben zahlreichen Sendern (seit 1974 Empfang von ORF, ZDF, SRG und ARD20)
aus anderen deutschsprachigen Ländern, die zum größten Teil auch über Satellit empfangen
werden können, auch ein eigenes, in deutscher Sprache ausgestrahltes Regionalprogramm der
RAI empfangen (seit 196621). Außerdem gibt es das deutschsprachige Radioprogramm des
20 Egger 1977: 24 21 Egger 1977: 24
36
RAI Senders Bozen (seit 194522) und zahlreiche lokale, private Radiosender (Riehl 2000:
240). Wichtigster Faktor für die deutsche Kultur- und Sprachbewahrung bleibt aber die
Schule (Egger/Heller 1997: 1351).
3.3. Varietäten der deutschen Sprache in Südtirol
Kramer unterscheidet im Südtiroler Deutsch vier Sprachebenen:
1.) Hochsprache bundesrepublikanischer Prägung
2.) Hochsprache österreichischer Prägung
3.) Südtiroler Koiné23
4.) Ortsdialekt
1.) Die Hochsprache bundesrepublikanischer Prägung drang erst zu Beginn der
Sechzigerjahre mit dem Aufschwung des Tourismus in Südtirol ein. Was weiters zur
Verbreitung dieser Sprachvarietät beiträgt, ist die Tatsache, dass man seit Anfang der
Siebzigerjahre in Südtirol auch Fernsehprogramme aus der Bundesrepublik Deutschland
empfangen kann. Diese Sprachform hat vor allem Einfluss auf die Lexik. Kramer stellt
jedoch fest, dass die bundesdeutsche Hochsprache unter Südtirolern nie benutzt wird, nur
in Kontakt mit Bundesdeutschen.
2.) Die Hochsprache österreichischer Prägung hingegen wird sehr wohl von den
Südtirolern benutzt. Sie gilt als die traditionelle Normsprache und wird bei formellen
Anlässen (Kirche, Politik, Vorträge) verwendet. Durch den Empfang des österreichischen
Rundfunks und Fernsehens wird die Südtiroler Sprache im Wortschatz beeinflusst.
3.) Die Südtiroler Koiné wird laut Kramer wie folgt charakterisiert:
„Die Südtiroler Koiné kann also heute definiert werden als eine Umgangssprache bairisch-österreichischen Typs, die durch historische Umstände starkem italienischen und bayrischen Einfluss unterworfen ist, so dass sie sich merklich von der Nordtiroler Koiné unterscheidet.“ (Zitat Kramer, S. 106)
4.) Die Ortsdialekte: Nachdem Südtirol ein gebirgiges Land ist und die Täler lange Zeit
verkehrstechnisch voneinander abgeschieden waren, ist auch die dialektale Gliederung
sehr stark. Die Südtiroler Dialektlandschaft zeichnet sich durch die „Kleinräumigkeit der
22 Egger 1977: 24 23 Koiné = eine de-regionalisierte überregionale Standardvarietät, die sich aus mehreren gleichwertigen regionalen Varietäten herausgebildet hat (Bußmann 2002: 353).
37
Volksmundarten“ aus. Die Isoglossen24 der Lokaldialekte verlaufen von Nord nach Süd.
Die Hauptgrenze, die den österreichischen vom westlichen, teilweise alemannisch
beeinflussten Dialektraum trennt, verläuft westlich des Eisacktals. Die Verständigung
zwischen Bewohner verschiedener Täler erfolgt meist über die Koiné, durch die auch die
alten einheimischen Dialektformen immer mehr zersetzt werden (Kramer 1981: 103-
108). Riehl will den Begriff Koiné jedoch nicht gelten lassen:
“Trotz Ausgleichserscheinungen, die sich aufgrund der stärkeren Mobilität und der geänderten Lebensbedingungen zwangsläufig ergeben, existiert bislang noch keine gemeinsame Koiné der Südtiroler Dialekte, wohl aber eine Art Ausgleichsdialekt25 im syntaktischen und lexikalischen Bereich, der regionale Lautvarianten zulässt.“ (Zitat Riehl 2000: 236)
3.4. Der Sprachgebrauch: Mediale Diglossie
In nahezu allen privaten bis halböffentlichen Situationen spricht der deutschsprachige
Südtiroler Dialekt. Der Dialekt zeigt aber die Tendenz, in immer mehr öffentliche Bereiche
vorzudringen (z.B. Medien).
Wenn Südtiroler deutscher Muttersprache miteinander reden, verwenden sie je nach Herkunft,
Bildungsstand, Konstellation, Situation oder Gesprächsthema eine dementsprechende
dialektale Form, die teilweise auch ausgeglichen und verflacht sein kann, phonologisch aber
immer noch die regionale Herkunft des Sprechers erkennen lässt. Die Anpassung erfolgt vor
allem im lexikalischen und syntaktischen Bereich; die primären Dialektmerkmale werden
zuerst abgelegt. Lanthaler verwendet in diesem Zusammenhang anstelle des umstrittenen
Begriffs „Südtiroler Umgangssprache“ den treffenderen Terminus „Ausgleichsdialekt“.
Zusammenfassend kann man sagen, dass in Südtirol bis auf wenige öffentliche und offizielle
Situationen zu 90% Dialekt gesprochen wird. Geschrieben wird in der Hochsprache, mit
Ausnahme der Dialektliteratur. Lanthaler bezeichnet diese Situation, in der jeder Varietät
eine bestimmte Funktion entspricht, als „mediale Diglossie“ (Lanthaler 1990: 63-65).
Die geschriebene Hochsprache Südtirols orientiert sich nach Riehl am österreichischen
Standard, nimmt aber auch Formen bundesdeutscher Prägung (Riehl 2000: 236) und
Bedürfnislehnwörter aus dem Italienischen auf (Riehl 2000: 238).
24 Isoglosse = Bezeichnung für Grenzlinien, die zwischen unterschiedlichen Dialektgebieten verlaufen; zeigt die areale Verbreitung von sprachlichen Phänomenen an (Bußmann 2002: 321). 25 Hervorhebungen A.P.
38
3.5. Sprachhistorische und sprachtypologische Einordnung des Südtiroler Dialekts
Nach dem Untergang des weströmischen Reiches drangen in das Gebiet des heutigen
Südtirols germanische Stämme ein, hauptsächlich Bajuwaren. Auch heute noch werden in
Südtirol deutsche Mundarten gesprochen, die der Gruppe der südbairischen Dialekte,
genauer dem Tirolischen angehören. Die Tiroler Dialekte unterscheiden sich von den anderen
bairischen Mundarten durch:
• Unterschiede im Diphthongsystem
• Wortschatz
• die fast durchgehende Palatalisierung und Rundung von „s“ in den
Konsonantenverbindungen sp, st, sk (� /schp/, /scht/, /schk/) auch im Inlaut
(‚luschtig’)
• geringere Nasalierung
• stärker velare Aussprache der Gaumenlaute (‚gglogge’)
(Riehl 2000: 235f)
Laut Lanthaler gibt es nicht den „Südtiroler Dialekt“, sondern nur Südtiroler Einzeldialekte,
die sehr kleinräumig verteilt sind, sodass sich oftmals schon Fraktionen oder gar Weiler ein
und desselben Dorfes durch bestimmte Spracheigentümlichkeiten voneinander unterscheiden.
Diese große sprachliche Aufsplitterung ist einerseits auf die geographische Lage, andererseits
auf soziale Faktoren zurückzuführen. Lanthaler weist auf die markante Ost-West-Gliederung
des Landes Südtirol hin und gliedert Südtirol in Anlehnung an den Tiroler Sprachatlas in drei
größere Dialektregionen, die sich durch die zwei Nord-Süd-Grenzlinien (eine in der Nähe von
Partschins, die andere nahe der Mühlbacher Klause) herausschälen lassen:
• Die westlichste Region, die den Vinschgau, das Ultental, den Deutschnonsberg und
mit einigen Besonderheiten auch das Unterland einschließt, weist Merkmale auf, die
auf einen alemannischen Einfluss schließen lassen.
• Die östliche Region, das Pustertal, ist verwandt mit dem Kärtnerischen. Lange Zeit
bildeten diese beiden Regionen nämlich einen Verwaltungsbezirk.
• Der mittlere Streifen weist sowohl Charakteristika der östlichen als auch der
westlichen Region auf und hat daneben eigene Merkmale. (Lanthaler1990: S. 61ff)
Riehl folgend lassen sich von Osten nach Westen folgende phonologische Unterschiede
feststellen:
39
Osten (Einfluss des Kärtnerischen) vs. Westen (Einfluss des Alemannischen):
- Abfall des auslautenden /r/ (‚weto’ � � westl. ‚wetr’)
- /oi/ vs. westl. /ui/ (‚floige’ ��. ‚fluige’)
- Pronomina ‚dê(i)’ � � westl. ‘dia; sui’
(Riehl 2000: 236)
3.6. Linguistische Besonderheiten
Durch den Einfluss der italienischen Kontaktsprache bedingt, weisen die Südtiroler Dialekte
eine stärker modulierende Stimmführung, Eigenheiten in der Prosodie und auch in den
Bereichen Lexik und Pragmatik auf. Vor allem im Süden und in den Städten, wo die Zahl der
italienischsprachigen Bevölkerung und auch der Kontakt zwischen den beiden Sprachgruppen
größer ist als beispielsweise im Norden, fließen in die Alltagssprache oft Wörter aus dem
Italienischen ein.
Charakteristisch für die gesprochene, informelle Sprache in Südtirol ist der Gebrauch von
Bedürfnislehnwörtern aus Recht und Verwaltung, die im deutschsprachigen Kulturraum
nicht existieren. Oft werden diese Termini auch morphologisch an das deutsche System
angepasst: ‚carabinieri’ ; ‚Kondominium’ ; ‚Assessorat’. Andere Entlehnungen geschehen aus
sprachökonomischen Gründen: ‚targa’ = Nummernschild; ‚scontrino’ = Kassenbeleg ;
‚patentino’ = Zweisprachigkeitsnachweis. Einige Lehnwörter werden auch lautlich angepasst,
so zum Beispiel ‚schtuff’ = it. stufo (überdrüssig) oder ‚schtran’ = it. strano (seltsam). Der
letztgenannte Entlehnungstyp zeigt einen spielerischen Umgang mit der Kontaktsprache,
Codeswitchings geschehen sehr häufig.
Jugendliche und jüngere Erwachsene gebrauchen in der gesprochenen, informellen Sprache
sehr häufig isolierte Diskussionsmarker aus dem Italienischen, wie beispielsweise:
- ‚bè/bò’ = nun, gut
- ‚macché’ = ach was! ach wo!
- ‚ma ciao’ = und tschüs!
- ‚dai’ = [ach] komm! geh!
Dies sind „hochfrequente Elemente, die im allgemeinen sehr früh aus einer Kontaktsprache
integriert werden“ (Zitat Riehl 2000: 37). Sehr häufig taucht die in den Satz integrierte
Modalpartikel ‚magari’ auf. Im schriftlichen Bereich werden die Entlehnungen aus dem
Italienischen aber zunehmend abgebaut (Riehl 2000: 238).
40
4. Italienisch in Südtirol – Südtiroler Italienisch
4.1. Die besondere Situation der italienischen Sprachgruppe in Südtirol
Der italienischen Sprachgruppe in Südtirol kommt eine besondere Stellung zu: Auf
gesamtstaatlicher Ebene ist Italienisch Nationalsprache. Die deutsche Sprachgruppe in
Südtirol ist demnach eine ethnische Minderheit im italienischen Staat. Die italienische
Sprachgruppe in Südtirol bildet nun ihrerseits eine ethnische Minderheit in der Provinz Bozen
(Gubert 1982: 201).
4.2. Die italienische Sprachgruppe vor dem Ersten Weltkrieg
Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Jahre 1910, betrug der Anteil der Italiener in
Südtirol noch knapp 3%, also an die 7339 Personen26. Die Italiener waren damals also eine
sprachliche Minderheit. Der Großteil siedelte im Südtiroler Unterland - in den Gemeinden
Pfatten und Buchholz bei Salurn bildeten die Italiener sogar die Mehrheit (Kramer 1981: 71).
Dem Südtiroler Unterland kommt in der Bevölkerungsgeschichte der Italiener in Südtirol eine
Sonderstellung zu, denn es war schon seit Jahrhunderten ein zweisprachiges Grenzgebiet
(Tonelli 1981: 9). Die hier wohnenden Italiener stammten vorwiegend aus dem Trentino und
waren hauptsächlich im Agrarbereich und Handwerk tätig. Ihre sozio-ökonomische Schwäche
und die nationalistisch ausgerichteten Vereinigungen der Deutschsprachigen bewirkten eine
rasche Assimilierung. Auch ihre Identität war eher tirolisch, als italienisch ausgerichtet (Di
Michele 2004: 80). Weil sie sich jedoch erst in der Neuzeit hier angesiedelt hatten, gab es in
Südtirol folglich vom Ende der Antike bis in die heutige Zeit herauf keine konstante
italienische Besiedelung und ergo auch keinen italienischen Lokaldialekt (Kramer 1981: 71).
4.3. Die Annexion Südtirols und der Zustrom von Italienern im Faschismus
Im Jahre 1919, am Ende des Ersten Weltkrieges, wurde das Gebiet Südtirol, das bis dahin zu
Österreich gehört hatte, vom italienischen Staat annektiert (Kramer 1981: 71). Mit der
militärischen Besetzung, der Annexion Südtirols an das Königreich Italien und vor allem
26 http://www.provinz.bz.it/aprov/suedtirol/volksgruppen.htm
41
durch die 20 Jahre währende faschistische Herrschaft wurde die Immigration von Italienern
aus allen Regionen Italiens in das Land gezielt gefördert, was das Bild Südtirols grundlegend
veränderte. Im Zuge der massiv betriebenen Italianisierungspolitik wurde versucht, die
Südtiroler zu majorisieren. Insbesondere die Gründung der Industriezone in Bozen im Jahre
1935 trug dazu bei, dass Tausende Italiener ins Land strömten (Di Michele 2004: 80). Die
Zahl der Italiener in Südtirol stieg dadurch wesentlich an: Im Jahr 1921 waren es schon
10,6%, 1953 stieg die Zahl der Italiener auf 33,1% an und im Jahr 1961 wurde mit 34,3% der
Höhepunkt erreicht27. Die so „importierte“ italienische Bevölkerung war unterschiedlichster
sozialer und geographischer Herkunft. Sie setzt sich zu ungefähr ¾ aus Einwanderern der
„Drei Venetien“, also dem nordostitalienischen Raum, zusammen, wobei die trentinische
Komponente überwiegt. 25% der Einwanderer stammt aus anderen norditalienischen
Gebieten wie z.B. der Lombardei oder Emilien (8%), während der Anteil der Italiener aus
Mittel- und Süditalien 14% beträgt. Bei 2% der Italiener ist die regionale Herkunft nicht
rekonstruierbar (Tonelli 1981: 11). Laut dem Annuario Statistico 1993 ist die italienische
Bevölkerung wie folgt zusammengesetzt: Über 12% der (erwachsenen) Bevölkerung stammt
aus Norditalien (in Bozen: 30%), nur 3,3% (in Bozen: 8%) aus dem Gebiet des
„centromeridione“, also aus den Regionen Lazium, Kampanien, Apulien, Kalabrien und
Sizilien (Zamboni 1995a: 106). Di Michele beschreibt dieses „Konglomerat“:
„Costoro non diedero vita ad un gruppo etnico compatto, unito, ma rappresentavano piuttosto ‚una polvere di individui – senza dialetto comune, senza rapporti parentali, senza abitudini comuni persino nel mangiare’28“ (Zitat Di Michele 2004: 80)
4.3.1. Einteilung der italienischen Einwanderer nach ihren beruflichen Tätigkeit
Mioni teilt die Italiener nach ihrer jeweiligen Arbeit in verschiedene Gruppen ein:
• Die Industriearbeiter (Stahl, Autowerkstätten) waren hauptsächlich venezianisch-
trentinischer Abstammung und kamen ursprünglich aus einem bäuerlichen Umfeld. Mit
Mussolini wurden diese Bauern zu Arbeitern befördert, um die Städte zu italianisieren.
Dieser Bevölkerungsteil bildete den stabilen Kern der Italiener in diesem Gebiet.
• Die Beamten (in den unterschiedlichsten Sektoren der öffentlichen Verwaltung) kamen
ursprünglich auch aus dem Nordosten Italiens
• Die Führungskräfte im Industriesektor kamen aus Norditalien (Veneto, Trentino,
Lombardei, Emilia-Romagna), waren jedoch nicht zahlreich und bildeten keinen stabilen
27 vgl.: Moser/Putzer 1980: 142 28 vgl. Claus Gatterer (1981: 42): Über die Schwierigkeit, heute Südtiroler zu sein.
42
Kern. Oftmals waren sie wenig motiviert dazu, sich in die neue, lokale Realität zu
integrieren, weil ihre Karriere nach wenigen Jahren in der Provinz, bei Firmen in anderen
Regionen weiterging (Mioni 2001: 66f).
In den 50er-Jahren hat die italienische Sprachgruppe in Südtirol einen sozialen und
kulturellen Aufschwung erfahren. Damit zusammenhängend veränderten sich auch ihre
beruflichen Aktivitäten:
• Es bildet sich eine stabile, intellektuelle, italienischsprachige Elite heraus. Vorher war die
lokale, italienische „intellighenzia“ 29 unbeständig und instabil.
• Die Italiener sind nun auch im Dienstleistungssektor und im freiberuflichem Bereich
vertreten, einerseits wegen der Krise der großen lokalen Industriefirmen, andererseits,
weil die deutschsprachigen Südtiroler nun auch in den öffentlichen Bereich vordringen,
der vorher fast ausschließlich den Italienern vorbehalten war (Mioni 2001: 67).
4.4. Geographische Distribution der Italiener in Südtirol
Die Italiener siedeln vorwiegend im industriell-städtischen Bereich. Der Großteil wohnt in
den größeren Städten (Bozen 73%, Leifers 70,42%, Meran 48,01%, Brixen 25,65%, Sterzing
24,29%, Bruneck 14,91%), dem Südtiroler Unterland (31,57%), wo sie teilweise sogar die
Mehrheit stellen (Salurn 62,19%, Branzoll 59,85%, Pfatten 57,09%), dem Burggrafenamt
(21,99%) und dem Wipptal (16,28%). Die deutsche Sprachgruppe herrscht hingegen vor
allem in den ländlichen Gebieten vor. Die Stadt Bozen weist die stärkste Konzentration an
Italienern auf (73% Italienischsprachige vs. 26,29% Deutschsprachige30), die geringste der
Vinschgau (3,06%) und das Gebiet Salten-Schlern (4,03%)31.
Die Italiener, die in Orten der Talsohle auf dem Land leben, sind vorwiegend in der
Verwaltung, dem Post- oder Eisenbahnwesen tätig (Weber-Egli 1992: 31). Die zumeist
trentinischstämmigen Italiener aus dem Unterland, sind auch im Agrarsektor beschäftigt (vgl.:
Forer 1984: 14-1832).
29 intellighenzia = „il gruppo che detiene il primato e la guida intelletuale di un ambiente[…]“ (Dizionario Garzanti 1993: 963) 30 ASTAT 2001 31 ASTAT 2001 32 und http://www.provinz.bz.it/aprov/suedtirol/volksgruppen.htm
43
Abb.2. Anteil der italienischen Sprachgruppe in den einzelnen Gemeinden - Volkszählung 2001
(Quelle: ASTAT 2001)
4.5. Der „disagio“ der Italiener in Südtirol
Mit Abschluss des Paketes machte sich vor allem ab Mitte der 80er-Jahre innerhalb der
italienischen Sprachgruppe der so genannte und viel zitierte „disagio“ – das Unbehagen der
Italiener - breit. Dieser bezog sich vor allem auf die Beschäftigungs-Neuregelung, die
Schwierigkeiten mit der Zweisprachigkeit und auf den Status der Italiener als Minderheit in
der Minderheit (Romeo 2003: 363). Eine Anerkennung der Italiener als Minderheit in der
Minderheit hat Franco Frattini im Jahr 2004 gefordert, konnte sie aber nicht durchsetzen. Für
das ohnehin schwierige Zusammenleben der Volksgruppen würde dieses erneute Sich-
Voneinander-Abschotten nämlich nichts Gutes bedeuten (Hilpold: 200433).
Das Hauptproblem für das Unbehagen der italienischen Sprachgemeinschaft in Südtirol ist,
dass sie kein „gruppo etnico compatto“ – keine einheitliche, kompakte Volksgruppe bilden,
wie etwa die deutsche Sprachgruppe. Die Italiener haben weder eine einheitliche Identität,
noch eine historische Verwurzelung in Südtirol. Sie trennt ihre Herkunft, Tradition und
politische Anschauung. Auch sie wollen ein Stück vom Kuchen der Südtiroler Autonomie
abbekommen, von der sie sich ausgeschlossen fühlen. Sie wollen die gleichen Rechte haben
wie die Deutschsprachigen und auch in den Genuss von Landesbeiträgen, Zuschüssen und den
33 Die Minderheit in der Minderheit. (http://www.ff-bz.com/ Ausgabe Nr.11 vom 11.03.2004)
44
Vorbehalt von Arbeitsplätzen kommen (Dello Sbarba 2004). In vielfacher Hinsicht fühlen
sich die Italiener also benachteiligt, vor allem in der Arbeitswelt. Laut der jüngsten ASTAT-
Studie, dem so genannten „Südtiroler Sprachbarometer“ geben 16,9% der Italiener an, sich
immer, 56,3% sich manchmal benachteiligt zu fühlen, während 82% der Deutschsprachigen
sich nie benachteiligt fühlen (AA 16.02.2006, S.17). Die Italiener fühlen sich ausgeschlossen,
diskriminiert – also voller „disagio“. Diese Angst vor der Diskriminierung der Italiener wird
immer wieder geschürt. Auch Dello Sbarba spricht von der Arroganz, die sowohl auf der
deutschsprachigen und als auch der italienischen Seite spürbar war und ist. Er versucht aber
zwischen den beiden Polen zu vermitteln, wie es der „Brückenbauer” Alexander Langer
getan hat:
“La prima [fase dell’autonomia, Erg. A.P.] è stata vissuta dai sudtirolesi come il periodo dell’arroganza italiana; la seconda è stata vissuta dagli italiani come il periodo dell’arroganza tedesca. La terza potrebbe bandire questa “logica del pendolo” (Langer) e promuovere l’integrazione.” (Zitat Dello Sbarba 2004)34
Die große, aber nicht unmögliche Herausforderung des neuen Jahrhunderts für die Politik, die
Wirtschaft, die Kultur, die Schule und das Bildungswesen ist laut dem Historiker Tiziano
Marson die Entwicklung einer gemeinsamen Südtiroler Identität, welche die
Verschiedenheiten respektiert (Marson 2005: 187).
4.6. Die Italiener und ihr Verhältnis zur eigenen Geschichte im Land Südtirol
Die Italiener der Provinz Bozen sind zwar erst seit rund 80 Jahren im Land sesshaft, was
jedoch von den Italienern selbst als eine zu kurze Zeitspanne bemängelt wird, um wie die
deutschsprachige Bevölkerung als autochthon zu gelten und eine einheitliche Identität als
Gruppe zu bilden (vgl. Delle Donne 1994). Trotzdem wollen die Italiener nun genau das
erreichen, wie es auch Di Michele bestätigt:
„La persistente debolezza e frammentarietà degli italiani ha prodotto una volontà di radicamento e un desiderio di emulare la forza identitaria e il legame alla Heimat proprio della popolazione sudtirolese di lingua tedesca.” (Zitat Di Michele 2004: S. 82).
„Il rapporto degli italiani dell’Alto Adige con la propria storia è comprensibilmente difficile”
meint Di Michele (Zitat 2004: 80). Die Hauptschwierigkeit im Verhältnis der italienischen
34 Damit ist gemeint, dass der Versuch unternommen werden soll, dieses Pendel des ethnischen Revanchismus anzuhalten, oder dessen Ausschlag zu begrenzen.
45
Sprachgruppe zu ihrer eigenen Geschichte ist, dass sie bei ihrer Niederlassung sozusagen die
„Ursünde“ („vizio d’origine“) auf sich geladen haben und dass ihnen immer noch der Schatten
des Faschismus anhängt, welcher auf die Unterdrückung der autochthonen Bevölkerung
gezielt hat. Vonseiten der Italiener wurde diese Zeit der Unterdrückung sehr lange
verharmlost oder gar verdrängt. Umso mehr beklagt wurden jedoch die 20 Monate der
nationalsozialistischen Okkupation Südtirols. Die fehlende Aufarbeitung der eigenen
„Ursünde“, die erst kurz zurückliegende Ansiedelung, die mangelnde Auseinandersetzung mit
der lokalen Wirklichkeit und die unterschiedliche geographische Herkunft waren für die
Entwicklung einer starken Verankerung der Sprachgruppe im Territorium hinderlich. Dies hat
unter anderem dazu geführt, dass sich die Italiener lange Zeit nicht für ihre eigene Geschichte
interessiert haben (Di Michele 1004: 80f).
Vor ca. 15 Jahren zeichnete sich jedoch eine Wende ab. Zahlreiche wissenschaftliche Studien
und Geschichtswerke in italienischer Sprache schossen und schießen auch heute noch wie
Pilze aus dem Boden. Ziel dieser Veröffentlichungen ist es, einen Beitrag zur Verankerung
der italienischen Bevölkerung in diesem Territorium zu leisten, ihr eine Vergangenheit, eine
Identität, eine Erinnerung („memoria“) und eine Stärke als Gruppe zu geben, damit sie mit der
gefestigten deutschen Sprachgruppe mithalten kann. Die Geschichte dient somit als Mittel zur
Autolegitimation und zur Bildung einer ethnisch-kulturellen Identität (Di Michele 2004: 81f).
Der Generationenwandel ist jedenfalls schon spürbar:
„I giovani di questa regione italiana dichiarano, nella grande maggioranza, di essere molto legati al territorio provinciale e questo dipende principalmente dall’orgoglio per la bellezza dei luoghi, per il diffuso benessere economico e per l’autonomia di cui gode la Provincia, nonché per la capacità di convivenza tra i diversi gruppi etnici presenti sul territorio.” (Zitat Frabboni 2002: 102)
4.7. Das Italienisch der Italiener in Südtirol
Zum aktuellen Forschungsstand des Südtiroler Italienisch bemerkt Cavagnoli:
„Studien zum Südtiroler Italienisch sind praktisch inexistent, woraus abgeleitet werden kann, dass es sich hierbei wahrscheinlich um ein Definitionsproblem oder um eine gewisse Zurückhaltung gegenüber diesem Thema handelt.“ (Zitat Cavagnoli 2001: 121).
Das in Südtirol gesprochene Italienisch kommt der Standardsprache nahe, ist aber nicht die
einzig verfügbare Varietät. Cavagnoli beschreibt es so:
„Das in Südtirol gesprochene Italienisch ist einerseits gekennzeichnet durch ein Sammelsurium unterschiedlicher regionaler Charakteristiken, deren Wurzeln in der
46
Zuwanderung während des Faschismus liegen, andererseits durch das Fehlen eines eigenen lokalen Dialektes. Die italienische Bevölkerung ist regelrecht nach Südtirol ‚importiert’ worden, […]“ (Zitat Cavagnoli 2001: 122).
Die Bevölkerungssituation der italienischen Sprachgruppe kann man mit Tonelli als
heterogen bezeichnen, wobei der Großteil aus den umliegenden Provinzen der „Drei
Venetien“ stammt. Des Weiteren nimmt Tonelli an, dass die meisten der zugewanderten
Italiener aus den unteren sozialen (und meist agrarischen) Schichten stammen „und daher nur
über marginale Kenntnisse einer italienischen Standardvarietät verfügten.“ (Zitat Tonelli
1981: 11). In der Zeit der intensiv betriebenen Italianisierungspolitik hielt sich die
Führungsschicht nur kurz in Südtirol auf, sodass die Italiener ihre „intellighenzia“ verloren.
Die sprachlichen Varietäten, die sich verbreitet haben, sind also die der unteren
Bildungsschicht. Das Nebeneinander verschiedener Dialektvarianten führte zur Bildung von
Kompromissen - so genannter Ausgleichsvarietäten, die mit der Zeit aber auch lokal
bedingte Eigenheiten entwickelt haben (Cavagnoli 2001: 122). Um miteinander
kommunizieren zu können musste also eine „gemeinsame Kommunikationsbasis“ geschaffen
werden (Tonelli 1981: 11).
4.7.1. Die Bildung einer italienischen „Koiné“ auf der Basis der Nationalsprache
Aufgrund des Zustroms italienischer Einwanderer aus allen Regionen Italiens gibt es keine
dominierende italienische Dialektvariante in Südtirol (Zamboni 1995a: 105), welche die
Form des lokalen Italienisch hätten prägen können, allenfalls „una generale koiné
settentrionale“ (Zitat Romeo 2003: 362). Die italienische Sprache ist im Gegensatz zur
deutschen Sprache in Südtirol also „nicht bodenständig;“ (Zitat Kramer 1981: 97): Die
italienische Varietät kann sich nicht wie die deutsche auf einen autochthonen Dialekt stützen
(Tonelli 1981: 12). Dies konstatiert auch Zamboni:
“[…] l’italiano non è forma linguistica propriamente indigena nella regione: la prevalenza dell’elemento immigratorio rispetto a quello di radicamento storico altera, infatti, il quadro tipico di una tradizione ininterrotta. Non esiste dunque nell’area un dialetto storico dell’italiano […]” (Zitat Zamboni 1995a: 105).
In der ersten Phase war zwar der trentinische und venezianische Einfluss sehr stark, konnte
der lokalen Sprachform aber nur geringfügig ihren Stempel aufdrücken (Romeo 2003: 362).
Die spezielle Situation des Italienischen in Südtirol steht damit in Kontrast zur
gesamtitalienischen Sprachsituation mit ihrer historischen „frammentazione dialettale“
(Zamboni 1995b: 105). Es ist ein in ganz Italien nicht selten auftretendes Phänomen, dass der
47
Zustrom der Landbevölkerung in die großen Städte dazu führt, dass die markantesten
dialektalen Eigenheiten eingeebnet werden und in der Folge eine (regionale) Koiné entsteht
(Kramer 1981: 98).
„In Südtirol ist also der für Italien einmalige Fall eingetreten, dass eine regionale Koiné nicht auf der Basis eines gewachsenen Dialektes, sondern auf der Basis der Nationalsprache entstanden ist.“ (Zitat Kramer 1981: 98)
Die italienische Koiné Südtirols wurde von zwei Wissenschaftlern unterschiedlich bewertet:
Egon Kühebacher stellte die paradoxe These auf, dass man Bozen die Stadt des italienischen
Staates sei, in der man als Ausländer am besten die „lebende italienische Sprache“ (Zitat
Kühebacher 1974: 3) erlernen könne, weil sie dort keine dialektalen Einschläge besitzt und
immer nur als Hochsprache vorkommt (vgl. Kramer 1981: 98).
Giuseppe Francescato bezeichnet - im Gegensatz zu Kühebacher - das in Bozen gesprochene
Italienisch als „lingua ‚parlata’, ma non ‚viva’“ (Zitat Francescato 1975: 30). Es ist deshalb
keine lebende Sprache, weil es kein authentisches regionales Substrat als Grundlage hat wie
beispielsweise das bairisch-österreichische, auf welchem das Südtiroler Deutsch aufbaut
(Francescato 1975: 30). Des Weiteren bezeichnet er das „bolzanese“, welches nicht ein
italienischer Dialekt ist, sondern aus vielen verschiedenen Dialekten zusammengesetzt ist, als
„italiano potenzialmente neutro“ (Zitat Francescato 1975: 28), eine sprachliche
Ausgleichsform, in welcher die auffälligsten Dialektmerkmale weggelassen werden. Die
Italiener sprechen somit ein „italiano più vicino all’italiano ‚popolare’ che non a quello
letterario“ (Zitat Francescato 1975: 28). Francescatos weitere Beschreibung des Italienischen
ist ziemlich starter Tobak: Vom „linguaggio impoverito” über “il carattere precario” zu „un
tipo deteriore di italiano“ und “un linguaggio ancor più soffocato, ancor meno vitale dello
stesso tedesco” (Zitat Francescato 1975: 28; 30).
In diesem Kontext gibt uns Kramer einen Einblick in die italienische Sprachgeschichte: Eine
erste große Normierung des Italienischen erfolgte in der frühen Neuzeit durch die drei großen
Schriftsteller Dante, Petrarca und Boccaccio. Es handelte sich hierbei jedoch um eine vor
allem literarisch und nur von gelehrten Kreisen verwendete Schriftsprache. Die mündliche
Kommunikation erfolgte im Dialekt. Erst nach der Einigung Italiens 1861 bildete sich
langsam eine wirklich gesprochene Norm(-sprache) heraus. Es eine ist für Italiens dialektal
zergliederte Sprachlandschaft also ein eher ungewöhnlicher Sonderfall, dass es eine Gruppe
von Italienern gibt, deren Muttersprache nicht der Dialekt, sondern die Schriftsprache ist.
Außerhalb Italiens ist dies hingegen ganz normal. So gibt es beispielsweise in
Norddeutschland viele Menschen, die das Schriftdeutsche ohne regionale Einschläge als
Muttersprache verwenden. Es wird somit klar, „dass der im Grunde romantische Gedanke,
48
nur eine im Dialekt verwurzelte Hochsprache könne wirklich lebendig sein, nicht richtig sein
kann.“ (Zitat Kramer 1981: 100) Kramer bringt hierzu auch ein Beispiel: Wenn ein
süditalienischer Zuwanderer nach Mailand kommt, wird er sich sprachlich anpassen und
übernimmt in der Regel die lokale Prestigeform, in diesem Fall also die lombardische Koiné.
In Südtirol fiele bei der sprachlichen Anpassung die Regionalkoiné als Prestigesprachform
weg, so würde man eben in der mündlichen Kommunikation auf die nächste Stufe, die
Nationalsprache, übergehen. Kramer bemerkt abschließend: „Francescato hat also unrecht,
wenn er dem Südtiroler Italienisch den Status einer lingua viva abspricht;“ (Zitat Kramer
1981: 102).
Auch Kühebacher wird von Kramer kritisiert, wenn jener das Italienisch in Südtirol als
reinstes Normitalienisch idealisiert. Es mag zwar kaum diatopische Variation geben, die
diastratische Variation ist jedoch umso auffallender. Kramer unterscheidet zwei Ebenen des
Italienischen im Südtirol:
1.) die „Beamtensprachform“ (� elaborierter Code)
2.) die „Arbeitersprachform“ (� restringierter Code) (Kramer 1981: 102)
Die gesprochene Varietät des Südtiroler Italienisch ist also nicht mit der italienischen
Standardsprache gleichzusetzen. Laut Freddi ist sie eine „varietà che si colloca ancora tra
l’impersonale e il burocratico“ (Freddi zitiert nach Cavagnoli 2001: 122). Diese These muss
jedoch etwas differenzierter gesehen werde, da in den letzten 15 Jahren zwischen Jung und
Alt, Stadt und Land große Unterschiede ausmachbar sind (Cavagnoli 2001: 122).
4.7.2. Varietäten der italienischen Sprache in Südtirol
Die Mehrheit der Italiener Südtirols lebt in Bozen. Das gesprochene Italienisch orientiert sich
am Oberitalienischen und weist nur äußerst wenige Regionalismen auf. Es gibt jedoch
merkliche sprachliche Unterschiede zwischen den Generationen: Bei älteren Menschen sind
noch mehr Varietäten vorhanden; oft kann man sogar ihre regionale Herkunft erkennen. Die
Sprache der Jugendlichen ist viel einheitlicher, was einerseits auf die Gruppenbildung der
Jugendlichen, andererseits auch auf die Geschichte und die Schulbildung zurückzuführen ist.
Etwas anders sieht die sprachliche Situation in Gebieten aus, wo sich eine typische Sprache
entwickelt hat, wie beispielsweise das Laivesotto in Leifers (Cavagnoli 2001: 123).
„Durch die Annahme von lexikalischen, morphologischen und prosodischen Charakteristika der Dialekte aus dem Trentino und dem Veneto sowie Lehnbildungen aus der deutschen Umgangssprache haben sich diese typischen Varianten geformt und es hat sich eine getrennte Koiné gebildet.“ (Zitat Cavagnoli, S. 123)
49
Die italienische Sprache - zumindest das Bozner Italienisch - hat allen Unkenrufen zum Trotz
mit der Zeit doch eine eigene Dimension angenommen, wie es auch zahlreiche
Untersuchungen belegen (Cavagnoli 2001: 123). Hervorzuheben sind hier Mionis
Ausführungen zur italienischen Sprache in Südtirol:
Die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols verwendet als „livello alto“ das Standard-
Italienisch, als „lingua media“ die “varietà di italiano regionale bolzanino35 che si sta
lentamente formando“ (Zitat Mioni 1990: 23) und als „lingua bassa“ den Dialekt, den nur
noch die älteren Generationen sprechen, wobei die venezianisch-trentinischen Dialekte
dominieren (Mioni 1990: 23). Die Merkmale des „italiano regionale bolzanino“ beschreibt
Mioni im Vergleich zum “italiano regionale padovano” so:
“[…] l’italiano dei giovani italofoni di Bolzano, pur appartenendo chiaramente al tipo generale degli italiani regionali settentrionali, era un po’ più fortemente standardizzato.” (Zitat Mioni 1990: 27)
Repertorio linguistico degli italofoni di città nella provincia di Bolzano
A1: Italiano standard
M1: Italiano regionale
B1: resti dei dialetti
Die Italiener treten in der Regel nicht in Berührung mit den „varietà medie e basse del
tedesco“ (Zitat Mioni 1990: 23). An Orten hingegen, wo die Italiener in der Minderheit sind,
beherrschen viele Italiener alle Varietäten des Deutschen.
Das Sprachrepertoire der deutschen Sprachgemeinschaft ist im Gegensatz zu dem der
italienischen Sprachgemeinschaft abwechslungsreicher, schichtenreicher und vor allem
natürlicher aufgebaut. Letztere verfügt nur über das „registro alto dello standard“ als
Ergebnis eines langsamen Vereinheitlichungsprozesses von unterschiedlichen Dialekten „e
sta pian piano uniformando i vari tipi di italiano colloquiale, che hanno assunto una certa
omogeneità soprattutto tra i giovani” (Zitat Mioni 1990: 25f). Die Dialekte hingegen
verschwinden langsam, weil sie eigentlich nur mehr von den Älteren gebraucht werden, wenn
sie mit Personen in Kontakt treten, die aus derselben Region stammen wie sie (Mioni 1990:
23-27) oder innerhalb der Familie. Die heutigen italienischsprachigen Südtiroler sind seit
maximal drei bis vier Generationen hier ansässig und sprechen ein kaum dialektal oder
regional gefärbtes Italienisch. Die deutschsprachigen Südtiroler hingegen verfügen über einen
35 Hervorhebungen A.P.
50
„relativ vitalen Dialekt“ bairisch-österreichischer Prägung, der auch im täglichen Leben
allgegenwärtig ist (Weber-Egli: 31).
4.7.3. Phonologie des Italienischen in Südtirol
Für Zamboni steht auf jeden Fall fest, dass das Südtiroler Italienisch eine norditalienische
Basis hat. Die aus den wenigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen stammenden Daten
betreffen dabei vor allem den phonologischen Bereich, während der morphosyntaktische fast
gar nicht erforscht ist.
„in ogni caso ci si può attenere sia pure con cautela al fatto che la prima consistente immigrazione italiana fu prevalentemente veneta e trentina (con apporti lombardi ed emiliano-romagnoli) e che l’ondata più consistente dal Centro-Sud è posteriore (dal secondo dopoguerra) e trova un modello locale di pronuncia già fissato, […]” (Zitat Zamboni 1995b: 112).
Da die Mehrheit der Zuwanderer also venezianisch-trentinischer Abstammung war,
beeinflusste dies auch sehr stark die Aussprache der Italiener in der Provinz Bozen. Die
Einwanderer aus anderen Regionen Italiens passten sich an die schon vorgeprägte lokale
Aussprache in ihrem Sprachverhalten an. Um die Aussprache der italienischsprachigen
Südtiroler zu beschreiben, hat Mioni Studien zum Italienisch der Provinz Bozen und eine
Studie über das in Padova gesprochene Italienisch miteinander verglichen.36 Er kam zur
Auffassung, dass die Aussprache der Padovaner und der Italosüdtiroler sich nicht wesentlich
voneinander unterscheiden, dass die Jugendlichen aus Bozen aber einen höheren Anteil an
Standardformen des Italienischen besitzen als die Jugendlichen aus Padua (Mioni 2001: 67f).
4.7.3.1. Typisch norditalienische Okkurrenzen: (vgl. Zamboni 1995b: 112f)
a) Konsonantismus
• Die Reduktion der Geminata und das Fehlen des „rafforzamento o raddoppiamento
sintattico“:
- ‚a casa’ � [a kasa] nicht Tosk. [a kkasa]
• Die Palatallaute /š, ł, ñ/ werden kurz und nicht verstärkt ausgesprochen:
- ‚pesce’ � [péše] nicht Tosk. [péšše] ;
36 Provinz BZ: Mura et al. 1981; Cetti 1982; Tonelli 1984; Padova: Diano 1978
51
- ‚figlio’ � [fiło] nicht Tosk. [fiłło]
- ‚bagno’ � [baño] nicht Tosk. [bañño]
• Die Sibilanten /s, �/ werden wie im Standarditalienisch dental, in intervokalischer
Position in der Regel jedoch stimmhaft realisiert.
• Die dentalen Affrikaten /z, �/ folgen der norditalienischen Distribution und werden
deshalb am Wortanfang stimmhaft (‚zucchero’ = [�ukkero]), im Wortinneren stimmlos
ausgesprochen.
• Trentinismen:
- Sporadisch taucht „la tipica zeta trentina“, das Trientner „Zett“, auf, das entweder
als starker Sibilant oder interdentale Affrikate betrachtet werden kann [z�].
- Ein anderer typischer Trentinimus ist das stimmlose /s/, das nach Nasallaut
stimmhaft ausgesprochen wird [�]: ‚ascensore’ � [ašen�ore]
• Das /s/ wird oftmals vor einem Konsonanten palatal realisiert, was vermutlich ein Einfluss
der italienischen Aussprache der deutschsprachigen Südtiroler ist, ‚stupido’ � [štupido]
• Der Vibrant /r/ wird eher uvular realisiert, was ebenfalls mit der italienischen Aussprache
der deutschsprachigen Südtiroler übereinstimmt.
b) Vokalismus
• Der Vokalismus des Südtiroler Italienisch konvergiert größtenteils mit dem Schema des
Standard-Italienischen und unterscheidet sieben betonte Vokale (mit Opposition
zwischen offenem und geschlossenem e und o /é,ó ~ è,ò/). Die tatsächliche Realisation ist
jedoch etwas differenzierter.
- Regulär gebildet werden beispielsweise ‚me’ und ‚tre’� [mè, trè], offen realisiert,
vs. Tosk. [mé, tré] geschlossen;
- Regulär gebildet wird - mit einigen Ausnahmen - auch der Diphthong [ié], wie
zum Beispiel in ‚piede’ � [piéde] vs. Tosk. [piède];
- Der Norm entspricht auch das geschlossene [é], gefolgt von Nasal und Konsonant,
wie in ‚gente’ � [�énte] vs. Tosk. [�ènte];
- Auch die Opposition /ó ~ ò/ entspricht dem Standard, entspricht teilweise aber
dem norditalienischen Distributionsschema: ‚bisogno’ � [bi�òño] vs. Tosk.
[bi�óñño] ; ‘corridoio’ � [korridòio] vs. Tosk. [korridóio];
Die Intonation des Italienischen unterscheidet sich von der trentinischen und venezianischen.
Sie weist eigenständige Züge auf.
52
5. Die Deutschkompetenz der Italiener
5.1. Die Italiener und die deutsche Sprache: Ein schwieriger Start
Im Faschismus wurde der Unterricht ausschließlich in italienischer Sprache abgehalten. Die
Deutschen mussten als unterdrückte Minderheit Italienisch lernen, die Italiener als
„Kolonialherren“ aber nicht Deutsch. Mit Einführung des Ersten Autonomiestatuts 1948
schien sich eine Wende abzuzeichnen: Die Italiener mussten nun auch Deutsch lernen,
nahmen dies aber nicht ernst. Es blieb bei der theoretischen Gleichberechtigung der beiden
Sprachen Italienisch und Deutsch. Die oftmals unmotivierten Schüler erlernten die
Zweitsprache somit nur oberflächlich und empfanden sie als unnützen Zwang. Die
Deutschkenntnisse der Italiener waren dementsprechend dürftig. Erst mit Inkrafttreten des
Neuen, Zweiten Autonomiestatuts 1972 wurde Ernst gemacht und ein Umdenken bewirkt:
Laut Artikel 89 werden nämlich die öffentlichen Stellen nach dem ethnischen Proporz
vergeben. Zudem ist für alle Angestellten im öffentlichen Dienst die Kenntnis beider
Landessprachen vorgeschrieben. Um an Wettbewerben für die Besetzung von öffentlichen
Dienststellen teilnehmen zu können, ist zudem das Ablegen der Zweisprachigkeitsprüfung
erforderlich (vgl. Forer 1984: 11f ; Mancini 1978: 2f). Die deutsche Sprache gewann im
Bewusstsein der Italiener an Wichtigkeit. Egger zufolge haben es mehrere Ursachen mit sich
gebracht, dass die Italiener nun (lieber) Deutsch lernten:
„Vor allem war es der Wunsch, die Berufsaussichten durch Deutschkenntnisse zu verbessern, dann aber auch der Wunsch, die Kontakte mit der deutschen Sprachgruppe zu verbessern.“ (Zitat Egger 1982: 171)
Die Zweitsprachkompetenz der Italiener ließ jedoch lange Zeit zu wünschen übrig. Gubert hat
im Jahre 1976 zum Thema Bilinguismus in Südtirol eine repräsentative Fallstudie
durchgeführt (400 Befragte). Demnach hielten magere 3% der befragten Italiener ihre
aktuellen Deutschkenntnisse für gut (Gubert 1976: 4f). Auch Anfang der 80er-Jahre hatte sich
noch nicht recht viel an der Sprachsituation geändert: „Il livello di partenza nella conoscenza
del tedesco non si può dire per il gruppo molto buono. […] La efficacia dell’insegnamento
scolastico del tedesco è stata quindi veramente scarsa.” (Zitat Gubert 1982: 206) Dies
bestätigt auch Höglingers Beobachtung:
„Menschen aus der italienischen Sprachgruppe, in Südtirol (Leifers, Bozen) geboren, in der Nachkriegsära aufgewachsen und zur Schule gegangen, also 40- bis 50-Jährige
53
können einem simplen Gespräch nicht folgen, ihre aktiven und aktivierbaren Deutschkenntnisse sind sicher geringer als ihre Englischkenntnisse.“37
5.1.1. Soziologische Faktoren für die Deutschkenntnisse der Italiener
Kramer versucht einige soziologische Gründe für die schlechten Deutschkenntnisse der
Italiener anzuführen:
• Bis Anfang der 70er-Jahre bestand keine Notwendigkeit, das Deutsche zu erlernen, die
Deutschsprachigen beherrschten ja das Italienische. Erst mit dem Paket bzw. dem
Zweiten Autonomiestatut wurde die Ablegung der Zweisprachigkeitsprüfung zur Pflicht
für diejenigen, die im öffentlichen Bereich tätig sein wollten, der zuvor von den Italienern
dominiert war.
• Die Italiener leben nicht über das ganze Land verstreut in engem Kontakt mit der
deutschsprachigen Bevölkerung, sondern sind vor allem in den Städten Bozen, Meran und
Leifers konzentriert. Dort wiederum leben sie in bestimmten Vierteln, sodass die
tatsächlichen Kontakte zu Deutschsprachigen eher selten sind.
• Viele Italiener waren nicht auf ein dauerhaftes Verbleiben in Südtirol eingestellt. Bozen
diente oft nur als Sprungbrett für die weitere berufliche Karriere in einer anderen Stadt.
Folglich hatten diese Italiener auch nicht wirklich Lust, die schwierige deutsche Sprache
zu erlernen, und steckten damit die Italiener an, die bleiben wollten.
• Aufgrund der mangelnden „Bereitschaft“ der Italiener, die deutsche Sprache zu erlernen,
war dementsprechend auch der Unterricht im Fach Deutsch bis in die 70er-Jahre nicht
sehr effektiv. Außerdem waren die Lehrpersonen nicht selten italienischer Muttersprache.
In den Lehrplänen wurde wenig Wert auf die Sprechkompetenz gelegt, sondern auf die
Lektüre literarischer Texte (Kramer 1981: 119ff).
Die Deutschkenntnisse der Italiener in Südtirol hängen laut Gubert aber auch von mehreren
öko-soziokulturellen Faktoren ab, zum einen vom Geburtsort der Italiener. Demnach
beherrschen die autochthonen Italiener das Deutsche besser als die eingewanderten und haben
auch mehr Kontakte zur deutschen Sprachgruppe. Zum anderen steigt mit abnehmendem
Alter die Deutschkompetenz und der Wille zum Bilinguismus. Weiters hängen die
Deutschkenntnisse vom Geschlecht ab: Die Männer unterstreichen die Vorteile der
37 http://www.suedtirolernachrichten.it/news_sql/view_news_html?news_id=20031128123149
54
Zweisprachigkeit, während die Frauen dieser eher skeptisch gegenüber stehen. Ein weiterer
Faktor ist der soziale Status und damit verbunden die schulische Bildung. Mit steigendem
sozialen Status und steigender Bildung nehmen auch die Deutschkenntnisse und die
Beziehungen zu Deutschsprachigen zu (Gubert 1976: 12f).
5.2. Die Bemühungen um bessere Deutschkenntnisse
Die italienische Sprachgruppe versucht Kramer zufolge nun vermehrt, ihre
Deutschkompetenz zu verbessern (Kramer 1981: 121). Zur Förderung derselben wird eine
frühe Zweisprachigkeit angestrebt, genauer gesagt das Erlernen des Deutschen bereits im
Kindergarten und eine zweisprachige Schule mit einer Hälfte der Fächer in deutscher und der
anderen Hälfte in italienischer Sprache (Immersionsunterricht). Die deutschsprachige
Bevölkerung befürchtet jedoch, dass der frühe Unterricht und der Fachunterricht in der
Zweitsprache zur Schwächung der Muttersprache und zu Identitätskrisen führen (Kramer
1981: 109) Außerdem ist in Artikel 19 des Autonomiestatuts vorgesehen, dass der
Kindergarten und die Schule einsprachig sein müssen (vgl. Kramer 1981: 121).
5.3. Die gegenwärtige Deutschkompetenz der Italiener
Im alltäglichen Leben ist immer noch zu beobachten, dass die Italiener generell schlechter
Deutsch sprechen als die Deutschsprachigen Italienisch. Dieses Defizit will man mit neuen
Methoden und Versuchen verstärkt beheben. Seit Mitte der neunziger Jahre wird in den
italienischen Schulen mit dem Zweitspracheunterricht Deutsch bereits ab der ersten Klasse
Grundschule begonnen. Zudem werden den Italienern seit einigen Jahren zur Förderung ihrer
Zweitsprachkompetenz mehr Schulversuchsmöglichkeiten im sprachlichen Bereich
zugestanden als den Deutschen (Saxalber-Tetter 2001: 190). Vielfach ist auch zu beobachten,
dass Italiener nach Deutschland gehen, um dort ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.
In der 2006 durchgeführten ASTAT-Studie geben nur 27% der Italiener darin an, die
Zweitsprache Deutsch so zu beherrschen, dass sie sich „spontan und flüssig ausdrücken“ oder
sich „problemlos über vertraute Argumente austauschen“ können. Bei den deutschsprachigen
Südtirolern sind es immerhin 59%, die über eine ausreichende Zweitsprachkompetenz
verfügen.
55
Die Gründe, welche die italienischsprachigen Südtiroler daran hindern, die Zweitsprache zu
lernen, sind vor allem der fehlende Wille (43%), das schulische System (38,5%) und der
deutsche Dialekt (40,1%) (vgl. ff 16.02.2006, S.38f). Laut Umfrage sind die Italiener im
Gegensatz zu den deutschsprachigen Südtirolern mit ihren Zweitsprachkenntnissen selbst
nicht zufrieden und haben auch die größeren Schwierigkeiten, die Zweisprachigkeitsprüfung
zu bestehen. Dementsprechend sind auch nur 28% der Italiener in Besitz des
Zweisprachigkeitsnachweises.
68,6% der Italiener sind mit der Qualität des Zweitspracheunterrichts zufrieden, 34,4% haben
jedoch negative Erfahrungen gemacht. Auf Seiten der deutschen Sprachgruppe sind 53% der
Meinung, dass die Schule ihnen eine angemessene Zweitsprachkompetenz vermittelt hat,
während bei den Italienern nur 32,1% diese Meinung teilen (AA 16.02.2006, S.17).
Ein Debakel der Sonderklasse löste im Februar 2006 eine von der Eurac geförderte und von
der Wissenschaftlerin Chiara Vettori durchgeführte Studie aus, welche die Deutschkenntnisse
der italienischen Schüler aus Bozen mit denen aus Trient überprüfen und vergleichen sollte.
Über 400 Schüler der Mittel- und Oberschulen wurden einer schriftlichen und einer
mündlichen Prüfung unterzogen. Das Ergebnis war ein Schlag ins Gesicht, denn
offensichtlich können die italienischen Trientner Schüler besser Deutsch als die aus Bozen,
obwohl letztere 1000 Stunden mehr Deutsch in der Schule haben als ihre Trientner
Kommilitonen. Wie man dieses frappierende Ergebnis interpretieren soll, zeigt ein
studienergänzender Fragebogen, in dem 94% der italienischen Bozner Schüler angeben, für
gewöhnlich nicht Deutsch mit deutschsprachigen Freunden zu sprechen. Weitere 54%
sprechen nicht gerne Deutsch. Immerhin halten 95% Deutsch für ein nützliches Mittel in
Bezug auf ihre berufliche Laufbahn (AA 23.02.2006, S.13).
“I giovani di lingua italiana generalmente parlano poco il tedesco […].”(Zitat Frabboni
2002: 104) konstatiert Frabboni in seiner von der Freien Universität Bozen finanzierten
Studie über die Häufigkeit, Themen und Formen der mündlichen Kommunikation der
Jugendlichen in Südtirol (Frabboni 2002: 7). Beim Großteil der Jugendlichen Südtirols aller
Sprachgruppen herrscht das Phänomen der “in-group” vor, d.h. man gibt sich lieber mit
Gleichsprachlichen ab (Frabboni 2002: 104).
Der Journalist Christoph Franceschini stellte vier jungen italienischen MaturantInnen in
einem Interview die Frage, ob heute immer noch dieser energische Widerstand der jungen
Italiener gegen das Erlernen der deutschen Sprache ausmachbar sei. Darauf antworteten sie,
dass es viele Schüler gäbe, die einfach nicht motiviert seien. Sie hätten Schwierigkeiten und
würden folglich einfach sagen, sie würden diese Sprache nicht lernen wollen. Manche würden
56
sich fast weigern, Deutsch zu lernen: „Sie sagen wir sind hier in Italien und hier muss man
Italienisch reden.“ Und die Deutschen würden sagen: „Sie haben uns das Land weggenommen
und sie sollen wieder zurückgehen.“ Anstatt immer nur auf die Geschichte zu pochen und die
Zeit zurück drehen zu wollen, sollte man an die Zukunft denken, meinen sie. Es müsste mehr
sprachlichen Austausch und direkten Kontakt zwischen den Sprachgruppen geben, so die
Schüler, denn man könne eine Sprache nicht nur in der Schule lernen. Dazu sei aber Geduld
notwendig und weniger Faulheit. Denn oft seien die Italiener einfach zu bequem, um in der
Fremdsprache zu sprechen, vor allem, wenn dann auch die Zuhörer ungeduldig werden, keine
Lust haben, Fehler zu verbessern und dann lieber auf Italienisch weiterreden. Dies gehe ihnen
auf die Nerven, meinen die Schüler (Neue Südtiroler Tageszeitung 12./13.03.2005, S.2).
Generell kann man jedoch feststellen, dass die starre „Siamo in Italia, allora si deve parlare
italiano!“-Mentalität, die kennzeichnend für den frühen „importierten“ italienischen
Immigranten war, von Generation zu Generation langsam aber sicher bei den nunmehr
„autochthonen“ Italienern in eine größere Sympathie und Öffnung gegenüber der deutschen
Sprachgruppe und Sprache umzuschlagen scheint.
6. Gegenüberstellung der beiden indoeuropäischen Sprachen Deutsch und Italienisch
6.1. Die sprachtypologische Klassifikation der Sprachen
Die Sprachtypologie führt eine Klassifikation der Sprachen aufgrund grammatischer
Eigenschaften durch. Die klassische, morphologisch orientierte Sprachtypologie basiert auf
der Unterscheidung von Schlegel zwischen:
a) analytischem (auch: isolierendem) und
b) synthetischem Sprachbau
In analytischen Sprachen (z.B. Chinesisch) „werden die grammatischen Beziehungen der
Wörter im Satz durch selbständige, syntaktische Formelemente (z.B. Präpositionen), in
synthetischen Sprachen38 durch selbständige, morphologische Mittel ausgedrückt.“ (Zitat
Bußmann 2002: 634).
38 Hervorhebungen A.P.
57
Schlegel unterschied bei den synthetischen Sprachen weiters zwischen:
- agglutinierenden Sprachen (Grammatische und lexikalische Morpheme mit
einfachen Bedeutungen werden aneinander gekettet) und
- flektierenden Sprachen (Die Wörter lassen sich nicht leicht in einzelne
Morpheme mit einfachen Bedeutungen segmentieren. Außerdem kommen
beispielsweise Stammveränderungen vor)
In der neueren generativen Syntax beschäftigt man sich vor allem mit den Pro-Drop-
Sprachen, „in denen syntaktische Argumente nicht realisiert werden müssen“ (Zitat Bußmann
2002: 634). Die Phonologie befasst sich mit der Unterscheidung zwischen silben- bzw.
akzentzählenden Sprachen (Bußmann 2002: 634).
In Anschluss an Schlegel wurden von Ineichen und Scalise die folgenden morphologischen
Sprachtypen unterschieden:
• isolierende Sprachen (auch amorphe Sprachen; Wurzelsprachen):
Die Wörter sind hier unveränderlich, es findet keine Modifikation durch Affixe,
Flexion etc. statt. Grammatische Beziehungen werden ausgedrückt durch selbständige
Wörter mit grammatischer Bedeutung und durch die Regelung der Wortstellung.
Isolierende Sprachen wären beispielsweise Chinesisch und Vietnamesisch (Metzler
200: 20).
• agglutinierende Sprachen: Die grammatischen Morpheme werden kumulativ an die
Basis angehängt, um unterschiedliche Funktionen oder Bedeutungen auszudrücken,
wie beispielsweise im Türkischen (Blasco Ferrer 1999: 234).
• flektierende Sprachen (auch fusionierende Sprachen): Enge, oft zu einer
Verschmelzung führende Verbindung zwischen Wortstamm und Affix (Metzler 200:
210). Einem Morphem entspricht außerdem mehr als eine Bedeutung oder mehr als
ein Merkmal (Polysemasie) (Bußmann 2002: 217).
• inkorporierende Sprachen (auch einverleibende/polysynthetische Sprachen): sind
gekennzeichnet durch eine hohe Komplexität der Morphologie. So drücken
beispielsweise Indianersprachen im Verb Subjekt- und Objektverhältnisse aus, so dass
ein Verb einem vollendeten Satz entsprechen kann (Metzler 2000: 537f).
• introflexive Sprachen (Wurzelflexion): Dabei wird die Wortwurzel bzw. die
Lexemsilbe mit Hilfe alternierender Konsonanten (Vernersches Gesetz) oder Vokale
(Ablaut, Umlaut) flektiert (Metzler 2000: 303).
58
Skali�ka wies darauf hin, dass es keine reinen Typen gibt, sondern nur Mischtypen (Blasco
Ferrer 1999: 234).
6.2. Der Sprachbau im Vergleich
Für Lewy scheint das Italienische „etwas, wie die europäische Normalsprache zu sein“. Es
wirke seiner Ansicht nach auf Europäer „wie eine vernünftige, eine klassische Erscheinung:
als die unmittelbare, in keiner Weise abgelenkte Fortsetzung des Lateinischen in die moderne
Welt hinein.“ (Zitat Lewy 1964: 32). Die Wurzel des Nomens erfährt bei der Flexion keine
nennenswerten Veränderungen, die des Verbums hingegen beachtliche. Das Nomen kennt
zwei Genera, die kongruierend verwendet werden. In Bezug auf Kasus und Genus wird die
Isolierung der Flexion erreicht. Beim Verb schließt die verbale Form oftmals das Subjekt
mit ein. Außerdem ist die Wortstellung nicht so streng geregelt (Lewy 1964: 32).
Dem Deutschen steht Lewy durchaus kritischer gegenüber, denn es „stellt einen sehr
umgebildeten, aber in alter Richtung umgebildeten Typus dar, alte Kategorieen [sic!] sind
bewahrt […]“ (Zitat Lewy 1964: 50). Der Wortstamm ist oft durch Ablaut und Umlaut
(Vokale), den grammatischen Wechsel und die intensivierende Gemination39
(Konsonanten) veränderbar.
Das Nomen weist drei Genera auf, welche im Singular deutlich unterscheidbar sind, im
Plural jedoch zusammenfallen. Die drei Genera des Nomens, die Beibehaltung des
grammatischen Wechsels beim Verbum, das flektierte Relativpronomen der Schriftsprache,
die Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen durch die Wortstellung, die außerdem mit
der Trennbarkeit der Verbalpräfixe (‚ich kam an’ ; ‚als ich ankam’) verbunden ist, stuft
Lewy als „altertümlich“ ein (Lewy 1964: 50).
Der Florentiner Germanist Vittorio Santoli sieht im Italienischen eine Sprache, „die den
gemeineuropäischen Übergang vom synthetischen zum analytischen Typus nur zur Hälfte
vollzogen und die sich damit strukturelle Redundanz […] eingehandelt habe.“ (Zitat Albrecht
1998: 781). Im Deutschen wird die Endstellung des Verbs in den Nebensätzen, die durch
Konjunktionen eingeleitet sind, von Santoli als „struktureller Archaismus“ bezeichnet,
während diese im Italienischen (z.B. im Opus von Boccaccio) als „stilistischer, latinisierter 39 Intensivbildung = „Ausdrücke, die die Intensivierung des im Grundverb ausgedrückten Vorgangs bezeichnen, vgl. raufen vs. rupfen (durch Gemination [= Verdoppelung bzw. Dehnung von Konsonanten; Bußmann 2002: 239] ) oder wanken vs. schwanken.“ (Zitat Bußmann 2002: 313). Diese Affixe können substantivischen und verbalen Ableitungen beispielsweise die zusätzliche Bedeutungskomponente der Wiederholung (Iterativ) oder die des Überdrusses (Suffix -ei bei Fragerei) (Bußmann 2002: 239). Homberger nennt z.B. auch hören vs. horchen (= intensiv hören) (Homberger 2003: 231).
59
Archaismus“ empfunden wird. Italienisch erscheint hier als Sprache ohne auffallende
Besonderheiten (Albrecht 1997: 781).
Im Jahre 1963 hat Cesare Segre eine Art Gesamtcharakteristik des Italienischen präsentiert.
Nur marginal geht er jedoch in seiner Darstellung auf die bedeutenden Erscheinungen der
italienischen Sprache im Vergleich zum Deutschen ein, die etwa wären:
• Fehlen der obligatorischen Subjektpronomen
• synthetische Superlative (‚prudentissimo’)
• Fehlen der „suffixes concrets“ des Deutschen (blutarm – anemico; friedfertig –
pacifico)
• Fehlen der abtrennbaren Verbzusätze (buttar via – wegwerfen)
• fast obligatorische Reihenfolge Determinatum – Determinans beim Kompositum
Dafür behandelt er unter anderem das Phänomen der Satzstellung im Italienischen, die viel
freier ist als die im Deutschen. Nicht selten können bei einfachen Sätzen alle
Serialisierungen vorgenommen werden (Albrecht 1997: 782).
Ein weiterer Sprachwissenschaftler hat sich um eine sprachtypologische Einordnung der
italienischen Sprache bemüht: Geckeler legte im Jahre 1989 eine Skizze vor, aufbauend auf
der Typologie Skali�kas, die fünf deduktiv konstruierte, jedoch von keiner natürlichen
Sprache vollständig dargestellte Sprachtypen unterscheidet. Anhand dieser Parameter wird
das Italienische gemessen. Es tritt demnach als eine „an erster Stelle vom flektierenden Typus,
an zweiter Stelle vom isolierenden Typus, dann mit Abstand an dritter Stelle vom
agglutinierenden, an vierter Stelle vom polysynthetischen und an fünfter Stelle vom
introflexiven Typus“ (Geckeler zitiert nach Albrecht 1998: 787) gekennzeichnete Sprache in
Erscheinung. Besonders hervorgehoben wird die seltene Verwendung des Adjektivs in
adverbialer Funktion (‚parlare piano’) und die Häufigkeit von enklitischen Pronomen
(‚promettendoglielo’) (Albrecht 1998: 787f). Das Deutsche ist nach Roelcke „eine
flektierende Sprache, welche aufgrund etwa des Ab- oder des Umlautes ebenfalls Merkmale
einer introflexiven sowie bezüglich der periphrastischen Kennzeichnung grammatischer
Kategorien solche einer isolierenden Sprache zeigt.“ (Roelcke zitiert nach Blasco Ferrer
1999: 234f)
Im Italienischen sind besonders das Verbalsystem und die Kategorie Kasus im
Pronominalsystem gut ausgeprägt. Im Nominalsystem sind die „Kasus-Numerus-Amalgame“
des Lateinischen (‚militibus’) aufgehoben und die beiden Kategorien Genus und Numerus
60
werden synthetisch realisiert. Das Italienische zeichnet sich weiters aus durch einen
Reichtum an Verbalperiphrasen (‚sto facendo’ ; ‚sto a fare’ ; ‚vengo facendo’). Um
rhematische Subjekte einführen zu können, muss im Italienischen nie ein Platzhalter-
Subjekt vor dem Verb stehen (dt. ‚Es ritten drei Ritter zum Tore hinaus’ ; ‚it. Accaddero
molte disgrazie’). (Albrecht 1998: 794).
6.2.1. Die Komposition und andere Wortbildungsmechanismen des Deutschen im Vergleich mit dem Italienischen
Erst kürzlich wurde vom Deutschen Sprachrat unter der Federführung und Leitung der
Vorsitzendes des Deutschen Sprachrats und Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach
ein Buch mit dem Titel „Ausgewanderte Wörter“ herausgegeben, welches deutsche Wörter
anführt, die in andere Sprachen Eingang gefunden haben. Dieses Werk war das Endprodukt
einer internationalen Ausschreibung zum Thema „Ausgewanderte Wörter“ (Limbach 2007:
7). Menschen aus aller Welt sollten „deutsche Wörter oder als solche empfundene“ nennen
und beschreiben, welche inhaltlichen und emotionalen Vorstellungen sie damit verbinden
(Limbach 2007: 11). Limbach schreibt im Vorwort, dass sich die deutsche Sprache „mit ihren
einfallsfreudigen zusammengesetzten Wörtern für andere Sprachen immer wieder als eine
reichhaltige Fundgrube erwiesen“ hat (Zitat Limbach 2007: 7). Denn „[d]ank unserer
Grammatik sind wir zudem Meister der zusammengesetzten Wörter“. Als Beispiele nennt sie
„Fingerspitzengefühl, Gratwanderung, Zeitgeist, Leitmotiv […], die wegen ihrer
vorzüglichen Aussagekraft von vielen Sprachen entliehen worden sind.“ (Zitat Limbach 2007:
8).
Auch Blasco Ferrer spricht von der außerordentlichen Produktivität der Komposition im
Deutschen und vergleicht sie mit der italienischen:
“Rispetto alla modesta funzionalità della composizione in it.[aliano], la Komposition in ted.[esco] si qualifica subito come meccanismo per eccellenza nel rinnovamento del lessico” (Zitat Blasco Ferrer 1999: 200).
Als Beispiel führt er das Lexem ‚Sprache’ an, zu dem er einige Komposita in Texten,
Artikelüberschriften, Monographien und Zeitschriften gesucht hat. Unter anderem stieß er auf
folgende Komposita, welchen im Italienischen die „sintagmi liberi“ entsprechen würden:
- Behördensprache (� lingua amministrativa)
- Frauensprache (� lingua delle donne)
- Gossensprache (� lingua dei bassi ceti)
- Pressesprache (� lingua della stampa)
61
- Sprachgeschichtsforschung (� ricerca storico-linguistica)
- Sprachverfall (� decadenza linguistica)
Einen Beweis für die Produktivität der Komposition im Deutschen liefern beispielsweise die
Jugendsprache und die ad-hoc-Komposita (Augenblickskomposita).
Formal gesehen umfasst die Komposition im Deutschen alle morphologischen Klassen.
„È noto altresì che il tipo linguistico germanico […] consente un amalgama o una fusione illimitata di lessemi e morfemi liberi, che in it.[aliano] vanno tradotti con interi predicati o frasi” (Zitat Blasco Ferrer 1999: 201).
- Kurzzeitgedächtnis (� memoria di breve durata)
- Lohnsteuerjahresausgleichsformular (� modulo per il conguaglio
dell’imposta sul salario)
- Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenrentenabholstelle (�
uffico per la riscossione della pensione della vedova del capitano della
società di navigazione di battelli a vapore del Danubio)
Die deutsche Sprache kann bei der Bildung von Komposita also beliebig viele Lexeme und
freie Morpheme aneinanderreihen, denen im Italienischen Syntagmen und ganze Sätze
entsprechen würden. In der Wortbildung verhält sich das Deutsche synthetisch, das
Italienische analytisch, was umständlich und schwerfällig wirken kann. Folglich ist die
deutsche Sprache - was die „Kompaktheit“ der Wortbildung betrifft - gegenüber dem
Italienischen im Vorteil.
Die bis zur Rechtschreibreform 1996 zusammengeschriebenen Komposita wurden in der
Folge morphologisch getrennt: aus ‚radfahren’ wurde ‚Rad fahren’, ‚staubsaugen’ wurde zu
‚Staub saugen’.
Die deutsche Komposita-Bildung folgt dem Schema Determinans + Determinatum.
Kunstsprache vs. Sprachkunst ; Milchkuh vs. Kuhmilch.
Weitere häufig vorkommende Wortbildungsmechanismen im Deutschen sind:
• Die Zusammenrückung oder die graphische Univerbierung (auch mittels
Bindestrichen) von Konglomeraten, Syntagmen oder ganzen Sätzen, zum Teil auch
mit komisch-karikaturistischem Effekt: Hansguckindieluft, Stell-dich-ein, Irgendeine
Bemerkung der Sorte ‚Und-anderswo-verhungern-die-Kinder’.
• Die Kürzung von Termini „in genere diafasicamente marcati“ (Zitat Blasco Ferrer, S.
202): ‘Uni’ für Universität ; ‘Klo’ für Klosett.
62
• Die Bildung von Akronymen40 oder Abkürzungen: ‚AOK’ für Allgemeine
Ortskrankenkasse ; ‚Kripo’ für Kriminalpolizei ; ‚LKW’ für Lastkraftwagen (Blasco
Ferrer 1999: 200ff).
7. Das Prestige der deutschen Sprache in Südtirol
7.1. Der Status der deutschen Sprache in der Welt
Petralli wirft in seinem 1996 erschienenen Buch „Lingue sciolte“ die Frage auf, welchen
Einfluss das neue, vereinte Deutschland auf Europa und die Welt hat. Mancherorts würde die
deutsche Sprache schon als die neue Konkurrenzsprache zum Englischen gehandelt. Die
Realität sieht laut Petralli jedoch ganz anders aus, denn der Status der deutschen Sprache
muss erst rehabilitiert werden und man muss sich mit der belastenden Vergangenheit
auseinandersetzen. Um es mit anderen Worten auszudrücken: Die beiden Weltkriege haben
Petralli zufolge dem Prestige des Deutschen sehr geschadet. Auch als internationale
Wissenschaftssprache hat die deutsche Sprache an Boden verloren und dem Englischen Platz
gemacht.
Petralli stellt auch die Frage in den Raum, welchen Einfluss die deutsche Sprache in Zukunft
wohl ausüben werde. Einerseits würde sich ein Wirtschaftsaufschwung bemerkbar machen,
der auf die Einigung Deutschlands zurückgeht und dazu tendiert, nach Osten zu expandieren,
andererseits hätte Deutschland eine „forza sociale insufficiente“, d.h. es gibt auf der ganzen
Welt nur knapp 100 Millionen germanophone Sprecher. Außerdem müsse die Bundesrepublik
zuerst seine schreckliche Vergangenheit aufarbeiten (Petralli 1996: 107f). Petralli hält das
Prestige des Deutschen also eher für negativ.
Als positiv erachtet den Status der deutschen Sprache hingegen die Sprachwissenschaftlerin
Jutta Limbach. Ihrer Ansicht nach überrascht ein Großteil der deutschen Begriffe in anderen
Sprachen „durch ihre neutrale bis positive Konnotation“ (Zitat Limbach 2007: 30). Sie
bemerkt zwar, dass einige Militärausdrücke aus dem Nationalsozialismus der deutschen
Sprache wohl ewig anhaften werden, „aber sie genießt – das zeigt die Ausschreibung –
40 Akronym: „(auch: Initialwort) „Aus den Anfangsbuchstaben oder –silben einer Wortgruppe oder eines Kompositums gebildete Abkürzung, die als Wort verwendet wird“ (Zitat Metzler 2000: 23)
63
international einen viel besseren Ruf, als wir selbst manchmal glauben mögen“ (Zitat
Limbach 2007: 30).
7.2. Das Prestige der deutschen Sprache in Südtirol im historischen Abriss
Mioni ist der Auffassung, dass theoretisch alle Sprachen gleichwertig sind und dasselbe
Potential besitzen. Es hängt aber maßgeblich von sozialen Faktoren ab, welche Sprache der
anderen vorgezogen wird. Hier ist besonders das Kräfteverhältnis zwischen den
ethnolinguistischen Gruppen ausschlaggebend (Mehrheit vs. Minderheit; lokale Macht vs.
Staatsmacht) (Mioni 1990: 17).
7.2.1. Die Stellung der deutschen Sprache im Faschismus
Laut Pallaver sahen die Dominanzverhältnisse im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wie folgt
aus:
„Bis 1918 war die deutsche Bevölkerung und somit die deutsche Sprache der dominante Faktor, ab 1918 mit der Abtrennung des heutigen Südtirol von Österreich und insbesondere unter dem Faschismus waren die Vorzeichen genau umgekehrt gesetzt. (Zitat Pallaver 1978: 5).
Im Faschismus dominierte die italienische Sprache in allen Bereichen des öffentlichen
Lebens. Die deutsche Sprache war verboten, in den Schulen wurde ausschließlich in
italienischer Sprache gelehrt, während von den Italienern keine Deutschkenntnisse verlangt
wurden (Egger 1982: 171). Die deutsche Sprachgruppe und die deutsche Sprache befanden
sich in einer geschwächten und unterdrückten Position.
7.2.2. Der „Pariser Vertrag“ - ein gescheiterter Versuch zur Rehabilitation der deutschen Sprache
Im Jahre 1946 erfolgte der erste Schritt zur Festigung der deutschen Sprachgruppe, als der
italienische Außenminister Alcide Degasperi und sein österreichischer Amtskollege Karl
Gruber das Pariser Abkommen unterzeichneten. Darin wurde (theoretisch) die
Gleichberechtigung der Minderheit und im Wesentlichen der Schutz des Volkstums, der
kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung Südtirols gewährt. Südtirol wird der Status einer
Autonomie zugesprochen und einige wichtige Punkte wie Unterrichtssprache, Stellenproporz,
64
Ortsnamen, Deutsch als gleichberechtigte Amtssprache werden festgelegt. Degasperi dehnte
die dem Land Südtirol zugesicherte Autonomie jedoch auf das Trentino aus, sodass die
Italiener die deutsche und ladinische Sprachgruppe zahlenmäßig überstimmen konnten. Die
Diskriminierung der deutschsprachigen Südtiroler ging weiter (Zagler 1998: 32ff).
Mit Inkrafttreten des Pariser Abkommens 1946 bzw. dem Ersten Autonomiestatut 1948
hatte man sich eine neue Phase im Verhältnis Italien-Südtirol erhofft. Doch die Erwartungen
wurden enttäuscht. Das Einzige, was sich wirklich gebessert hatte war die Gewährung
demokratischer Grundrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und das
Recht auf religiöse und kulturelle Betätigung. Nicht zu vergessen der Wiederaufbau der unter
dem Faschismus verbotenen deutschen Schule (Widmann 1998: 59). Dem Historiker Josef
Fontana zufolge kam bei den Südtirolern zur Enttäuschung über die verweigerte Autonomie
auch die große Angst vor der massiven systematischen Zuwanderung aus dem Süden hinzu,
mit der bereits in den unmittelbaren Nachkriegsjahren begonnen worden war. Nachdem den
deutschsprachigen Südtirolern der Zugang zu staatlichen und halbstaatlichen Stellen verwehrt
wurde, waren beispielsweise im Jahre 1958 an die 7000 Leute gezwungen, im Ausland Arbeit
zu suchen. Eine gezielte Verdrängungs- und Überfremdungstendenz setzte ein, die durch eine
dementsprechende Wohnbaupolitik zusätzlich verstärkt wurde. Auch das im Pariser
Abkommen zugesicherte Recht auf Gebrauch der Muttersprache bei Polizei, Gericht und
öffentlichen Ämtern blieb eine Illusion. „Versuche vor den Behörden deutsch zu reden,
erfuhren meist eine barsche Abfuhr: ‚Parli italiano, siamo in Italia!’ war eine oft gehörte
Reaktion.“ (Zitat Fontana 1992: 141)
7.2.3. Vom „Los von Trient“ bis zum „Paket“
Aufgrund der Nichterfüllung des Pariser Vertrages schlug die SVP eine härtere Linie ein. Es
kam im Jahre 1957 auf Schloss Sigmundskron zu einer Großkundgebung vor 35.000
Südtirolern, deren Schlachtruf „Los von Trient!“ lautete. Internationale Verhandlungen über
das Südtirolproblem wurden eingeleitet, blieben aber ergebnislos. In den Jahren darauf
begann eine neue Phase der Südtiroler Geschichte, die „Bombenjahre“. In ganz Südtirol
wurden demonstrative Sprengungen von Symbolen der faschistischen Unterdrückung (z.B.
der Aluminium-Duce bei Waidbruck und das Tolomei-Haus in Glen) unternommen. Der
Höhepunkt war die so genannte Feuernacht, in der landesweit Hochspannungsmasten in die
Luft gesprengt wurden. Diese Sprengungen trugen sicher wesentlich dazu bei, dass das
internationale Augenmerk auf Südtirol gelenkt wurde. Die 19-er Kommission wurde
65
einberufen, die sich um das Erarbeiten eines „Paketes“ von autonomen Rechten für Südtirol
kümmern sollte. Es handelt sich dabei um 130 Maßnahmen zum besseren Schutz der
Minderheit. Im Neuen Autonomiestatut von 1972 wurde das Paket schließlich
verfassungstechnisch abgesichert (Zagler 1998: 34f).41
Riedmann zufolge anerkannte die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols vor Einführung
des Zweiten Autonomiestatuts noch die Priorität der italienischen Sprache. Ohne Kenntnis
der deutschen Sprache kam man in Südtirol damals problemlos aus, ohne
Italienischkenntnisse konnte man jedoch sozial nicht bestehen (Riedmann 1972: 22).
7.2.4. Das Zweite Autonomiestatut: Der Beginn des sprachlichen „Umdenkens“
Die Absicherung der deutschen Minderheit und der deutschen Sprache in Südtirol durch das
Zweite Autonomiestatut hat bei den Italienern laut Pallaver „ein neues Prestigedenken42
hervorgerufen. Die deutsche Bevölkerung, die im Durchschnitt die zweite Sprache besser
beherrscht als die italienische, wird in einer privilegierten Position gesehen.“ (Zitat Pallaver
1978: 11) Aus diesem Grund besteht nun dem Autor zufolge eine größere Bereitschaft, die
deutsche Sprache zu erlernen (Pallaver, 1978: 11). Als die italienische Sprachgruppe sich
noch überlegen fühlte, maß man einem effizienten Erlernen der deutschen Sprache keine
übermäßige Bedeutung bei. Die Deutschen mussten Italienisch lernen, nicht die Italiener
Deutsch (Gubert 1976: 5). Der politische Einfluss sei laut Mancini Ausschlag dafür gewesen,
dass die italienischen Immigranten sich nicht einfügten und sprachlich an die Südtiroler
Verhältnisse anpassten. Das deutsche Umfeld wurde zwar nicht gerade gehasst, aber
unbewusst gemieden. Durch die politischen Eingaben bestärkt, fühlten sich die Italiener noch
mehr als Kolonialherren und berechtigt dazu, sagen zu dürfen: „Siamo in Italia, allora si deve
parlare italiano“. Laut Mancini wirkte diese Einstellung noch längere Zeit fort (Mancini
1978: 2). In der Nachkriegszeit und ganz besonders mit Einführung des Neuen
Autonomiestatuts veränderten sich die Machtverhältnisse jedoch zugunsten der deutschen
Sprachgruppe (Gubert 1976: 5). Gubert meint außerdem:
„il nuovo statuto di autonomia dà corso al passaggio verso una convivenza ;pluralistica’ dei gruppi etnici e quindi ad una situazione di bilinguismo eguale e simmetrico43” (Zitat Gubert 1982: 202)
41 Im Jahre 1992 kam es zur Streitbeilegung zwischen Südtirol und Italien. 42 Hervorhebungen A.P. 43 Hervorhebungen A.P.
66
Deutsch zu können empfanden die Italiener nach Einführung des Zweiten Autonomiestatuts
laut Gubert vorteilhafter als einst. Die Auffassung, ohne Zweisprachigkeit keine (passende)
Arbeit zu finden, war und ist bei den Italienern weit verbreitet. Vor allem im öffentlichen
Bereich (Provinz, Gemeinde, Staat), im Tourismus und im Handel ist Zweisprachigkeit
Voraussetzung. Als weniger wichtig wird das Beherrschen der deutschen Sprache in Industrie,
Handwerk und Landwirtschaft angesehen.
Die Motivationen für das Erlernen des Deutschen sind einerseits der Wunsch nach
Verbesserung der Beziehungen zur deutschen Sprachgruppe und der Förderung des Dialogs,
gefolgt vom Wunsch, der italienischen Sprachgruppe bessere Arbeitschancen zu garantieren
und der Feststellung, dass die Italiener ohne Deutschkenntnisse vom sozialen Leben
ausgeschlossen sind (Gubert 1976: 5f; 8).
7.2.5. Die Achtziger-Jahre: Das wachsende Prestige der deutschen Sprache
Kramer bemerkt im Jahr 1981, dass das Deutsche zunehmend als dem Italienischen
gleichwertig aufgefasst wird (Kramer 1981: 114). Seiner Meinung nach genießen die
Sprachen Deutsch und Italienisch in Südtirol dasselbe Prestige. Die sprachliche Situation in
Südtirol unterscheidet sich somit beispielsweise von der Lage im Elsassgebiet, wo das
Französische gegenüber dem Deutschen besser angesehen ist (Kramer 1981: 108). Die
italienische Sprachgruppe bemüht sich Kramer zufolge nun auch vermehrt darum, ihre (bisher
mangelhafte) Deutschkompetenz zu verbessern (Kramer 1981: 119ff). Egger spricht 1982 von
einem „Zuwachs an Prestige, den die deutsche Sprache auch im Urteil der Italiener erhalten
hat“ (Zitat Egger 1981: 170). Ferner hat sich Alexander Langer zufolge auch das
Kräfteverhältnis der Sprachgruppen in Südtirol „im Laufe des letzten Jahrzehnts [Aufsatz
stammt aus dem Jahre 1983!] im Zuge der Autonomiereform und einer auch dadurch
bedingten wirtschaftlichen Expansion wesentlich geändert.“ (Zitat Langer 1996: 15f). Die
Tiroler in Südtirol betrachtet man demnach als dominierende Minderheit.
„Minderheit sind sie gegenüber dem Staat, dominierend im eigenen Territorium der ‚Autonomen Provinz Bozen – Südtirol’, mit weitgehend eigener Gesetzgebung und Verwaltung.“ (Zitat Langer 1996: 16)
Langer hat aber auch beobachtet, dass die Gleichstellung der beiden Landessprachen zwar
gesetzlich festgelegt und die Zweisprachigkeit durch eine dementsprechende Prüfung
nachzuweisen ist, die italienische Sprache aber als Staatssprache einen besseren Rechtsstatus
hat und im „öffentlichen und normierten Bereich“ dominiert. (Langer 1996: 18)
67
7.2.6. Die Sprachsituation von den 90er-Jahren bis heute
Weber-Egli konstatiert Anfang der Neunziger, dass die Wichtigkeit der zweiten Sprache
immer mehr Italienern bewusst wird. Es zeichnen sich sogar einige Veränderungen im
Alltagsleben ab:
„in einigen Geschäften der Bozner Innenstadt, in denen man – zumindest vom italienischsprachigen Personal – vor fünf Jahren noch eher italienisch bedient wurde, machte sich in letzter Zeit vermehrt das Bemühen dieser Angestellten bemerkbar, ihre Deutschkenntnisse auch anzuwenden.“ (Zitat Weber-Egli 1992: 32)
Auf dem Land ist es nicht selten, dass die Italiener ziemlich gut Deutsch sprechen, während
die deutschsprachige Bevölkerung dort über eine schlechte Zweitsprachkompetenz verfügt
(Weber-Egli 1992: 32f).
Laut ASTAT-Studie werden auf die Frage hin, wie wichtig die Kenntnis der Sprachen für das
gute Zusammenleben ist, von den drei Sprachgruppen vor allem die Standardvarianten
Deutsch und Italienisch genannt. 92,4% der Italiener erachten die deutsche Hochsprache in
Südtirol als wichtig, was ein sehr hoher Prozentsatz ist. Außerdem stufen 62,9% der Italiener
die Kenntnis des deutschen Dialekts als wichtig ein44.
Landeshauptmann Luis Durnwalder bewertet die gegenwärtige Sprachsituation in Hinblick
auf die Eurac-Studie folgendermaßen:
„[…] sono ottimista, rispetto agli anni Settanta e Ottanta oggi non c’è paragone: il clima tra gli italiani è molto migliore, si inizia a capire che la seconda lingua non è un obbligo ma una chance.” (Zitat Durnwalder AA 24.02.2006, S.11)
Dies bestätigt auch ein von Christoph Franceschini geführtes Interview in der „Neuen
Südtiroler Tageszeitung“ Drei Schülerinnen und ein Schüler im Alter von 18 bis 19 Jahren,
die das Humanistische Gymnasium „G.Carducci“ besuchten, wurden zum Thema
Zweisprachigkeit befragt. Auf die Frage hin, ob es ein Vorurteil sei, dass italienische
Jugendliche nicht Deutsch lernen wollen, antworten sie, dies sei absolut ein Vorurteil, denn
sie seien sich des Glücks bewusst, zwei Sprachen sprechen zu können, auch wenn es dazu
natürlich unterschiedliche Ansichten gäbe (Neue Südtiroler Tageszeitung 12./13.03.2005,
S.2).
Durch die neue Stärke der deutschen Sprachgruppe und die damit verbundene wachsende
Bedeutung der deutschen Sprache dürfte wohl nun das eingetreten sein, was Egger schon
1977 vorausgesagt hat: Mit der steigenden Deutschkompetenz der Italiener in Südtirol steigt
44 ASTAT: Südtiroler Sprachbarometer. Sprachgebrauch und Sprachidentität in Südtirol 2004. Landesinstitut für Statistik, 2006: 168-171.
68
wohl auch die „Anfälligkeit“ des Italienischen für deutsche Lehnwörter (vgl. Weber 1998:
199).
7.3. Die aktuelle rechtlich-politische Stellung der deutschen Sprache
Laut Autonomiestatut ist in der Region Trentino/Südtirol die deutsche Sprache der
italienischen Sprache, welche die amtliche Staatssprache ist, gleichgestellt (Artikel 99). Des
Weiteren hat der deutschsprachige Bürger der Provinz Bozen das Recht, mit Gerichtsämtern
und Ämtern der öffentlichen Verwaltung auf Provinz- und Regionalebene in seiner
Muttersprache zu kommunizieren (Artikel 100). Seit 1993 haben die deutschsprachigen
Südtiroler auch das Recht auf einen Prozess in ihrer Muttersprache. Die Besetzung der Stellen
im öffentlichen Bereich ist durch den Proporz (Artikel 15, 61, 89) geregelt, wonach die
Stellen im Verhältnis zur zahlenmäßigen Stärke der Sprachgruppen vergeben werden. Auch
im sozialen Wohnungsbau gilt der Proporz. Finden italienweite Volkszählungen statt, müssen
die Südtiroler eine Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung abgeben, was wiederum
ausschlaggebend für den Proporz ist. Um in den öffentlichen Dienst aufgenommen zu werden,
ist die Kenntnis der beiden Landessprachen Deutsch und Italienisch notwendig. Diese wird
seit 1977 durch die Zweisprachigkeitsprüfung ermittelt. (vgl. Egger/Heller 1997: 1354; Das
Neue Autonomiestatut 2001: 102f).
Die deutsche Sprachgruppe und Sprache haben somit an Stärke gewonnen. Diese Stärke der
deutschen Sprachgruppe in Südtirol rührt auch daher, dass die deutsche Minderheit Südtirols
in der Politik eine dominierende Stellung einnimmt. Sie wird durch die christlich-
demokratische „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) vertreten, die seit dem Zweiten Weltkrieg den
Großteil der Stimmen der deutschsprachigen Sprachgruppe für sich verbuchen kann
(Egger/Heller 1997: 1351).
7.4. Langers positive Voraussetzungen für die Zweisprachigkeit45
Auf die Frage nach dem gegenwärtigen Prestige der deutschen Sprache in Südtirol hin können
Langers anregende und immer noch aktuelle Ausführungen in seinem Aufsatz „Chancen und
Hindernisse für eine Zweisprachigkeit in Südtirol“ aus dem Jahre 1983 herangezogen werden.
45 Aufzählung zitiert nach Langer 1996: 19f
69
Er führt folgende positive Voraussetzungen für das Zusammenleben und die Zweisprachigkeit
der Südtiroler Bevölkerung an:
a) der Stellenwert der beiden Sprachen ist heute sehr ähnlich. Die beiden Sprachen genießen
vergleichbares Sozialprestige […];
b) beide Sprachen genießen heute ähnlichen Rechtsschutz […];
c) die beiden Sprachen sind durchaus wettbewerbsfähig; es handelt sich um zwei große,
aneinander angrenzende europäische Kultursprachen, die ‚rangmäßig’ zweifellos
vergleichbar sind;
d) das reale Vorkommen der beiden Sprachen ist in etwa äquivalent, die Sprachen werden
vielfach gleichzeitig gesprochen (Geschäfte, Ämter, Arbeitsplätze, Stadt, Familie, usw.);
Übergänge, auch viele Male täglich, sind keine Seltenheit; in vielen (auch familiären)
Bereichen gibt es regelrechte Misch-Situationen;
e) die Minderheit im Staate ist Mehrheit im Lande, das Staatsvolk hingegen ist auf lokaler
Ebene in der Minderheit; ökonomisch sind viele Bereiche eher eng verflochten; die beiden
Gruppen sind durchaus konkurrenzfähig, wenn auch ungleich stark;
f) die gesetzlich geforderte Zweisprachigkeit im öffentlichen Dienst zwingt einen
erheblichen Teil der Bevölkerung sowieso zur Erlernung beider Sprachen;
g) beide Sprachen haben einen durchaus vitalen Kontakt zum jeweiligen Mutterraum und
sind dadurch gegen Verkümmerung und Isolierung geschützt;
h) im gegenwärtigen historischen Augenblick besteht – vielleicht zum ersten Male, und für
wie lange? – in beiden größeren Sprachgruppen in vergleichbarem Ausmaß die Einsicht in
die Notwendigkeit/Nützlichkeit, die zweite Sprache zu erlernen bzw. dafür zu sorgen, dass
zumindest die Kinder sie lernen.
Aufzählung zitiert nach Langer 1996: S. 19f
7.5. Einschätzung der drei Varietäten: Italienisch, Hochdeutsch und Südtiroler Mundart
Weber-Egli befragte für ihre Studie46 Familien, wie diese die drei Varietäten Italienisch,
Hochdeutsch und Südtiroler Mundart einschätzen würden. Bezüglich der „Schwierigkeit“
stuften die meisten Befragten - sei es italienischer als auch deutscher Muttersprache - das
46 Gemischtsprachige Familien in Südtirol/Alto Adige. Zweisprachigkeit und soziale Kontakte. Alpha&Beta, Meran 1992.
70
Italienische als „leicht“, das Hochdeutsche als „schwierig“ und die Mundart als „schwer“
bzw. „schwer verständlich“ ein.
Bei der deutschen Mundart von Bozen und Umgebung gibt es jedoch weniger
Übereinstimmung. Die deutschsprachigen Südtiroler beschreiben den Dialekt als „lustig“,
„praktisch“, „heimelig“, „unverständlich“, „bunt“, „derb“, „treffend“, die Italiener hingegen
als „sgradevole“, „necessario“, „profondo“, „cacofonico“, „caldo“, „barbaro“,
„sgrammaticato“, „folcloristico“, „incomprensibile“. (Weber-Egli 1992: 70)
Das Hochdeutsche wird von den meisten Befragten durchschnittlich als „präzis“, „exakt“,
„hart“ und „reich an Wortschatz“ empfunden. Der deutsche Dialekt wurde unter anderem mit
dem Attribut „grob“ bzw. „derb“ bedacht. Das Italienische klingt in den Ohren der meisten
Befragten hingegen „weich“, „harmonisch“ und „melodisch“.
Zweifellos kommt der italienischen Sprache in dieser Einschätzung das größte Prestige zu,
„aber offenbar empfinden einige Italosüdtiroler das Fehlen eines echten dialektalen
Hinterlandes als störend und bezeichnen deshalb das Bozner Italienisch als ‚limitato’,
‚impoverito’ ‚bastardo’ oder ‚neutro’.“47 (Zitat Weber-Egli 1992: 71)
7.6. Der Druck des Deutschen
Cavagnoli zufolge wäre ein spezieller Punkt zu klären, der Auswirkungen auf das Italienisch
der italienischsprachigen Südtiroler haben könnte, nämlich: “Übt das Deutsche Druck
aus48?“ (Zitat Cavagnoli 2001: 127). Ihrer Meinung nach übt die deutsche Sprache nur in
den Tälern Druck aus, während in den Städten, hauptsächlich in Bozen, die beiden
Lebensbereiche klar voneinander getrennt und somit geschützt sind. (Cavagnoli 2001: 127)
Meiner Meinung nach übt das Deutsche aber sehr wohl auf die gesamte italienische
Bevölkerung Südtirols Druck aus, sowohl diatopisch, als auch diastratisch: Ohne
Beherrschung der deutschen Sprache, ohne Zweisprachigkeitsnachweis keine Arbeit in
öffentlichen Bereichen. Laut Ergebnis der ASTAT-Studie sind 41% der Italiener der Ansicht,
dass die Pflicht zur Ablegung der Zweisprachigkeitsprüfung als Voraussetzung für die
Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung aufgehoben werden soll. Unter anderem auch
deshalb, weil dieser Druck dazu führt, der anderen Sprache mit Ablehnung zu begegnen (AA
16.02.2006, S.17). Die Direktorin des “Ufficio Bilinguismo” Rita Rosa Pezzei stellt fest:
“Esiste ancora un forte senso di angoscia nei confronti dell’altra lingua. Che viene vista
47 Hervorhebungen A.P. 48 Hervorhebungen A.P.
71
come un’imposizione e non come un arricchimento. C’è una visione puramente strumentale
del patentino.” Die Italiener wollen nur wissen, wie man die Prüfung schaffen kann, nicht,
was eigentlich hinter der zweiten Sprache steht und was mit ihr verbunden ist (AA
25.02.2006, S.18).
Deutsch lernen zu müssen bereitet den Italienern immer noch Schwierigkeiten, meint auch die
Wissenschaftlerin Chiara Vettori, welche die Eurac-Studie durchgeführt hat. Überdies stellt
sie fest: „La forte motivazione ‚strumentale’ dei bolzanini (mi serve per il patentino) non si
accompagna a una conoscenza adeguata” (Zitat AA 23.02.2006, S.13). Für Melitta
Tschager, welche die Vorbereitungskurse für die Doppelsprachigkeitsprüfung hält, ist der
Grund für die mangelhaften Deutschkenntnisse der Italiener die Einstellung: „Gli italiani non
amano il tedesco. E se non si ama una lingua, non si riuscirà mai ad impararla“ (AA
25.02.2006, S.18).
Die Schule habe viel getan, die Probleme seien außerhalb zu spüren, denn die Bozner leben in
Wirklichkeit in monolingualer Umgebung. Außerdem besteht bei den Italienern immer noch
die Angst, Fehler zu machen und als Pseudo-Zweisprachige abgestempelt zu werden. Dies
erklärt auch, warum sie nach Deutschland gehen und dort unter einem viel geringeren Druck
Deutsch lernen (AA 23.02.2006, S.13).
Die Schulamtsleiterin Bruna Rauzi bemerkt hingegen, dass sich die Einstellung der Italiener,
man müsse Deutsch nur lernen, um den Zweisprachigkeitsnachweis zu erlangen, in den
letzten Jahren geändert hat. Das soziale Klima habe sich gewandelt und die positiven
Auswirkungen sehe man Rauzi zufolge bei den Kindern (AA 24.02.2006, S.11). Auch das
Interesse am Thema Bilinguismus ist groß. So sind etwa 91% der Italiener für die Förderung
einer frühen Zweisprachigkeit und 83% für den Immersionsunterricht (AA 16.02.2006, S.17).
8. Der Sprachkontakt zwischen Italienisch und Deutsch
8.1. Die Definition des Begriffs Sprachkontakt nach Tesch
„Sprachkontakt ist Bedingung all jener Phänomene, die unter den Konzepten Entlehnung, Interferenz, Mischsprache, Superstrat, Substrat, Adstrat, Sprachenbund etc. diskutiert werden.“ (Zitat Tesch 1978: 54)
72
Um Sprachkontakte herzustellen, sind bisweilen auch bescheidene Kenntnisse in einer
zweiten Sprache ausreichend, eine bestimmte Form bzw. Situation des Bilingualismus ist
jedoch in jedem Fall vorauszusetzen. In diesem Kontext ist das so genannte „code-switching“
anzuführen, welches „die Fähigkeit des Bilingualen, unmittelbar von einer Sprachkompetenz
in die andere umzuschalten“ (Zitat Tesch 1978: 55) beschreibt. Die Faktoren für die Kode-
Umschaltung sind laut Weinreich, Labov und Herzog vor allem in der demographischen und
der sozialen Attitüde gegenüber den kontaktierenden Sprachen zu suchen. Oksaar
unterscheidet zwischen „situationsbedingter“ und „kontextueller“ Umschaltung. Die
situationsbedingte Umschaltung hängt von den Faktoren Gesprächspartner, Thema und
Situation ab, die kontextuelle hingegen vom „Sender-Repertoire“, wobei man die
Subfaktoren wie beispielsweise Wortnot und emotive Momente nicht außer Acht lassen darf
(Tesch 1978: 54-57).
8.2. Forschungsstand
Zum linguistischen Sprachkontakt zwischen der italienischen und der deutschen Sprache vom
11. Jahrhundert bis heute gibt es nicht so zahlreiche und systematische Untersuchungen wie
zum Einfluss des Germanischen in der Spätantike und im Hochmittelalter. Man kann aber aus
diesen Aufzeichnungen durchaus ableiten, wo sich die meisten Germanismen diatopisch
(varietà di italiano regionale e dialetti) und diaphasisch (lingua standard) niedergeschlagen
haben, so meint Morlicchio etwa:
„I dialetti nei quali la componente tedesca è più rilevante sono, per ovvie ragioni storiche e geografiche, quelli delle regioni settentrionali centroorientali e in particolare i dialetti dell’arco alpino e, tra questi, soprattutto quelli delle vallate dei Grigioni e delle Dolomiti.” (Zitat Morlicchio 2006: 1678)
Das Deutsch, mit dem die romanischen Varietäten durch geographische Angrenzung,
geschichtlich-kulturelle oder wirtschaftliche Faktoren in Berührung kommen, sind einerseits
die drei deutschen „macroaree“ Deutschland, Österreich und die Schweiz und andererseits
die regionalen und lokalen Varietäten des Deutschen, einschließlich der „colonie alloglotte“
in Italien, die nicht unbedingt der Artikulation der drei großen deutschen Sprachzentren
entsprechen. Das Bairische beispielsweise ist demnach eine diatopische Varietät, die im
Süden Deutschlands, in Österreich, in Südtirol, den friaulischen Sprachinseln und im
Veronesischen gesprochen wird.
Morlicchio unterscheidet das Lehngut nach seiner Herkunft:
73
a) Standard-Deutsch („tedesco standard“)
- crauti � Sauerkraut
- cobalto � Kobalt
b) Schweizer-Deutsch („svizzero tedesco“)
- mucca � Mugg (= junge Kuh)
c) Bairisch-Österreichisch („bavarese-austiaco“)
- friul. acarli � Hakerle (= Axt)
„Situazioni di contatto linguistico nell’Italoromània sono determinate anche dalla presenza di gruppi alloglotti tedesche.“ (Zitat Morlicchio 2006: 1678)
8.3. Geschichtliche Entwicklung des Sprachkontakts zwischen Deutsch und Italienisch
Vom 11. bis zum 15. Jahrhundert ist der Einfluss des deutschen Sprachraums auf die
italienische Sprache als marginal und irrelevant zu bewerten. Auch noch nach dem 15.
Jahrhundert sind trotz wirtschaftlicher und militärischer Beziehungen nur sehr wenige
Germanismen ausfindig zu machen. Die meisten Lehnwörter aus dem Deutschen werden ab
der Mitte des 19. Jahrhunderts übernommen, vor allem aus dem Vokabular der Intellektuellen.
- lied � Lied
- determinismo � Determinismus
8.4. Faktoren, welche die linguistischen Begebenheiten beeinflussen
1.) Externe, bleibende Faktoren (‚fattori esterni permanenti’): Diese sind bedingt durch
nicht veränderbare Gegebenheiten wie beispielsweise die geographische Angrenzung. In
diese Kategorie fallen Termini der Bereiche Gastronomie und Tourismus hinein.
2.) Externe, unvorhergesehene Faktoren (‚fattori esterni contingenti’): Dazu zählen unter
anderem die Handelsbeziehungen, denen man verschiedene Benennungen von Münzen
verdankt (venez. ‚craizer’ von dt. Kreuzer). Durch bestimmte sozioökonomische
Begleitumstände wurde außerdem sowohl die Migration in deutschsprachige Länder
gefördert als auch die Auswanderung aus deutschsprachigen Ländern. Dies betrifft
hauptsächlich die nordöstlichen Regionen Italiens. Diese Migrationserscheinungen haben
vor allem zur Verbreitung der Germanismen, die bestimmte Berufe bezeichnen,
beigetragen. So wurden aus dem Bereich des Eisenbahnwesens beispielsweise Begriffe
74
wie ‚sina’ (� Schiene) oder ‚ezimpònaro’ (� Eisenbahner) entlehnt, aus dem
Bergbauwesen ‚canopo’ (� Knappe).
3.) Externe, politische Faktoren (‚fattore esterno […] il contesto politico’): Beispielsweise
hat die Habsburgerherrschaft in Norditalien ihre Spuren im Wortschatz hinterlassen. Die
Germanismen, die vor allem im administrativen Bereich ausmachbar sind und von der
politisch dominanten Schicht verwendet wurden, sind jedoch nicht sehr zahlreich (‚steura’
� Steuer; ‚polizzai’ � Polizei; ‚caiserlicchi’ � kaiserlich).
8.5. Diamesischer Aspekt
Morlicchio schreibt hierzu:
„Voci entrate nell’italiano standard sono mediate quasi sempre dalla lingua scritta e hanno un tramite colto, quelle con diffusione regionale sono invece entrate per lo più attraverso la lingua parlata, […]” (Zitat Morlicchio 2006: 1679)
Ins Standarditalienische dringen ihrer Ansicht nach (gelehrte) Entlehnungen vor allem
vermittels geschriebener Sprache ein, regional verbreitete Fremdlexeme hauptsächlich
durch die gesprochene Sprache.
8.6. Themenbereiche
Die im Standarditalienisch vorkommenden Germanismen können „voci di uso comune“ sein
wie etwa ‚brindisi’ (� bring dir’s) oder aus diversen Fachsprachen herstammen, so etwa
‚fuselòlo’ (� Fuselöl) oder „mitteleuropeo“ (� mitteleuropäisch). Die Entlehnung dieser
Termini erfolgte vor allem im 19. und 20. Jahrhundert. Sie gelten deshalb als „ fenomeni di
contatto in senso lato, in quanto determinati dalla circolazione di prodotti, invenzioni, idee
piuttosto che dalla circulazione di uomini e spesso diffusi anche in altre lingue europee
(internazionalismi).” (Zitat Morlicchio 2006: 1680)
75
8.7. Anpassungsformen in der graphischen Realisierung
Wenn ein lexikalisches Element aus der mündlichen Kommunikation übernommen wird,
treten in der graphischen Realisierung größere Schwankungen auf. (dt. ‚Walzer’ � it.
‚valzer’, ‚walzer’, ‚walser’, ‚valtzer’ etc.).
Im linguistischen Integrationsprozess vom Spätmittelalter bis in die Moderne treten im
Italienischen bei der Übernahme vom Deutschen zumeist die Phänomene
Monophthongierung von Diphthongen (‚borgomastro’ � Bürgermeister), Verdoppelung
von Endkonsonanten (‚saccomanno’ � Sackman) oder Anaptyxe49 auf (‚lanzichenecco’ �
Landsknecht).
Die deutschen Wörter, die erst im 20. Jahrhundert in die italienische Sprache aufgenommen
wurden, sind graphisch nicht angepasst worden. Höchstens die im Deutschen obligatorische
Anfangsmajuskel wurde zugunsten der italienischen Orthographie aufgegeben. Die nicht
angepassten Lehnwörter beziehen sich vor allem auf soziokulturelle Aspekte der
deutschsprachigen Länder, wie etwa lokale Bräuche, Gastronomie, Philosophie und
Bezeichnungen von Institutionen. Man denke dabei an Bezeichnungen wie ‚jodler’, ‚speck’,
‚weltanschauung’ oder ‚kinderheim’. Auch lassen sich zahlreiche Lehnübersetzungen
(„calchi“) im Italienischen konstatieren: ‚superuomo’ � Übermensch; ‚schiaccianoci’ �
‚Nussknacker’; ‚plusvalore’ � Mehrwert. Darüber hinaus gibt es auch noch „tedeschismi
sostantivi“, die auf Eigennamen zurückgehen: So hieß etwa der erste der erste Dobermann-
Züchter selbst Dobermann, ebenso wie der Erfinder des Diesel-Motors selbst Diesel hieß
(Morlicchio 2006: 1677 – 1685)
9. Germanismen im Italienischen
9.1. Historischer Abriss der Germanismen im Italienischen
Es gibt einige Untersuchungen zum Einfluss der deutschen bzw. germanischen Sprache(n) auf
das Italienische. Es sind dies vor allem sprachhistorische Darstellungen. Hier wären z.B.
49 Anaptyxe: „Silbenstrukturveränderung durch […] Vokaleinfügung zur Erleichterung der Aussprache.“ (Zitat Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft 2002: S.80)
76
Giulio Bertonis 1980 erschienenes Opus “L’elemento germanico nella lingua italiana” und
Beatrix Piscitellis im Jahre 1986 verfasste Diplomarbeit “Germanismen im Italienischen“ zu
nennen. Bertoni fügt dem Buch noch eine detaillierte Liste der im Italienischen verwurzelten,
archaischen und vollständig integrierten Germanismen bei, die man als solche nicht mehr zu
erkennen vermag. Um einige Beispiele zu nennen: ‚albergo’ geht etwa auf got. *harjberg-,
zurück, ‚fazzoletto’ auf mdh. vëtze (nhd. Fetzen), ‚guerra’ auf german. wërra und das Verb
‚tuffare’ auf lang. *tauf(f)ian (Bertoni 1980: 73; 115; 140; 212).
Aus den sprachhistorischen Untersuchungen geht hervor, dass das Germanische das
Italienische zunächst in der Zeit der Völkerwanderung (ca. 476 bis 960 v. Chr.) beeinflusst
hat. Das deutsche Lehngut im Italienischen stammte vor allem aus dem Gotischen und dem
Langobardischen (z.B. ‚sapone’). Später wurde es auch vom Fränkischen beeinflusst.
Einflüsse des Deutschen sind auch in der Zeit um 1700 zu entdecken, wo sich die
Germanismen vor allem im kulinarischen Bereich (‚chifel’� Kipfel) und in der
Mineralogie (‚cobalto’ � Kobalt) niederschlugen. Im 19. und 20. Jahrhundert sind im
Italienischen sehr viele Germanismen zu finden. Die Gründe hierfür sind die
Vormachtstellung der Deutschen in Wissenschaft und Philosophie, die Herrschaft der
Habsburger über die Lombardei und Venetien (1815 bis 1866) und die politisch-
militärischen Beziehungen zwischen Italien, Österreich und Deutschland vom Ende des 19.
Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg (vgl. Piscitelli 1986: 5150). Bereiche, in die zu dieser
Zeit Germanismen eindrangen, sind laut Blasco Ferrer:
- la politica: dicastero, Diktat, Blitzkrieg, Realpolitik; il prefisso ur-
(Urcomunismo); - la medicina: aspirina, autismo, biotina; - le scienze empiriche, tecnologiche: aldeide, blenda, conglomerato, creosoto,
diesel, dinamo, drusa, entropia, enzima, etere, feldspato, Fahrenheit, föhn, gene, wolframio, zinco, ferrovia (e tutta una ricca terminologia connessa);
- le scienze umanistiche: complesso (Freud), criticismo (Kant), superuomo (Nietzsche), esistenzialismo, masochismo, contaminazione e Umlaut (linguistica), gestalt, Weltanschauung, Kulturkampf;
- la musica: componistico, fisarmonica, valzer; - i cibi: canederlo, semel, crauti, cren, sarcrauti, speck, strudel, Delikatesse, würstel
[…]. (Schema übernommen von Blasco Ferrer 1999: 269f)
50 vgl. Bertoni 1980 und Piscitelli 1986, jeweils Inhaltsverzeichnis, und http://utenti.lycos.it/scambi5al/tedesco-3.htm
77
Im Zweiten Weltkrieg drangen Begriffe wie ‚führer’, ‚lager’, ‚panzer’ und ‚reich’ in die
italienische Sprache ein (Piscitelli 1986: 54).
Eine ausführliche Nennung und Beschreibung der Germanismen im Italienischen findet man
im LEI: Lessico etimologico italiano: Germanismi. Vol. I (2000; 2002; 2003), erarbeitet von
Pfister und Morlicchio. Für die Erstellung eines Lehnwortkorpus’ wurden alle germanischen
Elemente herangezogen, die in Quellen ab Isidor I. von Sevilla51 (um 630) belegt werden
konnten (vgl. Pfister/Morlicchio 2000: V). Diese deskriptive Auflistung der Germanismen ist
zum aktuellen Zeitpunkt aber nur von „Abschied“ bis „bastarda“ erfolgt und dokumentiert.
Das Projekt zur Erforschung der Germanismen im Italienischen wird jedoch fortgesetzt,
weitere Bände sind in Planung bzw. Arbeit.
9.2. Germanismen in der italienischen Sprache der Gegenwart
Das Thema „Germanismen im heutigen Italienisch“ behandelt der Sprachwissenschaftler
Peter Braun in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997, veröffentlicht in der Zeitschrift
„Muttersprache“. Die Grundlage der Analyse bildet ein im Jahre 1989 in Mailand
erschienenes Fremdwörterbuch mit dem Titel: G.S. Carpitano/G. Càsole: Dizionario delle
parole straniere in uso nella lingua italiana. Neben Fremdwörtern aus fast allen europäischen
Sprachen und manchen nicht-europäischen Sprachen, kommen auch Fremdwörter aus dem
Deutschen vor. Von den insgesamt 4500 Lemmata sind 104 Wörter Germanismen. Das sind
2,3% des Fremdwortbestandes. Jedes 50. Lehnwort ist im Italienischen folglich ein
Germanismus. Dies zeugt nicht gerade von einem starken Sprachkontakt, stimmt aber mit den
allgemeinen Zahlenverhältnissen des Deutschen als Gebersprache überein. Nach Wörtmann
(1990) waren die slawischen Sprachen besonders aufnahmefreudig, die romanischen
Sprachen hingegen waren vor allem Gebersprachen und haben sehr wenige Lehnwörter
aufgenommen.
Die Germanismen im Italienischen stammen aus folgenden Bereichen:
• Neologismen: Bundestag, Bundesbank, Buchmesse, Ostpolitik, Berufsverbot, RAF
51 Isidor I. von Sevilla wird als letzter abendländischer Kirchenvater angesehen. Er wurde um 560 n. Chr. geboren und starb 636 in Sevilla. Isidor I. schrieb Werke von großer theologischer und profangeschichtlicher Bedeutung, darunter die „Etymologiae“, in denen das gesamte Wissen seiner Zeit enzyklopädisch dokumentiert ist. Sein Trinitätstraktat „De fide catholica contra Iudaeos“ wurde Ende des 8. Jh. ins Althochdeutsche übertragen (Brockhaus Enzyklopädie 1996: 695)
78
• Nazizeit: Anschluss, Blitz, Blitzkrieg, Führer, Gauleiter, Gestapo, Heil, Kapo, Lager,
Lebensraum, Reich, über alles
• Deutsche Geistes- und Kulturgeschichte: Biedermann, Bildungsroman, Einfühlung,
Erlebnis, Gestalt, Jugendstil, Kammerspiel, Kitsch, Kultur, Leitmotiv, Lied, Lieder,
Sehnsucht, Singspiel, Stimmung, Weltanschauung, Zeitgeist
• Essen und Trinken: Frankfurter, Kasseler, Kipfel, Knödel, Krapfen, Quark, Rösti,
Spätzle, Speck, Strudel, Würstel, Bitter, Kirsch, Kümmel; Auch Delikatesse, Gulasch und
Hamburger werden als Germanismen eingestuft.
• Besondere Einrichtungen: Buchmesse, Bundesbank, Bundestag, Kindergarten,
Kinderheim, Kursaal, Anstalt
• Alpinismus: Alpenstock, Edelweiß, Föhn, Jodler
• Anredeformen: Frau, Fräulein, Herr
• Hundenamen: Dobermann, Mops, Schnauzer
• Sport: Schuss, Quersprung
• Alltagssprache: verboten, kaputt, nix
Die meisten Germanismen behalten im Italienischen ihre ursprüngliche Schreibweise. Daraus
kann man ableiten, dass der Großteil der aufgenommenen Fremdwörter aus schriftlichen
Quellen stammt, demnach auch fast nur schriftlich verwendet wird und dass die gesprochene
Sprache kaum berührt ist (Braun 1997: 201-205).
Neben dem oben vorgestellten Dizionario von Carpitano/Càsole gibt es noch ein aktuelleres
Fremdwörterbuch: Tullio DeMauro (2001): Parole straniere nella lingua italiana. Dieses
bescheinigt rund 340 Germanismen im Italienischen. Letztgenanntes fungiert auch als
Bezugsnormautorität für die vorliegende Arbeit. Die meisten im Südtiroler Italienisch
ausfindig gemachten Germanismen sind jedoch nicht in diesem Wörterbuch verzeichnet, was
darauf schließen lässt, dass es sich hierbei um noch nicht systematisch erhobene, und nur auf
die Provinz Bozen beschränkte deutsche Entlehnungen handelt. Doch aufgrund der hohen
Frequenz, mit der manche deutsche Wörter in südtirol-italienischen Texten auftauchen, kann
man davon ausgehen, dass diese Germanismen durchaus in der Replikasprache integriert sind
oder auch aufgrund des Faktors Lehndauer eine „Integrationschance“ haben.
79
9.3. Germanismen im Südtiroler Italienisch: Forschungsstand
Die deutsche Sprache in Südtirol ist sehr häufig auf Interferenzen aus dem Italienischen
untersucht worden. So wird beispielsweise der Führerschein „Patent“, das Autokennzeichen
„Targa“ genannt (vgl. Egger/Heller 1997: 1355). Riedmann kommt die Ehre zu, als erster in
umfassender Weise die Interferenzen des Italienischen auf die deutsche Schriftsprache
wissenschaftlich beschrieben zu haben (Egger 1982: 173).
Wie Weber feststellt, gibt es jedoch zu den Einflüssen des Deutschen auf die italienische
Sprache in Südtirol „weit weniger Veröffentlichungen52“
„(vgl. etwa PALLAVER: 1978 und Elementi stranieri…: 1986, 1988 53), die sich überdies vor allem mit der Übernahme lexikalischer Elemente des Deutschen in die nordostitalienischen Dialekte befassen. Zwar werden von einigen Autoren immerhin auch die – wenigen – deutschen Wörter aufgelistet, die Eingang ins Italienische der besagten Region gefunden haben (RIEDMANN 1972: 37f.; KRAMER 1981: 133ff); diese erscheinen aber angesichts der viel zahlreicheren Italianismen im regionalen Deutsch als wenig interessant, […]“ (Zitat Weber 1998: 198)
Mit Egger/Heller kann man die gängige Meinung, die in den meisten Beiträgen zu diesem
Thema zum Ausdruck kommt, auf den Punkt bringen:
„Das Italienisch in Südtirol kennt fast keine lexikalischen Interferenzen aus dem Deutschen“ (Zitat Egger/Heller 1997: 1355)
Dass es sehr viele Untersuchungen zum Einfluss des Italienischen auf das Südtiroler Deutsch
gibt und kaum Veröffentlichungen zum Einfluss des Deutschen auf das Südtiroler Italienisch,
findet Weber-Egli „symptomatisch“, und das “obwohl Egger schon vor zehn Jahren auf die
Möglichkeit hingewiesen hat, dass sich mit der Verbesserung der Zweitsprachkenntnisse bei
der italienischen Gruppe einige deutsche Elemente in ihr Italienisch einschleichen dürften.“
(Zitat Weber-Egli 1992: 34) Der bisherige Einfluss des Deutschen auf das Italienische
beschränkt sich laut Weber-Egli auf die zweisprachigen Familien, „wo allerdings Sätze wie ‚è
molto gemütlich qui“, ‚vanno in montagna wandern’ oder ‚hai voglia di un Saftele?’
durchaus gängig sind.“ (Zitat Weber-Egli 1992: 112f).
Einen der spärlich gesäten Beiträge, die man zum Thema Germanismen im Südtiroler
Italienisch ausgraben kann, findet man in Riedmanns Werk: „Die Besonderheiten der 52 Hervorhebungen A.P. 53 Elementi stranieri nei dialetti italiani. atti del XIV convegno del C.S.D.I. (Ivrea 17-19 ottobre 1984) /Centro di studio per la dialettologia italiana, [Padova]. Pisa: Pacini, 1986-1988.
80
deutschen Schriftsprache in Südtirol“ (1972), in dem er in Kapitel 8 „Die deutschen
Entlehnungen in der italienischen Sprache in Südtirol“ behandelt. Er vertritt die Ansicht,
dass der Deutschunterricht äußerst dürftig sei und die Italiener folglich sehr mangelhafte
Deutschkenntnisse an den Tag legen würden. Aus diesem Grund seien auch die Entlehnungen
aus der deutschen Sprache im Italienischen nicht sehr zahlreich und als eher belanglos
einzustufen. Die entlehnten Ausdrücke würden sich nur auf bestimmte Sachgebiete beziehen
und meist mit der Sache übernommen werden, welche sie bezeichnen. An erster Stelle stehen
laut Riedmann die Entlehnungen, die Speisen und Getränke bezeichnen. Er nennt hier
beispielsweise ‚Krapfen’, ‚Würstel’, ‚Speck’, ‚Strudel’, ‚crauti’ oder ‚finferli’. Die
Entlehnungen aus der (Tiroler) Mode stehen für Riedmann an zweiter Stelle. So tragen die
Italiener(innen) etwa einen ‚Lodenmantel’ (umschreibend: <mantello di loden>), ein ‚Dirndl’
(umschreibend: <vestito tirolese>) oder einen ‚Walker’. Riedmann nennt auch andere
Germanismen aus den verschiedensten Bereichen: ‚Stuben’, ‚pachera’ (Bauarbeiter verwendet
anstelle des it. Begriffes <escavatrice> das sprachlich ökonomischere deutsche Pendant),
‚fare blau’ (Lehnübersetzung54 aus der Jugendsprache für ‚blau machen’ = die Schule
schwänzen), ‚Kursaal’, ‚Proporz’, ‚Kulturhaus’, ‚Krampus’, ‚Foehn’, ‚Schuß’ oder
‚sdruccare’ (dialektal für ‚drücken’).
Italiener, aus der mittleren oder höheren sozialen Schicht, verwenden oftmals bewusst und
spielerisch stereotype Ausdrücke wie ‚Fräulein’ ‚Fraulein’, ‚bitte’, ‚danke’, ‚Auf
Wiedersehen’ oder ‚wie geht es?’ Zu der Deutschkompetenz der Italiener im Allgemeinen
bemerkt er:
„Einzelne Italiener können gut Deutsch, nicht wenige könnten sich auf beruflicher Basis schlecht und recht verständlich machen, aber so gern sie ihre Kenntnisse in meist echter Hilfsbereitschaft deutschsprachigen Ausländern gegenüber anwenden, so ungern sieht man es gewöhnlich, wenn Inländer deutscher Nationalität [sic!] in ihrer Muttersprache mit Behörden oder Geschäftsleuten verkehren wollen.“ (Zitat Riedmann 1972: 39)
Abschließend konstatiert er, dass aufgrund der sprachlichen Verhältnisse bei den Italienern
die italienische Sprache nur oberflächlich und äußerst sachbezogen von der deutschen
Sprache beeinflusst ist (Riedmann 1972: 37ff). An dieser Stelle ist anzumerken, dass
Riedmanns Forschungsergebnisse nicht mehr als aktuell gelten, bezieht er sich in seiner
Untersuchung ja auf die Zustände der späten 60er- bzw. der frühen 70er-Jahre.
Spillner griff Riedmanns Befund auf, bewertete ihn jedoch nur mit Vorbehalten. So gilt die
Theorie, dass die italienische Sprache das Deutsche beeinflusst, die deutsche Sprache die
54 Wohl eher Lehnübertragung
81
Staatssprache Italienisch hingegen vollkommen „unberührt“ lässt, beispielsweise nicht für die
„historische lexikalische Entlehnung“, durch die deutsch benannte Sachen mit der
dazugehörigen deutschen Bezeichnung ins Italienische übernommen worden sind (‚il Kirsch’,
‚lo Speck’, ‚il würstel’ etc.). Spillners Auffassung nach sei es auch dahingestellt, ob
Riedmanns Aussage auch auf die Umgangssprache angewandt zutrifft. Für die Schriftsprache
bestätigt Spillner die These jedoch und führt im Folgenden ausschließlich Belege für
italienisch-deutsche Interferenzen an. (Spillner 1992: 175f). Eine für die vorliegende Arbeit
relevante und interessante Entdeckung liefert er gegen Schluss hin:
„Lexikalische Interferenzen treten in Sprachkontaktsituationen erfahrungsgemäß immer auf, wenn landesspezifische Termini aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft, Sport etc. und Bezeichnungen für landestypische Speisen und Getränke55 entlehnt werden.“ (Zitat Spillner 1992: 179f)
Als Forschungsdesiderata für das Sprachenpaar Deutsch-Italienisch in Südtirol führt Spillner
unter anderem die „historische Entlehnungsforschung“ und eine „Untersuchung zu
möglichen deutsch-italienischen Interferenzen“ an (Spillner 1992: 183).
Auch Zagami (1975: 236-239) stellt in ihrer Diplomarbeit fest, dass die deutschen
Lehnwörter in der italienischen Sprache gegenüber den italienischen in der deutschen Sprache
Südtirols in der Minderzahl sind. Fast ausschließlich dreht es sich bei den Germanismen um
Wörter, die in der italienischen Übersetzung an Expressivität verlieren würden oder die
Bedeutung des deutschen Ausdrucks nicht vollständig wiedergeben können. Zagami führt
hierfür einige Beispiele an. Interessant ist dabei immer ihr Versuch, den deutschen Ausdruck
möglichst treffend auf Italienisch zu erklären.
- ,Kursaal’ (it. casinò/sala dei bagnanti/luogo di svago nelle stazioni termali e
climatiche)
- ‘Leitmotiv’ (it motivo guida in un dramma che, caratterizzando fatti e sentimenti,
ritorna frequentemente nel corso dell’opera musicale/concetto predominante in un
testo letterario).
Termini wie die eben oben genannten gehören zum Bildungswortschatz („linguaggio
dotto“). Deutsche Lehnwörter tauchen aber auch in den Bereichen Gastronomie und
Bekleidung auf. Diese sind Bedürfnislehnwörter, die sich durchgesetzt haben, um typische
Gerichte, Getränke oder Bekleidungsstücke zu bezeichnen. Einige davon haben sich auch
italienweit und anderswo verbreitet:
- ‚Kirschwasser’ (it. aquavite di ciliege)
- ‚Würstel’ (it. salsicciotto tipico)
55 Hervorhebungen A.P.
82
- ‚Strudel‘(it. dolce tedesco di sfoglia, cosparso di frutta fresca o marmellata e avvolto
su se stesso)
- ,Krauti [?]’(it. cavolo triturato e sottoposto a fermentazione)
- ,Dirndl’ (it. vestito tirolese)
- ,Loden(mantel)’ (it. impermeabile di panno greggio di tradizione altoatesina)
Andere Entlehnungen aus dem Deutschen beschränken sich Zagami zufolge vor allem auf
den Sprachgebrauch der Italiener der Provinz Bozen. Dazu zählen etwa Lemmata wie diese:
- ‚Speck’(it. lardo magro affumicato)
- ,Krapfen’ (it. frittella di pasta lievitata ripiena di marmellata)
- ,Kren’ (it. Barbaforte, rafano)
- ,Knödel’ (it. Gnocchi tirolesi a base di pane ammollato e lardo)
- ,Pfifferling’ (it. Fungo canterello)
- ‚Sprizz’/ österr. Gespritzter (it. vino con seltz)
- ‚Glühwein’ (it. vino caldo)
Auch ‚Grießnockerl’, ‚Muas’, ‚Plent(e)n’, ‚Schlutzkrapfen’ und ‚Tirtlen’ führt Zagami hier
an. Nicht selten werden diese Begriffe an das italienische Phonemsystem angepasst und in der
Aussprache vereinfacht:
- ‚Krapfen’ > kráffen
- ‚Knödel’> canèderli
- ‚Pfifferling’ > fínferli
Für Kramer ist der marginale Einfluss der deutschen Sprache auf die italienische einerseits
darauf zurückzuführen, dass die Italiener die Kenntnis der deutschen Sprache lange Zeit für
unnötig hielten. Andererseits liegt es daran, dass sich deutsche Wörter eher schlecht an die
Struktur des Italienischen anpassen lassen; so kann beispielsweise die Aussprache oder die
Flexion Schwierigkeiten bereiten.
Laut Kramer treten folglich im Italienischen Südtirols kaum Luxuslehnwörter auf, sondern
Bedürfnislehnwörter. Dabei handelt es sich um Bezeichnungen, die gemeinsam mit einer bis
dato unbekannten Sache übernommen werden. Germanismen findet man vor allem in den
Bereichen Speisen und Getränke, Mode, Alpinismus und Politik.
Nicht gerade einfach festzumachen sind die Germanismen, die nur in Südtirol vorkommen.
Beispielsweise gibt es im Bereich Speisen und Getränke einige Ausdrücke, die noch aus der
K.& K.-Herrschaft in Norditalien stammen: ‚finferli’, ‚sprizz’, ‚canederli’ oder ‚crauti’.
83
Eindeutig Südtiroler Germanismen sind für Kramer ‚krapfen’, ‚speck’, ‚strudel’, ‚kuchen’,
ebenso wie die Modetermini ‚loden’ oder ‚dirndl’.
Auch im Alpinismus konnten sich einzelne Germanismen behaupten, wie etwa ‚überhang’,
‚schuss’, ‚pickel’ oder ‚biwak’. Die eindeutigsten Germanismen kann man aber laut Kramer
in der Sprache der Politik finden, beispielsweise ‚la Volkspartei’, ‚il/la SVP’, ‚la Junge
Generation’, ‚l’Arbeitnehmerflügel’ oder ‚gli Schützen’. Diese Termini werden fast täglich in
der aktuellen medialen Berichterstattung gebraucht, oftmals auch pejorativ, weil alles
sozusagen in „deutscher Hand“ ist.
Auch in der Alltagssprache werden im Umgang mit Deutschsprachigen oder zum
scherzhaften Gebrauch oftmals deutsche Anrede- und Grußformeln verwendet: ‚Grüß Gott’,
‚Auf Wiedersehen’, ‚bitte’, ‚danke’. ‚Fräulein’, ‚Frau’ und ‚Herr’ werden - wie im
Italienischen üblich - ohne Beifügung des Namens verwendet (Kramer 1981: 133ff).
Auch Zamboni konstatiert wie die meisten Sprachwissenschaftler vor ihm:
„Le modalità delle relazioni esistenti non consentono al tedesco di esercitare un particolare influsso sull’italiano mentre al contrario quest’ultimo è presente in modo massiccio nel registro colloquiale sudtirolese.” (Zitat Zamboni 1995b: 113f)
Wie Kramer (1981) schon festgestellt hat, kommen die entlehnten Begriffe auch für Zamboni
vorwiegend aus den Bereichen Gastronomie, Bekleidung, Alpinismus und Politik. Im
Wesentlichen führt Zamboni hierzu dieselben Beispiele an wie Kramer (Zamboni 1995b:
113f).
Cavagnoli schließlich ergänzt Riedmanns These, dass nur im Bereich Mode, Ernährung und
Presse Interferenzen aus dem Deutschen vorkommen, um den Sektor Informatik.
Außerdem verwenden Akademiker, die oft mit dem deutschen Sprachsystem in Kontakt sind,
nicht selten Lehnbildungen und Italianisierungen deutscher Fachausdrücke (Cavagnoli 2001:
126):
Lehnbildungen Standarditalienisch
Formulari Moduli
Coordinazione Coordinamento
Concetto Concezione
Il giallo pullover, il triste bambino Il pullover giallo, il bambino triste
La clausura La riunione a porte chiuse
84
9.3.1. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Germanismen im Südtiroler Italienisch
Die einzigen zwei Aufsätze, in denen etwas ausführlicher auf die Einflüsse der deutschen
Sprache auf die italienische in Südtirol eingegangen wird, sind einerseits „Die Einflüsse der
deutschen Sprache auf den Trentiner Dialekt des Unterlandes“ geschrieben von Günther
Pallaver (1978) und „Achtung: germanismi!“- Über den Einfluß der deutschen Sprache auf
das Italienische in der Region Trentino-Alto Adige/Südtirol“ von der Schweizerin Daniela
Weber (1998). Letzterer ist auch der einzige Beitrag von wissenschaftlicher Bedeutung zum
Thema.
Pallaver
Günther Pallavers Motivation zur Untersuchung der deutschen Entlehnungen im Trentiner
Dialekt des Unterlandes war die Tatsache, dass er selbst aus einer gemischtsprachigen
Gemeinde (Branzoll im Südtiroler Unterland) stammt, wo der Trentiner Dialekt gesprochen
wird. Pallaver betont, dass seine Untersuchungen nicht systematisch seien, da er selbst kein
Germanist sei, sondern dass sie sich auf persönliche Erfahrungen, Aussagen von Bauern und
Arbeitern in Gasthausgesprächen und Gesprächen bei der Arbeit stützen würden.
Nicht nur Branzoll, sondern das gesamte Unterland ist stark gemischtsprachig, da es ein
sprachliches Randgebiet ist und als solches stärker den „gegenseitigen wirtschaftlichen,
sozialen, kulturellen, persönlichen und sprachlichen Einflüssen“ (Zitat Pallaver 1978: 2)
ausgesetzt ist als sprachlich homogene Gebiete. Laut Pallaver sind deutsche Entlehnungen im
Trentiner Dialekt aus Analogiegründen sicherlich auch in anderen, mehrheitlich
italienischsprachigen Gemeinden des Unterlandes ausfindig zu machen, etwa in Laag, Salurn,
oder Pfatten.
Das Trentino war Pallaver zufolge in der K.& K.-Monarchie ein „Auswanderungsgebiet
höchsten Grades“ (Zitat Pallaver 1978: 2), da es ökonomisch stark unterentwickelt war. So
zogen die Trentiner zunehmend ins heutige Südtirol. Die zugewanderten Trentiner waren vor
allem Landarbeiter und Steinbrucharbeiter und gehörten somit der untersten sozialen Schicht
an.
„Der soziale Aufstieg aus der unteren sozialen Klasse in die höhere war mit der Übernahme des Deutschen als Umgangssprache sowie mit der Bekenntnis zur deutschen Sprachgruppe verbunden.“ (Zitat Pallaver 1978: 4)
Die Trentiner übernahmen die deutschen Lehnwörter vor allem aus den Wirtschaftsbereichen,
in denen sie in Südtirol tätig waren. Mit den neuen Produktionsverhältnissen waren auch
85
dementsprechende fremde Ausdrücke verbunden, die aus folgenden Bereichen stammen und
zu denen Pallaver zahlreiche Beispiele anführt. Da die Aufzählung dieser den Rahmen
sprengen würde, werden nur einige genannt:
• Agrarischer Sektor: (Obst- und Weinbau, Viehwirtschaft): ‚aras’ (Harass, die
Äpfelkiste), ‚plotsaugher’ (Blattsauger, Obstschädling), ‚mulchcaret’ (Mulchgerät), ‚sesla’
(Sichel), ‚most’ (Most), ‚�loter56’ (Schlotter, Klaubsack);
• Steinbrucharbeit: ‚stoll’ (Stollen), ‚chippa’ (Kippe, Steinabfall), ‚clostón’ (Klopfstein),
‚plota’ (Platte), ‚floster’ (Pflaster), ‚�bolsom’ (Bolzen);
• Waldarbeit: ‚ciorciole’ (Tschurtschen, Tannenzapfen), ‚da�e’ (Tasen, Tannenzweige),
‚crax’ (Krax);
• Jagd: ‚seser’ (Sechser-Bock, nach Geweih), ‚spisser’ (Spießer, spezifische
Wildbeschreibung), ‚bol(d)bote’ (Waldbote, heute Jagdaufseher, Förster)
• Eisenbahnwesen (österr.): ‚�ine’ (Schienen), ‚�veleri’ (Bahnschweller);
• Geselliges (Spiel, Beisammensein, Gasthausleben): ‚vat’ (Watten), ‚spris’ (Gespritzter),
‚chélera’ (Kellnerin), ‚labpiat’ (Laubbieten beim Watten), ‚cheglenar’ (kegeln), ‚virtele’
(ein Viertel), ‚�luc’ (Schluck);
• Häusliche Umgebung: ‚heclenar’ (Häkeln), ‚pocene’ (Patschen, Pantoffeln), ‚chisnerar’
(kindsen, Kinder hüten), ‚credensa’ (Kredenz), ‚chibel’ (Kübel);
• Handwerk: ‚pec’ (Bäcker), ‚�loser’ (Schlosser), ‚spangler’ (Spengler);
(Pallaver 1987: 1-11)
Weber
Weber hat sich zu Forschungszwecken ein Jahr lang im Trentino aufgehalten und die großen
lokalen Tageszeitungen „L’Adige“ (Trentino), „L’Alto Adige“ und „Il mattino“ (beide
Südtirol) auf Germanismen hin untersucht. Ihre Grundannahme war:
„Benachbarte Sprachen unterliegen gewöhnlich einem gewissen wechselseitigen Austausch, der sich – je nach Art und Umfang der Kontaktsituation – meist zuallererst in lexikalischen Entlehnungen niederschlägt.“ (Zitat Weber 1998: 197)
Weber nennt als Gründe der Entlehnungsbereitschaft von Fremdlexemen zunächst die so
genannten „spontanen Kanäle des linguistischen Austausches.“ Hier hinein fällt einerseits der
Handel, der die Übernahme von Produkten, die in der Gegend bisher nicht bekannt waren,
fördert. Meist wird mit der neuen Sache auch automatisch gleich die Bezeichnung dafür
56 Das Graphem für deutsch <sch> gibt Pallaver mit dem slawischen Há�ek wieder (s + ^ ���� � ).
86
übernommen. Weiters können ausländische Bezeichnungen, die als besonders chic oder
prägnant gelten, aufgenommen werden.
Laut Weber ist ein weiterer wichtiger Bereich des sprachlichen Austausches die staatliche
Administration, der sprachliche Minderheiten unterstellt sind. Dabei beeinflusst die
dominante Staatssprache die Sprache der Minderheit. Das führte aufseiten der deutschen
Minderheit in Südtirol zu einer massiven Angst vor Assimilierung, Unterwanderung und
Sprachverlust. Aus diesem Grund wurde in Südtirol bis dato nur der Einfluss des Italienischen
auf das Deutsche untersucht. Weber erwägt in ihren Ausführungen die möglichen Gründe der
mangelnden Untersuchungen zum Thema „Germanismen im Südtiroler Italienisch“:
Einerseits kann dies als Hinweis genommen werden, dass das Italienische vom Deutschen gar
nicht bzw. nur marginal beeinflusst wird. Andererseits kann es aber auch sein, dass es sich
hierbei um ein noch weitgehend unerforschtes Gebiet handelt. Die Autorin nimmt Letzteres
an, da sie selbst in Südtirol die Erfahrung gemacht hat, dass Italiener mit guten
Deutschkenntnissen nicht selten einen treffenderen Ausdruck aus dem Deutschen verwenden
und in ihr Italienisch einschieben.
So nennt sie als Beispiele folgende Sätze:
- „vanno in montagna wandern“
- „è molto gemütlich qui.“ (Zitat Weber 1998: 19957)
Ebenfalls hat Kurt Egger (1978) darauf hingewiesen, dass mit der steigenden
Deutschkompetenz der Italiener in Südtirol wohl auch die „Anfälligkeit“ des Italienischen für
deutsche Lehnwörter steigen müsste.
Weber hat im Zuge ihrer Forschungsarbeit festgestellt, dass italienischsprachige Bürger in der
zweisprachigen Provinz Bozen oftmals deutsche Begriffe aus der Politik wie etwa ‚il
Landeshauptmann’ oder ‚l’obmann della SVP’ verwenden. Auch in den Lokalzeitungen hat
sie immer wieder das Vorhandensein dieser Bezeichnungen konstatieren können. Das
Einbauen von deutschem Wortgut scheint aber - den Ausführungen der
Sprachwissenschaftlerin Nicoletta Finazzos zufolge- in allen Tageszeitungen Italiens
zunehmend „in“ zu sein. Finazzo hat sich in ihrer Lizenziats-Arbeit mit dem Titel „Tra
Bildungsroman e Würstel. Le voci tedesche nell’italiano contemporaneo“ (1993), eingereicht
bei Prof. Gaetano Berruto, mit Art, Zahl und Häufigkeit der deutschen (Lehn-) Wörter im
gegenwärtigen Italienisch auseinander gesetzt.
57 Bsp.e übernommen von Weber-Egli 1992: 112f
87
In Bezug auf Südtirol und mögliche Germanismen im Italienischen schreibt Weber
Folgendes:
„Aufgrund der spezifischen Situation der untersuchten Region darf man ein Mindestmaß an Deutschkenntnissen in der breiten Bevölkerung voraussetzen, denn Deutsch ist überall Pflichtfach. Die tatsächliche – vor allem aktive – Deutschkompetenz läßt aber bei den meisten Pflichtschulabgängern noch einiges zu wünschen übrig.“ (Zitat Weber 1998: 200)
Es wird zwar alles Mögliche unternommen, um die Unterrichtsqualität zu verbessern
(Schüleraustausch, Einführung des Deutschunterrichts im Kindergarten, bessere Qualifikation
der Lehrer, Aktualisierung der Lehrmittel), jedoch ist noch einiges an Zeit, Geduld und
Sensibilisierungsarbeit vonnöten, bis diese Maßnahmen schließlich fruchten.
Weber listet nun eine Reihe von Germanismen auf, die sich in folgende Kategorien einteilen
lassen:
a) „Altbestände“: gehen meist auf die Zeit der Habsburger-Monarchie zurück (eisemponer;
kaiser)
b) Politische Begriffe im Zusammenhang mit der deutschen oder Südtiroler Wirtschaft,
Politik und Geschichte (i nuovi Bundeslaender; Landesversammlung)
c) Einfache deutsche Wörter mit Signalwirkung (Achtung…, ; un chiaro nein)
d) Deutsche Kulturbegriffe (Begriffe aus den Geisteswissenschaften; Folklore-
Bezeichnungen wie Sankt Nikolaus e Krampus; kulinarisches Vokabular wie krapfen,
strudel)
a) Altbestände: Die bayrisch-tirolerischen Dialekte der deutschen Sprachinseln in
Oberitalien (die „Mocheni“ im Fersental, die „Cimbri“ auf dem Hochplateau von
Lavarone, die 7 Gemeinden bei Verona und die 13 Gemeinden bei Vicenza) hatten nur
mäßigen Einfluss auf das umliegende Italienisch. Da die Siedler ursprünglich vor allem
Berg- und Bauersleute waren, sind einige Begriffe aus diesen Bereichen eingeflossen, z.B.
‚canopi’ für Bergknappen.
Eine große Wirkung auf das Italienisch hatte dagegen die K.&K.-Monarchie bis zum
Ersten Weltkrieg. Entlehnt wurden vor allem verwaltungsspezifische und militärische
Ausdrücke (‚Jegher’; ‚Kaiser’; ‚zugfurer’), kulinarisches Vokabular (‚kipferl’;
‚finferli’; ‚strudel’; ‚canederli’), Begriffe aus der Mode und dem Alpinismus (‚loden’;
‚alpenstock’; ‚schuss’) und der Bauarbeit (‚eisemponer’; ‚pachera’). Durch den
damaligen Kontakt zum deutschen Sprachgebiet wurden auch einige kulturelle
88
Ausdrücke wie ‚lieder’, ‚leitmotiv’, ‚mitteleuropa’, ‚kitsch’, und ‚weltanschauung’
übernommen, ebenso wie chemische Fachtermini. Der Großteil dieser Begriffe ist heute
auch im überregionalen Italienisch ausmachbar.
Weber fasst in der dritten und letzten Phase das Dritte Reich und die Entwicklung bis zur
Gegenwart zusammen, abgesehen von der Distanzierungsperiode nach dem
Nationalsozialismus und der anti-deutschen Haltung. Was dabei ausschlaggebend wirkt,
ist, dass der Einfluss nun nicht mehr von Österreich, sondern von Deutschland ausgeht.
Begriffe aus dem Dritten Reich wären etwa ‚bunker’, ‚Führer’, ‚Alpenvorland’ und
‚Wehrmacht’. In jüngster Zeit werden Ausdrücke wie ‚Bundesbank’, ‚i Länder’ und
‚Stasi’ gebraucht.
b) Politisches und wirtschaftliches Vokabular: Diese Kategorie umfasst die größte Zahl an
Germanismen. Am häufigsten kommen Germanismen aus diesem Bereich bei den „Italo-
Südtirolern“ vor. Man muss hier jedoch unterscheiden zwischen Entlehnungen aus
Deutschland, aus der Provinz Bozen und aus Österreich. Bei den bundesdeutschen
Begriffen handelt es sich zumeist um (Original-) Namen von Behörden, Funktionen und
Firmen, z.B. ‚Bundesbank’ und ‚Deutschmark’. Ähnlich verhält es sich mit Südtirol. In
der italienischen Berichterstattung der Provinz Bozen scheinen oftmals die deutschen
Bezeichnungen ‚la Volkspartei’, ‚il nuovo obmann’ oder ‚il Bauernbund’ auf. Weber
weist in diesem Kontext darauf hin, dass die Verwendung des richtigen Artikelgenus
darauf schließen lässt, dass die Termini den Italienern durchaus vertraut und geläufig sind.
In diese Richtung weist auch die Tatsache, dass die Begriffe zwar oft unter
Anführungszeichen gesetzt werden, aber nur wenige Erklärungen oder Übersetzungen
angeführt werden. Der lexikalische Einfluss aus der österreichischen Politik ist
vergleichsweise gering (‚il Ferdinandeum’; ‚il <Landesmuseum> dei Tirolesi’).
c) Einfache deutsche Wörter mit Signalwirkung: Diese Entlehnungen kommen meist in
Titeln vor. Einerseits kann damit der Thematik des folgenden Berichts vorgegriffen
werden (z.B. ‚Achtung, scioperi’ über einen Streik in Deutschland), andererseits soll mit
diesen Exotismen die Aufmerksamkeit des Lesers erregt werden. Je höher das sozio-
kulturelle Niveau einer Zeitung, desto mehr Germanismen kommen vor. Demnach sind
„La Repubblica“ und der „Corriere della sera“ Spitzenreiter.
Häufig vorkommende deutsche Fremdwörter sind etwa: ‚Achtung…’ und ‚…über alles’.
89
Neben diesen in Titeln auftauchenden Entlehnungen kann man weitere deutsche Wörter
finden wie beispielsweise ‚Zimmer frei’, ‚ja’, ,nein (danke)’, ‚jodler’ oder ‚Heimat’.
Bereits italianisiert sind deutsche Wörter wie ‚blitz’, ‚bunker’, ‚hinterland’, ‚kitsch’,
‚diesel’, ‚lager’, ‚leitmotiv’ und ‚mitteleuropa’.
d) Deutsche Kulturbegriffe: Hier hinein fallen Begriffe aus den Geisteswissenschaften,
Folklore-Bezeichnungen wie ‚Sankt Nikolaus e Krampus’ oder ‚gli Sternsinger’ und das
teilweise schon italianisierte kulinarische Vokabular wie ‚krapfen’, ‚Zelten’, ‚strudel’,
‚würstel’ oder ‚Schlutzkrapfen’.
Alessio Petralli hat auf die wichtige Rolle der Zeitungen als „Umschlagplatz“ für
Neologismen hingewiesen. So werden Originalwörter eingebaut, um die Aktualität der
Berichte zu untermauern. Laut Finazzo ist es jedoch sehr schwierig, zu sagen, welche Wörter
bloß Modewörter von kurzer Dauer sein werden und welche dauerhaft ins italienische
Vokabular aufgenommen werden (Weber 1998: 197-213).
9.3.2. Belege für im Standarditalienisch integrierte deutsche Lehnwörter in der
italienischen Schriftsprache Südtirols
Mit der Aufzählung und Beschreibung deutscher Fremd- bzw. Lehnwörter des „Dizionario
delle parole straniere nella lingua italiana“ von DeMauro als Grundlage bzw.
Bezugsnormautorität lassen sich in der schriftlich fixierten italienischen Sprache Südtirols
nun folgende Entlehnungen ausfindig machen, die jedoch größtenteils nicht an die eigentlich
im Italienischen übliche Kleinschreibung der Substantive bei Übernahme in die eigene
Sprache angepasst sind – scheinbar ein für das Südtiroler Italienisch typisches Merkmal. Das
Lehnwort wird hier - nach Anführen des deutschen Lemmas- so wie es im Fremdwörterbuch
steht, angegeben, zwischen Doppelpfeilzeichen (<< >>) gesetzt und wenn notwendig durch
eine italienische Erklärung ergänzt.
Die Sachgebiete, aus denen die Germanismen stammen, sind weit gestreut: von Verwaltung
und Politik über die Kultur im weitesten Sinne des Wortes bis hin zu Brauchtum,
Kriegswesen, Gastronomie und Sport. Weil sich die Themenbereiche bzw. die Klassifizierung
und Einordnung der deutschen Lehnwörter jedoch häufig überschneiden, werden
beispielsweise die Germanismen aus den Bereichen Speisen/Getränke, Sport und Drittes
Reich weiter unten in einem eigenen Kapitel behandelt und darauf verwiesen, dass es sich
90
hierbei um auf italienischer Nationalsprachebene integrierte deutsche Lehnwörter handelt. Es
sind dies hauptsächlich Bedürfnislehnwörter, die keine Entsprechung im Italienischen
finden und/oder die über eine besondere Expressivität und Treffsicherheit verfügen.
• Volkswagen m. – “La nuova Volkswagen” (AA 03.01.05, S. 26)
• Rottweiler m. <<rottweiler>> – “Cinque Rottweiler e due Dobermann” (AA 13.03.05, S. 1)
• Dobermann m. <<dobermann>> – “Cinque Rottweiler e due Dobermann” (AA 13.03.05,
S. 1) • Diesel m. <<diesel>> - “Cerato ha anche il Diesel” (AA 03.01.05, S. 26) • Kursaal m. <<kursaal>> – “nella cornice del Kursaal di Merano si è consumata […] la
seconda edizione di ‘Uniball’” (AA 05.12.05, S. 10); “il Kursaal, che grazie ai suoi fregi Jugendstil e il suo fascino retró è cornice […]” (AA 05.12.05, S. 10)
• Diktat n. <<diktat: ordine indiscutibile, imposizione58 >> – „il Comune non accetta i
diktat dalla Provincia” (AA 07.04.05, S. 1); “Traffico e inceneritore, diktat di Salghetti” (AA 12.01.05, S. 14); “Mayr, una lezione: i diktat non servono” (CA 04.08.05, S. 2) Schlagzeilen
• Blitzkrieg m. <<blitzkrieg>> <guerra lampo> - “’Blitzkrieg’” (ROM3 2001, S. 86); “ma il
conflitto fu l’opposto della ‘guerra lampo’ (Blitzkrieg)” (ROM2 2005, S. 34) • Blitz m. <<blitz: accorc. di Blitzkrieg; rapida operazione militare o di polizia effettuata
con estrema precisione e senza preavviso59>> – “E così è scattato il blitz” Bozner verhaftet und zu 5 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt (AA 09.05.05, S. 9); „Energia, stoppato il blitz di Laimer“ (AA 13.07.05, S. 18); „Fallisce il blitz anti concorrenza“ Schlagzeile (AA 18.03.05, S. 33); “Più blitz e più rimborsi: così il Fisco nel 2005” (AA 14.02.05, S. 5); “Blitz all’alba, tre ‘Bandidos’ in carcere” Schlagzeile (AA 11.05.05, S. 25)
• Bunker m. <<bunker: casamatta di cemento armato, interrata o sotterranea/luogo
fortemente protetto e inaccessibile60>> <casamatta> – “gli ultimi dodici giorni della vita di Hitler nel bunker di Berlino” (AA 19.04.05, S. 45); “l’apertura del bunker” Franzensfeste (AA 19.06.05, S. 10); “Una cannonata dal bunker biancorosso” Fußball, Schlagzeile (AA 24.01.05, S. 20)
• Panzer m. <<panzer: 1.) carro armato 2.) fig., scherz. persona decisa e risoluta che
persegue i propri interessi superando ogni ostacolo e difficoltà61>> – „I Panzer andranno in ritiro in Sardegna” Schlagzeile (AA 31.08.05, S. 30)
58 DeMauro 2001: 147 59 DeMauro 2001: 49 60 DeMauro 2001: 69 61 DeMauro 2001: 383
91
• Leitmotiv n. <<leitmotiv: aspetto costante, tema o concetto che ricorre con frequenza in un’opera letteraria, in una creazione artistica o in attività di vario genere62>> <motivo conduttore> – “Il leitmotiv per il nostro futuro” (AA 11.07.05, S. 9)
• Weltanschauung f. <<weltanschauung: nella filosofia e nella critica letteraria, concezione
del mondo propria di un individuo, di un popolo, di un’epoca storica63>> – “Terroristi o patrioti? Dietro due definizioni così distanti tra loro c’è una vera e propria Weltanschauung etnica, ancor prima che politica. O no?” Interview mit Freiheitskämpfer Stieler (AA 06.03.05, S. 11); “legata alla sfera delle Weltanschauungen” (PCI1 1968, S. 291)
• Stimmung f. <<stimmung: disposizione d’animo particolare di un autore, di un ambiente,
di un’epoca64>> <risonanza, atmosfera> – “per una Stimmung complessiva“ (PCI1 1968, S. 148); “una Stimmung” (ROM3 2001, S. 184)
• Erlebnis n. <<erlebnis: nella filosofia di Dilthey e Husserl, esperienza vissuta65>>– “ha
cercato una ricostruzione della persona umana nello „Erlebnis“, nella sua vita interiore” (PCI1, S. 156); “’il compito della storia’ consisterebbe nel ‘far rivivere al lettore la Erlebnis (esperienza vissuta) avuta dallo storico’” (PCI1 1968, S. 290); “la rivendicazione della Erlebniss [sic!]” (PCI1 1968, S. 444)
• Realpolitik f. <<realpolitik: condotta politica incentrata sulla valutazione di interessi e
obiettivi concreti, la cui realizzazione prescinde da giudizi morali e ideologici66>>– “Langer ha rappresentato la negazione della Realpolitik” (AA 03.07.05, S. 26)
• Hinterland n. <<hinterland: zona retrostante un porto o un tratto di costa, intorno a cui
essa gravita economicamente67>> “Hinterland, das im 17. Jahrhundert […]” (PISCI 1986, S. 54)
• Föhn m. <<föhn/fon>> – “un lieve influsso di Föhn” (AA 20.07.05, S. 17); “Ieri il föhn ha
sradicato un pioppo alto” (AA 10.06.05, S. 16) • Walzer m. <<valzer>> – “grande sfoggio di walzer e polke” (AA 29.12.05, S. 42);
“Valzer e bollicine, è l’Uniball” Bozen, Schlagzeile (AA 05.12.05, S. 10); “Valzer delle punte: Simon Inzaghi verso la Samp per Bazzani alla Lazio” Sport, Unterüberschrift (AA. 03.01.05, S. 16)
• Kaiserjäger m. <<kaiserjäger>> – „una sfilata di Kaiserjäger“ (AA 18.05.05, S. 41) • Biedermeier n. <<biedermeier>> – “del Bidermayer” (Lando 1983, S. 187) • Kitsch m. <<kitsch: di cattivo gusto, pacchiano>> – “basta con il kitsch tirolese” (AA
24.08.05, S. 1)
62 DeMauro 2001: 296 63 DeMauro 2001: 597 64 DeMauro 2001: 514 65 DeMauro 2001: 170 66 DeMauro 2001: 439 67 DeMauro 2001: 238f
92
• Erker m. <<erker>> <bovindo/sporto> – „gli ‚erker’“ (Bruna 1985, S. 83); „del vecchio Ercker“ (Marson1 2005, S. 62); “castelli e residenze signorili cinquecentesche (le Ansitz) ornate da Erker (sporti)” (Agostini 2005, S. 96)
• alpenstock, edelweiß“ (PISCI 1986, S. 53) Die Automarke ‚Volkswagen’ erfährt bei der Übernahme ins Italienische eine
morphosyntaktische Veränderung, denn das ursprünglich maskuline Geschlecht wird nun
weiblich, was auf das italienische Wort für ‚Wagen/Auto’ zurückzuführen ist: ‚la macchina’.
Es handelt sich hierbei um die Eingliederung eines Eigennamens. Ebenfalls
Eigennamenübernahmen sind die Hunderassen ‚il Rottweiler’ und ‚il Dobermann’. Ersterer
wurde nach der baden-württembergischen Stadt Rottweil68 benannt, letzterer nach dem
deutschen Hundezüchter Dobermann69. Ein weiteres als Eigennamenübernahme
einzustufendes Wort ist die Treibstoffart ‚il Diesel’, deren Hersteller Diesel hieß.
Auch der ‚Kursaal’ hat Eingang in die italienische Sprache gefunden und behält seinen
maskulinen Artikel bei: ‚il Kursaal’.
Die deutschen Wörter ‚Diktat’, ‚Blitz’ (von Blitzkrieg), ‚Panzer’ und ‚Bunker’ werden bei der
Aufnahme ins italienische Sprachsystem größtenteils an die Kleinschreibung angepasst. Das
Genus bleibt bei ‚il blitz’, ‚il panzer’ und ‚il bunker’ unverändert, d.h. maskulin. Nur ‚il
diktat’ erfährt einen Genuswechsel. Der Ausdruck ist im Deutschen von einem neutralen
Artikel begleitet, während das Italienische nur die Geschlechter feminin und maskulin kennt.
Da die nächstliegende italienische Entsprechung <il dettato> hieße, wird deren
grammatikalisches Geschlecht auf das Lehnwort übertragen. Unter ‚Diktat’ kann man im
Deutschen neben der Bedeutung „sich einen Text diktieren lassen“ auch die
bildungssprachliche Bedeutung „etwas, was jemandem von außen aufgezwungen wird (z.B.
sich dem Diktat der Siegermächte unterwerfen müssen)“ verstehen (DudenUW 2001: 379).
Im Italienischen ist mit dem Begriff letztere Bedeutung verbunden.
‚Blitz’ ist der wohl beliebteste Germanismus im Italienischen - kaum eine italienische
Tageszeitung kommt ohne ihn aus. Im Italienischen steht ‚Blitz’ vor allem für ‚Razzia’ – also
eine Aktion, die so unverhofft und überraschend wie ein Blitz einschlägt. Ein an der
Ausschreibung „Ausgewanderte Wörter“ Beteiligter macht in diesem Kontext eine
interessante Bemerkung: „Ich fürchte, dass im Verlaufe der deutschen Besetzung Italiens ‚un
blitz’ eingewandert, dafür Razzia nach Deutschland ausgewandert ist“ (Zitat Limbach 2007:
46). Alle vier Begriffe stammen aus der Zeit der beiden Weltkriege. Aus diesem Grund sind
68 DudenUW: 1326 69 DudenUW: 387
93
sie auch oft mit der Konnotation Stärke, Macht und Krieg bzw. Kampf verbunden. Neben
dem wörtlichen Gebrauch der Ausdrücke werden sie nicht selten als Aufmerksamkeit
erregendes Element metaphorisch in Überschriften und Schlagzeilen verwendet. So verhält es
sich beispielsweise mit den Schlagzeilen „il Comune non accetta i diktat dalla Provincia” (AA
07.04.05: 1), “Blitz all’alba, tre ‘Bandidos’ in carcere” (AA 11.05.05, S.25) oder den Titeln
aus Sportberichten: “Una cannonata dal bunker biancorosso” (AA 24.01.05, S.20) und „I
Panzer andranno in ritiro in Sardegna” (AA 31.08.05, S.30). Mit letzteren beiden Ausdrücken
kann Stärke und Unbezwingbarkeit konnotiert werden, den sowohl ein Panzer und als auch
ein Bunker vermitteln den Eindruck einer starken Mauer. Durch die größtenteils vollzogene
Kleinschreibung der Ausdrücke und den Genuswechsel beim Wort ‚il diktat’ kann man diese
als integriert betrachten.
Die Entlehnungen ‚il leitmotiv’ (kleingeschrieben), ‚la Weltanschauung’, ‚la Stimmung’, ‚il
Erlebnis’, und ‚la Realpolitik’ (alle großgeschrieben) stammen aus dem Bildungswortschatz
der Geisteswissenschaften (vor allem Literatur und Philosophie) und der Politik und haben
keine bzw. allenfalls eine nicht so treffende oder umständliche, weil syntagmatische oder
periphrastische, italienische Entsprechung (‚Leitmotiv’ � <motivo conduttore>;
‚Weltanschauung’ � <concezione del mondo propria di un individuo, di un popolo, di
un’epoca storica>; ‚Erlebnis’ � <esperienza vissuta>; ‚Stimmung’ �
<risonanza/atmosfera>). Im Englischen stehen Germanismen Limbach zufolge „zunehmend
für Eleganz und Weltgewandtheit“ (Zitat Limbach 2007: 31), während deutsche Wörter früher
nicht sehr beliebt waren. Als Beispiele nennt sie Ausdrücke wie bildungsroman,
weltanschauung und leitmotiv (Limbach 2007: 31). Höchstwahrscheinlich werden die oben
angeführten Germanismen genau aus diesem Grund in das Italienische aufgenommen. Es
handelt sich hierbei hauptsächlich um Bedürfnislehnwörter, die expressiver und treffender
bestimmte (emotionale) Konzepte ausdrücken können. Sie stellen aber gleichzeitig auch so
etwas wie Bedeutungsexotismen dar. Die sächlichen Artikel in den Ausdrücken ‚das
Leitmotiv’, und ‚das Erlebnis’ und werden bei der Entlehnung ins Italienische männlich. Alle
Begriffe sind als integriert einzustufen, obwohl die meisten im Südtiroler Schriftitalienisch
wie im Deutschen großgeschrieben werden und manche Zitatcharakter aufzuweisen
scheinen, weil sie entweder kursiv oder unter Anführungszeichen gesetzt werden (z.B.
‚“Erlebnis“’ und ‚Stimmung’). Der Terminus ‚Realpolitik’ hat sich in der Zeit des Eisernen
Vorhangs verbreitet und wird mit dem Bundeskanzler Willi Brandt verbunden. Die
Bedeutung des Begriffs hat sich im Laufe der Zeit im Italienischen jedoch etwas verändert,
94
sodass man unter ‚Realpolitik’ auch „wahre, sinnvolle, konkrete, gute Politik“ versteht
(Limbach 2007: 38).
Ein weiterer, häufig vorkommender Germanismus ist das ‚Hinterland’, „das im 17.
Jahrhundert auch schon mit „entroterra“ wiedergegeben wurde, [… ] im 19. Jahrhundert
entweder mit der alten deutschen Form oder aber als Lehnübersetzung „retroterra“
angegeben [wird]“ (Zitat Piscitelli 1986: 54). Als ‚Hinterland’ bezeichnet man im
Italienischen kurioserweise meist die dicht besiedelte Gegend um Mailand, also ein
Großstadtgebiet, während die deutsche Entsprechung eine dünn besiedelte Gegend im
ländlichen Gebiet meint (Limbach 2007: 82).
Auch ein klimatologischer bzw. meteorologischer Fachbegriff ist in das Standarditalienisch
eingedrungen, nämlich ‚il föhn/Föhn’ – inkonsequent entweder klein- oder großgeschrieben.
Die Bezeichnung Föhn für einen warmen Fallwind kommt naturgemäß aus dem
süddeutschen Raum, wo dieses Wetterphänomen aufgrund der geographischen
Beschaffenheit auftritt (Alpen), und lässt sich aus dem Lateinischen ‚(ventus) favonius’
herleiten (vgl. Kluge 2002: 306). Somit ist auch die standardsprachliche Integration dieses
Fremdlexems motiviert.
Die Worte ‚il Valzer/walzer’, ‚i Kaiserjäger’ und ‚il Bidermayer’ sind Bedürfnislehnwörter
aus dem deutschsprachigen Kulturraum. Der Walzer ist ein in Österreich und Deutschland
Ende des 18. Jahrhunderts entstandener und dann in ganz Europa verbreiteter Tanz im
Dreivierteltakt (vgl. DeMauro 2001: 581). Im Italienischen wird die Bezeichnung ‚Walzer’
nicht konsequent kleingeschrieben und das deutsche Graphem <w> nicht immer durch das im
italienischen Graphemsystem vorhandene <v> ersetzt, wie es das Fremdwörterbuch
DeMauros vorschlägt (‚valzer’). Meist wird es im Südtiroler Schriftitalienische mit /v/ und
großgeschrieben, es kann aber auch kleingschrieben und mit /w/ angeführt sein. Im
Sportbereich kann das Wort oft auch als aufmerksamkeitserregende Metapher in
Überschriften verwendet werden: “Valzer delle punte: Simon Inzaghi verso la Samp per
Bazzani alla Lazio” Fußball (AA. 03.01.05, S.16). Walzer ist eine Eigennamenentlehnung,
gemeinsprachlich verbreitet und kann wie auch die Begriffe ‚Kaiserjäger’ und ‚Biedermeier’
nicht übersetzt werden. Diese beiden sind jeweils großgeschrieben. Das ‚Biedermeier’
bezeichnet eine deutsche Kunst- und Kulturepoche (ca. von 1815 bis 1848), die nach dem
Autor Gottlieb Biedermaier benannt wurde (Duden Universalwörterbuch [DudenUW] 2001:
286), die ‚Kaiserjäger’ waren aus vier Infanterieregimentern der k.u.k.-Armee
zusammengesetzt70. Die ursprünglich sächliche Epochenbezeichnung ‚Biedermeier’ wird im
70 http://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserj%C3%A4ger
95
Italienischen männlich (il Bidermayer’) und an die Graphie der Zielsprache angepasst, denn
im Italienischen gibt es das lange „ie“ nicht.
Die Bezeichnung ‚Kitsch’ für ein als geschmacklos empfundenes künstlerisches Produkt
kommt wahrscheinlich vom mundartlich verwendeten, obsoleten Verbum ‚kitschen’, was
soviel bedeutet wie schmieren (DudenUW 2001: 901). Um 1870 tauchte dieses Wort im
Malermilieu auf, die genaue Herkunft ist jedoch nicht klar. (Kluge 2002: 490). Im
Italienischen gibt es keine Entsprechung für das deutsche Wort, es wurde also aus
Notwendigkeit übernommen. Der Beleg zeigt, dass ‚Kitsch’ im Italienischen
kleingeschrieben wird, “basta con il kitsch tirolese” (AA 24.08.05, S.1), aber auch, dass
einerseits das deutsche Graphem <k> nicht durch die italienischen Grapheme <c> oder
<ch>ersetzt wird, andererseits, dass das <sch> erhalten bleibt, da es im Italienischen keine
graphische Entsprechung für auslautendes /�� gibt.
Für den ‚Erker’ hätte das Italienische zwar eigene Ausdrücke zur Verfügung, <bovindo> oder
<sporto>, verwendet für die Beschreibung der regionalen Architektur aber das deutsche
Lehnwort ‚l’erker’ – meist groß (‚Ercker’ ; ‚Erker’), manchmal kleingeschrieben, gemäß der
Anfangslautregelung im Italienischen mit dem maskulinen Artikel „l’“ versehen, weil Vokal
folgt, und nur einmal als Zitatwort verwendet, da es kursiv geschrieben wurde. Dies kann
jedoch auch nur eine individuell bedingte Verwendungsweise sein.
Auch aus dem Alpinismus sind deutsche Lehnwörter in das Standarditalienisch
eingedrungen. Piscitelli nennt hier etwa ‚[l’] alpenstock’ und ‚[l’] edelweiß’, die beide im
Laufe des 19. Jahrhunderts übernommen wurden (PISCI 1986: 53), obwohl dem Begriff
‚Edelweiß’ im Italienischen das Lexem <stella alpina> als Entsprechung zur Verfügung
stünde. Demnach kann das Wort als Luxuslehnwort eingestuft werden.
Nicht im Fremdwörterbuch DeMauros verzeichnet, aber dennoch in das nationale Italienisch
eingedrungene deutsche Lehnwörter sind:
• Mitteleuropa – “la Mitteleuropa” (AA 07.12.05, S. 28) � Adj. – “vince il primo premio
del prestigioso concorso mitteleuropeo “ Prix Interrégional – Diplôme de Concert” (AA 06.01.05, S. 24)
• Hochdeutsch – „Io parlo Hochdeutsch da sempre” (AA 31.08.05, S. 10)
Für Weber zählt das deutsche Substantiv ‚Mitteleuropa’ zu den aus der Habsburgerzeit
stammenden Altbeständen (Weber 1998: 201), die als bereits italianisierte Wörter in die
Nehmersprache Eingang gefunden haben (Weber 1998: 211). Das Lehnwort ‚mitteleuropa’,
das mit seinem femininen Artikel übernommen wurde, wird im Italienischen sogar produktiv,
96
so dass sich daraus das Adjektiv ‚mitteleuropeo’ ableitet, welches sich an die indigenen
Wortbildungsmuster anpasst.
Zwischen Lehnwort und Lehnübersetzung wird das Wort m i t t e l e u r o p e o (1942)
eingereiht, das im ideologisch-kulturellen Bereich seine Anwendung findet.” meint Piscitelli
hierzu (PISCI 1986: 54).
Aufgrund der Tatsache, dass die in diesem Kapitel erwähnten Germanismen
bewiesenermaßen alle bereits ins italienische Sprachsystem Eingang gefunden haben und ergo
einem Großteil der italienischen Sprecher zumindest passiv bekannt sein dürften, kann der
Umstand erklärt werden, warum keine näheren Erklärungen und Kommentierungen zum
besseren Verständnis der Begriffe notwendig sind.
97
10. Linguistische Analyse des Lehnguts
10.1. Formales zur Einordnung der Entlehnungen
Das gesammelte Sprachmaterial wird in der Analyse zunächst nach Sachgebieten geordnet,
wie es schon Riedmann (1972) unternommen hat. Dessen onomasiologisches
Ordnungsprinzip haben u.a. Moser/Putzer (1980) um die Kriterien Grad der sprachlichen
(phonetischen, graph(em)ischen und morphematischen) Integration und Stellenwert der
Entlehnungen im eigensprachlichen System erweitert. Diese werden in der vorliegenden
Arbeit ebenfalls berücksichtigt (vgl. Moser/Putzer 1980: 153). Außerdem werden die
Entlehnungen auch nach pragmatisch-funktionalen Gesichtspunkten untersucht.
10.1.2. Anführungsform der lexikalischen Belege
Wie bereits in Kapitel 1.2.1. erwähnt, erlaubt die Einordnung der sprachlichen Beispiele
„einen ersten Einblick in besonders interferenzoffene Wortschatzbereiche“ (Zitat
Moser/Putzer 1980: 151). Hier lassen sich auch die jeweiligen Domänen ablesen, in denen
die deutsche Sprache besonderen Einfluss auf die italienische Sprache ausübt.
Die lexikalischen Belege werden in Anlehnung an die Dissertation Pernstichs untersucht:
Zunächst wird das Fremdlexem als standarddeutsches Lemma mit dem jeweiligen
grammatikalischen Genus (feminin, maskulin, neutrum) angegeben. In einem weiteren Schritt
gibt man –falls vorhanden- die eigensprachliche Entsprechung an. Wenn nötig, werden die
Begriffe zum besseren Verständnis näher erklärt (kursiv geschriebener Text). Anschließend
werden die Belege mit dem dazugehörigen Kontext angeführt.
10.2. Einordnung der Entlehnungen nach onomasiologischen Aspekten
10.2.1. Speisen und Getränke
Der wohl in jeder Sprache aufnahmefreudigste Bereich ist der der Gastronomie. Mit den
neuen, unbekannten Speisen und Getränken werden auch die dazugehörigen fremden
98
Bezeichnungen übernommen. Es handelt sich hierbei also größtenteils um
Bedürfnislehnwörter, zu denen es nur selten eigensprachliche Entsprechungen bzw.
geeignete und treffende Übersetzungen gibt und wenn doch, diese allenfalls den Charakter
einer Erklärung besitzen.
Auffallend für Germanismen im Südtiroler Italienisch ist, dass das Lehngut größtenteils
graphisch nicht an die Replikasprache angepasst wird (italienische Kleinschreibung von
Nomina). Dieses Phänomen ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass die in Südtirol
ansässigen Italiener bereits in der Schule in Kontakt mit der deutschen Sprache, deren System
und Schreibung treten und dass sich dadurch die Großschreibung der Nomina (der
Hyperkorrektheit halber) erhalten hat. Dies scheint ein für die italienische Sprache Südtirols
typisches Kuriosum bzw. Kennzeichen der Entlehnung aus der deutschen Sprache sein. Die
graphische Nicht-Anpassung des deutschen Ausdrucks bei Übernahme ins Südtiroler Schrift-
Italienisch (Kleinschreibung) ist demnach nicht unbedingt ein Kriterium für den
Integrationsgrad des Fremdlexems.
Da die Übernahmen aus dem Bereich Gastronomie so zahlreich sind, wird nur auf einige
näher eingegangen.
Fleisch- und Wurstwaren • Speck m. <<speck>> – “lo speck” (AA 07.09.05, S. 15); “vincete 10 chili di Speck” (AA
06.03.05, S. 54) • Bauernspeck m. – “il Bauernspeck” (AA 14.12.05, S. 28) • Osterspeck m. – „l’Osternspeck“ (Faggioni 2005, S. 233) • Schöpsernes n. <carne di montone castrato> – “Schoepsernes – stufato di carne bovina e
patate” (Agostini 2005, S. 89) • Wienerschnitzel n. <scaloppina alla milanese> – „’Wienerschnitzel’“ (MMS 2001, S. 24) • Rippele n. (Ma.) <costoletta> –„tipo ’Rippelen’“ Rippchen (MMS 2001, S. 24) • Giggerle n. (Ma.) – “dai ‘Giggerlen’ alle bistecche” Hühnchen, Musikfest Eppan (AA
12.08.05, S: 25) • Würstel n. <<würstel>> – „i würstel“ (AA 07.09.05, S. 15) • Frankfurter n. <<frankfurter>> – „il Frankfurter o Wiener“ (Faggioni 2005, S. 216) • Meraner (Würstel) n. – „il Meraner“ Würstel (Faggioni 2005, S. 216)
99
• Weißwurst f. – “l’immancabile Weisswurste” (AA 12.06.05, S. 28); „la classica Frühschoppen, colazione (!) con Weisswürst e birra” (AA 13.03.05, S, 23)
• Blutwurst f. <sanguinaccio> – “…’Blutwurst’” (MMS 2001, S. 46) • Hauswurst f. <salsiccia fatta in casa> – „Gli ‚Hauswurst’“ (MMS 2001, S. 18) • Bratwurst f. <salsiccia da arrostire> – „i classici bratwurst“ (AA 02.09.05, S. 27) • Kaminwurz f. – „un Kaminwurz (salsiccia affumicata)“ (Faggioni 2005, S. 10) Knödel • Knödel m. <<knödel>> – “Da bambina non sopportavo i ‘Knödel’” (MMS 2001, S. 26)
“Krapfen, Strudel ed i canederli” (AA 02.09.05, S. 24) • Marillenknödel m. – “i Marillenknödel” (AA 19.08.05, S. 35) • Zwetschgenknödel m. – “Assomiglia molto ai ‚Zwetschkenknödel’” (MMS 2001, S. 136) • Pressknödel m. – “viene anche usato in cucina nei tradizionali Pressknödel, i canederli
pressati e arrostiti di formaggio” (AA 17.09.05, S. 24) • Serviettenknödel m. – “ un ’Serviettenknödel’” (MMS 2001, S. 94) • Leberknödel m. – “… Leberknödel” (AA 05.05.05, S. 12) • Fastenknödel m. – „La ricetta dei ‚Fastenknödel’ […]“ (MMS 2001, S: 24) Süßigkeiten • Strudel m. <<strudel>> “Krapfen, Strudel ed i canederli” (AA 02.09.05, S. 24); „Lo
Strudel“ (AA 27.04.05, S. 21); “si svolgono infatti le Settimane dedicate allo Strudel.” (AA 02.09.05, S. 24); “strudel di mele” (AA 30.11.05, S. 31)
• Faschingskrapfen m. <crapfen di carnevale> – „Non solo, quindi i dolci
‘Faschingskrapfen’ farciti di marmellata di albicocche […]“ (AA 02.09.05, S. 24) • Strauben m. <dolce fritto> – „gli strauben“ gebackene, schnurartige Mehlspeise, wobei
der Teig durch einen Trichter ins heiße Fett gegossen wird 71(AA 07.09.05, S. 15) • Buchtel f. (meist Pl.) - „Buchteln“ im Backrohr zubereitete Speise mit aus Germ
hergestellten, eng nebeneinander gesetzten kugelförmigen Teigstücken, oft mit Vanillesauce serviert72 (AA 03.10.05, S. 18)
• Schmarren m. – „’Schmarrn’“ (MMS 2001, S. 24) 71 Schatz 1955: 610 72 Variantenwörterbuch (VWB) 2004: 141
100
• Kaiserschmarren m. – „ottimi ‚Kaiserschmarren’“ (MMS 2001, S. 74) • Scheiterhaufen m. – “ad esempio ’Scheiterhaufen […]’” im Backrohr zubereitete Speise
aus in Schichte gelegten Weißbrotstücken, Äpfeln, Milch, Eier und Zucker73(MMS 2001, S. 64)
• Apfelmus n. <crema di mele> – „un ‚Apfelmus’“ (MMS 2001, S. 82) • Kiechl/Kiachl m./n (Ma.) - “i ‚Kiechl’“ – kleines flaches und rundes Schmalzgebäck mit
einer runden Vertiefung an der Oberseite und Füllung74 (MMS 2001, S. 143) Regionale Spezialitäten • Rösti f. <<rösti>> – “’rösti’ di patate” (AA 31.12.05, S. 20) • Krapfen m. <<krapfen>> – “una delle leccornie più multiformi e golose della cucina
altoatesina: il Krapfen.” (AA 02.09.05, S. 24); “Cosa sarebbe l’Alto Adige senza i suoi Krapfen?” (AA 02.09.05, S. 24); „[…] passa dal ‚tirtlen’ agli gettonatissimi Krapfen“ (AA 30.11.05, S. 31)
• Spätzle/Spatzeln n. (meist Pl.) <<spätzle>> <gnocchetti di pasta> – „Spatzln“ in Wasser
gekochte, kleine ovale oder längliche Teigstücke75(MMS 2001, S. 63); „La base è lo ‚Spätzle’, una pasta con uova intere e farina, senza latte“ (MMS 2001, S. 62)
• Spatzlhobel m. – „per essere versata nello ‚Spatzlhobel’“ (MMS 2001, S. 63) • Muesli n. <<müsli>> – „muesli“ einziger CH-Import laut Weber (1998, S. 211) • Kraut n. – “[i] crauti” (Kramer 1981, S. 134) • Gröstel n. – “Gröstel di patate” (AA 10.09.05, S. 21); “ un ‘Greaschtl’” (MMS 2001, S.
120); “Gli ‘Herrengröstel’” Speise aus in Fett gebackenen Kartoffelscheiben und Rindfleischstückchen76 (MMS 2001, S. 136)
• Tir(sch)tlan/Tirtlen (nur Pl.) (Ma.) – “’Tirschtlan’, ‘Schöttina’, ‘Grantn Puntscha’ o
‘Roggina Mingilan’ appartengono tutti alla ricca famiglia dei Krapfen.” (AA 02.09.05, S. 02.09.05, S. 24); „Tirtlan pusteresi“ in Fett gebackene,, dünne aufeinander gelegte und an den Rändern zusammengedrückte Teigtaschen mit Füllung aus Kraut oder einer Mischung aus Spinat, Kartoffeln oder Topfen77 (AA 10.09.05, S. 21); „[…] passa dal ‚tirtlen’ agli gettonatissimi Krapfen“ (AA 30.11.05, S. 31)
• Schöttina (Ma.) – “’Tirschtlan’, ‘Schöttina’, ‘Grantn Puntscha’ o ‘Roggina Mingilan’
appartengono tutti alla ricca famiglia dei Krapfen.” (AA 02.09.05, S. 02.09.05, S. 24)
73 VWB 2004: 662 74 VWB 2004: 401 75 VWB 2004: 729 76 VWB 2004: 310 77 VWB 2004: 791
101
Krapfen mit Schottenfüllung (cremige Masse aus saurer Milch)78 (AA 02.09.05, S. 02.09.05, S. 24)
• Grantn Puntscha (Ma.) – “’Tirschtlan’, ‘Schöttina’, ‘Grantn Puntscha’ o ‘Roggina
Mingilan’ appartengono tutti alla ricca famiglia dei Krapfen.” Brot, mit Topfen, Mohn oder Preiselbeeren gebacken, Pustertal79(AA 02.09.05, S. 02.09.05, S. 24)
• Roggina Mingilan/ - Minggelen (Ma.) – “’Tirschtlan’, ‘Schöttina’, ‘Grantn Puntscha’ o
‘Roggina Mingilan’ appartengono tutti alla ricca famiglia dei Krapfen.” Kleine gebackene mit (Roggen)-Mehl, Honig gefüllte Mehlklöße80(AA 02.09.05, S. 02.09.05, S. 24)
• Schlutzkrapfen/Schlutzer m. – “Il Graukäse […] grattugiato sugli Schlutzer” (AA
17.09.05, S. 24); „Schlutzkrapfen“ (AA 10.09.05, S. 21) • Zelten m. – „Lo zelten“ meist in der Weihnachtszeit gegessenes, dunkles, süßes
Früchtebrot81 (AA 02.11.05, S. 19) • Schwarzplentene Riebl(er) m. (ohne Pl.) (Ma.) – „cose vecchie tipo ’Schwarzplentene
Riebl’“ Speise aus Mehl, Fett, Milch und Buchweizen82 (MMS 2001, S. 70) • Kartoffelriebl m. (meist Pl.) (Ma.) – „Kartoffelriebl“ Speise, aus passierten Kartoffeln
zubereitet, die während des Kochens zerbröselt werden83 (MMS 2001, S. 155) • Kartoffelplattlen n. (Ma.) – „Kartoffelplattlen“ in Fett herausgebackene
Kartoffelteigblättchen (MMS 2001, S. 146) • Striezel m. – „Striezel“ gesalzenes Brot aus Kräutermehl, Sarntal (MMS 2001, S. 156) • Frigele (Ma.) – il ‚Frigele’“ Bauerngericht aus Milch, Mehl und Wasser; eine Art Suppe
mit Mehlkügelchen84 (MMS 2001, S. 26) • Nigele n. (Ma.) – „Nigelen“ schmalzgebackenes kleines Törtchen85(MMS 2001, S. 155) • Grießnockerl n. (meist Pl.) (Ma.) – „Grießnockerl“ (Zagami 1974/75, S. 238) Brot • Breatl n. (Ma.) – “il tipico Pane di segale, cumino e anice (Breatl)” (AA 17.09.05, S. 24);
“per ogni Breatl venduto nei negozi Profanter […]” (AA 11.01.05, S. 31); “Dai Vinschgerlen, al Pusterer Breatl“ (AA 10.09.05, S. 28)
78 VWB 2004: 688 79 Schatz 1955: 120 80 vgl.: Schatz 1955: 428 81 VWB 2004: 889 82 VWB 2004: 633 83 MMS 2001: 154 84 MMS 2001: 146 85 Schatz 1955: 452
102
• Schüttelbrot n. – “il ‘Schüttelbrot’” (AA 13.05.05, S. 19); „dallo Schuttelbrot al Vinschger Urpaarl“ sehr hartes, knuspriges und würziges Fladenbrot aus Roggenmehl86 (AA 10.09.05, S. 28)
• Vinschgerlen n. (Ma.) – „Dai Vinschgerlen, al Pusterer Breatl“ kleines, rundliches Brot
aus Roggenmehl87 (AA 10.09.05, S. 28) • Vinschger Urpaarl n. (Ma.) – “dallo Schuttelbrot al Vinschger Urpaarl“ (AA 10.09.05, S.
28) • Brezel f. – „…Brezel“ (AA 24.06.05, S. 33) • Zeile f. – „Zeile“ Brotform (RIED 1972, S. 38) Käse • Graukäse m. <formaggio grigio> – “il formaggio Graukèse” (AA 10.09.05, S. 28); “il
Graukäse in cucina” (AA 17.09.05, S. 24); “Graukas con polenta” ein aus Sauermilch zubereiteter bröckliger Schimmelkäse 88(AA 29.03.05, S. 31); „[…] quelli del ‚Graukäse’“ (MMS, S. 74)
• Almkäse m. – “l’Almkäse” (Faggioni 2005, S. 225) • Hüttenkäse m. – “lo Hüttenkäse” (Faggioni 2005, S. 225) • Bergkäse m. – “il Bergkäse” (Faggioni 2005, S. 225) • Fleischkäse m. – “un Fleischkäse, il classico polpettone tirolese” (Faggioni 2005, S. 216) • Ziegerkäse m. – “Una volta si facevano con ’Ziegerkas’” Topfen (mit Kräutern) aus
Schaf-, Ziegen- oder Kuhmilch89 (MMS 2001, S. 44) Suppen • Gulaschsuppe f. <zuppa (di) gulasch> - „…gulaschsuppe“ (AA 02.09.05, S. 27) • Weinsuppe f. – “la Weinsuppe (minestra di brodo di carne con panna e vino bianco)” (AA
27.04.05, S. 21) • Frittatensuppe f. – “Frittatensuppe” (MMS 2001, S. 82) • Brennsuppe f. – “la ‘Brennsuppe’” dicke Suppe, aus in Fett geröstetem Mehl, Zwiebel,
Pfeffer, Majoran usw. zubereitet90 (MMS 2001, S. 78)
86 VWB 2004: 700 87 VWB 2004: 845 88 VWB 2004: 307 89 VWB 2004: 891 90 VWB 2004: 136
103
Alkoholisches • Krügerl n. (Ma.) – „un krígel di birra“ tirolerische Diminutivform von Krug (Zagami
1974/75, S. 238) • G(e)spritzter m. (Ma.) – “[un] sprizz“ (RIED 1972, S. 37); „sprizz“ (Kramer 1981, S. 134) • Leps m. (Ma.) – „un ‚Lebs’, un vinello leggero“ Leichter Tischwein (von minderwertiger
Bedeutung)91 (Bruna 1985, S. 70) • Kirsch m. <<kirsch>> – “il Kirsch” (Spillner 1992, S. 176) • Sliwowitz m. <<slivoviz>> – „slivoviz“ aus dem Slawischen über Österreich nach Italien
(PISCI 1986, S. 53) • Kümmel m. <<kümmel>>– „kümmel“ Kümmelschnaps (PISCI 1986, S. 53) • Jägertee m. – „Jägertee“ (AA 30.11.05, S. 31) • Glühwein m. <vino caldo/ (vin) brulé> – „Glühwein“ (Zagami 1974/75, S. 238) • Glühweinstand m. – “il ricavato del Glühweinstandl” Eppan (AA 06.01.05, S. 25) • Gewürztraminer m. – „simposio internazionale del Gewürztraminer“ (AA 13.07.05, S. 25) • „Silvaner, Müller-Thurgau, Gewürztraminer, Veltliner, Kerner, Ruländer (Pinot grigio) e
Riesling“ (AA 05.03.05, S. 43) • “Terlaner per gli antipasti caldi; Blauburgunder per il piatto principale; Rosenmuskateller
per il dessert” (AA 15.04.05, S. 18) • Lagrein m. – […] del Lagrein” (AA 20.04.05, S. 27) • Weißburgunder m. – „il Südtiroler Weißburgunder“ (AA 29.10.05, S. 27) Verschiedenes rund ums Essen • Frühschoppen n. <bevuta mattutina> – „la classica Frühschoppen, colazione (!) con
Weisswürst e birra” (AA 13.03.05, S, 23); “poi ‘Frühschoppen’” (AA 22.05.05, S. 31); “Frühschoppen (colazione) a base di spumante e musica” (AA 20.07.05, S. 23)
• Dämmerschoppen n. – “Una ‘Dammer schoppen’, ovvero una serata dedicata alla musica
e all’enogastronomia” (AA 20.07.05, S. 22) • Halbmittag n./m. – “Fare un Halbmittag, uno spuntino” (RICHE 2000, S. 84) • Delikatesse f. – “produttori di delicatessen” (AA 11.11.05, S. 27)
91 VWB 2004: 472
104
• Pfifferling m. – “Ragù di finferli” (AA 04.08.05, S. 25) • Kartoffelsalat m. <insalata di patate> – „la Kartoffelsalat“ (Faggioni 2005, S. 257); “il
‘Kartoffelsalat’” (MMS 2001, S. 24) • Auflauf m. <sformato> „degli ‚Auflauf’“ (MMS 2001, S, 132) • Spiegelei n. <uovo al tegamino/ uova all’occhio di bue> – „un bel piatto di patate saltate
con ‚Spiegeleier’“ (MMS 2001, S. 120)
Eine typische Südtiroler Spezialität ist der Speck, der auch als ‚lo speck’ Eingang ins
Standarditalienisch gefunden hat und im Südtiroler Italienisch entweder klein- oder
großgeschrieben wird. Durch die häufige Frequenz des Begriffs und die Anpassung des
Artikels an die italienische Anfangslautregelung kann man von einer vollständigen
Integriertheit ausgehen. Auch ‚il Bauernspeck’ und ‚l’Osternspeck’ (hier kursiv geschrieben
und unter Beibehaltung des Konsonanten ‚n’ am Ende des ersten Kompositumteils ‚Oster-’,
was den Anschein eines überkorrekten Setzens eines „Pseudo-Fugen-Ns“ vermittelt), die bei
der Übernahme ihren maskulinen Artikel beibehalten, tauchen hie und da im Italienischen auf,
da es hierfür keine Entsprechung im Italienischen gibt, sie sind jedoch als noch nicht
vollständig integriert zu betrachten.
Eine indigene Entsprechung hätten die Speisen ‚Schöpsernes’, ‚Wienerschnitzel’, ‚Rippelen’
und ‚Giggerle’ hingegen sehr wohl, werden aber dennoch oft mit dem deutschen Ausdruck
angegeben, um die regionale Herkunft der Gerichte zu betonen. Dies erkennt man auch daran,
dass beispielsweise ‚Giggerlen’ und ‚Rippelen’ nicht mit den standarddeutschen Begriffen
‚Brathühnchen’ und ‚Rippchen’ wiedergegeben werden, sondern mit mundartlichen
Bezeichnungen. Ein kleiner Schritt in Richtung Integration des Begriffes ‚Schöpsernes’ wurde
vollzogen, denn der deutsche Umlaut <ö> wurde an die Graphie des Italienischen angepasst
und mit <oe> wiedergegeben (‚Schoepsernes’). Auch wurde dem Begriff eine anschließende
Erklärung beigefügt.
Ins Standarditalienisch aufgenommen und somit integriert ist das ‚Würstel’.92 Auch im
Südtiroler Italienisch wird es kleingeschrieben: ‚il würstel’. Vom grammatikalischen
Gesichtspunkt aus betrachtet ändert sich das ursprünglich neutrale Genus und wird maskulin.
Auch auf die übrigen Würstchenarten trifft dies zu.
Die ‚Frankfurter (Würstchen)’ sind bereits im italienischen Wortschatz integriert, im
Gegensatz zur Standardsprache werden sie im Südtiroler Italienisch jedoch großgeschrieben.
Genauso ergeht es den ‚Meraner(n) Würstchen’.
92 Kurioserweise sprechen manche Italiener ‚Würstel’ wie ‚biurstel’ aus.
105
Eine Artikeländerung aus nicht nachvollziehbaren Gründen (die italienische Übersetzung von
‚die Wurst’ ist ‚la salsiccia’) erfahren die femininen Ausdrücke ‚Weißwurst’, ‚Bratwurst’,
‚Hauswurst’; sie werden im Italienischen maskulin. Bei der ‚Blutwurst’ lässt sich das
Artikelgenus aus dem Kontext nicht ableiten, ist aller Wahrscheinlichkeit nach aber ebenfalls
maskulin. Interessant ist, dass die Würste im Plural meist ihre Singularform beibehalten: ‚i
classici Bratwurst’ oder ‚Gli ‚Hauswurst’’. Die ‚Würste’ werden inkonsequent groß- bzw.
kleingeschrieben, teilweise gibt es im Italienischen auch eine Entsprechung und die
Ausdrücke werden teilweise auch unter Anführungszeichen gesetzt, was auf einen geringen
Integrationsgrad hinweist. Meist sind die „Wurst-Komposita“ aber kompakter und kürzer als
die italienischen Ausdrücke hierfür (z.B. <salsiccia fatta in casa>. Es herrscht also
syntagmatische Ökonomie93 vor.
Eine Artikelgenusänderung erfährt auch die ‚Kaminwurz’, die beim Entlehnungsvorgang
maskulin wird.
Von Italienern gern gegessen werden auch ‚die Knödel’. Es gibt sogar ein italienisches
Lehnwort hierfür und zwar ‚i canederli’, das sich lautlich und graphisch an die italienische
Sprache angepasst hat. Es wird jedoch nicht selten das deutsche Wort verwendet, um die
regionale Herkunft dieser Spezialität zum Ausdruck zu bringen. Zahlreiche Knödelarten
wurden in die Replikasprache übernommen: ‚Marillenknödel’, ‚Zwetschkenknödel’,
Pressködel’, ‚Leberknödel’, ‚Fastenknödel’, ‚Serviettenknödel’; allesamt behalten den
maskulinen Artikel und die Großschreibung bei, werden selten näher beschrieben und ebenso
selten unter Anführungszeichen gesetzt.
Bekannt sind auch zahlreiche Süßspeisen aus der Südtiroler Küche, wie etwa der ‚Strudel’,
der bei italienischsprachigen Touristen reißenden Absatz findet. ‚Lo strudel’ ist bereits ein in
die italienische Sprache aufgenommenes Lehnwort, wird im Südtiroler Italienisch jedoch wie
so oft großgeschrieben. Der ‚Apfelstrudel’ wird im Italienischen mittels einer
Lehnübertragung, also einer Einzelgliedübersetzung wiedergegeben: ‚lo strudel di mele’.
Sehr beliebt und auch ins Südtiroler Italienisch integriert ist auch der ‚Strauben’- hier
kleingeschrieben und mit dem Artikel ‚lo’ bzw. ‚gli’ versehen, gemäß der
Anfangslautregelung im Italienischen. Gern gegessen werden auch die ‚Faschingskrapfen’
und das ‚Apfelmus’, die beide eine eigensprachliche Entsprechung hätten. Auch die
‚Buchteln’, der ‚(Kaiser-)Schmarren’, die ‚Kiachl’ und der ‚Scheiterhaufen’ sind beliebt.
Im Standarditalienische Aufnahme gefunden haben die ‚Spätzle/Spatzeln’, die ‚Rösti’, die
äußerst beliebten ‚Krapfen’ und der laut Weber einzige Helvetismus, das ‚Muesli’. Das
93 vgl. Pernstich 1981: 67
106
‚Kraut’ wurde ebenfalls integriert und lautlich-graphisch und sogar morphologisch an die
Zielsprache angepasst: ‚i crauti’. Dasselbe Schicksal wurde auch den ‚Pfifferlingen’ zuteil, die
im Italienischen ‚finferli’ heißen. In das Südtiroler integriert sind beispielsweise auch die
‚Schlutzkrapfen’ und der ‚Zelten’- beide mit dem Artikel ‚lo’/’gli’ versehen.
Um zu unterstreichen, dass es sich bei all diesen Gerichten um Südtiroler Spezialitäten
handelt, werden oftmals Anführungszeichen gesetzt, selten werden sie jedoch beschrieben
oder erklärt, bis auf die in folgenden Satz vorkommenden und mundartlich gezeichneten
typischen Pusterer Gerichte: “’Tirschtlan’, ‘Schöttina’, ‘Grantn Puntscha’ o ‘Roggina
Mingilan’ appartengono tutti alla ricca famiglia dei Krapfen.” Teilweise haben die Ausdrücke
Zitatcharakter, man kann sie aber insofern als integriert betrachten, weil sie Speisen
bezeichnen, die im Italienischen Kulturraum nicht bekannt sind.
Interessant sind die Entlehnungen aus dem Bereich Alkoholisches. So hörte Zagami in einem
Wirtshaus die tirolerische Diminutivbezeichnung von ‚Krug’, ‚krìgel’ (Krügerl) – mit
entrundetem und an die Replikasprache angepassten Umlaut /y:/ (<ü>). Auch die
Bezeichnungen ‚sprizz’ für österreichisch ‚G(e)spritzter’ und ‚Lebs’ für südtirolerisch ‚Leps’
sind ausfindig zu machen. Eingang ins Standarditalienisch gefunden haben die Schnäpse
‚Kümmel’, ‚Kirsch’ und ‚Sliwowitz’ – dort jedoch kleingeschrieben. Hie und da trinken
Italiener auf dem Christkindlmarkt keinen <vin brulé> oder <vino caldo> sondern einen
‚Glühwein’, umgangssprachlich und scherzhaft gebraucht auch ‚il glù’ genannt. Die
Weinsorten seien weitgehend als Eigennamenübernahmen betrachtet, so zum Beispiel:
‚Silvaner, Müller-Thurgau, Gewürztraminer, Veltliner, Kerner, Ruländer’ (AA 05.03.05, S.
43).
Übernommen, weil im italienischen Kulturraum nicht bekannt, sind auch das ‚Frühschoppen’,
welches mit der Umschreibung <bevuta mattutina> nur unzureichend die Bedeutung des
deutschen Ausdrucks wiedergeben kann und das typisch Südtirolerische ‚Halbmittag’, das
eventuell noch mit <spuntino> oder <merenda> übersetzt werden könnte, aber damit nicht
dasselbe ausdrückt, weil letzteres sich beispielsweise eher auf die nachmittägliche Marende
bezieht.
10.2.2. Politik und Verwaltung
Besonders interferenzfreundlich erweist sich das Südtiroler Italienisch im Bereich Politik und
Verwaltung. Vor allem in der Lokalpolitik und der Verwaltung auf Landesebene lassen
sich reichlich Entlehnungen aus der deutschen bzw. Südtiroler Amtssprache ausmachen. Das
107
ist darauf zurückzuführen, dass die italienische Sprachgruppe und Sprache zwar in der
staatlichen Verwaltung dominiert, auf Provinzial- und Kommunalverwaltungsebene jedoch
die deutsche Sprache der italienischen gleichgestellt ist bzw. oftmals sogar vorherrscht (vgl.
Riedmann 1972: 82), beispielsweise in der Landespolitik. Die Südtiroler Landesregierung ist
nämlich in „deutscher Hand“, d.h. dass die im Mai 1945 von Nicht-Optanten gegründete
Partei der deutschen Sprachgruppe (SVP) die absolute Mehrheit im Landtag stellt und das seit
dem Jahr 194894. Seit den letzten Landtagswahlen im Jahr 2003 kann die deutschsprachige,
konservative Südtiroler Volkspartei (SVP) 21 der insgesamt 35 Sitze für sich verbuchen
(wikipedia95).
Riedmann beschreibt die Verwaltungssprache als eine Fachsprache, in der Entlehnungen
vorgenommen werden müssen (Riedmann 1972: 82). Nachdem größtenteils weder
Anführungszeichen und etwaige Erläuterungen beigefügt werden, noch Kursivsetzungen der
Ausdrücke unternommen werden, kann man daraus schließen, dass die Wörter weitgehend in
die italienische Sprache Südtirols integriert sind.
Südtirol • Landeshauptmann m. <il presidente della giunta provinciale/il presidente della provincia/il
presidente> – “Secondo il Landeshauptmann […]” (CA 14.07.05, S. 5); “Sotto il nuovo Landeshauptmann – ininterrottamente riconfermato sino ad oggi […]” (ROM2 2005, S. 125)
• Obmann m. <presidente/capo> – “l’Obmann Manfred Pliger ha fissato una riunione
[…]”(AA 07.01.05, S. 24); “L’Obmann del SVP” (CA 14.07.05, S. 11); “All’incontro […] era presente il vice-Obmann locale, Hans Joachim Dalsass […]” (AA 12.01.05, S. 26) Laives; “Il vicesindaco […] e l’Ortsobmann Simon Moroder ieri sera hanno fatto il punto della situazione […]” (AA 13.05.05, S. 37)
• Volkspartei f. – <<volkspartei>> – “la prima è quella dei meri calcoli matematici e delle
verifiche giuridiche imboccata fino a questo momento da alcuni esponenti della Volkspartei […]” (AA 19.01.05, S.12); “L’ultima parola spetta al partito, al comitato cittadino della Volkspartei e alla Fraktion […]” (AA 29.05.05, S. 32)
• Svp f. – “la possibilità di andare a ballottaggio e di giocare alla pari con la Svp […]” (AA
03.01.05, S. 6); “la corrente sociale dell’Svp” (AA 11.01.05, S. 12); “L’Obmann del SVP” (CA 14.07.05, S. 11)
• Sammelpartei f. <partito di raccolta> – “Se vogliamo è stato un piccolo successo, vista la
spaccatura che si è registrata, al momento del voto, all’interno del Sammelpartei” (AA
94 http://www.60jahre-svp.org/ 95 http://de.wikipedia.org/wiki/Landtag_(S%C3%BCdtirol)
108
02.01.05, S. 25); “Il vicesindaco […] e l’Ortsobmann […] ieri sera hanno fatto il punto della situazione con gli eletti del Sammelpartei” (AA 13.05.05, S. 27)
• Koordinierungsausschuss m. <comitato di coordinamento> – “A deciderlo è stato il
Koordinierungsausschuss […].”(AA 07.01.05, S. 24); “Clima politico incandescente ad Appiano dove le accuse […] non sono andate giù all’Obmann del Koordinierungsauschuss” (AA 25.05.05, S. 27)
• Wirtsschaftsausschuss m. <comitato economico> – “In seno al Wirtschaftsausschuss i
meno soddisfatti sono gli albergatori […].“ (AA 07.01.05, S. 24) • Parteiausschuss m. <comitato di partito> – “Perdere il ballottaggio per i dirigenti locali si
trasformerebbe in uno smacco difficilmente assorbibile a livello di Parteiausschuss provinciale.” (AA 13.01.05, S. 30)
• Ortsausschuss m. – “[…] l’Obmann Manfred Pliger ha fissato a Ganda una riunione
dell’Ortsausschuss di San Michele.” (AA 07.01.05, S. 24) Appiano • Arbeitnehmer m. (meist Pl.) <lavoratore> – “infine nella corsa degli Arbeitnehmer
chiamata a dirimere lo scontro […]” (AA 31.01.05, S.9); “Con questa mossa l’assessore Arbeitnehmer si mette in rotta di collisione con il presidente della giunta Lusi [sic!] Durnwalder.” Theiner (AA 08.01.05, S. 13); “Gli Arbeitnehmer ora voltano le spalle” (AA 13.01.05, S. 30)
• Arbeitnehmerflügel m. – “l’Arbeitnehmerflügel” (Kramer 1981, S. 134) • Union für Südtirol f. – “Punta al raddoppio l’Union für Südtirol alle prossime elezioni
comunali.” (AA 08.01.05, S. 14) • Freiheitliche m. – “Ieri è toccato ai Freiheitlichen” (AA 13.04.05, S. 14) • Bürgerliste f. <lista civica> – “[…] si incontreranno i rappresentanti della Meridiana, della
lista Per Bronzolo e della Bürgerliste” Bronzolo (AA 09.01.05, S.27) • Dorfliste f. – “La Dorfliste Kaltern, che da sempre si batte anche per l’introduzione di un
servizio-autobus” (AA 09.01.05, S. 29) • Fraktion f. <frazione/gruppo parlamentare> – “L’organismo supremo del partito di
maggioranza relativa […] ha scelto di coinvolgere in questa decisione l’intera Fraktion, ovvero il parlamentino della stella alpina aperto anche ai consiglieri comunali.” (AA 13.01.05, S. 30); “L’ultima parola spetta al partito, al comitato cittadino della Volkspartei e alla Fraktion, l’organismo che raggruppa il gruppo consigliare della stella alpina.” (AA 29.05.05, S. 32)
• Stadtkomitee n. <comitato cittadino> – “Lunedì sera lo Stadtkomittee si è invece concluso
con un clamoroso rinvio.” (AA 13.01.05, S. 30) Meran; “Avevo promesso di effettuare un primo giro di incontri e poi riferire allo Stadtkomitee.” Günther Januth (AA 29.05.05, S. 32)
109
• Kleines Edelweiss n. <stella alpina> – “Ciò che preme di più ad Albert Pürgstaller, candidato-sindaco dell’Svp e della Kleines Edelweiss […]” (AA 05.05.05, S. 40); “Ieri mattina il candidato sindaco di Svp e Kleines Edelweiss, Pürgstaller, ha infatti confermato […]” (AA 15.05.05, S. 34); “[…] conflitti intestini per grandi e piccole Edelweiss” (AA 10.05.05, S. 45); “Walter Amort, l’unico consigliere eletto della Kleines Edelweiss (AA 22.07.05, S. 29)
• Junge Generation f. – “La Junge Generation della Volkspartei” (AA 03.04.05, S. 34);
“Prospettiva, quella del vicesindaco italiano, che per la Junge Generation deve essere scongiurato.” (AA 04.02.05, S. 28)
• Parteileitung f. – “Ieri nell’assemblea della Parteileitung (direzione provinciale)” (CA
13.09.05, S. 2) • Klausurtagung f. – “[…] nella ‘Klausurtagung’ della giunta e dei funzionari […]” Meran
SVP (AA 06.10.05, S. 27) • Leitbild n. <immagine guida> - “[…] per presentare il “leitbild” dell’istituto Merano 2”
(AA 09.06.05, S. 30); “nel corso del dibattito sul Leitbild […]”Kaltern - Pläne für die wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung des Dorfes (AA 25.08.05, S. 26)
Die Bezeichnung ‚Landeshauptmann’ für den Regierungschef stammt noch aus der Zeit vor
1919, in der Südtirol verwaltungstechnisch zum österreichischen Bundesland Tirol gehörte.
Im Italienischen wird das Wort mit <il presidente della giunta provinciale/il presidente della
provincia/il presidente> übersetzt. Beide Begriffe werden nebeneinander gebraucht, wobei das
deutsche Pendant beispielsweise im „Corriere dell’Alto Adige“ ohne Anführungszeichen und
Kursivsetzungen angegeben wird, im „Alto Adige“ hingegen teilweise noch mit.
Nichtsdestotrotz kann man es wagen, das Lemma als integriert einzustufen, denn es wird auch
oft im mündlichen Gebrauch verwendet und ist der italienischen Sprachgemeinschaft
geläufig. Des Weiteren ist die Übernahme dadurch motiviert, dass die Mehrheit der
Landesregierung die deutschsprachige SVP stellt. Die Gründe, weswegen die deutsche
Bezeichnung oftmals der italienischen vorgezogen wird, liegen zum einen in der
Sprachökonomie: Der deutsche Ausdruck in der Form eines Kompositums ist schlicht und
einfach kompakter, synthetischer und aussagekräftiger als das italienische, analytisch
realisierte Pendant. Zum anderen gebrauchen Autoren und Journalisten das deutsche Wort
auch, um eine Stilvariation im Text zu bewirken, denn durch Entlehnungen aus anderen
Sprachen wird das eigene Sprachsystem um neue Synonyme erweitert und damit auch die
Wahlmöglichkeit gesteigert. Kramer führt eine weitere interessante Motivation für den
Lehnausdruck an:
„Oft wird hier das deutsche Wort gebraucht, um eine bestimmte, oft pejorative, Charakterisierung zu geben: wenn etwa die Zeitung nicht il presidente della giunta
110
provinciale, sondern il Landeshauptmann schreibt, soll damit zumindest insinuiert werden, dass eben die Provinzleitung mehr die Interessen der deutschsprachigen als der italienischsprachigen Bevölkerung vertritt.“ (Zitat Kramer 1981: 134)
Sehr oft und ohne irgendwelche graphische Kennzeichnungen oder zusätzliche Erläuterungen
wird der Begriff ‚l’Obmann’, ebenfalls ein Relikt aus österreichischer Zeit, verwendet. Im
Standarddeutschen wird hierfür die Bezeichnung ‚Vorsitzender’ verwendet. Im Italienischen
könnte dieser Ausdruck in etwa mit <capo/presidente> umschrieben werden, drückt aber nicht
so treffend die Bedeutung des Begriffs aus. Auch das Kompositum ‚Ortsobmann’ und die
Zusammensetzung ‚vice-Obmann’ werden übernommen.
Direkt und unverändert übernommen werden auch die Bezeichnungen für die
deutschsprachigen politischen Parteien: ‚Volkspartei’, ‚Freiheitliche’, ‚Union für Südtirol’.
Die Artikel bleiben dieselben wie in der Ausgangssprache. Anders verhält es sich jedoch
beispielsweise mit dem Akronym der Südtiroler Volkspartei ‚SVP’: während der Ausdruck
‚Volkspartei’ im Italienischen wie im Deutschen feminin ist, ist das Kürzel oftmals maskulin
‚lo SVP/il SVP/l’SVP’. Dies lässt auf eine Interferenz aus der aufnehmenden Sprache
schließen. Im Italienischen heißt es nämlich ‚il partito’ (m.). Übersetzt könnte ‚Volkspartei’ in
etwa <partito popolare sudtirolese/tedesco/dell’Alto Adige> heißen. Dasselbe Phänomen ist
auch beim Ausdruck ‚Sammelpartei’, eine Umschreibung für die Südtiroler Volkspartei, die
aus mehreren politisch orientierten Flügeln zusammengesetzt ist, festzustellen. Der
ursprünglich weibliche Artikel wird bei Aufnahme des Lexems in die italienische Sprache
männlich: ‚il Sammelpartei’. Beide Ausdrücke sind aufgrund der Anpassung des Artikelgenus
ins Südtiroler Italienisch integriert.
Auffallend oft wird das Wort ‚Ausschuss’ in den verschiedensten Zusammensetzungen
gebraucht. So findet man etwa den ‚Koordinierungsausschuss’, den ‚Ortsausschuss’, den
‚Wirtschaftsausschuss’ und den ‚Parteiausschuss’ – alle vom maskulinen Artikel begleitet.
‚Ausschuss’ würde im Italienischen mit <comitato/commissione> übersetzt werden. Um das
im Deutschen bereits im ersten Teil des Kompositums enthaltene Determinans auszudrücken,
würde im Italienischen ein Präpositionalsyntagma vonnöten sein, z.B. ‚Parteiausschuss’
<comitato di partito> oder ‚Koordinierungssauschuss’ <comitato di coordinamento>. So ist
einerseits die Tendenz zur Sprachökonomie, andererseits die Tatsache, dass es meist um
Anliegen von Deutschsprachigen geht, als Grund für die Übernahme anzunehmen.
Eine eigene Gruppe innerhalb der SVP bilden die ‚Arbeitnehmer’. Zum Großteil wird diese
Bezeichnung nur im Plural verwendet, so auch bei der Übernahme ins Italienische, wo es ‚gli
111
Arbeitnehmer’ heißt. Der deutsche Ausdruck wird auch hier dem italienischen Pendant
<lavoratore> vorgezogen, weil die Arbeitnehmer der deutschen Sprachgruppe angehören.
Im Italienischen passt sich der Artikel sofort an die Kriterien der eigensprachlichen
Artikelbildung an, wo dieser vor Vokal als Anfangslaut ‚l’ im Singular bzw. ‚gli’ im Plural
lautet96. Somit wurde die Integration des Fremdlexems vollzogen. Interessant ist die
Verwendung des Substantivs ‚Arbeitnehmer’ als attributiv gebrauchtes Determinans
‚l’assessore Arbeitnehmer’. Auch ‚l’Arbeitnehmerflügel’ gibt es laut Kramer (1981: 134) im
Südtiroler Italienisch.
In Meran gibt es ein –wahrscheinlich größtenteils deutschsprachiges- ‚Stadtkomitee’, welches
aus diesem Grund möglicherweise nicht mit dem Pendant <comitato cittadino> übersetzt
wird. Der Artikel des Ausdrucks ist im Deutschen sächlich, im Italienischen wird er
interferenzbedingt maskulin, da die italienische Übersetzung <il comitato cittadino> ebenfalls
maskulin wäre. Der italienische Artikel, der den deutschen Ausdruck bei der Übernahme
begleitet, passt sich an die Anfangslautregelung des Italienischen an, nach dem vor s- und
Konsonanten und vor z- der Artikel ‚lo’ gesetzt wird. So heißt es auch ‚lo Stadtkomitee’.
In den einfachen Landgemeinden findet man nicht wie in den größeren Städten die <lista
civica> vor, sondern beispielsweise wie in Branzoll (Südtiroler Unterland) ‚la Bürgerliste’,
weil diese politische Gruppe in den ländlichen Gebieten zum großen Teil aus
Deutschsprachigen zusammengesetzt ist. Eine ähnliche Bewandtnis hat es mit der ‚Dorfliste’
auf sich, die im Italienischen den femininen Artikel beibehält (‚la Dorfliste’). Beide werden
nicht durch Erklärungen näher erläutert, was darauf schließen lässt, dass die Begriffe geläufig
sind. Sehr wohl von einer Erklärung (hier in Klammern) begleitet wird der Ausdruck
‚Parteileitung’: “Ieri nell’assemblea della Parteileitung (direzione provinciale)” (CA 13.09.05,
S. 2), was von einer noch nicht gänzlich erfolgten Integration zeugt.
Eine beigefügte Erläuterung bzw. Umschreibung findet man ebenfalls zum Ausdruck
‚Fraktion’: „l’intera Fraktion, ovvero il parlamentino della stella alpina aperto anche ai
consiglieri comunali.” (AA 13.01.05, S.30) oder „alla Fraktion, l’organismo che raggruppa il
gruppo consigliare della stella alpina.” (AA 29.05.05, S. 32). Im Deutschen versteht man
unter Fraktion laut DudenUW eine „organisatorische Gliederung im Parlament, in der alle
Abgeordneten einer Partei od. befreundeter Parteien zusammengeschlossen sind“ (Zitat
DudenUW 2001: 569), so besteht die Fraktion im Südtiroler Landtag aus den Landesräten der
SVP. Es gäbe zwar im Italienischen die lexikalische Entsprechung <frazione/gruppo
96 Langenscheidt (2003): 3’f
112
parlamentare>, aber nachdem mit ‚Fraktion’ meist die Fraktion der SVP gemeint ist, wird der
deutsche Ausdruck dem italienischen vorgezogen.
Eine Fraktion innerhalb der SVP stellt wohl auch das ‚Kleine Edelweiß’ dar. Der Name geht
auf das politische Logo der Volkspartei zurück, auf dem ein Edelweiß abgebildet ist. Bei
Übernahme ins Italienische wird der im Deutschen neutrale Artikel ‚das’ zu feminin ‚la
Kleines Edelweiss’ umgewandelt, da im Italienischen kein neutraler Artikel existiert. So wird
im Italienischen notgedrungen der am nächsten liegende Artikel verwendet, welcher in
diesem Fall der weibliche wäre, da er sich an den Artikel des entsprechenden italienischen
Ausdrucks anlehnt: <la stella alpina>. Somit kann hier eine Interferenzerscheinung
festgestellt werden. Auch ‚piccole Edelweiss’ findet man- eine Lehnprägung oder genauer
gesagt eine Lehnübertragung, bei der nur einzelne Glieder übersetzt werden (in diesem Fall
‚kleine’ mit ‚piccole’). Erneut wurde der deutsche Ausdruck bei der Übernahme ins
Italienische nicht an die dort vorherrschende Kleinschreibung angepasst, doch wurde das im
Italienischen nicht bekannte Graphem <ß> durch <ss> ersetzt.
Eine weitere Gruppierung innerhalb der SVP bildet die ‚Junge Generation’, die ihren
weiblichen Artikel beibehält. Nicht gänzlich in die italienische Sprache eingegangen, sondern
als Zitatwort verwendet ist der Germanismus ‚Klausurtagung’, welcher unter
Anführungszeichen gesetzt wird: “[…] nella ‘Klausurtagung’ della giunta e dei funzionari
[…]” (AA 06.10.05, S. 27). Eine Klausurtagung ist nach DudenUW „eine Tagung unter
Ausschluss der Öffentlichkeit“ (Zitat DudenUW 2001: 906). Im Deutschen wie auch im
Italienischen wird dieser Ausdruck selten gebraucht, außerdem hat er eher den Charakter einer
Gelegenheitsbildung. Im Italienischen gibt es demnach auch keine eigensprachliche
Entsprechung.
Ebenfalls, aber nicht konsequent unter Anführungszeichen gesetzt und ebenso inkonsequent
kleingeschrieben wird ‚das Leitbild’ – im Deutschen mit neutralem Artikel, im Italienischen
aus nicht nachvollziehbaren Gründen (möglicherweise ‚Bild’ mit ‚il quadro’übersetzt?) mit
maskulinem Artikel versehen: “[…] per presentare il “leitbild” dell’istituto Merano 2” (AA
09.06.05, S. 30); “nel corso del dibattito sul Leitbild […]”(AA 25.08.05, S. 26). Ein Leitbild
ist ein Plan für die wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung einer Gemeinde (vgl.
AA 25.08.05, S. 26).
Deutschsprachiger Raum • Land n. <<land: nei paesi di lingua tedesca, ciascuna delle grandi divisioni territoriali
dotate di una relativa autonomia, simili a province autonome nell’ordinamento
113
austriaco97>> – “nel Land a nord del Brennero” Nordtirol (AA 29.03.05, S. 1); “Con la riforma i 16 Länder avrebbero dovuto assumere maggiori responsabilità nella gestione della cosa pubblica tedesca” Deutschland (AA 03.01.05, S. 6); “I Länder attuali della repubblica austriaca” (CA 17.08.05, S. 4)
• Stasi f. – “[…] al servizio della Stasi, la potente polizia segreta” (AA 29.03.05, S. 23) • FPÖ f. – “all’interno della Fpö” (AA 19.04.05, S. 12) • BZÖ n. – “[…] nel passaggio alla Bzö” (AA 19.04.05, S. 12) • Österreichische Volkspartei (ÖVP) f. – “La questione sudtirolese, agitata soprattutto dalla
forte Österreichische Volkspartei (ÖVP) tirolese” (ROM2 2005, S. 99) • Arbeitskammer f. – “Lo conferma l’Arbeitskammer, che sottolinea che la qualità dei
servizi non è assolutamente compromessa dal prezzo basso […]” Innsbruck (AA 09.07.05, S. 11)
• Cdu/Csu f. – “una ‘grosse Koalition’ tra Cdu/Csu e Spd” (AA 04.06.05, S. 10) • SPD f. – “una ‘grosse Koalition’ tra Cdu/Csu e Spd” (AA 04.06.05, S. 10) • Npd f. – “[…] gruppi estremisti di Oltrebrennero, come la ‘Deutsche Volksunion’ la
‘Npd’ e il ‘Fränkische Aktionsfront” (AA 28.12.05, S. 17) • Deutsche Volksunion f. – “Verso la fine degli anni novanta lei ha preso parte […] al
raduno della Deutsche Volksunion (Dvu), partito di estrema destra germanica?” (AA 21.12.05, S. 12)
• Bund m. – “In questo settore al Bund avrebbe dovuto rimanere solo uno spazio
decisoniale del 15%.” (AA 03.01.05, S. 6) • Bundestag m. – “La volontà negoziale dei rappresentanti del Bundestag e del Bundesrat
[…] è riuscita a creare un clima d’intesa tra le parti per trovare soluzioni di compromesso su ben 11 punti in agenda.” (AA 03.01.05, S. 6)
• Bundesrat m. - “La volontà negoziale dei rappresentanti del Bundestag e del Bundesrat
[…] è riuscita a creare un clima d’intesa tra le parti per trovare soluzioni di compromesso su ben 11 punti in agenda.” (AA 03.0105, S. 6)
• Große Koalition f. - “una ‘grosse Koalition’ tra Cdu/Csu e Spd” (AA 04.06.05, S. 10)
Auch aus dem übrigen deutschsprachigen Raum (Österreich und Deutschland) dringen
Germanismen aus dem Bereich Politik und Verwaltung in die italienische Sprache Südtirols
ein. So bezeichnet man im Italienischen mit ‚il Land’ etwa Nordtirol (“[…] nel Land a nord
del Brennero” (AA 29.03.05, S. 1). Man nennt Tirol auch ‚il Land Tirol’ oder ‚il Heiliges
97 DeMauro 2001: 292
114
Land’. ‚I Länder’ beziehen sich sowohl auf die Bundesländer Österreichs als auch auf jene
Deutschlands. Auffallend ist bei diesem Ausdruck der Genuswechsel: Im Deutschen ist ‚das
Land’ neutral, im Italienischen maskulin, was wohl auf ‚il paese’ zurückzuführen ist. Bei
Romeo ist das ‚Heilige Land’ kursiv geschrieben, was aber auf die meisten deutschen
Ausdrücke, die er in seinen Werken verwendet, zutrifft. Es scheint dies also ein individuelles
Stilmerkmal des Autors zu sein.
Als Parteien kommen zunächst die österreichischen Parteien ‚la ÖVP (Österreichische
Volkspartei)’, ‚la Fpö’ und ‚la Bzö’ vor. Das Genus ist nur beim ‚Bzö’ verändert worden.
Nachdem es im Deutschen ‚das BZÖ’ heißt, weil ‚das Bündnis Zukunft Österreich’
(neutrum), wird im Italienischen aus grammatischer Solidarität und Analogie zu den anderen
beiden Parteien der feminine Artikel verwendet. Die deutschen Parteien ‚Spd’, ‚Cdu/Csu’,
‚Npd’ und ‚Dvu’ (Deutsche Volksunion) sind ebenfalls zu entdecken. Aus dem Kontext geht
leider nicht hervor, welchen Artikel die beiden Parteien haben, es ist aber anzunehmen, dass
er weiblich ist: “una ‘grosse Koalition’ tra Cdu/Csu e Spd” (AA 04.06.05, S. 10). In die
Augen fällt, dass die Akronyme der angeführten Parteien mit Ausnahme der ÖVP, nach dem
Anfangslaut nicht wie im Deutschen groß, sondern kleingeschrieben werden. So schreibt man
etwa ‚Spö’ und nicht ‚SPÖ’, obwohl die Kürzel für Substantive stehen. Als Zitatwort
verwendet, weil unter Anführungszeichen gesetzt, wird ‚una ‚grosse Koalition’’, mit Doppel-
S anstatt wie im Deutschen /ß/. Angeführt werden in Bezug auf die deutsche Politik auch‚il
Bund’, ‚il Bundestag’ und ‚il Bundesrat’. Sogar die Abkürzung ‚la Stasi’ für Staatssicherheit
in der Ex-DDR kommt vor. In Bezug auf Österreichs Politik und Verwaltung spricht man des
Weiteren von ‚l’Arbeitskammer’.
10.2.3. Land- und Forstwirtschaft
Da die deutsche Sprachgruppe seit jeher von Viehzucht, Obst- und Weinanbau lebt und
somit im Sektor Landwirtschaft dominiert, sind einige Fachbegriffe in das Südtiroler
Italienisch eingedrungen. Auch aus der Forstwirtschaft stammen einige deutsche
Bezeichnungen. Die meisten Germanismen aus dem Bereich Landwirtschaft sind im
Südtiroler Unterland zu verzeichnen, wo seit jeher auch „Welschtiroler“ bzw. Italiener
trentinischer Abstammung leben. Nicht selten sind diese deutschen Lehnwörter mundartlich
markiert. In der nun folgenden Auflistung, die auf den Ausführungen Pallavers basiert,
werden auszugsweise deutsche Begriffe aus dem Bereich Viehwirtschaft, Obst- und Weinbau
angeführt (Pallaver 1978: 6):
115
• Fiaterer m. (Ma.) – „fieter“ auch in der Verbalform „fieterar“ Fütterer • Joch n. – „giof“ • Staller m. (Ma) – „stalér“ Stallknecht • Schaffer m. (Ma.) – „�ófer“ Vorarbeiter • Sichel f. – „sesla“ • Wiesbaum m. – „bispam“ Stange, die auf den beladenen Heuwagen gelegt wird • Zuber m. – „sever“ eine Art Bottich • Rebler m. (Ma.) – „rebler“ Rebling, Schössling des Weinstocks98 • Panzele n. (Ma) – „pansele“ kleines Fass • Most m. – „most“ • Leiten f. (Ma.) – „laita“ Bezeichnung für ein Weingut; süddt. u. österr.: Berghang,
Abhang99 • Moor n. – „mur“ • Toam m. (Ma.) – „tom“ Damm • Harass f. (Ma.) – „aras“ Obstkiste • Staffelei f. – „staflai“ • Schlotter f. (Ma.) – „�loter“ Klaubsack • Bodenwasser n. – „bombosseri“ • Schlauch m. – „�lauch“ • Spritz f. (Ma.) – „�bris“ auch in der Verbalform „�brisár“ Spritzmittel • Blattsauger m. – „plotsaugher“ Obstschädling • Mulchgerät n. – „mulcaret“ • Sprüher m. – „sprüer“ vollautomatische Spritzmaschine
98 DudenUW 2001: 1281 99 DudenUW 2001: 1010
116
Pallaver führt die Substantive zu unserem Leidwesen ohne Artikel an, sodass über das Genus
derselben nur spekuliert werden kann. Ferner werden die deutschen Lehnwörter an die
italienische Kleinschreibung angepasst. Für die phonetische Transkription der Begriffe hat
Pallaver eigene Regeln aufgestellt. So gibt er etwa den deutschen Frikativlaut /����/ mit dem
Graphem <�> wieder. Die deutschen Ausdrücke werden im italienischen Dialekt des
Unterlandes größtenteils an die eigensprachliche Phonetik angepasst. (Fremde) Phoneme
werden demnach durch Phoneme aus dem eigensprachlichen Phoneminventar ersetzt - oft aus
dem sprachökonomischen Grund der leichteren Aussprache (‚pansele’; ‚�bris’ � /s/ wird
als „zeta trentina“ ausgesprochen). Sie werden teilweise auch an die Morphologie der
italienischen Sprache angepasst (‚bombosseri’; ‚laita’), indem an die (modifizierten)
Stammorpheme die Endungen –i (m. Pl.) und –a (f. Sg.) angehängt werden. Hier zeigt sich,
dass italienischen Nominalklassen der –o (meist m.) und –a (meist f.) Deklination die
produktivsten sind. Interessant ist in Bezug auf die beiden desubstantivierten Verben
‚fieterar’ und ‚�brisár’, dass diese durch Suffigierung die italienische Verbalendung –are
erhalten. Schlussfolgernd kann man behaupten, dass es sich hier um voll integrierte
Lehnwörtern handelt.
Aus weiteren schriftlichen Quellen gehen nachfolgende deutsche Ausdrücke hervor:
• Beratungsring für Obst- und Weinbau m. - “Nel 1958 fu fondato il Beratungsring für Obst- und Weinbau (comitato di consulenza per i frutti- viticoltori)” (ROM2 2005, S. 110)
• Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften m. - “nel 1960 nacque un comitato di
frutticoltori (dal 1970 Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften)” (ROM2 2005, S. 110)
• Amtswälder m. – “boschi demaniali (Amtswälder)“ (FRASS 1963, S. 63) • Gemeine Wälder m. – “boschi comunali (gemeine Wälder)“ (FRASS 1963, S. 63) • Heimwälder m. – „boschi cosiddetti casalinghi (Heimwälder)” (FRASS 1963, S. 63) • Naturlandschaft f. <ambiente naturale/paesaggio naturale> - „Ciò vale in modo particolare
nel sistema territoriale sudtirolese che, in quanto brano esemplare di territorio alpino, è caratterizzato da un particolare intreccio ecosistemico tra natura e paesaggio, tra ambiente naturale (Naturlandschaft) e ambiente antropizzato (Kulturlandschaft).” (Eurac 2002, S. 25)
• Kulturlandschaft f. <ambiente antropizzato/paesaggio culturale> „Ciò vale in modo
particolare nel sistema territoriale sudtirolese che, in quanto brano esemplare di territorio alpino, è caratterizzato da un particolare intreccio ecosistemico tra natura e paesaggio, tra
117
ambiente naturale (Naturlandschaft) e ambiente antropizzato (Kulturlandschaft).” (Eurac 2002, S. 25)
• Saltner m. – „Sotto lo sguardo attento del Saltner, curioso personaggio tradizionale”
Girlan, Rebenfest (AA 20.10.05, S. 27) • Tschaggl m. (Ma.) – “un borsone da portare a tracolla, detto ‘Tschaggl’, usato per
raccogliere le mele” (AA 17.09.05, S. 43)
Eigennamenübernahmen sind die kursiv geschriebenen und mit nachfolgender italienischen
Entsprechung erläuterten Bezeichnungen ‚Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften’, der
im Italienischen das Äquivalent <comitato di frutticultori> gegenübersteht, und der
‚Beratungsring für Obst- und Weinbau’, der mit <comitato di consulenza per i frutti-
viticoltori> ein sehr umständliches, aus Präpositionalsyntagmen bestehendes Pendant hätte.
Vermutlich sind in der Verwaltung dieser Verbände hauptsächlich Deutschsprachige tätig,
sodass hier primär die deutschen Namen angeführt werden.
Aus dem Bereich Forstwirtschaft stammen die Begriffe ‚Amtswälder’, ‚gemeine Wälder’
und ‚Heimwälder’. Sie sind in den Belegstellen in Klammern gesetzt und folgen den kursiv
gesetzten italienischsprachigen Umschreibungen nach, wie oben ersichtlich ist. Durch die
Kursiv-Setzung der italienischsprachigen Erklärung wird dessen Zitathaftigkeit untermauert.
Fachbegriffcharakter haben hingegen die in Klammern gesetzten deutschen Ausdrücke, die
schon seit dem 15. Jahrhundert in Südtirol existieren (vgl. Frassoldati 1963: 63).
Die deutschen Begriffe ‚Kulturlandschaft’ und ‚Naturlandschaft’ wurden nach dem
italienischen Ausdruck in Klammern angegeben und kursiv geschrieben. Sie wurden im Sinne
der Eurac, die sich selbst als Bildunginstitution sieht, vermutlich ergänzend zu den
italienischen Fachausdrücken angeführt, damit die am Thema Landwirtschaft Interessierten
auch die deutschen Fachausdrücke kennenlernen und anwenden können.
Die Bezeichnung ‚Saltner’, unter der man in Tirol einen Flur- bzw. Weinberghüter versteht,
wurde als Bedürfnislehnwort in das Italienische übernommen, da dieses den Begriff und den
Beruf nicht kennt (vgl. Schatz 1955: 503) und mit der Umschreibung „curioso personaggio
tradizionale“ ergänzt.
Mit ‚Tschaggl’ meint man im Dialekt einen Klaubsack. Der Ausdruck erscheint hier als
Exotismus bzw. Zitatwort, weil er mit Anführungszeichen und einer italienischen Erklärung
angegeben wird.
118
10.2.4. Allgemeine Einrichtungen, Vereine/Verbände, Lokalitätseigennamen Feste, Events
In diesem Kapitel geht es haupsächlich um deutsche Ausdrücke, die als Eigennamen ins
Italienische entlehnt werden. Es handelt es sich dabei um Allgemeine Einrichtungen,
Vereine/Verbände, Lokalitätseigennamen, Events und Feste, deren Gründer oder Mitglieder
größtenteils der deutschen Sprachgruppe angehören.
Allgemeine Einrichtungen • Bergrettungsdienst m. <soccorso alpino> – „gli uomini del Bergrettungsdienst“Pustertal
(AA 24.06.05, S.41) • Brd m. – “Avevano a bordo le unità cinofile del Brd […]” (AA 20.02.05, S. 10) • Rettungshundestaffel f. – “Avevano a bordo le unità cinofile del Brd, della
Rettungshundestaffel e della Guardia di Finanza nei loro punti di raccolta” (20.02.05, S. 10)
• Lawinensuchhunde m. <cane da valanga/ -ghe> – “I volontari – precisa Hans Berger, capo
dell’unità dei Lawinensuchhunde – sono di lingua tedesca.” ( AA 06.11.05, S. 22) • Sparkasse f. <cassa di risparmio> - “i soldi della Sparkasse” (CA 17.08.05, S. 1) • Kinderdorf n. „il ‚Südtiroler Kinderdorf’“ (AA 10.09.05, S. 32); „vicino al Kinderdorf a
Bressanone“ (AA 07.01.05, S. 29) • Blindenzentrum n. – „Nikolaus Fischnaller, […] ispiratore e anima del Blindenzentrum“
(AA 28.10.05, S. 22) • Seebus m. – „Il Seebus è, in effetti, una delle iniziative di maggior successo del comune di
Caldaro.” (AA 28.10.05, S. 34) Vereine/Verbände • Bauernbund m. <unione agricoltori e coltivatori diretti sudtirolesi> – „presidente del
Bauernbund”; “l’Obmann del Bauernbund” (CA 07.09.05, S. 11); “l’associazione del Bauernbund (CA 13.09.05, S. 7)”
• Bauernjugend f. – “Sono alcuni anni che il club 3P, l’associazione Gaia ed il
Bauernjugend manifestavano l’esigenza di uno spazio per il deposito” (AA 13.03.05, S. 30)
• Schützenbund m. – Oggi lo Schützenbund ha ha vietato […] la partecipazione a queste
maxi-assemblee” (AA 22.12.05, S. 15)
119
• Katholische Jungschar (Südtirol) f. – „richiesta pervenuta dalla Katholischer Jungschar Südtirol“ (05.01.05, S. 26) ; „[…] organizzata […] dalla ‚Katholische Jungschar’, l’associazione cattolica giovanile“ (AA 04.01.05, S. 29)
• Sennereiverband n. – „tramite la Sennerei Verband“ Milkon (AA 05.01.05, S. 18) • Autonomer Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) m. - “Nel 1964, tuttavia, fu istituito un
autonomo sindacato dei lavoratori sudtirolesi (un cosiddetto ‘sindacato etnico’), l’Autonomer Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB)“ (ROM2 2005, S. 112)
• (Südtiroler) Wirtschaftsring m. <associazione degli imprenditori sudtirolesi> –
„l’assemblea generale del Südtiroler Wirtschaftsring” (AA 27.04.05, S. 9); “imprenditori riuniti nel Wirtschaftsring” (CA 04.08.05, S. 7)
• Ökoinstitut n. – “Hans Glauber, direttore dell’Ökoinstitut” (CA 14.07.05, S. 1) • AVS m. – “I quadrupedi in servizio per l’AVS non sono soltanto pastori tedeschi.” (AA
06.11.05, S. 22) • (Südtiroler) Alpenverein m. – “il soccorso alpino dell’Alpenverein” (AA 19.01.05, S. 27);
“[…] al Südtiroler Alpenverein” (GDD2 1999, S. 47) • Heimatschutz m. – “Da anni l’Heimatschutz è consapevole […]” (AA 24.04.05, S. 30) • Heimatschutzverein m. – “Josef Vieider, presidente dell’Heimatschutzverein” (AA
24.04.05, S. 30) • Heimatbund m. – „Hans Stieler, il fondatore dello Heimatbund“ (06.03.05, S. 10);
„esponenti dell’Heimatbund“ (GDD2 1999, S. 56) • Heimatpflege n. – „[…] dalll’ [sic!] associazione dei protezionisti Heimatpflege“ (AA
18.03.05, S. 16) • Hgv m. <albergatori/ associazione albergatori> – “la presidentessa dell’Hgv meranese”
(AA 05.03.05, S. 30) • Südtiroler Marketing Gesellschaft f. <unione commercio e turismo> – “La Südtiroler
Marketing Gesellschaft ha lavorato bene in questa direzione” Interview mit Gundolf Wegleiter (AA 18.03.05, S. 34)
• Kvw m. – „il direttore del Kvw Leonhard Frötscher“ (AA 09.05.05, S. 24) • Südtiroler Bäuerinnenorganisation f. - „[…] del Südtiroler Bäuerinnenorganisation“ (AA
02.11.05, S. 25) • Lebenshilfe f. – „La Lebenshilfe, l’Associazione provinciale assistenza per persone con
handicap“ (AA 01.06.05, S. 24) • VKE m. – „VKE - Verein für Kinderspielplätze und Erholung/Associazioni campi gioco e
ricreazione“ (Hofer 1984, S. 19)
120
• Burschenschaft f. – „un convegno della Burschenschaft ‚Olympia’, un’associazione studentesca austriaca di estrema destra“ (AA 22.12.05, S. 14)
• Andreas Hofer Bund m. – “l’Andreas Hofer Bund […]” (GDD1 1982, S. 70) • Vintlerring m. – „La storia dell’Alto Adige sarà tra i protagonisti del terzo evento del
Vintlerring” (AA 06.10.05, S. 18) Lokalitätseigennamen • Pfarrheim n. – “presso il cortile del Pfarrheim” Leifers (AA 19.04.05, S. 27) • Klösterle n. – “sentiero dal Klösterle” Laag/Neumarkt, Pilgerhospiz (AA 21.07.05, S. 24) • Kursaal m. <sala dei bagnanti> – “nella cornice del Kursaal di Merano si è consumata
[…] la seconda edizione di ‘Uniball’” (AA 05.12.05, S. 10) • Haderburg f. – „il castello Haderburg“ Salurn (AA 27.04.05, S. 30) • Hofburg f. – „Della Hofburg“ Innsbruck (AA 18.08.05, S. 18) • Haus der Familie n. – all’Haus der Familie, Renon“ (AA 20.09.05, S. 24) • Biergarten m. – “la realizzazione di un Biergarten“ Urbanistik Bozen (AA 25.10.05, S. 18) Events • Christkindlmarkt m.<mercatino (di Natale)/mercatino natalizio> – “Al centro del
‘Christkindlmarkt’ […]” (AA 19.11.05, S. 19); “Il classico ‘Christkindlmarkt’ […]” (AA 13.07.05, S. 13)
• Weinkost f. – “Torna a Castel Mareccio Weinkost, kermesse enologica” Schlagzeile (AA
20.04.05, S. 27); “Il grande e atteso ritorno della Weinkost, la Mostra dell’enologia altoatesina” (AA 20.04.05, S. 27)
• Maturaball m. <ballo di maturità> - “Giro di vite per i Maturaball ‘alcolici’” Schlagzeile,
typisch für die deutschsprachigen Schüler (AA 27.04.05, S. 19); “i ‘Maturabäll’” (AA 27.04.05, S. 1)
• Uniball m. <ballo universitario della Libera università di Bolzano> – “Valzer e bollicine,
è l’Uniball” Bozen, Schlagzeile (AA 05.12.05, S. 10) • Bozner Filmtage m. <cinefestival> - “i Bozner Filmtage…” (AA 15.04.05, S. 25) Feste
121
• Altstadtfest n. <festa del centro storico> - “L’Altstadtfest di Brunico” (AA 31.05.05, S. 35); “Richard Franchi – commerciante del centro – difende l’’Altstadtfest’” Bozen (AA 07.09.05, S. 15)
• Oktoberfest n. – “L’Oktoberfest, la kermesse della birra di Monaco di Baviera” (AA
27.04.05, S. 10) • Maibaumfest n. “La Maibaumfest” Auer, Bauernjugend (AA 30.04.05, S. 29) • Speckfest n. „la Speckfest“ Bozen (AA 12.05.05, S. 24) • Laubenfest n. <festa dei portici> „la ‚Laubenfest’“ Neumarkt (AA 06.08.05, S. 23); „della
Laubenfest“ (AA 15.07.05, S. 28) • Marktfest n. – “della tradizionale Marktfest” Kaltern (AA 30.07.05, S. 26) • Kalterer Weinfest n. – “la ‘Kalterer Weinfest’” (AA 13.08.05, S. 23) • Terlaner Kugelfest n. – „la Terlaner Kugelfest“ (AA 09.08.05, S. 23) • Dorffest n. – „la tradizionale ‘Dorffest’“ Marling (AA 13.08.05, S. 27) • Girlaner Kellerfest n. – “la Girlaner Kellerfest” (AA 24.08.05, S. 24)
Dem Bereich Allgemeine Einrichtungen zuzuordnen ist zunächst ‚il Bergrettungsdienst’, der
im Italienischen ein Äquivalent hätte, nämlich <soccorso alpino>. Im angeführten Beleg wird
der deutsche Ausdruck höchstwahrscheinlich deshalb verwendet, weil sich der Unfall im
größtenteils deutschsprachigen Pustertal ereignet hat, oder um eine Stilvariation im Text zu
bewirken, indem ein neues Synonym zur Verfügung steht. Kurz und prägnant ist auch das
Akronym des ‚Bergrettungsdienstes’, welches ‚Brd’ lautet. Aus diesem Grund wird es auch
entlehnt. Die wohl interessanteste unkommentierte Entlehnung ist ‚la Rettungshundestaffel’,
ein aus drei Komponenten bestehendes Kompositum, das aus syntagmatischer Ökonomie
ins Italienische übernommen wurde. Der ‚Lawinensuchhund’ hätte zwar mit <cane da
valanga> ein eigensprachliches Pendant, in diesem Kontext wird aber der deutsche Ausdruck
verwendet, weil es in der Berichterstattung um Deutschsprachige geht. Auch ‚la Sparkasse’
hätte eine italienische Entsprechung, nämlich <cassa di risparmio>. Aus Platzgründen,
sprachlicher Ökonomie und als aufmerksamkeitserheischendes Stilmittel in der Schlagzeile
wird hier jedoch der deutsche Ausdruck verwendet.
Eine Einrichtung für Kinder ist das ‚Südtiroler Kinderdorf’, das aus grammatischen Gründen
im Italienischen maskulin wird und im obigen Beispiel unter Anführungszeichen gesetzt ist,
um den Zitat- bzw. Eigennamencharakter zu unterstreichen. Das ‚Blindenzentrum’ wird im
Italienischen ebenfalls ein Maskulinum und bleibt ohne italienische Entsprechung, weil diese
122
Einrichtung von Deutschssprachigen vor allem für Deutschsprachige Südtiroler errichtet
wurde. Eine „mobile Einrichtung“ ist ‚il Seebus’.
Aus dem Bereich Vereine/Verbände werden nur sehr selektiv die interessantesten Beispiele
herausgepickt. Hervorzuheben ist der ‚Bauernbund’, der eine sehr umständliche und lange
italienische Entsprechung hätte: <unione agricoltori e coltivatori diretti sudtirolesi>. Aus
syntagmatischer Ökonomie und auch aus dem Grund, dass es sich hierbei um eine
hauptsächlich von Deutschsprachigen „bevölkerte“ Vereinigung handelt, wird der deutsche
Name verwendet. Interessant ist, dass die ‚Bauernjugend’ wahrscheinlich in Analogie zum
Genus des ‚Bauernbunds’, welcher maskulin ist, ebenfalls maskulin ist, obwohl der Artikel im
Deutschen feminin wäre.
Ebenso eine italienische Entsprechung hätte der ‚Südtiroler Wirtschaftsring’: <associazione
degli imprenditori sudtirolesi>. Die deutsche Bezeichnung wird aus sprachökonomischen
Gründen verwendet. Bei den restlichen hier angeführten Beispielen handelt es sich
größtenteils um Eigennamenentlehnungen, die nicht näher auffallend bis gar nicht
kommentiert werden. Auf die Lokalitätseigennamen wird nur andeutendungsweise
hingewiesen.
Aus wahrscheinlich stilistischen und soziolinguistischen Gründen werden im Bereich
Events die deutschen Ausdrücke ‚il Christkindlmarkt’ und ‚il Maturaball’ anstelle der
italienischen Äquivalenzen <mercatino di Natale> und <ballo di maturità> verwendet. Es geht
im Kontext entweder um die Stilvariation durch neue sprachliche Synonyme und/oder um
Themen, die die deutsche Sprachgruppe in Südtirol betreffen. Das deutsche Wort ‚Uniball’
wird aus sprachlicher Ökonomie dem italienischen vorgezogen, da das italienische Pendant
sehr umständlich formuliert ist: <ballo universitario della Libera università di Bolzano>.
Sehr viele Namen von Festen werden von Italienern verwendet. Auffallend ist, dass das
deutsche Neutrum ‚das Fest’ im Italienischen konsequent durch den femininen Artikel ersetzt
wird, so z.B. ‚la Speckfest’, was auf Interferenzen aus dem Italienischen zurückzuführen ist
(<la festa>). Eine eigensprachliche Entsprechung der Festnamen konnten nur für die
Ausdrücke ‚Laubenfest’ (<festa dei portici>) und ‚Altstadtfest’ (<festa del centro storico>)
gefunden werden. Wiederum ist jedoch zu bemerken, dass das deutsche Äquivalent kürzer,
weil synthetisch realisiert, ist.
123
10.2.5. Südtiroler Geschichte
Südtirol und auch das Trentino gehörten verwaltungstechnisch bis zum Ende des Ersten
Weltkrieges dem österreichischen Bundesland Tirol und somit auch der habsburgischen
k.u.k.-Monarchie an. Aus diesem Grund schlugen sich einige Germanismen im italienischen
Vokabular nieder (vgl. Weber 1998: 202). Aber auch in der Folgezeit sind deutsche
Entlehnungen aus dem Bereich der Südtiroler Geschichte in der italienischen Sprache
festzustellen, so etwa im Faschismus, vor allem aber aus der Zeit der Option um 1939, als die
deutschsprachichigen Südtiroler vor die Wahl gestellt wurden, entweder in der von Italienern
beschlagnahmten Heimat zu bleiben, oder ins Großdeutsche Reich auszuwandern. Natürlich
blieb auch Südtirol vom Nationalsozialismus nicht verschont. Aus diesem Grund sind auch
sehr viele Lehnwörter aus dem nationalsozialistischen Vokabular in die italienische Sprache
eingedrungen.
Auch aus der Zeit der so genannten „Bombenjahre“ in den 60er-Jahren haben sich einige
Germanismen erhalten. Es war dies eine Art „Freiheitskampf“, in dem deutschsprachige
Südtiroler Aktivisten durch symbolische Sprengungen faschistischer Denkmäler auf den
Misstand in Südtirol aufmerksam machen wollten und die Selbstbestimmung für das Land
Südtirol forderten, weil die faschistische Unterwanderungspolitik trotz Ende des Faschismus
immer weiter vorangetrieben wurde.
• Kulturkampf m.<<kulturkampf: contrasto tra Stato e Chiesa cattolica, sorto in Germania
dopo la proclamazione dell’Impero nel 1871; estens. opposizione all’ingerenza della Chiesa nella vita politica e sociale100>> – “la fine del Kulturkampf in Tirolo” (ROM1 2003, S. 58); “Nel clima del Kulturkampf” (ROM3 2001, S. 17)
• Welschtirol – “Quest’ultimo era distinto, sotto un profilo linguistico, in Deutschsüdtirol
(Tirolo meridionale tedesco) e Welschtirol (Tirolo italiano, cioè il Trentino” (ROM2 2005, S. 10)
• Welschtiroler m. – „era la rivendicazione della coscienza nazionale di alcune fasce della
borghesia trentina, in aperta contrapposizione al clericalismo e patriottismo tirolese (Welschtiroler).“ (AA 09.12.05, S. 52)
• Deutschsüdtirol - Quest’ultimo era distinto, sotto un profilo linguistico, in
Deutschsüdtirol (Tirolo meridionale tedesco) e Welschtirol (Tirolo italiano, cioè il Trentino” (ROM2 2005, S. 10)
• Heiliges Land n. - “Il Tirolo veniva chiamato Heiliges Land (Terra santa) per indicare la
sua assoluta fedeltà al cattolicesimo” (ROM2 2005, S. 10)
100 DeMauro 2001: 286
124
• Kaiserlicher m.(meist Pl.) – „caiserlicchi“ (PISCI 1986, S. 53) • Katakombenschule f. – <scuole clandestine/scuole delle catacombe> „[…] attiva nella
Katakombenschule“ (Romeo, S. 188); „dietro queste ‚Notschule’ (scuole d’emergenza) o ‚Katakombenschule’ (scuola-catacomba)“ (GDD1 1982, S. 75)
• Notschule f. - „dietro queste ‚Notschule’ (scuole d’emergenza) o ‚Katakombenschule’
(scuola-catacomba)“ “ (GDD1 1982, S. 75) • Optanten m. – “Optanten e Dableiber” (DM 2004, S. 102) • Dableiber m. – “i moderati dableiber” (AA 24.04.05, S. 48); „Gli succedette Agostino
Podestà, che mirò ad una politica di consenso verso i Dableiber.” (ROM2 2005, S. 76) • Geher m. – „La comunità sudtirolese si divise tra la maggioranza dei Geher (partenti) e la
minoranza dei Dableiber (restanti).“ (ROM2 2005, S. 74) • Walsche – “Mi dicevano Walsche, soffrivo” (AA 27.10.05, S. 15); “tra le vittime cittadini
italiani domiciliati in zone periferiche dell’Alto Adige e colpiti in quanto considerati ‘Walschen’ (AA 20.09.05, S. 19); “In generale l’opzione fu stravolta, nella percezione popolare, in un plebiscito sulla propria identità nazionale: tedesco o italiano (Deutsche oppure Walsche).” (ROM2 2005, S. 74)
• Rückwanderung f. – “la ‘Ruckwanderung’ (riemigrazione) nel Terzo Reich” (GDD1
1982, S. 80) • Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland f. - „La Arbeitsgemeinschaft der
Optanten für Deutschland […]“(AA 24.04.05, S. 48) • Völkischer Kampfring Südtirol m. – „[…] del Völkischer Kampfring Südtirols“ (AA
24.04.05, S. 48) • Deutscher Verband m. – „[…] nel Deutscher Verband“ (AA 10.06.05, S. 46) • Alpenvorland n. <zona di operazione delle Prealpi/operazioni delle Prealpi > –
„L’Alpenvorland“ (AA 24.04.05, S. 48) • (Durchgangs-)Lager n. <campo di concentramento di transito> – “nel Durchgangslager di
Via Resia” (CA 07.09.05, S. 5); “il lager di via Resia” (AA 19.01.05, S. 37); “il ‘Polizeiliches Durchgangslager Bozen’” (GDD1 1982, S. 84)
• Ein Tirol – “la vivandiera del gruppo ‘Ein Tirol’” (AA 21.02.05, S. 12) • Los von Rom n. – “In chiusura, il motto nazionalista e anticattolico austriaco di fine
ottocento ‘Los von Rom’, ‘Via da Roma’” (AA 25.01.05, S. 12) • Los von Trient n. <distacco da Trento> – “Al motto di ‚Los von Trient’” (AA 25.05.05, S.
IV); „Dopo il ‚Los von Trient’ (AA 13.12.05, 19)”; „Nell’anno del ‘Los von Trient’” (DS 2004)
125
• Todesmarsch m. – “Fu l’epoca in cui il Canonico Gamper reagì pubblicando, sul quotidiano Dolomiten del 28 ottobre 1953, l’ormai famoso articolo sulla ‘Todesmarsch’ (marcia verso la morte)” (GDD2 1999, S. 30); “È l’allarme del Todesmarsch (Marcia della morte), cioè il soverchiamento numerico del gruppo sudtirolese” (AA 25.05.05, S. III)
• Freiheitskampf m. – la loro coerenza nel rivendicare la ‘Freiheitskampf’, la lotta per la
liberazione del Sudtirolo” (AA 06.03.05, S. 10) • Freiheitskämpfer m. - “i protagonisti degli anni Sessanta sono stati definiti in molti modi:
terroristi, attivisti, dinamitardi, bombaroli, irredentisti in italiano; Patrioten, ex Aktivisten, Freiheitskämpfer in tedesco. Fino a ‘Helden’, eroi.” (AA 06.03.05, S. 10); “Nel marzo del 1999 il leader degli ex Freiheitskämpfer, i ‘combattenti per la libertà del Sudtirolo’ aveva rifiutato […] l’ipotesi di una grazia” (AA 06.03.05, S. 11)
• Feuernacht f. <notte dei fuochi> – “dopo la Feuernacht […]” (AA 29.11.05, S. 40); “Le
azioni del BAS culminarono con la cosiddetta ‘notte dei fuochi’ (Feuernacht, 11 giugno 1961).” (ROM2 2005, S. 102); „’Kleine Feuernacht’ (piccola notte dei fuochi“ (ROM1 2003, S. 285)
• Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) m. – “[…] dell’organizzazione clandestina
“Befreiungsausschuß Südtirol (BAS)” (Comitato per la liberazione del Sudtirolo)” (GDD2 1999, S. 39); “In coincidenza con il grande raduno di Castelfirmiano nacque il Befreiungsausschuss Südtirols (BAS, comitato di liberazione del Sudtirolo).” (ROM2 2005, S. 102)
• Schutzmacht f. – “Non solo l’Austria assicurò il ruolo di Schutzmacht dei sudtirolesi”
(GDD2 1999, S. 126); “consenso anche dell’Austria, Schutzmacht della minoranza tedesca in Italia” (GDD2 1999, S. 122)
• Aufbau m. – “All’indomani della ‘notte dei fuochi’ si era formato un gruppo d’opinione,
chiamato ‘Aufbau’ (Ricostruzione)” (ROM2 2005, S. 100) • Heimat f. <patria>– “in primo piano i temi della conservazione della Heimat” (Ufs) (AA
08.01.05, S. 14); “il legame alla Heimat proprio della popolazione sudtirolese di lingua tedesca” (DM 2004, S. 82); “chissà se in Valle Aurina, nella loro amata Heimat che non vedono dal 1964, hanno ancora parenti.” (AA 06.03.05, S. 10)
Von 1871 bis 1887 fand eine Auseinandersetzung zwischen dem protestantischen preußischen
Staat und der katholischen Kirche statt. Das politische Schlagwort für diese
Auseinandersetzung prägte der deutsche Mediziner und Politiker R. Virchow. Es lautete
‚Kulturkampf’ (DudenUW 2001: 972). Dieser Kulturkampf, in dem man sich gegen die
Einmischung der Kirche in das politische und soziale Leben wehrte, erfasste auch das Land
Tirol. Der Begriff drang ferner in den italienischen Wortschatz ein, wie man es im
Fremdwörterlexikon von DeMauro nachlesen kann. Während ‚kulturkampf’ im
standardsprachlichen Italienisch jedoch kleingeschrieben wird, wird es im Südtiroler
Italienisch großgeschrieben.
126
In der Habsburgerzeit wurde Tirol unter anderem in ‚Deutschsüdtirol’ und ‚Welschtirol’
(Trentino) untergliedert. Diese Einteilung ist auch dem Vokabular der italienischsprachigen
Südtiroler nicht fremd. Obwohl der Integrationsgrad der beiden Ausdrücke durch
Kursivsetzung, Fettdruck und nachfolgender Erläuterung bzw. einem Übersetzungsversuch
auf den ersten Blick eher gering scheint, kann aus pragmatisch-empirischer Sicht dennoch mit
Fug und Recht behauptet werden, dass beide sehr wohl integriert sind. Außerdem handelt es
sich hier um den individuellen Schreibstil des Historikers Carlo Romeo, der in seinen Werken
stets darum bemüht ist, den italienischen Südtirolern die Geschichte des Landes Südtirol, dem
sie immerhin seit über 80 Jahren angehören, möglichst verständlich nahe zu bringen. Aus
diesem Grund kennzeichnet er auch deutsche Ausdrücke graphisch und versieht sie mit
Erklärungen. Auch mit der Bezeichnung ‚Heiliges Land’, mit dem das Land Tirol gemeint ist,
verhält es sich ähnlich.
Auf die Enlehnung ‚kaiserjäger’, die ebenfalls aus der k.u.k-Zeit stammt, wurde bereits in
Kapitel 9.3.2. näher hingewiesen.
Aus dieser Zeit stammt auch das vollständig integrierte, weil bereits graphisch und
morphologisch an die Replikasprache angepasste Lehnwort ‚i caiserlicchi’ (die Kaiserlichen),
mit dem man im 19. Jahrhundert oftmals die Österreicher bezeichnete (Piscitelli 1986: 53).
Im Faschismus war den deutschsprachigen Südtirolern das Sprechen der deutschen Sprache in
allen Lebensbereichen verboten. Die Schule wurde ausschließlich in italienischer Sprache
abgehalten. Um den Kindern trotzdem die deutsche Sprache irgendwie nahezubringen, hielt
man Geheimunterricht in den so genannten ‚Katakombenschulen’ oder ‚Notschulen’. Diese
Begriffe werden auch in der italienischssprachigen lokalen Geschichtsschreibung verwendet.
Es gäbe eine italienische Übersetzung hierfür (<scuole clandestine/scuole delle catacombe/
scuola-catacomba> und <scuole d’emergenza>), es wird aber dennoch das deutsche Wort
verwendet- wenn auch mit nachfolgender Erklärung- weil es ein Kompositum und somit
kompakter ist. Es handelt sich um die Geschichte der deutschen Sprachgruppe während des
Faschismus, deshalb werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch die deutschen Begriffe
angeführt. Diese sind noch nicht gänzlich integriert, da sie teilweise unter Anführungszeichen
gesetzt und mit Übersetzungen versehen sind. Delle Donne lässt die beiden Schulen im Plural
kurioserweise in der Singularform, was sicherlich auf eine Interferenz zurückzuführen ist (‚le
scuole’ vs. ‚le Schule’).
In der Zeit der Option wurde die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung in ‘Dableiber’ und
‘Optanten’ bzw. ‚Geher’ gespalten, die sich gegenseitig ihre jeweilige Entscheidung
vorwarfen. In der italienischen Geschichtsschreibung tauchen diese Ausdrücke ebenfalls auf,
127
sind jedoch entweder kursiv geschrieben und/oder mit einer erklärenden Übersetzung
angegeben. Im Beleg aus dem „Alto Adige“ wird ‚dableiber’ kleingeschrieben. Wieder
handelt es sich um eine Episode aus der Südtiroler Geschichte, welche die deutsche
Sprachgruppe betrifft. Aus diesem Grund wurden auch die deutschen Wörter verwendet. Die
italienischssprachigen Südtiroler Historiker neigen eher dazu, deutsche Ausdrücke als
Zitatwörter anzuführen, die Journalisten handhaben diese aber eher als bereits integrierte
Lexeme.
Mit der negativ konnotierten Bezeichnung ‚Walsche’ werden in Südtirol von den
Deutschsprachigen die Italiener betitelt, welche diesen Ausdruck als beleidigend empfinden,
was auch in den oben angeführten Beispielen zur Geltung kommt. Obwohl inkonsequent als
Zitatwort gekennzeichnet, kann man das Wort durchaus als integriert einstufen, da es häufig
vorkommt und allen Sprechern der italienischen Sprachgemeinschaft in Südtirol bekannt ist.
Mit der ‚Rückwanderung’ bezeichnete man das Auswandern der Südtiroler in das
Großdeutsche Reich. Auch in die italienische Geschichtsschreibung ist der Ausdruck
vorgedrungen, bei Delle Donne jedoch zitathaft wiedergegeben (kursiv, Anführungszeichen,
Übersetzung) und ohne Umlaut <ü>. Einige Eigennamen bzw. Parteienbezeichnungen, die in
die Zeit der Option fallen, wurden ebenfalls übernommen, zum Beispiel ‚la
Arbeitsgemeinschaft der Optanten für Deutschland’, ‚il Völkischer Kampfring Südtirols’ und
‚il Deutscher Verband’.
Auch die Epoche des Dritten Reichs zog nicht unbemerkt an Südtirol vorbei. Aus der Zeit der
nazionalsozialistischen Besatzung in Südtirol (1943-45) stammt die deutsche Bezeichnung
‚Polizeiliches Durchgangslager Bozen’, das sich in den verschiedensten Abwandlungen und
Kurzformen im Südtiroler Italienisch niedergeschlagen hat (siehe oben). Das italienische
Pendant <campo di concentramento di transito> wäre zu lang und umständlich. Der deutsche
Ausdruck ist kürzer und sprachlich ökonomischer. Auch die Bezeichnung Südtirols als
‚(Operationszone) Alpenvorland’ wurde aus syntagmatischer Ökonomie ins Italienische
entlehnt. Die naheliegendsten italienischen Entsprechungen <zona di operazione delle
Prealpi/operazioni delle Prealpi> sind als Präpositionalsyntagmen zu wenig kompakt und
können mit dem fast schon schlagwortartigen Ausdruck ‚l’Alpenvorland’ viel treffender
wiedergegeben werden.
Eine Eigennamenübernahme ist die Bezeichnung für die liberalistische Gruppierung ‚Ein
Tirol’. Zitatcharakter haben die Schlagwortentlehnungen ‚Los von Rom’ und ‚Los von
Trient’, welche sogar als Substantivierungen mit Artikeln und Teilungsartikeln verwendet
werden. Ebenfalls schlagwortartig wurde der Begriff ‚Todesmarsch’, den Kanonikus Michael
128
Gamper geprägt hat, übernommen. Der Artikel wird im Italienischen interferenzbedingt
feminin (‚la marcia della morte’). Auch der ‚Freiheitskampf’, den sich die Südtiroler
Aktivisten in den Bombenjahren lieferten, wird beim Entlehungsvorgang weiblich (‚la lotta’).
Er wird unter Anführungszeichen gesetzt und mit einem nachfolgenden Kommentar ergänzt,
was die Zitathaftigkeit des Begriffs unterstreicht. Die ‚Freiheitskämpfer’ hingegen werden
ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Betont werden soll durch Verwendung des
deutschen Ausdrucks der Gegensatz zwischen der verherrlichenden deutschen und der
kritischen italienischen Sicht, was im oben stehenden Beleg sehr klar zum Ausdruck kommt.
Immer noch eher zitatwortartig verwendet wird die ‚Feuernacht’. Sie steht in Konkurrenz mit
dem italienischsprachigen Pendant <la notte dei fuochi>. Der Ausdruck ‚Befreiungsausschuss
Südtirol’ bzw. sein Akronym (BAS) ist eine Eigennamenübernahme. Ein vollständig
integriertes Lehnwort ist ‚Schutzmacht’, ein weniger integriertes der ‚Aufbau’-
fettgeschrieben und mit Kommentierung.
Ein wichtiger Begriff für die Südtiroler ist die ‘Heimat’. Auch die Italiener sprechen von ‚la
Heimat’, nachdem die italienische Entsprechung <patria> nicht so treffend den Inhalt
wiedergibt und konnotativ und emotional anders besetzt ist. Limbach ist der Ansicht, dass die
Deutschen mit ihrer Sprache „wahre Meister der Innerlichkeit“ sind. Denn „Wörter wie
Heimat, Geborgenheit, Gemütlichkeit oder Sehnsucht finden sich in vielen anderen
Sprachen wieder und eröffnen den Sprechern dieser Sprachen die Möglichkeit, ihre Gefühle
zu benennen.“ (Zitat Limbach 2007: 7). Der Artikel bleibt bei der Übernahme des Wortes
feminin, wird aber ausgschrieben und nicht durch Apostroph abgekürzt, wie es sonst vor dem
stummen „H“ im Italienischen üblich ist. Der Ausdruck wird sowohl in der Berichterstattung
über deutschsprachige Südtiroler gebraucht, als auch über italienische. Infolgedessen hat im
Südtiroler Italienisch das Wort ‚Heimat’ in Zusammenhang mit dem Land Südtirol den
Begriff <patria> verdrängt, welcher von Italienern in Bezug auf den Nationalstaat Italien
jedoch sehr wohl verwendet wird.
129
10.2.6. Drittes Reich
Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus Ende der 20er-Jahre geht der sprachliche
Einfluss nicht mehr von Österreich, sondern von (Groß-)Deutschland aus (Weber 1998: 202).
Klemperer bemerkte in seinem Werk „LTI. Notizbuch eines Philologen“101 (1947):
„[…] der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menschen über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden.“ (Klemperer zitiert nach Schmidt 2000: 154f).
Dies macht sich auch im Wortschatz des Italienischen bemerkbar. Wie auch in anderen
Sprachen werden sehr viele deutsche Ausdrücke aus dem nationalsozialistischen
Spezialwortschatz übernommen. Diese Wörter können haben fast Fach- bzw.
Spezialwortschatzcharakter, denn es wurden in dieser Zeit sehr viele neue Termini
eingeführt, die nur schlecht bzw. gar nicht in andere Sprachen übersetzt werden können und
oft auch gar nicht übersetzt werden wollen. Der (italienische) Lehnwortbenutzer distanziert
sich durch die Verwendung des deutschen Ausdrucks auch indirekt auch von den Gräueltaten,
die im Nationalsozialismus begangen worden sind. Eine Übersetzung wäre schon fast eine
Rechtfertigung. Mit deutschen Ausdrücken ist also nicht selten eine bestimmte
geistesgeschichtliche, ideologische Haltung verbunden. Wie schon Petralli sagt, muss der
Status der deutschen Sprache im Hinblick auf die belastende Vergangenheit erst rehabilitiert
werden (vgl. Petralli 1996: 107f).
• Anschluss m. – „una ‚anschluss’ austriaco-tedesco’“ Annexion Tirols an das Deutsche Reich (GDD1 1982, S. 64); „Dopo la proclamazione dell’Anschluss, Hitler riparte per la Germania“ (ROM2 2005, S. 73)
• Lager n. <<lager>> – “nei lager nazisti” (CA 07.09.05, S. 5) • Drittes) Reich n. <<reich>> – “il Reich” (AA 24.04.05; S. 48); “[…] della Deutsche
Volksunion, il partito-movimento dei nostalgici del Terzo Reich.“ (AA 06.03.05, S. 10); D’altronde, quando il Terzo Reich Germanico […] fece votare gli austriaci sull’Anschluss […]” (AA 18.08.05, S. 35); “tutelare gli interessi dei sudtirolesi optanti per il Reich” (AA 18.08.05, S. 35)
• Führer m. <<führer>> – “Bruno Ganz nei panni del Führer” (AA 19.04.05, S. 45) • Gauleiter m. <<gauleiter>> – „il Gauleiter del Tirolo Franz Hofer“ (AA 24.04.05, S. 48)
101 LTI = Lingua Tertii Imperii
130
• Wehrmacht f. <<wehrmacht>> – “la Wehrmacht aveva da anni aperto agli uffici di leva […]” (AA 24.04.05, S. 48)
• Deutsche Volksunion f. – „[…] della Deutsche Volksunion, il partito-movimento dei
nostalgici del Terzo Reich.“ (AA 06.03.05, S. 10) • NSDAP f. – “i suoi concetti ‘biologicamente razzisti’ attinti a piene mani dallo Nsdap”
(AA 06.03.05, S. 11) • Gestapo f. – “capo della Gestapo” (AA 21.09.05, S. 5) • Sturmabteilung (SA) f. – “Ernst Röhm e le sue Sturmabteilungen (SA)“ (ROM2 2005, S.
70) • Sturmstaffel (SS) f. - „un Sonderkommando delle SS“ (AA 23.07.05, S. 43) • Sicherheits- und Ordnungsdienst (SOD) m. – „[…] dal SOD (Sicherheits- und
Ordnungsdienst)“ (Marson1 2005, S. 113) • Luftwaffe f. – „Nel marzo 1943 desertò dalla Luftwaffe“ (AA 12.05.05, S. 41) • Fliegerabwehrkanone (Flak) f. – „le batterie della Flak (Fliegerabwehrkanone)“ (ROM1
2003, S. 243) • Sonderkommando n. – „un Sonderkommando delle SS“ (AA 23.07.05, S. 43) • Gau m. – „il primo Gau del Reich ripulito dagli ebrei“ (GDD1 1982, S. 83); “anessione
che avrebbe ‘degradato’ l’Austria da Stato a ‘Gau’” (AA 18.08.05, S. 35) • Hitler – “pangermanista hitleriana” (AA 21.08.05, S. 10) • Hitlergruß m. – “il ‘Hitlergruss’” (AA 07.12.05, S. 51) • Hitlerjugend f. – „[…] della Hitlerjugend“ (ROM1 2003, S. 194) • Volksdeutsche m. – “questi Volksdeutsche” (ROM 2003, S. 213) • Volksgruppe f. – „il territorio dei Sudeti (abitato da una Volksgruppe tedesca)” (ROM2
2005, S. 74); “Heinrich Himmler, nelle cui mani era la gestione di tutte le Volksgruppen tedesche all’estero” (ROM2 2005, S. 74)
• Volksgruppenführer m. – “Lo stesso Volksgruppenführer Peter Hofer fu nominato prefetto
della provincia.” (ROM2 2005, S. 85) • Volkssturm m. – “In provincia […] furono creati la Landwache (guardia territoriale) e gli
Standschützen, versione tirolese del Volksturm nazista.” (ROM2 2005, S. 85) • Schuldfrage f. – „se si pensa alla Schuldfrage…” Jaspers, 1946 (PCI2 1968, S. 76) • Volljuden m. - “Il documento […] riporta l’ordine di cattura dei Volljuden (ebrei da 4
generazioni)” (ROM2 2005, S. 87)
131
• Reichsdeutsche m. – „[…] dei perfetti Reichsdeutsche“ (ROM1 2003, S. 213) • Ostmark f. – “In gran parte essi furono accolti nell’Ostmark (Austria).” (ROM2 2005, S.
76); „annessione che avrebbe ‚degradato’ l’Austria da Stato a ‚Gau’ e non più con il nome di ‘Österreich’ ma di ‘Ostmark’” (AA 18.08.05, S. 35)
• Sudetenland n. – „il Sudetenland“ (AA 18.08.05, S. 35) • Sippenhaft f. – “I parenti dei ricercati venivano arrestati e internati come ostaggi
(Sippenhaft).” (ROM2 2005, S. 90) • Putsch m.<colpo di stato> – “Proprio per l’organizzazione di un fallito putsch (Monaco
1923), Hitler fu arrestato e processato.” (ROM2 2005, S. 71); “nel luglio del 1934 tentarono un putsch, uccidendo Dollfuss” (ROM2 2005, S. 71
In das Italienische eingedrungen ist der Ausdruck ‚Anschluss’, der die Annexion Österreichs
bzw. Tirols an das Großdeutsche Reich meint. Im Italienischen wird jedoch der ursprünglich
maskuline Artikel interferenzbedingt feminin (vgl. ‚l’annessione’) und die deutsche
Anfangsmajuskel wird nur bei Delle Donne zugunsten der italienischen Kleinschreibung
aufgegeben. Dafür lässt Romeo die Anführungszeichen weg.
Vollständig integriert ist das häufig vorkommende ‚il lager’, das im Italienischen einen
maskulinen anstelle des ursprünglich neutralen Artikels erhält. Ebenfalls integriert und im
Fremdwörterbuch verzeichnet ist ‚il (Terzo) Reich’ (‚reich’ dort kleingeschrieben). Aus dem
ursprünglich neutralen Substantiv ‚das (Deutsche) Reich’ wird bei der Entlehnung ins
Italienische ein Maskulinum. Beim Ausdruck ‚il Terzo Reich’ handelt es sich um eine
Lehnübertragung, da nur ein Glied, nämlich das Zahlwort, übersetzt wurde. Auch ‚il
Führer’, ‚il Gauleiter’ und ‚la Wehrmacht’ sind bereits in den Fremdwortschatz
aufgenommene Lehnwörter, werden dort aber mit Anfangsminuskel angeführt.
Eigennamen-, bzw. Akronymübernahmen sind ‚la Deutsche Volksunion’ und ‚lo [sic!]
NSDAP’ (Artikel wird interferenzbedingt maskulin: ‚il partito’), genauso wie ‚la Gestapo’, ‚le
Sturnmabteilungen (SA)’ (kursiv geschrieben)‚la SS’, ‚il SOD (Sicherheits- und
Ordnungdienst)’, ‚la Luftwaffe’, ‚la Flak (Fliegerabwehrkanone)’ und ‚il Sonderkommando’.
Das Deutsche Reich wird in ‚Gaue’, d.h. bestimmte Gebiete bzw. Verwaltungsbezirke
unterteilt. Auch im Italienischen taucht dieser Ausdruck im Zusammenhang mit dem
Nationalsozialismus auf, wird dort aber nicht immer als volles Lehnwort, sondern auch als
Zitatwort (mittels Setzen der Anführungszeichen) gebraucht.
Komposita mit dem Eigennamen ‚Hitler’ als Determinans werden ebenfalls entlehnt, so z.B.
‚il ‚Hitlergruss’’ (Zitatwort) oder ‚la Hitlerjugend’. Interessant ist, dass der Name ‚Hitler’ im
132
Italienischen sogar an indigene Wortbildungsmuster angepasst wird und durch das Anhängen
des adjektivischen Suffixes –iano/ iana ein denominal gebildetes Adjektiv wird: ‚hitleriana’.
Auch mit dem Substantiv ‚Volk’ als Basis werden im Deutschen zahlreiche Komposita
gebildet, die auch in den italienischen Wortschatz eindringen, so z.B. ‚i Volksdeutsche’
(kursiv, Zitatwort), ‚la Volksgruppe’, ‚il Volksgruppenführer’ oder ‚il Volkssturm’ (beide
kursiv).
Der Begriff ‚Schuldfrage’ stammt aus der Philosophie der unmittelbaren Nachkriegszeit,
genauer aus dem Werk Jaspers. Im angeführten Beleg wird er als Zitatwort verwendet, da er
kursiv geschrieben ist. Kursiv gesetzt oder anderweitig kommentiert und damit auch noch
nicht als volle Lehnwörter ins Italienische integriert sind auch die Ausdrücke ‚i Volljuden’, ‚i
Reichsdeutsche’ und ‚l’Ostmark’. Das ‚Sudetenland’ ist als Orts- bzw. Gebietsbezeichnung
jedoch ohne weitere Kommentierung übernommen worden.
Ein für das nationalsozialistische Spezialvokabular tyischer Ausdruck ist ‚die Sippenhaft’, bei
Romeo als kursiv geschriebenes, in Klammern gesetztes und hinter der italienischen
Erklärung folgendes Zitatwort wiedergegeben. Für den ‚Putsch’ der im Beleg klein- und
kursiv geschrieben wird, gäbe es zwar die italienische Entsprechung <colpo di stato>, der
deutsche Ausdruck wird dem italienischen jedoch vorgezogen, weil es im Kontext um
Deutschland und den Sturz Hitlers geht.
10.2.7. Begriffe aus Kultur und Geisteswissenschaften
Riedmann bemerkt im Jahr 1972: „Die deutsche Volksgruppe entwickelt im Bereich der
Kultur eine beachtliche Tätigkeit (Konzerte, Theater, Vorträge, Ausstellungen, Zeitschriften
u.a.).“ (Zitat Riedmann 1972: 117)
Während für die italienischen Entlehnungen in der deutschen Sprache gilt, dass die
„Sprachliche[n] Übernahmen und Lehnübersetzungen […] sich fast ausschließlich auf
Bezeichnungen kultureller Einrichtungen [beziehen]“, und „ganz selten die Welt der Kultur
im engeren Sinne betreffen“ (Zitat Riedmann 1972: 117), gibt es in der italienischen Sprache
neben den Namen kultureller Einrichtungen sehr wohl deutsche Entlehnungen aus der Welt
der Kultur im engeren Sinne, und zwar aus den Bereichen Musik, Literatur, Philosophie,
Sprachwissenschaft, Bildung und den Medien.
133
Kulturelle Einrichtungen • (Südtiroler) Kulturinstitut n. – „il Kulturinstitut“ (19.04.05, S. 24); „[…] all’Haus der
Kultur di Bolzano, su invito del Südtiroler Kulturinstitut“ (CA 15.09.05, S. 9) • Haus der Kultur n. - „[…] all’Haus der Kultur di Bolzano, su invito del Südtiroler
Kulturinstitut“ (CA 15.09.05, S. 9); „alla Haus der Kultur“ Branzoll (AA 06.01.05, S. 25) • Waltherhaus n. – „Bolzano, alla Waltherhaus“ (AA 15.09.05, S. 41) • Kurhaus n. – “di fronte al Kurhaus” Meran (AA 18.03.05, S. 34); i locali del Kurhaus“
(AA 04.12.05, S. 29) • Bürgerhaus n. – “Nella Bürgerhaus” Tramin (AA 06.01.05, S. 25) • Ballhaus n. – „la Ballhaus“ Neumarkt (AA 29.03.05, S. 25) • Haus Unterland n. – „alla Haus Unterland“ Neumarkt (AA 19.04.05, S. 28) • Haus der Vereine n. – „presso la Haus der Vereine“ Auer (AA 13.03.05, S. 29) • Vereinshaus n. – „presso la Vereinshaus di Penone“ (AA 03.04.05, S. 33) • Kolpinghaus n. <casa Kolping> - „la Kolping Haus“ (AA 17.08.05, S. 17) • Freies Theater (Bozen) n. – „la compagnia bolzanina Freies Theater“ (AA 19.04.05, S.
25); „il Freies Theater di Bolzano porta in scena il ‚Lenz’ di Büchner“ (AA 19.04.05, S. 25)
• Südtiroler Freilichtspiele Unterland f. – “l’associazione teatrale ‘Südtiroler Freilichtspiele
Unterland’” (AA 05.01.05, S. 26) • Theater in der Altstadt n. – „nel ‚Theater in der Altstadt’“ Meran (AA 19.04.05, S. 32) • Heimatbühne f. – „L’Heimatbühne di Ora“ (02.12.05, S. 28) • Südtiroler Künstlerbund m. –“Helga von Aufschnaiter, presidentessa del Südtiroler
Künstlerbund” (AA 01.07.05, S. 22) • Südtiroler Autorenvereinigung f. – „tra i fondatori dell’associazione culturale ‚Südtiroler
Autorenvereinigung’“ Sepp Mall (AA 24.07.05,S. 47) Musik • Bürgerkapelle f. – “… della Bürgerkapelle” Tramin (AA 21.07.05, S. 24) • Böhmische f. – “La Boemische di Nova Levante” (AA 22.05.05, S. 41); “[…] dalla
Altböhmische di San Michele” (AA 21.07.05, S. 25)
134
• Philharmoniker m. – “i Berliner Philharmoniker” (AA 13.03.05, S. 53); „…dei Wiener Philharmoniker“ (AA 17.10.05, S. 39)
• Bläsergruppe f. – „…della Bläsergruppe di Egna“ (AA 02.09.05, S. 26); “si esibirà il
Bläsergruppe della banda musicale di Salorno” (27.04.05, S. 30) • Musikkapelle f. <banda musicale> – “…della Musikkapelle di Sinigo” (01.11.05, S. 28) • Christlicher Sängerbund m. – “un’esibizione del Christlicher Sängerbund” (AA 27.04.05,
S. 30) • Kammerchor Leonhard Lechner m. – „Alla stessa ora a Bolzano […] il Vocal Total
Kammerchor assieme al coro dell’Istituto magistrale federale e dal Kammerchor Leonhard Lechner“ (08.05.05, S. 25)
• Männergesangsverein Bozen m. – „concerto del Männergesangsverein Bozen“ (AA
05.05.05, S. 38) • Lied n. <<lied>> – „tradizione del Lied monodico“ (AA 29.06.05, S. 37); „Tutti 24 lieder
di ‚Des Knaben Wunderhorn’“ (AA 08.07.05, S. 41) • Hackbrett n. – “l’hackbrett (una cetra)” (AA 03.07.05, S. 29) • Alphorn n. <<alphorn>> – “l’alphorn (il corno alpino)” (AA 03.07.05, S. 29) • Minnesang m. <<minnesang>> – “di fronte al Minnesang in senso stretto” (AA 29.06.05,
S. 37) • Minnesänger m. <<minnesänger>> – “del Minnesänger” Walther von der Vogelweide
(ROM1 2003, S. 142) • Jodler m. <<jodler>> – “Gli Jodler di miss Anneliese” (AA 28.12.05, S. 32); “gli Jodler”
(RICHE 2000, S. 80); “…allo Jodeln” (RICHE 2000, S. 79) Literatur • Zeitdichtung f. – „la ‚Zeitdichtung’, poesia ‘legata ai tempi’” (PCI1 1968, S. 328) • Heimatdichtung f. – “la ‘Heimatdichtung’ o ‘poesia di paese’” (PCI1 1968, S. 328) • Weltliteratur f. – “la Weltliteratur” (PCI1 1968, S. 329) • Bildungsroman m. <<bildungsroman: romanzo che racconta un processo di acquisizione
da parte del protagonista attraverso una serie di esperienze formative, della maturità intellettuale, morale o spirituale102>> – “i Bildungsromane” (PCI1 1968, S. 440)
102 DeMauro 2001: 44
135
Sprachwissenschaft • Mittelhochdeutsch n. – „il tedesco medioevale ossia il Mittelhochdeutsch“ (PCI2 1968, S.
17) • Hochdeutsch(e) n. – „Io parlo Hochdeutsch da sempre“ (AA 31.08.05, S. 10) • Umgangssprache f. <<umgangssprache: uso linguistico corrente, colloquiale, in uso in una
comunità103>> – „Umgangssprache…“ (ROM 2003, S. 362) • Ablaut m. – „Ablaut“ Linguistik (PISCI 1986, S. 52) • Umlaut m. <<umlaut>> <metafonia> - „Umlaut“ (PISCI 1986, S. 52), sogar in der
Verbalform „umlautizzare“ Philosophie • Dasein n. – “Il mondo del dasein” Heideggers Philosophie (PCI2 1968, S. 31) • Kategorischer Imperativ m. – „imperativo categorico“ Kant (PISCI 1986, S. 53) • Mehrwert m. – “plusvalore” (PISCI 1986, S. 53) • Übermensch m. – „superuomo“ Nietzsche (PISCI 1986, S. 53) Bildung • Bildung f. – „la Bildung“ Pädagogik, Jaspers (PCI1 1968, 447) • Kulturwissenschaft f. – “…delle Kulturwissenschaften” (PCI1 1968, S. 291) • Kulturgeschichte f. – „kulturgeschichte“ (PISCI 1986, S. 54) Medien • Südtiroler Wirtschaftszeitung f. – „L’invito lanciato dalla Südtiroler Wirtschaftszeitung“
(AA 04.06.05, S. 14) • Tageszeitung f. – „[…] dal Tageszeitung“ (AA 03.04.05, S. 27) • Südtiroler Rundfunk m. – “direttore dell’emittente Südtiroler Rundfunk” Gabriel Torggler
(AA 17.08.05, S. 24)
103 DeMauro 2001: 575
136
Im untersuchten Korpus konnten einige kulturelle Einrichtungen deutscher Sprache in der
italienischen Sprache ausfindig gemacht werden. Zunächst wäre da das ‚Südtiroler
Kulturinstitut’, dem im Italienischen anstelle des sächlichen Artikels ein maskuliner zugeteilt
wird. Zusammensetzungen mit dem Substantiv ‚Haus’ als Determinatum, welches im
Deutschen ein Neutrum ist, werden bei der Übernahme in die Replikasprache mit Ausnahme
von ‚il Kursaal’ feminin, so z.B. ‚l’/la Haus der Kultur’, ‚la Waltherhaus’ oder ‚la Haus der
Vereine’. Der Genuswechsel ist sicherlich interferenzbedingt erfolgt, denn im Italienischen ist
<casa> feminin. Als Lehnübertragung einzustufen ist ‚la compagnia bolzanina Freies
Theater’, auch ‚il Freies Theater di Bolzano’ genannt – letzteres aus Interferenzgründen
maskulin (<il teatro>). Als Zitatworte realisierte - weil unter Anführungszeichen gesetzt und
kommentierte - Eigennamen wurden ‚l’associazione teatrale ‘Südtiroler Freilichtspiele
Unterland’ ‚ und ‚il ‚Theater in der Altstadt’ übernommen. Weitere deutsche, kulturelle
Einrichtungens- bzw. Vereinigungssnamen, die in die italienische Sprache eingedrungen sind,
sind ‚il Südtiroler Künstlerbund’, ‚l’associazione culturale ‚Südtiroler Autorenvereinigung’’
und ‚l’Heimatbühne’.
Aus dem Bereich der Musik wurden viele Bezeichnungen von Musikgruppen und Chören
unkommentiert und artikeltechnisch unverändert ins Italienische übernommen, so z.B. ‚la
Boehmische’ (durch ‚oe’ ans Graphiesystem des Italienischen angepasst), ‚il
Männergesangsverein Bozen’ oder ‚il Kammerchor Leonhard Lechner’. Die Ausdrücke ‚il
Lied’ (inkonsequent großgeschrieben und mit maskulinem Artikel anstelle des neutralen),
‚l’alphorn’, ‚il Minnesang’, ‚il Minnesänger’ und ‚lo Jodler’ sind bereits im Fremdwortschatz
aufgenommen und integriert, werden aber im Südtiroler Italienisch größtenteils
großgeschrieben. Aus dem Instrumentalbereich wurde ‚l’hackbrett’ entlehnt. Es wird im
Beleg kleingeschrieben, kommentiert und von einem vermutlich feminen Artikel begleitet.
Aus der Sparte Literatur wurden als kommentierte und unter Anführungszeichen gesetzte
Zitatworte die Begriffe ‚la Zeitdichtung’und ‚la Heimatdichtung’ übernommen. Diese sind
einerseits synthetischer als die italienischen Umschreibungen und andererseits
prestigeträchtiger, da Deutschland als „Land der Dichter und Denker“ gilt. Das Deutsche übt
vor allem im 19. und 20. Jahrhundert einen starken Einfluss auf die italienische Sprache aus.
Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Entwicklung der Wissenschaft und
der Philosophie im deutschsprachigen Raum zu dieser Zeit eine Vorreiterrolle einnimmt (vgl.
Piscitelli 1986: 51). Aus dieser Zeit stammt auch das bereits im italienischen Wortschatz
vollständig integrierte Wort ‚il Bildungsroman’ und vermutlich auch ‚la Weltliteratur’,
137
welches ebenfalls kompakter und sprachlich ökonomischer ist als die italienische
Umschreibung.
Auch die Sprachwissenschaft blühte im 19./20. Jahrhundert. Es wurden fachsprachliche
Begriffe wie ‚il Mittelhochdeutsch’, die bereits integrierten Lehnwörter ‚la Umgangssprache’
und ‚l’Umlaut’ (das sogar in der desubstantivierten Verbalform ‚umlautizzare’ vorkommt,
wobei die Endung –are aus der ersten Konjugationsklasse, die im Italienischen die
produktivste ist, an das Stammmorphem angehängt wird) und ‚l’Ablaut’ übernommen. Der
Begriff ‚Hochdeutsch’ wurde ebenfalls entlehnt.
In der Sprache der Philosophie entdeckt man einige Lehnübersetzungen deutschen
Ursprungs auch im Italienischen. Laut Piscitelli hatte die deutsche Philosophie des 19. und
20. Jahrhunderts (Kant, Freud, Marx, Fechner, Nietzsche) eine starke Ausstrahlung auf die
internationale Geisteswissenschaft. So heißt etwa der kant’sche ‚Kategorische Imperativ’
‚l’imperativo categorico’, der marx’sche ‚Mehrwert’ ‚il plusvalore’ der nietzsche’
‚Übermensch’ ‚il superuomo’ (vgl Piscitelli 1986: 53). Aus dem philosophischen Werk des
Existentialisten Heidegger stammt der Begriff ‚il Dasein’.
Aus dem Bereich Bildung im weitesten Sinne kommen die Begriffe ‚la bildung’ im
jasper’schen Sinne, ‚la Kulturwissenschaft’ und ‚kulturgeschichte’, hier allesamt zitathaft
verwendet.
Im Bereich Medien sind als Eigennamenübernahmen ‚la Südtiroler Wirtschaftszeitung’ und
‚il Tageszeitung’ (interferenzbedingt maskulin, weil <il giornale>) und ‚il Südtiroler
Rundfunk’ zu verzeichnen.
10.2.8. Südtiroler Kultur und Brauchtum
Als Bedürfnislehnwörter und somit als sachnotwendige Übernahmen einzustufen sind die
Ausdrücke aus dem Bereich Brauchtum/Südtiroler Kultur. Da die deutsche Sprachgruppe in
Südtirol eine andere Kultur als die italienische hat, werden im Italienischen die sachlichen
Innovationen aus dem fremden Kulturkreis mit den jeweiligen Bezeichnungen übernommen.
Auch Eigennamenentlehnungen lassen sich feststellen.
• Stube f. – “[…] stando […] al caldo di una Stube” (AA 30.09.05, S. 37) • Schützen m. <tiratori/ cappelli piumati> – „i Schützen, istituiti da Massimiliano I con il
Landlibell del 1511” (Marson2 2005, S. 115); „i ‚Landesschützen’, cioè gli Schützen territoriali“ (Hye 2002, S. 133)
138
• Standschützen m. – “l’adunata degli Standschützen” (AA 07.12.05, S. 28) • Scheibenschützen m. – „gli ‚Scheiben-Schützen’ (tiratori al bersaglio)“ (Hye 2002, S.
133) • Landesschützen m. „i ‚Landesschützen’, cioè gli Schützen territoriali“ (Hye 2002, S. 133) • Schützenhauptmann m. <capo/capogruppo dei tiratori > – “l’Hauptmann degli Schützen”
(AA 06.01.05, S. 25) • Landeskurat m. – „da parte del ‚Landeskurat’ Paul Rainer“ (AA 21.02.05, S. 12) • Sandwirt m. – “il signor Andreas Hofer, Sandwirth [sic!]” (Hye 2002, S. 57); “casa natale
del ‘Sandwirt’ Andreas Hofer” (Hye 2002, S. 167) • Egetmannumzug m. – “la sfilata dell’Egetmann” Tramin (AA 08.02.05, S. 28) • Egetmannhansl m. – “l’Egetmannhansl, un pupazzo in giacca nera, cilindro e guanti
bianchi” (AA 04.02.05, S. 28) • Ausschnöller m. – “[…] dagli ‘Ausschnoeller’ gli uomini della frusta” (AA 04.02.05, S.
28) • Schnappvie(c)h n. <fauci sbatacchianti (plur.)/ morsicatore> – “le Schnappieh [sic !] o
‘Wudele’“ (AA 04.02.05, S. 28); “gli Schnappviecher o morsicatori” (RICHE 2000, S. 65) • Burgl f. – “le Burgl” (AA 04.02.05, S. 28) • Zusslrennen n. – “lo Zusslrennen, una corsa sfrenata di streghe mascherate” (RICHE
2000, S. 65) • Törggelen n. <castagnata> - “Torna la festa del Törggelen” (AA 24.09.05, S. 40); “Le
castagne […] abbondano nel corso dell’autunno, e non possono mancare a un Torggelen definito come tale” (AA 30.09.05, S. 36); “Il Torggelen è la sintesi di tre diverse culture: delle vite e del vino, del buon bere e dell’ospitalità.” (AA 30.09.05, S. 36)
• Buschenschank m. – „semplici ma simpatici Buschenschank“ (AA 31.03.05, S. 32); „i 171
Hofschank e i 97 Buschenschank” (CA 13.09.05, S. 7); “Dal torchio e dal Buschen, com’è facilmente comprensibile, è nata l’accoppiata dei Torggelen da celebrare e festeggiare nei Buschenschank.” (AA 30.09.05, S. 37)
• Sternsinger m. <cantori della stella> – “Solidarietà grazie agli Sternsinger” Schlagzeile
(AA 08.02.05, S. 26) • Verdienstmedaille f. <medaglia al merito> – “[…] ricevere dal Land Tirol il premio
‘Verdienstmedaille’” Claudio Menapace (AA 13.08.05, S. 17) • Nikolaus m. – “tutti i Nikolaus ed i Krampus” (AA 30.11.05, S. 31) • Krampus m. – “i Krampus non hanno mai fatto male a nessuno.” (AA 30.11.05, S. 31)
139
• Knecht Ruprecht m. – “spesso aiutato dal Knecht Ruprecht” (AA 30.11.05, S. 31) • Kasperl(e) m./n. – Lo spettacolo di burattini ‘Kasperle aiuta Babbo Natale’” (AA
22.12.05, S. 28) • Hirtenspiel n. – “un Hirtenspiel, un piccolo dramma in dialetto, in cui i pastori narrano
l’avventura occorsa loro con l’annuncio dell’angelo e la visita della grotta, ov’è nato il Redentore.” (RICHE 2000, S. 40)
• Herz-Jesu-Bundeslied n. – “Lo Herz-Jesu-Bundeslied” Auf zum Schwur, Tirolerland
(Cardini 1998, S. 71) • Herrgottswinkel m. – “il Herrgottswinkel, l’angolo del Signore sopra alla tavola” (RICHE
2000, S. 22) • Wetterkreuz n. – “una Wetterkreuz, una gran croce con due o anche tre bracci orizzontali,
messa per protegger il paese o le case sottostanti dal tempo cattivo, dal fulmine o dalla grandine” (RICHE 2000, S. 31)
• fensterln n. – “Fensterlen, andare a finestre” (RICHE 2000, S. 104)
Ein im Fremdwörterlexikon von DeMauro nicht verzeichnetes, aber aus Frequenzgründen
dennoch in die italienische Standardsprache eingegliedertes Fremdwort ist der Ausdruck ‚la
Stube’, mit dem in Österreich und auch in Südtirol ein meist getäfelter, rustikaler
Aufenthaltsraum in einer Wohnung gemeint ist104. Im Bereich des Tiroler Schützenwesen
gibt es zahlreiche Entlehnungen. Zunächst gibt es einmal die ‚Schützen’- ein wichtiger
historischer Verein des Südtiroler Brauchtums seit ihrer Gründung im Jahre 1511. Von den
Italienern werden sie auch oft - meist um eine stilistische Abwechslung im Text zu erzielen-
<tiratori> oder scherzhaft-ironisch <cappelli piumati> genannt, weil sie als Hutschmuck
traditionsgemäß aufgesteckte Federn tragen. Während die Schützen früher militärisch aktiv
waren und vor allem in der Zeit der napoleonischen Kriege um 1800 rund um den Tiroler
Nationalhelden Andreas Hofer ihre Blütezeit erlebten, haben sie heutzutage mehr eine
repräsentative, brauchtumserhaltende Funktion inne. Von einigen Seiten werden provokante
Kommentare laut, die Schützen seien nur mehr ein anachronistisch und nostalgisch
anmutender Trachtenverein, der als Brutstätte für rechtsradikales Gedankengut dienen würde.
Dies beklagt unter anderem die italienische Opposition im Südtiroler Landtag. In
italienischsprachigen Zeitungsberichten und Geschichtsbüchern wird meist der deutsche
Ausdruck verwendet. Man spricht von ‚gli Schützen’ – artikeltechnisch an die Regeln der
Zielsprache angepasst, häufig vorkommend und aus diesem Grund auch vollständig in die
104 vgl. VWB 2004: 769
140
Replikasprache integriert (im oben stehenden Beleg wird auch von ‚i Schützen’ gesprochen).
Die Verwendung der deutschen Bezeichnung passiert einerseits sicher deshalb, weil man die
ideologische Ausrichtung des Vereins unterstreichen will, andererseits, um den Gegensatz
Deutsche-Italiener zum Ausdruck zu bringen, also eine Art Schwarzweißmalerei. Es gibt
verschiedene Schützengruppen: Von den ‚Stand-, Scheiben-, und Landesschützen’, die oft
auch kommentiert und unter Anführungszeichen angegeben werden (z.B.
‚Scheibenschützen’� ‚tiratori al bersaglio’) über den ‚Schützenhauptmann’, der im
Italienischen am ehesten die Entsprechung <capo/capogruppo dei tiratori> hätte, und den
‚Landeskurat’ hin zum ‚Sandwirt’ Andreas Hofer.
Ein anderes Gebiet, aus dem notwendigerweise Entlehungen erfolgen, ist das des Tiroler
Faschingsbrauchtums. So gibt es beim traditionellen Traminer ‚Egetmannumzug’ (im Beleg
als syntagmatische Lehnübertragung ‚la sfilata dell’Egetmann’ realisiert) neben der
Hauptfigur, dem ‚Egetmannhansl’ (mit nachfolgender Erklärung), den ‚Ausschnöllern’ (‚gli
Ausschnoeller’: Umlaut <ö> wird an die italienische Graphie angepasst und zu <oe>. Der
Ausdruck ist unter Anführungszeichen gesetzt und der maskuline Artikel passt sich an die
italienische Anfangslautregelung an) auch die ‚Schnappviecher’ (einmal mit feminenen,
einmal mit maskulinem Artikel, da das deutsche Wort im Neutrum steht) und die ‚Burglen’.
Im Italienischen gäbe es für die ‚Schnappviecher’ theoretisch Synonyme, nämlich <fauci
sbatacchianti (plur.)/ morsicatore>, die aber nicht so urig wie die deutsche Bezeichnung
klingen und nicht so treffend sind. All diese Faschingsfiguren sind Bezeichnungs- bzw.
Eigennamenentlehnungen. Ein anderer Faschingsbrauch ist das ‚Zusslrennen’ (mit
maskulinem Artikel ‚lo’ und kursiv gesetzt), das im obigen Beleg mit einer anschließenden
Erklärung ergänzt wird. Das Kursivsetzen und die Kommentierung der Ausdrücke
unterstreichen dass es sich bei den Entlehnungen um Eigennamen bzw. kulturfremde
Ausdrücke handelt.
Typisch für die Tiroler Kultur ist das ‚Törggelen’, ein im Herbst stattfindendes Gelage mit
Kastanien und Most bzw. jungem Wein105, für das es im Italienischen das Pendant
<castagnata> gäbe. ‚Törggelen’ - im Italienischen auch ‚Torggelen’ geschrieben - klingt
jedoch einerseits viel heimeliger und andererseits auch exotischer. Der ursprünglich neutrale
Artikel wird bei der Entlehung in die Replikasprache maskulin, der Umlaut <ö> an die
Zielsprache angepasst und mit <o> wiedergegeben. Das Törggelen findet oft in den so
genannten ‚Buschenschänken’ statt. Ein ‚Buschenschank’ ist ein Lokal, in dem Eigenbauwein
105 VWB 2004: 795
141
aus der letzten Lese ausgeschenkt wird106. Im italienischen Plural bleibt das Wort bei der
Übernahme unverändert und im Singular: ‚i Buschenschank’.
Ein alter Brauch ist auch jener der ‚Sternsinger’ und steht im Italienischen den <cantori della
stella> gegenüber. In der Belegstelle taucht der deutsche Ausdruck in einer Schlagzeile auf
und hat zunächst die Funktion, Aufmerksamkeit zu erregen. Wahrscheinlich erfolgte die
Angabe des Fremdlexems auch aus sprachlicher Ökonomie, da das deutsche Wort - als
Kompositum realisiert – kürzer und synthetischer ist als die analytisch-syntagmatische
italienische Entsprechung.
Eine Tiroler Auszeichnung ist die ‚Ehrenmedaille’, die bis dato nur deutschsprachigen
Südtirolern überreicht wurde. Aus diesem Grund wird auch die deutsche Bezeichnung und
nicht die italienische Übersetzung <medaglia al merito> angeführt.
Eigennamenübernahmen sind die weihnachtlichen Figuren ‚Krampus’ bzw. ‚Knecht
Ruprecht’ und der ‚Nikolaus’, der im Italienischen <San Nicolò> hieße. Eine weihnachtliche
Theaterform ist das ‚Hirtenspiel’, hier als kommentiertes Zitatwort mit maskulinem Artikel
angeführt. Die Hauptfigur des Kasperltheaters, der ‚Kasperl’ ist eine
Bezeichnungsübernahme, ebenso wie das ‚Herz-Jesu-Bundeslied’ (hier als kursiv gesetztes
Zitatwort mit männlichem Artikel ‚lo’, weil das stumme ‚H’ im Italienischen stimmlos ist),
der ‚Herrgottswinkel’ und das ‚Wetterkreuz’ (kommentiert und kursiv geschrieben). Das
Neutrum ‚Wetterkreuz’ wird im Italienischen feminin und lautet ‚la Wetterkreuz’.
Ein im süddeutschen Sprachraum verbreiteter Brauch ist ‚fensterln’– im Italienischen als
Substantivierung und kommentiert verwendet.
10.2.9. Rechtswesen
Aus der juridischen Fachsprache werden einige wenige Begriffe entlehnt, die zumeist aus
dem österreichischen, deutschen oder lokalen Rechtssystem stammen, in der italienischen
Rechtssprache aber auf kein Äquivalent stoßen und deshalb als Bedürfnislehnwörter
eingestuft werden können. Bei Frassoldati und Romeo werden die deutschen Fremd- bzw.
Lehnwörter durch Kursivsetzung graphisch hervorgehoben. Damit unterstreichen sie sowohl
den Fremdlexemcharakter als auch die Zugehörigkeit der Begriffe zum juridischen
Fachwortschatz. In den folgenden Belegen geht es vorwiegend um das Erbrecht.
106 VWB 2004: 156
142
• Anerbe m. – “Il geschlossener Hof è l’unità fondiario-agricola che può essere trasmessa ad un solo erede (Anerbe).” (ROM2 2005, S. 21); “Ed allora il sistema dell’Anerbe si pone necessariamente in contrasto con il nostro diritto successorio comune” (FRASS 1963, S. 25); “l’Anerbe, cioè l’erede per eccellenza, era soltanto il rappresentante della famiglia.” (FRASS 1963, S. 23)
• Anerbenrecht n. – “In Austria, come in tutti i paesi germanici e nordici, l’Anerbenrecht
costituisce una diffusa tradizione” (FRASS 1963, S. 16); “Perciò in Germania non esiste più un sistema unitario; taluni Länder conservano l’Anerbenrecht” (FRASS 1963, S. 18)
• Bundesanerbengesetz n. – “La legge federale 21 maggio 1958, n. 106
(Bundesanerbengesetz)“ (FRASS 1963, S. 16) Österreich • Weichendenerbe m. – „sono riconosciute particolari facilitazioni per liquidare i coeredi
esclusi (detti coeredi cedenti: Weichendenerben)“ (FRASS 1963, S. 25) • Geschlossener Hof m. <maso chiuso> - “Il geschlossener Hof è l’unità fondiario-agricola
che può essere trasmessa ad un solo erede (Anerbe).” (ROM2 2005, S. 21) • Grundverkehrsgesetz n. – „il trasferimento dei fondi è soggetto al controllo di una
apposita commissione (Grundverkehrsgesetz […] ) (FRASS 1963, S. 17) Österreich • Reichserbhofgesetz n. – “scomparve con la legge nazista del 29 settembre 1933
(Reichserbhofgesetz).” (FRASS 1963, S. 17) • Reichsumlegungsordnung f. – “Una legge generale […] completata dal regolamento del
16 giugno 1937 (Reichsumlegungsordnung).” (FRASS 1963, S. 18) • Höfeordnung f. – “In quella sotto controllo britannico fu emanata la Höfeordnung del 24
aprile 1947” (FRASS 1963, S. 17)
Die Ausdrücke ‚Anerbe’ (bäuerlicher Alleinerbe, Hoferbe (DudenUW 2001: 130),
‚Anerbenrecht’, ‚Bundesanerbengesetz’, ‚Weichendenerbe’, ‚geschlossener Hof’ (mit
italienischer Entsprechung <maso chiuso>) und ‚Grundverkehrsgesetz’ stammen aus der
österreichischen bzw. lokalen, die Begriffe ‚Höfeordnung’, ‚Reichserbhofgesetz’ und
‚Reichsumlegungsordnung’ aus der deutschen Rechtssprache. Die letzten beiden Wörter
stammen aus der Sprache des nationalsozialistischen Rechtssystems.
10.2.10. Sport, Spiel und Freizeit
Die Germanismen aus dem Bereich Sport sind nicht sehr zahlreich. Anzuführen sind
folgende:
143
• Drittel n. <terzo> – „Nell’ultimo drittel il Merano attacca“ Hockey (29.10.05, S. 39); “al 4’31 del terzo drittel” (AA 03.01.05, S. 23); “si mordano le mani i pusteresi che dopo aver chiuso in vantaggio il primo tempo, subito la rimonta dell’Alleghe negli altri due drittel” (AA 09.01.05, S. 38)
• Schuss m. <<schuss: colpo, slancio nello sci107 >> – “lo schuss finale della Saslong”
Kristian Ghedina (AA 12.01.05, S. 22) • Nationalmannschaft f. – “La preparazione della Nationalmannschaft” dt.
Fußballmannschaft, Vorbereitung auf die Fußball-WM (AA 31.08.05, S. 30) • Turner m. – “[…] dal pangermanismo del movimento dei Turner (ginnasti)” (ROM3
2001, S. 27) • Turnfest n. – “piccole Turnfeste” (ROM3 2001, S. 27) • Turnverein m. – “Le società ginniche (Turnvereine) tirolesi” (ROM2 2005, S. 26); “Verso
la fine dell’Ottocento quasi tutti i Turnvereine espulsero i soci ‘non ariani’” (ROM2 2005, S. 27)
• Turnbewegung f. – “Lungo l’Ottocento si era diffuso in tutto il mondo tedesco il
‘movimento della ginnastica’ (Turnbewegung).” (ROM2 2005, S. 26) • Sportverein Lana m. – „La formazione locale ha prevalso […] sull’ostica formazione dello
Sportverein Lana“ (AA 30.04.05, S. 27) • Sporthilfe f. - “altro contributo della Maratona alla Sporthilfe per complessivi 6.500 euro”
(AA 04.06.05, S. 35) • Bauernreiten n. – „Agli inizi del secolo si dotò di un moderno campo sportivo, in cui si
poteva assistere anche a manifestazioni ippiche, sia internazionali che popolari (Bauernreiten, ‘corse contadine’).” (ROM2 2005, S. 26)
• Lutz m. – „anche ieri Carolina è caduta nel secondo salto, questa volta il triplo
lutz.“Drehsprung beim Eiskunstlauf, benannt nach dessen österreichischem Erfinder Alois Lutz (AA 30.01.05, S. 46); “ha proseguito il programma senza alcuna esitazioni sul doppio Axel, nel triplo Salchow e nel triplo Lutz.” (AA 30.01.05, S. 46)
• Rittberger m. <<rittberger>> – „il triplo Rittberger“ Eiskunstlauffigur, benannt nach dem
Erfinder Werner Rittberger (AA 28.01.05, S. 44)
Folgende Germanismen aus dem Sportbereich konnten leider nicht durch Beispiele aus dem
für diese Arbeit angelegten Korpus untermauert werden, seien der Vollständigkeit halber aber
dennoch hier angeführt:108
107 DeMauro 2001: 469 108 vgl. Parole dello Sport: http://www.sapere.it/tca/MainApp?srvc=vr&url=/6/c_4_x
144
• Zickzack m. – “Zigzag” z.B. im Ski-Slalom109 • Vorlage f. – Ski, nach vorne geneigte Körperhaltung Spiele • Watten n. – “un torneo di ‘Watten’, il popolare gioco di carte con le ghiande e i palloni”
(AA 13.05.05, S. 21); “Torna il Watten sotto le stelle” (AA 06.06.05, S. 12) • Preiswatten n. <watten a premi110> – “il tradizionale ‘Preiswatten’” (AA 22.02.05, S. 27) • Volkstanzgruppe f. – “[…] è una pedina stabile del ‘Volkstanzgruppe’” (AA 19.07.05, S.
25); “esibizione della formazione ‘Volkstanzgruppe’ di Sant’Andrea” (AA 24.09.05, S. 40); “il ‘Volkstanzgruppe’” (AA 30.04.05, S. 29)
• Schuhplattler m. – “alle ore 16 il tipico ballo degli ‘Schuhplattler’ di Caerna (Velturno)”
(AA 24.09.05, S. 40); “si daranno da fare anche gli Schuhplattler” (AA 13.05.05, S. 21) • Ranggeln n. – “gli incontri di ‘Ranggeln’, ovvero la tradizionale lotta a due” (AA
13.05.05, S. 21)
Der Ausdruck ‘il drittel’ stammt aus dem Hockeysport, wo es nicht zwei Halbzeiten wie im
Fußball gibt, sondern die Spielzeit in drei Drittel aufgeteilt ist. Das Substantiv ist im
Deutschen ein Neutrum, bei Übernahme ins Italienische wird es zu einem Maskulinum.
Außerdem ist das Fremdlexem konsequent kleingeschrieben und nicht mit irgendwelchen
Kommentaren versehen, was darauf schließen lässt, dass es vollständig in das italienische
Sprachsystem integriert ist. Es hätte zwar die italienische Entsprechung <terzo>, was aber
beispielsweise im Kontext “al 4’31 del terzo drittel” (AA 03.01.05, S. 23) „al 4’31 del terzo
terzo“ hieße. Es erweist sich hier als sprachlich ökonomischer und handlicher, das deutsche
Pendant zu verwenden, denn so kann eine Wiederholung desselben Wortes innerhalb eines
Syntagmas vermieden werden.
Aus dem Skisport stammt der Begriff ‚lo schuss’, der bereits im Standarditalienischen Platz
gefunden hat. Der Artikel bleibt bei der Entlehnung ins Italienische maskulin, passt sich aber
den Regeln der Anfangslautung im Italienischen an und wird aus diesem Grund zu ‚lo’. Im
Deutschen hat ‚Schuss’ die Hauptbedeutung ‚Abschießen eines Geschosses oder Abfeuern
einer Waffe’, im Sportjargon des Skisports erhält das Lemma aber wie im Italienischen die
Nebenbedeutung ‚schnelle, ungebremste Fahrt’ (DudenUW 2001: 1413).
109 Wobei es nicht ganz ausgeschlossen ist, dass es sich bei „Zickzack“ nicht möglicherweise um einen Französismus handelt. 110 vgl: “una gara di watten a premi” (AA 14.02.04, S. 36)
145
Als ‚la Nationalmannschaft’ wird stets die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bezeichnet,
besonders seit der letzten Fußballweltmeisterschaft, die 2006 in Deutschland stattgefunden
hat. Ähnliches ist aus dem Französischen zu berichten, wo ‚la Mannschaft’ schon länger als
Bezeichnung für die deutsche Fußball-Nationalelf gebräuchlich ist. Dieser Ausdruck ist dort
analog zu der im Deutschen verwendeten Bezeichnung ‚squadra azzurra’ für die italienische
Nationalmannschaft zu sehen (vgl. Limbach 2007: 80).
Aus dem vom Nationalsozialismus vorgeschlagenem Programm zur körperlichen
Ertüchtigung der arischen Rasse stammen folgende Bezeichnungen, die jedoch nicht ins
Italienische integriert sind, da sie entweder kursivgeschrieben, in Klammern gesetzt oder
erklärt werden. Interessehalber werden sie dennoch hier angeführt: ‚i Turner’, ‚le Turnfeste’,
‚i Turnvereine’ und ‚Turnbewegung’.
Mit ‚lo Sportverein Lana’ wird ein Eigenname, eine deutsche Vereinsbezeichnung ins
Italienische übernommen, der Artikel an das phonetisch bedingte Artikelsystem angepasst.
Höchstwahrscheinlich handelt es sich hierbei um einen ausschließlich deutschsprachigen
Verein, sodass erst gar nicht nach einer italienischen Übersetzung gesucht wird.
Auch die Organisation ‚Sporthilfe’ wird als Eigenname ins Italienische Lexikon
aufgenommen und behält das weibliche Artikelgeschlecht bei: ‚la Sporthilfe’. Dadurch, dass
es sich um eine Eigennamenübernahme handelt, wird auch an der Großschreibung der
Bezeichnungen nichts verändert. Inkonsequent großgeschrieben wird hingegen der Name
‚Lutz’, mit dem eine Eiskunstlauffigur bezeichnet wird. Der Lutz ist ein Drehsprung, der nach
seinem Erfinder Alois Lutz benannt wurde- also wiederum eine Eigennamenübernahme.
Ebenso verhält es sich mit der Eiskunstlauffigur ‚Rittberger’, die nach ihrem Erfinder Werner
Rittberger benannt wurde. Das ursprüngliche Artikelgenus (maskulin) wird beibehalten. Die
Bezeichnung der Eiskunstlauffigur ist ins Italienische integriert, wird aber im oben stehendem
Beleg nicht wie im Standarditalienisch klein- sondern großgeschrieben. Kursiv geschrieben,
in Klammern gesetzt, mit einem Kommentar versehen und folglich nicht integriert ist
hingegen der Sport des ‚Bauernreiten[s]’.
Ein weiterer typischer Südtiroler Sport ist das ‚Ranggeln’, im oben angeführten Beleg leider
ohne Artikel, dafür aber mit Anführungszeichen und einer nachfolgenden Erläuterungen
versehen. Der Begriff ist großgeschrieben und scheint nicht sehr weit in das Italienische
eingedrungen zu sein.
Ein unter Südtirolern sehr beliebtes Kartenspiel ist ‚das Watten’, das im Italienischen
maskulin wird: ‚il Watten’. Mit dem Spiel wird also auch die Bezeichnung übernommen.
Infolgedessen gibt es natürlich auch keine Entsprechung im Italienischen. An der
146
Großschreibung ändert sich nichts. Manchmal wird das Wort zwar unter Anführungszeichen
gesetzt und mit einer nachfolgenden Erklärung versehen, es ist jedoch davon auszugehen,
dass zumindest der Name des Spiels den Italienern in Südtirol bekannt sein dürfte und die
Bezeichnung aus diesem Grund als integriert einzustufen ist. Auch ‚das Preiswatten’ gibt es-
allerdings nur unter Anführungszeichen und aus diesem Grund augenscheinlich nicht
integriert.
Viele Südtiroler gehören in ihrer Freizeit einer Volkstanzgruppe an. Im Italienischen hat das
Lexem ‚il Volkstanzgruppe’ den Charakter eines Eigennamens. Das feminine Substantiv wird
im Italienischen interferenzbedingt maskulin (� il gruppo). Außerdem wird es immer
großgeschrieben und unter Anführungszeichen gesetzt, was auf einen nicht sehr hohen
Integrationsgrad hinweist. Erklärungen werden jedoch keine hinzugefügt.
Ein traditioneller Südtiroler Tanz ist das ‚Schuhplatteln’. Die Tänzer bezeichnet man als ‚die
Schuahplattler’. Bei Übernahme in die Nehmersprache wird das Fremdlexem nicht immer
unter Anführungszeichen gesetzt, was eine gewisse Bekanntheit dieses traditionellen Tanzes
voraussetzt. Gemäß der Anfangslautsregelung wird das Substantiv im Italienischen vom
Artikel ‚lo/gli’ begleitet, da s + Konsonant folgt.
10.2.11. Mode
Die im Bereich der Mode vorkommenden deutschen Entlehnungen im Südtiroler Italienischen
sind Bedürfnislehnwörter, da sie mit den Gegenständen, die sie bezeichnen, übernommen
werden. Meist handelt es sich dabei um typische (Süd-)Tiroler Kleidungsstücke:
• Tracht f. – „[…] del costume popolare tipico, il ‚Tracht’ (CA 14.07.05, S. 1); “gli abiti tradizionali (i ‘Tracht’) (AA 07.12.05, S. 34); “Il Tracht, simbolo della Heimat” (CA 14.07.05, S. 1); “il ‘Meraner Miedertracht’ (costume tradizionale di Merano)” (AA 17.09.05, S. 43)
• Loden m. <<loden>> – “Noi lavoriamo con materiali tipici: dal Loden austriaco al velluto
a coste” (AA 20.02.05, S. 26) • Lodenmantel m. <mantello di loden> “Lodenmantel” (RIED 1972, S. 38) • Dirndl n. – “una sfilata di ‘Dirndln’, i costumi tipici tirolesi” (AA 04.09.05, S. 10) • Walker m. – “Walker” (RIED 1972, S. 38) • Schürze f. – “i caratteristici ‘Schürzen’, i grembiuli blu” (AA 04.09.05, S. 30)
147
• Sarner m. – “l’attenzione si è così concentrata su una donna, capelli corti e bianchi, ‘Sarner’ e gonna alle caviglie” (AA 21.02.05, S. 12)
Charakteristisch für die Tiroler Mode ist die ‘Tracht’ (feminin), die bei der Entlehnung ins
Italienische einen maskulinen Artikel erhält (‚il Tracht’). Wahrscheinlich erfolgt dies aus dem
Grund, dass die am ehesten in Frage kommende, am nächsten liegende Übersetzung <il
costume tradizionale> maskulin ist. Die Entlehnung ‚Tracht’ scheint im Italienischen aber
offensichtlich immer noch ein Zitatwort zu sein, denn entweder wird ‚Tracht’ unter
Anführungszeichen gesetzt, hinter der italienischen Erläuterung in Klammern gesetzt
und/oder mit einer kurzen vorausgehenden oder nachgestellten Erklärung (auch in Klammern)
versehen, wie in den oben angeführten Belegen ersichtlich ist. Auch der ‚Meraner
Miedertracht’ widerfährt dasselbe Schicksal. Es ist dies eine nahezu unübersetzbare
Spezialbezeichnung.
‚Loden’ ist ein Lehnwort, das bereits im Standarditalienischen Eingang gefunden hat. Damit
wird ein grober, filzartiger Wollstoff bezeichnet, der imprägniert und meist grün, braun oder
grau ist. Besonders häufig wird Jäger-, Wander- oder Trachtenkleidung daraus hergestellt
(DudenUW 2001: 1026). Sehr viele (Süd-)Tiroler deutscher und italienischer Muttersprache
tragen im Winter auch ‚Lodenmäntel’. Beide Wörter werden im schriftlich fixierten Südtiroler
Italienisch großgeschrieben, das Genus des Artikels bleibt unverändert.
Auch das ‚Dirndl’ liegt hoch im Trend. Im angeführten Beleg wird sogar der im Deutschen
richtige Plural ‚Dirndln’ verwendet. Leider wurde hier kein Artikel beigefügt, sodass man
über das grammatikalische Genus nur spekulieren kann. Höchstwahrscheinlich ist der Artikel
in Analogie zur ‚Tracht’ maskulin. Auch hier hat der Ausdruck wieder Zitatcharakter, da
sowohl eine nachfolgende Erklärung beigefügt, als auch das Wort selbst unter
Anführungszeichen gesetzt wurde: “una sfilata di ‘Dirndln’, i costumi tipici tirolesi” (AA
04.09.05, S. 10).
Riedmann führt als Beispiel noch den ‚Walker’ an, ein typisch tirolerisches Jäckchen aus
festem Wollstoff. Ursprünglich kommt der Name dieses Kleidungsstücks laut Schatz aus dem
Althochdeutschen ‚walchan’ (bzw. ‚walkan’), was unter anderem „dicht machen“ oder
„verfilzen“ bedeuten kann (vgl. Schatz 1955: 685; Schade 1969: 1082) Im
Mittelhochdeutschen ist ‚wall-geheder’ die Bezeichnung für ein Wanderkleid (Hennig 1998:
446). Im Dialekt steht ‚wålch’ für ein verworrenes, zerrüttetes Gewebe oder ein zerknittertes
Tuch (vgl. Schatz 1955: 685). Es ist anzunehmen, dass auch der ‚Walker’ dergestalt
beschaffen ist. Auch hier wird der Artikel im Italienischen nicht angegeben. Es wird aber
angenommen, dass er wie im Deutschen maskulin ist.
148
Auch noch nicht vollständig in das Italienische integrierte Bezeichnungen für Tiroler
Kleidungsstücke sind einerseits die typische blaue ‚Schürze’, die im Dialekt unter ‚Firtîg’
(Fürtuch/Vortuch) bekannt ist, und der ‚Sarner’, eine aus meist grauer oder brauner
Schafwolle rechtsmaschig gestrickte Jacke. Das feminine Artikelgeschlecht des deutschen
Ausdrucks ‚die Schürze’ wird bei der Entlehnung maskulin, in Anlehnung an das italienische
Pendant für Schürze <il grembiule>. In Bezug auf ‚den Sarner’ ist das grammatikalische
Geschlecht im Italienischen aus dem Kontext nicht ableitbar, müsste aber maskulin sein, da
die Bezeichnung ‚der Sarner’ auch auf einen Menschen angewandt werden könnte, der aus
dem Sarntal stammt.
10.2.12. Varia
• gemütlich Adj. <confortevole/ accogliente> - „Dove si riesce a respirare un’atmosfera
‚gemütlich’“ (MMS 2001, S. 72); “Mi piace un posto ‘gemütlich’, ma non affollato!” (MMS 2001, S. 138); „è molto gemütlich qui“ (Weber-Egli 1992, S. 112)
• volkstümlich Adj.<popolare/ popolaresco> – “fino all’ideologia volkstümlich dello ‘sport
clandestino’ sudtirolese, orientato alla concezione razzista e militarista del Terzo Reich” (ROM3 2001, S. 14)
• Mediengipfel m. – „la partecipazione al ‚Mediengipfel’ a Berlino” (AA 01.07.05, S. 27) • Deutsche Bahn f. – “Deutsche Bahn” (AA 21.08.05, S. 13) • Tagesmutter f. <mamma che durante il giorno guarda altri bambini (dietro compenso)111>
– „i servizi di Tagesmütter“ (AA 01.07.05, S. 13); “[…] la cooperativa Tagesmutter a gestire la Casa del Bimbo nella zona produttiva a sud della città” (AA 24.06.05, S. 31); “Di Tagesmutter ne abbiamo poco meno di 70” (AA 24.06.05, S. 31)
• Kurdirektor m. – “del Kurdirektor” (AA 10.10.05, S. 12) • Kurstadt f. – „lo sviluppo medico-turistico della ‚Kurstadt’“ Meran (AA 15.09.05, S. 31) • Gasthof m. <ristorante/ trattoria> – “l’elenco dei ristoranti e delle Gasthöfe” (AA
19.10.05, S. 32) • Gasthaus n. <ristorante/ trattoria> - “esistevano a Salorno numerosi alberghi, osterie e
Gasthäuser” (AA 21.07.05, S. 24); “gli sperduti Gasthaus di montagna” (AA 12.08.05, S. 26)
• Wipptal n. <Val di Vizze> – „Casse Rurali Wipptal“ (AA 20.07.05, S. 28)
111 Langenscheidt: 927
149
• Osttirol – “l’Osttirol” (AA 11.01.05, S. 11) • Ötztal n. – “nell’Ötztal” (AA 19.04.05, S. 11) • Vorarlberg – „del Vorarlberg“ (AA 07.05.05, S. 21) • Schwarzenbach m. <rio nero> – “lo Schwarzenbach” Auer (AA 31.03.05, S. 26) • Waalweg n. – „i Waalwege sono un originale reticolo“ (AA 31.03.05, S. 33); “lungo il
Waalweg di Lana-Cermes-Marlengo” (AA 31.03.05, S. 33) • Weinstraße f. <strada del vino> – “al comitato della Weinstrasse” alternativ zu strada del
vino (01.03.05, S. 26); “lungo la ‘Weinstrasse’” (AA 13.07.05, S: 26) • Umfahrungsstraße f. <circonvallazione> – “l’Agip della Umfahrungsstrasse ad Appiano”
(AA 08.05.05, S. 29) Austriazismus (Langenscheidt 2003: 947)
Limbach konstatiert zum Germanismus ‘gemütlich’ im Englischen:
“Als Wörter für typisch deutsche Phänomene erscheinen gemuetlichkeit/ gemuetlich,
wanderlust und weltanschauung“ (Zitat Limbach 2007: 14). Die Deutschsprachigen finden
eher ihr Zuhause oder ihre Stammkneipe gemütlich, während die Englischsprachigen eher an
ein Volksfest à la Oktoberfest denken, wo sie mit Bier, Blasmusik und Trachten in einem
Bierzelt die „deutsche Gemütlichkeit“ erleben wollen (Limbach 2007: 36). Das Adjektiv
‚gemütlich’ bezeichnet im Italienischen jedoch genauso wie im Deutschen ein bequemes,
anheimelndes, behagliches Plätzchen. So finden Italiener etwa eine „Tiroler Stube“ oder eine
Alm ‚gemütlich’. Natürlich ist der Begriff mit der deutschen bzw. tiroler Gemütlichkeit
verbunden. Er drückt viel besser und treffender als die italienischen Entsprechungen
<accogliente/confortevole> die Atmosphäre aus, die an so einem Platz herrscht. Das Adjektiv
wird im italienischen Satz unflektiert in seiner Grundform angeführt und sowohl attributiv
als auch prädikativ gebraucht. Mit dem Adjektiv ‚volkstümlich’ hat es dieselbe Bewandtnis
auf sich.
Als eine Art Eigennamenentlehnung zu betrachten ist der Begriff ‚Mediengipfel, der ein
mediales Event bezeichnet, das im Jahr 2005 in Berlin stattfand. Es ist in der Belegstelle
wegen der Anführungszeichen als Zitatwort markiert. Ebenso ein Eigenname ist die
‚Deutsche Bahn’.
Eine interessante Übernahme ist die Berufsbezeichnung ‚la Tagesmutter’, die definitiv ihrer
syntagmatisch-synthetischen Ökonomie wegen (als Kompositum realisiert) ins Italienische
integriert wurde. Es gibt keine lexikalische Entsprechung im Italienischen. Die einzige im
Langenscheidt belegte italienische Umschreibung des deutschen Begriffs ist äußerst
150
umständlich, weil sie formal durch einen Relativsatz ausgedrückt wird: <mamma che durante
il giorno guarda altri bambini (dietro compenso)112>. Im Plural wird das Fremdlexem nicht
immer wie im Deutschen flektiert, sondern bleibt in der Singularform.
Aus dem Bereich der Meraner Thermenkultur sind ‚il Kurdirektor’ und ‚la Kurstadt’ ins
lokale Italienisch vorgedrungen und als Zitatworte bzw. als eine Art für die Stadt Meran
speziell gebrauchtes Epitheton ornans oder Prädikat (‚la Kurstadt Meran’) markiert.
Aus der Gastronomiekultur wurden die Begriffe ‚la Gasthof/le Gasthöfe’ (maskulines
Substantiv wird feminin) und ‚il Gasthaus’ übernommen (neutrales Substantiv wird
maskulin). Vermutlich deshalb, weil sie sich auf die typisch tirolerische Gastfreundschaft,
Gemütlichkeit und Kochtradition beziehen (vgl. ‚gemütlich’). ‚Gasthaus’ wird in einem der
oben angeführten Beispiele weder an die deutsche noch an die italienische Pluralbildung
angepasst und bleibt singular.
Die restlichen deutschen Entlehnungen sind entweder Orts- oder Gebietsbezeichnungen,
Straßen- oder Wegnamen oder Flussnamen. Alternativ zum italienischen Ausdruck <Val di
Vizze> wird oftmals die deutsche Bezeichnung ‚Wipptal’ in italienischen Artikeln verwendet.
Dasselbe gilt für das Lexem ‚la Weinstrasse’, das alternierend zum italienischen Pendant
<Strada del vino> verwendet wird, und der Flussname ‚lo Schwarzenbach’ (Artikel gemäß
der it. Anfangslautregel: ‚lo’). Die Bezeichnungen der Gebiete ‚l’Osttirol’, ‚l’Ötztal’ und ‚il
Vorarlberg’ werden übernommen, da es sich um österreichische Orts- bzw. Eigennamen
handelt. Ein Eigenname ist auch der für Südtirol typische ‚Waalweg’, der im Italienischen am
ehesten mit <itinerario tipico> wiedergegeben bzw. umschrieben werden könnte.
Bei ‚la Umfahrungsstrasse’ handelt es sich um einen Austriazismus. Im Italienischen stünde
diesem Kompositum der äquivalente Ausdruck <circonvallazione> gegenüber. Warum das
deutsche Wort in vorliegendem Beleg jedoch dem italienischen vorgezogen wird, lässt sich
jedoch nicht erkennen; allenfalls könnten die Motive „journalistische Faulheit“ oder
Zeitknappheit der Grund für diesen Germanismus sein.
112 Langenscheidt: 927
151
10.3. Einordnung der Entlehnungen nach pragmatisch-funktionalen Aspekten
10.3.1. Der kommunikativ-pragmatische Fakor
In Kapitel 10.2. wurden die deutschen Fremdlexeme in der italienischen Sprache nach
Sachgebieten gegliedert und in einem zweiten Schritt einer umfassenden linguistischen
Analyse unterzogen. Die Entlehnungen wurden auf ihre jeweilige Lehnmotivation hin
beleuchtet, indem die linguistischen Faktoren Onomasiologie und Sprachökonomie und der
extralinguistischen Faktor Kommunikation/Pragmatik untersucht wurden. In diesem Kapitel
geht es nicht um eine Sachgliederung der Ausdrücke, sondern um eine kommunikativ-
pragmatische Einordnung am Beispiel der Symptom- und Signalfunktion.
10.3.2. Deutsche Ausdrücke mit Symptom- und Signalfunktion
Laut Weber erscheinen in Titeln oft einfache deutsche Wörter mit Signalwirkung. Einerseits
können diese darauf hinweisen, dass sich der folgende Bericht um ein für Deutschsprachige
relevantes oder von Deutschen handelndes Thema dreht, andererseits will der Autor mit dem
exotisch wirkenden Begriff die Aufmerksamkeit des Lesers erregen (Weber 1998: 204). Die
am häufigsten vorkommenden aufmerksamkeitserregenden Entlehnungen sind den
Ausführungen Webers zufolge die Interjektion ‚Achtung-…’, der erste Vers des
Deutschlandliedes ‚Deutschland, Deutschland über alles’, die Partikeln ‚ja’, und ‚nein’, die
idiomatische Wendung ‚Zimmer frei’ und oft metaphorisch verwendete, bereits integrierte
Ausdrücke wie etwa ‚blitz’ (vgl. Weber 1998: 204). Nicht selten wird einem deutschen Wort
wegen seines Klangs der Vorzug gegeben, auch wenn der Inhalt durch ein Wort aus der
eigenen Sprache ausgedrückt werden könnte. Deutsche Wörter klingen mitunter relativ „hart“
und „barsch“. Im Englischen zum Beispiel erfolgen Hundekommandos auf Deutsch.
Limbach nennt etwa „Hopp! Aus! Sitz! Pass auf! Pfui! Such!“ (vgl. Limbach 2007: 15).
Außer den von Weber bereits genannten einfachen deutschen Wörtern mit Signalwirkung
wurden im Korpus auch noch folgende ausfindig gemacht:
• „Gute Nacht Alto Adige“ Schlagzeile (AA 21.07.05, S. 1) • “L’Italia agli italiano. Raus“ (AA 06.07.05, S. 31)
152
• “Governo con la destra? Nein, danke” Schlagzeile, Luis Durnwalders Antwort auf die Koalition mit der Rechten (AA 14.06.05, S. 18)
• Troppi nein, caro Luis“ Titel, Leitartikel, Giustino di Santo, prefetto della Repubblica
(AA 19.07.05, S. 13) • “Turismo, ‚Zimmer frei’ anche a Ferragosto” Das Ausbleibern der deutschen Turisten in
Meran (AA 12.08.05, S: 26) • Deutschland, Deutschland über alles – „Le sciabole delle confraternite studentesche di
destra, i cappelli piumati, le medaglie di Schützen al petto e ‚Deutschland Deutschland über alles’ perché l’ottica era quella delle camicie brune altro che Sudtirolo libero.” Anspielung auf das Deutschlandlied (AA 06.03.05, S. 10)
• Über alles – „come un manager guidato dalla logica dell’efficienza ‘über alles’ (AA
13.09.05, S. 29); “Über alles c’è Trezeguet” Sport, Schlagzeile (AA 03.11.05, S. 35) • „Ein Prosit in Tarvis“ Unterüberschrift (AA 11.11.05, S. 27) • „König Achmüller“ Sport, Schlagzeile; in Bayern Athlet Hermann Achmüller Gewinner
(AA 10.10.05, S. 37)
Provokant und ironisch gebraucht wird das deutsche Wort im folgenden Beleg. Im Text geht
es um die Auflistung der am häufigsten in Südtirol vorkommenden Nachnamen. Es wird
darauf angespielt, dass die Nachnamen nicht nach italienischer und deutscher Sprachgruppe
getrennt aufgelistet wurden. Die Angst vor der sprachlichen Vermischung bzw. der
Assimilation ist seit dem Faschismus in den Köpfen der deutschsprachigen Bevölkerung als
nur schwer zu tilgendes Trauma verhaftet.
• “un po’ di ‘Vermischung’ non guasta” Nachnamen nicht nach it./dt.getrennt aufgelistet, (AA 21.09.05, S. 19)
Im nun folgenden Beispiel erfüllt der deutsche Ausdruck die Funktion, eine Gemeinsamkeit,
also einen Verbundwert herzustellen. Durch den Gebrauch des heimelig anmutenden
dialektal geprägten ‚Rittner Buam’, wird diese Funktion erfüllt.
• „Ron Ivany, tecnico dei Rittner Buam, crede nella potenzialità della sua squadra.” Hockey Renon-Alleghe (AA 03.12.05, S. 42)
Durch das Anführen des deutschen Kosenamens für den Bären, ‚Meister Petz’, wird der
Sympathiewert für das bedrohliche Raubtier gesteigert, seine Gefährlichkeit abgemildert.
Der deutsche Ausdruck hat also eine Art Verniedlichungsfunktion.
153
• “Per nulla intimorito, ‘Meister Petz’ – così chiamato dalla popolazione di lingua tedesca con un vezzeggiativo che ricorda un noto personaggio delle fiabe” (AA 04.06.05, S. 30)
Bekannte deutsche Ausdrücke werden vor allem in Überschriften auch metaphorisch
gebraucht. Hauptsächlich in der Sprache des Sports greift man zu Metaphern, wie man an den
folgenden Belegen erkennen kann. Die Begriffe ‚Panzer’ und ‚Bunker’ drücken
beispielsweise die Stärke und Unbezwingbarkeit der genannten deutschen Mannschaften aus.
Diese Stilfigur will die Aufmerksamkeit des Lesers erregen. Auch in der Politik werden
Metaphern verwendet, wie am letzen Beispiel deutlich wird.
• “Valzer delle punte: Simon Inzaghi verso la Samp per Bazzani alla Lazio” Sport, Unterüberschrift (AA. 03.01.05, S. 16)
• Panzer m. – „I Panzer andranno in ritiro in Sardegna“ Bezeichnung für die dt.
Fußballmannschaft (AA 31.08.05, S. 30) • Bunker m. – „Una cannonata dal bunker biancorosso“ Schlagzeile, Fußballspiel Salò-
Bozen (AA 24.01.05, S. 20)
• Quindi il sindaco deve essere corretto e non giocare, come invece sembra fare, solo a “Schwarze Peter” (il gioco dove se “peschi” il cagnolino nero hai già perso)” Wahlkampf Benussi (AA 13.06.05, S. 7)
10.4. Einordung der Entlehnungen nach systemhaften Aspekten
10.4.1. Phonetischer, graph(em)ischer und morphologischer Grad der Integration
In Hinblick auf sprachsystemische Aspekte sind die meisten Übernahmen formal gesehen
Substantive bzw. mehrgliedrige Nominalsyntagmen. Äußerst selten werden die deutschen
Lehnwörter an die indigene Morphologie angeglichen. Die einzigen morphologisch
angepassten Substantive sind ‚bombosseri’, ‚laita’, ‚crauti’, ‚canederli’, ‚caiserlicchi’ und
‚finferli’, die an die produktivsten italienischen Nominalklassen der -a- und o-Deklination
angepasst werden und mit italienischem Artikel bzw. Genus versehen werden. Deutsche
Komposita werden ebenfalls gerne übernommen, und zwar aus syntagmatischer Ökonomie.
Die italienischen Entsprechungen bzw. Umschreibungen sind oft durch umständliche
Präpositionalsyntagmen, Relativsätze oder (erweiterte) Nominalsyntagmen (z.B.
Substantiv+Adjektiv) realisiert und folglich analytisch. Die deutschen Komposita bringen
154
Konzepte oft viel kompakter und synthetischer zum Ausdruck: Der Begriff Tagesmutter
würde im Italienischen beispielsweise <mamma che durante il giorno guarda altri bambini
(dietro compenso)> lauten, Kulturlandschaft <ambiente antropizzato/paesaggio culturale>,
Parteiausschuss <comitato di partito>, Altstadtfest <festa del centro storico>,
Lawinensuchhund <cane da valanga/ -ghe> und Landeshauptmann <il presidente della giunta
provinciale/il presidente della provincia>. Eine besonders interessante Komposita-Entlehnung
ist ‚la Rettungshundestaffel’, für die es im Italienischen keine Entsprechung zu geben scheint.
Oft erfahren Artikel bei der Übernahme ins Italienische einen Genuswechsel, was ein erstes
Anzeichen für den Integrationsgrad des deutschen Ausdrucks im Italienischen sein kann. Dies
geschieht entweder aufgrund der Tatsache, dass es im Italienischen kein Neutrum gibt und
ergo eine Ersatzlösung gefunden werden muss, die meistens eher maskulin als feminin
ausschaut, oder interferenzbedingt, d.h. das Genus der am nahe liegendsten italienischen
Entprechung wird übernommen (‚il Sammelpartei’ � il partito; ‚il diktat’ � il dettato; ‚il
Tracht’� il costume; ‚la Dorffest’ � la festa; ‚la Haus der Kultur’ � la casa). Meistens
werden im Italienischen die Substantive in der korrekten deutschen Pluralform angeführt.
Mitunter aber werden deutsche Substantive, die im Italienischen plural verwendet werden,
nicht an die morphologischen Kategorien Numerus und Kasus des Deutschen angepasst,
bleiben folglich unflektiert und als „falscher Plural“ in der Singularform stehen (‚i
Maturaball’; ‚gli Gasthaus’). Die italienische Artikelform richtet sich bei der Übernahme des
Lehnguts nach den in der Replikasprache geltenden Regelungen bezüglich des
grammatischen Geschlechts und des Anfangslautes des Substantivs. Infolgedessen lautet
der bestimmte Artikel vor einem Vokal als Anfangslaut im Singular „l’“ (= f. + m.) und im
Plural „gli“ (m.) oder „le“ (f.).
• ‚l’Altstadtfest’ (f. Sg.); ‚l’Obmann (m. Sg.)
• ‚le Ansitz’ (f. Pl.) ; ‚gli Arbeitnehmer’ (m. Pl.)
Selbst vor Akronymen macht die Anfangslautregelung nicht Halt. So wird die ‚SVP’
mitunter sowohl vom Artikel „lo“ (wegen s + Konsonant) als auch vom Artikel „l’“
(phonetisch bedingt: SVP wird „Ess-Fau-Pe“ ausgesprochen) begleitet. Dahingestellt sei, ob
es sich bei letzterem um einen femininen oder einen maskulinen Artikel handelt.
Sehr häufig werden deutsche Wörter, die mit <H> anfangen, im Italienischen mit dem Artikel
„l’“ respektive „gli“ versehen, der eigentlich nur vor Vokal steht. Wenn im Deutschen ein
Wort mit /h/ beginnt, spricht man phonetisch vom gehauchten Vokaleinsatz. Diesen
aspirierten Vokaleinsatz gibt es im Italienischen nicht. Aus diesem Grund lassen Italiener
beim Sprechen das <H> am Anfang entweder weg oder vermischen feste und gehauchte
155
Vokaleinsätze (����ose statt Hose) (vgl. Kaunzner 1997: 52). Dieses für das gesprochene
Italienisch geltende Phänomen wird auf das Südtiroler Schriftitalienisch übertragen, wo das
/h/ am Anfang eines Wortes gewissermaßen übergangen wird und ziemlich „stumm“ ist. Was
zählt, ist der darauf folgende Vokal. So heißt es beispielsweise: ‚l’hackbrett’,
‚l’Heimatbühne’, ‚gli Hauswurst’, das Akronym ‚dell’Hgv’ (ausgesprochen: „����A-Ge-Fau“)
und ‚l’Heimatschutz’. Daneben gibt es aber auch konsonantisch betrachtete /h/’s mit
entsprechendem Artikel bzw. Präpositionalartikel wie etwa ‚dello Heimatbund’, ‚la
Heimat’, ‚il Hitlergruss’ und ‚della Hitlerjugend’.
Vor maskulinen Nomina, die mit <s> + Konsonant beginnen113 und vor dem Anfangslaut
/��������/ (graphisch <z>) wird der Artikel „lo“ (Sg.) und „gli“ (Pl.) gesetzt:
• ‚lo strudel’ (Sg.); ,lo Sportverein’ (Sg.); ‚lo zelten’ (Sg.)
• ,gli Strauben’ (Pl.)
Selbst Ausdrücke, die im Deutschen mit dem Frikativlaut /����� beginnen, der phonetisch im
Grunde genommen nur ein einziger (Zisch-)Laut ist und keine Konsonantenverbindung wie
etwa die Affrikate /ts/, werden an die italienische Anfangslautregelung angepasst. Hier
erkennt man, dass diese deutschen Lexeme wohl schriftlich übernommen worden sind, denn
graphematisch wird /����� bzw. <sch> durch s + (sogar mehrere) Konsonanten wiedergegeben.
• ‚lo Schützenbund’ (m. Sg.)
• ‚gli Schlutzkrapfen’; ‚gli Schützen’ (m. Pl.)
Ähnliches gilt für die unbestimmten Artikel „un/ un’/ uno/ una/“: Vor maskulinen
Substantiven, die mit einfachem Konsonanten oder Vokal beginnen, wird „un“ gesetzt, vor
<s> gefolgt von einem Konsonanten und vor /��������/ wird der Artikel „uno“ gesetzt. Bei einem
Femininum wird vor Konsonant der Artikel „una“, vor Vokal „un’“ angeführt.114 Die
Distinktion zwischen maskulin und feminin gestaltet sich neben den vom Artikel ‚l’“
begleiteten Substantiven besonders schwierig bei den „preposizioni proprie/ semplici“ a, in,
di, da und su (auch con und per), denen ein bestimmter Artikel männlichen oder weiblichen
Geschlechts enklitisch angehängt wird. Man nennt diese so flektierten Präpositionen im
Italienischen „preposizioni articolate“ (Dardano/Trifone 1985: 96). Sie werden unter anderem
zur Bildung der Kasus herangezogen, die im Italienischen nicht wie im Deutschen
synthetisch, sondern durch Präpositionalsyntagmen, also analytisch, ausgedrückt werden. So
wird etwa der Dativ (im Satz = „complemento di termine“) mit Präp. „a“ + best. Artikel
113 (s + Konsonant wird auch „s [sprich: esse] impura“ genannt) 114 vgl. Langenscheidt 2003: 3’f
156
gebildet, der Genitiv (bzw. mit Präp. „di“ und best. Artikel (vgl. Renzi 1991: 508; 513). Die
Präpositionalartikel „all’, sull’, dell’, dall’ und sull’ (Präposition + Artikel „l’“) könnten
theoretisch sowohl maskulin als auch feminin markiert sein. Deswegen konnte man auch nicht
immer mit absoluter Sicherheit das jeweilige Genus des Ausdrucks bestimmen (vgl.
‚dell’Anschluss’).
Auf die Nomina folgt eine sehr geringen Anzahl an desubstantivierten und an die
Morphologie der italienischen Sprache angepassten Verben (‚umlautizzare’ � Umlaut;
‚‚fieterar’ � Fütterer; ‚�brisár’ � Spritze), die häufig im Trentiner Dialekt des Unterlandes
auftauchen. Diese Verben stammen aus dem deutschen bzw. mundartlich markierten
Fachwortschatz des Agrarsektors, wo die deutsche Sprachgruppe seit jeher dominierte und in
dem auch Welschtiroler beschäftigt waren. Die Welschtiroler in Südtirol passten sich
sprachlich an, übernahmen deutsche Ausdrücke und mit fortlaufender Zeit glichen sie diese an
die Morphologie und Phonetik des Trentinischen an. Aufallend ist, dass das desubstantivierte
Verb durch Suffigierung die im Italienischen die Verbalendung der produktivsten
Flexionsklasse (der ersten) –are erhält. Nicht an die indigene Morphologie angepasst und
folglich im Italienischen als Zitatwort verwendet wird das deutsche desubstantivierte Verb
‚fensterlen’ (� Fenster).
Die einzigen übernommenen Adjektive sind die desubstantivierten Ausdrücke ‚hitleriana’ �
Hitler‚mitteleuropeo’ � Mitteleuropa und die Lexeme ‚volkstümlich’ und ‚gemütlich’, die im
Satz in ihrer unflektierten Form attributiv oder prädikativ gebraucht werden.
Zur (Ortho-)Graphie ist anzumerken, dass die deutschen Entlehnungen im Südtiroler
Schriftitalienisch fast konsequent großgeschrieben werden. Nur wenige im
Fremdwortschatz des (Gesamt-)Italienischen verzeichneten Lehnwörter wie etwa ‚blitz’,
‚leitmotiv’, ‚diktat’, ‚lieder’, ‚bunker’ oder ‚föhn’ werden teilweise kleingschrieben115. Die
graphische Nicht-Anpassung der deutschen Fremdlexeme an die übliche indigene Graphie
(Anfangsminuskel bei Substantiven) ist in Bezug auf das Südtiroler Italienisch jedoch nicht
unbedingt und zwingend ein Faktor für den Integrationsgrad derselben, sondern ein eher
unerhebliches bis vernachlässigbares Kriterium. Man kann diesen Umstand als ein für das
Südtiroler Schriftitalienisch typisches Charakteristikum betrachten. Dieses Phänomen ist auf
die Tatsache zurückzuführen, dass die in Südtirol ansässigen Italiener bereits in der
Volksschule Deutsch als Zweitsprache lernen und somit relativ früh mit der deutschen
Sprache, ihrem morphologisch-grammatikalen, phonematischen und (ortho-)graphischen
115 Ich halte mich hier an DeMauro, Tullio/ Mancini, Marco (2001): Dizionario delle parole straniere nella lingua italiana.
157
System in Kontakt treten. Aufgrund des zuletzt genannten Motivs und auch aus einer Art
Neigung zur Hyperkorrektheit wird bei der Entlehnung der deutschen Fremdlexeme ins
Südtiroler Italienisch auch höchstwahrscheinlich die Großschreibung der Nomina beibehalten
werden.
Der italienischen Phonetik/Phonologie fremd sind die gerundeten Vokale [y]�(geschl. kurzes
<ü>), [y����] (geschl. langes <ü> und [Y] (off. kurzes <ü>) und die Laute�[�]�(geschl. kurzes
<ö>), [�����]� (geschl. langes <ö>) und� [] (off. kurzes <ö>). Das Italienische kennt des
Weiteren in seinem Graphemsystem den Umlaut <ä> nicht. In der mündlichen
Sprachverwendung tendieren Italiener deshalb eher dazu, das „ü“ aufgrund der Ähnlichkeit
als „u-“ oder „i-Laut“ auszusprechen, das „ö“ hingegen als „o-“ oder „e-Laut“ (vgl.
Kaunzner 1997: 23; 39). Für die schriftlichen Belege ist anzumerken, dass die Südtiroler
Italiener eher selten die Umlaute „ä“, „ü“ oder „ö“ weglassen bzw. umformen, was, wie
bereits erwähnt, sicherlich auf ihre sprachliche Bildung/Kompetenz zurückzuführen ist. Für
die eher selten erfolgende Anpassung an die italienische Graphie gilt: <ü> wird entweder zu
<u> oder <ue>, <ö> entweder zu <o> oder zu <oe>, <ä> zu <a> oder <e>, so z.B. bei
‚Torggelen’ (Törggelen), ‚Boehmische’ (Böhmische), ‚Weisswurste’ (Weißwürste),
‚Ruckwanderung’ (Rückwanderung)‚ ‚Kaiserschuetze’ (Kaiserschütze), Dammer schoppen’
(Dämmerschoppen) oder ‚Graukese’ (Graukäse).
10.4.2. Sprachlich-formale Vorgeprägtheit
Zu den vorgeprägten sprachlichen Einheiten gehören Sprichwörter, Redensarten, geflügelte
Worte, Phraseologismen und kommunikative Formeln (Koller 1977: 178).
Schlagwort- bzw. zitatwortartig verwendet oder als stehende Wendungen ins Italienische
übernommen werden deutsche Phraseologismen zumeist, wenn es um Themen geht, welche
den deutschen Sprachraum und/ oder die deutsche Sprachgruppe in Südtirol betreffen. Die
deutschsprachigen idiomatischen Wendungen sind ferner als nicht ganz getrennt von der
bereits oben genannten Symptom- und Signalfunktion zu betrachten, die sie z.B. in
Schlagzeilen und Überschriften einnehmen, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen
(siehe oben).
Eine interessante Lehnübersetzung bzw. Lehnübertragung ist ‚fare blau’ für deutsch
‚blaumachen’ (Schule schwänzen). Laut Riedmann gebrauchen „Jugendliche, insbesondere
158
Schüler und Studenten, […] in ihrem Jargon den deutschen Ausdruck (lehnübersetzt)“
(Riedmann 1972: 38)
• Los von Rom– „In chiusura, il motto nazionalista e anticattolico austriaco di fine ottocento ‘Los von Rom’, ‘Via da Roma’” (AA 25.01.05, S. 12)
• Los von Trient – “Al motto di ‘Los von Trient’ (AA 25.05.05, S. IV); „Si gettano le basi
di un’esperienza nuovissima per l’Italia e l’Europa: l’autonomia. Prima regionale, dopo il ‚Los von Trient’, provinciale“ (AA 13.12.05, S. 19); „Nell’anno del ‚Los von Trient’…“ (DS 2004)
• Gott, Kaiser und Vaterland – „Sì, insomma: ‚Gott, Kaiser und Vaterland’, ma con una
robusta iniezione di pangermanismo.” (AA 06.03.05, S. 10) • Zimmer frei – „Che in zona si punti, ancora e soprattutto, sull’ospite tedesco lo testimonia
il fatto che, all’esterno di tanti esercizi ricettivi, i cartelli sono sempre gli stessi: ‘Zimmer frei’” (AA 27.07.05, S. 22); “Turismo, ‘Zimmer frei’ anche a Ferragosto” (AA 12.08.05, S. 26)
• Blut und Boden – “[…] dell’ideologia “ del Blut und Boden (‚sangue e suolo’)“ Zweiter
Weltkrieg, Motto des Nationalsozialismus (ROM1 2001, S. 186) • Das letzte Aufgebot – “Quell’ultima battaglia,’das letzte Aufgebot’ Schlacht um Andreas
Hofer (Cardini 1998, S. 39) • blaumachen – „fare blau“ (RIED 1972, S. 38)
10.5. Ausblick auf den Gebrauch von Germanismen in der gesprochenen Sprache
10.5.1. Gruß- Wunsch- und Anredeformen in der mündlichen Alltagssprache
Hier sei nur ausblickhaft und äußerst kurz das Thema Germanismen in der italienischen
Alltagssprache angeschnitten. Kramer meint schon 1981:
„In die Alltagssprache der italienischsprachigen Bevölkerung sind für den Umgang mit Deutschsprachigen und zum scherzhaften Gebrauch deutsche Anrede- und Grußfloskeln eingedrungen“ (Zitat Kramer 1981: 135)
Zu diesen deutschen Anrede- und Grußfloskeln zählen etwa:
• „Grüß Gott, Auf Wiedersehen“ (Kramer, S. 135); „un ‚gruess-gott’“ (Agostini 2005, S. 9) • „bitte, danke“ (Kramer 1981, S. 135)
159
• „Fräulein, Frau und Herr“ Kramer bemerkt zu den im letzten Beleg angeführten Anredeformen:
„Besonders bemerkenswert ist es, dass Fräulein, Frau und Herr wie signorina, signora und signore ohne Hinzufügung des Namens verwendet werden (bitte, Frau!), was im Deutschen ja nicht möglich ist.“ (Zitat Kramer 1981: 135)
Riedmann zufolge „bedienen sich Italiener mittlerer oder höherer Schichten [mitunter] ganz
bewusst und in spielerischer Form stereotyper deutscher Ausdrücke.“ (Zitat Riedmann 1972:
38). Dazu gehört etwa die phatische Floskel „wie geht es?“ (Kramer 1981, S. 38).
In Bergdörfern, wo in der Regel nur sehr wenige Italiener leben, kennen diese oft nur die
Ausdrücke „griasti“ und „guat morget“ (Landthaler 1990: 71). Hie und da gebraucht wird
auch die typisch südbairische Floskel „Vergelt’s Gott“ (für ‚danke vielmals’), die laut
Richebuono am ehesten mit „Ti rimeriti Iddio“ wiedergegeben werden könnte (RICHE 2000,
S. 33). Wenn jemand niest, wird auch oft „Helf’ Gott“ ausgerufen (“ad uno starnuto si augura
Helf’ Gott! Dio ti aiuti”; RICHE 2000, S. 33). All diese Belege für den mündlichen Gebrauch
von Germanismen im Italienischen stammen aus schriftlichen Quellen. Anzuführen wären
hier jedoch noch weitere Germanismen, die häufig in der Alltagskommunikation auftauchen,
die jedoch nur aus mündlichen Quellen stammen. Interessant dabei ist, dass den Südtiroler
Italienern, wenn sie auf deutsche Wörter in ihrer Sprache angesprochen werden, spontan
nichts einfällt.
Im Folgenden werden nun einige Beispiele aus der mündlichen Sprache samt Kontext – falls.
vorhanden bzw. rekonstruierbar - genannt, in dem sie gebraucht wurden.
Sehr oft verwendet wird das deutsche Wort ‚kaputt’. Als informelle
Verabschiedungsformel, oft scherzhaft oder „verniedlichend“ gebraucht, wird ‚Pfiati/ Fiati!’.
Auch ‚Dankeschön’ hört man immer wieder, sowohl wenn ein Italiener mit einem
deutschsprachigen Südtiroler kommuniziert, als auch mit einem gleichsprachigen
„Landsmann“ („Ciao, Dankeschön!“ in einer Bäckerei in Bozen gehört). In gleich zwei
Bäckereien gehört wurde das im Imperativ verwendete deutsche Verb ‚schau!’, als die
Verkäuferinnen den Kunden Waren über die Theke reichten („Schau, Robbi…“).
Immer öfter wird auch die bestätigende Rückmeldungspartikel ‚gell?!’ von Italienern
gebraucht. Es handelt sich in diesem Fall mit Sicherheit um ein Bedürfnislehnwort, da der
Ausdruck kein italienisches Pendant hat und somit unübersetzbar ist. Wenn einem Italiener
etwas auf die Schnelle nicht gleich einfällt, gebraucht er mitunter auch das deutsche Füllwort
‚dings…’. Das „Würstlstandl“ wird von Italienern auch oft ‚brataro’ genannt (� Bratwurst ?)
160
– wahrscheinlich deshalb, weil meistens deutschsprachige Südtiroler in diesem
gastronomischen Bereich tätig sind.
Die Italiener scheinen ferner eine besondere Vorliebe für deutsche bzw. mundartlich
markierte Kosenamen zu haben, die die Form eines Diminutivums (mit Suffix –i oder –ele
gebildet) und deshalb auch Sympathiewert bzw. eine Art „Verniedlichungsfunktion“
haben. So hört man schon mal ‚Schatzi/ Schatzele’, ‚Schneggi/ Schneggele’ oder ‚ Potschele’
(„Mamma mia, che Potschele che sei!“ - italienischer Mann zu seinem Hund. Potschele =
Bezeichnung für einen tollpatschigen Menschen). Aber auch abwertende Betitelungen
werden aus dem Deutschen übernommen. Zu nennen ist hier der mundartliche Ausdruck
‚Tschöggl/ Tschökkl’als Bezeichung für einen geistig minderbemittelten oder sich
„proletarisch“ benehmenden Menschen.
161
11. Forschungsergebnisse
Zunächst ist anzumerken, dass sich die präsumierten Verdachtsmomente bezüglich der
Distribution deutscher Lexeme im Südtiroler Italienisch bzw. der Domänen, in denen die
deutsche Sprache in Südtirol vorherrscht und somit einen besonderen Einfluss auf die
italienische Sprache ausübt, bestätigt haben. Es sind vor allem die Bereiche Politik, Südtiroler
Geschichte, Mode, Südtiroler Kultur/Brauchtum, Einrichtungen/Verbände, Landwirtschaft
und Gastronomie, die besonders aufnahmefreudig sind, was Germanismen anbelangt. Die
Entlehnungen aus diesen Gebieten sind größtenteils Bedürfnislehnwörter, da die fremde
Sache aus Notwendigkeit mit der Bezeichnung in die Replikasprache übernommen wird.
Oftmals werden die Lexeme auch ihrer syntagmatischen Ökonomie wegen übernommen
(z.B. Komposita).
Paradebeispiele aus der Fachsprache der Politik sind ‚il Landeshauptmann’, ‚l’Obmann’, ‚la
Volkspartei’ und ‚gli Arbeitnehmer’. Im Bereich Einrichtungen/Verbände sind sehr viele
Eigennamenübernahmen auszumachen. Meist handelt es sich dabei um deutschsprachige
Einrichtungen und Verbände (‚il Kursaal’, ‚lo Schützenbund’; ‚il Bauernbund’;
‚l’Heimatschutzverein’). Da zu vielen Lexemen aus den oben genannten Bereichen weder
Anführungszeichen und irgendwelche Erläuterungen beigefügt werden, noch Kursivsetzungen
der Ausdrücke unternommen werden, kann man davon ausgehen, dass die Wörter weitgehend
bekannt und in die italienische Sprache Südtirols integriert sind. Falls doch vorhanden (z.B.
im Bereich Südtiroler Brauchtum/Kultur oder bei manchen kulinarischen lokalen Speisen)
markieren diese Kommentierungen meist die deutsch- bzw. regionalsprachliche Herkunft
der Wörter bzw. der Sache, die sie umschreiben, und erklären um des besseren Verständnisses
willen kurz, um was es sich handelt.
Zahlreiche deutsche Lehnwörter haben im Italienisch jedoch noch Zitatcharakter, d.h. sie
werden unter Anführungszeichen gesetzt, in Klammern angegeben oder kursiv gesetzt, mit
vorangehender oder nachgestellter Erläuterung bzw. Übersetzung versehen. Auffallend ist,
dass in der italienischen Sach- und Fachliteratur zu Südtiroler Themen viel mehr
Kommentierungen aller Art vorgenommen werden, als dies bei den Zeitungen der Fall ist.
Deutsche Ausdrücke werden auch aus kommunikativen Gründen im Italienischen
verwendet. Manche nehmen Symptom- und Signalfunktion ein und werden besonders in
Schlagzeilen bzw. Überschriften eingesetzt, um die Aufmerksamkeit und das Interesse des
Lesers zu erregen. Sie können zum einen darauf hinweisen, dass sich der folgende Bericht um
ein für Deutschsprachige relevantes oder von Deutschen handelndes Thema dreht, zum
162
anderen, dass der Schreiber mit dem exotischen deutschen Begriff das Interesse des
Rezipienten wecken will. Nach Weber sind die am häufigsten vorkommenden
aufmerksamkeitserregenden Entlehnungen die Interjektion ‚Achtung-…’, der erste Vers des
Deutschlandliedes ‚Deutschland, Deutschland über alles’, die Partikeln ‚ja’, und ‚nein’, die
idiomatische Wendung ‚Zimmer frei’ und oft metaphorisch verwendete, bereits integrierte
Ausdrücke wie etwa ‚blitz’ (vgl. Weber 1998: 204). In unserem Korpus konnten neben
anderen außerdem die folgenden aufmerksamkeitserregenden deutschen Wörter gefunden
werden: „Gute Nacht Alto Adige“; “L’Italia agli italiani. Raus“, “Governo con la destra?
Nein, danke”.
Bekannte deutsche Ausdrücke werden – wie bereits gesagt - auch metaphorisch gebraucht,
vor allem in Überschriften. Die Stilfigur Metapher will die Aufmerksamkeit des Lesers
erregen. Sie wird hauptsächlich in der Sportsprache eingesetzt. So wird eine deutsche
Fußballmannschaft etwa mit einem ‚Panzer’ und einem ‚Bunker’ verglichen. Diese
Metaphern stehen für die Stärke und Unbezwingbarkeit der Gruppe. Deutsche Wörter können
in einem italienischen Text auch ironisch, provokant, sympathiesteigernd, verniedlichend
und verbindend gebraucht werden.
Manche Ausdrücke, die auf den ersten Blick gesehen formal eher Zitatwörter denn
vollständig integrierte Lehnwörter zu sein scheinen, kann man jedoch aufgrund ihrer
Frequenz, mit der sie immer wieder in italienischen Texten auftauchen, als integriert
betrachten, beispielsweise ‚il Frühschoppen’, ‚il drittel’, ‚il Törggelen’, ‚il Tracht’ oder ‚la
Heimat’.
Oft werden deutsche Lexeme auch wegen ihrer besonderen Treffsicherheit und
Ausdruckskraft ins Italienische übernommen. Der Begriff ‚la Heimat’ z.B. ersetzt wegen
seiner starken Expressivität und seiner emotional positiv und atmosphärisch besetzten
Konnotation die italienische Entsprechung <la patria>. Limbach zufolge sind die Deutschen
mit ihrer Sprache „wahre Meister der Innerlichkeit“ (Zitat Limbach 2007: 7). Bei den
Wörtern, die mit besonderer Innerlichkeit und Emotionalität besetzt sind und wegen ihrer
Treffsicherheit in andere Sprachen aufgenommen wurden, nennt sie Heimat, Geborgenheit,
Gemütlichkeit und Sehnsucht (Limbach 2007: 7), die – mit Ausnahme von Geborgenheit –
auch in unserem Korpus belegt sind. Auch ‚la Stimmung’ zählt zu diesen Substantiven,
mittels derer treffend und konzis eine ganz bestimmte Atmosphäre ausgedrückt werden kann.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurden besonders viele deutsche Begriffe bzw. Termini aus den
Geistes- und anderen Wissenschaften, in denen die Deutschen zu jener Zeit führend waren, in
die italienische Sprache entlehnt. Deutschland hatte damals den Ruf als „Land der Dichter
163
und Denker“. Das Anführen von Germanismen in der eigenen Sprache geschah folglich unter
anderem aus Prestigegründen und war Zeugnis von Bildung. Diese Germanismen haben
nämlich den Charakter einer „voce dotta“, einer gelehrten Form (auch Buchwort genannt).
Aus diesem Grund fanden zahlreiche deutsche Ausdrücke in den verschiedensten Sprachen
Eingang. Es waren dies Begriffe wie ‚il Bildungsroman’, ‚la Weltliteratur’ oder ‚il leitmotiv’
aus der Literatur, Lehnübersetzungen aus der Philosophie Kants (‚imperativo categorico’),
Marx’(‚plusvalore’) und Nietzsches (‚superuomo’) oder Begriffe aus dem Bereich Bildung im
weitesten Sinne, wie etwa ‚la bildung’ oder ‚la Kulturwissenschaft’.
Mitunter werden Germanismen, die ein italienisches Pendant hätten, aus stilistischen
Gründen verwendet. Nicht nur, weil die Verwendung des deutschen Ausdrucks von einer
gewissen Intellektualität zeugt, sondern weil der deutsche Ausdruck als Synonym zum
italienischen Äquivalent gebraucht werden kann, um den Text abwechslungsreicher zu
gestalten. So vermeidet man, nicht immer denselben Ausdruck wiederholen zu müssen. Dies
gilt etwa für ‚la Weinstraße’ vs. <la strada del vino>, ‚la Sparkasse’ vs. <la cassa di
risparmio>, ‚l’Altstadtfest vs. <la festa del centro storico> oder ‘il Landeshauptmann’ vs. <il
presidente della giunta provinciale>. Manchmal wird trotz des Vorhandenseins äquivalenter
eigensprachlicher Synonyme gezielt der deutsche Ausdruck verwendet, um so zu markieren,
dass es um ein Thema geht, das entweder Deutschsprachige betrifft, von ihnen handelt oder
den Umstand unterstreicht, dass gewisse Domänen (auf Südtirol bezogen) in „deutscher
Hand“ sind – so etwa die Lokalpolitik. Die Mehrheit im Landtag stellt die deutschsprachige
SVP, welche die Landesregierung bildet. Die politische Realität spiegelt sich auch im
italienischen Sprachgebrauch wider: So heißt etwa die <frazione> nicht frazione, sondern ‚la
Fraktion’, die <stella alpina> (= Parteilogo der SVP) ‚la Edelweiss’, <il partito di raccolta> ‚il
Sammelpartei’ und <i lavoratori> ‚gli Arbeitnehmer’.
Viele Germanismen sind aus der Zeit des Nationalsozialismus in das Italienische
eingedrungen. Diese werden meist kommentarlos angeführt, da sie durch den Zweiten
Weltkrieg internationale Verbreitung erfahren haben. Den Begriffen, die fast so etwas wie
Spezial- bzw. Fachwortschatzcharakter haben, haftet eine bestimmte geistesgeschichtliche
bzw. ideologische Haltung an. Mithilfe des deutschen Fremdlexems distanziert sich der
Fremdwortbenutzer so unbewusst auch von den damit konnotierten Grausamkeiten, die
während des Zweiten Weltkrieges begangen worden sind. Es gibt kaum Übersetzungen dieser
Termini, sie sprechen für sich.
Aus der Südtiroler Geschichte, besonders aus der Zeitgeschichte (ab der Annexion Südtirols
an Italien 1919), wurden ebenfalls einige deutsche Ausdrücke entlehnt. Es handelt sich hierbei
164
um schlagwortähnliche Übernahmen, die sich meist auf die deutsche Sprachgruppe bzw.
deren Probleme und Taten beziehen. Hier kann man etwa den Schlachtruf ‚Los von Trient’
nennen, sowie die Begriffe ‚la Feuernacht’, ‚la Todesmarsch’, ‚il Freiheitskampf’, ‚Aufbau’.
Vom formalen Standpunkt aus betrachtet sind die meisten Entlehnungen Substantive bzw.
mehrgliedrige Nominalsyntagmen. Meistens wird im Südtiroler Schriftitalienisch auch die
korrekte deutsche Pluralform der Substantive angeführt. Auf die Substantive folgt eine
überschaubare Anzahl an desubstantivierten und an die italienische Morphologie
angepassten Verben (z.B. ‚fieterar’ � Fütterer), die jedoch meist nur im Trentiner Dialekt
des Unterlandes ausfindig zu machen sind. Nur sehr selten werden die deutschen Lehnwörter
an die italienische Morphologie angeglichen. Als aufnahmefreudig erweist sich die
italienische Sprache im Hinblick auf deutsche Komposita, die aus syntagmatischer
Ökonomie übernommen werden. Deutsche Komposita sind synthetischer als die analytischen
italienischen Pendants, die meist als umständliche Präpositionalsyntagmen, Relativsäte oder
erweiterte Nominalphrasen realisiert werden. Ein Beispiel hierfür wäre der Begriff
‚Tagesmutter’, der im Italienischen etwa <mamma che durante il giorno guarda altri bambini
(dietro compenso)> lauten würde.
Artikel erfahren bei Übernahme der entsprechenden Lexeme ins Italienische sehr oft einen
Genuswechsel. Einerseits kann dies interferenzbedingt erfolgen (das Genus der am nahe
liegendsten italienischen Entsprechung wird übernommen, z.B. ‚il Sammelpartei’ � il
partito), anderseits geschieht es aufgrund der Tatsache, dass es im Italienischen kein Neutrum
gibt. Die Artikelform im Italienischen richtet sich bei der Entlehnung der deutschen Lexeme
außerdem nach den in der eigenen Sprache geltenden Regeln in Bezug auf den Anfangslaut
des Substantivs, z.B. erhalten Substantive, die mit s + Konsonant beginnen, den Artikel ‚lo’
(Pl. ‚gli’) (‚lo Strudel’), solche, die mit Vokal beginnen, den Artikel ‚l’’ (Pl. ‚le’ oder ‚gli’)“
(‚l’Obmann’). Dieselbe Regelung gilt auch für die unbestimmten Artikel und die
„preposizioni articolate“ (siehe Kapitel 1.1.).
Deutsche Entlehnungen im Südtiroler Italienisch werden überwiegend großgeschrieben,
während es im Rest Italiens üblich ist, (deutsche) Lehnwörter kleinzuschreiben. Diese
graphische Nicht-Anpassung der Übernahmen an die Graphie der Replikasprache ist eine
soziolinguistisch bedingte Pekuliarität des Südtirol-Italienischen (siehe Kapitel 1.1.) und gibt
nicht unbedingt Aufschluss über den Integrationsgrad des Fremdlexems. Die Großschreibung
der Nomina wird aus einer Art Hyperkorrektismus heraus beibehalten, lernen die Südtiroler
Italiener ja schon sehr früh die deutsche Sprache und ihr System. Dieser Hang zur
Überkorrektheit lässt sich auch in der Realisierung der dem italienischen Graphem- und
165
Phonemsystem fremden Umlaute <ü>, <ö> und <ä>116 feststellen. Diese werden sehr selten
an die italienische Graphie angepasst.
Im Korpus konnten nur sehr wenige Lehnprägungen bzw. Lehnformungen entdeckt
werden. Die produktivste innere Lehnformungskategorie im Südtiroler Italienisch scheint die
Lehnübertragung, also die Einzelgliedübersetzung, zu sein. Hier sind ‚fare blau117’ (�
blaumachen), ‚lo strudel di mele’ (� Apfelstrudel), ‚il Terzo Reich’ (� Drittes Reich),
‚piccola Edelweiss’ (� kleines Edelweiß), ‚la compagnia bolzanina Freies Theater’ / ‚il
Freies Theater di Bolzano’ (� Freies Theater Bozen) und ‚la sfilata dell’Egetmann’ (�
Egetmannumzug) zu nennen. Lehnübersetzungen kommen aus der Terminologie der
Philosophie, z.B. ‚l’ imperativo categorico’ (� Kategorischer Imperativ) und ‚il superuomo’
(� Übermensch).
11.1. Ausblick
Ein für künftige Forschungsarbeiten interessantes Thema wäre das Anstellen eines Vergleichs
der Distribution bzw. Häufigkeit deutscher Lehnwörter vor und nach Einführung des Zweiten
Autonomiestatuts (1972) mittels Dominanzkonfigurationsanalyse.
Ein äußerst spannendes Thema wäre auch die Untersuchung der Germanismen in der
gesprochenen italienischen Sprache.
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„Denn eben, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“
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116 Phonetisch gesehen entspricht <ä> im Italienischen das offene e. 117 Riedmann betrachtet ‚fare blau’ fälschlicherweise als Lehnübersetzung.
166
Quellenverzeichnis
Primärliteratur
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Lebenslauf
Ich, Angelika Pedron, wurde am 15. März 1982 als Zweitälteste von insgesamt vier
Geschwistern und einzige Tochter der Musiklehrerin Olga Coser und des Revisors Walter
Pedron in Bozen geboren. Von 1988 bis 1993 besuchte ich die Grundschule Johann Steck in
Margreid (Südtiroler Unterland). Die Mittelschule besuchte ich am Franziskanergymnasium
in Bozen (1993–1996), wo ich auch von 1996 bis 2001 meine Oberschulkarriere (Klassisches
Gymnasium/ Lyzeum) fortsetzte und maturierte, und im Frühjahr 2006 als Supplentin das
Fach Deutsch unterrichtete.
Im Herbst 2001 inskribierte ich an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck Deutsche
Philologie (Diplom) als Hauptstudium und Romanistik (Italianistik) als Wahlfachstudiengang.
Derzeit arbeite ich an der EURAC (Europäische Akademie Bozen) als Praktikantin am
Institut für Angewandte Sprachwissenschaft.