S. Berke, "haud procul". Die Suche nach der Örtlichkeit der Varusschlacht, in: Landesverband Lippe...

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Fakten, Fakten, Fakten 133 Im Jahre 1908 hielt, als Proemium zu der im folgenden Jahr stattfindenden 1900- Jahr-Feier des Schlachtgeschehens, der Münstera- ner Althistoriker und Archäologe Friedrich Koepp 1 in Detmold einen Vortrag mit dem Titel: »Die Varusschlacht in Geschichte und Forschung«. In diesem Vortrag, heute noch spannend und unterhaltsam zu lesen, kam Koepp auch, wie sollte es anders sein, zu der Frage nach dem »wo« der Kata- strophe. Er führte in seinem Vortrag aus: »Damit stehen wir vor dem ›wo?‹, der Frage, die schon so viele Federn vergebens be- schäftigt hat. Über diese Frage nach der Örtlichkeit der Va- russchlacht und die damit zusammenhängende Frage nach dem Kastell Aliso, des einzigen uns mit Namen bekannten Rö- merkastells in unseren Landen, gibt es eine ungeheure Litera- tur, die durch Quantität und Qualität der Schrecken aller For- scher ist, die auf dieses Gebiet verschlagen werden. […] So- viel wird nur über die Dinge geschrieben – die man nicht wissen kann. Wenn aber einer über dieses Sommerlager oder auch über die anderen und über das Kastell Aliso eine Hypo- these hegt – dann gehen sie ihm aus dem Wege – nein! Das wäre zu hart: denn es sind wirklich treffliche Leute darunter und vielleicht gar einer oder anderer unter uns! – nicht ihm gehen sie aus dem Wege, sondern ihr, der Hypothese nämlich. Sprechen sie nicht davon, hören sie höchstens zu! Streiten sie nicht darum! Es kommt nichts dabei heraus. Ich weiß es aus Erfahrung. Der Mann ist unheilbar, und die Sache ist am En- de noch ansteckend.« Koepps mahnende Worte aus dem Jahr 1908 sollten uns auch heute noch in den Ohren klingen, denn sie sind so aktu- ell wie nie. Mit zunehmender Nähe zum Jahre 2009 nahmen die Lokalisierungsversuche wieder zu 2 und die Auseinander- setzungen um bestehende Interpretationsversuche wurden im- mer schärfer, 3 obwohl doch eigentlich mit der Entdeckung der Funde und Befunde in Kalkriese die Frage entschieden schien. Fakten, Fakten, Fakten Was sind die bis heute bekannten Fakten? Wir wissen durch Cassius Dio, 4 dass Varus sich in einem Lager an der Weser im Gebiet der Cherusker aufhielt. Niemand kann bis heute sa- gen, 5 wo sich dieses Lager befunden hat. Es kommt der ge- samte Verlauf der Weser, etwa vom Einfluss der Diemel bei Bad Karlshafen, bis in den Raum von Minden infrage. Ge- nauso wenig wissen wir, in welche Himmelsrichtung das un- glückliche Heer marschierte. Einen Anhaltspunkt gibt uns le- diglich eine Textstelle bei Tacitus. Germanicus marschierte im Jahre 15 n. Chr. von Norden her kommend die Ems aufwärts und passierte das etwa 40 km östlich davon liegende Kalkrie- se, ohne es aufzusuchen. Tacitus schreibt dann: »Von da aus wurde das Heer in die entlegensten Teile des Bruktererlandes geführt und alles Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstet, nicht weit (haud procul) vom Teutoburger Wald, in dem, wie es hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen noch un- bestattet lagen.« 6 In der Folge beschreibt Tacitus dann, wie das römische Heer das Schlachtfeld aufsuchte und die Überreste der Gefallenen nach römischem Brauch in einem Grabhügel bestattete. Nur, in welche Richtung zog die Germanicusarmee? In westliche Richtungen sicher nicht, denn daher kam man ja ge- rade. Es bleibt nur ein Bogen von 180 Grad von Norden über Osten nach Süden übrig. Was heißt »nicht weit«? Einen Tagesmarsch? Zwei Tages- märsche? Wie weit ist ein Tagesmarsch anzusetzen? Dieser konnte, je nach Gelände und Erfordernissen, eine Entfernung von 10 –50 km betragen. Tacitus verwendet die Kombination »haud procul» bei der Angabe von Entfernungen über Land für Strecken von etwa 20 km. 7 Fragen also, die sich mit den beiden Quellen nicht beant- worten lassen. Doch gibt es weitere Hinweise. Nachweislich beteiligt an dem Geschehen war der Stamm der Marser, wohn- haft zwischen oberer Lippe und dem Sauerland. Unter ihrem König Mallovendus ergaben sich diese 16 n. Chr. den römi- schen Truppen und Mallovendus lieferte einen der Adler der Varuslegionen aus, der sich im Besitz seines Stammes befand. 8 Ebenfalls beteiligt waren die Brukterer, zwischen Ems und Lippe siedelnd, bei denen sich im Jahre 15 n. Chr. der Adler der 19. Legion wiederfand. 9 Außer Frage steht die Teilnahme der Cherusker, bei denen, wie es Gustav Adolf Lehmann über- zeugend herausarbeitete, im Jahre 41 n. Chr. Publius Gabinius »haud procul« Die Suche nach der Örtlichkeit der Varusschlacht Stephan Berke DET_019_138_Kap_02_16_von_DDS.qxd:Layout 4 07.04.2009 12:21 Uhr Seite 133

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Fakten, Fakten, Fakten 133

Im Jahre 1908 hielt, als Proemium zuder im folgenden Jahr stattfindenden 1900-

Jahr-Feier des Schlachtgeschehens, der Münstera-ner Althistoriker und Archäologe Friedrich Koepp1 in

Detmold einen Vortrag mit dem Titel: »Die Varusschlacht inGeschichte und Forschung«. In diesem Vortrag, heute nochspannend und unterhaltsam zu lesen, kam Koepp auch, wiesollte es anders sein, zu der Frage nach dem »wo« der Kata-strophe.

Er führte in seinem Vortrag aus: »Damit stehen wir vordem ›wo?‹, der Frage, die schon so viele Federn vergebens be-schäftigt hat. Über diese Frage nach der Örtlichkeit der Va-russchlacht und die damit zusammenhängende Frage nachdem Kastell Aliso, des einzigen uns mit Namen bekannten Rö-merkastells in unseren Landen, gibt es eine ungeheure Litera-tur, die durch Quantität und Qualität der Schrecken aller For-scher ist, die auf dieses Gebiet verschlagen werden. […] So-viel wird nur über die Dinge geschrieben – die man nichtwissen kann. Wenn aber einer über dieses Sommerlager oderauch über die anderen und über das Kastell Aliso eine Hypo-these hegt – dann gehen sie ihm aus dem Wege – nein! Daswäre zu hart: denn es sind wirklich treffliche Leute darunterund vielleicht gar einer oder anderer unter uns! – nicht ihmgehen sie aus dem Wege, sondern ihr, der Hypothese nämlich.Sprechen sie nicht davon, hören sie höchstens zu! Streiten sienicht darum! Es kommt nichts dabei heraus. Ich weiß es ausErfahrung. Der Mann ist unheilbar, und die Sache ist am En-de noch ansteckend.«

Koepps mahnende Worte aus dem Jahr 1908 sollten unsauch heute noch in den Ohren klingen, denn sie sind so aktu-ell wie nie. Mit zunehmender Nähe zum Jahre 2009 nahmendie Lokalisierungsversuche wieder zu2 und die Auseinander-setzungen um bestehende Interpretationsversuche wurden im-mer schärfer,3 obwohl doch eigentlich mit der Entdeckung derFunde und Befunde in Kalkriese die Frage entschieden schien.

Fakten, Fakten, Fakten

Was sind die bis heute bekannten Fakten? Wir wissen durchCassius Dio,4 dass Varus sich in einem Lager an der Weser im

Gebiet der Cherusker aufhielt. Niemand kann bis heute sa-gen,5 wo sich dieses Lager befunden hat. Es kommt der ge-samte Verlauf der Weser, etwa vom Einfluss der Diemel beiBad Karlshafen, bis in den Raum von Minden infrage. Ge-nauso wenig wissen wir, in welche Himmelsrichtung das un-glückliche Heer marschierte. Einen Anhaltspunkt gibt uns le-diglich eine Textstelle bei Tacitus. Germanicus marschierte imJahre 15 n. Chr. von Norden her kommend die Ems aufwärtsund passierte das etwa 40 km östlich davon liegende Kalkrie-se, ohne es aufzusuchen. Tacitus schreibt dann: »Von da auswurde das Heer in die entlegensten Teile des Bruktererlandesgeführt und alles Gebiet zwischen Ems und Lippe verwüstet,nicht weit (haud procul) vom Teutoburger Wald, in dem, wiees hieß, die Überreste des Varus und seiner Legionen noch un-bestattet lagen.«6 In der Folge beschreibt Tacitus dann, wie dasrömische Heer das Schlachtfeld aufsuchte und die Überresteder Gefallenen nach römischem Brauch in einem Grabhügelbestattete.

Nur, in welche Richtung zog die Germanicusarmee? Inwestliche Richtungen sicher nicht, denn daher kam man ja ge-rade. Es bleibt nur ein Bogen von 180 Grad von Norden überOsten nach Süden übrig.

Was heißt »nicht weit«? Einen Tagesmarsch? Zwei Tages-märsche? Wie weit ist ein Tagesmarsch anzusetzen? Dieserkonnte, je nach Gelände und Erfordernissen, eine Entfernungvon 10 –50 km betragen. Tacitus verwendet die Kombination»haud procul» bei der Angabe von Entfernungen über Landfür Strecken von etwa 20 km.7

Fragen also, die sich mit den beiden Quellen nicht beant-worten lassen. Doch gibt es weitere Hinweise. Nachweislichbeteiligt an dem Geschehen war der Stamm der Marser, wohn-haft zwischen oberer Lippe und dem Sauerland. Unter ihremKönig Mallovendus ergaben sich diese 16 n. Chr. den römi-schen Truppen und Mallovendus lieferte einen der Adler derVaruslegionen aus, der sich im Besitz seines Stammes befand.8

Ebenfalls beteiligt waren die Brukterer, zwischen Ems undLippe siedelnd, bei denen sich im Jahre 15 n. Chr. der Adlerder 19. Legion wiederfand.9 Außer Frage steht die Teilnahmeder Cherusker, bei denen, wie es Gustav Adolf Lehmann über-zeugend herausarbeitete, im Jahre 41 n. Chr. Publius Gabinius

»haud procul«Die Suche nach der Örtlichkeit der VarusschlachtStephan Berke

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Secundus den dritten Adler sicherstellen konnte.10 Für denStamm der Chatten ist der Besitz von Kriegsgefangenen ausder Schlacht belegt,11 die man fast 40 Jahre nach dieserSchlacht aus der Gefangenschaft befreien konnte.

Gestützt auf diese dürftigen Angaben zur Örtlichkeit derVaruskatastrophe wurde im Laufe der Jahrhunderte eine un-geheure Menge an Lokalisierungsversuchen publiziert, dieschon zur Zeit des Vortrages von Koepp 1908 schier unüber-sehbar war. Auch wenn es sich nicht um 700 gänzlich unter-schiedliche Theorien handelt, wie es einst W. Winkelmannformulierte,12 sind es doch über 30 vermeintliche Schlachtor-te, die immer wieder in den unterschiedlichsten Überlegun-gen auftauchen. Damit gehört der Mythos »Suche nach derÖrtlichkeit der Varusschlacht« zu den bedeutenden »Such-mythen« wie der Suche nach Atlantis, nach Troia, nach demSchatz der Nibelungen, nach dem Heiligen Gral oder der Su-che nach dem sagenhaften Eldorado. Allen diesen Suchmy-then gemeinsam ist ihre fragmentarische Überlieferung in an-tiken Quellen, Sagen oder Erzählungen. Neugier, Phantasie,Ruhmsucht oder Gier trieb und treibt die Suchenden an, die-se Rätsel zu lösen und befähigt sie zu ungeheuren Leistungenund Opfern.13 Der Charakter dieser »Suchmythen« erlaubt esjedem, ob Wissenschaftler oder Laie, mitzureden, seine eige-

ne Spur zu hinterlassen und so ein wenig zur eigenen »Un-sterblichkeit« beizutragen. Bemerkenswert nach den langenJahren der Emanzipation ist, dass die Beschäftigung mit die-ser Art von »Suchmythen« bis heute fast ausschließlich einereine Männerdomäne geblieben ist.

Frühe Versuche

Schon bald nach der Entdeckung der Annalen des Tacitus 1507im Kloster Corvey bei Höxter, der Wiederentdeckung derSchriften des Velleius Paterculus und des Cassius Dio, die bisheute die bestimmenden Schriftquellen bei den Lokalisie-rungsversuchen geblieben sind, begannen die ersten Versuche,den Ort dieser römischen Niederlage zu lokalisieren.14 Schonbald konzentrierte sich die Suche auf den Großraum Westfa-len. Hauptantrieb des Interesses war, möglichst viele Anhalts-punkte für eine sichere Lokalisierung der Varusschlacht zu er-halten, denn in dem erfolgreichen Aufstand der germanischenStämme gegen Rom erblickte man das Beispiel einer frühendeutschen Selbstbehauptung.

So erfolgte schon 1539 durch Johannes Kruyshaar (Cin-cinnius) aus Lippstadt eine Fixierung des Schlachtortes zwi-schen Rietberg und Delbrück an der oberen Ems.15 H. Hamel-mann aus Lemgo zog 1564 erstmals römische Funde heran,um seine Lokalisierungsthese auf dem Winnfeld bei Berlebeck

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abb. 1 H. Hamelmann – E. C. Wasserbach, Hermanni Hamelmanni …dum viveret. Superint. Oldenburgici, Opera Genealogico-Historica,De Westphalia & Saxonia Inferiori (Lemgo 1711), Frontispiz (Kat. 194).

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zu stützen (Abb. 1).16 Im 17. Jh. beschäftigen sich dann vor al-lem Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg in Paderborn(Abb. 2) und Johannes Möser17 in Osnabrück mit dieser Fra-ge. Auf den Paderborner Bischof geht die Gleichsetzung des»Osning« genannten Mittelgebirgszuges mit dem bei Tacitusgenannten »saltus Teutoburgensis« zurück.18

Das steigende Nationalbewusstsein im Zusammenhangmit den Befreiungskriegen der napoleonischen Zeit und diezunehmende klassische Bildung führte zu einer vermehrtenBeschäftigung mit »Alterthümern« an sich und vor allem Ge-genständen der augusteischen Okkupationszeit östlich desRheines im Besonderen. In diesem Zusammenhang ist derPfarrer J. H. Niesert (1766–1841) in Velen zu nennen, der, ne-ben Ausgrabungen auf prähistorischen Fundstätten, über dieJahre hinweg eine große Anzahl römischer Gegenstände ausWestfalen sammelte. Schon 1816 fanden nachweislich die ers-ten Ausgrabungen in den römischen Anlagen von Halternstatt, wobei man sich des römischen Charakters der Grabfun-de durchaus im Klaren war.19

Einen ersten ernsthaften Versuch zur Lokalisierung derin diesem Zusammenhang errichteten römischen Militärlagerstellt der Beitrag des preußischen Generalstabsoffiziers F. W.Schmidt dar, der in den 30er-Jahren des 19. Jhs. anhand römi-scher Funde auf dem Annaberg bei Haltern überhaupt das ers-te römische Militärlager in Westfalen entdecken konnte.20 Die-ser erfolgreichen Entdeckung schlossen sich in der folgendenZeit weitere Versuche an, die jedoch nicht von Erfolg gekröntwaren. Man bezeichnete Kastelle, Straßen und Landwehrenkurzerhand als römisch und stützte sich bei der Beweisfüh-rung auf vermeintliche oder echte römische Funde. Bei Letz-teren reichte schon eine römische Provenienz, ohne auf dieZeitstellung zu achten, um eine augusteische Präsenz zu »be-weisen«.21

Gestützt auf die Funde augusteischer Münzen in Barenauebei Kalkriese, vermutete dann 1885 Th. Mommsen die Ört-lichkeit des Schlachtgeschehens in diesem Umkreis.22

Einen wissenschaftlichen Meilenstein für die Erforschungder römischen Funde und Anlagen, vor allem in Westfa -len, bedeutete die Gründung der Altertumskommission fürWestfalen im Jahre 1897 aus dem Westfälischen Altertums-verein heraus. Schon 1899 konnte die Altertumskommissionmit den Grabungen in den römischen Anlagen von Halternbeginnen, 1901 beauftragte die Kommission H. Hartmann mit Aus grabungen in dem römischen Lager von Kneblinghausen und 1904 entdeckte der Pfarrer O. Prein das Lager von Obe-raden.23 Mit diesen Entdeckungen war nun klar, wie die ent-sprechenden römischen Funde auszusehen hatten, die man imZusammenhang mit der Verortung der Schlacht zu fordernhatte.24

Avanti Dilettanti

Mit dem fortschreitenden Erkenntnisgewinn der archäologi-schen Wissenschaften spaltete sich das Heer der Suchendenam Ende des 19. Jhs. in zwei Stränge auf. Auf der einen Seitedie wissenschaftlich tätigen Althistoriker und Archäologen,die sich vornehmlich der Textexegese der vorhandenen Quel-len und den umfangreichen Ausgrabungen widmeten, auf deranderen Seite die ambitionierte Laienforschung, die sich mitgroßer Vehemenz bis zum heutigen Tage der Lokalisierungs-frage widmet. Teils sehr ideenreich und systematisch,25 teilsauch immer wieder alte Thesen in neuem Gewand vorstel-lend,26 wird fulminant formuliert und fabuliert. Mal wird dieÖrtlichkeit mit Methoden der Mathematik27 ergründet, malmüssen vorgeblich römische Funde als Beweis für die Veror-tung herhalten.28 Daher ist gerade in Westfalen bei augustei-schen Funden, die nicht aus wissenschaftlichen Ausgrabun-gen stammen und durch Nichtfachleute eingeliefert werden,äußerste Skepsis angebracht. Häufig sollen derartige Funde alsBeleg für Theorien zur Örtlichkeit der Varusschlacht dienenund nicht immer lässt sich zweifelsfrei die Möglichkeit aus-schließen, dass diese Funde untergeschoben werden. Ein neue-res Beispiel stellt der Fund eines frührömischen Riemenha-kens aus Berlebeck bei Detmold dar. Angeblich mit einer Me-tallsonde in situ gefunden, stellte sich bei Nachgrabungenheraus, dass der Riemenhaken aus einem neuzeitlich angeleg-ten Kalkbrennofen stammte.29 Auch die bekannten Funde ausHeidenoldendorf sind anscheinend nicht originär.30 Wie weitsolche Unterschiebungen gehen können, zeigt das Beispiel derAusgrabungen in Kneblinghausen. Hier wurden durch einenMitarbeiter der Grabungen von E. Samesreuther und E. Hen-neböle römische Funde des 1.–4. Jhs. n. Chr. aus Köln wäh-rend der Arbeiten untergeschoben.31

Mithilfe des vermutlichen »germanischen Festkalen-ders«32 oder gar neuen »Quellen«33 wird das »wie, wo und wa-rum« des Geschehens weiter erleuchtet und selbst ganzeSchlachtabläufe werden in der gewünschten Topographie re-konstruiert.34 Gemeinsam ist allen, dass sich widerspruchs-freie Theoriegebäude ergeben, die durch nichts zu erschütternsind, jedoch einer wirklichen wissenschaftlichen Belastungs-probe nicht standhalten. In Verlegenheit bringen sie die Wis-senschaft, wenn es dem jeweiligen Autor gelingt, eine ein-flussreiche Fangemeinde zu blenden. Dann entsteht der,manchmal auch politische, Druck, Zeit und Geld verschwen-dend den Versuch zu machen, der jeweiligen These den Gar-aus zu machen.

Schon von Petrikovits gliederte diese Lokalisierungstheo-rien in vier Hauptgruppen, die bis heute Bestand haben undsich auf den infrage kommenden Raum beziehen (Abb. 3):35

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1. Die Nordtheorie, die den Schlachtort am Nordrand desWiehen- und Wesergebirges oder in dessen ebenem Vor-land sucht.

2. Die Lippische Theorie, die den Ort der Niederlage im heu-tigen Teutoburger Wald oder zwischen diesem und der We-ser lokalisiert.

3. Die Münsterländer Theorie, die das dramatische Gesche-hen westlich des heutigen Teutoburger Waldes vermutet.

4. Die Südtheorie, die das Sauerland bevorzugt in den Mittel-punkt der Theoriegebäude rückt.36

Das »ein Produkt Unternehmen«37

Mit der (Wieder-)Entdeckung des Fundplatzes Kalkriese beiBarenaue im Jahre 1987, der uns zum ersten Mal unzweifelhaftdie Relikte einer militärischen Auseinandersetzung zwischenRömern und Germanen lieferte, schien der alte Streit um das»wo« endlich entschieden. Auf einem ca. 30 km2 großen Ge-

lände, eingekeilt zwischen dem »Großen Moor« im Nordenund einer vorspringenden Anhöhe des Wiehengebirges, dem»Kalkrieser Berg«, im Süden, fanden sich neben großen Men-gen an römischen Militaria, wie z.B. die zum Signet geworde-ne Gesichtsmaske, Funde, die nur zum Tross gehört habenkönnen, wie die Reste eines römischen Maultieres, medizini-sche Instrumente und, neben Münzen, hunderterlei andere rö-mische Gegenstände.38 Durch Grabungen konnte ein etwa400 m langer, Ost-West verlaufender Wall aufgedeckt werden,der in geschwungenen Bögen39 verläuft. Er war in »römischerSchanztechnik« errichtet worden, hatte ursprünglich eineBreite von rund 4 m und eine Höhe von 2 m. Bekrönt wurdedas Bauwerk, auf etwa 20 m Länge nachgewiesen, durch einehölzerne Palisade.40 An mehreren Stellen wurde das Bauwerkdurch Durchlässe unterbrochen, an denen es Hinweise auf To-re gibt. Im Vorfeld der Wallanlage gelang es, acht Knochen-gruben aufzudecken, in denen sich sowohl Tier- als auch Men-schenknochen fanden. Letztere stammen, soweit bestimmbar,von 20 bis 40 Jahre alten Männern, und weisen teilweise Spu-ren von Kampfhandlungen auf. Dieser Befund wird als Be-stattung der römischen Gefallenen aus der Schlacht durch die

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abb. 2 Die Varusschlacht auf dem Winnfeld. F. von Fürstenberg/

B. Rottendorfius/L.Visscher, Monumenta Paderbornensia (Am -sterdam 1672), Kupferstich von R. de Hooghe nach einer Zeichnungvon G. Rudolphi (Kat. 193).

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Germanicus armee im Jahre 15. n. Chr. interpretiert.41 Dieschnelle Datierung der Münzfunde aus den ersten Prospek-tionen und der anschließenden Sondagegrabung in das Jahr9 n. Chr. durch F. Berger,42 schien zu belegen, dass das langegesuchte Schlacht feld nun gefunden sei. Eine schnell einset-zende pub lizistische Offensive versuchte denn auch, diese Auf-fassung zu manifestieren.43 Noch vor Errichtung des neuenMuseumsbaues kam jedoch auch Kritik von fachwissen-schaftlicher Seite auf.44 Diese erstreckte sich vor allem auf dienumismatischen Datierungsprobleme und auf die Schwierig-keit, die antike Textüberlieferung mit den topographischenGegebenheiten in Einklang zu bringen. Bis heute beschränktsich diese Kritik auf nur wenige Althistoriker und Numisma-tiker. Die archäologische Forschung hält sich mit einer um-fassenden kritischen Auseinandersetzung mit den Befundenund Funden bislang zurück.45 Vor allem in der populärerenLiteratur hat sich die Interpretation als »Örtlichkeit der Va-russchlacht« durchgesetzt.46 Und seien wir ehrlich, jede Fund-stätte, die ähnliche Befunde und ein ähnliches Fundspektrumwie in Kalkriese geliefert hätte und sich zudem noch in einemnäheren oder weiteren geographischen Rahmen befindet, derals Schlachtort infrage kommt, hätte eine ähnliche Hysterieund eine ähnliche Marketingoffensive ausgelöst.

Die fünf Fragezeichen

Doch viele Fragen, die man an einen Fundplatz stellen muss,um ihn sicher als das Varusschlachtfeld zu identifizieren, las-sen sich bis heute an den Befunden und Funden aus Kalkrie-se nicht eindeutig beantworten. Ein Schicksal, das die Fund-stätte mit vielen anderen archäologischen Fundstellen teilt, diemit historischen Ereignissen verknüpft werden.47 In bekanntsachlicher Art werden viele dieser Fragen durch R. Wolters formuliert und erwarten fundierte Antworten.48 Über vie -le Dinge lässt sich sicher trefflich diskutieren, doch einigePunkte müssen widerspruchsfrei, ohne die schriftlichen Quel-len oder die archäologischen Befunde überzustrapazieren, geklärt sein, wenn man in Kalkriese die Varusschlacht veror-ten möchte:1. Warum sucht das Germanicusheer auf seinem Weg entlang

der Ems flussaufwärts im Jahre 15 n. Chr. nicht das in un-mittelbarer Nähe zum Marschweg gelegene Kalkriese auf?

2. Wie erklärt sich das »haud procul« der taciteischen Quellemit der großen Entfernung zwischen oberer Ems/obererLippe und Kalkriese?

3. Wie erklärt sich die Teilnahme der Marser und Chatten ander Schlacht, die ja immerhin, durch römisch kontrollier-tes Gebiet, mit ihren Stammesaufgeboten eine Entfernungvon 120–200 km bis nach Kalkriese zu überwinden hatten?

Die fünf Fragezeichen 137

Vechte

Vechte

BerkelBerkel

EmsEms

Lippe

RuhrRuhr

WupperWupperErftErft

Lenne

Eder

Fuld

a

WerraWerra

Wes

erW

eser

Wes

er

LeineLeine

Hunte

Hunte

HaseHase

ElseElse

Werre

Emmer

NetheNethe

Diemel

Diemel

Möhne

Alme

DümmerDümmer

Steinhuder MeerSteinhuder Meer

RheinRhein

Nie

rsN

iers

Anreppen

Kneblinghausen

Sparrenberger EggeSparrenberger Egge

Haltern

OberadenBeckinghausen

HolsterhausenHolsterhausen

VeteraVetera

Moers-AsbergMoers-Asberg

NeussNeuss

HedemündenHedemünden

Barkhausen (?)Barkhausen (?)

MünsterMünster

OsnabrückOsnabrück

BramscheBramsche

PaderbornPaderborn

Detmold

Soest

KalkrieseKalkriese

B r u k t e r e r

M a r s e r

C h e r u s k e r

Lokalisierungsversuche

Römische Stützpunkte

Moderne Orte

30 km0

abb. 3 Lokalisierungsversuche der Örtlichkeit der Varusschlachtin Westfalen und Südniedersachsen.

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4. Wo sind die römischen Marschlager des Varusheeres? Dasssich Marschlager archäologisch nachweisen lassen, wissen wiraus anderen Zusammenhängen,49 und auch die Lager des Va- rusheeres müssen archäologische Spuren hinterlassen haben.

5. Wo ist der tumulus des Germanicus? Das die Knochengru-ben keine Bestattungen von Römern für Römer sind, liegtauf der Hand. Das lieblose Verscharren der Toten, ohne Un-terschied ob Mensch, ob Tier, spricht eindeutig dagegen.Das römische Verständnis von pietas gegenüber den gefal-lenen Kameraden belegt die Stelle bei Tacitus, der uns über-liefert, wie sorgsam die Überreste gesammelt und in einemGrabhügel beigesetzt wurden.50 Solange die Befunde in Kal-kriese nicht einen ähnlichen Charakter aufweisen wie dieBestattungen in den zeitnahen römischen Gräbern von Hal-tern,51 wird man nicht das Germanicusheer für die Kno-chengruben verantwortlich machen können.52

Verfehlt ist es sicherlich, die Diskussionen an dem Pro-blem der Datierung, ob numismatischer oder archäologischerArt, festzumachen. Denn eines steht unzweifelhaft fest: DieFunde gehören in die Zeit zwischen 9 und 16 n. Chr. Eine ge-nauere Zuordnung würde derzeit, ohne naturwissenschaftli-che Datierungsverfahren, die Aussagemöglichkeiten des Ma-terials weit überfordern.

Zum Schluss bleibt, sich noch einmal ein paar propheti-sche Worte F. Koepp’s ins Gedächtnis zu rufen. Im eingangszitierten Vortrag bemerkte er auch:

»Ob Varus bei Detmold oder bei Barenaue, bei Iburg odersonstwo sich in sein Schwert gestürzt hat, ist wirklich sowichtig nicht, daß man sich darum mit seinen Mitmen-schen verzanken sollte.«53

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Anmerkungen

1 Koepp 1940, 10–11. Im Rahmen dieses Beitrages istes dem Autor nicht möglich, eine komplette Über-sicht der zu diesem Thema erschienenen Literaturzu bringen. Dies wäre ein eigenes Forschungsvor-haben.

2 Arendt 1972; Strickling 1997; Bökemeier 2000.3 So z.B. der Vorwurf eines angeblichen Subventi-

onsbetruges in Kalkriese. S. hierzu: Schwarzen-berger 2007. Neue, unseriöse Angriffe aus der glei-chen Ecke bei: Fink u.a. 2008.

4 Cassius Dio, Historia 56,18,5.5 Die Sensationsmeldungen über die Auffindung des

Sommerlagers des Varus in Porta Westfalica, Bark-hausen, haben sich bislang nicht bestätigt. Koch2008; Strünkelnberg 2008.

6 Tacitus, annales 1,60,3.7 Zu dieser Frage ausführlich Petrikovits 1966,

190 f. Anm. 20; s. auch die Interpretation des »haudprocul» bei Kehne in diesem Band.

8 Tacitus, annales 2,25,1–2.9 Tacitus, annales 1,60,3 u. 2,24,1.

10 Lehmann 1990, 150 Anm. 25; Dagegen Petriko-vits 1966, 193 Anm. 50. Die Ergänzung von Leh-mann ist sicher die plausibelste Lösung des Pro-blems, wenn man die Rolle der Chauken in den Jah-ren 15–16 n. Chr. betrachtet.

11 Tacitus, annales 12, 27,3.12 Winkelmann 1983; Wolters 2008, 151 ff.; s. von

Petrikovits 1966, 179.13 Dazu auch: Seeba 2003; Timpe 2006.14 Siehe hierzu die umfangreichen Bewertungen der

einzelnen antiken Schriftquellen bei Lehmann1990, 146 ff.; Wolters 2008, 100 ff.

15 Cincinnius 1539.16 Hamelmann/Wasserbach 1711, 392. In der älte-

ren Literatur ist man dieser These häufig gefolgt undsie erlebt in letzter Zeit wieder eine gewisse Renais-sance. Diese Funde sind jedoch leider verschollenund lassen sich damit nicht mehr verifizieren.

17 Möser 1780.18 Fürstenberg 1669.19 Westphalen 1980, 563 f.20 Schmidt 1859.21 Hülsenbeck 1873; Nordhoff 1890.

22 Mommsen 1906, 200–246.23 Wie umkämpft die Hoheit über die bis dahin weni-

gen realen Zeugnisse der römischen Okkupationwar, zeigt das Beispiel Oberaden. Hierzu ein weite-res Zitat von Koepp 1940, 49: »Etwas plötzlich istauf der »Burg« von Oberaden die Flagge des Dort-munder Museums gehisst worden, und dabei hatman das bescheidene Fähnlein übersehen, das an-dere schon aufgesteckt hatten.«

24 Wie einige Publikationen der letzten Jahre zeigen,hat sich diese Erkenntnis in der Tertiärforschungzur Varusschlacht nicht durchgesetzt. So z.B. Bö-kemeier 2000, 329 Abb. 163–164 oder die absurdeDiskussion um den römischen »Ursprung« Cor-veys: Leserbriefe zum Thema: Ist Corvey römisch?In: Welt online.

25 Norkus 1963.26 Als Beispiel mag die These von A. Beneke zur Va-

russchlacht im Arnsberger Wald genannt sein, dieim Jahre 1986 W. Leise wieder aufgriff. Beneke 1910.Im gleichen Heft auch Nöthe 1910. Zur vermeint-lichen Entdeckung der Grabhügel der römischenLegionen Beneke 1911. Wieder aufgegriffen durchKöhler 1925 u. 1931. Schon von Stieren widerlegt:Stieren 1932. Das Buch von Leise 1986 fand in der Öffentlichkeit so großen Anklang, dass sich die amtliche Bodendenkmalpflege gezwungen sah, hierNachgrabungen anzustellen, um die eigentlich schonwiderlegte These erneut zu widerlegen. Ille 1990.

27 Schöning 1963.28 Knoke 1900.29 Zelle 2005.30 Berke 2009.31 Vgl. Berke 1989, 65 u. Ortsakten der LWL-Archä -

ologie für Westfalen. Dazu jetzt auch: Rudnick2008, 20.

32 Brepohl 2004.33 Bökemeier 2000, 243 ff. Dazu die Rezension von

Linde 2003.34 Bökemeier 2000, 107 ff.35 So die Verortung der Varusschlacht bei Halberstadt:

Friebe 1999.36 Petrikovits 1966, 179.37 Körte 2008.38 Bemerkenswert ist das weitgehende Fehlen römi-

scher Keramik.

39 Offensichtlich eine Neuheit im Befestigungsbau je-ner Zeit, denn ein derartiger Wallverlauf ist bislangohne Parallelbefund in vorgeschichtlicher Zeit ge-blieben. S. auch Wilbers-Rost 2007.

40 Die Pfostenlänge der tragenden Konstruktion die-ser Palisade muss mindestens 3,50 m betragen ha-ben, um auf der einen Seite für die auf dem Wall ste-henden Personen eine Schutzfunktion übernehmenzu können und um auf der anderen Seite noch imgewachsenen Boden gegründet nachgewiesen zuwerden.

41 Zusammenfassend: Moosbauer/Wilbers-Rost2007, 23–36; Wilbers-Rost 2007.

42 Die ausgegrabene Fläche beträgt nach 22 Jahren nuretwa 800 m2. Das bedeutet, dass die Mehrzahl derFunde in Kalkriese nicht aus gesicherten Befund -zusammenhängen stammt, sondern Detektorfun-de sind. Dies erklärt vielleicht auch, warum es sichbei der Mehrzahl der Funde um Metallfunde han-delt.

43 Nur als Auswahl, Schlüter 1991; Schlüter/Ber-ger 1993. Daneben eine umfangreiche Vortragsrei-he.

44 Hier ist nicht der Platz, um auf die, teilweise bar je-den Anstandes, Versuche von Laien einzugehen,den Fundplatz und die Mitarbeiter in Kalkriese zudiskreditieren. Die Art und Weise sowie der Wegder vorgetragenen Angriffe sind gänzlich indisku-tabel.

45 Dies mag damit zusammenhängen, dass es ausGeldmangel lange mit der wissenschaftlichen Pu-blikation der Befunde gedauert hat. Wilbers-Rost2007. Mit Spannung wird nun die Publikation derFunde erwartet, die derzeit in Arbeit ist.

46 Märtin 2008; Bendikowski 2008 u.a.47 Siehe z.B. hierzu die wiederaufgeflammte Diskussi-

on um die Lokalisierung von Troia: Weber 2006;Schrott 2008.

48 Zusammenfassend: Wolters 2008, 161 ff.; s. dazuauch den Beitrag von Kehne in diesem Band.

49 Ebel-Zepezauer 2003.50 Tacitus, annales 1,62.51 Ders. 1992; Berke 1991; Ders, 2001.52 Hierzu die sicherlich richtigen Überlegungen bei

Zelle 2008.53 Koepp 1940, 11.

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