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Michaela Mataln Von der Hoffnung zur Revolution Eine Analyse des Affekts der Hoffnung in der Filmreihe "The Hunger Games" MASTERARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts Studium: Masterstudium Medien, Kommunikation und Kultur Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Begutachterin Ao.Univ.-Prof. Dr. Brigitte Hipfl Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft Klagenfurt, April 2019

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Michaela Mataln

Von der Hoffnung zur Revolution

Eine Analyse des Affekts der Hoffnung in der Filmreihe "The Hunger Games"

MASTERARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Arts

Studium: Masterstudium Medien, Kommunikation und Kultur

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Begutachterin Ao.Univ.-Prof. Dr. Brigitte Hipfl Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft

Klagenfurt, April 2019

i

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich

- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als

die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe,

- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließ-

lich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe,

- die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinnge-

mäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der In-

formation durch möglichst exakte Quellenangaben (z. B. in Fußnoten) ersichtlich ge-

macht habe,

- die Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt

habe und

- bei der Weitergabe jedes Exemplars (z. B. in gebundener, gedruckter oder digitaler

Form) der wissenschaftlichen Arbeit sicherstelle, dass diese mit der eingereichten digi-

talen Version übereinstimmt.

Mir ist bekannt, dass die digitale Version der eingereichten wissenschaftlichen Arbeit zur Pla-

giatskontrolle herangezogen wird.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

Michaela Mataln e. h. Greifenburg, April 2019

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ........................................................................................................................................ 1

2 Theoretische Verortung ................................................................................................................... 5

2.1 Zum Affekt-Begriff ................................................................................................................. 5

2.1.1 Vom „affective turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften .................................... 6

2.1.2 Die Potenzialität von Affekten ........................................................................................ 9

2.1.3 Zur Relevanz von Analysen der Affekteffekte .............................................................. 11

2.1.4 Die „affektive Arbeit“ von Medien ............................................................................... 16

2.1.5 Affekte in der Lehre von Benedictus de Spinoza .......................................................... 21

2.1.5.1 Affekte, Leidenschaften und die Rolle der Substanz................................................. 22

2.1.5.2 Hoffnung und Furcht als Leidenschaften .................................................................. 25

2.1.6 Emotionen und ihre affektive Wirkung bei Sara Ahmed .............................................. 28

2.1.6.1 „What do emotions do?“ .......................................................................................... 28

2.1.6.2 „Accumulation of affective value“ ............................................................................ 31

2.1.6.3 Re- und Desorganisation von Raum und Körpern über Furcht und Hass ................. 33

2.1.7 Die affizierenden Effekte mediatisierter Körper zugunsten politischer Veränderungen ......... 36

2.2 Die Hoffnung – ein historischer Exkurs ................................................................................ 41

2.2.1 „Elpis“ als Erwartung in der griechischen Antike ......................................................... 41

2.2.2 Hoffnung und Furcht als „spes“ in der römischen Antike ............................................. 46

2.3 Hoffnung als Triebkraft von Veränderung ............................................................................ 49

2.3.1 Hoffnung als menschliche Fähigkeit, die Zukunft erstrebend zu gestalten ................... 49

2.3.2 Die Hoffnung als Prinzip bei Ernst Bloch ..................................................................... 55

3 „The Hunger Games“-Filmreihe ................................................................................................... 61

3.1 Allgemeines und Plot der Geschichte .................................................................................... 61

3.2 Kontextuale Verortung im Genre der „Teenager-Dystopie“ ................................................. 67

3.3 Stand der Forschung .............................................................................................................. 71

3.4 Analyse .................................................................................................................................. 78

3.4.1 Die mediale(n) Gestalt(en) von Katniss Everdeen ........................................................ 78

3.4.1.1 „Das Mädchen, das in Flammen steht“ ..................................................................... 78

3.4.1.2 Der „Spotttölpel“ ....................................................................................................... 86

3.4.1.2.1 Die Geburt des Spotttölpels ................................................................................. 87

3.4.1.2.2 Der Spotttölpel fängt Feuer ................................................................................. 92

3.4.1.2.3 Der Spotttölpel als Leitfigur der Rebellion ......................................................... 99

3.4.1.2.4 Der Spotttölpel obsiegt ...................................................................................... 108

3.4.1.3 Katniss & Peeta: „Das tragische Liebespaar“ .......................................................... 118

iii

3.4.2 Die Medienlandschaft Panems .................................................................................... 126

3.4.2.1 Propagandavideo des Kapitols ................................................................................ 126

3.4.2.2 Die Hungerspiele als Medienereignis ...................................................................... 129

3.5 Interpretation ....................................................................................................................... 135

3.5.1 Katniss als Hoffnungsträgerin ..................................................................................... 135

3.5.2 Die affektive Macht der Medien Panems .................................................................... 148

3.5.3 Soziale Schieflage als Urgrund der Hoffnung ............................................................. 157

4 Fazit ............................................................................................................................................. 162

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................. 166

Forschungsquellen ............................................................................................................................... 172

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Brennendes Finale bei der Parade (The Hunger Games 2012: 00:32:28) ....................... 79

Abbildung 2: Katniss' Kleid sprüht Funken (The Hunger Games 2012: 00:52:17) .............................. 80

Abbildung 3: "I volunteer!" (The Hunger Games: 2012: 00:15:43) ...................................................... 81

Abbildung 4: "I volunteer as tribute!" (The Hunger Games 2012: 00:15:47) ....................................... 81

Abbildung 5: Katniss meldet sich freiwillig (The Hunger Games 2012: 00:15:48) .............................. 81

Abbildung 6: Katniss bei Flickerman (The Hunger Games 2012: 00:53:28) ....................................... 82

Abbildung 7: Peeta bei Flickerman (The Hunger Games 2012: 00:54:31) .......................................... 82

Abbildung 8: Katniss‘ Kostüm fängt Feuer (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:01) ....... 84

Abbildung 9: Katniss & Peeta brennen (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:16) ............. 84

Abbildung 10: “There it is!” (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:11) .............................. 84

Abbildung 11: “Fire in the house!” (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:14) ................... 84

Abbildung 12: Katniss' Brautkleid entflammt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:08:30) ... 85

Abbildung 13: Spotttölpel-Brosche (The Hunger Games 2012: 01:01:20) ........................................... 88

Abbildung 14: Katniss beerdigt Rue (The Hunger Games 2012: 01:41:25) ......................................... 90

Abbildung 15: Katniss verabschiedet Rue (The Hunger Games 2012: 01:41:47) ................................ 90

Abbildung 16: Roter Spotttölpel (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:15:07) ....................... 92

Abbildung 17: Katniss betritt die Siegerparty (The Hunger Games Catching Fire: 2013: 00:24:34) ... 93

Abbildung 18: Das Spotttölpel-Plakat (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:29:38) ............... 94

Abbildung 19: Katniss stoppt Friedenswächter (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:13) . 95

Abbildung 20: Haymitch beschützt Katniss (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:31) ...... 95

Abbildung 21: Die Sieger schützen Gale (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:44) .......... 95

Abbildung 22: Das Spotttölpel-Kleid (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:08:45) ................ 96

Abbildung 23: Katniss zielt auf die Kuppel (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 02:07:52) ...... 98

Abbildung 24: Die Kuppel wird zerstört (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 02:08:09) ........... 98

Abbildung 25: “You burn with us!” (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:38) ...... 104

iv

Abbildung 26: Spotttölpel in Aktion (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:39) ..... 104

Abbildung 27: JOIN THE MOCKINGJAY (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:45) .. 104

Abbildung 28: JOIN THE FIGHT (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:49) .............. 104

Abbildung 29: Propo aus Distrikt 12 (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 01:13:03) ..... 107

Abbildung 30: Katniss wird zum Opfer (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:16:36) 110

Abbildung 31: “She’s mythic.” (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:29:17) ............. 112

Abbildung 32: Spotttölpel-Aufkleber (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:43:39) .... 113

Abbildung 33: Spotttölpel auf Säule (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:44:24) ..... 113

Abbildung 34: Spotttölpel auf Plakaten (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:45:01) 113

Abbildung 35: REMEMBER THE MOCKINGJAY (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015:

00:58:13) ............................................................................................................................................. 115

Abbildung 36: Katniss zielt auf Snow (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 01:51:17) ... 117

Abbildung 37: Katniss schießt auf Coin (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 01:51:31) 117

Abbildung 38: Nachtriegel in Händen (The Hunger Games 2012: 02:08:36)..................................... 120

Abbildung 39: Nachtriegel-Szene live übertragen (The Hunger Games 2012: 02:08:11) .................. 120

Abbildung 40: Das tragische Paar ist vereint (The Hunger Games 2012: 02:10:52 ........................... 121

Abbildung 41: Wahnsinnig verliebt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:12:21) ................ 122

Abbildung 42: Der Heiratsantrag (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:23:33) .................... 122

Abbildung 43: Das Publikum ist entsetzt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:48) ........ 123

Abbildung 44: Das Publikum tobt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:49) ................... 123

Abbildung 45: Flickerman beschwichtigt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:51) ....... 124

Abbildung 46: Peetas Bombe ist geplatzt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:54) ........ 124

Abbildung 47: Tribute halten Hände (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:10:33) ............... 124

Abbildung 48: Atomkrieg und Tod im Propagandavideo (The Hunger Games 2012: 00:13:11) ....... 126

Abbildung 49: Mädchen warten ängstlich (The Hunger Games 2012: 00:14:18) ............................... 129

Abbildung 50: Spielmacher bei der Arbeit (The Hunger Games 2012: 01:03:05) .............................. 132

Abbildung 51: Flickerman verkündet Katniss‘ Evaluation (The Hunger Games 2012: 00:46:10) ..... 133

1

1 Einleitung Die Hoffnung

„[…] ist so etwas wie der Motor, der viele unserer Antriebe speist. Und selbst dann, wenn die Hoffnung einmal trügt, hat sie ihre Leistung im Dienste des Hoffenden schon erfüllt. Es darf nur nicht das Hoffen sein, das dem Wunschbild mehr Realität zubilligt als der Wahrscheinlich-keit; das Hoffen, das keine Taten weckt; das dumpfe, bequeme Hoffen, das uns versäumen läßt, was zu tun notwendig ist. Die Hoffnung kann mehr sein als Narrheit einfältiger Herzen, sie kann eine Kraft sein, die uns wandelt. Wir erleben täglich die Verkehrung der Freiheit. Und doch wird sie dadurch nicht unmöglich gemacht.“ (Schlemmer 1963: 7)

Hoffnung solcherart als individuelle, gesellschaftsverändernde Energie zu begreifen, die das

Vermögen besitzt, unser Handeln hoffnungsvoll an der Zukunft auszurichten, verneint das Ver-

harren in jenen Strukturen, die uns verzweifeln lassen.

„Hope can be what sustains life in the face of despair, and yet it is not simply the desire for things to come, or the betterment of life. It is the drive or energy that embeds us in the world – in the ecology of life, ethics and politics.“ (Zournazi 2002: 14f.)

Verstanden als eine Erwartung des Kommenden, vermag sie sich aktiv und kritisch gegen Un-

terdrückung und Unfreiheit zu wenden. Hoffend vertraut sie bis zum Schluss darauf, ihre Ziele

erreichen zu können.

„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. […] Die Arbeit gegen die Lebensangst und die Umtriebe der Furcht ist die gegen ihre Urheber, ihre großenteils sehr aufzeigbaren, und sie sucht in der Welt selber, was der Welt hilft; es ist findbar.“ (Bloch 1985a: 1)

Ähnlich kritisch erstreckt sich das Anliegen der Cultural Studies, in deren Bereich diese Mas-

terarbeit angesiedelt ist, mit Douglas Kellner (2005a) auf das Erspüren unterdrückender Macht-

verhältnisse, die in den Medienprodukten einer Kultur gespiegelt werden, um über eine „diag-

nostische Kritik“ vorherrschende Ideologien zu dekonstruieren und eine widerständige Position

zu artikulieren. Auf diese Weise soll eine politische Veränderung in Richtung einer demokrati-

schen, freieren Gesellschaft initiiert werden.

Hollywood-Filme spiegelten nach Kellner (1995: 16-20) Hoffnungen, Ängste und

Träume von Gruppen und Individuen einer Gesellschaft, im Kontext einer sich rasend schnell

verändernden und instabil gewordenen Welt. Gerade diese gegenwärtig erlebten Unsicherhei-

ten würden uns vielfältige Möglichkeiten der Intervention bieten, um aus dem Albtraum aus-

zubrechen und in eine wünschenswertere Zukunft zu steuern.

Dem multiperspektivischen Ansatz der Cultural Studies zufolge, gibt es dafür keinen

Standardbausatz an Basistheorie, der für jedwedes Projekt anwendbar wäre, denn vielmehr

wählt die forschende Person die passenden (kritischen) Theorien hinsichtlich ihres spezifischen

Untersuchungsgegenstandes aus (Kellner 1995: 26f.).

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Im Fall der hier vorliegenden Masterarbeit bildet die Hollywood-Tetralogie „The Hunger Ga-

mes“1 (zu Deutsch „Die Tribute von Panem“) das konkrete Studienprojekt. Politisch gewalt-

same Unterdrückung, soziale Spannungen, Konflikte und Kämpfe für eine demokratische,

friedliche und bessere Zukunft stehen im Mittelpunkt der dystopischen Erzählung rund um ein

Mädchen, das wider Willen zur Freiheitskämpferin einer ganzen Nation avanciert. Ihre zu-

nächst persönlichen Motivationen, aus dem dargestellten Albtraum auszubrechen, vermischen

sich sukzessive mit kollektiv bedeutsamen Faktoren. Hinter dem individuellen Kampf um das

eigene Überleben und der politisch motivierten Widerstandsbewegung steht ein zentraler Be-

griff, der im Film offenkundig an mehreren Stellen genannt wird: Hoffnung.

Paradoxerweise zeigt sich die Hoffnung nicht nur als eine revolutionäre Kraft, sondern

im Falle von Panem auch als ein Mittel der Macht, über welches die regierende Elite jahrzehn-

telang ihre Herrschaft ausüben und aufrechterhalten kann, indem sie die subordinierte Bevöl-

kerung in einem landesweiten Medienereignis als Tribute gegeneinander antreten lässt. Diese

alljährlich stattfindenden „Hungerspiele“, in denen Jugendliche sich bis auf den Tod bekämp-

fen, sind eine grausame Machtdemonstration eines repressiven Regimes, welches über die Ef-

fekte von Furcht operiert. Aus der Teilnahme an den Hungerspielen gibt es kein Entrinnen.

Allerdings offenbart sich für die Tribute simultan auch die Hoffnung, als glorreiche Sieger_in-

nen hervorzugehen. Welch besonderen Stellenwert die Hoffnung, als Gegenspielerin zur Furcht

in Erscheinung tretend, in diesem Kontext einnimmt, äußert Präsident Snow in einem Gespräch

mit seinem Obersten Spielmacher folgendermaßen:

„Hope. It is the only thing stronger than fear. A little hope is effective. A lot of hope is

dangerous. A spark is fine, as long as it’s contained.“ (The Hunger Games 2012: 0:47:03-

0:47:15)

Aber mit dem Sieg der Protagonistin von „The Hunger Games“, Katniss Everdeen, in

den 74. Hungerspielen, beginnt die Hoffnung in der Bevölkerung Panems zu wachsen:

„Since the last Games, something is different. I can see it.“ – „What can you see?“ -

„Hope.“ (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:40:31-00:40:43)

Im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen übernehmen die Medien Panems eine tra-

gende Rolle. Sowohl die verschiedenen Sendungen der Machthabenden, als auch die Videos

und TV-Ansprachen der Rebellierenden, zeigen sich an der Produktion und Zirkulation von

1 Die Filmreihe umfasst „The Hunger Games“ (2012), „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014) und „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015).

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Hoffnung beteiligt. Ähnlich medial (re-)produziert wird auch ihre Gegenspielerin und ihr Pen-

dant – die Furcht – ohne welche die repressive Politik Panems undenkbar wäre, welche jedoch

zunehmend von der Hoffnung außer Kraft gesetzt wird.

Diese Annahmen führen mich zur folgenden forschungsleitenden Fragestellung:

Welche Effekte hat die Hoffnung als Affekt innerhalb der Filmreihe „The Hunger Ga-

mes“ auf die Transformation der dargestellten gesellschaftlichen Verhältnisse, und welche „af-

fektive Arbeit“ leisten die Medien Panems in diesem Zusammenhang?

Zur Beantwortung dieser Fragen werde ich vorab im theoretischen Abschnitt dieser Masterar-

beit zwei zentrale Begriffe thematisch verorten: Affekt und Hoffnung (siehe Kapitel 2).

Hierfür werde ich zunächst den Affekt in seiner medien- und kommunikationswissen-

schaftlichen Gebrauchsweise behandeln (siehe Kapitel 2.1). Beeinflusst von philosophischen

Vordenkern, wie Henri Bergson und Benedictus de Spinoza, eröffnet der sogenannte „affective

turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften einen akademischen Diskurs, der eine Beschäf-

tigung mit den vielfältigen sozialen Implikationen von Affekten erlaubt. Über die Thesen von

Gilles Deleuze, Félix Guattari und Brian Massumi, bis hin zu jenen von Sara Ahmed, Britta

Timm Knudsen, Carsten Stage und anderen, werden die Effekte von Affekten und eine Rele-

vanz ihrer Analysen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung beleuchtet. In diesem

Kontext wird nicht nur danach gefragt, was Affekte allgemein (mit uns) machen, sondern auch,

welchen Beitrag Medien diesbezüglich leisten, wobei das Konzept der „affektiven Arbeit“ nach

Maurizio Lazzarato, das von Michael Hardt und Antonio Negri erweitert worden ist, ein we-

sentlicher Bestandteil sein wird.

Nachher widme ich mich ausführlich dem Begriff der Hoffnung. Ein historischer Ex-

kurs, zu seiner philosophischen und literarischen Gebrauchsweise als ἐλπίς (elpis) und spes in

der griechischen und römischen Antike, offenbart seine semantischen Ursprünge in der Nähe

zum Begriff der Furcht, nämlich in der Erwartung eines zukünftigen Ereignisses, beziehungs-

weise verweist auf die mögliche Enttäuschung, die einer illusorischen Hoffnung folgen kann

(siehe Kapitel 2.2).

Demgegenüber sehen Denker_innen des 20. und 21. Jahrhunderts die Hoffnung viel-

mehr als einen Affekt, der Menschen bewegen und in ihrem Handeln anleiten kann (siehe Ka-

pitel 2.3). Insofern besitzt die Hoffnung neben ihrer Relevanz für Einzelne, die daraus ihre in-

dividuelle(n) Motivation(en) beziehen, eine kollektiv bedeutsame Funktion. Kritisch eingesetzt

– wofür etwa Ernst Bloch plädiert – zeigt sie sich als gesellschaftstransformierende Kraft, die

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mitunter stärker als die Furcht ist und mit deren Hilfe eine bessere Zukunft erstrebt und realisiert

werden kann.

Danach erfolgt der thematische Übergang zu „The Hunger Games“ (siehe Kapitel 3). Vor der

eigentlichen Filmanalyse findet sich eine Zusammenfassung des Plots, gefolgt von einer Ver-

ortung im Kontext der Teenager-Dystopie und einem zusammenfassenden Überblick zum bis-

herigen Forschungsstand zur besagten Reihe.

Anschließend folgt die eigentliche Filmanalyse (siehe Kapitel 3.4). Gleichwohl sich

diese im Wesentlichen entlang der Chronologie der Geschehnisse in der Filmreihe „The Hunger

Games“ ausrichtet, gliedert sich mein Vorhaben nicht nach den einzelnen vier Filmen, sondern

vielmehr entlang bestimmter Körper bzw. Figuren, die als Gestalten in den Medien Panems in

Erscheinung treten. Angelehnt an die methodische Herangehensweise von Sara Ahmed (siehe

Kapitel 2.1.6), die bei der Analyse von Affekten davon ausgeht, dass diese als Effekte von

Emotionen in der Gesellschaft zirkulieren und über ihre repetitive Verwendung an Objekten

„kleben“ bzw. „haften“ bleiben, worüber Körper und ihre Grenzen hervorgebracht werden,

werde ich zunächst die Gestalt(en) der Protagonistin, Katniss Everdeen, analysieren (siehe Ka-

pitel 3.4.1), gefolgt von einem Abschnitt zur Medienlandschaft Panems (siehe Kapitel 3.4.2).

Nachfolgend sollen zentrale Punkte der vorgestellten Filmanalyse zusammenfassend re-

flektiert und interpretiert werden (siehe Kapitel 3.5), wobei ich mich einerseits wieder an Ah-

med (siehe Kapitel 2.1.6) orientiere, um die Wirkung von Affekten bei der Hervorbringung von

Katniss‘ individuellem Körper im Kontext des kollektiven Körpers von Panem und der Revo-

lution fassen zu können (siehe Kapitel 3.5.1). Andererseits soll die affektive Macht der Medien

Panems mit Rückgriff auf jene Theorien zum Affekt und der Hoffnung, welche im ersten Teil

dieser vorliegenden Arbeit entwickelt worden sind, gedeutet werden (siehe Kapitel 3.5.2). Das

letzte Kapitel zur Interpretation behandelt explizit die sozialen Missstände in Panem als mög-

lichen Auslöser für eine Hoffnung, die aus der Dystopie auszubrechen sucht, wodurch sich fer-

ner Parallelen zu unserer gegenwärtigen Gesellschaft ziehen lassen (siehe Kapitel 3.5.3).

Schlussendlich werde ich im Fazit meiner Masterarbeit die Filmanalyse Revue passieren

lassen, wodurch eine Beantwortung der eingangs formulierten Forschungsfragestellung ermög-

licht werden soll (siehe Kapitel 4).

5

2 Theoretische Verortung Im Rahmen dieser Masterarbeit sind zwei Begriffe von herausragender Bedeutung: Hoffnung

und Affekt. So simpel diese Termini auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mögen, so un-

terschiedlich können ihre Konnotationen je nach Verwendungskontext sein. Daher soll im Fol-

genden ein theoretischer Rahmen abgesteckt werden, der eine Definition für den hier vorlie-

genden Untersuchungsgegenstand vorschlägt.

2.1 Zum Affekt-Begriff Erklärtes Ziel dieses ersten theoretischen Abschnittes ist es, den Begriff „Affekt“ aus verschie-

denen Blickwinkeln zu beleuchten und seine Gebrauchsweise für die hier vorliegende Master-

arbeit zu definieren. Unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Stimmen zum Thema aus diversen

Disziplinen, verortet in einer medien- und kommunikationswissenschaftlichen Perspektive,

welche mitunter von philosophischen Denkansätzen beeinflusst ist, wird das Spektrum der Af-

fekte theoretisch zu erörtern und einzugrenzen sein.

Hierfür gliedert sich dieses Vorhaben in sieben Punkte:

Das erste Unterkapitel widmet sich der neu erwachten Relevanz der Affekte im Kontext

des „affective turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften und unternimmt einen Versuch,

den Begriff innerhalb dieses Verwendungsrahmens zu verorten.

In einem zweiten Schritt wird die Potenzialität von Affekten, im Spannungsfeld von

Virtualität und Aktualität, Gegenstand der Erörterungen sein, wobei der Bogen von den Thesen

Henri Bergsons über die Experimente von Benjamin Libet, u. a. mit Brian Massumi, bis in die

Gegenwart gespannt werden soll.

Im darauffolgenden Kapitel, das sich weiterhin stark auf Bergson und Massumi bezie-

hen wird, werde ich deshalb mein erweitertes Augenmerk auf die potenziellen Effekte von Af-

fekten richten, um ferner theoretisch zu beleuchten, inwieweit die Aktualisierungen von Affek-

ten bei deren Analyse von Bedeutung sein können, wobei etwa Thesen von Gilles Deleuze und

Félix Guattari hilfreich sein werden.

Der vierte Punkt fokussiert die „affektive Arbeit“ nach Maurizio Lazzarato in einer post-

modernen Gesellschaftsordnung. Dieses Konzept wurde u. a. von Michael Hardt und Antonio

Negri aufgegriffen, auch unter Einbeziehung von Gedanken der Philosophen Gilles Deleuze

und Michel Foucault. In diesem Zusammenhang spielen Medien eine bedeutende Rolle, die es

herauszuarbeiten gilt.

6

Diesen relativ aktuellen Bezugsrahmen verlassend, soll sich das fünfte Kapitel ausführ-

lich einer älteren und genuin philosophischen Perspektive widmen, von der in den vorangegan-

genen Kapiteln bereits häufiger in Ansätzen die Rede gewesen sein wird, da viele zeitgemäße

Theorien und Thesen aus diversen Disziplinen zum Gegenstandsbereich der Affekte diese

Denktradition reflektieren, annehmen und/oder erweitern. Hierbei handelt es sich um Benedic-

tus de Spinoza und seine ihm eigene Lehre von den Affekten, zu denen auch Hoffnung und

Furcht zu zählen sind.

Ferner soll der theoretische Rahmen zu den Affekten mit einer postmodernen Denkerin

namens Sara Ahmed und ihrer Gebrauchsweise des Begriffs als Emotion komplettiert werden.

Ahmed fragt nach den politischen Wirkungen von Affekten hinsichtlich der Bildung von Iden-

titäten, Subjekten und Kollektiven, sowie nach deren Mithilfe bei der Re- und Desorganisation

von Raum, indem Affekte durch ihre Zirkulation in der Gesellschaft an Wert zunehmen würden,

wodurch eine Verbindung zu den Thesen von Karl Marx hergestellt werden kann.

Schlussendlich werden mit Britta Timm Knudsen und Carsten Stage Ahmeds Thesen

zur Zirkulation und Akkumulation von Affekten aufgegriffen, um diese in Hinblick auf ihre

politische Wirkung bei (globalen) Assemblagen des Widerstands zu erörtern, während auf Kon-

zepte von Manuel DeLanda zur Assemblage, oder jene von Gustave Le Bon und Urs Stäheli zu

den affizierenden Effekten der Gruppen-Anführer_innen, rekurriert wird, um ferner die Ein-

flussnahme von bestimmten Körpern auf die (De-)Konstruktion von Assemblagen theoretisch

greifbar machen zu können.

2.1.1 Vom „affective turn“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften Der Begriff „affective turn“ bezeichnet laut Patricia Clough (2007: 1) eine Perspektivenwende

in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wonach über die letzten Jahre zusehends der analy-

tische Schwerpunkt auf den Bereich der Affekte verlagert worden ist. Im Kontext kultureller,

politischer und ökonomischer Veränderungen auf globaler Ebene soll eine solche Hinwendung

zum Affektiven durch mannigfaltige, (inter-)disziplinäre Forschungsprojekte dabei helfen,

diese Transformationen des Sozialen besser greifbar zu machen.

Diesbezüglich wirft Margaret Wetherell (2012: 2.f.) ein, dass sich ‚Affektwissenschaft-

ler_innen‘ allgemein mit dem steigenden Interesse an Affekten und Emotionen beschäftigen

würden, es jedoch zwei unterschiedliche Begriffskonnotationen gäbe: Die eine sei eher in der

Sozialpsychologie verortet, wo man die Hinwendung zum Affektiven als Chance sehe, besser

verstehen zu können, wie Menschen durch Affekte in bestimmten Situationen bewegt werden.

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Die andere hingegen wolle mehr, als lediglich den Bereich der Emotionen in die Sozialfor-

schung zu integrieren und sehe im „affective turn“ einen epistemologischen wie ontologischen

Umbruch.

Somit benennt der „affective turn“ nach Clough (2007) einen neuen akademischen Diskurs,

insbesondere in der Kritischen Theorie, welcher das sich wandelnde, verworrene Zusammen-

wirken der Dimensionen von Ökonomie, Kultur und Politik – die nach Brian Massumi (1998,

zit. n. Clough 2007: 1) ‚das Soziale‘ auf chaotische Weise konstituieren würden – eher fassbar,

erklärbar und kritisierbar machen könnte, als vorangegangene theoretische Zugänge.

Analog schreibt auch Michael Hardt (2007: ixff.), dass eine Verschiebung des Fokus

auf die Affekte nicht nur eine wissenschaftliche Hinwendung auf den menschlichen Körper und

seine Emotionen verlange, sondern gleichsam eine veränderte akademische Haltung erfordere,

die Materie und Geist nicht länger als zwei voneinander isolierte Instanzen betrachtet, oder

rationales Denken und körperliches Empfinden einander gegenüberstellt. Vielmehr biete sich

eine an Benedictus de Spinoza (2007; siehe auch Kapitel 2.1.5) angelehnte Sichtweise an, dem-

zufolge Affekte psychisch-mentale wie körperliche Prozesse, die parallel zueinander ablaufen,

gleichsam umspannen würden. Beide Ebenen könnten durch ihre Umwelt affiziert werden, oder

selbst affizierend auf andere wirken. Dieser Perspektive nach seien passives Erleben von Af-

fekten als auch aktives Handeln, das durch Affekte initiiert werde, gewissermaßen nur zwei

Seiten einer Medaille, einem Kontinuum an Kraft gleich, das durch den Affekt größer oder

kleiner werde.

Insofern zeigt sich der „affective turn“ auch mit Wetherell (2012: 2f.) in einer Distan-

zierung von diskursiven und entkörperlichten Zugängen in der Wissenschaft, und in einer Ver-

lagerung hin zu vitalistischen und prozessorientierten Konzepten, wie sie u. a. von Benedictus

de Spinoza und Henri Bergson angedacht, und von Gilles Deleuze und Brian Massumi weiter-

entwickelt worden sind.

So gelangt Massumi in seinem Kommentar zur englischen Übersetzung des Buches „A

Thousand Plateaus“ von Gilles Deleuze und Félix Guattari (1987) schließlich zu folgender De-

finition eines Affekts:

„AFFECT/AFFECTION. Neither word denotes a personal feeling […] affect (Spinoza’s affectus) is an ability to affect and be affected. It is a prepersonal intensity corresponding to the passage from one experiential state of the body to another and implying an augmentation or diminution in that body’s capacity to act.“ (Deleuze/Guattari 1987: xvi, H. i. O.)

Überdies unterscheidet Massumi (1995) den Affekt dezidiert von einer Emotion. Ein

Affekt sei etwas, das sprachlich unzureichend erklärbar sei und unser kognitives Bewusstsein

8

übersteige. Ein Affekt entwickle sich unerwartet auf körperlicher Ebene und sei in seiner Ent-

stehung nicht eindeutig nachvollziehbar. Hingegen sei eine Emotion eine subjektive Erfahrung,

welche über eine sprachliche Benennung zu ihrer Bedeutung gekommen sei. Es handle sich bei

einem Affekt mehr um eine erlebte Intensität als um eine semantisch wie semiotisch fassbare

Qualität, vollzogen in einer autonomen, körperlichen Reaktion, die zwar vom menschlichen

Gehirn gesteuert werde, jedoch im ersten Moment unabhängig vom Bewusstsein entstehe. Zu

dieser These gelangt Massumi anhand der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Experimente zur

Volition, wonach eine Entscheidung im Hirn bereits Millisekunden vorher getroffen worden

sei, bevor wir uns dessen bewusst sind beziehungsweise eine körperliche Reaktion, wie das

Bewegen eines Fingers zum Anzeigen der gefällten Entscheidung, überhaupt folgen kann.

Ergo kann ein Affekt unter dieser Perspektive auch folgendermaßen beschrieben werden:

„Affekt ist, wenn uns etwas erfasst, trifft, bewegt oder beeinträchtigt, das unserer bewussten Wahrnehmung und Sprache entgeht. Ausdrücke wie ‚mich packt’s/erwischt’s/haut’s um‘ erzäh-len von Affekt als einer schwer definierbaren Intensität, die uns angeht und aufrüttelt. Affekt benennt so die Fähigkeit, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen und von ihr verändert zu werden.“ (Zechner 2013: o. S.)

Insofern würden Massumi, Deleuze, Guattari und andere Wissenschaftler_innen – zu einem

großen Teil aufbauend auf Spinoza – jene Denkrichtung innerhalb des „affective turn“ vertre-

ten, wonach Affekte körperlich-mentale, häufig autonom ablaufende und das Bewusstsein über-

steigende Reaktionen seien, dem körperlichen Vermögen entsprechend zu handeln und sich mit

anderen zu verbinden, konstatiert Clough (2007: 1f.). Der Begriff des Körpers umfasse in die-

sem Zusammenhang, so Clough weiter, neben demjenigen des Menschen, auch die mit ihm

interagierenden Technologien, welche sein physisch-organisches Vermögen der Affektwahr-

nehmung und -produktion erheblich erweitern würden. Dadurch verschwämmen die ehemali-

gen Grenzen zwischen dem Organischen und Nicht-Organischen; die Technik werde durch den

Affekt ein Teil des Lebendigen.

Des Weiteren sei im Rahmen des „affective turn“ nach Clough (2007: 2f.) eine kritische politi-

sche Blickrichtung in der Forschung nötig, welche die Zirkulation von Affekten auf globaler

Ebene betrachte und erkenne, dass das präindividuelle Vermögen von Körpern durch biopoli-

tische Machtrelationen beeinflusst sei, die vor allem ‚westliche‘ Körper mit einem größeren

affektiven Vermögen – das heißt der Fähigkeit, selbst von Affekten berührt zu werden sowie

auch andere damit zu affizieren – ausstatte, als Körper in anderen Teilen der Welt. Mit anderen

Worten sei das affektive Vermögen mit der Akkumulation und Zirkulation von Kapital in in-

dustriellen kapitalistischen Gesellschaften verwoben. Fortwährende Veränderungen im Bereich

9

der Produktionsweise des Kapitals, die sich konkret in einer Transformation der Arbeitsweisen

zeigen (siehe auch Kapitel 2.1.4), würden auch das affektive Vermögen modifizieren.

Folglich verweist Massumi (2002: 29f.) auf den Umstand, wonach Affekte niemals ‚präsozial‘

(„presocial“) seien. Sogenannte ‚höhere Funktionen‘ des Gehirns, wie Kognition oder Volition,

die über inhaltlich fassbare Qualitäten in einer linearen Logik funktionieren und daran beteiligt

sind, Situationen in soziale Kontexte einzubetten, würden als eine Art Feedback-Schleife auf

den Bereich der unqualifizierten Intensität zurückwirken. Mit anderen Worten komme es zu

einem Rücklauf vom Areal des Bewusstseins zu jenem der vorbewussten Affekte, wodurch

Elemente des Sozialen mit anderen Ebenen, die über eine nichtlineare Logik operieren, ver-

mischt werden. Das sei so, als ob Spuren von vergangenen Kontexten als begonnene, aber nicht

vollendete Gedanken und Handlungen im nicht bewussten Teil des Körpers gespeichert werden

würden, um im Moment des Affekts auf autonome Weise reaktiviert zu werden.

Somit enthielten Affekte nach Massumi (2002: 30f.) zwar ‚Tendenzen‘ („tendencies“),

wie sich Auszüge des Vergangenen in der Zukunft entwickeln könnten, während sich der ge-

genwärtige Augenblick, in welchem der Affekt eigentlich geschieht, stets der subjektiven Auf-

merksamkeit entziehe, sodass sich ein Potenzial erst später, nämlich in der Verwirklichung ei-

ner Reaktion auf den Affekt, bewusst zeigen würde.

Daher soll im nachfolgenden Kapitel u. a. mit Massumi (2002; 2015) erörtert werden, inwieweit

zukünftige Handlungen und Willensentscheidungen in ihrer Aktualität, durch die potenziell vir-

tuelle Natur von Affekten, hervorgerufen werden können.

2.1.2 Die Potenzialität von Affekten Affekte sind nach Massumi (2002: 29ff.) im Körper gleichermaßen als ‚virtuelles‘ („virtual“)

‚Potenzial‘ („potential“) und als tatsächlich stattfindende, ‚aktuale‘ („actual“) Verwirklichun-

gen dieses Potenzials angelegt.

‚Virtuell‘ sei ein Affekt nach Massumi (2002: 29ff.) zum einen, weil er in einem Zeitrahmen

von etwa einer halben Sekunde passiere, also in einem Augenblick nur, der im Grunde zu kurz

sei, um bewusst wahrgenommen zu werden. Damit verweist er auf die Ergebnisse einer wis-

senschaftlichen Studie zum freien Willen, die er bereits in einer früheren Publikation aufgegrif-

fen hat. Dort beschreibt Massumi (1995: 89ff.) ausführlich, wie Experimente an Personen, de-

nen Elektroden im Gehirn implantiert worden waren, hätten zeigen können, dass ein Reiz, her-

vorgerufen durch eine elektrische Stimulation, nur dann wahrnehmbar wäre, wenn er länger als

10

eine halbe Sekunde dauere. Außerdem hätten die Versuchspersonen ihre Haut, auf der auch

Elektroden angebracht waren, selbst dann pulsieren gefühlt, wenn die Stimulation eine halbe

Sekunde vorher über die kortikale Elektrode erfolgt war. Dies lasse darauf schließen, dass Haut

und Gehirn eine resonierende, rekursive Einheit bildeten, und Reize schneller ins Körperinnere

geleitet werden würden, als sie bewusst wahrgenommen werden könnten.

Zum anderen würde nach Massumi (1995; 2002) die Umsetzung von Aktionen auch ungefähr

eine halbe Sekunde benötigen, um vom sogenannten Inneren des Körpers in sein Äußeres zu

gelangen, womit auf die Publikation von Benjamin Libet (1985) verwiesen wird: Die Versuchs-

personen, die an einen Elektroenzephalografen angeschlossen waren, seien aufgefordert wor-

den, einen ihrer Finger zu einem frei wählbaren Zeitpunkt willentlich zu beugen. Bereits 0,35

Sekunden bevor der Entschluss mithilfe einer Uhr von ihnen selbst markiert werden sollte,

konnte eine signifikante Gehirnaktivität aufgezeichnet werden, während es nachher noch 0,2

Sekunden dauerte, bis die Elektroden am Finger eine Bewegung registrierten. Das heißt nach

Libet: Der Startschuss für jedwede willentliche Handlung müsse im Hirn unbewusst passieren,

und zwar etwa eine halbe Sekunde vor der Ausführung der Aktion.

Dieses Phänomen bringt Massumi (2002) wie folgt auf den Punkt:

„[D]uring the mysterious half second, what we think of as ‘free,’ ‘higher’ functions, such as volition, are apparently being performed by autonomic, bodily reactions occurring in the brain but outside consciousness, and between brain and finger but prior to action and expression.“ (Massumi 2002: 29)

Jedoch sei die eine halbe Sekunde, die wir im Affekt zu verpassen scheinen, nach Massumi

(2002: 30f.) keinesfalls leer, sondern randvoll mit Bedeutungen und möglichen Handlungsvoll-

zügen. Das Virtuelle sei auf paradoxe Weise angelegt: Gegensatzpaare, wie Traurigkeit und

Fröhlichkeit, könnten simultan nebeneinander existieren, würden aber nicht bewusst gefühlt

werden. Der virtuelle Aspekt bilde den Anfangspunkt und die potenziellen Tendenzen, wie sich

der Affekt – in Verbindung mit der Vergangenheit – zukünftig entfalten könnte, weshalb das

Virtuelle ebenso real sei, wie das Aktuale.

Zugleich enthalte dieser kurze Moment, in welchem Geist und Körper lediglich als ein

nicht kategorisiertes Potenzial existieren, für Vinciane Despret (2004: 209, zit. n. Wetherell

2012: 9) einen Augenblick des emotionalen Zögerns, in welchem es möglich wäre, gefühlsmä-

ßig wie denkend alternative Pfade einzuschlagen, die sich vom bisherigen Werdegang durchaus

unterscheiden könnten. Dies deckt sich insofern mit der Studie von Libet (1985), als dass Men-

schen in einem Zeitraum von etwa 0,1 bis 0,2 Sekunden – nachdem ihnen ihre Handlungsin-

tention gewahr geworden wäre und bevor sie die initiierte Aktion auch tatsächlich umsetzen

11

würden – die Möglichkeit hätten, ein „Veto“ einzulegen. Insofern bestehe der willentliche Ent-

schluss letztlich darin, bereits unbewusst begonnene Potenziale einer Selektion und Kontrolle

zu unterziehen.

Damit lässt sich an Henri Bergson (1989) anknüpfen, der sich bereits vor über einem

Jahrhundert gegen eine Determiniertheit menschlicher Handlungen gewandt hat, „[…] weil

man selbst dann, wenn man die Anstrengung, die zum Vollzug der Handlung nötig ist, andeu-

tungsweise beginnt, sehr wohl fühlt, daß es noch immer Zeit ist, haltzumachen.“ (Ebd.: 157)

Überdies versteht Bergson (1982) in seinem Buch „Materie und Gedächtnis“ die „Af-

fektionen“ dahingehend, dass sie sich zwischen Reizen, die von außen auf unseren Körper tref-

fen und Bewegungen, die daran anschließend vollzogen werden, einschalten würden, aber mit

Aufrechterhaltung einer bestimmten Wahlfreiheit. „Ich mustere die verschiedenen Affektionen,

und da scheint mir, daß eine jede in ihrer Art eine Aufforderung zum Handeln enthält, mir aber

gleichzeitig die Möglichkeit freistellt, abzuwarten oder auch gar nichts zu tun.“ (Ebd.: 1)

Demgegenüber wirft Massumi (2002: 30f.) ein, dass ein Affekt erst dann in den Bereich

der bewussten Wahrnehmung gelange, sobald er sich aus der Ansammlung an virtuellen Poten-

zialen gelöst habe und sich aktual über eine individuelle Ausdrucksform oder Handlung zeige.

Erst im Bereich des Aktualen sei einem Affekt eine sprachlich strukturierte Qualität zuschreib-

bar, welche als Aktion/Reaktion inhaltlich eine Bedeutung für das Individuum besitze. Diesem

scheint es dann so, als ob es seine Handlung willentlich hervorgerufen habe, während andere

Handlungsmöglichkeiten unterdrückt worden seien.

Unabhängig davon, inwieweit Affekte vor ihrer Aktualisierung von affizierten Personen kog-

nitiv beeinflussbar, oder nicht beeinflussbar sind, soll nachfolgend beleuchtet werden, warum

sich eine Analyse der Effekte von Affekten in den Medien- und Kommunikationswissenschaf-

ten, und in weiterer Folge im Verlauf dieser Arbeit, von zentraler Bedeutung zeigt.

2.1.3 Zur Relevanz von Analysen der Affekteffekte

Bereits Deleuze (1988: 27ff.) verweist unter Bezugnahme auf Spinoza auf den Umstand, dass

unser Leib und unser Denken ein potenzielles unbewusstes Vermögen besäßen. Was wir letzt-

lich bewusst wahrnehmen würden, sei die Wirkung der Affekte. Daraus entstehe jene Heraus-

forderung, nicht bestimmt zu wissen, „was der Körper alles vermag“ (ebd.: 27, H. i. O.).

Folglich kann ein Affekt in diesem Kontext allgemein als etwas verstanden werden, das mit uns

bei bestimmten Begebenheiten geschieht, als eine Reaktion, die wir infolge eines Erlebnisses

12

verspüren (Colebrook 2002: xix). Daher ist ein Affekt nicht gleichbedeutend mit der jeweiligen

Begebenheit, sondern zeigt sich in seinen Effekten (ebd.).

In Hinblick auf die Affekteffekte von Kunst haben Deleuze und Guattari (2003: 191f.)

herausgearbeitet, dass diese losgelöst von den Kunstschaffenden und ihrem Publikum existieren

würden. Denn „[…] die Sache oder das Kunstwerk […] ist ein Empfindungsblock, das heißt

eine Verbindung, eine Zusammensetztung [sic!] aus Perzepten und Affekten.“ (Ebd.: 191, H. i.

O.) Infolge der Betrachtung des Kunstwerkes empfänden die Rezipierenden nach Deleuze und

Guattari (2003: 191-237) schließlich Affektionen und Perzeptionen, die nicht mit der Reprä-

sentationsebene ident seien. Denn das Kunstwerk zeige einen ewig gleichen Zustand des Seins,

während Perzeption und Affektion Prozesse seien.

Kunst auf diese Weise zu betrachten, rücke nach Mieke Bal (2006: 7) die Bedeutung

der Repräsentationsebene in den Hintergrund. Stattdessen trete die Affektanalyse in den Vor-

dergrund. Diese stelle eine „Beziehung zwischen dem Sichtbaren und seinen Wirkungen auf

diejenigen, die ein Kunstwerk betrachten und eben von ihm affiziert werden“ (ebd., H. i. O.),

her. Hierbei geht es also nach Bal (2006: 7f.) um eine Analyse der Effekte, die unterschiedliche

Ausdrucksformen – wie Malerei, Musik, Film, Video, Literatur etc. – auf die Rezipierenden

haben können. Kunst könne außerdem unser Handeln motivieren, uns etwa dazu bewegen, mehr

Wissen/Erfahrungen sammeln zu wollen, oder uns auf positive Weise an Vergangenes zu erin-

nern. Daher versteht Bal (2006) die Affekte von Kunst als „kulturelle Kraft“. Somit orientiert

sich ihr Verständnis vom Affekt an Bergson und Deleuze hinsichtlich deren Vorstellungen von

Wahrnehmung.

Für Bergson (1982: 1-65) vollzieht sich die Wahrnehmung der Welt in Bildern, welche von den

Sinnesorganen empfangen und von den Nerven an das Gehirn weitergeleitet werden, um sich

schließlich im Gedächtnis zu Vorstellungen zu transformieren. Als Reaktion auf den empfan-

genen Reiz folge dann ein Reflex oder eine willkürliche Handlung. Interessant ist für Bergson

der Prozess der Selektion von Bildern, der bei der Wahrnehmung im Gehirn stattfinde. „[…]

Wahrnehmung […] sollte doch von Rechts wegen das Bild des Ganzen sein, gibt uns aber de

facto nur, was uns interessiert.“ (Ebd.: 26, H. i. O.) So enthielten Wahrnehmungsbilder nach

Bergson (1982) gleichzeitig vielfältige virtuelle Handlungsmöglichkeiten, die sich als Reaktion

auf das Bild in einer konkreten Handlung zukünftig realisieren könnten.

Deshalb verweist Bal (2006: 9) auch darauf, wie wichtig die richtige Rahmung für die

Wahrnehmung sei. In Kunstausstellungen wie in Filmen schlage uns die vorab getroffene Se-

13

lektion der Bilder eine bestimmte Wahrnehmungsrichtung, mit enthaltenden Handlungsmög-

lichkeiten, vor. Sie bringt dieses Phänomen wie folgt auf den Punkt: „Die Wahrnehmung macht

das ‚An(ge)sicht‘ […] der Dinge im Hinblick auf mögliche Handlungen sichtbar.“ (Ebd.)

Insofern stünde uns mit Bergson (1982) ein indeterminierter Spielraum an möglichen

Handlungsvollzügen zur Verfügung, weshalb wir quasi gezwungen seien, nur jene Bilder wahr-

zunehmen, die momentan für uns an Relevanz besäßen. Jedoch liege mit Bergson (1982: 248ff.)

die Freiheit der Selektion letztlich in unserem Gedächtnis, das mit jeder Erfahrung aus der Ver-

gangenheit einen stetig größer werdenden Spielraum an ausführbaren Bewegungen besitze.

Ebenso besäßen wir folglich die Freiheit, über unsere Handlungen in die Bewegungen der Wirk-

lichkeit einzugreifen.

Folglich ist eine Affektion für Bergson (1982:1f.) jenes besondere Bild, das nicht nur

von außen, sondern auch von innen wahrgenommen werde. Sofern die darauffolgenden Bewe-

gungen aus bewussten Handlungen resultieren, sei der Affekt jenes Bild zwischen Reiz und

Aktion, in welchem das Individuum etwas empfinde und eine Entscheidung träfe, sich so oder

anders auf diesen Reiz zu verhalten, gleichwohl es auch automatische Reaktionen des Körpers

auf Reizungen gäbe, die sich dem Bewusstsein entziehen würden.

Diesbezüglich macht Deleuze (1989: 86f.) deutlich, wie bei Bergson Bewegung und

Bild ineinander fallen, statt als voneinander getrennt begriffen zu werden. Die Gesamtheit an

wahrnehmbaren Bildern umfasse Aktionen wie Reaktionen gleichermaßen. Der Körper, der die

Bewegungen wahrnehme, sei ebenfalls ein Bild. Indem er reagiere, gäbe er die Bewegung wei-

ter, erzeuge neue Bilder, die wiederum andere beeinflussen könnten. „Jedes Bild wirkt auf an-

dere und reagiert auf andere […].“ (Ebd.: 87, H. i. O.)

Des Weiteren erörtert Deleuze (1989) in Anlehnung an Bergson, in seinem Werk „Kino I“, den

Typus des Affektbildes als „[…] das, was den Abstand zwischen einer Aktion und Reaktion

einnimmt; was eine äußere Aktion absorbiert und im Inneren reagiert.“ (Ebd.: 322)

Nach Deleuze (1989: 123-136) sei es im Kino gängige Praxis, das Affektbild bzw. Af-

fekte über Großaufnahmen darzustellen. Ein menschliches Gesicht – ganz oder partial – in einer

Großaufnahme zu zeigen, sei ein Affektbild, aber ebenso sei die Großaufnahme eines Körper-

teiles, oder auch eines unlebendigen Gegenstandes ein solches, weil es „[d]ie Sache […] wie

ein Gesicht (visage) behandelt“ (ebd.: 124, H. i. O.), und ein Gesicht immer schon eine Groß-

aufnahme ist, auch ohne filmische Bearbeitung (ebd.). Dieses Gesicht ist „reflektierende und

reflektierte Einheit“ (ebd.: 123, H. i. O.) zugleich. Reflektierend sei es nach Deleuze (1989:

123-128), weil es über die Sinnesorgane und Nerven Empfindungen als Qualitäten, wie zum

Beispiel Schmerz oder Freude, aufnehme und wiederspiegle. Reflektiert sei es dahingehend,

14

weil sich die Impressionen auf dem Gesicht im Affektbild bzw. im Moment des Affekts in eine

Expression, z. B. in eine bestimmte Mimik verwandelten. Der zuvor noch existierende Hand-

lungs- bzw. Bewegungsspielraum sei im Affekt in einer Ausdrucksbewegung vollendet wor-

den, als „Ausdruck eines Potentials, das von einer Qualität in eine andere übergeht“ (ebd.: 128).

Bloßes Staunen, das sich im reflektierenden Gesicht nur in Kleinstbewegungen abzeichnet und

als Nullpunkt von Bewegung erachtet wird, kann sich auf diese Weise – im reflektierten Pol

des Affektbildes – in intensives, expressiv dargestelltes Verlangen, wie Liebe oder Hass, ent-

wickeln (ebd.: 124-128).

Außerdem sei am Affektbild nach Deleuze (1989: 97ff., 134ff.) besonders, dass die

Großaufnahme das Gesicht und das, was es ausdrückt, nämlich den Affekt, immer von seinem

raumzeitlichen Bezugsrahmen löse, um es als gesonderte Einheit darzustellen, bei welcher der

umgebende Raum, wie auch eine lineare Zeitabfolge, nicht länger wahrgenommen werden wür-

den; eine Bewegung ist Ausdruck geworden. Sobald der Affekt als Qualität oder Potenzial nicht

länger nur Ausdruck bliebe, sondern als Trieb oder Gefühl einer Person in ihrem Handeln eine

Aktualisierung erführe – wodurch der raumzeitliche Bezug zurückkehre – spricht Deleuze nicht

länger von einem Affekt-, aber von einem Aktionsbild.

Entsprechend verweist Massumi (1995) darauf, wie bei Deleuze – der neben Bergson

auch an Spinoza anknüpft – Qualitäten, die sich scheinbar unvereinbar gegenüberstehen, wie

die Auslöschung und die Entstehung von Ereignissen, Passivität wie Aktivität, Reaktion wie

Aktion, Überraschung wie Erwartung etc., im Affekt ineinander fallen. Hierbei sei der Affekt

im Zusammenhang mit der Emergenz von neuen Qualitäten zu verstehen, die aus der Fülle an

Potenzialitäten, die ein Affekt berge, hervorgehen könnten, weshalb eindimensionale Klassifi-

zierungen dem Vermögen zur Irritation, der Unbestimmtheit und Intensität von Affekten nicht

gerecht werden könnten.

Deshalb konstatiert Massumi (1995), dass die Effekte von Affekten jener Zugang seien, über

den eine entsprechende Analyse stattfinden könne, nicht aber über ihren Inhalt. Denn der Inhalt

eines affektauslösenden Ereignisses sei niemals logisch mit der Intensität oder Qualität eines

hervorgerufenen Effekts verknüpft.

Dementsprechend schreibt Deleuze (1989: 143f.), wie beispielsweise der Blick in einen

Abgrund ein erschrecktes Gesicht erklären könnte. Aber der Gesichtsausdruck existiere auch

ohne diesen Kontext. Den Affekt somit in Großaufnahme im Gesicht als reines, virtuelles Po-

tenzial sehen zu können, bilde das Affektbild, während die Aktualisierung des Potenzials, also

des Affektes, in einem bestimmten Kontext, unter „realen Zusammenhängen“ (Deleuze 1989:

144, H. i. O.) – im Film vorwiegend in einer Halb-Nah-Einstellung gezeigt – das Aktionsbild

15

konstituiere (ebd.). Affekt- und Aktionsbild sind also nach Deleuze (1989: 143f.) die zwei un-

terschiedlichen Zustände der sogenannten „Potentialqualitäten“, womit er die Affekte meint.

Neben dem „Ikon“ (Deleuze 1989: 154, H. i. O.), das den „Ausdruck einer Potentialqualität

durch ein Gesicht“ (ebd.) bezeichnet, unterscheidet Deleuze (1989: 154) noch die „Qualizei-

chen (oder Potizeichen)“ (ebd., H. i. O.), wo eine Übertragung der Potentialqualitäten von ei-

nem Gesicht auf einen beliebigen Raum stattgefunden hat, wodurch die Affekte, gleichzeitig

Qualität wie Potenzial, auch in der Halbnah- oder Totaleinstellung sichtbar werden können

(ebd.: 151-155).

Einen alternativen Zugang zum Affekt, der weniger einer spinozistisch-deleuzianischen Per-

spektive entspringt, sondern sich stärker an psychologischen Definitionen zum Affekt orien-

tiert, wonach Gefühle und Emotionen affektive Zustände sind, welche – beeinflusst durch Kul-

tur und Herrschaftsverhältnisse – soziale Hierarchien und Differenzen hervorbringen, wählen

Theoretiker_innen wie etwa Sara Ahmed (Henderson 2015: o. S.).

So analysiert Ahmed (2004; 2014; siehe auch Kapitel 2.1.6) die Wirkungen von Emoti-

onen in Hinblick auf ihre politische Relevanz in der Gesellschaft, indem sie sich unter Zuhilfe-

nahme von Texten ansieht, wie diese Emotionen zwischen Menschen und Objekten zirkulieren

und dabei an einigen haften bleiben, wodurch soziale Körper, Raum, Positionierungen und

Grenzen konstituiert werden würden. Dadurch wird die Verbindung zwischen Affekt und

Macht sichtbar (Wetherell 2012: 16). „Power works through affect, and affect emerges in

power.“ (Ebd.)

Ähnlich verweist Jeremy Gilbert (2004) darauf, dass affektive, körperlich spürbare Ef-

fekte, beispielsweise hervorgerufen durch das Hören von Musik, nicht ausreichend erfasst wer-

den könnten, wenn sich die Analyse der Affekte nur auf sprachlich strukturierte, diskursiv fass-

bare Inhalte richte, die folglich den Bereich des Bewusstseins bedürften. Es sei allgemein be-

kannt, wie etwa die Tonlage einer Stimme bedeutsamer sein könne, als der gesprochene Text.

Allerdings gelte es, die jeweiligen kulturellen Kontexte, in denen Affekte effektiv werden, bei

ihrer Analyse mit zu berücksichtigen. So habe die Performanz einer „Welle“ im Fußballstadion

für sich genommen eigentlich keine Bedeutung, wohl aber einen affektiven Effekt auf den Aus-

tausch der Fußball-Fans untereinander, auf ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und in die Identi-

fikation mit ihrem Lieblingsteam. In dieser Situation gingen die beteiligten Körper miteinander

Relationen ein, die von außen durchaus beschreibbar und somit analysierbar wären. Diesen je-

weiligen Kontext mit zu berücksichtigen, ist in der wissenschaftlichen Herangehensweise der

Cultural Studies verortet, welche Gilbert (2004) jedoch dafür kritisiert, sich bisher zu sehr auf

die symbolische, diskursive, semantisch analysierbare Ebene der Kultur konzentriert zu haben,

16

weshalb der „affective turn“ eine Ablehnung logozentrischer Denkmuster impliziert und gleich-

ermaßen ein neues Vokabular einfordert, das deren Beschränkungen zu überwinden vermag.

Daran anknüpfend ergänzt Brigitte Hipfl (2014: 9), dass das bisher übliche Instrumentarium

der Medien- und Kommunikationswissenschaften hinsichtlich der Effekte von Affekten ebenso

nicht genüge, um zu begreifen, „was in der Situation passiert“ (ebd.). Daher sieht sie mit Gilbert

(2004) in den Ausführungen von Massumi, Deleuze und Guattari, welche bezüglich des Ver-

ständnisses eines Affekts bekanntermaßen auf Spinoza aufbauen, eine gute Erweiterung des

notwendigen Vokabulars für den Begriff des ‚Affektes‘ – als Vermögen, zu affizieren und af-

fiziert zu werden (Deleuze/Guattari 1987: xvi) – um die „affektive Arbeit“, welche in und von

Medien geleistet werde, innerhalb der medien- und kommunikationswissenschaftlichen For-

schung stärker zu berücksichtigen (Hipfl: 2014).

Dieses Konzept der „affektiven Arbeit“ zu erörtern, wird Gegenstand des nächsten Kapitels

sein.

2.1.4 Die „affektive Arbeit“ von Medien Im Rahmen einer sich derzeit wandelnden Gesellschafts-, Wirtschafts- und Machtordnung auf

globaler Ebene, wie sie Michael Hardt und Antonio Negri (2002) unter anderem in ihrem Buch

„Empire“ thematisieren, würden sich die Produktionsverhältnisse und die Akkumulation des

Kapitals parallel zueinander verändern. Produktiver Mehrwert, der in früheren Zeiten haupt-

sächlich durch Fabrikarbeit hervorgebracht worden ist, werde mittlerweile zunehmend durch

„intellektuelle, immaterielle und kommunikative Arbeit“ (ebd.: 43) produziert, während die

Massenproduktion von materiellen Gütern zunehmend an ökonomischer und politischer Rele-

vanz verliere.

In diesem Kontext sich verändernder Produktions- und Arbeitsverhältnisse hat Maurizio Laz-

zarato (1996) das Konzept der „immateriellen Arbeit“ entwickelt: „[…] the concept of imma-

terial labor […] is defined as the labor that produces the informational and cultural content of

the commodity.“ (Ebd.: 1, H. i. O.)

Demnach umfasse immaterielle Arbeit nach Lazzarato (1996) zum einen all jene Ver-

änderungen, welche im Zuge von computergestützter Datenverarbeitung den Informationscha-

rakter einer Ware betreffen. Zum anderen verweist das Konzept auch auf die kulturelle Bedeu-

tung jener Formen immaterieller Arbeit, die in der Gesellschaft auf den ersten Blick gar nicht

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als Arbeit angesehen werden würden, wohl aber an der (Re-)Produktion von Normen, ästheti-

schen und kulturellen Standards, Moden, Geschmäckern und der öffentlichen Meinung beteiligt

seien.

Hiernach haben Hardt und Negri (2002: 302ff.; 2004: 108) ihre Definition immaterieller

Arbeit getroffen, die ebenso die Hervorbringung von immateriellen Waren und Dienstleistun-

gen, wie Wissen, Kommunikation und Information impliziert. Außerdem verweise immateri-

elle Arbeit auch auf sprachliche, analytische und intellektuelle Komponenten, welche Arbeit-

nehmer_innen heutzutage erbringen müssten, wodurch wiederum ‚immaterielle‘ Produkte ent-

stehen würden: „This kind of immaterial labor produces ideas, symbols, codes, texts, linguistic

figures, images, and other such products.“ (Hardt/Negri 2004: 108)

Darüber hinaus beschreiben Hardt und Negri (2002: 304; 2004: 108f.) eine dritte Variante im-

materieller Arbeit, nämlich die „affektive Arbeit“, die an interpersonaler Kommunikation, In-

teraktion und dem Aufbau von Beziehungen beteiligt sei, wie beispielsweise im Gesund-

heitssektor oder der Unterhaltungsindustrie. „Affektive Arbeit“ schaffe immaterielle, affektive

Produkte, indem sie Affekte produziere bzw. moduliere: „Affective labor, then, is labor that

produces or manipulates affects such as a feeling of ease, well-being, satisfaction, excitement,

or passion.“ (Hardt/Negri 2004: 108)

Dabei lehnen sich Hardt und Negri (2004: 108f.) an Benedictus de Spinozas Definition

von Affekten an (siehe auch Kapitel 2.1.5), wonach es sich bei Affekten gleichermaßen um

materielle wie geistige Phänomene handle, weshalb affektive Arbeit sowohl den Körper, als

auch das Denken miteinbeziehe. Der sogenannte „service with a smile“ (ebd.: 108) werde von

Angestellten einer Fastfoodkette ebenso gefordert, wie von jenen einer Kanzlei oder eines Flug-

unternehmens, um bei ihrer Kundschaft den gewünschten – in diesem Fall positiv affizierten –

Körper- und Geisteszustand erzeugen zu können (ebd.).

Von diesen Transformationen der Arbeit seien nach Hardt und Negri (2004: 108f.) aber

nicht nur Jobs im Service- oder Pflegesektor betroffen, sondern mittlerweile fast alle berufli-

chen Tätigkeiten in den verschiedensten Sparten, wie auch in der Medienbranche. So müssten

heutzutage sogar die Nachrichten möglichst spannend und attraktiv präsentiert werden, wobei

Medien im Allgemeinen ja niemals nur reine Informationen übermittelten. Vielmehr sei gerade

die Produktion und das Management von Affekten eine Aufgabe der Medien: „[…] the media

must create affects and forms of life.“ (Ebd.: 108)

Hinsichtlich der Erzeugung und des Austausches von Affekten spiele es ferner nach

Hardt (2004: 181f.) keine Rolle, ob die Kommunikation vermittelt oder unvermittelt stattfinde.

Gleichwohl gerade in der Informations- und Unterhaltungsindustrie der zwischenmenschliche

18

Kontakt meist nur virtuell, also immateriell stattfinde, sei diese Form von affektiver Arbeit in

ihrer Produktion und dem Austausch von Affekten ebenso echt, wie eine fürsorgliche affektive

Arbeit, die beispielsweise vom Pflegepersonal direkt an den Körpern ihrer Anvertrauten ver-

richtet wird. Affekte als immaterielle Produkte würden reale Effekte schaffen, und zwar „den

sozialen Kitt“ (Ebd.: 181) einer Gesellschaft und ihrer Kultur, indem sie als „Biomacht“ fun-

gieren.

Der Terminus der Biomacht stammt ursprünglich von Michel Foucault (1977: 166ff.).

Er beschreibt eine besondere Technologie der Macht, die sich im 18. Jahrhundert gebildet habe,

im Anschluss an die Disziplinierung der Körper, zu einer Zeit, in der das Bevölkerungswachs-

tum stetig zunahm und die Machthabenden sich genötigt gesehen hätten, regulativ und kontrol-

lierend in die Population einzugreifen, um die neuen Massen an Menschen für den sich entwi-

ckelnden Kapitalismus produktiv nutzbar zu machen. Dabei setze die Biomacht am Leben

selbst an und wirke von der Geburt bis zum Tod der Menschen über biopolitische Machttech-

niken, als eine „Macht zum Leben“ (ebd.: 166).

Somit sei nach Foucault (1977: 166ff.; 1993: 28) die souveräne Macht, die sich als Recht

des Souveräns zu töten, das heißt „sterben zu machen oder leben zu lassen“ (1993: 28), durch

die Biomacht abgelöst worden, durch „die Macht, leben zu machen und sterben zu lassen“ (ebd.,

H. i. O.). Allerdings richten sich regulierende biopolitische Mechanismen nicht auf einzelne

biologische Körper, sondern auf die Gesamtheit menschlichen Lebens (Foucault 1993: 34).

Im Anschluss erweitert Hardt (2004: 184) die Definition von „Biomacht“. Er versteht

sie als „[…] die Macht zur Schöpfung von Leben, […] zur Produktion kollektiver Subjektivi-

täten, der Sozialität und der Gesellschaft selbst.“ (Ebd.) Ihm zufolge handle es sich bei der

Biomacht um „[…] das innere Vermögen der affektiven Arbeit.“ (Ebd.)

In diesem Kontext betont Hardt (2004: 184f.) jenes besondere Charakteristikum affek-

tiver Arbeit, wonach sie nicht nur wesentlich an der Hervorbringung von Sozialität beteiligt sei,

sondern vielmehr, dass ihre Produktion und Reproduktion von Affekten, welche auch bei der

Bildung kollektiver Subjektivitäten mitwirke, im Bereich der gegenwärtigen kapitalistischen

Ökonomie in den Mittelpunkt gerückt sei. Immaterielle Arbeit habe in diesem Zusammenhang

den höchsten Stellenwert aller Arbeitsformen eingenommen.

Insofern zeige sich die affektive Arbeit nach Hardt und Negri (2002: 304; 2004: 109f.)

in der Erzeugung von zwischenmenschlichen Beziehungen, dem Aufbau sozialer Gemeinschaf-

ten, ja im gesamten menschlichen Miteinander, sprich dem Leben selbst, weshalb die Effekte

immaterieller, affektiver Arbeit durchaus materieller Natur seien, wenngleich ihre eigentlichen

Produkte, nämlich die Affekte, immateriell blieben.

19

Wenn also affektive Arbeit mit Hardt (2004: 185f.) als ontologische Bedingung sozialen

Lebens betrachtet wird, sei eine Differenzierung zwischen der Produktion und Reproduktion

von Affekten obsolet. Beide Dimensionen benötigten lebendige, von Menschen vollzogene Ar-

beit, um wiederum Leben und Lebensformen hervorbringen zu können. Folglich äußere sich

der biopolitische Aspekt affektiver Arbeit nicht nur in einer Macht, die von oben komme – wie

Foucaults Konzept der Biomacht nahelegen würde – sondern vielmehr in einer Macht, die von

unten wirke und welche das Potenzial zur Schaffung neuer Formen von Leben und Gemein-

schaft in sich trage.

Analog formulieren Hardt und Negri (2004) in ihrem Buch „Multitude“ eine definitori-

sche Unterscheidung zwischen Biomacht und Biopolitik:

„Biopower stands above society, transcendent, as a sovereign authority and imposes its order. Biopolitical production, in contrast, is immanent to society and creates social relationships and forms through collaborative forms of labor.“ (Hardt/Negri 2004: 94f.)

In weiterer Folge könne die biopolitische Produktion laut Hardt und Negri (2004) jene Basis

bilden, auf welcher sich Formen des Widerstands gegen die Kräfte der Biomacht entwickeln

und umsetzen ließen. Denn mit Foucault (1977: 117f.) gesprochen, seien Momente des Wider-

stands bereits in den Relationen der Macht impliziert und eingewoben, sodass die Subversion

einen möglichen Teilbestand der Macht bilde und sich stets aus denselben Verhältnissen heraus

vollziehe, gegen die sie sich auflehnen will.

Mittlerweile würden allerdings nach Deleuze (1993a) die Disziplinargesellschaften

Foucaults von den Kontrollgesellschaften abgelöst werden. Durch neue Informationstechnolo-

gien und Computer ermöglicht, sei die Kontrolle an die Stelle der Disziplinierung getreten; das

gasförmige Unternehmen ersetze zunehmend die körperartige Fabrik. Während es sich bei den

Einschließungen im Zuge der Disziplinierung noch um abgrenzbare Formen gehandelt habe,

bildeten die Kontrollen „eine Modulation, sie gleichen einer sich selbst verformenden Gußform,

die sich von einem Moment zum anderen verändert“ (ebd.: 256, H. i. O.). Die heutigen Arbeit-

nehmer_innen müssten sich nach Deleuze (1993a: 256f.) den unsteten Bedingungen und per-

manenten Veränderungen mittels Eigenmotivation fortwährend anpassen und stünden zugleich

im ständigen Wettstreit zueinander, belohnt durch Prämien und Titel. Fernsehformate würden

diese Machtverhältnisse der Kontrollgesellschaft spiegeln. „Die idiotischsten Spiele im Fern-

sehen sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil sie die Unternehmenssituation adäquat zum

Ausdruck bringen.“ (Ebd.: 256f.)

In der gegenwärtigen Kontrollgesellschaft übernähmen nach Hipfl (2014: 10f.) Medien allge-

mein, aber audiovisuelle Medien im Besonderen, eine entscheidende Rolle hinsichtlich der

20

„Modulation von Affekten“ (ebd.: 10). Daher sei es nötig, diese affektive Arbeit von/in/mit

Medien, die von der Produktion bis zur Rezeption von Medieninhalten reicht, in den Kommu-

nikations- und Medienwissenschaften stärker in den Fokus zu rücken, einhergehend mit einem

Blickwinkel auf das Affektive, der dieses als Teilbestand der gegenwärtigen Machtrelationen

begreife. So seien Affekte zum einen in die Formen der dominanten Macht verstrickt, die sich

über Ideologien, Diskurse, Blickregime und Ähnliche äußere, und welche durch Affekte über-

haupt erst als institutionalisierte Macht in Erscheinung treten könne. Zum anderen seien Affekte

an der Entstehung von Kräften beteiligt, die neue Machtrelationen bildeten bzw. bestehende

Verbindungen aufbrächen, wodurch letztlich auch alternative Lebensformen geschaffen werden

könnten.

In diesem Kontext sind Medien für Steven Shaviro (2010: 1ff.) nicht nur als Repräsen-

tation von sozialen Prozessen zu verstehen, welche die Gefühlswelt gegenwärtiger Gesellschaf-

ten spiegeln, sondern vielmehr als etwas Produktives, das an der Hervorbringung, Zirkulation

und Distribution von Sozialem wesentlich beteiligt sei. So handle es sich bei Medienprodukten

um „machines for generating affect“ (ebd.: 3, H. i. O.). Diese generierten Affekte sind an der

Produktion von Subjektivität beteiligt, spielen jedoch auch eine bedeutende Rolle innerhalb der

kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die aus den Affekten einen ökonomischen Wert zu ge-

winnen vermag (ebd.: 3).

Folglich ist ein Bereich innerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaften, in

dem viel affektive Arbeit geleistet wird, die Unternehmenskommunikation, gleichwohl dort

andere Begrifflichkeiten verwendet werden (Hipfl 2014: 11). Beispielsweise sprechen

Süss/Zerfaß/Dühring (2011: 3) von einem „Management von immateriellen Werten“ (ebd.), das

„traditionell in der Unternehmenskommunikation verortet“ (ebd.) sei. Eine solche Unterneh-

menskommunikation fokussiert im Rahmen von Corporate Branding vor allem erfolgreiches

Reputations-, Image- und Stakeholdermanagement (ebd.: 151f.). Diese unternehmerischen Ak-

tivitäten könnten nach Hipfl (2014: 11), aus dem Blickwinkel des Konzepts affektiver Arbeit,

als Affekt-Modulation betrachtet werden. Dahinter stehe nach Lazzarato (1996) das Bestreben

eines Unternehmens, durch die Produktion bestimmter immaterieller Werte die Kundschaft zur

weiteren Konsumption von Gütern anzuregen. „These values presuppose the modes of being,

modes of existing, and forms of life that support them.“ (Ebd.: 14) So kann beispielsweise ein

Werbesport auf bestimmten Werten und Lebensformen aufbauen, die bei den Rezipierenden als

ansprechend und gut wahrgenommen werden, weil dieser Clip es schafft, beim Publikum jene

Art von begehrenswertem Lebensgefühl hervorzurufen, an welchem dieses gerne teilhaben

21

würde – was nicht ausschließt, dass die Reaktionen der Rezipierenden auf den Spot nicht auch

kritischer oder ablehnender Natur sein können (Hipfl 2014: 12).

Außerdem befasst sich die Kommunikationswissenschaft mit dem Begriff des Affekts

spätestens seit dem Terminus des „Affektfernsehens“ von Gary Bente und Bettina Fromm

(1997), der nur kurz nach dem Konzept der affektiven Arbeit von Lazzarato (1996) Einzug in

den kommunikationswissenschaftlichen Diskurs gehalten hat, wenngleich darin kein Bezug auf

Lazzarato oder Affekttheorien allgemein genommen wird (Hipfl 2014: 13).

Der Begriff des Affektfernsehens ist von Bente und Fromm (1997) gewählt worden, um

jene Fernsehformate zu beschreiben, die gegen Ende der 1990er aufkamen. Solche würden zu-

nehmend die individuellen Schicksale und interpersonalen Beziehungen nicht-prominenter

Menschen authentisch und nicht-fiktional wiederzugeben trachten. Dazu gehören etwa Spiel-

und Beziehungsshows, Affekt-Talks oder Suchsendungen. Zu den wesentlichen Charakteristika

des Affektfernsehens zählen nach Bente und Fromm (1997: 20) Personalisierung, Authentizität,

Intimisierung und Emotionalisierung. Letzteres werde insbesondere durch Großaufnahmen er-

zielt, welche die Handelnden in emotional bewegenden Situationen ihres Lebens zeigen,

wodurch der Sachverhalt gegenüber der persönlichen Empfindung in den Hintergrund rücke.

Überdies übernähmen die Figuren Moderierender eine wichtige Funktion hinsichtlich der Per-

sonalisierung, indem sie als Anchorwomen/Anchormen fungieren würden, die zwischen den

wechselnden Geschichten und Themen eine konstante Komponente bildeten, die eine länger-

fristige Gefühlsbindung an die Moderierenden bzw. das Sendeformat ermögliche.

Schlussendlich bleibt im Rahmen der Medien- und Kommunikationsforschung die Frage zu

beantworten, inwieweit wir im Rahmen der jeweiligen symbolischen Machtordnung, die eine

Gesellschaft durchdringt, von Medien insofern affiziert werden, als dass durch die Verbindun-

gen, die unsere Körper mit Medien eingehen, bestehende Kräfterelationen stabilisiert, oder auf-

gebrochen werden (Hipfl 2014: 15f.).

2.1.5 Affekte in der Lehre von Benedictus de Spinoza Affekte bilden einen integralen Bestandteil der Moralphilosophie von Benedictus de Spinoza

(2007), wie er sie insbesondere in seinem Hauptwerk „Die Ethik“ ausführlich darstellt. Dort

fragt er nach der Entstehung und Beschaffenheit von Affekten, wie beispielsweise jene der

Hoffnung und Furcht. Er untersucht, wie diese als Leidenschaften negativ auf das menschliche

Leben wirken, unser Handeln, Denken und unsere Freiheit einschränken könnten und dement-

sprechend mithilfe der Vernunft kontrolliert und überwunden werden sollten. Letzten Endes

22

könne der Mensch auf diesem Weg zu Freiheit und wahrer Erkenntnis gelangen, bei welcher

Spinozas Verständnis von Gott eine wesentliche Rolle spielt, wie in weiterer Folge zu zeigen

sein wird.

2.1.5.1 Affekte, Leidenschaften und die Rolle der Substanz

Schon zu Beginn der „Ethik“ führt Spinoza (2007: 4-9) den Begriff der „Affektion“ („affec-

tio“)2 ein. Dieser verweist auf einen spezifischen Zustand, den „Modus“, den die „Substanz“

einnehmen kann: „Unter Modus verstehe ich die Affektionen der Substanz oder das, was in

einem anderen ist, durch das es auch begriffen wird.“ (Ebd.: 5, H. i. O.) Die Substanz hingegen

sei die eine unendliche, nicht teilbare Substanz, also Gott: „Unter Gott verstehe ich das absolut

unendlich Seiende, d. h. die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht […]“ (ebd., H. i.

O), wobei die „Attribute“, Spinozas Auffassung nach, „das an der Substanz [sind], was der

Verstand als zu ihrem Wesen gehörig erkennt“ (ebd.), welche demnach das Wesen der Substanz

grundlegend konstituieren würden. Außerdem bestünde die Substanz/Gott, so Spinoza (2007:

4-9) weiter, als unendliches Sein nur aus sich selbst und keinem anderen Sein heraus – einer

Ursache gleich, aus der alles andere Existierende hervorgehe – weshalb die Substanz notwen-

digerweise auch vor ihren Affektionen existiere.

Mit Rückgriff auf diesen Begriff der Affektion („affectio“) definiert Spinoza (2007: 254f.) in

weiterer Folge den Terminus des „Affekts“ („affectus“):

„Unter Affekte verstehe ich die Affektionen des Körpers, durch die das Tätigkeitsvermögen des Körpers vergrößert oder verringert, gefördert oder gehemmt wird; zugleich auch die Ideen dieser Affektionen.“ (Ebd.: 255, H. i. O.)

Hiernach umfasst der Affekt ein ‚Affiziert-Werden‘ des menschlichen Körpers, welches seine

Handlungsmächtigkeit steigert oder schwächt, jedoch zugleich auch die Vorstellung von dieser

Affektion – einem geistigen Eindruck jener Spuren gleich, die ebenso auf dem materiellen Kör-

per ihre Abdrücke hinterlassen (ebd.: 255ff.).

Was den Affekt („affectus“) Spinozas streng genommen von seiner Auffassung einer

Affektion („affectio“) unterscheide, erklärt Deleuze (1988: 64ff.) folgendermaßen: Der Affekt

bilde stets einen Übergang von einer Affektion – d. h. von einem Zustand, der durch das Vor-

2 Das lateinische Wort „affectio“ ist ein Substantiv, das passive wie aktive Komponenten in sich vereint. Abgeleitet vom Verb „afficere“, das in erster Linie mit „einwirken“ – auf etwas oder jemanden – übersetzt wird, kann es sowohl für einen Zustand oder eine spezifische Beschaffenheit – die durch eine Einwirkung zustande gekommen ist – stehen, als auch für die Einwirkung selbst. Darüber hinaus kann „affectio“ auch mit Stimmung oder Neigung übersetzt werden. (Stowasser/Petschenig/Skutsch 2007: 22)

23

handensein eines anderen affizierenden Körpers ausgelöst wurde – zur nächsten Affektion. Da-

her existiere der Affekt im Unterschied zur Affektion im Grunde nur während der Dauer der

Veränderung, nämlich während jener des Übergangs, dies dann allerdings sowohl geistig als

auch körperlich. Ein Affekt in diesem Sinne, welcher sich in der Passage kontinuierlich wandle

und der einem Gefühl gleiche, werde in „einer gelebten Dauer, die den Unterschied zwischen

zwei Zuständen einschließt, empfunden“ (Ebd.: 66).

Dass solche Affekte und Affektionen auf körperlicher wie geistiger Ebene wirken, er-

klärt Spinoza (2007) damit, dass die Attribute der Substanz, mitsamt ihren Affektionen, sowohl

solche der Ausdehnung [„extensio“], d. h. den materiellen Aspekt eines Dinges, als auch die

Idee [„cogitatio“], die geistige Vorstellung desselbigen, umfassen würden, „[…] daß folglich

die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz ein und dieselbe Substanz ist, die bald

unter diesem, bald unter jenem Attribut aufgefaßt wird.“ (Ebd.: 123)

Demnach zeige sich die Substanz/Gott nach Spinoza (2007) gleichermaßen auf der ma-

teriellen wie geistigen Ebene alles Seienden, und wirke nicht auf der einen Ebene früher oder

stärker, als auf der anderen. Da die Substanz letztlich nur durch sich selbst – aus den Attributen

und Modi, die sie ausmachen – begriffen werden könne, müsse auch der Verstand des Men-

schen – als Bestandteil des unendlich Seienden, aus dem alles hervorgeht – analog zur Struktur

der Substanz geschaffen sein, und müsse dementsprechend erkennen, dass außerhalb Gottes

nichts existieren könne: „Alles […] ist in Gott, und alles, was geschieht, geschieht einzig und

allein durch die Gesetze der unendlichen Natur Gottes und folgt notwendig aus seinem Wesen

[…].“ (Ebd.: 45)

Somit war Spinoza ein Monist, wie Nigel Thrift (2004: 61f.) feststellt: Indem jener daran

glaubte, dass Gott die eine Substanz sei, aus der alle Objekte und Lebewesen, ihr Handeln und

ihr Denken hervorgehen, da sie alle lediglich Modifikationen der Natur Gottes darstellen wür-

den, überwand Spinoza dualistische Positionen wie jene von Descartes, wonach das Universum

aus zwei voneinander getrennten Substanzen bestünde, nämlich materielle Extension auf der

einen, und der Geist/das Denken auf der anderen Seite. Vielmehr ging Spinoza davon aus, dass

physische und psychische Prozesse parallel zueinander geschähen, quasi als zwei Seiten der-

selben Medaille, weshalb geistige Erkenntnis gleichzeitig mit leiblichen Reaktionen verlaufen

müsse.

Insofern könne Spinozas Lehre nach Wolfgang Röd (2002: 102) nicht hinreichend er-

klärt werden, wenn zwischen Geist und Körper einfach von einer psychosomatischen Wechsel-

wirkung ausgegangen werden würde. Stattdessen verkörpere Spinozas Denken einen „psycho-

24

physischen Parallelismus“ (ebd.), wonach „psychische und physische Zustände als Modifikati-

onen von Denken und Ausdehnung als Attribute der Einen Substanz betrachtet werden“ (ebd.),

und deshalb „im Grunde dasselbe“ (ebd.) bedeuten würden.

Ergo setzt Spinozas Annahme vom Parallelismus Körper und Geist weder in eine Kau-

salbeziehung zueinander, noch wird einer Ebene gegenüber der anderen mehr Bedeutung ver-

liehen, wie Deleuze (1988: 28f.) feststellt: Was der Mensch an Leidenschaften passiv erfahre,

geschehe körperlich wie geistig im selben Ausmaß, ebenso wie aktive Tätigkeiten, die aus dem

materiellen und seelischen Vermögen entspringen, freigesetzt durch eine Affizierung des Kör-

pers in der Begegnung mit anderen Körpern.

Daher, so konstatiert Deleuze (1993b: 278ff.), könne der menschliche Körper bzw. des-

sen Geist/Seele im Sinne Spinozas besonders über seine Affekte – sein je individuelles, körper-

lich-geistiges Vermögen auf andere affizierend zu wirken oder selbst affiziert zu sein – definiert

werden. Dies mache die Modi des Körpers aus: „Denn konkret ist ein Modus im Körper wie

auch im Denken […] eine Macht des Körpers oder des Denkens, zu affizieren oder affiziert zu

werden.“ (Ebd.: 279) Solche Modi seien nach Deleuze (1993b: 278ff.) mit einem je spezifischen

Vermögen für Affekte behaftet. Individuell zeigten sich Körper dergestalt nur dahingehend,

dass sie zu unterschiedlichen Affekten fähig seien.

Insofern könnten wir nach Spinozas Lehre, so schreibt Hardt (2007: x), im Vorhinein

nie erahnen, zu welchen Affekten ein Mensch imstande sei, oder was er letztlich denken, wie

er handeln könnte, wenn er auf andere Körper oder Ideen reagiert, wodurch sein Vermögen

gestärkt oder geschmälert werde. Je stärker wir affiziert werden, desto größer sei auch unser

Vermögen, andere zu affizieren, also selbst zu handeln.

Lustvolle Begegnungen, konstatiert Deleuze (1988: 57f.) überdies zu Spinozas Theorie

der Affekte, würden Körper dergestalt affizieren, dass sie mit anderen eine Verbindung einge-

hen möchten, wodurch das Vermögen affiziert zu werden, als auch selbst zu affizieren, gestei-

gert werde; das Vermögen zu handeln, als auch geistig zu erkennen, sei somit erhöht. Unlust-

volle Begegnungen hingegen würden das Tätigkeitsvermögen senken.

Welche Affekte nach Spinoza (2007: 255ff.) in einem aktiven Handeln münden und welche

sich als passive Leidenschaften im menschlichen Körper äußern würden, folge aus der Art ihrer

Ursache. Jene Ursachen, die aus uns selbst kommen, entsprächen adäquaten Ideen und ver-

mehrten die Handlungsfähigkeit, während inadäquate Ursachen mit ebensolchen Ideen, die vor-

wiegend von außen kommen, das Tätigkeitsvermögen senken würden: „Wenn wir also die adä-

quate Ursache einer dieser Affektionen sein können, verstehe ich unter Affekt eine Handlung,

im anderen Fall ein Leiden.“ (Spinoza 2007: 255, H. i. O.)

25

Leidenschaften seien nach Spinoza (2007) stets unvernünftig, weil der Geist ihnen pas-

siv ausgesetzt sei, wodurch jegliche rationale Erkenntnis verhindert werde. Die Furcht gehöre

neben Hass, Neid, Geiz, Trauer etc. zu den negativen, das Tätigkeitsvermögen mindernden Af-

fekten. Lediglich die Liebe zur unendlichen Substanz, die auf der rationalen Erkenntnis adä-

quater Ideen beruht, sei ein positiver, das geistige wie körperliche Vermögen steigernder Af-

fekt, der letztlich zur Glückseligkeit führe.

Deshalb sollten nach der Vorstellung von Spinoza (2007: 699ff.) die Lüste passiver Af-

fekte beständig zugunsten aktiver Bestrebungen nach Glückseligkeit überwunden werden. Mit

Hardt (2007: x) können diese Bestrebungen Spinozas als ein politisches wie ethisches Pro-

gramm verstanden werden, externe Erregungen der Leidenschaften gegen innere Beweggründe

zu ersetzen, und das (Er-)Leiden von Körper und Geist für die Ratio bzw. Vernunft geistiger

und körperlicher Handlungen, die zwangsweise freudebringend seien, einzutauschen.

„For Spinoza, the ethical and political project involves a constant effort to transform passions into actions, to replace encounters that result from external causes, which may be joyful or sad, with encounters determined by internal causes, which are necessarily joyful.“ (Hardt 2007: x)

Zu jenen Leidenschaften, die es zu transformieren gelte, zählt Spinoza (2007: 297) u. a. auch

die Affekte Hoffnung und Furcht, wie im Folgenden umrissen werden soll.

2.1.5.2 Hoffnung und Furcht als Leidenschaften Hoffnung entstehe nach Spinoza (2007: 297) aus der Vorstellung von etwas, das zwar erst zu-

künftig eintreten könnte, jedoch bereits in der Gegenwart affizierend wirke, so, als ob es schon

vorhanden wäre. Ebenso verhalte es sich mit der Furcht. Charakteristisch an beiden Affekten

sei der Zweifel, der ihnen innewohne; sie hielten an, bis die Unsicherheit über die Entwicklung

der Dinge verschwunden sei. Dann nämlich könne sich die Hoffnung in Zuversicht und die

Furcht in Verzweiflung verwandeln, wobei wir Menschen Hoffnung und Zuversicht als lustvoll

empfänden, während Furcht und Verzweiflung unlustvolle Leidenschaften seien.

„Wenn nun der Zweifel bei diesen Affekten schwindet, so wird aus Hoffnung Zuversicht, aus Furcht Verzweiflung, nämlich Lust oder Unlust, entsprungen aus der Vorstellung eines Dinges, das wir gehofft oder gefürchtet haben.“ (Spinoza 2007: 297, H. i. O.)

Welche Dinge hoffnungsvolle oder furchtsame Affekte auslösen, sei nach Spinoza (2007: 361)

zufällig und nicht notwendig: „Jedes Ding kann durch ein Akzidens Ursache der Hoffnung oder

der Furcht sein.“ (Ebd., H. i. O.) Das bedeutet, ein- und dieselbe Sache kann dem einen Men-

schen Furcht einflößen, den anderen mit Hoffnung erfüllen, oder einen dritten überhaupt nicht

affizieren (ebd.: 363). Außerdem könnten Objekte zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschie-

dene Affekte in ein- und derselben Person hervorrufen (ebd.).

26

In weiterer Folge beziehe sich laut Spinoza (2007: 361-303) der Affekt der Hoffnung vorwie-

gend auf Dinge, die wir lieben und nach deren Erreichung oder Erhaltung wir demnach strebten.

Bei der Furcht verhalte es sich umgekehrt; wir würden versuchen, diese Dinge aus unserem

Leben zu beseitigen. Auch wenn beispielsweise der Aberglaube gewisse Vorzeichen als Hoff-

nungsträgerinnen sehe, so handle es sich eben doch nur um einen Glauben, wenngleich um

einen lustvollen, an welchem wir daher eher festhielten, als an der Furcht, die mit Unlust und

Hass assoziiert sei. Denn die Unlust führe zu Schmerzen und Hass dem Objekt gegenüber, das

diese Affekte auslöse, wodurch das Tätigkeitsvermögen vermindert werde. Hingegen bewirke

die Lust heitere und liebevolle Affekte, die das körperliche und geistige Potenzial steigern, und

wonach der menschliche Geist streben würde. Lust und Unlust, Liebe und Hass, könnten sich

von einem affizierenden Objekt auf ein anderes übertragen, welches in der Vorstellung Ähn-

lichkeit mit ersterem habe, auch wenn es den jeweiligen Affekt nicht ursprünglich ausgelöst

hat. Analog verhalte es sich mit der Vorstellung, dass ein von uns geliebter Mensch von einem

Objekt lust- oder unlustvoll affiziert wird, wodurch sich die entsprechenden Affekte, die sie/er

diesem Ding gegenüber empfindet, ebenso auf uns übertragen könnten; wir hassen, was sie/er

hasst und lieben, was sie/er liebt, weil wir um die Vernichtung des geliebten Objektes, welches

das Tätigkeitsvermögen stärkt, bangen und dementsprechend nach dessen Erhaltung trachten

würden.

Wenn eine Unsicherheit über die weitere Entwicklung einer Sache, die wir zu erhalten trachten,

gegeben ist, kämen die Affekte Hoffnung und Furcht ins Spiel, welche sich nach Spinoza (2007:

405) den Moment des Zweifelns teilen würden. So seien beide Affekte stets auf etwas gerichtet,

dessen Ausgang immer ungewiss bleibe. Außerdem seien sie auch deshalb untrennbar mitei-

nander verbunden, da Hoffnung stets Furcht impliziere und vice versa. Hoffende fürchteten,

dass das, worauf sie hoffen, niemals geschehen werde, während Fürchtende hoffen würden, ihre

Idee von Furcht nähme niemals Gestalt an:

„Aus diesen Definitionen folgt, daß es keine Hoffnung gibt ohne Furcht und keine Furcht ohne Hoffnung. Denn von jemandem, der in Hoffnung schwebt und über den Ausgang einer Sache in Zweifel ist, wird angenommen, daß er sich etwas vorstellt, was die Existenz dieser zukünfti-gen Sache ausschließt, und also insofern Unlust empfindet […] und folglich, während er in Hoffnung schwebt, fürchtet, die Sache könne nicht eintreffen. Wer hingegen in Furcht ist, d. h. über den Ausgang einer Sache, die er haßt, in Zweifel ist, stellt sich ebenfalls etwas vor, was die Existenz dieser zukünftigen Sache ausschließt, und folglich […] empfindet er Lust und hat also insofern Hoffnung, daß die Sache nicht eintreffen werde.“ (Spinoza 2007: 405)

Insofern löse die Hoffnung nach Spinoza (2007: 541) niemals nur lustvolle Affektionen aus,

weshalb es sich bei ihr auch nicht um einen Affekt handeln könne, der von sich aus gut ist.

27

Ähnlich verhalte es sich auch mit der Zuversicht, die der Hoffnung folge und mit der Verzweif-

lung korrespondiere. Seines Erachtens sollten die Menschen deshalb danach trachten, ihr Leben

nicht von Hoffnung und Furcht beherrschen zu lassen, sondern sich mithilfe der Vernunft von

diesen Leidenschaften zu befreien, um das Vermögen von Geist und Körper zu steigern.

Somit ist die Hoffnung für Spinoza – und hierbei unterscheidet er sich kaum von anderen Phi-

losophen seiner Zeit, wie etwa Descartes – ein kaum interessanter, ja vielmehr störender Affekt,

den er folglich nicht näher in den Fokus seiner Erörterungen stellt (Schmitz 2012: 92).

Denn Spinoza (2007: 619-701) plädiert dafür, dass der Mensch sich kraft seines Ver-

standes von allen Qualen loslösen sollte, welche durch Leidenschaften und Begierden hervor-

gerufen werden. Dies sei möglich, weil ein Affekt eben nicht nur die körperliche Ebene betrifft,

sondern auch jeweils mit einer Idee im Geist verknüpft sei. Wie bereits erwähnt, würden äußere

Ursachen zu inadäquaten Ideen führen, die nicht aus dem Inneren unseres Wesens entsprungen

sind. Solche Ideen seien verworren und unklar und führten zu einem leidenden Geist und Kör-

per, sowie zu einem verminderten Tätigkeitsvermögen. Insofern wir nun von solch einem ne-

gativen Affekt betroffen sind, sollten wir uns die Idee, die mit diesem verbunden ist, vor Augen

führen. Denn einmal ins Bewusstsein gerufen, werden die Vorstellungen klarer; das Leiden

„[…] hört auf, ein Leiden zu sein, sobald wir eine klare und deutliche Idee von ihm bilden.“

(Ebd.: 629, H. i. O.) Die Gedanken, die negative Affekte begleiten, könnten auf diese Weise

gewissermaßen gesteuert und getilgt werden, sodass auch der Affekt selbst verschwinde (ebd.):

„Wenn wir eine Gemütsbewegung oder einen Affekt von dem Gedanken der äußeren Ursache trennen und mit anderen Gedanken verbinden, so werden die Liebe oder der Haß gegen die äußere Ursache, wie auch die Schwankungen des Gemüts, die aus diesen Affekten entspringen, vernichtet werden.“ (Spinoza 2007: 629, H. i. O.)

Schließlich ließen sich weise Menschen von äußeren Faktoren kaum noch beeinflussen, glaubt

Spinoza (2007: 699ff.). Im Gegensatz zu den „Unwissenden“ (ebd.: 699) seien sie sich der

„Macht des Geistes über die Affekte“ (ebd.) bewusst und hörten dementsprechend auf, an den

Affekten zu leiden, wodurch sie „im Besitze der wahren Befriedigung des Gemüts“ (ebd.: 701)

seien.

28

2.1.6 Emotionen und ihre affektive Wirkung bei Sara Ahmed Laut Sara Ahmed (2004; 2014) spielen Emotionen eine wesentliche produktive Rolle hinsicht-

lich der Konstitution individueller wie auch kollektiver Körper. Dieser Auffassung nach sind

Emotionen nichts Privates, das die mentalen wie physischen Grenzen eines Individuums nicht

überschreiten könnte, welches also weder rein vom Innenleben einer Person kommend sich in

ihrem je speziellen Verhalten äußere, noch von äußeren Impulsen angeleitet unterschiedliche

Reaktionen in einem Individuum auslösen könne. Vielmehr würden Emotionen die Oberflächen

von Körpern – in deren Formen sie in Erscheinung treten – über wiederholte Handlungen und

Worte, die über die Emotionen eine affektive Aufladung erfahren hätten, erst hervorbringen,

ebenso wie die Grenzen zwischen diesen Körpern. Auf welche Weise Emotionen bzw. Affekte

dabei an Objekten „kleben“ bleiben, während sie sich zwischen individuellen und kollektiven

Gebilden in einer Kultur bewegen und zirkulieren, und auf diese Weise Körper formen und

konstituieren, soll in den nachfolgenden Abschnitten näher erläutert werden.

2.1.6.1 „What do emotions do?“ Angesichts ihrer besonderen Sichtweise auf Emotionen interessiert sich Ahmed (2004; 2014)

nicht für deren Wesen, ihre Herkunft oder Genese, sondern fragt vielmehr danach, was diese

Emotionen mit unseren Körpern machen: „So rather than asking ‘What are emotions?’, I will

ask, ‘What do emotions do?’. […] I will track how emotions circulate between bodies, exam-

ining how they ‘stick’ as well as move.“ (Ahmed 2004: 4)

In weiterer Folge liegt der Fokus von Ahmed (2004; 2014) nicht auf dem Wesen von

individuellen Emotionen oder Gefühlen, die lediglich eine Relevanz für das einzelne Indivi-

duum besäßen, sondern auf deren sozialen und politischen Effekten bei der Hervorbringung

von Körpern, deren Konturen über den emotionalen Kontakt mit anderen Körpern beständig

geschaffen und geformt werden, „[...] [so]dass Gefühle ‚das Kollektiv‘ überhaupt erst so er-

scheinen lassen, als ob es ein Körper wäre.“ (Ahmed 2014: 186, H. i. O.)

Bei ihrer Begriffsdefinition von „Emotion“ verweist Ahmed (2004: 11; 2014: 187) in erster

Linie auf dessen Etymologie, abgeleitet vom lateinischen Wort „emovere, referring to ‘to move,

to move out‘“ (Ahmed 2004: 11, H. i. O.). Analog dazu übersetzen Stowasser/Pet-

schenig/Skutsch (2007: 178) „emovere“ mit „hinausschaffen, -treiben“ (ebd.), aber auch „ver-

treiben“ (ebd.) oder „verscheuchen“ (ebd.), während die Wortwurzel „movere“ hingegen für

29

Bewegung in mehrerlei Form steht (ebd.: 324). Buchstäblich wird dieser Begriff mit „in Bewe-

gung setzen, erschüttern [...] verwandeln, verändern“ (ebd.) ins Deutsche übersetzt. Daher ge-

langt Ahmed zu der Schlussfolgerung: „Es sind also Emotionen, die uns bewegen.“ (Ahmed

2014: 187)

Gleichzeitig impliziere die Begrifflichkeit „Emotionen“, verstanden als eine Bewegung,

eine Art Kraft, die Körper auf andere zu- oder wegbewegt, auch deren Bindung an diese anderen

Körper oder Orte, so Ahmed (2004: 11; 2014: 187f.) weiter. Diese Kraft halte uns an denjenigen

Körpern fest, zu denen wir hingezogen werden, oder vertreibe uns von jenen, wo wir uns abge-

stoßen fühlen. Daher seien aktive Bewegungen von Körpern, oder das passive Bewegt-Werden

derselbigen, stets in Relation zur Nähe von anderen Körpern zu sehen, ohne deren Berührung

keine Affizierung möglich wäre.

Denn eben über diesen Kontakt mit der Oberfläche von anderen Körpern – bei Men-

schen handelt es sich dabei um deren Haut – entstehe nach Ahmed (2004: 6f.; 2014: 191) der

emotionsgeladene ‚Eindruck‘, den sich Personen voneinander und von den Objekten ihrer Um-

welt machen, oder welchen sie wiederum auf andere ausüben könnten. ‚Druck‘ hinterlasse näm-

lich eine wahrnehmbare Spur auf der Oberfläche, wie etwa eine Druckstelle, sodass ein ‚Ein-

druck‘, der durch den Kontakt zwischen Individuen entsteht, sich wörtlich genommen wie ein

Abdruck in ihren Körperoberflächen auswirke. Als solcher hinterlasse er ein spürbares Gefühl,

und ferner eine Emotion in ihrem Inneren.

Dies stimmt insofern mit der Etymologie des Wortes „movere“ überein, als dass dieses

nach Stowasser/Petschenig/Skutsch (2007: 324), im übertragenen Sinn, auch „Eindruck ma-

chen, beeinflussen [...] begeistern [...] reizen, empören“ (ebd.) bedeuten kann.

Somit seien Emotionen nach Ahmed (2004: 7f.) stets relational zu begreifen, weil sie

durch den Kontakt mit bestimmten Objekten – und dazu gehören meist solche, die in der Ver-

gangenheit bereits einen Eindruck auf unserer Oberfläche hinterlassen haben – provoziert wer-

den. Kein Objekt sei intrinsisch mit bestimmten Emotionen verknüpft. Wohl aber würden ihm

solche Emotionen im Nachhinein zugeschrieben werden. Dabei spielten auch Geschichten von

der Begegnung mit anderen Körpern, die wir lediglich vom Hören-Sagen kennen, eine Rolle,

indem sie als Eindrücke abgespeichert werden, die mit Gefühlen und Reaktionen verbunden

sind. Als Beispiel nennt Ahmed ein Kind, das zum ersten Mal auf einen Bären trifft und dem-

entsprechend unvoreingenommen sein müsste. Unser kulturelles Gedächtnis oder solche Er-

zählungen, in denen der Bär als furchteinflößendes Tier gezeichnet ist, könnten aber beim Kind

bereits einen Eindruck von Furcht hinterlassen haben. Dadurch könnte es sich augenblicklich

erschrecken und infolgedessen flüchten, wenn es dem Bären begegnet, noch bevor es einen

30

eigenen Eindruck, eine persönliche Erfahrung mit dem Tier, hätte machen können. Ein anderes

Kind jedoch, das noch nie von der Existenz eines Bären gehört hätte und dementsprechend

unbeeindruckt wäre, würde möglicherweise in Folge einer Begegnung mit dem Tier alternative

Emotionen empfinden, oder sich aber nach dem Aufeinandertreffen ebenso erschrocken fühlen

und zukünftig den Bären fürchten, wodurch der Bär wiederum zu etwas Furchteinflößendem

gemacht werden würde.

Folglich werden im Moment der Begegnung von Körpern, so Ahmed (2014: 191f.) wei-

ter, den Anderen konstitutive Eigenschaften zugeschrieben, die maßgeblichen Einfluss auf die

weitere Interaktion haben können. Mit anderen Worten würde unter Umständen eine Person,

die sich vom Verhalten einer anderen insultiert fühlt, diese anschließend als verletzenden, even-

tuell sogar als hassenswerten Körper sehen. Dabei sei die jeweilige Lesart von Körpern wiede-

rum durch frühere Eindrücke beinflusst, evoziert durch einen vorangegangenen Kontakt zum

selben, oder einem anderen Körper.

Anders formuliert seien Emotionen nach Ahmed (2004: 10f.; 2014: 191f.) in Verbin-

dung mit subjektiven Empfindungen und kognitiven Inhalten – wie Erinnerungen, Interpretati-

onen, Urteilen etc. – die mit den Körpern Anderer und ihren Eindrücken auf uns verknüpft

seien, als Affekte am „Zutage-Treten von Körpern“ (Ahmed 2014: 192) maßgeblich beteiligt.

Daher schließt Ahmed (2004; 2014), dass Emotionen grundlegend an der Erzeugung von phy-

sischen Objekten und sozialen Gebilden beteiligt seien, indem sie die Oberflächen der Körper

mitsamt ihren Grenzen formen, wodurch sie eine Trennung zwischen einem ‚Innen‘ und ‚Au-

ßen‘, zwischen einem ‚Ich‘ und ‚Du‘, oder einem ‚Wir‘ und den ‚Anderen‘, überhaupt erst er-

möglichen würden.

„[...] I suggest that emotions are crucial to the very constitution of the physic and the social as objects, a process which suggests that the ‘objectivity’ of the psychic and social is an effect rather than a cause. [...] [E]motions create the very surfaces and boundaries that allow all kinds of objects to be delineated.“ (Ahmed 2004: 10)

Die Objekte, welche nach Ahmed (2004: 10f.) durch Emotionen geschaffen werden, seien we-

der völlig individuell noch rein kollektiv; ähnlich, wie eine ‚Emotion‘ als ein gegenständliches

Objekt weder vollständig im individuellen noch im sozialen Bereich verortet werden könne,

sondern vielmehr als eine Körperlichkeit konstituiert und umrissen werde. Dies impliziere fer-

ner, dass eine konkrete Emotion nicht einfach von einem Individuum zum nächsten übertragen

werden könne, da unterschiedliche Menschen teils voneinander abweichende Verbindungen zu

diesem Gefühl haben könnten, gleichwohl es sich für die Beteiligten in einer Situation so an-

fühlen könnte, als würde die Emotion überspringen. Was sich hingegen zwischen mehreren

Individuen bewege, seien die Effekte der Emotionen, welche in einem zirkulären Prozess, im

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Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft, bestimmte Objekte/Körper formen und

konstituieren würden.

„[…] I suggest that it is the objects of emotion that circulate, rather than emotion as such. […] [E]motions can move through the movement or circulation of objects. Such objects become sticky, or saturated with affect, as sites of personal and social tension.“ (Ebd.: 11)

Insofern zirkulieren mit Ahmed (2004: 10ff.) nicht die Emotionen per se, sondern die von ihnen

produzierten Objekte. Daher können Objekte für verschiedene Menschen, an unterschiedlichen

Orten oder in abweichenden Epochen, mit differenten Emotionen und Affekten behaftet sein.

Immer aber würde ein bestimmtes Objekt als die Quelle jener Gefühlsregungen und Reaktionen

erachtet, die Personen ihm entgegenbringen – unabhängig davon, ob sie sich der empfundenen

Emotion(en) auch bewusst seien. Dadurch würde der andere Körper stets als Ursache der eige-

nen Gemütsbewegungen wahrgenommen, obwohl eigentlich die individuellen Relationen der

affektiv Bewegten zu demselben Objekt maßgeblich daran beteiligt seien, welche emotionsge-

ladenen Bedeutungen überhaupt anhaften bzw. ‚kleben‘ bleiben.

2.1.6.2 „Accumulation of affective value“

Fragen der ungleichen Verteilung von Macht innerhalb einer Gesellschaft spielen nach Ahmed

(2004: 12f.) eine besondere Rolle bei der Produktion und Zirkulation von Körpern. Figuren, die

von der sozialen Norm abweichen, würden auch als abnormale, mit negativen Emotionen be-

haftete Körperlichkeiten in Erscheinung treten und als solche wiederum zwischen Menschen

zu zirkulieren beginnen. Das geschehe zu einem großen Teil mithilfe beständig wiederholter

Wörter oder Zeichen, die mit ihnen konnotiert werden. Indem bestimmte Bezeichnungen an

den Objekten haften blieben, entstünden konkrete sprachliche Figuren („figures of speech“),

die wiederum Raum für weitere ‚klebrige‘ Verbindungen und für neue Assoziationen eröffnen

würden, sodass verschiedene Figuren sich miteinander vermengen könnten. Besonders zu be-

rücksichtigen seien jedoch jene sprachlichen Verbindungen, die aus der Vergangenheit über-

nommen wurden und daher verdeckt an der Hervorbringung und Zirkulation von emotionsbe-

hafteten Wörtern, sowie den mit ihnen assoziierten Objekten, beteiligt seien. Denn ein Gefühl

für ein Objekt sprachlich zu äußern, schaffe real erfahrbare Effekte, die sich dann auch als Af-

fekte in den Reaktionen jener zeigen könnten, die mit diesem Objekt in Berührung kommen.

Ferner würde die Relation zwischen einem Wort und dem Objekt, das es bezeichnet,

mit der Häufigkeit seiner Verwendung stärker, konstatiert Ahmed (2004: 91f.) weiter. Anders

formuliert verfestige sich die Verbindung zwischen dem Zeichen und dem Gebilde, worauf es

verweist, mit jeder Wiederholung, bis sein Gebrauch derartig unreflektiert passiere, dass die

32

Bedeutung des bezeichneten Objektes als intrinsisch erscheine, obwohl sie lediglich durch eine

Vielzahl an Repetitionen als solche haften geblieben sei. Ausdrücke mit pejorativen Konnota-

tionen, wie z. B. das Wort „Paki“, ließen aufgrund ihrer abwertend gemeinten Verwendung in

der Vergangenheit wenig Spielraum, diese Bezeichnungen nicht als Beleidigung zu lesen. Der

negative Beigeschmack sei schließlich ‚kleben‘ geblieben und eine fernere Assoziation mit an-

deren unausgesprochenen, ebenfalls abwertenden Begriffen – wie Außenseiter_in, Immig-

rant_in, schmutzig etc. – unbewusst vollzogen worden. Durch diese verdeckten gedanklichen

Verbindungen, die im Zuge der Zirkulation von Wörtern und den Objekten, die sie benennen,

gezogen werden würden, gewinne ein Zeichen nicht nur an Wert, sondern blockiere auch alter-

native Assoziationen daran, ebenfalls haften zu bleiben und die jeweilige Lesart aufbrechen zu

können.

Dieses Phänomen, wonach die Zirkulation von Emotionen den Affekt bzw. den affektiven Wert

von Objekten hervorbringe und ferner steigere, bezeichnet Ahmed (2004: 45) als die ‚Akku-

mulation von affektivem Wert‘:

„Affect does not reside in an object or sign, but is an effect of the circulation between objects and signs [= the accumulation of affective value]. Signs increase in affective value as an effect of the movement between signs: the more signs circulate, the more affective they become.“ (Ebd.)

Damit vergleicht Ahmed (2004: 45) die Effekte von Emotionen, nämlich den Affekt, mit einem

Kapital, das sich mit der Zeit mehre. Sie knüpft damit an Karl Marx‘ (1962) These zur ‚Akku-

mulation von Kapital‘ an, die er in „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“ ausführlich

dargestellt hat. Marx (1962) zufolge gewinne nämlich das Geld (G), das in kapitalistischen Ge-

sellschaften als „Vermittler der Warenzirkulation“ (ebd.: 85) fungiert und somit die „Funktion

des Zirkulationsmittels“ (ebd.) einnimmt, durch seinen Eintausch in Waren (W) und die erneute

Verwandlung in Geld, das nun zu Kapital (G‘) geworden ist, beständig an Wert hinzu, wodurch

der von Marx (1962) geprägte Begriff des „Mehrwerts“ entstehe:

„Die vollständige Form dieses Prozesses ist daher G – W – G‘, wo G‘ = G + ∆ G, das heißt gleich der ursprünglich vorgeschossenen Geldsumme, vermehrt um einen Zuwachs. Diesen Zu-wachs oder den Überschuß über den ursprünglichen Wert nenne ich – Mehrwert. Der ursprüng-lich vorgeschossene Wert erhält sich daher nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verändert er seine Wertgröße, setzt einen Mehrwert zu, oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwan-delt ihn in Kapital.“ (Marx 1962: 114f., H. i. O.)

Analog verwandelt sich bei Ahmed (2004: 45f.) diese Zirkulation – konkret die Bewegung von

Emotionen zwischen Objekten oder Zeichen – nicht in ein ‚Kapital‘ im ursprünglich

Marx’schen Sinne, wohl aber in Affekte als eine Form von Kapital. Daraus leitet Ahmed ihr

Konzept der „affektiven Ökonomie“ ab, wonach sich Emotionen durch ihre Zirkulation in Af-

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fekte transformieren und mit jeder Bewegung an affektivem Mehrwehrt gewinnen könnten, so-

dass Emotionen innerhalb dieser Logik als Mittel auftreten würden, vergleichbar mit der Rolle

von Geld im kapitalistischen System. Ebenso sei der Wert einer Emotion nicht positiv in einem

Objekt oder einer Person vorhanden, sondern entstehe erst durch die Bewegungen innerhalb

der affektiven Ökonomie. Eine solche Ökonomie im Marx’schen Sinne umfasse neben dem

Materiellen ebenso soziale und psychische Elemente. Indem die beiden letzteren Komponenten

durch die Bewegung von Emotionen in ihren affektiven Produkten eine materielle Entspre-

chung in Körpern und Objekten fänden, verstärke sich deren Materialisierung noch zusehends,

und schaffe die Formen individueller wie kollektiver Körper. Dabei seien Emotionen nicht von

Haus aus in den Körpern vorhanden. Vielmehr setze sich das Subjekt über die Bewegung von

Emotionen – rückwärts wie seitwärts – mit anderen Körpern, Zeichen und Objekten in Bezie-

hung, wodurch zur Entstehung kollektiver Körper beigetragen werde, wie nachfolgend gezeigt

werden soll.

2.1.6.3 Re- und Desorganisation von Raum und Körpern über Furcht und Hass Hass und Furcht seien nach Ahmed (2004) in besonderer Weise an der Hervorbringung von

Körpern, wie an der Re- und Desorganisation von sozialem und körperlichem Raum beteiligt.

Hinsichtlich des affektiven Wertes von hasserfüllten Emotionen führt Ahmed (2004: 42ff.) aus,

wie eine Produktion von ‚hassenswerten‘ Anderen hauptsächlich über eine vermeintliche Ge-

genüberstellung von Liebe und Hass operieren würde, die anschließend zur Bildung von Kol-

lektiven führe. Eine Gruppe von Subjekten, die sich als ein ‚Wir‘ angesprochen fühlt, definiere

sich über den Hass zu denjenigen Anderen, die sie in ihrer Existenz vermeintlich bedrohen, was

wiederum dieses ‚Wir‘, das es zu verteidigen gelte, als solches hervorbringe: „Because we love,

we hate, and this hate is what brings us together.“ (Ahmed 2004: 43, H. i. O.)

Ergo würden hassenswerte Körper nach Ahmed (2004: 42ff.) durch den Affekt des Has-

ses als jene hervorgebracht werden, die von der Norm des ‚Wir‘ abweichen, weshalb die Zir-

kulation von Hass unterschiedliche Objekte und Figuren miteinander verschmelzen könne, die

allesamt eine vermeintliche Gefahr für das dominante Subjekt darstellen. Auf diese Weise binde

Hass nicht nur einzelne Subjekte an imaginierte Gruppen, die ihren Hass aus ihrer Liebe zum

gemeinsamen Kollektiv schöpfen, sondern auch Objekte, Privilegien und Eigentum, die den

hassenswerten Anderen abgesprochen werden, an dieses ‚Wir‘ und den Grund und Boden, den

es bewohnt: „[…] this emotional reading of others as hateful aligns the imagined subject with

rights and the imagined nation with ground.“ (Ebd.: 43)

34

Dabei ziehe mit Ahmed (2004: 42ff.; 2014: 184) dieses imaginierte Subjekt, welches in

diesem Fall dem dominanten Kollektiv angehört, die Legitimation für seine Affektiertheit aus

der Liebe zu seinem Land und den mit Liebe behafteten Objekten. Die hassenswerten Anderen

könnten ihnen die Objekte der Liebe nicht nur entwenden, sondern vielmehr ihren Platz im

Terrain einnehmen. Daher werde ihre bloße Nähe zum ‚Wir‘ und alledem, womit es über die

Reversion des Hasses verknüpft ist, unbewusst als eine Bedrohung interpretiert.

Außerdem können sich mit Ahmed (2004: 45-48) Affekte, wie etwa Hass und Furcht,

durch die Bewegung von Emotionen, verstanden als ein zirkulärer Prozess, welcher affektiven

Mehrwert produziere (vgl. Kapitel 2.1.6.2), von einer Figur auf andere Körper übertragen. Als

Beispiel nennt Ahmed politische Reden zur Flüchtlingsdebatte. Die wiederholte Verwendung

bestimmter Wörter, wie ‚Flut‘ oder ‚überschwemmt‘, hätten eine Verknüpfung mit Asylsuchen-

den und einer furchtsamen Bedrohung geschaffen, welche die Nation überrollen und demgemäß

auslöschen könnte. Ferner sei über ebensolche Texte eine Nähe zwischen Asylsuchenden mit

betrügerischen Absichten und solchen, die keine schlechten Absichten hätten, geschaffen wor-

den, wodurch die Vorstellung erweckt worden sei, dass prinzipiell jede_r Asylsuchende_r ein_e

Betrüger_in sein könnte. In weiterer Folge sei eine Verkettung zwischen den Betrügenden als

Kriminelle/Räuber_innen geschaffen worden, wodurch die Körper Asylsuchender mit einer

räuberischen Figur assoziiert worden seien, die der Nation durch ihre Einwanderung etwas

‚stehlen‘ würde. Daraus zieht das „Wir“ bzw. die Nation als ein „Wir“, im Namen der nationa-

len Sicherheit und des Eigenschutzes, die Legitimation für gewaltsame Handlungen gegen be-

drohlich wahrgenommene Körper, wie etwa jene von Flüchtlingen.

Angesichts des Kontakts mit einem Körper, auf den die Emotion des Hasses gerichtet

ist, versucht also das hassende, sich bedroht fühlende Subjekt seinen sozialen Raum zu halten

bzw. zurückzugewinnen, wie Ahmed (2004: 49ff.; 2014: 196ff.) folgend ausführt. Als Affekt

führe Hass zu starken körperlichen, abwehrenden Reaktionen, die in einer impulsartigen, dis-

tanzierenden Bewegung resultierten, die das Subjekt vom Objekt seines Hasses abstoße, und

dieses ferner auf sich selbst, und weitere Objekte der Liebe, hinführe. Auf diese Weise würden

die Grenzen zwischen dem imaginierten ‚Ich‘/‚Wir‘ und den hassenswerten ‚Anderen‘ im Auf-

einandertreffen beständig reproduziert bzw. neu geformt, weshalb die Wiederherstellung von

individuellem körperlichen Raum als Teil der Rekonstruktion von sozialem Raum gelesen wer-

den müsse. Allerdings seien in diesem Prozess der räumlichen Re- und Desorganisation von

Körpern und ihren Oberflächen, die Objekte des Hasses nicht von vornherein gegeben, ebenso

wenig wie das imaginierte ‚Wir‘. Vielmehr würden sie als Reaktion auf den Kontakt – beein-

flusst durch Assoziationen und Verbindungen mit anderen hassenswerten Objekten, die in der

35

Situation evoziert werden – erst als Figuren des Hasses konstituiert, sodass etwa eine Person

ausschließlich dafür gehasst werden könnte, einem Kollektiv anzugehören, das von der Mehr-

heit gehasst wird.

Auf ähnliche Weise an der Re- und Desorganisation von Raum und Körpern beteiligt, zeigt sich

nach Ahmed (2004: 70f.) auch der Affekt der Furcht. Als ein politisches Regulativ eingesetzt,

könne die ungleiche Verteilung von Furcht innerhalb einer Gesellschaft den einen Körpern

mehr Raum geben, d. h. ihnen ein größeres Territorium verschaffen, auf welchem sie sich frei

bewegen können, während den furchteinflößenden, bedrohlichen Anderen lediglich ein limi-

tiertes Gebiet zugestanden werde. Die räumliche Beschränkung dieser Anderen werde wiede-

rum dadurch legitimiert, dass ihre körperliche Nähe eine Gefahr für die Freiheit der Allgemein-

heit, sprich für den Fortbestand des ‚Wir‘, bedeuten würde.

Dieser Effekt von Furcht, so schreibt Ahmed (2004: 65-69) weiter, der danach dränge,

das Überleben eines bedrohten Subjekts zu sichern bzw. dessen Raum zu erweitern, resultiere

auch aus den körperlichen Reaktionen, die ein fürchtender Körper verspüre. Ein solcher näm-

lich fühle sich von seiner bedrohlich wirkenden Umwelt, oder dem Objekt seiner Furcht, zu-

rückgedrängt und maßgeblich in seiner Existenz bedroht, sodass er der Quelle seiner Furcht

naturgemäß ausweichen möchte. Daher ziehe sich der fürchtende Körper zunächst zusammen,

um sich zu schützen, aber auch um die nötigen Energien für eine darauffolgende Flucht vorbe-

reiten zu können. Insofern sich das Subjekt vor dem fürchtet, was ihn zukünftig erwarten möge,

ist Furcht ein antizipatorischer Affekt. Mit anderen Worten fürchte sich das Subjekt weniger

vor den bedrohlichen Objekten, die bereits da sind, sondern vielmehr vor den unangenehmen

Folgen, die ein Aufeinandertreffen mit diesen bedeuten könnte, sowie vor allen möglichen zu-

künftigen Gefahren, die das gegenwärtige Subjekt verletzen könnten. Aus Furcht vor drohenden

Schmerzen oder Verletzungen – obgleich diese noch nicht eingetreten sind – verspüre das Sub-

jekt bereits in der Gegenwart starke körperliche Sensationen, wie Herzrasen, Schwitzen und ein

allgemeines Gefühl der räumlichen Enge, um eben dem Objekt der Furcht bereits im Vorhinein

ausweichen zu können. Allerdings könne dieser Affekt nicht zwingend zur Einleitung einer

Flucht verhelfen, sondern in manchen Fällen auch in einer Paralyse des Körpers enden. Die

Empfindung einer Gefährdung aber, welche als Reaktion auf die Furcht unangenehm auf den

Körper einzudrücken scheint, könne in beiden Fällen gleich stark ausgeprägt sein.

Schlussendlich zeige sich die Furcht, wie Hass und andere Affekte auch, mit Ahmed (2004) als

ein zirkulärer, kumulativer Prozess, in welchem die Emotionen nicht per se in den Körpern –

das heißt in den Subjekten oder Objekten – vorhanden seien, sondern im Kontakt und Austausch

36

mit anderen entstünden. An manchen Figuren blieben sie haften und gewönnen an Wert, und

verbänden auf diese Weise bestimmte Subjekte mit Kollektiven, von welchen die Anderen –

die Gefürchteten/Gehassten etc. – allerdings exkludiert würden, um über diese Abfolge an

Handlungen und Reaktionen Subjekte und Kollektive als solche überhaupt erst entstehen zu

lassen.

2.1.7 Die affizierenden Effekte mediatisierter Körper zugunsten politischer Veränderungen In ihrem Buch „Global Media, Biopolitics and Affect: Politicizing Bodily Vulnerability“ haben

Britta Timm Knudsen und Carsten Stage (2015) Sara Ahmeds Konzept zur Zirkulation und

Akkumulation von Affekten erweitert, um zu untersuchen, wie Geschichten und Bilder von

individuellen verletzten, oder sogar toten Körpern, durch ihre digitale Verbreitung zu Ikonen

werden, zur Entstehung von Medienevents beitragen und somit mobilisierend auf ganze Men-

schenmassen wirken können. Den Ansatz von Ahmed (2004; vgl. Kapitel 2.1.6.2), wonach an

Objekten ‚kleben‘ gebliebene Affekte durch ihre Zirkulation an Wert gewinnen würden, ergän-

zen Timm Knudsen und Stage (2015: 45f.) um den Faktor der medialen Erfahrung, welcher als

eine Art Katalysator, und bindendes Element, auf die Zirkulation wirken würde:

„We add to this point by approaching affective media experiences as a catalyst both of material productivity and media circulation and as a force that glues various entities to each other, that makes the elements of a global protest assemblage hold together.“ (Timm Knudsen/Stage 2015: 45f.)

Auf diese Weise würden also nach Timm Knudsen und Stage (2015: 46f.) neue Verbindungen

des Protests ermöglicht werden, die sich zu sogenannten ‚Assemblagen‘ fügen. Dabei beziehen

sie sich überwiegend auf die „neo-assemblage theory“ von Manuel DeLanda (2006: 3), der

wiederum sein Konzept in Erweiterung des Begriffs der „Assemblage“ nach Deleuze entwickelt

hat, wonach Assemblagen für verschiedenste Entitäten stehen, die sich – als Produkte histori-

scher Prozesse – aus den Relationen vieler heterogener Einzelteile zusammensetzen würden:

„[…] what the philosopher Gilles Deleuze calls assemblages, [are] wholes characterized by re-lations of exteriority. These relations imply, […] that a component part of an assemblage may be detached from it and plugged into a different assemblage in which is interactions are differ-ent.“ (DeLanda 2006: 10, H. i. O.)

Insofern beschreibt DeLanda (2006: 10f.), wie eine Assemblage nicht notwendigerweise durch

ihre jeweiligen Einzelteile – welche ohnehin mehreren Assemblagen angehören können – be-

stimmt werde, sondern durch ihre Relationen. Gleichwohl ihre einzelnen Komponenten be-

stimmte Eigenschaften haben, könne das Vermögen einer Assemblage eben nie nur durch ihre

einzelnen Bestandteile definiert werden, da die Kapazitäten dieser Komponenten sich in dem

37

Maße potenziell ändern können, wie die Verbindungen sich verändern. Mit anderen Worten sei

eine Assemblage genau so wenig eigenständig zu denken, wie die Komponenten, die ihr ange-

hören.

So könne ein- und dasselbe Objekt, wie Timm Knudsen und Stage (2015: 47f.) anknüp-

fend ausführen, in verschiedenen Assemblagen ein variierendes potenzielles Vermögen besit-

zen. Ein Handy, beispielsweise, werde die gleichen Eigenschaften haben, egal von wem es be-

nutzt werde. Aber es könne unterschiedliche Kapazitäten haben, in Abhängigkeit davon, ob es

beispielsweise von einem Geschäftsmann in einem urbanen Umfeld, oder von einer Großmutter

auf dem Land verwendet werde. In jedem Fall würde das Handy für verschiedene Zwecke in

andersartigen Kontexten benutzt werden, womit das Potenzial des Handys auf verschiedene

Weisen eine Aktualisierung erführe.

Bezüglich der Definition einer sozialen Assemblage führt DeLanda (2006: 12ff.) ferner

aus, dass sie neben ihren externen Relationen durch zwei Achsen bestimmt werde: Diese be-

stünden einerseits aus den Rollen, die einzelne Komponenten spielten, welche von einer rein

materiellen bis zu einer rein expressiven Rolle reichen könnten, wobei es dazwischen viele

Mischformen gäbe. Andererseits könnten die Komponenten einer Assemblage in Prozessen der

Territorialisierung – welche die Homogenität einer Identität oder auch ihre Grenzen stabilisie-

ren – mitwirken, als auch gleichzeitig bei jenen Prozessen der Deterritorialisierung – welche

dekonstruierend und destabilisierend sind – am Werke sein. Beide Prozesse können sogar zeit-

gleich ablaufen. Eine bestimmte Kommunikationstechnologie, beispielsweise, könne im Sinne

des bestehenden ‚Coding‘ eingesetzt werden, um die Identität oder den Raum einer Assemblage

zu stärken, oder auch, um die Assemblage zu schwächen, neue Verbindungen durch das Hin-

zufügen neuer Elemente zu ermöglichen und Identitäten damit zu verändern, ganz im Sinne des

‚Decoding‘.

Dieses Konzept im Hinterkopf behaltend, untersuchen nun Timm Knudsen und Stage (2015),

wie sich soziale Assemblagen rund um individuelle verletzte Körper formieren und verändern

können. Ihrer Meinung nach würden Bilder und Geschichten von bestimmen Personen, die sie

in ihrem je individuellen Kampf zeigen – sei es gegen eine schwere Krankheit, die sie am eige-

nen Körper erleben, oder für eine politische Sache, bei deren Einforderung sie Gewalt oder gar

den Tod erfahren müssen – über digitale Medien zu zirkulieren beginnen und globale Mediene-

vents auslösen, bei denen die jeweiligen Körper im Zentrum der Assemblage stünden. Dabei

würden die Abbilder der Körper zu etwas Größerem werden. Sie würden zu Bildern werden,

die für etwas einstehen; sie würden zu Ikonen für politisch motivierte Äußerungen und Hand-

lungen werden. Unabhängig davon, ob willentlich selbstinszeniert oder von anderen ins Internet

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gestellt, würde die Produktion und Zirkulation dieser Bilder die jeweiligen Körper in heroische

Figuren oder gar Märtyrer_innen verwandeln. Solche Körper könnten sich zu Leitfiguren von

Gruppen etablieren und in ihrer Rolle als „crowd-facilitator“ ganze Massen affizieren:

„In this way the crowd-leader (with connotations of control, manipulation, and dominance) be-comes a crowd-facilitator (with the ability to move, intensify, and transmit the affective pro-cesses that motivate crowd formation).“ (Timm Knudsen/Stage 2015: 39)

Damit schließen sich Timm Knudsen und Stage (2015: 38f.) an einen aus der Massenpsycho-

logie stammenden Ansatz an, den Urs Stäheli (2011: 76f.) beschreibt, wonach die Macht, Mas-

sen zu organisieren, nicht zwingend von einer manipulierenden, kontrollierenden, führenden

Persönlichkeit, mit welcher sich Massen blind identifizieren, ausgehe, sondern vielmehr in der

affektiven Kommunikation beheimatet liege. Leader_innen seien gewissermaßen nur die Me-

dien, die vermitteln und mobilisieren, während sich die Masse von innen selbst organisiere:

„Being a medium of self-organization, the figure of the strong and heroic leader is now trans-

lated into a magical and affective form of communication.“ (Stäheli 2011: 77)

Die Figur einer starken, heroischen Führungspersönlichkeit stammt dabei aus grundlegenden

soziologischen Konzepten, wie etwa jenem von Gustave Le Bon (1982: 83-101). Ihm zufolge

brauche eine Masse notwendigerweise immer eine Führungsperson in ihrem Zentrum, an wel-

che die Masse glaube, welche die Mitglieder motiviere, leitende Ideen zu übernehmen und

ihr/sein soziales Verhalten zu imitieren. Dabei werde die machtvolle Position der Leader_innen

über ihr Prestige hergestellt. Prestige könne über Leistungen und die Reputation erworben wer-

den; man kann sich einen Namen machen. Oder aber das Prestige leite sich aus persönlichen

Merkmalen ab, welche eine jeweilige Führungsperson auszeichnen. Es sei wie ein „[…] Nim-

bus […] eine Art Zauber, den eine Persönlichkeit, ein Werk oder eine Idee auf uns ausübt. Diese

Bezauberung lähmt alle unsre [sic!] kritischen Fähigkeiten […].“ (Le Bon 1982: 93)

Diesbezüglich führt Stäheli (2011: 68f.) aus, wie das Prestige, im Sinne von Le Bon,

also eine unmittelbare Relation zwischen den Führungspersonen und ihren Gefolgsleuten zu

etablieren im Stande sei, sodass Imitationen unreflektiert und ohne rationale Urteilsbildungen

geschehen könnten. Daraus folge in der Massenpsychologie der weit verbreitete Ansatz, wo-

nach Massen sich an einer Anführerin/einem Anführer blind orientieren würden, wie eine Herde

Schafe an ihrer Schäferin/ihrem Schäfer. „Die Masse ist eine Herde, die sich ohne Hirten nicht

zu helfen weiß.“ (Le Bon 1982: 83)

Daran anknüpfend ergänzt Stäheli (2011: 69): „[I]t is the leader’s very corporeality and

affectivity that brings about immediate imitation and thus entirely hypnotizes the crowd.“ (Ebd.:

69) Weil die Leader_innen ihre Anhänger_innen also direkt ansprechen und affizieren können,

39

wirkt ihr jeweiliger Affektzustand quasi ansteckend und zeigt sich demgemäß von besonderer

Relevanz in diesem Konzept (ebd.). „Thus the leader’s physical and emotional states gain im-

portance because members of a crowd are affected by their leaders’ affective states.“ (Ebd.)

Insofern zeigt sich die Funktion der Leader_innen nach Le Bon (1982) überwiegend

darin, Vertrauen und Glauben in eine Sache, Idee oder Person zu erwecken – wobei sich bei der

Agitation wiederum ihr persönliches Prestige von Vorteil erweist – egal ob es sich um eine

politische, soziale, religiöse oder andersartig motivierte Angelegenheit handelt.

So haben Timm Knudsen und Stage (2015: 38f.) am Beispiel einer jungen, an Muko-

viszidose erkrankten Frau namens Eva Markvoort, die in ihrem Weblog bis zu ihrem Tod über

ihren persönlichen Kampf gegen die Krankheit berichtete, herausgearbeitet, wie u. a. Evas be-

sonderes Prestige zur Entstehung einer ‚online-crowd‘ beigetragen habe, deren Effekte bis in

das reale Leben ihrer Anhänger_innen gereicht hätten. So wäre es nicht nur vorgekommen, dass

Evas Schreibstil in ihrem Blog in den Kommentaren der Nutzer_innen imitiert wurde. Auch

durch körperliche Veränderungen sei mitfühlend an die junge, rothaarige Frau erinnert worden,

so geschehen beispielsweise in der ‚Reddy for a Cure‘-Kampagne, als Menschen sich in Evas

Gedenken die Haare färbten, um darüber hinaus die Aufmerksamkeit für die Krankheit Muko-

viszidose zu steigern.

Alles in allem sei Eva Markvoort nach Timm Knudsen und Stage (2015: 38-42) als

Leaderin eine durchaus affizierende Figur, die ihrer Umwelt scheinbar ihre positive Ausstrah-

lung und Energie übermitteln konnte, sodass Menschen von ihr affiziert – d. h. in positiver

Weise bewegt, belebt und motiviert – worden seien. Deshalb sei eben davon auszugehen, dass

ein_e Anführer_in als „crowd-facilitator“ eine affektive Kraft darstelle, die mehr einem vermit-

telnden, moderierenden, prozessbegleitenden Medium gleiche, als einer dominanten Macht, die

manipulierend und kontrollierend von oben/außen wirke. Evas Abbild sei zu einer Ikone für

eine abstrakte Sache geworden. Darüber hinaus habe die junge Frau in ihrer Rolle als Märtyre-

rin, die sich im Kampf für eine Sache opfert, eine besondere archetypische Position im kultu-

rellen Diskurs eingenommen. Diese habe sie zusätzlich zu einer potenziellen Anführerin ge-

macht, deren Prestige noch über ihren Tod hinausreiche.

Ähnlich verhalte es sich nach Timm Knudsen und Stage (2015: 45-63) mit den Abbil-

dern von gewaltsam attackierten oder getöteten Körpern, die für eine politische Sache einge-

standen sind. Dazu zählten individuelle Körper, wie etwa jener von Malala Yousafzai, die in

ihrem Kampf für Frauenrechte in Pakistan einen Kopfschuss überlebte, oder Neda Agha Soltan,

die während der politischen Aufstände gegen das iranische Regime 2009 gewaltsam zu Tode

40

kam. Nach diesen Vorkommnissen sei es jeweils zur Entstehung von Medienereignissen ge-

kommen, in denen die affektiven Geschichten und Bilder der verletzten Frauenkörper über das

Internet geteilt wurden, um Protestbewegungen – online wie offline – zu mobilisieren. Hierbei

seien die global zirkulierenden Abbilder der verletzten Frauenkörper zu Ikonen erhoben wor-

den, die in der globalen Assemblage des Protests als affektive Katalysatoren und Anker gedient

hätten, damit neue Bestandteile – andere Körper, Objekte, Bilder, Affekte, Technologien – in

den jeweiligen Protest-Assemblagen hätten ‚kleben‘ bleiben können.

Folglich fokussieren sich Timm Knudsen und Stage (2015) bei der Analyse der be-

schriebenen Geschehnisse, und den daraus resultierenden gesellschafts-politischen Transfor-

mationen, auf das potenzielle Vermögen bestimmter Teile einer Assemblage und wie sich aus

den Veränderungen ihrer Relationen zueinander – die als affektive Auswirkungen eines be-

stimmten Vorkommnisses geschähen – neue Kapazitäten ergäben würden:

„An assemblage-perspective focuses on how connections between parts actualise certain spe-cific, but uncountable, capacities of objects, and how these connections change over time to create new capacities. […] In other words our method will be to focus on tracing relations cre-ated between humans, media technologies, and things in the aftermath of a particular event, and to discuss the political impact of this historical composition process. In this sense we track down the affective impact […].“ (Timm Knudsen/Stage 2015: 52, Herv. d. Verf.)

So können die affektiven Wirkungen eines Ereignisses, wie der gewaltsame Tod von Neda, die

gegen das staatliche Regime demonstrierte, nicht nur die Protestbewegungen ankurbeln, son-

dern vielmehr destabilisierende Effekte auf die bestehende Assemblage rund um den Iran als

Nation haben, da staatlich forcierte Kodierungen stark destabilisiert wurden, als Neda als neues

Element in die Assemblage eingetreten ist (Timm Knudsen/Stage 2015: 52ff.).

Überdies wurden durch die globale mediale Verbreitung von Nedas verwundetem bzw.

totem Körper neue Verbindungen zwischen ihr, verschiedenen Kommunikationstechnologien,

globalen sozialen Medien und Fernsehsendern, den vor Ort Anwesenden und den Menschen

außerhalb des Iran hergestellt, sodass Neda als Element einer älteren Assemblage in eine neue

Assemblage übertrat, wodurch neue Kapazitäten eröffnet wurden (ebd.: 55):

„[…] when the assemblage part is added to a new assemblage as a result of contemporary media dissemination, the part changes its status, meaning, and capacities. By being moved from one assemblage (Iran as nation) to another (global protest assemblage) the capacities of Neda’s wounded/dead body change, because it is suddenly capable of travelling globally and mobilising politically and affectively.“ (Ebd.)

Folglich affizierte Nedas mediatisierter Körper insoweit, als dass eine große mediale Aufmerk-

samkeit für das Thema erzeugt wurde und Menschen lokal, wie auch global, gegen das iranische

Regime mobilisiert werden konnten, wodurch – zumindest kurzfristig – positive politische Ver-

änderungen erzielt werden konnten (ebd.: 62f.).

41

Summa summarum illustrieren die genannten Beispiele von Timm Knudsen und Stage (2015)

rund um Eva Markvoort und Neda Agha Soltan, wie diese Frauen durch die mediatisierte Dar-

stellung ihrer Körper und die Zirkulation ihrer Abbilder, in denen sie zu Ikonen des Kampfes

und des Widerstands geworden sind, affektive Auswirkungen auf immaterielle und materielle

Strukturen hatten, und wie sich durch ihre teils destabilisierenden Effekte auf diese bestehenden

Assemblagen ihr Vermögen insofern änderte, als dass sie den Weg für neue, alternative Ver-

knüpfungen – Denkweisen wie Handlungsmöglichkeiten – herstellen konnten.

2.2 Die Hoffnung – ein historischer Exkurs Bereits der antike römische Dichter Ovidius Naso (1952) soll auf die Gegenseitigkeit von Hoff-

nung und Furcht, die einem unsicheren Sachverhalt gleichermaßen anhafte, verwiesen haben,

beispielsweise in einer Frage, wenn man deren Antwort sowohl erhoffe als auch fürchte.3 Dem-

entsprechend heißt es: „Hoffnung und Furcht wechseln sich ständig ab.“4 (Kasper 2014: o. S.)

Warum die Furcht in der Hoffnung als semantisch inkludiert scheint, lässt sich durch

eine begriffliche Annäherung im Kontext der klassischen Antike erklären, weshalb im Folgen-

den das Wort „elpis“ im Rahmen der griechischen Antike thematisiert wird, gefolgt von Hoff-

nung als „spes“ im lateinischen Sprachgebrauch klassisch-römischer Kultur.

2.2.1 „Elpis“ als Erwartung in der griechischen Antike Der griechische Begriff ἐλπίς [elpis], der im Deutschen mit dem Wort Hoffnung übersetzt wird

(Hofmann 1971: 80), zeichnet sich in seiner originären Gebrauchsweise in der Antike durch

einen ambivalenten Charakter aus (Woschitz 1979: 566; Früchtel 2003: 167). Als Vox media

bezeichnet ἐλπίς die Erwartung von etwas Zukünftigem, das positiver und negativer Natur sein

kann (Woschitz 1979: 566).

Bereits der Tragödiendichter Sophokles vermochte diese Ambivalenz von ἐλπίς in seinen Wer-

ken abzubilden, wie Karl Matthäus Woschitz (1979: 135ff.) feststellt.

„Die tragische Ambivalenz der Hoffnung drückt sich darin aus, daß im und beim Menschen […] Nutzen wie Schaden zur Wahl stehen und Gutes wie Schlimmes […] verwechselbar sind und ins tragische Scheitern führen.“ (Ebd.: 137)

3 „[…] alternant spesque timorque fidem.“ (Ovid 1952: 66) – „[…] erfüllt wechselnd von Hoffnung und Furcht.“ (Ebd.: 67) 4 Dabei handelt es sich um eine alternative Übersetzung der gleichen Textzeile von Ovids Heroides, 6,38.

42

So weise die „Antigone“-Tragödie von Sophokles (1953: 253-311) laut Woschitz (1979: 136ff.)

ausführlich darauf hin, wie Segen und Leid in der Hoffnung miteinander verknüpft seien, zu

sehen an der tragischen Heldin Antigone, die aus Pietät mit aller Kraft um die untersagte Be-

stattung ihres Bruders kämpft, daran jedoch selbst den Tod findet, weil sie dem Befehl des

Königs Kreon zuwiderhandelt und jener seinen Fehler erst erkennt, als es zu spät ist.

Dementsprechend könne dieses Drama rund um „Antigone“ nach Woschitz (1979: 137)

derartig interpretiert werden, dass im Hoffen einige Menschen leicht verblendet würden und

sich zu hohe Ziele setzten, weil sie nicht erkennen würden, dass aus ihren Hoffnungen sowohl

Positives wie Negatives folgen könnte. Ihr darauffolgendes Scheitern sei als Strafe der Götter

dargestellt, wonach die Hoffnung auf ein Gut sich letztendlich in ein Leiden verkehre.

Überdies sei die Hoffnung bei Sophokles „trügerisch“ (ebd.: 566), illustriert anhand der

„Aias“-Tragödie (ebd.). In dieser erzählt Sophokles (1953: 59-116) die Geschichte des Heer-

führers Aias, des sich betrogen fühlenden Protagonisten, der von der Hoffnung auf einen Ra-

chefeldzug getrieben wird, welcher ihm jedoch – geblendet vor Wahnsinn durch die Göttin

Pallas Athene – misslingt. Nachdem der Wahn wieder von ihm abfällt und er seine Fehlein-

schätzung realisiert, stürzt er sich selbst in den Tod. So singt der Chor am Schluss: „Gar vieles

erkennet der Mensch, wenn er’s sieht. Doch eh er sie sieht, wird er niemals erschaun [sic!] [d]ie

Zukunft und was sie bescheret.“ (Ebd.: 116)

Ursprünglich sei die Hoffnung (ἐλπίς), der griechischen Mythologie zufolge, als Teilbestand

einer göttlichen Strafe zu den Menschen gekommen, getarnt als Geschenk, wie Abenstein

(2016: 108) schildert: Nachdem Prometheus das Feuer gestohlen und gegen den Willen von

Zeus zu den Menschen gebracht hatte, soll der Göttervater Hephaistos angewiesen haben, eine

liebreizende Frau aus Lehm zu schaffen, die er Prometheus Bruder Epimetheus als Gemahlin

übergab. Ihr Name war Pandora. Mit sich brachte sie ein verschlossenes Gefäß aus Ton, das

verschiedene Leiden und Krankheiten enthielt. Aus Neugier habe Epimetheus seine Gemahlin

gebeten, den Deckel zu öffnen, woraufhin alle Leiden aus der Büchse der Pandora entwichen

seien und sich unter den Menschen ausgebreitet hätten. Zurück blieb lediglich die Hoffnung, so

die Legende.

Pandora habe nämlich das Gefäß nach dem Willen von Zeus wieder verschlossen, bevor

auch die Hoffnung entkommen konnte, damit die Menschen von nun an glauben würden, sie

sei das höchste Gut, jenes Glück, das unter all den Übeln geblieben war und woran sie sich bei

Bedarf anhalten können, so schreibt Friedrich Nietzsche (1954: 495). Seiner Meinung nach sei

diese Hoffnung, welche mitsamt all den Übeln in der Büchse der Pandora zu den Menschen

geschickt wurde, nicht nur selbst ein Übel, sondern vielmehr das größte von allen:

43

„Zeus wollte nämlich, daß der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“ (Nietzsche 1954: 495)

Einer älteren Überlieferung griechischer Literatur zufolge, ist Pandora jedoch gar nicht von

einem rachsüchtigen Zeus erschaffen worden, sondern von Prometheus, der sie als Ebenbild

einer weiblichen, menschlichen Schönheit aus Wasser und Erde formte, so wie er alle ersten

Menschen aus Lehm gemacht hatte (Panofsky/Panofsky 1992: 20). Allerdings gibt es auch jene

Erzählungen, wonach es sich bei Pandora – die aus dem Griechischen nicht nur mit ‚Geschenk

aller (Götter)‘, sondern auch mit dem Wort ‚Allesgeberin‘ übersetzt werden kann – ursprüng-

lich um eine Erdgöttin handelte, die aus einer Verbindung mit Prometheus heraus alles mensch-

liche Leben erschuf (Abenstein 2016: 108).

In weiterer Folge wurde die ambivalente Figur der Pandora über die Renaissance bis in

die Gegenwart, in säkularer Literatur und Kunst, immer wieder als Symbol der Hoffnung illus-

triert, wie Panofsky und Panofsky (1992) darstellen. Meist sei Pandora als schöne Frau mitsamt

einem Gefäß, das an Art und Größe variiere, abgebildet, in welchem sich aber nach wie vor die

Hoffnung befinde, die nicht entweichen konnte. Weil diese im Inneren des Gefäßes von außen

nicht gesehen werden kann, habe sich im Laufe der Zeit ein stilistisches Hilfsmittel etabliert:

der Vogel.

In Folge ihrer Flugfähigkeit sind Vögel seit frühester Zeit mit einer besonderen Symbo-

lik behaftet, die sie als Bindeglied zwischen der Erde und dem Himmel sieht (Becker 1992:

320; Zerbst/Kafka 2003: 409). Schon im alten Ägypten sah man in ihnen eine Verkörperung

von Seelen, die nach dem Tod der Menschen deren sterbliche Überreste in Gestalt von Vögeln

verlassen (Lurker 1988: 773; Zerbst/Kafka 2003: 409). Über den Menschen schwebend darge-

stellt, stehen sie für das Reich des Lichts und der Luft und die dort lebenden Geister- und Göt-

terwesen (ebd.; ebd.). Als Erscheinungsformen von Licht- bzw. Sonnengottheiten treten sie den

finsteren Mächten der Dunkelheit entgegen (ebd.; ebd.). Eingesperrt in einen Käfig jedoch sym-

bolisiert ihr Gefängnis seit der Renaissance die hoffende Sehnsucht der Tiere nach Freiheit

(Lurker 1988: 312). Außerdem tauchen Vögel in Märchen und epischen Erzählungen häufig als

Begleitung der Hauptfiguren auf, um diesen mit Rat zur Seite zu stehen (Zerbst/Kafka 2003:

409).

Als Begleiter der Pandora in jenen Darstellungen, welche Panofsky und Panofsky

(1992) analysiert haben, verkörpere die Vogelgestalt die Hoffnung als dasjenige, was den Men-

schen aus den göttlichen Gaben, die Pandora mit sich brachte, noch geblieben sei. Werde der

44

Vogel allerdings in einem Käfig dargestellt, könne dies zusätzlich als eine Hoffnung auf Frei-

heit interpretiert werden. Kurzum habe sich der Vogel mit dem genannten Sujet verbunden und

sich ebenso zu einem Symbol der Hoffnung entwickelt, wie die ambivalente Figur von Pandora

und ihrer Büchse.

Ob die Hoffnung letztlich selbst ein Übel unter den Übeln ist, oder aber ihr Antidot,

bleibt seit der Entstehung des Pandora-Mythos Auslegungssache, sowohl die unterschiedlichen

Erzählweisen der Sage berücksichtigend, als auch nach der Rolle und dem Wesen des Hoffens

selbst fragend (Schmitz: 2012: 91).

„Ist sie gut oder schlecht? Auch sie ist zweideutig. Die eine griechische Deutung sagt: Allein die Hoffnung weilt noch unter den Menschen als gute Göttin, während alle übrigen zum Olym-pos flogen. Die andere Deutung: Die Hoffnung ist eine schlimme Göttin, verführend, irreleitend wie Pandora selber.“ (Jaspers 1963: 11)

Insofern bleibe mit Jaspers (1963: 11) die Doppeldeutigkeit der Hoffnung in den Sprüchen er-

halten, die uns seit damals begleiten. Während die einen sagen würden, sie sei eine beflügelnde

Kraft, meinten die anderen, sie sei ein trügerischer Schein, wohingegen die nächsten auf die

Verkettung von Hoffnung und Furcht aufmerksam machten.

Ähnlich verweist bereits der Philosoph Platon (2001: 59) in seinem Buch „Nomoi“ („Gesetze“)

auf den ambivalenten Charakter des Terminus ἐλπίς in Verbindung mit einer ‚Erwartung‘, wel-

che Hoffnung und Furcht gleichermaßen in sich bergen könne, und beschreibt den Begriff als

„[…] Meinungen über die Zukunft, deren gemeinsamer Name ‚Erwartung‘ ist; der besondere

Name lautet ‚Furcht‘ für die Erwartung, die dem Schmerz, und ‚Zuversicht‘ für diejenige, die

dem Gegenteil vorausgeht.“ (Ebd.) Diese Erwartungen seien nicht geeignet, Gutes von Schlech-

tem zu unterscheiden – egal ob sie in Furcht oder Zuversicht getroffen wurden, ob sie unlustvoll

oder lustvoll sind – denn für solch eine Differenzierung brauche es letztlich die Vernunft (ebd.).

Als „Urgrund der Hoffnung“ (Woschitz 1979: 126) könne bei Platon Eros angesehen

werden (ebd.). Im Buch „Symposion“ schildert Platon (2006) nämlich, dass es sich bei Eros,

dem Gott der Liebe, um eine der ältesten und wichtigsten Gottheiten handle, „[…] indem er uns

zu dem uns Zugehörigen führt, und für die Zukunft uns […] größte Hoffnungen gewährt, uns

[…] selig und glücklich zu machen.“ (Ebd.: 67, Herv. d. Verf.)

Insofern zeige sich Eros nach Platon (2006) als eine bereits gegenwärtige Kraft, die

hoffend nach dem Glück in der Zukunft strebe, im physischen Leben selbst, als auch über dieses

hinaus; „[…] denn etwas Göttlicheres ist […] der Liebende, von Gott beseelt ist er nämlich.“

(Platon 2006: 29) Daher bezeichnet Woschitz (1979: 126) Platons Eros als „Strebekraft“ (ebd.),

in welcher die „Hoffnung ontologisch begründet“ (ebd.) läge.

45

Analog siedelt auch Aristoteles (2004: 13) „Meinung und Erwartung“ in der Zukunft an, wäh-

rend er Vergangenes dem Reich des Gedächtnisses und Gegenwärtiges der menschlichen Wahr-

nehmung zuordnet, weshalb die Erwartungen ebenso den kognitiven Fähigkeiten zuzurechnen

seien wie Perzeption und Erinnerungsvermögen.

Des Weiteren stellt er in seinem Buch „Rhetorik“ eine Beziehung zwischen den Erwar-

tungen der Menschen und ihrem jeweiligen Lebensalter her (Aristoteles 1980: 120-125). Dieses

Wissen ist insofern relevant, da Zuhörer_innen einer persuasiven Rhetorik hinsichtlich ihrer

Urteilsfindung affektiv beeinflussbar seien, also in eine bestimmte Gefühlslage versetzt werden

könnten (ebd.: 13), „wenn sie durch die Rede in Affekt versetzt werden“ (ebd.).

So seien Jugendliche „gutmütig“ (ebd.: 121) und „voller Hoffnungen“ (ebd.), da sie

nach Aristoteles (1980: 120ff.) logischerweise – am Beginn ihres Lebens stehend – weniger

Erinnerungen an Schlechtes hätten, im Vergleich zu älteren Menschen. Aufgrund ihres jungen

Alters hätten ihnen weniger ihrer Vorhaben misslingen können, weshalb die Jugend auch mu-

tiger sei und sich seltener fürchte. Ihr Leben sei auf die Zukunft gerichtet, weshalb ihnen die

Hoffnung leichter fiele, sie sich allerdings auch eher täuschen ließen.

Ältere Menschen, so Aristoteles (1980: 122ff.) weiter, hätten aufgrund ihres vorange-

schrittenen Alters schon mehr Enttäuschungen erlebt und auch mehr Fehler begangen, weshalb

sie in Bezug auf ihre Hoffnungen ernüchtert seien. Überdies seien sie argwöhnischer und furcht-

samer, ließen sich demzufolge auch weniger von anderen täuschen und lebten stärker in ihren

Erinnerungen an die Vergangenheit, als in der Zukunft.

In weiterer Folge fußen bei Aristoteles (1980: 84) die Meinungen über Zukünftiges auf

den jeweiligen Affekten eines Menschen, wonach eine Person in Abhängigkeit von einem je-

weiligen Affekt unterschiedliche Antizipationen hätte, die wiederum rhetorisch beeinflussbar

seien. „Affekte aber sind alle solche Regungen des Gemüts, durch die Menschen sich entspre-

chend ihrem Wechsel hinsichtlich der Urteile unterscheiden und denen Schmerz bzw. Lust fol-

gen […].“ (Aristoteles 1980: 84, H. i. O.) Hiernach wirken Affekte auf das menschliche Ent-

scheidungsverhalten ein, im Bewusstsein der Redner_innen, dass mit einem konkreten Verhal-

ten, das aus einem Urteil aus dem Gehörten resultiere, für ihre Zuhörerschaft Lust oder ihr

Gegenteil zu erwarten wären (ebd.: 13, 84). In diesem Sinne sind Affekte bei Aristoteles immer

mit einer geistigen Meinung verbunden, die für die betroffene Person erklärt, warum jemand

sich gerade so fühlt, wie sie/er sich fühlt und sind demnach mehr als bloße Gefühle oder rein

körperliche Emotionen (Wörner 1981: 64); „[…] vielmehr zeigt ihre Grundstruktur, daß sie

Kognition als Bedingung ihrer Möglichkeit voraussetzen.“ (Ebd.)

46

Folglich handle es sich bei der Furcht nach Aristoteles (1980: 98) um einen Affekt, der

aus der Antizipation von etwas Negativem, das sich den Betroffenen scheinbar gefährlich an-

nähere, resultiere. „Es sei also die Furcht eine gewisse Empfindung von Unlust und ein beun-

ruhigendes Gefühl, hervorgegangen aus der Vorstellung eines bevorstehenden Übels, das ent-

weder verderblich oder doch schmerzhaft ist […].“ (Ebd.: H. i. O.)

Außerdem zeigt sich bei Aristoteles (1980: 100f.) die Furcht mit der Hoffnung verbun-

den. Wer sich überhaupt nicht ängstige, weil sie/er sich entweder bereits im Besitz des Glücks

wähne, oder aber glaube, nichts Schrecklicheres mehr erleben zu müssen, als ihr/ihm ohnehin

schon widerfahren ist, der hoffe nicht mehr, gleich wie jene, deren Hinrichtung bevorstünde.

„Es muß vielmehr eine gewisse Hoffnung auf Rettung vor dem, wovor wir Angst empfinden,

vorhanden sein […], wo doch niemand mehr nach Rat sucht über hoffnungslose Situationen.“

(Ebd.: 100)

Folglich bezeichnet Aristoteles (1980: 101) die Annahme von Hoffnung auf einen mög-

lichen Ausweg als „das zum Mut inspirierende“ (ebd.), weshalb Mut und seine Triebkraft – in

diesem Fall die Hoffnung – der Furcht entgegengesetzt seien:

„Der Mut aber ist das Gegenteil […] zum Furchterregenden; es ist daher die mit der Vorstellung verbundene Hoffnung, daß die Rettung bevorstehe, das Furchterregende entweder gar nicht vor-handen oder doch weit entfernt sei.“ (Ebd.)

Daher zeigen sich die beiden Affekte der Hoffnung und Furcht, die bei Aristoteles (1980) als

Gegensatzpaar auftreten, für ihn als individuelle Dispositionen, welche die augenblickliche Be-

urteilung eines Sachverhalts – mit anderen Worten die Antizipation dessen, was in weiterer

Folge geschehen werde – und dementsprechend auch das weitere Handeln, maßgeblich beein-

flussen würden.

Inwieweit auch im philosophischen Gedankengut der späteren römischen Antike Hoffnung und

Furcht weiterhin in Relation zueinanderstehen, soll Gegenstand des nachfolgenden Kapitels

sein.

2.2.2 Hoffnung und Furcht als „spes“ in der römischen Antike Das lateinische Wort „spes“ wird im Deutschen nach Stowasser/Petschenig/Skutsch (2007:

478) mit dem Begriff der „Hoffnung“ übersetzt, stehe aber auch synonym für eine „Erwartung“,

oder gelegentlich sogar für eine „Befürchtung“.

Damit hätten die überlieferten Schriften der römischen Antike, so Woschitz (1979: 186f.), an

das kulturelle Erbe Griechenlands angeknüpft und dabei einige Elemente übernommen, andere

47

jedoch abgewandelt, um sich gegenüber der griechischen Antike abheben zu können. In weite-

rer Folge soll anhand von Woschitz‘ (1979: 187ff.) Erläuterungen ein kurzer Überblick über

den Gebrauch von „spes“ (= Hoffnung) bzw. „sperare“ (= hoffen) gegeben werden:

„Das Wortfeld von spes/sperare reicht von vertrauensvoller Erwartung eines zukünftigen Gutes (hier sind Erwartung und Vertrauen kombiniert) bis zum wissenden Bezug auf etwas Zukünfti-ges (wo das Erwarten als eine Art ‚Meinung‘ verstanden wird). Spes/sperare wird so zu einem Erkenntnismodus des Subjektes auf einen zukünftigen, mehr oder weniger […] sicheren Sach-verhalt.“ (Ebd.: 187)

Das Erwarten des Zukünftigen, das nach Woschitz (1979: 187) charakteristisch für „spes/spe-

rare“ sei, enthalte jedoch immer auch eine bestimmte Menge an Unsicherheit. Daher könne das

anfängliche Vertrauen in die Hoffnung auch in ihr Gegenteil, die Hoffnungslosigkeit – welche

„habituell gewordene Verzweiflung“ (ebd.) sei – umschlagen. Dennoch sei der Begriff der

Hoffnung, besonders im religiösen Kontext, von Vertrauen gekennzeichnet und könne überdies

von Zuversicht gestützt werden (ebd.).

Am Anfang der Hoffnung stünden, so Woschitz (1979: 187f.) weiter, ein empfundener

Mangel, sowie das Begehren und die Sehnsucht danach, diesen in der ausstehenden Zukunft

befriedigen zu können. Dabei würden die Menschen sowohl auf alltägliche Dinge, als auch auf

die Erreichung von Transzendentalem hoffen. In Hinblick auf das möglich Künftige handle es

sich um einen Akt des Hoffens, um eine offene, prozesshafte Bewegung, die das menschliche

Leben selbst spiegle. An diesem sei nämlich charakteristisch, dass der Mensch über epimethe-

ische wie prometheische Fähigkeiten verfügt. Mit anderen Worten können wir uns vergangener

Erlebnisse erinnern, uns aber auch gedanklich in die Zukunft versetzen, um auf Basis unserer

Erfahrungen vorausschauend einzuschätzen, ob unsere Hoffnungen rational seien oder lediglich

Wunschträume enthielten.

Hoffnung, die aus irrationalen Annahmen erwächst, wurde vom römischen Historiker

Publius Cornelius Tacitus (1982: 746) in seinen „Annalen“ mit dem Attribut ‚irritus‘5 versehen.

Dies bedeutet übersetzt „erfolglos, vergeblich“ (Stowasser/Petschenig/Skutsch 2007: 279). An

anderer Stelle berichtet Tacitus (1982: 786) von einer ‚spes inanis‘6, was mit Stowasser/Pet-

schenig/Skutsch (2007: 252) als einer Hoffnung, die „leer“ ist, übersetzt werden kann. Solcher-

art verweist der Begriff auf Enttäuschung, die der Hoffnung folgen kann (Woschitz 1979: 188).

Auf diesen Aspekt einer irrigen Hoffnung, die sich schließlich als Illusion entpuppt,

verweise nach Woschitz (1979: 188) auch die Handlung der „Verschwörung Catilinas“. Dort

verbindet der Autor Gaius Sallustius Crispus (1994: 30) „spes“ zum Beispiel direkt mit dem

5 „[…] manentque vestigia irritae spei.“ (Tacitus 1982: 746) „[…] und man sieht noch jetzt die Spuren seiner vergeblichen Hoffnung.“ (Ebd.: 747) 6 “Gliscebat interim luxuria spe inani […].” (Ebd.: 786) “Es wuchs inzwischen seine Verschwendungssucht infolge der eitlen Hoffnung […].” (Ebd.: 787)

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Wort „frustra“. Dieser Begriff kann nach Stowasser/Petschenig/Skutsch (2007: 218) mit einem

„Irrtum“ oder „sich täuschen, getäuscht sehen“ ins Deutsche übertragen werden. Zugleich kann

das Wort „frustra“ im metaphorischen Sinne ebenso „erfolglos, vergeblich, umsonst“ (ebd.)

bedeuten. Andernorts berichte Sallustius Crispus ferner über den Kontext einer Erzählung, so

Woschitz (1979: 188), von den illusionistischen und trügerischen Aspekten einer irrationalen

Hoffnung.7

Solch eine begriffliche Verkettung zwischen einer „Illusion“ und dem Wort „spes“ hält

sich im lateinischen Sprachgebrauch, bis die Hoffnung später durch ihre Verwendung in der

christlichen Lehre eine positive Konnotation erhält (Woschitz 1979: 188).

In diesem Kontext sieht der antike Schriftsteller, Politiker und stoische Philosoph Lucius An-

naeus Seneca (1928), in seinen „Briefen an Lucilius“, die Hoffnung ebenso als mit der Furcht

verbunden.

Hierfür zitiert Seneca (1928: 18) zunächst den Stoiker Hekaton von Rhodos, der über

die Furcht folgendes gesagt haben soll: „‚Du wirst aufhören, zu fürchten, […] wenn du aufge-

hört hast, zu hoffen.‘“ 8 (Ebd.) Insofern gingen Hoffnung und Furcht miteinander einher, auch

wenn sie unterschiedlich schienen: „Die Furcht begleitet die Hoffnung; kein Wunder; beides

sind Zustände eines schwankenden Gemüts, das unruhig an die Zukunft denkt.“ (Ebd.) Dem-

entsprechend würde Hoffnung die Gemütsruhe einer Person ebenso trüben und beunruhigen,

wie die Furcht, da man in beiden Fällen die Zukunft gedanklich vorwegnähme, statt im Hier

und Jetzt zu leben (ebd.): „Wer ein Übel fürchtet, wird durch die Erwartung schon ebenso ge-

quält, wie wenn es da wäre; wer Angst hat vor irgendeinem Leiden, leidet schon durch seine

Furcht.“ (Ebd.: 102)

Da für Seneca (1928) das Erlangen von Glückseligkeit durch das Erleiden von Furcht

oder Ängsten nicht möglich ist, müsse sich der Mensch mithilfe seiner Vernunft ebenso von

der Hoffnung befreien, die sein Gemüt nur unnötig aufwühle. Denn „[w]en eine Hoffnung lockt,

der ist in Sorge und nicht Herr seiner selbst, wenn es sich dabei auch um Naheliegendes, um

Leichterreichbares handelt, wenn ihn auch bisher die Hoffnung nicht getäuscht hat.“ (Ebd.: 36)

So handle es sich bei der ‚Hoffnung‘ für Seneca (1967: 58f.) letztendlich bloß um ein

Wort, das ein ‚unsicheres Gut‘ bezeichne; „[…] spes enim incerti boni nomen est“ (ebd.: 58).

7 „[…] sibi quisque, si in armis foret, ex victoria talia sperabat.” (Sallustius Crispus 1994: 52) – „[…] erhoffte sich jeder, wenn er auch Soldat wäre, ähnliches von einem Sieg.“ (Ebd.: 53) 8 “‘Desines’, [Hekaton] inquit, ‘timere, si sperare desieris.‘“ (Seneca 1967: 22) Eine mögliche Übersetzung dieses Zitats ins Englische, das mehr den Charakter einer Aufforderung zu betonen scheint, lautet: „‘Cease to hope‘, he [Hekaton] says, ‘and you will cease to fear.‘“ (Ebd.: 23)

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Sich nicht von solchen hoffnungsvollen Träumereien, die auf der Befriedigung von Leiden-

schaften und sonstigen Begierden im Außen zu suchen sind, verführen zu lassen, sei hingegen

der Weg zu wahrem Glück und Freude (Seneca 1928: 35ff.).

Summa summarum fügen sich diese Gedanken Senecas in den Rahmen der römischen Antike,

im Erbe des antiken Griechenlands stehend, welcher die Doppeldeutigkeit von spes bzw. elpis

als einer Erwartung, die Hoffnung, Furcht und die Gefahr einer (Ent-)Täuschung beinhält, be-

tont.

Inwieweit Hoffnung darüber hinaus auch eine motivierende und den Menschen antrei-

bende Kraft sein könnte, wird Gegenstand des nächsten Kapitels sein.

2.3 Hoffnung als Triebkraft von Veränderung Den Kontext antiker Philosophien zur Hoffnung als einer ambivalenten Erwartung des Zukünf-

tigen verlassend, soll das nun nachfolgende Kapitel die beflügelnde, uns bewegende Kraft des

Hoffens beleuchten. Zunächst wird zu zeigen sein, wie die Hoffnung als eine typisch mensch-

liche Fähigkeit von individueller wie kollektiver Relevanz sein kann, wenn wir unsere aktuellen

Handlungen an zukünftig erstrebenswerten Zielen ausrichten. Von einer postmodernen Krise

der Hoffnung und der Bedrohung demokratischer Gesellschaftsideale durch „Dunkelseher“

wird ebenso die Rede sein, wie von der großen Chance auf Hoffnung, die aus einer Hoffnungs-

losigkeit erwachsen kann, mitsamt dem politischen Widerstand gegen unterdrückende, die

Gleichheit aller Menschen gefährdende Ideologien. Schlussendlich soll sich insbesondere der

Abschnitt zur Bloch’schen Philosophie ausführlich der subversiven Kraft einer Hoffnung wid-

men, die ihren Ursprung im Mangel des Augenblicks nimmt und deren ‚Hunger‘ all das an-

strebt, was dementsprechend gegenwärtig ‚noch-nicht‘ ist.

2.3.1 Hoffnung als menschliche Fähigkeit, die Zukunft erstrebend zu gestalten Innerhalb jener Wissenschaften, die sich der Hoffnung heutzutage als Gegenstand annehmen,

herrsche nach Darren Webb (2007: 66) weitestgehend Einigkeit, dass das Hoffen einen integ-

ralen Bestandteil der menschlichen Wesenheit ausmache. Allerdings sei der Frage nach dem

Hoffen erst ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zunehmende wissenschaftliche

Aufmerksamkeit geschenkt worden. Das könnte zum einen am schwindenden Einfluss der In-

stitution Kirche liegen, welche die Hoffnung über Jahrhunderte hinweg eng mit der Vorstellung

50

einer christlichen Erlösung verband. Zum anderen könne das vermehrte Interesse am Hoffen

im Kontext des ‚emotional turn‘ innerhalb der Humanwissenschaften gesehen werden, wonach

affektive Komponenten des Menschseins in den wissenschaftlichen Fokus gerückt sind (siehe

auch Kapitel 2.1.1).

Auch Ralf Lutz (2008: 115ff.) thematisiert die Hoffnung als einen unverzichtbaren Teil

unserer conditio humana. Als typisch menschliches Phänomen sei der Begriff in der Geschichte

des Abendlandes bereits über alle Epochen reflektiert worden, so in den Bereichen Kunst und

Kultur, Philosophie, Religion und innerhalb der Geisteswissenschaften, rücke aber mittlerweile

auch vermehrt in den Mittelpunkt empirischer Wissenschaften. Ebenso im Alltag begleite uns

der Begriff der Hoffnung als anthropologische Konstante. „Sprichwörtlich heißt es ja: ‚Die

Hoffnung stirbt zuletzt!‘, oder auch: ‚Solange ich atme, hoffe ich.‘“ (Ebd.: 116) Dies lässt da-

rauf schließen, dass der Mensch nicht umhinkommt, sich trotz aller möglichen Widrigkeiten,

die Anlass zur Hoffnungslosigkeit gäben, als hoffendes Wesen, dessen zukunftsorientiertes

Handeln wesentlich von Hoffnung(en) motiviert ist, zu begreifen (ebd.: 116f.).

Dennoch gibt es innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion zur Hoffnung zwei divergierende

Stränge, wie Webb (2007: 67) ausführt. Neben jener Position, die Hoffnung – erlebt als eine

Stimmung, Emotion, oder auch als kognitiver Prozess etc. – als anthropologische Universalie

sähe, würden Stimmen laut, die der Hoffnung jegliche biologische Basis absprechen würden

und die aus ihr resultierenden Verhaltensweisen lediglich als soziales Konstrukt ansähen. Daher

schlägt Webb (2007: 67f.) eine differenziertere Sichtweise vor, wonach Hoffnung sehr wohl im

menschlichen Kern verortet sein könnte, aber je nach kulturellem und zeitlichem Kontext un-

terschiedlich hervorgebracht und sozial ausgehandelt werden würde:

„[...] it seems reasonable to view hope as a socially mediated human capacity. Understood in this way, different individuals and social classes, at different historical junctures, embedded in different social relations, enjoying different opportunities and facing different constraints, will experience hope in different ways.” (Webb 2007: 68)

Hoffnung dieserart mit Webb (2007) als menschliche Fähigkeit zu verstehen, die zu unter-

schiedlichen Zeiten und von verschiedenen Personen andersartig erlebt werden könne, impli-

ziert seine vorgeschlagene Gliederung in „modes of hoping“: fünf Modi, die Hoffnung anneh-

men könne, basierend auf der heterogenen Masse an wissenschaftlichen Theorien zum Thema.

Grob unterschieden werden die Modi nach ihrem Gegenstand, worauf sie hoffen, sowie der

affektiv-kognitiven Dimension und dem Verhalten, welches sie nach sich ziehen, wobei die

beiden letztgenannten Dimensionen all das umfassen, als was oder wie die Hoffnung gefühlt,

verstanden und umgesetzt wird.

51

In ihrem Ziel offen sei, laut Webb (2007: 69-72), zunächst die „geduldige Hoffnung“.

Sie äußere sich in der beruhigenden Vorstellung, dass am Ende schon alles gut werden würde.

Sie lasse uns abwartend und ruhig, mit Geduld und Vertrauen in Gott und/oder das Handeln

unserer Mitmenschen, in die Zukunft blicken. Ebenso offen in die Zukunft gerichtet sei die

„kritische Hoffnung“ 9. Hiernach werde Hoffnung aber weniger als tröstender Zufluchtsort be-

griffen, auf den man einfach ruhig warte, sondern vielmehr als stimulierende Kraft, die sich

kritisch und aktiv gegen aktuelles Leid und Unterdrückung richte. Gleichwohl ein konkretes

Ziel nie fixiert werde, negiere sie das Negative und richte sich eben auf das, was aktuell noch

nicht existiere.

Zielgerichtet hingegen sei mit Webb (2007: 73-79) erstens die „resolute Hoffnung“, die

mithilfe des menschlichen Denkvermögens entgegen der Beweislage zu hoffen imstande sei,

dass eine Person einen Ausweg aus ihrer je individuellen Misere finden könne, wodurch ent-

sprechend zielgerichtete Handlungen folgen würden, die individuell transformativ sein könn-

ten. Zweitens gäbe es die „schätzende Hoffnung“, die je nach individueller Intention abwäge,

ob sich eine Hoffnung lohne, das heißt, ob durch das Ergreifen einer bestimmten Handlung das

Resultat erreichbarer scheine als mögliche Risiken. Den dritten zielgerichteten Modus bilde die

„utopische Hoffnung“. Diese hoffe auch entgegen der vorhandenen Beweislast, richte sich aber

auf kollektive Ziele. Gespeist werde sie aus dem Wunsch nach einer humaneren Zukunft und

dem zugrundeliegenden Vertrauen, dass durch aktives Handeln eine Veränderung der sozialen

Verhältnisse möglich sei, wobei der jeweilige utopische Traum als bestimmter Plan vor der

Umsetzung der Handlungen bereits feststehe.

Diese Gliederung im Hinterkopf behaltend, könne das Hoffen mit Webb (2007: 67ff.)

als eine menschliche Fähigkeit unterschiedliche soziale wie individuelle Formen annehmen,

und auch verneint oder unterdrückt werden – obwohl die Hoffnung möglicherweise essenziell

in unserem anthropologischen Innersten beheimatet sei.

Gerade in der gegenwärtigen Postmoderne befänden sich nach Lutz (2008) die großen kol-

lektiven Hoffnungen und Visionen, wie auch „ihr gesellschaftlich-soziales Pendant, die Utopie“

(ebd.: 118), in einer Krise. Die negativen Erfahrungen mit ideologiebesetzten Utopien, welche

die Menschheit im vergangenen Jahrhundert machen musste, seien nach Lutz (2008: 116ff.)

vermutlich ein Grund dafür, die eigene menschliche Natur mitsamt ihren zerstörerischen Po-

9 Als bekannter Vertreter der „kritischen Hoffnung“ wird Ernst Bloch genannt, siehe auch Kapitel 2.3.2 dieser Arbeit.

52

tenzialen in pragmatische, funktionale und rationale Bahnen lenken zu wollen, während utopi-

sche Visionen bestenfalls in gesellschaftlichen Nischen, wie der Religion, als legitim gälten.

Dabei würde die Hoffnung10 und ihre Derivate – die Visionen und Utopien – oft fälschlicher-

weise mit einer Ideologie gleichgesetzt und dementsprechend zusammen verabschiedet werden.

Dieser kollektive wie individuelle „Verzicht auf leitende Hoffnungen“ (ebd.: 117) gehe mit

einer tiefgreifenden Verunsicherung des Menschen hinsichtlich seines Selbstverständnisses,

seiner Bestimmung in der Welt und den ihm gegebenen Handlungsmöglichkeiten, wie Hand-

lungsnotwendigkeiten, einher (ebd.). Denn „[…] was soll er tun, woran sein Handeln grundle-

gend orientieren, wenn er gar nicht mehr recht weiß, wer er hoffen kann und hoffen soll zu

werden, was also seine ideale Gestalt als Mensch ist beziehungsweise sein könnte?“ (Ebd.)

In einer Zeit der Umbrüche, in welcher der Glaube an einen gesellschaftlichen Fort-

schritt zusehends abnimmt, mehr und mehr skeptisch nach vorne geschaut wird und die großen

Hoffnungen der Menschheit als gescheitert oder überwunden gelten, könnten auch die großen

Geschichten und Erzählungen der Menschheit ihre letzten verbliebenen, hoffnungsvollen und

positiven Zukunftsbilder – an denen wir uns anhalten, motivieren und orientieren könnten –

endgültig verlieren (Lutz 2008: 120).

Denn mit Thomas Assheuer (2007) gesprochen seien in den letzten Jahren, gerade in

der westlichen Gesellschaft, die „Dunkelseher“ auf dem Vormarsch, welche uns eine düstere

bis apokalyptische Zukunft prognostizieren. Drohende ökonomische, ökologische und kultu-

relle Risiken würden uns nicht nur den Fortschrittsglauben rauben, der typisch für die Moderne

war. Diesen Untergangsprophetinnen und -propheten zu folgen, berge vielmehr eine Gefahr für

das Fortbestehen der Demokratie, weil sie unterschwellig nicht-egalitäre und antidemokratische

Ideologien transportieren würden.

Daher plädiert Lutz (2008: 120f.) im Rahmen ethischer Überlegungen dafür, die „Hoff-

nung als eine zentrale Handlungskategorie auszuweisen“ (Ebd.: 120, H. i. O.). Nach Lutz

(2008: 118-123) brauche es ein Umdenken in Bezug auf die Hoffnungskategorie. Spätestens

seit der Aufklärung sei sie rational zu beherrschen versucht worden, dabei sei sie doch ein

Grundzug der menschlichen Natur und könne als solcher nicht überwunden werden. Wohl aber

solle sie neu begründet und fundiert werden. Die Bemühungen, die eigene wie kollektive Zu-

kunft rational und pragmatisch kontrollieren zu wollen, hätten nämlich nicht zu einer Überwin-

dung utopischer Vorstellungen geführt. Auch wenn die großen politischen Utopien, wie der

10 Der Begriff von Hoffnung im Sinne Lutz‘ (2008) inkludiert „jede Form einer positiv konnotierten Aussichtig-keit“ (ebd.: 116), womit er die Ambivalenz der hellenistischen Gebrauchsweise (vgl. Kapitel 2.2.1) dezidiert aus-schließt.

53

Kommunismus, der Marxismus oder der (National-)Sozialismus historisch überlebt seien, wür-

den Hoffnungsfiguren an anderer Stelle vielfach wiederkehren und dergestalt unbemerkt unser

Handeln beeinflussen. Die Zukunft des Menschen bleibe prinzipiell offen und unkontrollierbar,

was aber nicht bedeute, Hoffnung entspringe einem Informationsmangel, wie oft behauptet

werde. Denn Hoffnung entstehe aus einer Erwartung an die Zukunft und könne als solche

durchaus rational das zukünftig zu Erwartende prognostizieren bzw. planen, und zwar auf der

Grundlage dessen, was wir in der Gegenwart bereits wissen. Analog verhalte es sich mit der

Furcht und der Verzweiflung, deren Material ebenso die Erwartung sei. Allerdings stelle die

eine Positionierung gegenüber der Zukunft „[…] eine zutiefst positiv konnotierte, die andere

eine zutiefst negativ konnotierte Gewißheit dar.“ (Ebd.: 123)

Insofern zeigt sich die Bedeutung von Hoffnung als Handlungskategorie hinsichtlich der Her-

ausbildung einer „kontrollierten, vernünftigen und humanen Utopie für ein Gemeinwesen als

Quelle moralischer Intuition und Motivation“ (Lutz 2008: 124). Oder wie bereits König Salo-

mon nach den Überlieferungen des Alten Testaments gesagt haben soll, brauche ein Kollektiv

Visionen, an denen es sich motivieren und ausrichten könne, um fortbestehen zu können (ebd.),

denn „‘[o]hne Vision geht ein Volk zugrunde.‘“ 11 (Spr 29, 18, zit. n. Lutz 2008: 124)

Von einer utopischen Vision angetrieben, zeigen sich nach Rebecca Coleman und Debra

Ferreday (2010: 313) auch jene politischen Bewegungen, die nach Gleichberechtigung unter

den Menschen bzw. einer Verbesserung der Lebensbedingungen für Rand- oder Minderheiten-

gruppen streben würden, wie etwa der Feminismus: „Feminism, for example, might be charac-

terised as a politics of hope, a movement underpinned by a utopian drive for full equality.“

(Ebd.)

Ähnlich definiert auch Mary Zournazi (2002: 14f.) die Hoffnung nicht nur als etwas,

das ein Weiterleben in Situationen der Verzweiflung ermögliche und wünschend in eine bessere

Zukunft gerichtet sei, sondern vielmehr als eine lebenswichtige Energie und als politische und

ethische Triebkraft: „Hope […] is the drive or energy that embeds us in the world – in the

ecology of life, ethics and politics.“ (Ebd.)

Außerdem sei die Hoffnung nach Zournazi (2002: 15) auch mit den uns umgebenden

Machtrelationen verwoben und den Vorstellungen davon, was ein Leben zu einem jeweiligen

Zeitpunkt lebens- und erstrebenswert mache, wodurch unsere individuellen Wünsche und Hoff-

nungen maßgeblich beeinflusst würden. Gegenwärtig zum Beispiel sei ökonomischer Erfolg

ein wichtiger Faktor, der in Korrelation mit individuellem Glück und emotionaler Sicherheit

11 Dabei handelt es sich um eine alternative Übersetzung der folgenden Quelle: „Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk wild und wüst […].“ (Spr 29, 18, zit. n. ERF Medien 2018: o. S.)

54

gesehen werde, woraus man sich wiederum zusätzliche Hoffnungen verspreche. Gegenwärtige

(globale) Instabilitäten im Job und in unseren Beziehungen führten allerdings zu steigender

Frustration und gefühlter Unsicherheit, weshalb insbesondere rechtsorientierte Parteien und Re-

gierungen eine Hoffnung propagieren würden, die über Furcht (vor dem/den Anderen) operiere

und das Leiden Anderer ignoriere. Solange das ‚Wir‘ von einer solchen Politik der Hoffnung –

die u. a. eine nationale Einheit in der Zukunft zeichne – profitiere, könnten Gefühle der Frust-

ration und Hoffnungslosigkeit demnach auf die Anderen abgeschoben werden.

Insofern wundert es nicht, wenn auch Autorinnen wie Coleman und Ferreday (2010:

313) feststellen, wir würden gegenwärtig in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit leben. Die Hoff-

nung werde allgemein als etwas gesehen, das in der Vergangenheit existiert habe, als ein nos-

talgisches Objekt quasi, um dessen Verlust getrauert werde, dessen Zeit aber vorüber sei, auch

deshalb, weil einige vergangene Hoffnungen enttäuscht worden seien. Das heißt, Hoffnung sei

eng mit Hoffnungslosigkeit verkettet. Mit Rückgriff auf den Pandora-Mythos (siehe auch Ka-

pitel 2.2.1) sei die Hoffnung eben ein fragiles Gut, das den Menschen leicht abhandenkommen

könne. Dies sei auch in Hinblick auf feministische Politik zu beobachten, in der sich mittler-

weile eine hoffnungslose Stimmung ausgebreitet habe, da einige Errungenschaften feministi-

scher Theorien, und demgemäß die Relevanz des Feminismus allgemein, aus heutiger Perspek-

tive besonders von jungen Frauen geringgeschätzt werden würden.

Falls sich der Feminismus zurzeit tatsächlich in einer ernsthaften Krise befände – wo-

rüber laut Coleman und Ferreday (2010: 316) noch diskutiert werden könnte – müsste eine

Krise wie diese nicht automatisch in einer Hoffnungslosigkeit enden, sondern könnte mit

Gayatri Spivak (2002) als eine Chance auf Hoffnung genutzt werden, individuell wie politisch:

„So crisis is an un-anticipatable moment which makes something inherited perhaps jump into something other, and fix onto something that is opposed. For me, crisis is not the leap of faith because it brings faith into crisis, but rather it is the leap of hope. And that’s how I would connect the potential of crisis and hope in resistances of all kinds.“ (Ebd.: 173)

Auf diese Weise könnten laut Spivak (2002: 173) gerade subalterne Gruppen aus einer Krise

bzw. ihrer Situation, die sie zu einer Krise machen – was sie als „bringing to crisis“ (ebd., H. i.

O.) bezeichnet – eine widerständige Energie schöpfen, die sich gegen die unterdrückenden

Machtverhältnisse auflehne. Dementsprechend sei Hoffnung nach Spivak (2002: 173) ein er-

mächtigendes Moment der Krisensituation. Oder mit anderen Worten: Unter Zuhilfenahme kri-

tischen Widerstandes sei die Krise – die mit ‚Kritik‘ nicht zufällig eine etymologische Nähe

aufweise – auch ein Ort der Hoffnung.

55

Insofern sei der Hoffnungsbegriff, wie Coleman und Ferreday (2010) resümieren, auch heute

noch von praktischer gesellschaftlicher Bedeutung, indem er sich an der Schaffung neuer Be-

ziehungen zwischen Subjekten, ihren Möglichkeiten, Träumen, Wünschen etc. beteiligt zeige,

während er hinsichtlich der zugrundeliegenden Theorien im Spannungsfeld zweier Pole

schwinge: Auf dem einen bewege sich die Hoffnung als Antriebskraft bzw. Energie, wie sie

etwa von Mary Zournazi gesehen wird. Auf dem anderen liege die Hoffnung als eine Erwartung

dessen, was kommen werde, vertreten zum Beispiel von Ernst Bloch.

Welche besondere politische Relevanz der Hoffnung in Verbindung mit dem Hunger (nach

mehr) zukommt, soll im nachfolgenden Kapitel zur Bloch’schen Philosophie erörtert werden.

2.3.2 Die Hoffnung als Prinzip bei Ernst Bloch In seinem Buch „Das Prinzip Hoffnung“ hält der Philosoph Ernst Bloch (1985a) dem unbe-

stimmten Gefühl der Angst, sowie dem zielgerichteten Affekt der Furcht, den Affekt der Hoff-

nung, das Hoffen, entgegen:

„Hoffen,[sic!] über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen [...]. Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende tätig hinein-werfen, zu dem sie selber gehören. Sie erträgt kein Hundeleben, das sich ins Seiende nur passiv geworfen fühlt [...].“ (Bloch 1985a: 1)

Somit ist das Hoffen für Bloch (1985a: 1) ein aktiver Affekt, welcher die passive Qualität von

Angst und Furcht, samt ihren unterdrückenden einengenden Effekten, zu überwinden vermöge.

Dafür brauche es jedoch Menschen, die sich nicht länger leidend mit ihrer Situation abfinden

wollen, sondern bereit seien, hoffend aus ihr heraus zu treten. Träume von einem besseren Le-

ben, von einer besseren Welt, seien allesamt in der Hoffnung verwurzelt, weshalb es nötig sei,

„das Hoffen zu lernen“ (ebd.), nicht aber das Fürchten.

Gleichwohl solche utopischen Träume von einem besseren Miteinander nach Bloch

(1985b: 555) prinzipiell offen scheinen, brauche es zur Verwirklichung einer konkreten Utopie

immer einen bestimmten „Fahrplan“ (ebd.), den diese Träume vorab bereitstellen würden.

Insofern versteht Bloch (1985a; 1985b) den Begriff der Hoffnung eben als ein ‚Prinzip‘,

als eine wichtige sozialpolitische Triebkraft in Hinblick auf eine gerechtere, bessere Zukunft,

einer Richtschnur für menschliches Handeln gleich, die sich trotz möglicher negativer Erleb-

nisse in der Vergangenheit nicht mit den sozialen Gegebenheiten zufriedengeben will.

„Hoffnung als Prinzip zu erkennen, heißt Erfahrungen mit Enttäuschungen und Niederlagen zu machen. Die Hoffnung ist der Antrieb für den Kampf und den Widerstand gegen jegliche Form

56

von Herrschaft und Unterdrückung. Gleich, ob die Existenz einer Macht sich unsichtbar und subtil äußert, oder ob sie offen und brutal agiert, oder beides zugleich.“ (Strohmaier 1989: 12)

Dieser Zugang Blochs zur Hoffnung könnte im Kontext seiner Biografie erklärt werden. Detlef

Horster (1991) verweist darauf, wie Bloch als Zeitzeuge des 1. Weltkrieges bereits erlebt habe,

wie die Hoffnungen auf mehr Menschlichkeit innerhalb der Gesellschaft wiederum enttäuscht

worden seien. Das sei für Bloch jedoch kein Grund zur Resignation gewesen, sondern nur noch

mehr Motivation, sich handelnd gegen die unterdrückenden Kräfte zu wenden. Eine enttäuschte

Hoffnung sei noch nicht Grund genug, sich der Hoffnungslosigkeit hinzugeben. Die Mensch-

heit würde nie aufhören, auf ein besseres Morgen zu hoffen. Aber eine abstrakte Hoffnung

allein reiche noch nicht aus, wenn sie für die Erlangung einer besseren Zukunft nicht auch

praktisch umgesetzt werde. Als Realphilosoph verstanden, sei das Denken Blochs von Anfang

an auf eine Veränderung politischer Verhältnisse ausgerichtet gewesen.

Überdies nimmt „Das Prinzip Hoffnung“ im Rahmen der Utopieforschung eine beson-

dere Relevanz ein, wie María do Mar Castro Varela (2007: 61) ausführt. So gelte Bloch für

einige „auch heute noch als der Philosoph der Utopie schlechthin“ (ebd., H. i. O.), gerade weil

er dieses dreibändige Werk, in welchem der Begriff der Utopie im Zusammenhang mit der

Hoffnung eine wichtige Rolle spielt, trotz der Ereignisse des zweiten Weltkrieges, den er

ebenso miterlebte, beendete (ebd.).

Blochs „Hoffnungsphilosophie“ (Castro Varela 2007: 61) ist ideologiekritisch und

selbstreflexiv, auch wenn Kritiker_innen ihm häufig das Gegenteil vorwerfen, denn sie unter-

scheidet lediglich träumerische Utopien, die keine gelehrte Hoffnung enthalten, von den kon-

kreten Utopien, die tatsächlich möglich wären und denen folglich eine handlungsleitende, ge-

sellschaftstransformierende Funktion innewohnt (ebd.: 61ff.).

In diesem Kontext differenziert Bloch (1985a: 77f.) zwei Arten von Hoffnung: Die eine sei ein

Gemütszustand, die andere eine Gemütsbewegung. Die erste sei intransitiv und gleiche einer

„charakterhafte[n] Leichtmütigkeit“ (ebd.: 78). Die zweite jedoch richtet sich stets auf ein Ob-

jekt, auf das sie hofft (ebd.). Darin zeigt sich die Hoffnung als Bewegung des Gemüts, eben als

Affekt, der körperlich wie psychisch spürbar ist (ebd.: 77f.).

Die Affekte Hoffnung, Furcht und Angst sind für Bloch (1985a: 82f.) „Erwartungsaf-

fekte“. Als solche würden sie sich antizipierend auf etwas Neues richten, das gegenwärtig noch

nicht vorhanden ist, während „gefüllte“ Affekte, wie beispielsweise Neid oder Habsucht, zwar

auch auf die Zukunft gerichtet seien, aber immer auf ein Objekt zielten, das gegenwärtig bereits

existiert und folglich leichter erreichbar wäre:

57

„Alle Affekte sind auf das eigentlich Zeithafte in der Zeit bezogen, nämlich auf den Modus der Zukunft, aber während die gefüllten Affekte nur eine unechte Zukunft haben, nämlich eine sol-che, worin objektiv nichts Neues geschieht, implizieren die Erwartungsaffekte wesentlich eine echte Zukunft; eben die des Noch-Nicht, des objektiv so noch nicht Dagewesenen.“ (Ebd.: 83)

Insofern die Intentionen der Hoffnung und Furcht in die Zukunft gerichtet sind, sei ihr Ausgang

mit Bloch (1985a: 122-127) stets ungewiss, wobei diese beiden Affekte dennoch in ihrem Ziel

diametral gegenüberlägen. Hoffend wünschten wir uns den Eintritt von etwas Positivem herbei,

während wir in der Furcht verhaftet wünschten, dieses Negative möge niemals geschehen:

„Jede Furcht impliziert, als Erfüllungskorrelat, totale Vernichtung, die so noch nicht da war,

hereinbrechende Hölle; jede Hoffnung impliziert das höchste Gut, hereinbrechende Seligkeit,

die so noch nicht da war.“ (Ebd.: 122)

Somit handle es sich bei der Hoffnung nach Bloch (1985a: 83) um den „Erwartungs-

Gegenaffekt gegen Angst und Furcht“: Sie verhalte sich diametral zu ängstlichen, fürchtenden

Affekten, an denen wir immer leiden würden und welche uns deshalb unfrei sein ließen. Daher

sei die Hoffnung „der wichtigste Erwartungsaffekt, der eigentliche Sehnsuchts-, also Selbstaf-

fekt“ (Bloch 1985a: 83) des Menschen. Somit sei die Hoffnung „die menschlichste aller Ge-

mütsbewegungen und nur Menschen zugänglich“ (ebd., H. i. O.).

Die Angst hingegen bilde für Bloch (1985a) den „grundlegende[n] negative[n] Erwar-

tungsaffekt“ (ebd.: 123). Im Unterschied zur Furcht könne sie nach Bloch (1985a: 123ff.) auch

als intransitive Stimmung bzw. Gefühl auftreten. Der „absolut negative Erwartungsaffekt“

(ebd.: 127, H. i. O.) aber ist für Bloch (1985a: 125ff.) die Verzweiflung, weshalb sie als Ge-

genspielerin zur Zuversicht, als der absolut positiv gewordene Erwartungsaffekt“ (ebd.: 127,

H. i. O.), welche über jeden Zweifel erhaben sei, auftrete.

Sowohl die positiven wie die negativen Erwartungsaffekte würden sich mit Bloch

(1985a: 127f.) in Wach- bzw. Tagträumen der Zukunft, sprich in der Utopie, zeigen: „Die

Wachträume ziehen, sofern sie echte Zukunft enthalten, allesamt in dieses Noch-Nicht-Be-

wußte, ins ungeworden-ungefüllte oder utopische Feld.“ (Ebd.: 128)

Auch in seiner „Tübinger Einleitung in die Philosophie“ verweist Bloch (1963) auf die

Bedeutung von Tagträumen für die Entwicklung und Realisierung von Utopien: Im Gegensatz

zum nächtlichen Traum sei der Tagtraum stets auf die Zukunft gerichtet und beinhalte „Bilder

eines Noch-Nicht in Leben und Welt“ (ebd.: 124). Fantasien solcherart könnten sich mit Bloch

(1963: 124-132) einerseits auf das subjektive Leben der träumenden Person selbst beziehen.

Andererseits könnten solche Träume auch über das individuelle Wohl hinausgehen und somit

dem Wunsch nach einer besseren Welt Ausdruck verleihen. Letztere seien abstrakte Sozial-

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Utopien, welche die Basis jedweder konkreten Utopie bilden würden, gewissermaßen als Kon-

zept dessen, was zwar gegenwärtig noch-nicht ist, aber zukünftig dennoch möglich wäre.

Insofern würden Tagträume nach Bloch (1985a: 85) den nötigen Bauplan bereitstellen,

den es vor der Verwirklichung eines jeden Wunsches brauche, um Kräfte zu mobilisieren und

auf das Ziel hin bündeln zu können. Dabei hätten alle Arten von Tagträumen den Mangel als

gemeinsamen Ursprung: „Sie kommen allemal von einem Mangeln her und wollen es abstellen,

sie sind allesamt Träume von einem besseren Leben.“ (Ebd.)

Mit anderen Worten meint eine solche Hoffnung eine „verneinte[...] Entbehrung“

(Bloch 1985a: 86), die ihren Ursprung und ihren Fortbestand in vorausschauenden Tagträumen

findet (ebd.: 85f.). Solche können im Sinne eines Strebens nach Weltverbesserung von den

Träumenden mit anderen geteilt, das heißt untereinander kommuniziert werden, auch häufig

über künstlerische oder musische Ausdrucksformen, deren Inhalte unter Umständen die gegen-

wärtigen Ordnungsgesetze der Welt überschreiten und folglich als Fantasien abgetan werden

mögen, in Zukunft aber wirklich werden könnten (ebd.: 102-107).

„Vorwegnahmen und Steigerungen, die sich auf Menschen beziehen, sozialutopische und solche der Schönheit, gar Verklärung sind erst recht nur im Tagtraum zu Hause. Vorab das revolutio-näre Interesse, mit der Kenntnis, wie schlecht die Welt ist, mit der Erkenntnis, wie gut sie als eine andere sein könnte, braucht den Wachtraum der Weltverbesserung [...].“ (Bloch 1985a: 107)

Dieses Interesse an einer Weltverbesserung entspringt mit Bloch (1985a) aus einem überlebens-

notwendigen Antrieb: dem „Grundaffekt Hunger“ (ebd.: 79), der die Basis für alle Triebe und

Affekte bildet (ebd.: 77). Laut Bloch (1963: 12f.) sei nämlich der Hunger allgemein jener Trieb,

der sämtliche Lebewesen dazu anrege, den physisch spürbaren Mangel in ihrem Inneren aus-

zugleichen, indem sie sich aus dem Außen Nahrung einverleiben. Ergo treibe der Hunger alle

körperlichen und geistigen Aktivitäten dazu an, dieses immer wiederkehrende Bedürfnis zu

stillen.

Erst wenn der grundlegende physische Hunger nach Nahrung befriedigt sei, so Bloch

(1985a: 52-84) weiter, könne der Mensch anderen Trieben oder Bestrebungen, wie beispiels-

weise dem Wunsch nach Fortpflanzung, beruflicher Karriere oder Macht, nachkommen. Erst

wenn der Magen ausreichend gefüllt und das eigene Überleben sichergestellt seien, könne sich

ein Verlangen nach der Erfüllung neuer Wünsche oder Bedürfnisse bilden. Das komme bei-

spielsweise bei den Reichen vor, die an Lebensmitteln übersättigt seien und daher beständig

neue, mit dem Luxus einhergehende Begierden entwickelten, die allerdings genauso quälend

sein könnten wie ein Nahrungsmangel. Insofern würden alle Triebe und Affekte, auch Hoffnung

und Furcht, den Hunger als Ausgangspunkt kennen. Dieser Hunger ermögliche erst den Appetit

nach anderen Dingen, die den Wunsch nach bloßem Überleben übersteigen würden. „Der

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menschliche Hunger ist selten einstöckig, wie der der Tiere, und was er ißt, schmeckt nach

mehr.“ (Bloch 1963: 15)

Wird allerdings der leibliche Hunger des Menschen nach Nahrung zu groß und zu lang-

anhaltend, weil der Mangel beständig wächst und der Magen nicht mehr gesättigt werden kann,

entsteht aus dem Hunger möglicherweise der Wunsch nach einer Befreiung aus den unterdrü-

ckenden sozialen Verhältnissen, sprich nach einer Revolution (Bloch 1985a: 84):

„Das Nein zum vorhandenen Schlechten, das Ja zum vorschwebenden Besseren wird von Ent-behrenden ins revolutionäre Interesse aufgenommen. Mit dem Hunger fängt dies Interesse al-lemal an, der Hunger verwandelt sich, als belehrter, in eine Sprengkraft gegen das Gefängnis Entbehrung. Also sucht sich das Selbst nicht nur zu erhalten, es wird explosiv; Selbsterhaltung wird Selbsterweiterung.“ (Ebd.: 84, H. i. O.)

Eine solche Selbsterweiterung mit Bloch (1985a), die nach der marxistischen Logik eine klas-

senlose Gesellschaft anstrebt, brauche wiederum die Tagträume von einer besseren Welt, um

die darin enthaltenen Intentionen überhaupt möglich werden zu lassen. Der Erwartungsaffekt

der Hoffnung übernehme in diesem Kontext eine wesentliche utopische Aufgabe, da Hoffnung

stets positiv nach vorne gerichtet sei. Somit stehe sie immer im Gegensatz zu Angst oder Furcht,

deren Fantasien zwar ebenso Utopien zeichnen könnten, jedoch negativ geartete.

Denn Utopien sind im besten Fall „[…] Vorstellungen von Gruppen, die die bestehende

Gesellschaft unterminieren und sprengen oder eine Sprengung vorbereiten mit dem Traum von

einer schöneren Welt, einer besseren Gesellschaft.“ (Bloch 1980: 70)

Damit die Hoffnung aber überhaupt an ihre zukünftigen Vorstellungswelten gelangen

könne, müsse sie sich zunächst einmal von einem unbewussten Gemütszustand in einen ge-

danklich fassbaren Inhalt verwandeln, gerade weil vorausschauende Träume (noch) nicht im

Bewusstsein verankert seien (Bloch 1985a: 163), um dann „bewußt-gewußt“ (ebd., H. i. O.)

ihre „utopische Funktion“ (ebd., H. i. O.) erfüllen zu können.

Denn mit Bloch (1923: 5) liege die fantastische wie wahrhaftige „Funktion der Utopie,

gehalten gegen Elend, Tod und das Schalenreich der physischen Natur“ eben darin begründet,

vormals unbewusste Träume zu erkennen, zu sehen, was wirklich wichtig sei, um diese Visio-

nen dann im Außen auch umsetzen zu können, für ein neues und besseres Leben, für das es sich

auch zu leben lohne:

„In uns allein brennt noch dieses Licht, und der phantastische Zug zu ihm beginnt, der Zug zur Deutung des Wachtraums, zur Handhabung des utopisch prinzipiellen Begriffs. Diesen zu fin-den, das Rechte zu finden, um dessentwillen es sich ziemt zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir, hauen wir die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das bloß Tatsächliche verschwindet […].“ (Bloch 1923: 5)

60

Insofern resümiert Bloch, dass „[j]edes Ziel, ob erreichbar oder nicht erreichbar, [...] erst im

Kopf vorgestellt werden […]“ (Bloch 1985a: 189) muss. Dies betrifft sowohl gewöhnliche Ziel-

vorstellungen einfacher Wünsche, wie auch jene vollkommener Ideale (ebd.).

Mag auch die „Fiktion eines happy-end“ (ebd.: 515) nach Bloch (1985a: 515) zunächst

häufig unmöglich umzusetzen erscheinen, so sei es doch ein Ziel, um dessen Erreichung mit

Willen und Zuversicht gekämpft werden könne und auch solle. Solange die Hoffnung und der

Glaube an eine positivere Zukunft die negativen Antizipationen übersteigen, könne die Aus-

sichtslosigkeit überwunden werden.

Schließlich ist es „die Hoffnung, welche die Furcht zuschanden macht“ (Bloch 1985a:

126). Oder mit anderen Worten: „die Hoffnung ersäuft die Angst“ (ebd.).

„Hoffnung hat sich statt dessen gerade an der Todesstelle als eine auf Licht und Leben hin ent-worfen, als eine, die dem Scheitern nicht das letzte Wort gibt; so hat sie durchaus den Intenti-onsgehalt: es gibt noch Rettung – im Horizont.“ (Bloch 1985a: 126f.)

So kann es vorkommen, dass gerade in Momenten größter Gefahr, in denen Leib und Leben

auf dem Spiel stehen, die Hoffnung stärker währt, als die Furcht vor dem Tod, weil sie nach

wie vor an einen Ausweg aus der Misere glaubt (ebd.).

61

3 „The Hunger Games“-Filmreihe

3.1 Allgemeines und Plot der Geschichte „The Hunger Games“ (2012), „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), „The Hunger Ga-

mes: Mockingjay – Part 1“ (2014) und „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015) bil-

den die vierteilige Verfilmung der gleichnamigen Buchtrilogie von Suzanne Collins. Mit knapp

3 Milliarden US-Dollar Bruttogewinn in den Kinos weltweit, von denen etwa die Hälfte alleine

im Produktionsland der USA eingespielt werden konnte (Box Office Mojo 2018a: o. S.), zählt

die Filmreihe zu den erfolgreichsten Projekten der Lions Gate Entertainment Corporation (Box

Office Mojo 2019b: o. S.).

Das Drehbuch für „The Hunger Games“ (2012) entstand aus einer Zusammenarbeit von Collins

mit Billy Ray und Gary Ross. Letzterer führte überdies Regie. Hauptdarstellerinnen und -dar-

steller sind u. a. Jennifer Lawrence in der Rolle der Katniss Everdeen, Josh Hutcherson alias

Peeta Mellark und Liam Hemsworth als Gale Hawthorne:

Ihre Geschichte spielt in einem Land namens Panem, das von Präsident Coriolanus

Snow (Donald Sutherland) mit harter Hand regiert wird. Snows Regierungssitz befindet sich in

der Hauptstadt Panems, genannt Kapitol, die über die zwölf subordinierten Distrikte, in welche

die Nation aufgeteilt ist, seine Güter, Waren und Lebensmittel bezieht. Katniss und ihr Jugend-

freund Gale leben in Distrikt 12, dem ärmsten Bezirk Panems, spezialisiert auf den Abbau von

Kohle. Um ihre Familien ernähren zu können, überqueren sie regelmäßig und verbotenerweise

eine Absperrung, die Distrikt 12 von der Wildnis trennt. In diesen Wäldern gehen sie jagen.

Die Erzählung beginnt kurz vor den alljährlichen Hungerspielen. Bei der sogenannten

Ernte werden in jedem Distrikt ein Mädchen und ein Junge zwischen zwölf und achtzehn Jahren

als Teilnehmer_innen, sogenannte Tribute12, gelost. Eingeführt wurde die Tradition nach einer

missglückten Rebellion vor 75 Jahren. Sie dient somit der Machtdemonstration und als Ein-

schüchterungsmaßnahme, um von weiteren Aufständen abzuhalten. Dieses Mal trifft das

Schicksal auf Primrose Everdeen. Katniss, die ihre jüngere Schwester beschützen möchte, mel-

det sich an ihrer Stelle freiwillig. Den männlichen Tribut aus Distrikt 12 stellt der gleichaltrige

Bäckerssohn Peeta.

12 Da das Wort „Tribut“ lediglich in seiner maskulinen Form besteht, und als solche auch in der deutschen Über-setzung Verwendung findet, werde ich im Laufe dieser Arbeit von männlichen oder weiblichen Tributen spre-chen, sofern eine Unterscheidung nötig ist.

62

Nach der Ziehung werden Katniss und Peeta mit einem Zug ins Kapitol gebracht, be-

gleitet von ihrem zugewiesenen Mentor Haymitch Abernathy (Woody Harrelson), einem frühe-

ren Sieger der Hungerspiele aus ihrem Distrikt, zusammen mit ihrer aus der Hauptstadt kom-

menden Betreuerin namens Effie Trinket (Elizabeth Banks). Bereits bei ihrer Ankunft am Bahn-

hof werden sie von einer Menschenmasse bejubelt. Ihre Popularität steigt noch, als Katniss und

Peeta bei der Parade im Kapitol Anzüge tragen, die in künstlichen Flammen lodern. Die Insze-

nierung stammt von Cinna (Lenny Kravitz), der Distrikt 12 als Stylist betreut.

In den nachfolgenden vier Tagen bereiten sich alle Tribute im Trainingscenter auf den

tödlichen Kampf in den Hungerspielen vor. Die Übungseinheiten dienen außerdem dazu, po-

tenzielle Geldgeber_innen auf die eigenen Fähigkeiten aufmerksam zu machen und diese für

sich zu gewinnen. Solche Sponsorinnen und Sponsoren können nämlich während der Spiele

überlebensnotwendige Gegenstände, wie etwa heilende Medikamente, zu ihren Lieblingstribu-

ten in die Kampfarena schicken lassen. Nach Abschluss des Trainings geben die Tribute Inter-

views in einer TV-Show, moderiert von Caesar Flickerman (Stanley Tucci). Für Katniss, die

bereits als das „Mädchen, das in Flammen steht“ bekannt ist, hat Cinna ein Kleid anfertigen

lassen, dessen Saum zu brennen scheint, als Katniss vor dem jubelnden Studiopublikum um

ihre eigene Achse wirbelt. Peeta hingegen gewinnt beim Publikum an Sympathie, indem er

romantische Gefühle für Katniss offenbart.

Kurz darauf beginnen die 74. Hungerspiele. Erklärtes Ziel wie jedes Jahr: Es kann nur

ein Tribut als Sieger_in hervorgehen. In einer Freiluftarena werden die Tribute so lange einge-

sperrt, bis am Ende normalerweise nur eine_r unter ihnen am Leben bleibt, während das Mor-

den, Töten, Hetzen und Kämpfen über allgegenwärtige Überwachungskameras aufgezeichnet

und landesweit übertragen wird. In all dieser Zeit können die Spielmacher13 Panems per Com-

puter, von ihrem Studio aus, in das Geschehen in der Arena eingreifen.

Als Katniss nach einer Jägerwespenattacke für mehrere Tage bewusstlos am Boden lie-

gen bleibt, hilft ihr eine weit jüngere Konkurrentin aus Distrikt 11 namens Rue (Amandla Sten-

berg) zu überleben, indem sie ihren Körper teilweise unter Blättern versteckt. Infolge dieses

Ereignisses verbündet sich Katniss mit dem kleinen Mädchen. Doch bald darauf gerät Rue in

eine Netzfalle und wird von einem männlichen Tribut getötet. Katniss, von großer Trauer für

Rue erfasst, schmückt ihren leblosen Körper mit Blumen, singt ihr ein Wiegenlied und verab-

schiedet sie mit einem Gruß in die Kamera. Dies berührt die Zuseher_innen in den Distrikten;

in Rues Heimatbezirk kommt es zu gewaltsamen Aufständen.

13 „Spielmacher“ inkludiert Männer und Frauen gleichermaßen. Es handelt sich um die geläufige Übersetzung, verwendet in der deutschen Tonspur der Filme und den deutschsprachigen Buchausgaben, für das englische, ge-schlechterneutrale Wort „Gamemaker“.

63

Indes setzt sich Haymitch beim obersten Spielmacher Seneca Crane (Wes Bentley) da-

für ein, Katniss nicht für diese widerständige Tat töten zu lassen, sondern vielmehr die tragische

Liebe zwischen ihr und Peeta in Szene zu setzen. Das würde dem Volk gefallen und die aufkei-

menden Unruhen besänftigen. Folglich wird in der Arena eine Regeländerung verlautbart: Die-

ses Jahr könne es eine Siegerin und einen Sieger geben, sofern beide aus dem gleichen Distrikt

stammen. Katniss und Peeta, die mittlerweile in der Arena räumlich und emotional zueinander

gefunden haben, kämpfen sich durch, bis sie die beiden einzigen Überlebenden sind. Aber die

Regeländerung wird zurückgenommen und Katniss greift zu einer List: Die beiden wollen zeit-

gleich tödliche Beeren, genannt Nachtriegel, essen. Doch bevor das letale Gift die Münder der

Jugendlichen erreichen kann, werden sie über die Lautsprecher offiziell beide zum Siegerpaar

der diesjährigen Hungerspiele erklärt.

Vor der abschließenden TV-Show rät Haymitch Katniss eindringlich, ihre vermeintliche

Liebe zu Peeta als Grund für ihr Handeln in den Vordergrund zu stellen. Indes lässt Präsident

Snow Seneca Crane in einen Raum mit Nachtriegeln einsperren; Katniss und Peeta kehren in

ihren Heimatbezirk zurück.

Ab dem nächsten Teil der Reihe, „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), übernimmt Fran-

cis Lawrence die Regie; das Drehbuch stammt von Simon Beaufoy und Michael deBruyn:

Präsident Snow stattet Katniss, die mit ihrer Familie nun im „Dorf der Sieger“ von Dis-

trikt 12 lebt, einen einschüchternden Besuch ab, da ihr widerständiges Handeln in den Hunger-

spielen bereits zu einigen Aufständen in den Distrikten geführt hat. Sie müsse auf der anstehen-

den Siegestour mit Peeta das Volk Panems davon überzeugen, dass ihr Handeln kein Akt des

Widerstands, sondern ein Akt der Liebe gewesen sei.

Zu Beginn der Siegestour kommen Katniss und Peeta nach Distrikt 11, in den Heimat-

bezirk von Rue. Peeta entscheidet bei seiner Rede eigenmächtig, ein Monatsgehalt seines Sie-

gergewinns an die Familien von Rue und den männlichen Tribut aus 11, Tresh, zu spenden.

Katniss, die von ihren Erinnerungen an Rue überrollt wird, trifft mit ihrer spontanen Rede in

das Herz der versammelten Menschen. Daraufhin pfeift ein Mann die Melodie, mit derer sich

Katniss und Rue unter Zuhilfenahme der Spotttölpel in der Arena verständigt haben. Simultan

erheben die versammelten Menschen ihre Hand zum Zeichen des Grußes und des Respekts. Die

vom Kapitol abgestellten Soldaten, genannt Friedenswächter, erschießen den Mann, der gepfif-

fen hat.

Ab diesem Moment müssen sich Katniss und Peeta bei der weiteren Siegestour streng

an ihre vorgegebenen Texte halten. Aber ihre Glaubwürdigkeit als Liebespaar leidet, und so

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lässt Präsident Snow eine Verlobung der beiden inszenieren. Wenig später sind sie zum Ab-

schluss ihrer Tour bei einer Feier im Kapitol geladen. Dort erleben die beiden Jugendlichen

hautnah die Dekadenz des Kapitols. Auf diesem Fest wird Katniss der neue Oberste Spielma-

cher, Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman), vorgestellt. Er erzählt dem Mädchen in

kryptischen Andeutungen, er sei hier, um den Spielen einen neuen Sinn zu geben.

Wieder nachhause zurückgekehrt, trifft Katniss sich mit Gale. Sie möchte ihn dazu über-

reden, mit ihm und ihren Familien in die Wälder zu flüchten – so, wie sie es sich schon oft

gemeinsam erträumt hatten. Katniss erzählt ihrem Freund von den ersten aufkeimenden Auf-

ständen, die sie bereits gesehen habe, woraufhin dieser nicht mehr fliehen will. Ihr Gespräch

wird von einer Truppe Friedenswächter unterbrochen, welche gewaltsam in Distrikt 11 einmar-

schieren. Gale wirft sich auf einen Friedenswächter, woraufhin der junge Mann öffentlichkeits-

wirksam ausgepeitscht wird. Katniss aber stellt sich schützend zwischen Gale und den Frie-

denswächter. Daraufhin gehen auch Haymitch und Peeta schützend dazwischen.

Präsident Snow, der diese Szene dank der Überwachungskameras mitansehen kann,

zeigt sich über das widerständige Handeln seiner ehemaligen Tribute verärgert. Sein Spielma-

cher Heavensbee bringt ihn auf eine Idee: Bei den 75. Hungerspielen sollen die Tribute aus den

bisherigen Gewinner_innen vergangener Hungerspiele gelost werden. Da Katniss die einzige

Siegerin aus Distrikt 12 ist, muss sie zwangsläufig wieder antreten. Neben ihr wird Haymitch

gelost, jedoch von Peeta, der sich freiwillig meldet, abgelöst.

In der TV-Show von Caesar Flickerman zeigt sich keiner der eingeladenen Tribute er-

freut, erneut in den Spielen kämpfen zu müssen. Für Katniss‘ Auftritt hat Präsident Snow ein

Brautkleid bereitlegen lassen. Allerdings ist dieses von Cinna erneut modifiziert worden. Als

Katniss sich um ihre eigene Achse dreht, beginnt der Stoff zu brennen. Das weiße Kleid ver-

schwindet, ein schwarzes kommt zum Vorschein. Als das Mädchen die Arme ausbreitet, er-

scheinen darunter schwarze Flügel. Sie sieht wie ein Spotttölpel aus; das Publikum ist begeis-

tert. Anschließend erzählt Peeta bei seinem Auftritt, er und Katniss hätten heimlich geheiratet

und überdies sei sie schwanger. Das Studio-Publikum ist entsetzt.

Als die 75. Hungerspiele in der Kampfarena beginnen, haben sich bereits Allianzen her-

ausgebildet. Finnick Odair (Sam Claflin), ein körperlich starker Tribut aus Distrikt 4, schlägt

sich gleich zu Beginn auf die Seite von Katniss und Peeta. Letztlich bleiben zwei divergierende

Kleingruppen von Alliierten in der Arena zurück, sodass der Ingenieur Beetee (Jeffrey Wright),

ebenso auf der Seite von Katniss stehend, vorschlägt, die übrig gebliebenen Gegner_innen mit-

hilfe eines Stromschlags zu töten. Dazu müsse nur ein Draht von einem großen Baum, in den

regelmäßig gewaltige Blitze einschlagen, bis zum See in der Mitte der Arena gelegt werden.

65

Als aber Katniss bei diesem Vorhaben von einem gegnerischen Angriff unterbrochen wird,

nützt sie den bereits am Baum fixierten Draht, um ihn mit einem Speer, abgefeuert aus ihrem

Bogen, gen Himmel zu schießen. So wird der Blitz über den Draht zur Kuppel geleitet, wodurch

das Kraftfeld der Arena zerstört wird; die Kuppel beginnt einzustürzen.

Katniss wird verletzt und bewusstlos von einem Flieger abtransportiert. An Bord wieder

zu Bewusstsein gekommen, trifft sie auf Heavensbee, Haymitch und Gale. Sie erfährt, die ganze

Zeit schon eine entscheidende Figur in der Rebellion gespielt zu haben. Peeta aber ist gefangen

genommen und ins Kapitol gebracht worden.

Für „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014) wurde erneut die Autorin Collins ins

Boot geholt, die bei der Adaption des Drehbuches – geschrieben von Peter Craig und Danny

Strong – half. Die Regie übernahm wiederum Francis Lawrence:

Katniss befindet sich nach ihrer Rettung aus der Kampfarena in Distrikt 13. Der Bezirk

galt nach einem Bombenangriff des Kapitols unter Präsident Snow offiziell seit Jahren als zer-

stört, existierte jedoch in einer unterirdischen Stadt weiter. Auch Katniss‘ Schwester und ihre

Mutter, die von Gale vor einem Bombenangriff auf ihren Heimatbezirk gerettet werden konn-

ten, sind bereits dort. Regiert wird Distrikt 13 von Präsidentin Alma Coin, die sich als Anfüh-

rerin der Rebellion gegen Präsident Snow versteht. Landesweit ist es bereits zu ersten Aufstän-

den gegen das Regime gekommen.

Insofern wollen Präsidentin Coin und der ehemalige Spielmacher Heavensbee Katniss

als Spotttölpel für die Anheizung der Rebellion einsetzen. Widerwillig unterstützt das Mädchen

die Rebellierenden unter der Bedingung, Peeta und die anderen gefangenen Tribute sobald als

möglich aus dem Kapitol befreien zu lassen. Es wird mit dem Dreh von Propagandavideos –

sogenannte Propos – mit Katniss in der Hauptrolle begonnen. Gemeinsam mit einem Kamera-

team wird sie zu Kriegsschauplätzen gebracht. So entstehen Bilder, die in allen Distrikten aus-

gestrahlt werden und dazu führen, dass sich mehr und mehr Distrikte der Rebellion anschließen.

Präsident Snow reagiert darauf mit öffentlichen Exekutionen und kriegerischen Angrif-

fen. Er lässt das Zeichen des Spotttölpels unter Todesstrafe stellen. Außerdem lässt er einen

Bombenangriff auf Distrikt 13 fliegen. Dies kann der unterirdisch angelegten Stadt und ihrer

Bevölkerung, die sich in die tiefergelegenen Bunker zurückgezogen hat, allerdings nichts an-

haben. Die Evakuierung war jedoch nur rechtzeitig möglich geworden, weil Peeta in einem

seiner TV-Interviews mit Flickerman, in denen er für die Zwecke des Kapitols instrumentali-

siert worden ist, um Katniss als Spotttölpel zu diffamieren, aus seiner Funktion ausbrechen und

eine Warnung aussprechen konnte.

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Kurz darauf können Peeta und die beiden weiblichen Tribute aus dem Kapitol befreit

werden. Als Katniss ihn auf der Krankenstation in Distrikt 13 besucht, attackiert der Junge das

Mädchen und würgt sie heftig, bis er von einem Hinzukommenden außer Gefecht gesetzt wer-

den kann. Nun wird klar, warum die Befreiung Peetas aus dem Kapitol möglich gewesen ist,

obwohl Präsident Snow damit gerechnet hatte: Peetas Erinnerungen an Katniss sind durch eine

Gehirnwäsche ins Negative verkehrt und mit Leiden und Angst verknüpft worden, sodass er

Katniss am liebsten töten würde. Er wurde im Kapitol zu einer Waffe gemacht, die körperlich

und emotional gegen das Mädchen einsetzbar sein würde.

Den finalen Teil der Filmreihe bildet „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015), wie-

derum unterstützt von der Buchautorin Collins bei der Adaption des Drehbuches, unter der Re-

gie von Francis Lawrence:

In Panem ist die Rebellion gegen das Regime in vollem Gange. Das ganze Land befindet

sich im Krieg mit Präsident Snow auf der einen, und den Widerständigen um Präsidentin Coin

auf der anderen Seite. Um ins Kapitol vorzudringen, Snow zu stürzen und überdies dieses mi-

litärische Vorhaben medial gut in Szene setzen zu können, wird das sogenannte „Star Squad“

ins Leben gerufen. Es handelt sich um eine Einheit, der neben Katniss, Gale und Finnick eine

Handvoll erfahrener Armeeangehöriger zugeteilt werden, begleitet von Katniss Kamerateam,

und letztlich auch Peeta. Dieser hat anfangs aufgrund der erlittenen Gehirnwäsche noch immer

Probleme, seine Aggressionen auf Katniss beherrschen und wieder Vertrauen zu ihr fassen zu

können, da für ihn die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion nicht mehr auszumachen sind.

Auf dem Weg durch das Kapitol, wo Katniss Snow eigenhändig töten will, muss das

Star Squad zahlreiche Fallen und gefährliche Hindernisse überwinden, die von den Spielma-

chern des Kapitols als „Kapseln“ („pods“) absichtlich platziert worden sind, sodass letztlich nur

Katniss, Gale, Peeta und zwei Leute des Kamerateams überleben. Die letzten Meter bis zum

Anwesen Snows bewegen sich Katniss und Gale im Schutze einer Menschenmasse, deren Ziel

ebenfalls die Villa ist. Peeta und das restliche Kamerateam bleiben in einem Keller zurück.

Snow hat kurz zuvor den Einheimischen im Kapitol zugesichert, sich vor den drohenden Kämp-

fen in seinen Palast flüchten zu können. Katniss‘ Schwester Prim ist als Sanitäterin der Rebel-

lion vor Ort. Plötzlich segeln kleine, als Hilfspakete getarnte Fallschirme vom Himmel herab.

Ihre explosive Ladung entlädt sich über der Menschenmenge und den Kindern, die eben nach

vorn gerufen worden sind. Unzählige sterben, darunter auch Prim.

Infolge der Attacke fällt der letzte Widerstand unter Snows Gefolgsleuten, sodass die

Rebellierenden in den Palast eindringen und den Präsidenten festnehmen können. Diese Atta-

cke aber, die offiziell dem Kapitol angehängt wurde, war ein hinterlistiger Schachzug von Coin,

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die sich zur neuen Übergangspräsidentin Panems ernennt. Neben der öffentlichen Hinrichtung

Snows plant sie einen zweiten Akt der Bestrafung: Ab dem kommenden Jahr sollen die Kinder

des Kapitols in die Hungerspiele geschickt werden. Dennoch stimmt Katniss vordergründig den

Plänen zu, solange sie dafür den ehemaligen Präsidenten töten dürfe. Als Katniss den gefessel-

ten Coriolanus Snow durch einen Pfeil aus ihrem Bogen hinrichten soll, täuscht sie zunächst

einen Schuss in seine Richtung an, zielt jedoch im letzten Moment höher. Der Pfeil surrt durch

die Luft und über Snow hinweg. Er trifft Alma Coin in der Brust, woraufhin diese tot zu Boden

sackt. Der wütende Mob fällt über Snow her; Katniss wird von Rebellen fortgebracht.

Dennoch darf Katniss unter dem Einfluss des medialen Beraters Plutarch Heavensbee

und der ehemaligen Soldatin und Rebellin, Commander Paylor, die wenig später zur Präsidentin

des neuen Panem gewählt wird, nach Distrikt 12 zurückkehren. Dort leistet Peeta ihr im ehe-

maligen „Dorf der Sieger“ Gesellschaft und die beiden nähern sich einander wieder an. Katniss‘

Mutter ist als medizinische Ausbildnerin im Kapitol zurückgeblieben; Gale wurde zum Captain

in Distrikt 2 ernannt.

Der Epilog zeigt eine selig lächelnde Katniss, die einen Säugling auf dem Arm hält, und

Peeta, der wenige Meter entfernt mit einem fröhlichen Kleinkind spielt, inmitten einer idylli-

schen friedlichen Landschaft.

3.2 Kontextuale Verortung im Genre der „Teenager-Dystopie“ Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, „The Hunger Games“ im Genre der

„Young Adult Dystopian Fiction“ – im weiteren Verlauf auch „Teenager-Dystopie“ genannt –

einzuordnen. Um die besonderen Charakteristika solcher Narrationen für junge Erwachsene

darzustellen, soll zunächst das Genre der Dystopie, im Kontext der Utopie, beleuchtet werden.

Die „Utopie“ ist eigentlich ein Neologismus, der als Wortspiel die griechischen Termini „ou“

(nicht), oder „eu“ (gut), mit dem Wort „topos“ (Platz, Ort) kombiniert (Milner 2009: 827). So-

mit wird die ‚U-topie‘ zu einem ‚Nirgendwo‘ oder ‚Nicht-Ort‘, der nicht real existiert, kann

aber gleichermaßen einen imaginären Ort bezeichnen, an dem viele gute, schöne und wunder-

bare Dinge geschehen (Hölscher 1996: 16). Ausgehend von einem Roman namens „Utopia“

von Thomas More (lat. Thomas Morus) aus dem Jahr 1516 (Milner 2009: 827), der Ähnlich-

keiten mit anderen imaginativen Plätzen, wie dem sogenannten Schlaraffenland, aufweist (Höl-

scher 1996: 16), jedoch als Ort eine Insel beschreibt, auf welcher eine sozialutopische Gesell-

schaft lebt, in der Arbeit, Essen und Mittel unter ihrer Bevölkerung als gerecht verteilt geschil-

dert werden (Morus 1964: 60-155) – was der Autor als absolutes „Gemeinwohl“ (ebd.: 149)

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bezeichnet – ist der Begriff „Utopia“ in der Literatur immer wieder verwendet worden, bis er

zu einem fixen Ausdruck wurde, um welchen ab dem 18./19. Jahrhundert ein abstraktes Kon-

zept der Utopie entwickelt wurde, das nicht nur literarisch intendiert war (Hölscher 1996: 17f.).

Hiernach könnte eine Definition für eine Utopie bzw. für Utopismus im politischen

Sinne, der eine radikale Verbesserung in den Formen menschlichen Zusammenlebens anvisiert

(Suvin 2003: 187f.), etwa folgendermaßen lauten:

„Utopia will be defined as the construction of a particular community where sociopolitical in-stitutions, norms, and relationships between people are organized according to a radically dif-ferent principle than in the author’s community; […] it is created by social classes interested in otherness and change.” (Ebd.: 188, H. i. O.)

Ein solcher Utopismus, der die Verwirklichung sozialer Träume darstellt, strebt eine positive

Utopie an, die auch als „Eutopie“ bezeichnet wird, und unterscheidet sich insofern von einer

negativen Utopie, der sogenannten „Dystopie“, die übersetzt einen „schlechten Ort“ meint (Sar-

gent 1994: 5-9).

Dystopien enthüllen ebenso eine imaginierte Gesellschaft, die jedoch der zeitgenössischen Le-

serschaft [bzw. dem Publikum] erheblich schlechter erscheint, als ihr eigener sozialer Kontext

(ebd.: 9), woraus sich folgender Definitionsversuch ergibt:

„Dystopia or negative utopia––a non-existent society described in considerable detail and nor-mally located in time and space that the author intended a contemporaneous reader to view as considerably worse than the society in which that reader lived.“ (Sargent 1994: 9, H. i. O.)

Daher ist die Dystopie, als Gegenteil zur Eutopie, auch Teilbestand utopischen Imaginierens,

wenngleich ihre bewusste Zurschaustellung in Literatur und Philosophie erst ab Mitte des 19.

Jahrhunderts häufiger wurde (Milner 2009: 827).

Auch in (Kino-)Filmen nehmen utopische Narrationen von Anfang an eine zentrale Bedeutung

ein, da sie dem Publikum am Leben der Anderen – die auf der Leinwand beobachtet werden –

mitunter politische Wünsche und Sehnsüchte enthüllen, die in ihrem eigenen Leben (noch) un-

erfüllt bleiben (Denzin 1995: 14).

Mit der wachsenden Popularität dystopischer Literatur, die spätestens seit dem 2. Welt-

krieg vermehrt mögliche apokalyptische Folgen menschlicher Handlungen thematisiert, werden

viele der erfolgreichen Bücher auch für das Kino adaptiert, wodurch das Genre der dystopischen

Fiktion auch in (Hollywood)-Filmen stark verbreitet und populär geworden ist (Sherman 2013:

1f.).

Gegenwärtig besitzen Dystopien in fiktionalen Geschichten des 20./21. Jahrhunderts

eine herausragende Konjunktur, insbesondere dann, wenn die Technik ein zentrales Thema ist

(Chilese/Preußer 2013: 8). Mögliche Folgen und Risiken naturwissenschaftlicher Erkenntnisse

69

und technischer Errungenschaften sind mittlerweile ein beliebtes Sujet gegenwärtiger Dysto-

pien, in Literatur und Film, welche eine Gesellschaft in der Krise thematisieren (Farzin 2017:

51). Dadurch können populäre dystopische Fiktionen auch als soziokulturelle Ausdrucksform,

welche gegenwärtige Risikodiskurse im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichem Fort-

schritt und gesellschaftlichen Entwicklungen reflektiert, interpretiert werden (ebd.: 51f.) – auch

erkennbar am Beispiel der international erfolgreichen Filmreihe „The Hunger Games“, die eine

Gesellschaft nach einem atomar geführten Krieg zeigt (ebd.: 51).

Inhaltlich auf der Bestseller-Buchreihe „The Hunger Games“ von Suzanne Collins basierend,

trug der enorme Erfolg von Geschichten wie dieser zum Aufschwung eines Genres bei, das sich

„Young Adult Dystopian“ (YAD) nennt (Fisher 2012: 27). Als Sub-Genre innerhalb der

„Young Adult Fiction“, das Elemente von Science-Fiction, Horror und Fantasy in sich vereinen

kann, ist YAD aufgrund seiner zunehmenden Popularität mittlerweile zu einem Bestandteil

westlicher Mainstream-Kultur geworden (Kullmer 2016: 1). Durch zahlreiche Film- und Ki-

noadaptionen bekannter Buchvorlagen hat sich das Genre über den Bereich der Literatur hin-

ausbewegt und eine steigende Popularität unter Erwachsenen erlangt, so zu sehen auch am Bei-

spiel der Buch- und Filmreihe „The Hunger Games“, die wohl das aktuell erfolgreichste Bei-

spiel für YAD ist (ebd.).

Somit ist YAD nicht länger nur eine Bezeichnung für Fiktionen, die eine junge Leser-

schaft bzw. ein junges Publikum als Zielgruppe anstreben, sondern vielmehr steht es für ein

Genre, das die Gefühle, Ängste und Sorgen einer ganzen Generation aktuell Heranwachsender

spiegelt, die damit konfrontiert sind zu akzeptieren, dass ihre eigene Lebensqualität wahr-

scheinlich nicht mehr an die ihrer Eltern heranreichen wird (Fisher 2012: 27).

Dies deckt sich insofern mit dem Artikel „Scary New World“ aus der „New York

Times“, geschrieben von einem Autor für Jugendbücher, John Green (2008), der bereits im

Erscheinungsjahr des Buches „The Hunger Games“ von einem regelrechten Boom an dystopi-

scher und postapokalyptischer Literatur für junge Erwachsene sprach. Diese würde detailliert

ein düsteres Bild einer möglichen Zukunft zeichnen, die aus unserem aktuellen Lebensstil re-

sultieren könnte. Und: „Spoiler alert: It’s gonna be bad.“ (Ebd.: o. S.) Laut Green (2008) würden

in diesen furchterregenden Narrationen traditionelle Motive von Hoffnung – wie sie noch aus

der Jugendliteratur früherer Zeiten bekannt waren – über Bord geworfen werden. Dennoch kä-

men diese Dystopien für junge Erwachsene nicht ohne Hoffnung aus. Vielmehr müssten ihre

Heroen und Heroinen erst lernen, wie sie in solchen Welten Vertrauen und neue Hoffnung

schöpfen können, während ihre dargestellten Lebenswelten in vielerlei Punkten Problematiken

unserer realen Gesellschaft spiegeln würden.

70

Insofern würden sich nach Raffaela Baccolini und Tom Moylan (2003: 1-8) dystopische

Narrationen – nicht nur im Bereich der YAD – mittlerweile von der dystopischen Literatur

früherer Tage (etwa vor 1980) dadurch unterscheiden, dass für die Hauptfiguren – und daher

auch für die Rezipierenden – bis zuletzt Hoffnung bestehe, aus ihren Einschränkungen ausbre-

chen zu können. Damit stünden sie im Gegensatz zu Geschichten früherer Tage (wie etwa

„1984“ von George Orwell), deren Hauptcharaktere ihrer Misere nicht entrinnen konnten. Diese

neuen Dystopien enthielten somit ein Moment der Utopie, das Raum für eine positive Alterität

offenließe, während sie gleichzeitig als eine Warnung davor gelesen werden könnten, wohin

unsere Gesellschaft möglicherweise steuere. Daher werde diese neue Form auch als „kritische

Dystopie“ bezeichnet.

Dabei würden sich nach Mary F. Pharr und Leisa A. Clark (2012: 8) neuere dystopische

oder postapokalyptische Fiktionen von früheren Werken des 20. Jahrhunderts allgemein

dadurch unterscheiden, dass ihre Schlüsselfiguren nicht länger nur nach ihrem eigenen Überle-

ben und individuellen Verbesserungen trachten. Vielmehr sei ihr Kampf gleichzeitig mit einem

Streben nach sozialem Wandel verbunden.

Somit lassen sich im Genre der gegenwärtigen Teenager-Dystopien nach Balaka Basu, Kathe-

rine R. Broad, und Carrie Hintz (2015: 3ff.) wesentliche Themenstränge ausmachen, die zent-

rale Sorgen und Ängste unserer gegenwärtigen Welt reflektierten: Ökologische Dystopien be-

schäftigten sich u. a. mit den möglichen Folgen der globalen Klimaerwärmung. Postapokalyp-

tische Dystopien hingegen beleuchteten vielfältige dramatische, die Welt verändernde Ereig-

nisse und deren Effekte, wie etwa eine Zombieapokalypse, Krieg oder Asteroideneinschläge.

Ferner existierten Dystopien, die politisch erzwungene Konformität und den daraus resultieren-

den Kampf des Hauptcharakters – persönliche Individualität und Freiheit mit gesellschaftlicher

Harmonie vereinbaren zu können – als zentrale Motive haben. Schließlich gäbe es noch jene

Dystopien zu erwähnen, die ein sehr strenges, repressives Regime zeichneten, welches seine

Macht über verschiedenste Mittel der Kontrolle, Manipulation und Gewaltausübung aufrecht-

erhält, während die jeweiligen Protagonistinnen und Protagonisten gegen diese Macht rebel-

lierten, wozu auch „The Hunger Games“ zu zählen seien. Darüber hinaus reflektierten viele

Teenager-Dystopien die steigende Wissens- und Informationsflut unserer gegenwärtigen Ge-

sellschaft und die daraus resultierende ungleiche Verteilung von Wissen und Macht, weshalb

in diesen Dystopien das Erlangen von Informationen als Weg in die Freiheit dargestellt werde.

Überdies thematisierten viele dieser Fiktionen für junge Erwachsene, so Pharr und Clark

(2012: 7), den Missbrauch von Wissenschaft und Technologie in einer alternativen und/oder

zukünftigen Welt. Wichtig sei im Genre von Science-Fiction allgemein die Plausibilität der

71

Geschichten, die den Rezipierenden eine andere, erschreckende Welt – die durchaus Realität

werden könnte – offenbaren. Diese Ausrichtung auf mögliche Zukunftsformen, so schreibt Pat-

ricia Kerslake (2007: 1f.), mit der in Science-Fiction mitunter Geschichten von Macht und

Machtmissbrauch erzählt werden würden, welche die Gegenwart der Menschheit auch unter

Einbeziehung ihrer Vergangenheit reflektierten, sei spezifisch für das Genre. „It permits us to

see more clearly what we have been und what we may become.“ (Ebd.: 1)

Auf ähnliche Weise besitzt YAD eine furchteinflößende und warnende Funktion

(Basu/Broad/Hintz 2015: 1):

„With its capacity to frighten and warn, dystopian writing engages with pressing global con-cerns: liberty and self-determination, environmental destruction and looming catastrophe, ques-tions of identity, and the increasingly fragile boundaries between technology and the self.“ (Ebd.)

Zeitgenössische soziale und politische Fragestellungen in den Raum werfend, häufig kombi-

niert mit einer klaren, für die Rezipierenden offensichtlichen Kritik am dargestellten System –

wie etwa am repressiven Regime in „The Hunger Games“ veranschaulicht – oszilliert das Genre

zwischen einer pädagogischen und einer unterhaltenden Aufgabe (ebd.: 5). So könnten Teena-

ger-Dystopien trotz ihrer Düsternis eine politisch motivierende Funktion auf ihre Rezipierenden

haben, gerade weil die Hoffnung – entgegen der dargestellten Finsternis – in solchen Narratio-

nen typischerweise betont wird (ebd.: 1f.).

3.3 Stand der Forschung Wie im vergangenen Kapitel dargestellt werden konnte, handelt es sich bei der Buchtrilogie

„The Hunger Games“ von Suzanne Collins, welche die Vorlage für die gleichnamige, viertei-

lige Filmreihe bildet, um eine dystopische Fiktion im Genre der sogenannten Teenager-Dysto-

pie, weshalb zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, anhand von Film- und/oder Literatur-

analysen, die dargestellte Dystopie behandeln14.

Darunter fallen Filmkritiken wie jene von Mark Fisher (2012; vgl. auch Kapitel 3.2)

über den politischen Gehalt von „The Hunger Games“ (2012). Illustriert als futuristische Dys-

14 Inhaltsanalysen zur Buchreihe „The Hunger Games“ lassen sich häufig parallel zu Analysen über ihre filmische Adaption lesen, sofern sie das Sujet rund um die dargestellte Dystopie, ihre politische Diktatur und daraus resul-tierende Machtverhältnisse, die anschließende Revolution und/oder die Entwicklung der Protagonistin mitsamt ihren Beziehungen zu weiteren Hauptfiguren behandeln. Daher sollen im Rahmen dieser Überlegungen zum For-schungsstand von „The Hunger Games“ auch Analysen zu den Büchern miteinbezogen werden, sofern sie nicht Details behandeln, die im Film anders, oder gar nicht thematisiert werden.

72

topie in einem Setting Namens Panem, welches Nordamerika nach einem vernichtenden Bür-

gerkrieg auf verzerrte Art spiegle, werde das überwiegend junge Publikum besonders durch die

implizite Brutalität des Films affiziert. Schockierend sei nach Fisher (2012: 27ff.) vor allem,

dass Jugendliche sich in den Hungerspielen, die das gewaltsam durchgreifende, diktatorische

Regime als symbolische Strafe für vergangene Aufstände abhalte, bis auf den Tod bekämpfen,

und das zudem landesweit übertragen in einer TV-Show. Dadurch würden gewisse Parallelen

zur gegenwärtig real existierenden Fernsehlandschaft sichtbar, von welcher die Autorin Collins

inspiriert gewesen sei:

„The very moment when the idea came to me for The Hunger Games, however, happened one night when I was very tired and I was lying in bed channel surfing. I happened upon a reality program, recorded live, that pitted young people against each other for money. As I sleepily watched, the lines of reality started to blur for me, and the idea for the book emerged. […] I am fearful that today people see so many reality shows and dramas that when real news is on, its impact is completely lost on them.“ (Blasingame/Collins 2009: 727, H. i. O.)

Weitere Ideen für die Geschichte entnahm Collins ihren eigenen Angaben zufolge u. a. aus der

griechischen Mythologie und der Geschichte rund um den Minotaurus, dem – als Zeichen der

politischen Unterwerfung Athens unter den kretischen König Minos – alle neun Jahre sieben

Mädchen und sieben Jungen Athens geopfert werden mussten, bis der Held der Geschichte,

Prinz Theseus, freiwillig anstatt eines jungen Tributes in das Labyrinth einzieht und den Mi-

notaurus tötet (Blasingame/Collins 2009: 726f.). Hierin bestehen Parallelen zu „The Hunger

Games“ (2012) anhand von Katniss, welche für ihre Schwester Primrose, ebenfalls als „Tribut“,

in die Hungerspiele einzieht und infolgedessen zur erfolgreichen Heldin avanciert, die sich ge-

gen die politische Unterdrückung durch das mächtige Kapitol auflehnt (Blasingame/Collins

2009: 727).

Ferner zeigen sich im Kampf der Tribute in der Arena Panems Analogien zu den Gladi-

atorenkämpfen im alten Rom, wo ebenfalls ein skrupelloses Regime herrschte, das Menschen

in einen Kampf auf Leben und Tod zwang und diesen Kampf in Form von Spielen überdies als

Unterhaltung für sich nutzte (ebd.). Aus dieser Epoche stammt auch der Ausdruck „Panem et

Circenses“ („Brot und Zirkusspiele“), wonach das Volk Roms zu Lebzeiten des antiken Dich-

ters Juvenal, auf dessen Satiren (10,81) seine Verwendung zurück gehe, verlangt haben soll

(Büchmann 2000: 94).

Altbekannte Narrationen der griechischen und römischen Antike aufgreifend, kombi-

niert die Reihe „The Hunger Games“ historische Elemente mit einem futuristischen Setting im

Science-Fiction-Stil, wodurch die erzählte Zukunft einer Anrufung des Vergangenen gleiche

(Basu/Broad/Hintz 2015: 9).

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Insofern sei der daraus entstandene politische Unterton, der Autorin Collins zufolge, durchaus

intentional gewesen, um Bezugspunkte zu realen Vorkommnissen zu ermöglichen

(Blasingame/Collins 2009: 726):

„The sociopolitical overtones of The Hunger Games were very intentionally created to charac-terize current and past world events, including the use of hunger as a weapon to control popula-tions. Tyrannical governments have also used the techniques of geographical containment of certain populations, as well as the nearly complete elimination of the rights of the individual.“ (Ebd., H. i. O.)

Diese Sozialkritik fokussierend, vertritt etwa Kjellaug Hamre (2013) jene These, wonach Col-

lins mit ihrer Buchreihe unsere gegenwärtige Gesellschaft, und den Umgang der Menschen

miteinander, kritisieren wollte. Die „Hunger Games“-Trilogie kommentiere Entwicklungen in

Bereichen wie Unterhaltung, Wissenschaft, Politik und Umweltfragen, um auf die erschre-

ckende Seite, die dem Fortschritt anhafte, aufmerksam machen zu können. Durch den Konsum

von Reality-TV würden wir nach Hamre (2013: 49ff.) ebenso abgestumpft und unempfindlich

für tatsächliche Vorkommnisse in der Welt werden, wie die Bewohner_innen Panems, die den

Hungerspielen zusehen. Gleichzeitig werde das junge Publikum, an das die Trilogie adressiert

ist, u. a. vor den negativen Konsequenzen missbräuchlich verwendeter Technik gewarnt, oder

aber durch das Machtstreben der Führerin von Distrikt 13 darauf aufmerksam gemacht, was

passieren könnte, wenn die Menschheit alte Fehler wiederhole. Insofern könne die implizite

Sozialkritik als Versuch der Autorin Collins gelesen werden, ihren eigenen kleinen Beitrag für

eine bessere Zukunft leisten zu wollen.

Ähnlich pädagogisch orientiert zeigt sich eine Publikation von Amber M. Simmons

(2012), die erörtert, inwieweit die Buchreihe „The Hunger Games“ im Schulunterricht soziales

Handeln und kritisches Denken fördern könne. Die ungerechten sozialpolitischen Verhältnisse

in Panem könnten den Ausgangspunkt bilden, um Jugendliche, die für die Darstellung von Ge-

walt häufig schon desensibilisiert seien, für die brutale Realität von Gewalt zu sensibilisieren,

und, um ferner Probleme der Gegenwart, hinsichtlich ungleicher Machtverteilung und der Aus-

übung von Gewalt, zu reflektieren. So könnte etwa die Zwangsarbeit in den Distrikten Panems

zu verschiedenen Formen moderner Sklaverei, die global geleistet werde, in Bezug gesetzt wer-

den, oder Kinder, die gegen andere Kinder kämpfen müssen, in Relation zu afrikanischen Kin-

dersoldatinnen und -soldaten gelesen werden, während ebenso das Thema sexueller Zwangsar-

beit – durch die Ausführungen eines Tributs namens Finnick, der nach seinem Sieg im Kapitol

als Sexobjekt herumgereicht wurde – reale Entsprechungen in der Welt finde.

Möglicherweise könnte das junge Publikum der Millennials sich nach Pharr und Clark

(2012: 13) gerade deshalb gut mit der Protagonistin Katniss identifizieren, weil diese versteht,

74

was alles falsch läuft, aber nie einen konkreten Plan hat, wie sie die Welt retten könnte. Diese

Art von Heldentum gäbe keine einfachen Antworten, aber vielleicht Hoffnung.

Insofern sei es nach Simmons (2012) wichtig, die Entwicklung eines kritischen Be-

wusstseins bei Jugendlichen zu fördern, sodass sie Ungerechtigkeiten und soziale Probleme in

der Welt erkennen und diese auch verändern wollen. Gleichwohl die Reihe „The Hunger Ga-

mes“ ein eher düsteres Bild der Welt zeichne, würde darin dennoch aufgezeigt werden, wie die

Hoffnung – gepaart mit aktivem Handeln – durchaus soziale Veränderungen initiieren könne.

Demgegenüber stellt eine Publikation von Fran Pheasant-Kelly (2015: 38f.) die Überle-

gung in den Raum, inwieweit Kinder und Jugendliche durch gewalthaltige Science-Fiction-

Filme, wie „The Hunger Games“, negativ beeinflusst und zur Imitation animiert sein könnten,

oder ob die negativ konnotierte Darstellung des Gewalt befürwortenden Kapitols, und die of-

fensichtliche Abscheu der Protagonistin Katniss gegen das unsinnige Töten, nicht eher eine

Gewalt ablehnende Dimension des Films enthüllten. Zumindest offenbare diese spezifische

Filmreihe nach Pheasant-Kelly (2015: 38-42) eine Kritik an medialer Zurschaustellung von

Gewalt für Unterhaltungszwecke, wodurch Parallelen zur realen Welt sichtbar würden. Hin-

sichtlich des Einsatzes von Gewalt für das eigene oder kollektive Überleben jedoch könne der

Film im Kontext des Darwinismus eher als befürwortend gelesen werden. Dadurch werde die

gefährliche Seite einer ethisch-entgrenzten Wissenschaft sichtbar, die Science-Fiction-Filme

wie „The Hunger Games“ reflektieren könnten.

Daneben gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen, welche die Serie „The Hunger

Games“ aus einem feministischen Blickwinkel betrachten, bzw. aus dem Bereich der Gender

Studies kommend die Darstellung der Protagonistin und Protagonisten hinsichtlich der Repro-

duktion/Dekonstruktion heteronormativer Geschlechter- und Machtverhältnisse analysieren.

So widmet sich Jennifer-Raphaela Krassnitzer (2017) etwa der Darstellung von weibli-

chen Hauptfiguren in Literaturbeispielen gegenwärtiger Dystopien für junge Erwachsene, wo-

bei sie u. a. die Buchreihe „The Hunger Games“ als Forschungsgegenstand heranzieht. Krass-

nitzer kommt zum Ergebnis, dass zeitgenössische Literatur für junge Erwachsene überwiegend

starke, heroische junge Mädchen und Frauen als Protagonistinnen porträtiere, die an die Stelle

des ehemaligen Protagonisten als Helden gerückt seien, wodurch allgemein ein Fortschritt hin-

sichtlich feministischer Anliegen erreicht wurde. Allerdings würden Fragen hinsichtlich ethni-

scher Zugehörigkeit und der Identität von Minderheiten anhand der Protagonistinnen – die ei-

nen hellen Hautton haben und einem westlichen Schönheitsideal entsprechen – erst gar nicht

angesprochen, bei gleichzeitiger Reproduktion heterosexueller Beziehungsmodelle. Stereotype

75

Bilder von Weiblichkeit würden in der „Hunger Games“-Reihe insbesondere durch die Kos-

tüme und Schminke für TV-Auftritte rund um die Hungerspiele porträtiert werden, wobei diese

übermäßige Zurschaustellung von oberflächlicher Attraktivität eine Inszenierung für die Mäch-

tigen Panems illustriere, während in den Hungerspielen in der Arena das Aussehen wiederum

in den Hintergrund rücke – zu sehen etwa an den geschlechterneutralen Kampfanzügen.

In dieser Hinsicht ist die Filmadaption ihrer Buchvorlage treu geblieben, wie Caroline

Heldman, Laura Lazarus Frankel und Jennifer Holmes (2016: 8ff.) in ihrer Studie zur Hyperse-

xualisierung von Action-Kino-Heldinnen feststellen. Alle männlichen und weiblichen Tribute

Panems tragen die gleichen Kampfanzüge, und auch außerhalb der Arena soll die Kleidung der

Protagonistin Katniss vielmehr zweckdienlich, statt sexy sein. Ihre überaus feminin porträtierte

Aufmachung, die sie auf der Suche nach möglichen Sponsorschaften in schönen Kleidern und

stark geschminkt zeige, offenbare die soziale Konstruiertheit von Weiblichkeit. Dazu im Ge-

gensatz stehend zeige sie sich fernab des Rampenlichts als glaubwürdige, ambivalente Figur in

androgyner Kleidung, die mit einem Bogen jagend ihre Familie ernährt und Gegner_innen tötet,

während sie gleichzeitig wirkmächtige Beziehungen zu Alliierten und Gleichgesinnten auf-

bauen kann, wodurch die Geschlechterbinarität unterwandert werde. Insofern gelangen die Au-

torinnen zum Schluss, dass Katniss nicht nur vom Prototyp der gegenwärtigen hypersexuali-

sierten und objektivierten Action-Kino-Heldin abweiche, sondern dass „The Hunger Games“

sogar eine feministische Utopie zeigen würde, in welcher zwischenmenschliche Kommunika-

tion und Fürsorge, inmitten einer gewaltsamen Welt, belohnt werden.

Ähnlich konstatiert Ida Skogen (2015), dass die Protagonistin Katniss Everdeen für

post-feministische Ideale stehe, da sie einerseits als Heldin eine Rolle im Genre eingenommen

habe, die früher Männern vorbehalten war. Andererseits vereine sie in ihrem Charakter ambige

Eigenschaften, die als ‚typisch‘ weiblich und männlich bezeichnet werden könnten, wodurch

sie als eine komplexe Figur porträtiert werden würde, die bestens in dieses Jahrhundert passe.

Außerdem weist Negar Chakoshi (2012) darauf hin, wie sich ‚männliche‘ Eigenschaften – wie

Aggressivität und physische Stärke – auch unter den Bewohnerinnen Panems – besonders unter

den Tributen in der Kampfarena – zeigen würden. Dies impliziere eine Chancengleichheit zwi-

schen den Geschlechtern, die auch in politischen Belangen gegeben sei. Unterdrückung und

Ausbeutung würden durch die Zugehörigkeit zur Klasse definiert, nicht aber über das Ge-

schlecht. Katniss Everdeen sei ein Beispiel dafür, wie Intelligenz, physische und mentale

Stärke, das Besitzen bestimmter Talente und Durchsetzungsvermögen – in einer geschlechter-

bedingt gerechten Welt – nicht nur von Männern gelebt werden könnten, während Frauen nicht

nur auf ihre mütterlichen Fähigkeiten reduziert werden würden.

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Demgegenüber aber kritisieren Rachel E. Dubrofsky und Emily D. Ryalls (2014), wie

die Filme „The Hunger Games“ nur auf den ersten Blick feministisch progressiv wirken, wäh-

rend in Wahrheit Prozesse der Naturalisierung hinsichtlich der Vorstellungen von Weiblichkeit

und Weißsein der Protagonistin erlauben, eine vermeintlich authentische, heroische Figur zu

sein:

„[…] dig a little deeper and we see that how she [– Katniss –] is presented as heroic is decidedly not feminist: her heroism premised on her authentic whiteness, her naturalized heterosexual femininity and her effortless abilities as a potential future wife and mother.“ (Dubrofsky/Ryalls 2014: 407)

Gerade weil Katniss sich nach Dubrofsky und Ryalls (2014) nichts aus schönen Kleidern und

Make-Up macht, ihr Körper und ihr (weißes) Gesicht aber dennoch vor der Kamera als strah-

lend schön und makellos dargestellt werden – wobei die Beleuchtung als Hilfsmittel diene –

speise sich ihre dargestellte Weiblichkeit aus dieser vermeintlich natürlichen Schönheit und

ihren mütterlichen Qualitäten, die sie bei der Fürsorge für andere zeigt. Gleichwohl sie schon

zu Beginn des Filmes sagt, niemals Kinder haben zu wollen, kümmert sie sich liebevoll und

selbstaufopfernd um Prim, Rue und auch Peeta, wofür eigens intime Filmszenen zwischen Kat-

niss und ihrer kleinen Schwester gedreht worden seien, die sich von der Buchvorlage unter-

scheiden. Ebenso abweichend sei die Figur der Protagonistin selbst, im Film dargestellt durch

Jennifer Lawrence, mit blau-grünen Augen und kastanienbraunem Haar. Im Buch nämlich

werde Katniss mit grauen Augen, schwarzen Haaren und einer olivfarbigen Haut beschrieben,

wodurch ihre Ethnizität nicht eindeutig ‚weiß‘ ist. Gleichzeitig seien andersfarbige Körper im

Film nur in ihrer helfenden, die weiße Heldin unterstützenden Rolle von Bedeutung, wodurch

sich – neben naturalisierten Zuschreibungen von Weiblichkeit – ein verdeckter Rassismus of-

fenbare, der für eine ungleiche Machtverteilung in der Gesellschaft stehe, die im Film auf mas-

kierte Weise gespiegelt werde.

Damit hängt ein weiteres wesentliches Thema der Filmreihe „The Hunger Games“ zu-

sammen, das Daniela Otto (2018: 277-291) analysiert: die Liebe und ihre mediale Inszenierung.

So sei die Filmreihe „eine große Metapher auf die Perversion einer Mediengesellschaft und ein

Loblied auf die Liebe, die uns aus der Hölle befreit und das Überleben sichert“ (Otto 2018:

278), während sie „das gegenwärtige Liebesverhalten einer verunsicherten Generation“ (ebd.)

reflektiere und uns zeige, „[…] [d]ass in unsicheren Zeiten nicht die leidenschaftliche Liebe,

sondern die sicherheitsversprechende stabile Partnerschaft gewählt wird.“ (Ebd.: 289) Diese

Botschaft treffe nach Otto (2018: 289f.) den Zeitgeist eines Publikums, das sich selbst in unsi-

cheren Zeiten wähne und dabei seine eigenen Traumata aufzuarbeiten habe. Dabei könne die

[heterosexuelle] Liebe helfen, wie uns der Epilog der Filmreihe suggeriere. In dieser letzten

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Szene nämlich sind Katniss und Peeta als „glückliche und normale Familie“ (ebd.: 290) mit

zwei kleinen Kindern zu sehen. Dabei begann ihre Liebe, wie Otto (2018: 279-286) ausführt,

als medial konstruierte Inszenierung für das Volk Panems, dessen Stimmung zugunsten des

Kapitols beeinflusst werden sollte. Zur Zeit der ersten Hungerspiele von Katniss und Peeta

sollte damit die Dramatik ihrer Liebe betont werden, während sie nachher das Volk besänftigen

und von den wahren Problemen, verursacht durch die Grausamkeiten des Kapitols, ablenken

sollte. An dem Punkt jedoch, als Peeta in einem Interview fälschlicherweise behauptet, Katniss

sei schwanger, nehme nach Otto (2018: 288ff.) beim Publikum Panems die Hoffnung für dieses

ungeborene, schützenswerte Leben die Stellung der vormals überwiegenden Furcht ein,

wodurch Katniss in weiterer Folge in den Propagandavideos der Rebellion erfolgreich als Sym-

bol des Widerstands eingesetzt wird, bis Präsident Snow besiegt ist.

Alles in allem scheint diese Hoffnung – eine Hoffnung auf Veränderung sozial-politischer Ver-

hältnisse, auf mehr Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft, auf eine alternative, bessere Welt,

eine bessere Zukunft für uns alle, besonders für die Jugendlichen, die ihre Rolle im Umgang

mit Medien kritisch erlernen und diese Kritikfähigkeit auch durch soziales Handeln auf ihre

Umwelt übertragen sollten, um der drohenden Dystopie zu entkommen etc. – ein wesentlicher

Gesichtspunkt der Reihe „The Hunger Games“ zu sein.

Die spezifischen Momente aber, in denen Hoffnung in der Filmreihe innerhalb der Ge-

sellschaft Panems und rund um Katniss dargestellt wird, im Detail zu erörtern, wird Aufgabe

meiner nachfolgenden Filmanalyse sein.

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3.4 Analyse Die nachfolgenden Erörterungen stützen sich auf die Filme einer DVD-Sammlung, die von der

Studiocanal GmbH für den deutschsprachigen Raum unter dem Titel „Die Tribute von Panem

– 8 Disc Complete Collection“ (2016) veröffentlicht wurde. Diese Edition beinhaltet, neben

vielen Stunden an Bonusmaterial, die eigentlichen vier Kernstücke: „The Hunger Games“

(2012), „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), „The Hunger Games: Mockingjay – Part

1“ (2014) und „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015). Da diese Filmreihe im Ori-

ginal unter dem Titel „The Hunger Games“ bekannt ist, werde ich bei der nachfolgenden Ana-

lyse mit der englischen Bezeichnung konform gehen und mich bei der Zitation von Textpassa-

gen ebenso überwiegend an den Originalton halten.15

3.4.1 Die mediale(n) Gestalt(en) von Katniss Everdeen

Die Protagonistin der Filmreihe, Katniss Everdeen, tritt im Laufe der Geschichte wiederkehrend

in den Medien Panems in Erscheinung. Zunächst ist sie „das Mädchen, das in Flammen steht“.

Gemeinsam mit Peeta bildet sie „das tragische Liebespaar“ und schlussendlich wird sie zum

personifizierten „Spotttölpel“ der Revolution. Entlang der Herausbildung und Entwicklung die-

ser drei medialen Gestalten von Katniss wird die nachfolgende Analyse gegliedert sein.

3.4.1.1 „Das Mädchen, das in Flammen steht“ Bereits im ersten Teil der Filmreihe, „The Hunger Games“ (2012), wird Katniss panemweit

bekannt als „das Mädchen, das in Flammen steht“ („The Girl on Fire“) 16. Diese Bezeichnung

verdankt sie in erster Linie den brennenden Kostümen, die sie und Peeta bei der Parade im

Kapitol, zur Eröffnung der Hungerspiele, tragen, entworfen von ihrem Stylisten Cinna.

Dieser zeigt sich dem Mädchen gegenüber schon bei ihrer ersten Begegnung empa-

thisch. Er wolle ihr bei der kommenden Parade helfen, einen bleibenden „Eindruck“ unter den

Sponsorinnen und Sponsoren zu hinterlassen: „I’m here to help you make an impression.“ Da-

für zwinge er sie nicht in ein Kostüm, das klassischerweise den Kohlebergbau in ihrem Distrikt

15 Davon ausgenommen sind besondere Ausdrücke, wie personen- und ortsgebundene Namen, oder berufsspezifi-sche Bezeichnungen, sofern diese im deutschen Fliextext verwendet werden und eine entsprechende deutsche Übersetzung haben. Außnahmen verweisen auf Abweichungen oder andere Spezifika, die der Synchronisation geschuldet sind. 16 Da der englische Ausdruck „to be on fire“ neben dem gegenständlichen „Brennen“ im übertragenen Sinne auch mit „Feuer und Flamme sein“ (für etwas oder jemanden) übersetzt werden kann, verliert die deutsche Synchroni-sation mit „dem Mädchen, das in Flammen steht“, meines Erachtens ein wenig ihrer Metaphorik, weshalb ich im Folgenden mit „The Girl on Fire“ häufig die Originalbezeichnung verwenden werde.

79

spiegle. Vielmehr solle ihr Outfit beim Publikum in Erinnerung bleiben und Katniss‘ mutigen

Charakter repräsentieren, der sich in ihrer freiwilligen Meldung als Tribut gezeigt habe: „[…]

somebody that brave shouldn’t be dressed up in some stupid costume […].“ (The Hunger Ga-

mes 2012: 00:28:54-00:29:48)

Als Katniss und Peeta bei der Parade als letztes Paar auf ihrem, von zwei Pferden gezo-

genen, Streitwagen, zwischen den vollbesetzten Tribünen vorfahren, beginnen ihre schwarzen

Ganzkörperanzüge auf den Rücken zu brennen. Die Flammen lodern durch den Fahrtwind kräf-

tig orange, sodass sie wie ein echtes Feuer aussehen. Die Inszenierung erfasst das Publikum auf

den Rängen. Die Menschen applaudieren und johlen, springen begeistert auf ihren Plätzen und

werfen dem Paar aus Distrikt 12 – das ihre Hände in einer Geste des Triumphs gemeinsam in

die Höhe streckt – Hüte und Blumen zu. Währenddessen kommentiert einer der beiden Mode-

ratoren, Caesar Flickerman, ähnlich begeistert: „I love that“. (The Hunger Games 2012:

00:31:24-00:32:09)

Schließlich hält Katniss sogar eine rote Rose in ihrer freien Hand – die linke Hand hält sie noch

immer mit der von Peeta gemeinsam gen Himmel – während sie die letzten Meter bis vor die

Tribüne Präsident Snows vorfahren (siehe Abb. 1). Erst als sie anhalten, erlöschen die Flammen

abrupt; das Publikum jubelt. Die Hintergrundmusik zur Parade bildet die Nationalhymne Pa-

nems, die nun ausklingt. (The Hunger Games 2012: 00:32:09-00:32:43)

Einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, hat Katniss bereits zuhause in Distrikt 12

geschafft. So berichtet Peeta ihrem Mentor Haymitch von Katniss‘ ausgezeichneten Fähigkei-

ten als Bogenschützin. Im Gegensatz zu ihr habe er absolut keine Chance auf einen Sieg, aber

sie könnte tatsächlich gewinnen, meint Peeta zu Katniss: „Do you know what my mother said?

Abbildung 1: Brennendes Finale bei der Parade (The Hunger Games 2012: 00:32:28)

80

She said: ‚District 12 might finally have a winner!’ But she wasn’t talking about me. She was

talking about you.“ (Ebd.: 00:37:20-00:37:59)

Ihr Können im Bogenschießen präsentiert Katniss im Rahmen der 74. Hungerspiele bei

der finalen Evaluation am letzten Trainingstag. Als sie bei ihrem ersten Schuss die anvisierte

Zielscheibe verfehlt, wenden sich die Männer der Jury auf der Empore desinteressiert ab, sodass

sie Katniss‘ nächsten Schuss, der das Ziel mittig trifft, nicht sehen können. Folglich zielt das

Mädchen auf ein Spanferkel im Hintergrund der Jury. Der Schuss verfehlt nur knapp den Kopf

des Obersten Spielmachers, Seneca Crane, und trifft den anvisierten Apfel, den das gegrillte

Schwein in seinem Maul hält. Diese Aktion scheint die Stimmung der Spielmacher Katniss‘

Gewinnchancen gegenüber positiv zu beeinflussen, denn wenig später erhält sie 11 von 12 mög-

lichen Punkten, wie in einer Fernsehübertragung verkündet wird. (The Hunger Games 2012:

00:42:55-00:46:17; vgl. 3.4.2.2) Anschließend ist Cinna derjenige in Katniss Runde, der sein

Glas erhebend einen Toast auf das Mädchen ausbringt und sie zum ersten Mal als „Girl on Fire“

bezeichnet (ebd.: 00:46:18-00:46:22).

Der Moderator Caesar Flickerman ist schließlich derjenige, der Katniss in der TV-Show

am Abend vor den 74. Hungerspielen zum ersten Mal in den Medien als „The Girl on Fire“

ankündigt. Bereits als sie die Bühne betritt, applaudiert und jubelt das Studio-Publikum ohren-

betäubend laut. Diese unverhohlene Sympathie für das Mädchen steigert sich, als sie Cinnas

Kleid präsentiert: Es ist orangerot und scheint Funken zu sprühen, als der bodenlange, mit fun-

kelnden Steinen besetzte Stoff um ihre Beine wirbelt, während sie sich vor dem Publikum meh-

rere Male um ihre eigene Achse dreht. Überrascht klingende und sichtlich begeisterte Ausrufe

des applaudierenden, Beifall pfeifenden Publikums, moderiert vom zunächst ebenso überrascht

wirkenden, dann enthusiastischen Auftreten Flickermans – der die Szene wiederum mit „I love

it!“ kommentiert – vermitteln eine positive Resonanz auf Katniss‘ Auftritt. Passend zu ihrem

Abbildung 2: Katniss' Kleid sprüht Funken (The Hunger Games 2012: 00:52:17)

81

Kleid ist der Hintergrund der Bühne über die LED-Videowände, auf denen Fotos von Katniss

und Peeta in ihren Kampfanzügen zu sehen sind, in warmen rotorangenen Farben gehalten,

welche sich von der kühlen violetten Farbpalette der zuvor interviewten Tribute unterscheiden.

(The Hunger Games 2012: 00:50:19-00:52:37, siehe Abb. 2)

Nachher senkt Flickerman seine Stimme und rekurriert auf Katniss‘ freiwilliger Meldung bei

der Ernte, die das gesamte Volk Panems bewegt habe: „We were all very moved, I think, when

you volunteered for her at the Reaping.“ (The Hunger Games 2012: 00:52:38-00:52:52)

Als nämlich Effie Trinket bei der Ernte in Distrikt 12 „Primrose Everdeen“ als jenen Namen

vorliest, den sie für den weiblichen Tribut aus der Glasschüssel gezogen hat, und daraufhin das

zarte, junge Mädchen mit den langen, blonden Zöpfen langsam und ängstlich seinen Weg zwi-

schen den Gleichaltrigen, die platzmachend zurückweichen, hinaus auf den Gang sucht, wo sie

von Friedenswächtern in Empfang genommen wird, bricht abrupt Katniss aus der versammelten

Menge hervor, laut und eindringlich den Namen ihrer Schwester rufend: „Prim!“ Alle Augen

Abbildung 4: "I volunteer as tribute!" (The Hunger Games 2012: 00:15:47)

Abbildung 3: "I volunteer!" (The Hunger Games: 2012: 00:15:43)

Abbildung 5: Katniss meldet sich freiwillig (The Hunger Games 2012: 00:15:48)

82

sind auf Katniss gerichtet. Während sie von zwei Friedenswächtern festgehalten wird (siehe

Abb. 3), kreischt sie gehetzt: „I volunteer! I volunteer!“ Mit ihren Armen schubst sie die lock-

erlassenden Friedenswächter zur Seite, sodass sie Raum hat, um nunmehr mit festerer Stimme,

breitbeinig stehend, entschlossen zu verkünden (siehe Abb. 4 und 5): „I volunteer as tribute!“

(The Hunger Games 2012: 00:14:47-00:15:48)

Auf ihre freiwillige Meldung bei der Ernte in Distrikt 12 rekurrierend, fragt Flickerman Katniss

in der TV-Show im Kapitol, was sie beim Abschied zu ihrer kleinen Schwester gesagt habe.

Katniss antwortet, sie habe ihr versprochen, zu versuchen, für sie die Spiele zu gewinnen. Da-

raufhin ist ein betroffenes, gerührt klingendes Raunen vom ansonsten still verharrenden Publi-

kum zu hören. Flickerman beendet an dieser Stelle das Interview, küsst Katniss‘ rechte Hand,

erhebt sich dann zügig Hand in Hand mit ihr gemeinsam und streckt ihren Arm mit seinem

senkrecht in die Höhe – so als wäre sie bereits eine Siegerin. Indes verabschiedet Flickerman

sie mit folgenden Worten an das Publikum: „Katniss Everdeen, The Girl on Fire!“ Erneut bricht

tosender Applaus aus, während Flickerman mit geöffnetem Mund breit ins Publikum grinst und

Katniss mit düsterer, trauriger Miene zu Boden blickt (siehe Abb. 6). (The Hunger Games 2012:

00:52:53-00:53:29)

Nachfolgend betritt Peeta als letzter Tribut die Bühne für sein Abschlussinterview mit Flicker-

man. Sein TV-Interview stellt gewissermaßen eine Verbindung zu Katniss her. Zum einen trägt

Peeta einen schwarzen Anzug, der an den Ärmeln und an den Hosenbeinen mit rotfarbenen

Flammen verziert ist, während das Bühnenbild im Hintergrund jenem von Katniss‘ Auftritt äh-

nelt (siehe Abb. 7). Zum anderen gesteht Peeta, schon immer in Katniss verliebt gewesen zu

sein, wobei sie ihn bisher gar nicht richtig wahrgenommen habe. Während das Publikum sich

gerührt zeigt, reagiert Katniss hinter der Bühne aufgebracht. Haymitch versucht sie zu be-

schwichtigen: Durch Peetas Geständnis würde sie liebens- und begehrenswert erscheinen,

Abbildung 6: Katniss bei Flickerman (The Hunger Games 2012: 00:53:28)

Abbildung 7: Peeta bei Flickerman (The Hunger Games 2012: 00:54:31)

83

wodurch sich ihre Attraktivität hinsichtlich einer Sponsorschaft weiter steigern lassen würde.

Außerdem könnten sie und Peeta nun als „tragisches Liebespaar“ („star-crossed lovers“) ver-

kauft werden, so der Mentor: „It’s a television show. And being in love with that boy might just

get you sponsors which could save your damn life.“ Cinna, welcher der Diskussion beiwohnt,

beschwichtigt Katniss, indem er Haymitch hinsichtlich Katniss‘ Attraktivitätssteigerung bei-

pflichtet. (The Hunger Games 2012: 00:54:35-00:56:16)

Und tatsächlich sollten die beiden Männer Recht behalten: Katniss und Peeta benötigen

im Laufe der 74. Hungerspiele, zu sehen in „The Hunger Games“ (2012), jeweils eine antibio-

tische Salbe, die Haymitch ihnen über eine Sponsorschaft zukommen lassen kann. Infolgedes-

sen können die beiden gemeinsam überleben.

Auch in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) bleibt Peeta an der Seite von Katniss. Dies

wird dargestellt anhand jener medialen Live-Übertragung, welche die Siegestour der 74. Hun-

gerspiele einleitet. Wiederum wird Katniss von Caesar Flickerman enthusiastisch als „Girl on

Fire“ anmoderiert, während das Publikum im Hintergrund laut applaudiert und jubelt, und ver-

einzelt Katniss‘ Namen ruft. Peeta behält seine Zuschreibung als „Bäckerjunge“ („the baker’s

boy“), dem ebenso die Sympathien des Publikums zufliegen. (Ebd.: 00:11:20-00:11:35)

Im Rahmen der 75. Hungerspiele, in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), zu denen

Katniss und Peeta erneut als Tribute antreten müssen, behält und festigt Katniss ihren Namen

als „Mädchen, das in Flammen steht“:

Zunächst tritt im Vorfeld der Parade im Kapitol der Tribut aus Distrikt 4, Finnick Odair,

an Katniss heran, um sie in ein Gespräch zu verwickeln, in dessen Verlauf er sie süffisant als

„Girl on Fire“ adressiert. Außerdem spricht Finnick das Mädchen auf ihr beeindruckendes Out-

fit an – ein schwarzes, metallisch golden schimmerndes, ärmelloses Kleid, mit tiefem Aus-

schnitt und einem kurzen Rock vorne, mit bodenlanger Schleppe hinten – das er als „angstein-

flößend“ („petrifying“) bezeichnet. (Ebd.: 00:51:32-00:52:20)

Peeta, der kurz darauf mit Cinna hinzukommt, trägt ebenso ein schwarzes, ärmelloses

Outfit, dessen Oberteil am Rücken lange über seine Hose hinabfällt. Indes erklärt der Stylist

seine Strategie für den kommenden Auftritt: „No waving and smiling this time. I want you to

look straight ahead as if the audience and this whole event are beneath you.“ (Ebd.: 00:52:28-

00:52:54)

Derart instruiert, fahren Katniss und Peeta mit selbstsicherer, fester Miene und stolz

geschwellter Brust, auf dem Streitwagen stehend, aus der unterirdischen Anlage hinaus. Im

Tageslicht erwarten bereits abertausende Menschen auf den Tribünen jubelnd ihre Ankunft.

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Dieses Mal ist Katniss diejenige, die nach Peetas Hand greift. Mit ihren freien Händen hält sich

das Paar an der Kutsche fest, die in zügigem Tempo gleichmäßig hinter den anderen Zweispän-

nern fährt. Alle Wägen sind mit weißen Rosen dekoriert. Caesar Flickerman und Claudius

Templesmith sind erneut als Moderatoren live zugegen. Begeistert verkündet Flickerman für

das TV-Publikum die Ankunft von Katniss und Peeta: „Here they come! From District Twelve,

our favorite!“ „Well…“, wirft Templesmith abwehrend ein. Schnell berichtigt sich Flickerman

lachend, mit den Händen auf sich selbst zeigend: „Or my favorite!“ (The Hunger Games: Cat-

ching Fire 2013: 00:53:00-00:53:28)

Im Hintergrund spielt die Nationalhymne Panems, unterstützt von Trommelnden ent-

lang der Strecke. Präsident Snow erwartet die herannahenden Kutschen von seinem Rednerpo-

dium aus. Sein Blick trifft den von Katniss, deren Gesicht in Großaufnahme erscheint. Ihr Aus-

druck ist nach wie vor finster und überheblich, unterstützt von einem starken, dunklen Augen-

Makeup. Plötzlich entflammt Katniss in ein funkensprühendes Feuer (siehe Abb. 8). Nebenan

beginnt auch Peetas Kleidung heftig zu brennen (siehe Abb. 9). Indes deutet Flickerman auf

seinen Bildschirm (siehe Abb. 10). So, als habe er bereits ein Feuer erwartet, kommentiert er

begeistert: „There it is!“ Und Templesmith witzelt lachend (siehe Abb. 11): „Fire in the house!“

Zur gleichen Zeit wird im Hintergrund hörbar, wie das Publikum unisono mit zunehmender

Lautstärke Katniss‘ Namen skandiert, während Katniss und Peeta brennend einen Funkenregen

nach sich ziehen. (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:53:28-00:54:46)

Abbildung 8: Katniss‘ Kostüm fängt Feuer (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:01)

Abbildung 9: Katniss & Peeta brennen (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:16)

Abbildung 10: “There it is!” (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:11)

Abbildung 11: “Fire in the house!” (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:54:14)

85

Erneut als „das Mädchen, das in Flammen steht“ erwartet wird Katniss bei den finalen Inter-

views am letzten Abend vor den 75. Hungerspielen im Kapitol. „Ladies and gentlemen, please

welcome – you know her as the Girl on Fire – […] Katniss Everdeen!“, moderiert Flickerman

ihren Auftritt an. Das Publikum applaudiert in stehenden Ovationen, als Katniss die Bühne be-

tritt. Ihre Beliebtheit scheint ungebrochen. Während ihres gesamten Auftritts ist die Bühne mit-

samt Hintergrund in oranges Licht getaucht. Die Videowand zeigt u. a. Flammen, die aus dem

Boden lodern und Funken, die nach oben fliegen. Als Flickerman das Interview damit beginnt,

wie emotional dieser Abend doch für alle sei, antwortet Katniss in einem scherzenden Ton:

„Oh, don’t go crying on me now, Caesar.“ Das Publikum reagiert mit Gelächter. Flickerman

beginnt zu witzeln, er könne ihr keine Versprechungen machen. Katniss lacht und entgegnet,

diese Versprechungen würde sie ihm ohnehin nicht glauben. Das Publikum lacht, ebenso Fli-

ckerman, der indes anknüpft: „I love her! The Girl on Fire is so cheeky!“ (The Hunger Games:

Catching Fire 2013: 01:06:34-01:07:35)

Anschließend lenkt Flickerman das Interview auf Katniss‘ geplante Hochzeit mit Peeta,

welche durch ihre Teilnahme an den 75. Hungerspielen verhindert worden sei. Von Flickerman

dazu aufgefordert, soll Katniss ihr weißes Brautkleid – das sie dank Präsident Snow auf der

Bühne trägt – dem Publikum vorführen. Ähnlich wie ein Jahr zuvor, beginnt sich das Mädchen

um ihre eigene Achse zu drehen. Als das Kleid Feuer fängt, zeigt sich Flickerman wiederum

erstaunt und begeistert, ebenso das jubelnde Studiopublikum. Passenderweise ist die Bühne

nach wie vor in orangen Farbtönen gehalten. Ermöglicht wurde die Inszenierung erneut durch

Cinna, der das Brautkleid modifiziert hat. (Ebd.: 01:07:36-01:08:31, siehe Abb. 12)

Abbildung 12: Katniss' Brautkleid entflammt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:08:30)

86

Cinna ist schließlich auch derjenige an Katniss‘ Seite, der sie als Stylist direkt vor dem Start

der 75. Hungerspiele als letzter betreut. „Remember I’m still betting on you, Girl on Fire,“ sagt

er zu ihr und steckt ihr wiederum die goldene Brosche mit dem Spotttölpel auf ihren Anzug.

(The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:14:44-01:14:50)

Als Katniss dann zum nächsten Mal als „das Mädchen, das in Flammen steht“ angekündigt

wird, erfolgt dies bereits quasi in einem Zug mit ihrem neuerworbenen Titel als personifizierter

„Spotttölpel“ (engl. „Mockingjay“), zu sehen in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“

(2014: 00:05:03-00:05:11), ausgesprochen von Plutarch Heavensbee: „There she is, our ‘Girl

on Fire’! Madam President, may I present you with the Mockingjay.“ Mit diesen Worten stellt

er Katniss gegenüber Alma Coin, der Anführerin der Rebellion, vor.

In den Medien Panems als „Girl on Fire“ bezeichnet wird Katniss später nur noch ein

einziges Mal, und zwar wiederum von Caesar Flickerman. Dieser moderiert im Auftrag des

Kapitols ein News-Update mit Aufnahmen, die den vermeintlichen Tod von Katniss zeigen:

„So there you have it. Katniss Everdeen, the Girl on Fire, a girl who inspired so much violence,

seems to have met a violent end herself.“ (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015:

00:54:30-00:55:07)

Mit dieser Aussage Flickermans über die Gewalt, die das „Mädchen, das in Flammen

steht“ ausgelöst habe, rekurrieren die Medien des Kapitols auf Katniss‘ Rolle als „Spotttölpel“,

die sie in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014) und „The Hunger Games: Mo-

ckingjay – Part 2“ (2015) für die Rebellion einnimmt. Daher soll im Folgenden analysiert wer-

den, wie sich die Symbolik des Spotttölpels im Verlauf der Erzählung mit der Gestalt von Kat-

niss Everdeen verbindet, und infolgedessen zu einer Anfachung und Ausbreitung der Rebellion

führt.

3.4.1.2 Der „Spotttölpel“ Um die wiederkehrende Bedeutung des sogenannten Spotttölpels (engl. „Mockingjay“) – des-

sen Symbol sich im Laufe der Erzählung aufs Engste mit der Protagonistin Katniss verkettet,

bis sie quasi selbst zum personifizierten Spotttölpel Panems avanciert – entsprechend erfassen,

beschreiben und deuten zu können, gliedert sich dieses Vorhaben chronologisch entlang der

vier Teile der Filmreihe.

87

3.4.1.2.1 Die Geburt des Spotttölpels In der Arena der 74. Hungerspiele werden in „The Hunger Games“ (2012) bestimmte Ereignisse

dargestellt, welche die Bedeutung hinter dem Begriff „Spotttölpel“ allgemein zur Schau stellen,

als auch den Spotttölpel in Katniss gewissermaßen zum Vorschein bringen, ausgelöst durch

eine besondere Person, bei der ich beginnen möchte: Rue.

Rue stellt in „The Hunger Games“ (2012) mit ihren zwölf Jahren den jüngsten Tribut.

Sie ist ein zartes und kleines, dunkelhäutiges Mädchen aus Distrikt 11, und eine geschickte

Kletterin. Dementsprechend ist sie diejenige, die Katniss, hoch oben in den Baumkronen, auf

die lebensrettende Idee bringt, ein Jägerwespen-Nest auf ihre schlafenden Gegner_innen fallen

zu lassen (ebd.: 01:21:55-01:22:24).

Nachdem auch Katniss, von einigen Wespen gestochen, bewusstlos am Boden liegen

geblieben ist, kommt sie erst einige Zeit später auf dem moosigen Waldboden liegend wieder

zu sich. Ihre Unterarme und ihr Hals sind mit grünen Blättern getarnt. Ihr Bogen und ihr Köcher

lagern in Griffweite neben ihr. Im Hintergrund zwitschern Vögel, alles wirkt ruhig und fried-

lich. Katniss sieht sich um und erspäht eine Bewegung, wie sich jemand schnell hinter einem

nahegelegenen Baumstamm versteckt. (The Hunger Games 2012: 01:27:42-01:28:17)

Dies erinnert an folgende Szene im Trainingscamp im Kapitol: Peeta zeigt Katniss ge-

rade, wie sich seine bemalte Hand unauffällig auf einem Baumstamm tarnen lässt. Plötzlich

deutet seine Blickrichtung hinter Katniss, die ihm gegenübersteht, während er sagt: „I think you

have a shadow.“ Katniss dreht sich um und erblickt Rue, welche die beiden heimlich beobach-

tet, ihr Körper halb verdeckt von einer Betonwand, hinter der sie sich versteckt. Katniss lächelt

das kleinere Mädchen andeutungsweise an, doch Rue verschwindet daraufhin komplett. (The

Hunger Games 2012: 00:40:20-00:40:35)

Diesmal jedoch geht Katniss langsam auf das Versteck von Rue zu. Es handelt es sich

um einen bemoosten Baumstamm im Wald der Arena. Mit ihrer linken Hand trägt sie den Bo-

gen, den Pfeilköcher hat sie geschultert, scheinbar nicht alarmiert durch ihren ‚Schatten‘. Hinter

dem Baum findet sie das kleine Mädchen, welches Katniss mit großen Augen ängstlich von

unten anblickt. Doch das ältere Mädchen sagt mit sanfter Stimme: „It’s okay. I’m not gonna

hurt you.“ In der nächsten Szene sitzen Katniss und Rue gemeinsam bei einem Lagerfeuer, auf

dem sie ein kleines Tier gebraten haben, dessen Knochen sie abnagen. Katniss kümmert sich

um das jüngere Mädchen, gibt ihr sogar von ihrer Portion ab. Indes erklärt Rue, sie habe in den

Tagen, in denen Katniss geschlafen habe, zwei Mal die Blätter gewechselt, mit denen sie be-

deckt war. Somit hat Rue Katniss zum zweiten Mal das Leben gerettet. Außerdem ist sie es, die

Katniss den Tipp gibt, dass Peeta sich möglichweise beim Fluss aufhalte, während die alliierten

88

Tribute beim Füllhorn ein Lager an Waffen und Nahrung angelegt hätten. Auf dieses Lager

planen die beiden gemeinsam einen Anschlag, wofür sie sich allerdings räumlich trennen müs-

sen. Um weiterhin kommunizieren können, schlägt Rue ein Signal vor. Ihr Blick fällt auf Kat-

niss‘ Brosche, die sie auf ihrer Jacke trägt: Sie stellt einen Spotttölpel dar. (The Hunger Games

2012: 01:28:20-01:31:30)

Diese goldene Brosche zeigt einen fliegenden Vogel, der einen Pfeil in seinem Schnabel

trägt, umgeben von einer kreisförmigen Umrandung, über welche nur die Flügelspitzen, ein

paar der Schwanzfedern und die Pfeilspitze hinausragen. Katniss hat das Schmuckstück am Tag

der Ernte auf einem Markt in Distrikt 12 gefunden: Eine alte Dame gibt es dem Mädchen als

Geschenk mit. (The Hunger Games 2012: 00:08:50-00:09:09) Zuhause schenkt Katniss die

Brosche als Glücksbringer ihrer kleinen Schwester: „It’s a mockingjay-pin. To protect you. As

long as you have it, nothing bad will happen to you. Ok? I promise.“ (Ebd.: 00:10:08-00:10:23)

Nachdem allerdings Primrose bei der Ernte gelost worden ist und Katniss freiwillig ihre Stelle

eingenommen hat, retourniert die jüngere Schwester den Talisman bei ihrem Abschied an Kat-

niss, wiederum mit den Worten „to protect you“. (Ebd.: 00:18:48-00:18:55)

Auf diese Weise gelangt die Brosche mit Katniss ins Kapitol. Dass sie es sogar bis in

die Arena der Hungerspiele hineinschafft, ist Cinna zu verdanken, der das Schmuckstück auf

der Fleecejacke, unter der äußeren Regenjacke, von Katniss‘ Kampfanzug montiert hat (siehe

Abb. 13). Katniss erfährt erst wenige Sekunden vor ihrem Einzug in die Arena davon, als Cinna

ihr in die Jacke hilft. Er öffnet den Druckverschluss der äußeren Jacke, wodurch die Spotttölpel-

Brosche sichtbar wird, und legt seinen Zeigefinger an seinen Mund als Zeichen, Schweigen zu

bewahren. Katniss flüstert ihm ein „Danke“ zurück. (The Hunger Games 2012: 01:01:09-

01:01:25)

Abbildung 13: Spotttölpel-Brosche (The Hunger Games 2012: 01:01:20)

89

In der Arena der 74. Hungerspiele wird Katniss nun von Rue auf genau diese Brosche ange-

sprochen und auf die Möglichkeit, den Gesang der Spotttölpel für sich zu nutzen. Dafür singt

Rue eine kurze Tonfolge, welche sofort von mehreren Vögeln in den Baumwipfeln nachgezwit-

schert wird. Daraufhin pfeift Katniss eine alternative Melodie, welche ebenfalls augenblicklich

durch Vogelstimmen imitiert wird. (The Hunger Games 2012: 01:30:50-01:31:30)

Als Kommunikationsversuch mit Rue pfeift Katniss im Film „The Hunger Games“

(2012: 01:36:00-01:39:20) also die vereinbarte Melodie, nachdem sie von der Lichtung in den

Wald zurückgekehrt ist. Die Melodie wird unverzüglich von Spotttölpeln imitiert. Katniss pfeift

ein zweites Mal, wiederum nachgeahmt von den Vögeln, doch von Rue kommt nicht die ver-

einbarte Reaktion. Stattdessen hört sie das Mädchen laut nach „Katniss!“ schreien. Rue hat sich

auf einer kleinen Lichtung in einer Netzfalle verfangen. Katniss kann sie befreien, doch ein

hinzukommender Tribut attackiert die beiden Mädchen mit einem Wurfspeer. Sofort reagiert

Katniss mit einem Pfeil, abgeschossen aus ihrem Bogen, der den gegnerischen Tribut tödlich

in seiner Brust trifft. Doch auch Rue ist verwundet: In ihrem zarten Brustkorb steckt der Speer,

den sie sich selbst aus ihrem Körper zieht, bevor auch sie zu Boden geht. Katniss, die Rues Fall

bremst, bettet ihren Kopf auf ihrem Schoß. Großaufnahmen ihrer sich anblickenden Gesichter

zeigen beide Mädchen weinend. Katniss versucht Rue zu trösten. Rue hingegen meint eindring-

lich zu Katniss, sie müsse gewinnen. Außerdem bittet sie das ältere Mädchen, ihr ein Lied zu

singen, woraufhin Katniss ein Wiegenlied, „Deep in the meadow“, anstimmt.

Währenddessen stirbt Rue mit ihrem Kopf auf Katniss‘ Schoß. Katniss, die schluchzend

weint, schließt Rues Augen und den Reißverschluss ihrer Jacke. Dann steht sie auf, um Blumen

zu pflücken. Die gesammelten Pflanzen mit ihren weißen, zarten Blüten formt Katniss zu einem

Strauß und legt sie der Verstorbenen zwischen ihre verschränkten, auf dem Bauch ruhenden

Hände. Rund um ihren leblosen, am Boden liegenden Körper drapiert sie die gleichen weißen

Blumen, durchzogen von einzelnen blauen Blüten einer anderen Pflanzensorte, welche teil-

weise auch Rues Leichnam bedecken. Zum Abschied küsst Katniss die Verstorbene auf die

Stirn und sieht anschließend hoch, so als würde sie den Blick einer Kamera suchen (siehe Abb.

14). (The Hunger Games 2012: 01:39:20-01:41:25)

Danach geht Katniss langsamen Schrittes ein paar Meter fort, der Kamera den Rücken

zugewandt, bis sie stehen bleibt, sich halb umdreht, den Blick erneut nach oben gerichtet. Indes

bildet ihre rechte Hand eine bekannte Geste: Der Daumen liegt auf dem kleinen Finger, der

nach unten gebogen wird, während Zeige-, Mittel- und Ringfinger parallel geöffnet sind. In

dieser Position verharrend, werden die Finger an die Lippen geführt, geküsst und dann mit aus-

gestrecktem Arm nach oben gerichtet. (The Hunger Games 2012: 01:41:26-01:41:44)

90

Bereits bekannt ist diese Geste schon von Katniss‘ Ernte in Distrikt 12. Als Effie Trinket die

versammelte Menge zu einem Applaus für das Mädchen auffordert, heben die Menschen statt-

dessen einheitlich und in vollkommener Stille ihre linken Hände in dem beschriebenen Gruß.

(Ebd.: 01:16:43-01:16:59)

Gleichwohl die Bedeutung dieses Zeichens im Film nicht explizit erklärt wird, be-

schreibt Collins (2009: 29) sie im Buch als Geste der Zuneigung und des Abschieds, typisch

für Distrikt 12: „It is an old and rarely used gesture of our district, occasionally seen at funerals.

It means thanks, it means admiration, it means goodbye to someone you love.“ (Ebd.)

Dieserart wird die Handgeste im Film „The Hunger Games“ (2012) nach der Beerdi-

gung von Rue verwendet. Allerdings vollzieht Katniss den Gruß mit ihrer rechten Hand in

Richtung der vermuteten Kameras; in der linken Hand hält sie ihren Bogen. Der nächste Film-

schnitt zeigt, wie das eben Geschehene live über eine Videowand mitverfolgt wird: Menschen

Abbildung 15: Katniss verabschiedet Rue (The Hunger Games 2012: 01:41:47)

Abbildung 14: Katniss beerdigt Rue (The Hunger Games 2012: 01:41:25)

91

aus Rues Heimatbezirk sehen Katniss‘ Gruß, dank der medialen Übertragung. Als Reaktion

gehen die rechten Hände der versammelten Menge nach oben, das Verhalten von Katniss erwi-

dernd (siehe Abb. 15), bis sich ein Mann aus der Menge mit wütendem Blick von der Übertra-

gung abwendet und einen der abgestellten Friedenswächter attackiert. Andere Männer tun es

ihm nach; ein Tumult zwischen Zivilisten und Friedenswächtern entsteht. Ein Gebäude, in wel-

chem für das Kapitol Reiskörner gesammelt werden, geht in Flammen auf. (The Hunger Games

2012: 01:41:44-01:42:58)

Auch der Tribut aus Distrikt 11, namens Tresh, reagiert auf Katniss‘ Verhalten, indem er ihr in

der Arena das Leben rettet. Er kommt gerade hinzu, als Katniss mit einem weiblichen Tribut

im Zweikampf zur Unterlegenen geworden ist und von ihrer Kontrahentin mit einem Messer

an der Kehle zu Boden gedrückt wird. Diese erzählt gerade in einem genüsslichen Ton von

ihrem Mord an Rue, woraufhin Tresh sie von Katniss herunterzieht und erschlägt. An Katniss

gewandt, sagt er: „Just this time Twelve, for Rue.“ (The Hunger Games 2012: 01:54:35-

01:55:16)

Insofern überlebt Katniss die 74. Hungerspiele mitunter dank der Hilfe von Rue, ohne

deren Opfer ein Sieg letztendlich nicht möglich gewesen wäre.

Bei der abschließenden Siegerehrung im Kapitol setzt Präsident Snow der Gewinnerin

eine goldene Krone auf. Er streicht ihr mit seiner linken Hand eine Partie Haare, die ihr offen

über die rechte Schulter fallen, nach hinten. Darunter kommt auf dem hellgelben Kleid die gol-

dene Brosche mit dem Spotttölpel zum Vorschein. „What a lovely pin“, sagt Präsident Snow,

während er noch auf das Schmuckstück blickt. Katniss antwortet ihm mit versteinerter Miene

und ebensolcher Stimme: „Thank you, it’s from my district.“ Snows Gesichtsausdruck offen-

bart ähnlich wenig über seine wahren Gefühle. Lediglich seine minimal zusammen gezogenen

Augen blitzen kurz warnend hervor, während er einen leicht ironischen Unterton in seinen letz-

ten Satz legt, mit dem er das Gespräch beendet: „They must be very proud of you.“ (The Hunger

Games 2012: 02:11:06-02:11:35)

92

3.4.1.2.2 Der Spotttölpel fängt Feuer Der Spotttölpel begleitet Katniss auch weiterhin in „The

Hunger Games: Catching Fire“ (2013), beginnend bei

ihrer sogenannten Siegestour anlässlich der vergangenen

74. Hungerspiele. Bereits zu Beginn der Reise wird dar-

gestellt, wie Katniss ihre goldene Spotttölpel-Brosche

weiterhin bei sich hat. Sie dreht sie zwischen ihren Fin-

gern, während sie aus dem fahrenden Zug hinausschaut.

Dabei erhascht sie aus dem Seitenfenster einen Blick auf

diesen Vogel. Sein Symbol ist in roter Farbe auf eine

Tunnelwand gemalt. (Ebd.: 00:13:43-00:15:08)

Angekommen in Distrikt 11 – dem Heimatbezirk von Rue und Tresh – bringt das Siegerpaar,

auf einem Podest des Gerichtsgebäudes vor der versammelten Menge stehend, seine Kondolenz

für die gefallenen Tribute in sehr persönlichen Worten zum Ausdruck. Mit Tränen in den Augen

sagt Katniss über Rue: „She wasn’t just my ally, she was my friend. I see her in the flowers that

grow in the meadow above my house, I hear her in the mockingjay-song, I see her in my sister

Prim […] And I couldn’t save her. I’m sorry.“ Das Publikum lauscht in andächtiger Stille. An-

schließend vollführt ein alter, hagerer Mann die bereits bekannte Geste, mit der Katniss Rue in

der Arena verabschiedet hat. Außerdem pfeift er jene Melodie, die Katniss den Spotttölpeln

vorgepfiffen hat. Die umstehenden Menschen beginnen seine Handgeste zu imitieren. Nach und

nach küssen und heben alle Versammelten ihre linken Hände, woraufhin abgestellte Friedens-

wächter ihre Schlagstöcke zücken, sich gewaltsam einen Weg zu dem alten, hageren Mann

bahnen und ihn die Stufen zum Gerichtsgebäude hochzerren. Die Menschenmenge tobt panisch

und wütend, ebenso Katniss, die von zwei Friedenswächtern in das Gerichtsgebäude gezerrt

wird. Indes wird der alte Mann erschossen. (Ebd.: 00:16:01-00:19:00)

Daher müssen sich Katniss und Peeta auf der weiteren Siegestour streng an ihre vorge-

schriebenen Reden halten, so auch im nächsten Distrikt. Dennoch erheben ein junger Mann und

eine junge Frau inmitten der versammelten Menge simultan ihre linken Hände in der bekannten

Geste, ihre Augen unverwandt auf Katniss gerichtet. Die beiden werden von Friedenswächtern

abgeführt. (Ebd. 00:20:51-00:21:08)

Abbildung 16: Roter Spotttölpel (The Hun-ger Games: Catching Fire 2013: 00:15:07)

93

Die letzte Station ihrer Siegestour bringt Katniss und Peeta ins Kapitol, wo sie auf dem Anwe-

sen von Präsident Snow zu einer großen Siegesfeier geladen sind. Katniss trägt ein aufwändig

gestaltetes, bodenlanges und figurbetontes Kleid mit tiefem Dekolleté. Im Wesentlichen ist der

Stoff schwarz bis dunkelblau, durchzogen von wenigen roten Einsätzen im Brustbereich. Über

den Schultern ist das Kleid in kräftiger roter und blauer Farbe gehalten, und in mehreren Lagen

so vernäht worden, dass es dem Federkleid eines Vogels ähnelt. Passend dazu trägt Katniss ein

dunkles Augenmakeup mit künstlichen, geschwungenen Wimpern und einem roten Lidschat-

ten. Bei ihrer Ankunft vor der Villa wirken die applaudierenden Gäste, die ein Spalier für das

Siegerpaar gebildet haben, begeistert von ihrer Erscheinung. Ein Mann berührt sogar fasziniert

den Schulterbesatz von Katniss‘ Kleid (siehe Abb. 17). (The Hunger Games: Catching Fire

2013: 00:23:46-00:24:34)

Im weiteren Verlauf der Party wird dem Siegerpaar aus Distrikt 12 der neue Oberste Spielma-

cher vorgestellt: Plutarch Heavensbee. Dieser eröffnet Katniss bei einem gemeinsamen Tanz,

dass er sich freiwillig für den Job gemeldet habe, ähnlich wie sie. Warum er das gemacht habe,

will sie wissen. Er antwortet kryptisch: „Ambition. The chance to make the games mean some-

thing.“ Doch Katniss wehrt ab: „The games don’t mean anything. They only mean to scare us.“

„Well, maybe it was you who inspired me to come back,“ entgegnet der Spielmacher. Katniss

schaut verdutzt, doch bevor sie nachhaken kann, spielt die Band einen Tusch – das Zeichen für

die bevorstehende Rede Präsident Snows – und Heavensbee verabschiedet sich. (Ebd.:

00:25:53-00:27:28)

Nach diesem rauschenden Siegesfest im Kapitol – Katniss und Peeta befinden sich be-

reits im Zug auf der Heimreise – wird Heavensbee mit Präsident Snow gezeigt. Zusammen

betrachten sie das Video einer Überwachungskamera. Darauf aufgezeichnet sind Aufstände in

Abbildung 17: Katniss betritt die Siegerparty (The Hunger Games Catching Fire: 2013: 00:24:34)

94

Distrikt 8. Im Bildvordergrund, auf der Seite der Rebellierenden, ist ein Mensch von hinten zu

sehen, der ein Plakat mit einem roten Spotttölpel hält. Im Hintergrund brennt ein großes Feuer;

Friedenswächter marschieren auf die Gruppe Widerständiger zu (siehe Abb. 18).

Währenddessen sagt Snow zu Heavensbee: „[…] she’s become a beacon of hope for the rebel-

lion. And she has to be eliminated.“ Heavensbee stimmt dem Präsidenten zu: „[…] Katniss

Everdeen is a symbol – their Mockingjay. They think she’s one of them. We need to show that

she’s one of us. We don’t need to destroy her, just the image.“ Dies wolle Heavensbee erreichen,

indem das Image von Katniss medial mit dem Kapitol und mit furchteinflößenden Ereignissen

in Verbindung gebracht werde. Präsident Snow hat Bedenken: „Fear does not work as long as

they have hope. And Katniss Everdeen is giving them hope.“ Doch Heavensbee kann Snow

davon überzeugen, dass Bilder von Katniss‘ bevorstehender Hochzeit, abwechselnd mit Aus-

peitschungen und Hinrichtungen gezeigt, sie für das gemeine Volk Panems in ein Hassobjekt

verwandeln würden. (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:29:30-00:30:44)

Aber der Plan, Katniss‘ Image näher mit dem Kapitol zu verweben, wird von dem Mädchen

selbst vereitelt, als sie sich an einem öffentlichen Platz in Distrikt 12 der Gewalt einer Friedens-

wächter-Truppe widersetzt: Nachdem diese überraschend mit ihren Fahrzeugen vor Ort ange-

kommen sind, die Markthalle angezündet, Menschen geschlagen, bedroht und gedemütigt ha-

ben, attackiert Gale den Kommandanten der Truppe, woraufhin dieser den jungen Mann öffent-

lich auspeitscht. Katniss, durch Gales Schmerzensschreie auf das Geschehen aufmerksam ge-

worden, rennt zum Schauplatz und stellt sich abwehrend vor ihren Freund. Der Friedenswächter

schlägt sie zu Boden, doch sie will nicht weichen. Um sie vor einer Züchtigung durch den

Kommandanten zu retten, stellen sich auch Haymitch und Peeta schützend zwischen Katniss

Abbildung 18: Das Spotttölpel-Plakat (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:29:38)

95

und den bewaffneten Friedenswächter. Der Mentor kann alle vor einer weiteren Strafe bewah-

ren, indem er den Kommandanten darauf aufmerksam macht, dass Präsident Snow sicher keine

Freude an drei toten Siegern haben würde. (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:32:41-

00:36:40)

Präsident Snow, der mit Heavensbee wenig später genau diese Szene bespricht, ist tat-

sächlich nicht erfreut – allerdings über das widerständige Verhalten seiner Sieger und seiner

Siegerin, welches ihm über die Überwachungskameras präsentiert wird (siehe Abb. 20 und 21).

Heavensbee teilt mit, dass die Live-Übertragung der Auspeitschung, die mit etwa fünf Sekun-

den Zeitverzögerung in Panem ausgestrahlt wurde, an jener Stelle abgebrochen worden sei, als

Katniss sich vor den Friedenswächter gestellt hat (siehe Abb. 19). (Ebd.: 00:41:12-00:41:20)

Deshalb sagt Snow zu seinem Obersten Spielmacher: „If you cannot contain Katniss Everdeen,

then I will have to terminate her.“ Am besten sollten mit ihr alle anderen Sieger_innen, die sich

ebenso für unbesiegbar hielten, auch eliminiert werden. Daher bringt Heavensbee Snow auf

eine Idee für die 75. Hungerspiele: Anlässlich des 3. Jubel-Jubiläums sollen die Tribute aus

Abbildung 21: Die Sieger schützen Gale (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:44)

Abbildung 20: Haymitch beschützt Katniss (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:31)

Abbildung 19: Katniss stoppt Friedenswächter (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:13)

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dem Pool bisheriger Sieger_innen ausgelost werden, wie der Präsident in seiner Live-Anspra-

che verkündet: „[…] as a reminder that even the strongest cannot overcome the power of the

capitol […]“. (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:41:20-00:42:58)

Nachdem Katniss dann erneut gelost worden ist, um als Tribut bei den 75. Hungerspielen an-

zutreten, wird bei ihrem letzten TV-Auftritt bei Flickerman anschaulich dargestellt, wie Katniss

nicht länger nur Funken sprüht, sondern buchstäblich in Brand gerät, als das von Snow bereit-

gestellte Brautkleid auf der Bühne in Flammen aufgeht. Denn das bodenlange Kleid scheint

von unten bis oben hin von den Flammen verzehrt zu werden, bis der weiße Stoff des Braut-

kleides gänzlich verschwunden ist. Darunter erscheint ein dunkelblaues, bodenlanges Kleid,

das Katniss erneut ihrem Stylisten Cinna zu verdanken hat. Selbst erstaunt von ihrem Outfit,

breitet Katniss ihre Arme aus; darunter erscheinen große fedrige Flügel (siehe Abb. 22). Das

Publikum quittiert die Darbietung jubelnd mit Standing Ovations. Flickerman meint, sie sehe

wie ein Vogel aus, aber ihm will der Name des Tieres nicht einfallen. Daher beendet Katniss

den Satz an seiner Stelle mit den Worten: „…wie ein Spotttölpel“ („…like a mockingjay“).

(The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:08:20-01:09:00)

Abbildung 22: Das Spotttölpel-Kleid (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:08:45)

Am selben Abend noch wird der Spotttölpel – in seiner Form als Katniss‘ Brosche – von Effie

Trinket erwähnt, als sie sich gemeinsam mit Haymitch von ihren Schützlingen verabschiedet.

Sie habe Geschenke für die Jungs mitgebracht: „Your token, remember? Hair for me, pin for

Katniss, gold bangle for you [, Haymitch]. And for Peeta, the medaillon that we talked about.“

Effie, die eine goldene Perücke trägt, überreicht den Männern die goldenen Schmuckstücke.

(The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:10:50-01:11:08)

Bereits am nächsten Tag, wenige Augenblicke nach dem Startschuss der 75. Hunger-

spiele, sieht Katniss genau diesen Armreif von Haymitch, der Flammen zu züngeln scheint, auf

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dem Handgelenk von Finnick Odair wieder: Als jener plötzlich direkt neben Katniss am Füll-

horn auftaucht, bedroht sie ihn mit einem gespannten Bogen. Er aber hebt seinen linken Arm,

weniger abwehrend als vielmehr beschwichtigend und zugleich das goldene Schmuckstück prä-

sentierend. Gleichzeitig sagt er: „Good thing we’re allies, right?“ Doch Katniss hält weiterhin

ihre Waffe auf ihn gerichtet. Wo er den Armreif herhabe, will sie von ihm wissen. Er entgegnet

lediglich, was sie wohl glaube. Bevor Katniss das Gesagte richtig verarbeiten und ihre Gedan-

ken zu Ende spinnen kann, rettet Finnick ihr das Leben vor einem männlichen Tribut, der sie

von hinten angreifen will, wodurch er ihr seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellt. (The

Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:17:33-01:17:50)

Wenig später rettet Finnick auch Peeta das Leben, nachdem jener durch ein elektro-

magnetisches Kraftfeld einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten hat. Der kräftige Tribut schubst

die verzweifelte Katniss von dem bewusstlosen, am Boden liegenden Burschen weg und be-

ginnt mit einer Herz-Rhythmus-Massage, inklusive Mund-zu-Mund-Beatmung. Beides führt

Finnick solange durch, bis Peeta wieder zu sich kommt. (Ebd.: 01:21:08-01:22:07)

Bald erweitert sich die Allianz rund um Katniss, Peeta und Finnick um die Tribute Bee-

tee, Wiress und Johanna, auf die sie am Strand der Arena treffen. Katniss zeigt sich verwirrt

darüber, warum Johanna das Paar aus Distrikt 3, ihrer eigenen Aussage zufolge, für sie gerettet

habe. Peeta aber erinnert Katniss daran, dass sie selbst vor Beginn der Spiele diese intelligenten

und technikaffinen Tribute als Verbündete außerwählt habe. Allerdings zeigt sich Wiress ver-

stört und verwirrt, da sie wiederkehrend „tick-tock“ vor sich hersagt. In dem Moment, als zum

wiederholten Male ein Blitz in einiger Entfernung in einen hohen Baum einschlägt, realisiert

Katniss, dass die Arena in zwölf Sektoren eingeteilt ist, die wie eine Uhr funktionieren. Zu jeder

Stunde würde in dem dazugehörigen Sektor eine Gefahr auf die Tribute lauern, während der

Blitzeinschlag die jeweilige Stunde markiert. (The Hunger Games: Catching Fire 2013:

01:44:51-01:48:53)

Folglich schlägt der Ingenieur Beetee wenig später den Plan vor, in der kommenden

Nacht einen Draht vom Baum bis zum Strand der Arena zu verlegen, sodass die verbliebenen

Karrieretribute dort einen Stromschlag erleiden müssten. Im Dschungel bei besagtem Baum

angekommen, bleiben Finnick und Peeta als Wachen bei Beetee zurück, während Katniss und

Johanna sich mit der Drahtrolle ausgestattet auf den Weg machen. Dabei werden die beiden

Frauen plötzlich von zwei Karrieretributen attackiert, können den Angriff allerdings erfolgreich

abwehren. Im entstandenen Tumult wirft Johanna Katniss zu Boden, schneidet ihr den Tracker

mit einem Messer aus ihrem Arm heraus und befielt ihr, unten zu bleiben. So versteckt sie sich

98

auch weiterhin, als Finnick wenige Momente später vorbeikommt, Johannas Namen in die Dun-

kelheit rufend. Erst als er weg ist, springt Katniss auf und läuft zum großen Baum zurück. Ver-

geblich sucht sie Peeta. Stattdessen findet sie Beetee, verwundet und bewusstlos in der Nähe

des Baumes liegend. Erneut taucht Finnick auf, diesmal Katniss‘ Namen rufend. Er erspäht sie,

wie sie ihn mit ihrem aufgezogenen Bogen bedroht. Wiederum hebt er abwehrend seinen linken

Arm, auf dessen Handgelenk das Goldarmband im Dunkeln aufblitzt. Mit ruhiger, eindringlich

Stimme sagt Finnick: „Katniss, remember who the real enemy is!“ (Ebd.: 01:56:00-02:06:56)

Genau denselben Spruch hat Haymitch am Vorabend der Spiele als letztes zu Katniss gesagt

(ebd.: 01:12:11-01:12:16).

Daraufhin senkt Katniss ihren Bogen, sehr zur Verwunderung von Präsident Snow, der

die Szene aus dem Studio der Spielmacher verfolgt und sichtlich gehofft hat, Katniss würde

den gespannten Pfeil auf Finnick losfeuern. Doch stattdessen kann er zusehen, wie das Mädchen

den Speer, der neben dem bewusstlosen Beetee am Boden liegt, aufhebt und das eine Ende des

Drahtes fest um die Speerspitze wickelt. Das andere Ende ist von Beetee bereits zuvor mehrere

Male um den Stamm des großen Baumes gewickelt worden. Im Hintergrund ist längst ein hef-

tiges Donnergrollen zu hören; eine blitzende Gewitterwolke ist im Anmarsch. Bei jedem Wet-

terleuchten zeichnet sich eine Wabenstruktur in der ansonsten durchsichtigen Arenakuppel ab.

Indes zielt Katniss besagten Speer, in ihrem Bogen aufgezogen, gen Himmel und wartet, bis

der Blitz in den Baum einschlägt (siehe Abb. 23). Erst dann lässt sie den Speer fliegen. Präsident

Snow schaut ihr dabei schockiert, ja regelrecht verängstigt zu, bis wenige Sekunden später die

Live-Übertragung abbricht und alle Bildschirme schwarz werden. Der elektrisierte Speer hat

das Kraftfeld der Arena getroffen (siehe Abb. 24), es zerstört, und damit einen Stromausfall

ausgelöst. (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 02:06:57-02:08:33)

Katniss, die vom Blitzschlag zu Boden geschleudert worden ist und dort benommen liegen

bleibt, wird von einem Flugzeug abtransportiert. Als sie im Innenraum der Maschine wieder zu

sich kommt, entdeckt sie Haymitch, Gale und den Obersten Spielmacher Heavensbee in der

Abbildung 23: Katniss zielt auf die Kuppel (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 02:07:52)

Abbildung 24: Die Kuppel wird zerstört (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 02:08:09)

99

Kommandozentrale. Letzterer eröffnet dem verblüfften Mädchen: „Now, Katniss, you have

been our mission from the beginning. The plan was always to get you out. Half the tributes

were in on it. This is the revolution. And you are the Mockingjay.“ (Ebd.: 02:08:34-02:11:58)

3.4.1.2.3 Der Spotttölpel als Leitfigur der Rebellion Als Heavensbee und Katniss zu Beginn von „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014)

erneut aufeinandertreffen, kommt der ehemalige Oberste Spielmacher sofort wieder auf ihre

zugeschriebene Rolle als Spotttölpel zu sprechen. Gegenüber Alma Coin, Präsidentin von Dis-

trikt 13, rekurriert Heavensbee auf Katniss‘ Titel als „Girl on Fire“, um sie im nächsten Atem-

zug als „Mockingjay“ vorzustellen (vgl. Kapitel 3.4.1.1).

Im Gegenzug heißt Präsidentin Coin Katniss in ihrem Distrikt herzlich willkommen. Sie

gibt sich geehrt, der mutigen jungen Frau Asyl gewähren zu können. Während sich die beiden

Frauen einander gegenüber an einen Tisch setzen, erklärt Präsidentin Coin zusammenfassend,

was seit den letzten Hungerspielen, dank Katniss‘ Handeln in der Arena, passiert sei: „When

you fired your arrow at the force field, you electrified the nation. There have been riots and

uprisings and strikes in seven districts.“ Folglich wolle Coin – wie auch Heavensbee, der als

ihr engster Berater fungiert – die dadurch freigesetzte „Energie“ bündeln und für eine politische

Revolution nutzen: „We believe that if we keep this energy going, we can unify the districts

against the Capitol.“ Um die Distrikte im Kampf gegen das Kapitol zu vereinigen, würden sie

jedoch Katniss’ Hilfe benötigen. Sie müsse als widerständiger Spotttölpel erneut medial in Er-

scheinung treten, wie Heavensbee erklärt: „We need to show them that the Mockingjay is alive

and well and willing to stand up and join this fight. ‘Cause we need every district to stand up

to this Capitol. The way you did.“ Um also die Revolution anzufachen, habe Heavensbee den

Plan, eine Reihe von Propagandavideos zu drehen, mit Katniss als Spotttölpel in der Hauptrolle.

„Spreads the word that we’re gonna stoke the fire of this rebellion. The fire that the Mockingjay

started.“ Katniss aber geht zunächst nicht auf diesen Wunsch – als personifizierter Spotttölpel

das Feuer der Revolution am Leben zu erhalten – ein. Stattdessen wirft sie Coin und Heavens-

bee wütend vor, Peeta in der Arena zurückgelassen zu haben. Heavensbee versucht sie zu be-

ruhigen, aber Katniss unterbricht ihn aufbrausend, mit ihrer Hand auf den Tisch schlagend.

Präsidentin Coin appelliert folglich an die Vernunft der jungen Frau: Bei der Revolution gehe

es um alle Menschen Panems und sie würden Katniss als ihre „Stimme“ brauchen. Diese aber

sagt zornig, dafür hätten sie Peeta retten sollen, springt abrupt auf und verlässt den Raum. Da-

raufhin meint Coin zu Heavensbee, ob sie nicht doch den Jungen hätten retten sollen. Heavens-

bee verneint entschieden. „No one else can do this, but her.“ Man müsse sie lediglich daran

100

erinnern zu erkennen, „wer der wahre Feind ist.“ („Remember her, who the real enemy is.“)

Und der Zorn, den Katniss dann empfinde, könnte umgelenkt und kanalisiert werden, um die

Distrikte zu vereinigen. Diese hätten nämlich jahrelang nur gegeneinander gekämpft in den

Hungerspielen und bräuchten insofern einen ‚Blitzableiter‘, eine sie einende „Gallionsfigur“:

„We have to have a lightning rod17. They’ll follow her. She’s the face of the revolution.“ Inso-

fern willigt Coin ein, Katniss in ihren zerstörten Heimatbezirk fliegen zu lassen, um ihre Wut

gegenüber dem Kapitol neu zu entfachen. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014:

00:05:11-00:08:35)

Wenig später verkündet Präsident Snow in einer live-übertragenen TV-Ansprache vor

ganz Panem, dass „alle Abbilder des Spotttölpels“ ab sofort als Hochverrat gelten und unter

Todesstrafe gestellt werden: „All images of the Mockingjay are now forbidden! Possessing

them will be considered treason. Punishable by death.“ Während dieser Worte beginnt Snows

Enkelin im Wohnzimmer seiner Villa ihren einseitig getragenen Zopf – der an Katniss‘ Frisur

in der Arena erinnert – zu lösen. Außerhalb des Kapitols kommt es in zwei Distrikten zu Exe-

kutionen: Insgesamt fünf Menschen werden als aufständische „Radikale“ mit einem Kopf-

schuss hingerichtet. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:15:26-00:17:17)

Außerdem wird der gefangengenommene Peeta vom Kapitol eingesetzt, um Katniss als

Spotttölpel zu unterwandern: In der Villa des Präsidenten gibt der junge Mann in einem Inter-

view mit Caesar Flickerman an, weder er noch Katniss hätten in der Arena im Sinne der Rebel-

lion gehandelt. Auf eine Nachfrage von Flickerman, der nicht glauben will, dass Katniss keine

Ahnung gehabt hätte, was sie mit ihrem Handeln anrichten würde, verteidigt Peeta seine Ge-

liebte und sich selbst vehement. Anschließend richtet er seine Stimme an das Volk Panems,

direkt in die Kamera sprechend. Er ruft zu einem Waffenstillstand auf. In Distrikt 13 reagiert

das Publikum aggressiv auf diese Medienübertragung und beschimpft Peeta als „Verräter“.

(Ebd.: 00:19:20-00:21:59)

Daraufhin entschließt sich Katniss den Spotttölpel für Coin zu spielen, aber nur unter

der Bedingung, Peeta und die weiblichen Tribute, Johanna und Annie, aus dem Kapitol befreien

und begnadigen zu lassen. Coin lehnt zunächst entschieden ab, woraufhin Katniss laut wird.

Zornig wiederholt sie ihre Forderungen in einem schärferen Ton, den Oberkörper über die

Tischplatte in Angriffshaltung nach vorne gebeugt, ihre Hände am Tisch abgestützt. Sie schließt

mit den Worten: „Or you will find another Mockingjay!“ Augenblicklich reagiert Heavensbee,

17 „Dafür brauchen wir eine Gallionsfigur,“ sagt Plutarch Heavensbee in der deutschen Synchronisation. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:08:21-00:08:24)

101

der neben Präsidentin Coin am Tisch sitzt und den Blick zufrieden grinsend auf Katniss gerich-

tet hat. Mit dem Kuli in seiner Hand auf die junge Frau deutend, sagt er: „That’s it! That’s her.

Right there!“ Wenn man ihr nun noch das Kostüm anziehe und im Hintergrund Feuer und

Rauch von Geschützen zeige, fährt Heavensbee fort, ergebe sich daraus genau der Spotttölpel,

den er der Präsidentin versprochen habe. Insofern gibt Coin den Forderungen von Katniss nach.

(The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:25:42-00:27:29)

Anschließend will Plutarch Heavensbee Effie Trinket an Bord holen. Wiederum auf

Katniss‘ früheres Image rekurrierend, sagt er zu Effie: „Your Girl on Fire is burnt out.“ Er

brauche jemanden an Katniss‘ Seite, dem sie vertraue. Als Effie nicht sofort einwilligt, da sie

keine Rebellen unterstützen wolle, meint Heavensbee lapidar: „Anyone can be replaced.“ „Not

your Mockingjay“, gibt Effie zurück. Daher entschließt sich die ehemalige Bewohnerin des

Kapitols, das Mädchen in ihrer Rolle als Spotttölpel zu unterstützen. (Ebd.: 00:27:29-00:29:14)

Folglich überbringt Effie ihrem Schützling eine Mappe von Cinna, der mittlerweile

durch die Hand des Kapitols gestorben ist. In dem dünnen Ordner enthalten sind Entwürfe für

ein neues Spotttölpel-Outfit. Auf einer Seite, unter einer Zeichnung der Spotttölpel-Brosche,

steht außerdem in Handschrift geschrieben: „I’m still betting on you! Cinna“. Während Katniss

die Zeichnungen betrachtet, erzählt Effie, dass Cinna die Risiken bewusst gewesen seien. Aber

er habe an die Revolution geglaubt; er habe an Katniss geglaubt. Und dieses letzte, von Cinna

entworfene Outfit, hätten sie bereits hier vor Ort. (Ebd.: 00:32:34-00:33:36)

Folglich soll in einem Aufnahmestudio im Untergrund von Distrikt 13 das erste Propa-

gandavideo mit dem Spotttölpel gedreht werden: Katniss trägt das Kostüm von Cinna, einen

schwarzgrauen, enganliegenden Kampfanzug mit Brustpanzer und schützendem Schulterbe-

satz, der in kleinen, schwarzen Flügeln über die Schulterblätter ausläuft. Dazu passend sind ihre

Haare zu einem seitlichen Zopf geflochten, der ihr über die rechte Schulter fällt. Auf dem Rü-

cken trägt sie einen Pfeilköcher; den Bogen hält sie in der linken Hand. Ihre Augen sind dunkel

geschminkt. Angespannt blickt Katniss, die bereits auf einem kleinen Podest stehend wartet,

auf Effie, die gemäßigten Schrittes herannaht, um ihrem Outfit das letzte i-Tüpfelchen zu ver-

leihen: die Spotttölpel-Brosche, die zum ersten Mal schwarz statt golden ist. (Ebd.: 00:33:40-

00:34:05)

Allerdings verlaufen die folgenden Aufnahmen des ersten Propos nicht zufriedenstel-

lend. Katniss, die im fertig animierten Video vor einem orangefarbigen Himmel, inklusive tief

stehender Sonne, vor vereinzelt brennenden Gebäuden und einigen Rauchschwaden steht, wird

umringt von einer ihr zujubelnden Menschenmasse. Mit der rechten Hand schwingt sie eine

ebenso animierte, rote Flagge, mit dem Symbol des Spotttölpels darauf; in der linken hält sie

102

ihren Bogen. Kampflugzeuge schießen über ihren Kopf hinweg. „People of Panem! We fight!

We dare! We end this hunger for justice!“, spricht Katniss. Jedoch wirkt sie schauspielerisch

nicht richtig überzeugend, ergo auch nicht mitreißend, wie anschließend an den Reaktionen des

beratenden Teams rund um Coin und Heavensbee sichtbar wird. (Ebd.: 00:34:06-00:36:00)

„Let’s everybody think of one incident, where Katniss Everdeen genuinely moved you.“ An ein

Ereignis zu denken, in welchem Katniss sie wirklich bewegt bzw. berührt habe, dazu fordert

Haymitch das anwesende Team rund um Coin, Heavensbee, Effie, Beetee und Co. auf, nach-

dem sie das Propagandavideo gemeinsam zu Ende gesehen haben. „I’d like you all to think of

one moment where she made you feel something real“, schließt der ehemalige Mentor. Augen-

blicklich meldet sich Effie lächelnd zu Wort. Als Katniss sich für ihre Schwester bei der Ernte

gemeldet habe, sei ein solcher Moment gewesen, und auch, als sie für Rue das Lied gesungen

habe. Daran knüpft Beetee an. Für ihn sei ein solcher Moment gewesen, als Katniss Rue als

Verbündete erwählt habe. Effie stimmt ihm zu. Also, was hätten diese Momente alle gemein-

sam gehabt, fragt Haymitch. Diesmal antwortet Gale: „No one told her, what to do.“ Die er-

wähnten Ereignisse hätten allesamt kein Drehbuch gehabt, darin sind sich mehrere der Anwe-

senden einig. Folglich schlägt Haymitch vor, Katniss hinaus aufs Schlachtfeld zu schicken.

Niemand der Anwesenden scheint diese Idee zu befürworten, außer Katniss selbst. Es könne

ohnehin niemand für ihre Sicherheit garantieren, meint sie. Und wenn sie schon getötet werde,

so sollte wenigstens dafür Sorge getragen werden, dass es auch auf Band wäre, sagt Katniss

scharf in Richtung von Coin. Lediglich Heavensbee lacht leise und mit schüttelndem Kopf über

diese Aussage. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:36:00-00:37:50)

Infolgedessen soll Katniss mit einem Kamerateam – bestehend aus der Regisseurin Cre-

ssida, ihrem Assistenten Messalla, und den beiden Kameramännern und Brüdern, Pollux und

Castor – in einem Flugzeug nach Distrikt 8 geflogen werden. Cressida macht Katniss schnell

klar, dass sie und ihr Team freiwillig aus dem Kapitol geflohen sind, um die Revolution und

den Spotttölpel zu unterstützen: „We all fled on our own. For this. For you!“ (Ebd.: 00:40:15-

00:41:17)

Gemeinsam mit Gale und Boggs – dem stellvertretenden Offizier von Präsidentin Coin

– in Distrikt 8 angekommen, erwartet Katniss und ihr Kamerateam die dortige Anführerin der

Rebellion, Commander Paylor. Zusammen besuchen sie das Lazarett des Distrikts, der sicht-

bare Spuren eines vergangenen Bombenangriffs zeigt. Im Eingangsbereich des Gebäudes liegen

dutzende Leichen aneinandergereiht. Im Innenbereich, dem eigentlichen Lazarett, herrscht ein

Durcheinander von Stimmen und Schmerzensschreien. Helferinnen und Helfer versorgen ge-

schäftig die unzähligen Verwundeten, die auf dem Boden oder den wenigen verfügbaren Betten

103

liegen. Als Katniss diese Bilder in sich aufnimmt, während sie den Raum durchquert, werden

nach und nach alle Anwesenden auf sie aufmerksam. Stille kehrt ein, bis ein Mädchen Katniss‘

Namen ausspricht. Eine andere Frau fragt sie, was mit ihrem Baby sei. Katniss behauptet, sie

hätte es verloren. Ein Junge, der ein Gewehr geschultert hat, fragt, ob Katniss hier sei, um für

sie zu kämpfen. Katniss bejaht. Der Junge reagiert auf diese Aussage, indem er die Finger seiner

linken Hand in der allseits bekannten – und mittlerweile verbotenen – Geste an den Mund führt,

küsst und schließlich ausgestreckt in die Luft erhebt. Die umstehenden Anwesenden tun es ihm

nach. Mit Tränen in den Augen und leicht offenstehendem Mund blickt Katniss sich mit einem

ungläubigen, besorgten Blick im Raum um. Soweit sie sehen kann, haben alle Anwesenden, die

dazu in der Lage sind, ihre linken Hände im Gruß erhoben. Das Kamerateam filmt die Szene.

(The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:42:05-00:45:19)

Präsident Snow, der mithilfe von Überwachungskameras in Distrikt 8 unmittelbar von

Katniss‘ Besuch im Lazarett erfährt, lässt eine Bombardierung des Gebäudes veranlassen. Denn

er habe in seiner Rede verlautbart, dass jegliche Verbindung mit dem Spotttölpel einen Hoch-

verrat darstelle. Als die Kampfjets im Anflug sind, befinden sich Katniss und ihre Begleiter

bereits außerhalb des Lazaretts, werden jedoch schnell auf die ankommenden Flieger aufmerk-

sam. Statt sich in einem Bunker zu verstecken, wie von Paylor und Boggs gewünscht, attackiert

Katniss eines der Flugzeuge mit einem explosiven Pfeil. Das getroffene Objekt geht in Flam-

men auf und reißt einen zweiten, nebenan fliegenden Kampfjet mit in die Tiefe. Dies ist nur

eine Szene des Filmmaterials, das von Cressidas Kamerateam aufgezeichnet wird. (Ebd.:

00:45:24-00:51:11)

Im fertig geschnittenen Propo, das kurz darauf in Distrikt 13 vorgeführt wird, ist Katniss

außerdem zu sehen, wie sie vor den lichterloh brennenden und qualmenden Trümmern des zer-

störten Lazaretts ankommt, und dann mit aggressiven Gesten auf den brennenden Haufen an

Überresten hinter sich zeigt. Mit einem wutentbrannten Gesichtsausdruck und vor Zorn beben-

der Stimme spricht sie in die Kamera: „[…] This is what they do, and we must fight back!“ Der

nächste Schnitt des Propos zeigt ihr Gesicht in Großaufnahme mit einem trotzigen, überhebli-

chen Ausdruck. Im Hintergrund züngeln orange Flammen aus dem grauen Schutt. Indes spricht

Katniss in die Kamera: „You can torture us and bomb us and burn our districts to the ground.

But do you see that? Fire is catching. And if we burn, you burn with us!“ Beim letzten Satz,

den Katniss mit rauer Stimme in die Kamera bellt, zeigt sie mit ihrem Arm noch einmal in den

Trümmerhaufen hinter sich, ihr wutverzerrtes Gesicht nach wie vor in Großaufnahme der Ka-

mera zugewandt. Anschließend folgt jene Szene, in der die junge Frau mit ihrem Pfeil die bei-

den Kampfflugzeuge zum Absturz bringt. Daraufhin endet das Propo mit dem Symbol eines

104

brennenden Spotttölpels, der mit hoch erhobenem Kopf und gespreizten Schwanzfedern seine

Schwingen ausbreitet. Darüber erscheint ein goldener Schriftzug in Großbuchstaben: „JOIN

THE MOCKINGJAY“. Aus dem Off ertönt dieselbe Melodie, die Katniss in der Arena den

Spotttölpeln vorgepfiffen hat. Die nachfolgende Aufforderung in goldenen Lettern „JOIN THE

FIGHT“ – jedes Wort wird einzeln mit einem klackernden Geräusch über dem noch immer

brennenden Vogel eingeflogen – bildet das krönende Finale. (The Hunger Games: Mockingjay

– Part 1 2014: 00:51:12-00:51:50; siehe Abb. 26-29)

Abbildung 25: “You burn with us!” (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:38)

Abbildung 26: Spotttölpel in Aktion (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:39)

Abbildung 27: JOIN THE MOCKINGJAY (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:45)

Abbildung 28: JOIN THE FIGHT (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 00:51:49)

105

Das Publikum in Distrikt 13 reagiert mit tosendem Applaus auf die Vorführung des Videos.

Präsidentin Coin ist sichtlich erfreut. Gemeinsam mit Katniss betritt sie einen Balkon, um vor

den versammelten Menschen eine Rede zu halten. „I stand here with the Mockingjay to an-

nounce, that our moment has arrived!“ Währenddessen greift sie mit ihrer rechten Hand nach

der linken von Katniss und hebt ihre Arme gemeinsam, in einer Geste des Triumphs, empor.

Das Publikum reagiert erneut mit begeistertem Applaus. Anschließend fährt Präsidentin Coin

u. a. damit fort, dass das Propagandavideo in der kommenden Nacht in allen Distrikten ausge-

strahlt werde: „[…] The Mockingjay’s words inspiring everyone to join the rebellion.“ (The

Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:51:50-00:53:05)

Kurz darauf folgt eine Filmszene, die einen Aufstand gegen das Kapitol zeigt: Bei Ta-

gesanbruch begleiten drei Trupps, zu je zehn bewaffneten Friedenswächtern, Menschen aus

Distrikt 7 auf ihrem Weg in den Wald. Die Arbeiter_innen sind mit Hacken, Motorsägen und

anderen Geräten zur Holzverarbeitung ausgestattet. Unzählige gefällte Baumstämme lagern be-

reits in geordneten Haufen auf einer Lichtung im Wald, nahe den Fabriken. Eine Stimme aus

einem Lautsprecher verkündet, dass die Arbeitszeiten um zwei Stunden verlängert worden sind.

Insofern wird sichtbar, welche Güter Distrikt 7 an das Kapitol abzuliefern hat. Im Wald ange-

kommen, ist auf der Rinde eines Baumstamms das Symbol des Spotttölpels zu sehen. Ein Mann,

der diesen Stamm gerade passiert, pfeift die Spotttölpel-Melodie, woraufhin alle Arbeiter_in-

nen schreiend losstürmen. Die Friedenswächter eröffnen das Feuer aus ihren Maschinengeweh-

ren. Viele der Arbeiter_innen schaffen es, geschickt die Bäume hochzuklettern, aber viele wer-

den erschossen. Jener Arbeiter, der das Startsignal gegeben hat, schreit aus der Baumkrone

hinunter: „If we burn, you burn with us!“ Anschließend drückt der Mann einen Zünder in seiner

Hand, wodurch er eine gewaltige Explosion am Boden auslöst. Die Körper der Friedenswächter

verschwinden in der Staubwolke der Detonation. Die Arbeiter_innen in den Baumkronen

schreien jubelnd. (Ebd.: 00:53:42-00:55:29)

Als Antwort benützt das Kapitol wiederum Flickerman und Peeta, um das Image des

Spotttölpels in einer Live-Sendung zu diffamieren: Flickerman beginnt das Gespräch, dass Kat-

niss einst „unser Lieblingstribut“ gewesen sei. Umso erstaunlicher für alle, und umso schmerz-

hafter für Peeta, sei nun all die Gewalt, die Katniss durch ihr Handeln verursacht habe, so der

Moderator. Peeta ist blass und mager, hat dunkle Ringe unter den rotgeäderten Augen. Zwi-

schen seinen zitternden Händen hält er eine weiße Rose. Ein Strauß weißer Rosen steht ne-

benan. Zu Flickerman sagt er, Katniss würde von den Rebellierenden instrumentalisiert werden.

Sie selbst wisse nicht, was sie da tue und was alles auf dem Spiel stehe. Mit Tränen in den

Augen spricht er direkt in die Kamera. Er bittet Katniss, sie solle dem Krieg ein Ende setzen.

106

Abschließend bedankt sich Flickerman bei Peeta für seine „Enthüllungen über den wahren

Spotttölpel“. (Ebd.: 00:58:45-01:00:30)

Folglich kommt Katniss auf die Idee, ganz Panem – und damit auch Peeta – zu zeigen,

was das Kapitol mit Distrikt 12 gemacht hat. Zusammen mit dem Kamerateam fliegen sie und

Gale in ihre ehemalige Heimat, die in Schutt und Asche liegt. Verschont geblieben ist lediglich

das Dorf der Sieger. Gale erzählt vom Bombenangriff und wie er 915 Menschen von 10.000

retten konnte. Wenig später rastet das Team an einem idyllischen See in der Sonne. Ein schwar-

zer Vogel fliegt zwischen Katniss und Pollux hindurch. Der Avox18 deutet mit seiner Hand auf

eine Brosche auf seiner Brust. Dabei handelt es sich um einen goldenen Spotttölpel. Pollux

pfeift mit zwei Fingern die bekannte Spotttölpel-Melodie. Unmittelbar beginnen viele Vogel-

stimmen den Klang zu imitieren. Ein wildes Geflatter über den Köpfen der Rastenden setzt ein.

Daraufhin bittet Pollux lächelnd, Katniss möge auch singen. Die junge Frau stimmt ein Lied

namens „The Hanging Tree“. Ohne dass sie es merkt, wird sie von Castor gefilmt. (The Hunger

Games: Mockingjay – Part 1 2014: 01:00:50-01:07:18)

Genau diese gesungene Weise wird im nächsten Propo als Hintergrundmusik verwen-

det. Auf den Bildern zu sehen ist ebenso Katniss, diesmal aber in einem grauen, schlichten

Zweiteiler und mit offenen Haaren, während sie mit dem Bogen in ihrer Hand zwischen den

Trümmern von Distrikt 12 wandelt. Heavensbee erklärt Coin und Haymitch verschmitzt, er

habe die Textzeile „necklace of rope“ gegen „necklace of hope“ austauschen lassen. Das Propo

sei bereits in allen Distrikten ausgestrahlt worden, so Beetee. Lediglich bis ins Kapitol hätten

sie noch nicht vordringen können, aber er arbeite daran. (Ebd.: 01:07:39-01:08:14)

Daraufhin ist in der Dunkelheit der Nacht eine marschierende Menschenmenge zu hö-

ren, wie sie den „Hanging Tree“-Song singt. Die Masse bewegt sich in Richtung einer großen,

hellbeleuchteten Staumauer eines Elektrizitätswerkes in Distrikt 5. Gleichwohl Friedenswäch-

ter das Feuer auf die heranstürmenden Menschen eröffnen und unzählige der Rebellierenden

getroffen zu Boden stürzen, schaffen es einige wenige unter ihnen, mit mehreren Kisten voll

Sprengstoff bis in das Innere des Gebäudes vorzudringen. Kurz darauf explodiert die Stau-

mauer; gigantische Wassermaßen strömen aus. Die Stromversorgung des Kapitols ist unterbro-

chen. (Ebd.: 01:08:15-01:11:15)

Wiederum setzt das „CAPITOL TV“ Peeta für eine Live-Schaltung ein. Sein Gesicht in

Großaufnahme erscheinend, bittet er inständig um eine Einstellung der Kampfhandlungen.

Aber sein Bild wird bald von jenem Propo abgelöst, das Katniss in den Trümmern von Distrikt

12 vor dem ehemaligen Gerichtsgebäude zeigt (siehe Abb. 29), musikalisch unterlegt von „The

18 „Avox“ ist in Panem eine Bezeichnung für Menschen, denen als Strafe die Zunge herausgeschnitten wurde.

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Hanging Tree“. Dank Beetees Fähigkeiten kann die Sendung bis ins Kapitol übertragen werden.

Auch Peeta sieht das Video. Aufgerüttelt schweift er von seinem eigentlichen Text ab – gleich-

wohl Flickermans Stimme ihn aus dem Off zum Weiterreden drängt – und spricht eine Warnung

an Katniss in die Kamera: Sie würden kommen und sie töten. Aus dem Hintergrund wird Peeta

von Händen gepackt; die Übertragung bricht ab. Doch dank dieser Warnung kann in Distrikt

13 rechtzeitig mit einer Evakuierung in die tiefergelegenen Luftschutzbunker begonnen wer-

den. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 01:11:50-01:14:10)

Nach dem überstandenen Bombenangriff bleiben vor einem Tor, das aus der unterirdischen

Anlage von Distrikt 13 hinausführt, weiße Rosen auf dem zerbombten Gelände zurück. Katniss

erkennt, dass es sich um ein Symbol Präsident Snows handelt und beginnt um Peetas Leben zu

fürchten. Sie möchte kein neues Propo als Spotttölpel drehen. Indes schickt Präsidentin Coin

einen Rettungstrupp los, der Peeta und die weiblichen Tribute, Johanna und Annie, aus dem

Kapitol befreien soll. Währenddessen lässt Beetee live eine Sendung ausstrahlen, die alle Ka-

näle des Abwehrsystems des Kapitols – das noch immer unter dem Stromausfall leidet – blo-

ckieren soll. Hauptdarsteller des vermeintlichen Propos ist Finnick, der seine persönliche Ge-

schichte erzählt: Nach seinem Sieg in den Hungerspielen wurde er als Sklave an die Reichen

des Kapitols verkauft. Das sei üblich, wenn ein Körper als begehrenswert gilt. Zum Schutze

ihrer Angehörigen wehrten sich die Sieger_innen aber nicht. In dieser Zeit habe Finnick gelernt,

sich mit Geheimnissen bezahlen zu lassen. Und Snows größtes Geheimnis ist Gift. Mit Giftat-

tacken konnte er seine Macht erlangen und aufrechterhalten. Da er allerdings selbst auch schon

Gift getrunken hat, trägt er immer eine duftende weiße Rose bei sich, um den Geruch der nie-

mals abheilenden Wunden in seinem Mund zu übertünchen. Doch gegen Ende dieser Erzählung

von Finnick scheint die Rettungsaktion aufzufliegen, weshalb Katniss live auf Sendung geht,

Abbildung 29: Propo aus Distrikt 12 (The Hunger Games: Mockingjay - Part 1 2014: 01:13:03)

108

um Snow abzulenken. Sie adressiert ihn persönlich. Als er sich zuschaltet, verspricht sie ihm,

nicht länger den Spotttölpel zu geben, wenn Snow im Gegenzug Peeta gehen ließe. Präsident

Snow aber wehrt ab, dafür sei es zu spät. Der Krieg habe schon begonnen. Außerdem gibt er zu

erkennen, von der eben stattfindenden Rettungsaktion Bescheid zu wissen. Die Übertragung

bricht ab. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 01:26:00-01:42:41)

Trotzdem können die ehemaligen Sieger_innen Peeta, Johanna und Annie aus dem Ka-

pitol befreit werden, wie Coin feierlich in einer Ansprache vor ihrem Volk in Distrikt 13 ver-

kündet. Gemeinsam mit der Unterstützung des Spotttölpels hätten sie dem Kapitol nunmehr

aufgezeigt, dass sie niemals wieder Unrecht erdulden würden: „With the Mockingjay, and the

victors beside us, we have sent a clear message to the capitol, that we will never again endure

injustice! […] Today we have freed the victors. Tomorrow: Panem!“ Gemeinsam, als „ein Volk

[…], eine Armee, […] eine Stimme“, würden sie demnächst die Rebellion fortsetzen und nach

Distrikt 2 aufbrechen, um dort die wichtigste militärische Einrichtung des Kapitols außer Kraft

zu setzen. (Ebd.: 01:48:55-01:51:40)

3.4.1.2.4 Der Spotttölpel obsiegt Bereits zu Beginn von „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 (2015) macht Katniss bei

ihrem Aufenthalt in Distrikt 13 deutlich, wie dringend sie an Präsident Snow Rache üben

möchte. Doch bevor man ins Kapitol eindringen könne, müsse erst Distrikt 2 unter Kontrolle

gebracht werden, so Coin. Deshalb unterbreitet Katniss ihr den Vorschlag, als Spotttölpel nach

Distrikt 2 zu fliegen, um vor Ort die Rebellion anzufachen und die verbliebenen politischen

Anhänger_innen Snows zu adressieren. (Ebd.: 00:03:30-00:04:20)

Kurz darauf bedankt sich die Anführerin der Rebellion in Distrikt 2, Commander Lyme,

über eine Videoschaltung bei Alma Coin persönlich, dass Katniss in Distrikt 2 gelandet ist. Die

Eroberung der „Nuss“ – einer großen militärischen Einrichtung des Kapitols, die unterirdisch

in Distrikt 2 angelegt ist – zeigte sich bisher als undurchführbare Herausforderung. Coin gibt

sich optimistisch darüber, den Spotttölpel auf ihrer Seite zu haben, um die letzten Unterstüt-

zer_innen Snows noch umstimmen zu können: „Don’t underestimate her. We could use her to

erode support. She may be able to sway some of the loyalists.“ Lyme jedoch meint, so einfach

ließen sich die Anhänger_innen Snows in Distrikt 2 nicht von ihrer Liebe zum Kapitol abbrin-

gen. Die „Nuss“ müsste erobert werden, da dort ein großer Waffenvorrat des Kapitols lagert.

Gale aber schlägt vor, die Einrichtung von der Außenwelt abzuschließen, wenn sie schon nicht

109

eingenommen werden könne. Beetee konstatiert, man könnte mithilfe kontrollierter Geröllla-

winen die Versorgungsschächte versperren. Während Gale auch den Fluchtweg verschütten

lassen will, setzt Commander Paylor sich dafür ein, einen Eisenbahntunnel für die Flucht der

Zivilbevölkerung offen stehen zu lassen. Für den Fall, dass diese sich nicht ergeben wollen

würde, bräuchten sie eine überzeugende Leitfigur bzw. „Stimme“19, schließt Coin. (The Hunger

Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:08:00-00:10:04)

Nach erfolgreicher Umsetzung des Plans wird Katniss zum Ausgang des Eisenbahntun-

nels gebracht, begleitet von Boggs, Gale und Haymitch. Letzterer will ihr eine Rede von

Heavensbee überreichen, die zu sprechen sie jedoch ablehnt, ohne das Papier oder Haymitch,

der hinter ihr geht, auch nur eines Blickes zu würdigen. Vor dem Tunnel wartet bereits das

Kamerateam rund um Cressida auf Katniss in ihrem Spotttölpel-Outfit. Passend zu ihrem

schwarzen Kampfanzug mit Brustpanzer und Schulterbesatz trägt sie wiederum ihre Spotttöl-

pel-Brosche auf der linken Brust, ihren Zopf seitlich über der rechten Schulter, den Bogen in

der linken Hand und den Köcher am Rücken. (Ebd.: 00:11:41-00:12:51)

„This is Katniss Everdeen, speaking to all of the loyalists from the heart of District 2“,

beginnt Katniss ihre Rede. Die Ankunft eines Zuges, der sich langsam aus dem Tunnel annä-

hert, unterbricht ihre Rede. Überlebende steigen aus und werden von bewaffneten Rebellieren-

den aufgerufen, sich und ihre Waffen niederzulegen. Plötzlich fallen Schüsse. Ein Mann sackt

scheinbar getroffen zu Boden. Ohne zu zögern läuft Katniss hin und kniet sich vor ihm nieder.

Plötzlich aber hält ihr dieser Mann eine Pistole an die Kehle. Sie solle ihm „nur einen Grund“

nennen, warum er sie nicht töten solle, meint er zu der jungen Frau. Katniss entgegnet mit

standhafter, trotziger Stimme, das könne sie nicht tun: „I can’t. I guess that’s the problem, isn’t

it? We blew up your mine. You burned my district to the ground. We each have every reason

to want to kill each other. So if you wanna kill me, do it. Make Snow happy. I’m tired of killing

his slaves for him.“ Der Mann, der noch immer seine Pistole an Katniss‘ Kehle gedrückt hält,

widerspricht ihr, er sei nicht Snows Sklave. Katniss hingegen antwortet, sie selbst sei seine

Sklavin. Deshalb habe sie in der Arena Cato getötet, und der habe zuvor andere getötet, die

ebenso getötet hätten. Nur einer würde dieses Spiel gewinnen und das sei Snow. Distrikt 2 und

Distrikt 12 hätten keinen Streit miteinander gehabt. Die Rebellierenden zu bekämpfen bedeute,

19 „Then we need a compelling voice to persuade them,“ sagt Alma Coin im englischen Originalton, mit der Beto-nung auf dem Wort „voice“. In der deutschen Synchronisation aber lautet der gleiche Satz: „Dann brauchen wir eine überzeugende Leitfigur um sie umzustimmen.“ (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:10:00-00:10:04)

110

Nachbarn und Familie zu töten. Infolgedessen lässt der Mann von ihr ab. (Ebd.: 00:12:52-

00:15:43)

Katniss steht wieder auf und beginnt mit energischer, lauter und wütender Stimme zu

den Umstehenden und in die Kameras zu sprechen, während sie sich langsam im Kreis dreht:

„These people are not your enemy. We all have one enemy. And that’s Snow! He corrupts

everyone and everything. He turns the best of us against each other. Stop killing for him! To-

night, turn your weapons to the Capitol! Turn your weapons to Snow!“ Bei ihren letzten Wor-

ten, die sie direkt in Richtung der Überlebenden aus Distrikt 2 spricht, steht einer der Knienden

abrupt vom Boden auf und feuert aus seiner Waffe drei Kugeln auf Katniss, die getroffen zu

Boden fällt. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:15:45-00:16:26)

Ein Schnitt zur Villa von Präsident Snow zeigt, wie dieser mit seinem politischen Kabinett bei

Tisch sitzt und über Projektoren genau die Szene anschaut, in welcher der Spotttölpel ange-

schossen wird (siehe Abb. 30). Nachdem Katniss getroffen zu Boden gefallen ist, wackelt die

Kamera und das Bild bricht abrupt ab. Im Hintergrund sind lediglich noch die Schreie des Auf-

ruhrs zu hören und wie Boggs‘ Stimme eindringlich nach einer Einstellung des Feuers verlangt.

Snow schaltet die Projektoren aus und steht auf, um einen Toast auszubringen. Er fragt seinen

Verteidigungsminister Antonius, worauf sie anstoßen würden. Dieser antwortet mit einem süf-

fisanten Lächeln: „The death of the Mockingjay, sir. If Peeta didn’t kill her, her own arrogance

did.“ Snow jedoch erwidert, dass dies nicht der Grund sei. Falls der Spotttölpel nämlich tat-

sächlich tot wäre, würden die Rebellierenden Katniss bereits als Märtyrerin benutzen: „If the

Mockingjay were gone, the rebels would already be using her as a martyr.“ (The Hunger Ga-

mes: Mockingjay – Part 2 2015: 00:16:27-00:17:34)

Abbildung 30: Katniss wird zum Opfer (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:16:36)

111

Doch Katniss lebt noch, dank des kugelsicheren Kostüms, das Cinna für sie entworfen

hat. Sie liegt auf einer Krankenstation, als Johanna abrupt den Vorhang vor ihrem Bett zur Seite

reißt und spöttelt: „Oh, there she is, the Mockingjay!“ Die Zeit ihrer Gefangenschaft im Kapitol

hat die junge Frau noch bitterer und aggressiver werden lassen. Katniss meint daher im Verlauf

ihrer Unterhaltung, Johanna hätte an ihrer Stelle den Spotttölpel geben sollen, denn ihr würde

niemand vorschreiben, was sie zu tun oder zu sagen habe: „You should have been the Mo-

ckingjay. Nobody else would tell you what to say.“ „But nobody likes me“, antwortet Johanna.

Hier hätten die Leute vielleicht Angst vor ihr, meint sie, aber im Kapitol würden sie nur Katniss

fürchten: „[…] in the Capitol you’re the only thing that they’re scared of.“ (The Hunger Games:

Mockingjay – Part 2 2015: 00:18:37-00:20:02)

Wenig später dankt Alma Coin Katniss in einem persönlichen Gespräch: „Thank you.

[…] You’ve been very successful as the Mockingjay. You’ve unified the districts. And now,

we want you to rest and to heal.“ Da sie ihre Aufgabe als Spotttölpel zufriedenstellend erledigt

und die Distrikte vereint habe, solle sie sich nun um ihre Genesung kümmern, statt erneut an

die vorderste Kampflinie geschickt zu werden, wie Katniss dies selbst möchte. Die Soldatinnen

und Soldaten gingen davon aus, dass Katniss eine Schusswunde über dem Herzen erlitten habe

und hätten dementsprechend sicher Verständnis, wenn sie hierbliebe. Heavensbee schlägt vor,

weitere Propos in Distrikt 13 zu drehen. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015:

00:21:58-00:22:48)

Während der Hochzeit von Finnick und Annie im Untergrund von Distrikt 13 bekommt

Katniss einen Tipp von Johanna: Um Mitternacht würde ein Flugzeug mit Nachschub an Me-

dizin zu den Truppen losgeschickt werden. Mit diesem könnte Katniss Richtung Kapitol auf-

brechen, um ihren Plan, Snow zu töten, umzusetzen. Infolgedessen schleicht Katniss sich uner-

kannt an Bord des Fliegers. (Ebd.: 00:22:48-00:27:23)

Mit dem Flugzeug aus Distrikt 13 am Stadtrand des Kapitols gelandet, werden die Men-

schen auf dem Militärstützpunkt sofort auf Katniss aufmerksam. Sie erkennen ihr Gesicht, zei-

gen auf sie, drehen sich nach ihr um, sprechen ihren Namen. Rund um Katniss, die stehen bleibt,

beginnt sich ein Kreis zu bilden. Alle Augen sind auf den Spotttölpel gerichtet. Simultan erhe-

ben die Umstehenden – Frauen, Männer, alte und junge Menschen – ihre linken Hände zum

Gruß in der bekannten Geste. Indes beobachten Heavensbee und Coin diese Szene mithilfe

einer Überwachungskamera (siehe Abb. 31). Coin gibt sich über Katniss‘ widerständiges Ver-

halten verärgert, doch zurückholen könne man sie auch nicht mehr. Denn sie sei bereits „ein

Mythos“, sagt Coin: „She’s mythic.“ Heavensbee stimmt ihr zu. Er hätte es nicht besser insze-

nieren können, als dass sie eine Schusswunde an vorderster Front erleidet und überlebt. Daher

112

verlangt Coin von ihrem „Spielmacher“, Katniss‘ Verhalten medial weiterhin so abzubilden,

als handle sie nach ihren Plänen: „Mr. Heavensbee, you’re the Gamemaker. I want everyone to

know, whatever game she’s playing, she’s playing for us.“ (Ebd.: 00:28:07-00:29:57)

Infolgedessen wird Katniss einer militärischen Einheit zugeteilt: dem „Startrupp“ („Star

Squad“). Dieser soll nicht an vorderster Linie kämpfen, sondern den Kampftruppen mit Abstand

folgen. Die Regisseurin Cressida erklärt den Hintergrund: „You’re to be the on-screen faces of

the invasion. The Star Squad. It’s been decided that you’re most effective when seen by the

masses.“ Aufgabe der Truppe, so führt Boggs weiter aus, sei das Drehen von Propagandamate-

rial im Kriegsgebiet. Seine Mitglieder seien ausgewählt worden, um die Truppen des Kapitols

einzuschüchtern. Auch um „zur Kapitulation anzuregen“, seien sie hier, ergänzt Cressida. Ne-

ben Katniss’ altbekanntem Propo-Kamerateam, sind Finnick und Gale von Beginn an Teil der

Truppe, unter dem obersten Kommando von Boggs, unterstützt von Leutnant Jackson, dem

zweiten Leutnant und Scharfschützen Mitchell, Korporal Homes und den zwei Soldatinnen na-

mens Leeg, die zeitgleich Schwestern sind. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015:

00:32:12-00:33:21)

Wenig später stößt Peeta im Kapitol zum Startrupp hinzu. Obwohl er stark mit den

Nachwirkungen der Gehirnwäsche zu kämpfen hat, soll er auf Anweisung von Coin in den

Propos zu sehen sein, um zu zeigen, auf welcher Seite er stehe. Boggs erzählt Katniss in einem

Gespräch unter vier Augen, dass Coin von Anfang an Peeta aus der Arena habe retten wollen,

da Katniss sich nicht kontrollieren lasse und dadurch eine Gefahr darstelle. Für die Propos

würde sie mittlerweile gar nicht mehr gebraucht werden, sagt Boggs: „She doesn’t need you as

a rallying cry no more. These propos can be done without you. There’s only one thing you could

Abbildung 31: “She’s mythic.” (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:29:17)

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Abbildung 32: Spotttölpel-Aufkleber (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:43:39)

Abbildung 33: Spotttölpel auf Säule (The HungerGames: Mockingjay - Part 2 2015: 00:44:24)

do now to add more fire to this rebellion.“ „Die“, antwortet Katniss. Sie könne nur noch sterben.

(Ebd.: 00:37:25-00:39:53)

Für den Dreh des anstehenden Propos übt Finnick mit Peeta seine Rede, während sie

sich mit der Truppe durch die verlassenen Straßen des zerbombten Kapitols bewegen. Dabei

passieren sie Plakate des Kapitols. Drei zeigen Friedenswächter, mit dem Wappen Panems

mittig, beschriftet mit: „VICTORY – STRENGTH IN NUMBERS“. Alle werden teilweise von

drei schwarzen Spotttölpel-Symbolen verdeckt. Darüber befindet sich ein großes Plakat mit

dem offiziellen Wappen Panems – „PANEM TODAY“ – das ebenso mit einem Spotttölpel

überklebt worden ist. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:43:32-00:43:45; siehe

Abb. 32)

Weitere Spotttölpel-Aufkleber sind auch auf Steinsäulen, welche die gegenüberliegenden Ein-

bzw. Ausgänge eines Innenhofs markieren (siehe Abb. 33), als auch auf drei Plakaten des Ka-

pitols – „PANEM TODAY“, „PANEM TOMORROW“, „PANEM VOREVER“ – zu sehen

(siehe Abb. 34), während der Startrupp sich vor dem Schussfeuer einer „Kapsel“ hinter einer

Mauer verschanzt. (Ebd.: 00:43:57-00:45:07)

Abbildung 34: Spotttölpel auf Plakaten (The HungerGames: Mockingjay - Part 2 2015: 00:45:01)

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Leider kann der Startrupp nicht allen Kapseln erfolgreich ausweichen. Boggs stirbt an

einer Sprengfalle, die auch eine der Leeg-Schwestern schwer am Bein verwundet. Die andere

Schwester löst eine Flut an Öl aus, die auf den Innenhof hereinschwappt und alle zu ertränken

droht. Da sich die Tore zum Hof automatisch schließen, kann der Trupp nur in eines der leer-

stehenden Gebäude fliehen. Auf dem Weg dorthin wird Peeta von seiner Gehirnwäsche einge-

holt und attackiert Katniss. Leutnant Mitchell, der dazwischen geht, stirbt. Nur Finnick kann

Peeta mit seiner Körperkraft im Zaum halten und ihnen gleichzeitig zur Flucht verhelfen. Auf-

gezeichnet wird das Geschehen durch Überwachungskameras im Hof und kurz darauf als

„MANDATORY VIEWING“ im TV gezeigt, moderiert von Caesar Flickerman. Außerdem

ausgestrahlt wird eine Szene, in der ein Trupp an Friedenswächtern jenes Hochhaus in die Luft

jagt, in das sich der Startrupp zuletzt geflüchtet hat. Allerdings sind die Überwachungskameras

durch die Flut an Öl beschädigt worden, sodass nicht zu sehen ist, wie der Rest des Startrupps

– bis auf die zurückgebliebenen Leeg-Schwestern – das Haus vor der Ankunft der Friedens-

wächter auch wieder verlassen hat. So können Katniss und der Rest an Überlebenden in einer

leerstehenden Wohnung, auf der anderen Seite des Hofes, der eben genannten Live-Übertra-

gung beiwohnen. Nicht nur der vermeintliche Tod von Katniss Everdeen wird als bedeutsames

Ereignis verkündet. So, als wären sie Tribute in den Hungerspielen, setzt jene, aus der Arena

bekannte, Zeremonie ein, in der die Gesichter der Gefallenen gezeigt werden, unterlegt von der

Nationalhymne Panems. Das letzte Bild zeigt Katniss. Beinahe bündig erscheint daraufhin das

Gesicht Präsident Snows. Anlässlich des Todesfalls von Katniss hält er eine Live-Ansprache,

die sich insbesondere an die Rebellierenden richtet: „So, Katniss Everdeen, a poor unstable girl

with nothing but a small talent with a bow and arrow, is dead. Not a thinker, not a leader. Simply

a face plucked from the masses. Was she valuable? She was extremely valuable to your rebel-

lion because you have no vision, no true leader among you. You call yourselves an alliance.

But we saw, what that means. Your soldiers are at each other’s throats.“ (The Hunger Games:

Mockingjay – Part 2 2015: 00:45:41-00:57:05)

Plötzlich beginnt das Bild zu flackern, eine verzerrte Stimme versucht die Übertragung

zu durchbrechen. Das Gesicht von Präsidentin Coin erscheint und unterbricht Snows Anspra-

che. Stattdessen wird nun ihre Rede in ganz Panem ausgestrahlt. Für jene, die sie noch nicht

kennen, stellt sie sich zunächst als Präsidentin und Anführerin der Rebellion vor: „I am Presi-

dent Alma Coin, leader of the rebellion. I have interrupted a broadcast from your President in

which he attempted to defame a brave young woman. ‚A face picked from the masses,‘ he called

her, as if a leader, a true leader, could be anything else. I had the privilege of knowing a small-

town girl from the Seam in District 12 who survived the Hunger Games and the Quarter Quell

115

and rose up and turned a nation of slaves into an army!“ Bei diesen letzten Worten wird ihre

Stimme lauter und beginnt scheinbar vor Emotion zu zittern. Dann fährt sie fort: „Dead or alive,

Katniss Everdeen will remain the face of this revolution! She will not have died for nothing.

Her vision and ours will be realized. A free Panem, with self-determination for all. And in her

memory, we will all find the strength to rip Panem of its oppressors. Thank you. Be save.“ (The

Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:57:06-00:58:09)

Diese Übertragung der Rebellionsallianz endet mit der Einblendung eines neuen Wap-

pens vor einem himmelblauen Hintergrund, überblendet von einem Porträt von Katniss in ihrem

Spotttölpel-Kostüm. Darunter steht in Großbuchstaben: „REMEMBER THE MO-

CKINGJAY“. Im Hintergrund zu hören ist die Spotttölpel-Melodie. (The Hunger Games: Mo-

ckingjay – Part 2 2015: 00:58:10-00:58:13, siehe Abb. 35)

Abbildung 35: REMEMBER THE MOCKINGJAY (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 00:58:13)

Das nächste – und zugleich allerletzte – Mal in ihrem Spotttölpel-Kostüm zu sehen ist Katniss

in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015) bei der angeordneten Exekution Snows.

Nachdem sich über den Köpfen der Zivilbevölkerung bei ihrer Evakuierung vor der

Villa des Präsidenten explosive Fallschirme entladen hatten, konnten sich die Rebellierenden

Zugang zum Anwesen verschaffen und Snow festnehmen. Da die Fallschirme aus einem Flieger

mit dem offiziellen Wappen des Kapitols abgeworfen worden sind, wurde allgemein angenom-

men, Snow sei für den Angriff verantwortlich gewesen. Weil auch Kinder von Friedenswäch-

tern und Bewachern der Villa unter den Opfern gewesen sind, fiel der letzte bewaffnete Wider-

stand. „Everybody felt it“, erzählt Haymitch Katniss, die sich auf einem Krankenbett von den

erlittenen Brandnarben erholt. (Ebd.: 01:36:23-01:39:15)

Aber Katniss beginnt nach einem Gespräch mit dem festgenommenen Präsidenten zu

begreifen, dass die hinterlistige Attacke im Auftrag Coins geschehen war. Spätestens, als sie

116

sich eigenmächtig zur Übergangspräsidentin ernennt und zur Bestrafung von Snows Gefolgs-

leuten neue Hungerspiele, bei denen nur Kinder des Kapitols antreten sollen, einführen will,

glaubt Katniss an ihre Schuld. Dennoch stimmt sie in einer Abstimmung, an der alle überleben-

den Sieger_innen bisheriger Hungerspiele teilnehmen, für eine Abhaltung der Spiele – sofern

sie im Gegenzug Snow bei der öffentlich angeordneten Exekution hinrichten dürfe. Haymitch,

dessen Stimme das Zünglein an der Waage ist, schaut Katniss bei ihrer Verkündung nachdenk-

lich von der Seite an, und schließt sich ihr nach einem kurzen Moment des Zögerns an, obwohl

er sich zuvor negativ über Coins Idee geäußert hat. Dabei sagt er: „I’m with the Mockingjay.“

(The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 01:41:51-01:48:45)

So kommt es also, dass Katniss ein letztes Mal in ihr Spotttölpel-Outfit schlüpft. Effie

hilft ihr bei den finalen Vorbereitungen in der Villa. Wiederum trägt Katniss ihren geflochtenen

Zopf seitlich, ihr Make-Up ist dunkel und ausdrucksstark. „Der letzte Schliff“, wie Effie sagt,

ist der Pfeilköcher. Während sie diesen noch schnell holt, schaut Katniss auf eine Nachtriegel-

Pille in ihrer Hand und schiebt sie sich unbemerkt unter eine Falte ihres Kostüms, bevor Effie

ihr den Köcher am Rücken befestigt. (Ebd.: 01:48:50-01:49:13)

Derart ausgestattet, marschiert Katniss zu Fuß die „Allee der Tribute“ entlang. Wiede-

rum wird ihre Ankunft begleitet von Trommelnden, doch ansonsten sind weder eine Hymne,

Musik, noch eine Moderation oder andere Geräusche aus dem Publikum zu hören. Neben der

Straße und auf den Tribünen stehen abwartend tausende Menschen. Die meisten von ihnen tra-

gen dunkle, einfache Kleidung. Jene, die an den Seiten stehen, strömen bald hinter Katniss in

die Straße und folgen ihr in gemäßigtem Abstand. Am Ende des Weges, auf einem runden Platz,

warten die sechs verbliebenen Sieger_innen in einer Linie. Präsident Snow blickt in ihre Rich-

tung, an einem steinernen Pfahl festgebunden. Auf einem Podest hinter ihm hat Alma Coin

stehend Position bezogen. In ihrer Rede heißt sie die Anwesenden in einem „neuen“ und

„freien“ Panem willkommen. Sie seien heute nicht nur für das Spektakel versammelt, sondern

auch, um „einem historischen Augenblick der Gerechtigkeit beizuwohnen.“ Cressida und Pol-

lux filmen bereits. Coin kündigt das kommende Geschehen an: Die „größte Freundin der Re-

volution“ werde mit ihrem Pfeilschuss das Ende von Krieg und Tyrannei einleiten. „Today, the

greatest friend to the revolution will fire the shot to end all wars. May her arrow signify the end

of tyranny and the beginning of a new era.“ Anschließend senkt sie ihren Blick nach unten und

spricht direkt zu Katniss, sie ein allerletztes Mal als Spotttölpel adressierend: „Mockingjay,

may your aim be as true as your heart is pure.“ (Ebd.: 01:49:13-01:51:03)

Daraufhin nimmt Katniss einen Pfeil aus ihrem Köcher und zieht konzentriert ihren Bo-

gen auf. Während dieser Bewegung fixiert ihr Blick das Ziel, das wenige Meter vor ihr steht,

117

nämlich Präsident Snow. In der nahen Einstellung ist ihr Kostüm gut erkennbar. Wiederum

trägt sie die nunmehr schwarze Spotttölpel-Brosche über ihrem Herzen; ihre langen Haare fal-

len in einem Zopf über die rechte Schulter. Alle Augen der Umstehenden sind auf Katniss ge-

richtet, ebenso Snows. Die Menge verharrt in Ruhe. Mit aufgezogenem Bogen hält Katniss

einige Sekunden inne (siehe Abb. 36), bis der Fokus ihrer Augen plötzlich nach oben gleitet.

Dazu hebt sie leicht ihren Kopf und ihren linken Arm, dem entlang sie den Pfeil in die Sehne

aufgespannt hat. Dann lässt Katniss den Pfeil fliegen (siehe Abb. 37). Er surrt über den Kopf

von Präsident Snow hinweg und trifft stattdessen Coin, die mit ausgebreiteten Armen auf dem

Podest steht, tödlich über dem Herzen. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015:

01:51:04-01:51:34)

Abbildung 36: Katniss zielt auf Snow (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 01:51:17)

Abbildung 37: Katniss schießt auf Coin (The Hunger Games: Mockingjay - Part 2 2015: 01:51:31)

Coin fällt von ihrem Podest hinab und zu Boden. Der Pfeil steckt tief in ihrem Brustkorb. Kat-

niss Mundwinkel verziehen sich minimal zu einem andeutungsweisen Grinsen. Snow beginnt

118

lauthals zu lachen. Der Aufruhr ist groß und die tobende Menschenmenge stürzt nach vorne,

auf den ehemaligen Präsidenten zu. Katniss zieht die Nachtriegelpille aus ihrem Kostüm. Doch

der herbeigeilte Peeta entreißt sie ihr, bevor die junge Frau von zwei Männern, in den grauen

Uniformen der Rebellion, seitlich an den Armen gepackt und rückwärts fortgebracht wird. So

kann sie noch mitansehen, wie der wütende Mob über Snow herfällt. Im Hintergrund bestätigen

zwei Männer in grauer Uniform indes den Tod von Coin, da sie ihre ehemalige Übergangsprä-

sidentin am Boden liegen lassen. Ein letzter Schnitt auf das Gesicht von Katniss zeigt, wie sich

darin ein grimmiger und zugleich relativ zufriedener Ausdruck abzeichnet. (The Hunger Ga-

mes: Mockingjay – Part 2 2015: 01:51:35-01:52:02)

3.4.1.3 Katniss & Peeta: „Das tragische Liebespaar“ Obwohl Katniss und Peeta in „The Hunger Games“ (2012) zunächst als eine Einzelkämpferin

und ein Einzelkämpfer, die eigentlich in direkter Konkurrenz zueinanderstehen, in die Arena

einziehen, wird spätestens ab dem medial übertragenen Liebesgeständnis von Peeta zwischen

den beiden Teenagern eine romantische Verbindung hergestellt, die ihrer ursprünglichen Rolle

als Widerparte entgegenläuft. Zu Beginn der Spiele ist Peeta nur der „lover boy“, wie Cato, ein

Karrieretribut aus Distrikt 1, ihn spöttisch bezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt sind seine offen-

barten Gefühle für Katniss von ihr noch nicht erwidert worden. Aber mit Peeta steht dem Mäd-

chen – das als „Girl on Fire“ in die Spiele gegangen ist und welches bereits ab dem Tag seiner

freiwilligen Meldung das Publikum Panems mit seinem Mut beeindruckt hat – ein fürsorglicher

und kräftiger Bursche zur Seite, der aufgrund seiner Gefühle sein eigenes Leben für Katniss

opfern würde. So rettet er ihr in den Hungerspielen nicht nur über sein Handeln wiederholt das

Leben, sondern auch über ihre vermeintlich bestehende Liebesbeziehung, bekannt als „das tra-

gische Liebespaar aus Distrikt 12“, wie Haymitch sie passenderweise bezeichnet.

Denn zu jenem Zeitpunkt, als die symbolische Beerdigung von Rue zu ersten Aufstän-

den in Distrikt 11 geführt hat, kann Haymitch den Obersten Spielmacher davon abhalten, Kat-

niss in der Arena umkommen zu lassen: „Don’t kill her! You’ll just create a martyr“, sagt er zu

Seneca Crane. Es gäbe noch eine andere Strategie, neben jener der Einschüchterung, um auf-

keimende Aggressionen und Unruhen zu besänftigen, nämlich die „junge Liebe“ zwischen Kat-

niss und Peeta, für welche die Menschen Panems begeistert werden könnten: „If you can’t scare

them, give them something to root for.“ (The Hunger Games 2012: 01:43:00-01:43:39)

Infolgedessen wird in der Arena eine Regeländerung verlautbart, wonach es einen Sie-

ger und eine Siegerin geben könnte, sofern beide aus dem gleichen Distrikt stammen. Katniss,

119

die in diesem Moment mit verweinten Augen trauernd am Waldboden hockt, lauscht aufmerk-

sam der Ankündigung. Dann flüstert sie „Peeta“, packt hastig ihren Rucksack, Bogen und Pfeil-

köcher und begibt sich auf die Suche nach dem Jungen. Sie findet ihn neben einem Fluss, ge-

tarnt als Stein und versteckt unter einer Schicht Moos. Sichtlich erleichtert umarmt sie ihn fest,

seinen Kopf liebevoll an ihre Brust gedrückt, nachdem sie ihm beim Aufsitzen geholfen hat.

Infolge einer entzündeten Wunde am Oberschenkel kann Peeta sein Bein nicht mehr belasten.

Daher stützt Katniss ihn auf dem Weg in eine nahegelegene Höhle, wo sie sich gemeinsam

verstecken. Während Peeta auf dem Rücken liegt, hockt Katniss neben ihm. Sie versucht dem

Jungen Mut zuzusprechen. Ihnen würde schon einfallen, wie sie es schaffen könnten; und sie

küsst ihn zärtlich auf die Wange. Dies ist der erste intime Moment zwischen den beiden, medial

erfasst von Kameras, die sich auch in der Höhle befinden. Denn der nächste Filmschnitt zeigt

Distrikt 12, wo eine Handvoll Frauen und Männer in einem Haus vor einer Projektion, die genau

diese Live-Übertragung der Hungerspiele zeigt, steht, während Gale im Hintergrund mit Ko-

chen beschäftigt scheint und seinen Blick nur kurz der Projektion zuwendet. Anschließend zeigt

die darauffolgende Szene, wie Katniss die schützende Höhle verlässt, durch das Klingeln eines

Rettungsschirms gelockt. In der Metallkapsel befindet sich neben einer stärkenden Suppe für

Peeta eine Botschaft für Katniss, geschickt von Haymitch: „YOU CALL THAT A KISS? - H“.

Das Mädchen kehrt in die Höhle zurück und füttert Peeta mit der erhaltenen Suppe. Als wenig

später für den nächsten Tag ein Festmahl am Füllhorn angekündigt wird, ist ihr sofort klar, dass

sie für Peeta dort eine überlebensnotwendige Medizin abholen würde. Er jedoch will sie abhal-

ten, für ihn ihr Leben zu riskieren. Er fragt sie, warum sie das mache, doch statt ihm zu antwor-

ten, küsst sie ihn auf den Mund. Diesen ersten innigen Kuss zwischen Katniss und Peeta sieht

wiederum Gale bei sich zuhause. (The Hunger Games 2012: 01:44:30-01:51:45)

Nachdem Katniss von ihrem Ausflug zum Füllhorn erfolgreich mit einer Heilsalbe zu-

rückgekehrt ist, kommt es zum nächsten intimen Moment zwischen ihr und Peeta: Sie appliziert

mit ihren Fingern Salbe auf seinem verletzten Oberschenkel. Im Gegenzug schmiert Peeta vor-

sichtig ein wenig der Medizin auf einen frischen Schnitt über ihrer linken Braue. Dabei sehen

sich die beiden lange und tief in die Augen; Katniss lächelt andeutungsweise. Im Hintergrund

setzt sanfte Musik ein. Ein Schnitt ins Studio der Spielmacher zeigt, wie sie das Paar intensiv

beobachten. Spätestens am nächsten Morgen, als die beiden eng aneinander gekuschelt erwa-

chen und ihre Wunden fast gänzlich abgeheilt sind, keimt unter ihnen Hoffnung auf: „We could

go home. We could. We’re the only team left“, stellt Katniss fest. Peeta wiederholt: „We could

120

Abbildung 38: Nachtriegel in Händen (The Hunger Games 2012: 02:08:36)

Abbildung 39: Nachtriegel-Szene live übertragen (The Hunger Games 2012: 02:08:11)

go home.“ Indes sehen sich die beiden innig an, lächeln und umarmen sich, während im Hin-

tergrund noch immer dieselbe sanfte Weise erklingt. (The Hunger Games 2012: 01:55:46-

01:57:40)

Schlussendlich schaffen Katniss und Peeta es tatsächlich, gemeinsam alle anderen Tri-

bute zu überleben. Doch dann verlangt eine Männerstimme aus dem Lautsprecher wieder nach

Aufmerksamkeit. Alarmiert beginnt Katniss ihren Bogen aufzuziehen. Die Stimme verkündet

aus dem Off, dass die Regeländerung wieder zurückgenommen worden sei; es könne nur eine_r

von beiden gewinnen. Peeta scheint weniger überrascht oder erschüttert zu sein scheint als Kat-

niss, die ihm mit halb aufgezogenem Bogen und entsetzter Miene gegenübersteht. Auf die

Waffe in ihren Händen schauend fordert Peeta Katniss auf, ihn zu töten, damit sie als Siegerin

nachhause fahren könne. „One of us has to die. They have to have a winner“, meint er. Doch

Katniss schüttelt den Kopf, verneint und wirft ihren Bogen zu Boden. „No. They don’t!“, sagt

sie mit trotziger und zugleich fester Stimme. Sie ersucht Peeta, ihr zu vertrauen und reicht ihm

gesammelte Nachtriegel. Sie zählen abwechselnd und sehr langsam bis Drei, während das ganze

Land zusieht (siehe Abb. 39). Der schockierte Seneca Crane befindet sich gerade im Studio der

Spielmacher, Gale inmitten der versammelten Bewohner_innen von Distrikt 12 und Haymitch

im Kapitol. Während Katniss und Peeta die giftigen Beeren an den Mund führen (siehe Abb.

38), schreit die Männerstimme aus dem Off eindringlich „Stopp!“ und erklärt beide zu den

Siegern der 74. Hungerspiele. (Ebd.: 02:06:28-02:08:50)

Beim Abschlussinterview der Hungerspiele bei Caesar Flickerman erzählt Katniss – von Hay-

mitch zuvor entsprechend unterrichtet – sie sei die glücklichste Person auf Erden gewesen, als

sie Peeta beim Fluss gefunden hatte. Ein entzücktes „Oooh“ ist aus dem Publikum zu hören.

Katniss‘ aufgesetztes Lächeln weicht einem ernsteren Gesichtsausdruck, während sie sich von

Flickerman ab- und dem Jungen zuwendet. „I couldn’t imagine life without him“, sagt sie zu

Peeta. Dieser nimmt ihre Hand und konstatiert, sie habe ihn gerettet. Katniss entgegnet: „We

saved each other.“ Erneut geht ein gerührtes Raunen durch das Publikum. In all der Zeit lächelt

121

Peeta häufig ansatzweise. Er wirkt ehrlich erleichtert und berührt. Katniss hingegen wirkt un-

sicher, ihr Lächeln ist oft zu breit, zu künstlich, während ihre Augen relativ ernst bleiben; sie

zuckt unruhig mit dem Kopf hin und her, ihre Körperhaltung ist statisch und verkrampft. Den-

noch scheinen die beiden das applaudierende Studiopublikum von ihrer Liebe überzeugt zu

haben. Auch Flickerman wirkt berührt und lächelt. Die LED-Videowände im Hintergrund sind

in kalten Rottönen gehalten. (The Hunger Games 2012: 02:10:10-02:10:56, siehe Abb. 40)

Bei ihrer Verabschiedung greift der Moderator noch einmal auf die Bezeichnung des „tragi-

schen Liebespaars“ zurück und entlässt sie mit folgenden Worten von der Bühne: „The star-

crossed lovers from District 12, this years victors oft he 74th annual Hunger Games!“ Das Pub-

likum jubelt. (The Hunger Games 2012: 02:10:57-02:11:06)

Auch in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) halten Katniss und Peeta ihren Ruf als

„tragisches Liebespaar“ aufrecht.

Zunächst müssen die beiden als Gewinnerpaar der vergangenen 74. Hungerspiele das

Volk Panems weiterhin davon überzeugen, „mit wahnsinniger, todesverachtender Inbrunst ver-

liebt [zu] sein“ („madly – prepared to end it all – in love“), wie Präsident Snow Katniss ein-

trichtert (ebd.: 00:08:53-00:08:57). Ähnlich instruiert Effie Trinket das Mädchen im Dorf der

Sieger vor Beginn der Live-Übertragung, welche die Siegestour einleitet: „You’re excited,

you’re in love, big smiles for the camera […]“ (ebd.: 00:11:10-00:11:13).

Wenige Sekunden zuvor ist das Siegerpaar von Caesar Flickerman – der die Übertra-

gung in einem Studio im Kapitol moderiert – als „schönste Lovestory, die es je gab“ angekün-

digt worden: „Last year, the 74th Hunger Games brought us the greatest love story of our time.

Two brave young people, that against all arts chose to die, rather than to lose each other. As a

nation we shared their agony. But we had so little time to revel in their joy.“ Dementsprechend

Abbildung 40: Das tragische Paar ist vereint (The Hunger Games 2012: 02:10:52

122

zeigen sich Katniss und Peeta bei ihrem Auftritt im Dorf der Sieger als überaus verliebt, glück-

lich und dankbar, nun zusammen sein zu können; das Studio-Publikum im entfernten Kapitol

jubelt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:10:41-14-00:12:30, siehe Abb. 41).

Aber auf der anschließenden Siegestour, die ebenso von medialer Übertragung begleitet wird,

wirken Katniss und Peeta als Liebespaar nicht überzeugend, wie Haymitch die beiden rügt. Um

Snow dennoch zu überzeugen, schlägt Katniss eine Hochzeit vor. Peeta willigt ein. (Ebd.:

00:22:31-00:23:05)

Folglich wird die Verlobung von Katniss und Peeta im Fernsehen angekündigt. Flicker-

man witzelt über die „lethal lovers“ – das sei sein liebster Ausdruck für das Siegerpaar aus

Distrikt 12. Er lacht, ebenso das Studiopublikum. Nun hätten die beiden Panem erneut über-

rascht: Im Hintergrund des Studios sind bereits aufgenommene Bilder zu sehen, wie Flickerman

mit seinem Mikrofon live zugegen gewesen ist, als Peeta, vor Katniss kniend, um ihre Hand

angehalten hat. Flickerman wirkt sichtlich begeistert. „The fairytale-ending for two star-crossed

lovers, that’s beautiful“, resümiert der Moderator. (Ebd.: 00:23:15-00:23:36, siehe Abb. 42)

Abbildung 42: Der Heiratsantrag (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:23:33)

Abbildung 41: Wahnsinnig verliebt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:12:21)

123

Auf der Feier, welche die Siegestour abschließt, gratuliert Präsident Snow den beiden frisch

Verlobten. Vor allen Gästen beendet er seinen Toast auf das Paar mit einer versteckten Drohung

an Katniss: „Your love has inspired us. And I know it will go on inspiring us – every day, for

as long as you may live.“ (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 00:27:51-00:28:57)

Aber noch vor der geplanten Verehelichung in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013),

werden Katniss und Peeta erneut zu Tributen der 75. Hungerspiele erwählt.

Beim Abschlussinterview vor Beginn der Hungerspiele im TV-Studio gibt sich Flicker-

man Katniss gegenüber enttäuscht über die verhinderte Hochzeit. Das Publikum stimmt ihm

mit leisem Gemurmel und einem tiefen „oooh“ zu. Daraufhin lenkt er das Gespräch auf ihr

Brautkleid, wodurch er wiederum eine heitere Stimmung in das Publikum zaubert. Zudem kom-

mentiert er es ganz aufgeregt: „I love it! Don’t you love it, folks? It’s incredible, it’s so gorge-

ous!“ (Ebd.: 01:06:55-01:08:12)

Anschließend interviewt Flickerman Peeta und spricht diesen in einem ebenso ernsten

Ton auf die Hochzeit an. Doch der Junge entgegnet, er und Katniss hätten heimlich geheiratet.

Ausrufe des Erstaunens sind aus dem Publikum zu vernehmen. „We want our love to be eter-

nal“, fügt Peeta hinzu. Die Studiogäste stimmen ein gerührt klingendes „Aaah“ an. Großauf-

nahmen einzelner Gesichter im Publikum zeigen weniger lächelnde, als vielmehr traurige und

ernste Mienen. Diese werden wenige Sekunden später von unzähligen schockierten und wüten-

den Gesichtern abgelöst (siehe Abb. 43), nachdem Peeta nach einigem Stottern und Zögern die

nächste Bombe platzen lässt: Katniss ist schwanger. Die Studiogäste sind empört. Entsetzt

schauen sie sich gegenseitig an, berühren sich teilweise untereinander, so als müssten sie sich

irgendwo festhalten, beginnen zu schreien und zu toben und springen von ihren Sitzen auf; ein

Tumult bricht aus (siehe Abb. 44). Der Moderator bittet die Menge, sich zu beruhigen. (Ebd.:

01:09:09-01:09:55)

Abbildung 43: Das Publikum ist entsetzt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:48)

Abbildung 44: Das Publikum tobt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:49)

124

Aber Flickermans Bemühungen, die gekippte Stimmung mit einem Lächeln im Gesicht und

einer beschwichtigenden Handgeste wieder unter Kontrolle zu bringen, sind vergeblich (siehe

Abb. 45). Indes umspielt ein unterdrücktes Lächeln die Lippen von Peeta, der den Blick von

Haymitch im Publikum sucht (siehe Abb. 46). Jener prostet ihm mit einem Flachmann zu. Fli-

ckerman bricht das Interview mit Peeta ab. Der junge Mann erklimmt zügig die Stufen hinter

der Bühne, die auf das Podest führen, wo Katniss und die anderen 22 Tribute stehend warten.

Im Hintergrund hat die Nationalhymne Panems eingesetzt und der Moderator versucht noch

immer, das entsetzte Publikum zu beruhigen. Währenddessen beginnen die Tribute, von Kat-

niss, Peeta und Finnick ausgehend, sich an den Händen zu fassen. Als sie diese gemeinsam in

die Luft erheben, tobt die Menge noch lauter und noch wütender. „Stop the Games!“, ist meh-

rere Male aus dem Publikum zu hören. Flickerman, der sich nicht mehr anders zu helfen weiß,

macht eine Geste hinter die Bühne, so als würde er sich die Kehle durchschneiden. Bevor alle

Lichter im Studio ausgehen, zeigt die letzte Aufnahme die dunklen Silhouetten der ehemaligen

Sieger_innen vor dem noch hellen Bühnenhintergrund, wie sie sich geschlossen an den Händen

halten (siehe Abb. 47). (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:50-01:10:35)

Präsident Snow, der die Szene wenig später mit seinem Obersten Spielmacher bespricht, meint

lapidar: „Look at this. They’re holding hands. I want them dead.“ (Ebd.: 01:13:30-01:13:35)

Abbildung 45: Flickerman beschwichtigt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:51)

Abbildung 46: Peetas Bombe ist geplatzt (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:09:54)

Abbildung 47: Tribute halten Hände (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:10:33)

125

Folglich werden die 75. Hungerspiele in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) trotzdem

abgehalten. Katniss und Peeta ziehen erneut als ein tragisches Liebespaar in die Arena.

Allerdings scheinen die Gefühle, die Katniss für Peeta empfindet, mittlerweile nicht

länger nur eine mediale Inszenierung zu sein. Sie wirken intensiver und wahrhaftig. Dies wird

besonders gut sichtbar, als Peeta in der Kampfarena einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet.

Während Finnick den jungen Mann reanimiert, schluchzt Katniss verzweifelt und spricht immer

wieder Peetas Namen aus. Als der Bursche wieder zu sich kommt, küsst Katniss ihn ohne zu

zögern auf den Mund, noch immer weinend und schluchzend um Atem ringend. Sie hilft Peeta

aufzustehen und umarmt ihn, am ganzen Körper zitternd. Indes sagt die Enkelin von Präsident

Snow, welche das Geschehen über einen Projektor in ihrer Villa verfolgt, ganz verzaubert über

die Szene und an ihren Großvater gewandt: „Someday, I want to love someone that much.“

(Ebd.: 01:21:20-01:22:49)

Einige Zeit später, als Katniss und Peeta nach Sonnenuntergang am Strand sitzen, er-

reicht die romantische Stimmung zwischen den beiden ihren bisherigen Höhepunkt: Peeta

meint zu seiner Geliebten, sie sei diejenige von ihnen beiden, die überleben müsse. Denn wenn

er selbst ohne sie überlebe, hätte er „nichts mehr – keinen, für den es sich zu leben lohnt.“ Dazu

überreicht er dem Mädchen das goldene Medaillon, das er um den Hals trägt. In diesem befin-

den sich Fotos von Katniss’ Mutter, ihrer Schwester Prim und Gale. Eindringlich sagt Peeta zu

Katniss, sie müsse für ihre Familie überleben. Ihn hingegen würde niemand brauchen. Aber

Katniss insistiert, sie würde ihn brauchen und küsst Peeta zum ersten Mal leidenschaftlich. Er

erwidert ihren Kuss; die beiden küssen sich lange und intensiv. Anschließend wirken sie inei-

nander versunken, ihre Köpfe aneinandergelegt, bis Johanna die beiden zum Aufbruch ruft:

„Alright, lovebirds!“ (The Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:57:51-01:59:18)

Ab dem nächsten Teil der Reihe, „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014),

wird das „tragische Liebespaar“ nicht länger explizit als solches benannt oder zusammen in den

Medien vorgeführt. Vielmehr zielt die mediale Inszenierung des Kapitols darauf ab, Peeta ge-

gen Katniss in der Rolle als Spotttölpel auszuspielen. Über mehrere Live-Sendungen mit dem

entführten jungen Mann wird gezeigt, was von diesem tragischen Liebespaar noch übrig ist,

seit Katniss offiziell auf die Seite der Rebellion gewechselt hat. Im Kapitol zurückgeblieben ist

ein gebrochener junger Mann. Gefoltert und unter Druck gesetzt, soll er Katniss‘ Reputation

als Spotttölpel beschmutzen, um die Ausbreitung der rebellischen Allianz zu unterbinden. (Vgl.

Kapitel 3.4.1.2.3)

Auch in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015) gelten Katniss und Peeta in

den Medien Panems nicht länger als ein Liebespaar. Bis zur Eroberung des Kapitols treten die

126

beiden nur im Kontext des Startrupps zusammen auf, jedoch in keiner engen Beziehung zuei-

nander. Vielmehr ist ihr Verhältnis durch Peetas Gehirnwäsche geschädigt. Insofern finden die

beiden erst am Ende der Geschichte als Paar wieder zueinander – diesmal jedoch fernab der

Medien Panems.

3.4.2 Die Medienlandschaft Panems

Gleichwohl die bisherige Analyse der medialen Gestalt(en) von Katniss Everdeen notwendi-

gerweise im Kontext der Medien Panems zu sehen ist, gehe ich im Folgenden noch auf zwei

Sendungen ein, die von der Macht in Panem hervorgebracht werden, anhand derer die geleistete

„affektive Arbeit“ besonders gut veranschaulicht werden kann: Ein Propagandavideo des Ka-

pitols, gefolgt von den Hungerspielen als Medienereignis.

3.4.2.1 Propagandavideo des Kapitols

In „The Hunger Games“ (2012) wird vor der Auslosung der Tribute für die 74. Hungerspiele

über eine große Leinwand/Videowand ein Kurzfilm gezeigt. Effie Trinket, die mit der Mode-

ration und Ziehung der Lose beauftragt ist, kündigt ihn mit begeisterter Stimme und einem

strahlenden Gesichtsausdruck an: „We have a very special film, brought to you all the way from

the capitol.“ (Ebd.: 00:12:59-00:13:05)

Abbildung 48: Atomkrieg und Tod im Propagandavideo (The Hunger Games 2012: 00:13:11)

127

Die erste Szene zeigt graue Totenköpfe, in mehreren Reihen aufeinandergestapelt, vor einem

blassgrauen Hintergrund. Auf die menschlichen Überreste regnet Asche. Gleichzeitig setzt eine

dramatische Musik im Hintergrund ein. Es handelt sich um eine Instrumentalversion von Pa-

nems Nationalhymne. Eine tiefe Männerstimme spricht aus dem Off20: „War.“ Eine Überblen-

dung lässt über den Totenköpfen einen brennenden Atompilz aufgehen (siehe Abb. 48). (The

Hunger Games 2012: 00:13:06-00:13:11)

„Terrible war. Widows, orphans, a motherless child,“ erzählt die Stimme weiter, wäh-

rend eine trauernde Frau mit zerzaustem Haar in Großaufnahme erscheint. Der Hintergrund ist

grau und verschwommen, als würde die Sonne durch eine Wand aus Aschenebel scheinen. Die

nächste Überblendung zeigt eine Masse gesichtsloser Menschen, die in Zeitlupe auf die Kamera

zumarschieren. Vor dem hellgrauen Hintergrund, in dem ein Feuer brennt, sind nur die Umrisse

ihrer Oberkörper und ihre behelmten Köpfe auszumachen; ihre seitlich angelegten, nach oben

getragenen Schusswaffen sind am besten zu erkennen. „This was the uprising that rocked our

land. Thirteen Districts rebelled against the country that fed them, loved them, protected them.

Brother turned on brother, until nothing remained.“ Die gezeigten Soldaten bekämpfen andere

Soldaten. Es brennt ein loderndes Feuer; alles andere ist nach wie vor unscharf und grau. Ein

paar vermummte Menschen tragen Gasmasken. (Ebd.: 00:13:11-00:13:28)

Es folgt ein plötzlicher Schnitt, der ein goldenes Getreidefeld vor einem wolkenlosen,

blauen Himmel zeigt. Die reifen Ähren bewegen sich im Wind. Dazu sagt die Männerstimme

aus dem Off, nun in einem etwas helleren Ton sprechend: „And then came the peace, hard

fought…“ – eine Überblende zeigt die dunklen Umrisse von einem kleinen Buben, an die Schul-

ter einer größeren, weiblichen Person gelegt, die beide in Richtung des hellen Hintergrunds,

Richtung der Sonne, über einer ebenso dunklen Bergkette blicken – „… sorely won.“ Eine wei-

tere Überblendung zeigt eine Baustelle, vom Boden aus gefilmt, während ein Kran eine Last

hebt. „A people rose up from the ashes and a new era was born.“ Eine neuerliche Überblendung

präsentiert einen jungen Mann, der ein lachendes Kleinkind mit seinen ausgestreckten Armen

spielerisch über seinen Kopf hebt und sich dabei im Kreis dreht. (Ebd.: 00:13:29-00:13:36)

Die Stimme aus dem Off fährt fort: „But freedom has a cost. And the traitors were de-

feated. We swore as a nation, we would never know this treason again.“ Folglich wird auf der

Videowand ein Vertrag mit einem Wachssiegel, welches das Nationalwappen Panems zeigt,

unterzeichnet, während die Männerstimme weiterspricht: „And so, it was decreed that each year

the various districts of Panem would offer up, in tribute, one young man and woman, to fight

to the death in a pageant of honor, courage and sacrifice.“ Während der letzten beiden Sätze

20 Es handelt sich um die Stimme von Präsident Snow.

128

sind ein junger, muskulöser Männerkörper, nur bekleidet in einer knappen, enganliegenden

Hose, gefolgt von einem jungen, athletischen Frauenkörper, der ebenso nur von einer kurzen

Panty und einem Bustier umhüllt wird, zu sehen. Der junge Mann hält ein Schwert in seiner

rechten Hand und bewegt sich aus einer leichten Hocke heraus in eine aufrecht stehende,

stramme Position, während er gleichzeitig seine zunächst hängenden Arme mit nach oben und

über seinen Kopf führt, wo sie zu einer triumphierenden Siegergeste erhoben bleiben. Die junge

Frau steht ebenso aufrecht und stramm, den Kopf erhoben; in ihrer rechten Hand hält sie eine

Lanze. Beide Körper stehen auf einem Podest vor dem hellen Hintergrund des Himmels, mit

einer strahlenden Sonne, und sind leicht von unten gefilmt, wodurch sie noch größer und im-

posanter wirken. Dann zeigt die Videowand eine Überblendung auf die Silhouette eines mus-

kulösen Männerkörpers, der mit seitlich und nach oben hin geöffneten Armen, den Kopf leicht

erhoben, vor den Umrissen von Baumkronen und einer imposanten Bergkette steht, über wel-

cher eine Sonne gerade auf- oder untergeht. Ihr strahlenförmiges Licht spiegelt sich in der Ka-

mera. (The Hunger Games 2012: 00:13:38-00:13:58)

Dazu erzählt die Männerstimme: „The lone victor bathed in riches would serve as a

reminder of our generosity and our forgiveness.“ Wiederum folgt ein Schnitt auf die zuschau-

enden Kinder im Publikum, sodass der Umriss des triumphierenden Männerkörpers die letzte

gut sichtbare Szene des Propagandafilms bildet und die Stimme aus dem Off daran geht, ihren

Vortrag zu beenden. „This is how we remember our past.“ Ein Close-Up auf das Gesicht von

Effie Trinket zeigt, wie diese ganz in der Rede versunken zu sein scheint und – mit geschlosse-

nen Augen und nickendem Kopf – leise die allerletzten Worte mitspricht: „This is how we

safeguard our future.“ (Ebd.: 00:13:58-00:14:09)

Bei den letzten Takten der Hymne richtet sich Effie Trinket mit einem strahlenden Ge-

sichtsausdruck dem Publikum zu, sagt „I just love that“, und dreht sich ein letztes Mal der

Videowand zu, sodass ihr Körper den Großteil der Anzeige verdeckt. Hinter ihr ist ein orange-

farbiger Hintergrund auf der Leinwand erkennbar, vermutlich der Himmel, vor dem mehrere

hohe Fahnenstangen dunkel aufragen. Am Boden bewegen sich, ganz klein in Relation zu den

hoch aufragenden Stangen, ein paar menschliche Gestalten. Der Film und die Musik kommen

zugleich an ihr Ende. (The Hunger Games 2012: 00:14:10-00:14:14)

Direkt danach verharren die versammelten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen in

einer angespannten Stille, ängstlich auf die Ernte wartend (ebd.: 00:14:16-00:14:24, siehe Abb.

49).

129

Während der Vorführung des Propagandafilms sind sie ebenso angespannt dagestanden, ihre

Augen auf die Leinwand gerichtet: Die Mimik und Gestik ihrer Körper verraten ihre Nervosität

und Furcht, eingesäumt von den steifen Körpern der abgestellten Friedenswächter, deren starre

Haltung einen Kontrast zu den unruhigen Kindern bilden. Insbesondere die jüngsten unter ihnen

wirken ängstlich. Einige Mädchen in vorderster Reihe fassen sich schutzsuchend an den Hän-

den. Auch Katniss‘ Blick ist angestrengt auf die Leinwand gerichtet, ganz im Gegensatz zu

jenem von Gale, der zu Boden blickt. Der Bursche ist bei Beginn des Clips noch zum Scherzen

aufgelegt: Über die Köpfe der anderen hinweg trifft sich sein Blick mit jenem von Katniss,

während Gales Lippen geräuschlos die ersten Worte des Videos formen, noch bevor sie laut

gesprochen werden. „War. Terrible war.“ Katniss lächelt, ihre Schultern zucken in einem an-

gedeuteten Gekicher. Doch mit dem Fortgang des Propagandavideos verfinstern sich ihre bei-

den Mienen wieder. Effie Trinket ist die einzige Person vor Ort, die auf den Kurzfilm mit Be-

geisterung reagiert. (The Hunger Games 2012: 00:12:59-00:14:24)

3.4.2.2 Die Hungerspiele als Medienereignis

In „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) wird anschau-

lich dargestellt, wie die alljährlichen Hungerspiele das größte Medienereignis Panems bilden,

dem sich kein Mensch in den Distrikten entziehen kann, oder möchte, befohlen bzw. ermöglicht

durch die großen Leinwände/Videowalls an öffentlichen Plätzen und den Filmprojektoren und

TV-Geräten zuhause, die sich scheinbar automatisch einschalten. Die Übertragungen werden

kommentiert von den Moderatoren Claudius Templesmith und Caesar Flickerman. Letzterer ist

zudem alleiniger Gastgeber jener TV-Shows, die anlässlich der alljährlichen Spiele im Kapitol

Abbildung 49: Mädchen warten ängstlich (The Hunger Games 2012: 00:14:18)

130

stattfinden. Von dort werden alle teilnehmenden Tribute vorab, sowie die überlebenden Sie-

ger_innen nachher, landesweit ausgestrahlt. Während all der Zeit bildet das Studio der Spiel-

macher jene Kommandozentrale, die zuständig für die Aufzeichnung und Ausstrahlung aller

Sendungen rund um die Hungerspiele ist. Dort wird im Sinne des Kapitols, zugunsten der wohl-

habenden Damen und Herren, die über Sponsorschaften und Wetten viel Geld investieren sol-

len, eine möglichst spannende Unterhaltungsshow kreiert.

Als offizielle Erklärung für die Abhaltung der Hungerspiele wird die Abstrafung der Distrikte

genannt, festgehalten im Staatsvertrag, der anlässlich des Hochverrats nach dem letzten Auf-

stand aufgesetzt worden ist. Der Oberste Spielmacher Seneca Crane geht vor Beginn der 74.

Hungerspiele in einem TV-Interview genau darauf ein: „I think it’s our tradition. It comes out

of a particularly painful part of our history“, sagt er zum Moderator Flickerman, der ihm

zustimmt. Aber diese „Tradition“, diese „Erinnerung an die Rebellion“, habe dem Land gehol-

fen zu heilen, meint Crane. Dabei hätten sich die Spiele zu etwas Größerem entwickelt, zu

etwas, das alle in Panem miteinander verbinde. Wörtlich sagt Crane: „But it’s been a way we’ve

been able to heal. At first it was a reminder of the rebellion. It was a price the Districts had to

pay. But I think it has grown from that. I think it’s a … It’s something that knits us all together.“

Aufgezeichnet wird das Interview zwischen dem Obersten Spielmacher und dem Moderator,

der immer wieder zustimmend nickt oder bejaht, vor einem anwesenden Live-Publikum in ei-

nem Studio im Kapitol. Die LED-Videowände im Hintergrund leuchten in verschiedenen Vio-

letttönen. (The Hunger Games 2012: 00:00:53-00:01:27) Im selben Studio werden, mit der glei-

chen violetten Farbpalette im Hintergrund, später die Interviews mit den Tributen aufgezeich-

net, mit Ausnahme von Katniss und Peeta, die bei ihren Auftritten vor dem Live-Publikum

rotorange Farbtöne auf den LED-Videowänden erhalten (Ebd.: 00:49:23-00:55:40; vgl. Kapitel

3.4.1.1).

Doch die landesweite mediale Übertragung der Tribute beginnt im Grunde viel früher,

nämlich am Tag ihrer Ernte: Als Katniss sich gemeinsam mit den anderen Kindern und Jugend-

lichen ihres Distrikts auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude versammelt, fällt ihr umher-

schweifender Blick u. a. auf eine Person, die, auf einem Dach stehend, das Geschehen mit einer

Kamera filmt. Daneben gibt es noch mehr Aufzeichnungsgeräte, zu sehen anhand der Bilder

auf der Videowand neben dem Gerichtsgebäude, welche die versammelten Menschen aus ver-

schiedenen Blickwinkeln abbilden, gut ausgeleuchtet von einer Vielzahl an Scheinwerfern.

(Ebd.: 00:12:00-00:12:12)

131

In der Kampfarena der Hungerspiele gibt es auch unzählige Kameras, welche die Tri-

bute allerorts und aus verschiedenen Perspektiven filmen. Dies wird Katniss sich bald persön-

lich gewahr, als sie, noch relativ am Beginn der 74. Hungerspiele, ein leises Surren neben sich

registriert und daraufhin eine Kamera entdeckt, die neben ihrem Kopf in einen Baumstamm

eingelassen ist, getarnt in einem Astloch. Nachdem sie direkt in diese Kamera hineinblickt,

folgt ein Schnitt, der ihr Gesicht aus der Perspektive der Kamera zeigt, zu sehen auf einem der

vielen Bildschirme im Studio der Spielmacher. (The Hunger Games 2012: 01:09:07-01:09:22)

Außerdem können die Spielmacher in „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger

Games: Catching Fire“ (2013) auf einer digitalen Karte der Arena, die sich inmitten ihres kreis-

förmigen Arbeitsplatzes befindet, stets den Standort aller Tribute mitverfolgen – ermöglicht

durch vorab implantierte Tracker. Sollten die angezeigten Bilder den Spielmachern nicht auf-

regend genug sein oder anderweitig nicht gefallen, können sie jederzeit von außen eingreifen.

Ferner können die Spielmacher auch gefährliche Tiere, wie beispielsweise mutierte Insekten

oder Raubtiere, auf ihren Computern generieren und an jedem beliebigen Ort in der Arena zum

Leben erwecken. Außerdem können sie das Klima, Wetter und Tageszeiten beeinflussen. Da-

neben sorgen sie dafür, dass jede Nacht in einer kurzen Zeremonie die Porträtfotos der tagsüber

gefallenen Tribute am Firmament der Arena erscheinen, während die Nationalhymne Panems

erklingt. Untertags verkünden Kanonen die Anzahl der verstorbenen Tribute; nach jedem Tod

ertönt jeweils ein Schuss in der Arena.

Kurzum bildet das Studio der Spielmacher in „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger

Games: Catching Fire“ (2013) jene Zentrale, in der alle Fäden für die mediale Aufzeichnung,

Steuerung und Übertragung der Hungerspiele zusammenlaufen. Dabei produzieren und beein-

flussen die Männer und Frauen unter den Anweisungen des Obersten Spielmachers wesentlich

die Bilder, die sie ausstrahlen, indem sie zunächst ein bestimmtes geografisches und klimati-

sches Terrain als Arena auswählen und nachher mit Waffen, Nahrungsmitteln, Fallen, Tieren

etc. ausstatten.

Ferner liegt es auch in der Macht der Spielmacher, die Spiele anderweitig vorab zu

beeinflussen, nämlich durch ihre finale Evaluation, die sie im Anschluss an die Trainingstage

für jeden einzelnen Tribut abgeben, wie dies in „The Hunger Games“ (2012) gezeigt wird.

Diese Beurteilung wird dann im TV als Punktzahl übertragen und dient als Einschätzung der

Gewinnchancen eines jeden Tributes. Je höher diese Zahl, desto besser stehen die Chancen der

jeweiligen Tribute, bereits vor Beginn der Spiele eine Sponsorschaft für sich gewonnen zu ha-

ben. Da die Trainingstage im Kapitol nicht medial übertragen werden, entscheiden insofern die

132

Spielmacher als Jury vorab, wer bessere Wettquoten, mehr Spenden und infolgedessen auch

höhere Chancen auf den Sieg erhält.

Im Fall der Evaluation von Katniss Everdeen im Rahmen der 74. Hungerspiele wird deutlich,

wie Katniss‘ Vorstellung ihrer Kampffähigkeiten die Jury nachhaltig bewegt. Zunächst zeigt

sich das Komitee – allen voran Seneca Crane als Oberster Spielmacher – von Katniss‘ Verhal-

ten überrascht bis schockiert, weil das Mädchen aus Zorn über die Unaufmerksamkeit der Jury

einen Pfeil zwischen ihre Köpfe schießt. Dann beendet sie diese Darbietung mit einer ironischen

Verbeugung und den Worten „Thank you for your consideration.“ (The Hunger Games 2012:

00:44:00-00:44:14)

Der eigentliche Effekt dieses Handelns nimmt erst in der TV-Übertragung, in der die

Bewertung verkündet wird, Gestalt an: Dort berichtet Caesar Flickerman mit einem breiten

Grinsen im Gesicht, Katniss habe eine Punktzahl von 11 erhalten (siehe Abb. 51). „I thought

they hated me!“, meint Katniss, worauf Haymitch ihr entgegnet: „Well, they must have liked

you, girl.“ Auffällig ist indes, dass Caesar Flickerman sich bei keinem der anderen Tribute,

deren Punktzahl er zuvor vorgelesen hat, derart erfreut zeigt, wie bei Katniss. Lediglich bei

Peeta und seiner Bewertung von 8 Punkten lächelt der Moderator ebenso. (Ebd.: 00:45:11-

00:46:18)

Abbildung 50: Spielmacher bei der Arbeit (The Hunger Games 2012: 01:03:05)

133

In weiterer Folge reagiert Flickerman in „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger Games:

Catching Fire“ (2013) stets begeistert, sobald Katniss auf der medialen Bildfläche erscheint.

Enthusiastisch kündigt er das Mädchen bei ihren Bühnenauftritten im Kapitol als „Girl on Fire“

an und freut sich jedes Mal sichtlich über ihre entflammbaren Outfits (vgl. Kapitel 3.4.1.1),

wodurch er einerseits die Begeisterung des Publikums gegenüber Katniss spiegelt, diese posi-

tive Resonanz jedoch auch lenkt und möglicherweise sogar steigert. Ebenso überschwänglich

und positiv angetan moderiert Flickerman außerdem jene Sendungen, in denen das „tragische

Liebespaar“ auftritt – insbesondere in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) – wodurch

die positive Stimmung der Kapitolbewohner_innen gegenüber der medial dargestellten Liebes-

geschichte auf Resonanz trifft, bis diese von Katniss‘ vermeintlicher Schwangerschaft erfahren.

Das Publikum ist dadurch derartig bewegt, dass Flickerman als Moderator zum ersten Mal nicht

mehr Herr der Lage ist (vgl. Kapitel 3.4.1.3).

Allgemein aber zeigt sich Flickerman in „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger

Games: Catching Fire“ (2013) als gelungener Showmaster der alljährlich stattfindenden Hun-

gerspiele, der auf das Verhalten und die Stimmungen seiner Interviewpartner_innen reagiert

und wiederum selbst als Moderator auf andere Menschen Einfluss nimmt. Dies gelingt ihm

wohl auch durch seine selbstbewusste, raumeinnehmende und extrovertierte, nonverbale wie

verbale Präsenz, mit der er das Studiopublikum im Kapitol jedes Mal bereits dann in einen

begeisterten Applaus ausbrechen lässt, wenn er, von Fanfarenmusik begleitet, exaltiert die

Showbühne betritt. Während seiner Begrüßung sind sein lauter Lacher und sein breites Lächeln,

welche strahlend weiße Zahnreihen entblößen, typische Verhaltensweisen, die er in späterer

Folge eben auch in Verbindung mit Katniss und Peeta ausgeprägt zeigt, als diese jeweils im

Kontext der 74. und 75. Hungerspiele auftreten (vgl. Kapitel 3.4.1.1, Kapitel 3.4.1.3).

Abbildung 51: Flickerman verkündet Katniss‘ Evaluation (The Hunger Games 2012: 00:46:10)

134

Nach Ausbruch der Rebellion in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014) gibt

es zunächst keine Hungerspiele mehr zu moderieren. Doch Flickerman tritt weiterhin in den

offiziellen Medien Panems, dem „Capitol TV“, in Erscheinung, diesmal bei den Live-Inter-

views mit Peeta, die landesweit alle Bildschirme angehen lassen. Die Körpersprache und die

verbalen Ausführungen des Showmasters, der seine Haare mittlerweile violett gefärbt hat, zei-

gen ihn nun von seiner ernsteren Seite, die sich ablehnend gegenüber Katniss äußert. Auch über

Suggestivfragen an Peeta versucht Flickerman, Katniss in ein schlechtes Licht zu rücken, da sie

sich in ihrer Rolle als Spotttölpel öffentlich gegen das Kapitol und die Hungerspiele gewendet

hat. Er drängt Peeta unterschwellig dazu, einen Waffenstillstand einzufordern. (The Hunger

Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:19:00-00:21:58, 00:58:50-01:00:30; vgl. Kapitel

3.4.1.2.3)

In „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015) wird der Kampf ums Kapitol dann

medial in Szene gesetzt mithilfe der Fallen der Spielmacher, quasi so, als wären es neue Hun-

gerspiele. Allgegenwärtige Überwachungskameras erlauben eine filmische Dokumentation des

Geschehens. Infolgedessen erscheint Flickerman ein allerletztes Mal auf den Bildschirmen Pa-

nems, wiederum vor einem violetten Studiohintergrund. Dargestellt wird er wie ein Nachrich-

tensprecher, dessen Oberkörper in Frontalansicht zu sehen ist, während er mit ernster Miene in

die Kamera spricht. Während seiner Begrüßung klingt im Hintergrund die Nationalhymne Pa-

nems aus, die seinen Auftritt für das offizielle Fernsehen des Kapitols angekündigt hat. In wei-

terer Folge trägt der Moderator mit einem finsteren Gesichtsausdruck die neuesten Nachrichten

vor, nämlich den vermeintlichen Tod von Katniss Everdeen und ihrer Allianz. Nach Flicker-

mans Verabschiedung erscheint das Bild von Katniss, nach den Fotos der anderen gefallenen

‚Tribute‘ der ‚76. Hungerspiele‘, neuerlich begleitet von der Hymne Panems. (The Hunger Ga-

mes: Mockingjay – Part 2 2015: 00:53:40-00:56:38)

Schließlich kann Coin nach der Eroberung des Kapitols in „The Hunger Games: Mockingjay –

Part 2“ (2015) ihren Plan, an der Tradition der Hungerspiele festzuhalten, bekanntermaßen nicht

mehr in die Tat umsetzen. Doch der ehemalige Oberste Spielmacher Plutarch Heavensbee be-

kommt unter der neuen Regierung Panems den Posten eines medialen Beraters. Was aus dem

Moderator Caesar Flickerman geworden ist, bleibt unerwähnt. Folglich gelangt durch das Auf-

keimen der Rebellion, und mit dem Tod von Coin und Snow, auch die Ära der Hungerspiele an

ihr Ende.

135

3.5 Interpretation Die nachfolgenden Erörterungen nehmen vorwiegend Bezug auf die Filmanalyse von „The

Hunger Games“, wie sie in Kapitel 3.4 dieser Arbeit ausgeführt worden ist. Ihre Kernpunkte

sollen zusammenfassend reflektiert und interpretiert werden, um sie in einem weiteren Schritt

mit dem theoretischen Rahmen zum Affekt und der Hoffnung, welcher in Kapitel 2 dargestellt

worden ist, verbinden zu können.

3.5.1 Katniss als Hoffnungsträgerin Angelehnt an die methodische Herangehensweise von Sara Ahmed (2004; 2014; vgl. Kapitel

2.1.6), die nach den Wirkungen von Emotionen, verstanden als Affekte, bei der Hervorbringung

von individuellen und kollektiven Körpern fragt, analysiere und interpretiere ich in diesem Ka-

pitel jene Effekte, welche die Hoffnung in der Filmreihe „The Hunger Games“ auf die Heraus-

bildung der medialen Körpergestalten von Katniss Everdeen, und die Formierung einer rebel-

lierenden Widerstandsallianz, hat.

Aus dem gesammelten Analysematerial zu den medialen Erscheinungsformen von Katniss (vgl.

Kapitel 3.4.1) lassen sich bestimmte Wörter, Bilder, Symbole, Zeichen, Farben, Klänge etc.

herausfiltern, die durch ihre wiederholte Verwendung an ihrem Körper haften bleiben und mit

einigen ihrer Charaktereigenschaften, und bestimmten Handlungsweisen, in Relation gebracht

werden, wodurch sich eine Konstante quer durch die Gesellschaft Panems, und alle medialen

Erscheinungsformen von Katniss, zu ziehen scheint: Das metaphorische Feuer der Hoffnung,

das mit Katniss ein ausführendes Äquivalent gefunden hat.

Daher lautet meine grundlegende Annahme, dass Katniss von Beginn an die Menschen

Panems mit Hoffnung(en) affiziert, wodurch sie in ihren hoffnungsspendenden Figuren hervor-

gebracht wird. Als Hoffnungsträgerin beginnt sie in ihren medialen Gestalten zu zirkulieren,

wodurch sie die Dekonstruktion des bestehenden Machtgefüges unter Snow, als auch die Bil-

dung einer Allianz aus Rebellierenden, maßgeblich beeinflusst und mitgestaltet, wie nachfol-

gend dargelegt werden soll.

Bereits im ersten Teil der Filmreihe, „The Hunger Games“ (2012), erhält Katniss die Zuschrei-

bung von einem „Mädchen, das in Flammen steht“. Sie ist „The Girl on Fire“. Diese Bezeich-

nung ist gegenständlicher und figurativer Natur zugleich:

136

Sinnbildlich tritt Katniss zum ersten Mal ‚brennend‘ für eine Sache ein, als sie sich bei

der Ernte der 74. Hungerspiele schützend für Primrose einsetzt. Ohne viel nachzudenken – ge-

wissermaßen im Affekt – meldet sie sich freiwillig als Tribut, sichtlich angetrieben von der

Furcht um das Leben ihrer kleinen Schwester und dem Willen, ihr helfen zu wollen. Das ener-

gische Auftreten von Katniss, mit dem sie spontan aus der Menge hervorplatzt, erstaunt, beein-

druckt und bewegt ganz Panem.

Gegenständlich baut der Stylist Cinna auf dieser couragierten Handlung und dem tapfe-

ren Charakter von Katniss auf. Mit seinen Kostümen verwandelt er sie bildlich in ein Mädchen,

das ‚Feuer und Flamme‘ ist. Dadurch wird der ‚brennende‘ Eindruck21, den Katniss bereits

durch ihr Verhalten bei der Ernte hinterlassen hat, unterstrichen und noch verstärkt. Diese mit-

reißende, bewegende Kraft, die Katniss auf die Menschen Panems hat, wird schon bei der Pa-

rade im Kapitol offensichtlich, als das Publikum in einen Begeisterungssturm ausbricht. Aber

auch die Spielmacher zeigen sich angetan von Katniss‘ Energie, die sich bei der finalen Evalu-

ation wiederum in einer spontanen und kühnen, wenngleich auch leichtsinnigen Handlung ent-

lädt. Dieses Verhalten bringt ihr eine besonders hohe Punktzahl und dementsprechend die Sym-

pathien potenzieller Geldgeber_innen ein, die ihr eine Sponsorschaft zukommen lassen möch-

ten.

Analog zu den Überlegungen von Ahmed (2004: 6f.; 2014; 191f.; vgl. Kapitel 2.1.6.1)

schließe ich daraus, dass Katniss bei jenen Menschen, die mit ihrem Körper in Kontakt kom-

men, als „Eindruck“ bestimmte Emotionen hervorruft, welche die weitere Interaktion mit ihr

maßgeblich beeinflussen. Über diesen ersten Kontakt formiert sich nach und nach die Gestalt

von einem „Mädchen, das in Flammen“ steht.

Allerdings scheint unter der Bevölkerung von Distrikt 12, in „The Hunger Games“ (2012), be-

reits vor Katniss‘ Antritt zu den Hungerspielen ein ‚Eindruck‘ von ihr entstanden zu sein, näm-

lich u. a. jener, wonach sie eine ausgezeichnete Jägerin sei. So glauben einige in ihrem Heima-

tort bereits vorab an Katniss‘ Chancen auf einen Sieg. Durch ihre Fähigkeiten als Bogenschüt-

zin könnte sie tatsächlich gewinnen; erste zarte Hoffnungen werden in sie gesetzt.

Daraus lässt sich mit Ahmed (2004: 7f.) ablesen, wie auch die Geschichten von der

Begegnung mit anderen Körpern einen Eindruck hinterlassen und Emotionen evozieren kön-

nen. Genaugenommen soll Peetas Mutter, seinen Angaben zufolge, über Katniss folgendes ge-

sagt haben: „District 12 might finally have a winner!“ (The Hunger Games 2012: 00:37:50-

00:37:59; vgl. Kapitel 3.4.1.1)

21 „I’m here to help you make an impression“, sagt Cinna zu Katniss (The Hunger Games 2012; vgl. Kapitel 3.4.4.1).

137

Diese gewählte sprachliche Formulierung stellt eine Mutmaßung über einen Sachverhalt

dar, der sich zukünftig erfüllen könnte. Da Hoffnung und Furcht sich stets dieses Moment der

Unsicherheit in der Vorwegnahme ihrer Erwartungen des Künftigen teilen (vgl. Kapitel 2.1.5.2,

Kapitel 2.2), wird meines Erachtens anhand dieser spezifischen Äußerung die Möglichkeit auf

einen Sieg angenommen, der tatsächlich eintreten könnte, wodurch Katniss bereits bei ihrem

Antritt zu den 74. Hungerspielen für jene Menschen zu einer Hoffnungsträgerin wird, die an

ihre Gewinnchancen glauben.

Mit diesem Vorschuss an Vertrauen ausgestattet, wird Katniss am Vorabend der Hun-

gerspiele von Flickerman, in „The Hunger Games“ (2012; vgl. Kapitel 3.4.1.1), zum ersten Mal

in den Medien als „Girl on Fire“ angekündigt. Das Interview rekurriert zum einen auf Katniss‘

freiwilliger Meldung als Tribut und vertieft zum anderen ihren ‚feurigen‘ Ausdruck mithilfe

eines orangeroten, funkensprühenden Kleides von Cinna. Passenderweise ist die Bühne bei den

Auftritten von Katniss und Peeta ebenso in ein warmes rotoranges Licht getaucht, das den Farb-

tönen von Flammen ähnelt. Ebenso ‚entbrannt‘ ist Peeta. Dies wird nicht nur gegenständlich

sichtbar, durch sein Outfit und das Bühnenbild, sondern auch im übertragenen Sinne, da er seine

heimlichen Gefühle für Katniss öffentlich macht. Gewissermaßen verzehrte er sich bereits seit

Jahren in einer heimlich ‚entflammten‘ Liebe für das Mädchen.

Folglich werden in „The Hunger Games“ (2012; vgl. Kapitel 3.4.1.3) die Tribute aus

Distrikt 12 – Katniss, als „das Mädchen, das in Flammen steht“ und Peeta, als der „Bäcker-

junge“ – zusammen zu einer neuen Verbindung, nämlich dem „tragischen Liebespaar“, wel-

chem die Sympathien des Landes zufliegen, wodurch sich der Affekt der Liebe zur Hoffnung

mischt. Trotz aller Widrigkeiten in den Hungerspielen dürfen sie gemeinsam die Hoffnung auf

einen Sieg schöpfen. Diese Hoffnung bewahrheitet sich zuletzt, obgleich Katniss sich dafür der

List mit den Nachtriegeln bedienen muss. Dadurch präsentiert sie wiederum ihren mutigen,

‚feurigen‘ Charakter. Gleichzeitig widersetzt sie sich mit ihrem Handeln öffentlich dem Regel-

werk, das nur eine Siegerin bzw. einen Sieger erlaubt. Ihre Hoffnung war nicht vergebens. Doch

damit verhöhnt sie die Macht des Kapitols, während ganz Panem live zusehen kann. Momente

wie diese sind es, die sie später als Spotttölpel bekannt werden lassen.

Um den ‚feurigen‘ Charakter von Katniss einzudämmen, kehrt sie im zweiten Teil der Film-

reihe, „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), erneut unter dem Titel „Girl on Fire“ in die

Medienlandschaft Panems zurück, allerdings von Präsident Snow unter Ausschluss der Öffent-

lichkeit eingeschüchtert, ihr widerständiges Handeln fortan als Ausdruck ihrer Liebe darzustel-

len. Die nachfolgende Verlobung des ehemaligen „tragischen Liebespaars“, dem nun die

Chance auf ein märchenhaftes Happy End gewährt wird, strahlen die Medien des Kapitols extra

138

in einer TV-Sendung mit Flickerman aus (vgl. Kapitel 3.4.1.3). Während der Übertragung ist

der Hintergrund der Videowände in genau jener violetten bis pinken Farbpalette gehalten, die

für Mediensendungen des Kapitols typisch ist. Daran wird sichtbar wie Snow, mithilfe der Dar-

stellungen von Katniss als Teil des Liebespaars mit Peeta, das Mädchen näher mit dem Kapitol

zu verbinden versucht, um die Menschen von ihrer Funktion als Spotttölpel abzulenken.

Die Schuld daran, dass es überhaupt so weit kommen konnte, wird bereits in „The Hun-

ger Games“ (2012) Seneca Crane, dem Obersten Spielmacher der 74. Hungerspiele, angehängt.

Er hat den Fehler begangen, Katniss in der Arena nicht zur rechten Zeit sterben gelassen zu

haben, etwa als sie Rue unerlaubterweise beerdigt hat, wodurch es zu ersten Aufständen in

Distrikt 11 gekommen ist, bei denen das Zeichen des Spotttölpels, anhand von Katniss‘ Hand-

geste, zum allerersten Mal imitiert worden ist. Dabei ist Crane noch zu Beginn der 74. Hunger-

spiele von Snow, der ihm die Bedeutung hinter den Spielen erläutert, eindeutig instruiert wor-

den, wie wichtig es sei, den „Funken“ der Hoffnung anhand von Katniss zu „kontrollieren“: „A

little hope is effective. A lot of hope is dangerous. A spark is fine, as long as it’s contained.“

(The Hunger Games 2012: 00:47:09-00:47:14)

Aber durch ihren Sieg bei den 74. Hungerspielen scheint dieser Funke mit dem „Mäd-

chen, das in Flammen steht“ bereits übergegriffen und in der Gesellschaft ein Feuer an Hoff-

nung entfacht zu haben, welches für das Regime Panems außer Kontrolle gerät. Der „Liebling

des Kapitols“ birgt zusehends eine Gefahr für die bestehenden Machtverhältnisse, da Katniss‘

Handlungen wiederholt widerständiger Natur sind, etwa, als sie sich in der Arena der List mit

den Nachtriegeln bedient, oder aber, als sie zuhause in Distrikt 12 die Auspeitschung von Gale

stoppen lassen kann. (The Hunger Games 2012; The Hunger Games: Catching Fire 2013)

Bei der Parade zu den 75. Hungerspielen, in „The Hunger Games: Catching Fire“

(2013), gehen die Kostüme von Peeta und Katniss erneut in Flammen auf (vgl. Kapitel 3.4.1.1):

Die begeisterten Moderatoren, die scheinbar auf ein neuerliches Feuer gewartet haben, kom-

mentieren das Geschehen mit entsprechenden Wörtern, die auf das ‚entbrannte‘ Paar hinweisen.

Während ihre Gewänder von Flammen verzehrt zu werden scheinen und bei ihrer Fahrt einen

enormen Funkenregen nach sich ziehen, skandiert die Menge laut Katniss‘ Namen. Die wieder-

holte Inszenierung von brennenden Kostümen scheint den starken Eindruck, den Katniss auf

das Volk ausübt, noch zu vertiefen.

Daran ist gut erkennbar, was Ahmed (2004; vgl. Kapitel 2.1.6) damit meint, dass die

repetitive Verwendung von Wörtern/Zeichen und Handlungen, über ihre Zirkulation innerhalb

der Gesellschaft, affektiv aufgeladene Objekte produziert und sich der affektive Wert noch stei-

gert, je mehr ein Objekt zirkuliert.

139

Folglich unternimmt Snow in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) einen letzten Ver-

such, Katniss als „Mädchen in Flammen“ in ihrer erneut ‚tragisch‘ gewordenen Liebesbezie-

hung zu Peeta semantisch wieder dem Kapitol näher zu rücken. Hierfür lässt er sie für das

abschließende TV-Interview bei Flickerman, der Katniss neuerlich als „Girl on Fire“ ankündigt,

ein Brautkleid vorführen. Allerdings verändert sich die Bedeutung desselbigen gegen Snows

Willen, als der weiße Stoff in lodernden Flammen aufgeht und verbrennt. Darunter kommt der

dunkle Stoff des „Spotttölpel-Kleids“, das Cinna für Katniss entworfen hat, zum Vorschein.

Das Studiopublikum im Kapitol zeigt sich begeistert. Spätestens hier wird aus Katniss, dem

„Mädchen, das in Flammen steht“, auch bildlich der personifizierte Spotttölpel (vgl. Kapitel

3.4.1.2.2).

Insofern wurden jene Zeichen, die im übertragenen oder gegenständlichen Sinn auf den

Spotttölpel verweisen, im Verlauf der „Hunger Games“-Filmreihe bisher derartig häufig im

Kontext der medialen Bilder von Katniss verwendet, bis sie, mit Ahmed (2004; 2014) gespro-

chen, an ihrem Körper „kleben“ geblieben sind.

Im späteren TV-Interview Peetas, in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl. Kapitel

3.4.1.3), das auf den Auftritt von Katniss im modifizierten Brautkleid folgt, ist auch für ihn die

Bühne wiederum in orangeroten Farben und flammenartigen Mustern gehalten. Passenderweise

trägt er einen weißen Anzug, als Flickerman ihn auf die verhinderte Hochzeit mit Katniss an-

spricht, wodurch die Aufmerksamkeit wiederum auf das „tragische Liebespaar“ gelenkt wird.

Allerdings nutzt Peeta seine Beziehung zu Katniss als widerständiges Potenzial gegen die

Macht Snows, gegen ein Abhalten der Hungerspiele, statt das Publikum des Kapitols über ihre

traumhafte und zugleich tragische Liebesgeschichte zu besänftigen – wie dies während der ver-

gangenen Hungerspiele noch funktioniert hatte.

Denn bisher galt ihre Liebesgeschichte, meiner Meinung nach, als ein romantischer

Hoffnungsschimmer am medialen Firmament von Panem, zumindest für all jene Menschen, die

sie als solche interpretieren wollten. Ihre Liebe zueinander spendete in der Arena der 74. Hun-

gerspiele die Hoffnung auf ein Überleben, die Hoffnung auf einen gemeinsamen Sieg. Nach

außen hin spendete sie möglicherweise auch eine Hoffnung für andere, ebenso eines Tages

lebend und als triumphierende_r Sieger_in aus den Spielen hervorzugehen. Oder sie symboli-

sierte simpel die Hoffnung, selbst eine derartig große Liebe finden zu können – wie sich etwa

an der Aussage von Snows Enkelin zeigt. Zumindest aber sollte diese hoffnungsspendende

Liebe des „tragischen Liebespaars“, von den Medien des Kapitols inszeniert, von den Gewalt-

taten Snows und dem aufkeimenden Widerstand in den Distrikten ablenken, und die Aufmerk-

samkeit des Publikums auf etwas Schönes, Märchenhaftes lenken. Sie sollte davon ablenken,

140

dass mit dem widerständigen Handeln des „tragischen Liebespaars“ vermutlich erste Hoffnun-

gen in der Bevölkerung dahingehend aufgekeimt sind, sich mit einem solch rebellischen Ver-

halten gegen das Kapitol erfolgreich durchsetzen zu können.

Analog gibt sich Peeta, der im Gegensatz zu Katniss immer schon ein überzeugender

Schauspieler war, in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl. Kapitel 3.4.1.3), in sei-

nem Interview mit Flickerman zunächst betont dankbar für die Zeit, die er seit seinem Sieg mit

Katniss erleben durfte. Sie hätten heimlich geheiratet und überdies sei Katniss schwanger. Es

ist sein eigenmächtiger Versuch, die Spiele stoppen zu lassen. Das Publikum reagiert entspre-

chend entsetzt. Eine werdende Mutter in ein tödliches Spiel zu schicken, scheint nicht mehr im

allgemeinen Interesse zu sein. Die Tribute auf der Bühne, die sich mittlerweile an den Händen

halten, zeigen symbolisch eine Einheit mit Peeta und Katniss, welche sich trotzig und standhaft

gegen die Hungerspiele, und somit gegen die Macht des Kapitols, wendet. Dass Katniss in die-

sem Moment ihr Spotttölpel-Kleid trägt, unterstreicht ihren symbolischen Widerstand. Das

Publikum, das lautstark einen Abbruch der Spiele einfordert, stellt sich sozusagen auf ihre Seite.

Somit bildet die medienwirksam inszenierte Lüge Peetas jenen Punkt, ab dem sich das „tragi-

sche Liebespaar“ nicht länger besänftigend auf die Stimmung des Volkes auswirkt, sondern nur

noch aufheizend. Insofern sieht der verärgerte Präsident Panems keine andere Möglichkeit zur

Demonstration seiner Macht, als an der Abhaltung der Hungerspiele festzuhalten.

Diese 75. Hungerspiele, in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl. Kapitel

3.4.1.2.2, Kapitel 3.4.1.3), schweißen Katniss und Peeta mit einer Allianz aus anderen Tributen

zusammen – welche vorab unter der Mithilfe von Haymitch organisiert worden ist. Katniss

entwickelt erstmalig tiefere, romantische Gefühle für Peeta. Dank der medialen Übertragung

kann ganz Panem weiterhin an ihrer Liebesbeziehung teilhaben, wodurch ihnen immer noch

Sympathien zufliegen. In einem intimen Moment überreicht Peeta seiner Geliebten ein golde-

nes Medaillon. Dieses Schmuckstück ist eines jener Erkennungsmerkmale, die zusammen mit

dem Armreif von Finnick bzw. Haymitch auf die goldene Spotttölpel-Brosche von Katniss ver-

weisen und ihre Zusammengehörigkeit symbolisieren. Ohne es selbst vorher gewusst zu haben,

nimmt Katniss den schützenswerten Mittelpunkt dieser Allianz ein. Während Peetas Handeln

durch seine Liebe motiviert ist, verfolgen die anderen einen geheimen Plan im Auftrag von

Coin, Heavensbee und Co: Katniss soll in der aufkeimenden Rebellion weiterhin als Hoffnungs-

trägerin dienen und ihre Rolle als personifizierter Spotttölpel spielen.

Diese symbolträchtige Führungsrolle als Spotttölpel hat das Mädchen bereits ab den 74. Hun-

gerspielen innerhalb der aufkeimenden Revolution eingenommen, wie in „The Hunger Games:

141

Catching Fire“ (2013) offensichtlich wird, so etwa, als Aufständische ein Plakat mit einem auf-

gemalten roten Spotttölpel hochhalten. Insofern räumt Snow, in einem Vieraugengespräch mit

seinem Obersten Spielmacher, die signalstarke, hoffnungsträchtige Wirkung von Katniss ein:

„[S]he’s become a beacon of hope for the rebellion.“ (The Hunger Games: Catching Fire 2013:

00:29:45-00:29:47; vgl. Kapitel 3.4.1.2.2)

Als „Bake der Hoffnung“ scheint Katniss in der „Hunger Games“-Reihe ein Orientie-

rungs- und Signalzeichen gleichermaßen zu sein. Ihre Signalkraft zeigt sich anhand der ver-

wendeten Symbolik des Spotttölpels im Kontext des Widerstands. Dies inkludiert Abbildungen

von Spotttölpeln, welche die gleiche Gestalt haben wie der Vogel auf Katniss‘ Brosche, aufge-

malt/aufgeklebt auf Plakaten, Mauern und dergleichen. Aber auch die spezifische Handgeste

als Gruß, die von Katniss bei Rues Beerdigung in den Hungerspielen verwendet worden ist und

seitdem allseits Bekanntheit erlangt hat, auch im Zusammenhang mit der gepfiffenen Melodie,

wird wiederholt verwendet, wodurch sie affektiv aufgeladen wird. Denn kurz zuvor noch hatte

Rue – die mit ihrer zarten Gestalt und ihrem Talent als geschickte Kletterin ohnehin an ein

flugfähiges Wesen erinnert – die Verknüpfung zwischen Katniss, ihrer Spotttölpel-Brosche und

den lebenden Spotttölpeln in der Arena hergestellt, indem sie diese für ihre Kommunikation

nutzen wollte. Insofern wird die Geste über ihre wiederholte Verwendung im Rahmen wider-

ständiger, mit Katniss sympathisierender Handlungen zu mehr als einem Gruß. Sie wird zu

einem Zeichen für den Spotttölpel/die Rebellion/die Hoffnung, verwoben mit der medialen

Darstellung von Katniss. Insofern wird Katniss zu einer Hoffnungsträgerin und Leitfigur, an

welcher sich die formierende Allianz aus Rebellierenden orientieren und affektiv aufladen

kann.

Dass es sich bei der Gestalt des Spotttölpels außerdem um einen Vogel handelt, könnte

überdies als Symbolik der Hoffnung interpretiert werden. Denn wie im Verlauf dieser Arbeit

(vgl. Kapitel 2.2.1) bereits erwähnt wurde, gelten Vögel seit Jahrtausenden als bekanntes Sym-

bol der Hoffnung allgemein, aber auch einer Hoffnung auf Freiheit im Speziellen.

Für die weitere mediale Inszenierung des Spotttölpels, in „The Hunger Games: Mockingjay –

Part 1“ (2014; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3), ist wiederum Cinna ein Outfit zu verdanken, das durch

seine Optik erneut an einen Vogel erinnert: Über den Schulterbesatz weißt es Parallelen zu

einem Gefieder auf, weshalb es dem Abendkleid für die Siegerparty und dem Spotttölpel-Kleid

bei Flickerman, in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl. Kapitel 3.4.1.2.2), ähnelt.

Allerdings ist das neue, sogenannte Mockingjay-Outfit (The Hunger Games: Mockingjay – Part

1 2014; The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015) kampftauglich und mit seinem kugel-

sicheren Brustpanzer praktischer Natur. Ferner greift es altbekannte Symbole, die seit den 74.

142

Hungerspielen mit Katniss verwoben sind, auf und interpretiert sie neu: Die goldene Spotttöl-

pel-Brosche wird erneut über dem Herzen getragen, ist jedoch dunkel übermalt worden. Der

seitlich getragene Zopf von Katniss, der in Panem zwischenzeitlich zur neuen Mode geworden

war, wird mit einzelnen, das Gesicht umrahmenden und aufwändig gestylten Haarsträhnen mo-

disch noch getoppt. Vollendet wird das Outfit durch einen schwarzen Bogen und Köcher, die

Katniss‘ Fähigkeiten als Schützin – die sie bereits in der Arena, im Kontext ihres widerständi-

gen Verhaltens, unter Beweis stellte – betonen.

In diesem „Mockingjay-Outfit“ wollen sich Heavensbee und Coin, für den Dreh der

Propagandavideos, Katniss‘ animierender Energie – mit welcher sie bereits ganz Panem „elek-

trisiert“ habe – bedienen, wie sie ihr in „The Hunger Games: Mockingjay Part 1“ (2014:

00:05:11-00:08:35; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3) eröffnen: „When you fired your arrow at the force

field, you electrified the nation.“ Derartig ‚entflammt‘ hätten sich bereits sieben Distrikte der

Rebellion angeschlossen. Zur weiteren Anfachung des Feuers, das das ehemalige „Mädchen in

Flammen“ als Spotttölpel bereits geschürt habe, sollen die sogenannten Propos dienen:

„Spreads the word that we’re gonna stoke the fire of this rebellion. The fire that the Mockingjay

started.“ Ferner brauche man eine „Stimme“ und ein „Gesicht“ der Rebellion, um die Aggres-

sionen der einzelnen Distrikte zu bündeln und gegen das Kapitol zu richten. Insofern zeigt sich

der ‚flammende Zorn‘22, den Katniss als Leitfigur des Widerstands empfindet und welcher sich

mit jeder Gräueltat von Präsident Snow noch steigert, für die Anheizung der Rebellion von

großem Vorteil.

In weiterer Folge werden die Zeichen des Spotttölpels, in „The Hunger Games: Mockingjay –

Part 1“ (2014: 00:42:05-00:51:50; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3), auch verwendet, als Katniss für den

Dreh der Propos zum ersten Mal in das Kriegsgebiet fliegt. Im Lazarett von Distrikt 8 vollführen

alle Anwesenden den spezifischen Gruß, um ihre Zugehörigkeit zur Rebellion und ihren Res-

pekt für Katniss – die laut eigenen Worten hier sei, um für sie zu kämpfen, gleichwohl sie ihr

ungeborenes Baby verloren habe – auszudrücken. Dass die letzten Überlebenden von Distrikt

8 offen mit dem Spotttölpel sympathisieren, ist wiederum für Snow ein Zeichen des verbotenen

Widerstands; er lässt einen Bombenangriff fliegen. Katniss, die daraufhin zwei Kampfjets mit

einem ihrer Pfeile in Flammen aufgehen lassen kann, präsentiert sich wunderbar für das Propa-

gandavideo in ihrer Rolle als Spotttölpel. Umrahmt wird sie von den brennenden Überresten

des Lazaretts. Voller Hass und Zorn auf Snow, ruft sie zum Widerstandskampf auf. Außerdem

spricht sie in die Kamera: „Fire is catching. And if we burn, you burn with us!“ Am Ende des

22 „Die Tribute von Panem – Flammender Zorn“ lautet der deutsche Buchtitel von „The Hunger Games: Mo-ckingjay“ von Suzanne Collins.

143

Propos folgt ein geschriebener Appell: „JOIN THE MOCKINGJAY – JOIN THE FIGHT“. Dieser wird

eingeblendet über einem animierten, in Flammen stehenden Spotttölpel, der erstmalig seine

Schwingen ausbreitet, unterlegt von der bekannten Spotttölpel-Melodie.

Ergo bedeutet ein Anschluss an Katniss einen Anschluss an einen mittlerweile losgelös-

ten, befreiten Spotttölpel, und dies bedeutet, vice versa, einen Anschluss an den entbrannten

Widerstandskampf.

Katniss, die über das frühere „Mädchen in Flammen“ nun im Film „The Hunger Games:

Mockingjay – Part 1“ (2014; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3) zum personifizierten, ‚brennenden Spott-

tölpel‘ der Rebellion geworden ist, kann als affizierende Leitfigur noch weitere Distrikte zum

Kampf unter der Allianz aus Rebellierenden vereinen. Dabei dienen die Zeichen des Spotttöl-

pels – bildlich und anhand der gepfiffenen Melodie – auch als Kommunikationssignale der Re-

bellierenden, wie etwa beim nächsten Aufstand in Distrikt 7 (ebd.: 00:53:42-00:55:29). Wie-

derholt wird außerdem Katniss‘ Satz aus dem Propo: „If we burn, you burn with us!“ (The

Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014: 00:51:37-00:51:40)

Ebenso wiederholt wird bei einem späteren Aufstand in Distrikt 5, im Film „The Hunger

Games: Mockingjay – Part 1“ (2014; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3), ein Lied, das durch ein Propo in

ganz Panem Bekanntheit erlangt hat: „The Hanging Tree“. Von Katniss gesungen und als Hin-

tergrundmusik des Videos verwendet, hat Heavensbee eine Textzeile digital verändern lassen:

Aus „rope“ wurde „hope“. Dadurch soll – im übertragenen Sinne – am Henkersbaum nicht

länger das Seil wie eine Kette um den Hals getragen werden, sondern die Hoffnung: „Wear a

necklace of hope, side by side with me.“

Da der Text des Liedes in der Ich-Form geschrieben ist und Katniss als Interpretin im-

mer wieder danach fragt, ob „du/ihr“ zum Henkersbaum kommen möget, wirken die Worte auf

mich, als ob Katniss zu einem vereinigenden Treffen aufrufen würde, bei dem die Eingeladenen

v. a. die Hoffnung „Seite an Seite“ bei sich tragen sollten. Und einen ähnlichen Effekt scheint

es in „The Hunger Game: Mockingjay – Part 1“ (2014) auf die Menschen Panems zu haben,

die sich gemeinsam, als vereinte Masse, todesverachtend in den Widerstandskampf stürzen.

Ihre Hoffnung auf eine Veränderung der politischen Verhältnisse, im Zusammenspiel mit einer

Wut auf das aktuelle Regime, scheint stärker, als die Furcht vor dem eigenen Tod.

Auch affiziert von diesem Propo, das vom „Hanging Tree“-Song untermalt wird, ist

Peeta, zu sehen in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 1“ (2014; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3).

Seine Reaktion könnte an Katniss‘ Stimme liegen, ihrer Gestalt oder den Bildern ihrer zerstör-

ten Heimat, die im Video zu sehen sind. Möglicherweise dringt auch die Gesamtheit an Ein-

drücken insoweit zu Peeta vor, dass er aus seinem tranceartigen Zustand – erzielt durch Folter

144

und Gehirnwäsche – aufwacht. Als Effekt zieht es ihn wiederum zu Katniss hin. Er bricht aus

der ihm aufgezwungenen Rolle, in der er die Bedeutung des Spotttölpels diskreditieren sollte,

aus und warnt Distrikt 13 vor einem kommenden Angriff Snows. Vermutlich liegt ihm dabei

eher Katniss am Herzen, als die Rebellion. Doch letztlich überleben alle Menschen in Distrikt

13 den Angriff, weshalb in weiterer Folge auch Peeta überlebt, da er von einem rebellischen

Trupp aus dem Kapitol gerettet werden kann. Coin erklärt in ihrer Ansprache die Befreiung der

Sieger_innen zum Zeichen einer Vereinigung, ganz im Sinne der Rebellion. Zusammen mit

dem Spotttölpel würden sie nun eine Einheit bilden, die ganz Panem zukünftig von der Macht

des Kapitols befreien würde.

Dementsprechend wird Katniss auch in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015; vgl.

Kapitel 3.4.1.2.4) weiterhin eingesetzt, um das ‚Feuer‘ der Rebellion zu ‚schüren‘. Angetrieben

von ihren Racheplänen an Snow – der aus Peeta ein emotionales Wrack gemacht hat – möchte

sie von sich aus an die Front, um den Truppen „einzuheizen“ („to fire up our troops“). Außer-

dem sollen die verbliebenen Anhänger_innen Snows mit der „Stimme“ des Spotttölpels zur

Kapitulation gebracht werden.

Als Katniss später, in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015; vgl. Kapitel

3.4.1.2.4), nach langer Zeit im Fernsehen des Kapitols wieder als „Girl on Fire“ bezeichnet

wird, erfolgt dies bei der Bekanntgabe ihres vermeintlichen Ablebens. Im Zuge ihres Todes,

den Kameras aufgezeichnet haben wollen, wird gleichzeitig auch die „Allianz“ der Rebellion –

anhand der Attacke von Peeta auf Katniss – für gescheitert erklärt. Aber Katniss ist nicht tot.

Sie ist live zugegen, unerkannt im Schutze der Menschenmasse aus Flüchtlingen, als die

Sprengfallen der Rebellierenden vor der Präsidentenvilla explodieren und ihre Schwester Prim-

rose töten. Auch Katniss fängt Feuer – doch diesmal im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Klei-

der beginnen zu brennen, wodurch sie körperliche Narben davonträgt. Emotional verwundet ist

sie durch den Tod von Prim, aber auch durch dieTatsache, dass Gale bis zuletzt auf der Seite

der Rebellion gekämpft hat. Insofern stimmt sie der Idee von Coin, als Bestrafung für die An-

hänger_innen Snows Kinder des Kapitols in den kommenden Hungerspielen antreten zu lassen,

„für Prim“ zu. Haymitch schließt sich Katniss an, indem er sagt: „I’m with the Mockingjay.“

Infolgedessen tritt Katniss am Ende von „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“

(2014; vgl. Kapitel 3.4.1.2.4) bei der angekündigten Exekution von Snow ein allerletztes Mal

als personifizierter Spotttölpel in den Fokus der Medien. Cressida und Pollux – die beiden

Überlebenden des ehemaligen Propo-Kamerateams – filmen Katniss, wie sie in ihrem Spotttöl-

pel-Outfit ihre Position bezieht. Coin, die sichtlich erfreut des kommenden Ereignisses harrt,

hält eine kurze Rede: Heute würde Katniss als „größte Freundin der Revolution“ jenen Pfeil

145

abschießen, der eine neue Ära einleite und die Tyrannei beende.23 Schließlich adressiert sie

Katniss am Ende ihrer Rede ein letztes Mal direkt als „Spotttölpel“: „Mockingjay, may your

aim be as true as your heart is pure.“ Daraufhin erschießt Katniss nicht Snow, sondern Coin.

Durch diesen Mord ermöglicht sie später die Abhaltung einer freien Wahl, in der Commander

Paylor zur neuen Präsidentin Panems auserkoren wird; die Hungerspiele werden endgültig ab-

geschafft. Insofern beendet der Spotttölpel tatsächlich die Tyrannei, wie Coin es sich wortwört-

lich gewünscht hatte.

Anhand dieser Ausführungen gelange ich zum Schluss, dass Katniss als „Girl on Fire“ den

Funken der Hoffnung über die Medien Panems gezündet, zusammen mit Peeta, als „tragisches

Liebespaar“, ihre Glut geschürt und als „Spotttölpel“ ein Feuer entfacht hat, das sich als Flä-

chenbrand auf ganz Panem ausgebreitet hat, bis die Symbole der Rebellion bis ins Kapitol vor-

gedrungen sind und dessen furchteinflößende Macht überrannt haben. Dabei ist die Hoffnung,

als Effekt der Zirkulation ihrer medialen Abbilder, an Katniss haften geblieben, wodurch sie zu

einer Hoffnungsträgerin geworden ist.

Katniss hat, als „das Mädchen, das in Flammen steht“, mit ihrem Feuer ein ganzes Land

in Brand gesteckt. Mit ihrem eigenen couragierten Handeln – das den medialen Berichterstat-

tungen vorausging, dort gezeigt wurde oder diesen folgte – konnte sie auf sich aufmerksam

machen und dadurch andere ebenso dazu bewegen, aus ihrer Furchtstarre aufzuwachen und

aktiv zu werden, bis das Feuer ihrer medialen Gestalt – untermalt durch eine entsprechende

Kleidung, rotorange Farben im Bildvordergrund oder -hintergrund und wiederkehrende sprach-

liche Muster, die auf ihr „Feuer“ hinweisen – nicht länger nur figurativer Natur war, sondern

im gegenständlichen Feuer der Kampfhandlungen resultierte.

Indes hat sie ihre Teilhabe am „tragischen Liebespaar“ für das Publikum noch beliebter

werden lassen und sich letztlich als unterstützender, lebensrettender Faktor ausgewirkt, der

auch über den gemeinsamen Sieg in der Arena hinaus anhielt. Gerade die enge positive Verket-

tung mit den Medien des Kapitols, die Peeta und Katniss als dramatisch-glückliches Paar in-

szenieren wollten, räumte ihnen ein großes subversives Potenzial ein, welches die beiden für

ihre widerständigen Anliegen zu nutzen vermochten. Dadurch konnten sie jene Flamme der

Hoffnung – die sich aus ihrer Liebe im übertragenen Sinn entzündete – am Brennen erhalten,

bis Katniss in den Medien der Rebellierenden als Spotttölpel die Hauptrolle eingenommen hat.

23 „Today, the greatest friend to the revolution will fire the shot to end all wars. May her arrow signify the end of tyranny and the beginning of a new era.“ (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 01:50:38-01:50:51; vgl. Kapitel 3.4.1.2.4)

146

Dadurch wird Katniss zur Hoffnungsträgerin der Revolution (gemacht). Als personifi-

zierte Vogelgestalt verkörpert sie die Hoffnung auf eine Befreiung aus der tyrannischen Unter-

drückung Snows. In ihrer Figur vereinen sich Hoffnungen auf eine Veränderung der sozialpo-

litischen Verhältnisse und auf eine Verbesserung der individuellen Lebenszustände. Folglich

gruppiert sich um Katniss ein Kollektiv an Rebellierenden, für welches Katniss als symboli-

scher Anker, einende Leitfigur und kraftvoller Katalysator von aggressiver, widerständiger

Energie fungiert. Dabei gibt es viele Menschen, die Katniss in ihrem Werdegang unterstützend

begleitet haben, wie etwa Rue in der Arena, Haymitch als Mentor, oder der Stylist Cinna, der

trotz seines Status als Kapitolbewohner bewusst den Weg in die Revolution gewählt hat. Bereits

sehr früh glaubt er an Katniss und rückt sie über seine Kostüme in den Mittelpunkt der medialen

Aufmerksamkeit, ähnlich wie Cressida und ihr Kamerateam, die aus dem Kapitol geflüchtet

sind, um Katniss in Szene setzen zu können. Gewissermaßen helfen diese Personen Katniss,

überhaupt zu einer Hoffnungsträgerin zu werden. Gespeist wird diese Allianz, die sich rund um

den personifizierten Spotttölpel bildet, aus der animierenden Wirkung der Hoffnung, welche

diese als Affekt haben kann. Ihre Zeichen sind alle Abbilder des Spotttölpels, sein Pfeifen und

die bekannte Handgeste, die Katniss erstmalig bei Rues Begräbnis verwendet. Als weiteren

Effekt verliert Snow mehr und mehr seiner ehemaligen Anhänger_innen, die er über Furcht zu

binden versucht. Im gleichen Maße, wie Snow seine symbolische Macht nach und nach abtreten

muss, wird er von den Widerständigen schlussendlich buchstäblich entmachtet.

Am Ende der Geschichte scheint die Hoffnung auf ein freies Panem für den Moment

erfüllt zu sein; die Revolution ist geglückt. Katniss geht in ihrer Rolle als völkerverbindende

Hoffnungsträgerin vollends auf.

In Anlehnung an Britta Timm Knudsen und Carsten Stage (2015; vgl. Kapitel 2.1.7), welche

mediale Erfahrungen als Katalysator der affektiven Zirkulation von verletzten Körpern unter-

sucht haben, möchte ich abschließend die Frage in den Raum werfen, inwieweit die medialen

Bilder von Katniss‘ verwundetem Körper vielleicht ebenso dazu beigetragen haben, sie zu einer

Hoffnungsträgerin, der Ikone des Widerstandskampfes, werden zu lassen:

Bereits in „The Hunger Games“ (2012) sehen die Menschen Panems, im Zuge der Hun-

gerspiele, Bilder von einem körperlich und mental verwundeten Mädchen, das trotzdem sieg-

reich aus der Arena hervorgeht. Mit dem Film „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl.

Kapitel 3.3.1.3, Kapitel 3.4.2.2) wird ihr Körper auf andere Weise verletzlich und hoffnungs-

tragend zugleich, als Peeta ihre vermeintliche Schwangerschaft verkündet. In „The Hunger Ga-

mes: Mockingjay – Part 1“ (2014; Kapitel 3.4.1.2.3) wird der Bevölkerung Panems nunmehr

weisgemacht, Katniss habe ihr Baby verloren.

147

Außerdem wird Katniss, in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015; vgl. Ka-

pitel 3.4.1.2.4), bei einer live-übertragenen Rede von einem Anhänger Snows angeschossen;

die Übertragung bricht ab. Insofern glaubt Snows Verteidigungsminister fälschlicherweise, der

Spotttölpel sei gestorben. Doch Snow ist klug genug zu wissen, dass Katniss in diesem Falle

bereits die Rolle einer Märtyrerin eingenommen hätte, wodurch sie nämlich eine noch stärkere

Wirkkraft für die Rebellion hätte. Auch Katniss muss wenig später erkennen, dass nur noch ihr

Tod eine „anheizende“ Wirkung auf die Rebellion hätte24. Ihre eigenmächtige Rückkehr auf die

Bildschirme Panems verwandelt sie in einen lebenden Mythos. Dementsprechend nutzen Coin

und Heavensbee den Status von Katniss nunmehr, um sie weiterhin auf ihrer Seite stehend zu

präsentieren und die letzten Anhänger_innen Snows zum Überlaufen anzuregen. Sie wird zu

einer Ikone für die Rebellion. Als wenig später Bilder im „Capitol TV“ auftauchen, die neuer-

lich den vermeintlichen Tod von Katniss zeigen, wird sie tatsächlich zu einer Märtyrerin für

den Widerstandskampf. Entsprechend reagiert Coin in ihrer TV-Ansprache, dass Katniss’ Tod

nicht umsonst gewesen sei25. Außerdem versucht Coin, Katniss in ihrer Funktion als Führerin

– die Snow ihr zuvor abzusprechen versuchte – zu verteidigen. Ja, Katniss sei ein Gesicht aus

der Masse, aber das sei doch typisch für eine wahre Führungsperson26.

Was die Anführer_innen von Massen anbelangt, so haben Timm Knudsen und Stage

(2015; vgl. Kapitel 2.1.7) festgehalten, dass sie durch die Zirkulation ihrer medialen Abbilder

zu einer/einem ikonengleichen, affizierenden „crowd-facilitator“ (ebd.: 39) werden würden.

Und als solche ‚Vermittler_innen‘ von Affekten motivierten sie ihre Anhänger_innen zu einem

besonderen Verhalten, etwa der Imitation. Als Resultat komme es zu „affektiven Wirkungen“,

dem „affective impact“ (Timm Knudsen/Stage 2015: 52), der bestehende gesellschafts-politi-

sche Assemblagen aufbrechen könnte.

Ergo möchte ich Katniss Everdeen in der Filmreihe „The Hunger Games“ anhand ihrer Rolle

als Hoffnungsträgerin auch dahingehend interpretieren, dass sich ihre affizierende Macht mit-

unter aus ihrer Rolle als vermeintliche Märtyrerin speist. Indem sie Leiden am eigenen Körper

auf sich nimmt, während sie der Macht von Snow/dem Kapitol Widerstand leistet, und ihre

medialen Abbilder dabei zu zirkulieren beginnen, motiviert sie eine Masse an Menschen dazu,

24 Boggs erzählt Katniss in einem Vieraugengespräch: „There’s only one thing you could do now to add more fire to this rebellion.“ (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 00:39:45-00:39:48; Herv. d. Verf.) 25 „Dead or alive, Katniss Everdeen will remain the face of this revolution! She will not have died for nothing.“ (Ebd.: 00:57:46-00:57:53) 26 „‚A face picked from the masses,‘ he called her, as if a leader, a true leader, could be anything else.“ (Ebd.: 00:57:25-00:57:33)

148

ihrem Beispiel zu folgen und sich für die aufkeimende Revolution zu engagieren. Ihre affekti-

ven Wirkungen sind insofern erfolgreich, als dass sie das bestehende Machtgefüge allmählich

destabilisiert. Indem sie etwa in Bildern und Wörtern aufzeigt, für welche Gräueltaten Präsident

Snow verantwortlich ist, weshalb mehr und mehr Menschen auf die Seite der Rebellion wech-

seln, hilft sie mit, rund um sich eine Assemblage des Widerstands zu formen. Die Assemblage

rund um Snow und das Kapitol wird hingegen Stück für Stück dekonstruiert. Da Katniss‘ per-

sönlicher Widerstand sich auch gegen die Machtergreifung von Präsidentin Coin richtet, eröff-

net sie dem Kollektiv schlussendlich einen Raum für neue hoffnungstragende Verbindungen,

die Panem zukünftig in ein demokratisches, friedliches Land verwandeln könnten.

3.5.2 Die affektive Macht der Medien Panems Das „Mädchen, das in Flammen steht“, Katniss als „Spotttölpel“ und auch „das tragische Lie-

bespaar“ haben etwas gemeinsam: Alle drei Figuren – wie sie in Kapitel 3.4.1 analysiert und in

Kapitel 3.5.1 interpretiert worden sind – werden in der „Hunger Games“-Filmreihe innerhalb

der Medienlandschaft Panems produziert und reproduziert. Es handelt sich um mediale Kon-

struktionen, die zunächst im Kontext der Hungerspiele, und später von der Allianz aus Rebel-

lierenden, hervorgebracht und distribuiert werden. Beide Seiten des Landes – die Macht und

ihr widerständiger Part – versuchen, diese medialen Erscheinungsformen von Katniss für ihre

eigenen Zwecke einzusetzen, um eine Veränderung der Machtverhältnisse zu unterbinden, oder

aber zu fördern.

Insofern wird mein Ziel im nachfolgenden Kapitel sein, anhand einiger ausgewählter

Beispiele aus der Filmreihe näher auf die „affektive Arbeit“ einzugehen, welche die Medien

Panems leisten, um darüber aufzuzeigen, wie Katniss, als medial produzierte und zirkulierende

Hoffnungsfigur, die furchteinflößenden Machtverhältnisse Panems verändert.

In „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013; vgl. auch Kapitel 3.4.1.3, 3.4.1.2.2) ist sichtbar,

wie die Medien des Kapitols mit allen Mitteln versuchen, die Macht von Snow zu stützen und

von den ersten widerständischen Vorkommnissen abzulenken. Hierfür soll die öffentliche Auf-

merksamkeit über das TV-Programm etwa auf das „tragische Liebespaar“, das Katniss und

Peeta bilden, gelenkt werden, besonders über die Bilder zu ihrer bevorstehenden ‚Märchen-

hochzeit‘, die sie in violetten Farben im Kontext des Kapitols präsentieren. Gleichzeitig soll

über Auspeitschungen und Exekutionen, die ebenso medial übertragen werden, mehr Angst

unter der Bevölkerung in den Distrikten geschürt werden, damit Katniss auch mit solchen

149

furchteinflößenden Eindrücken in Verbindung gebracht werden würde. Ihre hoffnungsspen-

dende Wirkung soll möglichst zerstört werden, damit anhand der Effekte von Furcht die Bevöl-

kerung Panems von einem Aufstand abgehalten werden könnte – so lautet zumindest der Plan

von Snow.

Denn allgemein haben die alljährlichen Hungerspiele, zu sehen in „The Hunger Games“

(2012) und „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013), als großes Medienereignis (vgl. auch

Kapitel 3.4.2.2) die Funktion, die Bevölkerung Panems einzuschüchtern und die separierten

Distrikte im Kampf in der Arena weiterhin voneinander zu trennen. Bei der Ausstrahlung aller

Sendungen rund um das mediale Spektakel tritt der Moderator Caesar Flickerman auf. Als An-

gestellter des einzigen zugelassenen Mediensenders in Panem, dem „Capitol TV“, moderiert er

die Übertragungen der Hungerspiele stets mit großem Enthusiasmus. Er ist ein eloquenter, af-

fizierender Showmaster, passend zu einem TV-Format, das sein Publikum amüsieren möchte.

Insbesondere die Wohlhabenden im Kapitol, die sich über Sponsorschaften und Wetteinsätze

an den Hungerspielen beteiligen, sollen ein größtmögliches Vergnügen beim Zusehen empfin-

den. Über die verschiedenen Sendungsbeiträge hinweg – von der Parade, über die Bekanntgabe

der Evaluation, über die Interviews mit den Tributen, bis hin zu den Live-Kommentaren der

Berichterstattung, die das Geschehen in der Arena besprechen und dem abschließenden Inter-

view mit den Überlebenden – ist Flickerman eine feste Größe. Er bietet jene unterhaltende und

beliebte Konstante zwischen den einzelnen Sendungen der Hungerspiele, die Bente und Fromm

(1997; vgl. Kapitel 2.1.4) in der Figur des Anchorman als wichtigen Faktor der Personalisierung

im Affektfernsehen – zu welchem die Hungerspiele als eine Art „Spielshow“, die ihre Teilneh-

mer_innen in einer äußerst bewegenden Situation ihres (Über-)Lebens zeigen, wohl gehören

dürften – benennen.

In diesem Kontext springt Flickerman, in „The Hunger Games“ (2012; vgl. Kapitel

3.4.1.1), auch auf die freudvolle Spannung auf, mit welcher Katniss bereits bei der Parade in

im Kapitol erwartet wird. Ihr besonderes Kostüm begeistert das Publikum und Flickerman

gleichermaßen, weshalb der Moderator in weiterer Folge mit seinen Aussagen immer wieder

das Bild von einem „Mädchen in Flammen“ reproduziert, was dem Publikum im Kapitol sicht-

lich gefällt. Wohlhabende Kapitolbewohner_innen beginnen sich für eine Sponsorschaft für das

Mädchen zu interessieren; Katniss‘ Wettquoten steigen. Die gezeigten Bilder vermitteln die

Hoffnung, es könne endlich einmal wieder ein Tribut aus einem ärmeren Distrikt gewinnen,

statt einer der Karrieretribute aus Distrikt 1 und 2, welche jahrelang auf den Kampf hintrainie-

ren und dementsprechend statistisch bessere Chancen auf den Sieg haben.

150

Die Hoffnung auf einen möglichen Sieg von Katniss wird noch verstärkt, als die Spiel-

macher sich während der 74. Hungerspiele, in „The Hunger Games“ (2012; vgl. Kapitel

3.4.1.3), vermehrt auf die Liebesbeziehung zwischen Katniss und Peeta fokussieren. Dazu be-

wogen worden sind sie eigentlich durch Haymitch’s Initiative, der die Geschichte des „tragi-

schen Liebespaars“ entsprechend gut verkaufen kann, um für das Überleben seiner Schützlinge

zu sorgen. Dementsprechend greifen die Spielmacher über die Verlautbarung der Regelände-

rung offensichtlich in die Handlung der Spiele ein und beeinflussen somit die Bilder, die in

weiterer Folge aufgenommen werden können. Unter anderem wird das „tragische Liebespaar“

als solches in der Arena noch stärker produziert, da Katniss und Peeta fortan Seite an Seite

kämpfen. Dass sie letztlich gemeinsam gewinnen, obwohl die Regeländerung offiziell zurück-

genommen wird, zeigt aber auch jenes widerständige Potenzial, welches sich letztlich der Kon-

trolle der Spielmacher – und der Macht des Kapitols – entzieht.

Insgesamt kann die Summe der kreierenden, steuernden und manipulierenden Arbeiten, welche

die Spielmacher von ihrem Studio aus leisten und über welche sie die Hungerspiele überhaupt

erst als Medienereignis hervorbringen (vgl. Kapitel 3.4.2.2), als „immaterielle Arbeit“ nach

Lazzarato (1996, vgl. Kapitel 2.1.4) interpretiert werden, da die Spielmacher über ihre Arbeit

an den Computern und Bildschirmen nicht nur Informationen erzeugen, sondern die Ware, die

sie kommunizieren, als solche erst produzieren.

Ferner reproduziert die Übertragung der Hungerspiele jene kulturelle „Tradition“, von

welcher Seneca Crane als Oberster Spielmacher in „The Hunger Games“ (2012) spricht. Das

alljährliche Abhalten der Wettkämpfe wird auch im Propagandavideo des Kapitols (vgl. Kapitel

3.4.2.1), um des Friedens willen, als etwas Sinnvolles und Unumgängliches dargestellt,

wodurch das Subjektverständnis der Bevölkerung reproduziert wird: An der Spitze von Panem

steht das Kapitol, beherrscht von einem Präsidenten/Diktator. Die Distrikte, welche bereits

räumlich voneinander getrennt sind, werden durch ihre Teilnahme an den Hungerspielen auch

symbolisch voneinander separiert, da ihre Tribute in der Arena gegeneinander kämpfen müssen,

weshalb kein Wunsch nach einer distriktübergreifenden Verbindung aufkeimt. Jeglicher An-

trieb nach Veränderung und Widerstand wird ebenso im Keim erstickt, wodurch die Hoffnung

nach einer Verbesserung der Lebensumstände in den subordinierten Distrikten ebenso unter-

drückt wird.

Insofern leisten die Hungerspiele Panems im Sinne der „Biomacht“ eine „affektive Ar-

beit“ nach Hardt und Negri (2002; 2004; vgl. Kapitel 2.1.4). Indem die Spielmacher die Hun-

gerspiele jedes Jahr als Unterhaltungsshow (re-)produzieren (vgl. Kapitel 3.4.2.2), zeigen sie

sich an der Hervorbringung und Modulation von bestimmten Affekten wesentlich beteiligt.

151

Vordergründig sollen die Spiele den blutrünstigen Wettkampf auf unterhaltende, belustigende

Weise verkaufen. Unter den Reichen des Kapitols funktioniert dies sichtbar. In freudiger Eks-

tase fiebern sie den Hungerspielen entgegen und verfolgen die Übertragungen ebenso leiden-

schaftlich affiziert.

In jenen Distrikten aber, die ihre Kinder unfreiwillig als Tribute ausliefern müssen, lö-

sen die Hungerspiele, in „The Hunger Games“ (2012; vgl. Kapitel 3.4.2.1), überwiegend nega-

tive Affekte aus, wie vor der Ernte in Distrikt 12 sichtbar wird: Allgemeine Gefühle des Un-

wohlseins, der Ablehnung gegen die Hungerspiele und eine unterschwellige Angst vor der Zie-

hung gipfeln in Furcht unter den Kindern, die zur Wahl stehen. Zusätzlich untermalt, oder mög-

licherweise bei einigen noch verstärkt, wird diese Furcht vom Propagandavideo des Kapitols,

das zu Beginn der Ernte gezeigt wird: Düstere Bilder von Krieg, Vernichtung, Tod, Verlust und

Trauer repräsentieren jene vergangene Rebellion, die Panem als Nation beinahe zerstört und

gespalten hätte, während Präsident Snow in einer furchteinflößenden Stimmlage das Geschehen

aus dem Off kommentiert. Als Strafe für den missglückten Aufstand müssten die Distrikte, die

ihr Kapitol – das Panem ernähre und zusammenhalte – verraten hätten, einen entsprechenden

Tribut zollen. Nur auf diese Weise könnte für die Zukunft garantiert werden, dass sich der grau-

enhafte Krieg der Vergangenheit nicht wiederhole. Ferner wird die Teilnahme an den Hunger-

spielen als etwas durch und durch Honorables dargestellt. Den siegreichen Tributen – die im

Video wie eine Gladiatorin und ein Gladiator dargestellt werden – winken lebenslang Ruhm

und Ehre, während ihr Opfer in der Arena Frieden und Sicherheit aufrechterhalte.

Allerdings erachten Deleuze und Guattari (2003; vgl. Kapitel 2.1.3) die Affekte, die ein

Film als Kunstwerk auslöse, als nicht ident mit seiner Repräsentationsebene. Ergo lassen sich

jene Affekte, die das Propagandavideo Snows unter seinen Rezipierenden bewirke (vgl. Kapitel

3.4.2.1), auch nicht als ident zur gezeigten Darstellung interpretieren. In Anlehnung an Bergson

(1982; vgl. Kapitel 2.1.3) könnte das Publikum bei der Wahrnehmung des Videos nur jene Bil-

der aufnehmen, welche just in dem Moment relevant wären, um auf diese dann entsprechend

zu reagieren.

Insofern gehe ich davon aus, dass das Propagandavideo des Kapitols (The Hunger Ga-

mes 2012; vgl. Kapitel 3.4.2.1) seine Zuseher_innen durchaus auf unterschiedliche Weisen af-

fizieren könnte, nicht nur in Abhängigkeit ihres jeweiligen Zustandes, sondern auch in Abhän-

gigkeit des Publikums an sich. Während die Menschen in Distrikt 12 mehrheitlich unruhig,

nervös und ablehnend reagieren – Gale geht ja sogar so weit, sich spöttisch über den Clip lustig

zu machen – und in keiner Weise eine sichtbare Begeisterung unter den versammelten, ängst-

lichen Kindern und Jugendlichen aufkeimt, als gladiatorengleiche Tribute antreten zu ‚dürfen‘,

152

könnten die Distrikte 1 und 2, die ihre Karrieretribute in den Kampf schicken, weniger furcht-

sam als vielmehr hoffnungsvoll reagieren, insbesondere in Hinblick auf den in Aussicht gestell-

ten Sieg. Ein Publikum im Kapitol, das bekanntermaßen keine Tribute in die Spiele schicken

muss, könnte wiederum mit großer Begeisterung und Zustimmung auf die abgelichtete Ideolo-

gie reagieren und dabei vielleicht weder Furcht, noch Hoffnung empfinden, weil die Mehrheit

möglicherweise lediglich ihre perfide Gier nach blutrünstiger Unterhaltung gestillt haben will.

Da jedoch nur die Reaktionen des Publikums in Distrikt 12, im Film „The Hunger Games“

(2012), dargestellt werden, bleibt dies eine Hypothese meinerseits, die ich aus dem Kontext der

Filmreihe schließe.

Jedoch legt die Rahmung, in welcher das Video gezeigt wird, mit Bal (2006; vgl. Kapitel

2.1.3) eine bestimmte Wahrnehmungsrichtung nahe. Da das Propagandavideo in „The Hunger

Games“ (2012) kurz vor der Ernte, welche in Distrikt 12 bereits ihre bedrohlichen Schatten

vorauswirft, gezeigt wird, liegt ein furchteinflößender, beunruhigender Effekt nahe. Dement-

sprechend könnten die affektiven Reaktionen auf das Video in jenen Distrikten, die sich auf die

Ernte freuen, positiver Natur sein. Sie könnten von den Jugendlichen als animierende Kraft

empfunden werden, sich freiwillig als Tribut zu melden, da die Hoffnung auf einen ruhmreichen

Sieg besteht, während die gleichen Bilder in den anderen Distrikten, deren Kinder schlechtere

Chancen auf den Sieg haben, eine hemmende Wirkung hervorrufen könnten. Es ist davon aus-

zugehen, dass die Bewohner_innen der ärmeren Distrikte über das Video wahrscheinlich vor-

ranging an ihre subordinierte Position erinnert werden, und an die Hoffnungslosigkeit, die sich

aus ihrer unterdrückten Position ergibt.

Ähnlich polysem lassen sich auch die potenziellen Wirkungen der medialen Abbildungen von

Katniss Everdeen, in der „Hunger Games“ Filmreihe, interpretieren. Wie bereits ausgeführt

worden ist (vgl. Kapitel 3.5.1), wirkt Katniss in den Medien des Kapitols als eine Hoffnungs-

trägerin. Als solche löst sie eine mehrheitlich positive Resonanz aus, welche die Menschen nach

und nach dazu bewegt, sich der Revolution anzuschließen. Dass ihr Widersacher Snow bzw.

seine Anhänger_innen im Kapitol hingegen zunehmende Ablehnung, oder sogar Furcht vor ihr

empfinden, wird etwa im Film „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015: 00:18:37-

00:20:02; vgl. Kapitel 3.4.1.2.4) ersichtlich, als Johanna nach ihrer Rettung davon berichtet,

wie Katniss im Kapitol das einzige sei, was den Menschen dort Furcht einjage.

Aber die affizierende Kraft von Katniss lässt sich nicht in einem künstlichen Setting

evozieren. Dies wird besonders gut nach der ersten Studioaufnahme deutlich, denn anschlie-

ßend fordert Haymitch das Team auf, an Ereignisse zu denken, in denen Katniss sie „wirklich

bewegt habe“. Als zentrale Punkte werden passenderweise ihre freiwillige Meldung bei der

153

Ernte und ihre Allianz mit Rue genannt. (The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 2014:

00:36:00-00:37:00; vgl. Kapitel 3.4.1.2.3)

Denn je stärker Katniss selbst affiziert ist, desto größer scheint ihr Effekt auf das Publi-

kum, desto stärker scheint sie die Menschen emotional zu bewegen, so auch meine Argumen-

tation. In jenen Situationen, in denen Katniss selbst von großen Emotionen angetrieben ist –

etwa durch ihre Liebe für ihre Schwester und ihre simultane Furcht um ihr Überleben, die sich

in der Arena mit den fürsorglichen Gefühlen für Rue und der anschließenden Trauer vermi-

schen27 – scheint sie selbst insoweit stark affiziert, als dass sie ihre Mitmenschen über die me-

dialen Übertragungen dazu bewegen kann, auch etwas Starkes zu fühlen und diese Emotionen

dann als Affekte in konkreten Handlungen umzusetzen – wie etwa bei der ersten Revolte in

Distrikt 10 direkt nach der Verabschiedung von Rue (The Hunger Games 2012; vgl. Kapitel

3.4.1.2.1).

Dies trifft sich insofern mit Spinoza (2007; vgl. Kapitel 2.1.5.1), als dass dieser den

Affekt als ein individuelles Vermögen verstanden hat, wonach ein stärker affizierter Körper

andere Körper ebenso stärker affizieren könne, auf der geistigen wie auf der materiellen Ebene,

wodurch sich das Tätigkeitsvermögen steigern würde, insbesondere bei der Begegnung mit

lustvollen Affekten/Körpern, deren Verbindung man suche. Außerdem hat Spinoza (2007; vgl.

Kapitel 2.1.5.2) darauf verwiesen, dass die Ursache eines Affekts niemals aus dem Objekt her-

aus erklärt werden könne. Ein- und dasselbe Ding könnte bei den einen Furcht auslösen, bei

den anderen Hoffnung und bei den nächsten gar nichts.

Analog scheint sich sogar Coin vor Katniss zu fürchten, während die übrige Allianz aus

Rebellierenden ihre Hoffnungen in das Mädchen legt. In „The Hunger Games: Mockingjay –

Part 2“ (2015: 00:37:25-00:39:53; vgl. Kapitel 3.4.1.2.4) macht Boggs über seine Äußerungen

deutlich, dass Coin sich nämlich vor der Unkontrollierbarkeit von Katniss‘ Charakter ängstige,

da dieser eine Bedrohung für die Aufrechterhaltung ihrer Macht beinhalte.

Genau in dieser Unkontrollierbarkeit von Katniss‘ Verhalten, in ihren Reaktionen und

Aktionen, die sich oftmals spontan und ‚im Affekt‘ entladen, liegt meines Erachtens ihre ei-

gentlich affizierende Kraft, ihre Macht auf die Menschen Panems und ihr widerständiges Po-

tenzial begründet. Für mich kommt dieses affektive Vermögen weder genuin aus ihrer zuge-

schriebenen Gestalt als „Mädchen in Flammen“, noch aus ihrer Funktion als personifizierter

Spotttölpel für die Propagandavideos der Rebellion, noch aus ihrer inszenierten Rolle als Teil

27 Während Rue im Film „The Hunger Games“ (2012) in den Armen von Katniss stirbt, singt diese ihr das Wie-genlied „Deep in the meadow“. Es ist das gleiche Lied, mit dem Katniss auch ihre kleine Schwester getröstet hat, als jene vor der Ernte aus einem Albtraum erwacht ist.

154

des „tragischen Liebespaars“. Vielmehr entspringt es ihrer Authentizität, die sich dank der all-

umfassenden medialen Überwachung in Panem in jenen spontanen Handlungen zeigt, in denen

Katniss selbst vorab affiziert worden ist.

Solche emotional bewegenden Situationen von Katniss zeigen sich insbesondere – wie

schon des Öfteren erwähnt – zu Beginn der Geschichte, in „The Hunger Games“ (2012), als

Katniss sich freiwillig für ihre Schwester meldet und später in der Arena, als sie für Rue ein

symbolisches Begräbnis abhält. Doch auch gegen Ende der Geschichte, in „The Hunger Games:

Mockingjay – Part 2“ (2015), als Katniss Alma Coin statt Coriolanus Snow erschießt, wusste

Katniss vor der Ausführung des Akts möglicherweise selbst noch gar nicht, „was [ihr] Körper

alles vermag“ (Deleuze 1988: 27, H. i. O.; vgl. Kapitel 2.1.3). Jedes Mal haben sich die Affekte

von Katniss, mit Massumi (2002; vgl. Kapitel 2.1.2) gesprochen, in der Situation, in der sie

selbst affiziert worden ist, aus einem unbewussten virtuellen Potenzial an verschiedensten

Handlungsmöglichkeiten gelöst, sich über konkrete Handlungen aktualisiert und real erfahrba-

ren Wirkungen ausgelöst. Darüber ist mit Deleuze (1989; vgl. Kapitel 2.1.3) das „Affektbild“

von Katniss, welches sie in den entsprechenden Situationen über die Kameras vorwiegend in

Großaufnahme zeigt, zu einem „Aktionsbild“ mit einem raumzeitlichen Bezug geworden.

Gerade weil in der Filmreihe „The Hunger Games“ die Medien des Kapitols im Kontext

der Hungerspiele, und die Medien der Rebellierenden später im Rahmen des landesweiten Auf-

stands, das affizierende Vermögen von Katniss für ihre jeweils eigenen Zwecke zu nutzen ver-

suchen, bieten sie dem Mädchen über die medialen Aufzeichnungen und Ausstrahlungen über-

haupt erst die Möglichkeit, ihr subversives Potenzial medienwirksam entfalten zu können, so

meine Argumentation. Denn wenn kein Mensch in Panem über die diversen Sendungen Kat-

niss‘ affizierendes Verhalten gesehen hätte, so hätte das Mädchen auch niemanden berühren

und bewegen können, weder als „Girl on Fire“, noch als personifizierter Spotttölpel.

Hierin zeigt sich zum einen, mit Clough (2007: 1f.; vgl. Kapitel 2.1.1) gesprochen, wie

technische Medien die Begrenzungen des organischen menschlichen Körpers erheblich erwei-

tern. Indem sie uns in der Interaktion helfen, Affekte wahrzunehmen und zu produzieren, wer-

den sie quasi selbst zu einem lebendigen, affizierenden Körper.

Zum anderen zeigt sich anhand der Medien von Panem – in Anlehnung an Foucault

(1977; vgl. Kapitel 2.1.4) – wie Katniss‘ persönlicher Widerstand gegen eine Macht von oben

sich aus denselben Machtverhältnissen heraus entwickelt hat, gegen die sie zu revoltieren ver-

sucht. Einer allumfassenden Kontrolle und medialen Überwachung ausgesetzt, präsentiert sie

sich innerhalb dieser in rebellischen Aktionen, wodurch sie die gesendeten Bilder beeinflusst.

Dadurch initiiert Katniss in der Bevölkerung Panems eine widerständige Kraft, die sich mit

155

Hardt und Negri (2004; vgl. Kapitel 2.1.4) als biopolitische Produktion, welcher die Macht zur

Subversion innewohnt, bezeichnen ließe.

Gewissermaßen könnte Katniss‘ affizierende Macht, die in den Medien Panems zur Entfaltung

gelangt, entlang der Symbolik eines ‚wahren‘ Spotttölpels interpretiert werden:

Die tiefere Bedeutung hinter dem sogenannten „Spotttölpel“ („mockingjay“) als Vogel

wird in der Filmreihe nicht erwähnt, wohl aber in der Buchvorlage. Die Autorin Collins (2009:

51f.) beschreibt sie dort als Kreuzung zwischen Spottdrosseln (mockingbirds) und „Jabber-

jays“, einer besonderen Sorte von Hähern. Jabberjays seien genmanipulierte Tiere gewesen, die

vom Kapitol während der ersten Rebellion vor einem dreiviertelten Jahrhundert als Überwa-

chungsinstrumente gezüchtet wurden, ausgestattet mit der Fähigkeit, belauschte Gespräche zu

merken, heimzufliegen und nachzuplappern. Sehr schnell hätten die Rebellierenden aber be-

merkt, wie sie von den Tieren abgehört wurden und hätten ihnen dementsprechend Lügenge-

schichten aufgetischt. Dadurch waren die Jabberjays für das Regime unbrauchbar geworden.

Nachdem sie in freier Wildbahn ausgesetzt worden waren, seien sie allerdings nicht ausgestor-

ben, wie vom Kapitol erhofft, sondern hätten sich mit Spottdrosseln gekreuzt, wodurch eben

die Spotttölpel entstanden sind. Sie könnten zwar keine Wörter mehr nachahmen, aber eine

ganze Palette an Geräuschen und Melodien. Folglich seien sie nicht nur kommunikative, lustige

Vögel, sondern gewissermaßen auch eine Beleidigung für das Regime: „They’re funny birds

and something of a slap in the face to the Capitol.“ (Collins 2009: 51)

Demzufolge ist der Spotttölpel meines Erachtens ein Symbol dafür, wie sich ein Instru-

ment der Macht – anhand der Jabberjays – auch für den Widerstand gegen diese Macht einset-

zen lässt, indem sich die Rebellierenden der ersten Revolution der Überwachung gewahr ge-

worden waren und das Mittel der Macht für ihre subversiven Zwecke eingesetzt hatten. Darüber

hinaus haben sich die Jabberjays, durch ihre Kreuzung mit den Spottdrosseln, unkontrollierbar

zu etwas völlig Neuem gewandelt. Insofern sind die Spotttölpel symbolisch, allein durch ihre

Existenz, eine potenzielle Gefahr für die bestehenden Machtverhältnisse. Dass sie zudem von

der Bevölkerung der subordinierten Distrikte noch immer als einfache Kommunikationsmittel

untereinander eingesetzt werden, unterstreicht ihren potenziell subversiven Charakter.

Katniss, die im Verlauf der Filmreihe „The Hunger Games“ über ihr Image vom „Girl

on Fire“ zum personifizierten Spotttölpel avanciert, lässt sich ebenso nicht von oben kontrol-

lieren – weder von Präsident Snow noch von Alma Coin – wodurch sie für beide zu einer po-

tenziellen Gefahr wird. Zunächst fürchtet Snow um die Aufrechterhaltung seiner Macht, als er

merkt, wie ihm die Geschicke Panems dank Katniss‘ rebellischem Auftreten zu entgleiten be-

156

ginnen. Ihre hoffnungsspendende Wirkung scheint sich über seinen eigenen Mediensender bes-

ser auf die Menschen zu übertragen, als die Furcht, die er zu streuen versucht. Trotzdem zeigt

er sich anfangs auch ein wenig fasziniert von seiner ‚feurigen‘ Widersacherin, die es wagt, ihm

die Stirn zu bieten. Im Gegensatz dazu scheint Coin niemals begeistert von Katniss‘ Charakter

zu sein, sondern lediglich von ihrer animierenden Wirkung innerhalb der Revolution. Katniss‘

Eigensinn und Mut – Eigenschaften, die sie überhaupt erst zum späteren „Spotttölpel“ im Kon-

text der Rebellion haben werden lassen – sind von Anfang an bedrohlich für die Macht Coins.

Die selbsternannte Machthaberin von Distrikt 13 scheint die potenzielle Gefahr, die von Katniss

ausgeht, immerzu zu spüren.

Wie am Ende von „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“ (2015) an den Äußerun-

gen von Coin offensichtlich wird, hätten sich mit ihr als neuer Präsidentin Panems alte Macht-

verhältnisse und Muster, wie etwa die Hungerspiele als Akt der symbolischen Bestrafung und

als Ausdruck einer allumfassenden Potenz, lediglich reproduziert, statt aufgehoben zu werden.

Auch die Kontrolle über die mediale Präsentation ihrer Macht hat sie sich mit der Übertragung

der Exekution Snows bereits gesichert. Die Verhältnisse hätten sich möglicherweise nur inso-

weit verkehrt, als dass die vormals Mächtigen nachher eine subordinierte Stellung eingenom-

men hätten. Über die weiteren negativen Effekte der Machterlangung von Coin kann jedoch

lediglich spekuliert werden.

Da Katniss in ihrem „Mockingjay-Outfit“ Präsidentin Coin vor laufenden Kameras er-

schießt (vgl. Kapitel 3.4.1.2.4), eröffnet dieser Akt tatsächlich ein Potenzial für die Zukunft,

wonach eine Veränderung der politischen Verhältnisse möglich scheint. Mit der TV-Ausstrah-

lung der Angelobung von Commander Paylor als neuer Präsidentin, bleibt die Hoffnung auf

eine bessere Zukunft, die Katniss dank der medialen Übertragungen innerhalb der aufkeimen-

den Revolution gezündet hat, weiterhin bestehen.

157

3.5.3 Soziale Schieflage als Urgrund der Hoffnung „May the odds be ever in your favor!“ Dieser Glückwünsch, wonach die Chancen stets in dei-

ner/eurer Gunst stehen mögen, ist in „The Hunger Games“ (2012) und „The Hunger Games:

Catching Fire“ (2013) mehrere Male im Kontext der Hungerspiele zu hören. Insbesondere aus

dem Mund der Kapitol-Bevölkerung an die Tribute der gewaltsam unterdrückten Distrikte ge-

richtet, schwingt ein zynischer Unterton mit.

Denn in Panem herrscht eine große soziale Chancenungleichheit, wie für das Publikum

der Filmreihe etwa in „The Hunger Games“ (2012), anhand medial unvermittelt gezeigter Si-

tuationen, wie etwa dem Lebensalltag der Menschen in Distrikt 12 oder den Interaktionen zwi-

schen Gale und Katniss im Vorfeld der Ernte, sichtbar wird. Diese Ungerechtigkeit zeigt sich

besonders an der Armut und dem konstanten Nahrungsmangel. Brot erweist sich als eine

knappe Ressource in der Heimat der Protagonistin. Die Menschen dort arbeiten körperlich hart

und müssen dennoch hungern. Für die potenziellen Tribute gibt es außerdem die Möglichkeit,

sich optionale Essensrationen abzuholen. Aber im Gegenzug wird jedes Mal ein Los mit dem

eigenen Namen in den Topf geworfen. Wer sich also keine Nahrung kaufen oder anderweitig

beschaffen kann, hat höhere Chancen bei der Ernte gezogen zu werden. Um sich und ihre Fa-

milien über Wasser zu halten, gehen Katniss und Gale verbotenerweise jagen. Außerdem wird

über eine Retrospektive von Katniss gezeigt, wie Peeta ihr einmal heimlich einen Laib Brot

zugeworfen hat, als sie entkräftet vor der Bäckerei seiner Eltern gesessen ist.

Über Speis und Trank machen sich die Menschen im Kapitol ganz andere Gedanken,

wie in „The Hunger Games: Catching Fire“ (2013) anhand der Siegesfeier von Katniss und

Peeta in der Villa von Präsident Snow offensichtlich wird: Die Dekadenz der Reichen offenbart

sich beispielsweise dahingehend, zu sich genommene Nahrung absichtlich wieder zu erbrechen,

um nachher weitere Leckereien essen zu können.

Dementsprechend zeigt ein Spruch auf einer Tunnelwand, was die Subordinierten Pa-

nems vom Slogan der Hungerspiele halten: „THE ODDS ARE NEVER IN OUR FAVOR“

(The Hunger Games: Catching Fire: 00:21:59, H. i. O.).

Wenn wir nun mit Bloch (1985a; vgl. Kapitel 2.3.2) davon ausgehen, dass alle menschlichen

Triebe und Affekte grundlegend auf dem Hunger fußen, liegt im physischen Hunger nach Nah-

rung grundlegend auch jenes „revolutionäre Interesse“ (Bloch 1985a: 84, H. i. O.) begründet,

das uns aus dem erlebten Mangel ausbrechen lassen möchte, um das eigene Selbst nicht länger

nur zu erhalten, sondern zu erweitern (ebd.), einer „Sprengkraft gegen das Gefängnis Entbeh-

rung“ (ebd.: 84) gleich.

158

In diesem Kontext des Hungers, der über die „Hungerspiele“ und das Wort „Panem“

auch wörtlich in der Filmreihe „The Hunger Games“ enthalten ist28, präsentieren sich die An-

fänge der politischen Revolution in der Nation Panem. Als stellvertretender Befürworter für

eine Veränderung bzw. Rebellion zeigt sich etwa Gale. Bereits vor der Ernte, in „The Hunger

Games“ (2012), kritisiert er in einem intimen Gespräch mit Katniss die Tradition der Hunger-

spiele und fragt, „was wäre, wenn keiner mehr zusehen würde“ (ebd.: 00:06:47:45-00:06:50).

Er beantwortet sich die Frage selbst folgendermaßen: „Wenn niemand zusieht, dann haben sie

keine Spiele mehr. So einfach ist das.“ (The Hunger Games 2012: 00:06:57-00:07:00)

Als Katniss ihm dann nach der Rückkehr von ihrer Siegestour, in „The Hunger Games:

Catching Fire“ (2013), von den ersten Aufständen erzählt, lässt sich anhand seiner Reaktion

ablesen, dass er bereits darauf gewartet habe: „It’s happening. It’s finally happening.“ Katniss

hingegen ist weniger erfreut. Sie fühlt sich durch ihr widerständiges Verhalten in der Arena als

ein Auslöser wider Willen. Wenn sie nur in den Spielen gestorben wäre, dann wären alle Men-

schen wieder vor der Gewalt Snows sicher. Aber Gale reagiert heftig und wirft die Frage auf,

wofür sich diese vermeintliche Sicherheit für die Menschen in den Distrikten überhaupt lohne:

„Safe for what? To starve? Work like slaves? Send their kids to the Reaping? You haven’t hurt

people, Katniss. You’ve given them an opportunity. They just have to be brave enough to take

it. There’s already talk in the mines. People wanna fight.“ Katniss jedoch, die Gale zufolge den

Menschen eine Chance gegeben habe, will nicht kämpfen. Lieber würde sie mit ihm und ihren

Familien in die Wildnis flüchten. Aber Gale wehrt ab, da er an die anderen Familien denkt, die

weiterhin in Distrikt 12 leben müssten. (Ebd.: 00:31:55-00:32:40)

Wenig später scheint auch Katniss zu realisieren, dass sie allesamt kein lebenswertes

Dasein mehr führen würden. „How can we live like this. How can anybody live like this?“,

fragt sie ihre kleine Schwester Primrose. Jene meint, es sei im Grunde „kein Leben“. Aber auch

sie hat von zuhause aus mitbekommen, wie sich seit den letzten Hungerspielen etwas verändert

habe in Panem: „Since the last Games, something is different. I can see it.“ Katniss fragt nach:

„What can you see?“ „Hope,“ antwortet Prim. (Ebd.: 00:40:23-00:40:43)

Hiernach könnte interpretiert werden, dass sich in der Filmreihe „The Hunger Games“, ab der

Teilnahme von Katniss an den 74. Hungerspielen, Hoffnung als eine Art Stimmung verbreitet

habe. Als intransitiver Gemütszustand, wie Bloch (1985a: 78; vgl. Kapitel 2.3.2) eine nicht

intentionale Hoffnung bezeichnen würde, scheint sie nach dem Sieg von Katniss und Peeta das

Empfinden der Menschen, etwa in Distrikt 12, zu charakterisieren.

28 Collins habe die Nation „Panem“, ihren eigenen Angaben zufolge, nach dem lateinischen Wort für Brot benannt, inspiriert vom Ausdruck „Panem et Circenses“ der römischen Antike (Scholastic o. J.: 1).

159

Meines Erachtens beginnt sich daraus in weiterer Folge eine „kritische Hoffnung“ (Webb 2007;

vgl. Kapitel 2.3.1) zu bilden, mit Ernst Bloch als bekanntestem Vertreter:

Für eine solche Hoffnung als Affekt, die Psyche und Physis vereint, brauche es mit

Bloch (1985a; 1985b; vgl. Kapitel 2.3.2) bekanntermaßen Menschen, die sich der Hoffnung

aktiv und kritisch bedienen, um mit ihrer Hilfe aus den Missständen der sozialen Gegenwart

heraus eine bessere und gerechtere Zukunft zu erschaffen. Die Hoffnung könne uns nämlich

frei machen, ganz im Gegensatz zur Furcht, die uns weiterhin in der Unfreiheit leiden ließe.

Während sich beide Affekte auf das Zukünftige richten, also auf das, was aktuell noch-nicht ist,

beinhalte die Hoffnung eben die Möglichkeit der Selbsterweiterung. Dafür müssten die erhoff-

ten Träume einer Utopie aber aus dem Unbewussten ins Bewusste aufsteigen; es brauche ge-

wissermaßen einen „Fahrplan“ (Bloch 1985b: 555).

Insofern könnte argumentiert werden, dass in der Filmreihe „The Hunger Games“ die

Mehrheit der Bevölkerung erst mit dem Sieg von Katniss und Peeta in den 74. Hungerspielen

eine Hoffnung bildet, die stärker wird als die Furcht vor Snow. Erst durch ihren Sieg und das

Aufkeimen von ersten gewaltsamen Widerständen, beginnen mehr und mehr Menschen be-

wusst von einer neuerlichen Revolution zu träumen. Die oben genannten Gespräche zwischen

Katniss und Gale bzw. Katniss und Prim markieren, meiner Interpretation nach, jenen Wende-

punkt, ab dem Katniss sich der Tragweite ihrer eigenen Funktion als ‚Hoffnungsträgerin‘ (siehe

auch Kapitel 3.5.1) für das Kollektiv Panems allmählich gewahr wird. Sie scheint sich erstmalig

bewusst die Frage nach einem lebenswerten Leben zu stellen, das aufgrund der konstanten Un-

terdrückung durch das Kapitol (noch) nicht realisierbar ist. Indes wird der ‚Fahrplan‘, wie ein

besseres Leben in Panem aussehen könnte, von der bereits existierenden Allianz aus Rebellie-

renden bereitgestellt. So propagiert beispielsweise Coin in einer Rede vor ihren Verbündeten,

wie sich ihr Traum von einem „neuen Panem“ in Wahlfreiheit und geeinten Distrikten zeige29.

Ergo hofft sie scheinbar auf etwas, das gegenwärtig (noch) nicht vorhanden ist. Diese Hoffnun-

gen auf ein kollektiv besseres Panem führen die Allianz aus Rebellierenden zum Widerstand

gegen Snow. Nach seinem Sturz ernennt Coin sich eigenmächtig zur neuen „Übergangspräsi-

dentin“, woran sichtbar wird, wie sie kaum an einer Verbesserung der sozialen Verhältnisse

aller Menschen Panems interessiert ist. Vielmehr wirkt sie angetrieben von ihrem persönlichen

Streben nach Macht, das sich nicht mit einer kritischen Hoffnung vereinbaren lässt. Katniss,

die sich scheinbar der Motive von Coin bewusst geworden ist, erschießt die Präsidentin,

29 „[…] a new Panem, where leaders are elected, not imposed upon us, and where the Districts are free to share the fruits of their labors and not fight one another for scraps!“ (The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 2015: 01:50:31-01:50:46)

160

wodurch die Hoffnung auf ein freies und gerechtes Panem zukünftig doch noch Gestalt anneh-

men könnte. Gewissermaßen setzt Katniss den Traum fort, den Coin zuvor noch ausgerufen

hat: „Dieses neue Panem erscheint am Horizont. Aber wir müssen es uns selbst nehmen.“ (The

Hunger Games: Catching Fire 2013: 01:50:59-01:51:04, Herv. d. Verf.)

Infolgedessen zeigt sich anhand des Vollzugs der politischen Revolution in der Film-

reihe „The Hunger Games“, schlussendlich mit Bloch (1985a: 126f.; vgl. Kapitel 2.3.2), wie

die Hoffnung „auf den weitesten und den hellsten Horizont bezogen“ (Bloch 1985a: 84, H. i.

O.) ist, wodurch sie Angst und Furcht praktisch zu überwinden vermag. Den Worten von Prä-

sident Snow gemäß erweist sich die Hoffnung letztlich als „das einzige, was stärker ist als

Furcht“ (The Hunger Games 2012: 00:47:04-00:47:08).

Verortet im Genre der Young Adult Dystopian Fiction (siehe Kapitel 3.2), offenbart die Film-

reihe „The Hunger Games“ ihrem Publikum also eine dystopische Gesellschaft, charakterisiert

durch ein gewaltsames Regime und große soziale Ungerechtigkeit. Rund um die Heldin der

Narration, Katniss Everdeen, versucht ein ganzes Kollektiv an Widerständigen aus der be-

schriebenen Dystopie auszubrechen.

Als Form der „kritischen Dystopie“ (siehe Kapitel 3.2), die auf aktuelle Problematiken

in der gegenwärtigen Welt und ihre möglichen Folgen hinweist, könnte „The Hunger Games“

als implizite Warnung an das Publikum interpretiert werden, wohin sich auch ihre Gesellschaft

potenziell entwickeln könnte.

Dementsprechend verstanden als eine Art ‚Zerrspiegel‘ – „distorting mirror“ (Fisher

2012: 27) – unserer eigenen Welt, verweisen viele bisherige Publikationen zu „The Hunger

Games“ auf den politischen, alarmierenden Unterton der Reihe (siehe Kapitel 3.3). „[I]t is pos-

sible that Collins wants to give us a warning concerning the direction in which we are heading

with regard to political ignorance and desensitizing entertainment.“ (Hamre 2013: 13)

Ähnlich alarmierend zeigen sich, meines Erachtens, jedoch auch jene Strömungen in

unserer westlichen Gesellschaft im Kontext des Entstehungszeitrahmens von „The Hunger Ga-

mes“, welche mit einem Gefühl der allgemeinen Hoffnungslosigkeit, etwa als Resultat ent-

täuschter Ideologien des 20. Jahrhunderts, und einer schwarzmalerischen Prognose für die Zu-

kunft, aufgrund vielfältiger drohender kultureller Problematiken, ökonomischer und ökologi-

scher Natur, aufhorchen lassen. Die Hoffnung befindet sich scheinbar in der Krise (siehe Kapi-

tel 2.3.2).

Da eine Krise mit Spivak (2002; vgl. Kapitel 2.3.2) immer auch eine Chance enthalte,

dass sich eine unvorhersehbare Möglichkeit plötzlich realisieren könnte, zeigt sich gerade in

ihr jenes ermächtigende Moment der Hoffnung.

161

Denn wenn wir mit Lutz (2008; vgl. Kapitel 2.3.2) davon ausgehen, dass Menschen die

Hoffnung als einen Grundbestandteil ihres Wesens immer brauchen, um sich in der Welt ori-

entieren und ihr Handeln auf die Zukunft ausrichten zu können, zeigt dies meiner Annahme

nach vor allem, wie die Hoffnung stets an Aktualität und Relevanz besitzt.

Aber aufgrund wissenschaftlicher Diskurse, die eine instabile und düstere Zukunft

zeichnen, erleben besonders die Heranwachsenden unserer postmodernen Gesellschaft ihr

(Über-)Leben als gefährdet (Kellner 2005b: 179ff.). Diese Gefahren können jedoch auch eine

Chance auf Befreiung und auf eine aktive Mitgestaltung der sozialen Situation bergen, sofern

die Jugendlichen rechtzeitig jene Medienkompetenzen ausbilden können, die in ihrer rasend

schnell wandelnden Umwelt gefragt sind (ebd.).

Analog dazu lässt sich „The Hunger Games“ als Teenager-Dystopie, die sich insbeson-

dere an ein junges Publikum richtet, dergestalt interpretieren, dass die jungen Bewohner_innen

Panems inmitten sozialer Spannungen, Konflikte und dem Bewusstsein, als potenzielle Tribute

in den Hungerspielen sterben zu können, ihre Zukunft als ähnlich gefährdet erleben, wodurch

sich weitere Anknüpfungspunkte zur realen Welt außerhalb des Films eröffnen. Außerdem wird

anhand der Protagonistin dargestellt, wie sie sich im Verlauf der Geschichte überlebensnotwen-

dige Medienkompetenzen aneignet, wodurch sie die Hungerspiele übersteht und zur Hoff-

nungsträgerin einer ganzen Nation wird.

Darüber hinaus illustriert „The Hunger Games“ jedoch auch, wie sich die Hoffnung

nach einer Utopie bewusst nutzen lässt, um ganze Menschenmassen zu bewegen bzw. sie zu

manipulieren und an ein Ziel zu führen, das sich am Ende möglicherweise als enttäuschende

Illusion entpuppt. Dies geschieht insofern, als dass Coin den Spotttölpel in ihren Propaganda-

videos und Sendungen absichtlich instrumentalisiert, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln und

Präsident Snow zu stürzen. Indem sich Coin nachher eigenmächtig zur neuen Präsidentin Pa-

nems ernennt, wird sichtbar, wie fragil eine solche Hoffnung sein kann.

Dennoch scheint die Hoffnung am Ende der Filmreihe, in „The Hunger Games: Mockingjay –

Part 2“ (2015), nicht vergeblich gewesen zu sein. Durch den Mord an Coin beendet Katniss die

Diktatur in Panem mitsamt der Ära der Hungerspiele. Demokratie, Frieden und Freiheit schei-

nen nunmehr ermöglicht. Die Menschen in Distrikt 12, wohin Katniss und Peeta zurückkehren,

müssen nicht länger hungern. Die Dystopie wirkt überwunden. Als der Schnee des Winters

geschmolzen ist und der Frühling ins Land zieht, pflanzt Peeta für Katniss eine Blume, die er

am Waldesrand gefunden hat, im Garten vor dem Haus. Es handelt sich um eine Primel, die

meines Erachtens nicht nur als Frühlingsblume eine Botin der Hoffnung darstellt, sondern auch

über ihre besondere Bezeichnung im Englischen als „Primrose“.

162

4 Fazit Am Beginn dieser Masterarbeit stand das Interesse an der Hoffnung verstanden als ein Affekt,

der uns Menschen durchdringt, antreibt und bewegt, kombiniert mit einer persönlichen Faszi-

nation für die Filmreihe „The Hunger Games“, in welcher die Hoffnung offen als zentrale Kraft

der dargestellten Revolution genannt wird.

Daraus entwickelte sich die forschungsleitende Frage nach den konkreten Effekten von

Hoffnung als Affekt in der besagten Filmreihe und deren Auswirkungen auf die Transformation

der gesellschaftlichen Verhältnisse in Panem, gefolgt von der Frage nach der „affektiven Ar-

beit“, welche die Medien Panems in diesem Kontext leisten.

Hierfür zeigte sich mein methodisches Vorgehen dergestalt, dass die Bearbeitung der

eigentlichen Problemstellung mit der Filmanalyse in den zweiten, empirischen Abschnitt der

Arbeit gerückt wurde, um zuvor den nötigen theoretischen Unterbau bieten zu können. Hierfür

wurde der erste Abschnitt grob in zwei Themenkomplexe – rund um den Begriff des Affekts

und den der Hoffnung – eingeteilt, wenngleich eine dezidierte Trennung der beiden Begriff-

lichkeiten – mit der Hoffnung als Affekt – naturgemäß nicht möglich war.

Für die Methodik der anschließenden Filmanalyse habe ich mich von Sara Ahmed, wel-

che anhand von Texten die Effekte von Affekten hinsichtlich ihrer Hervorbringung von Kör-

pern untersucht, inspirieren lassen. Konkret habe ich dabei nach jenen Objekten gesucht, die

über eine gesellschaftliche Zirkulation Hoffnung hervorbringen bzw. selbst als hoffnungstra-

gend bzw. hoffnungsspendend hervorgebracht werden, wodurch ich stark an der Protagonistin

der Filmreihe und ihren medial zirkulierenden Gestalten „kleben“ geblieben bin. In weiterer

Folge bin ich davon ausgegangen, dass Katniss Everdeen in den Medien Panems in drei Figuren

– dem „Mädchen, das in Flammen steht“, dem personifizierten „Spotttölpel“, und einem Be-

standteil des „tragischen Liebespaars“ – dargestellt wird. Diesbezüglich zeigt sich auch die Re-

levanz der Medien Panems, welche ich darüber hinaus in einem eigenen Kapitel, anhand des

Medienereignisses der Hungerspiele und eines Propagandavideos des Kapitols, zusätzlich ana-

lysiert habe.

Über die Interpretation meiner Analyse bin ich zum Ergebnis gelangt, dass die Effekte

von Hoffnung in „The Hunger Games“ innerhalb der Gesellschaft Panems maßgeblich dazu

beitragen, Katniss Everdeen in den Medien Panems als hoffnungsspendenden Körper hervor-

zubringen, welcher wiederum maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung und Reali-

sierung einer gesellschaftstransformierenden, politisch motivierten Revolution nimmt. Dabei

163

vollzieht sich die Produktion von Katniss als Hoffnungsträgerin in einem zirkulären Wechsel-

spiel zwischen der dominanten Macht und ihren widerständigen Kräften, gesteuert und ver-

stärkt durch die affektive Arbeit der Medien Panems.

Auf diese Weise tritt Katniss am Beginn der Geschichte zunächst als „Mädchen, das in

Flammen steht“ in Erscheinung. Als solches wird sie über ihr ‚feuriges‘ Verhalten, das sich

insbesondere in ihrer freiwilligen Meldung als Tribut zeigt, und ihre brennenden Outfits zum

Liebling des Publikums, entsprechend aufgegriffen und dargestellt von den Medien des Kapi-

tols. Diese nutzen Katniss als Sympathieträgerin, um die Attraktivität der Hungerspiele zu för-

dern. Da dieses Medienereignis implizit mit individuellen Hoffnungen auf den Sieg, aber auch

mit der Furcht vor der Gewalt des Kapitols, wie der Angst vor gesellschaftlichen Umbrüchen,

Krieg, Tod und Vernichtung verwoben ist, tragen die Medien Panems in gewisser Weise selbst

dazu bei, Katniss zu einer Hoffnungsträgerin werden zu lassen. Sie bieten ihr nämlich über ihre

Teilnahme an den 74. Hungerspielen und ihr Image als „Girl on Fire“, welches ihr zu Beliebt-

heit und Aufmerksamkeit verhilft, jene mediale Plattform, auf der Katniss sich der Macht des

Kapitols öffentlich zu widersetzen beginnt.

Ähnlich subversiv äußert sich auch ihre Teilhabe am „tragischen Liebespaar“, das sie

zusammen mit Peeta bildet. Anfangs noch innerhalb der Medien des Kapitols verwendet, um

die Dramatik der Hungerspiele zu betonen, können Katniss und Peeta ihre gesteigerte Popula-

rität zunehmend für ihre eigenen Zwecke nutzen. Die Hoffnung auf einen gemeinsamen Sieg

bewahrheitet sich und verhöhnt somit die Hungerspiele als Machtinstrument. Gleichwohl Prä-

sident Snow mithilfe seiner Medien in Folge den Versuch startet, das „tragische Liebespaar“

symbolisch auf die Seite der Machthabenden zu ziehen – so als ob das Kapitol den beiden durch

ihren Sieg die Möglichkeit geboten hätte, von einem tragischen Liebespaar über ihre bevorste-

hende Hochzeit zu einem märchenhaften zu werden – rebellieren Katniss und Peeta in einer

TV-Sendung des Kapitols öffentlichkeitswirksam gegen die nächsten 75. Hungerspiele. Nach-

dem nämlich Peeta im Interview mit dem Showmaster Flickerman von der vorgetäuschten

Schwangerschaft von Katniss, die er überdies heimlich geheiratet habe, berichtet, wendet sich

auch die Stimmung des Publikums im Kapitol gegen die Hungerspiele. Ähnlich widerständig

zeigt sich das Outfit von Katniss, die wiederum als „Girl on Fire“ auf der Bühne erscheint: Das

weiße Brautkleid, das Snow sie zu tragen zwingt, verbrennt und verwandelt sich. Katniss er-

scheint als „Spotttölpel“; das Publikum ist begeistert.

Damit hilft der Stylist Cinna, als Unterstützer einer politischen Revolution in Panem,

Katniss gegenständlich als hoffnungsspendenden Spotttölpel darzustellen. Diese figurative

Rolle entsteht bereits davor, als Katniss im Kontext der 74. Hungerspiele ein Bündnis mit Rue

164

eingeht. Über diese Allianz verbindet sich das Symbol des Vogels – über Katniss‘ Brosche, die

sie dank Cinna über dem Herzen trägt – mit den lebenden Spotttölpeln in der Arena – die Rue

und Katniss als Kommunikationsmittel verwenden – mit jenem Gruß, den Katniss als Zeichen

des Respekts nach Rues Tod in Richtung der Kameras vollführt. Die Ausstrahlung dieser Szene,

die sich mit dem pietätvollen Begräbnis von Rue dem Prinzip der menschenverachtenden Hun-

gerspiele widersetzt, führt zu ersten gewaltsamen Tumulten in Rues Heimat; weitere Distrikte

folgen. Ergo affiziert Katniss mit der Wut und der Trauer, die sie sichtlich am eigenen Leib

empfindet, die Menschen über die mediale Übertragung der Hungerspiele insoweit, als dass sie

sich nicht länger mit den gegebenen, unterdrückenden Verhältnissen in Panem abfinden wollen.

Auch durch ihren Sieg mit Peeta – der laut offiziellem Regelwerk eigentlich nicht möglich

gewesen wäre – scheint sie in der Bevölkerung Panems eine Hoffnung auf Veränderung, auf

einen Ausbruch aus den ungerechten Verhältnissen, wachsen zu lassen. Im Gegenzug wird Kat-

niss zur Hoffnungsträgerin all jener, welche eine Revolution befürworten und unterstützen.

Sämtliche Zeichen, die mit Katniss als Spotttölpel verbunden sind, werden zum Zeichen der

Rebellion und des Widerstands gegen Snow.

Indes bedient sich die widerständige Allianz rund um Präsidentin Coin, die im Unter-

grund von Distrikt 13 seit Jahrzehnten auf einen offenen Widerstand gegen Snow gewartet hat,

der animierenden Kraft von Katniss. Da Plutarch Heavensbee bei den 75. Hungerspielen als

Oberster Spielmacher eingesetzt wird, kann er als Berater Snows Einfluss auf die Medien des

Kapitols üben und direkt in das Geschehen in den Hungerspielen eingreifen, wodurch Katniss

als Spotttölpel weiterhin medial hervorgebracht bzw. nachfolgend aus der Arena gerettet wer-

den kann. Im Anschluss wird der Spotttölpel in den Mediensendungen der Rebellierenden offen

als Leitfigur der Rebellion präsentiert. Den Funken der Hoffnung, den Katniss als „Girl on Fire“

vorab in Panem gezündet hat, nützen die Rebellierenden nunmehr mit dem ‚brennenden‘ Spott-

tölpel als anfachende Kraft, die mehr und mehr Distrikte auf der Seite der Rebellion einen kann.

Katniss‘ Wirkkraft verstärkt sich mit jedem ausgestrahlten Propagandavideo, sowie mit jenem

Attentat auf ihr Leben, aus dem sie wie ein Mythos wiederaufersteht. Ihr Tod, den sie später

vermeintlich bei der Eroberung des Kapitols gefunden haben soll, macht sie überdies zu einer

Märtyrerin im Sinne der Rebellierenden, welche diesen neuen Status ihres Spotttölpels weiter-

hin als Triebkraft im Kampf gegen das Kapitol nutzen.

Als Katniss letztlich bei der angeordneten Exekution Snows in ihrem Spotttölpel-Outfit

stattdessen Alma Coin erschießt, offenbart sich meiner Argumentation zufolge anhand der Un-

165

kontrollierbarkeit von Katniss die Unkontrollierbarkeit des Affekts, und auch jenes widerstän-

dige Potenzial von Hoffnung, das sich einer Macht von oben widersetzt und gerade aus Krisen-

situationen zu erwachsen vermag.

Infolgedessen gelange ich zum Schluss, dass die Effekte von Hoffnung als Affekt in der

Filmreihe „The Hunger Games“ mit Katniss Everdeen eine Hoffnungsträgerin hervorbringen,

welche wiederum mehr und mehr Menschen mit ihrem ‚Feuer‘ affiziert. Dadurch formiert sich

rund um Katniss eine Assemblage des Widerstands, die einem Flächenbrand gleich in einer

gewaltsamen Rebellion kulminiert und die bisherigen Machtverhältnisse Panems destabilisiert

und aufbricht. In diesem Zusammenhang produzieren, steuern und modulieren die Medien des

Kapitols, als auch die Medien der Rebellierenden, zu einem großen Teil jene Affekte, die sich

mit Katniss‘ Körper verbinden, worüber die junge Frau überhaupt erst als hoffnungsspendende

Gestalt einer ganzen Nation in Erscheinung treten kann. Dennoch wäre eine solche politische

Revolution letzten Endes nicht möglich gewesen, ohne all die Menschen dahinter, deren Hoff-

nung auf ein kollektiv besseres, demokratisches und freies Panem gerichtet gewesen ist. Der-

gestalt zeigt „The Hunger Games“ anschaulich, wie mithilfe der Hoffnung eine Transformation

gesellschaftlicher Verhältnisse bewirkt werden kann.

166

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