Das Mediensystem Lettlands - Aktueller Stand und Entwicklungstendenzen. Ein Überblick

20
Ojārs Skudra Das Mediensystem Lettlands. Aktueller Stand und Entwicklungstendenzen Ein Überblick EINFÜHRUNG Wie die Gesellschaft Lettlands hat auch sein Mediensystem zu Beginn der 1990er Jahre einen Prozess der Systemtransformation vollzogen. Diesen Prozess habe ich zusammen mit meinen Kollegen Rolands Tjarve und der im Jahre 2014 leider verstorbenen Dekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Lettland, Prof. Dr. Inta Brikše, in einer Studie zur »Entwicklung der Medien in Lettland in den 1990er Jahren« in den wesentlichen Zügen dargestellt. 1 Nach unserer damaligen Auffassung bildeten (1) der Zusammenbruch der politischen und wirtschaftlichen Struktur des autoritären kommunistischen Regimes (1985– 1991), (2) die Institutionalisierung des demokratischen Staates Lettland (1991– 1995) und, als vorläufig abschließende Etappe, (3) die Konsolidierung des demokratischen politischen Regimes (1996–2001) die wichtigsten Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung. Es folgten die Aufnahme Lettlands in die Europäische Union (EU) und in die NATO im Jahre 2004, eine schwere Wirtschaftskrise von 2008 bis 2010, strukturelle Reformen, die Stabilisierung der Wirtschaft und der Beitritt Lettlands zur Eurozone am 1. Januar 2014. In der Entwicklung von Medien sahen wir seit der Mitte der 1980er Jahre folgende Phasen : (1) die Demokratisierung der Medieninhalte während der Periode von glasnost und perestroika als eine Form der Liberalisierung in der totalitären sowjetischen Ideologie (1985–1987); (2) das Mediensystem und einzelne Medien dienen zunehmend als geeignete Kommunikationskanäle mit aktuellen Funktionen (1987–1990); (3) radikale Veränderungen im nationalen Pressesystem und in einzelnen staatlichen Hörfunk- und Fernsehsendern (Januar – August 1991); (4) Stagnation und Schrumpfung des Medienmarktes (1991–1992); (5) die Entstehung eines neuen Medienmarktes sowie die Kommerzialisierung und Konsolidierung 1 Vgl. Inta Brikše/Ojārs Skudra/Rolands Tjarve: Development of the Media in Latvia in the 1990s. In: Peeter Vihalemm (Ed.): Baltic Media in Transition. Tartu: Tartu University Press 2002, S. 65– 102.

Transcript of Das Mediensystem Lettlands - Aktueller Stand und Entwicklungstendenzen. Ein Überblick

Ojārs Skudra Das Mediensystem Lettlands. Aktueller Stand und Entwicklungstendenzen Ein Überblick

EINFÜHRUNG

Wie die Gesellschaft Lettlands hat auch sein Mediensystem zu Beginn der 1990er

Jahre einen Prozess der Systemtransformation vollzogen. Diesen Prozess habe ich

zusammen mit meinen Kollegen Rolands Tjarve und der im Jahre 2014 leider

verstorbenen Dekanin der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität von

Lettland, Prof. Dr. Inta Brikše, in einer Studie zur »Entwicklung der Medien in

Lettland in den 1990er Jahren« in den wesentlichen Zügen dargestellt.1 Nach

unserer damaligen Auffassung bildeten (1) der Zusammenbruch der politischen

und wirtschaftlichen Struktur des autoritären kommunistischen Regimes (1985–

1991), (2) die Institutionalisierung des demokratischen Staates Lettland (1991–

1995) und, als vorläufig abschließende Etappe, (3) die Konsolidierung des

demokratischen politischen Regimes (1996–2001) die wichtigsten Phasen der

gesellschaftlichen Entwicklung. Es folgten die Aufnahme Lettlands in die

Europäische Union (EU) und in die NATO im Jahre 2004, eine schwere

Wirtschaftskrise von 2008 bis 2010, strukturelle Reformen, die Stabilisierung der

Wirtschaft und der Beitritt Lettlands zur Eurozone am 1. Januar 2014.

In der Entwicklung von Medien sahen wir seit der Mitte der 1980er Jahre folgende

Phasen : (1) die Demokratisierung der Medieninhalte während der Periode von

glasnost und perestroika als eine Form der Liberalisierung in der totalitären

sowjetischen Ideologie (1985–1987); (2) das Mediensystem und einzelne Medien

dienen zunehmend als geeignete Kommunikationskanäle mit aktuellen Funktionen

(1987–1990); (3) radikale Veränderungen im nationalen Pressesystem und in

einzelnen staatlichen Hörfunk- und Fernsehsendern (Januar – August 1991); (4)

Stagnation und Schrumpfung des Medienmarktes (1991–1992); (5) die Entstehung

eines neuen Medienmarktes sowie die Kommerzialisierung und Konsolidierung

1 Vgl. Inta Brikše/Ojārs Skudra/Rolands Tjarve: Development of the Media in Latvia in the 1990s. In: Peeter Vihalemm (Ed.): Baltic Media in Transition. Tartu: Tartu University Press 2002, S. 65–102.

– 2 –

von Medien (1993 – späte 1990er Jahre); (6) die Stabilisierung des nationalen

Marktes für Massenkommunikation, verstärkte Präsenz von globaler

Kommunikationsindustrie auf dem lokalen Markt (späte 1990er Jahre – frühes 21.

Jahrhundert).2

Unsere damaligen Schlussfolgerungen waren nicht sehr optimistisch. Die Kultur

eines demokratischen, professionellen Journalismus befand sich im

Entstehungsprozess. Die Zahl der Journalisten verringerte sich, auch solcher, die

zu einem investigativen Journalismus berufen und fähig waren. Public Relations,

die sich rasch entwickelten, überfluteten die Medien mit ihren Produkten,

insbesondere die beiden Nachrichtenagenturen LETA und BNS. Eine relativ kleine

Zahl von Vertretern der politischen und wirtschaftlichen Elite, neben offiziellen

Institutionen und den von ihnen veranstalteten Ereignissen, wurden zu wichtigen

Informationsquellen. Nachrichten und insbesondere Unterhaltung dominierten

immer mehr die Medieninhalte.

Die heutige Gesellschaft von Lettland3 ist relativ stark segmentiert und das trifft

auch auf die Publika von bestimmten Medien zu. Wegen der starken Präsenz von

russischen Medienangeboten besteht ein gewisser Hang zur Parallelgesellschaften4

– sprachlich, geopolitisch und im Sinne des kulturellen Gedächtnisses. Neben der

Kommerzialisierung und Glokalisierung in Unterhaltung und Nachrichten

entstehen auch größere Verlage und Sendeanstalten.

1. ZEITUNG UND ZEITSCHRIFT

2 Vgl. ebenda, S. 67–68. 3 Die Republik Lettland ist neben Estland und Litauen einer der drei Baltischen Staaten. Sie umfasst eine Fläche von 64.573 km2 und hat 1.983.300 Einwohner im April 2015 (2014 waren davon 26 v. H. Russen). Der monatliche Durchschnittslohn (netto) aller Beschäftigten betrug 2014 bescheidene 560 Euros. Lettland hat auch eine Grenze zu Russland und Weißrussland. http://data.csb.gov.lv/ (15. IV. 2015). 4 Vgl. Dennis Lichtenstein/Christiane Eilders/Julija Perlova. Integrationsprozesse in segmentierten Öffentlichkeiten. Die EU als Integrationschance für die Parallelgesellschaften in Lettland? In: Global Media Journal. German Edition, 1. Jg. 2011, Nr. 2 (Autumn), S. 1–25. http://www.db-thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-24471/GMJ2_Lichtenstein_et_al_final.pdf (10. IV. 2014).

– 3 –

Auf dem Pressemarkt sind in den letzten Jahren einige wichtige Entwicklungen zu

verzeichnen. Während der Wirtschaftskrise (2008–2010) haben gerade die

Zeitungen katastrophal gelitten und fast 21 v. H. ihres Anteils am Werbemarkt

verloren. Eine zweite Tendenz, die zu vermerken ist, sind die sinkenden Zahlen

von Abonnements für Zeitschriften und Zeitungen. 2009 gab es nach den Angaben

der Post Lettlands 287.346 Abonnements für Zeitschriften und 254.816 für

Zeitungen. Im Jahr 2015 sind die entsprechenden Zahlen 247.800 und 165.200. Die

verhältnismäßig gute Lage bei den Zeitschriften lässt sich durch die

Hochglanzzeitschriften zu erklären und gerade auf diesem Feld tobt der alles

entscheidende Konkurrenzkampf auf dem Zeitschriftenmarkt. Das ist bei den

Zeitungen nicht der Fall, außerdem spielt der triumphale Siegeszug des Internets

(soziale Medien, soziale Netze, Portale) und von Mobilgeräten (Smart Phons,

Tablets) eine sehr wichtige Rolle. Obwohl alle drei etablierten lettischen

Tageszeitungen – die ehemals qualitative, aber jetzt eher farblose Diena (Der Tag),

die im Volksmunde als »Taschenzeitung« des einflussreichen Bürgermeisters der

Hafenstadt Ventspils, Aivars Lembergs, genannte Neatkarīgā Rīta Avīze (NRA –

Unabhängige Morgenzeitung) und die national-konservative Latvijas Avīze

(Zeitung Lettlands) – ein eigenes Portal besitzen, hat es nur das Portal von Diena in

die Top-10 geschafft. Auf dem russischsprachigen Pressemarkt verlaufen die

Entwicklungen ähnlich, doch mit dem Unterschied, dass nur eine Tageszeitung

Vesti Sevodnya (Mitteilungen Heute) übrig geblieben ist, die – im Sinne des

politischen Parellelismus – unter einem sehr starken Einfluss der oppositionellen

sozialdemokratischen Partei Saskaņa (Harmonie) steht, die die Mehrheit im

Stadtrat von Riga hat und den Bürgermeister von Riga Nils Ušakovs stellt.

Nach den Angaben der Internetzeitschrift The Baltic Course gab es 2014 in Lettland

4.598 registrierte »Mittel der Masseninformation«, 3.777 davon in Riga. Nach der

Zahl der Pressetitel waren 2014 der Verlag Logos GmbH (55 Titel), die Zeitschrift

SANTA GmbH (35), Mediju nams GmbH (34), AG Diena (28), Dienas Bizness GmbH

(28) sowie das Verlagshaus Vesti GmbH (23) die größten Verlagsunternehmen.

Nach offiziellen Angaben für das Geschäftsjahr 2012 erwirtschaftete nur der

Verlag Zeitschrift Santa GmbH einen Gewinn im Umfang von 995.200 Euro. Alle

– 4 –

anderen Verlage arbeiteten mit einem Verlust. Eine gewisse Erklärung dafür ist

der Umstand, dass alle anderen Verlage Tages- oder Wochenzeitungen

herausgeben, die aber nur Verluste einbringen. Das Verlagshaus Vesti, de facto im

Besitz des russischen Unternehmers Eduard Janakov, bringt die letzte russische

Tageszeitung Lettlands, Vesti Sevodnya, heraus,5 denn die gedruckte Variante der

Wirtschaftszeitung Biznes & Baltija wurde im Herbst 2014 vom ihrem

Unternehmer eingestellt. Seit 2015 kommt aber die als qualitativ angelegte,

informativ-analytische Monatszeitschrift Telegraf im Angebot des Verlagshauses

Vesti dazu, was vermuten lässt, dass man die Agenda der Öffentlichkeit Lettlands

unbedingt beeinflussen will, wenigstens ihren russischsprachigen Teil.

Tab. 1 Pressemarkt: Titelzahl und Sprachen 1990–2013

__________________________________________________________________________________________

1990 2005 2013 N = 260 N =546 N = 550 abs. % abs. % abs. % __________________________________________________________________________________________

Zeitungen 188 72 261 48 242 44 davon lettisch 107 57 193 74 191 79 russisch 74 39 61 23 43 18 andere 7 4 7 3 8 3

Zeitschriften 72 28 285 52 308 56 davon lettisch 44 61 205 72 240 78 russisch 21 29 57 20 39 13 andere 7 10 23 8 29 9 __________________________________________________________________________________________

Quelle Latvijas prese 1991. Rīga: Latvijas Bibliogrāfijas institūts 1992; Latvijas prese 2005. Rīga: Latvijas Bibliogrāfijas institūts 2006; Latvija izdevējdarbības statistika 2013. Rīga: Latvijas Nacionālās bibliotēkas Bibliogrāfijas institūts 2014.

Doch die am meisten verkaufte von allen Zeitungen Lettlands und von vielen

sogenannten »Russischsprachigen« gelesene russische Wochenzeitung MK Latvija

(MK – früher Moskauer Komsomolze – Lettland) ist eigentlich und inhaltlich eine

an Russland orientierte Zeitung. Der Verleger von MK Latvija, das Verlagshaus

5 Vgl. The Baltic Course. http://www.baltic-course.com/rus/kruglij_stol/?doc=91477&ins_print (15. IV. 2015).

– 5 –

Print Media GmbH, ist eine Gründung von Baltijas Mediju Alianse SIA (BMA –

Baltische Medienallianz GmbH), eines Medienunternehmens, das offiziell wiederum

von zwei Privatpersonen, Alexey Plyasunov aus Russland und Olegs Solodovs aus

Lettland, paritätisch gegründet wurde. MK Latvija hatte im Jahre 2014 eine Auflage

von 47.000 Exemplaren und 8.900 Abonnenten. Die Zeitung Vesti Sevodnya, die

werktags den Untertitel »gesellschaftlich politische russische Tageszeitung

Lettlands« führt, hat eine Auflage von nur 15.800 Exemplaren, aber am Freitag, an

dem sie als die »russische Wochenzeitung Lettlands« Vesti Sevodnya 5 mit der

Beilage TV Vesti Telek (Fernsehprogramm) erscheint, eine etwas höhere Auflage

von 24.100 Exemplaren.

Auch auf dem »lettischen« Teil des Pressemarktes sind einige Veränderungen zu

verzeichnen. Seit Februar 2013 gibt es auf dem Markt eine Wochenzeitung Kas

Jauns Avīze (Was Neues Zeitung), die vom Verlag Rīgas Viļņi GmbH mit einer

Auflage von 35.000 Exemplaren herausgegeben wird. Entsprechend der

Aufmachung ist es eher ein Tabloid.

Für die intellektuellen und politischen Orientierungen der lettischen

Meinungsführer mit einem klaren demokratischen und prowestlichen Standpunkt

spielen die Medien der AG Cits medijs (AG Anderer Medium) eine nicht zu

unterschätzende Rolle. Das gilt insbesondere für die Wochenzeitschrift Ir (Ist), die

2010 von einer Gruppe ehemaliger Journalisten der Tageszeitung Diena gegründet

wurde und 2015 eine Auflage von 17.000 Exemplaren und 7.000 Abonnenten

erreicht hat. Der Ratsvorsitzender der AG Cits medijs, Pauls Raudseps, wurde in

den USA geboren und kam 1990 nach Lettland, wo er an der Volksfront mitwirkte

und zu den Gründern von Diena gehörte. In den Jahren von 1991 bis 2009 war er

erster Stellvertreter des Chefredakteurs von Diena, bis die Zeitung von einer mit

dem Transitgeschäft verbundenen Unternehmergruppe von der schwedischen

Bonnier AB gekauft und, entsprechend den jeweiligen Interessen, politisch

instrumentalisiert wurde. Zu den Aktionären der AG Cits medijs gehören sowohl

Journalisten, Juristen und Unternehmer als auch die Chefredakteurin des Verlages

Ir, Nellija Ločmele, sowie der ehemalige Botschafter der Vereinigten Staaten von

– 6 –

Amerika in Lettland, Ints Siliņš. AG Cits medijs gibt auch die sechsmal im Jahr

erscheinende Wirtschaftszeitschrift Ir Nauda und seit 2015 die Zeitschrift für

Literatur, Publizistik und Geschichte Domuzīme heraus. Außerdem unterhält der

Verlag Ir auch den Portal www.irir.lv.

Nach den Angaben des Marktforschungsunternehmens TNS 6 verliert die

Tagespresse weiterhin ihre Positionen an die Zeitschriften und die Presse

insgesamt an die digitalen Medien. Im Winter 2015 wurde eine Tageszeitung von

15 v.H. der Altersgruppe von 15 bis 74 Jahren gelesen oder durchgesehen, die

Regionalpresse von 35 v.H., eine Wochenausgabe von 55 v.H. und eine

Monatsausgabe von 45 v.H. Besonders gravierend sind die Unterschiede in der

Presselektüre zwischen den Letten und den Lesern einer anderen Nationalität. Auf

der Berechnungsbasis des durchschnittlichen Publikums einer Nummer, war

ebenfalls im Winter 2015 die wöchentlich erscheinende Frauenzeitschrift Ieva das

von Letten am meisten gelesene Periodikum, und auch fast alle anderen Top-10

Presseerzeugnisse waren Zeitschriften. Die einzige Ausnahme bildete die an

neunter Stelle liegende national konservative Tageszeitung Latvijas Avīze. Unter

den zehn meistgelesenen Presseerzeugnissen sind sechs, einschließlich Ieva,

Produkte des Verlags Zeitschrift Santa GmbH, zwei stammen aus dem Verlag Rīgas

Viļņi GmbH und je eins von AG Diena und AG Latvijas Avīze. Bei den Lesern anderer

Nationalität lag die Wochenzeitung MK Latvija an erster Stelle, die Tageszeitung

Vesti Sevodnya an vierter Stelle, die internationale Wochenzeitung Latvijskije Vesti

(Verleger GmbH »Press Distribution Center«) an fünfter Stelle, und die

Wochenzeitung Subbota, die keine Angaben über ihren Verleger und ihre Auflage

macht, an siebter Stelle.

6 Vgl. TNS Latvia. http://www.tns.lv/ (10. V. 2015).

– 7 –

Tab. 2 Pressemarkt: Jährliche Gesamtauflage 1990–2013

__________________________________________________________________________________________

1990 2005 2013 __________________________________________________________________________________________

Zeitungen 313.814 206.418,4 85.049,551 davon lettisch 197.143 118.515,4 65.993,722 russisch 115.536 66.127,9 17.049,551

Zeitschriften 11.467 37.917,7 37.904.131 davon lettisch 9.926 31.682.1 35.134,619 russisch 1.045 5.766,9 2.357,050 Gesamt 325.281 244.336.1 122.953,682

__________________________________________________________________________________________

Quelle Latvijas prese 1991. Rīga: Latvijas Bibliogrāfijas institūts 1992; Latvijas prese 2005. Rīga: Latvijas Bibliogrāfijas institūts 2006; Latvija izdevējdarbības statistika 2013. Rīga: Latvijas Nacionālās bibliotēkas Bibliogrāfijas institūts 2014.

Unter den Top-10 Presseerzeugnissen, die von den Lesern anderer Nationalität im

Winter 2015 gelesen wurden, waren drei Fernsehprogrammzeitschriften, auch die

als Beilage zur MK Latvija erscheint, sowie die kostenlose Werbezeitung Rīgas

Santīms. Daraus kann man folgern, dass die Leser anderer Nationalität

regelmäßiger und intensiver politische Inhalte nutzen als die Lesepublika der in

Lettisch erscheinenden Presse. Dass diese Inhalte meistens die Positionen

Russlands wiedergeben, betrachten die Herausgeber dieser Presseerzeugnisse als

selbstverständlich.

– 8 –

Tab. 3 Pressemarkt: die größten Verlage und ihre Periodika

______________________________________________________________________________________________

Verlag Periodika ______________________________________________________________________________________________

AG Diena 10 Zeitschriften, 6 nationale Zeitungen, 7 regionale Zeitungen, 10 Portale

GmbH Žurnāls Santa 17 Zeitschriften (darunter Lizenzaus- gaben von Auto Bild Latvija und Shape), 1 Portal

GmbH Izdevniecība Rīgas Viļņi 3 Zeitungen, 15 Zeitschriften in vier Sprachen, 2 Portale

AG Lauku Avīze 1 nationale Zeitung, 9 Zeitschriften, 1 Portal

GmbH Izdevniecība Lilita 9 Zeitschriften in lettischer und rus- sischer Sprache (darunter Cosmopolitan, FHM und GEO in lettischer Sprache) GmbH Mediju nams 1 nationale Zeitung, 4 Zeitschriften ______________________________________________________________________________________________

Quelle Assoziation der Presseverleger Lettlands (http://www.lpia.lv/), Internetseiten der Verlage

Fast alle Verlage, die Zeitungen herausgeben, arbeiten mit Verlust. So verzeichnete

die GmbH Mediju nams, die die NRA auf dem Markt bringt, seit ihrer Gründung im

Jahre 2002 bis zum Jahr 2013 einen Gesamtverlust im Umfang von 15,2 Mio. Euro

– allein seit 2010 fast zwei Millionen Euros. Das gleiche gilt für die Mediaholding

Diena, deren Eigentümer die Logistikfirma Rigaer Handelshafen ist, die im Rigaer

Freihafen ihre Geschäfte tätigt. Die GmbH Dienas mediji, die die Tageszeitung Diena

verlegt, machte allein von 2010 bis 2013 Verluste im Umfang von 6,1 Mio. Euro.7

Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass im Zeitraum von 2007 bis 2014 die

Jahresauflage der Zeitungen in lettischer Sprache um 47 v.H. geschrumpft und die

Gesamtauflage von Büchern und Broschüren in lettischer Sprache um 38 v.H.

kleiner geworden ist,8 kann man sich die schwierige Lage vieler Medienhäuser

Lettlands leicht vorstellen.

Ein wesentlicher Akteur im russischen Segment des Medienmarktes des ganzen

Baltikums ist natürlich die Baltische Medienallianz GmbH. Im Besitz von BMA sind:

7 Vgl. Pauls Raudseps: No krīzes līdz informācijas karam. In: Ir. #14 (260) 2015, S. 16–17. 8 Vgl. BNS: Būtiski kritusies laikrakstu, grāmatu un brošūru tirāža latviešu valodā, liecina pētījums. http://www.delfi.lv/archive/print.php?id=45341682 (20. I. 2015).

– 9 –

die Wochenzeitung MK Latvija, Fernsehkanal PBK (Erster Baltischer Kanal – Top-4

in Lettland und Estland, Top-5 in Litauen) sowie die Fernsehkanäle NTV Mir

Latvija (Top-5) und NTV Mir (Top-5 in Estland). Aufgrund der russischen

Außenpolitik einerseits sowie einiger wichtiger Veränderungen in der

Medienpolitik von Estland und insbesondere von Lettland andererseits kann man

vorhersagen, dass es BMA mit einem härterem Konkurrenzkampf, besonders beim

Fernsehkanal PBK zu tun haben wird.

Den Zeitungen, vor allem den regionalen Zeitungen Lettlands, stehen schwierige

Zeiten bevor. Und das nicht nur deshalb, weil nur 20 v.H. aller Presseleser

Lettlands jeden Tag eine Zeitung bzw. Zeitschrift lesen (im Herbst 2013 waren es

mit 17 v.H. noch weniger) – im Unterschied zu Litauen (30 v.H.) und insbesondere

zu Estland, wo das stolze 42 v.H. tun.9 In sprachlich unterschiedlichen Segmenten

der Mediennutzer von Lettland sind die Unterschiede noch gravierender, was aber

keinesfalls bedeutet, dass diese Unterschiede vereinfachend nur mit den Faktoren

»Russland« und »ethnische Zugehörigkeit« zu erklären sind.

2. HÖRFUNK UND FERNSEHEN

In Lettland besteht ein duales Rundfunksystem mit öffentlichem Fernsehen und

Hörfunk und einem weit verbreiteten Netz privater Rundfunksender und Kanäle.

Entsprechend dem im Juni 2011 vom Parlament angenommenen Gesetz der

elektronischen Massenkommunikationsmittel erfüllt der in der Regel von der

Regierungsmehrheit im Parlament auf die Dauer von fünf Jahren gewählte

Nationale Rat elektronischer Massenkommunikationsmittel (NEPLP) die Aufsichts-

, Leitungs- und Kontrollfunktionen. Der Rat besteht aus fünf Mitgliedern und wird

von einem Vorsitzenden geleitet. Der aktuelle Vorsitzende des Rats, Ainārs

Dimants, ist ein an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation zum Thema

»Die Massenmedien Lettlands« promovierter Politologe und Professor an der

9 Vgl. Eurobarometre Standard 82. Automn 2014. http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb82/eb82_media_fr.pdf (15. IV. 2015).

– 10 –

Wirtschaftshochschule Turība in Riga. Die Tätigkeit des Rats wird finanziert aus

den Mitteln des Staatshaushalts.

Der Rat führt Einzelregister von Sendeorganisationen auf solchen Feldern wie

Kommerzieller Hörfunk, Satellitenfernsehen, Kabelfernsehen und terrestrischer

Fernsehen. Es gibt ein gesondertes Register von Kabelnetzbetreibern mit 45

Eintragungen, aber nur drei von ihnen besitzen eine Erlaubnis für eine

Übertragung in ganz Lettland, darunter auch die beiden wichtigsten Unternehmen

mit Staatsbeteiligung – GmbH Lattelekom und GmbH Latvijas Mobilais Telefons

(LMT). Das neue Gebiet, das 2015 erst erschlossen wird, ist Internetfernsehen.

Lettland hat einen digitalisierten Rundfunk. In den Programmpaketen aller

größten Kabelnetzbetreiber sind in der Regel die größten Programmanbieter,

Staatliche GmbH Latvijas Televīzija (LTV), MTG und PBK, vertreten.

Zwischenzeitlich gab es einen Geschäftsstreit zwischen MTG und Lattelekom, der

aber recht bald beigelegt wurde, da er wegen der Bevorzugung von

Fernsehprogrammen Russlands seitens Lattelekom einen ausgesprochen

politischen Beigeschmack bekommen hatte. Im terrestrischen und

Satellitenfernsehen gibt es gewisse Unterschiede. PBK arbeitet nur per Satellit, LTV

nur terrestrisch, MTG sowohl terrestrisch (LNT, TV3), als auch per Satellit (TV5,

Kanals 2, TV6).

Ein möglicherweise noch erbitterterer Konkurrenzkampf wird im Feld des

kommerziellen Hörfunks geführt, wo das NEPLP-Register 44 Sendeorganisationen

verzeichnet. Da auch hier die Staatliche GmbH Latvijas Radio (LR) mit ihren sechs

Programmen beteiligt ist, gibt es schon seit längerer Zeit eine manchmal recht

heftige Diskussion darüber, weder in den Programmen des LTV noch des LR

Werbung zu übertragen.

– 11 –

Tab. 4 Rundfunkmarkt: Programme und zeitliche Publikums-Anteile 2015 (in %) ________________________________________________________________________________________________________

Fernseh- Zuschauer Hörfunk- Zuhörer Programme (März 2015) Programme (Winter 2015) ________________________________________________________________________________________________________

TV3 13,4 LR2 (ör) 17,7

PBK (pr; ru) 9,8 Radio Skonto (pr) 11,2

LTV1 (ör) 9,5 LR1(ör) 11,1

LNT (pr) 8,4 LR4 (pr; ru) 7,0

NTV Mir Latvija (pr; ru) 7,0 Radio SWH (pr) 5,7

RTR Planeta Baltija (pr; ru) 6,4 EHR (pr) 4,8

TV5 (pr; ru) 4,0 SWH+ (pr; ru) 4,0

REN Baltija (pr; ru) 3,7 Star FM (pr) 3,8

3+ (pr; ru) 3,7 Hiti Rosii / Russkoje

LTV7 (ör) 3,1 Radio (pr; ru) 3,4

Top Radio (pr; ru) 3,3

andere 19,5 andere 9,9

________________________________________________________________________________________________________

ör (öffentlich-rechtlich); pr (privatwirtschaftlich); ru (russisch). Quelle Medienforschungen von TNS Latvija 2015 (http://www.tns.lv/ ); TV3, LNT, TV5, 3+ und Star FM gehören zur Modern Times Group (MTG).

In der Werbung geht es für lettische Verhältnisse um recht viel Geld. Der Haushalt

von LTV und LR bildet sich aus drei Quellen: Zuwendungen aus dem

Staatshaushalt, die den größten Teil ausmachen, Werbeeinnahmen und

Einnahmen aus der eigenen Tätigkeit. LTV bekommt 2015 aus dem Staatshaushalt

12.752.790 Euro, an eigenen Einnahmen sind 5.249.863 Euro eingeplant, davon

3.561.189 Euro als Erlöse aus der Werbung.10 LR bekommt 2015 aus dem

Staatshaushalt 7.359.743 Euro, die eigenen Einnahmen müssen 915.000 Euro

erreichen, wovon 850.000 Euro aus der Werbung erlöst werden sollen.11 LTV hatte

2013 einen Umsatz von 16,3 Mio. Euro und erreichte einen Gewinn von 1,36 Mio.

Euro. Bei dem LR waren die entsprechenden Zahlen 7,39 Mio. Euro und als Gewinn

10 Vgl. Dace Kokareviča: Četrinieks, astoņnieks… Kādu atzīmi likt Latvijas Televīzijai? In: Latvijas Avīze, Nr. 18 (5205) vom 28. Januar 2015, S. 4. 11 Vgl. NEPLP http://www.neplpadome.lv/ (15. I. 2015).

– 12 –

ganze 4.829 Euro.12 Das war auch einer der Gründe, warum NEPLP 2014 eine neue

Führung bei LR eingesetzt hat.

An jedem Jahresende fasst NEPLP einen Beschluss über den »gesellschaftlichen

Auftrag« für LTV und LR für das nächste Jahr und über die Richtlinien dieses

Auftrags für das übernächste Jahr. LTV muss ihre Positionen bezogen auf die

Einschaltdauer halten, die Internet Plattformen Ltv.lv und Lsm.lv müssen die

Grenze von 240.000 einmaligen Besuchern im Monat erreichen und die

Werbeeinnahmen müssen steigen. LR muss den Umfang der investigativen und

analytischen Journalistik steigern, ihr russisches Programm LR4 verbessern, das

Programm für alternative Musik LR6 entwickeln und größeres Publikum per

Internet erreichen.

Als Perspektive bis 2016 hat NEPLP sowohl für LTV als auch für LR als wichtigste

Aufgaben festgelegt:

° die Stärkung der nationalen Identität, der Sprache, der Kultur und des sozialen

Gedächtnisses,

° die Bildung einer demokratischen und geeinten Gesellschaft,

° die Zugehörigkeit zur europäischen und internationaler Gemeinschaft,

° die Verbreitung von Bildung und Wissen,

° die Förderung von Kreativität und Unternehmungsgeist,

° die Einbindung der Kinder und Jugendlichen.13

Eine weitere wichtige Aufgabe von NEPLP ist es, während der Jahre 2012 bis 2017

über die Verwirklichung der Nationalen Strategie in der Branche der

elektronischer Massenkommunikationsmittel zu wachen. Dabei wird NEPLP von

einem Gesellschaftlichen Konsultativrat unterstützt, dessen zwanzig Mitglieder aus

verschiedenen Nichtregierungsorganisationen NEPLP auch selbst bestätigt.

12 Vgl. LETA: 18 miljoni eiro. Apstiprināts šī gada budžets Latvijas Televīzijai. http://www.kasjauns.lv/lv/zinas/ (20. I. 2015). 13 Vgl. Apstiprina LR sabiedriskā pasūtījuma vadlīnijas 2016.gadam. http://www.neplpadome.lv/lv/ (21. IV. 2015).

– 13 –

NEPLP hat ferner das Recht, den Sendeanstalten administrative Geldstrafen

aufzulegen. Von diesem Recht hat NEPLP 2014 in 17 Fällen Gebrauch gemacht.

Besonderes Aufsehen erregten die Geldstrafen, die dem PBK auferlegt wurden –

zweimal je 3.600 Euro wegen des Verstoßes gegen das Gebot einer objektiven,

nicht einseitigen Information in den Nachrichtensendungen und einmal 1.000 Euro

wegen der Nichteinhaltung des in der Sendeerlaubnis festgelegten Gebrauchs der

lettischen Sprache.14 Dennoch hat NEPLP im April 2015 die Sendelizenz des am 4.

September 2002 gegründeten Fernsehkanals PBK des Medienkonzerns BMA für

weitere zehn Jahre erneuert. BMA ist ein in Lettland registriertes Unternehmen,

das den Mediennutzern vier Fernsehkanäle, zwei Wochenzeitungen und das

mobile Fernsehen MASSmedia anbietet. BMA hatte 2013 einen Umsatz von

15.510.227 Euro und machte einen Gewinn von 85.560 Euro.15

Gerade auf den Feldern der Konvergenz von Telekommunikation, elektronischen

Medien und sogenannten traditionellen Medien zeichnen sich neue Entwicklungen

ab, die nicht nur neue Aufgaben für den NEPLP mit sich bringen, sondern auch

grenzüberschreitende Informationsflüsse umfangreicher und schneller machen.

Dies wird zum Diskussionsstoff im Parlament im Zusammenhang mit

bevorstehenden Gesetzesänderungen und zu einer sehr wichtigen Arena des

Konkurrenzkampfes unter Medienunternehmen Lettlands.

3. INTERNET

Nach den Angaben des Forschungsunternehmens TNS Latvia Digital haben von

den 1.273.000 Einwohnern Lettlands im Alter von 15 bis 74 Jahren 75 v.H. im

Herbst 2014 das Internet während der letzten sechs Monate genutzt. In den

gleichen Altersgruppen nutzten 38 v.H. ein Smart-Phone und 17 v.H. ein Tablett.16

14 Vgl. LETA: NEPLP pērn visbiežāk sodījusi TV kanālu PBK; visapjomīgāko sodu saņēmusi LTV. http://www.delfi.lv/news/national/politics/ (27. IV. 2015). 15 Vgl. LETA: Kanālam PBK atjauno apraides licenci Latvijā uz 10 gadiem. http://www.delfi.lv/news/national/politics/ (23. IV. 2015). 16 Vgl. TNS/TNS Latvia Digital. http://www.tns.lv/ (20. IV. 2015).

– 14 –

Tab. 5 Reguläre Internetnutzer: Altersgruppen, Wohnort, Nationalität und Beschäftigung (Herbst 2014) __________________________________________________________________________________________

Alter Anteil Wohnort, Nationalität Anteil (Jahre) % Beschäftigung % ___________________________________________________________________________________________

15 – 19 97 Riga 67

20 – 29 93 andere Städte 65

30 – 39 83 auf dem Land 57

40 – 49 59 Letten 66

50 – 59 48 andere Nationalität 59

60 – 74 23 arbeitet 73

arbeitet nicht 38

Schüler, Student 98

__________________________________________________________________________________________

Quelle Medienforschungen von TNS/TNS Latvia Digital 2013/2014 (http://www.tns.lv/)

Tab. 6 Reguläre Internetnutzer: Internetsites (Herbst 2014) __________________________________________________

Internetsites Cover (%) __________________________________________________

Google.com 47,5

Inbox (lv; ru) 30,7

Youtube.com 29,4

DELFI (lv; ru) 28,6

Draugiem.lv 25,8

TV NET (lv; ru) 21,1

Facebook.com 20,5

SS.lv 18,1

Gmail.com 17,2

Apollo.lv 13,8

Odnoklassniki.ru 11,3

__________________________________________________

Quelle Medienforschungen von TNS/ TNS Latvia Digital 2013/2014 (http://www.tns.lv/)

– 15 –

Unter die Top-20 der Internetportale kamen neben Twitter.com (14. Platz, 5,9

v.H.), noch das Nachrichtenportal Kasjauns.lv (15. Platz, 5,2 v.H.) und das

Videoportal von MTG Tvplay.lv (19. Platz, 3,8 v.H.). Im Jahre 2014 gaben 21 v.H. der

Einwohner von Lettland an, sie hätten noch nie das Internet genutzt. Nach den

Angaben der Internet Assoziation Lettlands, hatten im Juli 2013 4,9 v.H. der

Einwohner Lettlands das superschnelle Breitbandinternet (100 Mbps), 10,7 v.H.

das schnelle Breitbandinternet (30 Mbps) abonniert und 48 v.H. aller aktiven

Nutzer hatten von den mobilen Breitbanddienstleistungen Gebrauch gemacht.17

Nach den Daten von Gemius Latvia hatten im März 2015 die Nachrichtenportale

delfi.lv (845.633), tvnet.lv (822.687) und kasjauns.lv (387.852) die meisten realen

Besucher (real users). Erst danach folgten die anderen Medien: diena.lv (260.475),

la.lv (Latvijas Avīze; 245.043), lsm.lv (öffentlicher Rundfunk; 235.917), skaties.lv

(MTG; 225.423), nra.lv (213.093) und vesti.lv (198.237). 18 MTG bietet ihr

Videoportal skaties.lv seit dem 22. April 2015 auch in Russisch an

(http://posmotri.skaties.lv/).

Die lettische Regierung kann im Herbst 2015 eine wichtige wirtschafts- und

medienpolitische Entscheidung treffen. Dabei geht es um den möglichen Verkauf

von Staatsanteilen an zwei sehr wichtigen Unternehmen Lettlands, nämlich von

Lattelekom, das sich zu 49 v.H. im Besitz des Unternehmens Telia Sonera und zu 51

v.H. im Besitz des lettischen Staates befindet, sowie von Latvijas Mobilais Telefons

(LMT – Mobilfunk Lettlands), von deren Anteilen Telia Sonera ebenfalls 49 v.H.

besitzt und sich die übrigen auf Lattelekom (23 v.H.), das Staatliche

Rundfunkzentrum Lettlands (LVRTC; 23 v.H.) und den lettischen Staat (5 v.H.)

verteilen. Als mögliche Käufer werden die Deutsche Telekom, Netflix (USA),

Kinnevik (bereits im Besitz von Tele2 und MTG in Lettland) sowie das

Unternehmen MTS aus Russland, das auch in Weißrussland, Ukraine, Armenien,

Usbekistan und Turkmenistan vertreten ist, gehandelt.19 Es geht also um eine

17 Vgl. Statistika. http://www.lia.lv/statistika/ (25. IV. 2015). 18 Vgl. Gemius Audience. http://www.audience.gemius.lv/pages/display/visitors (20. IV. 2015). 19 Vgl. Ivars Bušmanis: Ja māsas nespēj sadarboties, tās jāizprecina! In: Latvijas Avīze, Nr. 70 (5257) vom 14. April 2015, S. 1, 6–7.

– 16 –

weitere Konzentration im Medienbereich, die auch eine geopolitische Ausrichtung

besitzen kann. Ein Beispiel dafür ist der Verkauf der Holding Eesti Meedia an die

Leitung des Unternehmens, der vom norwegischen Medienkonzern Schibsted 2013

getätigt wurde. Darauf folgten die Käufe durch die neuen Eigentümer der Portale

Tvnet.lv im Herbst 2013 und Apollo.lv im Frühling 2014 sowie der

Nachrichtenagentur Baltic News Service (BNS) im Sommer 2014. Die Frage, ob

solche Entwicklungen zu einem Mehr an qualitativem und investigativem

Journalismus führen, muss man bislang eher mit »nein« beatworten.

Im Zusammenhang mit den Internetmedien sollte man noch einen anderen Aspekt

erwähnen. Von der GmbH Baltnews.lv, die ihren Sitz in Lettland hat, wurde im

Oktober 2014 das Masseninformationsmittel Baltnews.lv in der Form eines

informativ analytischen Portals ins Leben gerufen. Über das Portal baltnews.lv sind

auch die für Estland und Litauen gedachten Seiten baltnews.ee und baltnews.lt zu

erreichen. Die Sicherheitspolizei Estlands »Kapo« vertrat die Meinung, dass das

Projekt von einer Firma aus den Niederlanden finanziert und von Leuten

kontrolliert wird, die im Zusammenhang mit der staatlichen Informationsagentur

Russlands Rossija Segodnja stehen. Einer von den Gründern des Projekts Baltnews,

der Direktor des Instituts der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft Vladimir

Lepehin, ist auch dadurch bekannt geworden, dass er »verschiedene

Informationsoperationen in den Nachbarstaaten Russlands koordiniert.«20 Solche

Operationen bildeten auch einen der Gründe, die zu recht intensiven Diskussionen

über die Notwendigkeit einer neuen und effektiveren Medienpolitik Lettlands

geführt haben.

4. WERBEMARKT

Der alles entscheidende Faktor auf dem Werbemarkt war der Rückgang der

gesamten Werbeeinnahmen für alle Medien um etwas mehr als die Hälfte – von

138 Mio. Euro im Jahre 2008 auf 65 Mio. Euro am Tiefpunkt, der 2010 erreicht

20 Jānis Krēķis: »Kapo« brīdina par Krievijas propagandu. In: Latvijas Avīze, Nr. 71 (5258) vom 15. April 2015, S. 8.

– 17 –

wurde. Der Einbruch der Werbeeinnahmen von Zeitungen und Zeitschriften war

noch um einiges gravierender – von 47 Mio. Euro 2008 auf 13 Mio. Euro 2010.21

Besonders schmerzlich für die Presse ist dabei der Umstand, dass die

Werbeeinnahmen auf diesem Niveau, mit kleinen Schwankungen, auch bis zum

Jahr 2014 (13,51 Mio. Euro) stagnieren.

Tab. 7 Werbemarkt: Anteile der Medien (in %) 2005 und 2013

___________________________________________________________________________________

Medium 2005 2014 (59,01 Mio. Lats) (75,63 Mio. Lats) ___________________________________________________________________________________

Fernsehen 34,98 44

Zeitung 29,56 8

Zeitschrift 13,26 10

Hörfunk 11,48 13

Außenwerbung 7,56 10

Internet 2,86 14

Kino 0,3 0,6 ___________________________________________________________________________________

Quelle Medienforschungen von TNS/ Quelle Medienforschungen von TNS Latvija 2014 (http://www.tns.lv/ ); Assoziation der Werbung Lettlands (http://www.lra.lv/); ein Lats (LVL) hat den Wert von 1.42 Euro (http://www.bank.lv/ ).

Der Umfang aller Werbeeinnahmen wuchs 2014 im Vergleich zum Vorjahr um drei

Prozent und wurde sehr positiv gewertet. Die fünf größten Werbeaufträge kamen

von den Unternehmen Tele2 (Mobilfunk), Bite (Mobilfunk), Maxima

(Kleinhandelskette), Rimi (Kleinhandelskette) und 4Finance (die schnellen

Kleinkredite). Es ist völlig klar geworden, dass die Zeitungen und Zeitschriften,

besonders für die regionale Presse, ohne staatliche Unterstützung auch auf dem

lettischen Pressemarkt vor einem schweren Kampf ums Überleben stehen.

5. Lettland auf der Suche nach einer Medienpolitik

21 Vgl. Raudseps (wie Anm. 7), S. 17.

– 18 –

In den letzten Jahren sind einige Veröffentlichungen erschienen, in denen sowohl

akademische Autoren als auch investigative Journalisten versucht haben, eine

Einschätzung des Mediensystems Lettlands zu geben oder die wichtigsten Züge

dieses Systems deskriptiv darzustellen. Erstmals seit der Erneuerung der

Unabhängigkeit des Staates Lettland 1991, hat Dr. sc. soc. Anda Rožukalne,

Assoziierte Professorin der Rigaer Stradins Universität, in ihrem Buch »Wer besitzt

die Medien Lettlands? Monographie über das Mediensystem Lettlands und die

einflussreichsten Eigentümer von Medien« die Entwicklung der Medien im

Zeitraum von 1991 bis 2013 untersuch.22 Sie gelangte zu dem hoffnungsvollen

Ergebnis, dass die Medien Lettlands und des ganzen Baltikums in einer

überschaubaren Zukunft zu einem Bestandteil der nordeuropäischen Medienwelt

werden könnten. Aus der heutigen Sicht ist es schon bemerkenswert, dass in dem

Buch nichts über die Medienpolitik zu lesen ist.

Als eine Beilage mit neueren Daten zu dieser Monographie kann die Publikation

Gibt es ein Leben nach der Krisis? Finanz- und Publikumsanalyse der Medien des

Baltikums (2008-2014) von vier lettischen Autorinnengesehen werden, die vom

Zentrum für Medienforschung der Wirtschaftsschule Stockholms in Riga und vom

Baltischen Zentrum für den investigativen Journalismus Re: Baltica unterstützt

und herausgegeben wurde.23 Nur die Medienwelt in Estland wird als »gesund«

eingeschätzt, was sich auch im größeren Vertrauen des estnischen

Medienpublikums in die Medien und die Regierung im Vergleich zu Lettland und

Litauen widerspiegelt. Schon expliziter mit der Rolle der Medien, insbesondere des

Fernsehens und der Internetmedien Russlands, sowie der russischen Medien

Lettlands nach der Annektierung der Krim, beschäftigt sich der 2014 erschienene

Sammelband »Public Diplomacy Russlands in Lettland: Medien und der

22 Vgl. Anda Rožukalne: Kam pieder Latvijas mediji? Monogrāfija par Latvijas mediju sistēmu un ietekmīgākajiem mediju īpašniekiem. Rīga: Zinātne 2013. 23 Vgl. Rudīte Spakovska/Sanita Jemberga/Aija Krūtaine/Inga Spriņģe: Is There Life After Crisis? Analysis Of The Baltic Media’s Finances And Audiences (2008–2014). Riga: SSE Riga, re:baltica 2014.

– 19 –

nichtstaatliche Sektor«.24 In ihrem Beitrag zu diesem Band vertrat Anda Rožukalne

den Standpunkt, aus der Sicht der Regulierung, seien die aktuellsten Fragen für

Lettland:

° die Möglichkeit, umgehend festzustellen, in welchem europäischen Staat die

Medien (i. d. R. Medien aus Russland) registriert sind, die in Lettland ihre Inhalte

anbieten;

° die Möglichkeit, die Angebote eines Fernsehkanals eines anderen Staats darauf

hin zu überprüfen, ob sie mit den in Lettland geltenden normativen

Bestimmungen übereinstimmen;

° die Überprüfung der Bestimmungen, die für die Verbreitung von

Programminhalten ausländischer Rundfunkanbieter bestehen, um eine

unkontrollierte Verbreitung derartiger Programme in Lettland unterbinden

zu können.25

Diese Überlegungen muss man u. a. im Kontext mit dem Beschluss des NEPLP vom

3. April 2014 sehen: Auf der Grundlage des Gesetzes über die elektronischen

Massenkommunikationsmittel verbot er dem Fernsehkanal Russlands Rossija RTR

für drei Monate, seine Programme auf dem Territorium Lettlands zu verbreiten.

Auf einen anderen Aspekt verwies der Vorstandsvorsitzende von Lattelekom, A.

Gulbis, als er Ende April 2014 berichtete, in 200.000 oder 20 v.H der Haushalte in

Lettland würde man illegal die Karten von Operatoren des Satellitenfernsehens

aus Russland gebrauchen, ohne dass lettischen Institutionen auf irgend eine Weise

darauf reagierten.26 Dabei weigerte sich das Unternehmen der MTG Gruppe Viasat

zunächst, den Beschluss der NEPLP zu erfüllen.

In einem demokratietheoretischen Rahmen wird das Mediensystem Lettlands von

mir und meinen Kolleginnen Ilze Šulmane und Vita Dreijere in dem Band »Audit

24 Vgl. Andis Kudors (Red.): Krievijas publiskā diplomātija Latvijā: mediji un nevalstiskais sektors. Rīga: Austrumeiropas politikas pētījumu centrs, LU Akadēmiskais apgāds 2014. http://appc.lv/wp-content/uploads/2014/09/Krievijas_publ_dipl_Latvija_2014_APPC.pdf (20. XII. 2014). 25 Vgl. Kudors (wie Anm. 24), S. 93. 26 Vgl. LETA: NEPLP nākamnedēļ rīkosies saistībā ar ›Viasat‹ atteikšanos pārtraukt »Rossija RTR« retranslēšanu. http://www.delfi.lv/bizness/archive/print.php?id=44447198 (30. IV. 2014).

– 20 –

der Demokratie 2005–2014« betrachtet, der in diesem Jahr erschienen ist.27 Die

meisten Probleme sehen wir in der Unabhängigkeit der Medien von den

Regierungsinstitutionen und internationalem Medienkorporationen sowie darin,

Möglichkeiten für einen investigativen Journalismus sowohl innerhalb als auch

außerhalb von Medien zu schaffen. Zu den Versuchen von Russland, eine sehr

aktive Public Diplomacy in den Baltischen Staaten zu verwirklichen, schlagen wir

alternativ vor, entweder eine gemeinsame digitale Plattform mit der

Arbeitssprache Russisch für die Baltischen Staaten zu betreiben oder, als

effektivere Lösung, ein russischsprachiges Programm im Rahmen des öffentlichen

Fernsehens Lettlands einzurichten, was allerdings von Teilen der Öffentlichkeit

und nicht wenigen Parlamentsabgeordneten heftig kritisiert wird. Estland hat sich

für einen derartigen russischsprachigen Fernsehkanal entschieden.

Im Herbst 2014 wurden von der Regierung Lettlands mehrere Beschlüsse gefasst,

die die Medienpolitik ganz konkret betreffen. Dazu gehört auch die Entscheidung,

im Ministerium der Kultur eine neue Abteilung für Medienpolitik zu schaffen; sie

hat ihre Arbeit im April 2015 im vollen Umfang aufgenommen. Das Ministerium

setzte im September 2014 eine Arbeitsgruppe mit dem Auftrag ein, bis Mitte 2015

ein Grundlagenkonzept für die Medienpolitik zu entwerfen und einen Katalog der

erforderlichen Maßnahmen vorzuschlagen. Die Medienpolitik im Felde sowohl der

privaten als auch der öffentlichen elektronischen Medien bleibt in den Händen des

NEPLP. Nach Auffassung der Ministerin der Kultur, Dace Melbārde, besteht die

wichtigste Aufgabe darin sicherzustellen, dass in Lettland gleichermaßen eine

vielfältige Medienwelt mit unabhängigen Medien wie die Freiheit des Wortes und

der Ausdrucksart bestehen bleiben. Selbst in dieser ganz allgemeinen Form bleibt

das ein schwieriges Unterfangen, weil stabile Regierungen und

Regierungsmehrheiten in Lettland keine Selbstverständlichkeit waren und auch

unwahrscheinlich bleiben werden.

27 Ojārs Skudra/Ilze Šulmane/Vita Dreijere: The Media in a Democratic Society. In: Juris Rozenvalds (Scientif. Ed.): How Democratic Is Latvia? Audit of Democracy 2005-2014. Riga: University of Latvia Advanced Social and Political Research Institute 2014, S.201–218.