Formeln und Formen der Kunstbeschreibung in den italienischen Aufzeichnungen Wilhelm Heinses

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Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophische Fakultät Institut für Germanistische Literaturwissenschaft Formen und Formeln der Kunstbeschreibung in den italienischen Aufzeichnungen Wilhelm Heinses Magisterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades MAGISTRA ARTIUM (M.A.) vorgelegt von Juliane Blank geboren am 06.11.1981 in Magdeburg Erstgutachter: PD Dr. Bernd Auerochs Zweitgutachter: Prof. Dr. Dirk Oschmann Jena, 15.12.2007

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Friedrich-Schiller-Universität Jena

Philosophische Fakultät

Institut für Germanistische Literaturwissenschaft

Formen und Formeln der Kunstbeschreibung in den

italienischen Aufzeichnungen Wilhelm Heinses

Magisterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades

MAGISTRA ARTIUM (M.A.)

vorgelegt von Juliane Blank

geboren am 06.11.1981 in Magdeburg

Erstgutachter: PD Dr. Bernd Auerochs

Zweitgutachter: Prof. Dr. Dirk Oschmann

Jena, 15.12.2007

2

Inhalt

1 Einleitung .............................................................................................................................. 4

2 Die Krise der Repräsentation. Heinses Aufzeichnungen vor dem Hintergrund der

Kunstbeschreibung im 18. Jahrhundert ................................................................................ 6

2.1 Prosaische vs. poetische Kunstbeschreibung .................................................................. 7

2.2 Zweifel an der Übersetzbarkeit des Bildes .................................................................... 10

3 „Ich habe große Lust wieder nach Rom“ - Italien und die Folgen ................................ 14

3.1 Sehnsucht nach dem „Winckelmannischen Apollo“ ..................................................... 14

3.2 Italienerlebnis ................................................................................................................ 16

3.3 „Das Sehen nimmt mir viel Geld weg.“ ........................................................................ 19

4 Kunst als Dokument des Lebens ....................................................................................... 21

4.1 „Leben allein wirkt in Leben“. Die Norm der Natur ..................................................... 21

4.2 Lebensnähe und Lebensferne ........................................................................................ 23

4.3 Ansicht und Durchsicht als Grundprinzipien der Kunstbeschreibung .......................... 26

4.4 Der lebensweltliche Anker. Imaginierte Modelle und Äquivalenzfiguren ................... 28

5 „Zur Schönheit selbst gehört der Charakter...“. Charakterisierung als Strategie der

psychologischen Verlebendigung .......................................................................................... 32

5.1 Der Individualcharakter in der Literatur des 18. Jahrhunderts ...................................... 33

5.2 Strategien einer psychologischen Verlebendigung ....................................................... 35

5.3 Vermenschlichende Charakterisierung von Göttergestalten ......................................... 37

5.4 Imagination von Szenarien ............................................................................................ 39

6 Das Pygmalion-Modell ....................................................................................................... 41

6.1 Der enthusiastische Betrachter und die Stärkung des Auges ........................................ 42

6.2 Pygmalion als hermeneutisches Modell ........................................................................ 44

6.3 Abwehr erotischer Assoziationen .................................................................................. 46

6.4 Objekte der Begierde ..................................................................................................... 48

6.5 Kunstgenuss - Liebesgenuss .......................................................................................... 50

3

7 Der sexualisierte Blick und seine Revision. Heinses Selbstzensur ................................. 53

7.1 Die Entsexualisierung der Literatur .............................................................................. 54

7.2 Brüste, Hintern, Schenkel – Das „Nackende“ als Beschreibungskategorie .................. 57

7.3 Heinses Selbstzensur. Die Entschärfung der erotischen Kunstbeschreibung................ 60

7.4 Ein gescheitertes Projekt ............................................................................................... 64

8 Komposition, Zeichnung, Kolorit. Die Formeln der Gemäldebeschreibung ................ 65

8.1 Die Etablierung der Beurteilungskategorien für Gemälde ............................................ 65

8.2 ‚Platzhalter’ der formalen Bildbeschreibung ................................................................ 68

8.3 Heinses Umdeutung der Klassifikationskriterien am Beispiel des Kolorits ................. 74

9 Antike Skulpturen durch „Winckelmanns Brille“ .. ........................................................ 78

9.1 Winckelmanns Lehrgebäude und die Kunstbetrachtung nach 1755 ............................. 79

9.2 Heinses Kontrafaktur von Winckelmanns kanonischen Beschreibungen ..................... 84

9.3 Die Macht von Winckelmanns „schönen Worten“ ....................................................... 87

10 Resümee ............................................................................................................................. 92

Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 96

Abbildungen ........................................................................................................................... 107

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... 116

4

Lieber, der arme Rost hat kein Herz, seine Seele ist in seinem Blute...1

1 Einleitung

Das literaturgeschichtliche Kuriosum Wilhelm Heinse passt in viele Schubladen und in keine.

Er ist als Vorbote der dionysischen Lebensauffassung dargestellt worden, als präromantischer

Kunstanbeter, als Sturm-und-Drang-Ästhetiker, als Anti-Winckelmann. Alle diese Ansätze

zeigen wichtige Bestandteile seiner literarischen Persönlichkeit auf, aber keiner eignet sich als

alleinseligmachender Schlüssel zum merkwürdig uneinheitlichen Werk Heinses. Die

vorliegende Arbeit befasst sich mit den Beschreibungen von Skulpturen und Gemälden, die

Heinse während seiner Italienreise (1780-1783) niederschrieb.2 Dabei geht es nicht primär um

eine literarische ‚Ehrenrettung’ Wilhelm Heinses. Es soll hier nicht versucht werden, Heinse

als Konkurrenten der literarischen Größen seiner Zeit zu stilisieren. Die vorliegende Arbeit

interessiert sich vielmehr für die Aussagekraft der Abweichung und befasst sich deswegen mit

den größtenteils unveröffentlichten und oft fragmentarischen Kunstbeschreibungen. In diesem

Medium probiert Heinse vieles aus, was in dieser Form nicht an die Öffentlichkeit dringt. Die

Untersuchung stützt sich auf die seit 2005 vorliegende vollständige Edition der

Aufzeichnungen bei Hanser.3 Rein quantitativ bedeutet diese Ausgabe gegenüber Leitzmanns

unvollständiger Auswahl aus den Aufzeichnungen eine Bereicherung. Grimm weist jedoch

darauf hin, dass die Edition „unser Bild von Heinse nicht grundsätzlich verändern“ wird.4 Der

Wert der neuen Ausgabe besteht vielmehr darin, dass die Basis, auf der Aussagen über

Heinses Schaffen getroffen werden können, nun gleichsam befestigt ist.

1 Friedrich Heinrich Jacobi am 21. Oktober 1774 an J.W. Goethe. Friedrich Heinrich Jacobi, Gesamtausgabe, Bd. I,2, Briefwechsel 1775-1781. Nr. 381-750, hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Reinhard Lauth und Siegfried Sudhof in Zusammenarbeit mit Peter-Paul Schneider, Stuttgart - Bad Cannstadt 1983, S. 265. Den Namen Rost verwendet Heinse in Briefen an Gleim und Jacobi. 2 Architekturbeschreibungen werden nicht berücksichtigt, da Heinse Bauwerke nicht im gleichen Maße als Kunst betrachtet wie Skulpturen oder Gemälde. Architektur wird vielmehr immer auch nach ihrer Funktionalität beurteilt: „Ein Gebäude ist ein Kleid, das einen vor bösem Wetter schützt, u muß daraus beurtheilt werden.“ (FN I, 582 – N14, 62r.) Vgl. hierzu auch Albert Zippel, Heinse und Italien, Jena 1930, S. 100. 3 Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass [im Folgenden im Text zitiert als FN], 5 Bde., hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2003 bis 2005. Diese Ausgabe wird in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich verwendet. Darüber hinaus wurde auch die Schüddekopf-Leitzmann-Ausgabe und Baeumers kritische Studienausgabe des Ardinghello (Reclam) verwendet. 4 Gunter E. Grimm, Gehobene Schätze. Wilhelm Heinses Frankfurter Nachlass, in: IASLonline (12.12.2006), URL: <http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Grimm3446204024_1610.html> (abgerufen am 03.07.2007).

5

Heinse reist ausdrücklich mit dem Ziel, Kunst zu erleben, nach Italien. Aus der Lektüre von

kunsttheoretischen und ekphrastischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

entsteht ihm das Bedürfnis, selbst zu sehen und das Gesehene mit literarischen Mitteln zu

fixieren. Dabei ist selbst für die fragmentarischen Formen die Funktion eines ekphrastischen

Bauteils anzunehmen. Bernauer weist darauf hin, dass Heinses Aufzeichnungen nicht als

persönliche Tagebücher, sondern eher als Ansammlung von ‚Werkteilen’ für eine spätere

literarische Verwendung zu betrachten seien. Durch die Lektüre der Aufzeichnungen erhalte

man vor allem „einen einzigartigen Einblick in eine Autorenwerkstatt des 18. Jh.s, wie sie in

Qualität und Kompaktheit nicht ihresgleichen hat.“5

Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet: Wie beschreibt Heinse Kunst? Vor dem Hintergrund

der Debatte um die Autonomie der Kunst und die Grenzen der einzelnen Künste erschien eine

Übersetzung des Mediums Bild in das Medium Text zum Zeitpunkt von Heinses Italienreise

bereits problematisch, wenn auch noch nicht unmöglich. Heinse sucht nach innovativen

Strategien der Kunstbeschreibung, die die Wirkung eines Kunstwerkes transportieren können.

Sein ekphrastisches Schaffen steht unter dem Vorzeichen der Verlebendigung – Heinse ist

nicht primär an den materiellen und technischen Aspekten eines Kunstwerkes interessiert,

sondern fokussiert vielmehr auf die ‚dahinter’ liegende Bildwirklichkeit. Er sieht und

beschreibt die dargestellten Figuren nicht als übermenschliche Ideale, sondern als lebendige

Charaktere, die in der Lebenswelt des Künstlers verortet werden können.

„Verlebendigung“ heißt bei Heinse auch, dass die Schönheit einer Venus nicht nur eine über

das Menschliche erhabene Schönheit der reinen Form ist. Wie Pygmalion, dem sich eine

Statue zum Objekt sexueller Begierde verlebendigt, sieht Heinse in einer solchen Venus in

erster Linie die schöne Frau in ihrer erotischen Anziehungskraft. In welchem Ausmaß Werke

der bildenden Kunst mit einem gleichsam ‚sexualisierten Blick’ erfasst werden, wird erst

durch die Lektüre der Aufzeichnungen deutlich.6 In dieser Arbeit soll u.a. geklärt werden,

welche Rolle die Fokussierung auf das Sinnlich-Erotische innerhalb von Heinses Verfahren

der Kunstbeschreibung spielt.

Ein zweiter Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Beobachtung, dass Heinses

Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen nicht nur innovativ und originell

sind, sondern sich auch in hohem Maße an den ‚Formeln’ der kunstliterarischen Tradition

5 Markus Bernauer, Zur vorliegenden Ausgabe, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005, S. 415-424, hier S. 415. 6 Besonders in den unzähligen fragmentarischen Passagen hat das Erotische einen festen Platz.

6

orientieren. Dies gilt vor allem für die formale Beschreibung eines Kunstwerkes, für die

Erfassung seiner künstlichen Gemachtheit. Hier bedient sich Heinse des ‚Jargons’ der

Kunsttheorie, wohl auch um sich durch eine fachkundige Beschreibung als Kunstkenner zu

legitimieren. Für die Gemäldebeschreibungen ist eine Verwendung traditioneller

Beurteilungskategorien zu verzeichnen, die zwar auf der Oberfläche der klassizistischen

Kunsttheorie zu folgen scheint, sich bei genauerer Betrachtung jedoch als bloß formelhaft

herausstellt. Heinse deutet die zentralen Begriffe der Gemäldebeschreibung (Kolorit,

Zeichnung, Ausdruck, etc.) in seinem Sinne um und macht sie für seine Kunstauffassung

fruchtbar. Auch im Bereich der Skulpturenbeschreibung sieht Heinse sich mit einem

wirkungsmächtigen Muster konfrontiert. Die Sicht auf antike Skulptur war in der zweiten

Hälfte des 18. Jahrhunderts maßgeblich von Winckelmanns Wahrnehmung und Beschreibung

der ‚klassischen’ Skulpturen in Rom geprägt. Heinses Suche nach innovativen

Beschreibungsformen ist auch als Versuch einer Emanzipation von Winckelmann zu

verstehen.

Die Arbeit ist in drei thematische Blöcke gegliedert. In den ersten beiden Kapiteln soll zum

einen der terminologische Rahmen geklärt und der Frage nachgegangen werden, wie sich die

kunstwissenschaftliche Bildbeschreibung von Heinses vorkunsthistorischer

Kunstbeschreibung unterscheidet und mit welchem Begriff diese zu fassen ist. Zum anderen

muss näher auf die Bedeutung eingegangen werden, die Italien als „Land der Kunst“7 für

Heinse hatte. Der zweite Teil der Arbeit, der aus vier Kapiteln besteht, befasst sich

schwerpunktmäßig mit den innovativen ekphrastischen Strategien, die Heinse zur

Verlebendigung des Kunstwerkes anwendet. Im letzten Teil der Arbeit soll der Schwerpunkt

der Untersuchung auf der ‚Formel’ der Kunstbeschreibung im Gegensatz zur innovativen

Form liegen, wobei Gemälde- und Skulpturbeschreibungen getrennt betrachtet werden sollen.

2 Die Krise der Repräsentation. Heinses Aufzeichnungen vor dem Hintergrund der Kunstbeschreibung im 18. Jahrhundert

Die Beschäftigung mit Kunst kann als ein literarischer ‚Trend’ der zweiten Hälfte des 18.

Jahrhunderts bezeichnet werden. Ausgehend von Baumgartens Aesthetica (1750), in der das

Nachdenken über Kunst zur philosophischen Disziplin erhoben wurde, entstanden in der

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche kunsttheoretische und -philosophische 7 Zippel, S. 14.

7

Schriften. Einen festen Platz innerhalb dieser Schriften hat die Beschreibung konkreter

Kunstwerke, die dazu geeignet ist, die jeweilige Kunstauffassung am konkreten Kunstwerk zu

exemplifizieren.8 Die Kunstbeschreibungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

entstanden sind, entstammen einer vorkunsthistorischen Zeit und unterscheiden sich in Form

und Intention von der „sachlichen“ Bildbeschreibung, wie sie heute im Rahmen der

Kunstwissenschaft praktiziert wird. Es wird zu klären sein, inwiefern die

kunstwissenschaftliche Bildbeschreibung und die literarische Ekphrasis einander als

„prosaische“ und „poetische“ Kunstbeschreibung gegenübergestellt werden können.

Bedeutsam für die Kunstliteratur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist auch das

zunehmende Bewusstsein für die Übersetzungsproblematik der Kunstbeschreibung. Die so

genannte „Krise der Repräsentation“9 schlägt sich auch in Heinses ekphrastischen Texten

nieder.

2.1 Prosaische vs. poetische Kunstbeschreibung Um den Formen der Kunstbeschreibung in Heinses Werk gerecht werden zu können, muss

zunächst zwischen einer sachlichen und einer literarischen Kunstbeschreibung unterschieden

werden. Die Textform der Kunstbeschreibung wird vor allem mit dem akademischen Fach der

Kunstwissenschaft assoziiert und findet in diesem Rahmen ihre häufigste Anwendung. Ihre

Funktion ist rein zweckmäßig: sie dient als Vorstufe auf dem Weg zum Kunstverständnis. Die

sachliche Kunstbeschreibung unterliegt den Maßstäben kunsthistorischer Zweckdienlichkeit.

Nicht Nachdichtung des Kunstwerkes wird verlangt, sondern „klare, eigenschaftsbenennende

Aussage“.10 Maßgeblich für die Entstehung der „wissenschaftlichen Beschreibung“11 ist die

Entwicklung der Fotografie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Diente die Beschreibung eines

Kunstwerkes vorher als „Bildersatz“, so tritt sie nun lediglich ergänzend zu einer

Reproduktion des Werkes und fungiert als eine Art ‚Sehanleitung’.12 Otto Pächt proklamierte

1930/31 das „Ende der Abbildtheorie“ und wandte sich damit gegen jede mit poetischen

8 So wählt Winckelmann in seiner Schrift Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) die antike Skulptur des Laokoon als Repräsentanten seiner Vorstellung von „edler Einfalt“ und „stiller Größe“. Vgl. Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Sendschreiben. Erläuterung, hg. von Ludwig Uhlig, Stuttgart 1969, S. 20. 9 Raphael Rosenberg, Von der Ekphrasis zur wissenschaftlichen Bildbeschreibung. Vasari, Agucchi, Félibien, Burckhardt, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995), S. 297-318, hier S. 312. 10 Ernst Rebel, Darf Bildbeschreibung „Erlebnis“ bieten? Tendenzen und Diskussionen seit Burckhardt, in: Ders. (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Betrachten der Kunst, Ostfildern 1996, S. 74-90, hier S. 85. 11 Rosenberg unterscheidet als Formen der Kunstbeschreibung die antike Ekphrasis, die sachliche und die wissenschaftliche Bildbeschreibung. Vgl. Rosenberg, S. 299, 302 und 312. 12 Vgl. Ebd., S. 313.

8

Mitteln arbeitende Kunstbeschreibung, die selbst wieder zur Beschreibungskunst gerät.13 Von

einer Bildbeschreibung erwartet man heute Zurückhaltung in der sprachlichen Form zu

Gunsten des beschriebenen Werkes. Das Benennen von Formen, Farben und deren

Konstellationen tritt vor das Beschreiben von Bild-Geschichten. Rosenberg charakterisiert

diese Spielart der Kunstbeschreibung als „prosaische Tradition der Bildbeschreibung.“14

Im Gegensatz zur sachlichen Kunstbeschreibung steht die vorkunsthistorische

Beschreibungspraxis. Die Kunstwissenschaft entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert zu einer

akademischen Disziplin.15 Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden

literarische Kunstbeschreibungen jedoch in großer Vielzahl. Besonders die Briefform in ihrer

„Vermittlerrolle zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit“ ist für Kunstbeschreibungen

verbreitet.16 Die Verbreitung der literarischen Kunstbeschreibung ist u.a. auf den Umstand

zurückzuführen, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts alle bedeutenden deutschen

Kunstsammlungen nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.17 Die in

Zeitschriften erscheinenden Beschreibungen von Galeriebesuchen zielten gleichsam darauf

ab, diese Veröffentlichung der Kunstsammlungen an die literarische Öffentlichkeit

weiterzugeben.18 Dieser Form der Kunstbeschreibung geht es darum, mit sprachlichen Mitteln

ein anschauliches Abbild des beschriebenen Kunstwerkes zu evozieren. Die Form, das Wie

der Beschreibung, spielt hier eine bedeutende Rolle in der Vermittlung des Kunstwerkes, da

sie auf die Imagination des Rezipienten einzuwirken vermag.

In Analogie zu Rosenbergs Charakterisierung der sachlichen Bildbeschreibung als einer

„prosaischen“ Form kann man hier von einer „poetischen“ Bildbeschreibung sprechen, die

sich eher den Maßstäben der Literatur als denen der Kunst verpflichtet fühlt. Die

Literaturwissenschaft hat diese Art der poetischen Kunstbeschreibung mit dem antiken

13 „Es gibt eine Art, Kunstwerke zu beschreiben, die den Anschein erwecken muß, als sollten die Werke der bildenden Kunst mit poetischen Mitteln wiedergegeben werden.“ Otto Pächt, Das Ende der Abbildtheorie, in: Ders., Methodisches zur kunsthistorischen Praxis. Ausgewählte Schriften, hg. von Jörg Oberhaidacher, Artur Rosenauer und Gertraut Schikola, München 1995, S. 121-128, hier S. 121. 14 Rosenberg, S. 302. 15 Der erste Lehrstuhl für Kunstgeschichte wurde 1844 in Berlin für Gustav Friedrich Waagen eingerichtet. 16 Vgl. Charis Goer, Ungleiche Geschwister. Literatur und die Künste bei Wilhelm Heinse, München 2006, S. 99. Als Briefe konzipiert sind z.B. Diderots Salons aus den Jahren 1759 bis 1781 und natürlich Heinses Gemäldebriefe. 17 Vgl. James J. Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München 2002, S. 42. 18 Zu nennen sind hier u.a. Heinses Düsseldorfer Gemäldebriefe (1776), Georg Forsters Beschreibung von Düsseldorfer Gemälden in Ansichten vom Niederrhein (1790) und A.W. Schlegels Gemälde-Gespräch aus der Dresdner Galerie (1798).

9

Terminus der εκφρασις belegt.19 In der griechischen Antike bezieht sich Ekphrasis nicht so

sehr auf eine literarische Gattung als auf einen rhetorischen Modus, nämlich den der bildlich

veranschaulichenden Rede. Theon von Smyrna (1./2. Jh. n. Chr.) definiert in den

Progymnasmata Ekphrasis als „diejenige Art von Rede, bei der genaue Beschreibung geboten

und so ein Gegenstand augenfällig gemacht wird.“20 Bei Nikolaos von Myra (5. Jh. n. Chr.)

ist Ekphrasis ein Mittel, „Hörer zu Zuschauern“ zu machen.21 Beide Definitionen heben auf

die veranschaulichende Vorgehensweise der Ekphrasis ab. Ekphrasis in ihrer antiken

Ausprägung, so resümiert Rebel, wird überall eingesetzt, „wo die Schilderung von

Ereignissen, landschaftlichen Reizen, Eigenarten einer Person, aber eben auch der

Schönheiten eines Kunstwerkes vor das innere Auge des Lesers oder Zuhörers gebracht

werden soll.“22

Als rhetorischer Modus findet die antike Ekphrasis in unterschiedlichen literarischen

Gattungen Anwendung und ist in ihrem Inhalt nicht beschränkt. Werke der bildenden Kunst

gehören zunächst nicht zu ihrem Inhaltsspektrum. Spätestens mit den Eikones des Philostratos

beginnt jedoch die Ausdehnung des Begriffes auf die Beschreibung von Kunstwerken.23 Als

‚Prototyp’ der antiken Ekphrasis gilt Homers Beschreibung des Schildes des Achilles im 18.

Gesang der Ilias. Homer beschreibt nicht den Schild als Gegenstand, sondern seine

Entstehung – ein Kunstgriff, den Lessing später als optimale Überbrückung der Kluft

zwischen Wort- und Bildkunst preisen sollte.24

Der moderne Begriff der Ekphrasis ist Resultat einer Umdeutung der antiken Textform

Ekphrasis. Wie die antike Gattungsbezeichnung bezieht er sich auf den Modus der

anschaulichen Beschreibung. In seinem inhaltlichen Umfang ist der moderne Begriff jedoch

auf die Beschreibung von Werken der bildenden Kunst begrenzt. Webb weist darauf hin, dass

eine solche Verwendung des Begriffs eine gattungsinterne Kontinuität von der Antike bis in

die heutige Zeit suggeriert, von der keine Rede sein kann, da sich der moderne Begriff der

19 Maßgeblich für die Etablierung des Begriffs sind vor allem Leo Spitzer, The ‚Ode on a Grecian Urn’, or Contents vs. Metagrammar, in: Ders., Essays on English and American Literature, hg. von Anna Hatcher, Princeton 1962, S. 67-97; Jean Hagstrum, The Sister Arts. The Tradition of Literary Pictorialism in English Poetry from Dryden to Gray, Chicago 1958; Glanville Downey, “Ekphrasis”, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 921-44. 20 Zit. nach: Downey, „Ekphrasis“, Sp. 922. 21 Zit. nach: Wolf-Dietrich Löhr, „Ekphrasis“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 76-80, hier S. 76. 22 Ernst Rebel, Bis Winckelmann, Etappen auf dem Weg der modernen Bildbeschreibung, in: Ders. (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Betrachten der Kunst, Ostfildern 1996, S. 13-39, hier S. 16. 23 Vgl. Rosenberg, S. 299. 24 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, Stuttgart 1964, S. 134.

10

Ekphrasis nur bestimmte Aspekte des antiken Terminus anverwandelt.25 Trotz aller

Berechtigung von Webbs Einwand hat sich der Terminus Ekphrasis jedoch auch für

Kunstbeschreibungen in modernen Texten etabliert und wird auch in dieser Arbeit in dieser

Weise verwendet.

Wie Ernst Rebel anmerkt, ist die Bildbeschreibung schwerlich als eigene Textsorte

anzusehen, da es ihr an sprachlicher Autonomie fehlt.26 In ihrer vorkunsthistorischen

Ausprägung kann sie eine Vielfalt von literarischen Formen annehmen, die mit der

Etablierung der Kunstwissenschaft und ihren objektiv-analytischen Ansprüchen versiegen.27

Die vorkunsthistorischen Formen der Bildbeschreibung können laut Rosenberg auch als

„Bilderzählung“ bezeichnet werden, da sie, wie die antike Ekphrasis, darauf abzielen, mit

narrativen Mitteln das Bildgeschehen vor dem geistigen Auge des Lesers bzw. Hörers

wiedererstehen zu lassen.28 Diese Formen dominieren – in verschiedenen Ausprägungen - bis

ins 18. Jahrhundert und werden dann zunehmend in die kunstwissenschaftliche Methodik

‚eingebaut’.29

Zwischen sachlicher und literarischer bzw. „prosaischer“ und „poetischer“ Kunstbeschreibung

ist scharf zu unterscheiden. Die hier untersuchten Kunstbeschreibungen Wilhelm Heinses

stammen aus den Jahren 1780 bis 1783. Sie zielen auf die oben angesprochene

Vergegenwärtigung des Abwesenden und sind nicht so sehr dem beschriebenen Kunstwerk

als der beschreibenden Kunst, der Literatur, verpflichtet. In dieser Hinsicht sind sie als

„poetische“ Beschreibungsformen zu bewerten. Andererseits sind sie unter dem Einfluss von

Winckelmanns stilgeschichtlichen Erfassungen antiker Skulpturen entstanden und weisen

somit einen gewissen sachverständigen Anspruch auf.

2.2 Zweifel an der Übersetzbarkeit des Bildes Kunstbeschreibung will die Darstellung einer Darstellung liefern, das Abbild des

Abgebildeten. Sie erfüllt eine Funktion doppelter Vermittlung. Heffernan definiert sie in

25 Siehe Ruth Webb, Ekphrasis Ancient and Modern: The Invention of A Genre, in: Word & Image, 15/1 (Januar-März 1999), S. 7-18, hier S. 9: „It is one thing to borrow an ancient term (like ‚ekphrasis’ or, to take an example from another domain, ‚democracy’) and endow it with an altered meaning. It is quite another to assume that the shared name is a sign, or proof, of real historical continuity.” 26 Vgl. Rebel, Bis Winckelmann, S. 13. 27 Vgl. Heinrich Dilly, Bildgeschichten und Bildkritik der traditionellen Kunstgeschichte (20.01.2004), online verfügbar unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=390> (abgerufen am 29.05.2007). 28 Vgl. Rosenberg, S. 299. 29 Vgl. Rebel, Bis Winckelmann, S. 14f.

11

diesem Sinne als „verbal representation of a visual representation“.30 Die inhaltsbedingte

Schwierigkeit der Kunstbeschreibung als literarischer Form besteht darin, dass sie ein

künstlerisches Medium in ein anderes übertragen will. Bis ins 18. Jahrhundert wurde die

grundsätzliche Möglichkeit der ‚Übersetzung’ stillschweigend vorausgesetzt. Bildende und

darstellende Künste (genauer: Malerei und Literatur) wurden eng aufeinander bezogen.31

Diese Vorstellung berief sich auf wirkungsmächtige antike Topoi: Horaz hatte in seiner Ars

poetica das Diktum „ut pictura poesis“ geprägt.32 Er rekurriert wiederum auf einen

Ausspruch, den Plutarch Simonides von Keos zuschreibt: „Simonides nun nennt Malerei

stumme/ lautlose Dichtung und Dichtung sprechende Malerei.“33

In der Vorrede zum Laokoon greift Lessing auf diesen Topos zurück. Er verwahrt sich jedoch

gegen die „wildwuchernden Vergleiche“34 zwischen bildender Kunst und Literatur, die in der

Berufung auf die antiken Topoi entstanden seien. Die „Afterkritik“ dieser Topoi habe „in der

Poesie die Schilderungssucht, und in der Malerei die Allegoristerei erzeuget“ und so die

Wirkungsgrenzen der Künste überschritten.35 Lessing grenzt die Malerei und Skulptur als

Kunst des Raums von der Literatur als Kunst der Zeit ab:

Gegenstände, die nebeneinander oder deren Teile nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.36

Lessings Argumentation stellt die Idee von der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Künste

in Frage und entzieht dem Konzept von der Übersetzbarkeit des Bildes in Worte seine Basis.

In der Folge bildet sich ein Bewusstsein für die Problematik, die der Kunstbeschreibung

inhärent ist. Dieses Bewusstsein ist es, das Baxandall Ende des 20. Jahrhunderts zu der

resignativen Behauptung veranlasst, die Kunstbeschreibung könne weder das Bild noch den

30 James A. W. Heffernan, Museum of Words: The Poetics of Ekphrasis from Homer to Ashbery, Chicago 1993, S. 3. 31 Vgl. Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer, Einleitung. Wege der Beschreibung, in: Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer (Hgg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 9-19, hier S. 9. 32 Quintus Horatius Flaccus, Ars poetica. Die Dichtkunst, rev. und bibliograph. ergänzte Aufl., übers. und mit einem Nachwort hg. von Eckart Schäfer, Stuttgart 1984, S. 26 (V. 361). 33 Plutarch, Bellone an pace clariores fuerint Atheniensis, in: Ders., Moralia, Bd. IV, hg. und übers. von Frank Cole Babbitt, London 1960, S. 489-527, hier S. 501. 34 Christoph Buch, Ut Pictura Poesis. Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács, München 1972, S. 28. 35 Lessing, Laokoon, S. 5. 36 Ebd., S. 114.

12

Akt des Sehens angemessen wiedergeben, sondern lediglich „Gedanken über das

Gesehenhaben des Bildes“ formulieren.37

Etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Sichtweise auf die Kunst verändert.

Zunehmend wurde man sich der „geschichtlichen Besonderheit“ und der „ästhetischen

Eigengesetzlichkeit“ der Kunst bewusst.38 Die Folgen für die Kunstliteratur können mit

Rosenberg als „Krise der Repräsentation“ bezeichnet werden.39 Die Kunstbeschreibung sieht

sich nun immer häufiger mit der Notwendigkeit konfrontiert, über ihr eigenes Vorgehen zu

reflektieren. Pfotenhauer fasst die Situation folgendermaßen:

Von nun an hat die Ekphrasis ihre Unschuld verloren; sie ist um die Möglichkeit gebracht, darauf loszureden im Vertrauen darauf, dass Kunst ja stumme Dichtung sei und deshalb jederzeit in Sprache übersetzbar. Von nun an wird das Geschäft der Deutung komplex und reflexiv oder sollte es zumindest werden. Und es mischt sich darein immer auch ein wenig Trauer über das sisyphoshaft Aussichtslose des Unabdingbaren der in Sprache aufgelösten Kunst.40

Die literarische Kunstbeschreibung sucht nach neuen Lösungen für die angemessene

‚Übersetzung’ vom Bild ins Wort. Diese Bemühungen sind schon in Heinses 1776 und 1777

erschienenen Düsseldorfer Gemäldebriefen erkennbar. Dort bezieht Heinse implizit Stellung

zur Problematik der ‚Übersetzung’, indem er die Gestalt eines taubstummen Malers einführt,

der über einen besonderen Zugang zu den Gemälden verfügt.41 Diese Figur „weiß von allen

den Vorurtheilen und Unnatürlichkeiten wenig, die wir durch’s Gehör und in den Schulen

erhalten“ (SW IX, 284) und repräsentiert somit das unvoreingenommene, unverbildete

Sehen.42 Die Figur des taubstummen Malers ist für Heinses Beschreibungspraxis insofern

bedeutsam, als er in den Gemäldebriefen darauf abzielt, „das Urerleben, den originären Genuß

37 Michael Baxandall, Ursachen der Bilder. Über das historische Erklären von Kunst, Berlin 1990, S. 37. 38 Robert Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung. Von der Norm zur Freiheit des Blicks, Köln 1997, S. 163. 39 Rosenberg, S. 312. 40 Helmut Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse. Die Typen der Beschreibungskunst im 18. Jahrhundert oder die Geburt der neueren Kunstgeschichte, in: Gottfried Boehm und ders. (Hg.), Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart, München 1995, S. 313-340, hier S. 328f. 41 Vgl. Robert Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise – oder einige Anmerkungen zur Wechselwirkung von Rationalität und Sinnlichkeit in der Kunstbetrachtung, in: Ernst Rebel (Hg.), Sehen und Sagen. Das Öffnen der Augen beim Beschreiben der Kunst, Ostfildern 1996, S. 40-73, hier S. 43. 42 Laut Goer steht der taubstumme Maler für einen Blick auf Kunst, der mit Max Imdahls „sehendem Sehen“ zu vergleichen ist. Vgl. Goer, S. 124. „Sehendes Sehen“ meint bei Imdahl eine Wahrnehmung, die darauf verzichtet, die Bildgegenstände aus der Erfahrung zu identifizieren. Vgl. Max Imdahl, Cézanne – Braque – Picasso, in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. III: Reflexion – Theorie – Methode, hg. und eingel. von Gottfried Boehm, Frankfurt/M. 1996, S. 303-380. Der Begriff des „sehenden Sehens“ ist an der modernen Malerei entwickelt worden. Eine Parallele zu Heinses taubstummem Maler lässt sich allenfalls auf der Ebene der unvoreingenommenen Perspektive aufzeigen. Um ein nicht-identifizierendes Sehen kann es Heinse wohl kaum gegangen sein.

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der Betrachtung“ zu vermitteln.43 Die Gemäldebriefe weisen mehr als einen Hinweis darauf

auf, dass Heinse sich der Grundproblematik der Ekphrasis bewusst war. Den Rubens-

Beschreibungen schickt er die Bemerkung voraus: „Gemahlt und beschrieben ist schier so

sehr von einander verschieden, wie sehen und blind seyn […].“ (SW IX, 341.)

Heinse hat die „Krise der Repräsentation“ verinnerlicht. Er sieht die mediale Kluft zwischen

dem Kunstwerk und jeder potentiellen Beschreibung. Allerdings ist diese Erkenntnis in

Heinses Fall noch nicht gleichbedeutend mit dem Verzweifeln an der Aufgabe. Bei Karl

Philipp Moritz, der 1786 in Rom eintrifft, führt das Bewusstsein für die Unübersetzbarkeit des

Kunsterlebnisses zu einem furchtsamen Verstummen angesichts der Gefahr einer

unangemessenen Beschreibung. Über seinen Besuch in den Vatikanischen Museen schreibt

Moritz in den Reisen eines Deutschen in Italien:

Ich bin denn auch im Vatikan gewesen, habe den Apollo von Belvedere, den Laokoon und den Torso gesehen, den Fechter in der Villa Borghese und so viel andre herrliche Monumente, dennoch wage ich es jetzt nicht, über dies alles eine Silbe zu schreiben. [...] Ich muß Sie also bitten, mein Lieber, so lange mit einer Beschreibung von der Villa Medicis, von einem Aufzuge des Papstes usw. vorliebzunehmen, bis allmählich sich mir die Zunge löset und ich imstande bin, über Schönheit und über Kunst die ersten Laute hervorzubringen, die ihres Gegenstandes würdig sind.44

Während Moritz verstummt, führt Heinses Weg, der Übersetzungsproblematik der Ekphrasis

beizukommen, über die Sprache. Zwar ist auch sein ekphrastisches Schaffen bereits von einer

grundlegenden Skepsis gegenüber der angemessenen Vermittlung von Kunst durch Sprache

geprägt, jedoch führt diese Skepsis nicht zu einer Furcht vor der unangemessenen

Beschreibung und letztlich zum Verstummen, sondern im Gegenteil zu einer unermüdlich

wiederholten Annäherung an das Kunstwerk aus unterschiedlichen Blickwinkeln.45 Er sucht

nach neuen Möglichkeiten, Werke der bildenden Kunst mit den Mitteln der Sprache so

lebendig darzustellen, wie sie ihm erscheinen.46 Die Tatsache, dass Heinse in den

italienischen Aufzeichnungen deutlich weniger häufig über das Vorgehen der Beschreibung

43 Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise, S. 43. 44 Karl Philipp Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788. In Briefen, in: Ders., Werke in zwei Bänden, Bd. 1, hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Berlin und Weimar 1973, S. 1-199, hier S. 44f. 45 Die italienischen Aufzeichnungen zeigen, dass Heinse gerade die ‚klassischen’ antiken Skulpturen mehrfach gesehen und beschrieben hat. 46 Allerdings muss einschränkend bemerkt werden, dass Heinses Kunstbeschreibungen nicht ausschließlich innovativ sind. Tatsächlich ist seine Beschreibungspraxis in den italienischen Aufzeichnungen an vielen Stellen von traditionellen Ansprüchen an die Kunstbeschreibung beeinflusst. Siehe hierzu Kapitel 8 und 9.

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reflektiert, macht deutlich, dass Heinse diese Möglichkeiten nicht in theoretischer

Überlegung, sondern in der Beschreibungspraxis selbst zu finden hofft.

3 „Ich habe große Lust wieder nach Rom“ - Italien und die Folgen

In seinem Aufsatz über den Ardinghello bezeichnet Macher Heinses Italienreise als „zentrales

Ereignis seines Lebens“.47 In der Tat existierte der Plan einer Italienreise bereits lange vor der

Abreise. Seit 1772 war Heinses Studium und literarische Produktion quasi als Vorbereitung

auf die Reise zu verstehen. Heinse studiert die italienische Malerei und Literatur, übersetzt

Tasso und Ariost. Die Finanzierung des Unternehmens stand damals noch in den Sternen. Erst

1780 kann Heinse, finanziell unterstützt von Gleim und Friedrich Heinrich Jacobi,

aufbrechen. Sein ästhetisch geschulter Geist sucht in Italien vor allem das Kunsterlebnis, sei

es in den Gemälden der italienischen Meister, den Skulpturen der alten Griechen, der

Architektur der Renaissance-Palazzi und Kirchen oder der Musik der Opera seria. Im

Folgenden soll die Bedeutung des ‚Italienerlebnisses’ für Heinses Schaffen näher beleuchtet

werden.

3.1 Sehnsucht nach dem „Winckelmannischen Apollo“ Der erste Gedanke an eine Italienreise ist in einem Brief an Gleim vom 2. Juni 1772 zu

finden. Hier schreibt Heinse:

Auch ich wusste weder Weg noch Steg, wohin ich wandeln sollte, ich weiß ihn zwar iezt auch nicht, aber Sie haben mir Muth gemacht, unwegsame Pfade zu betreten und gleich einem Herkules würd ich’ nunmehr über die Gebürge des Caucasus gen Circassien und Georgien dahin schreiten, wie viel leichter über den Brenner und die Tyrolischen Gebürge nach Italien?48

Von hier an spricht Heinse in seinen Briefen häufiger über Reisen in ferne Länder. Italien

steht noch nicht im Fokus seines Fernwehs. Vielmehr ist seine Reiselust als eine Art

Trotzreaktion auf seine unbefriedigende Situation in Deutschland zu verstehen. Diese

Vermutung legt zumindest ein weiterer Brief an Gleim vom 18. Juni desselben Jahres nahe.

Dort spricht Heinse über die Hoffnungen, die er in die Fürsprache von Christian August

Clodius setzt und fügt hinzu: „Und wenn Herr Clodius und seine schöne und weise Julie

47 Heinrich Macher, Heinses Ardinghello als Ergebnis seiner Italienreise, in: Klaus Manger (Hg.), Italienbeziehungen des klassischen Weimar, Tübingen 1997, S. 153-179, hier S. 154. 48 Wilhelm Heinse, Sämmtliche Werke [im Folgenden im Text zitiert als SW], Bd. IX, hg. von Carl Schüddekopf, Leipzig 1904, S. 61f.

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nichts für mich können – nun! dann reis’ ich ganz gewiß nach Griechenland oder zum Aly

Bey [...].“ ( SW IX, 72.) Im September 1772 erhält Heinse durch die Vermittlung Gleims eine

Hauslehrerstelle in Halberstadt. Italien verliert er jedoch nicht aus den Augen. Wie Macher

bemerkt, können die Studien Heinses seit 1772 als eine kontinuierliche Vorbereitung auf die

Reise betrachtet werden.49 Mit der Mutter seines Zöglings, Elisabeth von Massow, liest er die

italienischen Dichter. Als Ergebnis dieser Studien sei er, so schreibt Heinse am 8. Dezember

1773 an Gleim, jetzt „so in Italien zu Hause, als wenn ich in diesem Tempe der Erde gebohren

und erzogen worden wäre [...].“ (SW X, 152.) In ebendiesem Brief tritt das Ausmaß von

Heinses Italiensehnsucht zum ersten Mal deutlich zutage:

Es ist mir nicht möglich, die heftige Leidenschaft, die Schönheiten Italiens zu empfinden, in dem Herzen zu ersticken, und sollt’ ich auch bey Wasser und Brod, und zu Fuße nach Rom wandern und bey dem Anblicke des Winckelmannischen Apollo Buttlers Tod sterben. (SW X, 154.)50

Eindeutig ist als Reiseziel der so genannte Apollo vom Belvedere (Abb. 1) benannt, der durch

Winckelmanns Beschreibung in der Geschichte der Kunst des Altertums (1764) endgültig

kanonische Wirkung erlangt hatte.51 Indem Winckelmann dem Apollo, dem Laokoon (Abb. 2)

und dem so genannten Torso vom Belvedere (Abb. 4) besondere Aufmerksamkeit schenkt,

etabliert er eine strenge Hierarchie, die keine Abweichungen erlaubt. Pfotenhauer illustriert

die Wirkung dieser Hierarchie sehr eindrücklich an einem Reflex in Georg Christoph

Lichtenbergs Sudelbüchern:

Ich habe in England, wenn ich ein Kabinett besah, die Regel gnau beobachtet, ich erinnere mich unter andern auf einem Landhaus des Lord Hollands […] einen Demokrit gesehen zu haben, der mir eigentlich besser gefiel als alle die kostbaren teuren Antiken, die da waren, allein den Henker hab ich das gesagt, ich stund minutenlang vor einem Caligula und Trajanus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, wer wird sich von den Bedienten auslachen lassen?52

Italien war im 18. Jahrhundert zum „Land der Kunst“ avanciert53 und zog vor allem Dichter

und Künstler von jenseits der Alpen an. Heinse strebt jedoch nicht nach theoretischem

Kunstwissen im Sinne einer aufklärerischen Bildungsreise. Seine Idee einer Italienreise ist 49 Vgl. Macher, S. 154. 50 Vom „Winckelmannischen Apollo“ spricht Heinse auch in der Vorrede zur Petronius-Übersetzung. Diese schließt mit den Zeilen: „Geschrieben in Augsburg im May 1772 während meiner Reise nach Italien, um den Winckelmannischen Apollo zu betrachten.“ (SW II, 23.) 51 Terras stellt fest, dass Heinse Winckelmann frühestens in Düsseldorf und möglicherweise erst in Italien selbst gelesen hat. Er war jedoch mit Winckelmanns Ansichten über Sekundärliteratur - vor allem Friedrich Justus Riedels Theorie der Schönen Künste (1767) - bekannt. Vgl. Rita Terras, Wilhelm Heinses Ästhetik, München 1972, S. 25. 52 Sudelbücher, Heft E, Nr. 165, in: Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 1 und 2, hg. von Wolfgang Promies, München 1968, hier Bd. 1, S. 382. 53 Zippel, S. 14.

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vielmehr bestimmt von dem Bedürfnis, sein kunsttheoretisches Wissen vor dem Original

mittels der eigenen Wahrnehmung zu überprüfen.54

Die Wurzel von Heinses Italiensehnsucht sieht Kruft in seiner Verbindung zum

anakreontischen Kreis um Wieland und Gleim.55 Wie diese identifizierte Heinse in hohem

Maße das zeitgenössische Italien mit dem vergangenen Griechenland der Antike. Zeller weist

darauf hin, dass, seit Winckelmann in Rom „die griechischen Originale durch die römischen

Kopien hindurch gesehen hatte“, jeder Italienreisende meinte, mit Rom zugleich auch

Griechenland zu sehen.56 Heinses Bedürfnis selbst zu sehen bezieht sich zunächst also auf die

in Italien ausgestellten antiken Statuen, die im 18. Jahrhundert noch durchweg als griechische

Originale galten. Eine unwiderstehliche Sehnsucht, so schreibt er am 6. Juni 1778 an Gleim,

ziehe ihn „unter die Schatten der Griechen zu Florenz und Rom“ (SW IX, 393).

3.2 Italienerlebnis Mit den Jahren verlagert sich jedoch der Fokus. Als Heinse 1780 endlich aufbricht, geht es

ihm vor allem um „ein unmittelbares Erleben“ des mystifizierten Landes.57 Davon zeugen die

zahlreichen Notizen von der Reise durch die Schweiz und durch die italienische Landschaft.

Heinse hängt der von Dubos58 formulierten und von Winckelmann und Lessing

aufgegriffenen Klimatheorie an, nach der die Kunstfähigkeit eines Volkes unmittelbar mit der

vom Klima beeinflussten Lebensqualität zusammenhängt.59 Nach dieser Auffassung

herrschten in Griechenland die günstigsten Bedingungen für die Entwicklung einer

Hochkultur und ihrer Kunst. Heinse überträgt die Annahmen der Klimatheorie auf Italien. In

seinen Augen weist das Land der Römer ein Mehr an Leben auf, das notwendigerweise zu

einem Mehr an Kunst führt. Dieses Surplus an Lebensqualität hofft Heinse am eigenen Leib

zu erfahren.

Ähnlich wie Winckelmann hofft Heinse, in Italien etwas zu finden, was es in Deutschland für

ihn nicht gibt. Kruft spricht in diesem Zusammenhang von einem „Durchdringen zum eigenen

54 Vgl. Terras, S. 22. Wie Baeumer in seiner Studie zu Winckelmann und Heinse überzeugend darlegt, kann man in bezug auf die 1770er Jahre eigentlich noch von einem Verifizierungsbedürfnis sprechen. Die Auflehnung gegen Winckelmanns kanonische Beschreibungen der Antiken im Vatikan kristallisierte sich erst vor Ort heraus. Vgl. Baeumer, S. 21. 55 Hanno-Walter Kruft, Wilhelm Heinses italienische Reise, in DVjs für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 41 (1967), S. 82-97, hier S. 83. 56 Hans Zeller, Wilhelm Heinses Italienreise, in: DVjs für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 42 (1968), S. 23-54, hier S. 30. Auch Kruft bemerkt diese Identifikation von Italien und Griechenland. Vgl. Kruft, S, 83. 57 Kruft, S. 84. 58 Jean-Baptiste Dubos, Réflexions critiques sur la poésie, la peinture et la musique (1719). 59 Vgl. Terras, S. 32.

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Leben“.60 Italien ist für Heinse der Ort, an dem sein ‚richtiges Leben’ stattfindet, während

seine Existenz in Deutschland von der verzweifelten Suche nach einem Broterwerb bestimmt

wird. Seine Bemühungen, die Abreise aus Rom hinauszuzögern bzw., wieder in Deutschland,

eine Stelle zu finden, die ihm die Rückkehr nach Italien ermöglicht, lassen vermuten, dass er

das Erhoffte gefunden hat. Aus Rom schreibt er am 3. Mai 1783 an Jacobi:

Binnen drey Wochen reis ich sicherlich von hier ab, eher kann ich mich nicht losreißen. Treff ich zu Livorno ein Schiff, das auf günstigen Wind nach Holland wartet: so seegl ich bald an den Zaubergestaden vorbey vergöttert in die hohen Fluthen des Ozeans. Und o., fänd ich da einen Columbus nach einer neuen Welt! oder hätte selbst ein Argonautenchor dahin! mein Herz lüstet nach Gefahren. Ist aber keins da, so laß ich die Ohren hängen, und mache mich auf den Weg nach München, und streiche von dort im Flug nach dem Rhein hin, der mich dann gütig Adleraugen hell auf seinem Rücken zu Ihnen tragen wird ach! in ein für mich Unruhigen zu paradiesisch leben; denn mein Puls hat unter dem welschen Himmel noch schneller schlagen gelernt, und der neidische Müller beißt die Zähne zusammen, wenn er sich in dreyßig Schlägen sechse von mir zurück fühlt.61

Heinse reist größtenteils zu Fuß, was wohl in erster Linie den knappen finanziellen Mitteln

geschuldet ist. Andererseits kann man die bewusst langsame Art zu reisen mit Macher auch

als Ausdruck eines Paradigmenwechsels betrachten. Wenngleich seine Reiseroute weitgehend

Johann Jakob Volkmanns Historisch-kritischen Nachrichten von Italien (1770-71) folgt,

weicht die Zielstellung seiner Reise von derjenigen der aufklärerischen Bildungsreise oder der

Kavalierstour ab.62 Heinse sucht Italien vor allem als „Land der Selbstverwirklichung“ auf, an

dem sein Leben Bedeutung bekommen soll.63 Seine Italienreise steht unter dem Zeichen des

Erlebens, das Natur und Kunst, Land und Leute umfasst. Wie Kruft bemerkt, bilden Natur

und Kunst, Vergangenes und Gegenwärtiges „eine Einheit, die sich in der übergeordneten

Vorstellung des ‚Lebens’ zusammenschließt.“64 Dilthey beschreibt das „Erlebnis“ als eine

Form der intensiven, persönlichen Aneignung der Welt:

Denn im persönlichen Erlebnis ist ein seelischer Zustand gegeben, aber zugleich in Beziehung auf ihn die Gegenständlichkeit der umgebenden Welt. Im Verstehen und Nachbilden wird fremdes Seelenleben erfasst, aber es ist doch nur da durch das hineingetragene eigene.65

60 Kruft, S. 84. 61 An Jacobi am 3. Mai 1783. Friedrich Heinrich Jacobi, Gesamtausgabe, Bd. I,3: Briefwechsel 1782-1784. Nr. 751-1107, hg. von Peter Bachmaier, Michael Brüggen, Heinz Gockel, Reinhard Lauth und Peter-Paul Schneider, Stuttgart - Bad Cannstadt 1987, S. 140. Heinse reist übrigens nicht „binnen drey Wochen“ ab, sondern verlässt Rom erst am 7. Juli 1783. 62 Vgl. Macher, S. 158. 63 Ebd., S. 158. 64 Kruft, S. 86. 65 Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin, Leipzig 1988, S. 166.

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Höhepunkt der Reise ist unbestreitbar Rom. Von einer Reise nach Neapel unterbrochen, lebt

Heinse dort fast zwei Jahre. Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1781 bis 1783 belegen, dass

er so gut wie alles gesehen haben muss, was man damals in Rom sehen konnte.66 Er besucht

Kunstsammlungen und sieht die bedeutendsten Kunstschätze von Rom. Er besichtigt die

Palazzi und Villen einflussreicher Römer Familien. Er erlebt die italienische Musik in der

Oper und in Konzerten. Er durchstreift die Ruinen der antiken Monumente, besichtigt die

Kirchen der Stadt und steigt immer wieder auf die Hügel hinauf um die Stadt im Rahmen der

sie umgebenden Natur zu betrachten. Sein Anspruch ist es nicht, Wissen anzuhäufen, sondern

die Stadt Rom ‚am eigenen Leibe’ zu erleben.

In das Romerlebnis spielen Kunst und Natur in ihrer Funktion als Ausdruck des Lebens zu

gleichen Teilen hinein. Diese Verquickung bestimmt bereits die ersten Eindrücke von der

Stadt, die Heinse in seinem ersten Brief aus Rom an Jacobi beschreibt:

Es war mir, wie ich anlangte, als ob ich mich der eigentlichen Herrschungssphäre näherte. Die triumphierende Lage, ungeheuer lang und breit, um den wilden Tyberstrom herum, mit den gebietrischen Hügeln voll stolzer Palläste in babylonischen Gärten, und despotischer Tempel mit himmelhohen Kuppeln, an dem prächtigen Amphitheater der Gebürge von Frescati und Tivoli; die Brückengewölbe, thürmenden Thore, flammenden Obelisken, bemoosten und mit Grün überzognen Ruinen alter Herrlichkeit, und das kühle Rauschen von Schritt zu Schritt von tausend und aber tausend lebendigen Springbrunnen wie in den quellenreichen Alpen drinn, und manche männliche und weibliche antike Gestalt mit heißem blick und warmen Gebehrden in Helden und Siegerinnengang auf den weiten Plätzen und in den unabsehlichen Straßen erweckten eine Wunderempfindung von einer neuen Natur in mir, die ich noch nicht gehabt hatte.67

Die „Wunderempfindung von einer neuen Natur“ versucht Heinse, in den folgenden Jahren

immer wieder in literarische Form zu gießen. Bezeichnenderweise verdeutlicht sich Heinses

‚Italienerlebnis’ an seinen Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst. Kunst steht für

Heinse nicht im Gegensatz zur Natur, sondern ist deren Ausdruck.68 Nach Heinses

grundsätzlich mimetischem Kunstverständnis soll die Kunst das Leben erfassen. Dieses kann

sie, mit Dieterles Worten, nur, „wenn der Künstler, auch wenn er traditionelle Themen

behandelt, aus der sinnlich erfahrbaren, ihn umgebenden Welt schafft, ja allgemein aus dem

Erleben der eigenen, historischen und nationalen Situation schöpft.“69 Diese Auffassung tritt

66 Vgl. Zippel, S. 57. 67 Am 15. September 1781 an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,2, S. 339. Heinse war um den 27. August herum in Rom angekommen. 68 Vgl. Goer, S. 109. 69 Bernard Dieterle, Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden, Marburg 1988, S. 31.

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uns besonders aus den Beschreibungen antiker Statuen entgegen, die für Heinse in erster Linie

Dokumente griechischen Lebens sind.70 Vor Heinses Augen verschwindet die Materialität des

Kunstwerkes und gibt den Blick frei auf die Natur, nach der der Künstler geschaffen hat.

Kunst ist nicht in ihrer Gemachtheit interessant, sondern als Zeugnis eines Lebens, dem

Heinse in Italien auf der Spur ist.

3.3 „Das Sehen nimmt mir viel Geld weg.“ Charis Goer überschreibt das Kapitel über Heinses Düsseldorfer Gemäldebriefe mit dem

Schlagwort „Selbstsehen“.71 Es kann prinzipiell auch als Prämisse von Heinses italienischen

Kunsterfahrungen gelten. An Gleim schreibt er im Juni 1782 aus Rom: „Man muss Italien

selbst sehen, lieber Vater Gleim, es lässt sich wenig darüber schreiben, was einem andern statt

eignen Anschauens dienen könnte“ (SW X, 164). Die Bedeutung des Selbstsehens als

Bestandteil einer Individualästhetik erläutert Goer folgendermaßen:

Das Selbstsehen ist die bildästhetische Ausprägung des für Heinse charakteristischen Ansatzes einer Individualästhetik, derzufolge jeder Einzelne seine eigene, ihm gemäße Erkenntnisweise hat. Deshalb kann und soll der Horizont des Kunstrezipienten sich nicht darauf beschränken, das Gedachte und Empfundene des Künstlers oder die Beschreibungen und Interpretationen gelehrter Kritiker nachzuvollziehen. Das Selbstsehen ist vielmehr ein eigenwertiger kreativer Prozeß, dessen Ergebnis vorläufig und subjektiv ist.72

Wie oben demonstriert wurde, war Italien für Heinse lange Zeit das Land des

„Winckelmannischen Apollo“. Das Bild von Italien und seinen Kunstschätzen war geprägt

durch die einschlägige Reiseliteratur und Winckelmanns kanonische Beschreibungen der in

Italien aufbewahrten antiken Statuen. Wie später Goethe benutzte auch Heinse den Volkmann

und verglich seine eigenen Eindrücke mit den im Reiseführer enthaltenen Kunst- und

Architekturbeschreibungen. Vom Beginn seiner Reise an legt Heinse jedoch Wert darauf, nur

das zu beschreiben und zu beurteilen, was er selbst längere Zeit vor Augen hatte. Seine

eigenen Ansprüche an Kunstbetrachtung und –beschreibung treten in der Kritik an dem 1728

veröffentlichten Traité de la peinture et de la sculpture von Jonathan Richardson (Vater und

Sohn) besonders deutlich hervor.

70 Siehe hierzu ausführlicher Kapitel 4.4. 71 Goer, S. 97. Wie Goer aufzeigt, war Lessing in bezug auf das Selbstsehen noch ganz anderer Meinung. Im 13. der Briefe antiquarischen Inhalts heißt es: „[…] ich bin nicht in Italien gewesen; ich habe den Fechter nicht selbst gesehen! – Was tut das? Was kömmt hier auf das selbst Sehen an?“ Gotthold Ephraim Lessing, Briefe, antiquarischen Inhalts, in: Ders., Werke, Bd. 5,1: Werke 1766-1769, hg. von Wilfried Barner, S. 353-582, hier S. 398. 72 Goer, S. 125f. Vgl. auch Ebd., S. 43.

20

Der Sohn hat kurze Zeit und oft flüchtig genug noch dazu gesehen; und der Vater meistens wie es scheint, u er machen hernach zu Hause weitläuftige Anmerkungen großentheils aus andern Kunstbüchern darüber, und ersetzen aus eignem Gehirn, was der Sohn nicht recht sah an Ort u Stelle. [...] Sie vertheidigen sich in der Vorrede, daß der Sohn sich nur wenige Monate in diesem reichen Lande aufgehalten habe; und wenn sie etwas gründliches-fürtrefliches geliefert hätten: so könnte man es immer hingehen lassen; aber albern ist gewiß, wenn ein andrer hernach sich eben so vertheidigen will, daß er gar nichts gesehen hat von allem dem, worüber er die Kreuz u die Queere u die Länge und die Breite urtheilt aus anderer Geschreibsel u Hörensagen. (FN I, 988 – N11, 47r-47v.)

Dem Prinzip des Selbstsehens folgend, kommt es für Heinse nicht in Frage, sich aus der

Ferne, also anhand der Gipsabgüsse in deutschen Sammlungen, eine Meinung über die antike

griechische Skulptur zu bilden.73 Ebenso wenig will er sich anmaßen, italienische Malerei zu

beurteilen, ohne den Gemälden in ihrem Entstehungsland persönlich begegnet zu sein.

Wiederum tritt Heinses Vorstellung von Kunst als Ausdruck des Lebens hervor. Die

Erfahrung von Land und Leuten liefert ihm den Hintergrund, vor dem die italienischen

Meister zu lesen sind. Wie einem Brief an Jacobi vom 26. Januar 1781 zu entnehmen ist, ist

diese Vorstellung maßgebliches Movens für eine Reise nach Griechenland:

Ich bin so überzeugt, als von meiner Existenz, daß man weder italiänische Musik, noch Poesie, noch Mahlerey (wie ich anderwärts darthun werde) vollkommen oder richtig verstehen und genießen kann, ohne in Italien gelebt zu haben; und eben so ists mit griechischer Kunst. Ich finde dieß, was mich immer auf und davon getrieben hat, jetzt alle Tage in der Anschauung und Wirklichkeit wahr. Die alten Helden und Schönen und Weisen und Künstler sind gestorben: aber die Natur lebt noch.74

So ist das Besichtigen von Kunstsammlungen in Venedig, Florenz oder Rom für Heinse nicht

in erster Linie kognitive Tätigkeit im Sinne eines Studiums, sondern sinnliche Erfassung.

„Das Sehen nimmt mir viel Geld weg“ schreibt er am 15. September 1781 aus Rom.75

Die Bedeutung des Selbstsehens für Heinse kann nicht überschätzt werden. In den zahlreichen

Kunstbeschreibungen aus italienischen Sammlungen tritt Heinse dem Leser immer wieder in

der Rolle des Augenzeugen gegenüber. Die Bedeutung der Augenzeugenschaft äußert sich

vor allem in den detaillierten Erfassungen des Zustands der antiken Statuen im Vatikan. Über

mehrere Seiten zählt Heinse jede Ergänzung, jede Beschädigung auf.76 Dabei geht es nicht um

archäologische Vollständigkeit. Heinses Anspruch ist es vielmehr, kraft seiner eigenen

73 Vgl. Terras, S. 72. 74 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,2, S. 260. 75 Ebd., S. 342 [Hvhb. J.B.]. 76 Vgl. z.B. die Zustandserfassung des Apollo vom Belvedere (FN I, 752f. – N18, 33r-34r) oder der Laokoon-Gruppe (FN I, 759f. – N18, 45v-46v).

21

sinnlichen Wahrnehmung einen Zugang zum Kunstwerk in seiner Materialität und Bedeutung

zu finden.

4 Kunst als Dokument des Lebens

Auch wenn sich diese Arbeit nicht mit den ästhetischen Auffassungen Heinses befasst, muss

sie doch der Untersuchung der italienischen Kunstbeschreibungen einen Exkurs über Heinses

Kunstverständnis und dessen zentrale Begriffe voranstellen. Wie später deutlich werden wird,

versteht Heinse Kunst nicht als Darstellung eines überzeitlichen Ideals (wie es z.B.

Winckelmann getan hatte), sondern als „Ausdruck der Wirklichkeit und Besonderheit eines

Volkes, einer Landschaft und eines bestimmten Zeitalters.“77 Seine Kunstauffassung ist

grundsätzlich mimetisch, bezieht sich allerdings nicht auf die Nachahmung einzelner

zufälliger Erscheinungen, sondern fordert vom Künstler eine genaue Kenntnis der ihn

umgebenden Natur, die ihn befähigt, das Wesentliche seiner Welt zu erfassen und

wiederzugeben.78 Vor dem Hintergrund dieser Kunstauffassung wird die Beschreibung zur

Rekonstruktion der Natur, die der Kunst zugrunde liegt.

4.1 „Leben allein wirkt in Leben“. Die Norm der Natur Für Heinses Kunstauffassung ist der Begriff der Natur von großer Bedeutung. Die Natur ist in

ihrer Schönheit der Schönheit der Kunst grundsätzlich überlegen.79 Bereits sein Ausruf in den

Gemäldebriefen zeugt von Heinses Höherschätzung der Natur als schöpferischer Kraft: „O

heilige Natur, die du alle deine Werke hervorbringest in Liebe, Leben und Feuer, und nicht

mit Zirkel, Lineal, Nachäfferey, dir allein will ich ewig huldigen!“ (SW IX, 344.) Demzufolge

muss die Kunst bei der Natur ansetzen. Nach Heinses Überzeugung kann die Kunst nur durch

77 Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997, S. 19. 78 Vgl. Terras, S. 32. 79 Hiermit richtet er sich gegen die klassizistische Kunstauffassung, die sich auf Belloris These von der Übertreffung der Natur durch die Kunst gründet. Siehe hierzu Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Leipzig 1924. Auch Mengs setzt die ‚zusammengesetzte’ Schönheit der Kunst gegen die Schönheit der Natur. Nach dieser Auffassung zeichnet sich der große Künstler durch seine Fähigkeit zur Auswahl aus. Vgl. Anton Raphael Mengs, Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Malerei, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 195-249, hier S. 207-210.

22

die Nachahmung der Natur überhaupt eine Wirkung erzielen.80 Dieses Konzept von

Kunstproduktion richtet sich gegen Winckelmanns Überzeugung, die Nachahmung der

Antiken sei der kürzeste Weg zur „Kenntnis des vollkommenen Schönen“.81 Winckelmanns

Vorstellung vom Schaffen nach dem Vorbild der antiken Kunst setzt er das Konzept eines

Schaffens nach dem Leben bzw. nach der Natur entgegen.82

Nach dieser Vorstellung wurzelt die Kunst in der unmittelbaren Lebenswelt des Künstlers und

speist sich aus seinen individuellen Erfahrungen mit dieser Welt. Der Künstler erreicht dann

wahre Größe, wenn er „aus der sinnlich erfahrbaren, ihn umgebenden Welt schafft, ja

allgemein aus dem Erleben der eigenen, historischen und nationalen Situation schöpft.“83

Wenn sich die Kunst vom Leben entfernt, wird sie zum bloßen „Gespenst“,84 ist sie jedoch im

Leben verwurzelt, kann sie den Betrachter erreichen und berühren. „...Denn Leben allein

wirkt in Leben“, resümiert Heinse in den Gemäldebriefen (SW IX, 300). Das Verhältnis

zwischen Kunst und Leben ist nicht eines der Opposition, sondern der Verankerung. Wie

Goer bemerkt, sind Natur und Kunst bei Heinse „keine Antonyme, sondern Natur ist in

diesem speziellen Sinn als Gegenbegriff zum klassizistischen Ideal zu verstehen.“85 Der

lebensweltliche Anknüpfungspunkt ist sowohl für den Kunstproduzenten als auch für den

Rezipienten von entscheidender Bedeutung.

In den Gemäldebriefen wählt Heinse Rubens als Gewährsmann für die Vorstellung einer aus

dem Leben entspringenden Kunst. Rubens repräsentiert für Heinse wahre künstlerische

Größe, da er in seinem Schaffen immer seiner unmittelbaren Lebenswelt verhaftet geblieben

sei. Statt „griechische Schönheit“ nachzuahmen, habe er aus seiner Erfahrung geschöpft und

sei so zu einer „flamändischen“ Schönheit gelangt, „auf seinem Boden empfangen und

gebohren“ (SW IX, 341). Gegen Winckelmanns normative Vorstellung des klassischen Ideals

setzt Heinse das Konzept der Individualschönheit, die historisch variieren kann. Nach dieser

historistischen Auffassung hat das Ideal der Griechen für die nachfolgenden Künstler keine

Gültigkeit mehr. Wie im folgenden Kapitel deutlich werden wird, ist die Schönheit der

griechischen Skulpturen für Heinse das Resultat eines lebendigen Verhältnisses zur Natur.

Demzufolge ist es nicht die Nachahmung der griechischen Werke, die die modernen Künstler

80 Vgl. Gottfried Boehm, Anteil. Wilhelm Heinses „Bildbeschreibung“, in: Helmut Pfotenhauer (Hg.), Kunstliteratur als Italienerfahrung, Tübingen 1991, S. 21-39, hier S. 36. 81 Winckelmann, Gedanken, S. 13. 82 Die Begriffe Natur und Leben werden bei Heinse weitgehend synonym verwendet. 83 Dieterle, S. 31. 84 „Die bildende Kunst hat sich so weit von ihrem Ursprung entfernt, daß sie heutiges Tages kein Alter mehr hat: entweder Gespenst ist, oder heilige Erscheinung, oder so verklärt, daß man wenig von unserm Fleisch und Bein an ihr sieht.“ (SW IX, 330.) 85 Goer, S. 109.

23

wie die Griechen werden lassen kann, sondern die künstlerische Aneignung der Natur. In N10

proklamiert Heinse: „Die Natur ist die Norm“ (FN I, 941 – N10, 123v). Die größten Künstler

sind für Heinse diejenigen, die erkennbar der Norm der Natur gefolgt sind.

4.2 Lebensnähe und Lebensferne In den italienischen Aufzeichnungen hebt Heinse vor allem die Bildhauer der klassischen

Antike und die Maler der italienischen Renaissance als vorbildliche Künstler hervor. Wie für

Winckelmann sind auch für ihn die Bildhauer der griechischen Antike absolut unangreifbar:

Die Alten drückten alle das Leben, was sie empfunden hatten, in den vollkommensten Formen und Gestalten aus, die dazu stimmten; und deßwegen sind sie die Götter der Kunst. Noch dazu war das Leben, das sie von ihren Menschen in sich empfanden, edel in reiner Natur, und nicht bloß bürgerliche Convenienz. (FN I, 583 – N14, 63r.)

Die größere künstlerische Qualität der antiken Werke ist nach Heinse durch zwei Umstände

bedingt: Zum einen ist die Kunst enger mit dem Leben verknüpft, wodurch sie nicht nur

thematische, sondern auch formale Wahrhaftigkeit gewinnt. Zum anderen erscheint ihm das

Leben der Griechen generell ‚natürlicher’ und weniger von Konventionen der modernen

Gesellschaft verfremdet. Die innigere Verbindung der Griechen zur Natur, besonders zum

nackten menschlichen Körper, ist auch ein Bestandteil von Winckelmanns Griechenbild. In

den Gedanken schreibt er: „In Griechenland aber, wo man sich der Lust und Freude von

Jugend auf weihete, wo ein gewisser bürgerlicher Wohlstand der Freiheit der Sitten niemals

Eintrag getan, da zeigte sich die schöne Natur unverhüllet zum großen Unterrichte der

Künstler.“86

Für Heinse ist es nicht nur das Verhältnis der Griechen zum menschlichen Körper, das sie

über andere Völker erhebt. wie bereits oben erwähnt wurde, schreibt er den klimatisch

begünstigten Ländern Griechenland und Italien gewissermaßen einen Mehrwert an Leben zu.

Unter der südlichen Sonne, so scheint ihm, intensiviert sich das Leben. Dieses Mehr an Leben

führt notwendigerweise zu einem Mehr an Kunst. In seinem letzten Brief aus Italien an Jacobi

schreibt Heinse:

Die Künste sind Töchter der Freude; und die südlichen Völker haben weit mehr Uebung darin, als die nördlichen, welche sich immer mit physischen und melancholischen Uebeln plagen müssen, und nicht die lebendige und schöne Natur um sich haben.87

86 Winckelmann, Gedanken, S. 8. 87 Am 12. August 1783 aus Mantua. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 196.

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Das Verhältnis der Griechen zur Natur und die Verwurzelung ihrer Kunst in der Lebenswelt

sind das Maß, an dem Heinse alle nachantiken Kunstwerke misst. Heinse schließt vom Leben

auf die Kunst. Durch ihre innigere Beziehung zur Natur im weitesten Sinne haben

Griechenland und Italien einen kunstschöpferischen Vorteil gegenüber den nördlichen

Ländern. Für die Entfremdung von der ‚schönen Natur’ macht Heinse außerdem die

Konventionen der modernen Gesellschaft verantwortlich. Als Opfer dieser Entfremdung

haben zeitgenössische Künstler bei ihm keine Chance. Grundsätzlich attestiert Heinse den

neueren Künstlern einen Mangel an Lebensnähe und einen Hang zur Manier. Sein Zorn auf

die zeitgenössische (klassizistische) Kunst entlädt sich in einer der wenigen Passagen, in

denen Heinse ästhetische Reflexionen anstellt:

Und solche unerträglich leere Gesichter und Gestalten nennen die elenden Schelme, die weiter nichts als ihr Handwerk nach Gipsen gelernt haben, wahre hohe Kunst, und wollen mit Verachtung auf die kraftvollen Menschen herunter sehen, die die Schönheiten ihres Jahrhunderts mit lebendigen Herzen in sich erbeutet haben!(FN I, 884 – N10, 42v.)

Die Schönheiten ihres Jahrhunderts mit lebendigen Herzen in sich erbeuten – nichts weniger

als das ist es, was Heinse vom Künstler fordert. Kunst erscheint in diesem Zusammenhang als

ein ‚Dokument’ des Lebens als individueller historischer Situation. Die Norm allen

Kunstschaffens ist nicht das überzeitliche Ideal der Griechen, sondern vielmehr „die

Übereinstimmung mit der ständig wechselnden Natur, die kein absolutes Ideal zulässt.“88 Die

Griechen stellen in dieser Vorstellung das Nonplusultra des Kunstschaffens dar. Unter den

neuzeitlichen Künstlern sind es besonders die großen Vertreter der italienischen Renaissance-

Malerei, allen voran Raffael, die Heinse begeistern können. Jedoch werden auch die verehrten

Renaissance-Maler immer wieder in ihrem Schaffen kritisiert.89 Pfotenhauer weist darauf hin,

dass Heinse sich selbst an den eindeutig antiklassizistischen Stellen seines Werkes nicht

völlig vom „herrschenden Geschmack“ lösen kann.90 Die Hierarchie der Künstler, an deren

Spitze die Bildhauer der griechischen Antike stehen, wird auch bei Heinse nicht angetastet.

Der antiklassizistische Reflex zeigt sich bei ihm in einer Umdeutung der

Gestaltungsprinzipien. Als lebensnahe ‚große Menschen’ können die antiken Bildhauer und

88 Terras, S. 12. 89 So kritisiert Heinse z.B. an Michelangelo dessen angeblichen Mangel an Lebenserfahrung: „Die größten Meister der neuern Zeit sind Michel Angelo an Richtigkeit im Nackenden, und Erhabenheit seiner Denkungsart. Doch hat er kein Gefühl für schöne Form gehabt, und ein elendes Auge für Farbe, und war gar zu arm an Gestalt. Er hatte wenig Gemeinschaft mit andern Menschen, und wußte also auch wenig, was sie freut.“ (FN I, 1045 – N22, 51v). 90 Helmut Pfotenhauer, Um 1800. Konfigurationen der Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik, Tübingen 1991, S. 66.

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die Maler der italienischen Renaissance auch ihm wertvoll sein.91 Auch Raffael, den

Winckelmann als Gewährsmann für das Kunstschaffen aus der Idee heraus anführt,92

erscheint bei Heinse als ein lebensverbundener, aus der Natur schaffender Künstler.93

Terras bezeichnet Heinses Kunstauffassung als „extremen ästhetischen Naturalismus“.94 Wie

die Forschung mehrfach angemerkt hat, greift diese Positionsbestimmung jedoch zu kurz und

muss differenziert werden.95 Zwar ist Kunst nach Heinses Verständnis Dokument des Lebens,

jedoch ist seine daraus resultierende Forderung an die Kunstproduktion nicht die eines

‚platten’ Naturalismus. Die oben zitierte Vorstellung eines Erbeutens „mit lebendigen

Herzen“ impliziert eine empfindsame Aneignung der Natur, die sich nicht in der formalen

Genauigkeit erschöpft, sondern auf das Wesentliche der ‚schönen Natur’ abzielt.96 Heinses

Konzept der Naturerschließung ist primär sinnlich, jedoch ist die sinnliche Wahrnehmung

unmittelbar an das ‚Organ’ der Empfindung gekoppelt.97 „Man kann die Natur nicht

abschreiben; sie muß empfunden werden, in den Verstand übergehen, und von dem ganzen

Menschen wieder neu gebohren werden“, notiert Heinse in Rom (FN I, 1044f. – N22, 51r).

Das Zusammenwirken von sinnlicher Wahrnehmung, Empfindung und Verstand ist die

Voraussetzung für ein Kunstwerk, das „wieder andre Natur“ wird (FN I, 1045f. – N22, 52r).98

Naturnachahmung bedeutet für Heinse also keineswegs, wie Terras behauptet, lediglich das

„Kopieren der stofflichen Wirklichkeit“,99 sondern ist ein Prozess, an dem Gefühl und

Verstand gleichermaßen teilhaben.100

91 Vgl. Goer, S. 109 über die Gemäldebriefe. 92 Vgl. Winckelmann, Gedanken, S. 10. Winckelmann bezieht sich hier auf einen Brief Raffaels an Baldassare Castiglione, in dem Raffael die Bedeutung der Idee für sein künstlerisches Schaffen würdigt: „Übrigens muß ich Euch sagen, daß ich, um eine Schöne zu malen, deren mehrere sehen müsste, und zwar unter der Bedingung, daß Ew. Herrl. sich bei mir befänden, um eine Auswahl der Allerschönsten zu treffen. Da nun aber immer Mangel an richtigem Urteil wie an schönen Frauen ist, bediene ich mich einer gewissen Idee, die in meinem Geiste entsteht. Ob diese nun einige künstlerische Vortrefflichkeit in sich trägt, weiß ich nicht; wohl aber bemühe ich mich, sie zu erreichen.“ Zit. nach: Künstlerbriefe der Renaissance, ausgewählt auf Grund des Werkes von Ernst Guhl, mit einer Einführung von Wilhelm Miessner, Berlin 1913, S. 63. 93 Vgl. Rosemarie Elliott, Wilhelm Heinse in Relation to Wieland, Winckelmann, and Goethe: Heinse’s Sturm und Drang Aesthetics and New Literary Language, Frankfurt/M. 1996, S. 87; Terras, S. 49. 94 Terras, S. 38. 95 Vgl. Elliott, S. 67; Pfotenhauer, Um 1800, S. 37. 96 Vgl. Karl Detlev Jessen, Heinses Stellung zur bildenden Kunst und ihrer Ästhetik. Zugleich ein Beitrag zur Quellenkunde des Ardinghello, Berlin 1901, S. 38 und 41. 97 Vgl. Boehm, Anteil, S. 24f. 98 Der Begriff fällt im Zusammenhang mit Raffaels mangelhafter Behandlung des Nackenden, das eben nicht „andre Natur“ geworden sei. 99 Terras, S. 42. 100 Elliott bezeichnet Heinses Würdigung der Rolle des Verstandes bei der Erschließung der Natur als einen Reflex der Aufklärung. Vgl. Elliott, S. 69f.

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4.3 Ansicht und Durchsicht als Grundprinzipien der Kunstbeschreibung Wenn die Kunst, wie Heinse annimmt, Dokument der Lebenswelt des Künstlers ist, dann ist

es die Aufgabe des Betrachters, dieses Leben aus dem Kunstwerk wieder herauszudestillieren.

Eben dieser Prozess des ‚Herauslesens’ ist an vielen Kunstbeschreibungen in den italienischen

Aufzeichnungen zu erkennen. Sein Blick greift gleichsam durch die Materialität des

Kunstwerkes hindurch und erfasst die Quelle des Kunstwerkes in der Lebenswelt des

Künstlers. Bernauer weist auf eine Passage in den Beschreibungen aus Venedig hin, in der

Heinse die Beschreibung des Bethlehemitischen Kindermordes von Guido Reni in die

Kategorien Natur und Kunst unterteilt (FN I, 338 – N32, 23r). Die unmittelbar darauf

folgende Beschreibung von Carraccis Geburt Johannis101 kann Heinses Anliegen

verdeutlichen.

Die Geburt Johannis. Das beste Gemählde von Ludwig Carracci, das ich gesehen habe. - Viel Conventionelle Natur; in der alten Elisabeth, die von dem Kinde zärtlich wegblickt, u ihr Glück mit Mienen zeigt. Bewunderung voll Naivität, in der Donna, die ihr zur rechten sitzt, und dem alten Zacharias mit der Feder, der auch wegblickt. Das junge Weib, das davor kniet, macht mit ihrer prächtigen Mahlerstellung die Composition vollkommen. Kunst. Ist wirklich außerordentlich. Schöne Composition, schöne Beleuchtung, schöne Zeichnung, Mannigfaltigkeit in Gestalten, schönes Kolorit. Und der Jubel der Engel vom Himmel macht ein herrliches Ganzes. (FN I, 338f. – N32, 23v. Hvhb. J.B.)

Bernauer sieht hier ein ekphrastisches Verfahren begründet, das für Heinses italienische

Kunstbeschreibungen bestimmend ist. Er fasst die Gegenüberstellung der

Beschreibungskategorien Natur und Kunst als eine „Verdrehung“ von Winckelmanns

Beschreibungsdualismus einer „Idealischen Beschreibung“ und einer Beschreibung „nach der

Kunst“ auf.102 Bei Winckelmann widmet sich die Beschreibung „nach der Kunst“ vor allem

der Gemachtheit des Kunstwerkes, seinen bildhauerischen Eigenschaften und deren

Bedeutung als Stilmerkmale. Die „idealische Beschreibung“ imaginiert auf der Basis des

visuell Feststellbaren die ursprüngliche Gestalt und Bestimmung einer fragmentarischen

101 Lodovico Carracci, Geburt Johannis des Täufers (fertiggestellt 1604), Öl/ Lw., 420x268 cm, Bologna, Pinacoteca Nazionale, Inv. 463. Die Angaben zu den Kunstwerken sind dem umfangreichen Kommentar zur Neuausgabe der Aufzeichnungen entnommen. Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. III: Kommentar zu Bd. I, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005. 102 Markus Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, hg. von Markus Bernauer u.a., München und Wien 2005, S. 249-322, hier S. 287. Winckelmann thematisiert sein Vorgehen erstmals in der Torso-Beschreibung in der Bibliothek der Schönen Wissenschaften und der Freyen Künste, 5,1 (1762). Vgl. Johann Joachim Winckelmann, Torso-Beschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 167-185, hier S. 174.

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Skulptur und ist also eher literarische Nachschöpfung als Deskription.103 Heinses

Beschreibung nach der Natur ist letztendlich eben so imaginativ wie Winckelmanns

„idealische Beschreibung“. Sein Blick zielt jedoch auf eine ganz andere Ebene.104 Während

Winckelmanns „Idealische Beschreibung“ die dargestellte Figur in ihrem überzeitlichen

mythologischen Kontext rekonstruiert, sucht Heinses Beschreibung den Anschluss an die

Natur, wie sie der Künstler erfahren haben kann.

Im Beschreibungsfeld der Natur richtet Heinse seinen Blick durch die Darstellung hindurch

auf das Dargestellte. Im Zusammenhang mit Raffaels Doppelbildnis des Andrea Navagero

und des Agostino Beazzano105 spricht Heinse von der „Natur in der Kunst“, die dem

Betrachter aus dem Bild entgegentrete (I, 1047 – N22, 54r). Hier tritt die „entschiedene

Aktualisierung der Bildwirklichkeit“ zutage, die Boehm an Heinses Kunstbeschreibungen

bemerkt hat.106 Je stärker Heinse vom Ausdruck des Kunstwerkes beeindruckt ist, desto mehr

tritt die Betrachterwirklichkeit zurück. Aus Leinwänden und Marmorsäulen werden reale

Räume und reale Menschen. Das Kunsterlebnis ist im Wesentlichen ein Erlebnis der

Entgrenzung.107

Dieses Phänomen ist sicher nicht nur Heinse begegnet. Vermutlich kennt jeder

Kunstliebhaber das Erlebnis einer plötzlichen, irrationalen Ergriffenheit von den Vorgängen

der Bildwirklichkeit, vor der die Gemachtheit des Kunstwerkes verschwindet. Heinse jedoch

erlebt diese Entgrenzung nicht nur, er räumt ihr in seinen konkreten Kunstbeschreibungen

einen wichtigen Platz ein. Die Unterscheidung der Beschreibungskategorien Natur und Kunst

lässt darauf schließen, dass das häufig wiederkehrende Phänomen des Durchgriffs auf die

Bildwirklichkeit als Lebenswelt des Künstlers nicht nur unreflektierter Ausdruck einer

spontanen Ergriffenheit ist, der in einer veröffentlichten Form getilgt worden wäre. Vielmehr

scheint hier eine bewusste Entscheidung vorzuliegen, die der Entgrenzung als rezeptivem

Phänomen den Vorrang einräumt. Wie Boehm bemerkt, geht es Heinse nicht primär um das

103 Vgl. Rosenberg, S. 311. 104 Elliott bemerkt, dass Heinses imaginatives Verfahren sich insofern von Winckelmanns unterscheidet, als er auf die Evidenz der materiellen Beschaffenheit reagiere. Sie bezieht sich damit auf Heinses erotische Deutung des Torso (siehe Kapitel 5.4), die sich angeblich auf der Beobachtung basiert, dass in den Schenkeln des Torso Zapfenlöcher vorhanden sind. Vgl. Eliott, S. 84. Dieses Argument kann für andere Fälle wohl kaum geltend gemacht werden. 105 Öl/ Lw., 77x111cm, Galleria Doria-Pamphilj, Inv. 130; 01. 106 Boehm, Anteil, S. 36. 107 Mit dem Begriff der Entgrenzung operiert vor allem Baeumer. Siehe Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 40; Max L. Baeumer, Das Dionysische in den Werken Wilhelm Heinses. Studie zum dionysischen Phänomen in der deutschen Literatur, Bonn 1964, S. 121.

28

Schaffen eines ‚Abbildes’, sondern darum, das Kunstwerk „als ein Gefüge von Wirkungen,

als ein Parallelogramm von Kräften“ zu erschließen.108

Auf den ersten Blick scheint die Unterteilung in Natur und Kunst lediglich die Kategorien des

Inhalts und der Form zu bezeichnen, wie sie seit Alberti die Struktur jeder Kunstbeschreibung

bestimmen.109 Allerdings meint die Kategorie der Natur bei Heinse nicht lediglich das Was im

Gegensatz zum Wie, sondern stellt sich vielmehr als direkter Zugriff auf eine (imaginierte)

lebensweltliche Quelle des Kunstwerkes dar. Die Einführung der Natur als

Beschreibungskategorie bekommt vor dem Hintergrund von Heinses Kunstauffassung eine

andere Gewichtung. Obwohl Heinse die Differenzierung in Natur und Kunst nicht in dieser

Form durchhält, bleibt sie doch für seine Technik der Kunstbeschreibung maßgeblich. In der

Beschreibungspraxis erscheinen die Kategorien der Natur und der Kunst als unterschiedliche

Verfahren der Annäherung an das Kunstwerk. Unter der Kategorie der Kunst fasst Heinse

eine Ansicht des Werkes, während die Beschreibung der Natur eines Werkes im Wesentlichen

eine Durchsicht auf das zugrunde liegende ‚Leben’ ist. Aufschlussreich ist eine Bemerkung

Heinses in N32, die als Selbstanweisung zu lesen ist: „Such in jedem Kunstwerk zuerst die

Natur, und hernach die Kunst; wenn du davon richtig urtheilen willst. Wer anders thut, sucht

die Quellen vom Strom bergab; und schwatzt davon wie ein Narr“ (FN I, 368 – N32, 67v).110

Nach diesem Grundsatz greift Heinses Blick durch die Materialität des ‚Produkts’ auf seine

Quelle in der konkreten Lebenswelt des Künstlers.

4.4 Der lebensweltliche Anker. Imaginierte Modelle und Äquivalenzfiguren In seiner Untersuchung der Gemäldebriefe bezeichnet Pfotenhauer eines der oben

angesprochenen Verfahren als eine „Technik anekdotischer Veralltäglichung“.111 Er bezieht

sich damit auf Heinses ‚Übersetzung’ von Bildgeschehnissen in Phänomene, die der Rezipient

in seiner Lebenswelt verorten kann. Dabei bedient sich Heinse vor allem der

„psychologisierenden“112 Ausdeutung von Ausdruck und Stellung der Figuren. Er eröffnet

damit einen Spielraum, in dem dargestellte Person und Rezipient sich begegnen können, in

dem Bildwirklichkeit und Betrachterwirklichkeit miteinander verschmelzen. Als eine Unterart

der „Veralltäglichung“ kann Heinses Tendenz betrachtet werden, eine Verbindung zur

Lebenswelt des Künstlers, eine Art ‚lebensweltlichen Anker’ zu konstruieren. 108 Boehm, Anteil, S. 37. 109 Vgl. hierzu Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse, S. 317. 110 Diese Bemerkung erschien Heinse offenbar so bedeutsam, dass er sie 1799 in das ‚Bewahrheft’ N63/II eintrug. Vgl. FN II, 1065 – N63/II, 9v. 111 Pfotenhauer, Um 1800, S. 43. 112 Ebd., S. 43.

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Wie oben bereits erläutert, funktioniert Kunst für Heinse nur über den „Vergleichspunkt“ in

der Natur.113 Demzufolge spielt die Imagination des lebensweltlichen Vorbildes in Heinses

Kunstbeschreibungen eine wichtige Rolle. So schreibt er über den so genannten Genius

Borghese114: „Es scheint, als ob ein junger Kastrat dazu Modell gestanden hätte.“ (FN I, 1019

– N22, 19v.) Tizians Venus von Urbino115 (Abb. 5) hingegen erscheint ihm als „eine reizende

junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren“ (FN I, 433 – N32, 166r).

Im Falle der antiken Skulpturen kann die Rekonstruktion des Vorbilds als Reflex gegen

klassizistische Idealvorstellungen und als Aufwertung im Sinne von Heinses Auffassung von

der „Natur in der Kunst“ zu gelesen werden. Zwei weibliche Statuen aus den Vatikanischen

Sammlungen erscheinen ihm umso reizvoller, da sie „gewiß Gesichter aus Griechenland“ sind

(FN I, 750 – N18, 30v.)116 Auch Gestik und Mimik einer dargestellten Figur entspringen

notwendigerweise einer lebensweltlichen Quelle. Das Schreien des älteren Laokoon-Sohnes117

(Abb. 3) erscheint Heinse von „einem Kind genommen, das die Ruthe vor sich sieht, und

schon ein paar rasende Hiebe gekriegt hat.“ (FN I, 770 – N18, 63r.)

Durch die Verbindung zwischen Kunstwerk und lebendiger Person, die durch die Imagination

des Modells etabliert wird, kann Heinse das ansonsten bezugslose Dargestellte in der

Lebenswelt des Künstlers verorten. Das Verfahren ist somit als ein Reflex gegen das

klassizistische Idealschöne im Allgemeinen und gegen Winckelmanns Skulpturendeutung im

Besonderen zu verstehen.118 Figuren der Mythologie im weitesten Sinne (d.h. auch der

christlichen ‚Mythologie’) und allegorische Figuren werden über die Imagination des Modells

mit der Lebenswelt des Künstlers verbunden. Mit Hilfe dieses Kunstgriffs können Werke, die

keine realen Personen abbilden, sondern Personifikationen abstrakter Konzepte sind und

somit Heinses Darstellungsprinzipien widersprechen, für seine Kunstauffassung gerettet

werden.119

113 Boehm, Anteil, S. 36. 114 Marmor, 171 cm, Römisch-kaiserzeitliche Kopie einer Statue des Praxiteles, heute im Louvre (MA 545). 115 Öl/ Lw., 119x165 cm, Florenz, Uffizien. Entstanden vor 1548. 116 Es handelt sich um die Statue einer Göttin, als Demeter ergänzt, Marmor, 298 cm, Vatikanische Museen, Sala Rotonda, Inv. 254 und um die Statue der Euterpe, als Melpomene ergänzt, Marmor, ohne Plinte 392 cm, heute im Louvre, Inv. MA 411. 117 Laokoon-Gruppe, Weißer Marmor, Höhe 184 cm, Cortile del Belvedere, Inv. 1059. Die Gruppe wurde 1506 in Rom gefunden und bald darauf im Statuenhof ausgestellt. 118 Winckelmann hatte den antiken Skulpturen ihren festen Platz im Rahmen der Mythologie zugewiesen und sie damit auf eine übermenschlich-ideale Ebene angehoben. Ausführlicher dazu in Kapitel 8.1. 119 Ein ähnlicher Fall liegt auch in Heinses Beschreibung von Raffaels Vertreibung des Heliodor in den Vatikanischen Stanzen vor. Heinse kann die Engelsfiguren nicht als bloße Kopfgeburten akzeptieren, sondern vermutet, Raffael habe sie „an ein paar zürnenden feurigen Römischen Burschen im Sprung abgesehen.“ (FN I, 1032 – N22, 34r.)

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Nahe verwandt mit und kaum abzugrenzen von dem Verfahren der Modellimagination ist

Heinses Strategie, eine Äquivalenzfigur zu konstruieren, die der dargestellten Gestalt in Typ

und Ausdruck gleicht. Über eine Büste des Sarapis120 bemerkt er: „Es ist das wahre Bild von

einem tüchtigen Sultan.“ (FN I, 762 – N18, 50r.) Die Auffassung, dass jede Darstellung des

menschlichen Körpers notwendigerweise eine lebensweltliche Quelle gehabt haben müsse, ist

Winckelmanns Konzept von der idealischen Schönheit diametral entgegengesetzt. Für Heinse

gibt es keine rein idealische Gestalt, wie sie Winckelmann in den antiken Statuen im Vatikan

ausgedrückt sah. Über den Apollo vom Belvedere121 heißt es in der Geschichte der Kunst des

Altertums:

Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebauet, und er hat nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nöthig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen.122

Abstraktion und Idealisierung als künstlerische Grundprinzipien sind für Heinse inakzeptabel.

Eine Gestalt, die nur der Imagination des Künstlers entspringt, kann auf den Betrachter mit

‚lebendigem Herzen’ niemals wirken. Da die Werke der griechischen Bildhauer aber auch auf

ihn selbst ihre Wirkung nicht verfehlen, so Heinses Schlussfolgerung, muss Winckelmann die

Gestaltungsprinzipien falsch gefasst haben. „Jede Form ist individuel, und es giebt keine

abstrakte; eine bloß ideale menschliche Gestalt läßt sich weder von Mann noch Weib und

Kind und Greis denken“, notiert Heinse (FN I, 883 – N10, 42r). Die Gestalt der antiken

Statuen wird hier entschieden auf das Leben im antiken Griechenland zurückbezogen. In Rom

notiert Heinse:

Winckelmann hat ganz unrecht, daß er die Statuen der Götter von den Griechen so enthusiastisch über die Menschen setzt; Jupiter bleibt Mensch u Apollo; alles, was über die vollkommne menschliche Form hinausgeht, ist Fratze. Jupiter ist Monarch, u Apollo ein erhabner feuriger Jüngling, nichts weiter. (FN I, 878f. – N10, 35r.)

Heinse wendet das Äquivalenzverfahren nicht nur auf Göttergestalten der griechischen

Mythologie an, sondern auch auf Sujets aus dem Bereich der christlichen Religion. So

120 Marmor, 93 cm (antiker Teil), Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 245. 121 Marmor, 224 cm, Cortile del Belvedere, Inv. 1015. Hadrianische Kopie nach einem Original des Leochares aus dem dritten Viertel des 4. Jh.s v. Chr. Der Apollo gelangte 1509 in den Vatikan. 122 Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums [im Folgenden zitiert als GK], in: Ders.: Schriften und Nachlass, Bd. 4, hg. von Adolf H. Borbein, Mainz/Rh. 2002, S. 814 [Die Seitenzählung folgt der Paginierung des Originals]. Die Ausgabe stellt die erste und zweite Auflage der Geschichte nebeneinander. Da Heinse die zweite Auflage studiert und exzerpiert hat, soll diese hier verwendet werden.

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erscheint ihm Christus in einer Marienkrönung in Perugia123 wie „ein Sonnenverbrannter

Enthusiast aus Kalabrien […], in seinem starken Bart um die Kinnbacken, u derbem rechten

aufgehobnen Arm.“ (FN I, 1173 – N19, 40r.) Hier liegt eine Veralltäglichung vor, die nicht

als Satire gemeint ist, sondern auf eine Vermenschlichung der eigentlich übermenschlichen

Figur abzielt. Gepaart mit historisch aufgeladener Überhöhung, zeigt sich diese Absicht auch

in der Beschreibung einer vermeintlich michelangelesken Kreuzigungsdarstellung124:

Christus ist ein leidender Pyrrhus, Alexander, Caesar u Hannibal, und was man Großes u erhabnes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling voll Güte für den großen Haufen, der der Menge unterlag. Ein Tiberius Gracchus u die Mutter eine Cornelia voll Feuer u Geistesstärke u Größe. (FN I, 1017 – N22, 17r.)

Die Vermenschlichung erfolgt hier über den Vergleich mit ‚großen Männern’ der Antike, die

durch das tertium comparationis des würdevollen Scheiterns miteinander verbunden sind.

Baeumer deutet Heinses Analogieverfahren als „extreme Umdeutung der christlichen

Demuts- und Leidensgestalten in antike Krafthelden, damit sie der Schönheitsauffassung des

Sturm und Drang und seiner exaltierten Antikenverehrung entsprechen.“125

Die Konstruktion einer Verankerung in der historischen Lebenswelt wirkt in zwei

Richtungen. Zum einen können die nach klassizistischem Kunstverständnis großen Künstler

auch für die antiklassizistische Kunstauffassung Heinses vereinnahmt werden. Zum anderen

will das imaginative Verfahren der Modellbestimmung auch eine Verbindung zur

Vorstellungswelt des Rezipienten schaffen. Heinse geht davon aus, dass der Kunstbetrachter

nur von denjenigen Kunstwerken affiziert wird, die in Form und Inhalt an seinen

Erfahrungshorizont anknüpfen.126 Die Forderung nach lebensweltlicher Verwurzelung gilt

somit nicht nur für den Kunstschaffenden, sondern auch für den Rezipienten. In den

Gemäldebriefen schreibt Heinse:

Der Schwede sieht in der Mediceischen Venus ein Weib, von dessen gleichen er nie ein Gefühl im Herzen gehabt hat; und hält es also, ohne den mindesten Grad der Täuschung für ein wohlgerathenes Kunstwerk von kaltem weißen Marmor (wenn er Geschmack hat,) und das Wunder wird an ihm zu Schanden, ärger

123 Raffael (?) und Werkstatt (u.a. Giulio Romano und Gianfrancesco Penni), Marienkrönung (Altarretabel mit Predella, zwischen 1503 und 1505 in Auftrag gegeben), Öl/ Holz, 354 x 230 cm, heute Pinacoteca Vaticana, Inv. 359. Der Vergleich mit dem „sonnenverbrannten Kalabrier“ geht übrigens auch in die Beschreibung im Ardinghello ein (A 325). 124 Die Beschreibung wurde bisher meist auf Marcello Venustis Kreuzigung bezogen. Allerdings unterscheidet sie sich deutlich von Heinses Beschreibung der Venusti-Kreuzigung in der Villa Doria-Pamphilj. Eventuell bezieht sich die Beschreibung auf eine Kreuzigungsdarstellung von Venusti (um 1550) in Florenz (Öl/Lw., 50x32,7 cm, Florenz, Uffizien, Inv. 1559, als Dauerleihgabe in der Casa Buonarroti). 125 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 40. 126 Vgl. Terras, S. 70f.

32

prostituirt, da sie allein ist, als Juno und Pallas, nach der Fabel, beym Paris. (SW IX, 299.)

Hier tritt die doppelte Bindung von Heinses Lebensbegriff zutage. Einerseits erreicht der

Künstler nur dann wahre Größe, wenn er aus seiner unmittelbaren Lebenswelt schöpft,

andererseits kann der Rezipient nur unter der Bedingung einer lebensweltlichen

Bekanntschaft mit dem Bildgegenstand von der Wirkung der ‚Täuschung’ erfasst werden. In

seinen Kunstbeschreibungen zieht Heinse die Konsequenz aus dieser Auffassung: durch

verschiedene Analogiestrategien konstruiert er eine Verbindung zwischen der durch den

Künstler erlebten Natur und dem Kunstwerk und schlägt so eine Brücke zu den

Erfahrungsmöglichkeiten des zeitgenössischen Rezipienten.

5 „Zur Schönheit selbst gehört der Charakter...“. Charakterisierung als Strategie der psychologischen Verlebendigung

Wie bereits festgestellt worden ist, sind Heinses beschreibende Texte der „poetischen“

Tradition der Kunstbeschreibung zuzuordnen, da sie weniger dem beschriebenen Kunstwerk

als vielmehr der beschreibenden Kunst verpflichtet sind. So verwundert es nicht, dass

literarische Entwicklungen des 18. Jahrhunderts sich in Heinses Kunstbeschreibungen

wiederspiegeln.127 Von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit den italienischen

Aufzeichnungen ist das Konzept des Individualcharakters im Gegensatz zum Typus.128

Heinses Kunstbeschreibungen fokussieren auf die dargestellten Personen und sind somit

häufig als ‚Charakterisierungen’ zu lesen. Die Charakterisierung der dargestellten Figuren

erfolgt über verschiedene Strategien. Die künstlerische Kategorie des Ausdrucks spielt in

Heinses Beschreibungen grundsätzlich eine bedeutende Rolle. Das Verfahren der

Charakterisierung überschreitet jedoch die Grenzen des visuell Ablesbaren. An vielen Stellen

arbeitet Heinse imaginativ und erschafft so die dargestellten Figuren neu nach dem Bilde der

Literatur.

127 Baeumer stellt besonders die literarische Bewegung des Sturm und Drang als maßgeblichen Einfluss auf Heinses Werk heraus. Vgl. Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997. 128 Laut Gero von Wilpert ist ein Charakter „jede in einem dramatischen oder erzählerischen Werk auftretende, der Wirklichkeit nachgebildete oder fingierte, aber durch individuellere Charakterisierung in ihrer Eigenart als unverwechselbare, vielschichtige, auch widersprüchliche Persönlichkeit von den bloßen unprofilierten Typen abgehobene Figur einer Dichtung.“ Gero von Wilpert, „Charakter“, in: Sachwörterbuch der Literatur, hg. von Gero von Wilpert, Stuttgart 2001, S. 128-129, hier S. 128.

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5.1 Der Individualcharakter in der Literatur des 18. Jahrhunderts Für Heinses Beschreibungen von Werken der bildenden Kunst ist der Begriff des Charakters

von zentraler Bedeutung. Aus der Physiognomie einer Figur spricht nicht ein Typus, sondern

ein differenzierter Charakter. Dass im Laufe des 18. Jahrhunderts auf allen Ebenen der

Literatur Typen von Charakteren abgelöst werden, ist Konsens der Literaturwissenschaft.129

In der Hamburgischen Dramaturgie hatte Lessing Charaktere „von gleichem Schrot und

Korne“ wie die Rezipienten gefordert.130 In Lessings eigenem dramatischen Schaffen kann

man die Entwicklung vom Typus zum Charakter deutlich nachvollziehen. Während die

früheren Stücke noch der Typenkomödie verpflichtet sind und Titel wie Der junge Gelehrte

(1747) oder Die alte Jungfer (1749) tragen, tritt die Individualisierung in der

Charakterkonzeption der späteren Dramen bereits im Titel zutage. Miß Sara Sampson (1755)

oder Minna von Barnhelm (1763 begonnen, gedruckt 1767) nennen ihre Protagonistinnen

beim Namen und machen so den Fokus auf ein bestimmtes Individuum deutlich. Die

Ablösung des Typus durch den Charakter zeigt sich nicht nur in der Literatur. Jannidis

bemerkt, dass auch in der bildenden Kunst und in der Musik ein „Prozeß zunehmender

Differenzierung in der Personendarstellung“ zu beobachten ist.131

Auch auf die bildenden Künste nimmt der Wandel in der Individualitätskonzeption Einfluss.

Herder legt im Ersten Kritischen Wäldchen den dichterischen Ursprung der griechischen

Mythologie dar und schlussfolgert daraus, dass die mythologischen Figuren ebenfalls den

Gesetzen der literarischen Charakterkonzeption unterworfen sind. Als grundlegend

literarische Wesen seien sie keine Abstrakta, sondern „himmlische Individua, die freilich

durch ihre Handlungen sich einen Charakter festsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee

in Figur zu zeigen [...].“132 Die Individualisierungsforderung betrifft bei Herder auch die

bildende Kunst, die in vielen Fällen auf die Mythologie zurückgreift. Insofern sie ihre Sujets

aus der Mythologie bezieht, kann sie auch Darstellungstechniken der Literatur verwenden und

auf typisierende Attribuierungen von mythologischen Figuren verzichten. Die folgenden

Bemerkungen über mythologische Figuren sind mithin auch in Anwendung auf die bildenden

Künste zu lesen.

129 Vgl. z.B. Peter J. Brenner, Die Krise der Selbstbehauptung. Subjekt und Wirklichkeit im Roman der Aufklärung, Tübingen 1981, S. 86. 130 Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie (75. Stück), in: Ders., Werke und Briefe, Bd. 6: Werke 1767-1769, hg. von Klaus Bohnen, Frankfurt/M. 1985, S. 181-694, hier S. 559. 131 Fotis Jannidis, Das Individuum und sein Jahrhundert. Eine Komponenten- und Funktionsanalyse des Begriffs ‚Bildung’ am Beispiel von Goethes „Dichtung und Wahrheit“, Tübingen 1996, S. 51. 132 Johann Gottfried Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, In: Ders., Werke in zehn Bänden, Bd. 2: Schriften zur Ästhetik und Literatur 1767-1781, Hg. von Gunter E. Grimm, Frankfurt/M. 1993, S. 57-245, hier S. 146.

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Ich schließe also: daß Götter und geistige Wesen ‚bei dem Dichter nicht bloß handelnde Wesen sind, die über ihren allgemeinen Charakter noch andre Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können,’ wie Herr L. sagt, sondern daß diese andre Eigenschaften und Affekten, kurz! eine gewisse eigne Individualität ihr wahres Wesen und der allgemeine Charakter, der etwa aus dieser Individualität abgezogen, nur ein späterer, unvollkommener Begriff sei, der immer untergeordnet bleiben mußte, ja bei Dichtern oft in gar keinen Betracht komme.133

Auch Heinse ist der Idee vom charakterstarken Individuum verpflichtet. Nicht nur in seinen

Romanen nimmt der Individualcharakter eine bedeutende Position ein. Das

‚Charakteristische’134 wird auch zum Maßstab für die bildende Kunst. In Auseinandersetzung

mit Lessings These, dass die Schönheit das höchste Ziel der Kunst sei,135 schreibt Heinse:

„Zur Schönheit selbst gehört der Charakter, oder das, wodurch sich eine Person von der

andern unterscheidet; individuelles Wesen. Körperliche Schönheit mit lebendigem Charakter

ist das schwerste der Kunst.“ (FN I, 914 – N10, 86v.) Die Vorstellung von der

charakteristischen Figur wendet sich somit gegen ein rationalistisches Kunstverständnis und

gegen das klassizistische Konzept eines übergeordneten Ideals.136 Im Folgenden soll

exemplarisch gezeigt werden, welche Rolle der Charakter in Heinses Kunstbeschreibungen

spielt und welcher Strategien sich Heinse bei der Charakterisierung der dargestellten Figuren

bedient. Die erotische Ebene der Kunstbeschreibungen soll hierbei nicht als minderwertig

ausgeblendet werden, da sie ein wichtiger Bestandteil von Heinses ekphrastischem Schaffen

ist.137

133 Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 146. 134 Zum Begriff des „Charakteristischen“ in der Literatur um 1800 siehe Friedrich Denk, Das Kunstschöne und Charakteristische von Winckelmann bis Friedrich Schlegel, München 1925; Alessandro Costazza, Das „Charakteristische“ ist das „Idealische“. Über die Quellen einer umstrittenen Kategorie der italienischen und deutschen Ästhetik zwischen Aufklärung, Klassik und Romantik (16.01.2006), in: Goethezeitportal, URL: <http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/epoche/costazza_charakteristische.pdf> (abgerufen am 03.07.2007). 135 „Ich wollte bloß festsetzen, daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen sei. / Und dieses festgesetzt, folget notwendig, daß alles andere, worauf sich die bildenden Künste erstrecken können, wenn es sich mit der Schönheit nicht verträgt, ihr gänzlich weichen, und wenn es sich mit ihr verträgt, ihr wenigstens untergeordnet sein müssen.“ Lessing, Laokoon, S. 16. 136 Vgl. Goer, S. 31f. 137 Die Frage, inwiefern die Idee des „Charakteristischen“ auf die extrem kurzen Beschreibungspassagen in den italienischen Aufzeichnungen einwirkt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. In diesen ‚Schnelldurchläufen’ hebt Heinse scheinbar willkürlich Eigenschaften des Bildes heraus und erhebt sie zu repräsentativer Funktion. Es ist zu vermuten, dass dieses Verfahren der Annäherung auf die Erfassung des ‚Wesentlichen’ eines Kunstwerks abzielt.

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5.2 Strategien einer psychologischen Verlebendigung Der Charakter einer Figur spricht bei Heinse vor allem aus dem Ausdruck, den der Künstler

ihr verliehen hat. Die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen richten einen

besonderen Fokus auf die Affekte, die die dargestellten Figuren zu bewegen scheinen.

Ausdruck ist bei Heinse in erster Linie eine mimische Kategorie. Aus Winckelmanns

Geschichte der Kunst des Altertums exzerpiert Heinse: „Ausdruck bezieht sich hauptsächlich

auf Mienen und Gebehrden des Gesichts.“ (FN I, 277 – N55, 9r.)138

Fasst der erste Satz oft das ‚Thema’ oder den Stoff des Bildes kurz zusammen, wendet sich

der Blick unmittelbar darauf dem Ausdruck der Figuren als werkbestimmender Kategorie zu.

Nach Kriterien des Ausdrucks sieht und beschreibt Heinse dann auch die Physiognomien der

dargestellten Personen. Exemplarisch kann diese Beschreibungs- und Erfassungsweise an der

Beschreibung eines Porträts gezeigt werden, das von Heinse als ein Bildnis Raffaels gedeutet

wird.139 Die Physiognomie des Dargestellten wird nicht nach ihrer Form und Bildung,

sondern nach ihrem Ausdruckwert erfasst: „In den Lippen etwas trotziges. Das frischeste

Leben in den Augen, heitre Stirn voll Kraft, Lippen von Wollustquelle u Fülle höchste

Bubenschönheit voll Geist u Leben u Spröde.“ (FN I, 1003f. – N22, 3v.)140

Noch deutlicher wird die Strategie der Charakterisierung am Beispiel von Heinses Beschreibung von Herrscherbüsten, die auf die Imagination der Lebensgeschichte aus der Evidenz der Physiognomie fokussieren. Die Bildnisbüste eines Unbekannten deutet Heinse als den Kopf vom Jüngern Scipio141 und beschreibt ihn als ein Muster von einem GeneralsGesicht; wie ein Schwerin u Winterfeld. Scharfer mächtiger Blick, äußerste Strenge, und Mord und Tod ohne Erbarmen bis der Sieg da ist. Funfzig Jährige Erfahrung in Falten u scharfen Gesichtszügen und Uebung von unten auf in manchen Schlachten. Löwenmaul, u Löwenruhe und Ernst. (FN I, 750 – N18, 32v.)

Die Identifikation der Büste als Bildnis des Scipio Africanus nimmt Heinse zum Anlass, nach

Anhaltspunkten für eine Feldherrenexistenz in den Gesichtszügen des Dargestellten zu

suchen. Die Falten und scharfen Konturen im Gesicht des Dargestellten liest er als Zeichen

von langjähriger Kriegserfahrung. Von der Konstatierung des Blickes, die noch als Erfassung

einer Ausführungskategorie gelten kann, geht Heinse unmerklich zur Deutung des Ausdrucks

138 Hvhb. im Original, -J.B. 139 Hierbei handelt es sich um das Bildnis eines Jugendlichen von Ridolfo del Ghirlandaio (Öl/ Holz, 37x26 cm, Florenz, Galleria Borghese, Inv. 399). 140 Häufig suggerieren Heinses Formen der Attribuierung, dass die Bestandteile der Physiognomie von einem bestimmten Affekt erfüllt sind bzw. aus ihm bestehen. 141 Die Büste (Marmor, 48 cm) befindet sich noch heute im Vatikan, Sala dei Busti, Inv. 619. Im 18. Jh. wurde sie allgemein als Bildnis des Scipio Africanus gedeutet.

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über. Der Blick spricht zu Heinse vom erbarmungslosen Charakter des Feldherrn – „Mord

und Tod ohne Erbarmen bis der Sieg da ist.“

Im selben Saal findet Heinse die Büste eines hellenistischen Dynasten oder eines Priesters,142

die bis ins 19. Jahrhundert als Bildnis des Alten Augustus gedeutet wurde:

Er ist des Regierens müde, und es verdrießt ihn, daß er noch Achtung geben muß, wohl einsehend endlich, daß dieß an und für sich nicht glücklich macht. Sehr guter Kopf mit zusammen gehenden Augbranen, u Edelgestein an der Stirn im Diadem. (FN I, 750 – N18, 32v-31r.)143

Auch hier ist das Verfahren imaginativ. Wie in der oben zitierten Beschreibung des

vermeintlichen Scipio beschränkt sich Heinse nicht darauf, die Büste in ihrer Materialität zu

beschreiben, sondern kreiert eine imaginative ‚Innenansicht’ der dargestellten Person. Dieses

Verfahren ist wiederum als die „psychologisierend-erzählende Erschließung der in den

Bildern angedeuteten Seeleninnenräume“ zu deuten, die Pfotenhauer als eine Spezialität

Heinses herausstellt.144 Die ‚psychologisierende’ Beschreibung ist Teil einer

Verlebendigungsstrategie, die darauf abzielt, eine künstlerisch dargestellte Figur als

lebendigen Charakter auf Augenhöhe mit dem Rezipienten zu etablieren.145 Die Basis dieses

Verfahrens ist die visuelle Erschließung des Ausdrucks der dargestellten Figur. Die

Gemütsregungen, die Heinse dem vermeintlichen Augustus unterstellt, sind jedoch zu

differenziert, um aus der künstlerischen Darstellung entnommen sein zu können. Hier

überschreitet Heinse die Grenzen der im Grunde deskriptiven Gattung der Kunstbeschreibung

und betritt den Bereich der erzählenden Literatur. Der Charakter des Alten Augustus wird in

der Beschreibung zu einer literarischen Schöpfung des Wilhelm Heinse.

142 Marmor, 61 cm, Vatikanische Museen, Sala dei Busti, Inv. 716. 143 Die eigentümliche Blattangabe resultiert aus einer Neuordnung der Blätter durch die Herausgeber der Aufzeichnungen. 144 Pfotenhauer, Um 1800, S. 45. Pfotenhauer bezieht sich hier auf die Gemäldebriefe. Die Bemerkung kann jedoch auch für die späteren Kunstbeschreibungen Heinses geltend gemacht werden. 145 Wie Pfotenhauer aufzeigt, hatte sich auch Winckelmann in der frühen Beschreibung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdner Galerie eines psychologisierenden Verfahrens bedient. (Text verfügbar in: Johann Joachim Winckelmann, Kleine Schriften und Briefe, Auswahl, Einführung und Anmerkungen von Wilhelm Senff, Weimar 1960, S. 3-16.) Allerdings entschied er sich später für die „wissenschaftliche Versachlichung“ der Kunst und gegen die Verlebendigung vor den Augen des Betrachters. Pfotenhauer, Winckelmann und Heinse, S. 314. Heinse kann Winckelmanns fragmentarische Beschreibung der Dresdner Gemälde jedoch nicht gekannt haben, da sie erst posthum veröffentlicht wurde.

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5.3 Vermenschlichende Charakterisierung von Göttergestalten Im Sommer 1781 sieht Heinse in Florenz die so genannte Venus Medici (Abb. 6).146 In die

Beschreibung, die eine nur persönlichen Vorlieben verpflichtete sprunghafte Blickführung

nachvollzieht, sind Aussagen über den Charakter der dargestellten Venus eingeflochten, die

offenbar als Schlussfolgerung aus der Betrachtung zu verstehen sind. In N32 notiert Heinse:

„Stolz und Güte und Zärtlichkeit lebt in den Lippen.“ (FN I, 431 – N32, 164r.) Über die

Attribuierung einzelner Körper- bzw. Gesichtspartien mit bestimmten Eigenschaften werden

diese der dargestellten Person als solcher zugeschrieben. Die Beschreibung des Ausdrucks

liest sich also als Charakterisierung. Heinse schlussfolgert: „Aus dem ganzen spricht

jungfräulicher Ernst und Stolz, und gar nichts lockendes.“(FN I, 432 – N32, 165v.)

Natürlich ist der Ausdruck einer Figur auch bei Heinse in erster Linie eine Kategorie der

künstlerischen Darstellung. Das ist an sich nichts Neues. Auch der von Heinse verehrte und

abgelehnte Winckelmann sieht im Gesicht des Apollo vom Belvedere (Abb. 1) Affekte am

Werk:

Verachtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht, blähet sich in den Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebet, bleibt ungestört und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen.147

Allerdings deuten die Eigenschaften, die sich nach Winckelmann im Gesicht des Apollo

zeigen, auf sein übermenschliches, unsterbliches Wesen hin. Heinses

Ausdruckszuschreibungen sind jedoch immer, auch wenn sie sich sehr nah an der

Beschreibung etablierter Typen bewegen, als Charakterisierungen eines aus dem Kunstwerk

sprechenden Individuums zu lesen. Während die antiken Statuen Winckelmann als

Idealdarstellungen einer göttlichen Gestalt in „stiller Einfalt und edler Größe“ erscheinen,

sind sie für Heinse in erster Linie menschliche Körper, erfüllt von einem Charakter, den er in

seiner Vorstellung vom antiken Griechenland verorten kann. Besonders im Fall der antiken

Skulpturen weisen Heinses Kunstbeschreibungen eine deutliche Tendenz zur

Vermenschlichung und Veralltäglichung der Figuren auf.

Diese Strategie der vermenschlichenden Charakterisierung lässt sich besonders gut an der

ungewöhnlichen Einführung der Statue des Herakles mit dem Telephos (Abb. 8) im Vatikan

146 Marmor, 153 cm, Florenz, Uffizien. Einen Eindruck der Ausstellungssituation in den Uffizien im 18. Jahrhundert vermittelt Johan Zoffanys Darstellung der Tribuna (Abb. 6). 147 Winckelmann, GK, S. 814.

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zeigen.148 Herakles erscheint Heinse hier als „ein Auswamser, Krakeeler u Todschläger [...].“

(FN I, 768 – N18, 59v.)149 In der Negativattribuierung tritt das Charakteristische nur noch

mehr hervor. Herakles ist hier kein strahlender Held, sondern wird, fernab von

Heraklestypisierungen, in umgangssprachlicher Direktheit als ein unangenehmer Charakter,

aber eben als ein Charakter, dargestellt. Bezeichnend ist, dass die unangenehme Wirkung, die

sich in der Charakterisierung äußert, nicht auf die Darstellungsweise übertragen wird. Heinse

schreibt die unangenehme Wirkung nicht einem Fehler des Künstlers, sondern der

charakterlichen Disposition des dargestellten Menschen zu.150 Hier begegnet uns wieder das

Phänomen des ‚Durchblicks’ auf die Lebenswirklichkeit, die Heinse als Basis der antiken

Kunst voraussetzt.

In Heinses Charakterisierungsstrategie spielt auch die Sexualität der dargestellten Figuren

eine wichtige Rolle. Die so genannte Juno Barberini151 (Abb. 9) wird in Heinses

Beschreibung als sexuelles Objekt und Subjekt zugleich charakterisiert:

Juno ist das Bild von einem königlichen edlen großen Weibe, das ihn mächtig drin haben will von dem größten u stärksten aller Männer u einen kraft und saftvollen Grund dazu hergiebt, u selbst mächtig arbeitet. Sie schaut Adlerlüstern mit den großen fast oblongen Augen u stolzen weiter nichts als günstigen nicht lockendem Mund nach einem edlen liebevollen. [...] Es ist wahr u zugleich Ideal; einer Königin, u der Herrschaft gewohnten. Zu einer Madonna ist sie nicht zu brauchen; sie hätte sich einem heil. Geist nicht preis gegeben, u keinen Joseph zum Pflegvater gelitten. (FN I, 772 – N18, 67r-68v.)

Sexuelle Vitalität ist eine Eigenschaft, die Heinse seinen Figuren in den Romanen und in den

Kunstbeschreibungen häufig zuschreibt. So zieht Heinse zur Erklärung der Bestrafung des

Laokoon ausdrücklich eine Quelle heran, die Laokoon als sinnlich-leidenschaftlichen

Menschen charakterisiert: „Servius sagt: es sey deßwegen geschehen, weil er seine Frau im

Tempel des Apollo beschlafen habe.“ (FN I, 1038 – N22, 42r.) Wie Elliott und Baeumer

148 Marmor, ohne Plinthe 202 cm. Vatikan, Museo Chiaramonti IX 3, Inv.1314. 149 Das Verb wamsen wird im 18. Jh. in der Bedeutung „verprügeln“ verwendet. Vgl. Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer, München 1999, S. 1536. 150 Tatsächlich tritt diese Art der Identifikation von künstlerischer Darstellungsweise und Charakter der dargestellten Person in den italienischen Aufzeichnungen häufiger auf. Dies führt in einigen Fällen zu der merkwürdigen Vorstellung, der Künstler bearbeite nur eine lebendige Vorlage, statt ein materielles Werk zu erschaffen. So bemerkt Heinse über eine Büste des Perikles im Vatikan: „...um die Augen u Stirn hat der mittelmäßige Künstler doch die tiefe weitaus sehende Weisheit nicht wegnehmen können.“ (FN I, 763 – N18, 52v. Hvhb. J.B.) 151 Statue einer Göttin, so genannte Juno (oder Hera) Barberini, Marmor, 283 cm, Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 249.

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feststellen, steht Heinse in seinen literarischen Überzeugungen dem Sturm und Drang nahe.152

So sind auch die Charaktere, die er den antiken Skulpturen zuschreibt, vom Konzept des

„Kraftmenschen“ des Sturm und Drang gefärbt. Als eine Art idealer Charakter tritt in Heinses

Werk immer wieder der unverbildete, naturnahe und vitale „Kernmensch“ hervor. Als ein

solcher Kernmensch ist Ardinghello konzipiert und auch Rubens als Mensch „voll Saft und

Kraft“ trägt in den Gemäldebriefen seine Züge (SW IX, 362). Elliott weist auf die Herkunft

des Heinseschen „Kernmenschen“ aus dem Geniegedanken des Sturm und Drang hin: „The

Kernmensch may be seen as an expansion of the ‚Genie’ with whom he shares special gifts

from benevolent Nature.”153 Kern-Metaphern werden in Heinses Kunstbeschreibungen immer

dann mobilisiert, wenn die zu beschreibende Figur als besonders ursprünglich-sinnlich

charakterisiert werden soll.154

5.4 Imagination von Szenarien Der Charakter eines Individuums, so der Konsens der Poetiken des 18. Jahrhunderts,

erschließt sich durch die Handlung. Werfen wir einen Blick in die oben zitierte Passage aus

Herders Erstem Kritischen Wäldchen. Dort heißt es über die mythologischen Figuren: „Es

sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter festsetzen

[...].“155 Dass Handlung auch für Heinse eine charakterkonstituierende Kategorie ist, zeigt

seine Methode der Imagination von Szenarien, die die dargestellten Figuren charakterisieren.

Diese tritt vor allem in den Skulpturbeschreibungen auf, da die Malerei sich zu Heinses Zeit

hauptsächlich mit historischen Sujets befasste. Innerhalb dieses Gattungsrahmens ist das

Szenario meist bereits vorgegeben.156 Nicht so bei der antiken Skulptur. Ihr Gegenstand sind

isolierte menschliche Körper, die zwar in Konstellationen gruppiert werden können, aber der

Einbettung in einen narrativen Kontext vollständig entbehren. Bei Heinse findet man die

imaginative Ergänzung dieses Kontextes. Als prominentestes Beispiel kann wohl die

Beschreibung des Hermaphroditen Borghese157 (Abb. 10) gelten, den Heinse zunächst als

152 Vgl. Rosemarie Elliott, Wilhelm Heinse in Relation to Wieland, Winckelmann, and Goethe: Heinse’s Sturm und Drang Aesthetics and New Literary Language. Frankfurt/M. 1996; Max L. Baeumer, Winckelmann und Heinse. Die Sturm-und-Drang-Anschauung von den bildenden Künsten, Stendal 1997. 153 Elliott, S. 76. 154 Siehe z.B. Heinses Charakterisierung des Torso vom Belvedere: „Es ist das höchste Ideal von einem Kernmann so weit die Natur reicht.“ (FN I, 767 – N18, 58v.) 155 Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 146. 156 In Übereinstimmung mit der etablierten Hierarchie der malerischen Gattungen beschreibt Heinse größtenteils historische Gemälde und interessiert sich nur in Einzelfällen für die ‚untergeordneten’ Gattungen Porträt und Genre. 157 Marmor, 148 cm, heute im Louvre, Inv. MA 231. 1619/ 20 von Gianlorenzo Bernini restauriert (Matratze).

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Gipsabguss in Venedig sieht. Hier imaginiert Heinse eine Situation, dessen Resultat die

dargestellte Haltung des Hermaphroditen ist:

Bienenstich, plötzlicher, nach langem Schwärmen süßer Begierde ohne Gegenstand des Genusses, daß der Leib herumfliegt auf dem einsamen Lager mit samt der Decke, die unten noch in die Zehen der Füße sich verflicht und hängen bleibt – So überwältigte vielleicht einst der Feuergeist die Sappho in einer fruchtbaren Frühlingsnacht unter den Liebesschlägen der Nachtigall, und erregte tief in ihr die Verzweiflung, daß sie kein Mann sey. (FN I, 368 - N32, 67r.)

Das verzweifelte Herumwälzen als Ausdruck der sexuellen Unzufriedenheit ist in diesem Fall

nicht als momentaner Zustand, sondern als wesenhafter Zug des Hermaphroditen zu

verstehen. Heinse liest in der dargestellten Haltung eine vorhergehende Bewegung des

Herumwälzens, die das Medium der Statue natürlich bestenfalls andeuten kann. Tatsächlich

ist eine solche vorzeitige Handlung in der Verwicklung der Füße in die Decke angedeutet. Bei

Heinse wird die Bewegung zum Ausdruck des individuellen (sexuellen) Charakters des

Hermaphroditen, der in seiner Zwittrigkeit ewig unbefriedigt bleiben muss.

Auch Heinses ‚berüchtigte’ erotische Phantasie angesichts des Torso vom Belvedere (Abb.

4)158 ist letztlich als Imagination eines Szenarios zu betrachten. Die Wortwahl ist im

Vergleich zur Beschreibung des Hermaphroditen drastisch und derb:

Torso. Eine Centnermäßige Kraft von Mannheit, Arsch u Schenkel ein strammer Berg von Fleisch, u das Gewächs zur Brust hinauf Stärke, alles zu erdrücken; u doch schwingen sich die Formen alle in nerviger Fettigkeit zart in einander. Eine Fotze, die seinen Schwanz aushalten kann, ohne zersprengt zu werden, genießt die Liebe mit vollem Munde armsdick, u muß die glückseeligste Sphäre der Welt an dieser Achse seyn, denn sie muß ganz in Entzücken schweben u hangen, u von aller andern Berührung frey u los seyn, so daß sie keine mehr fühlen kann. – Und wer weiß ob er nicht ein nackend Geschöpf der Lust auf seinen Armen wiegte? Gewiß waren sie aufgehoben, wie man an der Bewegung u den Stummeln derselben sieht, und an dem Zapfen in dem rechten Schenkel am Knie oben; u dem Zapfen im linken auf der äußern Seite am Knie, umsonst sind sie gewiß nicht da, u zu welcher andern Bedeutung? Auch ist die Nerve des linken Arms im Rücken zum Tragen gespannt. (FN I, 767 – N18, 57v-58r.)

Heinse gibt sich hier zunächst einer erotischen Phantasie über die körperliche Beschaffenheit

des als Herakles gedeuteten Torso hin, die sich zu „kosmisch entgrenzter sexueller

Lustvorstellung“ steigert.159 In einem zweiten Schritt wird die materielle Beschaffenheit der

Skulptur gleichsam auf die Möglichkeit des imaginierten Szenarios hin überprüft.160 Heinse

158 Marmor, 159 cm, Vatikanische Museen, Sala delle Muse, Inv. 1192. Erstmals erwähnt wurde der Torso 1432/ 34. 159 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 46. 160 Vgl. Elliott, S. 84.

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stellt fest: es könnte durchaus so gewesen sein. Durch die Verortung des Torso inmitten einer

sexuellen Handlung wird die Figur des Herakles zum einem virilen und sinnlichen Charakter

stilisiert, der Heinses Vorstellung eines „Kernmannes“ erfüllt. Diese Interpretation des Torso

steht in krassem Gegensatz zu Winckelmanns Beschreibungen, die den Torso streng im

Rahmen des Herakles-Mythos gedeutet hatten.161 Während Winckelmann im Torso den allen

menschlichen Leidenschaften enthobenen, bereits vergöttlichten Herakles sieht, imaginiert

Heinse ein Szenario, in dem eben diese menschlichen Leidenschaften des Herakles die

Hauptrolle spielen.

Heinses Verfahren der Charakterisierung ist letztlich aus der Aufwertung des Individuums in

der Literatur des 18. Jahrhunderts und der Etablierung des Individualcharakters abzuleiten.

Der kunstbeschreibende Heinse hat diese Entwicklung verinnerlicht und wendet die

individualitätsbetonte Charakterkonzeption auf die Beschreibung von Figuren in Werken der

bildenden Kunst an. Auch die antiken Skulpturen, die für Winckelmann die Reinform des

Ideals repräsentiert hatten, werden bei Heinse zu individuellen menschlichen Charakteren

umgedeutet, die häufig von der Sturm-und-Drang-Vorstellung des „Kerls“ gefärbt sind.

Heinses Charakterisierungen von dargestellten Figuren überschreiten an vielen Stellen die

Grenzen der gegenstandsgebundenen Beschreibung und tendieren zum Imaginativen. Heinses

Verfahren ist nicht nur als Beschreibung eines Kunstwerks, sondern als Nachschöpfung, wenn

nicht gar Schöpfung, der Figuren nach dem Bilde der Literatur zu verstehen.

6 Das Pygmalion-Modell

Wie bereits gezeigt wurde, ruht Heinses Blick nicht auf den Kunstwerken als materiellen

Produkten einer künstlerischen Arbeit, sondern zielt auf die lebensweltliche Quelle des

Kunstwerks. Die Sicht auf Gemälde und Skulpturen ist die eines Pygmalion, der angesichts

der Schönheit des Werkes dessen Künstlichkeit bereitwillig aus den Augen verliert. Heinse

sieht nicht die Kunst, sondern die ‚Natur’ eines Werkes. Im Folgenden soll gezeigt werden,

mit welchen sprachlichen Mitteln die Verwandlung des Kunstwerks in ein lebendiges Subjekt

zu leisten ist. Die „pygmaliontische“ Sicht auf Werke der bildenden Kunst hat bei Heinse eine

explizit erotische Komponente, die in der zeitgenössischen Kunstbeschreibung meist nur

sublimiert auftritt. 161 Zu dem Kontrast zwischen Winckelmanns ‚edler Einfalt und stiller Größe’ und Heinses sexueller Phantasie vgl. auch Goer, S. 182.

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6.1 Der enthusiastische Betrachter und die Stärkung des Auges „Ach da sitz ich so da, u verwandle mir den Marmor in Leben mit Geist u Fleisch u Blut“,

schreibt Heinse in Venedig, überwältigt von seiner ersten Begegnung mit den antiken,

vermeintlich griechischen Statuen (FN I, 344 – N32, 35r). Bezeichnenderweise beschreibt er

die Verlebendigung des Marmors als Resultat seiner eigenen imaginativen Anstrengung.

Heinse sieht sich selbst nicht nur als passiven Betrachter, der als Augenzeuge einer

Verwandlung beiwohnen darf, sondern als den Verursacher der Verlebendigung. „Ich

verwandle“, sagt er und rückt damit die Verlebendigung in den Bereich des Rezipienten.

Die Zuschreibung von Lebendigkeit ist laut Fehrenbach „einer der ältesten und dauerhaftesten

ekphrastischen und kunsttheoretischen Topoi“.162 Bereits in der Antike galt die Erzeugung

von illusionistischer Lebensähnlichkeit als erstrebenswerte künstlerische Fertigkeit. Das

Schlagwort, das auch in Heinses Kunstbeschreibungen noch ein „Leitmotiv“ darstellt, ist das

der Täuschung.163 Täuschung meint in diesem Zusammenhang „Naturnachahmung als

Illusion, Kunst als Suggestion wirklichen Lebens. Nicht Überbietung der Natur und

Transzendierung auf ein Idealschönes hin wäre die Devise, sondern Vergegenwärtigung der

Natur in ihrer Fülle.“164 Plinius kolportiert die Legende des Künstlerwettstreits zwischen

Zeuxis und Parrhasios, den Parrhasios gewann, weil seine Malerei sogar einen Maler täuschen

konnte.165

Heinse fasst die Wirkung von Lebendigkeit nicht nur als ein Ergebnis der Fertigkeit des

Künstlers, sondern stellt die eigene Wahrnehmung als Agens der Verlebendigung in den

Vordergrund. Elliott weist darauf hin, dass Heinse die Wahrnehmung des Lebendigen in der

toten Materie von einer generellen Genussfähigkeit abhängig macht.166 In den

Gemäldebriefen heißt es hierzu:

Nur wenig Menschen haben in ihrem Leben viel und mancherley Genuß, und nur die edelsten haben den der höhern Freuden. Und unter diesen beyden Klassen sind

162 Frank Fehrenbach, „Lebendigkeit“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 222-227, hier S. 222. 163 Helmut Pfotenhauer, unter Mitarbeit von Thomas Franke, Kommentar zu Heinses Gemäldebriefen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition. Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 678-756, hier S. 685. 164 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 685. 165 Zeuxis hatte Trauben gemalt, die so täuschend waren, dass die Vögel an ihnen zu picken versuchten. Daraufhin lud Parrhasios Zeuxis in seine Werkstatt ein, um ihm dort seinen Beitrag zum Wettstreit zu präsentieren. Zeuxis betrat die leere Werkstatt und erblickte einen Vorhang, hinter dem er das Gemälde vermutete. Als er den Vorhang zur Seite ziehen wollte, musste er feststellen, dass dieser nur gemalt war. Vgl. Gaius Plinius Secundus, d.Ä., Naturalis Historiae, lat. und dt., hg. und übers. von Roderich König, München 1978, Buch 35, XXXVI, 65ff. 166 Vgl. Elliott, S. 68.

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wieder nur wenige von so lebendiger Phantasie und unruhigem Herzen, daß sie den überaus feinen Augensinn in Gefühlsinn verwandeln, sich täuschen lassen, und wie von wirklicher Gegenwart ergriffen werden könnten. (SW IX, 290.)

Der Rezipient von „lebendiger Phantasie und unruhigem Herzen“ stellt das Gegenstück zu

Heinses Vorstellung eines Künstlers dar, der ‚mit lebendigem Herzen die Schönheiten seines

Jahrhunderts in sich erbeutet’. Die Täuschung erscheint hier nicht als die Überwältigung der

Sinne, die Zeuxis nach einem gemalten Vorhang greifen ließ. Sie bedarf der Beteiligung des

Betrachters. Gombrich bezeichnet die täuschende Wirkung der Malerei als ein „merkwürdiges

Zwischenreich zwischen Wahrheit und Trug […], in dem wir uns der Illusion bewusst und

freiwillig hingeben.“167 Bereits Platon hatte die Werke der Malerei als „einen menschlichen

Traum für Wachende“ bezeichnet und somit ihre Wahrnehmung als eine Erfahrung

charakterisiert, die der Betrachter zulassen muss um von ihr überwältigt zu werden.168 Der

zweigesichtige Charakter ist dem Lebendigkeitstopos also von Anfang an immanent.

Bei Heinse jedoch, der in einer Zeit lebt, die Langen als eine „Kultur des Auges“ bezeichnet

hat,169 tritt der Anteil und die Anteilnahme des Betrachters noch deutlicher hervor. In Heinses

italienischen Aufzeichnungen findet sich ein Rezeptionsmodell, das in Analogie zu dem

Phänomen funktioniert, das Coleridge als „willing suspension of disbelief“ bezeichnet hat.170

Der Betrachter akzeptiert die Bildwirklichkeit als eigene Realitätsebene und befördert so die

Wirkung der Täuschung. In N10 reflektiert Heinse:

Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit schwer und schier unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe von Tizian u Van Dyk rund u hervorgehend, u die Fernen u Mittelgründe des Claude im gehörigen Abstand zu sehen. (FN I, 911 – N10, 82r.)

Die Eigenwertigkeit der visuellen Wahrnehmung ist eine Prämisse von Heinses

Kunstbeschreibungen. In ihnen findet, so Boehm, eine „konsequente Stärkung des Auges“

statt.171

Eine Stärkung des Auges ist auch eine Stärkung des Betrachters. Der eingangs zitierte Ausruf

Heinses ist Ausdruck einer Rezeptionsvorstellung, die mehr und weniger ‚geeignete’

167 Ernst H. Gombrich, Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 1986, S. 172. 168 Platon, Der Sophist, in: Ders., Werke in acht Bänden, Bd. 6: Theaitetos. Der Sophist. Der Staatsmann, Bearbeitet von Peter Staudacher, Griechischer Text von Auguste Diés, Deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, Darmstadt 1990, S. 219-401, hier S. 395 (266c). 169 August Langen, Anschauungsformen in der deutschen Dichtung. Rahmenschau und Rationalismus, Jena 1934, S. 11. 170 Samuel Taylor Coleridge, Biographia Literaria, hg. von John Shawcross, Bd. II, Oxford 1907, S. 6. 171 Boehm, Anteil, S. 36.

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Betrachter unterscheidet.172 Vor dem Hintergrund einer solchen Unterscheidung ist auch die

folgende Passage aus den Gemäldebriefen aufschlussreich: „Doch, ich werde zum Schwärmer

über der Betrachtung. Und Dank dem Himmel, daß ich das werden kann! Schwärmerey für

das Schöne macht allein zum glücklichen Menschen“ (SW IX, 314). Heinse nimmt sich selbst

wahr als einen der im 18. Jahrhundert die Galerien erobernden „enthusiastischen

Betrachter“,173 denen Kunstbetrachtung mehr privates, emotional aufgeladenes Erlebnis als

Bildungsveranstaltung ist. Herding fasst diese neue Form der Kunstbetrachtung und ihre

literarischen Äußerungen unter dem Begriff des „Galerieerlebnisses“, der für eine

„distanzlose gefühlsbetonte Anschauung“ in Abgrenzung zu traditionellen Strömungen der

Künstlerbiographik, zur Form des Galerie-Inventars und zur französischen Kunstkritik

steht.174 Die ‚Verlebendigung’ des Kunstwerks als rezeptives Phänomen und

kunstliterarisches Motiv ist als Symptom einer solchen betont distanzlosen Kunstbetrachtung

zu bewerten.

6.2 Pygmalion als hermeneutisches Modell Die Forschung hat in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Pygmalion-Motivs für

die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hingewiesen.175 Von 1740 an genießt die Legende des

zyprischen Bildhauers, der sich in sein eigenes Werk verliebt, enorme Popularität. Sie wird

für verschiedene Diskurse fruchtbar gemacht, von denen hier diejenigen über das

Kunstschaffen und über die Kunstbetrachtung herausgegriffen seien.176 Im

produktionsästhetischen Diskurs fungiert Pygmalion als Inbegriff der Vorstellung vom

172 Elliott deutet Heinses „Ach“ in diesem Sinne als Ausdruck seiner Dankbarkeit für die Fähigkeit, Kunst verlebendigend sehen zu können und also einer der Menschen mit „unruhigem Herzen“ zu sein. Vgl. Elliott, S. 85. 173 Oskar Bätschmann, Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 237-278, hier S. 238. 174 Klaus Herding, „...Woran meine ganze Seele Wonne gesogen...“. Das Galerieerlebnis – eine verlorene Dimension der Kunstgeschichte?, in: Peter Ganz, Martin Gosebruch, Nikolaus Meier und Martin Warnke (Hgg.), Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 257-286, hier S. 260. 175 Siehe besonders Helmut Pfotenhauer, Pygmalion. Heinses Hermeneutik lebendiger Bilder, in: Ders., Um 1800. Studien zur Literatur, Kunstliteratur und Ästhetik, Tübingen 1991, S. 27-57; Oskar Bätschmann, Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Wolfgang Kemp (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Berlin 1992, S. 237-278; Oskar Bätschmann, Belebung durch Bewegung. Pygmalion als Modell der Kunstrezeption, in: Mathias Meyer und Gerhard Neumann (Hgg.), Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur, Freiburg i.Br. 1997, S. 325-370. 176 Zu den vielzähligen Diskursen, die sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts der Pygmalion-Legende bedienen, siehe Gerhard Neumann, Der Körper des Menschen und die belebte Statue. Pygmalion – ein kulturgeschichtliches Paradigma, in: Claudia Monti u.a. (Hgg.), Körpersprache und Sprachkörper. Semiotische Interferenzen in der deutschen Literatur, Bozen 1996, S. 195-233.

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Künstler als Schöpfer, als ‚alter deus’.177 Sein Werk folgt dem mimetischen Gesetz der

Täuschung; es ist so täuschend, dass sogar sein eigener Schöpfer sich seiner illusionistischen

Wirkung nicht zu entziehen vermag. Bei Ovid heißt es: „virginis est verae facies, quam vivere

credas, / et, si non obstet reverentia, velle moveri: / ars adeo latet arte sua.“178 Die Kunst

verbirgt ihre eigene Gemachtheit und wird selbst scheinbar wieder Natur.

Rezeptionsästhetisch gedeutet, spricht der Pygalion-Mythos vom „innigste[n] Anschluss“179

an das Kunstwerk, von einer gleichsam liebenden Betrachtung. Die zentrale Bedeutung

innerhalb dieser neuen Rezeptionsauffassung kommt der Einbildungskraft des Betrachters zu.

Vor diesem Hintergrund deutet Pfotenhauer Pygmalion als „Exempel für die belebende Kraft

ästhetischer Imagination“.180 Die Legende vom Bildhauer, der sich in sein eigenes Kunstwerk

verliebt, fungiert als wirkungsmächtiges Muster für eine enthusiastische Kunstbetrachtung,

die dem toten Kunstobjekt den Status eines lebendigen Subjektes zuspricht. „Die Werke

werden selber zu Subjekten durch die tätige Einbildungskraft des Betrachters“, schreibt

Bätschmann und berührt damit den Dreh- und Angelpunkt der Kunstbetrachtung und –

beschreibung nach dem Muster Pygmalions.181

Wie Pfotenhauer anmerkt, ist Heinse nicht der Einzige, der nach dem ‚Pygmalion-Modell’

Kunstwerke betrachtet und beschreibt.182 Bereits Winckelmann hatte in den Gedanken

gefordert, man müsse mit den antiken Statuen „wie mit seinem Freunde, bekannt geworden

sein […].“183 Auch Diderot behandelt in seinen Salons die Bildwirklichkeit grundsätzlich als

unmittelbar gegenwärtig und vollzieht den oben beschriebenen Durchgriff auf das ‚Leben in

der Kunst’.184 Obwohl Heinse Diderots Salons wohl nicht gelesen hatte185 und sich gegen

Winckelmanns kanonische Kunstbeschreibungen abzugrenzen suchte, scheinen die drei

177 Der ‚alter deus’-Topos wurde geprägt von Iulius Caesar Scaliger, Poetices Libri Septem. Sieben Bücher über die Dichtkunst, Bd. I: Buch 1 und 2, hg., übers., eingel. und erl. von Luc Deitz, Stuttgart 1994, S. 72. 178 („Wie einer wirklichen Jungfrau ihr Antlitz, du glaubtest, sie lebe, / wolle sich regen, wenn die Scham es nicht ihr verböte./ So verbarg sein Können die Kunst.“) Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, hg. und übers. von Erich Rösch, München und Zürich 1990, S. 370. Siehe hierzu auch Neumann, S. 199; Pfotenhauer, Um 1800, S. 35. 179 Boehm, Anteil, S. 22. 180 Pfotenhauer, Um 1800, S. 27. Bätschmann benennt als ‚Teildisziplinen’ dieser Imagination die Prinzipien der Verwandlung und der Ergänzung. Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 242. 181 Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 240. Bätschmann weist auch auf die bezeichnende Mode hin, antike Statuen bei Nacht im Fackelschein zu betrachten und sich so freiwillig der Illusion hinzugeben, es handle sich um belebte Gestalten. Vgl. Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 354. William Pethers Mezzotinto nach Joseph Derby of Wrights An Academy by Lamplight kann diese Art der Kunstbetrachtung illustrieren (Abb. 11). 182 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 699. 183 Winckelmann, Gedanken, S. 4. 184 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 693. 185 Vgl. Ebd., S. 693.

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Autoren nach dem gleichen „hermeneutischen Modell“186 zu operieren. Ihnen allen geht es

zunächst um eine Kunstbetrachtung jenseits steifer Akademismen, in der sich der Betrachter

in eine gleichsam persönliche Beziehung zum Kunstwerk versetzt.187 Das ‚pygmaliontische’

Verhalten, das bei Winckelmann, Diderot und Heinse festzustellen ist, äußert sich laut

Bätschmann in „Beschreibungen, die nicht mehr nur auf das Objekt ausgerichtet sind, sondern

Wahrnehmungen und Erlebnisse des Subjekts einbringen und seine Empfindungen

offenlegen.“188 Für Heinse bedeutet dies: Die Erfassung des Kunstwerkes wird nicht primär

über die Aufzählung der formalen Details gewährleistet. Stattdessen erkennt der Betrachter in

seinem eigenen Verhältnis zum Kunstwerk dessen wahre Bedeutung.

6.3 Abwehr erotischer Assoziationen Die Pygmalion-Legende handelt von einem Bildhauer, der sein eigenes Kunstwerk so

begehrenswert findet, dass er es zu seiner Frau machen will. Die erotische Dimension der

Legende ist nicht zu übersehen. Dennoch wird sie im 18. Jahrhundert (zumindest für den

Kunstdiskurs) üblicherweise ausgeblendet bzw. erscheint in sublimierter Form. Obwohl die

erotisch-sinnliche Dimension in den meisten Kunstbeschreibungen nicht explizit thematisiert

wird, scheint sie doch im Bewusstsein der Kunstbeschreibenden als Bedrohung präsent zu

sein. Die Assoziation des Triebhaft-Sinnlichen gefährdet die Vorstellung einer erhabenen

Kunst. Die erotische Anziehungskraft besonders der nackten Gestalten der antiken Skulptur

wird deshalb nicht nur vernachlässigt, sondern entschieden abgewehrt. Herder gibt seinem

Plastik-Aufsatz (1778) zwar den Untertitel Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt

aus Pygmalions bildendem Traume, weist jedoch den Verdacht auf sinnliche Assoziationen

angesichts der Kunstobjekte entschieden zurück:

Selbst im Reizbaren zur Verführung ist das Nackte in beiden Künsten [Bildhauerei und Malerei, -J.B.] gar nicht dasselbe. Eine Statue steht ganz da, unter freiem Himmel, gleichsam im Paradiese: Nachbild eines schönes Geschöpfs Gottes und um sie ist Unschuld. Winckelmann sagt recht, daß der Spanier ein Vieh gewesen sein muß, den die Statue jener Tugend zu Rom lüstete, die nun die Decke

186 Pfotenhauer, Um 1800, S. 32. Von der gemeinsamen Basis aus führen die Wege von Winckelmann, Diderot und Heinse jedoch in ganz unterschiedliche Richtungen. 187 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 698f. 188 Vgl. Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 338.

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trägt;189 die reinen und schönen Formen dieser Kunst können wohl Freundschaft, Liebe, tägliche Sprache, nur beim Vieh aber Wollust stiften.190

Die Abwehr von nahe liegenden erotischen Assoziationen zeitigt Beschreibungsformen, die

sich in einem merkwürdigen Spannungsfeld zwischen Evokation und Verleugnung der

Sinnlichkeit bewegen. Repräsentativ für eine Beschreibung, die „Schutzvorkehrungen“191

gegen die Wirkung des Beschriebenen treffen muss, ist Hans Heinrich Füsslis Beschreibung

der Niobe-Gruppe192 (Abb. 12), in der die körperliche Erscheinung der weiblichen Figuren

von einer sinnlichen in eine erhabene Schönheit umgedeutet wird:

Ich gehe in die Villa Medicis, und athme da die reinste Luft. Ich lagere mich auf einen beblümten Rasen; Orangen-Schatten deken mich; da staun’ ich ungestört ein Grupp der höchsten weiblichen Schönheiten an. Niobe, meine Geliebte, du schöne Mutter schöner Kinder; du schönste unter den Weibern, wie lieb’ ich dich! Steh still Wandrer! lernensbegieriger Jüngling, steh mit Bewundrung stille! Dies ist keine liebäugelnde Venus. –Fürchte dich nicht, sie will nicht deine Sinne berauschen, sondern deine Seele mit Ehrfurcht erfüllen, und deinen Verstand unterrichten[…].“193

Wie in diesem Beispiel wird das „Auf-den-Leib-Rücken“ in den Kunstbeschreibungen der

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts meist durch die Beschreibungssprache sublimiert.194 Bei

Heinse erscheint es jedoch explizit und unverhüllt. Seine Beschreibungssprache ist

unmissverständlich und teilweise derb; seine Blickführung verrät eine Fixiertheit auf primäre

und sekundäre Geschlechtsmerkmale. Pfotenhauer charakterisiert Heinse in dieser Hinsicht

als die Ausnahme von der klassizistischen Regel. Heinse verstehe sich als „ein zweiter

Pygmalion, dem sich im Kunstgenuß die ganze menschliche Leidenschaft aktualisiert, dem

Erkennen Empfinden ist, Lieben, Einswerden.“195

189 In seinem Brief An den Übersezer von Herrn Webbs Versuch, über die Mahlerey berichtet Hans Heinrich Füssli die ‚Legende’ eines Spaniers, der mit einer Statue Unzucht getrieben haben soll. Veröffentlicht in: Daniel Webb, Untersuchung des Schönen in der Mahlerey und der Verdienste der berühmtesten alten und neuern Mahlern, hg. und übers. von Hanns Conrad Vögelin, Zürich 1766, S. I-LXXX, hier S. XXI. 190 Johann Gottfried Herder, Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume. In: Ders., Werke, Bd. 4: Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 1774-1787, hg. von Jürgen Brummack und Martin Bollacher, Frankfurt/M. 1994, S. 243-326, hier S. 266. 191 Pfotenhauer, Um 1800, S. 33. 192 Gruppe der Niobe mit ihrer jüngsten Tochter, Marmor, 228 cm. Heinse sieht die Skulpturengruppe in dem 1781 speziell für sie eingerichteten Raum in den Uffizien. 193 Füssli, An den Übersezer, S. VIII. 194 Pfotenhauer, Um 1800, S. 83f. 195 Ebd., 34.

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6.4 Objekte der Begierde Die nicht zu übersehende „Obsession in eroticis“,196 die die Heinse-Forschung seit ihren

Anfängen beschäftigt hat, tritt im Rahmen der hier untersuchten Kunstbeschreibungen

besonders deutlich zutage. Dies ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass es sich um

unveröffentlichte, in vielen Fällen vorläufige Beschreibungsformen handelt.197 Sie können als

‚pygmaliontisch’ im wahrsten Sinne des Wortes gelten, insofern sie die Kunstwerke zu

Objekten der Begierde und zu Akteuren erotischer Szenarien machen. Der Roman

Ardinghello, der aus den italienischen Notizen hervorgegangen ist, mildert die explizite Erotik

der Aufzeichnungen zu einer koketten, anspielungsreichen Sinnlichkeit und ist in dieser

Hinsicht auch als Zeugnis einer Selbstzensur Heinses zu lesen.

Häufiges Mittel der pygmaliontischen Perspektivierung ist der Blick auf ein Kunstwerk als

ein lebendiges Objekt der Begierde. Die Schönheit menschlicher Gestalten wird über ihre

Anziehungskraft auf das andere Geschlecht verdeutlicht. So wird auch der so genannte

Antinous (Abb. 13),198 historisch als der Geliebte Hadrians verbürgt, in einen heteroerotischen

Kontext gerückt: „Die Brust vom rechten Arm schwillt wirklich milchig, und ich kenne nichts

verführerischers für ein Weib zur Umfassung.“ (FN I, 746f. – N18, 26r.) Wenn die

dargestellten Figuren weiblich sind, tritt häufiger der Beschreibende selbst als begehrendes

Subjekt auf, das die Schönheiten in Marmor und Ölfarbe mit den Augen eines Pygmalion

ansieht. Über die Herme der Aspasia im Vatikan199 heißt es: „Ihr Kuß muß Nektar seyn; mit

einem solchen Weibe könnt ich mich ein ganzes Lebenlang zusammenpaaren.“ (FN I, 773 –

N18, 68v.) Interessanterweise erregt auch der Hermaphrodit Borghese (Abb. 10) mit seiner

uneinheitlichen sexuellen Identität Heinses Fantasie. In der folgenden Beschreibung tritt er

ebenfalls als Objekt der Begierde auf: „Es ist ein solches Leben drin, daß man glaubt, er

springt vor Geilheit auf u davon. Er liegt so recht da, wie eine süße reife Frucht für den

Schwanz, der wie ein schäumender wilder Tieger darüber hermöchte.“ (FN I, 1012 – N22,

12v.)200

196 Wolfgang Adam, Kanon und Generation. Der Torso vom Belvedere in der Sicht deutscher Italienreisender des 18. Jahrhunderts (08.11.2004), in: Goethezeitportal, URL: <www.goethezeitportal.de/db.wiss/epoche/adam_kanon.pdf> (abgerufen am 10.03.2007), S. 31. 197 Heinse selbst betitelte das Notizheft 18 Beschreibung einiger antiken Statuen alles augenblicklich oft noch im Krieg und Streite wie ein Chaos länger Leben und günstig Schiksal wird vielleicht noch Licht u Ordnung hineinbringen. Zu Heinses grundsätzlicher Beziehung zum ‚Unfertigen‘ siehe Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 249f. 198 Hermes, so genannter Antinous, Marmor, 195 cm, Cortile del Belvedere 53, Inv. 907. 1543 erstmals erwähnt, seit 1545 im Statuenhof bezeugt. 199 Marmor, 170 cm, Vatikan, Sala delle Muse, Inv. 272. 200 Dass die Imagination des Kunstwerks als Objekt der Begierde tendenziell auf weibliche Figuren angewandt wird, verleitet Pfotenhauer zu der Behauptung, Heinse würde die Ambivalenz des

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Eine hyperbolische Steigerung erfährt die Attraktivität der dargestellten Figur durch die

Einführung einer selbst überaus schönen Verehrerfigur. Ein Bacchus mit dem Faun201

erscheint ihm so schön, „daß jede Venus, von tausenden angebetet, ihn allein doch umfassen

möchte.“ (FN I, 346 – N32, 36v.) Dieselbe Konstruktion liegt in einer Beschreibung der

Venus Medici (Abb. 6) vor: „Selbst ein Alcibiades, der schönste und edelste Jüngling der

Sterblichen, muß sich vor ihm [dem „überirdischen Wesen“, -J.B.] niederwerfen, und das

höchste, was er verlangen kann, ist ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben.“ (FN

I, 431 – N32, 163r.) Die Haltung des imaginierten Verehrers ist hier eine der Anbetung, der

Selbsterniedrigung vor der Schönheit der Venus.202

Anbetung und Begehren werden hier als legitime Annäherungsweisen an das Kunstwerk

gefasst. Sie stellen einen Gegenentwurf zu historisch und kunstkritisch zergliedernden

Ansätzen dar, wie sie z.B. von der mit Winckelmann auf den Weg gebrachten

Kunstgeschichte oder von der französischen Salonkritik vertreten wurden. Bätschmann

beschreibt den Affekt der admiratio als eine Haltung, die sich „präzis gegen Kritik und

Analyse“ richtet.203 Auch Heinse ist diesem antirationalistischen Ansatz verpflichtet. Als er

1786 Friedrich von Matthison durch die Düsseldorfer Galerie begleitete, soll er die Führung

vor dem Johannes in der Wüste204 mit den Worten „Nun beten Sie an!“ beendet haben.205

Die Affekte des Begehrens und der Verehrung bringen den Betrachter dem Kunstwerk auf

einer menschlichen Ebene näher als etwa die Methode der stilgeschichtlichen Einordnung.206

Pfotenhauer fasst die ‚pygmaliontische’ Kunstbeschreibung als einen Versuch, die Kunst, die

sich scheinbar in ihr eigenes Reich zurückgezogen hatte, in den Bereich der eigenen

Erfahrung zurückzuholen:

In der Zeit nämlich, in der man, wie seit Mitte des 18. Jahrhunderts, Kunstwerke zum einen zunehmend als geschichtlich wahrnimmt und zum andern immer deutlicher in ihrer ästhetischen Eigenart, werden jene genannten

Hermaphroditen ignorieren und ihn als weibliche Gestalt deuten. Vgl. Pfotenhauer, Um 1800, S. 84. Die übrigen Beschreibungen des Hermaphroditen in den Aufzeichnungen sprechen jedoch eine andere Sprache. 201 Dionysos, an Satyr gelehnt, Marmor, Dionysos 203 cm, Satyr 167 cm, Venedig, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 119. 202 Wie bereits erläutert wurde, ist weibliche Schönheit bei Heinse gleichbedeutend mit sexueller Anziehungskraft. Auch die bloße Anbetung dieser Schönheit hat demnach eine sexuelle Konnotation. Hierauf wird im nächsten Abschnitt ausführlicher einzugehen sein. 203 Bätschmann, Belebung durch Bewegung, S. 350. 204 Der Johannes in der Wüste galt im 18. Jh. noch als ein Werk Raffaels. Tatsächlich ist es wohl die Replik eines römischen Werkes von Daniele da Volterra, das sich heute im Museo del Palazzo dei conservatori befindet. 205 Zit. nach: Albert Leitzmann, Wilhelm Heinse in Zeugnissen seiner Zeitgenossen, Jena 1938, S. 22. 206 Siehe hierzu Jessen, der behauptet, Heinses „Genußstrategie” habe ihn „weiter” gebracht als Winckelmann. Jessen, S. 45.

50

Überbrückungstechniken wichtig, die das tendenziell Unwiederbringliche und das tendenziell Inkommensurable und Eigene in den Verstehenshorizont des Einzelnen zurückholen. Und dafür stehen dann diese Einfühlungsstrategien und Übersetzungskünste, für die Heinse eines der prominentesten Beispiele abgibt.207

Letztendlich ist Heinses starke Betonung der sexuellen Anziehungskraft der dargestellten

Figuren als das Extrem solcher „Einfühlungsstrategien“ zu betrachten, ein Extrem, das

zweifellos niemals die gleiche Breitenwirksamkeit hätte erreichen können wie Winckelmanns

Verehrung von Idealschönheiten. Zu derb sind die erotischen Assoziationen; zu eindeutig

wird der Leser auf die grundsätzlich sinnengesteuerte Natur seiner Verehrung für nackte

Schönheiten hingewiesen.208

In der pygmaliontischen Kunstbetrachtung verwischen sich die Grenzen zwischen Subjekt

und Objekt, zwischen Natur und Kunst. Die ‚abwesenden’ Gestalten der bildenden Kunst

gewinnen in der Beschreibung eine verführerische Präsenz. Das Motiv der Verwandlung von

toter Materie in lebendiges Fleisch spielt eine wichtige Rolle in Heinses

Kunstbeschreibungen. Über die Personifikation der irdischen Liebe in Tizians Irdischer und

himmlischer Liebe209 (Abb. 14) notiert Heinse: „Die nackende fängt an wirklich zu leben u

wird warm; u man hat nackend süß Fleisch u Blut in reizender Wölbung vor sich.“ (FN I,

1006 – N22, 5v-6r.) Jedoch kann die pygmaliontische Beschreibung nicht umhin, dem

grundlegend illusionären Charakter ihres imaginativen Verfahrens Rechnung zu tragen. In den

Aufzeichnungen Heinses wird immer wieder jene Spannung von Animation und Mortifikation

thematisiert, die Neumann als einen wichtigen Aspekt des Pygmalion-Themas nennt.210 Der

Täuschung steht die Ent-Täuschung gegenüber – letztlich muss der enthusiastische Betrachter

aus „Pygmalions bildendem Traume“211 wieder erwachen. Angesichts der verwirrenden

Schönheit des Hermaphroditen grollt Heinse: „Man wird dabey zum Tantalus, u ärgert sich,

daß die göttlich schönen Formen von Stein sind.“ (FN I, 1012 – N22, 12r.)

6.5 Kunstgenuss - Liebesgenuss Heinses Zugang zu den Werken der bildenden Kunst ist sinnlicher Natur. Im Zentrum dieses

Zugangs steht die Kategorie des Genusses, die für Heinse einen wichtigen Bestandteil sowohl 207 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 699. 208 „Die Entsublimierung in Heinses Konzeption stößt gerade deshalb auf gereizte Reaktionen bei den ‚klassischen’ Autoren, weil sie auf das Moment der Verdrängung aufmerksam macht, das jeder Idealisierung in Literatur und Poetik innewohnt.“ Michael Hofmann, Radikaler Sensualismus. Entsublimierung als Grundimpuls in Heinses ‚Ardinghello’, in: Lenz-Jahrbuch 8/9 (1998/99), S. 229-254, hier S. 251. 209 Tizian, Himmlische und irdische Liebe (um 1514), Öl/ Lw., 118x279cm, Galleria Borghese, Inv. 147. 210 Neumann, S. 200f. 211 So lautet der Untertitel von Herders Plastikaufsatz.

51

der Künstler- als auch der Betrachtererfahrung darstellt.212 Genuss ist für Heinse im Sinne der

epikuräischen Philosophie zentrales Movens des Lebens.213 Auch die Kunst funktioniert in

diesem Sinne nach dem Prinzip des Genussempfindens und –verschaffens. Doch was bedeutet

Genuss in diesem Zusammenhang für Heinse? In den wenigen „ästhetischen Reflexionen“,214

die von Heinse überliefert sind, definiert er Kunst als „Sinnenlust“ (FN I, 900 – N10, 64r).

Die angenehme Stimulation der Sinne kann nur im Augenblick existieren.215 Der höchste

Genuss ist für Heinse der Genuss eines anderen Körpers, die sexuelle Vereinigung.216 Der

Begriff des Genusses hat bei Heinse also, wie Sauder feststellt, von vornherein ein „sexuelles

Telos“.217

Kunstgenuss ist bei Heinse ebenfalls im Rahmen dieser sexuell aufgeladenen

Begrifflichkeiten zu betrachten. In den oben bereits angesprochenen ästhetischen Reflexionen

definiert er Kunst als „ein Merkmal zur Erinnerung des verfloßnen Genußes hauptsächlich für

den Künstler selbst, u dann für diejenigen, die gleiches genoßen haben“ (FN I, 885 – N10,

45r). Hier treffen wir wieder auf die Vorstellung vom Kunstschaffen als Schöpfen aus der

unmittelbaren, sinnlich zu erschließenden Umgebung, diesmal jedoch in konkretem Bezug auf

die sexuellen Erfahrungen des Künstlers. Auch dem Erlebnis des Rezipienten legt Heinse den

Rückgriff auf eigene sexuelle Erfahrungen zugrunde: „Wir können das Nackende an den

Statuen doch nur durch Erinnerung genießen.“ (FN I, 915 – N10, 87v.) Bereits in den

Gemäldebriefen äußert Heinse die Ansicht, dass „wir nur das Schön zu benennen pflegen, was

wir lieben, was wir fassen können mit unserm engen Sinn, womit wir uns vereinigen, eins

werden mögten.“ (SW IX, 294). Genuss in seiner sexuellen Bedeutungsdimension

kristallisiert sich als die Grundlage von Kunstproduktion und –rezeption heraus.

Von daher verblüfft es nicht, dass Heinses Kunstbeschreibung großenteils auf das Erlebnis der

Vereinigung abhebt. In den italienischen Aufzeichnungen nimmt die ‚pygmaliontische’

212 So begründet sich für Heinse die Großartigkeit der Griechen aus ihren gesteigerten Fähigkeiten und Möglichkeiten zum Genuss: „Sie lebten in täglichem Genuß, u ihr Geist war dessen eine volle frische Quelle für andre. Sie brauchten sich nur hinzusetzen u zu arbeiten“ (FN I, 1061 – N23, 6v). 213 Vgl. Terras, S. 52. 214 Pfotenhauer verwahrt sich dagegen, diese Reflexionen als eigenständige Ästhetik zu bezeichnen, da es sich bei ihnen um „keine kontinuierliche Gedankenfolge mit dezidierten, argumentativ ausgewiesenen Ergebnissen“ handle. Pfotenhauer, Um 1800, S. 38. 215 „Der gegenwärtige Augenblick ist unser alles, und giebt allein wahrhaften Genuß; wer sich zu lange bey der Vergangenheit oder Zukunft, besonders in seinem Ich aufhält, ist ein Phantast, oder hat wenig reelles.“ (FN I, 1048 – N22, 54v.) 216 Ich habe von dem Menschen, außer der fleischlichen Vermischung, hauptsächlich Genuß durch seine Reden u Handlungen durch Worte u Bewegungen; beydes kann mir die bildende Kunst nicht geben.“ (FN I, 905 – N10, 72r.) „Die höchste Wollust ist der Genuss aller Sinnen zusammen.“ (FN I, 418 – N32, 142r.) 217 Gerhard Sauder, Die Sexualisierung des Ästhetischen bei Heinse, in: Gert Theile (Hg.), Das Maß des Bacchanten. Wilhelm Heinses Über-Lebenskunst, München 1998, S. 77-90, hier S. 85.

52

Betrachtungsweise Formen an, die das bloße Sehen gleichsam zum sexuellen Erlebnis macht.

In einer Variante der oben zitierten Beschreibung von Tizians Irdischer und Himmlischer

Liebe wird das Auge zum Organ des Tastsinns und die Farbe auf der Leinwand wird zu

„Fleisch für den Blick als ob man es mit dem Finger berührte“ (FN I, 1012 – N22, 12r). Über

eine Tragische Muse218 in den Vatikanischen Sammlungen notiert Heinse gar: „Es ist eine

solche Wollust u Schönheit in dem Ganzen Köpfchen, daß jeder Blick darauf gleich ein

Liebesgenuß wird.“ (FN I, 755 – N18, 39v.) Sein Blick berührt den Marmor der Statue wie

eine begehrende Hand das Fleisch der Geliebten. Kunstgenuss wird zum Liebesgenuss.

Die Gleichsetzung von Blick und sexueller Vereinigung ist bezeichnend für Heinses

Kunstbetrachtung. Die erotische Komponente des Blickes kann hier, wie Boehm feststellt, bis

zum geschlechtlichen „Erkennen“ gedacht werden.219 Das Phänomen der Entgrenzung gerät

zur vollständigen ‚Vereinigung’ mit dem Kunstwerk. In diesem Sinne charakterisiert Boehm

auch das Ziel von Heinses Kunstbeschreibungen: „Absicht dieser Betrachtung, die für Heinse

einen sinnlichen, genusserfüllten, gesteigerten und doch höchst erkenntnisgesättigten Akt

darstellt, ist der engste Anschluss des Auges ans Bild.“ 220

Die bis zur ‚Vereinigung’ gesteigerte erotisierte Kunstbeschreibung des „zweiten

Pygmalion“221 Heinse ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, „Sinnlichkeit und abstruse

Denkweisen durch bildende Kunst zu veredeln und aufzustutzen“, wie Goethe dem Verfasser

des Ardinghello unterstellte.222 Ebenso wenig erschöpft sich der Sinn und Zweck von Heinses

sinnlich-erotischen Kunstbeschreibungen in einer bloßen Provokation, die sich gegen die

weitgehende Tabuisierung von Sexualität in der bürgerlichen Öffentlichkeit richtet. Sie dienen

vielmehr der Vermittlung des Kunsterlebnisses als höchster „Sinnenlust“, als lebendiger

Beziehung zwischen Betrachter und Kunstwerk. In diesem Zusammenhang ist Pfotenhauer

bedingungslos zuzustimmen, der feststellt, dass „Heinses pygmaliontisches Prinzip mehr ist

als platter Abbild-Naturalismus, welcher sich voyeuristisch nur an den erotischen Details

erfreute, sondern daß Verlebendigung Suggestion äußerster Lebensfülle bedeutet.“223

Bätschmann arbeitet in seinem Aufsatz über Pygmalion heraus, dass die (erotische)

Verlebendigung des Kunstwerkes auf die Etablierung einer vermeintlich überzeitlichen

Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter abzielt: „Die Verwandlung des Werkes in der

218 Heute als Stehende Muse (Melpomene) bezeichnet. Marmor, 174 cm, Vatikan, Sala delle Muse, Inv. 299. 219 Boehm, Anteil, S. 25. 220 Ebd., S. 22. 221 Pfotenhauer, Um 1800, S. 34. 222 Zit. nach: Leitzmann, S. 33. 223 Pfotenhauer, Um 1800, S. 38.

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Betrachtung ist der paradoxe Versuch, ihm als Subjekt eine Zeit zu verschaffen, die der

Geschichtlichkeit nicht untersteht. Die Dauer des Lebendigen ist der Ort des Eros.“224 Dieser

Versuch ist als Reaktion auf die Winckelmannische Melancholie angesichts der für immer

vergangenen griechischen Werke einerseits,225 auf das zunehmende Bewusstsein für die

eigene Geschichtlichkeit andererseits zu betrachten.226 Für Heinse liegt die Möglichkeit, der

Zeit zu entkommen, im Genuss. In N10 notiert er: „Bey jedem Genuß scheinen wir ewig zu

seyn, und die Zeit nicht mehr zu fühlen.“ (FN I, 897 – N10, 59v.) Der „intime ‚Moment

Heureux’“,227 den der Betrachter in der erotischen Beziehung zum Kunstwerk erlebt, ist ein

ewiger Moment.

7 Der sexualisierte Blick und seine Revision. Heinses Selbstzensur

Die Forschung ist sich einig, dass Heinse „in einem ungewöhnlichen Maße Erotik und

Ästhetik in eins gesehen hat.“228 Sie hat sich jedoch schon immer schwer getan, zu dem

erotischen Aspekt von Heinses Werk Position zu beziehen. Welche Rolle die Erotik in

Heinses Werk tatsächlich spielt, ist erst mit Veröffentlichung einer Auswahl aus Heinses

Aufzeichnungen durch Leitzmann bekannt geworden. Nachdem mit dieser Ausgabe „Heinses

eigentliches ‚Werk’“229 vorlag, musste sich die neu auflebende Heinse-Forschung auch mit

den explizit erotischen Passagen auseinander setzen. Die Heinse-Forschung des frühen 20.

Jahrhunderts vermeidet die direkte Konfrontation mit den allzu befremdlichen erotischen

Aspekten von Heinses Werk. Jessen, der 1901 den Nachlass sichtet, verurteilt die „Spuren

einer abstoßenden, ja geradezu perversen Sinnlichkeit“, die er darin findet.230 Brecht versucht

224 Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 258. 225 In der Torso-Beschreibung in der Bibliothek der Schönen Wissenschaften und Freyen Künste schreibt Winckelmann: „O möchte ich dieses Bild in der Größe und Schönheit sehen, in welcher es sich dem Verstande des Künstlers geoffenbaret hat, um nur allein von dem Ueberreste sagen zu können, was er gedacht hat, und wie ich denken sollte! […] Voller Betrübniß aber bleibe ich stehen, und so wie Psyche anfieng die Liebe zu beweinen, nachdem sie dieselbe kennen gelernet; so bejammere ich den unersetzlichen Schaden dieses Herkules, nachdem ich zur Einsicht der Schönheit desselben gelanget bin.“ Winckelmann, Torso-Beschreibungen, S. 179. 226 Vgl. Bätschmann, Pygmalion als Betrachter, S. 248. 227 Ebd., S. 266. 228 Sauder, S. 77. 229 Walter Brecht, Heinse und der ästhetische Immoralismus. Zur Geschichte der italienischen Renaissance in Deutschland, Berlin 1911, S. IX. 230 Jessen, S. VIII.

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sich 1911 an einer vorsichtigen Rehabilitation von Heinses ‚sexualisiertem Blick’ auf die

Kunst und das Leben und formuliert die These von Heinses „ästhetischem Immoralismus“.231

Die neuere Heinse-Forschung, die in den 1960er Jahren beginnt, schenkt den erotischen

Aspekten mehr Aufmerksamkeit. Die Erklärungen für Heinses ‚Obsession’ mit dem

Erotischen sind vielfältig. Bis in die 1990er Jahre jedoch gab es eine Tendenz, diese Aspekte

von Heinses Oeuvre zu Gunsten seiner literarischen Ehrenrettung zu ignorieren oder zu

beschönigen und nur die ‚vortragsfähigen’ Passagen zu untersuchen.232 Die folgenden

Abschnitte wollen den schwierigen Versuch unternehmen, die explizit erotischen Passagen in

die Untersuchung miteinzubeziehen und zu klären, ob sie nur Nebenprodukt einer erotisch-

sinnlichen Lebenseinstellung sind, oder ob sie innerhalb der Kunstbeschreibungen eine

bestimmte Funktion erfüllen.233

7.1 Die Entsexualisierung der Literatur Bereits vor der Veröffentlichung des Ardinghello, in dem Heinse seine Figuren unbefangen

Grundsätze der ‚freien Liebe’ propagieren lässt, ist er als „Schmuddelkind“234 der deutschen

Literatur verschrieen. Die 1773 veröffentlichten Petronius-Übersetzungen erschienen zwar

anonym, jedoch war der Name des Übersetzers in literarischen Kreisen durchaus bekannt.

Wieland, dessen Gunst sich Heinse immer wieder zu erwerben sucht, stört sich nicht so sehr

an der Übersetzung selbst, sondern vielmehr an Heinses Anmerkungen, die den erotischen

Gehalt des Textes in einer für Wieland inakzeptablen Weise vereindeutigen.235 Die Stanzen,

die Heinse Wieland mit Bitte um Veröffentlichung im Teutschen Merkur zuschickt, treiben

Wieland erst recht zur Verzweiflung. Er wendet sich an Gleim:

[…] ich bitte mir Ihre Vermittlung aus […], um dem Hrn. Heinse die beyliegenden Stanzen wieder zurük zu geben.

231 Walter Brecht, Heinse und der ästhetische Immoralismus. Zur Geschichte der italienischen Renaissance in Deutschland, Berlin 1911. 232 Exemplarisch für dieses Vorgehen ist Elliott, die enthusiastisch Heinses Bedeutung im Rahmen der Kunst- und Literaturgeschichte herausstellt und dabei die eigentlichen Charakteristika seines Schaffens nivelliert. Vgl. Elliot, S. 184 u.ö. 233 Sauder hatte bereits 1998 eine Klärung der Dimension von Heinses sexualisierter Ästhetik bei der Entwicklung eines neuen Bildbeschreibungsverfahrens gefordert. Vgl. Sauder, S. 83. 234 Markus Bernauer, Kunst als Natur – Natur als Kunst. Heinses Entwurf der italienischen Renaissance, in: Gert Theile (Hg.), Das Maß des Bacchanten. Wilhelm Heinses Über-Lebenskunst, München 1998, S. 91-124, hier S. 91. 235 Siehe Wielands Brief an Gleim vom 6. Dezember 1773: „Hätte der Unglückliche nur das vom Petron übersezt, was ehrliche Leute lesen können und hätte dies desto besser gemacht und poliret, so hätte er ein gutes Werk gethan! Aber nun – und seine unausstehlichen Noten! – seine öffentlich profitirete Asotie! – Der Elende!“ Wielands Briefwechsel, hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte durch Hans Werner Seiffert, 5. Bd.: Briefe der Weimarer Zeit, Berlin 1983, S. 188.

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Es ist viel schöne Poesie in diesen Stanzen; der Mensch hat eine glühende Phantasie, er schreibt aus der Fülle einer äusserst erhizten Sinnlichkeit; daher sind seine Gemählde kräftig und warm bis zum Brennen – aber, auch blos als Dichter betrachtet, ist sein Geschmack noch sehr ungeläutert, seine Imagination üppig, sein Geist wild und ausschweiffend. […] Seine Seele ist mit einem unglüklichen Priapismus behaftet, der, wie es scheint, bereits zum unheilbaren Übel geworden ist.236

Der Vorwurf des ‚Priapismus’ bezieht sich auf Heinses „unbefangene Darstellung und

Wertung der Sinnlichkeit“,237 die mit Wielands verspielt-erotischer Liebesauffassung nichts

mehr zu tun hat. Der Anteil erotischer Bilder an Heinses literarischem Ausdruck ist zum Teil

bis heute ein Problem für die Forschung. Es soll keinesfalls behauptet werden, dass Heinse

nur aufgrund seiner „problematischen Erotik“, wie Klinger verlegen formuliert,238 nicht zu

den Größten der deutschen Literatur gerechnet wird. Jedoch scheint die Unterscheidung

zwischen erotischer und ‚richtiger’ Literatur die Rezeption Heinses bis heute zu beeinflussen.

Eben diese Opposition von Kunst und Sittlichkeitsverletzung mobilisieren Heinses

Zeitgenossen in ihrer Kritik an seinen Werken.

Heinses Erotik, um es auf den Punkt zu bringen, ist für seine Zeitgenossen zu explizit und zu

zielstrebig. Er verweigert sich jeder Sublimierung des aller Verführung und Galanterie

zugrunde liegenden Geschlechtstriebes. Schon in den Briefen von zwo vornehmen Damen239

behauptet Heinse gegen das platonische Liebesideal: „Die eigentliche Quelle, woraus diese

Liebe [die platonische, -J.B.] entspringt, ist doch allezeit der thierische Trieb.“ (SW I, 184.)240

In seinem Entsublimierungsbestreben, seinem „radikalen Sensualismus“,241 unterscheidet sich

Heinse von den in der Literatur seiner Zeit vertretenen Liebeskonzeptionen: Anders als den

libertinen Autoren geht es ihm nicht um den Prozess der Verführung, sondern um die

Vereinigung selbst. Auch der spielerische Charakter der anakreontischen Dichtung ist bei ihm

gänzlich ausgeblendet. Schlussendlich distanziert sich Heinse mit seiner Akzentuierung der

körperlichen Liebe auch deutlich von den empfindsamen Liebesdiskursen. Heinse verzichtet

auf jegliche Überhöhung des ‚tierischen’ Triebes. Jedoch ist es zu kurz gegriffen, diese

zugegebenermaßen recht einseitige Sicht als Reduktion des Menschen auf seine animalischen

236 Am 22. Dezember 1773 an Gleim. Wielands Briefwechsel, Bd. 5, S. 211. 237 Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik, Halle 1931, S. 226. 238 Uwe R. Klinger, Heinses problematische Erotik, in: Lessing Yearbook 10 (1978), S. 123-148. 239 Wilhelm Heinse, Prosaische Aufsätze aus dem Thüringischen Zuschauer (1770), in: Ders., Sämmtliche Werke, Bd. I, hg. von Carl Schüddekopf, Leipzig 1902, S. 147-204. 240 Vgl. hierzu auch Bernauer, Kunst als Natur, S. 92. 241 Michael Hofmann, Radikaler Sensualismus. Entsublimierung als Grundimpuls in Heinses ‚Ardinghello’, in: Lenz-Jahrbuch 8/9 (1998/99), S. 229-254.

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Instinkte zu verurteilen. Was Heinse anstrebt, ist vielmehr eine Rückbindung des Menschen

an die ihm ureigene sinnliche Natur.

Die Natur spielt im Sexualitätsdiskurs des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle.242 Vor dem

Hintergrund Rousseauischen Naturverständnisses wird Sexualität als Bestandteil der

menschlichen ‚Natur’ legitimiert, behält aber die negative Konnotation der Verwandtschaft zu

tierischer Triebhaftigkeit.243 Rehabilitationsversuche der Sexualität bedienen sich

notwendigerweise des Mittels, das die Aufklärung als Ausweg aus der triebgesteuerten

Existenz propagiert hatte: der Vernunft. Schindler bringt es auf den Punkt: „Das

Jahrhundertprojekt, rohe Natur durch moralische Rationalisierung in eigentliche, d.h.

vernünftige ‚Natur’ umzuwandeln, findet in der Sexualität ihr Objekt par excellence […].“244

Die Literatur spielt bei diesem ‚Projekt’ eine wichtige Rolle. Während in der Volkspoesie des

15. und 16. Jahrhunderts Sexualität noch explizit und teilweise derb thematisiert wird, beginnt

sich die Literatur des 18. Jahrhunderts von einer direkten Benennung sexueller Handlungen zu

distanzieren.245 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts lässt sich eine deutliche Veränderung in der

Darstellung von Sexualität in der Literatur feststellen: sie verschiebt sich zunehmend in den

metaphorischen Ausdruck.246

Hull weist darauf hin, dass man im 18. Jahrhundert der Einbildungskraft den maßgeblichen

Einfluss auf den Sexualtrieb zuschrieb.247 Hierin liegt der Grund für die gefürchtete

Verbindung von Literatur und sexueller Ausschweifung. Wenn Literatur die angenommene

starke Wirkung auf die Einbildungskraft hat, so lautet die Denkfigur, kann die Darstellung

sexueller Handlungen den Rezipienten zu ‚unmoralischem’ Denken und Handeln verführen.

Vorgebeugt wird diesem Einfluss durch zensorische Maßnahmen wie Tilgung expliziter

Passagen oder Verbot von einzelnen Werken. Goulemot merkt an, dass diese Maßnahmen die

Wirkungskraft der Literatur im Grunde überschätzen: „Alle Zensur geht einher mit der

242 Vgl. Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt/M., S. 139: „Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts ermöglicht schließlich der Begriff der Natur, für die jetzt verstärkt als solche thematisierte Sexualität und für leidenschaftliche Gefühle einen gemeinsamen Nenner zu finden, der zugleich ausdrückt, daß Liebe sich aus den Fesseln der Gesellschaft herauslöst und als Natur dazu ein Recht hat.“ 243 Vgl. Luhmann, S. 145. Siehe auch Isabel V. Hull, Sexuality, State, and Civil Society in Germany 1700-1815, Ithaca und London 1996, S. 237. 244 Stefan K. Schindler, Eingebildete Körper. Phantasierte Sexualität in der Goethezeit, Tübingen 2001, S. 23. 245 Siehe hierzu Wolfgang Müller, Seid reinlich bei Tage und säuisch in der Nacht (Goethe) oder: Betrachtungen über die schönste Sache der Welt im Spiegel der deutschen Sprache – einst und jetzt, in: Rudolf Hoberg (Hg.), Sprache – Erotik – Sexualität, Berlin 2001, S. 11-61, hier S. 14. 246 Vgl. Schindler, S. 74. 247 Vgl. Hull, S. 173. In der frühen Neuzeit war man hingegen noch davon ausgegangen, dass üppiges Essen und Trinken den Sexualtrieb stimulieren könnten.

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Verherrlichung der Macht des Gedruckten und einer ganz erstaunlichen Leugnung der

Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes gegen diese Form der Subversion.“248

Die „Entschärfung“249 der Literatur ab Mitte des 18. Jahrhunderts vollzieht sich vor dem

Hintergrund des aufblühenden Bürgertums, das sich von libertinären Liebeskonzepten, wie sie

mit der Dekadenz des Adels assoziiert werden, distanziert. Schlaffer charakterisiert die

präferierte Liebeskonzeption des Bürgertums folgendermaßen: „Gerade in der Liebe hat der

Bürger, der sich die Literatur sonst realistisch auf der Ebene des mittleren Stils einrichtete, die

Konzeption des hohen Stils bewahrt – und damit die Liebe als etwas ‚Höheres’ aus seiner

Arbeitswelt herausgerückt.“250 Sexuelle ‚Unmäßigkeit’ wird jedoch nicht nur wegen ihres

‚unmoralischen’ Charakters abgelehnt, sie wird auch als Bedrohung für die Werte und die

Ordnung des Bürgertums konzeptualisiert. Wie Schindler aufzeigt, führt die Auffassung, dass

„illegitime Sexualität schon im Bereich der Vorstellung oder der ästhetischen Repräsentation

das Wohl der Bürger gefährdet“, zur strikten Verbannung der Darstellung sexueller

Handlungen aus den Künsten.251

7.2 Brüste, Hintern, Schenkel – Das „Nackende“ als Beschreibungskategorie Sexualität spielt in allen Werken Heinses eine wichtige Rolle. Besonders deutlich tritt seine

Vorliebe für diese Thematik in den Aufzeichnungen hervor. Hier ist der Ausdruck explizit, ja

geradezu derb. Die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen sind nicht

durch kritische Distanz gekennzeichnet, sondern vielmehr durch das erotische Interesse des

Beschreibenden an den dargestellten Körpern. Besonders aufschlussreich sind in diesem

Zusammenhang Heinses Beschreibungen antiker Statuen. Wie Winckelmann beginnt Heinse

meist beim Kopf der Statue und lässt den Blick an der Figur hinabgleiten.252 Allerdings erhält

die Beschreibung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale bei Heinse einen

besondern Akzent, der so bei Winckelmann nicht angelegt war. Vom Kopf abwärts erkundet

Heinse die Topographie des marmornen Körpers und bemisst die Bedeutung seiner

248 Jean-Marie Goulemot, Gefährliche Bücher. Erotische Literatur, Pornographie, Leser und Zensur im 18. Jahrhundert, Reinbek 1993, S. 59. 249 Schindler, S. 72. 250 Heinz Schlaffer, Musa iocosa. Gattungspoetik und Gattungsgeschichte der erotischen Dichtung in Deutschland, Stuttgart 1971, S. 223f. 251 Schindler, S. 24. 252 Terras sieht zwischen Heinses und Winckelmanns Antikenbeschreibungen deutliche Parallelen und schließt daraus, dass Heinse Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in Rom bei sich gehabt haben müsse. Vgl. Terras, S. 74.

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Bemerkungen nach dem Grad ihrer sexuellen Attraktivität. Von der Gruppe des Dionysos und

eines Satyrs253 sieht er fast nichts außer Geschlechtsteilen:

Bacchus mit einem Faun auf den er sich stützt u lehnt. Außerordentliche Weichheit u Zartheit, wie von Milch zart aufgeschwellt. Der Schwanz ist einmal unversehrt, u rund spitz wie ein Pflock, am Leibe dick. Er steht wirklich da wie ein Träumer zwischen Schlaf u Wachen wie von einem kühlen Lüftchen Lust an allen Nerven bis ins innerste gerührt. Er hat keine Haare am Schwanz, da der Faun welche hat. Die Hoden liegen ruhig im Sack drin. Die Schenkel schweifen fast weiblich aus. (FN I, 777 – N18, 75r-75v.)

Sauder stellt fest, dass Heinses einzigartiger und eigenartiger Beschreibungsweise eine

„Sexualisierung des Sehens“ zugrunde liegt.254 Im Gegensatz zu Kluckhohn, der Heinses

Vorliebe für das Erotische auf die „Wärme seines eigenen Blutes“ zurückgeführt hatte,255

fasst Sauder diesen ‚sexualisierten Blick’ eher als literarische Strategie, die gleichsam an das

‚pygmaliontische Potenzial’ der Leser rühren soll.256

Natürlich gibt es Figuren, die eher einen ‚sexualisierten Blick’ hervorrufen als andere.

Prädestiniert für die erotische Interpretation ist z.B. die Figur der Maria Magdalena, die

innerhalb der christlichen Ikonographie schon immer eine Möglichkeit zur Darstellung von

durchaus aufreizender weiblicher Schönheit bot. Vasari hatte in seinen Viten noch über eine

Magdalena von Tizian bemerkt „Muove questa pittura, chiunque la guarda, estremamente; e,

che è più, ancorché sia bellissima, non muove a lascivia, ma a commiserazione.”257 Im

Gegensatz zu Vasari wird Heinse durchaus von Darstellungen der schönen, meist halbnackt

dargestellten Sünderin affiziert. Über eine andere Tizian-Magdalena258 notiert er: „Magdalena

von Tizian ganz Wollust u mit der rechten Hand auf der vollen Brust, Kernstück voll zum

Abzapfen: sie sprüht Geilheit um sich her aus den Augen.“ (FN I, 1022 – N22, 23v.) Dass die

erotisierende Kunstbeschreibung jedoch nicht ausschließlich vom Sujet abhängt, zeigt die

folgende Beschreibung einer Vestalin.259 Die Figur bietet weder in ihrem Ausdruck, noch in

253 Marmor, ohne Basis 220 cm, Vatikan, Museo Chiaramonti 588, Inv. 1375. 254 Sauder, S. 90. 255 Kluckhohn, S. 219. Es erübrigt sich festzustellen, dass die Schlussfolgerung, dass Heinse ‚einfach so veranlagt war’, in keiner Weise zu weiteren Erkenntnissen über sein Werk führt. 256 Vgl. Sauder, S. 90. 257 Le Opere di Giorgio Vasari, hg. von Gaetano Milanesi, Florenz 1973 [Nachdr. der Ausg. von 1906], Bd. VII, S. 454. „Und so rührt dieses Gemälde jeden, der es betrachtet, in tiefster Weise an, und was noch mehr gilt: Obwohl von höchster Schönheit, ruft sie nicht Lüsternheit, sondern Mitleid hervor.“ Giorgio Vasari, Das Leben des Tizian, neu übers. von Victoria Lorini, komm. und eingel. von Christina Irlenbusch, Berlin 2005, S. 48. 258 In der Sammlung Doria-Pamphilj sind zwei Kopien nach einer Replik der Florentiner Magdalena (im Palazzo Pitti) aus der Werkstatt Tizians erhalten (88x69 cm bzw. 99x76 cm; Inv. 566; s88 bzw. 235; s78). 259 Statue der Juno, Marmor, ca. 175 cm, Vatikan, Magazin.

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ihrer Haltung oder Bekleidung einen Anlass zur erotischen Perspektive. Dennoch fokussiert

Heinses Blick auf ihre weiblichen Reize, die ihn, obwohl gut bedeckt, in ihren Bann ziehen:

Das Gewand ist herrlich, u wahrhaft priesterlich. Unter den Brüsten gebunden, die stark bedeckt sind und doch in ihrer jungen Form zum Vorschein kommen über den Unterleib geschlagen, u die Faltenfülle fällt doch nicht steif u lästig zwischen die Füße unten, u das ganze rechte Bein kömmt mit seinem Schenkel schön zum Vorschein. (FN I, 781 – N18, 80r.)

Der ‚sexualisierte Blick’ entzündet sich also nicht nur an erotisch konnotierten Sujets wie der

Darstellung einer Venus, sondern auch an gänzlich ‚unverdächtigen’ Figuren. Mitunter

geraten sogar Heilige oder Madonnen in den Fokus von Heinses erotischem Interesse. Bei der

Beschreibung von Madonnendarstellungen gestattet sich Heinse zumindest von Zeit zu Zeit

eine Bemerkung über die weiblichen Rundungen der Madonna, die sich unter ihrem Gewand

abzeichnen. Raffaels Madonna di Foligno260 (Abb. 15) nötigt ihm in diesem Punkt

Bewunderung ab: „Wie reizend schwellen die Brüste unter dem rothen sittsamen Gewand

hervor“, ruft er aus (FN I, 1162 – N19, 27r). Auch die Heiligen sind ihm in erster Linie

schöne Frauen, die, im Leben wie in der Kunst, sein erotisches Interesse wecken.

Trotz ihrer offensichtlich nicht-fleischlichen Oberfläche reizen gerade die Skulpturen der

Griechen und Römer in ihrer detaillierten Körperlichkeit Heinse zu erotischen Phantasien.

Eine Kategorie, der Heinse sowohl in den Skulptur- wie in den Gemäldebeschreibungen viel

Gewicht beimisst, ist die Modellierung des Fleisches und seine täuschende Wirkung, die den

Beschreibenden zu erotischen Assoziationen hinreißt. Fleisch ist eine der häufigsten

Vokabeln der Kunstbeschreibungen. In der Malerei wird die verführerische Illusion in erster

Linie über das Kolorit vermittelt. Schon in den Gemäldebriefen hatte Heinse die Bedeutung

der Farbe hervorgehoben und sich damit in Opposition zur klassizistischen Hochschätzung

der Zeichnung begeben.261 Im Bereich der Skulptur wird der Reiz des nackten Fleisches nicht

über die täuschende Farbigkeit vermittelt, sondern über die attraktive Form. Bereits

Winckelmann hatte den „Kontur“ der griechischen Skulpturen als perfekt charakterisiert. In

den Gedanken heißt es:

Der edelste Kontur vereiniget oder umschreibet alle Teile der schönsten Natur und der idealischen Schönheiten in den Figuren der Griechen; oder er ist vielmehr der höchste Begriff in beiden. […] Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Überflüssigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die größten neueren Meister sind über diese nicht allezeit greifliche Grenze auf beiden Seiten zu sehr

260 Wahrscheinlich 1512 vollendet. Ursprünglich auf Holz, 1801 auf Lw. übertragen, 320x198 cm, heute Pinacoteca Vaticana, Inv. 329. 261 Zur Stellung der Kategorie Kolorit innerhalb von Heinses Kunstauffassung und Beschreibungspraxis ausführlicher in Kapitel 8.3.

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abgewichen. Derjenige, welcher einen ausgehungerten Kontur vermeiden wollen, ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen, in das Magere.262

Für Heinse geht es aber nicht um eine ‚reine’ Form, sondern um größtmögliche Lebensnähe.

Nur die Form, die trotz des kalten und harten Materials die Illusion von lebendigem, warmem

Fleisch erzeugen kann, entspricht Heinses Vorstellungen von großer Kunst. Aufschlussreich

ist in diesem Zusammenhang auch Heinses Kritik an Tizians Venus von Urbino (Abb. 6):

„Ihre Form macht einen starken Unterschied von der Griechischen [der Venus Medici, -J.B.].

Wie das Leben sich in dieser in allen Muskeln regt und sanft hervorquillt und hervortritt: und

bey der Venezianischen alles nur eine ausgedehnte Form ist!“ (FN I, 433 – N32, 166v.) Eine

weitere wichtige Vokabel der Kunstbeschreibungen ist das Attribut wollüstig, das Heinse zur

Charakterisierung von Körperformen, Gesichtsausdrücken, aber auch zur Beschreibung einer

Figur in ihrer Gesamtheit heranzieht.263 „Das Körperliche wird dir geistig werden“, heißt es in

Winckelmanns Beschreibung des Apollo im Pariser Manuskript.264 Im Gegensatz zu

Winckelmanns idealischer Überhöhung der erotischen Anziehungskraft antiker Skulpturen

verweilt Heinses Wahrnehmung und Beschreibung genussvoll im Bereich des Körperlichen.

Das „Nackende“ stellt bei Heinse geradezu eine eigene künstlerische Kategorie dar, deren

Beherrschung einen Künstler in seiner Wahrnehmung bedeutend erhöhen kann.265

7.3 Heinses Selbstzensur. Die Entschärfung der erotischen Kunstbeschreibung Heinses Roman Ardinghello ist zu einem großen Teil aus den italienischen Aufzeichnungen

hervorgegangen.266 Die explizite Erotik der Kunstbeschreibungen wird jedoch im Roman

deutlich zurückgenommen. Allzu drastische Formulierungen werden getilgt oder

metaphorisiert. Baeumer weist darauf hin, dass die Übertragung von Heinses

„pornographischen Bildern“ in „gemäßigte Bilder von gleicher Anschaulichkeit“ nicht immer

262 Winckelmann, Gedanken, S. 15 und 16. 263 „Sie gehört unter die schönsten u wollüstigsten weiblichen Konturen.“ (FN I, 1076 – N23, 25v); „wollüstiger süß und kernfleischig gespaltner Rücken“ (FN I, 1215 – N26 ½, 87r); „hat etwas recht verführerisch wollüstiges im Gesicht“ (FN I, 1046 – N22, 52r-52v); „ein wollüstig Geschöpf“ (FN I, 1019 – N22, 21r). 264 Johann Joachim Winckelmann, Apollo-Beschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 156-158, hier S. 157. 265 So bemerkt er über den verehrten Raffael: „Alles Nackende, was zu unsern Zeiten am Menschen sichtbar ist, hat er in seiner Gewalt. An Gestalt ist keiner reicher als er, u darin fühlt er einige Gattungen von Seelenschönheit aufs lebendigste.“ (FN I, 1045f. – N22, 51v-52r.) 266 Vgl. Terras, S. 23. Baeumer stellt fest, dass über 90 % der Kunstbeschreibungen im Ardinghello aus den Reiseaufzeichnungen übertragen sind. Vgl. Max L. Baeumer, Nachwort, in: Wilhelm Heinse, Ardinghello und die glückseligen Inseln. Kritische Studienausgabe, hg. von Max L. Baeumer, Stuttgart 1975, S. 641-718, hier S. 684.

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gelingt.267 Offenbar gerät Heinse in eine Zwickmühle: In seiner Kunstauffassung fühlt er sich

weiterhin dem Genusskonzept verpflichtet, nach dem das Erkennen von Schönheit, im 18.

Jahrhundert noch ein unabdingbares Kriterium für Kunst, mit sinnlichem Begehren

weitgehend gleichgesetzt werden kann. Andererseits muss er sich bewusst sein, dass die

seiner Kunstauffassung entsprechende erotische Beschreibungsform ihn in den Augen der

literarischen Öffentlichkeit diskreditieren würde. Im Ardinghello folgt Heinse der „Forderung

nach ästhetischer Reinigung“268 - zumindest sprachlich sind die ekphrastischen Passagen

deutlich entschärft. Ein repräsentatives Beispiel ist die Beschreibung der Venus von Urbino

(Abb. 5) von Tizian. Die Aufzeichnungen enthalten mehrere Annäherungsversuche an das

Gemälde. Die erste in den Aufzeichnungen enthaltene Beschreibung der Venus ist laut

Bernauer das Resultat von Heinses erstem Besuch der Uffizien im Jahr 1781. In ihrer

sprachlichen Form ist die Beschreibung recht ausgefeilt.269 Sie wird ohne nennenswerte

Veränderungen als erster Teil der Venus-Beschreibung in den Ardinghello übernommen. In

elliptischen Sätzen charakterisiert Heinse die Venus als

Eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren mit schmachtendem Blick, bereit hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen, die an statt die Hand vorzuhalten schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt, und mit den zarten Fingerspitzen die regsamsten gefühligsten Nerven des höchsten Lebens berührt. Bezaubernde Beyschläferin und nicht Griechen Venus; Wollust und nicht Liebe; Körper und nicht Geist und Seele. (FN I, 433 – N32, 166r-v.)

Die späteren Beschreibungen der Venus stammen aus dem Jahr 1783. Heinse besucht auf der

Rückreise nach Deutschland noch einmal die Uffizien und fasst nun seinen Eindruck in

deutlichere Worte:

Sie giebt sich ganz preis, u wartet mit Verlangen furchtsamlich geil auf den Kommenden. Man siehts ihr deutlich an, daß schon alles Jungfräuliche durch u weggevögelt ist; es ist nur Schaam da vor mehrern zugleich, wenn sie auf einmal kommen sollten. Ihr Haar ist blond, kastanienbräunlich u schön verstreut über die rechte Schulter, u ein Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Schaam, in deren Ritze gerad die zwey ersten Finger der linken Hand mit den Koppen hinein fühlen, u die empor schwellenden Schenkel vorn sind äußerst wollüstig. […] Sie ist lauter Hurenhuld, es recht zu machen. (FN I, 1216 – N26 ½, 87v.)

Das Vokabular ist explizit-derb (geil, weggevögelt). Die Position der Finger wird ohne

metaphorische Verschleierung benannt. Die in der ersten Beschreibung bereits angedeutete 267 Baeumer, Nachwort, S. 694f. 268 Schindler, S. 79. 269 Der Grad der Bearbeitung ist hier und an anderer Stelle an dem Fehlen der bei Heinse sonst so geläufigen Abkürzungen (u für und, Elision von –ich-Endungen) und dem relativen syntaktischen Ebenmaß (im Gegensatz z.B. zu Drei- bis Vierfachattribuierungen in den Aufzeichnungen) erkennbar.

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Interpretation der dargestellten Figur als Prostituierte wird hier deutlicher. Heinses Blick

fokussiert auf der auch malerisch akzentuierten Partie von Unterleib und Schenkeln. Das

Heinsesche Lobesprädikat wollüstig kommt hier wieder zum Einsatz. Einige Seiten später

ergänzt Heinse seine Beobachtungen. Auch hier ist das Vokabular wieder von

charakteristischer Deutlichkeit:

Venus Tizians liegt gerad auf dem Arsch, und ein klein wenig kömt noch die linke Seite hervor. Die Mitte sollte mehr angezeigt seyn; so ist sie gar zu los gelassen bis zur Schlappheit. Aber ein rechtes Wollustferkel von den Hüften bis zu den Kniekehlen um den Hintern herum liegt sie da. Die Brüste sind herrlich angedeutet, besonders steht die linke empor spitz straff. (FN I, 1220 – N26 ½, 93r.)

Wieder fokussiert der Blick auf die erotischen Details des nackten Körpers. Das Gesicht der

Venus und der bedeutungsvolle Blick werden vollständig ausgespart. Deutlicher noch als in

der vorhergehenden Beschreibung kommt Heinses Deutung der Venus in dem Begriff

„Wollustferkel“ zum Ausdruck. Sauder liest diese Passage als Beispiel einer ausnahmsweise

nicht positiv konnotierten Sexualität und vermutet, dass Heinse an dieser Stelle Kritik an einer

zu ordinären sexuellen Bereitschaft übt.270 Allerdings deutet nichts auf eine negative

Konnotation hin. Im Gegenteil: Die Attribuierung als „Wollustferkel“ ist eine adversative

Ergänzung der vorhergehenden Kritik an der „Schlappheit“ der Figur und ist somit nicht als

Kritik, sondern als ‚schmutzige’ Form der Verbalerotik zu bewerten.

Im Ardinghello werden nur die Venus von Urbino und die ebenfalls in der Tribuna der

Uffizien aufgestellte Venus Medici als „wollüstig“ beschrieben.271 Der ‚sexualisierte Blick’

auf Werke der bildenden Kunst, der in den italienischen Aufzeichnungen deutlich zutage tritt,

wird im Roman zum verstohlenen Seitenblick.272 Die ausführlich erotisierende Beschreibung

tritt im Ardinghello nur im Zusammenhang mit prädestinierten Sujets auf. Die Darstellung

einer nackten Venus stellt einen solchen Fall dar. Auch im Ardinghello behält Heinse seine

270 Sauder, S. 89f. 271 In den anderen Kunstbeschreibungen wird die erotische Wirkung der weiblichen Figuren mit dem abgemilderten Begriff „reizend“ gefasst. 272 So gönnt sich Heinse z.B. einen ausführlichen Blick auf die Brüste der von Ardinghello gemalten Madonna: „Auch der Bube, so recht in Liebe erzeugt, trug die Spuren der vollen Wonne seines Werdens in der Gestalt; er hielt sich mit dem einen Händchen an der rechten halb entblößten Brust unter dem rötlichen Gewand an, und lächelte von der offnen straff geschwellten jugendlichen linken ab mit seinem blonden Köpfchen in die schöne Natur.“ (A 41.)

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Deutung der Venus als venezianisches Freudenmädchen bei, da diese Interpretation es ihm

ermöglicht, auch Tizian als einen ‚lebensnahen’ Maler zu verstehen.273

Diese ist eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit schmachtendem Blick, aufs weiße widerstrebende Sommerbett, im frischen Morgenlichte, faselnackend vor innrer Glut von aller Decke und Hülle, bereit und kampflüstern hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen; die, anstatt die Hand vorzuhalten, schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt und mit den Fingerkoppen die regsamsten gefühligsten Nerven ihres höchsten Lebens berührt. Bezaubernde Beischläferin und nicht Griechenvenus, Wollust und nicht Liebe, Körper bloß für augenblicklichen Genuß. […] Der Schatten an der Scham und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind äußerst wollüstig, so wie die jungen Brüste. Die großen gräulichtbraunen Augen mit den breiten Augenbrauen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sömmerlicher Lage, und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht’s ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Besorgnis vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht. Tizian wollte keine Venus malen, sondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichen Blut durchflossen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgendein andrer geleistet. (A 331f.)

Im Gegensatz zu den Aufzeichnungen erscheint die Beschreibung der Venus von Urbino im

Ardinghello deutlich entschärft. Die Entschärfung findet jedoch hauptsächlich auf der

lexikalischen Ebene statt.274 Die grundsätzliche Richtung der Beschreibung bleibt erhalten:

Keine Venus hat der Betrachter vor sich, sondern eine erfahrene Prostituierte. Allerdings ist

allzu derbes Vokabular getilgt bzw. durch harmlosere Begriffe ersetzt worden. Die

Berührungsfläche der Hand der Venus wird wieder zu den „regsamsten gefühligsten Nerven“

metaphorisiert, die Hurenhuld zur Huld verharmlost, und das Jungfräuliche, so formuliert

Heinse vorsichtig, ist gewichen. Die Venus wartet nicht mehr mit Verlangen furchtsamlich

geil (FN I, 1216) auf ihren Freier, sondern mit gierigem Verlangen furchtsamlich. Heinses

ambivalente Bemerkung über die Furcht vor mehreren Liebhabern zur gleichen Zeit (FN I,

1216) wird durch den Zusatz wegen der Eifersucht gleichsam entsexualisiert.

273 Das Freudenmädchen kann hier im Sinne von Kapitel 4.4 als ‚lebensweltlicher Anker’ betrachtet werden. 274 Auch Adam weist darauf hin, dass die Lesefassung zwar mit Rücksicht auf das Lesepublikum abgemildert worden sei, die Kunstbeschreibungen im Ardinghello jedoch ihre grundsätzliche Genussorientiertheit nicht verleugnen können. Vgl. Adam, S. 31.

64

7.4 Ein gescheitertes Projekt Im Nachwort zum Ardinghello spricht Baeumer von Heinses „pornographischen Bildern“ in

den Beschreibungen von Gemälden und Statuen.275 Baeumer verwendet den Terminus, um

dem offensiv erotischen Charakter einiger Kunstbeschreibungen gerecht zu werden.

Allerdings suggeriert das Attribut pornographisch auch, dass es Heinse primär darum geht,

beim Rezipienten sexuelle Erregung hervorzurufen.276 Vor dem Hintergrund von Heinses

Kunstauffassung betrachtet, wird jedoch klar, dass die Imagination erotischer Szenarien, die

Baeumer als „pornographisch“ bezeichnet, sich nicht in ihrer Funktion als Stimulans sexueller

Erregung erschöpft.

Vielmehr ist es so, dass Kunst für Heinse nur über ihre Anbindung an die Sinnlichkeit

funktioniert, Schönheit nur als erotisches Interesse wahrgenommen werden kann. Nichts

könnte Heinse fremder sein als Kants Konzept vom „interesselosen Wohlgefallen“.277 Ihm

liegt nichts an einer klassizistischen Bereinigung der Schönheit des menschlichen Körpers, an

einer geistigen Überhöhung der sinnlichen Begeisterung. Während Zeitgenossen die erotische

Wirkung von nackten Gestalten entschieden abwehren, arbeiten Heinses

Kunstbeschreibungen mit dem „expressive[n] Gehalt des Erotischen und Sensualistischen“.278

Die Kunstbeschreibung als Erschließen von Wirkungen, wie sie Boehm charakterisiert

hatte,279 fokussiert auf die Wahrnehmung erotischer Wirkung als grundlegendes

Schönheitsempfinden. Dennoch, das kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden,

geht es immer noch um die Kunst und nicht um Stimulation sexueller Begierde als

Selbstzweck. Baeumers Formulierung vermittelt zwar einen Eindruck von der sprachlichen

Radikalität der Heinseschen Bilder, verfehlt aber den Kern der erotisierenden

Kunstbeschreibung.

Schiller hatte den Ardinghello als „sinnliche Karrikatur ohne Wahrheit und ohne ästhetische

Würde“280 abgelehnt. Wie Schindler aufzeigt, bezieht sich dieses folgenreiche Urteil auf die

bereits deutlich entschärfte Druckversion.281 Trotz der hier wie an anderen Stellen von Heinse

275 Baeumer, Nachwort, S. 694. 276 Laut Reinhard Döhl verfolgt pornographische Literatur den „ausschließlichen Zweck sexueller Stimulation.“ Reinhard Döhl, „Pornographische Literatur“, in: Metzler Literaturlexikon. Begriffe und Definitionen, hg. von Günther und Irmgard Schweikle, Zweite, überarbeitete Auflage, Stuttgart und Weimar 1990, S. 359. Vgl. auch Gero von Wilpert, „Pornographie“, in: Sachwörterbuch der Literatur, hg. von Gero von Wilpert, Stuttgart 2001, S. 624-625. 277 Vgl. u.a. Sauder 1994, S. 69. 278 Hofmann, S. 231. 279 Boehm zufolge geht es Heinse darum, das Kunstwerk „als ein Gefüge von Wirkungen, als ein Parallelogramm von Kräften“ zu erschließen. Boehm, Anteil, S. 37. 280 Zit. nach: Leitzmann, S.36. 281 Vgl. Schindler, S. 79.

65

vorgenommenen Selbstzensur erregt der Roman Anstoß. Was hätte Schiller erst über die

Aufzeichnungen gedacht? Der andere ‚große’ Zeitgenosse Heinses, Goethe, kritisiert die

übermäßige Sinnlichkeit der Kunstbeschreibungen im Ardinghello: „Jener [der Ardinghello, -

J.B.] war mir verhaßt, weil er Sinnlichkeit und abstruse Denkweisen durch bildende Kunst zu

veredeln und aufzustutzen unternahm […].“282 Goethe erkennt Heinses Projekt der

erotisierenden Kunstbeschreibung nicht an. Auch als heutiger Leser ist man durch die

ungewöhnlich deutliche Verbindung von Kunst und Erotik eher befremdet als ergriffen. Heute

wie damals drängen sich angesichts der schier endlosen Reihe von Brüsten, Hintern und

Schenkeln Zweifel auf: Darf man Kunst so sehen? Auch Heinse hat sein Projekt wohl, dafür

sprechen die selbstzensorischen Maßnahmen, als gescheitert erkannt.

8 Komposition, Zeichnung, Kolorit. Die Formeln der Gemäldebeschreibung

In den vorangehenden Kapiteln wurde versucht, einige von Heinses innovativen Strategien

zur Beschreibung von Kunst darzustellen. Neben ihrer Neuartigkeit weisen Heinses

Kunstbeschreibungen jedoch auch einen formalisierenden Aspekt auf, der in den

Aufzeichnungen mal stärker, mal weniger stark zutage tritt. Bei aller literarischen

Eigenständigkeit und Originalität bedient sich Heinse doch in hohem Maße traditioneller

Kunstbeurteilungskategorien (wie z.B. Zeichnung, Kolorit und Komposition), um mit ihrer

Hilfe das Kunstwerk nach seinen formalen Kriterien ‚abzuarbeiten’. Einerseits erschließt

Heinse neue Perspektiven auf Gemälde und Skulpturen, andererseits ist er in hohem Maße

von traditionellen Beschreibungsmustern abhängig. Gerade im Bereich der

Gemäldebeschreibung setzt Heinse häufig die ‚Formeln’ der Kunsttheorie an die Stelle einer

detaillierten Erfassung der technischen Aspekte eines Bildes.

8.1 Die Etablierung der Beurteilungskategorien für Gemälde Rebel weist darauf hin, dass die Kunstbeschreibung an sich kaum als eigene Textsorte zu

bezeichnen ist, da es keine gattungsspezifischen sprachlichen Formen gebe.283 Bei der

Kunstbeschreibung handelt es sich um eine Textform, die durch ihren Gegenstand und nicht

durch ihre Form definiert ist. Trotzdem weist die Textform besonders auf dem Gebiet der

Gemäldebeschreibung eine hohe formale Konstanz auf, die der wirkungsmächtigen

Zergliederung des Bildes in seine Bestandteile durch die Kunsttheorie der italienischen

282 Zit. nach: Leitzmann, S. 33. 283 Rebel, Bis Winckelmann, S. 13.

66

Renaissance geschuldet ist. Leon Battista Alberti legt 1436 in seinem Traktat De Pictura284

die Kategorien Zeichnung („Umschreibung“), Komposition, und Kolorit (bzw. „Lichteinfall“)

als die wesentlichen Kriterien der Malerei fest.285 Hiermit schafft er die Grundlage für einen

Klassifikationskatalog für Gemälde, dem später als wesentliche Kategorien Idee, Ausdruck,

Draperie und Licht/ Schatten hinzugefügt werden.286

Die Erfassung von Gemälden nach diesen formalen Kriterien stellt die bedeutendste

strukturelle Konstante der Textform Kunstbeschreibung dar. Von der italienischen

Kunsttheorie etabliert und vom französischen Akademismus im 17. Jahrhundert

institutionalisiert, bleiben die Beurteilungskategorien im Prinzip so lange gültig, bis die

Malerei sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfassung nach traditionellen Kriterien entzieht.

Für das 18. Jahrhundert wurden die grundlegenden Klassifikationskriterien nochmals von

Anton Raphael Mengs in seiner Schrift Gedanken über die Schönheit und über den

Geschmack in der Malerei kodifiziert.287 Heinse hat diese Schrift, wie auch Christian Ludwig

Hagedorns Betrachtungen über die Mahlerey, in denen die Kategorien Komposition,

Zeichnung und Kolorit ausführlich behandelt werden, gründlich studiert.288 Es ist

anzunehmen, dass Heinse mit den Begrifflichkeiten der Kunsttheorie und Ästhetik zunächst

über die Schriften seiner Lehrer, besonders die Theorie der schönen Künste und

Wissenschaften seines Erfurter Professors Friedrich Justus Riedel, bekannt geworden war.289

Spätestens für die Zeit des Italienaufenthaltes ist jedoch von einer persönlichen Kenntnis von

Mengs’ Gedanken und Hagedorns Betrachtungen auszugehen.290

Innerhalb des Klassifikationssystems für Kunst gibt es eine strenge Hierarchie, die im Prinzip

bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht aufgehoben werden kann. Seit den

kunsttheoretischen Traktaten der italienischen Renaissance wird das Kolorit der Komposition

oder der Zeichnung untergeordnet. Die italienische Kunsttheorie des Quattrocento hatte den

Begriff des disegno etabliert um die Malerei als geistige Tätigkeit im Sinne der artes liberales

284 Albertis Traktat existiert in lateinischer, italienischer und toskanischer Fassung. Im Folgenden wird die von Bätschmann besorgte Übersetzung der lateinischen Fassung verwendet. Leon Battista Alberti, Die Malkunst, in: Ders., Das Standbild, Hg., eingel., übers. und komm. von Oskar Bätschmann, unter Mitarbeit von Kristine Patz, Darmstadt 2000, S. 194-315. 285 Alberti betrachtet die Farben als Ergebnis von Licht und Schatten und bezeichnet das Kolorit deshalb als „Lichteinfall“. Vgl. Alberti, S. 247. 286 Vgl. Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung, S. 164. Im Folgenden sollen die kunsttheoretischen Termini, die zur Beschreibung eines Gemäldes traditionell eingesetzt werden, als Kategorien der Beschreibung bzw. der Beurteilung bezeichnet werden, da sie Grundbegriffe des Verstehens von Kunst darstellen. 287 Vgl. Pfotenhauer, Um 1800, S. 40; Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 688. 288 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 686. 289 Vgl. Terras, S. 24. 290 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 687.

67

vom Handwerk abzugrenzen.291 Bereits Alberti vertritt die Idee, dass das Kolorit im

Gegensatz zum disegno nicht das Wesen des darzustellenden Gegenstandes erfassen könne,

sondern lediglich dazu diene, ihm zusätzliche sinnliche Attraktivität zu verleihen.292 Die von

Alberti angedeutete Hierarchie der Kategorien wird von Vasari als feste Größe der

Kunsttheorie installiert. Die Farbgebung eines Gemäldes ist bei Vasari nur die materielle

Vollendung eines geistigen Entwurfs, der sich in der Zeichnung unmittelbar ausdrückt.293 Der

disegno, nicht die Farbe, gilt ihm als Grundlage der Künste. In der Vorrede zum Gesamtwerk

der Viten schreibt Vasari: „Und so sage ich, daß Skulptur und Malerei in Wahrheit

Schwestern sind, die von einem Vater – dem disegno – abstammen und aus einer Geburt

zugleich hervorgegangen sind […].“294

Von hier aus entsteht im 17. Jahrhundert im Umkreis der französischen Akademie die

Vorstellung eines Antagonismus’ von disegno und colore. Im Gegensatz zur

wesenserfassenden Kategorie der Zeichnung, die einer geistigen Tätigkeit entspringt und den

Geist des Betrachters ansprechen soll, wird die Farbe als bloße Augenfreude diskreditiert, als

zufällige äußere Erscheinung der Materie. Der Gegensatz, wie Rosen aufzeigt, kann als einer

zwischen „Substanz“ und „Akzidenz“ gefasst werden.295 Trotz wiederkehrender Versuche, die

akademische Hierarchie der Kategorien zu durchbrechen,296 bleibt die Vorrangstellung der

Zeichnung als primärem Ausdruck der geistigen Dimension der Kunst der Leitgedanke der

Kunsttheorie und –kritik bis ins 18. Jahrhundert. Seit Vasari, so kann man die Entwicklung

abkürzen, dominiert der disegno.297 Im 18. Jahrhundert wurde die tradierte Hierarchie von der

291 Disegno lässt sich mit „Zeichnung“ übersetzen, meint jedoch nicht nur das Resultat der Tätigkeit des Zeichnens, sondern erscheint vor allem bei Vasari und Doni im Sinne eines „mentalen Habitus“. In diesem Sinne ist auch die spätere Unterscheidung zwischen disegno interno und disegno esterno zu verstehen. Vgl. Wolfgang Kemp, Disegno. Beiträge zu einer Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19 (1974), S. 219-240, hier S. 225. 292 Alberti, S. 281f. 293 Vgl. Sabine Feser, „Kolorit“, im Glossar zu: Giorgio Vasari, Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übers. von Victoria Lorini, hg., eingel. und komm. von Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 231. 294 Giorgio Vasari, Vorrede des Gesamtwerks, in: Ders., Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien, neu übers. von Victoria Lorini, hg., eingel. und komm. von Matteo Burioni und Sabine Feser, Berlin 2004, S. 27-42, hier S. 39. Zur Entwicklung des disegno-Begriffs siehe auch Kemp. 295 Vgl. Valeska von Rosen, „Disegno und Colore“, in: Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, hg. von Ulrich Pfisterer, Stuttgart und Weimar 2003, S. 71-73, hier S. 72. 296 Puttfarken nennt als wichtigste Verteidiger des Kolorits gegen den disegno Roger de Piles und Eugène Delacroix und bemerkt, dass selbst sie Schwierigkeiten hatten, sich gegen die herrschende Hierarchie durchzusetzen. Vgl. Thomas Puttfarken, The Dispute about Disegno and Colorito in Venice: Paolo Pino, Lodovico Dolce and Titian, in: Peter Ganz, Martin Gosebruch, Nikolaus Meier und Martin Warnke (Hgg.), Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 75-99, hier S. 78. 297 Vgl. Von Rosen, S. 72.

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klassizistischen Kunsttheorie, die sich auf die klassische Antike und ihre italienische

‚Wiedergeburt’ berief, nochmals bestätigt.

Während Alberti Komposition, Umschreibung und Lichteinfall als Bestandteile des Bildes

und somit als Fertigkeiten des Künstlers behandelt, werden diese Kategorien in Giorgio

Vasaris Viten als grundlegende Kriterien der Kunstbeschreibung kodifiziert. Sie entwickeln

eine gesamteuropäische Wirkung, der sich bis ins 19. Jahrhundert niemand, der sich

literarisch mit Kunst auseinandersetzt, entziehen kann. Jedoch zeigt sich im Gebrauch der

Kunstbeurteilungskategorien eine Tendenz zum Schlagwortartigen – sie verbrauchen sich

schnell zum bloßen ‚Jargon’ der literarischen Kunstbeschreibung. Zu dieser

Entkonkretisierung der Begriffe hat sicherlich die Tatsache beigetragen, dass die

Beschäftigung mit Kunst im 18. Jahrhundert nicht mehr Hoheitsgebiet des Künstlers war,

sondern sich vielmehr zur Domäne des ‚Kunstkenners’ entwickelt hatte.298

Auch Heinse ist kein bildender Künstler. Seine Kenntnisse der Malerei sind rein theoretisch.

Diesem Umstand ist es wohl auch geschuldet, dass er sich im Prinzip nicht für die

‚Produktion’ von Kunst interessiert und in seinen Beschreibungen sehr stark auf die ihn

unmittelbar angehende Wirkung der Kunstwerke fokussiert. Seine Verwendung der

traditionellen Beurteilungskategorien zeigt an vielen Stellen eine Tendenz zum Formelhaften.

Als „formelhaft“ sollen diese Passagen deshalb bezeichnet werden, weil Heinse sich in ihnen

der traditionellen Kategorien der Kunstbeschreibung gleichsam anstelle einer ausführlichen

formalen Bildbeschreibung bedient. In den folgenden Abschnitten soll gezeigt werden, wie

Heinse die traditionellen Kategorien zum einen gewissermaßen als ‚Platzhalter’ einer

formalen Beschreibung anwendet und sie zum anderen in seinem Sinne umdeutet und in den

Dienst seiner Kunstauffassung stellt.

8.2 ‚Platzhalter’ der formalen Bildbeschreibung Um einen korrekten Eindruck von Heinses Verwendung der etablierten

Kunstbeurteilungskategorien zu gewinnen, muss man sich zunächst einen Überblick über sein

‚Vokabular’ verschaffen. Wie bereits in den Gemäldebriefen arbeitet Heinse auch in den

298 Das 18. Jh. prägt für den nicht selbst künstlerisch tätigen Kenner den Begriff des „Kunstrichters“. In Sulzers Allgemeiner Theorie wird dieser als dem Künstler überlegen definiert: „Zwar scheint es, dass der Künstler auch der beste Richter über die Kunst sein sollte. Wenn man aber bedenkt, wie viel Zeit, Nachdenken und Fleiß die Ausübung erfordert; so lässt sich begreifen, dass ein zur Kunst geborenes Genie, (und ein solches muss der Kunstrichter sein) das sich selbst mit der Ausübung nicht beschäftigt, in gar vielen zur Kunst gehörigen Dingen noch weiter sehen muss als der Künstler selbst.“ Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, Frankfurt und Leipzig 1771-1774 (1. Aufl.), online verfügbar unter: <http://www.textlog.de/sulzer_kuenste.html> (abgerufen am 29.09.2007).

69

italienischen Aufzeichnungen mit den.‚klassischen’ Beurteilungskategorien Komposition,

Kolorit, Zeichnung, Ausdruck, Stellung der Figuren, Licht und Schatten und Draperie. Die

Bedeutung, die er den einzelnen Kategorien beimisst, lässt sich am besten aus der

Beschreibungspraxis erkennen. Bei weitem am häufigsten ruft Heinse die Kategorie des

Ausdrucks auf, die bereits für Vasari entscheidend war. An zweiter Stelle folgt der Begriff des

Kolorits. Die Kategorie Zeichnung verwendet Heinse weniger häufig, sie ist jedoch immer

noch zu den ‚Kernkategorien’ zu rechnen. Grundsätzlich machen Kategorien des Malerischen

(Kolorit, Fleisch, Nackendes, Täuschung) einen größeren Anteil an Heinses

Gemäldebeschreibungen aus als solche des Zeichnerischen (wie z.B. Zeichnung, Kontur oder

Form).299

Neben den umfangreichen Beschreibungen, in denen sich Heinse den

Betrachtungsgegenständen wieder und wieder aus verschiedenen Perspektiven nähert und zu

nahezu epischen Beschreibungsformen findet, stehen in den italienischen Aufzeichnungen

ekphrastische Klein- und Kleinstformen, die Schipper-Hönicke als „Miniaturen“

bezeichnet.300 Innerhalb solcher Kleinformen tritt gelegentlich eine frappierende

Formelhaftigkeit auf. So gibt es bestimmte Phrasen, die in den Gemäldebeschreibungen

immer wieder auftauchen, aber nie näher erläutert werden, sondern in ihrer Formelhaftigkeit

als eine Art abgekürzte Beurteilung fungieren. Die Bewertung der künstlerischen Arbeit

erfolgt meistens durch Formeln wie „meisterhaft gemahlt u gezeichnet“ (FN I, 1005 – N22,

5r), „fürtrefl. gezeichnet u colorirt“ (FN I, 1010 – N22, 10v) oder „sehr brav gezeichnet u

gemahlt“ (FN I, 1014 – N22, 14r). Ebenso bedient sich Heinse der Formel „schönes Kolorit“

(FN I, 1216 – N26 ½, 87v) oder „gutes Kolorit“ (FN I, 1033 – N22, 35v), ohne im Einzelnen

darauf einzugehen, wie der Betrachter sich ein „schönes Kolorit“ vorzustellen hat.

Die von der Kunsttheorie kodifizierten Begriffe haben im Laufe der Jahrhunderte eine solche

Bedeutungsschwere entwickelt, dass sie im Rahmen der Kunstbeschreibung ohne weiteres als

‚Platzhalter’ für eine detaillierte formale Beschreibung fungieren können. Man bedient sich

ihrer gleichsam als Kürzel für die Beschreibung des Gesehenen. Die Beobachtung, dass die

Farben eines Gemäldes miteinander harmonieren, nicht zu grell sind, zur plastischen Wirkung

299 Die Unterscheidung des Malerischen und des Linearen folgt hier im Wesentlichen Wölfflins Definition: „Der zeichnerische Stil sieht in Linien, der malerische in Massen. Linear sehen heißt dann, daß Sinn und Schönheit der Dinge zunächst im Umriss gesucht werden […], daß das Auge den Grenzen entlang geführt und auf ein Abtasten der Ränder hingeleitet wird, während ein Sehen in Massen da statthat, wo die Aufmerksamkeit sich von den Rändern zurückzieht, wo der Umriß dem Auge als Blickbahn mehr oder weniger gleichgültig geworden ist und die Dinge als Fleckenerscheinungen das Primäre des Eindrucks sind.“ Heinrich Wölfflin, Kunsthistorische Grundbegriffe, Dresden 1983, S. 27f. 300 Gerold Schipper-Hönicke, Im klaren Rausch der Sinne. Wahrnehmung und Lebensphilosophie in den Schriften und Aufzeichnungen Wilhelm Heinses, Würzburg 2003, S. 19.

70

des Gemäldes beitragen und ganz allgemein das Auge erfreuen, kann mit der

kunstliterarischen Formel „schönes Kolorit“ verständlich abgekürzt werden.301

Heinses Gemäldebeschreibungen sind nicht primär an den technischen Aspekten der Malerei

interessiert. Möglicherweise ist hierin der Grund dafür zu sehen, dass Heinse dazu neigt,

traditionelle Beurteilungskategorien ‚gebündelt’ anzuwenden. Neben Passagen relativer

struktureller und inhaltlicher ‚Freiheit’ stehen Sätze, die im Prinzip nur eine Anhäufung von

Beurteilungskategorien darstellen. So folgt dem Lob eines vermeintlichen Porträts der

Johanna von Aragon302 ein Satz, der abgekürzt die Quintessenz von Heinses Urteil über die

künstlerische Qualität des Bildes beinhaltet:

Von Leonardo da Vinci das beste weibliche Porträt von ihm vielleicht jetzt in ganz Italien, wenigstens werden äußerst wenige von seinen vollkommnen Sachen so gut erhalten seyn. Die Wahrheit des Charakters in Zeichnung und Farbe ist zum Verwundern u schlägt alles neben ihm nieder. (FN I, 1026 – N22, 28r. Hvhb. J.B.)

Heinse erfasst zwar die Wirkung der künstlerischen Qualität, scheint jedoch in keiner Weise

daran interessiert zu sein, zu erläutern, wie diese Wirkung zustande kommt. „Die Wahrheit

des Charakters in Zeichnung und Farbe“ wird als absolute Gegebenheit, nicht als Ergebnis

eines technischen Prozesses konzeptualisiert.

Ähnliche Anhäufungen von Kategorien finden sich an vielen Stellen in den Aufzeichnungen.

Über ein Gemälde von Sebastiano del Piombo303 bemerkt Heinse: „Eine erstaunliche Natur im

Kolorit, das Fleisch die reinste Wahrheit; ein außerordentlicher Zauber der Farben am

Gewand u der Landschaft durchs Fenster.“ (FN I, 1012 – N22, 12v. Hvhb. J.B.) Alle für ihn

im Augenblick der Betrachtung erfassbaren Aspekte des Kunstwerks werden komprimiert in

einem Satz ‚abgearbeitet’. Die Beschreibung der Drei Grazien von Rutilio Manetti304 beendet

Heinse mit dem Urteil: „Die Grazie vom Rücken ist ein Meisterstück, fürtrefl. gezeichnet u

colorirt u in Licht u Schatten gehalten.“ (FN I, 1010 – N22, 10v.) Ebenso ist auch der letzte

Satz zu Domenichinos Diana mit Nymphen beim Spiel305 als eine Art ‚Platzhalter’ einer

301 Dabei hängt es jeweils von der zeitgenössischen Kunsttheorie und -praxis ab, womit diese ‚Formel’ gefüllt ist. 302 Öl/ Lw., 124,7x99 cm, Galleria Doria-Pamphilj, Inv. 358; l1. Tatsächlich stammt das Gemälde weder von Leonardo noch stellt es Johanna von Aragon dar. Es handelt sich vielmehr um eine Kopie nach Raffaels und Giulio Romanos Bildnis der Vizekönigin von Neapel, Dona Isabela de Requesens y Enriquez de Cardona-Anglesola. 303 Verschollen. Wiecker nimmt an, es könnte sich um eine Kopie der Dorothea in Berlin handeln. Vgl. Rolf Wiecker, Wilhelm Heinses Beschreibung römischer Kunstschätze: Palazzo Borghese – Villa Borghese, Kopenhagen 1977, S. 83. 304 Freie Kopie nach Raffael, Öl/ Lw., 33x38 cm, Rom, Galleria Borghese. Bei Heinse als Werk Giulio Romanos geführt. 305 Öl/ Lw., 225x320 cm, Rom, Galleria Borghese.

71

detaillierten formalen Bildbeschreibung zu verstehen: „Uebrigens sieht man immer den

Meister in einigen schönen Figuren, die meistens meisterl. gezeichnet sind, u einige auch

schön colorirt. Die Scene ist ein Vorgrund von einem Walde.“ (FN I, 1013 – N22, 12v.)

Die Knappheit, in der sich Heinse über die formalen Aspekte eines Gemäldes äußert, kann

sein eklatantes Desinteresse an der ‚künstlichen’ Seite der Kunst illustrieren. Die technischen

Elemente der Malerei, so paradox es auch klingen mag, scheinen nur dann seine

Bewunderung zu verdienen, wenn sie nicht als solche hervortreten. Ein Gemälde darf keine

Spuren seiner Entstehung zeigen, sondern muss den Betrachter in die dargestellte Welt

entführen, bevor er sich der eigentlichen Beschaffenheit des Bildes (d.h. der bemalten

Leinwand) bewusst werden kann. Diesem ‚Credo’ verleiht Heinse in seinen Aufzeichnungen

zu Gemälden in der Villa Doria-Pamphilj Ausdruck:

Jedes Bild muß leicht weg gemacht scheinen, weil es nur einen Moment Zeit, oder gar keine enthält. Aller Fleiß stört in der Täuschung, man darf gar keinen merken, es muß wie hingezaubert seyn. Wie eine schöne Phantasie im Kopfe auf einmal an die Wand; Ein Blick verträgt sich nicht mit den Spuren von Jahrelanger Arbeit. (FN I, 1023 – N22, 24v.)306

Wie bereits gezeigt wurde, gilt Heinses primäres Interesse der täuschenden Wirkung des

Gemäldes und seiner Macht über die Einbildungskraft des Betrachters. Deshalb erregen die

formalen Aspekte der künstlerischen Umsetzung nicht im gleichen Maße Heinses

Aufmerksamkeit und fließen auch nicht im gleichen Umfang wie die Beobachtungen zu

Charakter und Ausdruck der Figuren in die Kunstbeschreibungen ein. Die Überzeugung, dass

technische Perfektion noch kein bewegendes Kunstwerk ausmacht, spricht auch aus der

Beschreibung von (ausgerechnet!) Mengs’ Fresken in der Stanza dei Papiri307:

...für den Menschen von Gefühl u Verstand ist wenig darin; für den bloßen Künstler ist es das höchste der neuern Kunst. Die Buben sind ein Meisterwerk von Formen, von Zeichnung und Kolorit durch alle Theile […] aber alles greift nicht ein, und thut keine Wirkung: man bleibt kalt dabey, nichts ist von innerm Leben erfüllt […]. (FN I, 985 – N11, 43v-44r.)

Pfotenhauer legt dar, dass die formalen Gesichtspunkte der Bildbeschreibung bei Heinse nicht

so stark betont werden, weil sie „Distanz und Abstraktionsbereitschaft fordern und die

Hermeneutik der Verlebendigung, der Lebenswärme, kalt konterkarieren würden.“308 In den

Passagen, in denen sich Heinse dennoch mit der Form der künstlerischen Umsetzung befasst,

306 Zu Heinses Abneigung gegen den „Fleiß“ siehe auch Elliott, S. 92. 307 Anton Raffael Mengs, Allegorie auf das Museum Clementinum, Vatikan, Stanza dei Papiri. 308 Pfotenhauer, Um 1800, S. 44.

72

ist die Beschreibungssprache deutlich stärker von den traditionellen ‚Formeln’ der

Kunsttheorie geprägt.

Wenn Heinse nun aber gar nicht an den ‚künstlichen’ Elementen der Malerei interessiert ist,

warum fließen sie dann zu einem so großen Teil und in dieser Form in seine Aufzeichnungen

ein? Es entsteht der Eindruck, dass die Agglomerationen von Beurteilungskategorien in

Heinses italienischen Kunstbeschreibungen als ‚Platzhalter’ für eine formale

Bildbeschreibung fungieren, die Heinse im Moment der Betrachtung nicht leisten kann oder

nicht leisten will. Heinse scheint sich jedoch bewusst zu sein, dass eine Beschreibung, die

ausschließlich als ‚Durchblick’ auf das Dargestellte konzipiert wäre, den formalen

Anforderungen an eine literarische Kunstbeschreibung nicht genügen würde. Am 9.

September 1782 schreibt er an Jacobi: „Ich habe mich seither in das Studium der Kunst so

vertieft, daß ich gar nicht heraus kann; doch werden die Künstler am Ende wenig mit mir

zufrieden seyn.“309 Aus diesen Zeilen spricht das Bewusstsein für die Problematik des eigenen

Blicks auf Kunst. Heinse ist sich darüber im Klaren, dass seine Beschreibungen nicht das

erfassen, was Künstler an Gemälden und Skulpturen interessieren würde – die kunstvolle

Gemachtheit. Statt für die Kunst interessiert sich Heinse für die „Natur in der Kunst“.

Heinse ist jedoch mit ekphrastischen Textformen ausreichend vertraut, um zu wissen, dass

eine Bildbeschreibung, die sich von etablierten Mustern vollständig emanzipiert und in keiner

Weise auf die kunstvolle Gemachtheit des Kunstwerks eingeht, vom Lesepublikum

bestenfalls als Phantasie abgetan werden würde. Obwohl die Aufzeichnungen selbst natürlich

nicht für die Öffentlichkeit konzipiert sind, stellen sie doch potenzielle Vorstufen für an das

Lesepublikum adressierte Texte dar. In den Briefen an Jacobi äußert sich Heinse mehrfach

über literarische Projekte. Im Frühjahr 1783 trägt sich Heinse mit Plänen für ein „Journal“.

Am 22. März schreibt er an Jacobi:

Das Journal hieß Italiänische Bibliothek nebst Nachrichten von Kunstsachen, und käme monatlich oder auch vierteljahrsweise heraus; enthielt: eigne Aufsätze über Italiänische litteratur, und Kunst überhaupt, als Mahlerey, Bildhauerkunst, Architektur, Musik; Auszüge aus den neusten schriften und Urtheile darüber und den ältern von zehn bis zwanzig Jahren […] und noch ungedruckten Handschriften aus dem Vorrath der welschen Bibliotheken; lebensbeschreibungen von jüngst verstorbnen Gelehrten und Künstlern, und den berühmtesten noch lebenden […] Neuigkeiten und unbemerkte interessante Dinge von Rom, Neapel. Venedig, Mayland, Florenz p […] Anzeige der jüngsten Arbeiten der Künstler […] Bekanntmachung der neu aufgefundnen Antiken seit Winckelmann […]

309 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 4.

73

(Die Abschriften der besten Opernscenen […].)310

Der Plan für Heinses Italiänische Bibliothek wurde nicht realisiert. Im Januar 1784, dem

Termin, den er als Erscheinungsbeginn anvisiert hatte, befindet sich Heinse bereits wieder in

Deutschland. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Heinses Produktion von

Kunstbeschreibungen in Italien von dem Hintergedanken an „eigne Aufsätze“ in diesem oder

einem ähnlichen Medium getragen wurde.311

Am 13. Oktober 1782 hatte Heinse gegenüber Jacobi ein weiteres literarisches Projekt

erwähnt: „Inzwischen hätt’ ich Ihnen doch schon vieles über Neapel und andre Oerter

unterwegs geschrieben, wenn ich nicht gerad an einem Werke brütete, worin verschiedne

Scenen dahin versetzt sind; und ich mag nichts doppelt beschreiben.“312 Hier wird wiederum

deutlich, dass Heinses Aufzeichnungen auch in ihrer fragmentarischsten Gestalt mit einer

(wenn auch noch unbestimmten) literarischen Absicht verfasst worden sind.313 Ein Blick auf

die von Heinse notierten Titel der Notizhefte bestärkt diese These: Die

Gemäldebeschreibungen aus Rom, so notiert Heinse später auf dem Umschlagblatt von N22,

seien „zur Stärkung der Rückerinnerung“ entstanden (FN I, 1001). Auch N17, das die

Beschreibungen von Raffaels Stanzen im Vatikan enthält, wird im Titel für eine spätere

Verwendung bestimmt: „Auszüge und Beschreibungen zu sehr auf dem Raub für die

wichtigen Gegenstände; doch immer gut für die Zukunft“ (FN I, 1085).314

Vor diesem Hintergrund ist Heinses Kunstbeschreibungspraxis in den italienischen

Aufzeichnungen eher als Produktion von ‚Werkteilen’ für eine spätere literarische

Verarbeitung zu verstehen. Auch Bernauer merkt an, dass der Blick in die Aufzeichnungen

Heinses vor allem als „Einblick in eine Autorenwerkstatt des 18. Jh.s“ aufschlussreich sei.315

Aus dem Charakter der Gemäldebeschreibungen als potenzielle Vorstufen literarischer

310 Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 134f. 311 Zu Heinses literarischen Plänen in Italien siehe auch Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 22. 312 Am 13. Oktober 1782 aus Rom an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 58. Ob es sich bei dem erwähnten Projekt um eine Vorstufe des Ardinghello handelte, ist ungeklärt. Zumindest belegt Heinses Bemerkung, dass es bereits in Italien Pläne zu einer literarischen Verarbeitung des Gesehenen gab. Vgl. Terras, S. 22. 313 Wie Bernauer anmerkt, enthalten die Notizhefte auch Entwürfe für Briefe an Friedrich Heinrich und Betty Jacobi, die offenbar bewusst im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung als Reisebriefe konzipiert sind. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 284. 314 Bernauer merkt hierzu an, die Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen „hätten sich tatsächlich für ihre Ausarbeitung zu Journalbeiträgen geeignet, weil sie vielfach verwendbar gewesen wären.“ Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 298. 315 „Sie sind keine Tagebücher, sie sind aber auch keine Materialsammlungen, wie sie beispielsweise Winckelmann oder Jean Paul in ihren Exzerptsammlungen anlegten. Schon von Anfang an sind Heinses Aufzeichnungen beides, Sammlungen von Lektürefrüchten und die Kommentare dazu – und schließlich auch oft die Ergebnisse davon.“ Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 279.

74

Veröffentlichungen erklärt sich der eigentümliche Gebrauch von traditionellen Kategorien zur

Beurteilung von Gemälden. Sie dienen als ‚Platzhalter’ einer formalen Beschreibung, die

Heinses Auffassung von bildender Kunst eigentlich fremd ist. Die Erfassung der Lebendigkeit

des Dargestellten, der „Natur in der Kunst“, nimmt bei Heinse oft sprachliche Formen an, die

einen Eindruck der rauschhaften Begeisterung vermitteln.316 Hingegen kann sich die

sprachliche Gestalt der Beschreibung der ‚künstlichen’ Aspekte eines Gemäldes zur bloßen

Formel versteifen. Diese beiden Aspekte stehen in Heinses italienischen Aufzeichnungen

nebeneinander und verbinden sich zu der für Heinse charakteristischen Art der

Kunstbeschreibung zwischen innovativer Form und traditioneller Formel. Zum einen mag die

Anwendung der Beurteilungskategorien tatsächlich einen systematischen Nutzen für die

„Rückerinnerung“ gehabt haben. Zum anderen muss die starke Formalisierung jedoch auch

im Hinblick auf Heinses Reputation als Kunstschriftsteller als ein Kompromiss zwischen

Innovation und Tradition betrachtet werden.317

8.3 Heinses Umdeutung der Klassifikationskriterien am Beispiel des Kolorits Wie soeben gezeigt wurde, verwendet Heinse die Beurteilungskategorien der Kunsttheorie

kontinuierlich, jedoch in auffälliger Knappheit und Formalität. Terras untersucht die Herkunft

von Heinses ‚ästhetischen’ Grundsätzen und betont die Bedeutung von Mengs’ Gedanken

über die Schönheit. Aus Heinses häufiger Verwendung der bei Mengs nochmals befestigten

Beurteilungskategorien schließt Terras, er habe die Malerei mit Mengs gesehen wie er die

Skulptur mit Winckelmann gesehen habe.318 Die Übereinstimmung mit Mengs ist jedoch nur

vordergründig. Heinse übernimmt zwar die Beurteilungskategorien als Instrumentarium der

Kunstbeschreibung, macht sich jedoch nicht die ästhetische Hierarchie zu Eigen, die Mengs’

Verwendung der Begriffe impliziert.

Pfotenhauer stellt bereits für die Gemäldebriefe fest, dass Heinses Verwendung der

Beurteilungskategorien nicht als eine widerspruchslose Übernahme der Tradition zu verstehen

ist:

Es ist höchst bezeichnend, wie Heinse sie [die Beurteilungskategorien, -J.B.] aufgreift, Zugeständnisse mithin macht an die Tradition und an den herrschenden

316 Charakteristisch ist vor allem Heinses Verwendung des ‚enthusiastischen Superlativs’, die begeisterten Ausrufe besonders in den späteren italienischen Kunstbeschreibungen und die relative Länge der Sätze, die oft aus vielen, durch Semikola getrennten Einzelbeobachtungen bestehen. 317 In diesem Zusammenhang sei auf die starke Legitimationsfunktion hingewiesen, die von der (korrekten) Anwendung von Fachtermini ausgeht. Auch Heinse wird sich bewusst gewesen sein, dass die Beherrschung des formalen Beschreibungsvokabulars seiner Anerkennung als Kunstkenner förderlich sein würde. 318 Vgl. Terras, S. 83f.

75

Geschmack, um die Klassifikation dann aber sofort in seinem Sinne, nämlich vitalistisch und gegenwarts- statt antikebezogen, umzudeuten.319

Pfotenhauer illustriert diese Umdeutung am Beispiel der grundlegenden Bemerkungen zu den

traditionellen Klassifikationskriterien von Malerei zu Beginn der Gemäldebriefe. Zwar

entspricht die Hierarchie der Kategorien hier derjenigen der zeitgenössischen Kunsttheorie,

die besonders auf die Zeichnung als Ausdruck der Idee abhebt.320 Allerdings ist die etablierte

Theorie mit Heinses eigenen Vorstellungen vermischt.

Also auch in der Mahlerey: zuvor das Göttliche, Idee und Zusammensetzung. Dann Zeichnung: Form, Gefäß des Göttlichen, Leben; dann Erscheinung daraus, Kolorit: Puls und Lebenswärme. Die wesentlichsten Stücke der Kunst, ohne die das Göttliche nicht bestehen kann. Dann Licht und Schatten: Stellung in der Welt, Lebensathem; Zeit und Tag und Stunde und Augenblick, Gegenwart, Scene und Anordnung. Dann Bekleidung: höchste Täuschung. (SW IX, 288f.)321

Zeichnung ist hier, wie bei Mengs, die Kategorie der Form, sie ist aber auch die Instanz, die

„Leben“ vermittelt. Das Kolorit verleiht der Darstellung nicht bloß visuellen Reiz, sondern

„Puls und Lebenswärme“. Schließlich wird in der Charakterisierung der Kategorie der

Bekleidung noch einmal die Täuschung aufgerufen, in der nach Heinses Auffassung die

primäre Wirkung der Malerei besteht.

Am eindrücklichsten kann die von Heinse vorgenommene Umdeutung am Beispiel seiner

Verwendung der Kategorie Kolorit illustriert werden. Wie Pfotenhauer aufzeigt, interessiert

sich Heinse schon in den Gemäldebriefen eher für die Kategorie des Kolorits in ihrer

Sinnlichkeit vermittelnden, täuschenden Wirkung als für die von den Klassizisten bevorzugte

Kategorie der Zeichnung: „Die Farbe, insbesondere aber das Inkarnat, welches pulsierendes

Leben, lebendiges Fleisch vorstellt, tritt in den Mittelpunkt des Interesses. Sie ist nicht mehr,

wie im Klassizismus, jenes dem disegno nachgeordnete, lediglich verdeutlichende

Medium.“322 Mit der Bevorzugung des Kolorits steht Heinse in der Tradition von Roger de

Piles, der das Kolorit als bedeutendstes Pro-Rubens-Argument im Streit der Poussinisten

gegen die Rubenisten anführte.323 Seine Bevorzugung des Kolorits führt jedoch nicht zu einer

kunsttheoretischen Stellungnahme. Zumindest in den Aufzeichnungen herrscht eine

auffallende ‚Theoriearmut’. Wenn Heinse sich zu ästhetischen oder kunsttheoretischen Fragen 319 Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 688. 320 Zur Bedeutung der Idee für den Klassizismus siehe Erwin Panofsky, Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Leipzig 1924, bes. S. 57-63. 321 Die Hervorhebungen sind in der Schüddekopf-Ausgabe gesperrt gedruckt. 322 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 685. 323 Zur Bedeutung von De Piles’ Abrégé als Quelle für die Gemäldebriefe siehe Pfotenhauer, Kommentar Heinse, S. 682. Terras weist auch darauf hin, dass Heinses Verteidigung des Kolorits keineswegs eine fortschrittliche Position darstellt. Vgl. Terras, S. 127f.

76

äußert, geschieht dies fast immer in Auseinandersetzung mit Quellen.324 Theorie ist bei

Heinse nur Nebenprodukt der dokumentierten Anschauung. Auch seine Einstellung zum

‚Paragone’ zwischen disegno und colore ist eher der Praxis der Kunstbeschreibung zu

entnehmen.

Als Instrument eines künstlerischen Naturalismus gerät das Kolorit bei den idealistisch

orientierten Klassizisten in Misskredit, während es von den Gegnern des Klassizismus in eben

dieser Funktion hervorgehoben wird.325 Wie bereits oben ausgeführt, ist die Kategorie der

Täuschung für Heinses Kunstauffassung zentral. In Übereinstimmung mit den von ihm

rezipierten Quellen326 fasst Heinse das Kolorit in seiner illusionistischen Wirkung, bewertet

diese aber im Kontext der „Wahrheit“ eines Gemäldes als grundlegend erstrebenswert. Die

Kategorie Kolorit wird dementsprechend in den Gemäldebeschreibungen besonders häufig im

Konnex Leben – Natur – Wahrheit mobilisiert.

So attestiert Heinse Domenichinos Johannes in der Kuppel von S. Andrea del Valle327 ein

„lebendig Colorit“ (FN I, 876 – N10, 31r) und bemerkt über Raffaels Madonna di Foligno:

„Das Kolorit ist täuschend abgewechselt, wie die Natur thut […].“ (FN I, 1162 – N19, 26v.)

Das Altarbild zu S. Niccolò in Foligno328 lobt er als „voll Natur in Gestalt u Kolorit“ (FN I,

1164 – N19, 29r). Entspricht die Farbgebung Heinses Vorstellungen von

Lebendigkeitsvermittlung, wird sie als „feurig warm“ (FN I, 1007 – N22, 7r)329 gepriesen;

verfehlt sie ihre Wirkung, kritisiert Heinse sie als „ein wenig hölzern“ (FN I, 1219 – N26 ½,

91v).

Heinse widerspricht der zeitgenössischen Auffassung vom Kolorit als Instrument der

Täuschung nicht. Er deutet sie lediglich um, sodass das Kolorit in seinen 324 Z.B. die Auseinandersetzung mit Lessings Laokoon in N10 oder die Bemerkungen zu Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in N55. Zum grundsätzlich „respondierenden Charakter“ der Schriften Heinses siehe Schipper-Hönicke, S. 13. 325 Hagedorn geht sehr detailliert auf das Kolorit und seine künstlerische Anwendung ein. Auch er begreift die „Farbengebung“ als Mittel der Täuschung, wertet die lebendige Wiedergabe der materiellen Erscheinungen jedoch positiv. „Wohlgewählte Localfarben vollenden die Ueberredung“, bemerkt Hagedorn. Christian Ludwig von Hagedorn, Betrachtungen über die Mahlerey, Leipzig 1762, S. 635. 326 Den Boden bereitet hat sicherlich Riedels Theorie der Schönen Künste und Wissenschaften, in der die Täuschung und das Instrument des Kolorits eine bedeutende Rolle spielen. Laut Riedel muss der Künstler „uns sein Objekt unter einem solchen Colorit zeigen, daß wir nicht glauben, die Vorstellung, sondern die Sache selbst zu sehen.“ Friedrich Justus Riedel, Theorie der schönen Künste und Wissenschaften. Ein Auszug aus den Werken verschiedener Schriftsteller, Jena 1767, S. 152. Zum Einfluss Riedels auf Heinses Kunstauffassung siehe Terras, Kapitel I. 327 Domenichino (eigtl. Domenico Zampiero), Johannes, Fresko, Rom, S. Andrea del Valle. Die vier Fresken in der Kuppel von S. Andrea del Valle entstanden 1622-27. 328 Niccolò di Liberatore (gen. Alunno), Fünfteiliges Altarbild (Mitteltafel: Geburt Christi, 1492 geweiht), Tempera/ Holz, 340x300cm, Foligno, S. Niccolò (Predella im Louvre). 329 Die Feuermetapher ist ein Mittel, das Heinse häufig anwendet, um ein gelungenes Kolorit hervorzuheben. In dieser Formulierung schlägt sich die in den Gemäldebriefen bereits angeklungene Vorstellung von der „Lebenswärme“ des Kolorits nieder.

77

Kunstbeschreibungen gleichsam unter umgekehrten Vorzeichen erscheint. Ebenso verfährt er

mit dem klassizistischen Vorurteil, dass das Kolorit nur den oberflächlichen, quasi zufälligen

Reiz der Gegenstände erfassen könne und nicht, wie die Zeichnung, ihr ideales Wesen.

Winckelmann schreibt in der Geschichte der Kunst des Altertums: „Die Farbe trägt zur

Schönheit bey, aber sie ist nicht die Schönheit selbst, sondern sie erhebet dieselbe überhaupt

und ihre Formen.“330 Heinse leugnet den oberflächlichen Reiz, der durch das Kolorit

vermittelt wird, nicht. Vielmehr erhebt er ihn innerhalb seiner Kunstauffassung zu einem

Wert. Auch bei ihm wird die Farbe mit dem Reiz, mit der „Grazie“ verknüpft, die ihr seit

jeher zugestanden worden ist.331

Der Reiz der Oberfläche ist für Heinse besonders im Hinblick auf die Darstellung des nackten

menschlichen Körpers bedeutsam. Die Farbe, die Heinse interessiert, ist die Farbe des nackten

Fleisches: „Es bleibt ausgemacht, das fürtreflichste in der bildenden Kunst ist das schöne

Nackende […].“ (FN I, 902 – N10, 68r.)332 Selten wird der Begriff des Kolorits in

Verbindung mit anderen Oberflächen als der des menschlichen Körpers verwendet. Den

Terminus des Inkarnats verwendet Heinse nicht, stattdessen spricht er von der „Fleischfarbe“

(FN I, 1224 –N26 ½, 97r) einer Figur. Aus der Assoziation von Kolorit und „Fleischfarbe“

erklärt sich auch, wie die Bemerkung „wollüstig fleischig coloriert“ (FN I, 1010 – N22, 10r)

zu verstehen ist.

Nicht nur für Heinse ist das „Nackende“ die malerische Kategorie, in der sich die wahre

Meisterschaft des Künstlers zeigt. Auch Sulzer behandelt „die Farbe des Nackten am

menschlichen Körper“ als eine Unterkategorie des Kolorits, die in besonderer Weise dazu

geeignet ist, Lebendigkeit zu suggerieren:

Die natürliche Nachahmung dieser Farbe in den Gemälden ist einer der wichtigsten Teile der Farbengebung, nicht nur, weil der Mensch der vornehmste und schönste Gegenstand der Malerei ist, sondern auch wegen der großen Schwierigkeit, die man dabei antrift. Die Farben aller anderen Körper gehören ganz zu ihrem äußeren und zufälligen; es scheint aber, dass die Natur, wie die Form des Körpers, also auch seine Farbe mit dem Geist gleichsam verwebt habe. Schon die Farbe allein drückt das Leben aus; folglich auch die verschiedenen Stufen und Kräfte des Lebens, mithin auch einen Teil des Charakters der Menschen.333

330 Winckelmann, GK, S. 257. 331 „Viel Grazie in der Farbe“ attribuiert Heinse der Kreuzabnahme von Federico Barocci im Dom von Perugia (FN I, 1171 – N19, 38r). 332 Hvhb. im Original, J.B. 333 Johann Georg Sulzer, „Fleischfarben“, in: Ders., Allgemeine Theorie der schönen Künste, Frankfurt und Leipzig 1771-1774 (1. Aufl.), online verfügbar unter: <http://www.textlog.de/sulzer_kuenste.html> (abgerufen am 29.09.2007).

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Das „Nackende“, stellt Heinse fest, „muß meisterhaft coloriert seyn, wenn es Effekt machen

soll.“ (FN I, 1034 – N22, 36v.)334 Wenn Heinse über die Omphale in Alessandro Turchis

Herkules und Omphale335 schreibt, „die Brüste, das Leibchen, die Beine bezaubernd u treflich

koloriert“ (FN I, 503 – N60, 90r), bemerkt er damit nicht nur eine visuelle Annehmlichkeit,

sondern würdigt zugleich auch die Überzeugungskraft, die der Attraktivität der Oberfläche

innewohnt. Sie trägt wesentlich dazu bei, die bildende Kunst ein „Merkmal zur Erinnerung

des verfloßnen Genusses“ werden zu lassen und gewinnt durch diese Fähigkeit eigenen

ästhetischen Wert im Sinne der ‚pygmaliontischen’ Kunstanschauung.

Die Inhalte von Heinses Konzept der malerischen Kategorie Kolorit unterscheiden sich in

keiner Weise von denen der zeitgenössischen Kunsttheorie. Auch Heinse betrachtet die

Farbigkeit eines Gemäldes als primäres Instrument der Täuschung und als Mittel zur

Reizsteigerung. Um es in linguistischer Terminologie auszudrücken: Die Proposition ist

dieselbe, nur ist sie nach Heinses Auffassung nicht negativ, sondern positiv zu bewerten. Er

widerspricht den tief verankerten Vorurteilen gegen das Kolorit nicht, sondern unterzieht sie

einer Umwertung in seinem Sinne. Die Täuschung wird zum Hauptzweck der Kunst; der Reiz

der Oberfläche wird erotisch interpretiert und erhält so einen zentralen Stellenwert in Heinses

Kunstauffassung. Entscheidend jedoch ist, dass Heinse diese Umwertung des Kolorits nicht

theoretisch festlegt, sondern sie in der Praxis der Kunstbeschreibung vollzieht.

9 Antike Skulpturen durch „Winckelmanns Brille“

Die Beschreibung von Gemälden unterliegt einer deutlich ausgeprägteren formalen Tradition

als die Beschreibung von Skulpturen. Jedoch ist auch dieser Bereich der Ekphrastik durch das

Vorbild einflussreicher Schriften geprägt worden. Für das 18. Jahrhundert geht der dominante

Einfluss auf diesem Gebiet unzweifelhaft von Johann Joachim Winckelmann aus, der von

1763 bis zu seinem Tod im Jahr 1768 als „Prefetto dell’antichità“ in Rom tätig war. Seine

Beschreibungen der antiken Skulpturen in Rom setzten Maßstäbe und entfalteten nicht nur

eine enorme Wirkung auf den ‚Kanon’ klassischer Kunstwerke, sondern auch auf die Art und

Weise, in der antike Skulpturen fortan gesehen und beschrieben wurden. Im Folgenden soll

gezeigt werden, in welcher Form sich Heinses Skulpturenbeschreibungen an Winckelmanns

334 Hervorhebung im Original, -J.B. 335 Um 1620, Öl/ Lw., 166x237 cm, München, Alte Pinakothek, Inv. 496. Heinse interpretiert die Omphale als Iole.

79

Betrachtungsraster anlehnen und wie weit sie sich trotz Einhaltung der Form doch von den

ästhetischen Grundsätzen Winckelmanns entfernen können.

Heinse wurde bereits zu Studienzeiten mit den Ansichten Winckelmanns bekannt. Der

Vermittlung durch Riedels Theorie der schönen Künste und Wissenschaften folgte spätestens

in Italien ein persönliches Studium von Winckelmanns Geschichte der Kunst des Altertums in

der zweiten (von Riedel besorgten) Auflage von 1776. Reflexe dieser Lektüre finden sich im

Notizheft N55, das zu einem Großteil aus Winckelmann-Exzerpten besteht.336 Aus diesen

Exzerpten wie aus den späteren Aufzeichnungen in Italien lässt sich ablesen, dass Heinses

Verhältnis zur Autorität Winckelmanns ambivalent war. In den folgenden Abschnitten soll

gezeigt werden, wie sich dieses ambivalente Verhältnis auf Heinses

Skulpturenbeschreibungen auswirkte.

9.1 Winckelmanns Lehrgebäude und die Kunstbetrachtung nach 1755 Bereits in den 1755 in Dresden veröffentlichten Gedanken über die Nachahmung der

griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst wählte Winckelmann eine der in Rom

aufgefundenen antiken Skulpturen als Repräsentanten seiner klassizistischen Ästhetik.

Obwohl die Beschreibung des Laokoon (Abb. 2) ‚aus der Ferne’ entstanden war, wies sie

bereits auf die wirkungsmächtigen Beschreibungen antiker Skulpturen voraus, die

Winckelmann in Rom verfassen sollte. 1759 erschien Winckelmanns erste Beschreibung des

Torso in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, die „in der deutschen

Antikenrezeption eine Zäsur markiert.“337 Diese und die folgenden Skulpturenbeschreibungen

stellen eine neue Form der Erfassung von antiker Kunst dar. Im Gegensatz zu der Würdigung

des Laokoon in den Gedanken entstehen sie aus der unmittelbaren detaillierten Anschauung

der Originale und setzen in der Folge formale und inhaltliche Maßstäbe. Nicht von ungefähr

betitelt Goethe seine Aufsatzsammlung über die Kunst des 18. Jahrhunderts Winckelmann und

sein Jahrhundert.338

Winckelmanns Bedeutung für das 18. Jahrhundert konstituiert sich u.a. dadurch, dass er die

Bedeutung der direkten, wiederholten Anschauung propagiert. Wie Trautwein aufzeigt,

vollzieht Winckelmann deutlich den „Übergang vom ‚diskursiven’ Buchgelehrten zum

336 Terras zieht die Möglichkeit in Betracht, dass die Exzerpte erst in Italien entstanden sind (Vgl. Terras, S. 25), während Hüfler sie im Kommentar zur Ausgabe der Aufzeichnungen sie als Vorbereitung der Italienreise interpretiert. Vgl. FN III, S. 171. Baeumer vermutet gar, Heinse habe Winckelmann schon für die Petronius-Übersetzung als Quelle herangezogen. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 13. 337 Adam, S. 18. 338Johann Wolfgang Goethe, Winckelmann und sein Jahrhundert, in: Ders., Sämtliche Werke, Bd. 18: Ästhetische Schriften 1806–1815, hg. von Friedmar Apel, Frankfurt/M. 1998, S. 9-232.

80

‚schauenden’ Kenner“.339 Er schickt der ersten Auflage der Geschichte die Bemerkung

voraus, er habe „die Werke der alten Kunst mit Muße zu untersuchen alle erwünschte

Gelegenheit gehabt“ und sei erst nachdem diese Voraussetzung erfüllt gewesen sei, zur

literarischen Arbeit geschritten.340 Winckelmann vertritt die Auffassung, dass es der

wiederholten Anschauung bedarf um sich vom paralysierenden ersten Eindruck zu lösen und

zu einer systematischeren Betrachtung fortzuschreiten. In diesem Zusammenhang heißt es in

der Geschichte:

Der erste Anblick schöner Statuen ist bey dem, welcher Empfindung hat, wie die erste Aussicht auf das offene Meer, worinn sich unser Blick verlieret, und starr wird, aber in wiederholter Betrachtung wird der Geist stiller, und das Auge ruhiger, und gehet vom Ganzen auf das Einzelne.341

Diese Haltung nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Sichtweise der Italienreisenden in der

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Goethe, der 1786 in Rom ankommt, sieht sich die

berühmtesten Skulpturen mehrfach an. In der Italienischen Reise fasst er die aus der

mehrfachen Anschauung gewonnene Erkenntnis folgendermaßen: „Ich fange nun schon an,

die besten Sachen zum zweiten Mal zu sehen, wo denn das erste Staunen sich in ein Mitleben

und reineres Gefühl des Wertes der Sache auflöst.“342

Auch für Heinse wird die wiederholte Beschäftigung mit den antiken Skulpturen zur

Mindestanforderung an den Kunstkenner. Spöttisch äußert er sich über die

Besichtigungsgeschwindigkeit des Kurfürsten Carl Theodor, der sich von Mai bis Juni

1783343 in Rom aufhält: „Durch das Musäum und die Stanzen Raphaels sind sie wie die

Philister alle nur ein einzigsmal wie aus Höflichkeit ein Viertelstündchen eilig weggeschlüpft,

ohne sich bey irgend etwas aufzuhalten, als obs der Mühe werth wäre.“344 Heinse missbilligt

ganz offenkundig die ‚touristische’ Herangehensweise an Werke der bildenden Kunst, die

lediglich auf ein ‚Gesehenhaben’ abzielt. Im Gegensatz zu Winckelmann und Goethe

339 Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung, S. 93. 340 Winckelmann, GK, S. XXI. 341 Winckelmann, GK, S. 594. 342 Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise, In: Ders., Werke in zwölf Bänden, Bd. 10, Berlin und Weimar 1988, S. 154. Goethe erwähnt Winckelmann in der Italienischen Reise mehrfach und würdigt dessen Vorschlag einer stilgeschichtlichen Kunstbetrachtung, die auf der Anschauung des Details gründet. Vgl. Ebd., S. 171f. u.ö. 343 Heinse schreibt an Jacobi am 7. Juni 1783: „Vorgestern ist Ihr durchlauchtiger Karl Theodor nach Neapel abgereist. Für jetzt war sein hiesiger Aufenthalt an die zwölf Tage.“ Jacobi, Briefwechsel, I,3, S. 157. 344 Am 7. Juni 1783 an Jacobi. Jacobi, Briefwechsel, Bd. I,3, S. 157f. In N26 ½ notiert Heinse über diese Begebenheit: „Wir haben das Museum gesehen, u die Bibliothek, u die Stanzen u Logen von R. u die Sakristey; u es waren noch ein paar Stunden bis Mittag; wir sind herum gefahren, weil wir nicht wußten, was wir anfangen sollten. Alles in einem Morgen. Wir blieben gerad so lang darin, als man hin u her geht.“ (FN I, 1188 – N26 ½, 54v.)

81

verspricht er sich jedoch von der mehrfachen Annäherung an die antiken Skulpturen keine

zunehmende Systematisierung seiner Beobachtungen, sondern zielt vielmehr auf eine tiefere

Einsicht in Charakter und Lebenswelt der dargestellten Figur ab.

Ein wichtiges Charakteristikum von Winckelmanns Skulpturenbeschreibungen ist auch der

Versuch, den mythologisch-szenischen Hintergrund der isolierten Figur zu rekonstruieren. Im

Zusammenhang mit der Apollo-Beschreibung Winckelmanns weist Pfotenhauer darauf hin,

dass „Winckelmann als erster Archäologe die Kunstwerke überhaupt auf ein mythologisches

Szenario bezog und sie damit aus dem Bereich der Willkür leerer und eitler Phantasie in den

Bereich gestalterischer Präzision und genau identifizierbarer Kunstabsicht holte.“345 Aus der

Körperhaltung des Apollo (Abb. 1), die darauf schließen lässt, dass die Figur ursprünglich

einen Bogen bei sich hatte, rekonstruiert Winckelmann folgendes Szenario: „Er hat den

Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht, verfolget, und sein mächtiger

Schritt hat ihn erreichet und erleget.“346 Den Torso (Abb. 4) wiederum beschreibt

Winckelmann als ruhenden, bereits vergöttlichten Herkules347 und verwendet die

künstlerischen Details als Indizien für diese Deutung; er „synchronisiert“ jedes körperliche

Detail mit einer Tat des Herkules.348

In der Vorrede zur 1764 erschienenen ersten Auflage der Geschichte der Kunst des Altertums

erklärt Winckelmann seine Absicht, mit seinem Werk nicht nur eine Chronik der Kunst,

sondern auch „einen Versuch eines Lehrgebäudes zu liefern.“349 Dieses „Lehrgebäude“ hebt

im Besonderen auf die Erfassung künstlerischer Details ab, die eine stilgeschichtliche

Verortung des Kunstwerks erlauben. Diese nüchterne, objektivierende Beschreibung „nach

der Kunst“ dient gleichsam dazu, die „idealische“ Beschreibung auf die Realitätsebene der

materiellen Skulptur zurückholen.350 Wiederum in der Vorrede zur Geschichte heißt es: „Die

Beschreibung einer Statue soll die Ursache der Schönheit derselben beweisen und das

Besondere in dem Stile der Kunst angeben: es müssen also die Theile der Kunst berühret

werden, ehe man zu einem Urtheile von Werken derselben gelangen kann.“351

345 Helmut Pfotenhauer, unter Mitarbeit von Thomas Franke, Kommentar zu Winckelmanns Statuenbeschreibungen, in: Frühklassizismus. Position und Opposition. Winckelmann, Mengs, Heinse, hg. von Helmut Pfotenhauer, Markus Bernauer und Norbert Miller, Frankfurt/M. 1995, S. 486-599, hier S. 519. 346 Winckelmann, GK, S. 815. 347 Die Deutung des Torso als Herkules geht auf die erste Erwähnung des Torso durch Cyriacus von Ancona im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts zurück. Vgl. Raimund Wünsche, Der Torso. Ruhm und Rätsel. Ausstellung der Staatlichen Antikensammlung und Glyptothek München, München 1998, S. 25. 348 Adam, S. 21. 349 Winckelmann, GK, S. IX. 350 Vgl. Pfotenhauer, Heinse und Winckelmann, S. 328. 351 Winckelmann, GK, S. XI.

82

Die „Ursache der Schönheit“ sieht Winckelmann in Proportion und Harmonie. Nach diesen

Kriterien behandelt er die einzelnen Teile des menschlichen Körpers und definiert den

Zustand ihrer absoluten Schönheit. An Profil, Augen, Mund, Brust, Unterleib und Haar wird

das Vorhandensein der einen idealischen Schönheit überprüft. Je mehr sie der vollkommenen

Proportion entsprechen, je schöner sie sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie

der von Winckelmann bevorzugten Epoche des „schönen Stils“ entstammen.352 Wie Baeumer

aufzeigt, befasst sich ein Großteil von Heinses Notizen zur Geschichte in N55 mit den von

Winckelmann angewandten Betrachtungsprinzipien für antike Skulptur.353

Im Kommentar zu N55 bemerkt Hüfler, dass Heinses Notate besonders zu Beginn des

Exzerpts einen „diskursiv-kritische[n] Charakter“ aufweisen.354 Heinse reagiert oft

unmittelbar und impulsiv auf das Gelesene, wobei der Ton nicht immer schmeichelhaft für

Winckelmann ausfällt.355 So kommentiert er Winckelmanns wiederholten Verweis auf die

Notwendigkeit der Antikennachahmung mit den Worten: „Hier kömt wieder der

Antiquarische Pedant.“ (FN I, 270 – N55, 1v.) Auch Winckelmanns Betonung der Grazie als

charakteristisches Merkmal der antiken Skulptur wird von Heinse scharf kritisiert:

„Geschwätz! Geschwätz! wovon eine Menge sind angesteckt worden, u alle Grazie geleyert

haben.“ (FN I, 293 – N55, 24v.) Trotz seiner weitgehend kritischen Einstellung erweist er sich

im Folgenden als gelehriger Schüler und aufmerksamer Leser. Die Früchte dieser Lektüre

bestimmen wesentlich seine professionelle Sichtweise auf antike Skulptur. Heinse ‚lernt’ von

Winckelmann z.B. das visuelle Abtasten der Figur von oben nach unten und die damit

einhergehende Beurteilung der einzelnen Bestandteile des Gesichts und des Körpers.356

Winckelmanns Ausführungen zu Darstellungsnormen von Stirn, Augen, Nase, Mund, usw.

exzerpiert er weitgehend widerspruchslos.

Scheinbar ebenso wie Winckelmann arbeitet Heinse antike Skulpturen nach Kriterien ihrer

Gesichts- und Körperbildung ab. Er übernimmt auch Winckelmanns Technik,

physiognomische Details als Träger eines Affekts oder einer Eigenschaft der dargestellten

Person zu beschreiben. Im Vatikan notiert Heinse:

352 Winckelmann begrenzt diesen Zeitraum von der Lebenszeit des Praxiteles bis nach der Regierungszeit Alexanders des Großen. Vgl. Winckelmann, GK, S. 476. Heinse spricht hingegen von der Zeit von Perikles bis Alexander. Vgl. FN I, 294 – N55, 26r. 353 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 34. 354 FN III, 175. 355 Baeumer hebt hervor, dass Heinse sich nur im privaten Kontext der Aufzeichnungen abfällig über Winckelmann äußert und diese harsche Kritik in keinem Fall in die Veröffentlichungen überträgt. Baeumer vermutet, dass diese Zurückhaltung auf Heinses Bewusstsein für Winckelmanns ungeheure Popularität zurückzuführen ist. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 30 und 32f. 356 Vgl. Terras, S. 74.

83

Der so genannte Antinous. Ein junger Held, der sinnt, wie er einen Kampf mit dem besten Verstand abmachen soll. Der Zug des Denkens ist über dem rechten Auge, wodurch der Knochen desselben weit schärfer hervorkömt, als beym linken; das heroische sitzt in der Kraft geschwellten Stirn, und dem gefassten Blick, u den Lippen, wo sich das Gefühl seiner bewußten Stärke öfnet u wie hervorblüht. (FN I, 756 – N18, 41r. Abb. 13.)

Im Vergleich zu Heinses ausdrucksorientierter Beschreibungsweise ist Winckelmanns

Erfassung der Physiognomie einer Statue wesentlich systematischer. Die physiognomischen

Details werden bei ihm ebenso häufig als Stil- wie als Ausdrucksmerkmale herangezogen.

Auch wenn die beschreibenden Passagen in der Geschichte einzelnen Statuen gelten, schweift

Winckelmanns Blick ab zu anderen ihm bekannten Exemplaren und stellt Vergleiche an.

Neben der verlebendigenden Charakterisierung der antiken Skulpturen als Figuren der

Mythologie steht in der Geschichte das Bedürfnis, Darstellungsnormen für bestimmte Figuren

aufzudecken. Die Gestaltung von Augen, Nase und Haar spricht zu Winckelmann nicht nur

von den Eigenschaften und Empfindungen der dargestellten Person, sondern auch von ihrer

Position innerhalb der Kunstgeschichte. So heißt es in seiner Beschreibung des

vermeintlichen Antinous (Abb. 13): „Das Auge, welches, wie an der Göttin der Liebe, aber

ohne Begierde, mäßig gewölbet ist, redet mit einnehmender Unschuld […].“357 Hier rekurriert

Winckelmann auf seine eigene Feststellung, dass die Augen an den antiken Skulpturen

meistens weit geöffnet seien und nur die Venus mit halb geschlossenen Augen dargestellt

worden sei.358 Die Augen des Antinous gewähren Winckelmann gleichzeitig Aufschluss über

die Wesensart der dargestellten Person und über die stilistische Zugehörigkeit des

Kunstwerks. Heinse hat, wie bereits erläutert wurde, Schwierigkeiten mit der Würdigung der

‚künstlichen’ Seite der Kunst. Er macht sich zwar Winckelmanns formale Vorgehensweise

bezüglich Physiognomie und Körperbau zu Eigen, blendet jedoch den Aspekt der stilistischen

Einordnung konsequent aus. Insofern greift es zu kurz, Heinse zu unterstellen, er sei in Rom

Winckelmanns klassizistischer Wahrnehmung auf die antiken Skulpturen ‚unterlegen’, wie

Jessen behauptet hatte.359 Das Verhältnis der Heinseschen Antikenbeschreibungen zu den

kanonischen Texten Winckelmanns ist einerseits geprägt von Verehrung und andererseits von

dem Bedürfnis, sich von der theoretischen Übermacht Winckelmanns in der literarischen

Praxis zu befreien.

357 Winckelmann, GK, S. 845. 358 „Venus hingegen hat die Augen kleiner, und das untere Augenlid, welches in die Höhe gezogen ist, bildet das liebreizende und schmachtende […].“ Winckelmann, GK, S. 359. 359 Vgl. Jessen, S. 22 und 151.

84

9.2 Heinses Kontrafaktur von Winckelmanns kanonischen Beschreibungen Der Erfassung der physiologischen und physiognomischen Details legt Winckelmann

bestimmte Grundprinzipien der antiken Kunst zugrunde, die er in den Beschreibungen antiker

Skulpturen immer wieder als ‚Kronzeugen’ der Bedeutung der griechischen Kunst aufruft.

Als die wichtigsten Prinzipien treten Proportion, Ausdruck, Komposition, Grazie und Ideal

hervor. Heinse nimmt diese Prinzipien auf und wendet sie auf das in Italien Gesehene an.

Allerdings scheint er Winckelmanns Betrachtungsvorgaben in der Geschichte nicht als ein

unumstößliches ‚Lehrgebäude’ zu betrachten. Pfotenhauer legt dar, dass Heinses

Beschreibungen der antiken Skulpturen in den Aufzeichnungen und im Ardinghello

weitgehend als eine „Kontrafaktur“ zu Winckelmanns Vorgaben gelesen werden können.360

Heinse argumentiert zwar auch mit Winckelmanns Grundprinzipien der antiken Kunst, er füllt

diese Begriffe jedoch vollkommen anders. Besonders eindrücklich kann das Prinzip der

Kontrafaktur an Winckelmanns und Heinses Verwendung der Kategorie Ausdruck illustriert

werden.

Nach Winckelmanns Auffassung unterliegt der Ausdruck einer Skulptur den Anforderungen

der Schönheit. Als ausschlaggebendes Charakteristikum der Schönheit definiert er in der

Geschichte die „Unbezeichnung“, d.h., eine Gestalt, die nicht einen bestimmten Menschen

oder einen bestimmten Zustand darstelle und in ihrer Entindividualisierung als universell

schön zu gelten habe. Winckelmann schließt: „Nach diesem Begriffe soll die Schönheit seyn,

wie das vollkommenste Wasser aus dem Schooße der Quelle geschöpfet, welches, je weniger

Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen geläutert

ist.“361

Ausgehend von dieser Grundannahme verurteilt Winckelmann jedes expressive Extrem als

abstoßende Verzerrung, die den Anforderungen der Schönheit zuwider läuft. Die Stille sei

„derjenige Zustand, welcher der Schönheit, so wie dem Meere, der eigentlichste ist; und die

Erfahrung zeiget, daß die schönsten Menschen von stillem gesitteten Wesen zu seyn

pflegen.“362 Die „edle Einfalt und stille Größe sowohl in der Stellung als im Ausdrucke“363

360 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 543. Goer ergänzt, dass die Kontrafaktur sowohl auf intra- als auch auf intertextueller Ebene stattfindet. Vgl. Goer, S. 175f. Auch Baeumer hatte bereits die formale Anlehnung an Winckelmann bei abweichender inhaltlicher Füllung bemerkt, allerdings ohne den Begriff Kontrafaktur ins Spiel zu bringen. Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 22. 361 Winckelmann, GK, S. 262. 362 Winckelmann, GK, S. 317. In den Gedanken hatte Winckelmann ebenfalls die Meeresmetapher herangezogen: „So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig beibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeigt der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.“ (Winckelmann, Gedanken, S. 20.)

85

exemplifiziert Winckelmann in den Gedanken am Laokoon. Laut Winckelmann ist es der

bildenden Kunst nicht gestattet, den Laokoon wie in der literarischen Vorlage schreiend

darzustellen. Die bildende Kunst unterliege den Gesetzen der Schönheit und müsse sich daher

in der Affektdarstellung mäßigen. Allein die Debatte, die durch Winckelmanns Ausführungen

über das Schreien des Laokoon ausgelöst wurde, kann die enorme Wirkung von

Winckelmanns Schriften illustrieren.364

Gerade Winckelmanns Einstellung zum Ausdruck ist es, die Heinse in den Exzerpten zur

Geschichte zu entschiedenem Protest bewegt. Sein Kommentar nimmt mehr Raum ein als das

eigentliche Notat:

Der Ausdruck verändert die Formen; und je größer diese Veränderung ist, desto nachtheiliger ist sie der Schönheit. (Ist zu einfeltig gesagt; man kann es gerade umkehren: desto fürtreflicher ist sie für dieselbe, wenn der Ausdruck edel ist. Dieß ist nicht der Grund, warum Stille in einer Figur der beste Zustand ist. Und das sind Grillen, daß die Stille der Schönheit wie dem Meere der eigentlichste Zustand ist, u daß die schönsten Menschen von stillem gesittetem Wesen zu seyn pflegen. Das Meer im Sturm ist schöner, als in der Stille, und Alkibiades und Phryne u Lais, die schönsten Menschen unter den Griechen waren warlich nicht von stillem gesittetem Wesen.) (FN I, 277 – N55, 9r.)

Gegen Winckelmanns Metapher der unbewegten Meeresoberfläche setzt Heinse das Bild des

Sturms, das besonders in den Laokoon-Beschreibungen immer wieder auftaucht. Elliott weist

darauf hin, dass die Sturmmetaphorik eine Konstante in Heinses bildlichem Vokabular

darstellt und von den Gemäldebriefen bis zum Ardinghello die Stellen indiziert, an denen

Heinse am merklichsten von Winckelmann abweicht.365 Und tatsächlich treten in der

„Umkehrung der Meeresmetaphorik“366 die grundlegenden Unterschiede von Heinses und

Winckelmanns Kunstauffassung deutlich zutage. Winckelmanns stilles Meer steht in diesem

Zusammenhang für den gemäßigten Ausdruck, der ausnahmslos der Schönheit unterliegt.

Heinses Plädoyer für den Sturm hingegen macht deutlich, dass Expressivität in seiner

Kunstauffassung über Schönheit steht.367

Andere Begriffe, auf denen laut Winckelmann die Schönheit der antiken Skulpturen basiert,

verwendet Heinse in seinen Beschreibungen lediglich schlagwortartig. So schreibt er über den

Eros von Centocelle368: „Der geöffnete Mund ist ganz Grazie u Schalkheit mit dem

lebendigen Blick der Augen, die in süßer Größe aus den scharfen Knochen hervorblicken.“

363 Winckelmann, Gedanken, S. 20. 364 Siehe hierzu Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 532-540. 365 Vgl. Elliott, S. 66. 366 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 544. 367 Vgl. Ebd., S. 544. 368 Marmor, 85 cm, Vatikan, Galleria delle Statue, Inv. 769. Von Heinse als Ganymed bezeichnet.

86

(FN I, 764 – N18, 54r. Hvhb. J.B.)369 Und über die Statue eines bärtigen Gottes370 im Vatikan

heißt es: „Der ganze Knochenbau ist in schöner eleganter Proportion u Anatomie angedeutet;

das ganze Gebäude äußerst schön geformt.“ (FN I, 765 – N18, 55r. Hvhb. J.B.) Hier tritt

wieder die im vorhergehenden Kapitel bemerkte Formelhaftigkeit in der Verwendung

tradierter Kunstbeurteilungskategorien zutage. Heinse bedient sich des ‚Jargons’, der sich für

das Gebiet der Skulpturenbeschreibung etabliert hat, wie er die traditionellen

Beurteilungskategorien für Gemälde aufgreift.

Am meisten irritiert wohl Heinses Verwendung des Ideal-Begriffs, die sich mit seiner

Kunstauffassung scheinbar nicht vereinbaren lässt. Heinse verwendet den Begriff selten, aber

nicht - wie von dem ‚Anti-Winckelmann’ zu erwarten wäre - immer negativ. Über den Torso,

kurz zuvor Gegenstand von Heinses erotischer Phantasie, heißt es abschließend: „Es ist das

höchste Ideal von einem Kernmann so weit die Natur reicht.“ (FN I, 767 – N18, 58v.) Ideal

und Natur in eins gedacht – das erscheint widersinnig. Der Widerspruch löst sich jedoch auf,

wenn man in Betracht zieht, dass Heinse eben nicht, wie Terras behauptet hatte, einem

„extremen ästhetischen Naturalismus“ anhängt und jegliche Form von Idealisierung

kategorisch ablehnt,371 sondern durchaus eine gewisse Abstraktion vom Vulgäralltäglichen

fordert. Pfotenhauer bemerkt hierzu:

...auf der einen Seite steht die Favorisierung des Momentanen, Alltäglichen, Individuellen, auf der anderen Seite verlangt die Kunst, will sie sich nicht in der bloßen Natur verlieren, doch auch ein ‚allgemein Schönes’, eine Organisierungs-, Steigerungs- und Überbietungsleistung des unmittelbar Gegebenen, die von Winckelmanns Ideal kaum mehr zu unterscheiden ist.372

Heinses Verwendung der von Winckelmann postulierten Grundprinzipien der antiken

Skulptur wirft einiges Licht auf sein ambivalentes Verhältnis zur Autorität Winckelmanns.

Sowohl Baeumer als auch Bernauer weisen auf Heinses Abhängigkeit von Winckelmann hin.

Bernauer legt dar, dass Heinse ohne Winckelmann „seine eigenen ästhetischen Überlegungen

nicht hätte formulieren und die wichtigsten seiner poetischen Texte nicht hätte schreiben

können.“373 Einerseits stützt sich Heinses eigene Annäherung an die antiken Skulpturen auf

Winckelmanns Erkenntnisse, andererseits lehnt er die diesen Erkenntnissen zugrunde liegende

369 Zur Einstellung des jungen Heinse zur „Winckelmannischen Grazie“ siehe Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 13. 370 Marmor, ohne Basis 195 cm, Vatikan, Galleria delle Statue, Inv. 580. 371 Terras, S. 38. 372 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 418. 373 Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 253f. Vgl. auch Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 50.

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Kunstauffassung ab.374 Winckelmann wird in den italienischen Aufzeichnungen Heinses als

Vorbild und als Feindbild gleichzeitig heraufbeschworen.

9.3 Die Macht von Winckelmanns „schönen Worten“ Auch Winckelmanns formale Umsetzung der Kunstbetrachtung wirkt in der zweiten Hälfte

des 18. Jahrhunderts fort. Pfotenhauer vergleicht die kunstliterarische Innovation von

Winckelmanns Apollo-Beschreibungen mit den stilistischen Neuerungen, die von Klopstock

ausgingen.375 Die ersten Versuche, den Apollo zu beschreiben, seien „selbst schon Kunst und

werden von den Zeitgenossen und nachfolgenden Generationen auch so empfunden“.376 Hier

rekurriert Pfotenhauer auf Herder, der im Ersten Kritischen Wäldchen gegen Lessing

Winckelmanns Partei ergriffen und bemerkt hatte: „Winckelmanns Styl ist wie ein Kunstwerk

der Alten. Gebildet in allen Teilen, tritt jeder Gedanke hervor, und stehet da, edel, einfältig,

erhaben, vollendet: er ist.“377 Auch Goethe attestiert Winckelmann, dass

er selbst als Poet auftritt, und zwar als ein tüchtiger, unverkennbarer in seinen Beschreibungen der Statuen […]. Er sieht mit den Augen, er faßt mit dem Sinn unaussprechliche Werke, und doch fühlt er den unwiderstehlichen Drang, mit Worten und Buchstaben ihnen beizukommen.378

Winckelmanns Beschreibungsweise wird jedoch nicht von allen Zeitgenossen

widerspruchslos anerkannt. So stört sich z.B. Karl Philipp Moritz an Winckelmanns Eigenart,

vom beschriebenen Gegenstand abzuweichen und sich ästhetisierenden Exkursen hinzugeben.

In den Reisen eines Deutschen in Italien nimmt Moritz Winckelmanns Tendenz zur

„Entkonturierung in der rhetorischen Klimax“379 kritisch ins Visier:

Winckelmanns Beschreibung des Apollo in Belvedere scheint mir für ihren Gegenstand viel zu zusammengesetzt und gekünstelt. Der Genius der Kunst war neben ihm eingeschlummert, da er sie niederschrieb; und er dachte gewiß mehr an die Schönheit seiner Worte als an die wirkliche Schönheit des hohen Götterideals, das er beschrieb.380

Selbst in der Kritik wird Winckelmanns Autorität auf dem Gebiet der Kunstbeschreibung

noch deutlich. Moritz rekurriert zwar in abgrenzender Weise auf Winckelmanns

Beschreibungsverfahren, trotzdem stellt dieser eine Autorität dar, zu der man sich auf die eine

374 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 24f. 375 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 511. 376 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 511. 377 Johann Gottfried Herder, Erstes Kritisches Wäldchen, S. 67 [Hvhb. im Original, -J.B.]. 378 Goethe, Winckelmann und sein Jahrhundert, S. 202f. 379 Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 520. 380 Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien, S. 156.

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oder andere Weise verhalten muss. Wie auch immer sich die Zeitgenossen zu Winckelmann

stellen – ignorieren können sie seine Leistungen auf dem Gebiet der Kunstbeschreibung nicht.

Auch Heinse kämpft in den Aufzeichnungen gegen Winckelmanns Sichtweise auf die

klassischen Skulpturen, die sich an manchen Stellen vor die eigene unmittelbare

Wahrnehmung zu schieben drohen.381 In den Gemäldebriefen hatte sich Heinse über die

grundsätzliche Unzulänglichkeit von literarischen Kunstbeschreibungen geäußert: „Selbst die

Beschreibungen Winckelmanns sind nur Brillen; und zwar Brillen nur für diese und jene

Augen.“ (SW IX, 342.)382 „Winckelmanns Brillen“383 bestimmen in Rom an vielen Stellen

seine Wahrnehmung der ‚klassischen’ Skulpturen und wirken bis auf die motivische und

teilweise die lexikalische Ebene der Beschreibungen fort. In N55 urteilt Heinse über

Winckelmanns Verfahren:

Herrliche Beschreibungen, von griechischer Poesie genährt […]. Doch auch nur schöne Worte gereyht, ohne ins Wesentliche zu gehen, meistens. Es fehlt ihm der scharfe Blick u Feuergeist der Erfindung, um andern Erfindern den Gang nachzugehen. (FN I, 276 – N55, 7v.)

Trotz der Kritik an Winckelmanns Vorgehensweise kann sich Heinse den „schönen Worten“

Winckelmanns nicht entziehen. Besonders beim Apollo fällt es ihm sichtlich schwer, sich von

der wirkungsmächtigen Beschreibung Winckelmanns zu emanzipieren. Die an den Anfang

der Statuenbeschreibungen in N18 geheftete Apollo-Beschreibung384 setzt bereits mit einer

Referenz auf Winckelmann ein. In der Geschichte hatte Winckelmann über den Apollo

geschrieben: „Ueber die Menschheit erhaben ist sein Gewächs, und sein Stand zeiget von der

ihn erfüllenden Größe.“385 Bei Heinse heißt es: „Es ist eine Erhabenheit im Ganzen, besonders

aber im Kopf, die den Menschen ganz niederblitzt.“ (FN I, 745 – N18, 25r.) Winckelmann

stellt fest: „Verachtung sitzt auf seinen Lippen“,386 und aus Heinses Beschreibung schallt es

zurück: „Lippen voll Verachtung“ (FN I, 745 – N18, 25r). Der bei Winckelmann bemerkte

381 Vgl. Bernauer, Kunst als Natur, S. 115. 382 Goer weist auch auf die Konnotation des Brillenmotivs als vermitteltes Sehen im Gegensatz zum Selbstsehen hin. Vgl. Goer, S. 125. 383 Die Prägung „Winckelmanns Brillen“ stammt von Robert Trautwein, Bildbeschreibung in der Krise, S. 41. 384 Die Editoren der Nachlassausgabe gehen davon aus, dass Heinse selbst die Beschreibungen der ‚klassischen’ Skulpturen, die in ihrer sprachlichen Form denjenigen im Ardinghello sehr nahe kommen, an den Anfang des Notizheftes heften ließ. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 296; Dürten Hartmann, Zu Entstehung, Bestand und Überlieferung der Aufzeichnungen, in: Wilhelm Heinse, Die Aufzeichnungen. Frankfurter Nachlass, Bd. V: Dokumente, Bibliographie, Nachworte, Bildtafeln, Register, München und Wien 2005, S. 323-396, hier S. 351. 385 Winckelmann, GK, S. 814. 386 Ebd., S. 815.

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„erhabne Blick“387 geht ebenfalls in Heinses Beschreibung ein: „Die Augen übergroß u

blicken ganz erhaben“, bemerkt er (FN I, 769 – N18, 61v). Trotz dieser motivischen

Übereinstimmungen distanziert sich Heinse jedoch deutlich von Winckelmanns ‚idealischer’

Interpretation des Apollo. Winckelmann bemerkt:

Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebaut, und er hat nur ebenso viel Materie dazu genommen, als nötig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen.388

Heinse spricht dem Apollo seinen außergewöhnlichen Status nicht ab; er bemüht sich jedoch

in zahlreichen Beschreibungsansätzen, ihm eine Bedeutung abzuringen, die ihn auch nach den

Maßstäben seiner eigenen Kunstauffassung zu einem Meisterwerk machen kann. In diesem

Sinne ist auch Heinses Stellungnahme zur idealischen Gestalt des Apollo zu verstehen: „Er ist

lauter Ideal, u doch hat der Kopf viel Natur, die man gesehen hat.“ (FN I, 751 – N18, 31v.)

Und in einer anderen Beschreibung heißt es in klarer Opposition zu Winckelmanns

Interpretation: „Alles, was Apollo hat, ist Individuell und läßt sich außer dem Ausdruck nicht

übertragen.“ (FN I, 746 – N18, 25v.) Baeumer zeigt auf, in welch eigentümlichem Verhältnis

Heinses Apollo-Beschreibung zu derjenigen Winckelmanns steht – obwohl Heinse mit der

von Winckelmann betonten Erhabenheit beginnt, widerspricht Heinses Deutung des Apollo

Winckelmanns Beschreibung in jedem Detail.389 In Heinses Beschreibungen wird der Apollo,

für Winckelmann das „höchste Ideal der Kunst“, zum Repräsentanten einer Kunst

umgedeutet, die primär an Expression und Individualität interessiert ist.

Die motivischen Referenzen auf Winckelmanns Skulpturenbeschreibungen in Heinses

Aufzeichnungen sind vielfältig. Mitunter weisen diese Referenzen eine über das in N55

exzerpierte Material hinausgehende Kenntnis von Winckelmanns Schriften auf.390 So schreibt

Heinse z.B. über einen Dionysos391 im Vatikan: „Er steht wirklich da wie ein Träumer

zwischen Schlaf u Wachen wie von einem kühlen Lüftchen Lust an allen Nerven bis ins

innerste gerührt.“ (FN I, 777 – N18, 75v.) Das Motiv des Träumens stammt aus

387 Ebd., S. 815. 388 Winckelmann, GK, S. 814. 389 Vgl. Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 47. 390 Terras vermutet, Heinse habe in Rom Winckelmanns Geschichte als eine Art ‚Beschreibungsanleitung’ benutzt. Vgl. Terras,. S. 74. 391 Gruppe des Dionysos und eines Satyrs, Marmor, ohne Basis 220 cm, Vatikan, Museo Chiaramonti 588, Inv. 1375.

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Winckelmanns Beschreibung der „idealischen Jugend“,392 wie sie in Darstellungen des

Bacchus zu finden sei:

Das Bild dieser Gottheit ist ein schöner Knabe, welcher die Gränzen des Frühlings des Lebens und der Jünglingschaft betritt, bey welchem die Regung der Wollust wie die zarte Spitze einer Pflanze zu keimen anfängt, und welcher wie zwischen Schlummer und Wachen, in einem entzückenden Traum halb versenkt, die Bilder desselben zu sammlen, und sich wahr zu machen anfängt […].393

An vielen Stellen drängt sich die Reminiszenz an Winckelmann derart an die Textoberfläche.

Bis zu einem gewissen Grad muss man Terras also zustimmen, die bemerkt hatte, Heinse sei

in seiner Wahrnehmung der antiken Skulpturen in Rom wesentlich von Winckelmann geprägt

gewesen.394 Allerdings scheinen die Parallelen zu Winckelmanns Antikenbeschreibungen eher

unwillkürlichen Charakter zu haben und nicht Zeichen eines Zugeständnisses an die

klassizistische Kunstauffassung zu sein.

Auch die motivische Anlehnung an Winckelmann unterliegt dem Prinzip der Kontrafaktur.

Besonders deutlich wird dies an Heinses Beschreibungen der Laokoon-Gruppe. Wie schon am

Beispiel des Apollo illustriert, bemerkt Heinse auch am Laokoon die gleichen körperlichen

Details, sieht sie jedoch „in bewusstem Unterschied und Gegensatz zu dessen Beurteilung“.395

Die Kontrafaktur setzt bereits bei grundlegenden Beobachtungen ein: Heinse gesteht ein, dass

Laokoon und seine Söhne nicht lauthals schreien – so weit stimmt er mit Winckelmann

überein: „Es ist kein Schreyen aus vollem Halse, denn dazu haben sie den Athem u die Kraft

nicht.“ (FN I, 761 – N18, 48v.) Allerdings heißt es in einer anderen Beschreibung gleichsam

ergänzend: „...er ist im letzten Takt seines Schreyens, u der Othem bald erschöpft, oder

vielmehr er ist im Moment wieder welchen zu hohlen, wenn er ihm vor Tod nicht außen

bleibt.“ (FN I, 947 – N10, 132v.) Das Schreien, wie auch Pfotenhauer bemerkt, gehört fest zu

Heinses Laokoon-Konzept.396 Zwar kann auch er die gemäßigte Öffnung des Mundes nicht

leugnen, er kann jedoch den dargestellten Moment auf den Augenblick unmittelbar vor dem

Schreien verschieben.397

Heinse legt in seinen Beschreibungen besonderen Wert auf die Augen- und Stirnpartie des

Laokoon, die bereits in Winckelmanns Beschreibung als besonders ausdrucksvoll

392 Winckelmann, GK, S. 284. 393 Ebd., S. 284f. 394 Vgl. Terras, S. 84. 395 Baeumer, Winckelmann und Heinse, S. 45. 396 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 544. 397 Zumindest am Rande sollte auch angemerkt werden, dass Heinse sich hier sozusagen en passant einer Stellungnahme zu einer der wichtigsten ästhetischen Debatten seiner Zeit entledigt. Diese Art und Weise, in der Beschreibungspraxis theoretische Positionen ‚anzutippen’, ist bezeichnend für Heinse.

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hervorgehoben wird: „Der Vater hat in seinen Augen einen edlen Ingrim über sein

Unvermögen, die Stirn über der Nase arbeitet bey allen dreyen, beym Vater aber am höchsten,

die Kraft schleudert sich im Schmerz aus, so weit sie kann.“ (FN I, 770 – N18, 63r-63v.) In

Winckelmanns Beschreibung in der Geschichte erscheint die Partie ebenfalls betont, ihre

Bewegtheit wird aber als Ergebnis der Beherrschung des Schmerzes interpretiert: „Unter der

Stirn ist der Streit zwischen Schmerz und Widerstand, wie in einem Punkte vereinigt, mit

großer Weisheit gebildet […].“398 Elliott interpretiert Heinses Äußerungen über die

Bewegtheit der Augenpartie als Kontrafaktur im Sinne des Sturm und Drang. Heinse deute

die Mimik des Laokoon nicht als Ausdruck einer „stillen Größe“, sondern des „höchsten

Lebens“.399 Baeumer legt dar, dass hier der grundlegende Unterschied zwischen

Winckelmanns „apollinischer“ und Heinses „dionysischer“ Deutung des Laokoon zum

Ausdruck kommt. Während Winckelmann den Sieg des Geistes über den körperlichen

Schmerz in die Mitte seiner Interpretation rückt, sieht Heinse im Laokoon das bis ins Extrem

gesteigerte Leben kurz vor dem Verlöschen.400

Auch an anderer Stelle kommt das Prinzip der Kontrafaktur zum Einsatz. So bemerkt Heinse,

wie Winckelmann, die Meißelspuren am Oberschenkel des Laokoon. Während sie für

Winckelmann jedoch „zur Bedeutung einer erstarreten Haut“ helfen,401 sieht Heinse in ihnen

den Ausdruck lebendigen Fleisches: Sie „helfen das herrliche Fleisch bilden“ (FN I, 761 –

N18, 48v).402 Winckelmann verwendet das Motiv des lebendigen Fleisches in seiner

Bedeutung der ‚versteinerten’ Lebendigkeit, während es bei Heinse im Rahmen eines

illusionistischen Konzepts auftritt. Heinses Beurteilung der Meißelspuren ist, wie Pfotenhauer

feststellt, auch in diesem Punkt „präzise Kontrafaktur“ zu Winckelmann.403

Winckelmanns Beschreibungen setzen formale und inhaltliche Maßstäbe. Auch Heinse lässt

der Beschreibung der durch Winckelmann zu klassischen Würden erhobenen Skulpturen

besondere Sorgfalt angedeihen. Trotz seiner Bestrebungen, sich von der etablierten

Sichtweise zu befreien,404 weisen die Beschreibungen der antiken Skulpturen in Rom jedoch

sowohl auf bildlicher wie auch auf sprachlicher Ebene mehr als ein Echo auf Winckelmann

398 Winckelmann, GK, S. 700. 399 Vgl. Elliott, S. 58. Diese Arbeit will sich mit literarhistorischen Einordnungen Heinses zurückhalten und verfolgt deshalb die Deutung Heinses als Vertreter des Sturm und Drang nicht weiter. 400 Baeumer, Das Dionysische, S. 118. 401 Winckelmann, GK, S. 701. 402 Vgl. Elliott, S. 58. 403 Vgl. Pfotenhauer, Kommentar Winckelmann, S. 545. 404 Beim Apollo besteht Heinses eigener Impuls z.B. in dem Versuch, ein alternatives Szenario zu etablieren. „So ließ sich sein Ausdruck denken, als er die Familie der Niobe erlegte“, stellt er fest (I, 745f. – N18, 25r).

92

auf. Um es zugespitzt zu formulieren: Heinse schreibt mit Winckelmann gegen

Winckelmann.405 Seine wiederholte Annäherung an die zu beschreibenden Werke stellt sich

in diesem Licht nicht nur als eine Suche nach der angemessenen Form, sondern auch nach der

von Winckelmann unabhängigen Form dar.

10 Resümee

Wilhelm Heinses Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen sind nicht als ein

homogenes ‚Werk’ zu verstehen und wurden in dieser Arbeit auch nicht als solches

behandelt.406 Vielmehr stellen die unzähligen kleinteiligen und fragmentarischen

Beschreibungsansätze ‚Werkteile’ eines ekphrastischen Projekts dar, das letztendlich nicht in

der angedeuteten Radikalität verwirklicht wurde. Die vorliegende Arbeit hat versucht,

innerhalb der vielfältigen Beschreibungsansätze übergeordnete ‚Muster’ der Kunstbetrachtung

und -beschreibung herauszuarbeiten. Primäres Ziel der Arbeit war es, das Spannungsfeld

zwischen Innovation und Tradition, zwischen Ergriffenheit und kunstliterarischem Kalkül, zu

rekonstruieren, aus dem die eigentümliche Zweigesichtigkeit von Heinses italienischen

Kunstbeschreibungen resultiert.

Ein Aspekt von Heinses italienischen Kunstbeschreibungen ist der Versuch, der Tradition der

Ekphrasis eine neue Perspektive zu eröffnen. Heinses ekphrastische Strategien folgen letztlich

alle dem Ziel der Verlebendigung des Kunstwerks. Sein Blick ist der eines Pygmalions, dem

sich das Bild in lebendiges Fleisch verwandelt. Dieser Blick ist unverkennbar erotisierend.

Die erotischen Aspekte von Heinses Kunstbeschreibungen werden in dieser Arbeit nicht in

den Fußnotentext verbannt, sondern als wichtige Bestandteile der literarischen Vermittlung

von Kunst ernst genommen.407

Heinses Kunstbeschreibungen fokussieren auf das der Kunst zugrunde liegende ‚Leben’, auf

die „Natur in der Kunst“. Sein Beschreibungsverfahren entsteht quasi organisch aus einer

Kunstauffassung, die für jedes große Kunstwerk eine ‚Verankerung’ in der Lebenswelt des

Künstlers annimmt. Dennoch ist sein ekphrastisches ‚Werk’ in keiner Weise als Manifest für

405 Elliott fasst die von Winckelmann (willkürlich oder unwillkürlich) übernommenen Phrasen in Heinses Antikenbeschreibungen als „a tool to work back against him [Winckelmann, -J.B.]“ auf. Elliott, S. 73. 406 Bereits Brecht hatte die Notizhefte als „Heinses eigentliches ‚Werk’“ bezeichnet. Brecht, S. IX. Bernauer weist darauf hin, dass die Aufzeichnungen zwar einen bedeutenden Anteil an Heinses Schaffen darstellen, jedoch nicht als ‚Werk’ im eigentlichen Sinne bezeichnet werden könnten. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 249. 407 Explizit erotische Passagen wurden ausdrücklich nicht aus provokativem Selbstzweck aufgenommen. So wie es Heinse bei aller erotisierenden Abschweifung immer noch um die Kunst geht, geht es in dieser Arbeit immer noch um literarische Strategien.

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die eine oder andere literarische oder kunsttheoretische Position zu bewerten.408 In seinen

Aufzeichnungen herrscht im Gegenteil ein erstaunlicher Mangel an Reflexion über das

ekphrastische Verfahren wie an expliziten kunsttheoretischen Stellungnahmen.409 Heinse ist

weder Ästhetiker noch Kunsttheoretiker. Die Kunstbeschreibungen sind, wie Waetzoldt

bemerkt, in erster Linie „eines Dichters Werk“.410 So sucht Heinse auch nicht in der

Abgeschiedenheit seines eigenen Geistes nach Auswegen aus der „Krise der Repräsentation“,

sondern versucht, den Werken der bildenden Kunst „schreibend beizukommen.“411

Im Prinzip ist die Beharrlichkeit, mit der Heinse zu einer eigenen Form der

Kunstbeschreibung zu gelangen versucht, ein Indiz für seine grundlegende Abhängigkeit vom

Vokabular der etablierten Kunstliteratur. Seine Verwendung der Vorgaben der

zeitgenössischen Kunstliteratur, besonders der Schriften Mengs’ und Winckelmanns, ist

jedoch nicht als Zugeständnis an die klassizistische Kunstauffassung zu bewerten. Vielmehr

scheint Heinse sich des etablierten ‚Jargons’ zu bedienen um den Anforderungen an die

Textform Kunstbeschreibung gerecht zu werden. Die Beschreibung des künstlerischen Anteils

an der Täuschung eines Bildes ist etwas, das Heinses Kunstauffassung fremd ist. Die

etablierten ‚Formeln’ der Kunstliteratur dienen ihm als Platzhalter für eine formale

Kunstbeschreibung, die Heinse mit Rücksicht auf seine kunstliterarische Reputation nicht

vernachlässigen kann.

Heinses Kunstbeschreibungen in den italienischen Aufzeichnungen stellen sich also nicht als

„Herzensergießungen eines kunstliebenden Italienreisenden“ dar - sie sind nicht in erster

Linie Aussprache eines persönlichen Empfindens, sondern auch in ihrer fragmentarischsten

Form Schritte auf dem Weg zu einem literarischen Produkt. Alles, was Heinses ‚Werkstatt’ in

Italien verlässt, ist sorgfältig komponiert.412 Bernauer weist darauf hin, dass die

Kunstbeschreibungen nicht nur spontaner Ausdruck einer „sinnliche[n] Begegnung mit der

Kunst“ seien, sondern auch das Ergebnis langwierigen Studiums.413 Zwar ist für Heinse das

‚Selbstsehen’ der Dreh- und Angelpunkt der Begegnung mit Kunst, es ist jedoch ein

408 Elliott deutet Heinses Gemäldebriefe z.B. als „manifesto for Sturm und Drang, rivalling, if not surpassing Von deutscher Art und Kunst“. Elliott, S. 53. 409 Schipper-Hönicke weist darauf hin, dass Heinses „Arbeitshefte“ überwiegend „Reaktionen auf einen Stimulus“ beinhalten. Schipper-Hönicke, S. 13. 410 Wilhelm Waetzoldt, Deutsche Kunsthistoriker. Bd. 1: Sandrart bis Rumohr, Leipzig 1921, S. 117. 411 Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 281. 412 So ist davon auszugehen, dass die Briefe an Gleim und Jacobi in Hinblick auf eine mögliche Veröffentlichung verfasst wurden. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 284. 413 Bernauer rekonstruiert, dass Heinse zwar in seinem ersten Brief aus Rom den Eindruck vermittelt, sich sofort in die Kunstbetrachtung ‚gestürzt’ zu haben, er jedoch mindestens ebenso viel Zeit in Bibliotheken wie in Kunstsammlungen verbracht haben muss. Vgl. Bernauer, Wilhelm Heinse und seine Aufzeichnungen, S. 294.

94

vorbereitetes Sehen. Die Lektüre von kunstliterarischen Schriften wie Winckelmanns

Geschichte der Kunst des Altertums ist zentraler Bestandteil seiner Selbstausbildung als

Kunstkenner.

Am Ende dieser Untersuchung bleibt die Frage, welche Bedeutung Heinses italienische

Aufzeichnungen im Rahmen der Ekphrasis haben. Das literarische Ergebnis der Italienreise,

der Roman Ardinghello, enthält etliche der in Italien verfassten Beschreibungen in

überarbeiteter Form. Obwohl Heinse sich in diesem Punkt einer Selbstzensur unterzog, wurde

der Ardinghello mit gemischten Gefühlen gegenüber der gewagten Verbindung von

Sinnlichkeit, Kunst und Philosophie aufgenommen. „Ich möchte dies Stück haben schreiben

können und doch nicht geschrieben haben“, schreibt Heinrich Christian Boie über den

Ardinghello.414 Die Ablehnung, die Heinse durch die einflussreichen Literaten seiner Zeit

erfuhr, ist laut Hofmann darauf zurückzuführen, dass die Entsublimierung, die u.a. in seinen

Kunstbeschreibungen vollzogen wird, „auf das Moment der Verdrängung aufmerksam macht,

das jeder Idealisierung in Literatur und Poetik innewohnt.“415

Heinse ist unzeitgemäß, allerdings nicht in dem Sinne, dass er als ‚Vorbote’ einer späteren

literarischen Strömung gelesen werden könnte. Selbst heute noch ist das Zusammendenken

von Kunst und Erotik, wie es Heinse in seinen Aufzeichnungen praktiziert, nicht

selbstverständlich und wirkt an manchen Stellen befremdlich. Die Basis dieses teilweise

eigentümlich anmutenden Beschreibungsverfahrens ist jedoch Heinses Bedürfnis, Werke der

bildenden Kunst auf einer Ebene äußerster „Lebensfülle“ zu vermitteln.416 Seine

Kunstbeschreibungen zielen auf eine ‚Versinnlichung’ des Kunstwerkes im doppelten Sinne:

Sie wollen nicht nur einen visuellen Eindruck des Kunstwerkes evozieren, sondern dasselbe

auch bis zum erotischen Objekt und Subjekt verlebendigen, es dem Rezipienten gleichsam in

die Arme schreiben. Gegenstück der lustvollen Täuschung, die die pygmaliontische

Kunstbeschreibung vermittelt, ist jedoch immer die Ent-Täuschung: der Blick auf das

Kunstwerk in seiner Gemachtheit.

Hölderlin schreibt am 16. Februar 1797 über Heinse: „Ich habe noch nie so eine grenzenlose

Geistesbildung bei so viel Kindereinfalt gefunden.“417 Auch die Kunstbeschreibungen in den

italienischen Aufzeichnungen zeugen von einem Zusammenwirken von „Kindereinfalt“ und

„Geistesbildung“ - spontane Begeisterung für das Kunstwerk und kunstliterarische

414 Heinrich Christian Boie am 24. September 1787 an Anton von Halem. Zit. nach: Leitzmann, S. 26. 415 Hofmann, S. 251. 416 Pfotenhauer, Um 1800, S. 38. 417 An Neuffer. Zit. nach: Leitzmann, S. 38.

95

Vorbildung wirken in gleicher Weise auf die italienischen Kunstbeschreibungen ein und

stellen gleichsam die Basis einer ‚natürlichen’ und einer ‚künstlichen’ Reaktion auf die Werke

der bildenden Kunst dar.

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Schweikle. Zweite, überarbeitete Auflage. Stuttgart und Weimar 1990.

Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hg.

von Ansgar Nünning. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart und

Weimar 2004.

Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe. Hg. von Ulrich Pfisterer.

Stuttgart und Weimar 2003.

Sachwörterbuch der Literatur. Hg. von Gero von Wilpert. Achte Auflage. Stuttgart 2001.

106

107

Abbildungen

a

Abb. 1: So genannter Apollo vom Belvedere. Marmor, 224 cm. Cortile del Belvedere, Inv. 1015.

108

Abb. 2: Laokoon-Gruppe. Weißer Marmor, 184 cm. Cortile del Belvedere, Inv. 1059.

Abb. 3: Detail Laokoon-Gruppe.

109

Abb. 4: So genannter Torso vom Belvedere. Marmor, 159 cm. Vatikanische Museen, Sala delle Muse, Inv. 1192.

110

Abb. 5: Tizian, Venus von Urbino (entstanden vor 1548). Öl/ Lw., 119x165 cm. Florenz, Uffizien.

Abb. 6: So genannte Venus Medici. Marmor, 153 cm. Florenz, Uffizien.

111

Abb. 7: Johan Zoffany: Tribuna (ca. 1772-78). Öl/ Lw., 123,5x155 cm. Windsor, Royal Collection.

Abb. 8: Herakles mit dem Telephos. Marmor, ohne Plinthe 202 cm. Vatikan, Museo Chiaramonti IX 3, Inv.1314.

112

Abb. 10: Hermaphrodit Borghese. Marmor, 148 cm. Paris, Louvre, Inv. MA 231.

Abb. 9: So genannte Juno Barberini. Marmor, 283 cm. Vatikan, Sala Rotonda, Inv. 249.

113

Abb. 11: William Pether nach Joseph Derby of Wright: An Academy by Lamplight (1769). Schabkunstblatt. Kiel, Kunsthalle.

114

Abb. 12: Niobe mit ihrer jüngsten Tochter. Marmor, 228 cm. Florenz, Uffizien.

Abb. 13: Hermes, so genannter Antinous. Marmor, 195 cm. Cortile del Belvedere 53, Inv. 907.

115

Abb. 14: Tizian: Himmlische und irdische Liebe (um 1514). Öl/ Lw., 118x279cm. Galleria Borghese, Inv. 147.

Abb. 15: Raffael: Madonna di Foligno (wahrscheinlich 1512 vollendet). Ursprünglich auf Holz, 1801 auf Lw. übertragen, 320x198 cm. Pinacoteca Vaticana, Inv. 329.

116

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. II: Museo Pio

Clementino. Cortile Ottagono. Hg. von Bernd Andreae. Berlin und New York 1998. S. 34.

Abb. 2: Ebd. S. 63.

Abb. 3: Ebd. S. 79.

Abb. 4: Raimund Wünsche: Der Torso. Ruhm und Rätsel. Ausstellung der Staatlichen

Antikensammlung und Glyptothek München. München 1998. S. 24.

Abb. 5: Filippo Pedrocco: Tizian. München 2000. S. 167.

Abb. 6: Guido A. Mansinelli (Hg.): Galleria degli Uffizi. Le Sculture. Bd. I. Rom 1958. Tafel

45a.

Abb. 7: Luciano Berti: Die Uffizien. Vorwort von Giulio Carlo Argan. Stuttgart und Zürich

1984. S. 45.

Abb. 8: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. I, 2: Museo

Chiaramonti. Hg. von Bernd Andreae. Berlin und New York 1998. S. 670.

Abb. 9: Georg Lippold (Hg.): Die Sculpturen des Vatikanischen Museums. Im Auftrag und

unter Mitwirkung des Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. 3,1: Sala delle

muse. Sala rotonda. Sala a croce greca. Berlin 1936. Tafel 37 (546).

Abb. 10: <www.louvre.fr>

Abb. 11: Oskar Bätschmann: Pygmalion als Betrachter. Die Rezeption von Plastik und

Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Wolfgang Kemp (Hg.): Der Betrachter

ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin 1992. S. 237-278, hier S. 254.

Abb. 12: Guido A. Mansinelli (Hg.): Galleria degli Uffizi. Le Sculture. Bd. I. Rom 1958.

Tafel 70a.

Abb. 13: Bildkatalog der Skulpturen des Vatikanischen Museums. Bd. II: Museo Pio

Clementino. Cortile Ottagono. Hg. von Bernd Andrete. Berlin und New York 1998. S. 23.

Abb. 14: Filippo Pedrocco: Tizian. München 2000. S. 106.

Abb. 15: Roger Jones und Nicolas Penny: Raffael. München 1983. S. 87.