Scoring und beidseitige Due-Diligence-Prozesse - im Rahmen der Lieferantenauswahl beim...

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1 Einleitung Vielen deutschen Banken wird bezu ¨ glich der aktuellen Krise ein zu schlechtes Ver- ha ¨ltnis von Ertra ¨gen zu Aufwendungen nachgesagt, dass sie im Vergleich etwa zur produzierenden Industrie eine zu hohe Fertigungstiefe aufweisen, also zu wenig Vorleistungen, die direkt oder indirekt in ihre Endprodukte eingehen, von außen zu- kaufen. Outsourcing ist eine Mo ¨ glichkeit, die Herstellung von Zwischenprodukten solchen Lieferanten zu u ¨ berantworten, die in der Lage sind, zum Beispiel aufgrund von Mengenbu ¨ ndelungen und Spezialisie- rungsvorteilen diese Leistungen in ge- wu ¨ nschter Qualita ¨t preiswerter zu erstel- len. Dabei eignen sich nicht alle Vorprodukte gleichermaßen zum Fremd- bezug. Unter der Voraussetzung, dass der Markt substanziell bessere Angebote im Vergleich zu einer Eigenerstellung auf- weist, denkt man zuna ¨chst an solche Leis- tungen, die keine strategische Position im Unternehmen besitzen, d. h. dass eine eventuelle ungeplante Liefersto ¨ rung nicht sofort zu einer empfindlichen Produkti- onseinbuße fu ¨ hrt. Das Outsourcing von IT-Leistungen ist hingegen insofern schwieriger zu beurtei- len, als Informationssysteme ha ¨ufig eine strategische Position im Unternehmen auf- weisen, insbesondere bei den informations- intensiven Industrien wie den Banken. Mit „IT-Outsourcing“ bezeichnet man die mit- tel- oder langfristige Auslagerung bisher innerbetrieblich erfu ¨llter IT-Aufgaben an ein oder mehrere rechtlich unabha ¨ngige Dienstleistungsunternehmen [Hein90]. Ziele sind ho ¨ here Flexibilita ¨t, Steigerung der Qualita ¨t und Kostensenkung [MeKn98, 17]. Wa ¨hrend fru ¨ her ha ¨ufig die teuere Eigenleistung vorgezogen wurde, um die strategische Abha ¨ngigkeit von ei- nem Lieferanten zu vermeiden, wa ¨chst un- ter dem Zeichen des zunehmenden Wett- bewerbs- und Kostendrucks die Bereitschaft zur Fremdvergabe von Vor- leistungen, wenn pra ¨zise definierte Quali- ta ¨tsanforderungen eingehalten werden. Die hierfu ¨ r notwendige Standardisierung von Produkten sowie die Spezifikation und Er- probung der Qualita ¨tsmaße unter realisti- schen Hochlastbedingungen erfolgen ha ¨u- fig in umfangreichen Vorprojekten [LaHi93] wir setzen diese Arbeitsschritte im Folgenden voraus. Zur Bestimmung von (IT-)Leistungen, die grundsa ¨tzlich nicht fremdvergeben werden sollten, kommt das Konzept der Kernkom- petenzen zum Tragen. Eine sachliche Un- terteilung der im Rahmen der IT-Leistun- gen mo ¨ glicherweise an Lieferanten zu vergebenden Produkte erbringt auf der ei- nen Seite die Wartung und die Neuerstel- lung einzelner Anwendungssysteme oder Anwendungssystemgruppen (etwa der Be- trieb von SAP-Systemen) und auf der an- deren Seite den Betrieb, die Wartung und den Ausbau der IT-Infrastruktur, zum Bei- spiel von Intranet und Extranet sowie von Rechenzentren. Wa ¨hrend man im letzt- genannten Fall eher auf Standardisierungs- erfahrungen aufsetzen und als Bank ins- besondere bezu ¨ glich des Systembetriebs nicht von einer Kernkompetenz sprechen kann sich also diese Arbeiten zum Out- sourcing anbieten , erscheint das Out- sourcing von Anwendungssystemen WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 2, S. 147 156 Die Autoren Peter Lassig Hermann-Josef Lamberti Clemens Jochum Peter Lassig, Deutsche Bank AG, Alfred-Herrhausen-Allee 16 24, 65760 Eschborn, E-Mail: [email protected]; Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstandes und COO Deutsche Bank AG, Taunusanlage 12, 60325 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. Clemens Jochum, CIO PCAM GT Deutsche Bank AG, Alfred-Herrhausen-Allee 16 24, 65760 Eschborn, E-Mail: [email protected] Scoring- und beidseitige Due-Diligence-Prozesse im Rahmen der Lieferantenauswahl beim Infrastrukturoutsourcing WI – Schwerpunktaufsatz

Transcript of Scoring und beidseitige Due-Diligence-Prozesse - im Rahmen der Lieferantenauswahl beim...

1 Einleitung

Vielen deutschen Banken wird bezuglichder aktuellen Krise – ein zu schlechtes Ver-haltnis von Ertragen zu Aufwendungen –nachgesagt, dass sie im Vergleich etwa zurproduzierenden Industrie eine zu hoheFertigungstiefe aufweisen, also zu wenigVorleistungen, die direkt oder indirekt inihre Endprodukte eingehen, von außen zu-kaufen. Outsourcing ist eine Moglichkeit,die Herstellung von Zwischenproduktensolchen Lieferanten zu uberantworten, diein der Lage sind, zum Beispiel aufgrundvon Mengenbundelungen und Spezialisie-rungsvorteilen diese Leistungen in ge-wunschter Qualitat preiswerter zu erstel-len. Dabei eignen sich nicht alleVorprodukte gleichermaßen zum Fremd-bezug. Unter der Voraussetzung, dass derMarkt substanziell bessere Angebote imVergleich zu einer Eigenerstellung auf-weist, denkt man zunachst an solche Leis-tungen, die keine strategische Position imUnternehmen besitzen, d. h. dass eineeventuelle ungeplante Lieferstorung nichtsofort zu einer empfindlichen Produkti-onseinbuße fuhrt.

Das Outsourcing von IT-Leistungen isthingegen insofern schwieriger zu beurtei-len, als Informationssysteme haufig einestrategische Position im Unternehmen auf-weisen, insbesondere bei den informations-intensiven Industrien wie den Banken. Mit„IT-Outsourcing“ bezeichnet man die mit-tel- oder langfristige Auslagerung bisherinnerbetrieblich erfullter IT-Aufgaben anein oder mehrere rechtlich unabhangigeDienstleistungsunternehmen [Hein90].

Ziele sind hohere Flexibilitat, Steigerungder Qualitat und Kostensenkung[MeKn98, 17]. Wahrend fruher haufig dieteuere Eigenleistung vorgezogen wurde,um die strategische Abhangigkeit von ei-nem Lieferanten zu vermeiden, wachst un-ter dem Zeichen des zunehmenden Wett-bewerbs- und Kostendrucks dieBereitschaft zur Fremdvergabe von Vor-leistungen, wenn prazise definierte Quali-tatsanforderungen eingehalten werden. Diehierfur notwendige Standardisierung vonProdukten sowie die Spezifikation und Er-probung der Qualitatsmaße unter realisti-schen Hochlastbedingungen erfolgen hau-fig in umfangreichen Vorprojekten[LaHi93] – wir setzen diese Arbeitsschritteim Folgenden voraus.

Zur Bestimmung von (IT-)Leistungen, diegrundsatzlich nicht fremdvergeben werdensollten, kommt das Konzept der Kernkom-petenzen zum Tragen. Eine sachliche Un-terteilung der im Rahmen der IT-Leistun-gen moglicherweise an Lieferanten zuvergebenden Produkte erbringt auf der ei-nen Seite die Wartung und die Neuerstel-lung einzelner Anwendungssysteme oderAnwendungssystemgruppen (etwa der Be-trieb von SAP-Systemen) und auf der an-deren Seite den Betrieb, die Wartung undden Ausbau der IT-Infrastruktur, zum Bei-spiel von Intranet und Extranet sowie vonRechenzentren. Wahrend man im letzt-genannten Fall eher auf Standardisierungs-erfahrungen aufsetzen und als Bank ins-besondere bezuglich des Systembetriebsnicht von einer Kernkompetenz sprechenkann – sich also diese Arbeiten zum Out-sourcing anbieten – , erscheint das Out-sourcing von Anwendungssystemen

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 2, S. 147–156

Die Autoren

Peter LassigHermann-Josef LambertiClemens Jochum

Peter Lassig,Deutsche Bank AG,Alfred-Herrhausen-Allee 16–24,65760 Eschborn,E-Mail: [email protected];Hermann-Josef Lamberti,Mitglied des Vorstandesund COO Deutsche Bank AG,Taunusanlage 12,60325 Frankfurt am Main, E-Mail:[email protected];Prof. Dr. Clemens Jochum,CIO PCAM GT Deutsche Bank AG,Alfred-Herrhausen-Allee 16–24,65760 Eschborn,E-Mail: [email protected]

Scoring- und beidseitigeDue-Diligence-Prozesseim Rahmen der Lieferantenauswahlbeim Infrastrukturoutsourcing

WI – Schwerpunktaufsatz

schwieriger, wenngleich sicherlich in Teilenmoglich. Allerdings ist im Fall des Out-sourcing von Infrastruktur(-teilen) grund-satzlich von substanziellen strategischenEinflussen auszugehen, sodass eine beson-ders sorgfaltige Auswahl des Lieferantenzu erfolgen hat, zumal man – ahnlich wiezum Beispiel im Automobilbau – nichtnur eine unter vielen Geschaftsbeziehun-gen etwa mit dem Ziel der Kostensenkungverfolgen will, sondern eine Partnerschaftim Sinne einer Entwicklungspartnerschaftmit dem Lieferanten eingehen muss undmochte. Die besonderen Herausforderun-gen einer solchen Verbindung mussen sichentsprechend in dem Auswahlverfahrenniederschlagen.

Vor diesem Hintergrund beschaftigt sichder vorliegende Beitrag mit der Auswahldes geeigneten Lieferanten fur ein IT-Infra-struktur-Outsourcing auf der Basis desEinsatzes von Scoring- und beidseitigenDue-Diligence-Prozessen. Grundlagenhierfur sind Erfahrungen, welche bei derDurchfuhrung des Auswahlverfahrens furdie Auslagerung des europaischen Infor-mation-Technology-Infrastrukturbereiches(IT/I) der Deutsche Bank AG an einenOutsourcing-Partner gesammelt wurden.In der Literatur sind bislang nur Aussagenzur „klassischen“ Due-Diligence beiUnternehmensakquisitionen zu finden[BeBr99; Pico02], wobei man den Begriffmit „sorgfaltige Kauf- oder Prospektpru-fung“ ubersetzen konnte, d. h. der ange-hende Kaufer als Besitzer des Prozessesdas Risiko von Fehleinschatzungen tragt.Zur Gestaltung eines beidseitigen Due-Di-ligence-Prozesses ist uns keine Literaturbekannt.

In Kapitel 2 stellen wir zunachst Vorausset-zungen und Ziele der Infrastrukturauslage-rung vor. Im Anschluss daran wird dis-kutiert, warum man sich fur eineAuslagerung und nicht fur ein Alternativ-modell – die Grundung einer (gemein-samen) Tochterunternehmung – entschie-den hat. Kapitel 3 beschreibt daszweistufige Vorgehen zur Lieferantenaus-wahl. In der ersten Stufe, dem Scoring, wirdmit einem relativ einfachen Werkzeug mitvergleichsweise geringem Zeit- und Res-sourceneinsatz eine Vorauswahl aus demBewerberfeld vorgenommen. Das Ergebniswaren im vorliegenden Fall zwei Wett-bewerber, welche in die Phase der Feinaus-wahl gelangten. Diese wird im zweiten Ab-schnitt des Kapitels 3 beschrieben.Interessant ist insbesondere die Durchfuh-

rung einer beidseitigen Due-Diligence, dieu. a. gegenuber der ersten Phase eine grund-legende �nderung der Art der Zusammen-arbeit zwischen den Arbeitsgruppen ver-langt. Daruber hinaus beschreiben wir dieOrganisation der Datenbeschaffung undder Bereitstellung von Informationen furdie Teilnehmer in so genannten Data-Rooms. Abschließend werden in Kapitel 4die Erfahrungen zusammengefasst und wei-tere Erkenntnisschritte erlautert.

2 Voraussetzungen undZiele fur ein IT-Infra-struktur-Outsourcing

2.1 Voraussetzungen furInfrastrukturoutsourcing

In komplexen, uber viele Jahre gewach-senen Systemarchitekturen spiegeln sich imIT/I-Bereich die unterschiedlichstenlanderspezifischen Unterstutzungsbedarfedes Konzerns ebenso wie verschiedenartigetechnische Systeme wieder. Ein Grundhierfur ist der Expansionskurs vergangenerJahre, der zur Integration von Informati-onssystemen anderer Unternehmen fuhrte.Weitere Ursachen waren der Ausbau dertransaktionsverarbeitenden Systeme, z. B.auf Grund der gestiegenen Wertpapiervo-lumina, und die Integration webbasierterLosungen.

Zur Veranschaulichung der Dimension desAuslagerungsprojekts folgt eine kurze Vor-stellung des Bereiches IT/I. Mit Hilfe vonca. 1.000 Mitarbeitern (europaweit) be-treibt dieser Bereich die Back-Office-Sys-teme fur das Filialnetz der Deutschen Bankinklusive der Applikationen, welche dieFuhrung der Hauptbuchkonten sicherstel-len. Insgesamt werden ca. 350 Produkteund 150 Beziehungen zu internen Kundenbetreut. Dafur werden jahrlich etwa 1,2Millionen Stunden Großrechner-CPU-Zeitverbraucht und mehr als 2,6 Milliardentechnische Transaktionen verarbeitet. JedenTag verantwortet IT/I den Ablauf von16.000 Programmen.

Die operativen Hauptaufgaben des IT/I-Bereiches sind:– Bereitstellung standardisierter Infra-

strukturkomponenten und -services,– Test der Applikationen, bevor diese in

die Produktion ubernommen werden,und

– 24 � 7 Stunden Produktionsunterstut-zung und -uberwachung pro Woche.

Hinzu kommen die in diesem Zusammen-hang – auch in Verbindung zur Unterneh-mensstrategie – anfallenden Strategie-,Planungs-, Erprobungs- und �ber-wachungsarbeiten. Aufgrund unsererEinschatzung, dass Informations- und zu-gehorige Infrastruktursysteme ein strategi-sches Ruckgrat des Bankgeschafts sind,kommt allenfalls ein Outsourcing der Er-fullung der operativen Aufgaben in Be-tracht, sodass die Bank langfristig eigen-standig und kompetent die damitverbundenen planerischen Aufgaben inden Handen behalt.

Unter welchen Voraussetzungen ist eineAuslagerung der Erfullung dieser operati-ven Aufgaben zu rechtfertigen? Notwendi-ge Grundlage ist eine in den Großen Qua-litat und Standardisierung ausgedruckte„Reife“ der Systeme, welche in den letztenJahren im IT/I-Bereich durch zahlreicheInvestitionen stetig angestiegen ist. Heutesind viele Systeme uber 99,999% verfugbarund die Produkte sind eindeutig spezifi-ziert. Eine langfristig tragfahige Auslage-rung dieser Arbeiten an ein externes Unter-nehmen setzt hierauf auf und bildet z. B.Service- und Produktklassen, die wieder-um als Grundlage der Beschreibung undBewertung von Servicegraden dienen.

Ein weiteres Qualitatsmerkmal ist die Ent-koppelung von Datensatz und physischemSpeichermedium. Durch Konzepte wieBusiness Contingency Planning (BCP) undbereichsubergreifende Benutzung von Res-sourcen ist es fur den Anwender nichtmehr moglich und notwendig zu wissen,wo seine Daten gespeichert sind. Das fuhrtlangfristig zu einer Fokussierung der Fach-bereiche auf die Prozesse und den Inhalt.Die Infrastruktur und die Datenhaltungsind fur den Anwender transparent unddamit „Inventar“.

Der zunehmende Trend zum Outsourcingist in den angloamerikanischen Landernbereits langer zu beobachten. In ihm spie-gelt sich die seit etwa Mitte der neunzigerJahre durchsetzende Erkenntnis wider,dass es bei umfangreichen Systeminstalla-tionen nicht mehr moglich ist, durchBeschaffung neuer, relativ billigerer undleistungsfahigerer Hardware einen signifi-kanten Kostensenkungseffekt zu erzielen.Stattdessen sind heutzutage Kosteneinspa-rungen nur durch eine effiziente Auslas-

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tung der Ressourcen moglich. Hieraufberuhen im Wesentlichen die Geschafts-modelle großer Infrastruktur-Outsour-cing-Anbieter, welche dann einen Teil derEinsparungen an ihre Kunden weitergeben.Ein weiterer Vorteil entsteht fur die Kun-den durch die Moglichkeit, die Ver-gutungsmodelle dem eigenen Bedarf anzu-passen sowie den technischen Wandelbesser zu bewaltigen.

2.2 Alternative zum Outsourcing

Alternativ zum Outsourcing hatte man aneine Ausgrundung des IT/I-Bereiches ineine Tochtergesellschaft denken konnen([Hein90, 39] erortert Argumente fur diealternativen Vorgehensweisen). Allerdingsgelten bei einer Beteiligung von mehr als50% die Vermogenswerte als vom Mutter-konzern kontrolliert und werden in dessenBilanz vollstandig aufgenommen. Somitwurde eine Ausgrundung lediglich kosme-tischen Charakter besitzen und es konntenZiele wie Kosteneinsparungen durch Nut-zung von Skaleneffekten, Konzentrationauf das Kerngeschaft und Steigerung derRentabilitat des gebundenen Kapitalsdurch Senkung der Fixkosten nicht sostringent umgesetzt werden. Daruber hi-naus gilt, dass ein so entstandenes Tochter-unternehmen in einem schwer aufzulosen-den Spannungsverhaltnis zwischen denInteressen des Mutterkonzerns und den ei-genen Zielen im Markt steht [Hein90].

3 Gestaltung deszweistufigenAuswahlverfahrens

Um das Auswahlverfahren zu beschleuni-gen und dennoch genugend Zeit fur diePrufung der einzelnen Bieter zur Ver-fugung zu haben, wurde das Verfahren ineine Schrittfolge von Vor- und Feinauswahlgegliedert. Die Vorauswahl, welche dieAnzahl der weiter zu behandelnden Liefe-ranten auf zwei reduzierte, erfolgte unterZuhilfenahme eines Punktbewertungsver-fahrens (Scoring-Modell), wahrend in derFeinauswahl – in der letztendlich der Ver-tragspartner ermittelt wurde – ein beidsei-tiges Due-Diligence-Verfahren zum Ein-satz kam. Wir gehen davon aus, dass die imvorliegenden Fall spezifizierten und er-probten Vorgehensweisen fur viele Unter-nehmen Beispielcharakter besitzen.

Die Kultur der Auseinandersetzung mitden prospektiven Lieferanten kehrte sichzwischen den beiden Phasen vollig um,was zu erheblichen Anforderungen an dieArbeitsgruppen fuhrte. Stand in der Vor-auswahl unter der Voraussetzung der Er-fullung einer definierten Mindestqualitatdie Geschwindigkeit des Prozessablaufs imVordergrund, so ruckte in der Feinaus-wahlphase die Sorgfalt bei der Spezifikati-on und Verifikation des zukunftigenBetriebskonzepts ins Zentrum. Dement-sprechend folgte die Vorauswahl eher demParadigma der (durch die Bank) einseitigenPrufung nach dem Modell der „Bewertungdes fremden Leistungsangebots“, wobeistrenge Schweigepflichten uber Einzelhei-ten auferlegt wurden. Die Feinauswahl hin-gegen verlangte eine beidseitige Due-Dili-gence, also Einschatzungen sowohl desOutsourcing-Auftraggebers als auch des-nehmers, ob und in welcher Art und Wei-se eine nachhaltige Wertsteigerung im zu-kunftigen Systembetrieb zu erzielen ist.Selbstverstandlich ist in dieser Phase eineintensive Zusammenarbeit und Kommuni-kation notwendig.

3.1 Vorauswahl der Lieferantendurch Scoring

An der Vorauswahl zum Outsourcing desIT/I-Bereiches der Deutschen Bank nah-men funf Unternehmen teil, welche auf Ba-sis einer Marktanalyse ausgewahlt wordenwaren.

Im folgenden Abschnitt erlautern wir dieAuswahlkriterien. Danach erfolgt die Be-schreibung der methodischen Grundlagendes zur Auswahl eingesetzten Scoring-Pro-zesses. Im dritten Abschnitt werden dieEntscheidungstrager vorgestellt. Abschlie-ßend skizzieren wir die Verbindung derVor- und der Feinauswahlphasen („Vor-bereitung der Due-Diligence“).

3.1.1 Auswahlkriterien

Das Scoring basiert auf einer Argumenten-bilanz nach Knolmayer [Knol91, 323 ff;vgl. ausfuhrlicher KnMi00, 12 ff]. Die Be-wertung der nach einer Ausschreibung derBank zur Verfugung gestellten Angeboteerfolgte in Orientierung auf folgende Ziel-dimensionen, welche als Ergebnis umfang-reicher vorbereitender Diskussionen undunter Hinzuziehung einer Unternehmens-beratung fixiert worden waren:

Kunden (Geschaftsbereiche der DeutschenBank AG)– Erhohung der Preistransparenz– Verbesserung der Servicequalitat– Erleichterung der Einbeziehung neuer

Dienstleistungen

Mitarbeiter– Produktivitatssteigerung durch Ausnut-

zung globaler Prozesse und Know-how– Eroffnung attraktiverer Karrierechancen– Weitergehende Spezialisierung im globa-

len technologischen Umfeld

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Kernpunkte fur das Management

Due-Diligence bezeichnet im Rahmen von IT-Outsourcing-Vorhaben das detaillierte Prufenangebotenener Leistungen durch denjenigen, der diese in seinem Geschaftsprozess aufneh-men mochte. Beidseitige Due-Diligence beinhaltet daruber hinaus das gegenseitige Prufenvon Anbieter und Nachfrager mit dem Ziel des gemeinsamen Aufbaus langfristig nachhalti-ger Erfolgspotenziale und der Ausarbeitung eines hierzu dienenden Betriebskonzeptes.Um den Aufwand fur die Auswahl von Lieferanten fur ein IT-Infrastruktur-Outsourcing uber-schaubar zu halten, folgt man in der Phase der Vorauswahl eher dem Paradigma der ein-seitigen Prufung (durch den Nachfrager), wahrend die nachfolgende Feinauswahl einebeidseitige Due-Diligence verlangt, also Einschatzungen sowohl des Auftraggebers als auchdes -nehmers, ob und in welcher Art und Weise eine nachhaltige Wertsteigerung im zukunf-tigen Systembetrieb zu erzielen ist.

Stichworte: Due-Diligence, Outsourcing, Finanzsektor, IT-Leistungen, Lieferantenauswahl

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Finanzen– Senkung der Basiskosten und der Kos-

ten pro Einheit– Umwandlung fixer Kosten in variable

Kosten

Strategie– Fokussierung der Organisation auf das

Kerngeschaft– Erhohung der organisatorischen Flexi-

bilitat– Reduzierung technisch-operationeller Ri-

siken

Technologie und Service– Standardisierung der Infrastruktur– Standardisierung von Infrastruktur-

dienstleistungen– Optimierung der Prozesse

Zu den im Hinblick auf die Kunden for-mulierten Zielen ist anzumerken, dass sienicht eigenstandig in den im Scoring ver-ankerten Zielen aufgefuhrt waren, sonderndass diese Aspekte in die restlichen vierZiele eingingen. Daruber hinaus erfolgteeine Beurteilung folgender Ziele, die sichnicht mit den Angeboten, sondern mit denAnbietern beschaftigten:

Marktposition– Sicherstellung, dass der Lieferant zu den

Markfuhrern gehort und ein angemesse-ner Partner der Deutschen Bank ist.

Referenzprojekte– Nachprufung der erfolgreichen Durch-

fuhrung von Referenzprojekten durchden Lieferant.

Finanzielle Starke– �berprufung der stabilen finanziellen

Situation des Lieferanten.

Rechtliche Positionierung– �berprufung, ob auf der Lieferantensei-

te rechtliche Auseinandersetzungen an-hangig sind.

Die genannten Ziele stehen teilweise zuei-nander in Konflikt. In der Entscheidungs-vorbereitung muss die angemessene Be-rucksichtigung aller Ziele – und nicht dasoptimale Erreichen eines einzelnen Zieles– angestrebt werden.

3.1.2 Methodische Grundlagendes Auswahlprozesses

Die methodische Grundlage fur den ein-gesetzten Scoring-Prozess bildete dieNutzentheorie, in der zwischen eindimen-sionalen und mehrdimensionalen Nutz-wertanalysen unterschieden wird. Im vor-liegenden Fall lag ein mehrdimensionalesZielsystem vor, da Ziele wie Kostenreduk-tion, weitere Verbesserung der Mitarbeiter-situation, Gesetzeskonformitat etc. unter-schiedlichen Dimensionen angehoren undeine Reduzierung auf ein einziges dominie-rendes Ziel naturgemaß nicht moglich war.Im Vordergrund der Punktbewertungstand die Aufgabe festzustellen, ob dieoben beschriebenen funf Ziele der Deut-schen Bank auf diesem Wege „im Block“durchsetzbar sind und – wenn ja – dies fureine Vorauswahl unter den Lieferanten zunutzen.

Der gesamte Auswahlprozess, beginnendmit der internen Vorbereitung bis zur Ent-scheidung fur einen Lieferanten (nach Ab-schluss der beidseitigen Due-Diligence),dauerte von April bis September 2002(Bild 1). Er war in die folgenden Phasenunterteilt:

Die Vorauswahl, im Bild als Lieferanten-auswahl bezeichnet, begann mit der Ver-offentlichung des Request-for-Proposal(RFP) und beinhaltete die Festlegung desProjektumfangs, die Abstimmung des Vor-gehens und die Bestimmung der Kosten-grundlage. Das Resultat war das Versendendes RFP an alle funf Bieter. Im Anschlusswurden die Antworten auf den RFP be-wertet. Hierzu waren Ruckfragen bei denBietern moglich (wobei streng darauf ge-achtet wurde, dass keine Kommunikationzwischen Arbeitsgruppen erfolgte, die uberdas Angebot und die Leistungsfahigkeitder Lieferanten zu befinden hatten).

Auf der Grundlage der unten noch naherbeschriebenen Eigenschaften bot sich zurBewertung das nutzwertanalytische Ver-fahren einer gewichteten Rangaddition an.Die Auspragungen der Attribute, nachfol-gend Subkriterien genannt, wurden auf ei-ner Ordinalskala mittels Rating abgebildet.Voraussetzung fur die Verwendung desVerfahrens ist, dass endlich viele Alternati-ven bezuglich jeden Attributes schwachangeordnet werden konnen. Eine schwacheOrdnung liegt vor, wenn Vollstandigkeitund Transitivitat der Vergleiche gegebensind [Lill92, 86]. Der Entscheidungstrager(siehe Abschnitt 3.1.4) ordnet den im Pro-blem vorliegenden Attributsauspragungen„Notenpunkte“ in der Weise zu, dass erneu hinzukommenden Auspragungen indie Bewertungsskala einordnen kann, ohnedie Beurteilung der vorhandenen Alternati-ven andern zu mussen [Lill92, 30].

Innerhalb von Nutzwertverfahren wird dieModellierung der Praferenzinformation inHohen- und Artenpraferenz unterteilt [Ba-Co91, 27]. Die Hohenpraferenz legt fest, inwelchem Ausmaß die Auspragungen inner-halb eines Kriteriums erstrebenswert sind.Die Artenpraferenz bestimmt das Verhalt-nis der verschiedenen Ziele und ihrer Aus-pragungen zueinander. Sie ist erforderlich,um die Hohenpraferenzen der einzelnenKriterien aggregieren zu konnen [Lill92,86].

Die Werte fur die einzelnen Alternativenwurden mit den entsprechenden Gewich-

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Kernaktivitäten

Phase III : Due-Diligence

4 Due-Diligence-Prozess4 Auswahl des Lieferanten4 Vertragsverhandlung4 Vertragsabschluss

Phase II: Lieferantenauswahl

4 RFP-Fragen und -Antworten4 Bewertung der RFPs4 Antworten4 Lieferantenpräsentation4 Auswahl der Lieferanten

Phase I: RFP-Veröffentlichung

4 Festlegung des Projektumfanges4 Abstimmung des Vorgehens4 Bestimmung der Kostengrundlage

Lieferantenauswahl Vertrags-abschluss

RFP-Antworten

RFP-Vor-

bereitung

Due-Diligence

Übergang

Bewertungder

Antworten

Erörterungdurch

Lieferanten

Auswahl desPartners

Resultate

4 EndgültigeAngebotebewertet

4 Lieferantausgewählt

4 Vertragunterzeichnet

4 Angebote derLieferanten bewertet

4 Zwei Lieferanten fürdie Due-Diligence-Phase ausgewählt

4 Förmlicher RFPan alleTeilnehmerübergeben

Vorstands-beschluss

RFP-Veröffentlichung

Group-Executive-Committee-Beschluss

Vorstandsbeschluss

Vertrags-verhandlung

VorbereitungÜbergang

Meilensteine

Bild 1 Phasenubersicht und zeitlicher Ablauf der Auslagerung

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tungen multipliziert und anschließend ad-diert. Das Ergebnis ist die Bewertung derAlternative. Gewichtungen waren hierbeials Bedeutung des bewerteten Merkmalsfur das gesamte Zielsystem zu verstehen.Hinzuzufugen ist, dass die Anforderungenan die Lieferanten zu Beginn definiert wur-den und sich im Verlaufe des Verfahrensnicht anderten.

Dieses Vorgehen zeigte auch folgendeSchwachstelle des Verfahrens auf: Es kannpassieren, dass ungewollte Substitutionenvergebener Bewertungen vorkommen, alsoein Anbieter deutliche Schwachen einesAttributes durch die sehr gute Bewertunganderer Attribute ausgleicht. Dass ein Auf-treten dieses Effekts durch die Organisati-on der Bewertung in den Arbeitsgruppennicht wahrscheinlich war, wird durch dienachfolgende Beschreibung des Bewer-tungsprozesses deutlich.

In Bild 2 sind alle Ziele („Mitarbeiter“,„Technologie und Service“, „Finanzen“und „Strategie“) mit den entsprechendenAbstraktionsstufen enthalten. Im drittenBild sind drei von vier Abstraktionsstufenam Beispiel des Ziels „Kostenoptimie-rung“ veranschaulicht. Statt der tatsach-lichen Gewichtungen werden diese inBild 2 proportional verteilt dargestellt; inBild 3 sind die Gewichtungen durch ein„X“ ersetzt worden, um keine Ruck-schlusse auf die tatsachlichen Gewichtun-gen zuzulassen.

Die erste Stufe stellten die Ziele der Deut-schen Bank dar. Diese gingen mit einer be-stimmten prozentualen Gewichtung in dieBewertung der Lieferanten ein. Jedes dieserZiele wurde durch Kriterien „ausgefullt“,die gewichtet in das jeweilige Ziel eingin-gen. Gleiches gilt fur die Subkriterien, diemit ihrem prozentualen Wert sozusagen indas jeweilige Kriterium flossen. Die tiefsteStufe bildeten die Anforderungen. Sie wa-ren detailliert im RFP enthalten und bilde-ten die Grundlage fur die Antworten derLieferanten. Sie stellten insofern eine Son-derrolle dar, da sie nicht explizit bewertetwurden. Aus diesem Grund sind sie auchnicht in Bild 3 enthalten. Um dennoch ei-nen Zusammenhang zwischen der Bewer-tung der Subkriterien und den Anforderun-gen herstellen zu konnen, war es moglich,Notizen fur Anforderungen einzutragen,welche implizit die Auswirkung der einzel-nen Anforderung auf die Bewertung desSubkriteriums erklarten.

3.1.3 Entscheidungsprozess

Fur die Bearbeitung jedes der oben ge-nannten Ziele wurden Teams, so genannteStreams, gebildet. Jeder Stream nahm dieTop-down-Prazisierung seines Ziels vor,wobei die oben genannten Stufen bis zuden Anforderungen entwickelt wurden.Ein Austausch zwischen den Streams ubervergebene Punkte war nicht gestattet. DieZusammenfuhrung der Bewertungen er-folgte uber eine externe Beratungsfirma,

die den gesamten Prozess organisierte. Nureinem ausgewahlten Managementkreis wa-ren die Ergebnisse vor der Endprasentationzuganglich.

Die Artenpraferenz wurde anhand der an-gesprochenen Gewichtungen vorgenom-men, welche die Bedeutung der einzelnenMerkmale fur das Gesamtprojekt wieder-spiegeln. Einem Steering-Committee (undnicht den Streams) oblag die Gewichtungder einzelnen Ziele zum Gesamtergebnis.

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Bild 2 Ziele, Kriterien und Subkriterien des Scoring-Prozesses

Bild 3 Zusammensetzung des Ziels „Kostenoptimierung“

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Innerhalb eines jeden Streams wurden dieGewichtungen zwischen Kriterien undZielen bzw. Subkriterien und Kriterien de-finiert. Die Bewertung der Subkriterien er-folgte auf Basis von 196 Anforderungen.Rund 40% der Anforderungen hatten ge-schlossenen Charakter, d. h. sie beschrie-ben eine Erwartungshaltung des Aus-schreibenden und waren mit ja/nein zubeantworten. Allerdings enthielten dieAntworten in der Regel Erlauterungen, so-dass der Prozentsatz der qualitativ formu-lierten Anforderungen deutlich hoher lag.Anforderungen, die klar quantifizierbareGroßen enthielten, waren Einzelfalle, daselbst betriebswirtschaftliche Modelle wieWirtschaftlichkeitsberechnungen von un-terschiedlichen Rahmenbedingungen aus-gingen. Unter diesen Voraussetzungen er-folgte die Bewertung der Subkriterienanhand einer Ordinalskala mittels Ratingwie oben beschrieben.

Vergebene Scores wurden innerhalb dereinzelnen Streams diskutiert und sinddurch das Aufzeichnen von Entschei-dungsprotokollen jederzeit nachvollzieh-bar. Dieses Vorgehen stellte somit dieWertfunktion dar, welche die Auspragungder Hohenpraferenz vornahm. Ein Scoringwurde somit nur auf dieser Ebene durch-gefuhrt. Die dabei vergebenen Bewertun-gen flossen dann je nach Gewichtung vonHierarchie zu Hierarchie. Die Organisati-

on der Bewertungssitzungen kann Bild 4entnommen werden.

Das Ergebnis war fur jeden der funf Liefe-ranten ein Punktwert fur jedes Ziel. Diezusatzlichen Zielgruppen wurden von Ar-beitsgruppen außerhalb der Streams bewer-tet, da sonst eine Einflussnahme dieser Da-ten auf die Bewertung der Hauptzielemoglich gewesen ware. Die Ergebnisse ausdiesen Gruppen gingen gemeinsam mit denResultaten aus dem Streams in die finaleAuswertung des so genannten „AdvisoryBoards“ ein. Von diesem Gremium wurdenauf der Grundlage der Scoring-Ergebnissezwei Lieferanten fur die zweite Phase aus-gewahlt.

Das Kernteam – bestehend aus Kraften derBank und des unterstutzenden Beratungs-unternehmens – wies sechs Manager undca. 70 Mitarbeiter auf.

3.1.4 Vorbereitung derDue-Diligence-Prufung

Das Aufsetzen des Datenbeschaffungspro-zesses (siehe Abschnitt 3.2.1) begann schonfruh in der Phase der Vorauswahl. In einemersten Schritt sendeten alle funf Lieferantenauf der Grundlage des RFP in voraus-schauender Strukturierung ihre Anforde-rungen an die Due-Diligence-Prufung.Dieses Vorgehen zeigt, welcher Aufwand

notwendig war, um diesen Prozess profes-sionell aufzusetzen. Nach der Konsolidie-rung der Anforderungen erhielt man eineso genannte „Data Request List“. Ihr In-halt wurde je nach Schwerpunkt auf dievier oben beschriebenen Streams („Finan-zen“, „Mitarbeiter“, „Technologie und Ser-vice“ und „Strategie“) ubertragen.

3.2 Auswahl des Outsourcingpartners nach beidseitigerDue-Diligence-Prufung

Die Bezeichnung des zweiten Teils desAuswahlverfahrens mit Due-Diligence istnur zum Teil richtig, versteht man hierun-ter doch das detaillierte Prufen einer Sachedurch denjenigen, welcher diese in seinemGeschaftsprozess aufnehmen mochte. Aberes ging nicht nur um die einseitige Prufungder Lieferanten. Die nachfolgend beschrie-bene beidseitige Due-Diligence-Phase be-inhaltet daruber hinaus das gegenseitigePrufen von Deutscher Bank und Outsour-cing-Anbieter mit dem Ziel des gemein-samen Aufbaus langfristig nachhaltiger Er-folgspotenziale und der Ausarbeitung eineshierzu dienenden Betriebskonzeptes. DiesePhase wurde fur beide Bewerber von denBeteiligten bis zu unterschriftsreifen Ver-tragen prazisiert und ausgehandelt, bevorschließlich die Entscheidung fur „den Ge-winner“ fiel. Es wird im Folgenden ge-zeigt, mit welchen Mitteln und Methodendie Bank auf der einen und die Lieferantenauf der anderen Seite diese Phase durch-schritten. Das Ergebnis war die Entschei-dung fur einen Lieferanten und die Ver-tragsunterzeichnung.

Wir beschreiben im Folgenden den Aufbauund die Nutzung von „Data-Rooms‘‘ unddanach den Due-Diligence-Prozess.

3.2.1 Data-Rooms

Zur Bereitstellung der durch die Lieferan-ten im Verlauf der Due-Diligence angefor-derten Daten in definierter Quantitat,Qualitat und Zeit wurde auf das Konzeptder Data-Rooms zuruckgegriffen. Diessind Buroraume, in denen die Lieferantenalle notwendigen Informationen vorfandenbzw. anfordern konnten. Fur jeden der bei-den noch verbleibenden Lieferanten wur-den identisch eingerichtete Raume zur Ver-fugung gestellt.

Die akribische Bereitstellung gleicher Vo-raussetzungen mag auf den ersten Blick

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Bild 4 Scoring-Prozess

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Verwunderung hervorrufen. Sie ist jedochnotwendig, um die rechtlich vorgeschriebe-ne Gleichbehandlung von Bietern sicher-zustellen. Andernfalls ware bei einem sol-chen Großkontrakt durchaus das Risikogegeben, dass ein unterlegener Anbieter dasAuswahlverfahren anficht. Dies konnte zueinem Rechtsstreit durch mehrere Instan-zen und in mehreren Landern fuhren, wasnicht nur erhebliche Summen verschlingenwurde, sondern auch zu massiven Verzoge-rungen des gesamten Projektes einschließ-lich der an seiner Durchfuhrung hangendenstrategischen Vorteile fuhren kann.

So enthielt jeder Data-Room folgende Ein-richtung:

– Minimal drei bis maximal funf Schreibti-sche,

– zwei Computer (Windows NT, PIII 500MHz, 256–512 MB RDRAM, Ether-net-Karte, CD-Rom Laufwerk, Floppydeaktiviert),

– Ethernet 100 Mbit (mit eigenem LANohne Verbindung in das LAN des Un-ternehmens oder zum Internet),

– ein Aktenschrank,– ein Drucker,– ein Shredder,– ein White board,– ein Internationaler Telefonanschluss und– Buromaterialien.

Folgende Regeln mussten bei Benutzungder Data-Rooms eingehalten werden:

– Deutsche-Bank-Mitarbeiter holten dieLieferanten am Eingang des Gebaudesab und begleiteten sie zum Data-Room.

– Die Lieferanten hatten von 9–17 UhrZugang zu ihrem Data-Room, in demsie Zugriff auf Deutsche-Bank-Datenhatten.

– Alle Dokumente, welche am Tag ge-druckt wurden, waren am Abend zuvernichten.

– Keine Dokumente oder elektronischeDaten durften aus dem Data-Room ent-fernt werden. Dies galt sowohl fur Origi-nale als auch ausgedruckte Dokumente.

– Bis zu zehn Mitarbeiter des Lieferantendurften sich auf einmal im Raum aufhal-ten.

– Kein Kontakt war erlaubt zwischen denLieferanten und Deutsche-Bank-Mit-arbeitern, mit Ausnahme festgelegterAnsprechpartner.

– Alle Mitarbeiter des Lieferanten muss-ten eine Nicht-Weitergabe-Verein-barung (Non Disclosure Agreement)unterschreiben.

– Mindestens ein Mitarbeiter der Deut-schen Bank war wahrend der gesamtenZeit im Data-Room.

– Die Dokumentation der europaischenLokationen konnte in der Sprache desjeweiligen Landes vorliegen und musstevon den Lieferanten so akzeptiert wer-den.

3.2.2 Due-Diligence-Prozess

Der Prozess der Datenbeschaffung wurdevon drei Teams getrieben. Die Data-Room-Work-Stream-Leads (SL) hatten die Auf-gabe, fur die Data Request List einheitlicheTemplates zu generieren. Des Weiteren wa-ren sie fur die Verbindung zu den Data-Room-European-Leads (EL) verantwort-lich. Diese Gruppe stellte die Beschaffungder Daten außerhalb Deutschlands sicher.Innerhalb Deutschlands verantwortetendie SLs den gesamten Stream. Der BereichData-Room-Management-Team (MT) ver-antwortete den Data-Room an sich.

Das reibungslose Zusammenspiel derTeams war notwendig, um in der Zeitspan-ne von Juni bis August 2002 den Lieferan-ten eine substanzielle Entscheidungsgrund-lage geben zu konnen. In diesem Zeitraumwurde der im Bild 5 dargestellte und imFolgenden beschriebene Informations-beschaffungsprozess fur jede Anfrage derLieferanten mindestens einmal komplettdurchlaufen.

Anforderungen fur Daten kamen wie obenbeschrieben vor dem Abschluss der Liefe-rantenauswahl von allen funf Lieferantenund nach dem Beginn der Due-Diligencebis zu einem Stichtag von den verbleiben-den zwei Bietern. Je nach Fachgebiet gabder verantwortliche SL die Anfrage in ein-heitlich formatierter Form direkt an das ver-antwortliche Management in Deutschlandoder an sein europaisches Gegenuber wei-ter. An dieser Stelle wurden die Anfragenauf Rechtmaßigkeit uberpruft, priorisiertund an die entsprechenden Bankmitarbeiterweitergegeben. Diese hatten funf Tage Zeit,die Anfrage zu beantworten und die Ergeb-nisse an die SLs zuruckzugeben. Hier er-folgten eine weitere �berprufung und dasWeitersenden an dieMTs, welche nach einerletzten Prufung die Daten in den Data-Room ubernahmen. Hier standen die Datendann fur alle am Prozess beteiligten Liefe-ranten – und nicht nur fur den Fragenden –zur Verfugung. Fur die Lieferanten warendie im Data-Room zur Verfugung stehen-den Computer und Programme die einzige

Moglichkeit, Zwischenergebnisse ihrer Un-tersuchung zu speichern.

Innerhalb der beidseitigen Due-Diligence-Phase bezeichnete die Deutsche Bank denTeilprozess, der die bankseitige detaillierteUntersuchung der beiden verbliebenenLieferanten beinhaltete, mit „Vendor-Dis-cussions“. Die thematischen Grundlagenhierfur waren der Inhalt der Gebote unddas zukunftige Betreiberkonzept des Berei-ches nach der Auslagerung. Letzteresbestand aus folgenden Teilen: „Finanzen(Finance)“, „Fuhrungsvorgehensweise(Governance Process)“, „Operative Bezie-hungen (Operational Relationships)“,„Anwendungen und Technologie (Applica-tions and Technology)“ und „Prozesse undMetriken (Process and Metrics)“. Die teil-nehmenden Parteien in den „Vendor-Dis-cussions“ waren jeweils eine Bankarbeits-gruppe auf der einen und das Team einesLieferanten auf der anderen Seite.

Das Betreiberkonzept wurde sowohl durchdie Anforderungen der Bank als auchdurch die Anforderungen der Bieter defi-niert. Besonderer Wert lag hierbei auf denKundenanforderungen. Man stellte diesdurch Kundenfragebogen und Sitzungenzwischen IT- und Fachbereichsseite sicher.Themen, die hier adressiert wurden, warendie Sicherstellung der Qualitat der Leistun-gen, Aufbau des Bereichs, welcher fur dieKommunikation mit dem Lieferanten nachder Auslagerung verantwortlich ist, undDefinition wirtschaftlicher und kommuni-kativer Rahmenbedingungen.

Die Streams aus der Phase „Lieferanten-auswahl“ wurden großtenteils beibehalten.Eine vollkommene �bernahme war nichtzweckmaßig, weil sich die oben genanntenBestandteile des Betreiberkonzeptes mehram spateren Vertragsaufbau als an derAusschreibung orientierten. In der Zu-sammenarbeit der Teams vollzog sich ein„Paradigmenwechsel‘‘. War wahrend derPhase der Lieferantenauswahl eine arbeits-gruppenubergreifende Kommunikationuntersagt, so galt diese nunmehr als Basis-bestandteil. Da das Resultat der Due-Dili-gence vertragsvorbereitend war, musstenBeeinflussungen zwischen den unter-schiedlichen Themen aufgezeigt werden.Um dies sicherzustellen, wurden taglichSitzungen zwischen den Arbeitsgruppendurchgefuhrt, die dem Austausch der neu-esten Erkenntnisse aus den Vendor-Dis-cussions dienten. Bei Feststellung von�berschneidungen hielt man als Ergan-

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zung so genannte „Joint Discussions“ ab.Hierbei waren Mitglieder von mehr als ei-nem Team bei der Diskussion mit demLieferanten anwesend und konnten so eineffizientes Bearbeiten des jeweiligen The-mas gemeinsam mit dem Lieferanten si-cherstellen.

Die Aufgaben der Bank-Arbeitsgruppenorientierten sich am Betreiberkonzept. DerFokus der Gruppe „Finanzen“ war dasGeschaftsmodell des ausgelagerten Berei-ches im Verantwortungsbereich des Out-sourcing-Anbieters und Preisgestaltungs-modelle. Die Parteien entwickelten in denGesprachen die im Angebot enthaltenenModelle fur Einsparungen und die Kosten-entwicklung der Bieter fur alle europai-schen IT/I-Standorte weiter. Den großtenKlarungsbedarf gab es mit der Arbeits-gruppe „Fuhrungsvorgehensweise“ bezug-lich Kontrollmechanismen, Vertragsstrafen,Garantien und Behandlung nicht im Ver-trag berucksichtigter Ereignisse.

Alle Beziehungen zwischen dem Partnerund der Deutschen Bank im Zeitraum des�berganges, des Betreibens und einermoglichen Beendigung des Geschaftsver-haltnisses wurden von der Arbeitsgruppen„Operative Beziehungen“ und „Fuhrungs-vorgehensweise“ behandelt. Ebenso legteman die Regeln und Schritte fest, nach de-nen Belegschaft, Anlageguter, Prozesseund Vertrage beim �bergang des Bereicheszum Outsourcing-Anbieter zu transferie-ren sind. Ein zentraler Bestandteil der Be-sprechungen war die Sicherstellung derRechtmaßigkeit und das Verbleiben desoperationellen Risikos auf niedrigem Ni-veau bei Anpassungen von Prozessendurch den Lieferanten. Sollten sich durchzukunftige �nderungen Einsparungen rea-lisieren lassen, die nicht im Angebot ent-halten waren, so wurde vertraglich fest-gelegt, dass die Bank an ihnen zu beteiligenist. Auch fur diesen Punkt nahm man dieRegeln und Kontrollen aus der Ausschrei-bung auf und vertiefte sie weiter. Insgesamtergab dies eine genaue Beschreibung derService-Level-Agreements (SLA) und derVorgehensweisen beim Installieren einesRegelwerkes, welche garantierte, dass derBereich auf dem Stand der Entwicklunggehalten wird und geforderte Berichte (et-wa zu Verfugbarkeiten, Produktionsausfal-len, Inventarlisten) zeitgerecht erhalt. Wei-terhin wurden die Strukturen undVerantwortlichkeiten der Teams auf Bank-und Lieferantenseite definiert, welche dieeben beschriebenen Punkte wahrend der

gesamten Partnerschaft umsetzen und be-gleiten.

Innerhalb der Arbeitsgruppen „Anwen-dungen und Technologie“ und „Prozesseund Bemessung/Bewertung“ wurde dis-kutiert, auf welche Art die heutigen Pro-dukte und Leistungen vom Lieferantennach der Auslagerung anzubieten sind. Zubeachten ist hierbei, dass eine Hauptfunk-tion des Bereiches darin besteht, dass sichApplikationen in die vorhandene Infra-struktur moglichst kostengunstig einpas-sen, ohne die Performanz des gesamtenSystems zu storen. Somit wird hier einewesentliche Governance-Funktion wahr-genommen. Ein zusatzlicher Aspekt wardie Bildung der Grundlage des Preis-modells durch eine weitere Detaillierungder Beschreibung der Produkte und Leis-tungen gegenuber den Ausfuhrungen inder Ausschreibung. Die hier gewonnenenErkenntnisse ermoglichten es, gemeinsammit dem Team „Finanzen“ ein transparen-tes Preismodell zu entwickeln. Dieses Mo-dell basierte auf einem Produktkosten-Mo-dell. Es enthielt sowohl feste als auchvariable Kostenanteile, aber ein wesentli-cher Anteil der Kosten war fix. Mit derVerfugbarmachung des Modells wurde je-doch eine wichtige Grundlage fur die zu-kunftige Entwicklung der Verrechung ge-legt. Die Bank beabsichtigt, gemeinsam mitdem Lieferanten zu einem rein variablenModell uberzugehen. Hierfur lieferten dieLieferanten schon im Rahmen der GeboteGeschaftsmodelle ab. Um diese Modelleweiter zu entwickeln, war die Transparenzder Produkt- und Leistungsstruktur mitden dazugehorigen Kosten ebenfalls Vo-raussetzung. Die Rahmenbedingungenhierfur (Bemessungszeitraum, Kosten proProdukt) wurden bereits in der Ausschrei-bung formuliert und innerhalb der Vendor-Discussions weiter verfeinert.

Innerhalb der beidseitigen Due-Diligence-Phase wurde daruber hinaus einmalig eineVendor-Discussion durchgefuhrt, welcheals zentrales Thema das Ausraumen so ge-nannter K.O.-Kriterien hinsichtlich einesVertragsabschlusses besaß. Die Punkte re-sultierten aus Sitzungen zwischen den Ar-beitsgruppen und den Fachbereichen, an-deren Vendor-Discussions und derDue-Diligence-Tatigkeit der Lieferanten.Ziel war es, die spater beginnenden bilate-ralen Vertragsverhandlungen zu entlastenund so viele Konfliktpunkte wie moglichim Vorfeld auszuraumen. Jede Diskussionresultierte in einer Einigung, welche

schriftlich festgehalten und unterzeichnetdie Grundlage fur die spatere Vertrags-gestaltung bildete, oder wurde als momen-tan noch offene Punkte in einer Liste ge-fuhrt. In einem nachlaufenden Prozesspriorisierte man Letztere und bereitete de-ren Aufnahme in die Vertragsverhandlun-gen vor.

Aus unseren Erfahrungen kann man einigeErfolgsfaktoren fur das Durchlaufen einersolchen Due-Diligence formulieren:

1) Klare Regeln fur die Zusammenarbeitder internen und externen Teams, inner-halb und zwischen den Gruppen.

2) Die Datenbasis muss an den Wunschender Lieferanten orientiert werden.

3) Zur Abfrage der Information muss so-wohl ein organisatorisches als auch eintechnisches Rahmenwerk (Framework)definiert sein, welches Information in-nerhalb bestimmter Antwortzeitennachvollziehbar liefern und speichernkann. Den Lieferanten ist es nur uberdieses System erlaubt, auf die Informati-on zuzugreifen.

4) Arbeiten mehrere interne Teams imRahmen der Due-Diligence oder derVendor-Discussions an gemeinsamenFragen, aber getrennt voneinander, soist eine protokollierte Synchronisierungder Erkenntnisse notwendig.

Eine wichtige Erkenntnis am Ende derVendor-Discussions war, dass die so ge-nannten „Soft Factors“, welche preislichkaum abbildbar sind, einen wesentlichenDifferenzierungsfaktor darstellten. Her-vorzuheben ist hier der „Cultural Fit“, deru. a. bestimmt, welche Eingliederungspro-zesse der Bieter fur die zu ubernehmendenMitarbeiter besitzt und durchfuhren moch-te. Auch fur den Outsourcing-Anbieter istes wichtig, bei einem Projekt dieser Kom-plexitat die Fluktuation der Mitarbeiter sogering wie moglich zu halten. Gelingt diesnicht, so wird die Umsetzung aller aufwan-dig erarbeiteten und gepruften Plane durchdas Fehlen von Know-how-Tragern ge-fahrdet. Als weiterer wichtiger Soft Factorerwies sich die Anpassungs- und �nde-rungsfahigkeit des Anbieters. Sie be-schreibt, wie flexibel er auf Anforderungenreagiert und inwieweit er zu Kompromis-sen bereit ist oder diese selbst vorschlagtund vorantreibt. Der dritte hier zu nennen-de Faktor ist das „Management Commit-ment“. Er druckt das „Bauchgefuhl“ aus,welches im Management dem Bieter gegen-uber herrscht. Dieses ist nicht zu unter-schatzen – ist doch eine moglichst unkom-

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plizierte Zusammenarbeit wahrend der ge-samten Partnerschaft notwendig.

4 Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt die Methoden underarbeiteten Erfahrungen in den beidenaufeinander folgenden Phasen der Liefe-rantenauswahl beim Infrastruktur-Out-sourcing durch Scoring und beidseitigeDue-Diligence. Er beschreibt die metho-dischen Grundlage fur die auf einemPunktbewertungsmodell aufbauende Vor-auswahl von Lieferanten und zeigt, welcheBeziehungen zwischen den Streams derBank und Lieferanten bestanden. Entgegenden Erwartungen erwies sich das Scoring-Verfahren trotz der Generalisierung derAnforderungen als sehr aufwandig. EinGrund hierfur war, dass die Notenvergabenachvollziehbar (verbal) kommentiert wer-den musste. Die Vorauswahl fur zwei Lie-feranten konnte wegen des eigenstandigen

Charakters der einzelnen Ziele nicht durcheinfache Mittelung der Wertungen zueinem Gesamtwert erfolgen. Vielmehrmussten die Lieferanten mit der optimalenPosition im mehrdimensionalen Eigen-schaftsraum ermittelt werden, das durchdie Analytik der Hohen- und Artenprafe-renz der auf die Auswertung des konkretenAngebots bezogenen Ziele einerseits unddie in dem Beitrag ausgefuhrten zusatz-lichen Ziele („Unternehmenshintergrund/Nachhaltigkeit“) andererseits aufgespanntwird.

Hierbei war zu beachten, dass die Erful-lung jedes Einzelziels nicht die Mindest-anforderungen unterschreiten und dieGesamtheit der Erfullungsgute nicht we-sentlich unter jener der Mitanbieter liegendarf und dennoch das relative �berge-wicht des finanziellen Ziels der Auslage-rung erhalten bleibt. Auch dieses schwieri-ge Entscheidungsfeld erhohte den Auf-wand.

Im Rahmen der Beschreibung der Due-Di-ligence-Phase wurde die Bedeutung undOrganisation der Data-Rooms aufgezeigt.Hauptziel hierbei war es, den verbleiben-den zwei Lieferanten einen tiefen Einblickin die operationellen Anforderungen derBank und die damit verbundenen Risikenzu geben. Dadurch sollten sie in die Lageversetzt werden, ihr Angebot zu spezifizie-ren und ihren Business-Plan auszuarbeitenbzw. zu verfeinern. Durch das Definierenklarer Verantwortlichkeiten fur die Daten-beschaffung und die Verwendung eines de-finierten Workflows, der Datenqualitat beikurzesten Antwortzeiten sicherstellte,konnte dieses Ziel erreicht werden. Vonder Anfrage eines Lieferanten bis zur Be-antwortung vergingen maximal sieben Ta-ge. Zeitnahes und gleichwohl qualitatsgesi-chertes Handeln war ein wesentlicherFaktor, wenn man sich veranschaulicht,welches Datenvolumen von Seiten der Lie-feranten in kurzer Zeit gesichtet und be-wertet werden musste. Neben der eigenenDue-Diligence musste der Lieferant zu-

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Bild 5 Revolvierender Datenbeschaffungsprozess

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satzlich parallel fur die Vendor-Discussionsdurch die Deutsche Bank zur Verfugungstehen. Diese waren das letzte Glied in derArbeitskette vor den finalen Vertragsver-handlungen.

Wegen der Aufteilung der Aufgaben aufverschiedene Arbeitsgruppen war derKommunikationsaufwand sehr hoch. Hierbesteht in Zukunft noch Raum fur Verbes-serungen. Hinterfragt werden muss auchdie �nderung der Zusammenarbeit derTeams von der ersten zur zweiten Phaseder Auswahl. Eventuell hatte der Kom-munikationsaufwand in der zweiten Phasewesentlich verringert werden konnen,wenn die Teams schon in der Vorauswahlzusammen gearbeitet hatten. Weiterhin wa-re es hilfreich gewesen, wenn fur die Ven-dor-Discussions ebenfalls ein Data-Roomzur Verfugung gestanden hatte. In diesemFall waren manche Joint Discussions nichtnotwendig oder zumindest weniger auf-wandig gewesen.

�berraschend war, dass die Soft Factorsneben den klassischen Einflussgroßen einwichtiges Unterscheidungsmerkmal dar-stellten. Insofern wird deutlich, dass manein im Rahmen von Infrastruktur-Out-sourcing betriebenes Verbinden von Nach-frager und Anbieter nicht nur als operati-ves Supply-Chain-Management begreifendarf, sondern es muss es als eine Art insti-tutioneller Verbindung ausgestaltet wer-den, die Elemente eines Gemeinschafts-unternehmens enthalt.

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Abstract

Scoring and double-sided due diligence processes employed with vendor selection for ITinfrastructure outsourcingOutsourcing opens the procurement of semi-finished products from business partners thatare able to provide the respective processes in the required quality but at lower prices, e. g.because of bundling effects and specialization advantages. In particular, services that arenot based on core-processes of an enterprise are well-suited for outsourcing.The evaluation of IT service outsourcing is difficult, because of its strategic position in enter-prises. Against this background, this article describes a method to select a suitable vendorfor IT infrastructure outsourcing employing scoring and double-sided due diligence pro-cesses. Our findings are based on experiences when selecting the vendor for outsourcingthe European Information Technology Infrastructure (IT/I) area of the Deutsche Bank AG.

Keywords: due diligence, outsourcing, financial industry, IT services, vendor selection

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