Zur Abwägung von Menschenleben – Gedanken zur Leistungsfähigkeit der Verfassung
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Zusammenfassung: Der Staat steht regelmä-ßig vor der Aufgabe, Interessen gegeneinander abzuwägen. Die Leistungsfähigkeit einer Ver-fassung beruht zu einem guten Teil darauf, Vor-gaben für die Abwägung bereit zu stellen, was auch Fragen zur Abwägung von Menschenleben mit umfasst. Konkret wurde die Abwägung von Menschenleben im Zusammenhang mit dem Abschuss eines entführten Flugzeugs diskutiert. Anders als in Fällen, in denen der Staat nur in-direkt über Menschenleben entscheidet (zB bei der Frage, wie viel in die Verkehrssicherheit in-vestiert werden soll), herrscht bei direkten Ent-scheidungen weitgehende Zurückhaltung bei der Abwägung von Menschenleben. Die Ansicht, dass 1 Menschenleben nicht verloren gehen darf, um 2 Menschenleben zu retten, soll hinterfragt werden. Der Beitrag diskutiert, welche Erwä-gungen gegen ein Eingreifen des Staates den-noch angeführt werden können und geht auf die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Grundlagen ein.
Deskriptoren: Flugzeugabschuss · Menschenwürde · Ökonomische Analyse des Rechts
Rechtsquellen: Art 2, 3 EMRK
I. Einleitung
Der Staat steht regelmäßig vor der Aufgabe, Interessen gegeneinander abzuwägen.1 Er hat etwa zu entscheiden, wie viel an Steuergelder in die Bildung, in die Landesverteidigung, in das Gesundheitswesen etc investiert werden soll. Da Mittel, die in einen Sektor laufen, nicht mehr in einen anderen Sektor investiert werden können, ist ein Vergleich bzw eine Abwägung vorzuneh-men. Fälle der Interessenabwägung sind oft in der Verfassung angelegt, wie etwa bei der Frage, ob die Kunstfreiheit der Religionsfreiheit vor-geht, inwieweit aufgrund von Sicherheit in die Privatsphäre eingegriffen werden darf, oder ob bei einer Versammlung eine Gegendemons-tration zulässig ist. Besonders umstritten sind Abwägungsfragen, bei denen es um Menschen-leben geht, wie etwa beim Abschuss eines ent-führten Flugzeugs,2 das hier als Paradebeispiel dienen soll. Die grundrechtliche Leistungsfä-higkeit einer Verfassung basiert zu einem guten Teil darauf, Interessenabwägungen vornehmen zu können.
Als verfassungsgesetzliche Anknüpfungs-punkte für die Abwägung von Menschenleben dienen das Recht auf Leben, das Legalitäts-prinzip und der Gleichheitssatz. Auch wenn in der österreichischen Verfassung die Menschen-würde nicht explizit als Grundrecht genannt ist,
1 Siehe zur Abwägungsperspektive Ladeur, Kritik der Abwägung in der Grundrechtsdogmatik (2004).2 BVerfG, 1 BvR 357/05 v 15.2.2006; siehe auch Beze-mek, Unschuldige Opfer staatlichen Handelns, JRP 2007, 121 ff; Eberhard, Recht auf Leben, in: Heißl (Hrsg), Hand-buch Menschenrechte (2009) 80 (87 f).
Journal für RechtspolitikDOI 10.1007/s00730-011-0006-3
Forum
Kristoffel Grechenig · Konrad Lachmayer
Zur Abwägung von Menschenleben – Gedanken zur Leistungsfähigkeit der Verfassung
© Springer-Verlag 2011
Wir danken Harald Eberhard, Claudia Fuchs und Christoph Konrath für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise. Für den Inhalt und Fehler bleiben selbstverständlich die Autoren verantwortlich.
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so ist die Bedeutung der Menschenwürde für die österreichische Verfassung anerkannt, wobei ein grundrechtlicher Rückbezug von Menschen-würde-Überlegungen eingefordert wird.3 Die Grenzen verfassungsrechtlicher Argumentation zeigen den Spielraum für wertbezogene Kon-zepte. Ökonomische bzw konsequentialistische Argumente können hier eingebracht werden.
II. Bekannte Probleme bei der Abwägung von Menschenleben
Der Staat hat zu entscheiden, ob er weitere Res-sourcen für die Verkehrssicherheit aufwendet, um ein zusätzliches Menschenleben zu retten. Es stellt sich die Frage, ob diese Investition getätigt werden soll, wenn die Reduktion um einen Verkehrstoten € 10.000,-, € 100.000,- oder € 1.000.000,- kostet?4 Konsens besteht über die Tatsache, dass nicht schlicht die Anzahl der Verkehrsunfälle minimiert, das heißt so weit wie möglich reduziert werden soll. Eine Mini-mierung der Verkehrsunfälle wäre etwa durch ein generelles Autofahrverbot zu erreichen, wodurch die Anzahl der Verkehrstoten auf Null sinken würde. Dies wäre allerdings nicht kon-sensfähig. Vielmehr werden die verschiedenen Vor- und Nachteile berücksichtigt, wie etwa die Tatsache, dass das Autofahren die Mobili-tät erhöht. Dass es hierbei zu einer (impliziten) Abwägung von Menschenleben kommt, wird oft nicht offen ausgesprochen. Staatliches Handeln umfasst die Bewertung von Menschenleben auch bei Fragen des Gesundheitswesens, zB bei der Frage, ob weiter in die Sicherheit von Kranken-häusern investiert werden soll; der finanziel-len Ausstattung der Polizei, zur Abschreckung von Mord und anderen Tötungsdelikten, etc. Die Frage ist dabei nicht, ob der Staat derartige Bewertungen vornehmen soll, sondern wie sie vorzunehmen sind.5
Besonders kontrovers diskutiert werden staatliche Regeln, die unmittelbar bzw direkt über Menschenleben entscheiden. Das betrifft etwa die Frage, wer ein lebensnotwendiges
3 Siehe differenzierend Kneihs, Schutz von Leib und Leben sowie Achtung der Menschenwürde, in: Schäf-fer (Red), Grundrechte in Österreich, Bd VII/1 (Merten/Papier [Hrsg], Handbuch der Grundrechte in Deutsch-land und Europa [2009]) 137 (159 ff); siehe auch Bezemek (FN 2) 126.4 Vgl Grechenig/Gelter, Juristischer Diskurs und Rechts-ökonomie, JRP 2007, 30 ff (36).5 Broome, Weighing Lives (2004) 1 ff.
Organ erhalten oder an ein lebensnotwendiges, medizinisches Gerät angeschlossen werden soll, wenn in einem konkreten Fall nicht alle Patien-ten vorsorgt werden können, ob und in welchem Rahmen Forschung an Menschen erlaubt ist, in welchem Umfang der Gebrauch von Schuss-waffen durch die Polizei, etwa im Rahmen einer Entführung, zulässig ist. Insbesondere außer-halb Europas wird in diesem Zusammenhang unter anderem die Todesstrafe diskutiert.6 Trotz des absoluten Folterverbots gem Art 3 EMRK wurden und werden auch in Europa Fragen der Androhung und Anwendung von Folter öffent-lich debattiert.7
Zu einer Abwägung von Menschenleben muss es auch kommen, wenn durch den Abschuss eines entführten Flugzeugs potenzielle Opfer eines Terroranschlags gerettet werden können. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat es in diesem Zusammenhang als „schlechterdings unvorstellbar“ bezeichnet, vor dem Hintergrund des Grundgesetzes Unschuldige vorsätzlich zu töten.8 Diese Ansicht setzt unter anderem einen absoluten Vorrang des Menschenlebens vor-aus. Danach wäre es unerheblich, ob ein Men-schenleben um fünfzig Jahre, ein Jahr, eine Stunde oder wenige Sekunden verkürzt wird. Gleichzeitig wäre es unerheblich, wie viel eines anderen Wertes dadurch gerettet werden kann. Streng genommen dürfte ein Menschenleben auch nicht um eine Sekunde verkürzt werden, wenn dadurch die gesamte restliche Menschheit gerettet werden könnte. Es zeigen bereits weit weniger extreme Fälle, dass anerkannte Prakti-ken von keinem absoluten Vorrang ausgehen; so
6 ZB Donohue/Wolfers, Uses and Abuses of Empirical Evidence in the Death Penalty Debate, Stanford Law Review 2005, 791 ff.7 Siehe zur Diskussion im Fall Daschner: Götz, Das Urteil gegen Daschner im Lichte der Werteordnung des Grund-gesetzes. Anmerkung zu LG Frankfurt, U v 20.12.2004 – 5/27 KLs 7570 Js 203814/03 (4/04), NJW 2005, 953; Erb, Notwehr als Menschenrecht – Zugleich eine Kritik der Entscheidung des LG Frankfurt am Main im „Fall Daschner“, NStZ 2005, 593; Herzberg, Folter und Men-schenwürde, JZ 2005, 321; Schmahl/Steiger, Völker-rechtliche Implikationen des Falls Daschner (zugleich Anmerkung zu LG Frankfurt, U v 20.12.2004 – 5/27 KLs 7570 Js 203814/03 (4/04), AVR 2005, 358; Braum, Ero-sionen der Menschenwürde. Auf dem Weg zur Bundes-folterordnung (BFO)? Anmerkung zu LG Frankfurt, U v 20.12.2004 – 5/27 KLs 7570 Js 203814/03 (4/04) – (Fall Daschner), KritV 2005, 283; Jerouschek, Gefahrenab-wehrfolter – Rechtsstaatliches Tabu oder polizeirechtlich legitimierter Zwangseinsatz?, JuS 2005, 296; C. Jäger, Das Verbot der Folter als Ausdruck der Würde des Staates, in: Herzberg-FS (2008) 539; EGMR, 10.4.2007, BeschwNr 22978/05 (Fall Daschner) = NJW 2007, 2461.8 BVerfG (FN 2) Abs-Nr 130.
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wird etwa nicht vom Personal eines Kranken-hauses verlangt, an einem Tag doppelt so lange zu arbeiten, wenn dadurch das Leben eines ein-zigen Patienten um wenige Minuten verlängert werden könnte. Dass eine solche „lexikalische Ordnung“, bei der ein Wert anderen Werten absolut vorgeht, zu problematischen Ergebnis-sen führt, wird in der Philosophie auch von Ver-tretern anerkannt, die sich annäherungsweise einer solchen lexikalischen Ordnung bedienen. So bezeichnet es etwa Rawls, der von einem sol-chen Vorrang der Grundfreiheiten ausgeht, als „klar“, dass eine lexikalische Ordnung streng genommen nicht korrekt sein kann.9
Es ist klar, dass ein optimales und allgemein anerkanntes Ziel die Abwägung von Interessen impliziert. Das gilt auch im Zusammenhang mit den an der Universitätsklinik Mainz bekannt gewordenen Fällen von tödlich infizierten Babys. In Österreich sterben jährlich schätzungsweise etwa 2.500 Menschen an multiresistenten Kran-kenhauskeimen;10 gemäß der Apothekervereini-gung könnten es bis zu 4.800 pro Jahr sein (bei jährlich 55.000 Infektionen insgesamt).11 Eine Reduktion dieser Zahlen scheint unter Berück-sichtigung der nötigen Aufwendungen wahr-scheinlich sehr wünschenswert, insbesondere wenn man bedenkt, dass ein Teil der Infektio-nen durch Nachlässigkeiten bei der Desinfektion durch das Krankenhauspersonal hervorgerufen wird, wobei wegen des Zeitdrucks womöglich mehr Personal eingestellt werden müsste. Aus politischen Gründen mag es auch sinnvoll sein, eine so umfangreich wie mögliche Reduktion zu verlangen, um einen entsprechenden Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben. Gleichzei-tig ist klar, dass eine Reduktion der tödlichen Infektionen auf Null nicht finanzierbar wäre bzw dass eine Finanzierung andere Nachteile bringt, die noch weniger gewünscht werden.
Ähnlichen Überlegungen unterliegen auch Individuen, wenn sie alleine über sich selbst zu entscheiden haben. Sie entscheiden sich etwa für ein Verkehrsmittel, bei dem die Wahrschein-lichkeit eines tödlichen Unfalls höher liegt als bei einem alternativen Verkehrsmittel; für das
9 „… it seems clear that, in general, a lexical order cannot be strictly correct …“, Rawls, A Theory of Justice (rev ed [1999]) 40.10 http://www.forumgesundheit.at („Tödliche Keime“).11 http://www.apotheker.or.at („Apothekertagung: 55.000 Spitalsinfektionen pro Jahr in Österreich“, APA Meldung von der Fortbildungstagung für ApothekerInnen, Saal-felden am 4.3.2009). Es wird eine Bandbreite von 240 bis 4.800 Fällen angegeben.
Rauchen, obwohl dadurch die Lebensdauer verkürzt wird; für eine bestimmte Ernährung unter Abwägung von Geschmack und Gesund-heit; insgesamt für einen bestimmten Lebensstil. Bei den dabei getroffenen, mehr oder weniger bewussten Abwägungen wird auch der Wert des eigenen Lebens berücksichtigt.
III. Verfassungsrechtliche Ausgangslage
A. Zur Zulässigkeit staatlicher Eingriffe in Menschenleben
Die staatlichen Eingriffe in Menschenleben sind in einer (innerstaatlichen) Rechtsordnung durch die Rahmenbedingungen der Verfassung begrenzt. Es werden absolute Schranken aufge-stellt, Bedingungen genannt und Abwägungs-mechanismen verfassungsgesetzlich eingeführt. Die Menschenrechtsordnung determiniert pri-mär die Zulässigkeit eines verfassungskonfor-men Eingriffs in Menschenleben. Aufgrund der Grundrechtskonzeption in Österreich sind im Rahmen der grundrechtlichen Schrankendog-matik auch demokratische und rechtsstaatliche Erwägungen zu berücksichtigen.
Primärer Anknüpfungspunkt ist Art 2 EMRK, dessen erster Satz einen Gesetzesvor-behalt statuiert: „Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt.“ Der Schutzbereich des Art 2 Abs 1 EMRK wird durch die Ausnahmen gem Art 2 Abs 2 EMRK nicht eingeschränkt. Im Gegenteil, im Rahmen des Schutzbereiches des Art 2 Abs 1 1. Satz wird durch Art 2 Abs 2 EMRK ein materieller Grund-rechtsvorbehalt formuliert, der unter Geset-zesvorbehalt und unter den Bedingungen der Verhältnismäßigkeit steht.12 MaW, die „unglück-liche Formulierung“13 des Art 2 Abs 2 EMRK wird in einer Weise interpretiert, die der Ver-hältnismäßigkeitsprüfung der Art 8-11 EMRK entspricht sowie einen Gesetzesvorbehalt gem Art 2 Abs 1 iVm Art 2 Abs 2 EMRK vorsieht.14 Interpretativer Anknüpfungspunkt bleibt die „unbedingte Erforderlichkeit“ des Art 2 Abs 2 EMRK. In österreichischer Perspektive wird der Gesetzesvorbehalt durch Art 18 B-VG als
12 Siehe Eberhard (FN 2) 90.13 Frowein, Art 2, in: Frowein/Peukert (Hrsg), EMRK-Kommentar3 (2009) 36.14 Kneihs, Art 2 EMRK, in: Rill/Schäffer (Hrsg), Kommen-tar zum Bundesverfassungsrecht (4. Lfg 2006) Rz 22.
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rechtsstaatliche Vorgabe verstärkt und auch der Zusammenhang zur Demokratie hergestellt.
Der Gesetzesvorbehalt wird damit auch für den Fall des Flugzeugabschusses zum relevan-ten Kriterium der Zulässigkeit. Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage fehlt in Österreich eine spezifische ausdrückliche Rechtsgrund-lage. Im WaffengebrauchsG findet sich gem § 7 leg cit die Möglichkeit zu einem mit Lebensge-fährdung verbundenen Gebrauch einer Waffe ua im Rahmen von gerechter Notwehr zur Verteidi-gung eines Menschen. Wenn in diesem Fall unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, die gem § 8 leg cit konkretisiert wird, ein finaler Todesschuss legitimiert werden kann, so ist damit jedenfalls keine gesetzliche Grundlage für einen Flug-zeugabschuss gegeben. Auch andere Bestim-mungen – etwa nach dem MBG – stellen nach bestehender Rechtslage keine dem Art 18 B-VG entsprechende gesetzliche Grundlage für einen Flugzeugabschuss in Österreich zur Verfügung.15 Von der verfassungsgesetzlichen Unzulässigkeit eines staatlichen Flugzeugabschusses in Öster-reich ausgehend lässt sich aus ökonomischer Perspektive dennoch hinterfragen, welche Abwä-gungsentscheidungen mit einem solchen Flug-zeugabschuss verbunden sind. Überdies trifft der Gesetzgeber auch durch die gesetzliche Nicht-Regelung dieses Falles eine Entscheidung in Hinblick auf den staatlichen Flugzeugabschuss. Die fehlende Gesetzesgrundlage sagt schließlich nichts darüber aus, ob im Ernstfall nicht doch ein Flugzeugabschuss vorgenommen wird und wel-che die rechtlichen Konsequenzen sind; sie wirkt sich jedenfalls aufgrund des daran gekoppel-ten rechtlichen Sanktionsregimes vielschichtig aus. So wäre ein solches Handeln nicht nur ohne gesetzliche Grundlage und damit verfassungs-widrig, sondern es erfüllt den strafrechtlichen Mordtatbestand und hätte disziplinarrechtliche Folgen. Die operative Umsetzung wäre auch auf-grund der Ungültigkeit jeglicher Weisung gem Art 20 Abs 1 B-VG erschwert. All diese verfas-sungsgesetzlichen sowie einfachgesetzlichen Kautelen ändern aber nichts daran, dass die zuständigen Personen im Ernstfall eine Entschei-dung treffen müssten. Dabei wird durch die Ver-fassungswidrigkeit des Flugzeugabschusses die konkrete Abwägung Einzelner zumindest teil-weise gesteuert. Letztlich müssen diese die Kon-sequenzen eines derartigen Abschusses tragen.
15 Siehe auch Kneihs, Terrorabwehr: Darf der Staat wirk-lich Schuldlose töten?, Die Presse 6.3.2006, 6 (http://www.diepresse.com).
Die verfassungsrechtlichen, strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Sanktionsmechanismen führen in weiterer Folge wiederum dazu, dass zu guter Letzt die Gerichte eine Entscheidung treffen müssen, ob etwa entschuldigende Gründe vorgelegen haben oder nicht. Auch hier spie-len Abwägungsentscheidungen eine relevante Rolle. Zusammenfassend ist nach der bestehen-den Rechtslage der staatliche Flugzeugabschuss verfassungswidrig. Durch das Fehlen einer dies-bezüglichen Regelung hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen. Im konkreten Einzelfall muss die Verwaltung ebenfalls eine Abwägungs-entscheidung treffen und müssen schließlich die Gerichte nochmals darüber befinden.
B. Diesseits und jenseits der Menschenwürde-Argumentation
1. Menschenwürde in der österreichischen Verfassung
Die rechtliche Ausgangssituation in Österreich ist von der deutschen Verfassungs- und Rechts-lage zu differenzieren. Wie bereits erwähnt, fehlt es der österreichischen Verfassung an einer expliziten Verankerung der Menschen-würde. Die trotzdem zulässige Menschenwür-deargumentation erfolgt daher im Rahmen und nicht unabhängig von den positivierten Grund-rechten.16 Damit erfolgt der Einstieg in die Fragestellung des finalen Todesschusses oder des staatlichen Flugzeugabschusses über Art 2 EMRK. Ein Ausschluss einer Verhältnismäßig-keitsprüfung im Rahmen der diesbezüglichen Menschenwürdefrage lässt sich nicht rechtfer-tigen. Im Gegenteil, die Zulässigkeit des staat-lichen Eingriffs hängt davon ab, dass dieser „unbedingt erforderlich“ ist. In Abgrenzung von diesem Fallbeispiel zeigt das Folterverbot gem Art 3 EMRK, dass auch die österreichische Grundrechtsordnung der Menschenwürde abso-luten Wert zuschreibt. Das Folterverbot, das die Menschenwürde auch zum Ausdruck bringt, kann nicht eingeschränkt werden. Durch die fehlende, gesetzliche Grundlage wird in Öster-reich der staatliche Flugzeugabschuss mit einem absoluten Verbot ausgestattet. Dies soll an dieser Stelle die Auseinandersetzung mit verfassungs-rechtlichen Abwägungsfragen nicht verhindern, die sich nur de lege ferenda stellen würden.
Die Menschenwürde wird also in Art 2 EMRK zu einem abwägbaren Element im Rahmen der
16 Kneihs (FN 3) 159 ff; siehe auch Bezemek (FN 2) 126.
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Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die an dieser Stelle vorzunehmende Abwägung bezieht sich auf die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Ein-griffs und berücksichtigt (nur zT) die allfälli-gen Schutzpflichten des Staates zum Schutz von Menschenleben.
2. Einfachgesetzliche Abwägungsentscheidungen auf menschenrechtlicher Basis
Als Ausgangspunkt können der finale Todes-schuss und die in §§ 7 f WaffengebrauchsG vorgesehen Abwägungskriterien dienen,17 die wiederum auf den Grundausnahmen des Art 2 Abs 2 EMRK beruhen. Neben den Einschränkun-gen des lebensgefährdenden Waffengebrauchs auf Fälle der Notwehr, der Unterdrückung eines Aufstandes und der Erzwingung einer Festnahme werden weitere Kriterien der Ver-hältnismäßigkeit aufgestellt. Der finale staatli-che Todesschuss darf dabei nur erfolgen, wenn dieser angedroht wurde (etwa in Form eines Warnschusses). In dieser Konstellation trifft der Staat eine Entscheidung über Menschenle-ben gegenüber dem Angreifer (also einer Person oder Menschenmenge, von der eine bestimmte Gefahr ausgeht). Dem entspricht § 8 Abs 2 1. Teil WaffengebrauchsG, der vorsieht, dass der Todesschuss nur zulässig ist, wenn voraussicht-lich Unbeteiligte nicht gefährdet werden.
Eine Abwägung von Menschenleben nimmt allerdings der zweite Teil dieser Bestimmung in Form einer wesentlichen Einschränkung vor: „es sei denn, daß er [der lebensgefährdende Waf-fengebrauch, durch den Unbeteiligte gefährdet werden, Anm] unvermeidbar scheint, um eine Menschenmenge von Gewalttaten abzuhalten, durch die die Sicherheit von Personen mittelbar oder unmittelbar gefährdet wird.“18 Hier werden zwei Menschengruppen voneinander unterschie-den. Die Menschenmenge, die zu Gewalttaten bereit ist, bezieht uU eben auch Personen mit ein, die schützenswert wären. Dennoch wird die Polizei zum finalen Todesschuss ermäch-tigt, um Gewalttaten zu verhindern, durch die die Sicherheit von anderen Personen gefährdet wird. Auch wenn § 8 WaffengebrauchsG nicht als gesetzliche Grundlage iSd Art 18 B-VG für einen Flugzeugabschuss dient, so werden hier
17 Siehe auch §§ 16 ff MBG, insb § 19 MBG.18 Die entspricht Art 2 Abs 2 lit c EMRK. Siehe dazu Gra-benwarter, EMRK4 (2009) 139.
doch auch Menschenleben durch den Gesetzge-ber abgewogen.
Noch näher am Flugzeugabschuss sind die Bestimmungen des Militärbefugnisgesetzes, das sich mit militärischem Eigenschutz gem § 2 MBG beschäftigt, also dem Schutz vor drohenden und zur Abwehr von gegenwärtigen Angriffen gegen militärische Rechtsgüter.19 Auch wenn damit das typische Szenario des staatlichen Flugzeug-abschusses bereits vom Ansatz ausgeschlossen ist („da sich der terroristische Angriff zumeist gegen zivile Einrichtungen richtet“)20, sind die diesbezüglich vorgesehenen gesetzlichen Rege-lungen zum lebensgefährlichen Waffengebrauch ebenso aufschlussreich. Als Befugnis des Wach-dienstes dürfen militärische Organe gem § 6a MBG Angriffe gegen militärische Rechtsgü-ter beenden, wobei gem § 16 Abs 1 MBG diese Befugnis auch mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchgesetzt werden darf. Diese unmittelbare Zwangsgewalt umfasst gem § 17 Z 3 MBG wie-derum Waffen, deren Gebrauch § 18 MBG all-gemein regelt. All diese Bestimmungen laufen schließlich auf § 19 MBG hinaus, der den lebens-gefährdenden Waffengebrauch regelt. Auch hier gelten in Anlehnung an § 8 WaffengebrauchsG Einschränkungen auf konkrete Gefährdungs-fälle sowie das Gebot der Androhung. Ebenso findet sich in § 19 Abs 3 MBG, die Regelung, dass bei Gefährdung der Sicherheit von Personen die Gefährdung Unbeteiligter iZm Menschenmas-sen zulässig ist. Überdies sieht § 19 MBG zwei weitere Ausnahmen vor: Zum einen bei schwer-wiegender Gefahr für das Leben einer Person, die „nur durch sofortigen Waffengebrauch abge-wendet werden kann und dieser den Umständen [!] nach verhältnismäßig ist“ (Abs 4 leg cit) sowie zum anderen, dass „während eines Einsatzes21 im Einsatzraum von den Voraussetzungen nach Abs 1 bis 3 insoweit abgewichen werden [darf], als dies für die Erfüllung des Einsatzzweckes unerlässlich ist,“ (Abs 5 leg cit). Zusammenfas-send ist daher die Abwägung von Menschen-
19 Siehe auch § 6 MBG sowie N. Raschauer/Wessely, MBG-Kommentar2 (2007) 53 ff.20 Allerdings fällt unter militärische Rechtsgüter gem § 1 Abs 7 MBG nicht nur das Leben und die Gesundheit von Personen, die mit der Vollziehung militärischer Angele-genheiten betraut sind, sondern auch das Leben und die Gesundheit von Organwaltern verfassungsmäßiger Ein-richtungen, sofern deren Schutz jeweils im Rahmen der militärischen Landesverteidigung zu gewährleisten ist.21 Als Einsatz gilt gem § 1 Abs 9 MBG „ein Einsatz des Bundesheeres zur militärischen Landesverteidigung nach § 2 Abs 1 lit. a des Wehrgesetzes 2001 (WG 2001), BGBl. I Nr. 146“.
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leben in wesentlich mehr Fällen möglich und die Regelung im Gesamten als weitergehend zu qualifizieren. Auch hier zeigt sich abschließend keine gesetzliche Grundlage für einen staat-lichen Flugzeugabschuss, dennoch aber eine deutliche Abwägung von Menschenleben im Ernstfall. Die Regelung des MBG ist – vor allem in ihren Ausnahmen – so allgemein formuliert, dass der Gesetzgeber es dem militärischen Ein-satzkommando im Einzelfall überlässt, die ver-hältnismäßigen Entscheidungen zu treffen.
3. Schutzpflichten in Abwägung?
Neben der Frage des Eingriffs in die Rechte der Einzelnen stellt sich die Frage nach den Schutz-pflichten des Staates gegenüber den Betroffenen, sowohl den vom Flugzeugattentat Betroffe-nen als auch jenen vom staatlichen Flugzeug-abschuss Betroffenen. In beiden Fällen ist der Staat direkt bzw indirekt involviert. Schutz-pflichten gegenüber den von einem Flugzeugat-tentat Betroffenen hat der Staat auf jeden Fall insoweit, als er von dem Attentat weiß und dieses verhindern kann. Diesbezüglich kommen auch andere Mittel als der Abschuss des Flugzeuges in Betracht. Nach dem Urteil des BVerfG kann der Staat jedoch nicht durch die Schutzpflichten gegenüber den vom geplanten Attentat Betroffe-nen den Abschuss des Flugzeuges legitimieren.
Der Eingriff in das Leben des Flugzeuginsas-sen besteht von staatlicher Seite ebenfalls und zwar soweit der Staat Möglichkeiten hat, das Attentat durch die Flugzeugentführer zu ver-hindern. Dies könnte etwa in Form eines Sky Marshalls geschehen, der sich an Bord des Flug-zeuges befindet, oder durch Unterstützung der Flugzeuginsassen per Telefon. Der Flugzeugab-schuss hingegen ist keine Frage der Schutzpflicht gegenüber den Flugzeuginsassen, sondern eine Frage des verhältnismäßigen staatlichen Ein-griffs in das Recht auf Leben. Insoweit ist die Ablehnung Bezemeks von Schutzpflichten gegen-über den Flugzeuginsassen problematisch.22 Die Flugzeuginsassen seien der Gefahr zuzurechnen und ihr Leben damit ohnedies nicht zu retten, weder durch Nicht-Handeln (Flugzeugabsturz) noch durch Handeln (Flugzeugabschuss). Die Frage des Flugzeugabschusses muss in Hin-blick auf die Flugzeuginsassen primär auf den
22 Bezemek (FN 2) 129: „Der Staat hat vielmehr seine Schutzpflicht jenen gegenüber wahrzunehmen, die er ret-ten kann, somit zu retten, was zu retten ist, ohne abzuwä-gen, ohne zu quantifizieren.“
verhältnismäßigen staatlichen Eingriff geprüft werden (Grundrecht als Abwehrrecht) und nicht hinsichtlich der Schutzpflichten des Staa-tes gegenüber den Flugzeuginsassen in Bezug auf die Bedrohung durch Terroristen (Grund-recht als Gewährleistungspflicht). Aus abwehr-rechtlicher Perspektive stellen sich Fragen der Abwägung, da der Eingriff nur verhältnismä-ßig erfolgen darf. An dieser Stelle ist sodann die Argumentation des BVerfG zu hinterfragen, inwieweit die vom Attentat potentiell Betrof-fenen nicht in die Argumentation einbezogen werden dürfen. Betrachtet man die Situation in unterschiedlichen Fällen, so zeigt sich, dass sehr wohl eine Relevanz der potentiell Betroffe-nen besteht. In einem ersten Fall wären von dem potentiellen Flugzeugattentat keine Personen betroffen. Dies wäre dann der Fall, wenn das Flugzeug – aus welchen Gründen auch immer – über dem Meer fliegt und nicht mehr in der Lage wäre, ein Gebäude oder sonstige Einrichtung zu attackieren. In diesem Fall wäre auch der Flug-zeugabschuss nicht zu rechtfertigen, da keine Gefahr mehr für Personen am Boden vorliegt. In einem zweiten Szenario wäre der Tod von ein-zelnen Personen nicht ausgeschlossen, aber der Tod einer größeren Gruppe von Menschen nicht anzunehmen. Diese Situation würde vorliegen, wenn das Flugzeug etwa wegen technischer Pro-bleme bereits sehr tief über dünn besiedeltem Gebiet fliegen würde. Auch in diesem Fall wäre der Flugzeugabschuss nicht zu rechtfertigen, selbst wenn die Gefahr für vereinzelte Personen bestünde, verletzt zu werden. In einem dritten Szenario, das dem Bild entspricht, das allgemein präsentiert wird, kann das Flugzeug eine große Anzahl an Menschen verletzen und damit eine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. In diesem Fall könnte die Notwen-digkeit des Eingriffs aufgrund des Fehlens eines gelinderen Mittels zur Erreichung des Ziels der Verhinderung einer schwerwiegenden konkre-ten und aktuellen Gefahr für die öffentliche Sicherheit den Flugzeugabschuss rechtfertigen.
Die Abwägung von Personen findet daher im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch Qualifikation als schwere Gefahr statt. Bei Verweigerung dieser Abwägung durch das dt BVerfG wird eine Situation geschaffen, in der es der Staat den Terroristen überlassen würde, die Abwägung über Menschenleben zu treffen. Die Schutzpflichten gegenüber der am Boden befindlichen Bevölkerung des Staates – bei Mög-
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lichkeit, das Attentat durch Abschuss zu verhin-dern – könnten verletzt werden.23
4. Rückkehr zur Menschwürde. Die Lehren aus der Folterdebatte
Art 3 EMRK statuiert ein absolutes Folterverbot. Dieses Folterverbot stellt auch einen „Hauptan-satzpunkt für einen grundrechtlichen Schutz der Menschenwürde“24 dar. Die Menschenwürde verbietet die gewaltsame Einwirkung auf die physische und psychische Integrität eines Men-schen.25 Die Verbindung zwischen Folterverbot und Menschenwürde stellt die Frage nach dem Grund des Abwägungsverbots im Rahmen der Folter. Ein zentraler Grund für das absolute Fol-terverbot sind historische, aber auch aktuelle Unrechtserfahrungen bei der Anwendung von Folter, die zeigen, dass eingeschränkte, rationale und verhältnismäßige Folter nicht möglich ist. Eine Kontrolle von Folter ist nicht erreichbar.26
In diesem Sinne ist aber auch bei der gezielten Tötung von unschuldigen Personen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung – und damit auch bei der Zulässigkeit eines Flugzeugabschusses – die Frage nach absoluten Grenzen der Tötung von Menschen zu stellen. Das Recht auf Leben repräsentiert eben auch die Würde des Menschen. Hinter der Argumentation mit der Menschen-würde stehen Bedenken der Unkontrollierbar-keit eines Flugzeugabschusses und die damit verbundenen unabschätzbaren und unkon- trollierten Folgen gezielter staatlicher Tötung Unschuldiger für die Zukunft (Dammbruch).
Diese Kontrollgefahren in der konkreten Situation stellen sich aber auch im Rahmen des Flugzeugabschusses. Während bei der geziel-ten staatlichen Tötung von Personen, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentli-che Sicherheit direkt ausgeht, eine Gruppe klar abgegrenzt und definiert werden kann, ist die Öffnung der staatlichen Handlungsoption zur Tötung Unschuldiger zur Verhinderung einer Terrorgefahr ein Terrain, das schwer abgrenz-
23 Ein grundrechtlicher Anspruch auf eine bestimmte Handlung durch den Staat lässt sich allerdings grund-rechtlich nicht begründen. Siehe Pabel, Sicherheit als Schutzgut in der grundrechtlichen Güterabwägung, in: Lienbacher/Wielinger (Hrsg), Öffentliches Recht. Jahr-buch 2008 (2008) 173 (181).24 Kneihs (FN 3) 161.25 Ebenda, 153.26 Siehe Kozma, The Example of Torture: Are there any constitutional limits left?, in: Eberhard ua (Hrsg), Consti-tutional Limits to Security (2009) 167 (178 ff).
bar wird. Insoweit kann der gezielte Flugzeug-abschuss als der Grenzfall eingeschätzt werden, der zur Tötung Unschuldiger in unterschiedli-chen Situationen der Terrorbekämpfung führen könnte. Schließlich ist aber auch in der konkre-ten Flugzeugabschusssituation die Kontrollier-barkeit eines verhältnismäßigen Abschusses sehr schwer möglich.
Zusammenfassend wird daher das Men-schenwürdeargument als Kontrollproblem bei schwerwiegenden Eingriffen in die persönliche Integrität, wozu das Recht auf Leben auch zählt, relevant. Damit lässt sich auf einer menschen-rechtlichen und verfassungsgerichtlichen Ebene einer Grenzziehung zwischen abwägungsfesten und abwägungsoffenen Bereichen rechtfertigen.
C. Höchstgericht, Gesetzgeber, Militär: wer soll entscheiden?
Wie sich durch die bisherigen Ausführungen gezeigt hat, sind vielschichtige Abwägungsent-scheidungen zu treffen, die auf unterschiedlichen Ebenen ausgestaltet werden. Alle Staatsgewal-ten sind dabei eingebunden. So ist der Gesetz-geber zentraler Angelpunkt. Wird durch den Gesetzgeber eine Regelung zum staatlichen Flugzeugabschuss vorgesehen, werden Bedin-gungen festgelegt, unter denen ein Abschuss rechtlich zulässig ist. Diese Regelung unterliegt wiederum der Kontrolle durch ein Verfassungs-gericht, das die Legitimität der Regelung zu beurteilen hat, wie dies in Deutschland gesche-hen ist. Wird durch den Gesetzgeber – wie in Österreich – keine Regelung getroffen und damit der staatliche Flugzeugabschuss implizit unter-sagt, sind dennoch – wie dargestellt – Entschei-dungen zu treffen. Es haben damit letztlich die sachlich zuständigen Personen in der staatli-chen Verteidigungsorganisation eine Entschei-dung zu treffen. Es stellt sich damit insgesamt die Frage, wie das Zusammenspiel zwischen den beteiligten Akteuren ausgestaltet werden soll. In Deutschland hat das Höchstgericht die Entscheidung des Gesetzgebers für unzuläs-sig erklärt. In Österreich hat der Gesetzgeber (implizit) die Entscheidung durch das Militär für unzulässig erklärt. Damit ist in Deutsch-land wie in Österreich das Militär rechtlich nicht entscheidungsbefugt und hat den Ein-griff zu unterlassen. Aufgrund der faktischen Entscheidungen des Militärs, zu handeln oder Handlungen zu unterlassen, sind sodann wieder die Gerichte etwa in Form von Schadenersatz-forderungen im Rahmen von Amtshaftungen
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involviert, die getroffene Entscheidung zu über-prüfen. Jenseits des Staates ist schließlich auch der EGMR als internationale Menschenrechts-instanz eingebunden, die staatlichen Vorgänge iSd Art 2 EMRK zu überprüfen.
IV. Abwägung von Menschenleben aus konsequentialistischer Sicht
A. Individuelle Handlungsnorm
Bei den erwähnten Abwägungsproblemen wird klar, dass eine Vielzahl von Fragen umfasst ist, wie etwa ob das Leben eines Kindes mehr wert ist als das Leben einer erwachsenen Per-son, ob das Leben eines Gesunden mehr wert ist als das Leben eines Schwererkrankten, wie sich ein Leben unserer Generation zu einem Leben künftiger Generationen verhält etc.27 Neben die-ser philosophischen Diskussion gibt es verschie-dene anerkannte Sozialnormen, zB zur Frage, wer bei einem sinkenden Schiff bevorzugt gerettet werden soll, wenn die Rettungsboote nicht ausreichen.
In diesem Beitrag sollen diese Fragen ausge-blendet werden und schlicht nach der Abwägung einer unterschiedlichen Anzahl von Menschen-leben gefragt werden. Dies entspricht der Situ-ation eines potentiellen Flugzeugabschusses, bei dem nicht bzw nicht rechtzeitig festgestellt werden kann, welche Menschen sich im Flug-zeug und welche Menschen sich im Zielobjekt des Terroranschlags befinden.
Grundsätzlich sind zwei Menschenleben einem Menschenleben vorzuziehen. Das sollte auf individueller Ebene auch konsensfähig sein. Würden sich im Zusammenhang mit einem möglichen Flugzeugabschuss die (potentiell) betroffenen Personen hinter einem Schleier des Nichtwissens28 bzgl Ihrer Situation befinden und somit keine Information darüber haben, ob sie sich im Flugzeug oder im betroffenen Gebäude befänden, würden sie sich für eine Norm ent-scheiden, die für die Gesamtheit der involvierten Personen am besten ist. Man stelle sich vor, dass hundert Personen, die sich in einem Gebäude befinden, dadurch gerettet werden könnten, dass ein entführtes Flugzeug, das auf das Gebäude
27 Broome (FN 5) 1 ff.28 Das hier vorgenommene Gedankenexperiment folgt der prägnanten Beschreibung des Ökonomienobelpreis-trägers Harsanyi, Cardinal Utility in Welfare Economics and in the Theory of Risk-taking, Journal of Political Eco-nomy 1953, 434.
zusteuert, abgeschossen wird, wobei sich im Flugzeug 50 Personen befinden. Hinter einem Schleier des Nichtwissens stellt sich die Situ-ation für die betroffenen Personen so dar, dass sie sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 im Flugzeug und von 2/3 im Gebäude befinden. Würden sie sich dafür entscheiden, das Flug-zeug abzuschießen, so würde die Überlebens-wahrscheinlichkeit 2/3 betragen. Entscheiden sie sich dafür, das Flugzeug nicht abzuschießen, so beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit 0; es wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/3 die Lebensdauer geringfügig verändert. Bei die-ser Abwägung ist es für die Betroffenen nahe-liegend, sich für eine Norm zu entscheiden, die einen Abschuss vorsieht, da damit klar ihre Überlebenswahrscheinlichkeit steigt.
Auf der Ebene von staatlichem Handeln spie-len verschiedene Überlegungen eine Rolle, die eine andere Norm statuieren können als die, die eine individuelle Handlungsanweisung vor-schreibt. Es handelt sich dabei um die Frage staatlichen Handelns gegenüber Unterlassen, um Probleme, die durch unzureichende Information und mögliche Fehler des Staates hervorgerufen werden, um die Kosten der Überwachung und den potentiellen Missbrauch durch den Staat sowie um „ex ante“-Auswirkungen, etwa im Rahmen der sonstigen Flugsicherung.
B. Staatliches Handeln vs Unterlassen
Es entspricht einer weit verbreiteten morali-schen Überzeugung, bei der Abwägung von Menschenleben das Unterlassen einem aktiven Handeln vorzuziehen. Dies wurde unter ande-rem im Zusammenhang mit der Umleitung eines Zuges analysiert, bei dem der Entscheidungsträ-ger das Leben mehrerer Menschen retten kann, in dem er eine Weiche umstellt, wobei die Folge ist, dass ein (anderer) Mensch dabei ums Leben kommt.29 Die Zurückhaltung bei der Vornahme einer aktiven Handlung würde in weiterer Folge bedeuten, dass ein Flugzeug weder abgeschossen würde, noch würde ein anderweitig begonnener Abschuss gestoppt werden. Auf staatlicher Ebene wirkt dieses Ergebnis inkonsequent, würde ein Unterlassen doch einmal zehn Menschen einem Menschen vorziehen und ein anderes Mal einen Menschen zehn Menschen. In diesem Zusam-
29 Siehe Chen, Markets and Morality: How Does Competi-tion Affect Moral Judgment? (Arbeitspapier) mwN. Chen verwendet die Bezeichnung „utilitaristisch“ für Perso-nen, die die kleinere Zahl der größeren opfern würde und „deontologisch“ für Personen, die inaktiv bleiben würden.
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9JRP Zur Abwägung von Menschenleben – Gedanken zur Leistungsfähigkeit der Verfassung
menhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Staat ständig in den „natürlichen Lauf der Dinge“ eingreift und entsprechende Abwägun-gen oft aktiv beeinflusst, wie etwa bei der Aus-gestaltung des Gesundheitssystems. Dass es sich hierbei nur um eine „mittelbare“ Disposition über Menschenleben handelt, ist wiederum auf individueller Ebene verständlich, bleibt aber auf staatlicher Ebene isoliert betrachtet ohne aus-reichende Rechtfertigung.
C. Fehler des Staates und Missbrauch
Oft wird implizit von einem perfekt funktionie-renden Staatsgefüge ausgegangen. Allerdings kommt es insbesondere aufgrund unvollständi-ger Information zu Fehlern, wobei es zwei Arten von Fehlern gibt. Erstens kann es passieren, dass ein Flugzeug abgeschossen wird, obwohl es nach einer (konsequentialistisch-)ethischen Norm nicht hätte abgeschossen werden dürfen. Zweitens kann es sein, dass ein Flugzeug, das entsprechend dieser Norm abgeschossen werden sollte, nicht abgeschossen wird. Bei diesen bei-den Arten von Fehlern handelt es sich um ein Phänomen, das oft im Zusammenhang mit der Gerichtspraxis thematisiert wird.30 Da nicht alle Information vorhanden ist, muss es zwangsläu-fig zu „fehlerhaften“ Entscheidungen kommen, das heißt zu solchen, die bei vollständiger Infor-mation besser ausgefallen wären. Dies ist in der Regel wenig problematisch, soweit die Fehler unsystematisch bzw unvoreingenommen oder unparteiisch ausfallen. Sind die Fehler jedoch in eine Richtung verzerrt, so stellt sich die Frage nach den Ursachen.
Das Verlangen nach einer Zurückhaltung des Staates kann unter anderem darauf gründen, dass man explizite oder implizite Beeinflussun-gen vermeiden möchte. So könnte die Entschei-dung beim Abschuss eines Flugzeugs dadurch verzerrt sein, dass sich bestimmte Personengrup-pen im Flugzeug oder im betroffenen Gebäude befinden. Aus rechtsökonomischer Sicht handelt es sich um ein Überwachungsproblem. Staat-liches Handeln kann nicht oder nur unter der Aufwendung hoher Kosten überwacht werden, weshalb ein Handlungsverbot vorzugswürdig sein kann. Eröffnet man die Diskussion, um eine Abwägung von Menschenleben und dehnt
30 Siehe Grechenig/Nicklisch/Thöni, Punishment Despite Reasonable Doubt – A Public Goods Experiment with Sanctions Under Uncertainty, Journal of Empirical Legal Studies (in Druck) mit zahlreichen Nachweisen.
diese womöglich auf die Frage unterschiedlicher Menschen (jung/alt, gesund/krank etc) aus, so ist zu befürchten, dass diese Diskussion von den Interessen der einzelnen Gruppen beeinflusst wird und es zu nicht rechtfertigbaren Ungleich-behandlungen kommt. Die Aversion gegenüber einer Abwägung von Menschenleben ist daher auch auf sachlicher Ebene nachvollziehbar. Ent-scheidend ist, dass es in vielen Fällen nicht um eine ethische Ablehnung der Abwägung von Menschenleben geht, sondern um die Bedenken gegenüber der Anwendung dieser Normen durch den Staat.
D. ex ante Effekte
Eine wichtige Frage, die in der juristischen Dis-kussion oftmals vernachlässigt wird, ist die der ex ante Effekte von Rechtsnormen. So kann etwa eine Schutzbestimmung einer bestimmten Arbeitnehmergruppe eine dieser Personen ex post schützen (zB bei Schwangerschaft), wegen des dadurch erzeugten höheren Schutzniveaus findet eine solche Person allerdings (noch) schwieriger eine Anstellung ex ante. Diesem Argument liegt zugrunde, dass Personen spätere Folgen antizipieren und schon ex ante bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Ob Arbeitneh-merschutzbestimmungen Arbeitnehmer nicht nur ex post, sondern auch ex ante schützen, ist eine schwierige und bislang ungeklärte empiri-sche Frage.
Analog könnte es bei der Abwägung von Men-schenleben passieren, dass der Staat bei der Zulässigkeit der Folter weniger in die übrige Prävention von Verbrechen investieren würde als bei einem absoluten Folterverbot. Im Bereich von Flugzeugentführungen könnte es sein, dass zu wenig in die Flugsicherung investiert wird, wenn für den Fall einer Flugzeugentführung das Flugzeug abgeschossen werden darf. Ein wichtiger ex ante-Effekt betrifft die Wahr-scheinlichkeit von Flugzeugentführungen. Es liegt nahe, dass Flugzeugentführungen cet par wahrscheinlicher werden, wenn ein Abschuss untersagt ist, da die Abschreckungswirkung für potentielle Entführer geringer ist. Dem-entsprechend könnte eine weite Ermächtigung zum Abschuss entführter Flugzeuge eine große Abschreckungswirkung entfalten, womit es zu weniger oder gar keinen Entführungen kom-men könnte. Das bedeutet, dass eine umfassende Ermächtigung zum Abschuss von Flugzeugen (ex ante) potentielle Flugzeuginsassen schützen und damit die Opferanzahl reduzieren könnte.
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JRPK. Grechenig und K. Lachmayer
Sie könnte somit ohne Weiteres einen umfassen-deren Schutz potentieller Insassen darstellen als eine Norm, die Flugzeugabschüsse untersagt. Auch dies ist eine empirische Frage.
V. Leistungsfähigkeit der Verfassung
A. Konsequenzen für die verfassungsrechtliche Beurteilung
Die verfassungsrechtliche Beurteilung durch Abwägungen erreicht Rationalitätsgrenzen. An diesen Grenzen entsteht rechtspolitischer Gestaltungsspielraum, der durch die betroffe-nen Akteure, seien es nun der Gesetzgeber, die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, die Voll-ziehung oder die ordentlichen Gerichte, ausgeübt wird.31 Die Wissenschaft kann die bestehenden Rsp-Linien zur Ausfüllung der abwägungs-bezogenen Spielräume darstellen und darüber hinaus theoretische Konzepte als Sinnangebote den rechtserzeugenden Akteuren zur Verfügung stellen. Ein stärker werdendes Angebot derarti-ger Theoriekonzepte stellen ethische Experten zur Verfügung, die Fragestellungen der Men-schenwürde oder der Abwägung mit Sinnin-halten rationalisieren. In diesem Beitrag wurde versucht zu zeigen, dass auch die ökonomische bzw konsequentialistisch-ethische Perspektive auf das Recht ein rationalisiertes Angebot zur Verfügung stellen kann. Dieses Modell beinhal-tet – wie auch jedes andere Modell – Ideali-sierungen, die wiederum als Grenzen bei der praktischen Umsetzung zu identifizieren sind.
Die Leistungsfähigkeit der Verfassung zeigt sich ua auch daran, inwieweit das Zusam-menspiel zwischen Staat und Gesellschaft durch die Rechtsordnung gesteuert wird bzw gesteuert werden kann. Die grundrechtlichen Abwägungskalküle stellen in europäischen Ver-fassungen einen zentralen Steuerungsmecha-nismus dar. Zahlreiche Fragestellungen, wie eben auch die in diesem Beitrag besprochenen, bringen die grundrechtlichen Abwägungskal-küle an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit der Verfassung wird auch in Zukunft daran zu messen sein, inwie-weit es ihr gelingt, sensible Fragestellungen der Menschenwürde und der Abwägung von Menschenleben zu entscheiden. Die Darstel-lung einer anderen Herangehensweise an diese
31 Kelsen, Reine Rechtslehre2 (1960) 350 ff.
Abwägungsvorgänge war Ziel der hier vorge-stellten Betrachtung.
B. Verfassungsrechtliche Beurteilung von staatlichem Missbrauch
Wie bereits erwähnt, kann als eine zentrale Pro-blemstellung der Missbrauch von staatlichen Befugnissen identifiziert werden. Der verfas-sungsrechtliche Umgang mit staatlichem Miss-brauch bestehender Befugnisse ist vielschichtig und komplex. An dieser Stelle sollen nur skiz-zenhaft ein paar Linien aufgezeichnet werden und diese einer allgemeinen Schlussfolgerung zugeführt werden.
In allgemeiner Betrachtung dient das gesamte Konzept der Verfassung der Verhinderung staat-lichen Missbrauchs durch Herstellung von Frei-heit des Einzelnen. So binden demokratische Organe, wie das Parlament, und demokratische Kontrollmechanismen, wie ein Untersuchungs-ausschuss, die Verwaltung. Das Konzept der Gewaltenteilung verteilt staatliche Funktionen, die sodann durch gewaltenübergreifende ver-fassungsgesetzlich vorgesehene Kontrolle wie-derum staatlichen Missbrauch verhindern soll. Bundesstaatlichkeit entpuppt sich in diesem System als Kontrolle zwischen den unterschied-lichen Ebenen des Staatsgebildes. Grund-rechte werden nicht nur aus der Perspektive der Durchsetzung subjektiver Rechte betrachtet, sondern auch aus der Kontrollfunktion staat-lichen Organen gegenüber, die wiederum durch andere staatliche Organe stattfindet.
Jenseits der allgemeinen Überlegungen zu staatlichem Missbrauch soll hier noch kurz auf eine verwaltungsbezogene Perspektive näher eingegangen werden. Das österreichi-sche Rechtsstaatskonzept weist dabei unter-schiedliche Defizite auf, die dazu führen, dass die Kontrolle staatlichen Missbrauchs – sowohl institutionell als auch rechtsschutzbezogen – Lücken aufweist. Dabei spielen unterschiedliche Mechanismen negativ zusammen. Auf subjekti-ver Seite aus Sicht des Betroffenen sind etwa die Bindung des Rechtsschutzes an bestimmte Rechtsakte und – damit verbunden – die feh-lende allgemeine Rechtswegegarantie, die feh-lende Verfassungsbeschwerde im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die Reduzierung des Konzepts des fairen Verfahrens auf Art 6 EMRK-Materien oder Einschränkungen der Verfahrenshilfe sowie die Ablehnungsmöglich-keiten des VfGH zu nennen. Auf institutioneller Seite bestätigen mangelnde Transparenz durch
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11JRP Zur Abwägung von Menschenleben – Gedanken zur Leistungsfähigkeit der Verfassung
ein starkes Amtsverschwiegenheitskonzept, eine noch immer nicht bestehende Verwaltungs-gerichtsbarkeit erster Instanz, Defizite in der Bekämpfung von Korruption, fehlende Kon-zepte der guten staatlichen Verwaltung, unzu-reichende Kontrollabsicherungen in geheimer (sicherheits- und kriminal)polizeilicher Ver-waltung durch sog Rechtsschutzbeauftragte, starke politische Einflussnahme und geringe parlamentarische Kontrolle sowie zahlreiche staatsgebundene Medien die rechtsstaatlichen Defizite. Die Weiterentwicklung des österrei-chischen Rechtsstaats wird dabei primär von europäischer Seite voran getrieben, sei es durch den EGMR und die Konzepte der EMRK, sei es durch rechtsstaatliche Konzepte der EU, die durch den EuGH effektuiert werden. Eigenstän-dige innerstaatliche Reformen neigen regelmä-ßig dazu verschoben zu werden.
An rechtsstaatlichen Herausforderungen mangelt es in Zeiten terroristischer Gefähr-dungen, globaler Migrationen, staatlichen und privaten Herausforderungen der informatio-nellen Selbstbestimmung, dem Verschwimmen zwischen Staat und Privat, der Europäisierung des Rechts sowie der Fragmentierung des Völ-kerrechts und der Pluralisierung des Rechts ins-gesamt nicht. Die Stärkung rechtsstaatlicher Kontrolle ist daher dringend geboten, die im Rahmen des rechtsstaatlichen Mehrebenensys-tems zu verwirklichen ist. Schließlich wirken sich verbesserte rechtsstaatliche Strukturen auch auf die ökonomische Analyse des Rechts positiv aus, da eine Verstärkung des Rechts-staats staatlichen Missbrauch verringert und so die Plausibilität des Modells verbessert.
VI. Schluss
Die weit verbreitete Ansicht, dass der Staat nicht ein Menschenleben opfern darf, um zwei Men-
schenleben zu retten, gründet nicht auf einer anerkannten ethischen Norm, sondern vielmehr auf den Bedenken gegenüber dem Staat, eine entsprechende Norm richtig anzuwenden. Das ist gemeint, wenn dem Staat für bestimmte Ein-griffe keine Ermächtigung erteilt werden soll. Auf individueller Ebene ist es aus konsequen-tialistischer bzw ökonomischer Sicht schwer zu rechtfertigen, zwei Menschenleben nicht einem Leben vorzuziehen. Das zeigt unter anderem das Gedankenexperiment eines Schleiers des Nicht-wissens. Insgesamt ist es konsequent, dass im demokratischen Rechtsstaat die Verfassungs-rechtsprechung in bestimmten Bereichen, wie etwa dem Sicherheits- und Polizeirecht, mit Ver-boten reagiert wird, um der Problematik unkon-trollierter bzw missbräuchlicher Anwendung staatlicher Gewalt zu begegnen.
Korrespondenz: Dr. Kristoffel Grechenig, LL.M. (Columbia), Post-Doc Wissenschaftlicher Mit- arbeiter (Senior Research Fellow) am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemein-schaftsgütern; Kurt-Schumacher-Strasse 10, 53113 Bonn; E-Mail: [email protected]
Priv.-Doz. Univ.-Ass. Dr. Konrad Lachmayer, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien; E-Mail: [email protected]
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