„...und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Guten für Euch!“ (Q 9,61)....

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Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen Herausgegeben von Katrin Müller und Andreas Wagner

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Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen

der Nachbarkulturen

Herausgegeben von

Katrin Müller und Andreas Wagner

Alter Orient und Altes Testament Veröffentlichungen zur Kultur und Geschichte des Alten Orients und des Alten Testaments

begründet von Manfried Dietrich und Oswald Loretz†

Band 416

Herausgeber

Manfried Dietrich • Ingo Kottsieper • Hans Neumann

Lektoren

Kai A. Metzler • Ellen Rehm

Beratergremium

Rainer Albertz • Joachim Bretschneider • Stefan Maul Udo Rüterswörden • Walther Sallaberger • Gebhard Selz

Michael P. Streck • Wolfgang Zwickel

Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen

der Nachbarkulturen

Herausgegeben von

Katrin Müller und Andreas Wagner

2014 Ugarit-Verlag

Münster

Katrin Müller und Andreas Wagner (Hrsg.):

Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkul-turen

Alter Orient und Altes Testament, Band 416

© 2014 Ugarit-Verlag, Münster

www.ugarit-verlag.de All rights preserved. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic, mechanical, photo-copying, recording, or otherwise, without the prior permission of the publisher. Printed in Germany

ISBN: 978-3-86835-108-8

Printed on acid-free paper

                     

Hans-Christoph Schmitt gewidmet

Vorwort Das intensive Nachdenken über Gestalt- und Körperfragen im Alten Testament und seinen Nachbarkulturen und das Nachverfolgen von Rezeptionslinien, wie es insbe-sondere Gegenstand des DFG-Projekts „Stabilitas Dei – Die Gestaltbeständigkeit des alttestamentlichen Gottes im Vergleich mit außeralttestamentlichen Göttern“ (2008–2013, Projektleitung: A.Wagner, Projektmitarbeit: K.Müller) war, hat immer wieder zu dem Konzept der „Synthetischen Bedeutung / Körperauffassung“ geführt.

Terminologie und Begriff wurden von dem Alttestamentler Hans-Walter Wolff (1911–1993) geprägt und sind seit Jahrzehnten in der Diskussion. In diesen Jahr-zehnten haben sich aber inzwischen etliche neuere Forschungsbewegungen ergeben, von der Historischen Anthropologie über die Körperforschung bis zur Kognitiven Linguistik, die mit ihren neuen methodischen Zugängen und historischen Erkennt-nissen auch neue Perspektiven auf das von Wolff entwickelte Konzept ermöglichen. Dies war die Ausgangslage für ein intensives Neubedenken der Wolff’schen Thesen.

Hier an den Anfang der Beiträge gestellt ist der Versuch einer Modifikation des Wolff ’schen Konzeptes von A.Wagner. Mit der terminologischen Ausweitung von der „Synthetischen Bedeutung“ (Wolff) zum „Synthetischen Bedeutungsspektrum“ (Wagner) sollten erste Engführungen überwunden und stärker als bei Wolff eine Trias von Körperbedeutung, gestischer Bedeutung und funktionaler Bedeutung in den Vordergrund gerückt werden. Aber grundsätzliche Fragen konnten in diesem Beitrag noch nicht diskutiert werden, etwa die Annahme, dass die „synthetische Kör-perauffassung“ eine der semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen sei.

Diese und ähnliche größere Nachfragen konnten nun mit Hilfe eines internatio-nalen Forschungssymposiums zum Thema „Synthetische Körperauffassungen“ ge-leistet werden, das am 17.–18.06.2011 im Rahmen des o. g. DFG-Projektes im darmstadtium in Darmstadt stattfand. Organisiert und durchgeführt wurde das Sym-posium von den Herausgebenden dieses Bandes K.Müller und A.Wagner.

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes setzen sich mit den Annahmen und Thesen Wolffs kritisch auseinander. Zum einen wird durch die Anwendung des Konzeptes auf das außerbiblische Althebräische und Sprachen der Nachbarkulturen (Aramäisch, Hetitisch, Ugaritisch, Akkadisch und Ägyptisch sowie Altgriechisch) der Frage nach der analytischen Tragfähigkeit des Konzepts nachgegangen. Dabei werden Konvergenzen und Interdependenzen, aber auch Differenzen bei den Kör-perauffassungen aufgezeigt. Zum anderen wird hinterfragt, ob die „synthetische Körperauffassung“ wirklich eine semitische Vorstellungs- und Denkvoraussetzung darstellt. Es wird gezeigt, dass das Kulturspezifische nicht die „synthetische Kör-perauffassung“ ist, sondern die jeweiligen Funktionszuordnungen bei den Körpertei-len, eigene kulturelle Konstruktionen von gestischer Bedeutung und eine (im Ver-gleich mit modernen Sprachen wie dem Deutschen, aber auch dem Arabischen des Korans) deutlich gehäufte Verwendung der Körperteillexeme anstelle von Abstrak-ta.

Vorwort VIII

Die Beiträge des Bandes stammen aus verschiedenen Disziplinen, die ihre je ei-genen Fächerprägungen auch in formaler Hinsicht haben; mit Blick auf diese unter-schiedlichen Fächerkulturen haben wir nicht alles vereinheitlicht, die Literaturanga-ben wurden allerdings überall nach dem von AOAT vorgegebenen Muster gestaltet.

An dieser Stelle möchten wir etlichen Personen und Institutionen Dank sagen, die das Zustandekommen des Symposiums und der daraus hervorgegangenen Publi-kation ermöglicht haben. Zuerst sei den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern gedankt, den Vortragenden S.Görke (Mainz), I.Kottsieper (Göttingen), M.Kropp (Mainz), E.Martin (Bern), D.Schwiderski (Heidelberg), U.Steinert (Ber-lin), J.Stenger (Berlin), D.Werning (Berlin), sowie den Mitwirkenden bei der Mode-ration A.Diesel (Koblenz) und D.Benz (Heidelberg). Der DFG ist zu danken, dass das Symposium und ein Teil der Drucklegung der Symposiums-Beiträge innerhalb des o. g. DFG-Projektes stattfinden konnten. Für weitere Unterstützung danken wir der Ev. Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Ev. Kirche der Pfalz (Prot. Landeskirche) sowie der Theologischen Fakultät der Universität Bern, in deren Kon-text die letzten Auswertungs- und Publikationsarbeiten aus dem DFG-Projekt ausge-führt wurden.

Besonderer Dank gilt den Herausgebern der Reihe Alter Orient und Altes Testa-ment (AOAT), die unseren Sammel-Band in ihre Reihe aufgenommen haben. Ge-dankt sei auch Kai Metzler und insbesondere seiner Kollegin beim Ugarit Verlag Ellen Rehm, die uns tatkräftig bei der Manuskriptbearbeitung unterstützt haben. In diesem Zusammenhang danken wir nicht zuletzt für die so wichtige Mithilfe bei der Korrektur der Manuskripte Sarah Kipfer, Janine Liechti und Mathias Müller.

Das Buch ist Prof. em. Dr. Hans-Christoph Schmitt (Erlangen) gewidmet; wir danken ihm für seine wertvollen und motivierenden Ratschläge bei den Forschungen und Projekten im Bereich der alttestamentlichen Anthropologie.

Bern, im Juli 2014

Katrin Müller und Andreas Wagner

Inhaltsverzeichnis Andreas Wagner

Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Köperteilbezeichnungen ........................................................................................1

Katrin Müller Die Bedeutungen der Körperteilbezeichnungen in der althebräischen Epigraphik ...................................................................................13

Dirk Schwiderski Die zentralen äußeren Körperteile und ihre übertragenen Bedeutungen in reichsaramäischen Texten und im Biblisch-Aramäischen ........29

Susanne Görke Das Konzept der „synthetischen Körperauffassung“ bei den Hethitern .............41

Evelyne Martin Mit Hand und Fuß. Die synthetische Körperauffassung in ugaritischen, poetischen Texten anhand ausgewählter Beispiele .............................................55

Ulrike Steinert Synthetische Körperauffassungen in akkadischen Keilschrifttexten und mesopotamische Götterkonzepte ........................................................................73

Daniel A. Werning Der ,Kopf des Beines‘, der ,Mund der Arme‘ und die ,Zähne‘ des Schöpfers.

Zu metonymischen und metaphorischen Verwendungen von Körperteil-Lexemen im Hieroglyphisch-Ägyptischen ......................................107

Jan Stenger Körper, Kognition, Kultur. Körperteilbezeichnungen im Griechischen ...........163

Inhaltsverzeichnis X

Manfred Kropp „…und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Guten für Euch!‘“ (Q 9,61). Synthetische Körperauffassung im Koran? Über einige Körper(teil)bezeichnungen und ihre Bedeutungen. Ein Versuch unter teilweiser Einbeziehung der altarabischen Poesie ..............185

Katrin Müller / Andreas Wagner Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion ..............223

Literaturverzeichnis ................................................................................................239

Index .......................................................................................................................261

„…und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Guten für Euch!‘“ (Q 9,61)

Synthetische Körperauffassung im Koran? Über einige Körper(teil)bezeichnungen und ihre Bedeutungen

Ein Versuch unter teilweiser Einbeziehung der altarabischen Poesie1

– Manfred Kropp –

Einleitung und Problemstellung

Die „synthetische Körperauffassung“ und ihre Belegung in der „anthropologischen Sprachlehre“2 arbeitet die Eigenbegrifflichkeit der Körper- und Körperteilbezeich-nungen wie auch anderer Nomina zur Bezeichnung des ganzen Menschen oder sei-ner Handlungen im AT, aber auch im Althebräischen allgemein heraus. Diese der Sprach- und Literaturwissenschaft nahestehende Exegese hat Auswirkungen auf das Verständnis des Textes, besonders aber auch auf die Praxis des Übersetzens. Es ist der Versuch, abseits von ausuferndem Etymologisieren in der Tradition der verglei-chenden Betrachtung der semitischen Sprachen, und bewußt abgewandt von einer die Ausgangssprache nachahmenden und nachformenden Übersetzung, zunächst Funktion und Bedeutung der hebräischen Sprachformeln zu klären und zu beschrei-ben, ohne sich auf eine Übersetzung festzulegen. Damit ist schon ein Erkenntnisge-winn erreicht, und der Exeget könnte mit einem generellen Verweis auf diese Ergeb-nisse die traditionellen Übertragungen belassen. Im folgenden und möglichen inter-sprachlichen und interkulturellen Vergleich mit der Zielsprache in Bezug auf ge-meinsame und abweichenden Gebrauch der betreffenden Wörter allerdings reizt der Versuch festzulegen, wo eine Übertragung in Gleichbedeutendes möglich ist, oder wo für die gleichbedeutende Übersetzung nur die generelle Bedeutungsangabe zur Verfügung steht, wenn man von der oben angesprochenen, bewußten Nachformung der Ausgangssprache absieht.

Ausgeklammert bleibt weitgehend die Frage der funktional und lexikalisch ver-wandten Somatismen, bei denen die Schlüsselwörter in feststehenden Wendungen gebraucht werden, deren Bedeutung konventionell festliegt. Hier gibt es gemeinsa-me Teilmengen, denn das Schlüsselwort (Körperteilbezeichnung o. ä.) kann auf der Wortebene allein im Sinne metonymischer und metaphorischer Verwendung gese-                                                                                                                1 Vortrag auf Symposium im Rahmen des DFG-Projekts „stabilitas Dei“, 17. bis 18. 06. 2011 am Institut für Theologie und Sozialethik, TU Darmstadt. 2 WOLFF, H.W.: Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski, Gütersloh 2010, 29–128 (I. Des Menschen Sein).

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hen gesehen werden, die sich in die übergeordnete Einheit und Bedeutung des So-matismus einfügt.

Einführende Bemerkungen zu Charakter und Eigenart des Korans

Arabisch ist im Rahmen der semitischen Sprachen dem Althebräischen relativ nahe verwandt, das Korpus des Korans weist mehr alttestamentliche als neutestamentliche Zitate, Einflüsse und Parallelen auf. So liegt es nahe, Instrumente und Methoden, die zur Klärung der synthetischen Körperauffassung geführt haben, auf diesen Text und, soweit möglich und notwendig, auf das (Alt-)Arabische anzuwenden.

Für die Untersuchung des Korans stehen nunmehr zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung, gedruckte Konkordanzen und thematische Indices, zahlreiche entspre-chende Korpora im Internet, als CD und als Festplattenkorpora. Genannt seien z. B.: Arne A. Ambros: A Concise Dictionary of Koranic Arabic, Wiesbaden 2004, gefolgt von Arne A. Ambros: The Nouns of Koranic Arabic Arranged by Topics. A Com-panion Volume to the „Concise Dictionary of Koranic Arabic“, Wiesbaden 2004. Gedruckt steht in Arabisch die nach Wurzelalphabet geordnete Konkordanz von Muḥammad Fuʾād ʿAbd-al-Bāqī al-Muʿǧam al-mufahras li-alfāẓ al-Qurʾān al-karīm, Kairo 1938 und viele Nachdrucke zur Verfügung. Im Internet gibt es viele, in der Zahl ständig wachsende Instrumente, die den Aufbau von Konkordanzen (im arabi-schen Original und verschiedenen Übersetzungssprachen) erlauben; hier seien als Beispiel nur das Tanzil-Project „Offenbarung“ (http://tanzil.net/), Corpus Quran (http://corpus.quran.com/), Intratext (http://www.intratext.com/) und altafsir „Ko-rankommentar“ (http://www.altafsir.com/) genannt.3

Eine erste Musterung und Auflistung der in Frage kommenden Wörter und Ver-balwurzeln4 im Koran ergibt, daß sich über die semitische Sprachverwandtschaft ein

                                                                                                               3 Zum jeweils aktuellen Stand: http://de.wikipedia.org/wiki/Koran#Der_ Koran _im_Internet. 4 Die semitischen Sprachen verfügen neben Primärnomina, die zunächst nicht weiter ableitbar sind, über „Wurzeln“, d.h. zwei und mehrradikalige Sequenzen von Konsonanten und Voka-len, auf deren Basis nach morphologischen Regeln Verben und Nomina abzuleiten sind, die im Idealfall einem gemeinsamen semantischen Feld („Grundbedeutung“ der Wurzel) angehö-ren. Solche Wurzeln sind teils freie Bildungen, teils sekundär aus dem Radikalbestand der Primärnomina gebildet. Durch Überkreuzung (teils völliger Gleichlaut, teils nur geringfügige Unterschiede in Vokalisierung) kommt es zu Doppelungen von Wörtern, die sich aber seman-tisch unterscheiden können. Solche Doppelungen sind in rein konsonantischer Textüberliefe-rung nicht auseinanderzuhalten, die gewählte Lesart ist schon Interpretation, über die nicht notwendigerweise Einigkeit in der Tradition, und auch nicht in der wissenschaftlichen Deu-tung bestehen muß (s. u. das Beispiel ʾuḏn „Ohr“ – ʾiḏn „Erlaubnis“). Daß hier, wie in vielen Fällen, über die historische Etymologie Identität bestanden haben mag, macht die Interpreta-tion gerade mit Hinblick auf metaphorischen (hier Meronymie und funktionale Metonymie) Gebrauch schwierig und unsicher. Die kommunikative Situation („ist Sprechern und Hörern noch die historische Entwicklung bewußt und nachzuvollziehen?“), die hier ausschlaggebende Klärung bringen könnte, ist oft nicht zu bestimmen. Trotz der extrem niedrigen Zersetzungs-rate semitischer Sprachen für Phoneme, die die lautliche Wortgestalt über lange Zeiträume praktisch unverändert läßt, ist aus Erfahrung zu sagen, daß nicht reflektierenden und nicht

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guter Teil gleichlautender Termini ergibt, die aber alle nach Bedeutung und Ver-wendung im Arabischen zu definieren und u. U. vom Hebräischen abzusetzen sind (Phänomen der faux amis). Daneben stehen eindeutige oder zu vermutende Entleh-nungen aus AT und NT bzw. deren Umfeld.

Die Anwendung detaillierter Klassifizierung – etwa im Stil der Untersuchung zum Altägyptischen von Daniel Werning in diesem Band – erfordert die Kenntnis des jeweiligen Kommunikationsvorgangs, den Untersuchungen in modernen Spra-chen zur Verfügung haben. Für den koranischen Text ist dieser Zusammenhang nur in Ansätzen faßbar. Der Koran ist das erste größere und zusammenhängende Text-dokument des Schriftarabischen. Zeitgenössische Texte, nicht nur religiöser, son-dern auch anderer Art fehlen praktisch ganz, mit Ausnahme der vorislamischen arabischen Poesie. Somit muß weitgehend offen bleiben, welchen sprachlichen Ho-rizont und welche sprachliche Kompetenz das angesprochene Publikum hatte, letzt-lich auch, auf welchen Grundlagen und aus welchen Quellen sprachlicher Art der Autor bzw. die Autoren oder Redaktoren schöpften. Erkennen lassen sich Parallelen, aber oft in charakteristischer Umformung, zu jüdischen und christlichen – nicht nur Bibel – Texten, doch muß auch hier offen bleiben, ob es sich um Innovationen des Urhebers / der Urheber koranischer Texte handelt, oder ob solche Texte bereits vorher in Arabisch existierten.

Für den innerarabischen Vergleich koranischen Stils und koranischer Ausdrucks-weise gibt es – neben dem allerdings stark vom Koran beeinflußten, dem Anspruch nach „zeitlosen“ klassischen Arabisch – zeitgenössische Texte nur in Form der alt-arabischen Poesie, die erst in islamischer Zeit schriftlich tradiert wurde und in ihrer Authentizität umstritten ist. Diese Texte sind in verschiedenen umfassenden Text-korpora der arabischen und islamischen Literatur im Internet (z. B. al-Maktaba aš-šāmila „Universalbibliothek“ (http://shamela.ws/; das Korpus kann zur Gänze auf lokale Speicher geladen werden und wird ständig ergänzt) oder in Form von DVD oder Festplatten (z. B. al-Ǧāmiʿ al-kabīr, „Großkorpus [der Literatur]“ der Firma Turath.com [http://www.turath.com/turath/] enthalten. Daneben gibt es Spezialkor-pora für die arabische Poesie; am einfachsten mit CD-Korpora, etwa al-Mawsūʿa aš-šiʿriyya „Enzyklopädie der Dichtung“, Abū Ḍabī [UAE], 2003 zu befragen). Daß diese Korpora in der Regel nur eine Textversion, bei kritischen Editionen den Haupttext, ohne die Varianten des Apparats geben, schadet für den hier in Frage stehenden Zweck nicht. Diese poetischen Texte gehören freilich einem gänzlich anderen literarischen Genus an, sind aber aussagekräftig für generelle Kennzeichen arabischer Idiomatik und Denkweise und liefern darüber hinaus einen kräftigen Kontrast zum koranischen Korpus.

Im Koran findet sich eine, für das relativ kleine Korpus (ca. 60.000 Wörter mit hoher Frequenz für einzelne Termini) erstaunlich große Zahl von differenzierten Körper- und Körperteilbezeichnungen (77 in engeren Sinne; über 100 für körperli-che Vorgänge, Tätigkeiten sowie deren Produkte; über 50 für körperliche Zustände und Eigenarten sowie knapp 100 für Verwandtschafts- und Gruppenbezeichnungen,

                                                                                                               sprachwissenschaftlich ausgebildeten Sprechern semitischer Sprachen solche historischen Zusammenhänge genauso wenig bewußt werden, wie Sprechern von Sprachen, bei denen die gänzlich veränderte Lautgestalt eine direkte Einsicht in historische Zusammenhänge von vornherein nicht erlaubt.

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von den allgemeinen Aktionsverben einmal abgesehen). Dies ist auch Folge von detaillierten Ritualvorschriften im Korpus.

1. Eine erste – zugegebenermaßen respektlose, wie auch manche der folgenden – Bemerkung

Die erste Bearbeitung des Themas mit Durchsicht des Originaltextes und verschie-dener Übersetzungen ergab, daß eine große Anzahl von (armen) Seelen (s. u. zu arab. nafs) vom und aus dem Koran befreit werden müssen.

Die Fragestellung der synthetischen Körperauffassung ist – nicht nur für den Ko-ran und das koranische Korpus – zu großen Teilen ein Problem der Übersetzung. Es ist evident, daß mit wörtlichen Übersetzungen, die bei der Zielgruppe nur in der Eigenbegrifflichkeit der Zielsprache verstanden werden können, ein angemessenes Verständnis der fraglichen Texte nicht zu erzielen ist. Zu welchen Fehldeutungen diese führen können, wird an einem einfachen Beispiel italienisch-deutscher Über-setzung klar: Italienisches „dare una mano“ bedeutet einfach „jdm helfen“ („dammi una mano“ = „hilf mir“) und muß, generisch und ohne auf Sprach- und Stilebenen einzugehen, so ins Deutsche übersetzt werden. In der Wortwahl fast gleiche – die Details des Artikel- und Präpositionsgebrauchs und die Wahl des Verbs einmal aus-geblendet, die aber für Somatismen entscheidend sind und festliegen – deutsche Wendungen wie „jdm. die Hand geben“, „jdm. die Hand reichen“, „jdm. zur Hand gehen“ wären Fehl-, bzw. nicht zureichende Übersetzungen.5

Auf der anderen Seite ist eine Übertragung in moderne Begrifflichkeit immer nur eine ausschnittweise und stets fragliche Annäherung, die auf vielen Annahmen und Plausibilitäten beruhen muß und nicht durch empirische Untersuchungen, wie für moderne Sprachen und Kommunikationsakte belegt werden kann. Und drittens ist fraglich, ob Denken in der Eigenbegrifflichkeit der Andersheit und Vergangenheit, selbst nach vertiefter und ehrlicher Beschäftigung, möglich ist.

2. Eine weitere respektlose Bemerkung, die aus intensiver Beschäftigung mit dem koranischen Korpus kommt

Die eingehende und forschende Beschäftigung mit dem Koran ist mir erst durch bio-graphische Zufälle in den letzten 10 Jahren eher aufgezwungen worden, nachdem

                                                                                                               5 Vgl. GITTERLE, C.: Somatismen mit dem Körperteil „Hand“ im Italienischen und im Deut-schen – Ein grammatisch-semantischer Vergleich, München 2005, http://www.grin.com/de/e-book/39625/somatismen-mit-dem-koerperteil-hand-im-italienischen-und-im-deutschen. Neben den im Artikel von Daniel Werning über das Altägyptische zitierten Arbeiten zu So-matismenvergleich (NI, D.: Metaphern und Metonymien in deutschen und chinesischen So-matismen [Schriften zur vergleichenden Sprachwissenschaft 6], Hamburg 2011, SIAHAAN, P.: Metaphorische Konzepte im Deutschen und im Indonesischen. Herz, Leber, Kopf, Auge und Hand [Europäische Hochschulschriften 315], Frankfurt a. M. / Berlin 2008) wären für den Vergleich Arabisch-Deutsch zu nennen: KOTB, S.: Körperbezogene Phraseologismen im Ägy-ptisch-Arabischen, Wiesbaden 2002.

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ich sie als Semitist, aber auch Arabist in den dreißig Berufsjahren zuvor geflissent-lich vermieden hatte, befolgend das Wort und den Rat Hans Jakob Polotskys, münd-lich gegeben in einem langen Abendgespräch am Rande der 6. International Con-ference of Ethiopian Studies in Tel Aviv, im April 1980: „Betreiben Sie Arabisch unter Ausschluß des Korans“.6 Nun, bei der Erfüllung der übernommenen Aufgabe, die Körper-teil-sprache des Korans durchzumustern, habe ich anhand einer entspre-chenden Wortliste Kontextkonkordanzen (arabischer Text) durchgearbeitet und bin zu der verblüffenden Einsicht und Erfahrung gekommen, daß dies eine – für den Okzidentalen und Nichtmuslimen – akzeptable Form der Lektüre dieses Textes ist, dem auch in Orientalistenkreisen der Ruf „schauerlicher Öde“ und Ungeordnetheit anhaftet und dessen Lektüre nach der Kapitel- und Verssequenz der Tradition nur schwer möglich ist. Hier helfen auch analytische Ansätze und Vorgaben, etwa der Stil- und Formanalyse der „semitischen Rhetorik“, nur wenig. Recht oft beginnt man ja mit den letzten kurzen Suren und sucht sich, mit bestimmten Fragestellungen, den Lektüreweg durch die längeren und kompositen Stücke. Die Rezeption in Arabisch erfolgt zumeist durch die Rezitation, und da ist es – meiner Beobachtung nach – eher eine ästhetisch-musikalische Rezeption, die den Inhalt dominiert, vom Sonder-problem der direkten Verständlichkeit oder Unverständlichkeit des Textes auch durch einen arabischen „Muttersprachler“ einmal abgesehen. Hier ist nicht zu ver-gessen, daß die arabische Muttersprache eine der neuarabischen Sprachen ist, die Schriftsprache als zwar verwandte, aber durchaus andere Sprache zu erlernen ist. Beim Konkordanzlesen wird in der Tat zunächst die stereotype und repetitive Natur vieler Textteile erkennbar, immer bezogen auf ein relativ kleines Korpus. Durch das nur wenig variierte Eintrommeln bestimmter Phrasen werden leitende Ideen erkenn-bar, die dem Autor oder den Autoren besonders am Herzen lagen. Dies führt mich ungehindert zu einer zweiten respektlosen Bemerkung: man gewinnt den Eindruck eines fast monoton hämmernden – anwesende Theologen werden mich entschuldi-gen – Predigerstils, schärfer gefaßt: eines von seinen Ideen fanatisch besessenen Propagandisten. Da ich zur Arbeit am Koran immer parallel Anderes lese, hat mir der Zufall die Lektüre von Viktor Klemperers Lingua tertii imperii gegeben und ich sah mit innerem Erschrecken Parallelen zu koranischen Texten und koranischer Sprache. Allerdings bin ich mit dieser Erfahrung nicht einsam und nicht der erste. Maxime Rodinson, Soziologe des Nahens Ostens und zugleich eminenter Philologe und Historiker nicht nur des Islams, sondern des gesamten historischen Umfelds des frühen Islams, hat in seiner Muḥammad-Biographie schon Parallelen zwischen Früh-islam und totalitären Systemen des 20. Jhdts. gezogen.7

                                                                                                               6 Dies ist natürlich cum grano salis zu nehmen. Jeder im Klassisch-Arabischen geschriebene Text nach dem Koran steht unter dem Einfluß dieses Textes, und sei es auch nur durch die später am koranischen Beispiel geformte Normgrammatik. Als sprachliche Objekte in relati-ver Entfernung von diesem Einfluß kommen nur jüdische oder christliche Texte in „Mittel-arabisch“ auf der einen Seite, die lebenden neuarabischen Sprachen als Erben und Fortsetzer altarabischer Sprachvarietäten auf der anderen in Frage. Bei den letzteren ist die genaue Stel-lung und Verwandtschaft zur klassischen Normsprache nicht gänzlich geklärt. 7 RODISON, M.: Mahomet, Paris 1961; édition revue et augmentée, Paris 1968; Nouvelle édit-ion revue, Paris 1994, passim.

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Die eben angesprochenen gehäuften Wiederholungen auf der Syntagmen- und Satzebene – „Parallelstellen“, die für das hier zu behandelnde Thema durchaus den Rang koranischer Somatismen einnehmen können – im begrenzten Korpus des Ko-rans führen direkt zu dem Gedanken eines „Reduktionskorpus“, das den betreffen-den Ausdruck nur einmal anführt und dann nur noch in einer Sigle indiziert und somit den originalen Textumfang weiter eingrenzt. Dieses Verfahren ist Teil der technischen Textkomprimierung in der elektronischen Datenverarbeitung, bei dessen Anwendung die für das eher kleine Textkorpus hohen Kompressionsraten den glei-chen Sachverhalt anzeigen.

Nebenbei bemerkt, und das eine Meta-Bemerkung zu meiner Bemerkung, ent-spricht der von einer Kontextkonkordanz vorgegebene Atomisierung des Textes in Einzelphrasen (Verse; koranisch āya „Wunderzeichen“) erstens die Art, mit der der Text in Exegese, v.a. aber auch in praktischer Anwendung im islamischen Recht behandelt wird. Und zweitens entspricht dem ganz die Eigenart der (alt-)arabischen Poesie, in der der Vers zumeist eine autonome Einheit ist, die als solche beurteilt und geschätzt wird. Der gelungene Einzelvers macht Rang und Ruhm des Dichters aus, weniger die längeren Gedichtkompositionen.

3. Fügen wir eine dritte, weniger respektlose, aber ein Ergebnis vornehmende Bemerkung an

Im Arabischen, in „gemeiner“ Hoch- und Schriftsprache wie in gesprochenen Spra-chen – man sollte man nicht vergessen, daß das Arabische über eine Anzahl, zwar durch die religiöse wie kulturell-soziale Entwicklung erzwungen illiterater Sprachen von hoher Ausdruckskraft und Brillanz verfügt – im koranischen Korpus und in der altarabischen Poesie erkennt man, neben der synthetischen Körperauffassung, das Phänomen eines Stützworts zur Vermeidung eines einfachen Personalpronomens oder einer einfachen Anrede, schließlich zur Vermeidung der einfachen Nennung einer Person oder Wesenheit aus Gründen des Respekts oder eines Tabus. Die Wahl eines solchen Stützwortes ist ursprünglich bedingt durch einen Teilaspekt des Kör-pers, der Person oder ihrer Wirksamkeit. Doch verblaßt die konkrete Bedeutung und das Stützwort wird mit folgendem Personalsuffix oder Nomen eine konventionelle, feste Wendung, die nur als Ganzes verstanden wird. Dies ist in anderen semitischen Sprachen, wie etwa den äthiopisch-semitischen in noch größerem Maße und noch höherem Maße der Grammatikalisierung zu beobachten. Verschiedene Standardfor-men der Personalpronomina etwa lassen sich in ein ursprüngliches „Stützwort“ (z. B. Kopf) mit folgendem Possessivsuffix, das die intendierte grammatische Person an-zeigt, zerlegen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist waǧh Allāh „Angesicht Gottes“ in Q 55,27 (s. auch u. zu waǧh). Hier muß Deutung und Übersetzung entscheiden, ob es sich um eine respektbedingte Formel für „Dein Herr“ handelt, also eine histo-rische Metonymie, die Sprecher und Hörer nicht mehr bewußt wird. Oder um eine wache, gar innovative, u. U. durch Entlehnung aus biblischen Sprachgebrauch ge-schaffene Metonymie, die dann in der Übersetzung zu berücksichtigen wäre: „das Antlitz Deines Herrn“. Über die Problematik der angemessenen Übersetzung hinaus haben solche Fragen und ihre Klärung entscheidende Bedeutung für die Einschät-zung von Charakter, Funktion und Wirkung des Textes in seinem – falls überhaupt

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rekonstruierbaren – historischen Kontext. Dies als Problem für den Historiker; der Theologe vermag unter Berufung auf die Unmittelbarkeit des göttlichen Wortes andere Lösungen zu schaffen.

Ähnliches gilt für andere idiomatische Wendungen, wie die, auch im korani-schen Korpus zahlreichen Ausdrücke per merismum (Zeuge und Bezeugtes = abso-lut echtes Zeugnis; Erzeuger und Gezeugter = Zeugung schlechthin usw.). Versucht man, wie schon die muslimische Exegese, jedem Element seinen besonderen Sinn zu geben, verfehlt man einfach die intendierte Aussage (man lese die Suren 85 An-fang und 112 in den jeweiligen Übersetzungen und Kommentaren nach!).

4. Eine weitere Ergebnisvorwegnahme

Das Arabische scheint in statistisch relevanter Häufigkeit abstrakte Handlungsnomi-na zu bevorzugen und gebraucht sie in manchen Fällen überwiegend vor den ent-sprechenden Körperteilbezeichnungen, z. T. aber auch in gemischten oder hypertro-phen, redundanten Formeln, in denen das Körperteil und seine Aktion explizit mit zwei Wörtern bezeichnet wird: samʿ „Gehör, Hören“ statt ʾuḏun „Ohr“ baṣar „Sehvermögen, Blick, Schauen“ statt ʿayn „Auge“; vgl. aber: samʾ wa-baṣar wa-qalb „Hören, Sehen und Herz (= Verstehen)“ qawl „Rede“ statt fūh „Mund“; vgl. aber qawl afwāhi-him „Rede ihres Mundes“; āḏān yasmaʿūna bi-hā „Ohren, mit denen sie hören“. In den Rahmen einer größeren Untersuchung des Themas „Körperteilbezeichnungen und ihre Funktionen“ gehörte auch die Einbeziehung der entsprechenden Aktions-verben (sehen, hören, sprechen, schmecken, stehen, laufen usw.), auch wenn diese nicht über die Wortwurzel mit der Körperteilbezeichnung verbunden sind. Außer wenigen Andeutungen wurde bei der hier vorgelegten Arbeit, die selbst für die ei-gentlichen Körperteilbezeichnungen eher eine Skizze und ein Programm für eine eingehende Untersuchung sein will, auf diese Ausweitung verzichtet.

5. Bemerkung zum Koranzitat im Titel des Aufsatzes

Der Auszug aus der Koransure 9 at-Tawba „die Reue“, Vers 61 wurde wegen des darin enhaltenen Beispiels für metaphorische Verwendung einer Körperteilbezeich-nung (s. u. zu uḏun „Ohr“) als Titelmotto gewählt. Darüber hinaus bietet das Zitat Material und Anlaß zu einer Bemerkung über koranischen Stil mit Hinblick auf den Textcharakter in der dargestellten bzw. anzunehmenden kommunikativen Situation und weiterhin eine Hypothese über die Geschichte des Textes.

Qul „Sprich“-Phrasen sind in der Regel theophor zu verstehen, Anweisungen des Urhebers der Offenbarung an sein Medium. Manches qul „sprich“ steht im Verdacht der Textkritik, spätere Hinzufügungen zu sein mit dem Zweck der ausdrücklichen Auszeichnung der folgenden Aussage als direktes göttliches Wort.

Streicht man im Text die lediglich die Sprecher angebenden Phrasen: „sie sa-gen“, „dann sprich“ bzw. „dann sagte er“ ergibt sich, in moderner Typographie mit Anführungszeichen und Zeilenwechsel unter Auslassung der Nennung der sich aus

Manfred Kropp 192  

dem Zusammenhang ergebenden Sprecher eine (moderne) Dialogwiedergabe: „Er ist (nur?) ein (offenes? lauschendes?) Ohr!“ „(Ja, aber) ein Ohr (das offen ist? lauscht?) zu eurem Besten!“

Doch ist ein solcher Dialog in eine anders gedachte kommunikative Situation einzubauen, denn das Offenbarungsmedium gibt textlich vor, nicht direkt zu hören. Was die Widersacher sagen, referiert der Urheber der Offenbarung und gibt gleich-zeitig mit qul „sprich“ die Handlungs- bzw. Sprechanweisung an sein Medium. Anstatt diese Anweisung sinngemäß auszuführen, also nur den geoffenbarten und befohlenen Text zu sprechen, gibt das Medium die im Prinzip nur für es selbst be-stimmte Anweisung gänzlich und wörtlich weiter, läßt sein Publikum in quasi vo-yeuristischer Weise am Offenbarungsdialog teilhaben.8

Eine Variante dieser Textinterpretation ergibt sich durch die in der defektiven originalen koranischen Orthographie gegebenen Möglichkeit, statt qul „sprich“ qāl „er sagte“ zu lesen. Dies bezöge sich dann auf das Medium und seine Aussage und wäre – ein u. U. vorausgedachtes – Protokoll der entsprechenden Verkündigungs- bzw. polemischen Gesprächssituation. Vorausgedacht, weil sich das Medium, der Prediger nicht nur Einwände und Widerspruch seiner Widersacher vorausdenkt, son-dern auch gleich seine Antworten darauf.9

Für beide Möglichkeiten aber gilt, daß man sie für Merkzettel, aide-mémoire, u. U. aber auch Protokolle eines Sprechers (Verkünders, Predigers) halten kann. Bei allen Brechungen und Verzerrungen durch Personenwechsel und Einführung eines beobachtenden und anweisenden Urhebers des (Offenbarungs-)Textes wird eine sol-che Annahme der szenischen und dialogischen Dramatik dieser Textstücke gerecht. Dies würde das Vorkommen vieler solcher kurzer und in der Textsammlung des Korans verstreuter Textstücke auch in ihrer Natur und Funktion erklären. Diese Zet-telsammlung eines oder mehrerer religiöser Propagandisten, die sich zunehmend zu einer Zettelsammlung politischer Agitatoren und schließlich Gesetzgeber wandelt, liegt, erkennbar mühsam und nicht zureichend geordnet, in manchen Fällen überar-beitet, erweitert und ergänzt, im koranischen Korpus vor. Als weitere Folgerung er-gibt sich aber auch, daß diese Stücke von Anfang an schriftlich notiert waren.10

                                                                                                               8 Vgl. zu diesen Überlegungen meine Ausführungen über „mehrfachadressierten religiösen Diskurs“ in ‚ KROPP, M.: Rapport annuel de la Chaire européenne „Études coraniques“, in: Annuaire du Collège de France 2007 – 2008. Résumé des cours et travaux. 108e année, Paris 2008. 783–801; url: http://www.college-de-france.fr/media/his_cheur/UPL1891_Manfred_ Kropp_cours_ 0708.pdf; 794–798. 9 Im Stile volkstümlicher und mündlicher Gesprächsvorwegnahme: „… dann werden sie sagen ‚…‘, darauf sagst dann du: ,…‘“. 10 Schon Richard Bell geht in seiner Koranübersetzung und seinem Korankommentar von solchen „Zetteln“ aus, die nicht immer geordnet Aufnahme in das Korpus fanden. Mir mag man diesen Gedanken als aus eigener Idiosynkrasie geboren anrechnen; die Zettelsammlung entspricht noch – trotz Computertechnik – der Wirklichkeit meiner Vorarbeiten zu Publikati-onen. Zu einer neueren Studie über Ursprung und Redaktions- und Textgeschichte des Korans vgl. POHLMANN, K.-F.: Die Entstehung des Korans. Neue Erkenntnisse aus Sicht der historisch-kritischen Bibelwissenschaft, 2. Aufl., Darmstadt 2013. Der Autor wendet als erfahrener und ausgewiesener Forscher der alttestamentlichen Textkritik deren Methoden und seine For-schungserfahrung an ausgewählten Beispielen im Koran (Formen der Gottes-Rede, Iblis-Sa-

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 193  

Und letztlich ergibt sich – auf die umfangreiche Diskussion und Weiterentwick-lung des Begriffs kann hier nur einfach hingewiesen werden – ein weiterer Bezug auf Gedanken in der wissenschaftlichen Arbeit von Hans Walter Wolff. Die ange-sprochenen Zettel wären in seinem Sinne „Auftrittsskizzen“, wie er sie für die Ur-sprünge und Anfänge biblischer prophetischer Bücher annimmt, Skizzen, die im Laufe der Überlieferung redaktionelle Ergänzung, Erweiterung und Überarbeitung erfahren.

Liste der Körperteilbezeichnungen und verwandter Nomina im koranischen Korpus

Als erste Sichtung des koranischen und nur begrenzt altarabischen Befunds verzich-tet die folgende Skizze auf konsequente und detaillierte Kategorisierung nach der bekannten und sprach- und literaturwissenschaftlichen Systematik (Metapher, Meto-nymie, Meronymie; wache, schlafende, tote bzw. innovative, etablierte und histori-sche Metaphern), wie sie in anderen Beiträgen dieses Kongreßbandes anschaulich und detailliert – etwa im Artikel von Daniel Werning für das Altägyptische in die-sem Band11 – mit seiner diachronischen Tiefe und Vielfalt von Textgattungen vorge-führt wird. Die dafür notwendigen Vor- und Einzeluntersuchungen stehen in weiten Teilen sowohl für das koranische Korpus als auch für die vorislamische arabische Poesie und das Arabische allgemein noch aus. Eine erste Behandlung des Themas im Rahmen aller Metaphern und Vergleiche im Koran findet sich bei Moses Sister, Metaphern und Vergleiche im Koran, Phil.-Diss. Berlin, 1931; erschienen auch in: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 34 (1931), 103–154; „Körperteile“, 27–35.12 Das Wörterbuch der klassischen arabischen Sprache. Begründet von Jörg Krämer … bearbeitet von Manfred Ullmann, Teil I (kāf) und II (lām), Wiesbaden, 1970–2009 (kaf–lam) bietet in den dort zu findenden Lemmata vorzüglich aufbereitete Einzelstudien zu kaʿb, kaff, lubb, liḥya und lisān; dies läßt umso mehr das Fehlen eines wissenschaftlichen Belegwörterbuchs für die anderen Buchstaben als empfindlichen Mangel fühlen. Der Materialreichtum und die Fülle von Ergebnissen und Kategorisierungen ist allerdings in einer allzu zurückhaltenden typographischen Gliederung und Auszeichnung des Schriftsatzes verborgen, die seine Benutzung umständlicher macht als es sein müßte.

                                                                                                               tan-Text, Mose-Erzählung, Beobachtungen zu koranischen Aussagen über Rolle und Rang Jesu) an und kommt zu bahnbrechenden Folgerungen. 11 In dessen theoretischer Einleitung (§ 0-3) finden sich die notwendigen Begriffsdefinitionen und die einschlägige sprach- und literaturwissenschaftliche Literatur. Das Altägyptische verfügt für die Analyse der Verwendung und Bedeutung von Körperteilbe-zeichnungen in seinem noch am Bild orientierten Schriftsystem zudem eine anregende Kate-gorie und Sonderentwicklung, die den Alphabetschriften der semitischen Sprachen fehlt. 12 Untersuchungen zu Wortfeldern sind selten; SEIDENSTICKER, T.: Altarabisch „Herz“ und sein Wortfeld, Wiesbaden 1992 eine Ausnahme. Für das verwandte Altsüdarabisch gibt es die phraseologische Untersuchung von SIMA, A.: Altsüdarabisch lb „Herz“, yd „Hand“ und lsn „Zunge“, in: Acta Orientalia 62 (2001), 65–80.

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Die Liste ist mit einigen subjektiven Kategorisierungen körpergerecht „von Kopf bis Fuß“ geordnet. Zwei Listen der arabischen (alphabetisch) und deutschen (nach Frequenz) Bezeichnungen finden sich am Ende des Artikels. Die Übersetzungen sind den oben genannten Quellen entnommen, bei zusammenhängendem Text zu-meist der Übersetzung von Rudi Paret.13

Die kommentierenden Bemerkungen orientieren sich an der angeführten Syste-matik, sind aber als erste, noch recht impressionistische, wenn auch in der Synopse aller koranischen Belege gewonnenen Einsichten zu werten. Die kontrastierenden Belege aus der vorislamischen arabischen Poesie sind dagegen als in erster Über-sicht der Belegstellen exemplarische, u. U. nicht repräsentative Auswahl zu werten. Inwieweit sich nur aus diesem sprachlichen Material eine koranische Anthropologie ermitteln läßt, bleibt bewußt dahingestellt, scheint aber für einen Theologen, und nicht nur der betreffenden Glaubensrichtung, keine unlösbare Aufgabe.

Bei der Texterstellung für den folgenden Teil war die vollständige wissenschaft-liche Transliteration des koranischen Korpus in die lateinische Schrift nach den Nor-men DIN 31 635 und ISO 233 von Hans Zirker (gültige Fassung: http://duepublico. uni-duisburg-essen.de/servlets/DocumentServlet?id=10802) eine vorzügliche Hilfe. Auf der Mutterseite des gleichen Autors (www.uni-due.de/katheol/zirker) finden sich zahlreiche Hinweise und z. T. absaugbare pdf-Dokumente zu seinen einschlägi-gen Veröffentlichungen über das koranische Korpus und den Islam.

Ziffer = Anzahl der Belege Q x(xx),x(xx) = Fundstelle im Koran: Sura, Vers; bei mehreren Belegen nur eine Stelle, bzw. zu besonderem Sprachgebrauch die betreffende Belegstelle. Vollständi-ge Belegstellenangaben lassen sich mit den oben genannten Hilfsmitteln leicht er-mitteln. k = konkrete Bedeutung weitere Kategorisierungen werden explizit angegeben.

Körperteilliste „von Kopf bis Fuß“

Ganz- und Ersatzbezeichnungen für den Körper und Verwandtes

insān 71 insiyy 1 „Mensch“. nās 241 „Leute, Menschen, jemand, welche“ (Füllwort, grammatikalisiert), k, gr. ins 18 „die menschliche Art“ k. badan 1 „Körper“, Q 10,92, k. ǧism 2 „Körper“, Q 2,247; 63,4, k. bašar 37 „Menschen“ („normaler“ Mensch, im Gegensatz zu Propheten, Engeln,

besonders aber Gott) (Q 3,79); Mann (meronymisch, totum pro parte) (Q 3,47); „jemand, einer“ (Füllwort bzw. grammatikalisiert, Indefinitpronomen) (Q 14,10);

                                                                                                               13 PARET, R.: Der Koran. Übersetzung, Stuttgart 1966 (Aktuell: 10. Auflage 2007). PARET, R.: Konkordanz, Stuttgart 1971 und weitere Auflagen. Im Artikel der Wikipedia: Koran Übersetzung gibt einen Überblick bis hin zu neueren deut-schen Übersetzungen: http://de.wikipedia.org/wiki/Koran%C3%BCbersetzung.

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37, k, gr. Vgl. a. unten „Haut“.14

raǧul 60 „Mann“, 60, k (besonders in Erbbestimmungen) Etymologisch verbunden mit riǧl „Fuß“.

nafs 292 „Hauch, Leben, Seele, Mensch, Person, jemand, selbst“, (Indefinit- und Reflexivpronomen), (292 davon ca. 200 als Reflexivpronomen oder „Person“ zu deuten), k, m, s, gr. Verbale Wurzel im koranischen Korpus belegt: tanaffasa „wehen“; nāfasa „sich beschnuppern(?) = rivalisieren“. Nafs als Sitz des Wollens und Begehrens des Menschen, aber auch seines Ver-stehens. Nafs weiß, erkennt, ergötzt sich an, ersehnt. Als „Leben“ in der koranischen Formel der lex talionis (Ex 21,23–25) …ˈanna n-nafsa bi-n-nafsi wa-l-ʿayna bi-l-ʿayni wa-l-ˈanfa bi-l-ˈanfi wa-l-ˈuḏuna bi-l-ˈuḏuni wa-s-sinna bi-s-sinni … „Leben um Leben, Auge um Auge, Nase für Na-se, Ohr für Ohr, Zahn für Zahn …“ (Q 5,45). Q 5,32: (nach der Tradition der Israeliten – im Koran von Juden unterschieden): man qatala nafsan bi-ġayr nafsin aw fasādin fī l-ʾarḍ fa-ka-anna-mā qatala n-nās ǧamīʿan “ (in Parets unvergleichlicher Klammer-Übersetzung): „Wenn einer jemanden tötet, (und zwar) nicht (etwa zur Rache) für jemand (anderes, der von diesem getötet worden ist) oder (zur Strafe für) Unheil (das er) auf der Erde (an-gerichtet hat), es so sein soll, als ob er die Menschen alle getötet hätte.“ Q 4,1; 6,98; 39,6: (Gott erschuf alle Menschen) min nafs wāḥida „aus einer Per-son, einem Wesen“. Hier erlaubt sich ein anderer Koranübersetzer an den drei Stellen drei verschiedene Übersetzungen: Wesen – Seele – Mensch. Q 16,111: yawma taʾtī kullu nafsin tuǧādilu ʿan nafsi-hā „am Tag, da jeder kommt, um zu seiner eigenen Verteidigung zu streiten“. Als Indefinitpronomen: Q 2,13: wa-ttaqū yawman lā taǧzī nafsun ʿan nafsin šayˈan wa-lā yuqbalu minhā ʿadlun wa-lā tanfaʿuhā šafāʿatun wa-lā hum yunṣarūna „Und hütet euch vor einem Tag, an dem keine Seele (= keiner) etwas anstelle eines anderen leisten kann und von ihm keine Ersatz(leistung) ange-nommen wird, noch Fürsprache ihr nützt; und (an dem) ihnen keine Hilfe zuteil wird.“ Zu dem Verbum ǧazā „für einen anderen leisten; Ausgleich geben; aber auch: bestrafen“ vgl. unten bei yad „Hand“ zu ǧizya. In diesem Zusammenhang (Indefinitpronomen im Ausdruck per merismum „überhaupt keiner“ wäre unter den Ganzheitsbezeichnungen wālid „Erzeuger“, mawlūd „Erzeugter“ bzw. walad „Kind“ anzuführen Q 31,33: yā-ˈayyuhā n-nāsu ttaqū rabbakum wa-ḫšaw yawman lā yaǧzī wālidun ʿan waladihī wa-lā mawlūdun huwa ǧāzin ʿan wālidihī šayˈan ˈinna waʿda llāhi ḥaqqun „O ihr Menschen, fürchtet euren Herrn und habt Angst vor einem Tag, an dem weder ein Vater etwas für sein Kind (= überhaupt niemand etwas) begleichen kann, noch ein Kind für seinen Vater (= überhaupt keiner) etwas wird begleichen können. Gewiß, Allāhs Versprechen ist wahr.“

                                                                                                               14 Die Konsonantenwurzel ist semantisch reich gegliedert, von „frohe Botschaft verkünden“ über „Mensch“ bis „Haut“, „in direktem Kontakt stehen“. Neben innersprachlichem lautlichen Zusammenfall (homophone Wurzeln) kommen zur Erklärung auch Entlehnungen aus ver-wandten Sprachen in Betracht.

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kullu nafsin ḏāʾiqatu l-mawt „jede nafs wird den Tod schmecken“; modern über-setzt: „jeder Mensch ist sterblich; jeder (von uns) muß sterben“. In der altarabischen Poesie, neben dem pronominalen Gebrauch, bedeutet nafs ab und zu „Leben, Geist, Stimmung“. Aber typisch ist dort – in der Bedeutung „Person“ – der Gebrauch als das „zweite ich“ im inneren Dialog, Selbstgespräch: „die nafs, bzw. meine nafs spricht zu mir“, d.h. ich sage zu mir selbst, ich munte-re mich auf, ich gebe mir den guten Rat usw. Wichtig die Wendung: šifā an-nafs „Heilung der Seele“ = „Rache“, eigentlich „Selbstheilung“.

Körperbestandteile

warīd 1 „Halsschlagader“ (Q 50,16), k. watīn 1 „große Ader, Aorta?“ (Q 69, 46) k; (u. U. aus Reimgründen erfundenes Wort). ǧulūd 9 „Haut, Leder, Fell“, k (für verbrannte Haut der Verdammten in der Hölle, Q

4,56; 22,20), s, metonymisch-funktionale Verwendung für assoziierten Zustand oder Handlung in Redewendungen (Somatismen) „Kräuseln bzw. Glätten der Haut“ für Furcht und Nachlassen der Furcht15 Q 39,24; diese Körpersprache legt unwillkürliches Selbstzeugnis gegen die Ungläubigen ab (Q 41,20–21) „legen ihr Gehör, ihr Gesicht und ihre Haut16 gegen sie Zeugnis ab über das, was sie (in ih-rem Erdenleben) getan haben. 21 Sie sagen dann zu ihrer Haut: ‚Warum habt ihr gegen uns Zeugnis abgelegt?‘ Sie (d.h. ihre Haut (arabisch in der Mehrzahl)) sa-gen: ,Gott, der allem (möglichen, was es in der Welt gibt) die Fähigkeit zum Re-den verliehen hat, hat sie (auch) uns verliehen.“ Das in seiner Sprache verräteri-sche Körperteil wird weiterhin personifiziert und (im Selbstgespräch) angespro-chen. Andere verräterische und selbstanklagende Körperteile s. Zunge, Hände, Füße (Q 24,24; 36,65). Die Verbwurzel (viermal im Koran belegt) bedeutet „peitschen“.

bašar „Haut“, 1, k lawwāḥatun li-l-bašari „Es versengt die Haut“; aber auch andere Deutung: „Es verändert den Menschen ganz.“ (Q 74,29); s. o. bašar „Mensch“.

ašʿār 1 „Haare“ k wa-llāhu ǧaʿala lakum min buyūtikum sakanan wa-ǧaʿala lakum min ǧulūdi l-ˈanʿāmi buyūtan tastaḫiffūnahā yawma ẓaʿnikum wa-yawma ˈiqāmatikum wa-min ˈaṣwāfihā wa-ˈawbārihā wa-ˈašʿārihā ˈaṯāṯan wa-matāʿan ˈilā ḥīnin „Und Gott hat euch aus euren Häusern eine Ruhestätte gemacht, und Er hat euch aus den Häuten des Viehs Behausungen gemacht, die ihr am Tag eu-res Aufbrechens und am Tag eures Aufenthaltes leicht benutzen könnt, und aus ihrer Wolle, ihren Fellhärchen und ihrem Haar Ausstattung und Nutznießung für eine Weile.“ (koranischer Beleg nur von Tieren ausgesagt; Q 16,80). S. u. das unsichere šawā „Skalp, Kopfhaut“.

ʿaẓm 13 „Knochen“, k (in Speisevorschriften, oder von Toten); meronymisch für den ganzen Menschen: ˈinnī wahana l-ʿaẓmu minnī „Mein Gebein ist schwach“ (Q 19,4).

                                                                                                               15 Vgl. dt. „Schauder über den Rücken, Gänsehaut“. 16 Man beachte den schon oben angesprochenen Mischausdruck mit Handlungsabstrakta und Körperteilbezeichnung.

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laḥm 12 „Fleisch“, k ˈinnamā ḥarrama ʿalaykumu l-maytata wa-d-dama wa-l-laḥma l-ḫinzīri wa-mā ˈuhilla bihī li-ġayri llāhi fa-mani ḍṭurra ġayra bāġin wa-lā ʿādin fa-lā ˈiṯma ʿalayhiˈinna llāha ġafūrun raḥīmun „Verboten hat Er euch nur Ver-endetes, Blut, Schweinefleisch und das, worüber ein anderer als Allāh angerufen worden ist. Wer aber gezwungen wird, ohne daß er Auflehnung oder Übertretung begeht, den trifft keine Schuld. Allāh ist voller Vergebung und barmherzig.“ (Q 2,173); unsicher, ob konkret oder meronymisch und metonymisch funktional: ˈa-yuḥibbu ˈaḥadukum ˈan yaˈkula laḥma ˈaḫīhi maytan fa-karihtumūhu wa-ttaqū llāha ˈinna llāha tawwābun raḥīmun „Möchte denn einer von euch das Fleisch seines Bruders, wenn er tot ist, essen? Es wäre euch doch zuwider. Fürchtet Gott. Gott wendet sich gnädig zu und ist barmherzig.“ (Q 49,12).17

dam 10 „Blut“ k (s. o. laḥm); meronymisch: wa-ˈiḏ ˈaḫaḏnā mīṯāqakum lā tasfikūna dimāˈakum wa-lā tuḫriǧūna ˈanfusakum min diyārikum ṯumma ˈaqrartum wa-ˈantum tašhadūna „Und als WIR mit euch ein Abkommen trafen: Vergießt nicht (gegenseitig) euer Blut = tötet euch nicht (gegenseitig) und vertreibt euch nicht selbst aus euren Wohnstätten! Hierauf habt ihr euch dazu bekannt und ihr seid dafür Zeugen.“ (Q 2,84 u. ö.).

Kopf

raʾs 21 „Kopf, Haupt“, 21, k, m (neben „Führer“ z. B. in raˈs-māl „Haupt des Vermögens = Kapital“; sodann in Redewendungen: „Kopf schütteln = verneinen, widersprechen, leugnen“; unklar die Wendung Q 21,65 „Sie wurden auf ihre Köpfe gedreht“, trotz der kommen-tarlos bestimmten Übersetzungen (Paret u. a.): „Hierauf wurden sie rückfällig“ oder „Hierauf machten sie eine Kehrtwendung“).

waǧh 72 „Gesicht; Vorderseite; Ansehen, Ehre“ k, m, s, gr. (Stützwort für Personal-pronomen und bei Nennung von Respektspersonen) Q 55,37: kullun mā ʿalay-hā fānin wa-yabqā waǧhu rabbi-ka ḏū l-ǧalāli wa-l-ikrām „alles auf ihr ist vergänglich, allein bleibt das Antlitz deines Herrn (= Dein Herr) voll erhabener Majestät“.

šawā 1 „Skalp?; Kopfhaut?“ unklar, Q 70,16, k. ǧabīn 2 „Stirn“, Q 37,103, k. ǧibāh 1 „Stirn“, Q 9,35, k. nāṣiya 4 „Stirnlocke (von Tier und Mensch)“, Q 11,56 (vom Tier), Q 96,15–16

(vom Menschen), meronymisch (pars pro toto) für „ganz, den ganzen Körper, das ganze Wesen“, Q 96,16 werden die Eigenschaften (hier des Sünders) direkt

                                                                                                               17 Paret, wie auch viele der anderen Übersetzer, entscheidet sich fest für konkrete Bedeutung („wie ein Aasgeier das Fleisch seines Bruders essen“) und kommentiert: „Der Ausdruck akala lahma fulānin kommt auch sonst in der Bedeutung ‚verunglimpfen‘ vor.“ Siehe KRÄMER, J. (Hg.): Theodor Nöldeke’s Belegwörterbuch zur klassischen arabischen Sprache. Bearb. und herausg. von Jörg Krämer, Berlin 1952–1954, s. v. akala. Im vorliegenden Text wird er wört-lich interpretiert. Dies erscheint zunächst, weil äußerst abschreckend, wenn auch wenig realis-tisch, plausibel. Bei näherem Hinsehen gewinnt jedoch die metaphorische Deutung an Ge-wicht, denn die üble Nachrede auf einen Toten (s. o. die Stelle) ist durchaus eine Steigerung, die im Rahmen des Vergleichs möglich ist und realistischer wirkt.

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darauf übertragen: „die lügnerische, sündige Stirnlocke“ = „der lügnerische, sün-dige Mensch“; im Somatismus „an der Stirnlocke packen“ = „gänzlich in der Gewalt haben“, verstärkt, evtl. redundant durch einen Ausdruck per merismum (Q 55,41) „an der Stirnlocke und an den Füßen packen“ = „den ganzen Körper, gänzlich packen“ (s. u. zu qadam „Fuß“).

ʾuḏun 19 „Ohr“, k (s. a. iṣbaʿ „Finger“) s. o. nafs „Leben“ für die koranische Fassung der lex talionis; in gleichzeitig metonymisch-funktionaler und meronymischer Verwendung wa-yaqūlūna huwa ˈuḏunun qul ˈuḏunu ḫayrin lakum „sie sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Besten für euch!‘“ (Q 9,61)18. Deutlich wird aus dem Folgenden, daß der Körperteil für die ganze Person steht. Unklar bleibt die genaue Aussage des Vorwurfs, doch ist wahrscheinlich, daß gemeint ist: Einer, der hört, was andere nicht hören, der Außergewöhnliches, aber auch Abstruses als übernatürliche Wahrnehmung zu hören glaubt.19

ʿayn 59 „Auge“, k, m („in Sicht“, „in Gegenwart“, „unter Aufsicht, Schutz“), s, gr. („genau dasselbe“; Auswahl). Der für eine synthetische Körperauffassung in Frage kommende Gebrauch „Auge“ = Sehvermögen, Erfahrung des Menschen = der Mensch in seiner Aktion, seinem Handeln, tritt hinter dem Abstraktum baṣar „Sehvermögen, Blick“ zurück, bzw. steht in alternativem, konkurrierenden Ge-brauch. Zugleich kann es redundant zum Verbum „sehen“ treten.

ʾanf 2 „Nase“, k, s. o. bei nafs „Leben“ in der koranischen Formel der lex talionis (Ex 21, 23–25).

ḫadd 1 „Wange“, k im Somatismus (Q 31,18) wa-lā tuṣaʿʿir ḫaddaka li-n-nāsi „kräusle nicht deine Wange (aus Verachtung gegen) die Leute“ = „rümpfe nicht die Nase“ oder „ziehe nicht die Augenbrauen hoch“ = „zeige dich nicht verächt-lich“.20

fū(h) 14 „Mund“, k redundant oder verstärkend in Redewendungen: qawlu-hum bi-afwāhi-him „ihre Reden aus eigenem Munde“; metonymisch-funktionale Ver-wendung für eine assoziierte Handlung oder deren Produkt: (Q 9,32; 61,8 u. ö.): yurīdūna li-yuṭfiˈū nūra llāhi bi-ˈafwa ̄hihim „sie wollen Gottes Licht mit (dem Hauch) ihrer Münder auslöschen“ = „Gottes geoffenbartes Wort mit ihrem eitlen Gerede überdecken“. Hier sind zwei Bilder ineinandergeschoben: das Licht Got-tes, das mit dem Mundhauch nicht auszublasen ist = das Wort Gottes, das nicht durch eitles Gerede zu überdecken ist. Für beide Fälle aber gilt die metonymisch-

                                                                                                               18 Parets Übersetzung: „… und sagen: ,Er hört (auf alles)(?) (wörtl. Er ist [ganz] Ohr)! Sag: Er hört für euch [nur] Gutes,)“ und im Kommentar: „Der Ausdruck huwa uḏunun wird von den Kommentatoren einmütig in dem Sinn erklärt, daß dem Propheten von seinen Gegnern Leichtgläubigkeit vorgeworfen wird. Eine andere Möglichkeit der Deutung wäre die, daß dem Propheten vorgeworfen wird, er glaube alles mögliche zu hören (und gebe es als Offenbarung weiter, während in Wirklichkeit nichts Greifbares dahinterstecke).“ 19 Die von der Wurzel „Ohr“ abgeleitete Verbwurzel aḏina und die allgemein gebräuchliche für „hören“ (arab.: samiʿa) gehen verschiedene Wege. Die Wurzel aḏina, im koranischen Korpus mit vielen Ableitungen häufig vertreten, hat den spezifischen Sinn „erhören“ = „erhö-ren, erlauben, zustimmen“. 20 Eine Perle in Parets Übersetzung: „Und zeig den Leuten nicht die kalte Schulter(?) (wörtl. verdrehe den Leuten gegenüber nicht deine Backe?)“; wenn er schon einmal eine in der Ziel-sprache idiomatische Übersetzung wagt, dann hat er hier die falsche getroffen.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 199  

funktionale Verwendung des Wortes „Mund“; allerdings ist sonst im Text nur die Gleichung Mund = Wort, Rede belegt.21 fūh „Mund“ und yad „Hand“: fa-raddū ˈaydiyahum fi ˈafwāhihim „sie steckten (aus Wut) ihre Hände in den Mund (und bissen darauf)“ (Q 14,9)22; s. a. anāmil und yad.

ḫurṭūm 1 „Schnauze“, in gleichzeitig metonymisch-funktionaler und meronymischer Verwendung, mit herabsetzendem Wechsel der Sphäre von Mensch zu Tier: sa-nasimuhū ʿalā l-ḫurṭūmi „auf die Schnauze wollen wir ihm ein Brandmal setzen“ (Q 68,16); es handelt sich um eine Invektive gegen einen Verleumder. Schnauze = Mund des Verleumders, Schandmaul. Vielleicht liegt ein den Zeitgenossen be-kannter Somatismus (vergleichbar dem Dt. „jdm. eins aufs Maul geben“) vor.23

šafatān 1 „beide Lippen“, k (Q 90,9). sinn 2 „Zahn“, k s. o. bei nafs „Leben“ in der koranischen Formel der lex talionis

(Ex 21,23–25). lisān 28 „Zunge; Wort; Sprache“, 28, k, m

Die Zunge wird (von ihrem Knoten) gelöst = man kann frei und fließend spre-chen. lisān ṣidq = ein wahres Wort. „Gott schickt keinen Gesandten, es sei denn mit Botschaft in der Sprache (lisān) seines Volkes“; der Koran ist in lisān ʿarabī „arabischer Sprache?“; aber Muḥammad wäre beleidigt gewesen, hätte man ihn einen Araber genannt.

ḏiqn 3 „Kinn“, k in der Wendung „aufs Kinn fallen“ = „sich niederwerfen“ (Q 17,107; 17,109); im Satz ˈinnā ǧaʿalnā fī ˈaʿnāqihim ˈaġlālan fa-hiya ˈilā l-ˈaḏqāni fa-hum muqmaḥūna „WIR haben an ihren Hals Fesseln angebracht, die bis zum Kinn reichen, so daß sie den Kopf hochhalten müssen.“ (Q 36,9). Der nächstliegende Sinn ist der einer derb-spöttischen und herabsetzenden Umdeu-tung der „hochnäsigen“ Haltung der Ungläubigen: sie glauben stolz zu sein, sind aber nur Kamele, die mit gespickter Halsfessel den Kopf hochhalten müssen und nicht trinken können.24

                                                                                                               21 Parets Übersetzung: „Sie wollen das Licht Gottes ausblasen (?) (wörtl. mit ihrem Mund löschen),“ verfehlt diese feine Doppeldeutigkeit; im Kommentar vertieft er die – banale – Eindimensionalität: „61,8. - Beim Ausdruck li-yuṭfiˈu nūra llāhi bi-ˈafwāhihim könnte allen-falls die Formulierung ḏālika qawluhum bi-ˈafwāhihim in 9,30 nachwirken (siehe die An-merkung dazu). Aber wahrscheinlich ist nur an den rein physischen Vorgang des Ausblasens (mit luftgefüllten Backen) gedacht, zumal in der Belegstelle 61,8 eine Reminiszenz an ‚leeres Gerede‘ (qawluhum bi·qawluhum) nicht gegeben scheint.“ 22 Im Zusammenhang und in der Zusammensicht mit den parallelen Redewendungen wirkt Parets Übersetzung erstaunlich: „… Ihre Gesandten kamen mit den klaren Beweisen zu ihnen. Aber da hielten sie ihnen den Mund zu(?) (w. taten sie ihre Hand in [d.h. auf?] ihren Mund) und sagten: ,Wir glauben nicht an die Botschaft, die euch aufgetragen worden ist. …‘“ 23 Es ist bemerkenswert, daß die meisten Übersetzungen das deutlich Derbe der Formulierung verwischen: Nase und Mund muß in einem heiligen Text für Schnauze stehen; ein schönes Beispiel für Verfälschung durch Übersetzung. Übrigens nicht die einzige Stelle im korani-schen Korpus, an der, wie deutlich erkennbar, ein frustrierter Prediger seinen Gefühlen verbal freien Lauf läßt. 24 Parets Übersetzung: „(8) Wir haben ihnen (gleichsam?) (die Hände in) Fesseln an den Hals getan, und die gehen (ihnen) bis zum Kinn, so daß sie den Kopf (krampfhaft) hochhalten (und

Manfred Kropp 200  

liḥya 1 „Bart“, k oder meronymisch für die ganze Person, zugleich in Doppelung im Somatismus (?) qāla ya-bna-ˈumma lā taˈḫuḏ bi-liḥyatī wa-lā bi-raˈsī „Er sagte: ‚Sohn meiner Mutter! Vergreif dich nicht an meinem Bart und an meinem Haupt!‘ = ‚Taste mein Ansehen und meine Ehre nicht an! Erniedrige mich nicht! Mache mir keine Vorwürfe, schelte (und mißhandle) mich nicht!‘“ (Q 20,94). Sowohl „Kopf“ wie „Bart“ stehen oft für die ganze Person. Der Bart steht zu-gleich für das Ansehen und die Ehre des Mannes; zahlreiche Beispiele dafür, und wie man dieses Ansehen – in Somatismen – herabsetzen und erniedrigen kann, in der (alt)arabischen Poesie und Literatur; vgl. WKAS 2,1. 1983, 408a–417b; bes. 415bff.

Hals

ǧīd 1 „Hals“, k fī ǧīdihā ḥablun min masadin „…um ihren Hals einen Palmstrick“ (Q 111,5).

ḥanāǧir 2 (plurale tantum) „Kehle“, k im Somatismus wa-balaġati l-qulūbu l-ḥanāǧira „und die Herzen die Kehle erreichen“ (Q 33,10) und iḏi l-qulūbu ladā l-ḥanāǧiri kāẓimīna „… wenn die Herzen bis an die Kehle (schlagen) (vergeblich versuchend die Angst) zu unterdrücken …“ (Q 40,18). Qulūb „Herzen“ steht hier zweimal in metonymisch-funktionaler Verwendung für eine assoziierte Hand-lung und ihr Produkt (Herzschlagen, Herzrasen), eine einfache sprachliche Tat-sache, die die meisten Übersetzungen ignorieren.25

ḥulqūm 1 „Kehle“, k … iḏā balaġati l-ḥulqūma „… wenn sie (die Seele des Sterben-den? der Herzschlag?) die Kehle erreicht …“ (Q 56,83); s. auch unten tarāqī „Schlüsselbein“. Die traditionellen Kommentare und die meisten Übersetzungen verstehen die Wendung mit dem Verb balaġat „erreicht“ ohne ausdrückliches Subjekt als auf die „Seele des Sterbenden“ bezogen, auch wenn dies durchaus erklärende Zusät-ze im Kontext erfordert (Q 56,83; 75,26). Die Parallele zu balaġati l-qulūbu l-ḥanāǧira (s. o.) sind aber zu deutlich, zumal die angesprochene Situation „To-desangst und Todesaugenblick“ die gleiche ist.

riqāb, 3, „Nacken“, k fa-ˈiḏā laqītumu llaḏīna kafarū fa-ḍarba r-riqābi „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann (heißt es) Nacken durchhauen!“ (Q 47,4); meta-phorische Verwendung für eine aus einem Raumkonzept abgeleitete soziolo-

                                                                                                               in ihrer Tätigkeit gehemmt sind).“ Sein Kommentar hat wenig mit seiner Übersetzung zu tun: „34,33; 13,5, mit weiteren Belegen. In 34,33 und den weiteren Belegstellen gehört das Anle-gen von Halsfesseln zur Bestrafung im Jenseits. Dagegen scheint es sich in der vorliegenden Stelle 36,8 auf das Verhalten der Ungläubigen im Diesseits zu beziehen und eher bildhaft gemeint zu sein: Die Ungläubigen werfen, wie wenn Halsfesseln ihnen das Kinn hochdrücken würden, den Kopf zurück und sehen so nicht, was wirklich vorgeht(?). Bell bemerkt zur Stel-le: ,There is here no eschatological sense. The simile is that of a spiked collar (branks) put on a camel so that it cannot let down its head to drink.‘“ 25 Es ist bemerkenswert zu sehen, wie sich manche Übersetzer bei dieser Redewendung, zu der eine idiomatisch exakte Entsprechung im Deutschen – mit Austausch des Wortes „Kehle“ gegen „Hals“ – existiert, in gezwungener Wörtlichkeit und deren noch gezwungenere Erklä-rung (in Klammern) ergehen; aber man übersetzt eben einen heiligen Text.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 201  

gisch-funktionale Bedeutung, hier „Sklave“: ˈinnamā ṣ-ṣadaqātu li-l-fuqarāˈi wa-l-masākīni wa-l-ʿāmilīna ʿalayhā wa-l-muˈallafati qulūbuhum wa-fī r-riqābi … „Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen und die, welche sich um sie kümmern, und für die, deren Herzen gewonnen werden sollen, und für die (Befreiung von) Sklaven …“ (Q 9,60; ähnlich Q 2,177); genau genommen liegt zusätzlich eine Metametapher in Form der metonymisch-funktionalen Verwen-dung für eine assoziierte Handlung (Befreiung des Sklaven) vor.

raqaba 6 „Nacken“, nur im Singular und in metaphorischer Verwendung für eine aus einem Raumkonzept abgeleitete soziologisch-funktionale Bedeutung, hier „Sklave“, aber ohne die oben angesprochene Metametapher in den expliziten Wendungen taḥrīr raqabatin „Befreiung eines Sklaven“ (Q 4,92 u. ö.) und fakk raqabatin „Auslösung eines Sklaven“ (Q 90,13).

ʿunq 9 „Nacken“, k fa-ḍribū fawqa l- aʿnāqi wa-ḍribū minhum kulla banānin „So haut ein auf ihre Nacken und haut ihnen jeden Finger ab!“ (Q 8,12); allerdings ist auch hier eine Deutung als Ausdruck per merismum möglich (von größten, wich-tigsten Körperteil, dem Nacken bis zum kleinsten, den Fingern): „haut sie gänz-lich in Stücke!“; oft in Verbindung mit ġill „Fessel“ als „Halsfessel“; in meronymischer Verwendung für den ganzen Menschen bzw. ganzen Leib in Verbindung mit der Metapher „Vogel“ = „Omen und Schicksal“: wa-kulla ˈinsānin ˈalzamnāhu ṭāˈirahū fī ʿunuqihī wa-nuḫriǧu lahū yawma l-qiyāmati kitāban yalqāhu manšūran „Und jedem Menschen haben WIR sein Omen (wört-lich: [auffliegenden Vogel] auf den Nacken geheftet. Und am Tag der Auferste-hung bringen WIR ihm eine Schrift heraus, die er entfaltet vorfindet.“ (Q 17,13); Sinn etwa in korrespondierendem deutschen Somatismus: „jedem Menschen ha-ben haben wir das unabänderliche Schicksal auf den Leib geschrieben …“;26 in meronymischer Verwendung für den ganzen Menschen: ˈin našaˈ nunazzil ʿalayhim mina s-samāˈi ˈāyatan fa-ẓallat ˈaʿnāquhum lahā ḫāḍiʿīna „Wenn WIR wollten, sendeten WIR vom Himmel auf sie ein Zeichen, und ihre Nacken beug-ten sich ihm unterwürfig“ = „… dem sie sich ganz unterwerfen würden.“ (Q 26,4). S. auch unten yad „Hand“.

warīd 1 „Halsschlagader“, in meronymischer Verwendung für den ganzen Men-schen, zugleich metonymisch-funktional in einer assoziierten Handlung: wa-naḥnu aqrabu ilayhi min ḥabli l-warīdi „WIR sind ihm näher als das Pochen des Strangs seiner Halsader“ = „… näher als er (der Mensch) sich selbst (in einer le-benswichtigen Funktion).“ (Q 50,16).27

                                                                                                               26 Parets Kommentar zitiert zu dieser Stelle: „Zum Ausdruck ṭāʾir ‚(aufliegender) Vogel‘ ‚Omen‘, ‚Schicksal‘ siehe RINGGREN, H.: Studies in Arabian Fatalism, Uppsala/Wiesbaden 1955, 87-89. Speziell zur vorliegenden Stelle bemerkt Ringgren (88): ,The book mentioned here obviously contains the man’s good or evil deeds, for which he has to account on the day of judgment. But it is not quite clear what this has to do with his fate fastened on his neck. It may be that the ideas of a book of destiny and a book of accounts are confused, and that the passage refers to the predestination not only of man’s condition of life, but also of his deeds and their consequences in the hereafter. In any case, it does show that Muhammad did not reject the word ṭāʾir, but used it as an adequate expression of the divine predestination of man’s destiny.‘“ 27 In den meisten Übersetzungen wird das Bild kommentarlos wörtlich übertragen, obgleich

Manfred Kropp 202  

Arme

ḏirāʿ 2 „Arm; Vorderlauf (des Tieres)“ k … wa-kalbuhum bāsiṭun ḏirāʿayhi bi-l-waṣīdi … „... und ihr Hund lag mit ausgestreckten Vorderläufen auf der Schwelle …“ (Q 18,18); in metaphorischer Verwendung für eine aus dem Raumkonzept abgeleitete qantitative Bedeutung (Längenmaß): ṯumma fī silsilatin ḏarʿuhā sabʿūna ḏirāʿan „… und dann in eine Kette von siebzig Ellen Länge …“ (Q 69,32). In der altarabischen Poesie recht häufig im konkreten Sinne, aber besonders als Metapher für „Penis“ und „Manneskraft“; oft in obszönem Kontext gebraucht.

ʿaḍud 2 „(starker) Oberarm“ in meronymischer Verwendung für den ganzen Men-schen, zugleich metonymisch-funktional für eine assoziierte Handlung und deren Produkt: qāla sa-našuddu ʿaḍudaka bi-ˈaḫīka „… ER sprach: ‚stärken wollen WIR deinen Arm durch deinen Bruder …‘ = ‚… WIR wollen deine Kraft ver-stärken‘“ (Q 28,35); ebenso: wa-mā kuntu muttaḫiḏa l-muḍillīna aḍudan „Und ICH nehme mir niemals die Irreführenden als starken Arm = Stärkung und Bei-stand“ (Q 18,51).

marāfiq 1 „Ellbogen“, k yā-ˈayyuhā llaḏīna ˈāmanū ˈiḏā qumtum ˈilā ṣ-ṣalāti fa- ġsilū wuǧūhakum wa-ˈaydiyakum ˈilā l-marāfiqi wa-msaḥū bi-ruˈūsikum wa-ˈarǧulakum ˈilā l-kaʿbayni „Ihr Gläubigen! Wenn ihr euch zum Gebet aufstellt, dann wascht euch das Gesicht und die Hände bis zu den Ellbogen und streicht euch über den Kopf und (wascht?!) die Füße bis zu den Knöcheln (Q 5,6).28

Hand, Finger

yad 120 „Hand; Kraft, Macht, Wirken“; präp. „durch“ 120, k, m, s, gr. fa-raddū ˈaydiyahum fī ˈafwāhihim „sie steckten (aus Wut) ihre Hände in den Mund (und bissen darauf)“ (Q 14,9). s. anāmil „Fingerspitzen“. Q 5,64: die Hand Gottes ist nicht gefesselt, wie die Juden sagen, sondern offen (vgl. o. ʿunq!). In der altarabischen Poesie ist, neben den anderen Gebrauchsweisen, die yad ad-dahr „Hand des Schicksals“ eine stehende Redewendung (Macht des Schick-sals). Diese wird im koranischen Korpus und von ihr beeinflußter Poesie durch die „Hand Gottes“ ersetzt. Eine Wendung, in der yad „Hand“ = „Freigiebigkeit“ und andere Körperteile zu-sammenkommen: wa-lā taǧʿal yadaka maġlūlatan ˈilā ʿunuqika wa-lā tabsuṭhā kulla l-basṭi fa-taqʿuda malūman maḥsūran „verschränke deine Hand nicht fest hinter dem Nacken, aber öffne sie auch nicht ganz, damit du nicht in Schande ru-iniert dasitzt“ (Q 17,29); ein Ausdruck per merismum in Satzform, sowie ein Be-leg für die Grammatikalisierung des Verbs qaʿada „sitzen“, das koranisch oft schon einfach „bleiben“, schließlich „sein“ bedeutet. Modern übersetzt: „Gib (Almosen etc.) im rechten Maß, so bleibt dir Schande und Ruin erspart“.

                                                                                                               es in den meisten Zielsprachen nicht recht einsichtig und nicht gebräuchlich ist. 28 Eine umstrittene Stelle; es geht um die Vokalisierung des Wortes „Füße“. In der oben ange-gebenen Version wird Akkusativ, abhängig von „waschen“ gelesen. Die abweichende Lesart vokalisiert als Genetiv und zweites Präpositionalobjekt zu „streichen über“.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 203  

Ein ganz aus dem Rahmen fallende Stelle ist Q 9,29, die nicht umsonst in der traditionellen muslimischen Exegese und der säkularen Islam- und Koranwissen-schaft höchst umstritten ist und dementsprechend eine umfangreiche Sekundärli-teratur verursacht hat:

qātilū llaḏīna lā yuˈminūna bi-llāhi wa-lā bi-l-yawni l-ˈāḫiri wa-lā yuḥarrimūna mā ḥarrama llāhu wa-rasūluhū wa-lā yadīnūna dīna l-ḥaqqi mina llaḏīna ˈūtū l-kitāba ḥattā yuʿṭū l-ǧizyata ʿan yadin wa-hum ṣāġirūna „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glau-ben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift er-halten haben – bis sie den Tribut aus der Hand entrichten, wobei sie ge-ring sind!“

Der Tribut wird entrichtet und bedingt gleichzeitig die augenscheinliche Minder-stellung des Tributpflichtigen. Über die Bedeutung der Formel ʿan yadin bietet die muslimische Exegese und die wissenschaftliche Sekundärliteratur eine ganze Reihe von Erklärungen an: von der konkreten Bedeutung „aus der Hand (direkt in die Hand des Steuereintreibers)“ bis hin zu: (Raumkonzept und soziologisch-funktionale Bedeutung) „aus dem Besitz, Vermögen“; „freigiebig“, „freiwillig (aus eigener Verfügungsgewalt)“, „unterwürfig (auf seine Verfügungsgewalt [Hand]) verzichtend, davon getrennt“.29 Der Artikel endet mit einem ausführli-chen Zitat des Ibn al-Qayyim al-Ǧawziyya, noch heute Leitfigur fundamentalis-tischen Islams, aus dessen Werk über die Rechtsstellung der ḏimma, Angehöri-gen nichtmuslimischer, aber geduldeter Religion in rechtlicher Minderstellung:

„An yadin describes a state (ḥāl), i.e. they must give the jizya while they are humiliated and oppressed (aḏillāʾ maqhūrīn). This is the correct (al-ṣaḥīḥ) interpretation of the verse. Some said that the meaning is ,from hand to hand, in cash, not on credit‘. Others said: ,From his hand unto the hand of the receiver, not sending it nor delegating its payment.‘ Others said: ,It means due to a benefaction on your part unto them by agreeing to receive payment from them.‘ But the accurate opinion is the first one, and the people are agreed on it. The most far-fetched opinion that misses God’s intention is that of those who say that the meaning is: ,Out of their ability to pay it, which is why [the jizya] is not collected from those who can’t afford it‘. This rule is correct, but its application to the verse is wrong. No one of the Companions of the Prophet and of the Successors interpreted it in this manner nor anyone of the old masters of the umma. It is only the witty inference of some later scholars.“30

Aus der Sicht eines nachgeborenen geistreichen Gelehrten wäre dem nichts mehr hinzufügen, außer dem nachfolgenden Paragraphen und der Bemerkung, daß die

                                                                                                               29 Vgl. dazu zuletzt RUBIN, U.: Qurʾān and Poetry: More Data Concerning the Qurʾān jizya Verse (ʿan yadin), in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 31 (2006), 139–146, der frühere eigene Arbeiten zur Stelle und andere Beiträge zitiert. 30 RUBIN, Qurʾān and poetry [s. Anm.29], 146.

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glaubensfeste – vielleicht besser: ideologisch einbetonierte – Überzeugung kein Merkmal der Vergangenheit ist, sondern gerade in letzter Zeit durch eine Reihe –nicht nur muslimischer – Gelehrter in umfangreichen, aber apologetisch(-po-lemischen) Arbeiten weitergeführt wird.31 Es geht mit dem Tribut um die Kopfsteuer (ǧizya), die im späteren islamischen Staat von nichtmuslimischen Untertanen, aber Angehörigen einer geduldeten Re-ligion zu entrichten ist. Schon diese Überlegung führt zu der Vermutung, daß es sich bei dieser Stelle um eine spätere redaktionelle Einfügung handelt. Sie paßt nicht in die Zeit Muḥammads, sehr viel besser in die spätere Umayyadenzeit, be-sonders die Regierungszeit des Kalifen ʿAbd-al-Malik, in die die Organisation der islamischen Religion und des islamischen Staats fällt. Dazu paßt, daß nach neuen Erkenntnissen, das Wort ǧizya nicht arabisch ist, somit auch etymologisch nicht an die Wurzel ǦZY (s. a. oben ein Beispiel zum Verb bei nafs) im Sinne von „Ausgleich geben, einstehen für etc.“ anzubinden ist. Das Wort ist in einem Pahlavi-Text als gazidak im Sinne von Kopfsteuer belegt; das zugrundeliegende Verb gazidan „auswählen; vorziehen; untestützen“ ist neupersisch gut belegt, ebenso noch das Nomen gazīd als „Geschenk; Tribut“. Die sprachlichen und his-torischen Umstände der Entlehnung sind noch zu klären, doch scheint dies ein deutlich anderer und historisch plausibler Ansatz zur Klärung der Stelle Q 9,29. In diesem Zusammenhang bietet sich die Erklärung für ʿan yadin – analog zu Verhältnissen im Sasanidenreich – als „nach Maßgabe des Vermögens, der Leis-tungskraft“ des Steuerpflichtigen an. Es handelt sich somit um eine metony-misch-funktionale Verwendung für eine assoziierte Handlung und deren Produkt in einer feststehenden, juristischen Formel.

šimāl 8 „linke Hand“, 8, k, gr. (Orts- und Richtungsangabe) In Ausdrücken per merismum šimāl – yamīn (rechts) = überall, in alle Richtun-gen.

yamīn 47 „rechte Hand; Schwur“, 47, k, m, s(?), gr. (Orts- und Richtungsangabe) mā malakat aymanu-kum „was eure Rechten besitzen“ Formel der Rechtssprache für „legitim besitzen“.

kaffān 2 „die beiden Handflächen“, 2, k. banān 2 „Finger“, k, s. o. ʿunq; metaphorische Verwendung für eine aus einem Raum-

konzept abgeleitete quantitative Verwendung (hier: kleinster Teil): balā qādirīna ʿalā ˈan nusawwiya banānahū „Fürwahr, imstande sind wir, seine Fingerspitzen zusammenzufügen.“ = „(aus den Knochen den ganzen Menschen) bis in seine kleinsten Teile wieder zu fügen“ (Q 75,4).

iṣbaʿ 2 „Finger“, k im Somatismus: „sich die Finger in die Ohren stopfen“ a) um sich gegen übergroßen Lärm zu schützen: yaǧʿalūna ˈaṣābiʿahum fī ˈāḏānihim mina ṣ-ṣawāʿiqi „sie stecken ihre Finger in die Ohren vor den Donnerschlägen“ (Q 2,19) und b) nicht hören wollen, um nicht hören zu müssen: wa- innī kullamā daʿawtuhum li-taġfira lahum ǧaʿalū aṣābiʿahum fī āḏānihim „Und siehe, sooft ich sie rief, daß du ihnen verziehest, steckten sie ihre Finger in die Ohren …“ (Q 71,7).

                                                                                                               31 Gerade zu Q 9,29 als Beispielstück jüngster Zeit: ABDEL HALEEM, M.A.S.: The jiyza Verse (Q. 9:29): Tax Enforcement on Non-Muslims in the First Muslim State, in: Journal of Quranic Studies 14 (2012), 72–89.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 205  

anāmil 1 „Fingerspitzen“ k im Somatismus: wa-ˈiḏā ḫalaw ʿaḍḍū ʿalaykumu l-ˈanāmila mina l-ġayẓi „Wenn sie aber allein sind, beissen sie sich auf die Finger-spitzen vor aus Wut gegen euch.“ (Q 3,119)32; ein gleichbedeutender Somatis-mus s. fūh „Mund“ und yad „Hand“: fa-raddū ˈaydiyahum fī ˈafwāhihim „sie steckten (aus Wut) ihre Hände in den Mund (und bissen darauf)“ (Q 14,9). Im Vergleich zu letzteren hat die hier vorliegende Wendung den Vorzug der schar-fen Detailbeobachtung.

Rumpf

ǧawf 1 „(Leib-)Inneres“, k im Somatismus mā ǧaʿala llāhu li-raǧulin min qalbayni fī ǧawfihī „Gott hat keinem Mann zwei Herzen in seinem Leib gemacht“ (Q 33,4); der sicherlich über die rein biologisch-konkrete Feststellung hinausgehen-de Sinn der Redewendung bleibt undeutlich. Sie steht im Zusammenhang mit der umstrittenen Aufhebung von Ehehindernissen für Muḥammad; kennt man das Herz als Sitz des Verstehens und Wollens, so wäre die Deutung möglich, daß kein Mensch doppelten, gespaltenen Verstand und Willen habe. Aber vielleicht ist der Satz einfach vorbereitende Einleitung auf die folgenden neuen rechtlichen Bestimmungen: genauso wenig wie man der einfachen biologischen Tatsache widersprechen kann, kann man das Folgende anfechten.

baṭn 17 „Bauch“, k, im konkreten Sinne „Mutterleib“: ḫalaqakum min nafsin wāḥidatin ṯumma ǧaʿala minhā zawǧahā wa- anzala lakum mina l-anʿāmi ṯamāniyata azwāǧin yaḫluqukum fī buṭūni ummahātikum ḫalqan min ba di ḫalqin fī ẓulumātin ṯalāṯin … „Er schuf euch aus einem einzigen Wesen (nafs), hierauf machte Er aus ihm seine Gattin. Und Er hat für euch an Vieh acht (Tiere) in Paaren herabgesandt. Er erschafft euch in den Leibern eurer Mütter, eine Schöpfung nach der anderen in dreifacher Finsternis.“ (Q 39,6 u. ö.); (Nahrung aus dem Bauch der Tiere): wa-ˈinna lakum fī l-ˈanʿāmi la-ʿibratan nusqīkum mimmā fī buṭūnihī min bayni farṯin wa-damin labanan ḫāliṣan sāˈiġan li-š-šāribīna „Gewiß, auch im Vieh habt ihr wahrlich eine Lehre. Wir geben euch von dem, was in ihren Leibern zwischen Kot und Blut ist, zu trinken, reine Milch, angenehm für diejenigen, die (sie) trinken.“ (Q 16,66; 69; 23,21 u. ö.); zumeist für Beschreibung von Höllenqualen:ˈinna llaḏīna yaktumūna mā ˈanzala llāhu mina l-kitābi wa-yaštarūna bihī ṯamanan qalīlan ulā ika mā ya kulūna fī buṭūnihim illā n-nāra „Diejenigen, die verheimlichen, was Gott von der Schrift herabgesandt hat, und es um geringen Preis verkaufen, bekommen in ihren Bauch nichts als Feuer zu essen.“ (Q 2,174; ähnlich: Q 4,10; 22,20; 44,45 u. ö.); metaphorisch für ein Objekt vergleichbarer äußerer Form, evtl. Raumkonzept: wa-huwa llaḏī kaffa ˈaydiyahum ʿankum wa-ˈaydiyakum ʿanhum bi-baṭni makkata „Und Er ist es, Der im Talgrund (wörtlich: Bauch) von Makka ihre Hände von euch und eure Hände von ihnen zurückgehalten hat …“ (Q 48,24) s. a. Schoß ḥuǧūr.

ṣulb 2 „Rückgrat, besonders unterer Teil, Lende“, in metonymisch-funktionaler Verwendung für eine assoziierte Handlung oder deren Produkt: wa-ḥalāˈilu

                                                                                                               32 Der Somatismus ist z. B. im Italienischen gut belegt: „mordersi le dita / le mani dalla rab-bia“; dt. entspricht etwa „vor Wut mit den Zähnen knirschen“.

Manfred Kropp 206  

ˈabnāˈikumu llaḏīna min ˈaṣlābikum „… und (verboten sind euch) die Ehefrauen eurer Söhne, die aus euren Lenden (gezeugt wurden)“ = „… die leiblichen Söh-ne“ (Q 4,23); s. a. tarāʾib „Brustkorb“. In altarabischer Poesie und Gemeinsprache oft: „hart, widerstandsfähig; der Kern von etwas“.

Seiten, Brust, Bauch

ʿiṭf 1 „Flanke des Körpers“ metonymisch-funktionale Verwendung für eine assozi-ierte Handlung im Somatismus (8) wa-mina n-nāsi man yuǧādilu fī llāhi bi-ġayri ʿilmin wa-lā hudan wa-lā kitābin munīrin (9) ṯāniya ʿiṭfihī li-yuḍilla ʿan sabīli llāhi „Es gibt unter den Menschen den, der ohne Wissen und Rechtleitung noch erleuchtende (Offenbarungs)schrift über Gott streitet, dabei seine Flanke (von all diesen Erkenntnissen) abwendend, um so vom rechten Wege Gottes abirren zu lassen.“ = „nicht beachten, achtlos vorübergehen, übergehen, mißachten“ (Q 22,9).

ǧanāḥ 7 „Seite, Flanke, Flügel (von Tieren und Engeln)“33, k, (bekleidete) Körper-seite des Menschen = Gewandschlitz: wa-ḍmum yadaka ˈilā ǧanāḥika taḫruǧ bayḍāˈa min ġayri sūˈin ˈāyatan ˈuḫrā „Und wenn du deine Hand an deine Seite (in den Gewandschlitz) legen wirst, wird sie weiß, doch unversehrt wieder her-auskommen, ein weiteres Wunderzeichen!“ (Q 20,22; ähnlich 28,32); als Tier-flügel: wa-mā min dābbatin fī l-ˈarḍi wa-lā ṭāˈirin yaṭīru bi-ǧanāḥayhi ˈillā ˈumamun ˈamṯālukum „Kein Getier gibt’s auf der Erde und keinen Vogel, der mit seinen beiden Flügeln fliegt, die nicht Völker gleich euch wären“ (Q 6,38); von Engeln: … ǧāʿili l-malāˈikati rusulan ˈulī ˈaǧniḥatin … „… der die Engel zu Boten macht, versehen mit Flügeln …“ (Q 35,1); meronymische und metonymisch-funktionale Verwendung für eine assoziierte Handlung im Somatismus: wa-ḫfiḍ lahumā ǧanāḥa ḏ-ḏulli mina r-raḥmati wa-qul rabbi rḥamhumā ka-mā rabbayānī ṣaġīran „Und beuge auf sie aus Barmher-zigkeit die Seite der Demut und sag: ‚Mein Herr, erbarme Dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war.‘“ (Q 17,24; ähnlich 15,88 und 26,215) = „beuge dich zur Seite (und mit dem schützenden Arm) über sie, kümmere dich demütig und barmherzig um sie (deine beiden Eltern).“34 Eines der bewegends-

                                                                                                               33 Das Wort ist konsonantischer Homograph zu ǧunāḥ „Schande, Sünde“; allerdings sind die jeweiligen Lesarten recht sicher zu trennen, da ǧunāḥ „Sünde“ nur in der stereotypen Wen-dung fa-lā ǧunāḥ ʿalā „und es ist keine Sünde für …“ im koranischen Korpus vorkommt. 34 Parets Kommentar gibt die Interpretation der muslimischen Exegeten und zusätzlich seine Auffassung: „Der Ausdruck ḫafaḍa ǧanāḥahu (wörtlich ‚seinen Flügel senken‘, von einem Vogel) soll bedeuten, daß der betreffende Vogel seine Flügel nach unten nimmt, d.h. vom Fliegen in die Ruhestellung übergeht (Lisān al-ʿArab). Daraus wird weiter die übertragene Be-deutung ‚.freundlich sein‘, ‚.umgänglich sein‘ abgeleitet. Aber vielleicht bezog sich der Aus-druck ursprünglich auf eine andere Erscheinung im Vogelleben, etwa das Flügelsenken der Henne, die ihre Küken wärmend und schützend unter sich nimmt. Dem würde die übertragene Bedeutung ‚jemandem Schutz gewähren‘, ,ihn in seine Obhut nehmen‘, ,sich ihm widmen‘ entsprechen.“ Beide Erklärungen lassen die nächstliegende aus, daß nicht ein Flügel, sondern die Seite des Menschen gemeint ist, der sich schützend und sorgend auf jemanden niederbeugt.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 207  

ten Bilder im koranischen Korpus.35 ǧanb 8 „Seite, Flanke (von Mensch und Tier)“, k, yawma yuḥmā ʿalayhā fī nāri ǧahannama fa-tukwā bihā ǧibāhuhum wa-ǧunūbuhum wa-ẓuhūruhum „An jenem Tage soll es (das von den Sündern erworbene Gold und Silber) glühend gemacht werden und gebrandmarkt werden sollen damit ihre Stirnen, Seiten und Rücken“ (Q 9,35); meronymisch für die ganze Person: tataǧāfā ǧunūbuhum ʿani l-maḍāǧiʿi yadʿūna rabbahum ḫawfan wa-ṭamaʿan „Ihre Seiten weichen vor den Schlafstätten zurück; sie rufen ihren Herrn in Furcht und Begehren an …“ = „Sie meiden die Schlafstätte, finden keinen Schlaf“ (Q 32,16) metaphorisch für ein Raumkonzept: ˈan taqūla nafsun yā-ḥasratā ʿalā mā farraṭtu fī ǧanbi llāhi wa-ˈin kuntu la-mina s-sāḫirīna „Daß einer (nafs) spricht: Weh mir über meine Ver-säumnis auf der Seite Allāhs = Allāh gegenüber, denn wahrlich war ich einer der Spötter!“ (Q 39,56); zugleich im Ausdruck per merismum: allaḏīna yaḏkurūna llāha qiyāman wa-quʿūdan wa-ʿalā ǧunūbihim „die Allāhs stehend, sitzend und auf der Seite (liegend) = in jeder Lage gedenken …“ (Q 3,191; ähnlich Q 4,103; 10,12).

ǧānib 9 „Richtung; Seite, Flanke“36, als Körperteilbezeichnung metonymisch als Raumkonzept und im Somatismus: wa-ˈiḏāˈˈanʿamnā ʿalā l-ˈinsāni ˈaʿraḍa wa-naˈā bi-ǧānibihī wa-ˈiḏā massahu š-šarru kāna yaʾūsan „Wenn WIR dem Men-schen Gnade erweisen, wendet er sich ab und entfernt sich beiseite. Und wenn ihn das Böse trifft, ist er sehr verzweifelt“ (Q 17,83; 41,51).

dubur 18 „Rücken“37 in metaphorischer Verwendung für ein Raumkonzept (sekun-däre Präposition): wa-stabaqā l-bāba wa-qaddat qamīṣahū min duburin „Und sie liefen beide zur Tur. Dabei zerriß sie ihm im Rücken = hinten das Hemd.“ (Q 12,25; 12,27; 12,28; mit Verb ittabaʿa „hinterdrein folgen“ Q 15,65; zugleich in einem Ausdruck per merismum (zusammen mit waǧh): wa-law tarā iḏ yatawaffā llaḏīna kafarū l-malāʾikatu yaḍribūna wuǧūhahum wa-adbārahum wa-ḏūqū ʿaḏāba l-ḥarīqi „Und wenn du sehen würdest, wenn die Engel diejenigen abberu-fen, die ungläubig sind, wobei sie sie ins Gesicht und auf den Rücken schlagen und (sagen): ‚Kostet die Strafe des Brennens!‘“ = „vorne und hinten, überall auf sie einschlagen“ (Q 8,50; 47,27);

                                                                                                               35 Frants Buhl hat in seiner – nach eigenen Worten – Studie von „bescheidener Bedeutung“, BUHL, F.: Über Vergleichungen und Gleichnisse im Qurʿân, in: Acta Orientalia 2 (1924), 1–11 aus umfassender Kenntnis des Materials und feinfühligem Verständnis diesen Aspekt koranischer Sprache behandelt, von den gelungenen und inspirierten Vergleichen und Gleich-nissen bis hin zu den ungeschickten und matten. 36 Partizip aktiv der gleichradikaligen Verbwurzel zu ǧanb „Seite“ in der Bedeutung: „an die Seite stellen, abhalten, vermeiden“; daraus nominal „zu Vermeidendes, Unreines“. 37 Das Lemma ist ein gutes Beispiel für das Ineinanderwirken von primärer Körperteilbe-zeichnung und Verbwurzel mit den gleichen Radikalen. Das Verb adbara (4. Stamm) bedeu-tet „den Rücken drehen, sich abwenden“ wie mehrere Somatismen, die mit anderen periphras-tischen Verben und der Körperteilbezeichnung gebildet werden. Aus dem gleichen Konsonan-tengerüst läßt sich adbāra „im Rücken von = hinten, hinterher“ oder der Infinitiv des ange-führten Verbs im Akkusativ idbāra in nahezu gleicher Bedeutung lesen; die traditionelle Les-ung entscheidet sich für eine Lesart und auch Interpretation. Darüber hinaus wirkt eine homo-phone Lehnwurzel dabbara, aus dem Aramäischen im Sinne von „ordnen, verfügen, verwal-ten“ mit.

Manfred Kropp 208  

in metaphorischer Verwendung für ein aus dem Raumkonzept abgeleitetes Zeit-konzept: wa-mina l-layli fa-sabbiḥhu wa-ˈadbāra s-suǧūdi „Und preise ihn des Nachts, und nach der Niederwerfung (im Gebet)!“ (Q 50,40); in metonymisch-funktionaler Verwendung für eine assoziierte Handlung im So-matismus: lan yaḍurrūkum ˈillā ˈaḏan wa-ˈin yuqātilūkum yuwallūkumu l-ˈadbāra „Sie werden euch keinen Schaden zufügen, außer Beleidigungen. Und wenn sie gegen euch kämpfen, werden sie euch den Rücken kehren, …“ = „… vor euch fliehen“ (Q 3,111; ähnlich [wallā al-adbār = „jdm. den Rücken kehren = fliehen“] Q 8,15; 8,16; 17,46, redundant ergänzt durch nufūran „auf der Flucht“); yā-ˈayyuhā llaḏīna ˈūtū l-kitāba ˈāminū bi-mā nazzalnā muṣaddiqan li-mā maʿakum min qabli ˈan naṭmisa wuǧūhan fa-naruddahā ʿalā ˈadbārihā „Ihr, die ihr die Schrift erhalten habt! Glaubt an das, was WIR zur Bestätigung dessen, was euch vorliegt, bevor WIR Gesichter auslöschen und auf den Rücken werfen …“ = „ … bevor WIR (auch hochstehende?) Persönlichkeiten auslöschen und zu Fall bringen? oder: in die Flucht schlagen?.“ (Q 4,47; s. a. oben waǧh „Gesicht“; ähnlich (radda ʿalā al-adbār = „auf den Rücken werfen, zu Fall bringen“); yā-qawni dḫulū l- arḍa l-muqaddasata llatī kataba llāhu lakum wa-lā tartaddū alā ˈadbārikum fa-tanqalibū38 ḫāsirīna „Mein Volk, tretet in das geheiligte Land ein, das Allāh für euch bestimmt hat, und kehrt nicht den Rücken, denn dann werdet ihr als Verlierer zurückkehren.“ = „… und kehrt nicht um, quasi auf der Flucht…“ (Q 5,21; die Wendung irtadda ʿalā al-adbār ist das Reflexiv zu aktivi-schen radda al-adbār s. o.; ähnlich: Q 47,25 u. ö.).

ẓahr 20 „Rücken“, k (Rücken des Menschen) … fa-tukwā bihā ǧibāhuhum wa-ǧunūbuhum wa-ẓuhūruhum „... und gebrandmarkt werden sollen damit ihre Stir-nen, Seiten und Rücken“ (9,35); meronymisch für einen beinhalteten Körperteil (s.

a. ṣulb): wa-ˈiḏ ˈaḫaḏa rabbuka min banī ˈādama min ẓuhūrihim ḏurriyyatahum „Und als dein Herr aus den Rücken (= Lenden) der Kinder Adams ihre Nach-kommenschaft nahm …“ (Q 7,172); im Somatismus: wa-waḍaʿnā ʿanka wizraka 3 allaḏī ˈanqaḍa ẓahraka „Und nahmen von dir deine Last, die deinen Rücken bedrückte“ = „erlösten dich aus Not und Unglück“ (Q 94,2–3; ähnlich Q 6,31) k (Rücken der Tiere) … wa-l-ˈanʿāmi mā tarkabūna li-tastawū ʿalā ẓuhūrihī … „... und das Vieh, es zu besteigen, auf daß ihr auf seinem Rücken sitzet …“ Q 43,12–13; in Speisevorschriften (Q 6,138) und für Tabutiere (Q 6,146); metaphorische Verwendung für ein Raumkonzept (Präposition auf): wa-law yuˈāḫiḏu llāhu n-nāsa bi-mā kasabū mā taraka alā ẓahrihā min dābbatin „Wenn Allāh die Menschen nach dem, was sie verdient, bestrafte, ließe er auf ihrem Rü-cken (scil. der Erde) kein (Nutz)Tier übrig.“ (Q 35,45); wa-min ˈāyātihi l-ǧawāri fī l-baḥri ka-l-'aʿlāmi ˈin yašaˈ yuskini r-rīḥa fa-yaẓlalna rawākida ʿalā ẓahrihī „Und zu seinen Zeichen gehören die (Schiffe), die auf dem Meer fahren wie Wegzeichen. (33) Wenn er will, bewirkt er, daß der Wind sich legt, worauf sie unbeweglich auf auf seinem Rücken (d.h. der Oberfläche des Meeres) bleiben.“ Q 43,32–33); Präposition bzw. Adverb „hinter“: wa-laysa l-birru bi- an taʾtū l-buyūta min ẓuhūrihā wa-lākinna l-birra mani ttaqā wa- ʾtū l-buyūta min

                                                                                                               38 Das Verb könnte in Redundanz und als Somatismus durch ʿaqib „Ferse“ (s. u.) ergänzt wer-den.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 209  

abwābihā „Die Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr von hinten in die Häuser geht. Sie besteht vielmehr darin, daß man gottesfürchtig ist. Geht also zur Tür in die Häuser, …“ (Q 2,189); wa- ammā man ūtiya kitābahū waraʾa ẓahrihī „Wem aber sein (Gerichts)schreiben von hinten gereicht wird, …“ (Q 94,10); metaphorische Verwendung für ein Raumkonzept und im Somatismus: wa-lammā ǧāˈahum rasūlun min ʿindi llāhi muṣaddiqun li-mā maʿahum nabaḏa farīqun mina llaḏīna ˈūtū l-kitāba kitāba llāhi warāˈa ẓuhūrihim ka-ˈannahum lā yaʿlamūna „Und als (schließlich) von Allāh ein Gesandter zu ihnen kam, der be-stätigte, was ihnen bereits vorlag, warf ein Teil von denen, die die Schrift erhal-ten hatten, die Schrift Gottes hinter ihren Rücken (= achtlos wegwerfen), wie wenn sie von nichts wüßten.“ Q 2,101; ähnlich 3,187; 6,94); qāla yā-qawmi ˈa-rahṭī ˈaʿazzu ʿalaykum mina llāhi wa-ttaḫaḏtumūhu warāˈakum ẓihriyyan „Er sprach: ‚Mein Volk, hat meine Familie mehr Wert bei euch als Allāh, und stellt ihr ihn euch hintan als Ersatzstück?‘“ = „… stellt ihn euch hintan als Lückenbü-ßer“ (Q 11,94).39 Der Ausdruck zielt weniger auf verächtliches Hintanstellen oder gar Wegwerfen als auf „etwas aus kluger Berechnung in Hinterhand für den Notfall halten“.

ṣadr 45 „Brust, Zentrum des Körpers; Sinn, Gemüt (Sitz des Verstehens, des Wol-lens und des Gefühls)“, 45, k, m, s, gr. (Ortsangabe: im Zentrum, inmitten; aber auch: das Beste von, die Elite usw.). Oft gleichbedeutend mit qalb „Herz“ s. u. Zahlreiche Redewendungen: mit ḍāqa (eng sein) = in Not, im Elend, aber auch in Furcht sein; mit šarḥa „im Wohlstand leben“, aber auch „frohgemut sein“; mit Heilung = (religiöses) Heil; synthetisch (vgl. aber die Bemerkung über Stützwörter): Gott kennt die Brust (des Men-schen): er kennt ihn in- und auswendig, gänzlich; vgl. Q 22,46: „Reisen sie denn nicht auf der Erde umher, so daß sie Herzen bekommen, mit denen sie begreifen, oder Ohren, mit denen sie hören? Denn nicht die Blicke sind blind, sondern blind sind die Herzen, die in den Brüsten sind.“ Modern übersetzt: „Reisen bildet. Sie aber sehen wohl, aber sie begreifen nichts.“; Satan flüstert in die Brust des Men-schen = er verführt ihn. In altarabischer Poesie, neben konkreter Bedeutung und „Zentrum, Auswahl etc.“ sehr selten als Sitz des Gefühls; stereotyp und oft: Zentrum der Lanze = Lanzenspitze; z. B. „die Rede erhält Glanz durch das, was du gerade verbreitet hast, genauso wie die Lanzenspitze durch Blut ihren Glanz erhält“; „Augen er-halten Kühlung nach dem Weinen, sobald Blutströme die Lanzenspitzen trän-ken“. Beachte synthet. (oder pars pro toto?): Augen = ein Mensch, eine Person: „Nach (langem Weinen) tröstet man sich, sobald die Lanzenspitzen (in der Rache) Blut trinken.“

                                                                                                               39 Parets Übersetzung: „Er sagte: ,Imponiert euch (denn) meine Gruppe (von Männern) mehr als Gott, und habt ihr ihn (bloß) als Reserve (?) hinter euch genommen (anstatt ihn allem anderen voranzustellen)?‘“ Dies beruht auf der Aussage der muslimischen Exegeten, die ẓihrī erklären als „unbeladene Lastkamel(e) zweiter Wahl am Ende der Karawane geführt, als Ersatz für einen eventuellen Ausfall bei den anderen Lasttieren“. Der Somatismus aus der Welt des Karawanenhandels war dann den Zeitgenossen direkt mit seinem beißenden Sar-kasmus verständlich.

Manfred Kropp 210  

Die Racheszene, die hier beschrieben wird, ist in anderen Versen als šifā an-nafs „Heilung der Seele“ (vgl. o. šifā aṣ-ṣadr) charakterisiert (s. u. nafs). Auch hier ein charakteristischer Unterschied zwischen koranischer und alter Dichterspra-che.

manākib 1 „Schultern“, schematisch-metaphorische Verwendung eines Körperteils für ein Objekt vergleichbarer äußerlicher oder struktureller Form: huwa llaḏī ǧaʿala lakumu l-ˈarḍa ḏalūlan fa-mšū fī manākibihā „ER ist es, der euch die Er-de fügsam gemacht hat, so wandelt auf ihren Schultern“ (Q 67,15). Die meisten Übersetzungen verfehlen durch die Wiedergabe mit „Oberfläche, Pfade, Rü-cken“ das schöne Bild, daß die Erde den Menschen auf ihren Schultern tragen muß, ein Vergleich, der freilich ein wenig „hinkt“, denn der Mensch sitzt nicht ruhig und wird getragen, sondern wandelt auf der Erdoberfläche.

tarāqī „Schlüsselbein“, 1, k im Somatismus: ˈiḏā balaġati t-tarāqiya „Wenn (das Herz [?] / die Seele [?]) bis zum Schlüsselbein schlägt/aufsteigt“ (Q 75,26)40; s.

o. ḥanāǧir und ḥulqūm. tarāʾib 1 „Rippen, Brustkorb“, 1, meronymisch für einen beinhaltenden Körperteil in

Verbindung mit einem Ausdruck per merismum: ḫuliqa min māˈin dāfiqin (7) yaḫruǧu min bayni ṣ-ṣulbi wa-t-tarāˈibi „Erschaffen ward er aus fließendem Wasser (Sperma), das herauskommt aus Lende und Brustkorb (= dem Leib)“ (Q 86,6–7). Zu „Lende“ s. o. ṣulb „Rückgrat, besonders unterer Teil“. Die Zeugung des Menschen aus „Wasser, Wassertropfen“ ist ein häufiges Motiv im korani-schen Korpus. Der Ausdruck per merismum ist einfach als „Leib, Rumpf“ zu deuten; das zweite Nomen ist u. U. aus rhythmischen und Reimgründen ge-wählt.41

marāḍiʿ 1 „Brüste der Stillenden?“, 1, k oder oder meronymisch: wa-ḥarramnā ʿalayhi l-marāḍiʿa min qablu „Nun hatten wir ihm (Moses) bis dahin die stillen-den Brüste verwehrt“ (Q 28,12). Gemeint sind die stillenden Brüste der Mutter bzw. der Ammen. Allerdings kann der Plural grammatisch auch als „Stillende, Ammen“ direkt gedeutet werden.

fuʾād 16 „Herz“, k, m, s, Sitz des Verstehens und Wollens, der verantwortlichen Entscheidungen des Menschen. Synonym und austauschbar mit qalb „Herz“ (das Arabische zeichnet sich durch Reichtum an (quasi-)Synonyma aus; vielleicht auch weil die Sprache ein Sam-melbecken regionaler und lokaler Varietäten ist. Häufig in der gemischten Reihung (Abstrakta und Körperteile): samʿ – baṣar – qalb / fuʾād / ṣadr „Gehör – Blick – Herz1 /Herz2 / Brust“ (Q 6,46; 16,78; 17,36; 23,78; 45,23; 46,26; 67,23). Charakteristisch Q 53,11: „Nicht hat das Herz erlogen, was es/er? sah“ d.h. M.

                                                                                                               40 Parets Übersetzung: „Wenn die Seele (w. sie) (im Begriff, dem Körper zu entweichen) bis zum Schlüsselbein (w. [Mehrzahl] bis zu den Schlüsselbeinen) (hoch)kommt, …“ 41 Freilich sucht die traditionelle Exegese, und in ihrem Gefolge manche Übersetzung, jedem der beiden Glieder seinen besonderen Sinn zu geben: der Mensch entsteht aus den Lenden des Mannes und dem Brustbein (?) der Frau, gar der weiblichen Brust. Hier ist neben der summie-renden Funktion der beiden Teile des Ausdrucks auch min bayn verkannt, das nicht – über-genau wörtlich – „von zwischen“, sondern einfach „von, aus“ zu übersetzen ist.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 211  

hat keine Halluzinationen oder Visionen, sondern eine echte Offenbarung. In der altarabischen Poesie häufig der betrübte Sinn des Verliebten, der getröstet werden muß: „ein (betrübtes) Herz, das Tadel nicht davon abbringt, und ein Au-ge, dessen Schlaf auf ewig gering“; „ein (betrübtes) Herz, das alter Wein nicht aufmuntern kann, und ein Körper, den Krankheit nicht verläßt“. qalb 134 „Herz“ k, m, s, gr. (im Zentrum, inmitten) Sitz des Verstehens, Wollens, aber auch des Gefühls: ein redliches Herz – ein grobes Herz – ein krankes Herz (im Sinne religiöser Abirrung). Zum Dreierreihe „Gehör – Blick – Herz“ s. o. fuʾād; Herz schlägt bis zum Halse s. o. ḥanāǧir. Q 7,179; 22,46: „Sie haben Herzen, die nicht verstehen, und Augen, die nichts sehen ...“ Q 24,37; 33,10: Gott versiegelt die Herzen (der Ungläubigen). Q 41,5: „Unser Herz ist vor dem, wozu du uns aufforderst, verhüllt, wir haben Höhlungen in den Ohren (sind schwerhörig, taub) und zwischen dir und uns be-findet sich eine Scheidewand.“ Q 3,167; 48,11: „Sie sprechen mit ihren Mündern aus, was sich nicht in ihren Herzen findet.“ Q 39,23: (per merismum): Haut und Herz schmelzen dahin = sie schmelzen gänzlich dahin. Verstehen oft verbal ausgedrückt, aber nicht mit dem arabischen Allerweltswort fahima, sondern mit ʿaqala „Verstand anstrengen“ und faqiha „eine (Rechts-) sa-che verstehen“ und verbunden mit nās „Leute“ oder qawm „Volk“: wa-akṯaru n-nāsi lā yafqihūn „die Mehrzahl der Leute versteht nicht“ usw. In der altarab. Poesie eine andere Sphäre. Auf der einen Seite „Herz des Löwen, unerschrockenes Herz des Helden“ im Gegensatz zum „Mädchenherz“. Auf der anderen, und nicht umsonst, gibt es hier viele Verse von Dichterinnen, das Herz als Sitz der Liebe, meistens traurig und betrübt, aber auch ein Herz, das sich der Liebe erfreut. „Mein Auge, so weine und gib der Tränen reichlich, und nicht ermatte, mein Herz, dich in Sorgen zu verzehren!“ „Was ist denn Liebe anderes als mit den Ohren zu hören und ein Blick und eine Wonne des Herzens über Kunde (vom) und Erwähnung (des Geliebten).“

lubb 17 nur im Plural albāb „Herzen“, 17, m, s (?) Im Koran nur in der stereotypen Wendung „Leute von Einsichten (Verständnis-sen des Herzens)“. Das bedeutet „Leute mit gesundem Menschenverstand“, oder aber, im juristischen Zusammenhang „Sachverständige“. In der altarabischen Poesie ist lubb „Herz, Einsicht“ allgemein belegt: „Am bes-ten wirkt, nach dem Urteil verständiger Leute (ḥaǧā), die Rede eines Mannes von Einsicht, wenn er sich kurz faßt.“

ḥuǧūr 3 „Schöße“, metonymisch-funktionale Verwendung für eine assoziierte Hand-lung fī ḥuǧūri-kum „in eurer Obhut“ (Q 4,23).

arḥām 8 „(plurale tantum) Mutterleib (auch von Tieren)“, k wa-l-muṭallaqātu yatarabbaṣna bi-ˈanfusihinna ṯalāṯata qurūˈin wa-lā yaḥillu lahunna ˈan yaktumna mā ḫalaqa llāhu fī ˈarḥāmihinna ˈin kunna yuˈminna bi-llāhi wa-l-yawmi l-ˈāḫiri „Geschiedene Frauen sollen (allein) mit sich selbst drei Zeitab-schnitte abwarten. Und es ist ihnen nicht erlaubt, zu verheimlichen, was Allāh in ihrem Mutterleib erschaffen hat, wenn sie an Allāh und den Jüngsten Tag glau-

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ben. …“ (Q 2,228 u. ö.); metaphorische Verwendung für eine aus Raumkonzept abgeleitete soziologisch-funktionale Bedeutung: „Blutsbande“ = „Verwandter“ bzw. ulū al-arḥām „die mit Blutsbanden“: an-nabiyyu ˈawlā bi-l-muˈminīna min ˈanfusihim wa-ˈazwāǧuhū ˈummahātuhum wa-ˈulū l-ˈarḥāmi baʿḍuhum ˈawlā bi-baʿḍin fī kitābi llāhi mina l-muˈminīna wa-l-muhāǧirīna „Der Prophet steht den Gläubigen näher, als sie selber, und seine Gattinnen sind ihre Mütter. Aber die Blutsverwandten stehen in der Schrift Gottes einander näher als die (sonstigen) Gläubigen und Ausgewanderten …“ (Q 33,6; ähnlich 60,3).42

ǧawf 1 „(Leib-)Inneres“, k (aus genereller Bezeichnung für „Hohlraum“) mā ǧaʿala llāhu li-raǧulin min qalbayni fī ǧawfihī „Allāh hat keinem Mann zwei Herzen in seinem Leib gemacht.“ (Q 33,4).

ʾamʿāʾ 1 „Innereien, Eingeweide“, k (Q 47,15). Genitalien

sawʾat 8 „(im Plural) Genitalien, Pudenda“, k fa-waswasa lahumā š-šayṭānu li-yubdiya lahumā mā wūriya ʿanhumā min sawʾātihimā „Der Satan flüsterte ihnen ein, um ihnen zu zeigen, was ihnen von ihrer Blöße verborgen geblieben war.“ (Q 7,20 u. ö.); Vermeidungsbezeichnung, der konkrete Sinn „Schande, schimpf-liche Tat, Böses, davon Leichnam“ ist lebendig (Q 5,31).

ʿawrāt 2 „(weibliche) Genitalien, Pudenda, Blöße“, k awi ṭ-ṭifli llaḏīna lam yaẓharū ʿalā ʿawrāti n-nisāˈi „das Kind, das die Blöße der Frauen nicht beachtet.“ (Q 24,31; 24,58 u. ö.); Euphemismus; die konkrete Bedeutung „Blöße, Schwachstel-le“ ist lebendig ˈinna buyūtanā ʿawratun wa-mā hiya bi-ʿawratin ˈin yurīdūna ˈillā firāran „Unsere Häuser sind ohne Schutz.“ „Dabei waren sie nicht ohne Schutz, sie wollten nur fliehen.“ (Q 33,13).

farǧ 9 „Vulva“, k (Euphemismus; der konkrete Sinn „Spalte“ ist lebendig Q 50,6); metaphorisch aus Raumkonzept abgeleitete soziologisch-funktionale Bedeutung: „zu hütende Ehre der Frau, Keuschheit“ wa-llatī ˈaḥṣanat farǧahā fa-nafaḫnā fīhā min rūḥinā wa-ǧaʿalnāhā wa-bnahā ˈāyatan li-l-ʿālamīna „Und (erwähne) die, die ihre Keuschheit bewahrte. Da bliesen WIR in sie von unserem Geist, und WIR machten sie und ihren Sohn zu einem Zeichen für die Weltenbewohner.“ (Q 21,91 u. ö.).

Bein, Fuß

riǧl 15 „Fuß; Bein“, k; redundant als Ergänzung des Verbs „gehen“; metaphorisch für Raumkonzept, zugleich als Füllwort in einem Ausdruck per merismum: min fawqi-him wa-min taḥti arǧuli-him „über ihnen und unter ihren Füßen“ = „über-all“ (Q 5,66; 6,65; 29,55); beachte, daß min taḥti-him „unter ihnen“ ausreichend wäre; ähnlich gebauter Ausdruck, hier aber wohl Raum- und Zeitkonzept zu-sammen: wa-lā yaˈtīna bi-buhtānin yaftarīnahū bayna ˈaydīhinna wa-ˈarǧulihinna „keine Verleumdung vorbringen, die sie (Frauen) vor ihren Händen und Füßen erdichten“ = „stehenden Fußes, im Augenblick, gänzlich improvisie-

                                                                                                               42 Die dazugehörige Verbwurzel RḤM „barmherzig sein“ ist mit ihren Ableitungen eine der häufigsten des koranischen Textkorpus.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 213  

rend; überall und jederzeit“ (Q 60,12)43; metonymisch-funktionale Verwendung für assoziierten Zustand oder Handlung in Redewendungen (Somatismen), s. o. zu ǧulūd „Haut“: „Zungen, Hände und Füße legen Zeugnis wider die Ungläubi-gen ab“ yawma tašhadū ʿalayhim ˈalsinatuhum wa-ˈaydīhim wa-ˈarǧuluhum bi-mā kānū yaʿmalūna „Am Tag, da ihre Zungen und ihre Hände und ihre Füße ge-gen sie Zeugnis ablegen werden über das, was sie zu tun pflegten.“ (Q 24,24), vgl. auch Q 36,65: al-yawma naḫtimu ʿalā ˈafwāhihim wa-tukallimunā ˈaydīhim wa-tašhadu ˈarǧuluhum bi-mā kānū yaksibūna „Heute versiegeln WIR ihnen den Mund. Ihre Hände werden zu UNS sprechen, und ihre Füße Zeugnis ablegen über das, was sie erworben haben … “. Etymologisch verwandt mit raǧul „Mann“; beide semantischen Felder fließen zusammen im raǧil „Fußsoldaten, Infanterie“: wa-stafziz mani staṭaʿta minhum bi-ṣawtika wa-ˈaǧlib ʿalayhim bi-ḫaylika wa-raǧilika wa-šārikhum fī l-ˈamwāli wa-l-ˈawlādi wa-ʿidhum wa-mā yaʿiduhumu š-šayṭānu ˈillā ġurūran „,Und schrecke mit deiner Stimme auf, wen von ihnen du vermagst, und biete gegen sie deine Pferde und dein Fußvolk auf, und nimm von ihnen einen Anteil an Vermö-gen und Kindern, und mach ihnen Versprechungen.‘ – Der Satan verspricht ihnen nur Betörung.“ (Q 17,64).

qadam 8 „Fuß, Bein“, k, meronymisch im Somatismus: „die Füße feststehen lassen“ = „jdn. sicheren Halt, sichere Stellung geben, stärken“ wa-lammā barazū li-ǧālūta wa-ǧunūdihī qālū rabbanā ˈafriġ ʿalaynā ṣabran wa-ṯabbit ˈaqdāmanā wa-nṣurnā ʿalā l-qawmi l-kāfirīna „Und als sie sich gegen Goliat und seine Truppen stellten, sagten sie: ‚Unser Herr, gieße Standhaftigkeit über uns aus, fes-tige unsere Schritte und unterstütze uns gegen die ungläubigen Leute.‘“ (Q 2,250 u. ö.), aber auch das Gegenteil „Fuß straucheln lassen“ = „fallen lassen“ wa-lā tattaḫiḏū ˈaymānakum daḫalan baynakum fa-tazilla qadamun baʿda ṯubūtihā „Und nehmt euch nicht eure Eide als Mittel des Betrugs untereinander, sonst könnte der eine Fuß, nachdem er fest gestanden hat, straucheln“ (Q 16,94). Ebenfalls „unter die Füße legen“ = „jemanden jemandem unterwerfen“ (Q 41,29); metaphorisch aus Raumkonzept soziologisch-funktionale Bedeutung: „Fuß der Rechtschaffenheit“ = „wahrhaftige Stellung (bei Gott)“ wa-bašširi llaḏīna ˈāmanū ˈanna lahum qadama ṣidqin inda rabbihim „Warne die Men-schen und verkünde denen, die glauben, die frohe Botschaft, daß sie bei ihrem Herrn einen wahrhaftigen Stand haben“ (Q 10,2); im Ausdruck per merismum in Q 55,41: yuʿrafu l-muǧrimūna bi-sīmāhum fa-yuˈḫaḏu bi-n-nawāṣī wa-l-ˈaqdāmi „Die Übeltäter werden an ihrem Merkmal erkannt und dann am Schopf und an den Füßen gepackt = am ganzen Körper, gänzlich gepackt.“

sāq 4 „Ober und Unter-Schenkel“, k; metonymisch-funktionale Verwendung für as-soziierten Zustand oder Handlung in Redewendungen (Somatismen): yawma yukšafu ʿan sāqin wa-yudʿawna ˈilā s-suǧūdi fa-lā yastaṭīʿūna „Am Tag, da man

                                                                                                               43 Die Übersetzungen gehen hier weit auseinander, von einfacher, unkommentierter wörtlicher Wiedergabe bis hin zu interpretierend, etwa Paret – ohne weitere Erklärung: „… keine von ihnen aus der Luft gegriffenen Verleumdungen vorzubringen(?)“. Möglicherweise ist der Ausdruck eine verstärkende Innovation, ausgehend von gebräuchli-chem „vor den Händen“ = räumlich und zeitlich „vor; präsent“ etc., der nächstliegende analo-ge Körperteil wird als Akzentuierung hinzugefügt.

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Schenkel (Beine) entblößt und sie zur Anbetung gerufen werden, werden sie es nicht vermögen“ (Q 68,42). Bein und Schenkel werden beim Ablegen des Ober-gewandes zu schwerer körperlicher Arbeit entblößt. Daher steht „(bloßer) Schen-kel, Bein“ in verschiedenen Redewendungen im Altarabischen für „harte, schwe-re Arbeit; Schwierigkeit: (äußerster) Ernst der Lage; Unglück“. In der vorstehen-den Wendung am besten zu deuten: „Am Tag, da es zur Sache geht, endgültig ernst wird (d.h. Tod oder Jüngstes Gericht)“.44 Ein weiterer Somatismus, in kon-kreter aber unklarer Bedeutung wa-ltaffati s-sāqu bi-s-sāqi „wenn sich Bein um Bein wickelt, Bein mit Bein verfängt (im Todeskampf? im Leichentuch?45)“; im Dt. am besten wiederzugeben: „sich (in Qualen) winden“ (Q 75,29).

kaʿbān 1 „die beiden Knöchel“, k (Q 5,6) „wischt eure Häupter und eure Füße bis zu den Knöcheln ab“.

ʿaqibān, aʿqāb 8 „die (beiden) Fersen“, k, in Somatismen: „sich auf den Fersen um-drehen“ … wa-mā ǧaʿalnā l-qiblata llatī kunta ʿalayhā illā li-naʿlama man yattabiʿu r-rasūla mimman yanqalibu alā ʿaqibayhi … „… Und WIR haben die Gebetsrichtung, die du eingehalten hast, nur eingesetzt, um zu erfahren, wer dem Gesandten folgt, (und um ihn zu unterscheiden) von dem, der auf seinen Fersen kehrtmacht.“ (Q 2,143 u. ö.), z. T. redundant „sich abwenden auf den Fersen“ (Q 8,48 u. ö.); transitiv: „jdn. auf seinen Fersen zurückversetzen“ = „in den früheren Zustand bringen, abtrünnig machen“ (Q 3,149 u. ö.); metaphorisch aus Raum-konzept soziologisch-funktionale Bedeutung „unter seinen Fersen“ = „unter sei-ner Nachkommenschaft“: wa-ǧaʿalahā kalimatan bāqiyatan fī ʿaqibihī laʿallahum yarǧiʿūna „Und er machte es zu einem bleibenden Wort unter seinen Nach-kommen, damit sie umkehren.“ (Q 43,28).

Schlußbemerkung

Als Ergebnis der vorstehenden Durchmusterung koranischen und arabischen Sprach-gebrauchs bei Körperteilbezeichnungen ist festzustellen, daß der metaphorische Gebrauch verbreitet ist. Doch teilt Koran und Arabisch dies mit praktisch allen be-kannten Sprachen, wenn auch die spezifischen Zuschreibungen für Körperteile und ihre gedachten Funktionen und Besonderheiten im menschlichen Leben einzel-sprachlich, besonders aber für die verschiedenen Gesellschaftsordnungen und Kultu-ren voneinander abweichen. Nicht umsonst ist die vergleichende Somatismenfor-schung in der Sprachwissenschaft ein für alle Sprachkombinationen immer und reiz-volles Gebiet, das für weite Teile zur sprachlichen Universalienforschung gehört. Vielleicht ist diese Feststellung der schwerwiegendste Einwand gegen die Arbeiten

                                                                                                               44 Parets Übersetzung: Am Tag (des Gerichts), da die Sache brenzlig wird (w. da [das Ge-wand aufgeschürzt und] die Wade entblößt wird) und sie (d. h. die Ungläubigen) aufgefordert werden, sich (vor Gott in Anbetung) niederzuwerfen, (es) aber nicht zu tun vermögen“, ohne weiteren Kommentar. Der Versuch der Wiedergabe mit einem deutschen Somatismus er-scheint nicht ganz geglückt, da der deutsche Ausdruck eher auf selbstverschuldetes Risiko zielt. 45 Paret mit maximalen geklammerten Ergänzungen: 29 „und (wenn) es zum Äußersten kommt(?) (w. wenn sich [im Nahkampf?] Bein mit Bein verfängt), ….“.

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 215  

von Hans Walter Wolff zur – spezifischen – synthetischen Körperauffassung im AT und im Althebräischen und der daraus abgeleiteten Anthropologie. Manche der So-matismen machen den Eindruck genuin arabischer und idiomatischer Ausdruckswei-se, als habe der Urheber koranischer Texte seinem Volk intensiv „aufs Maul“ ge-schaut. Hier kann neben der Auswertung von Parallelen in der altarabischen Dich-tung auch die altarabischer Sprichwörter ertragreich sein.

Die Einträge in der Liste sind nicht gleich eingehend behandelt. Es zeigte sich, daß ein Kernbestand mit den häufigsten Wörtern – Kopf, Zunge, Hand, Brust, Herz – in vielem mit dem entsprechenden Wortgebrauch in AT, NT und religiös geprägter Sprechweise in den betreffenden Religionen und Kulturen übereinstimmt. Dabei bleibt es zunächst einmal dahingestellt, ob es sich um parallele Polygenese, Teile sprachlicher Universalien, oder um Beeinflussung und Entlehnung handelt. In die-sem Bereich waren die Bilder auch für den Nichtaraber und Nichtmuslim zumeist direkt eingängig und verständlich, weshalb eine eher summarische Behandlung angebracht erschien. Anders verhielt es sich mit den weniger häufig belegten „klei-neren“ Bildern und Vergleichen. Hier zeigten sich ausgeprägte Eigenarten, die sich dem direkten Verständnis entzogen. Nicht umsonst waren dies Stellen, die in vielen Übersetzungen entweder nur wörtlich, ohne eigentliches Verständnis des spezifi-schen Sprachgebrauchs, oder nur annähernd wiedergegeben wurden. Hier brachte die Untersuchung an verschiedenen Stellen durchaus Neues gegenüber dem bisheri-gen Verständnis, was sich in längeren ausführlichen Zitaten mit entsprechender Kommentierung ausdrückt.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die relativ große Zahl derber und anschaulicher Somatismen im koranischen Korpus. Davon ist sicherlich der größte Teil Abbild volkstümlicher Ausdrucksweise und somit vom „Verkünder und Predi-ger“ sicherlich bewußt abgelauscht und eingesetzt. Bei manchen wird man aber auch innovative und originelle Wendungen erkennen, die zwar von einem bekannten Be-stand ausgehen, diesen aber ausformen und ihm neue Akzente und Schattierungen abgewinnen.

Abgesehen von diesem prinzipiellen Einwand gegen eine überzogene Einschät-zung der Sonderstellung – sei es des AT und Althebräischen, sei es hier des Korans und des Arabischen – lohnt sich doch die präzise sprachliche Untersuchung der einzelnen Belege. Hier wäre als Beweis für synthetische Körperauffassung jeweils eine Substitutionsprüfung für die einzelnen Passagen anzustellen. Ergibt die Einset-zung der Person als Gesamtheit oder ihre Handlung den gemeinten Sinn, wenn auch unter Umständen allgemeiner, unschärfer formuliert, so steht die entsprechende ursprüngliche Körperteilbezeichnung als pars pro toto und bei der betreffenden Handlung oder Gemütszustand maßgeblicher Teil, wobei die im Mittelpunkt der Aussage stehende Person als Ganzes gedacht wird. Eine solche Durchmusterung und Auswertung setzte allerdings eine tiefgreifend prüfende, oft wohl Neu-Interpretation der einzelnen Passagen voraus, die auch in den zahlreichen, und in letzter Zahl zahl-reicher werdenden Übersetzungen und Kommentaren des Korans noch nicht geleis-tet ist. Diese Untersuchung muß allerdings auch das Verhältnis des koranischen Sprachgebrauchs zum allgemeinen, durch die arabische Sprache vorgegebenen me-taphorischen Gebrauch und von Somatismen allgemein im Auge haben, bevor sie auf koranische Eigenart eingehen kann. Diese Absetzung wird erschwert, in vielem vielleicht unmöglich gemacht durch die Tatsache, daß jeder geschriebene arabische

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Text nach dem Koran unter dem Verdacht steht und stehen muß, von diesem Text beeinflußt zu sein. Es bleibt als Vergleichsmaterial nur die altarabische Poesie, viel-leicht altarabische Sprichwörter und – in begrenztem Maße und nach vorheriger Sichtung unter der Maßgabe des angesprochenen Generalverdachts – der Sprachge-brauch der arabischen Dialekte.

Des Weiteren schärft die vorstehende Bestandsaufnahme den Blick für die ein-gangs angesprochene Frage der adäquaten, d.h. in der Zielsprache idiomatisch zu-treffenden Übersetzung. In allzu vielen, auch „modernen“ Übersetzungen zeigt sich deutlich noch die Nachahmung der Ausgangssprache als leitendes Prinzip. Dies wirkt nicht nur unausgesprochen, bedingt durch Bewunderung oder Verehrung eines „heiligen“ Textes, sondern wird direkt als Absicht ausgesprochen, daß die Überset-zung liturgischen Zwecken der entsprechenden muslimischen, nichtarabischspre-chenden Gemeinde dienen soll. Letzteres ist wohl eher Pflicht und Aufgabe von Anhängern, Adepten und Missionaren der betreffenden Glaubensgemeinschaft und kaum ein wissenschaftliches Vorhaben oder gar Ziel.

Anhang

Anhang 1: Weitere Wortlisten

a) Körperteilliste der deutschen Bezeichnungen nach Frequenz geordnet:

Verschiedene Kategorien waren in deutscher Übertragung zu summieren, wie etwa Mensch(en), Herz, Schamteile, Flanke (Seite), Fuß (Bein) und erhielten damit eine höhere Frequenz. Die Einzelposten aufgrund der unterschiedlichen arabischen Be-zeichnungen wurden aber belassen. (342 „Mensch[en]“ insān 72, insiyy 1, ins 18 , nās 241, bašar 37) 292 „Hauch, Atem, Seele; Leben; Person“ nafs 241 „Menschen“ nās (167 „Herz“ [uʾād 134, qalb 17, lubb 16]) 134 „Herz“ qalb 120 „Hand“ yad 72 (71+1) „Mensch“ insān, insiyy 72 „Gesicht“ waǧh 60 „Mann“ raǧul 59 „Auge“ ʿayn 47 „Hand, rechte“ yamīn 45 „Brust“ ṣadr 37 „Mensch(en)“ bašar 28 „Zunge“ lisān (24 „Flanke, Seite“ ǧānib 9, ǧanāḥ 7, ganb 8) 21 „Kopf, Haupt“ raʾs 20 „Rücken“ ẓahr 19 „Ohr“ ʾuḏun 18 „Rücken“ dubur

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18 „Menschen“ ins 17 „Herz(en)“ lubb, nur im Plural albāb 17 „Bauch; Mutterleib“ baṭn 16 „Herz“ fuʾād 15 „Fuß; Bein“ riǧl 14 „Mund“ fū(h) 13 „Knochen“ ʿaẓm 12 „Fleisch“ laḥm 10 „Blut“ dam 9 (3+6) „Nacken“ riqāb, raqaba 9 „Vulva, Schamteil, weiblicher“ farǧ 9 „Seite, Flanke“ ǧānib 9 „Nacken“ ʿunq 9 „Haut, Fell“ ǧulūd 9 „Flanke, Seite“ ǧānib 9 „Fell, Haut“ ǧulūd 8 „Genitalien, Pudenda, Schamteile“ sawʾa 8 „Seite, Flanke“ ǧanb 8 „Mutterleib“ arḥām 8 „Hand, linke“ šimāl 8 „Fuß, Bein“ qadam 8 „Flanke, Seite“ ǧanb 8 „Fersen, die beiden“ ʿaqibān 7 „Seite, Flanke, Flügel“ ǧanāḥ (4 „Finger“ [banān 2, iṣbaʿ2]) 4 „Stirnlocke“ nāṣiya 4 „Schenkel, Ober- und Unterschenkel“ sāq 4 „Haar, Stirnlocke“ nāṣiya (3 „Körper“ [badan 1, ǧism 2]) 3 „Schöße“ ḥuǧūr 3 „Kinn“ ḏiqn 2 „Finger“ banān 2 „Zahn“ sinn 2 „Stirn“ ǧabīn 2 „Schamteile, Pudenda, Genitalien“ ʿawrāt“ 2 „Rückgrat“ ṣulb 2 „Oberarm“ ʿaḍud 2 „Nase“ ʾanf 2 „Lippen, beide“ šafatān 2 „Körper“ ǧism 2 „Kehle“ (plurale tantum) ḥanāǧir 2 „Handflächen, die beiden“ kaffān 2 „Finger“ iṣbaʿ 2 „Arm“ ḏirāʿ 1 „Körper“ badan 1 „Knöchel, die beiden“ kaʿbān 1 „Kehle“ ḥulqūm

Manfred Kropp 218  

1 „Ellbogen“ marāfiq 1 „Wange“ ḫadd 1 „Stirn“ ǧibāh 1 „Skalp ?(unklar)“ šawā 1 „Schultern“ manākib 1 „Schnauze“ ḫurṭūm 1 „Schlüsselbein“ tarāqī 1 „Rippen, Brustkorb“ tarāʾib 1 „Innereien, Eingeweide“ ʾamʿāʾ 1 „Haut“ bašar 1 „Halsschlagader“ warīd 1 „Hals“ ǧīd 1 „Haare“ ašʿār (koranischer Beleg nur von Tieren ausgesagt) 1 „Flanke des Körpers“ ʿiṭf 1 „Fingerspitzen“ anāmil 1 „Brustkorb, Rippen“ tarāʾib 1 „Brüste (der Stillenden)“ marāḍiʿ 1 „Bauch, Leib, Inneres des Körpers“ ǧawf 1 „Bart“ liḥya 1 „Ader, große, Aorta?“ watīn 1 „Ader, genau: Halsschlagader“ warīd b) Körperteilliste in der Folge des arabischen Alphabets (Wurzel-Folge) der arabi-schen Bezeichnungen:

ʾuḏun „Ohr“ insān insiyy „Mensch“ ʾanf „Nase“ badan „Körper“ bašar „Mensch(en)“ bašar „Haut“ baṭn „Bauch“ banān „Finger“ tarāʾib „Rippen, Brustkorb“ ǧabīn „Stirn“ ǧibāh „Stirn“ ǧism „Körper“ ǧulūd „Haut, Fell“ ǧanb „Seite, Flanke“ ǧānib „Seite, Flanke“ ǧanāḥ „Seite, Flanke, Flügel“ ǧawf „(Leib-)Inneres“ ǧīd „Hals“ ḥuǧūr „Schöße“ ḥulqūm „Kehle“ ḥanāǧir (pl.) „Kehle“ ḫadd „Wange“

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ḫurṭūm „Schnauze“ dubur „Rücken“ dam „Blut“ ḏirāʿ „Arm“ ḏiqn „Kinn“ raʾs „Kopf, Haupt“

riǧl „Fuß; Bein“ raǧul „Mann“

arḥām „Mutterleib“ marāḍiʿ „Brüste (der Stillenden)“ marāfiq „Ellbogen“ riqāb „Nacken“ tarāqī „Schlüsselbein“ sinn „Zahn“ sawʾat „Genitalien, Pudenda“ sāq „Schenkel“ ašʿār „Haare“ (koranischer Beleg nur von Tieren ausgesagt) šafatān „beide Lippen“ šimāl „linke Hand“ šawā „(unklar) Skalp?“ iṣbaʿ „Finger“ ṣadr „Brust, Zentrum des Körpers“ ṣulb „Rückgrat“ ẓahr „Rücken“ ʿaḍud „(starker) Oberarm“ ʿiṭf „Flanke des Körpers“ ʿaẓm „Knochen“ ʿaqibān „die beiden Fersen“ ʿunq „Nacken“ ʿawrāt „Genitalien, Pudenda“ ʿayn „Auge“ fuʾād „Herz“

farǧ „Vulva“ fū(h) „Mund“ qadam „Fuß, Bein“ qalb „Herz“ kaʿbān „die beiden Knöchel“ kaffān „die beiden Handflächen“ lubb, nur im Plural albāb „Herzen“ laḥm „Fleisch“ liḥya „Bart“ lisān „Zunge; Wort; Sprache“ ʾamʿāʾ „Innereien, Eingeweide“ nāṣiya „Stirnlocke“ nafs „Hauch, Leben, Seele, Mensch, Person, jemand“, manākib „Schultern“ anāmil „Fingerspitzen“

Manfred Kropp 220  

nās „Leute, Menschen“ watīn „große Ader, Aorta?“ waǧh „Gesicht“ warīd „Halsschlagader“ yad „Hand“ yamīn „rechte Hand“ Anhang 2: Beispielseiten aus on-line Instrumenten:

Abb. 1: Koranisches Wörterbuch mit Kontextkonkordanz und Formanalyse:

http://corpus.quran.com/qurandictionary.jsp?q=rAs

„... und sagen: ,Er ist ein Ohr!‘“ 221  

Abb. 2: Seite mit Lemma „Herz“ der deutschen Textkonkordanz zum koranischen Korpus auf

http://www.intratext.com/IXT/DEU0018/JA.HTM

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Abb. 3: Beispielseite aus Tanzil-Net, Text mit vielfältigen ergänzenden Instrumenten (Rezitation, grammatische Analyse,

Übersetzungen etc.) auf http://tanzil.net/#trans/de.bubenheim/14:4