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Subjektwissenschaftliche Überlegungen zurAnalyse psychologischer Praxiserfahrung inForschung und AusbildungMarkard, Morus; Kaindl, Christina
Veröffentlichungsversion / Published VersionZeitschriftenartikel / journal article
Empfohlene Zitierung / Suggested Citation:Markard, M., & Kaindl, C. (1996). Subjektwissenschaftliche Überlegungen zur Analyse psychologischerPraxiserfahrung in Forschung und Ausbildung. Journal für Psychologie, 4(3), 21-42. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-29358
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Subjektwissenschaftliche Überlegungen zur Analyse psychologischerPraxiserfahrung in Forschung und Ausbildung
Morus Markard und Christina Kaindl
ZusammenfassungEs wird ein im Wortsinne erfahrungswissenschaftlicher Ansatz zur Analyse psychologischer Praxis in einem Forschungs- und ineinem universitären Ausbildungsprojekt vor
gestellt, in denen Praktiker/innen bzw. psychologische Praktikant/innen nicht »beforschtllwerden, sondern auf der Forschungsseite ste
hen. Ein wesentliches Problem dabei ist, wieim Begründungsdiskurs der Kritischen Psychologie unmittelbar-individuelle Erfahrungso ))auf den Begriffll gebracht werden kann,
daß auch andere daraus lernen können. DerSchlüssel dafür scheint uns die Vermittlung
unmittelbarer Erfahrung mit gesellschaftlichinstitutionellen Strukturen und psychologischen Denkweisen in Psychologie und Alltagzu sein. Hierbei den Anspruch auf emanzipatorische Relevanz psychologischer Praxis
nicht preiszugeben, die sich in psychologischer Theorie und Praxis reproduzierendenWidersprüche des real existierenden Kapitalismus »zuzulassenll, setzt voraus, psychologische Kompetenz nicht personalisierend vonden eigenen Lebensumständen abzukoppeln.Einschlägige theoretische und methodischeKonzepte und Probleme aus den Projektenwerden erörtert.
TEIL I: KRITISCH-PSYCHOLOGISCHE PRAXIS
FORSCHUNG ALS VERSUCH DER VERBINDUNG
VON SUBJEKTWISSENSCHAFTLICHER ERFAH-
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RUNGSANALYSE UND PSYCHOLOGIEKRITIK:
METHODISCHE PROBLEME UND MÖGLICHKEI
TEN (MORUS MARKARD)
1. Ich habe mich kürzlich nach der Bedeutungdes Erfahrungsbegriffs in der akademischenSparte der Erfahrungswissenschaft Psychologie umgesehen und dabei festgestellt. daßdieser Begriff kaum eine systematische Rollespielt, sicher auch deswegen, weil er sich inviele andere Begriffe wie Lernen, Einstellungsänderung, Verstärkung etc. aufgelöst hat.Der Ort, an dem am ehesten auf Erfahrungrekurriert wird, ist die psychologischePraxis. Wird hier reklamiert, was sich demakademischen Methodenkanon entzieht,etwa im Sinne von Adorno, der meinte, diereglementierte Erfahrung, die der Positivismus verordne, annulliere Erfahrung selbst,oder des jungen Marx. der in seinen Frühschriften davon spricht, das »Zeugnis derSinne (werde) verkürzt zur Sinnlichkeit derGeometrielI? Das würde bedeuten, daßdamit dem Rekurs auf Erfahrung in gewissem Sinne jenes ideologiekritische Motivzukäme, das ihr, wie Pongratz (1967) hervorhebt, seit dem 13. Jahrhundert gegenüber der Scholastik zugesprochen wird.Das Problem ist, daß die Dinge so einfachnatürlich nicht liegen, und der Rekurs auf Erfahrung auch defensive Funktion hat, indemseitens der Praxis auf Erfahrung derart ver-
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wiesen wird, daß das in der Praxis Erfahreneoder zu Erfahrende nicht explizierbar undkommunikabel sei. Dieser faktischen Verweigerung liegt u.E. der oft beschworene Theorie-Praxis-Bruch in der Psychologie zugrunde,also eine unzureichende wissenschaftlicheFundiertheit oder mangelnde Geklärtheitpsychologischer Berufspraxis. Diese kann,wie Klaus Holzkamp (1988) herausarbeitete,darauf zurückgeführt werden, daß die akademische Psychologie mit ihren theoretischenund methodischen Voraussetzungen sichum Praxisprobleme weder kümmern konntenoch wollte, sondern bestenfalls auf die (inpraxi unrealisierbare) Einhaltung ihrer methodischen Standards pocht. Die Praxis ist durchdie Theorie, wie Holzkamp schreibt, Ildoppelt alleingelassen« (26f.): durch die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Theorie, angemessene Denkmittel zur Verfügung zu stellen,und durch die Degradierung der Praxis zurwissenschaftlichen Zweitrangigkeit.Gleichwohl ist die Praxis einem massivenErwartungsdruck ausgesetzt, z.B. subjektive IlStörungen« ohne Rekurs auf die (Veränderung der) gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Betroffenen zu beseitigen womit die Psychologie als eine Art Wundermittel erscheinen muß, deren Vertreter/innen über entsprechende Expertenqualitäten verfügen bzw. darüber zu verfügen behaupten müssen. U.a. daraus ergibt sich diebesondere defensive Qualität des psychologischen Expertentums, das sich gegenHinterfragung mit einem Fragen abschneidenden Erfahrungsbegriff abschottet.Wenn man einen Rekurs auf Erfahrung alsdefensiv bezeichnet, braucht man eine Vorstellung von Erfahrung, der gegenüber dasDefensive ausmachbar ist. Was generell alszentrales Moment der Selbst- und Welterfahrung imponiert, ist Unmittelbarkeit unddie damit verbundene personale Authentizität des Erfahrungsbezuges: >lIch« bin es,der Erfahrungen macht, und es gibt niemanden, der sie Ilmir« abnehmen kann; dazugehören räumliche und zeitliche Situiertheitund die darin - sozusagen leiblich - gegrün-
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dete Perspektivität. Die eigene Erfahrungvon Liebe, Sexualität, Vaterschaft, Zahnschmerz, musikalischem Hörgenuß, körperlicher Erschöpfung ist nicht durch Berichteanderer ersetzbar. Erfahrenem kann Ilich«mehr oder weniger passiv ausgeliefert(Zahnschmerz, Lärm) oder auch intentionalzugewandt sein (Musik); Ilich« kann Erfahrungen suchen, Gelegenheiten dazu aufsuchen, Ilich« kann sie zu vermeiden suchen.Unersetzbare eigene Erfahrungen, die darüber hinaus einen hohen Anteil eigenen praktischen Tuns enthalten, lassen sich am Erlernen des Spiels eines Musikinstrumentesverdeutlichen: Illch« kann beliebig vielen Gitarristen zuschauen und beliebig viele Lehrbücher über das Gitarrespielen lesen: Dadurch kann Ilich« selber nicht zum Spielerwerden. Sinnliche Erfahrung und aktives Handeln sind nicht getrennt, sie stehen aber in einem jeweils zu bestimmenden Verhältnis zueinander. Der Aspekt des Tätigen ergibt sichdabei im übrigen auch schon etymologisch:Ervarn heißt Ildurchziehen«, ndurchreisen«.Sinnliche Unmittelbarkeit, Situiertheit, Perspektivität, Unersetzbarkeit, personaleAuthentizität und ggf. intentionale Zugewandtheit/Praxis wären danach zentraleMomente von Erfahrung, wie sie je mir und zunächst nur Ilmir« - gegeben ist. Trotzdem ist bei Erfahrungen von ego tendenziell Alter mitgedacht, zumindest mitdenkbar:Man kann nicht nur Erfahrungen teilen undmitteilen mit den schon in Redewendungenangesprochenen Funktionen: IlGeteiltesLeid ist halbes Leid«, Ilgeteilte Freude istdoppelte Freude<<: man kann aus den Erfahrungen anderer lernen, was im übrigeneinen Grundzug von Verallgemeinerungausmacht.Aber was heißt es eigentlich, aus den Erfahrungen anderer zu lernen, Freude oder Leidzu teilen? Gibt es keine qualitativen Unterschiede zwischen meiner Erfahrung, daßandere diese oder jene Erfahrungen (gemacht) haben, und deren Erfahrung? Wasan den Erfahrungen ist es, das geteilt werden oder mitgeteilt werden kann? Wenn
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man die genannten Qualitäten - sinnlicheUnmittelbarkeit, Situiertheit, Perspektivität,Unersetzbarkeit, personale Authentizitätund ggf. intentionale Zugewandtheit/Praxis- bedenkt? Was bedeutet etwa llUnersetzbarkeit« in diesem Zusammenhang, wasllpersonale Authentizität«? Das Kernproblem scheint zu sein, ob sich Unmittelbarkeit der Erfahrung anderen vermitteln läßt.Das Erlebnis der Unmittelbarkeit bzw. die Unmittelbarkeit der Erfahrung sind zwar evidentund weder als Erfahrung in Zweifel zu ziehennoch zu hintergehen, aber als Evidenz hinterfragbar. Denn, wie kürzlich z.B. Fahl-Spiewack (1995, 48ft.) unter Bezug auf Fritz Heider betonte, enthalten schon einfache Wahrnehmungsvorgänge Urteile, d.h. sie sindi.w.S. theoretisch strukturiert oder eben llvermittelt«. Keine Erfahrung ohne vermittelndeKategorien. (Ebenso ist das verhaltensbezogene Pendant der unmittelbaren Erfahrung,die Spontaneität, Ausdruck erfahrungs- undtheorievermittelter Lebensäußerungen.)Dies läßt sich am Problem frühkindlicher Erfahrungen Erwachsener von sexuellemMißbrauch veranschaulichen. Dabei geht esum die Aufklärung der Erfahrung sexuellerGewalt bzw. des Aufklärungspotentials möglicher - erfahrener sexueller Gewalt fürgegenwärtige Lebensprobleme und damitum das Problem der Theoretizität von Erfahrung und Deutung. Erfahrungen kann manzwar nur je llich« machen, aber llich« mache sie nicht im luftleeren Raum, sondern,vor allem in dem Maße, in dem »ich« ihrerinnewerde, im Medium gesellschaftlicherSprach- und Denkformen und damit auchim Medium konkurrierender psychologischer bzw. alltäglicher Konzepte. Wie ichdas, was mir widerfährt, erfahre, bzw. inwieweit llich« für llmich« Erfahrenes - hiersexuelle Gewalterfahrungen - zum Angelpunkt der Klärung meiner gegenwärtigenLebensprobleme mache bzw. inwieweitdies andere, Professionelle, für llmich«deutend tun, hat eine theoretischeDimension, in die Alltags- und wissenschaftliche Vor-stellungen eingehen. Dies
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hat die für uns zentrale Implikation, daßAuthentizität und Theoretizität individuellerErfahrung keinen Gegensatz bilden, sondern eine widersprüchliche Einheit, zweiSeiten einer Medaille. Erfahrungen sind nurim Lichte von Theorien bzw. Ur-teilskriterienaufzuschlüsseln.Für die Darlegung unseres Ansatzes zurAufschlüsselung von Erfahrung ist es weiter erforderlich, neben den genanntenDimensionen von Erfahrung eine weitereeinzuführen, die des Verhältnisses vonSozialität und Gesellschaftlichkeit bzw. vonanschaulichen und nicht anschaulichenAspekten von Erfahrbarem. Die Gesellschaft ist zwar ein reales System, durch dasdie Lebenserhaltung des einzelnen vermittelt ist; Gesellschaft als System ist aber fürsich genommen kein anschaulicher, unmittelbarer Erfahrungstatbestand. Gesellschaftliche Verhältnisse strukturieren, vermittelt über verschiedene - auch Le.S. institutionelle - Subsysteme, Lebenstätigkeitenund Denkweisen der Gesellschaftsmitglieder, diese Strukturiertheit ist selber abernicht anschaulich, sondern, wenn man sowill, llrekonstruktiv« (vgl. Holzkamp 1984,14). Was hier zu rekonstruieren ist, ist derVermittlungszusammenhang zwischen unmittelbarer Lebenswelt und dem diese umgreifenden und strukturierenden gesellschaftlichen System. In unserem Zusammenhang zentral ist, daß das gesellschaftliche System und seine institutionellen Subsysteme auch die in ihrer lebensweltlichenUnmittelbarkeit durchaus anschaulich anmutenden sozialen Beziehungen - unanschaulich - strukturieren. llAnschauliche«soziale Beziehungen gehen in ihrer Anschaulichkeit nicht auf.Man kann sich das Verhältnis von Sozialitätund Gesellschaftlichkeit an den sozialenBeziehungen zwischen Vortragenden undanscheinend bzw. scheinbar Zuhörendenauf einer Veranstaltung wie der Tagung derAG IITheoretische Psychologie und Methoden der Psychologie« der Neuen Gesellschaft für Psychologie zu Problemen der
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Praxisforschung verdeutlichen. Diese Beziehungen sind nur zu verstehen, wennman die gesellschaftliche Institution llwissenschaftliche Tagung« bzw. )) Tagungsreferat« kennt. Die sozialen Beziehungender dort Beteiligten gehen natürlich in demgesellschaftlich-institutionellen Strukturmoment nicht auf, ohne dieses sind sie aberunverständlich.Das Beispiel zeigt nicht nur, daß derartigegesellschaftlich-institutionelle Strukturbezüge für psychologische Analysen unverzichtbar sind. Es kann, so hoffe ich, auchdeutlich machen, daß die Unanschaulichkeitvon Welttatbeständen wie gesellschaftlichen Systemen keineswegs ihre Unerfahrbarkeit bedeutet, sondern nur, daß Erfahrungen, sofern sie nicht auf diese Momentehin analysiert werden, unvollständig undschief analysiert werden. GesellschaftlicheStrukturen ragen zwangsläufig in lebensweltliche und unmittelbare Erfahrungen derIndividuen hinein; analytisch bedeutsam istdaran nun, wie gesagt, daß dieser Umstanddem Individuum spontan nicht bewußt seinmuß - und daß es auch Gründe haben kann,sich den Zugang zu Erfahrungsmomentenzu verwehren, womit hier im Gesamtzusammenhang unserer Konzeption einAspekt des dynamischen Unbewußten(und nicht nur kognitiv Unzugänglichen) angesprochen ist.Fassen wir das bisher über ErfahrungGesagte zusammen, so haben wir festgestellt, daß, was als individuelle Erfahrungimponiert, ein je zu analysierendes Amalgam aus kognitiv-emotionaler Unmittelbarkeit, gesellschaftlicher Vermitteltheit undindividuell-theoretischer Strukturiertheit ist.Dabei hängt es auch von der inhaltlichenBeschaffenheit des individuellen TheorieMoments ab, wie die in die individuelleErfahrung ragenden Aspekte des gesellschaftlichen Systems erfahren werden, undes hängt von der jeweiligen Situiertheitdes Individuums ab, welche Aspekte desgesellschaftlichen Systems in seine individuellen Erfahrungen hineinragen. Wenn
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die bisherigen Überlegungen zutreffen,würde das Vermitteln von Unmittelbarkeit(der Erfahrung) an andere die Explikationihrer wirklichen Vermitteltheit bedeuten. Mitdiesen Überlegungen sind die Probleme derAufschlüsselung von Erfahrung natürlichnicht gelöst, sondern nur ansatzweise gesteilt (und hoffentlich nicht verstellt).
2. Vor diesem Hintergrund ist unsere Praxisforschung in gewisser Weise als die forschungspraktische Organisation der Aufschlüsselung von Praxiserfahrung zu verstehen, und zwar mit einer Orientierung aufden Zusammenhang von Lebensproblemender Klienten mit deren Lebensumständenund auf den Zusammenhang psychologischer Praxis mit den institutionellen Bedingungen der Arbeit der Praktikerin bzw. desPraktikers und ihren/seinen theoretischenSichtweisen.Aus dieser Anordnung, wonach die Praxis,wie die Praktikerin bzw. der Praktiker sieerfährt, und nicht die Praktikerin bzw. derPraktiker Gegenstand der Analyse ist, ergibtsich - wohl ohne weitere Begründungsnotwendigkeit - das zentrale subjektwissenschaftliche Forschungsprinzip, daß die/derBetroffene - hier die Praktikerin bzw. derPraktiker - auf der Forschungsseite steht(und nicht llbeforscht« wird). Gegenstandkritisch-psychologischer Forschung ist generell nicht das Subjekt, sondern die Welt,wie das Subjekt (beiderlei Geschlechts) sieerfährt (vgl. Markard 1991).Aus dem im ersten Kapitel Gesagten ergibtsich schon, daß unsere Konzeption einerForschung vom Standpunkt des Subjektsaber nicht bedeutet, vorannahmenfrei zuforschen. Darüber hinaus ist unsere Forschung vom Standpunkt des Subjekts theoretisch vorbestimmt durch eine spezifischeAuffassung von Subjektivität, wonach diesenicht im Gegensatz zu den objektivenCharakteristika des gesellschaftlichen Prozesses steht. Das ergibt sich daraus, daßder als bloße llinnerlichkeit« erscheinendeStandpunkt des Subjekts und der Umstand,
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daß sich das Individuum zu seiner Welt jeverschieden verhalten kann, als eine historisch gewordene Notwendigkeit und Möglichkeit aus dem materiellen Lebenszusammenhang heraus analysiert worden sind: alsAspekt jenes Prozesses nämlich, in demsich historisch die gesellschaftlich-menschliche Lebensweise herausbildete, derenEigenart Holzkamp (1983) als ))gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit individuellerExistenz« charakterisiert hat. ))Mein« subjektiver Standpunkt, schreibt Holzkamp, istllzwar der Ausgangspunkt meiner Weltund Selbsterfahrung, aber damit keineunhintergehbare bzw. in sich selbstgenügsame Letztheit C..). Der Standpunkt desSubjekts schließt also die Berücksichtigungobjektiver Bedingungen keineswegs aus,sondern ein. Aus dem Umstand, daß meinesubjektive Erfahrung nicht wie eine Wandzwischen mir und der objektiven Realitätsteht, sondern daß ich meine Subjektivitätselbst als einen Aspekt des materiellenLebensgewinnungsprozesses zu durchdringen vermag, ergibt sich, daß ich über meineErfahrung viel mehr 'wissen' kann als sichaus ihrer unmittelbaren Beschreibung ergeben würde« (a.a.O., 538 f.).Diesen Subjektivitäts-Objektivitäts-Zusammenhang fassen wir so, daß menschlichesHandeln grundsätzlich begründet ist.))Begründet« ist hier nicht mit nach externen Kriterien »rational« gleichzusetzen,auch nicht mit ))bewußt«. Das Gemeinteläßt sich am Beispiel überkochender Milchveranschaulichen: Milch kocht gewiß nichtbewußt über, wohl aber auch nicht unbewußt, sondern unter bestimmten Bedingungen, sie kocht bedingt über. Der Terminus »begründet« bedeutet also nicht»rational« oder ))bewußt«, sondern er markiert den Gegenbegriff zu ))bedingt«. Damitsind - objektive - Bedingungen nicht aus dentheoretischen Überlegungen oder aus derAnalyse von Erfahrungen ausgeschlossen.Vielmehr wird der Erfahrungs- und Handlungsbezug auf Bedingungen so spezifiziert,daß menschliches Handeln als in Prämissen
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begründet zu begreifen ist. Dies bedeutet:Für das Individuum existiert seine Lebensweit als Inbegriff sachlich-sozialer Weltgegebenheiten, die ihm Handlungsmöglichkeiten bedeuten. Diese Handlungsmöglichkeiten werden dann für ))mich« zu ))Prämissen«, wenn ))ich« im Zuge gegebener Lebensproblematiken aus subjektiven Lösungsnotwendigkeiten heraus Handlungsintentionen entwickeln muß; Prämissensind demgemäß als unter dem Leitgesichtspunkt »meiner« Lebensinteressenund Verfügungsnotwendigkeiten konkretisierte Handlungsmöglichkeiten zu verstehen.Dieser Spezifikation des Bedingungsbezugsmenschlichen Handeins und menschlicherErfahrung empirisch Rechnung zu tragen,erfordert eine Forschung im Begründungsstatt im Bedingtheitsdiskurs. Forschungsziel ist nicht die Formulierung und Prüfungvon Bedingungs-Ereignis-Relationen, sondern die Aufklärung und Rekonstruktionvon Prämissen-GrÜnde-Zusammenhängen.Dies hat massive methodische Konsequenzen für den Theorie-Empirie-Bezug,und zwar deswegen, weil der Zusammenhang von Prämissen und Gründen vom Individuum sinnhaft konstituiert wird. DaPrämissen-Gründe-Zusammenhänge keineBedingungs-Ereignis-Relationen sind, sindsie auch nicht als kontingent zu charakterisieren, sondern als Spezialfall einer Implikation. Implikationen sind aber einer empirischen Prüfung weder bedürftig noch fähig(vgl. Brandtstädter 1994; Holzkamp 1994;Markard 1994b). Prämissen-Gründe-Zusammenhänge sind empirisch nicht zu prüfen, sondern allein zu veranschaulichenbzw. empirisch zu konkretisieren - oderauch nicht. Denn ob und wie der betreffende implikative Zusammenhang umgesetztwird, ist eine nicht-implikative, empirischeFrage. Es ist auch eine empirisch offeneFrage, welche Aspekte seines Umfeldesdas Individuum als Prämissen für sichakzentuiert, welchen - formal eben implikativen - Zusammenhang es für sich konstitu-
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iert. Der implikative Charakter eines Prämissen-Gründe-Zusammenhangs beziehtsich also auf das vom Individuum konstituierte Verhältnis von Handlungsprämissenund Handlungsintention. Empirisch offen ist))auf der einen Seite« das Verhältnis vonHandlungsprämissen und den Umweltgegebenheiten, aus denen diese herausgegliedert werden, und ))auf der anderenSeite«, ob bzw. welche Handlungen aus derHandlungsintention folgen.Holzkamp (1986, 1993, 1994) hat übrigensan vielen Beispielen unterschiedlicher Lerntheorien und aus der Sozialpsychologie gezeigt, daß als Bedingungs-Ereignis-Relationen gefaßte psychologische Theorien inWirklichkeit als versteckte Prämissen-Gründe-Zusammenhänge zu reformulieren sind,ihre Prüfbarkeit also ein Selbst-Mißverständnis der Variablenpsychologie ist.Aussagen über Prämissen-Gründe-Zusammenhänge enthalten weder Feststellungenzur Häufigkeit bzw. zur Verbreitung der inihnen thematisierten Phänomene, nochsind sie durch beliebig viele Fälle zu beweisen oder zu widerlegen. Aus der Kennzeichnung der uns interessierenden Zusammenhangsaussagen als Prämissen-GründeZusammenhänge ergeben sich aber durchaus Überlegungen zur Verallgemeinerbarkeit (vgl. auch Markard 1993). Aus unsererCharakterisierung der Mensch-Welt-Beziehung ergibt sich ja, daß Menschen, indemsie handeln, zwangsläufig objektive gesellschaftliche Bedeutungen, damit verallgemeinerte Handlungsmöglichkeiten realisieren und so einen Subjektivitäts-Objektivitäts-Zusammenhang herstellen. DieserZusammenhang ist die Grundlage für unsere Verallgemeinerungsüberlegungen. DieHerstellung des Empiriebezuges erfolgt dadurch, daß das betreffende Individuum seine Problematik in dem betreffenden Prämissen-Gründe-Zusammenhang auf denBegriff gebracht sieht. Die Relevanz derempirischen Daten imponiert in diesem Zusammenhang insbesondere dann, wennder Umstand eintritt, daß der betreffende
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Fall sozusagen nicht »genau« zu diesemPrämissen-Gründe-Zusammenhang paßt,oder daß jemand anderes seine Problematik zwar nicht in Gänze, wohl aber unterbestimmten Aspekten in diesem Prämissen-Gründe-Zusammenhang verfehlt sieht.Derart eingebrachte Daten oder Fälle insVerhältnis zu setzen, führt nun nicht dazu,daß, wie im Bedingtheitsdiskurs, Häufigkeiten, Abweichungen, Streuungen etc.registriert werden, sondern daß der Begründungs-Diskurs in die Richtung geht, diejeweiligen Prämissen zu spezifizieren.Insofern kommt den betreffenden Dateneine über bloß veranschaulichende Funktion hinausgehende konkretisierende Funktion zu.Subjekte existieren im Plural, aber nicht imDurchschnitt. Einzelfälle können zueinanderins Verhältnis gesetzt, aber nicht gegeneinander ))verrechnet« werden. Es sind dieindividuellen Spezifikationen, die interessieren, nicht die Nivellierungen des Durchschnitts. Die einzelnen, subjektiven Fällesind keine Abweichungen, sondern der Gedanke der Abweichung weicht selber abvom Gedanken der Subjektivität. Die Verallgemeinerung liegt nicht in einer zentralenTendenz, sondern in der Möglichkeit der individuellen Subsumtion unter eine erfahrende Realisierung verallgemeinerter Bedeutungen, also Handlungsmöglichkeiten. Zentral ist, daß die Welt, wie das Subjekt sie inseinen Handlungsmöglichkeiten bzw. inden Behinderungen, denen es sich gegenübersieht, erfährt, daß die in diesem Sinnesubjektive Sinneinheit als analytische Einheit nicht verlorengeht.
3. Wie gesagt, ist subjektwissenschaftlicheForschung nicht frei von Vorannahmen. Bishierhin wurden sowohl allgemeine Vorannahmen über Erfahrung und Subjektivitätskizziert, aber auch schon speziellere, aufden Analysegegenstand ))psychologischePraxis«, etwa das Theorie-Praxis-Verhältnisin der Psychologie bezogene. Letztere willich im folgenden weiter konkretisieren, als
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Annahmen über die Strukturen, die in dieErfahrung der Praktiker hineinragen, und diein einem »Praxisportrait« (Markard & Holzkamp 1989), einem Leitfaden zur Analysepsychologischer Berufstätigkeit, thematisiert worden sind.Dieser Leitfaden ist Resultat von sog. Theorie-Praxis-Konferenzen, die entstanden sind,als sich 1983 Berufspraktiker und Berufspraktikerinnen bei der Redaktion des »ForumKritische Psychologie« beklagten, dort würden keine Praxis-Artikel abgedruckt. Dem begegnete die Redaktion mit dem Hinweis,daß keine eingereicht worden seien, und Interessierte sollten sich doch zu einer Diskussion dieses Problems treffen.Schon auf der ersten der so initiierten))Theorie-Praxis-Konferenzen«, der bis heute ca. 20 weitere in unregelmäßigen Abständen folgten, deutete sich nicht nur an,daß Probleme in oder mit der Praxis zuhaben, keineswegs gleichbedeutend damitist, auch darüber reden und berichten zukönnen, sondern auch, daß diese Schwierigkeit des Redens und Schreibens überPraxis keine Frage des individuellen Versagens der betreffenden Praktiker ist, sondern Aspekt der erwähnten Theorie-PraxisKluft in der Psychologie, speziell des Umstands, daß sich demgemäß auch keine hinreichende »Darstellungskultur« für dieKommunikation über Praxis entwickelte.Außerdem, so zeigte sich, hat das Probleminsofern einen dynamischen Charakter, alses bei Praxisproblemen um wesentlicheProbleme der eigenen (beruflichen) Existenz der Praktiker geht. Deswegen sinddie Probleme mit Kommunikation überPraxis nicht allein Probleme der Darstellungvon Praxis, sondern sie sind mit fachlichenund dynamischen Aspekten vermischt.
Wir gehen davon aus, daß die Praktiker imLaufe ihrer Arbeit ein - mit Holzkamp (1988,32) formuliert - »gesellschaftlich-subjektivesZusammenhangs- und Widerspruchswissen« über die in der akademischen Psychologie ausgeblendeten Lebenszusammen-
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hänge erwerben können, das aber imdefensiven Rekurs auf Erfahrung mystifiziert, auf jeden Fall nicht hinreichend analysiert, systematisiert und verallgemeinertwird. Dieses Konzept ist es, das, wie obengesagt, die Analyse von psychologischerPraxis, wie sie von Praktikern erfahren wird,auf den Zusammenhang von Lebensproblemen der Klienten mit deren Lebensumständen und auf den Zusammenhangpsychologischer Praxis mit den institutionellen Bedingungen der Arbeit der Praktikerinbzw. des Praktikers und ihren/seinen theoretischen Sichtweisen orientiert.
Kritisch-psychologische Praxisforschungbedeutet also, die individuelle Erfahrungdes Zusammenhangs von Praxis und gesellschaftlich-institutionellen Bedingungen aufdarin liegende Widersprüche hin aufzuschlüsseln, und die Dimensionen des»Praxis-Portraits« sind dabei Vorannahmenoder Analyse-Voraussetzungen. Das bedeutet aber nicht, daß die Praxisprobleme vonden in den Vorannahmen konzeptualisierteninstitutionellen Bedingungen »abgeleitet«würden, sondern, daß diese dann relevantwerden, wenn die Erfahrung der Praxisdurch die Praktiker!innen diese mit Problemen konfrontiert, die unter Ausblendungder gesellschaftlich-institutionellen Systemzusammenhänge nicht zu klären sind. Derpraktische Problembezug der Praxisforschung und der Umstand, daß die Praktikernicht auf der Gegenstands-, sondern auf derForschungsseite stehen. setzen dabei voraus, daß die Praktiker!innen ihre Lage alsproblematisch erfahren, ein Umstand, derauch mit ihrem eigenen politisch- oder ideologisch-gesellschaftlichen Bezugssystemzusammenhängt.Ein derartiges Problem gegeben, ist der»Erkenntnisweg ... nicht der einer zunehmenden Konkretisierung allgemeiner gesellschaftlicher und dann institutionellerBedingungen auf das jeweilige Problem hin,sondern umgekehrt der von ungelöstenAspekten des Problems hin zu Bedingun-
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gen, die für die Analyse und Lösung desProblems von Bedeutung sein können.«(Markard 1988, 69f.)
Aus dem bisher Dargestellten ergibt sichauch folgender Aspekt des Theorie-PraxisVerhältnisses: Da die in der Praxis gemachten Erfahrungen zwangsläufig - Lw.S. - theoretisiert werden müssen (was sich spätestens beim Versuch der Aufklärung von Erfahrung zeigt). und da generell Handeln ohne Theorie undenkbar ist, steht den akademischen Theorien die (erfahrene) Praxisnicht direkt gegenüber, sondern Praxis, wiesie theoretisch begründet und wie sie theoretisch ausgewertet wird. Deswegen ist die(auch von uns immer wieder reproduzierte)Redeweise vom Theorie-Praxis-Verhältnisletzten Endes problematisch: In Wirklichkeitgeht es in den einschlägigen Debatten umein Theorie-Theorie-Verhältnis (wobei imübrigen natürlich auch die akademischeTheorie insofern praxisbezogen ist, als Wissenschaft eine spezifische Form von Praxisist).Die Erfahrungen der Praktiker!innen werdentheoretisch strukturiert und strukturierenumgekehrt ihre Theorien. Es sind eben diese theoretischen Aspekte praktischer Erfahrung und erfahrener Praxis, die in Praxisforschung verallgemeinerbar auf den Begriffgebracht werden sollen, in der Berufspraxisselber, um diese zu verbessern und kommunizierbar zu machen, in der psychologischen Ausbildung (in der Interaktion zwischen Praktiker/innen und Praktikant!innen(vgl. den Teil von Christina Kaindll, umPraxis lehr- und lernbar zu machen. Das Gewicht dieser Zielsetzung wird spätestensdann offenkundig, wenn - etwa auf einerHelfer-Konferenz - unterschiedliche, konkurrierende Praxistheorien aufeinandertreffen:Soll der Einzelfallhelfer Vaterersatz seinoder wäre dieses das Falscheste, was ertun könnte (vgl. Fahl & Markard, 1993, 13)?Wir sehen uns dabei in der mit der Studentenbewegung überkommenen Tradition derInfragestellung bzw. Entwicklung der eman-
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zipatorischen Relevanz psychologischerPraxis. Diese Problematisierung ging vomEinbezug der psychologischen Praxis ingesellschaftliche Repressions-, Selektionsund Befriedungsstrategien aus (»Befriedungsverbrechen« sensu Basaglia et al.1980).Sofern man allerdings die Relevanzfrageunabhängig vom theoretischen status quodes Faches Psychologie klären zu könnenmeint, bedeutet das, das Relevanzproblemden einzelnen Praktiker!innen aufzubürden,die damit wieder einmal »theoretisch alleingelassen« werden: Das Problem der Relevanz der Psychologie wird zur Frage derindividuellen Kompetenz der Praktiker!innenverschoben, sie wird - übrigens gutbürgerlich - personalisiert, und es wird diesmal unter dem Aspekt des theoretischen Fundusvon den Lebensumständen der Praktiker!innen abgesehen, abstrahiert. Insofernist diese individualisierende Kompetenzzumutung abstrakt.
Statt also Probleme und Möglichkeiten psychologischer Tätigkeit auf Eigenschaftenund Persönlichkeit der psychologisch Tätigen zurückzuführen, steht subjektwissenschaftliche Praxisforschung vor der Aufgabe, den Zugang zur Lösung der Problemepsychologischer Berufspraxis über dieAufschlüsselung von Handlungsprämissenund -gründen der Psycholog/innen zu gewinnen, wobei zu den Prämissen psychologischer Arbeit neben institutionellen Bedingungen, Zielen der Auftraggeber etc. auchder inhaltliche Zustand des Fachs gehört.
4. Die Entstehung des Forschungs-Projekts»Analyse psychologischer Praxis« (PAPP;vgl. Fahl & Markard 1993) hat drei Gründe:
Es waren uns - den Uni-Angehörigen - eineReihe von Praktiker!innen bekannt, die aneinem kritisch-psychologischen Diskussionszusammenhang über Praxis interessiert waren.Wir interessierten uns ebenfalls für diese
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Diskussion wegen unserer Fragen nach derBegründung von Praxis.Wir waren auf der Suche nach Kooperationsbeziehungen mit Praktiker/innen, diePraktikant!innen betreuten.Aus einem Rundbrief entstand ein Projektvon ca. 20 Praktiker/innen und drei Uni-Angehörigen. Die Zahlen blieben in den letztenJahren in etwa gleich, die Teilnehmer/innenselber wechselten z.T. stark.Aus den bisher dargelegten Forschungsmotiven und -zielen folgt auch, daß die Themen nicht notwendigerweise auf einenbestimmten inhaltlichen Bereich (wie etwaTherapie, Schulpsychologie oder Drogenberatung) beschränkt sind, sondern umgekehrt eine bereichsübergreifende Zusammensetzung durchaus wünschenswert ist.Denn erstens enthalten psychologischeTätigkeitsbereiche mehrere Facetten psychologischer Arbeit: So impliziert der Tätigkeitsbereich nSchulpsychologie« Diagnostik, Lehrerberatung, Schülerberatung, Drogenprävention, etc. zweitens können theoretische Aussagen über psychologische Berufspraxis zwar nur in konkreten Tätigkeitsbereichen gewonnen werden, dies bedeutet aber nicht. daß ihre Geltung auf nur diesen Bereich beschränkt wäre. Ihr Geltungsbereich hängt vielmehr von den thematisierten Dimensionen ab: So sind bspw. mitdem Burn-out-Phänomen thematisierteAspekte psychologischer Berufstätigkeit»tätigkeitsbereichsübergreifend«. Soweitdie Psychologie in ihrer geschilderten Problematik einer der Bezugspunkte psychologischer Praxisforschung ist, sind darüberauch die verschiedenen Tätigkeitsformenals psychologische aufeinander beziehbar.In den jeweiligen Tätigkeitsbereichen virulent werdende, auf einzelne Probleme bezogene Theorien sind als nbereichsspezifisehe« Theorien zu rezipieren und in dieÜberlegungen mit einzubeziehen.Die zentrale Arbeitsform des PAPP ist dieGruppendiskussion, bei der möglichst unterBezug auf ein von einer Praktiker/in eingebrachtes konkretes Praxisproblem versucht
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wird, fallbezogen die institutionellen undpraxisstrukturierenden Momente des betreffenden Arbeitsbereichs herauszuarbeiten und zu den Erfahrungen der anderenTeilnehmer/innen aus anderen Praxisbereichen ins Verhältnis zu setzen. Die von denUniversitätsangehörigen transkribiertenProtokolle der auf Band aufgenommenenGruppendiskussionen bilden dann weiteresMaterial zu theoretischen Auswertungendes Diskutierten und zu Anregungen vonVeränderungen der Praxis. Interviews finden dann Anwendung, wenn die Institution,in der die Praktiker/in, über deren Praxisprobleme in der Gruppe diskutiert wird, arbeitet, in concreto noch nicht bekannt ist. DasInterview hat dann zur Vorbereitung derGruppendiskussion die Funktion, die Institution den anderen Projektmitgliedernbekannt zu machen. Dazu formulieren dieUniversitätsangehörigen aus den Dimensionen des oben erwähnten nPraxis-Portraits« einen spezifizierten Interview-Leitfaden. Das Interview wird von ihnen transkribiert und gemäß der allgemeinen Projektfragestellung mit Kommentaren, Problematisierungen und Nachfragen versehen. Diese Transkription erhält die interviewte Praktiker/in, die sie - sie hat sozusagen das letzte Wort - so überarbeiten kann, daß das vonihr Gemeinte im Text aus ihrer Sicht optimalenthalten ist. Wir betrachten Selbstauskunft als einen reflexiven Prozeß und privilegieren deshalb nicht per se unkorrigierteErstaussagen. Die von der Praktiker/in nautorisierte« Fassung des Interviews erhaltendann die anderen Praktiker/innen des Projekts als Vorbereitung zu der durchschnittlich monatlich stattfindenden Gruppendiskussion (»Plenum«).Im Verlauf der Projektarbeit entwickeln sichalso über die Interviews und insbesonderedie Gruppendiskussionen Hypothesen, diesich auf die vorgetragenen Praxisproblemebeziehen. Welche Probleme welcher Praktiker/in jeweils im Vordergrund stehen, ist ähnlich wie bei der Konzeption des theoretischen samplings sensu Glaser & Strauss
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(vgl. aus unserer Sicht: Markard 1991,153ft.) - mit dieser Entwicklung vermittelt.Es muß allerdings eingeschränkt werden,daß die Thematisierung der Praxisproblemenicht nur dieser Logik folgt, sondern sichauch aus den individuellen Diskussionswünschen der Praktiker!innen ergibt.Nicht bewährt hat sich unser Versuch, mitsog. kollektiven Leitfragebögen Gruppendiskussionen vorzubereiten und in gewisserWeise die Interviews zu ersetzen. DieseFragebögen wurden unter Bezug auf in denDiskussionen aufgetauchte oder entwickelte problematische Praxisaspekte (etwaBedeutung von Supervision für die praktische Arbeit) entwickelt, und die damit zuerhaltenden Daten sollten eine Materialgrundlage für eine Konkretisierung dieserPraxisaspekte in den einzelnen Arbeitsbereichen sein. Es zeigte sich aber, daß nurwenige der Praktiker!innen einen solchenFragebogen ausfüllen, u.a. weil sie dies zuviel Zeit kostet: denn die Fragen waren offen und unter Bezug auf die Diskussionenformuliert, so daß ihre Beantwortung sichals zu aufwendig erwies.Versuche, bestimmten Praxisproblemenauf Wunsch und Anregung der Praktiker/innen in kleineren Arbeitsgruppennachzugehen, sind entweder kurzlebig gewesen oder immer gescheitert bzw. nicht inGang gekommen. Wir vermuten, daß dasdamit zusammenhängt, daß die Alltagsroutine den mit den Arbeitsgruppen verbundenen Aufwand nicht zuläßt. Hier wird auchnoch einmal eine zentrale Funktion der Universitätsangehörigen in einem solchen Projekt deutlich: Die organisatorische Entlastung der mit-forschenden Praktiker!innen(die uns bezüglich der Arbeitsgruppen nichtmöglich ist).
5. Die Aussagen, die das Projekt machenkann, müssen nach allem Gesagten imoben skizzierten Begründungsdiskurs erfolgen, wonach, wie gesagt, Subjekte im Plural, aber nicht im Durchschnitt existieren.Wir sehen dabei folgende Möglichkei-
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ten: Die Probleme, Handlungen und Darstellungen einer einzelnen Praktiker!in können fa 11-, also klientenbezogen dokumentiert werden, und es kann dabei versuchtwerden, diesen Fall, also diese PraktikerKlient-Problem-Interaktion exemplarischdarzustellen. Konkrete Fälle können auch(nur) Anlaß zu einer Theoriebildung in Formeines Prämissen-Gründe-Zusammenhangssein, und es können im Zuge beider Herangehensweisen spezielle Momente einesPrämissen-Gründe-Zusammenhangs zumThema gemacht werden: Dies sind in unserem Forschungskontext insbesondere Theorien und psychologische Denkweisen in ihrer Funktion für psychologische Praxis bzw.die Praktiker!innen. Theorien treten uns hiersowohl als ausformulierte Ansätze als auchals individuelle oder individualisierte problembezogene psychologische Sichtweisen entgegen. So können aus PrämissenGründe-Zusammenhängen einzelne Momente abstrahiert werden, die aber in ihrerFunktionalität im herausgearbeiteten Begründungszusammenhang bleiben müssen.Weitere Formen der Darstellung sind:
Praxis-Portraits und beispielhafte Fälle,Einzelfall-Darstellung und Muster für eineEinzelfall-Darstellung: Entwicklung einersubjektwissenschaftlichen Kasuistik.
Psychologische Kompetenz in der beruflichen Entwicklung: (selbst-) kritische Betrachtung individueller Kompetenzentwicklung jenseits gesellschaftlich-institutionelle Widersprüche ausblendenderMystifikation.
Sprach-Kritik: Truismen statt AnalysenDarstellung praxisbezogener Fortbildungals Alternative zu psychologisierender Supervision.
Problem-Dimensionen und Handlungsmöglichkeiten kritisch-emanzipatorischerPsychologie im real existierenden Kapita-
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lismus: Theoretische Begründung undpraktische Veranschaulichung.
Im Sinne der letztgenannten Darstellungsform lassen sich aus den Diskussionen desPAPP problematische Dimensionen psychologischer Praxis herausheben. von denenich einige zur Veranschaulichung anführenwill.Lebensprobleme und ihre Transformationin psychologische Fragestellungen: Wiekommt es zustande. daß (1) eine gegebene Sachlage oder Konstellation als ein»Problem« definiert wird. daß (2) diesesProblem als psychologisches definiertwird, daß es (3) professionell zu behandeln ist; (4) stellt sich die Frage. welchesSchicksal die Problemsichten dann im weiteren Verlauf der institutionellen »Behandlung« des Ausgangs-Problems nehmen.Diese Fragen sind es, die wir als »Transformationsproblem« analysierten (vgl. Fahl& Markard, 1993, 21ff).
Traditionelle Diagnostik und Lebensweltbezug von Diagnostik: Wie bewältigt diePraktiker/in den Mythos des »klinischenUrteils« bei sich widersprechenden diagnostischen Daten 7 Wie bewältigt sie diemit subjektwissenschaftlichen Vorstellungen der Entwicklung subjektiver Handlungsmöglichkeiten unvereinbare und Diagnostik und Intervention nicht prozessualvermittelnde, sondern starr trennende Forderung nach Vorhersagbarkeit des Verhaltens (vgl. Dreier 19851. wie das Problemder im traditionellen diagnostischen Instrumentarium angelegten Vereigenschaftung, Personalisierung7 Wenn manDiagnostik als spezifische Form der Aufklärung von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen fassen will, wie kann man dieLebensumstände der Klient/innen als deren Prämissen berücksichtigen (wenn etwa lebensweltliche Informationen durchEinzelfallhelfer geringer geschätzt werdenals Testdaten)7 Wie lassen sich lebensweltliche Informationen in der Darstellung
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optimieren und so systematisch diagnostisch nutzen (a.a.O, 25f1.)7 Welchetatsächliche Relevanz haben erste diagnostische Deutungen für den Therapieverlauf, wenn sie sich im wesentlichen demFinanzierungs- und Verwaltungsdruck beugen, die eine Begründung von Therapienotwendigkeit und eine Vorhersagbarkeitihres Verlaufs fordern? Strukturieren sielängerfristig die Wahrnehmung, auchwenn sie nur als verwaltungserforderterHokuspokus (»Familie in Tieren« etc.) zuwerten sind? Wie wird hier damit umgegangen, daß es ein krasser Kategorienfehler ist, Resultate projektiver Verfahren, diebestenfalls als Diskussionsangebote anund Deutungshilfen für die Betroffenen zuverstehen sind, im Sinne der Indikation deutungstranszendierender - empirischerSachverhalte zu interpretieren7
Alltägliche (Ordnungs-) Vorstellungen imGewande psychologischer Theorien (a.a.O.,30ff).
Sprachprobleme und Kooperation imTeam: Wie können Praktiker/innen damitumgehen, daß Mitglieder eines Teams häufig unterschiedlichen theoretischen Orientierungen verpflichtet sind, die unterschiedliche psychologische »Sprachen«und konkurrierende, sich ausschließendeDeutungen zur Folge haben? Dabei ist zubedenken: Die realen Sachverhalte sindvielfältiger als die Deutungskategorien, unter die sie in der Deutung subsumiert werden. Wie läßt sich unter dieser Voraussetzung die Möglichkeit realisieren, eine nicht-konkurrentielle, sondern sachbezogene - Auseinandersetzung im Team zuführen, indem man die problematischenSachverhalte in die Falldiskussionen soweit als möglich deskriptiv einbringt, umDeutungen als Deutungen diskutierbar,das heißt auf die gedeuteten Sachverhalte hin analysierbar zu machen7
Verhältnis von Aktualgenese und Biogra-
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MOAUsMAAKARD & CHRISTINA KAINDL
phie (Sozialisation): Wann verschwindenakute lebensweltliche Bezüge der Probleme und der Problemklärung hinter diesengegenüber abstrakten ))vortheoretischen«(Holzkamp 1995, 114) Deutungsschemata ? Wie können psychologische Praktiker/innen mit semiprofessionellen, psychoboombezogenen und ggf. kontraproduktiven Deutungsschemata der Betroffenen umgehen (Ulmann 1989)?
Verhältnis von Alltagsbegriffen und derenwissenschaftlicher Durchdringung: Beispiel dafür ist der »Begabungs«-Begriff,mit dem kurzschlüssig - phänotypische Leistungsunterschiede genotypisch »erklärt« werden. Wie sind - Psychologie alsKritik des Alltagsdenkens - in konkretenProblemdiskussionen die Dimensionendes Alltagsdenkens einzubeziehen?
Verhältnis Selbsthilfe und professionellerpsychosozialer Tätigkeit: Inwieweit stekken auch in Selbsthilfekonzepten jene mystifikatorischen Momente von »Erfahrung«, die eine erfahrungswissenschaftliche Aufschlüsselung der Probleme gerade verhindern statt fördern ())niemandkann mitreden, der nicht selber betroffenwar«); mit Gorki gefragt: Kann nur überSchnitzel schreiben, wer selber in derPfanne lag? Wie können Dimensionen derDeutung und Erfahrung nachvollziehbarunterschieden werden? Wie kann herausgearbeitet werden, daß es sich auch beidieser Entgegensetzung nicht um einTheorie-Praxis-, sondern um ein TheorieTheorie-Verhältnis handelt?
Mystifikationen der Psychologen-Klientenbeziehung: Können die als Mimesis/Empathie deklarierten Sachverhalte in settingbezogene Prämissen-Gründe-Zusammenhänge überführt werden?
Therapie als heimlicher Maßstab psychologischen Denkens - oder die Therapeutisierung der psychosozialen Versorgung.
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Betreuung und Macht, Parteilichkeit undInteresse, Betroffeneninteresse im Verhältnis zu Standesinteressen. Wie lassensich professionelle Aktivitäten im Interesse der Betroffenen von bloßen Befriedungs- und Legitimationsstrategien bzw.berufsständischen abgrenzen?
Reformulierung von Fragestellungen: Weiche - prognostischen - Fragen von Auftraggebern - z.B. für Gutachten - lassen sichüberhaupt seriös und empirisch fundiertbeantworten?
Funktion von Supervision: Welches Verhältnis hat Supervision zur Praxisforschung(vgl. Fahl & Markard 1993, 24f.)? Findet inder Supervision z.B. mit der Zentrierung aufdie Beziehungsprobleme zwischen Psycholog/innen und Klient/innen und zwischen den Psycholog/innen im Team und inder Supervisionssitzung z.B. eine Transformation weg von den Lebensproblemen derKlienten und weg von den Arbeitsproblemen der Psycholog/innen statt?
Bezug auf restriktive institutionelle Bedingungen als Rückzugsgefecht: Wie läßt essich verhindern, daß die Analyse psychologischer Praxis auf die Bedeutung der institutionellen Bedingungen hin zur restriktiven Begründung für die Unausweichlichkeit und Unveränderbarkeit des statusquo usurpiert wird?
Derartige Dimensionen, die u.E. den Zusammenhang von Praxisforschung und Psychologiekritik dokumentieren können, haben natürlich nicht nur die Funktion einermöglichen Strukturierung der Darstellungvon Forschungsresultaten, sondern in derDiskussion von einzelnen Fällen oder Praxisproblemen auch - je nach Sachlage - dievon möglichen Hypothesen.Um unsere Diskussion der Datengewinnung und die Rolle der Praktiker!innen darinnoch einmal unter dem Gesichtspunkt derReflexion - und hier auch der damit einge-
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henden Ermöglichung von Selbstauskunftals einem reflexiven Prozeß (statt einesbloß punktuellen Statements, das allerdingsbesser zum nomothetischen Methodenarsenal paßt) - noch einmal aufzugreifen: Inder hypothetischen - fallbezogenen oderauch allgemeineren - Formulierung von Prämissen-Gründe-Zusammenhängen ist esauch möglich, Aspekte über Tendenzen miteinzubeziehen und aufzuklären, das heißtder Reflexion und damit tendenziell der bewußten Berücksichtigung bzw. dem tätigenEingriff der Praktiker!innen zugänglich zumachen, die sich sonst »hinter dem Rükken« der Praktiker!innen - durchaus im Sinne eines dynamischen Unbewußten durchsetzen können.So kam Andersohn (1991) in der Auswertung seines Praktikums im Rahmen des inTeil 11 dargestellten Ausbildungsprojektsmittels der Analyse eines Beratungsgesprächs einer Psychologin (mit einer Frau,deren Sohn Geld gestohlen hatte) zu derSchlußfolgerung, daß unter der Bedingungeiner verdinglichten Expertenerwartung seitens der Beratenen der Bezug auf GT-Techniken durch die Beratende nicht als klienten-, sondern im Gegenteil als psychologenzentriert anzusehen ist, so daß der GTBezug letztlich einer klientenproblem-entbundenen Bewältigung komplexer »psychologischer« Anforderungen dient. Andersohns Überlegungen beziehen sich 1. aufseine Diskussionen zur subjektiven Funktionalität des ihn zunächst verblüffenden,vom konkreten Problem der beratenen Frauabhebenden, Vorgehen der Psychologin, zudessen Erläuterung sich die Psychologineben auf Techniken der GT sensu Rogersberief, und 2. auf die von ihm dargestellteninstitutionellen Bedingungen, unter denendas Beratungsgespräch stattfand. (Als Andersohn Wochen später die Beratene interviewte, stellte er fest, daß diese sich zunächst entlastet gefühlt hatte, zu Hauseaber nicht wußte, was sie nun tun könne.)Die Explikation von Theorien, die im PAPPeinen Schwerpunkt einnimmt, verläuft des-
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wegen nicht immer konfliktfrei, weil sowohldie Theorien selber als auch deren Explikation und (Funktions-) Kritik zwangsläufigwissenschaftliche Argumentationen undgesellschaftlich-politische Wertungen undStellungnahmen enthält. Dieses von unsm.E. anfänglich übrigens unterschätzte Problem hängt vor allem damit zusammen, daßin die behandelten Fragen gesellschaftlichinstitutionelle Sachverhalte hineinragen, dievon einer »rein« psychologischen Analysenicht hinreichend erfaßt werden können,das Verhältnis und das Verhalten der einzelnen zum analysierten Problem aber mitbestimmen. Dies wird besonders deutlich,wenn es um das Problem der Vermittlungvon Resultaten von Praxisanalysen in diePraxis geht. Es zeigte sich im PAPP unteranderem, daß sich auf dieser Ebene inhaltliche Auffassungsunterschiede zwischenden Teilnehmern verschärften, wobei dieFronten interessanterweise aber nicht zwischen »Theoretiker!innen« (Universitätsangehörigen) und »Praktiker!innen«, sondernquer zu dieser Statusbestimmung verliefen.Es scheint. als sei es auch das Ineinandervon wissenschaftlicher Analyse und gesellschaftlichen Wertungen, das in dynamischen konkurrentiellen Problemen in derGruppe sich Geltung verschafft, etwa zwischen Praktiker!innen, die auf Honorarbasisarbeiten, und fest angestellten Praktiker/innen, von denen die auf HonorarbasisArbeitenden von der Auftragsvergabe abhängig sind.»Die Standortgebundenheit der Argumentation wird dabei nicht auf den ersten Blickdeutlich: So nahmen kontroverse Diskussionen unter Praktikern schnell die Form vonkonkurrentem »Sich-gegenseitig-die-Kompetenz-Absprechen« an. Ein Streit bspw.darum, ob ein Psychologe seine eingeschränkten Hilfe-Möglichkeiten von vornherein seinen Probanden »bekennen« muß,also in diesem Sinne »ehrlich« und »verantwortungsvoll« ist, bleibt so lange abstrakterKompetenzvergleich, wie nicht die institutionellen Prämissen unterschiedlichen Her-
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angehens offengelegt werden: Ein fest angestellter Schulpsychologe kann es sich vieleher erlauben, in seinen Augen unrealistische Klientenerwartungen zurückzuweisen,als ein stundenweise honorierter Einzelfallhelfer, der erst einmal von seinem formalenArbeitgeber, der betreffenden Familie, als»kompetent« akzeptiert werden muß. Zudem hat der Schulpsychologe die realeMöglichkeit, die Ebenen seiner Tätigkeit zuwechseln, indem er etwa der Problematikdes ))Klebens« an immer wieder neuen undneu produzierten Einzelfällen durch präventive Lehrerberatung zu begegnen versucht.(Fahl & Markard 1993, 18).So ist auch die Frage, ob »ich« »mich«unter eine Analyse als Fall- ggf. differenzierend - subsumieren kann, nicht nur davonabhängig, ob »ich« in einer vergleichbarenLage bin, sondern wie »ich« - um beimschulpsychologischen Beispiel zu bleiben das Verhältnis von Fallarbeit und präventiverLehrerberatung gesellschaftlich-politisch»einschätze«.
Vermutlich hängen von dieser Gemengelage von wissenschaftlicher Analyse und politischer Stellungnahme auch manche Probleme ab, die sich im PAPP bei der Abwehrdes Versuchs ergeben, Anregungen ausden Gruppendiskussionen in die Praxisumzusetzen, unter dem Aspekt nämlich,daß die/der Betreffende nicht hinreichenddie Konsequenzen von Veränderungenüberblicken kann: Er stellt nämlich eine fürsie/ihn unklare, ambivalente, widersprüchliche, neblige, mehrdeutige Lage dar. DieFrage und Hypothesen in der Gruppendiskussion machen dies aber tendenziell eindeutig so, daß die/der Betroffene mit Abwehr reagiert: Angesichts der von ihr/ihmwahrgenommenen Ambivalenz kann undwill sie/er sich nicht so schnell festlegen,eben weil sie/er die Konsequenzen einer Festlegung nicht absehen kann. Die Diskussionen können also schon für die/den Betroffenen bestehende oder von ihr/ihm erfahrene und reflektierte Komplikationen bloß vergrößern, indem weitere, neue problemati-
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sche Gesichtspunkte hinzukommen. NeueÜberlegungen sind dann nicht hilfreich, sondern lästig bis bedrohlich (da sie ja kaumPatentrezepte bieten können). Denn inkomplizierten Praxissituationen taumeltman zwischen Strategien und Taktiken, versucht dies oder jenes. Zentral für die ganzeDiskussion muß sein, daß es um Denk-,Theorie- und vor allem Handlungszusammenhänge der Praktiker/in geht. Eine Gruppendiskussion kann die Sache ggf. nur komplizieren, wogegen man sich qua Abschotten wehrt.Wenn man psychologische Praxis i.e.S. alsEnsemble von Handlungen faßt und entsprechend die Spezifik von Entwicklungberücksichtigt - nämlich als vorläufig, inselartig, immer gefährdet, als einen Prozeßähnlich dem, wie die Holländer ihr Land gewonnen haben: trockenlegen eines Sumpfes, kleine Inseln, erst nicht dauerhaft, malhier, mal da, dann größer, weniger »matschig«, schließlich trocken, durch Deichegesichert (aber nie endgültig) -, dann wirdein weiterer Punkt für Praxisforschungwichtig, nämlich das in der Kritischen Psychologie theoretisch durchaus vertraute, inmachtdurchwirkter Beziehung brisanteMotivations-Risiko (Holzkamp-Osterkamp1976), wonach das Bemühen um Überwindung der Grenzen und (damit) um Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten undder Lebensqualität das Risiko des Scheiterns bzw. noch weiter einengender Rückschläge in sich birgt. Unter diesem Gesichtspunkt ist nun zu berücksichtigen:
Praxis besteht immer auch aus Routine{n):Wann kann »ich« es »mir« leisten, für eineunsichere Verbesserung die demgegenübersichere, wenn auch problematische, Routine aufzugeben, wer kann »mich« ggf. (inder Institution oder ggf. aus dem PAPP) unterstützen, mit wem habe »ich« Bündnismöglichkeiten? Praxisänderung muß also,da sie ja vom Standpunkt der Praktiker/inbegründet sein muß, auch in Termini desangeführten Motivationswiderspruchs und
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darin liegender Funktionalitäten und Risikendiskutiert werden.
Praxis besteht aber eben nicht immer nuraus Routine(nl. sondern auch aus Ausprobieren. Die Risiko-Abschätzung muß dieGleichzeitigkeit von Routine und Probiereneinschließen, anders: Das Ausprobierenvon Neuem im Sinne einer Gruppendiskussion darf die Routine nicht vollständig gefährden, sondern muß die Gleichzeitigkeitvon Probieren und Routine (und damit andauernder Handlungskontrolle) erlauben.
Der Begriff des »Eklektizismus« bietet inunserem Forschungszusammenhang zwarein wichtiges kritisches analytisches Instrument (Markard 1989, 1994 a), er darf abernicht zum theoretischen Hammer gegenPraxishandeln verkommen. Die Gleichzeitigkeit von Routine und Probieren muß unter theoretischen Gesichtspunkten eklektizistisch sein. Theoretisch und praktischschadet dies aber nur dann, wenn der bloßzeitweilige Charakter dieser Gleichzeitigkeitnicht überwunden oder nicht reflektiertwird. Das Problem eines sozusagen dauerhaften und routinierten Eklektizismus sehenwir darin, daß »Theorie« nicht mehr dieFunktion eines Stachels gegen das allfälligeArrangement mit den institutionellen undideologischen Gegebenheiten haben kann,sondern im Gegenteil die Funktion gewinnt,spontan sich durchsetzende Tendenzen zudiesem Arrangement mit einem theoretischen »Überbau« zu versehen. So hilft dergemeine Eklektizismus bei der Überbrükkung der Kluft von der kleinen Utopie zumgroßen Arrangement für das Mittelmaß derPsycholog/innenexistenz.
TEIL 11: THEORETISCHE KONZEPTE UND
METHODISCHE MÖGLICHKEITEN DES AUSBIL
DUNGSPROJEKTS ))SUBJEKTWISSENSCHAFT
L1CHE BERUFSPRAXIScc (CHRISTINA KAINDL)
Das Ausbildungsprojekt Subjektwissenschaftliche Berufspraxis (kurz ASB) verbin-
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det den von Morus Markard in diesem Heftvorgestellten Praxisforschungsgedankenmit der von der Studienordnung geforderten Betreuung der 700 Praktikumsstundenim Hauptstudium. Methodisch gesehengeht es im ASB um die Frage, wie diePraxis-, d.h. Praktikumserfahrungen derStudierenden verbindlich gemacht werdenkönnen und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen theorethischenOrientierung und der Praktiker. Um dieFrage also, wie man aus den eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen anderer lernen, Erfahrungen somit kommunizierbarund lehrbar machen kann.
Es gibt im ASB drei »Forschungsszenen«:Der Ort oder die Orte des Praktikums seiber, die räumlich also außerhalb der Universität liegen, und an denen die Praktikanten praktisch arbeiten, teilnehmend beobachten, mit den Praktikern reden, sich Notizen machen; diese Notizen haben zum Teildie Form eines Arbeitstagebuchs. Das Tagebuch soll - neben der Datensammlung rekonstruierbar machen, was den Praktikanten ins Auge fällt, worauf sie achten,wofür sie sensibel sind und wie sich dieseBeobachtungs- und Aufmerksamkeitsorientierung im Verlauf des Praktikums verändert.Dies ist in viererlei Hinsicht von Bedeutung:
Eins der Probleme besonders dieser Beobachtungsform ohne vorab festgelegte Kategorien ist - wie aus der literatur zur teilnehmenden Beobachtung bekannt - eineschleichende Maßstabsverschiebung. Diese kann durch ein Arbeitstagebuch rekonstruierbar werden - wobei diese Maßstabsverschiebung weniger unter dem Gesichtspunkt des Beobachtungsfehlers interessiert, als vielmehr unter dem Gesichtspunkt, daß das, was methodisch als Beobachtungsfehler imponiert, inhaltlich dasEintauchen in die und das Vertrautwerdenmit der Praxis markieren kann - also etwaeinen Prozeß der Routinisierung, der geradein der mit ihm verbundenen Aufmerksam-
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MORlJsMÄRKARD & CHRISnNA KAINDL
keitsverschiebung für das Begreifen von Erfahrung zentral sein kann.
Wie generell in subjektwissenschaftlichenZusammenhängen, gilt die Befindlichkeitdes Beobachtenden nicht als Störfaktor,sondern als deren unverzichtbares, aber zureflektierendes Moment; sie ist analytischmit den Arbeitsverhältnissen in Beziehungzu bringen. Gerade wenn die Praktikantenselber praktisch in die Arbeit involviert sind,ist die Registrierung und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ein wesentlicher Aspektder Analyse von Praxiserfahrungen.
Die systematische Reflexion der eigenenBeobachtung soll für deren Theoretizitätsensibel machen und dazu beitragen, Datenund Deutungen zu trennen. Dies ist geradeim Kontext psychologischer Praxis bedeutsam, wo es als professionell gilt, Datenschnell zu deuten. Daten zu deuten heißthäufig, sie unter verfügbare Kategorien zusubsumieren. Für die Darstellung von Praxisbedeutet dies, daß die einschlägigen Probleme schon kategorisiert dargestellt werden und die dahinterstehenden Daten nichtauf ihre theoretische Ambivalenz und unterschiedliche Deutbarkeit hin rekonstruiertwerden können (dies hat dann häufig diefatale Folge, daß Nachfragen als Angriff aufdie Deutungskompetenz erlebt werden).Ein reflektiertes Arbeitstagebuch kann hierdazu beitragen, das Verhältnis von Daten undDeutungen, von Deskription und Theorie unddamit den Datengewinnungs- und Deutungsprozeß durchschaubar zu machen. Wirdenken, daß derartige Qualifizierungen fürdie Entwicklung einer Diskussionskultur in derpsychologischen Praxis unverzichtbar sind.
Im Zusammenhang mit den genanntenPunkten steht unser Konzept der ))Schlüsselkonstellation«, mit der theoretisch bedeutsame Ereignisse oder Daten gemeintsind. Es geht davon aus, daß nicht alle Daten theoriefähig sind, sondern daß sich dieTheoriefähigkeit der Daten aus den Ge-
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sichtspunkten ergibt, unter denen die Datengesammelt werden. In diesem Sinne werden Schlüsselkonstellationen nkonstruiert«,man kann sie nicht nfinden«. Schlüsselkonstellationen sind also unter theoretischenGesichtspunkten herausragende Datenkonstellationen. Diesen aktiven Aspekt vonBeobachtung zu verstehen, gehört zur Qualifizierung des Praktikanten.
Praxisberatung: Sie wird von den Lehrenden als Möglichkeit angeboten, akuteProbleme aus dem Praktikum mit ihnen zuberaten; alle Interessierten aus dem Projektkönnen daran teilnehmen. Die Praxisberatungen haben auch die Funktion, Plenumssitzungen vorzubereiten, soweit dort PraktikumsvorsteIlungen vorgesehen sind. DiePraxisberatung stellt für beide, Lehrendeund Studierende, einen Qualifizierungsprozeß dar: für die Praktikanten die Qualifikation, die eigene Sichtweise in Frage steilen zu lassen, die Genese der eigenenFragen so durchsichtig werden zu lassen,daß deren prinzipielle Beantwortbarkeiterkennbar wird und eigene Probleme aufDaten zu beziehen - die Lehrenden sind javon der Qualität der beigebrachten Datenabhängig. Für die Lehrenden bedeutet siedie grundsätzliche Qualifikation, die Problematik der Praktikanten als gemeinsamesLernproblem der an der PraxisberatungBeteiligten aufzufassen, d.h. also Schilderungen, die auf den ersten Blick verschlossen erscheinen, durch entsprechendes Fragen verständlich zu machen und damit dieauf die jeweilige Situation bezogeneBedingungs-Bedeutungs-BegründungsanaIyse voranzutreiben.
Das Projektplenum als semesterwöchentliche vierstündige Lehrveranstaltung: Diemeisten Sitzungen werden für Praktikumsdarstellungen und -diskussionen verwendet. Hier werden wiederum im Rahmen derGruppendiskussionen zu den jeweiligenProblemen Hypothesen produziert undLösungsmöglichkeiten gesucht, als auch
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die Darstellungen auf subjektiv funktionaleAuslassungen, Vereindeutigungen undVermischungen von Daten und Deutungenllabgeklopft«. Daneben finden Le.S. theoretische Sitzungen statt, meist in Verfolgungvon in Praxisdiskussionen aufgeworfenenFragen (wie z.B. die Foucaultsche Analysedes Gefängnisses im Zusammenhang miteinem Praktikum in der Strafvollzugsanstalt). Aus der bisherigen Darstellungergibt sich also: Analyseeinheiten sind erfahrene Praxisprobleme. Die Möglichkeit zuderen Analyse hängt von der Qualität ihrerDarstellung ab; was zunächst als Praxisproblem imponiert, ist theoretisch vorstrukturiert. Zusätzlich ist ein wesentliches Moment der Analyse von Praxisproblemen dieUntersuchung der jeweiligen institutionellen Bedingungen in ihren Bedeutungen fürdas psychologische Handeln. Ohne Bezugauf diese Bedingungen können unseremAnsatz nach Erfahrungen weder in ihrerkognitiven noch in ihrer emotionalen Qualität aufgeschlüsselt werden, da sonst - inunseren Begriffen gesprochen - ein wesentlicher Teil der Prämissen fehlt und ohneBezug auf diese die emotionale Befindlichkeit sozusagen in der Luft hängt und auchkeine Verallgemeinerungen möglich sind.Die konkrete Aufklärung des Zusammenhangs von institutionellen Bedingungen undemotionaler Befindlichkeit wird von uns soangegangen, daß das Ansetzen am eigenenUnbehagen bezüglich des Praktikums undder darin übernommenen Aufgabe zurKlärung nicht beobachtbarer Praxisaspekteder Professionellen beitragen soll. Dabeisoll auch mögliches personalisierendesDenken gegenüber sich selbst - nach demMotto llgerade und nur ich kann das nicht«- aufgehoben werden.Als Beispiel kann hier der Fall einer psychologischen Nachsorgeeinrichtung für Jugendliche in Form einer betreuten Wohngemeinschaft dienen: Während seines Aufenthaltes in dieser WG fühlte sich der Praktikant immer wieder unwohl. weil er llstundenlang im Wohnzimmer anderer Leute
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herumsaß« also als Offizieller im Privatbereich der Betroffenen; er litt unter Gefühlender Leere, des Nichtstuns, der Nichtsnutzigkeit und der Peinlichkeit. Ausgehend davon, daß dies (wie von ihm eingebracht)gegebenenfalls nur des Praktikanten persönliche Probleme seien - daß er nämlichnicht llder Typ eines Entertainers« sei - kamdie Frage auf, inwieweit diese Problemenicht allgemeiner Natur, also mit der Art derinstitutionellen Situation verbunden seien.Hieraus würde sich dann die langfristigeNotwendigkeit einer routinemäßigen Bewältigung solcher Leerläufe und Peinlichkeiten ergeben - und daraus wiederum fürden Praktikanten und das Projekt die Frage.inwieweit ein Aspekt der einschlägigen»Kompetenz« darin besteht, Peinlichkeitenund Leerläufe nicht mehr zuzulassen undHandlungsroutinen zu entwickeln, die denvorgegebenen Zeitraum des WG-Aufenthalts aus- oder auffüllen. Es fiel den Beteiligten in der Gruppendiskussion auf, daß esviele Tätigkeiten gibt, in denen die Erstrekkung von Aufgaben und der routinierteUmgang mit der Zeit zur Qualifikation gehört - bis hin zum Feuerwehrmann, dessenHaupttätigkeit im Warten bzw. Nichtstunbesteht. Es war für den Praktikanten nichteinfach, die tägliche Routine der Praktikerals Tätigkeiten zu beschreiben: Gruppensitzungen ansetzen, durchführen, dazu dieLeute sammeln, den SozialpychiatrischenDienst anrufen, Klinikbesuche machen, Flöte spielen, mit den WG-Bewohnern kochen,Termine für Einzelgespräche anberaumenetc. Viele von diesen Dingen stehen in ihrerzeitlichen Erstreckung weitgehend zur Disposition, und sie sind vor allem als einzelneHandlungen kaum als spezifisch psychologisch auszumachen.An diesem Beispiel wird vielleicht deutlich,daß Praxiswissen und Praxiserfahrung jenes gesellschaftlich-subjektive Zusammenhangs- und Widerspruchswissen nicht ein durch Fragen und Beobachtungeinfach abzurufender Block ist, sondernsehr verschiedene Qualitäten besitzt, wie
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Formen der Beziehungsregulation, Routinen, Wissen, Umgangsweisen wie Klassifikationen (»so sieht kein Schulschwänzeraus«) oder innere MaßStäbe und Durchschnittsbildungen (»das kann ein dreijähriger Junge«). Diese unterschiedlichen Qualitäten bedürfen erstens unterschiedlicherMethoden zu ihrer Analyse und sind zweitens noch genauer in theoretische Unterkonzepte zu differenzieren, um sie zumZweck der Reinterpretation mit Konzeptender traditionellen Psychologie ins Verhältnissetzen zu können.Kommen wir zurück auf die für die Darstellung von Praxis- und Praktikumserfahrungen notwendigen Qualifizierung: Diese bezieht sich nicht nur auf den Erwerb vonKenntnissen über die subjektwissenschaftIiche Fragestellung und die damit verbundenen theoretischen Vorannahmen und methodischen Konzepte des Projekts, sondernauch darauf, sich in seiner Sichtweise inFrage stellen zu lassen - dies macht einenguten Teil der Qualifizierung zum Mitforscher aus. Da Praxisforschung problembezogen ist, also an Problemen ansetzt, ist sieauch eine Rekonstruktion von Fehlschlägenmit dem Ziel, »aus Fehlern zu lernen«. Inder konkurrenz- und karriereorientiertenUmgebung der bürgerlichen Gesellschaftund besonders in der Universität als derenInstanz zur Ausrichtung von Führungskräften in diesem Geiste, scheint es allerdingszunächst kontraproduktiv, Fehler zuzugeben. Um die Einsicht in die - der Intentionnach - produktive Funktion der Fehleranalyse zu ermöglichen, bedarf es unserer Erfahrung nach eines solidarischen und fehlertoleranten Klimas, das immer wiedererarbeitet werden muß.Die Schwierigkeiten der Thematisierungvon Problemen tauchten natürlich auch inder ersten Forschungsszene - dem Ort desPraktikums selber - auf; wobei hier zu berücksichtigen ist, daß Praktiker nicht nur unter einem Konkurrenz - sondern auch untereinem Kompetenzdruck stehen. Selbst einharmlos scheinendes Nachfragen kann -
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wenn der Gefragte das Erfragte eigentlichfür selbstverständlich hält - zu Aggressionen führen, wie aus der Ethnomethodologie bekannt ist. So kann gerade dasBefragen von Routinen als deren Infragestellung aufgefaßt werden - eine Interpretation, die zumindest manchmal auch einKörnchen Wahrheit enthält - die Frage etwanach der deutungstranszendenten Aussagekraft einer »Familie in Tieren« wirdwohl zu Recht als kritisch erlebt werden.Auch wenn es den Praktikanten akut garnicht um Kritik geht, sondern darum,Praxiswissen und -erfahrungen zu eruieren,die etwa darin liegen könnten, daß )IFamiliein Tieren« bloß als ein Teil eines Finanzierungs-Bewilligungs-Rituals anzusehen ist,hat er Schwierigkeiten, derartige Fragen zustellen. Außerdem ist zu bedenken, daß daszu problematisierende Wissen ja meist wissenschaftsförmig daherkommt, so daß eineProjektkonzeption, die Praxisforschung mitinhaltlicher und funktionaler Psychologiekritik verbindet, hier auf Widerstand stoßenkann.Wir haben deshalb das Konzept entwickelt,Praxiswissen und -erfahrung der Praktikergegebenenfalls aus deren aktiver Kritik amPraktikanten zu entwickeln, indem diePraktikanten aus ihrer Sicht Handlungsvorschläge machen und um deren Beurteilung bitten. Damit ist in gewisser Weisedie Kritiksituation umgedreht. Dies istnatürlich kein Patentrezept, kann aber dieGesprächssituation gelegentlich entspannen. Eine weitere Möglichkeit in diesemZusammenhang ist, danach zu fragen, wiees ))andere« machen, und dies beurteilenzu lassen.Im folgenden will ich einige Überlegungenzur Verbesserung der Diskussions-kulturim Projekt darstellen, die uns wegen dergeschilderten Dynamiken in Verbindungmit der Situation konkurrierenderHypothesen zur Aufschlüsselung problematischer Praxissituationen wesentlicherscheinen.Gerade angesichts des Umstandes, daß
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die Praktika in unterschiedlichen Bereichen psychologischer Praxis stattfindenund die Berichte entsprechend an Studierende gegeben werden, die in anderenBereichen arbeiten, ist es wichtig, daß dieDarstellenden für sich einige allgemeineFragen der Strukturierung ihres Berichtsklären; zum Beispiel:
Welche Probleme stehen für mich im Vordergrund?
Was habe ich im Praktikum für mich lernen können, was kann ich daraus für meine Darstellung lernen?
Wozu können die anderen bei der Klärungbeitragen, welche Informationen benötigen sie dazu?
Auf welche Probleme bin ich bei demVersuch, Praxiswissen zu explizieren, gestoßen? In welche Probleme bin ich seiber bei meinen Praxisversuchen geraten?
Beispiele hierfür sind: Verschweigen problematischer Sachverhalte; »theoretisierende« Stilisierung von Unsicherheit alsOffenheit; )) Klassifizieren«, also Glattbügeln der Vielfalt der Realität in psychologischen Begriffen; Verdinglichung, PersonaIisierung, Vereigenschaftung; Abstumpfen, blinde Routine (als Gegenpol zur obenerläuterten Routine-Funktion im Umgangmit Zeit); Konkurrenz, Kollegenabwehr; Bewältigung psychologischer Arbeitsanforderungen durch » Komplexduselei « (stattAnalyse), Problemverflüchtigung, Nivellierung und Unentscheidbarkeitsargumentation (statt auf beantwortbare Fragen underfüllbare Aufträge zu dringen); Reden inDefiziten statt in Möglichkeiten der Betroffenen, was mit deren Selbstbild undder Funktion, die es für sie hat, harmonisieren kann.
Wie und warum bin ich zu den Annahmen
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SUBJEK1WISSENSCHAFTLICHE ÜBERLtGiJHGN•••
gekommen, die in meiner Darstellungstecken, welche Annahmen habe ich ausgeschlossen oder verworfen?
Gerade der letzte Aspekt, die gegenwärtigen Annahmen und Theoriebildungen alsaus alternativen Möglichkeiten herauskristallisiert darzustellen, ist für die Diskussionzentral. Erstens wird dadurch der Erkenntnisweg transparenter und gegen platte Eindeutigkeit geschützt, wie sie oft anamnestisch formulierte vereindeutigte Biographien bestimmt, die scheinbar alternativund umweglos in die schließliche Katastrophe münden. Zweitens erspart die Schilderung verworfener Alternativen der Diskussion, daß diese seitens der anderen Diskutanten - zeitlich aufwendiger und wenigerelaboriert - eingeführt werden. Die Aufnahme verworfener Alternativen in dieDarstellung hat auch den Vorteil, daß derDarstellende weniger leicht in eine sich seiber als Subjekt ausklammernde Darstellungverfällt und eher dazu in der Lage ist, miteigenen Befindlichkeiten vermittelte Datenbezüge herzustellen.Für die Strukturierung Le.S. fallbezogenerDarstellungen hat G. Ulmann (1994) ein FallPortrait entworfen, das aus der Auswertungvon vermeidbaren Nachfragen der Zuhörerentstanden ist und der Entwicklung einersubjektwissenschaftlichen Kasuistik dienensoll. Es ist in sechs Abschnitte gegliedert(welche selber differenzierte Fragen enthalten):
Angaben
1. zur Person des Betroffenen
2. dazu, wie man als Psychologe mit derAufgabe betraut wurde
3. wie von wem welches Problem genanntund welche Aufgabe gestellt wird
4. welche Diagnose der Psychologe stellteund wie sich diese entwickelte und bewährte
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MOROS MARKARO & CHRISTINA KAINDL
5. welche Problemlösungsvorschläge vonanderer Seite gemacht werden
6. welche Problemlösungsversuche derPsychologe mit welchem (derzeitigen) Ergebnis unternommen hat.
Wichtig für die Nachvollziehbarkeit von Darstellungen und die Strukturierung theoretisch kontroverser Diskussionen darübersind die darin enthaltenen Datenbezüge, diewir - nach den Vorschlägen aus dem ProjektSUFKI (Markard 1985, 109 ff) in Datenfunktionen (1. primär-fundierend, 2. sekundärfundierend, 3. stützend-konkretisierend und4. veranschaulichend) und Datenmodalitäten (1. Realbeobachtung, 2. allgemeineBeobachtbarkeit, 3. Objektivation) unterscheiden. Dabei geht es nicht darum, dieDaten einfach ihnen äußerlich gegenüberstehenden Konzepten zu subsumieren,sondern die Konzepte sollen dazu dienen,gegenüber dem Chaos der verfügbarenDaten Möglichkeiten zur Strukturierung derDiskussion und damit der Theoriebildung zuhaben.
Primär-fundierende Daten sind diejenigenDaten, ohne die der problematische Sachverhalt nicht verständlich werden kann. Inihnen kommt in gewisser Weise auch dieWiderständigkeit der Realität zum Ausdruck, um derentwillen die Theoriebildungüberhaupt erforderlich ist. Es sind diejenigen Daten, die die oben eingeführteSchlüsselkonstellation direkt beschreibenund die noch danach differenziert werdenkönnen, ob sie sich auf institutionelle Sachverhalte, auf theoretische Denkfiguren oderauf interpersonelle Konstellationen beziehen; weil mit dem unterschiedlichenGewicht solcher Daten auch unterschiedliche Akzente in der Theorienbildung unddamit auch der Gewinnung von Handlungsmöglichkeiten verbunden sind.Sekundär-fundierende Daten meinen Änderungen in der Datenlage und damit in derPrämissenlage bei zeitlich längerer Erstrek-
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kung des problematischen Sachverhalts(wenn der Praktiker z.B. einen anderen Vorgesetzten bekommt. der andere Erwartungen stellt, oder das Kind, dessen Familienbeziehungen als problematisch diskutiertwurden, in ein Heim kommt).
Als stützend-konkretisierend werden Datenbezeichnet, die die Hypothese, die aufGrundlage der primär-fundierenden Datengebildet wurden, zusätzlich in der Realitätverankern. Es sind weitere Daten, die z.B.mit der Kenntnis des Arbeitszusammenhangs des Praktikers zur Verfügung stehenund mit denen fundierende Daten angereichert werden können. In gewisser Weisewird das aus analytischen Gründen eingegrenzte Handlungsproblem wieder auf denumfassenden Arbeitszusammenhang zurückgezogen. Die zweite Funktion stützendkonkretisierender Daten ergibt sich daraus,daß Theorienbildung keine logische Deduktion ist. sondern notwendig ))freie« Momente enthält: Dies ist einer der Gründe fürdas Zustandekommen konkurrierender Theorien und unterschiedlicher Gewichtungenvon Sachverhalten in den jeweiligen Theorien. An der Funktion stützend-konkretisierender Daten ist aber auch das allgemeinere und pragmatische Moment der Theorienbildung hervorzuheben, daß dem brainstormartigen Prozeß, in dem der chaotischeDatenpool Konturen gewinnen soll, zunehmend eine datenbezogene Begründungspflicht der vorgetragenen Hypothesen folgen muß, sowohl. was die Funktion derDaten angeht, auf die man sich bezieht, alsauch deren Reichhaltigkeit.
Veranschaulichende Daten sind schließlichsolche, die der Verständigung in der Diskussion über die Hypothesenbildung dienen- weitere Beispiele also, die auch wegfallenkönnten, ohne daß die Hypothese substantiell an empirischer Verankerung verlöre.Bezüglich der Datenmodalitäten meint derModus der Realbeobachtung raumzeitlichkonkrete, sozusagen Protokollaussagen un-
JOURNAL FÜR PSYCHOLOGIE
ter Beteiligung des Berichtenden am berichteten Ereignis. Hier ist bei unterschiedlichen personellen Berichtsquellen und -formen zu differenzieren, wer in welcher Formund in welcher Situation welche Dingeberichtet.Der Modus der allgemeinen Beobachtbarkeit - allgemein hier verstanden im Sinnevon llverbreitet« oder llcommon sense« muß jederzeit in den Modus der Realbeobachtung zu überführen sein. Er hat in unserem Zusammenhang erhebliches Gewichtund drei mögliche Bedeutungen:
1. Die Darstellungen enthalten immer auchDeutungen, sind auch bestimmt durch dieWelt- und Selbstsicht, den theoretischenund beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen ähnlicher Probleme, vor allem da,wo die Schilderungen, aus welchen Gründen auch immer, Leerstellen enthalten.
2. Eine kritische Funktion gegenüber klischeehaften Darstellungen. In der psychologischen Berufspraxis kursieren zahllosePraxistheorien, Supervisionen werden angeboten und Deutungen ausgetauscht, diezu klischeehaften Selbstsubsumtionen derPsychologen führen können und die beispielsweise entlastenden, oder die eigenePerson anderweitig erhöhenden Charakterhaben.
3. Die Differenzierung von alltäglich Beobachtbarem und wissenschaftlicher oder subjektwissenschaftlicher Verallgemeinerung.Hier ist zu beachten, daß das Vorkommenvon Ereignissen - wie verbreitet sie auch zubeobachten sind - noch keinen subjektwissenschaftlichen Strukturzusammenhang darstellt. Andernfalls wird der Modus der allgemeinen Beobachtbarkeit unter der Hand zueinem hypothetischen Häufigkeitsdenken.
Der Modus der Objektivation schließlichbezieht sich auf Daten wie etwa Gutachtentexte, die mit Berichten über die Gutachtenpraxis ins Verhältnis gesetzt werden kön-
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SUBJEKTWlSSENSCHAFTlICHE UBI=RU~~IN~IN;;.
nen. Darüber hinaus sind etwa Gutachtendurchaus Gegenstand eigenständiger(Sprach-)Analysen.Die Relevanz dieser auf die Darstellung inPraxisberatung und Plenum bezogenen Datenfunktionen und -modalitäten für die Projektarbeit ergibt sich, wenn man sich klarmacht, daß die Darstellungen das zentraleFundament der Diskussionen darstellenund die Diskussionen wiederum wesentliches Mittel der Theorienbildung im Projektdarstellen. Die Konzepte von Datenfunkti0nen und -modalitäten haben dabei dieDiskussionen zu strukturieren - und zwarvor allem unter dem Gesichtspunkt des indie Theorienbildung eingehenden TheorieEmpirie-Verhältnisses.Die hier untef dem Gesichtspunkt verschiedener methodischer Konzepte dargelegteund auf Erfahrungen in den Praktika bezogene Theoriebildung ist insoweit mit derReinterpretation akademischer und klinischer Theorien verbunden, wie diese in derKonzeption der Institution und der Argumentation des Praktikers, in der bzw. beidem das Praktikum absolviert wird, eineRolle spielen. Psychologische Theoriengehören zu den Prämissen praktisch psychologischen Handeins und sind insoweit auch Gegenstand unserer Projektarbeit.
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