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Karin Friedrich (University of Aberdeen) ,Zwischen Ost und West’. Kultur und Politik in Preußen Königlich-Polnischen Anteils im Zeitalter der Aufklärung Nach Beendigung des Großen Nordischen Kriegs, Anfang der 1720er Jahre, formierte sich inmitten der Grabenkämpfe, die auf der polnischen politischen Bühne unter dem Einfluss Moskaus, Preußens und anderer Mächte ausgetragen wurden, die polnische Aufklärungs- und Reformbewegung. Als Politiker und Männer des rhetorischen und parlamentarischen Alltags, die in einer partizipatorischen politischen Kultur heranreiften, waren die polnischen Reformdenker besonders praxisnah, was sie, jedenfalls vor der französischen Revolution, von westeuropäischen Aufklärern meist unterschied. Gemeinsam mit westeuropäischen Reformdenkern hatten sie das Ziel, das stagnierende politische System ihres Gemeinwesens umzuwälzen, den wirtschaftlichen, militärischen und verfassungspolitischen Niedergang aufzuhalten und sich den rationalistischen Ideen einer neuen Zeit zu öffnen . Das Bild Polen-Litauens während der Aufklärungsepoche, das in Reiseberichten, Pamphleten und den ersten gedruckten Zeitungen in Europa in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitet wurde, sprach nicht vom Erfolg der Aufklärer. 1733 hatte der Sejm Nicht-Katholiken fast aller ihrer Privilegien der Glaubensfreiheit beraubt und sie durch Ausschluss aus Armee und Amt zu Bürgern zweiten Ranges gemacht. Die Konsequenzen des Tumults in Thorn 1724 hatten mit Nachhilfe der Propagandamaschine des Hohenzollernstaats, und in gewissem Maße auch Englands, die Reputation der

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Karin Friedrich (University of Aberdeen)

,Zwischen Ost und West’. Kultur und Politik in Preußen Königlich-Polnischen Anteils im Zeitalter der Aufklärung

Nach Beendigung des Großen Nordischen Kriegs, Anfangder 1720er Jahre, formierte sich inmitten derGrabenkämpfe, die auf der polnischen politischenBühne unter dem Einfluss Moskaus, Preußens undanderer Mächte ausgetragen wurden, die polnischeAufklärungs- und Reformbewegung. Als Politiker undMänner des rhetorischen und parlamentarischenAlltags, die in einer partizipatorischen politischenKultur heranreiften, waren die polnischenReformdenker besonders praxisnah, was sie,jedenfalls vor der französischen Revolution, vonwesteuropäischen Aufklärern meist unterschied.Gemeinsam mit westeuropäischen Reformdenkern hattensie das Ziel, das stagnierende politische Systemihres Gemeinwesens umzuwälzen, den wirtschaftlichen,militärischen und verfassungspolitischen Niedergangaufzuhalten und sich den rationalistischen Ideeneiner neuen Zeit zu öffnen .

Das Bild Polen-Litauens während derAufklärungsepoche, das in Reiseberichten, Pamphletenund den ersten gedruckten Zeitungen in Europa in derersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitet wurde,sprach nicht vom Erfolg der Aufklärer. 1733 hatteder Sejm Nicht-Katholiken fast aller ihrerPrivilegien der Glaubensfreiheit beraubt und siedurch Ausschluss aus Armee und Amt zu Bürgernzweiten Ranges gemacht. Die Konsequenzen des Tumultsin Thorn 1724 hatten mit Nachhilfe derPropagandamaschine des Hohenzollernstaats, und ingewissem Maße auch Englands, die Reputation der

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Polen im protestantischen Europa gründlichverdorben.1 William Coxe nannte Polen „a country,formerly more powerful than any of the surroundingstates, [that] has, from the defence of itsconstitution, declined in the midst of generalimprovement, and […] is becoming an easy prey toevery invader“. Er machte dafür die „anarchy falselycalled liberty“, „the parent of faction“veranwortlich, sowie „the wretched condition and thepoverty of the peasants“2, die den Niedergang desLandes verursachten. Durch ein Heranrücken der Polenan die Asiaten – „[they] resemble Asiatics ratherthan Europeans, and are unquestionably descendedfrom Tatar ancestors“3 – sollte bewusst der exotischeund von der Aufklärung unberührte Zustand des Landesbetont werden. Georg Forster, ein Radikaldemokratund Jakobiner, gleichzeitig aber auch Popularisatordes Begriffs von der ‚polnischen Wirtschaft’,schrieb ähnlich von der „Zufriedenheit der Polackenmit ihrem eigenen Misthaufen, und ihrerAnhänglichkeit an ihre Vaterländischen Sitten“.4

Weniger mit der Voreingenommenheit des späterenJakobiners Forster gegen die Adelsherrschaft in deralten Rzeczpospolita, sondern mit dem kühlen Auge des1 In Briefen und Publikationen in Berlin, die 1724 nach

Warschau berichteten, war die Sprache von den Polen als ‚barbaragens’. Die protestantischen Bürger und vor allem derhingerichtete Bürgermeister Gottfried Rösner aus Thorn wurden alsMärtyrer dargestellt, die wie unter der spanischen Inquisitionlitten und ‚a Sarmatis jugulati’ seien. Biblioteka PAN. Kórnik.MS 1322. „Miscellanea Historyczne i Literackie XVIII wieku[Historische und literarische Miscellanea des 18. Jahrhunderts]“.223 verso und ff.

2 William Coxe. Travels into Poland, Russia, Sweden and Denmark. London1784. S. 16.

3 Ebd. S. 144.4 Helga Schultz. „Obraz Polski w niemieckim oświeceniu. Artykuł

Dyskusyjny [Das Bild Polens zur Zeit der deutschen Aufklärung.Diskussionsartikel]”. Historyka [Geschichte] 29 (1999). S. 17,zitiert nach Georg Forster. Werke. Bd. 14: Briefe 1784-Juni 1787.Berlin 1978. S. 225. Siehe auch Hans-Jürgen Bömelburg. „JohannGeorg Forster und das negative deutsche Polenbild“. MainzerGeschichtsblätter 8 (1993). S. 79-90, und Stanisław Salmonowicz.„Jerzy Forster a narodziny stereotypu Polaka w NiemczechXVIII/XIX wieku [Jerzy [Georg] Forster und die Geburt desPolenstereotyps in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert.]“.Zapiski Historyczne [Historische Notizen] 52 (1987). S. 135-147, indeutscher Übersetzung, ders. „Georg Forster und sein Polenbild:Kosmopolitismus und nationales Stereotyp“. Polen im 17. und 18.Jahrhundert. Abhandlungen und Aufsätze. Toruń 1997. S. 114-129.

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wissenschaftlich interessierten Physiokraten besahsich indessen der Ende der 1770er Jahre durch Polen-Litauen und das königlich-polnische Preußen reisendeSchweizer Johann Bernoulli das Land. Eindruckmachten auf ihn nicht so sehr die schlechtenHerbergen oder der Lebensstil der Bauern, oder derZustand der Forstwirtschaft, den er beklagte,sondern die Einrichtung von Bibliotheken,Lehranstalten und die Reformschulen der Orden, dieKadettenschule und das Gymnasium der Brüder Załuskiin Warschau, sowie die Kunstsammlungen der reichenDanziger Bürger5 und die Wirkung der WarschauerGesellschaft der Wissenschaften, die er lobendhervorhob. Besonders beeindruckte ihn das ersteBildungsministerium Europas, die Komisja Eduka cjiNarodowej [Kommission für die nationale Bildung]:

Nichts gereicht wohl der jetzigen Regierung mehr zum Ruhme,als daß unter derselben eine Anstalt zu Stande gekommenist, dergleichen kein einziges Land [besitzt], wo dieWissenschaften in Verfall gerathen, [und die] vielnützlicher ist, um ihnen aufzuhelfen, als alle Akademiender Wissenschaften, und die, wo irgend etwas auf der Welt,das gemeine Beste zum unmittelbaren Endzweck hat, und es amsichersten befördern kann.6

Er pries nicht nur die Versuche des aufgeklärtenMonarchen, Polen moralisch, politisch,wissenschaftlich und ökonomisch zu verbessern,sondern er würdigte auf seinen Reisen auch dieZentren der Aufklärung, die vom Adel und Bürgertumgetragen wurden. Dabei wandte er sich gezielt gegendie Rede von der

sogenannten Barbarey, die manche ihnen so gewaltigaufmutzen: wie lange hat sie denn gewährt? in Wahrheitwenig über ein halbes Jahrhundert […] Was nun die neuere

5 Edmund Kizik. „Niederländische Einflüsse in Danzig, Polen undLitauen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert“. Land und Meer. KulturellerAustausch zwischen Westeuropa und dem Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Hg.Martin Krieger/Michael North. Köln, Weimar 2004. S. 65.

6 Johann Bernoulli. Reisen durch Brandenburg, Pommern, Preußen, Curland,Rußland und Pohlen in den Jahren 1777 und 1778. Bd. 6. Leipzig 1779/80.Zitiert nach Gerhard Kozielek. „Deutsche Reiseberichte über dasPolen Stanislaus August Poniatowskis“. Europäisches Reisen im Zeitalterder Aufklärung. Hg. Hans-Wolf Jäger. Heidelberg 1992. S. 200.

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polnische Gelehrtengeschichte betrifft, deren Dämmerungschon in das Jahr 1730 fällt, die schon um die Mitte desJahrhunderts ziemlich glänzend war, und jetzt unter einemStanislaus August zum hellen Mittage eilet, so braucht esnicht mehr, als wiederum Mizlers Warschauer Bibliothek undActa literaria, des […] Herrn Friesens Journal littérairede Pologne und des Domherrn Janozki Schriften mit einigerAufmerksamkeit zur Hand zu nehmen, um sich zu überzeugen,daß die eben festgesetzte Epoche […] zum Ruhm derpolnischen Nation gereichen [wird].7

Trotz der weiten Verbreitung von BernoullisAnsichten sowie anderer Fürsprecher Polens – etwades schlesischen Arztes Johann Joseph Kausch, derder preußischen Öffentlichkeit und Politik dasidealisierte Bild eines aufgeklärten undreformbewussten Polen entgegenhielt und zurIntervention zu dessen Rettung aufrief8 – übertönendie negativen Stimmen deutlich die positiven.Besonders manipulativ formulierte der KurländerFriedrich Schulz seine Eindrücke. Wie in vielenUntersuchungen zum Thema festgestellt wurde, istdies im Kontext der Historiographie seit denTeilungen keineswegs verwunderlich. Für Schulz warendie Errungenschaften der Aufklärung und desKunstbetriebs in Warschau kein Eigenprodukt, sondernnur ein Plagiat oder ein aus dem Auslandimportiertes Derivat: „Die Baukunst hat in Warschauausgezeichnete Fortschritte gemacht, aber auch indiesem Fach thaten Ausländer, Italiener undbesonders Deutsche, alles, und gebohrene Polennichts.“9 Diese Bemerkungen sind besondersgravierend, da Schulz’ Erfahrung mit Polen und seinegute Kenntnis des Landes ihm Autorität verliehen.10

7 Kozielek. „Deutsche Reiseberichte“ (wie Anm. 6). S. 201.8 Johann Joseph Kausch. Nachrichten über Polen. Salzburg 1793. 9 Joachim Christoph Friedrich Schulz, Reise eines Liefländers von Riga

nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth,Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen inTyrol. 3 Bde. Berlin 1795/96. Bd. II. S. 56-60.

10 Erich Donnert. „Joachim Christoph Friedrich Schulz und seine‚Reise eines Livländers’“. Sehen und Beschreiben. Europäische Reisen im 18.und frühen 19. Jahrhundert. Hg. Wolfgang Griep. Heide 1981. S. 279-289; Klaus Zernack. „Die Distanz des ‚Livländers’. JoachimChristoph Friedrich Schulz über die Polenpolitik Katharinas II.“.Deutsch-Russische Beziehungen im 18. Jahrhundert: Kultur, Wissenschaft undDiplomatie. Hg. Conrad Grau [u.a.]. Wiesbaden 1997. S. 375-438.

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Wie schon Gerhard Kozielek feststellte, fielenSchulz’ konkrete Angaben über die polnischeAufklärung dennoch viel dürftiger aus als diejenigenBernoullis, der, obwohl er kürzer im Land weilte,mehr über Reformen und Wissenschaft zu berichtenhatte, aber eben nicht wie Schulz die russischePropaganda-Trommel rührte.11

Der Hinweis auf den derivativen und imitativenCharakter der polnischen aufklärerischenErrungenschaften, ob in Wissenschaft, Kunst oderWirtschaft, war in der älteren Historiographie, vorallem auch Polens selbst, ein integrativer Teil derDarstellungen. Besonders stark betonte dieHistoriographie die Wirkung aufklärerischerEinflüsse aus dem Westen und implizit damit auch ausden deutschen Territorien auf die Kultur Preußensköniglich-polnischen Anteils und Großpolens. Noch1957 führte Jadwiga Lechicka die Aufklärung inPomerellen fast ausschließlich auf die Einflüsse vonSchlüsselfiguren der westeuropäischenGeistesgeschichte zurück.12 Die Spannungen zwischendem universalen, kosmopolitischen Charakter derAufklärung und ihren nationalen oder regionalenAusformungen wurden kaum problematisiert, sondernunter dem Stichwort einer sozialen und bürgerlichenReformbewegung in das teleologische und dialektischeKonzept der marxistischen Geschichtsauffassungeingeordnet. Die vorherrschende Ideologie gestattetevor allem nicht, die Rolle der katholischenAufklärung, und speziell der Orden und des Klerus zuuntersuchen, die für die polnische, und in gewissemMaße eben auch für die königlich-preußischeAufklärung entscheidend war.

Auch nach der politischen Wende Anfang der 1990erJahre verabschiedete sich die polnischeHistoriographie nur langsam von dem Paradigma dereinseitig aus dem Westen importiertenFortschrittselemente. Erst eine nähereAuseinandersetzung um die Natur der polnischen

11 Kozielek. „Deutsche Reiseberichte” (wie Anm. 6). S. 220f.12 Jadwiga Lechicka. Z zagadnień Oświecenia na Pomorzu [Fragen zur

Aufklärung in Pomorze]. Toruń 1957.

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Aufklärung selbst, wie sie bei Jerzy Dygdała13,Stanisław Roszak14, Anna Grześkowiak-Krwawicz15,Izabella Zatorska16, Irena Stasiewicz-Jasiukowa17 undanderen stattfand, veränderte das Bild langsam.18

Dabei wurde mit dem Konfliktschema ‚aufgeklärterFortschritt’ gegen ‚obskuranter Sarmatismus’gebrochen und die Gleichzeitigkeit beider Phänomeneund ihre Überlagerung in der metropolen KulturWarschaus, aber auch der Provinzen Polen-Litauensbetont.19 Während die ersten drei Jahrzehnte des 18.Jahrhunderts noch zu Recht der nachtridentinischenPeriode der Gegenreformation zugeschlagen werden,machte sich ab den 1740er und 50er Jahren dassteigende Bildungsniveau des Klerus, aber auch diegefestigte wirtschaftliche und kulturelle Macht derKirche bemerkbar, was zu neuen Konflikten mit denweltlichen Ständen und einem intensiviertenAntiklerikalismus führte.20 Diese widerstreitenden13 Jerzy Dygdała. Adam Stanisław Grabowski (1698-1766): biskup, polityk,

mecenas [Adam Stanisław Grabowski (1698-1766): Bischof, Politiker,Mäzen]. Olsztyn 1994.

14 Stanisław Roszak. Archiwa sarmackiej pamięci : funkcje i znaczenierękopiśmiennych ksiąg silva rerum w kulturze Rzeczypospolitej XVIII wieku [DieArchive der sarmatischen Erinnerung: Funktionen und Bedeutunghandschriftlicher Bücher silva rerum in der Kultur derRzeczpospolita im 18. Jahrhundert]. Toruń 2004.

15 Anna Grześkowiak-Krwawicz. O formę rządu czy o rząd dusz: publicystykapolityczna Sejmu Czteroletniego [Form der Regierung oder Regierung derSeelen: politische Publizistik des Vierjährigen Sejm]. Warszawa2000; dies. Regina libertas: wolność w polskiej myśli politycznej XVIII wieku[Freiheit im polnischen Politikgedanken des 18. Jahrhunderts].Gdańsk 2006.

16 Liberté: héritage du passé ou idée des Lumières? Hg. Anna Grześkowiak-Krwawicz/Izabella Zatorska. Warszawa, Kraków 2003.

17 Irena Stasiewicz-Jasiukowa. „Der aufgeklärte Katholizismus imPolen der Frühaufklärung“. Europa in der frühen Neuzeit: Festschrift für GünterMühlpfordt. Bd. 3: Aufbruch zur Moderne. Hg. Erich Donnert. Weimar,Köln [u.a.] 1997. S. 555-564.

18 Siehe Richard Butterwick zu dem nur scheinbarwidersprüchlichen ‚enlightened Anti-Enlightenment’ in Polen;„Provinical Preachers in late eighteenth-century Poland-Lithuania“. Peripheries of the Enlightenment. Hg. ders./SimonDavies/Gabriel Sánchez Espinosa. Oxford 2008. S. 201-228.

19 Stanisław Roszak. „Entre le Sarmatisme et le Siècle desLumiéres. Le milieu varsovien dans la culture polonaise au cœurdu XVIIIe siècle“. La Recherche dix-huitièmiste. Raison universelle et culturenationale au siècle des Lumières. Eighteenth-century research. Universal reason andnational culture during the Enlightenment. Hg.  David A. Bell/LudmilaPimenova/Stéphane Pujol. Paris 1999. S. 77.

20 Józef Andrzej Gierowski. The Polish-Lithuanian Commonwealth in the XVIIICentury. From Anarchy to Well-Organised State. Übersetz. Herny Leeming.Kraków 1996. S. 151-154.

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Vorzeichen – eine deutliche Säkularisierung beigleichzeitiger Ausbreitung der katholischenAufklärung unter der Führung maßgeblicher Figuren imEpiskopat21, aber auch die Verbreitung vonDruckwerken mit Inhalten sarmatischerKulturverherrlichung innerhalb einer immer offenerdiskutierenden bürgerlichen Öffentlichkeit – gabendieser Epoche polnischer Aufklärungskultur ihrenambivalenten und oft schwer fassbaren Charakter.Durch den großen Anteil protestantischer unddeutschsprachiger Eliten der Provinz Preußensköniglich-polnischen Anteils sind die Beziehungenzwischen der lokalen Aufklärungsbewegung und demZentrum der Aufklärung in Warschau besondersinteressant. Auch wenn das Königliche Preußen injeder Hinsicht durch seine wirtschaftlichen,sprachlich-kulturellen, religiösen und politischenEigenheiten als das Tor der Rzeczpospolita zurwesteuropäischen Kultur galt, wäre es verkehrt, nurnach westlichen oder gar nur deutschen Einflüssen zusuchen. Kulturtransfer funktionierte nie nur alsEinbahnstraße. Die Adaption der Aufklärung desspezifisch polnischen Milieus in Warschau bliebnicht ohne Folgen in den Provinzen, gerade weil derdezentrale Charakter der polnischen Verfassung dieMitwirkung regionaler und lokaler Eliten anpolitischen und kulturellen Entscheidungen durchLokal- und Provinziallandtage (z.B den königlich-preußischen Provinziallandtag), den Einfluß lokalerBildungstraditionen (etwa an den AkademischenGymnasien in Thorn, Danzig und Elbing) sowie dieVerbreitung von Druckereien in mehreren Sprachenfavorisierte.22 Deshalb sollten wir nach den

21 Richard Butterwick. “What is Enlightenment (Oświecenie)? SomePolish Answers, 1765-1820”. Central Europe 3. Nr. 1 (2005). S. 19-37. Butterwick betont die rein religiöse Definition von Oświecenieals ‚Erleuchtung’ durch den heiligen Geist und als göttlicheEinwirkung, die erst in den 1760er Jahren durch eine Verwendungdes Wortes im säkularen Kontext der Zeitschrift Monitor und durchdas publizistische Wirken aufklärerischer Zirkel unter derHerrschaft Königs Stanisław August abgelöst wurde (S. 22f).

22 Darauf weist besonders hin Ewa Borkowska-Bagieńska.„Nowożytna myśl polityczna w Polsce 1740-1780 [Der neuzeitlichepolitische Gedanke in Polen]“. Studia z dziejów polskiej myśli politycznej IV:Od reformy Państwa szlacheckiego do myśli o nowoczesnym państwie. Zbiór studiów

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Auslösern, Inhalten und Wirkungen der Aufklärung inder königlich-preußischen Provinz auch in Kronpolenselbst Ausschau halten, an dem sich die Eliten derProvinz trotz aller Konflikte seit der TeilungPreußens in den Kriegen gegen den Deutschen Ordenund die Inkorporation der Provinz in die polnischeKrone (1454-66) politisch orientiert hatten. Aberauch hier wirkte nicht nur Imitation. Wir müssennach einer der Provinz eigenen Ausformung derAufklärung suchen.

Mit dem Tod Augusts des Starken und demInterregnum von 1733 gewann Preußen königlich-polnischen Anteils, und vor allem seine großenStädte, die immer noch an den wirtschaftlichenFolgen des Großen Nordischen Krieges litten, größerepolitische Autonomie. In der Danziger Bürger- undRatselite dominierten vor allem die Rechtsgelehrten,die zum großen Teil an ausländischen Universitätenstudierten. Damit lag Danzig im allgemeinenpolnischen Trend, seine Eliten im Ausland ausbildenzu lassen. Von 29 Personen der engeren DanzigerRatselite, die von Jerzy Dygdała untersucht wurden,studierten 24 in ausländischen Universitäten, an derSpitze stehend Leiden, Leipzig, Wittenberg undHalle, aber auch Königsberg, Frankfurt/Oder,Göttingen oder Straßburg. Fünf machten ihre Karrierezuerst am Königshof, bevor sie als Stadtsekretäreoder Schöppen in die Vaterstadt zurückkehrten, inden Rat und ins Bürgermeisteramt aufrückten.23 DieAdelseliten des königlichen Preußen hielten sichdagegen zuerst an die einheimischen Schulen, vorallem die Jesuitenkollegien, die in der Provinz alsAdelsschulen besonders verbreitet waren. Einige derreichsten Familien der Provinz und Amtsinhaber im

[Studien zur Geschichte des polnischen politischen Gedankens IV:Von der Reform des adligen Staates bis zum Gedanken über einenneuzeitlichen Staat. Studiensammlung]. Hg. Jacek Staszewski.Toruń 1992. S. 42, wenn sie die Wirkungskreise und -weitepolitischer Reformmodelle des 18. Jahrhunderts und dieHerausbildung einer gebildeten Öffentlichkeit vor den Teilungendiskutiert.

23 Jerzy Dygdała. „Politycy Gdańscy doby Oświecenia [DanzigerPolitiker in der Ära der Aufklärung]”. Mieszczaństwo Gdańskie[Danziger Bürgertum]. Hg. Stanisław Salmonowicz. Gdańsk 1997. S.143-153.

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18. Jahrhundert, die Czapski, Kczewski, Zboiński undKonarski besuchten das Jesuitenkolleg in Braniewound das Gymnasium in Kulm sowie außerhalb Preußensdas Adelskolleg der Piaristen in Warschau. Dieetablierte historiographische Meinung über dieJesuitenschulen, die Stanisław Salmonowicz, Hans-Jürgen Karp und andere nachdrücklich vertreten, istnegativ, vor allem im Vergleich zu denprotestantischen akademischen Gymnasien der großenStädte. Der oberflächliche Pomp des traditionellenjesuitischen Schultheaters sowie die Fokussierungauf die Rhetorik, um antike und moralische Stoffe zupräsentieren, so Salmonowicz, sei ohne Substanzgewesen, während Naturwissenschaften, neue Sprachenund Philosophie, vor allem naturrechtliche Lehren,völlig vernachlässigt wurden.24

Die Bildungssituation des königlich-preußischenAdels ist damit allerdings nicht vollständigreflektiert. Aus den Arbeiten Kazimierz Puchowskistritt deutlich hervor, wie wichtig natürlich demAdel die rhetorische und oratorische Ausbildung zumgeschickten Redner im Land- und Reichstag war,worauf die jesuitische Ratio Studiorum mit ihrerBetonung auf humanistische und staatsbürgerlicheWerte ausgerichtet war. Die rhetorisch-politischePraxis, so summierte Puchowski, bedurfte solch einerErziehung:

Die Jugend lernte das kritische Betrachten der politischenRealität der Rzeczpospolita, und die neuen Lehrbücherbeschäftigten sich mit der Frage nach der politischenUmsetzung individueller Freiheit und der geordnetenFunktion des Staates. Die Mehrheit dieser Postulate fandsich in der Verfassung vom 3. Mai reflektiert. DieAbsolventen elitärer Kollegien und Schulen, die denadeligen Charakter der [religiösen] Ordensbildungverteidigten, vertraten ebenfalls die politischeSelbstdisziplinierung des adeligen Standes, der sich in derVerfassung ausdrückte. 25

24 Historia Torunia [Geschichte Thorns]. Bd. II/3: Między barokiem ioświeceniem (1660-1793) [Zwischen Barock und Aufklärung]. Hg. JerzyDygdała/Stanisław Salmonowicz/Jerzy Wojtowicz. Toruń 1996.S. 328.

25 Kazimierz Puchowski. Jezuickie kolegia szlacheckie Rzeczypospolita obojganarodów [Jesuitenkolleg des Adels Rzeczpospolita beider Nationen].

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Das unkritische Auswendiglernen lateinischer

rhetorischer Wendungen wurde durch staatsbürgerlicheTugendlehre, rationale Argumentation undphysikalische Experimente komplementiert.26

Jesuitenkollegien konnten sich kurrikularenNeuerungen nicht verschließen, wie im Kolleg inBraniewo, das sich früh neuen Fächern und Sprachenöffnete. Jesuitische Bildungsideale sind keineswegsmit einem einseitigen Verharren auf der Traditiongleichzusetzen. Nicht Bildungsedikte von oben, wiedies in vielen Territorien des Reichs geschah,sondern eine Evolution in den Institutionen,erwachsend vor allem aus dem Wettbewerb gegenüberanderen Orden, vor allem der Piaristen undTheatiner, verbesserten die Qualität derJesuitenkollegien im Laufe des 18. Jahrhunderts biszu ihrer Auflösung. Da sich in der königlich-preußischen Provinz die genannten Reformorden nichtdurchsetzen konnten, wanderten die katholischenEliten zum Teil ab: von 1752 bis zur ersten Teilungstudierten im Warschauer Collegium Nobilium derPiaristen ein gutes Dutzend Adelige aus demköniglichen Preußen, die später auf Ämter in ihrerProvinz zurückkehrten: ein Kastellan, drei Kämmerer,drei Fahnenführer, ein Landrichter und mehrereStarosten.27 Wie in keinem anderen europäischenErziehungssystem wurde in diesen Reformkollegien dieschulische Theorie mit der politischen Praxisverbunden.

Gdańsk 2007. S. 518. [Übers. v. d.Verf.]26 Weiter zur Diskussion jesuitischer Lehrplanänderungen siehe

Irena Stasiewicz-Jasiukowa. Wkład Jezuitów do nauki i kultury wRzeczypospolitej Obojga Narodów i pod zaborami [Der Beitrag der Jesuitenzur Wissenschaft und Kultur der Rzeczpospolita beider Nationenund zur Zeit der Teilungen]. Kraków 2004.

27 Puchowski, Jezuickie kolegia szlacheckie. (wie Anm. 25). S. 492-508. Marian Pawlak, Studia uniwersyteckie młodzieży z Prus Królewskich w XVI-XVIII w. [Universitätsstudien der Jugend aus Königlich Preußen vom 16.-18.Jahrhundert] Toruń 1988, S. 168-172. Jerzy Dygdała. „Uwagi o magnaterii Prus Królewskich w XVIII stuleciu [Bemerkungen zum Hochadel in Königlich Preußen im 18. Jahrhundert]”. Zapiski Historyczne [Historische Notizen] 44. Nr. 3 (1979). S. 84-87.

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Während die polnischen Theatiner- undPiaristenkollegien seit Ende der 1730er JahreChristian Wolffs Werke als Lehrbücher annahmen undes Pläne gab, den deutschen Naturrechtler nachseiner Absetzung in Halle für ein paar Jahre nachKrakau zu rufen28, wurden die Kameral- undStaatswissenschaften, die administrative Theorie unddie naturrechtliche Untermauerung des modernenMachtstaates, die etwa im nachbarlichen Preußen undin den reformierten Universitäten im HeiligenRömischen Reich zur Ausbildung einer neuenStaatsbürokratie erwuchsen, an den polnischenJesuitenschulen vernachlässigt. Zudem waren dieAdeligen der ersten Hälfte des 18. Jahrhundertsweniger zur Ausbildung im Ausland geneigt, und nureine sehr kleine Elite reiste nach Rom, England oderFrankreich, wo Tomasz Czapski, Sohn desPomerellischen Wojewoden, 1737 der erste königlich-preußische Adlige war, der einer Freimaurerlogebeitrat.29 Trotzdem gab es seit den 1760er Jahren undgegen Ende des 18. Jahrhunderts ein erneutesInteresse des Adels an Erziehungsreisen.30 Der Besuchder Jesuitenschule war dabei meist Basisausbildung,während Privatlehrer (wie der Franzose Arnold deVigne bei der Familie Przebendowski) und dietraditionelle peregrinatio an ausländischenLehreinrichtungen die Erziehung junger Adeligerabrundeten.

Im Zuge der Reformen der Ordensschulen tratzunehmend auch der Gedanke der Professionalisierung

28 Gierowski. The Polish-Lithuanian Commnonwealth (wie Anm. 20). S.157.

29 Dygdała. „Uwagi o magnaterii Prus Królewskich” (wie Anm. 27).S. 85.

30 Stanisława księca Poniatowskiego Diariusz podróży w roku 1784 w kraje niemieckieprzedsięwziętej [Tagebuch des Prinzen Stanisław Poniatowski von der1784 unternommenen Reise in die deutschen Länder]. Hg. JacekWijaczka. Kielce 2002, vor allem XVff. zur negativen Beurteilungder Reisemotive; zu Italienreisen der Polen, vor allem zuBildungszwecken, siehe auch Marian Chachaj. Związki kulturalne Sieny iPolski do końca XVIII wieku. Staropolscy studenci i podróżnicy w Sienie: Sieneńczycy i ichdzieła w Polsce [Kulturelle Beziehungen zwischen Siena und Polen biszum Ende des 18. Jahrhunderts. Altpolnische Studenten undReisende in Siena: Die Sienaer und ihre Werke in Polen]. Lublin1998. Speziell zur peregrinatio academica der Studenten aus demköniglichen Preußen siehe Pawlak. Studia uniwersyteckie (wie Anm. 27).

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in den Mittelpunkt: Ein Beispiel dafür ist JanBielski, der in seinem Traktat von 1747, Pro scholispublicis studiorumque in illis ratione oratio, für dieÜberlegenheit einer institutionellenElitenausbildung über eine private Erziehungargumentierte. Selbstkritik am traditionellenLehrstil und Lehrplan der Jesuiten übte 1758 auchder berühmte jesuitische Rhetoriker und Dramatiker[Verzeihung – das war ein Anglizismus] FrancizsekBohomolec, einer der führenden Köpfe am WarschauerJesuitenkolleg, als er eine Disputation seinesSchülers Ksawery Leski leitete. In dem paränetischenWerk unter dem Titel Rozmowa o języku polskim, dasBohomolec’ moralisches und politischesReformprogramm enthielt, wurde der bis dahin alsbesonders sarmatisch-barock geltende Makkaronismusder Vermischung polnischer und lateinischerSprachelemente in der politischen Oratorik scharfverurteilt und zur Reinheit der polnischen Spracheohne barocken Überschwang aufgerufen: „Glücklich istdas Volk“, so schrieb Bohomolec, „das sich eher mitder Feder als mit dem Schwert unsterblichen Ruhmanhäuft“. Die drei Brüder Leski, Söhne desFahnenträgers von Marienburg, Michał na LeszczuLeski, taten sich am Warschauer Kolleg, wieberichtet wird, besonders durch ihren Lerneifer undihre staatsbürgerlichen Tugenden hevor, und dieFamilie schloß sich, wie Bohomolec selbst, in den60er Jahren dem Reformlager Stanisław AugustPoniatowskis an. Bohomolec’ Rat an die jungenAdligen, französisch zu lernen und sich durch Reisenweiterzubilden, wurde von seinen Zöglingen aus demköniglichen Preußen auch beherzigt.31

Die reicheren Adelsgeschlechter der preußischenProvinz stellten auch eine starke Verbindungzwischen dem Warschauer Königshof, der von dersächsischen und französischen Kultur geprägt war,und den preußischen Städten her, allen voran Danzig,wo viele adelige Geschlechter Bürgerhäuser besaßenund mit den dort sich entwickelnden aufklärerischenIdeen in Berührung kamen. Die Brücke, die der Adel31 Puchowski. Jezuickie kolegia (wie Anm. 25). S. 400.

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in den Kulturbeziehungen zwischen Danzig, Thorn,Warschau und Krakau bildete, sollte nichtunterschätzt werden, bedarf aber noch nähererUntersuchung.32 Bis vor kurzem wurden diebürgerlichen und adeligen Sphären der Aufklärung imköniglichen Preußen von der Historiographie strenggetrennt, da die Adelskultur meist im Zusammenhangmit der politischen Rhetorik der gazety ulotne(Flugschriften) und politischer Reformtraktatediskutiert wurde33, während man die bürgerlicheAufklärung eng mit der Wissenskultur derBibliotheken und gedruckten Zeitschriften verband.34

Die strenge Trennung der sozialen Schichten undStände sowie der oft damit assoziiertenkonfessionellen Gruppen (Adel – katholisch, Bürger –evangelisch) geht aber an der Wirklichkeit vorbei.Der protestantische Adel der Provinz, wie dieFamilie Wejher, die bis in das 18. Jahrhundertzweisprachig blieb, sowie die Krokowski-Familiebesuchten zusammen mit Bürgersöhnen die städtischen32 Die Forschungen Jerzy Dygdałas sind hier von zentraler

Bedeutung (wie Anm. 13, 23 und 27).33 Beispiele dafür liefern Kazimierz Maliszewski. Obraz świata i

Rzeczypospolitej w polskich gazetach rękopiśmiennych z okresu póżnego baroku.Studium z dziejów kształtowania się i rozpowszechnania sarmackich stereotypów wiedzyi informacji o ‘theatrum mundi’ [Das Weltbild und das Bild derRzesczpospolita in polnischen handschriftlichen Zeitungen aus derZeit des späten Barocks. Geschichtsstudien über die Herausbildungund Verbreitung sarmatischer Wissensstereotypen und Informationenüber das ‚theatrum mundi’]. Toruń 1990; Monika Wyszomirska. „Samio sobie. Reformatorzy doby Augusta III Sasa w świetle własnychopinii [Über sich selbst. Die Reformatoren der Zeit Augusts III.des Sachsen im Lichte eigener Ansichten]”. Staropolski ogląd świata –problem inności [Altpolnische Weltansichten – das Problem derAndersartigkeit]. Hg. Filip Wolański. Toruń 2007. S. 219-231; undJerzy Łukowski. „Political Ideas among the Polish Nobility in theEighteenth Century (to 1788)”. Slavonic and East European Review 82. Nr.1 (2004). S. 1-26.

34 Typisch dafür die Werke von Stanisław Salmonowicz zurBürgerkultur der Provinz: siehe seinen Beitrag zur Historia ToruniaII. Nr. 3. S. 299-393; ähnlich Maria Dunajówna. „PierwszeToruńskie Czasopisma Naukowe w XVIII w. Das Gelahrte Preußen[Erste Thorner wissenschaftliche Zeitschriften im 18.Jahrhundert. Das Gelahrte Preußen]”. Księga Pamiątkowa 400-leciaToruńskiego Gimnazjum Akademickiego XVI-XVIII wieku [Gedenkbuch zum 400.Jahrestag des Thorner akademischen Gymnasiums des 16.-18.Jahrhunderts]. Hg. Zbigniew Zdrójkowski. Toruń 1972. S. 240-281;die Arbeit von Heinz Lemke, die eine Verbindung zwischen derstädtischen Gelehrtenkultur und der Adelswelt herstellte (DieBrüder Załuski und ihre Beziehungen zu Gelehrten in Deutschland und Danzig. Studienzur polnischen Frühaufklärung. Berlin/Ost 1958) blieb lange Zeit eineAusnahme.

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Gymnasien, während die erfolgreichsten Konkurrentenum den Magnatenstatus im königlichen Preußen, diePrzebendowski, zu Beginn des 18. Jahrhunderts zumKatholizismus konvertierten und ihre Söhne zusammenmit Bürgersöhnen am Jesuitenkolleg in Altschottlandbei Danzig ausbilden ließen (was sie aber nichtdaran hinderte, in die preußisch-sächsiche,protestantische Generalsfamilie Flemmingeinzuheiraten).35

Auch Poesiealben und Stammbücher belegen engeKontakte zwischen bürgerlichen und adeligen Kreisender Provinz, die sich gelegentlich nach Ende desgemeinsamen Studienaufenthalts in einer politischenZusammenarbeit fortsetzten. Als eine dervermögendsten und einflussreichsten Elitefamiliendes königlichen Preußen und als Anhänger derReformpartei der Czartoryski Familia warben diePrzebendowski erfolgreich um die Untersützung derprovinziellen Stände und Städte für die WahlStanisław Poniatowskis. Im Gegensatz dazu schlugensich Teile der protestantischen Eliteneinschließlich der Stadt Thorn auf die Seite derköniglich-preußischen Patriotenpartei, die dieReformeinflüsse der Czartoryski Familia in der Provinzbekämpfte. Die politische Trennline ging durchadelige und bürgerliche Reihen gleichermaßen. Einerder bedeutendsten Vertreter der Przebendowski,Ignacy, machte nicht nur Karriere in der Provinz,sondern diente nach Verlust seiner Territorien durchdie erste Teilung Polens auch in der Reorganisationder Finanzen der Rzeczpospolita und saß in derKommission für Nationalen Erziehung. Auch andereErrungenschaften zeigen Ignacy Przebendowski alsAnhänger von Aufklärungsgedanken: seine vierjährigeTochter ließ er gegen die Blattern impfen, und inseinen Territorien gründete er Gemeindeschulen,stiftete mehrere Stipendien für Bürger- und

35 Hans-Jürgen Bömelburg, „Grenzgesellschaft und mehrfache Loyalitäten. Die brandenburg-preußisch-polnische Grenze 1656-1772“, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 55 (2006), S. 71.

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Bauernsöhne und organisierte Wohlfahrtskassen.36 InThorn dagegen scheiterte zu Beginn des 18.Jahrhunderts der Versuch, einen menschlichenLeichnam im Namen der Wissenschaft öffentlich zusezieren, am Widerstand der lutherischen Kirche undStadtregierung, obwohl solch ein Experiment inDanzig schon 1613 durchgeführt worden war.37 Alleindaran ist erkennbar, wie irreführend es wäre, alleinprotestantische, ,deutsche’ oder bürgerliche Kreiseder preußischen Provinz mit der Aufklärung inVerbindung zu bringen.

In katholischen Adelskreisen der Provinz waren,ähnlich der Situation in Kronpolen, die Träger derAufklärung hauptsächlich die Bischöfe. Allen voranstand hier Adam Stanisław Grabowski (1698-1766),Bischof von Kulm, Kujawien und dann des Ermlands.Zuerst Schüler des eher durchschnittlichenJesuitengymnasiums in Konitz wechselte er bald aufdas Kolleg in Thorn, wo auch Philosophie,Mathematik, Physik und Theologie gelehrt wurden,womit es jedenfalls zum Teil mit dem AkademischenGymnasium der Stadt rivalisierte. In seinerUntersuchung des polnischen Episkopats und speziellder Warschauer Aufklärungskultur stellte StanisławRoszak vor einiger Zeit die Frage, ob der sogenannte‚aufgeklärte Sarmatismus’ der Adelskultur überhauptder europäischen Aufklärung zugeteilt werden könne.‚Sarmatische’ Charakteristika schlossen nach seinerDefinition den Glauben an die Superiorität derpolnisch-litauischen Verfassung und ihresFreiheitsbegriffs, an Gottes besonderen Schutz fürdie Rzeczpospolita sowie ein ausgeprägtes, an dieeigene Familie und die Vorfahren geknüpftesGeschichtsbewusstsein ein. Diese Werte trafen abergerade seit den 1730er Jahren immer deutlicher auf

36 Jerzy Dygdała. „Przebendowscy – osiemnastowieczni magnaci wPrusach Królewskich [Die Przebendowski– die Hochadeligen inKöniglich Preußen im 18. Jahrhundert]“. Najstarsze Dzieje Wejherowa[Die älteste Geschichte von Neustadt in Westpreußen]. Hg. ReginaOsowicka. Wejherowo 1988. S. 86.

37 Włodzimierz Zientara. Gottfried Lengnich. Ein Danziger Historiker in der Zeitder Aufklärung. 2 Bde. Toruń 1995/1996. Teil I. S. 50; Historia NaukiPolskiej [Geschichte der polnischen Wissenschaft]. Bd. 2. Hg. BodganSuchodolski. Wrocław, Warszawa [u.a.] 1970.S. 145f.

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aufklärerische Ideen, die sich zum Teil mit dersarmatischen Kultur verbanden, oft aber auch mitihren Vorstellungen kollidierten.38 Ausschlaggebendist hier, dass eben nicht nur der polnische, sondernauch der königlich-preußische Adel, darüber hinausder Klerus und auch die Bürgereliten in derpreußischen Provinz sich diesen Ideen, die sie ihrenpolitischen und kulturellen Bedürfnissen anpassten,für ihre eigenen Zwecke anschlossen und zuverschiedenen, oft widersprüchlichen Ergebnissenkamen.

Das geschah einerseits durch enge persönlicheKontakte zwischen den Kultureliten im königlichenPreußen und in Polen. Bischof Grabowski ist hier eingutes Beispiel, da er sich, aus dem königlichenPreußen stammend, einem neuen kosmopolitischen undder Aufklärung zugewandten Teil des Episkopatsanschloss, dem in Polen auch die Brüder Załuski undIgnacy Krasicki – letzterer Grabowskis Nachfolger imAmt des ermländischen Bischofs – angehörten. Ausdem Bürgertum muss hier Gottfried Lengnich genanntwerden, der Danziger Syndikus, der in Halle beiChristian Thomasius und Christian Wolff studierthatte und der die Forderung nach Autonomie seinerProvinz und der Bewahrung ihrer alten Freiheiten inzahlreichen Traktaten und Geschichtswerken, vorallem in seiner neunbändigen Geschichte der preussischenLande königlich-polnischen Antheils39, aus einer spezifischDanziger Perspektive verteidigte. Grabowki undLengnich waren stark in den historischen undpolitischen Traditionen ihrer Provinz und despolnisch-litauischen Kontexts verwurzelt, wasStanisław Roszak auch in den intellektuellenStrömungen der Warschauer Aufklärung beobachtete undfolglich zu dem Schluss kam, dass „[man] die Quellen

38 Stanisław Roszak. „Politik und Mäzenatentum. Einstellungenund Verhaltensweisen der polnischen Bischöfe angesichts derkulturellen und politischen Wandlungen unter August dem Starkenund August III“. Die Konstruktion der Vergangenheit: Geschichtsdenken,Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa,Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 29 (2002). Hg. JoachimBahlcke. S. 323-343.

39 Geschichte der preussischen Lande Königlich-polnischen Antheils. 9 Bde.Danzig 1722-1755.

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der Erneuerung des intellektuellen Lebens [währendder Sachsenzeit] vor allem auf heimatlichem Bodensuchen [muss]“.40 Die Impulse dafür gingen, in einerZeit allgemein voranschreitender Dezentralisierung,vor allem von den provinziellen Eliten aus.

Grabowski, der polnisch-, deutsch- undfranzösischsprachig aufwuchs, und dessen Mutter eineprotestantische von Kleist war, gewann dieProtektion beider Sachsenkönige und avancierte 1741als Indigena des königlichen Preußen auf deneinkömmlichen Bischofssitz des Ermlandes, residierteaber weiterhin, nicht zuletzt aufgrund seinerkulturellen und intellektuellen Interessen undVerbindungen, in Warschau. In der Provinz baute erjedoch eine reiche Bibliothek im Heilsberger Palastauf, die die Werke Leibniz’, Descartes’ und Wolffsenthielt, und stiftete zahlreiche Stipendien für denverarmten Adel und für Bürgersöhne, da er sichbesonders um die Stärkung der städtischenWirtschafts- und Kulturkräfte der Provinz sorgte.Gleichzeitig wirkte er auch auf eine Modernisierungund Reformierung der Agrarwirtschaft im Ermlandaufgrund physiokratischer Ideen und setzte sich fürdie Integrität der preußischen Provinz, und inbesonderem Maße den Schutz Elbings gegen diePfandforderungen des nachbarlichen Preußens ein. ImKonflikt zwischen der Patriotenpartei und denAnhängern der Familia verhielt er sich neutral. ImStreit mit den Jesuiten und Dominikanern, diescholastische Traditionen verteidigten, förderte erden Piaristen Antoni Wiśniewski, der für dienaturrechtliche Philosophie der Frühaufklärung unddie Einführung der Physik als Lehrfachargumentierte, und dessen Werke Grabowski auf eigeneKosten in Elbing drucken ließ.41 Andere gelehrtePiaristen, zum Teil aus Italien, fanden ebenfallsdurch Grabowskis Mäzenatentum Unterstützung. Enge

40 Stanisław Roszak. Środowisko intelektualne i artystyczne Warszawy w połowieXVIII w. Między kulturą Sarmatyzmu i oświecenia [Das intellektuelle undkünstlerische Umfeld Warschaus in der Mitte des 18. Jahrhunderts.Zwischen der sarmatischen Kultur und der Aufklärung]. Warszawa2000. S. 154ff.

41 Dygdała. Adam Stanisław Grabowski (wie Anm. 13). S. 123.

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Kontakte verbanden ihn auch mit dem Leiter derZałuskischen Bibliothek in Warschau, demProtestanten Johann Daniel Jaenisch (Janocki), dersich darum bemühte, negative Urteile und Stereotypedeutscher Gelehrter über die polnische Kultur desfrühen 18. Jahrhunderts zu korrigieren.42 Schließlichwirkte der Bischof auch selbst als Autorkunsthistorischer Untersuchungen auf dem Gebiet derIkonographie. Hier wird deutlich, dass, demErklärungsmodell Roszaks folgend, tatsächlich diezentrale Aufklärungskultur Polens durch dieTätigkeit in und aus der Provinz geschaffen undgefördert wurde, aber auch wiederum auf die Provinzzurückstrahlte.

Grabowskis Wertvorstellungen waren andererseitsder Welt des ‚aufgeklärten Sarmatismus’ verhaftet:die Verteidigung der Steuerfreiheit des Klerusverband er mit der Forderung nach einer starken undunabhängigen Stellung der katholischen Kirche, dieer für den Erhalt der Adelsrepublik und ihrerPrivilegien notwendig erachtete. Er folgte demTraditionskult, den die sarmatische Kultur derehrgeizigen Förderung der eigenen Familie und demBewusstsein um den Platz der Familie in derGeschichte der Republik zumaß – doch war dies kaumein Vorrecht, das nur die Polen, sondern das derAdel in ganz Europa einforderte. Dafür unterstützteGrabowski die Reformpläne, die der Königshof für dieRepublik vorsah – die Erweiterung des Heeres, dieBeschränkung des liberum veto (an StanisławPoniatowski, den Vater des späteren Königs, schrieber „et dieu merci je l'emporte à la pluralité dessuffrages“43) und Reformen, die den Sejm in eineffektiveres Beratungsorgan verwandeln und an denlokalen Gerichten mehr Gerechtigkeit für dieSchwächeren durchsetzen sollten. Mit dem Piaristen

42 Zofja Birkenmajerowa. Z młodzieńczych lat Jana Daniela Janockiego:przyczynek do dziejów kultury polskiej w epoce saskiej [Aus den Jugendjahren desJan Daniel Janocki: Beitrag zur polnischen Kulturgeschichte inder Sachsenzeit.]. Bd. 4. Prace Komisji Historycznej TowarzystwaPrzyjaciół Nauk w Poznaniu. Poznań 1925. Zu Janocki auch: Lemke.Die Brüder Załuski (wie Anm. 33). S. 74-89.

43 Dygdała. Adam Stanisław Grabowski (wie Anm.13). S. 145.

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Stanisław Konarski verband ihn nicht nur einepersönliche Freundschaft, sondern auch seineUnterstützung für die Reformpläne, wie sie Konarskiin O skutecznym rad sposobie [Über das EffektiveFunktionieren der Räte] formulierte.44 Damit trittGrabowski als Repräsentant einer in der königlich-preußischen Provinz praktiziertenAufklärungsbewegung hervor, die mit derAufklärungskultur Polens und besonders ihrerWarschauer Version deutlich vernetzt war.Gleichzeitig war Grabowski auch für das aufgeklärteEpiskopat repräsentativ, das sich unter derHerrschaft Augusts III. herausbildete und später inder Mehrheit die Reformpläne der aufgeklärtenRegierung Stanisław August Poniatowskis mittrug.

Eine andere provinzielle Perspektive zurpolnischen Aufklärung, allerdings für denbürgerlichen Stand, vermittelt uns der DanzigerSyndikus Gottfried Lengnich (1689-1774), derzusammen mit anderen Professoren des AkademischenGymnasiums, etwa Gottlieb Wernsdorff, dem Mitgliedder Danziger naturforschenden Gesellschaft MichaelHanow sowie den Leitern des Jesuitenkollegs inAltschottland intensive Kontakte mit WarschauerKreisen pflegte. Lengnich nahm am regen Austauschvon Büchern und neuen Zeitschriften teil, die damalsauf den Markt kamen und eine weitere Öffentlichkeitansprachen als die bisher meist handschriftlichverbreiteten Zeitschriften, deren Bedeutung aberauch nicht unterschätzt werden sollte. DieZusammenarbeit von Druckereien, diewissenschaftliche Kooperation, der Austausch und dieWeitergabe von Schülern sowie gemeinsamePublikationen – all das charakterisierte dieSymbiose von Provinz und Zentrum, wobei dieprovinzielle Peripherie selbst zum kulturellenZentrum wurde.

Lengnichs Werke selbst fanden sich in Grabowskisbischöflicher Bibliothek. Durch den AufenthaltGrabowskis in Danzig zur Schlichtung derStreitigkeiten zwischen den Gewerken und dem44 Ebd. S. 145ff.

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Magistrat Ende der 1740er Jahre lernte der Bischofden Danziger Gelehrten näher kennen und schätzen undzeigte ihm seine Bibliothek, in der Lengnich dieChronik des Gallus Anonymus in handschriftlicherKopie entdeckte und sie zum ersten Mal im Druckherausgab. Das demonstriert das Interesse Lengnichsnicht nur an der Landesgeschichte und denPrivilegien königlich Preußens, sondern auch an denUrsprüngen und der Vergangenheit Polens.45 Einerseitswar Lengnichs Interesse am Staatsrecht gespeist vonden naturrechtlichen Lehren, denen er während seinesStudiums in Halle begegnet war, andererseits bewegteer sich aber ganz in der sarmatischen Tradition derFreiheitsideologie, d.h. in der Praxis, ständischeInteressen mit historischen und juristischenArgumenten gegen Vertrags- und Privilegienbrücheabzusichern.

Inspiriert von Andrzej Chryzostom Załuski, demermländischen Bischof, der in seinen Epistolae Historico-familiares46 schon zu Beginn des Jahrhunderts auf dienaturrechtlichen Lehren Grotius’ und PufendorfsBezug nahm, begann Lengnich seine Historikerkarrieremit der periodisch geplanten, aber nur in zweiTeilen erschienenen Polnischen Bibliothek47, worin er dasLeben und die Werke Załuskis würdigte und dievorbildhafte Rolle der Epistolae für seine eigene, 1722begonnene Geschichte der preussischen Lande königlich-polnischenAntheils betonte. Es war schließlich auch ein Załuski,der Krongroßkanzler Andrzej Stanisław, der Lengnichzur Abfassung eines Werks über dieverfassungsrechtliche Institution der Konföderationin Polen bewog und der Lengnichs reformpolitische

45 Siehe dazu ausführlicher Karin Friedrich. The Other Prussia. Poland,Prussia and Liberty, 1569-1772. Cambridge 2000. S. 189-216; auch dies.„The Urban Enlightnment in eighteenth-century Royal Prussia”. LaRecherche dix-huitièmiste (wie Anm. 19). S. 11-29.

46 Brunsbergae 1709-1711. 47 Polnische Bibliothec welche von Büchern und anderen zur polnischen Historie

dienenden Sachen ausführlich Nachricht giebt. Erstes Stück, Tannenberg, wo VladislausJagiello die Creutz-Herren schlug: [Danzig] 1718. Mit fingiertemPublikationsort ist diese kurzlebige Zeitschrift zunächst der vonNikolaus Hieronymus Gundling herausgegebenen HalleschenBibliothek nachempfunden, an der Lengnich während seines Studiumsin Halle mitarbeitete.

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Perspektive teilte.48 Das Interesse an der VerfassungPolen-Litauens, ihren Unzulänglichkeiten, aber auchihren Stärken, war ein weitverbreitetes Thema unterden Historikern und Staatsrechtlern der preußischenStädte. Neben Lengnichs Geschichte Polens und seinemIus publicum Regni Poloniae49 sowie seiner Analyse der PactaConventa erschienen auch Traktate zum Senat, demInterregnum, der Monarchie und zu vielen anderenAspekten, verfasst von den Thornern Georg PeterSchulz und Jakob Heinrich Zernecke, den ElbingernSamuel Grüttner, Jakub Wójt und David Braun, demDanziger Carl Friedrich Gralath und vielen anderen.Zum Teil noch in der barocken polyhistorischenTradition verwurzelt, verteidigten diese politischenSchriftsteller vor allem durch staats- undnaturrechtliche Argumente die Sonderstellung derProvinz gegen die institutionelle und zum guten Teilauch kulturelle Zentralisierung, die polnischeAufklärer und Reformer für das Gemeinwesen dergesamten Republik, einschließlich all ihrerProvinzen, forderten.

Im Gegensatz zu vielen polnischen Traktaten überden niemals zu hoch zu schätzenden Wert derFreiheit, den die Polen als von der Natur und Gottgegeben betrachteten50, waren sich die Bürger in derköniglich-preußischen Provinz über den Ursprungihrer Freiheiten wohl bewusst: ihre Vorfahren hattendiese seit dem Inkorporationsakt von 1454 von derpolnischen Krone erhalten und sie seitdem beschütztund vor allen Anfechtungen bewahrt, auch wenn dieVersionen des historischen Diskurses zu dem Themazunehmend von der Generierung verschiedenerhistorischer und rechtlicher Mythen geprägt waren.51

Als der Thorner Bürgermeister, Samuel Luther Geret,1767 zur Gründung der Thorner Konföderation der48 Lemke. Die Brüder Załuski (wie Anm. 33). S. 178.49 Gedani 1765-1766.50 Grześkowiak-Krwawicz. Regina Libertas (wie Anm. 15). S. 72f.51 Eine gute Zusammenfassung dieser Argumente bei Curicke,

Hartknoch und Lengnich gibt Michael G. Müller, „‚Die auffeyerlichen Vergleich gegründete Landes-Einrichtung’. StädtischeGeschichtsschreibung und landständische Identität im KöniglichenPreußen im 17. und frühen 18. Jahrhundert“. Die Konstruktion derVergangenheit (wie Anm. 36). S. 265-280.

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Dissidenten an den Verwalter der marienburgischenÖkonomie und Sejm-Abgesandten, Walerian Piwnicki,schrieb, wenn er (Piwnicki) es schaffe, dieBeschwerden der Dissidenten vom Sejm rektifizierenzu lassen, dann wäre er ebenfalls ein preußischerHeld, wie es die Vorfahren von Baysen, Zehmen undDziałyński waren52, so bediente er sich derselbenMethode wie Szymon Starowolski in seinerSarmatischen Heldengalerie. Hier wie dort werden diefür die Bewahrung der Freiheit und des Vaterlandestapfersten Verteidiger aufgereiht: Ganz wie diepolnischen Republikaner darauf hinwiesen, dass nurihre Wachsamkeit und die Einhaltung der alten Rechtedie Unverbrüchlichkeit der sarmatischen Freiheitgarantieren konnten, so betonten auch die königlich-preußischen Gelehrten und Ratseliten, dass nur siedie letzten Garanten der Freiheit der Preußendarstellten. Der Unterschied zur polnischenArgumentation lag darin, dass sich diese Freiheitschon immer auch auf den Bürgerstand und die Städtebezog, wo sie oft mit Adelsprivilegien in Konflikttrat. Miloš Řezník stellt in seiner Analyse desstädtischen Patriotismus und des Geschichtsdenkensder Provinz deshalb den antireformerischen Charakterder königlich-preußischen Stände und besonders derStädte in den Mittelpunkt.53 Dies bestätigt abergleichzeitig die von Roszak betonte Kohabitation despolitischen Konservatismus mit aufklärerischerKulturoffenheit und deren Vermischung imaufgeklärten Sarmatismus, denn Aufklärer, die sichwissenschaftlich interessierten, eine Trennung vonStaat und Kirche befürworteten und wirtschaftlicheund soziale Reformen anstrebten, gab es auch unter

52 „inter heroes, patriae nostrae antiquissimos, numerareris &pariter uti iidem, immortale nomen usque ad finem mundi TIBIcomparares, qui sunt: Baysenii, Zehmenii, & Dzialinii“. S.L.Geret. Vox Pruthenorum ad Illust. atq. excell. dominum dominum ValerianumPiwnicki, ensiferum Terrarum Prussiae generalem inclytae commissionis Thesauri RegniAssessorem hoc tempore nuncium terrarum Prussiae in comitiis extraordinariis regni etdelegatum ex his comitiis ad tractatum sub garantia sereniss. imperatricis Russiaeconscribendum. [o.O.] 1767. S. 6.

53 Miloš Řezník. „Patriotismus und Identität in Westpreußen“.Patriotismus und Nationenbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches. Hg.Otto Dann/Miroslav Hroch/Johannes Koll. Köln 2003 (= Kölner Beiträgezur Nationsforschung. Bd. 9). S. 235-252.

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den Verteidigern der ständischen und provinziellenFreiheiten.

Im Kontext der polnischen Geschichte allgemein undder Landesgeschichte im Besonderen war es deshalbein wichtiger Schritt, die in der traditionellenHistoriographie verbreitete stereotypeKontrastierung der ‚unaufgeklärten’, in derVergangenheit und im Obskurantismus verharrendenSachsenzeit (bis 1763) mit der ‚aufgeklärten’Reformperiode der Regierung Stanisław AugustPoniatowskis aufzugeben oder jedenfalls zukorrigieren. Was dieses dualistische Bild, das HugoKołłątaj als Apologet des letzten Monarchen Polenszuerst in der Zeitschrift Monitor schuf, übersieht,sind die provinziellen Sonderentwicklungen, die sichfern vom politischen Zentrum Warschau und außerhalbkatholischer Aufklärerkreise abspielten.

Im benachbarten brandenburgisch-preußischen Staatübernahm diese reformierende Rolle vor allem derPietismus, der auch auf das königlich-polnischePreußen ausstrahlte, doch ist es schwer,detaillierte Studien zum Pietismus zu finden, dersich weniger in Danzig, jedoch besonders 1710 bis1730 in Thorn ausbreitete, gerade auch in derpolnischsprachigen protestantischenStadtbevölkerung. Wie auf die Natur- undStaatsrechtsschule der Gymnasien wirkte auf dieköniglich-preußische Provinz hier vor allem Halleein, wo mit August Francke und Jakob Spener diepietistische Bewegung begonnen hatte. In Thorn undDanzig arbeiteten lange Jahre der Spener-SchülerPaul Pater und mehrere Pietisten aus Königsberg, dievor allem auf die Jugend in den akademischenGymnasien Eindruck machten, besonders unter dem fürden Pietismus aufgeschlossenen Direktor in Thorn,Peter Jaenichen, und dem antiklerikalen Prorektorund Naturrechtler Georg Peter Schultz. Die beidenaktivsten pietistischen Gelehrten, der schlesischePrediger und Arzt Johann Friedrich Bachstrom und derMathematiker Johann Arndt, gestalteten ab 1718 dasThorner Gymnasium und seine gelehrten Kreisekurzfristig in ein lokales Zentrum für den Pietismus

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um. Im Gegensatz zu Danzig gehörten in Thornvereinzelt auch Bürgermeister und Räte dieserBewegung an. Schon während der Reformation, als dieköniglich-preußischen Städte dem MelanchthonschenModell des Protestantismus gefolgt waren, lehntendie städtischen Eliten auch jetzt jeden Radikalismusab, vor allem wenn er von außen importiert wurde.Allerdings ist es bezeichnend, dass dieReformbewegung aus der Provinz in die Hauptstadtabzog: Am Ende musste Bachstrom, der bestrebt war,radikal pietistische Zirkel in der Stadt zuorganisieren, Thorn verlassen; da er selbst denHalleschen Pietisten als zu radikal galt, zog erweiter nach Warschau, wo er Prediger derbrandenburgisch-preußischen Vertretung wurde.54 ZumTeil heizte auch der Protest der Thorner Jesuitengegen die pietistische Öffentlichkeitswirkung in derStadt religiöse Spannungen weiter an, und das wenigeJahre vor dem berüchtigten Thorner Tumult von 1724,den Bachstrom mit den Worten quittierte: „MeineGegner hat’s getroffen“.55 Allerdings nahm er selbstauch kein gutes Ende: Er starb 1742, auf dieInitiative von Jesuiten eingekerkert, in einemRadziwillschen Gefängnis.

Es ist diskutabel, ob der Pietismus mit derAufklärung in direkter Verbindung stand, doch kannman sich darauf einigen, dass er zumindest dieBildung unterer Bevölkerungsschichten anhob. Erzielte zudem darauf ab, die Sitten und dieSittlichkeit zu verbessern – ein typisches Zielvieler europäischer Aufklärer – und besaßgleichzeitig einen antiklerikalen Zug, vor allemgegenüber der orthodoxen Versioninstitutionalisierten Luthertums. Durchutilitaristische Ausformungen, reflektiert in derRolle des Halleschen Waisenhauses oder als Religion

54 Józef Gierowski. „Pietyzm na ziemiach polskich [Pietismus inden polnischen Territorien]”. Sobótka. Śląski Kwartalnik Historyczny[Sobótka. Schlesische historische Quartalsschrift] 27. Nr. 2(1972). S. 242.

55 Ebd. S. 257; siehe auch Stanisław Salmonowicz. W staropolskimToruniu [Im altpolnischen Thorn]. Toruń 2005. S. 62-73.

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der Militärseelsorger Preußens56, entwickelte sichder Pietismus im Hohenzollernschen Preußen quasi zurstaatsbildenden Kraft. In Königsberg konzentriertesich der Pietismus auch auf die Ausbildung vonPredigern in polnischer und litauischer Sprache, diein den Provinzen der Rzeczpospolita, aber auch inSchlesien wirken konnten. Die Königsberger Pietistengaben 1726 und 1738 zwei Bibeleditionen inpolnischer Sprache heraus, was die orthodoxenLutheraner in Polen bewog, mit einer eigenen neuenpolnischen Edition prompt zu folgen.57 Dabei wird inden Schriften der polnischen Prediger wiederum dasAnliegen der Aufklärer deutlich, die polnischeSprache von barocken Makkaronismen zu reinigen.

In diesem Sinne nannte Józef Gierowski die inPolen wirkenden Pietisten Vorläufer der Aufklärung.Als Lengnich in Halle studierte, waren es nicht mehrdie Pietisten, sondern die Staatsrechtler undWolffianer, die ihn beeindruckten. Dennoch kann manLengnich nicht eindeutig zu den Aufklärern zählen.Wenn seit den 1760er Jahren die Aufklärung in ihrensozialreformerischen als auch moral- undstaatsphilosophischen Ausprägungen in Polen derköniglich-preußischen Variante den Rang ablief, sowar dies der Erfolg eines aus dezentralisiertenStrukturen entstandenen langen Prozesses, gespeistaus verschiedenen europäischen Aufklärungsvarianten.Der polnischen Aufklärung verhalf am Ende dieGelehrsamkeit einer Adels- und Bürgerelite, aberauch der resolute politische Wille des letztenKönigs von Polen, in der Maiverfassung 1791 zurvollen Blüte.58

***Abstract

56 Zuletzt Benjamin Marschke. Absolutely Pietist. Patronage, Factionalism,and State-Building in the Early Eighteenth-Century Prussian Army Chaplaincy.Tübingen 2005.

57 Gierowski. „Pietyzm na ziemiach polskich” (wie Anm. 52). S.255.

58 Siehe dazu Richard Butterwick. „Political Discourses of thePolish Revolution, 1788-1792”. English Historical Review 120 (2005). S.695-731.

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Für die traditionelle Historiographie zu denpolnisch-preußischen Beziehungen stand das 18.Jahrhundert ganz im Zeichen der Teilungen Polens unddes wachsenden Einflusses der ambitioniertenfriderizianisch-preußischen Politik auf dieköniglich-preußische Provinz unter der polnischenKrone. Dabei wurde oft übersehen, welche Impulseauch noch im Zeitalter der Aufklärung von derpolitischen und intellektuellen Kultur Polens aufdas Königliche Preußen einwirkten – nicht nur aufdas flache Land und den Adel, sondern auch auf diedrei großen Städte Danzig, Thorn und Elbing mitihrem großen Anteil deutschsprachiger Stadtbürger.Viele der seit den 1720er Jahren ins KöniglichePreußen neu zugezogenen Siedler, vor allem auch ausGebieten des Heiligen Römischen Reichs, passten sichder auch in den Städten weit verbreitetenZweisprachigkeit an. Der Beitrag geht auf mehrereSchlüsselpersonen und -momente der Danziger, Thornerund königlich-preußischen Aufklärung ein und stelltdiese in den Kontext polnischer, deutscher undlokaler Aufklärungsbewegungen.

‘Between East and West’. Culture and politics inthe Prussian lands during the Enlightenment [bitte so lassen – ist am elegantesten: 'age of'– siehe unten- ist etwas hölzern]

In traditional historiography on Polish-Prussianrelations, the eighteenth century was dominated bythe partitions of Poland and the growing influenceof King Frederick II of Prussia's politicalhankering after the Royal Prussian province underthe Polish Crown. In doing so, the impulsesemanating from the political and intellectualculture of Poland that influenced Royal Prussiaduring the Enlightenment are often overlooked –influences not only on the countryside and the

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nobility, but also on the three large cities ofDanzig, Thorn and Elbing with their large groups ofGerman-speaking burghers. Many new settlers hadmoved into in Royal Prussia since the 1720s,especially from the territories of the Holy RomanEmpire, and adapted to the extensive bilingualism,which was also widespread in the cities. This essayfocuses on several key figures and moments of theRoyal Prussian Enlightenment, and contextualisesthem within Polish, German and local enlightenmentmovements.

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