Public Transport in Istanbul (german)

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Öffentlicher Personennahverkehr in Istanbul Public Transportation in Istanbul Eine Studie über Entwicklung und Zustand des öffentlichen Nahverkehrs in Istanbul An evaluation on history and current state of public transportation in Istanbul Tarik Özel M.Sc. [Mail: [email protected]]

Transcript of Public Transport in Istanbul (german)

!Öffentlicher Personennahverkehr in IstanbulPublic Transportation in Istanbul !Eine Studie über Entwicklung und Zustand des öffentlichen Nahverkehrs in Istanbul An evaluation on history and current state of public transportation in Istanbul

! Tarik Özel M.Sc. [Mail: [email protected]]

!1

!!!!!!!!Zusammenfassung

Im Zuge der rasanten stadträumlichen Umwälzungen in Istanbul stellt zweifelsohne auch

das öffentliche Nahverkehrssystem einen wichtigen Bestandteil der gegenwärtigen und

künftigen Stadtentwicklung dar. Die hohe Einwohnerdichte und das nach wie vor

ungebrochene Stadtwachstum stellen die Stadt und die Verantwortlichen vor große

Herausforderungen. Die vorliegende Arbeit beleuchtet hierbei das gesamte ÖPNV-

Angebot Istanbuls, wobei auch ein historischer Rückblick auf die Entwicklung desselben

unternommen wird. Im Ergebnis wird ein gesamtheitlicher Überblick über das öffentliche

Nahverkehrsnetz der Stadt formuliert, wobei gegenwärtige Probleme und künftige

Entwicklungslinien gleichermaßen thematisiert werden.

!Abstract

In the course of rapid urban changes taking place in the city of Istanbul, public transport

undoubtedly represents an important part of the current and future urban development.

The high population density and the still unbroken urban growth provide the city and its

municipality with great challenges, which are to be solved in the coming decades.  The

present paper focuses on the public transport system of the city of Istanbul, whereby also

a historical review on its development is performed. As a result, a holistic overview of the

public transport network of the city is formulated, while current problems and future

development lines are equally addressed.

!!2

!!!!!!!!!!!Inhalt

Istanbul. Global City und Verkehrsknotenpunkt 04

ÖPNV in Istanbul. Ein historischer Rückblick 06

Status Quo 09 Straßenbahn 11

Metro 12

S-Bahn (Marmaray) 14

Historische Straßenbahn 15

Standseilbahn 16

Metrobus 17

Bus 19

Minibus (Dolmuş) 20

Seeverkehr 21

Resümee und Ausblick 22

Literatur- und Abbildungsnachweis 26

!!

!3

Istanbul. Global City und Verkehrsknotenpunkt

Es gab Zeiten, da stellte eine Überfahrt zwischen Asien und Europa noch ein besonderes

Ereignis dar. So ließ Perserkönig Xerxes die Dardanellen (unweit von Istanbul) zur Strafe

auspeitschen, nachdem die stürmische See die mühsam errichteten persischen Brücken

weggespült hatte. Und so manch tragischer Held aus der griechischen Mythologie kam

gar nicht erst auf der anderen Seite an, sondern ertrank qualvoll in den Fluten. Heute

gestaltet sich die Überfahrt über die Meerengen bei Istanbul freilich deutlich weniger

dramatisch. Wer nicht gerade die beiden

Bosporusbrücken nutzt (deren dritter Ableger sich

gerade in Bau befindet), kann mit der Fähre

übersetzen - eine traumhafte Aussicht und

türkischer Tee inklusive. Und seit 2013 ist es gar

möglich, unter dem Bosporus zu verkehren

(zwischen den Ufern versteht sich). Insofern ist und

bleibt Istanbul an sich eine Schnittstelle zwischen

unterschiedlichen Geographien und Völkern und

damit auch stets ein wichtiger und strategischer

Verkehrsknotenpunkt.

!Daneben ist die Stadt am Bosporus heute vor allem

auch das wirtschaftliche und touristische Herz der

Türkei: So trug 2006 allein die Marmararegion (mit

Istanbul) 40% zur Gesamtbruttowertschöpfung der

Türkei bei.  Selbstredend zieht die Metropole daher 1

en masse Arbeitskräfte und Arbeitssuchende

sowohl aus der Türkei , a ls auch aus der

unmittelbaren Region an. Damit einhergehend ist

Istanbul das mit Abstand begehrteste Reiseziel der

Türkei und mit mehr als 10 Millionen Touristen jährlich

(2013) überdies eine der meistbesuchten Städte der

Welt.  Der Stadt am Bosporus - nach Mexico-City, 2

Shanghai und Peking die viertgrößte Stadt auf

!4

Extrem hohe Bevölkerungsdichte. Stadtteil Bağcılar, Istanbul

1 Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung: Türkei, Bonn 2011, Seite 44 ff

2 http://www.istanbulkulturturizm.gov.tr/TR,71521/istanbul-turizm-istatistikleri---2013.html (21.09.2014)

diesem Planeten - scheint

damit der Sprung von der

bloßen Agglomeration zur

Weltstadt gelungen zu sein.  3

!Gleichzeitig sieht sich Istanbul,

e i n h e r g e h e n d m i t d e m

rasanten Wachstum, auch mit

einer Vielzahl von städtischen

Problemen konfrontiert. An

erster Stelle ist hier sicher der

nach wie vor ungebrochene

B e v ö l k e r u n g s z u w a c h s z u

nennen. Jahr für Jahr ziehen

Hunderttausende aus den

anatolischen Provinzen aber auch aus dem Ausland hierher. So fand allein im Jahre 2013

ein Bevölkerungszuwachs von mehr als 300.000 Menschen auf nunmehr 14 Millionen

Einwohner statt.  Um den massiven Bevölkerungsdruck aufzufangen, werden rund um das 4

Stadtgebiet immer mehr Streusiedlungen errichtet. Zwar geschieht dies nunmehr unter

staatlicher Aufsicht und nicht mehr als illegal errichtete Behausungen (gecekondus),

ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Entwicklung zu einer Zersiedelung der

Stadt (urban sprawl) und damit zu neuen infrastrukturellen Problemen führt.

!Parallel zum Aufstieg zur Weltstadt potenziert sich auch die verkehrstechnische Bedeutung.

An der Schnittstelle zweier Kontinente gelegen, ist sie auf nationaler wie internationaler

Ebene zu einem strategisch unverzichtbaren Verkehrsknotenpunkt für den Personen- und

Güterverkehr gereift. Damit einher geht natürlich der überproportionale Anstieg

motorisierter Fahrzeuge auf den Straßen Istanbuls. Da der Bevölkerungszuwachs auch in

den nächsten Jahrzehnten aller Voraussicht nach mit ungeminderter Geschwindigkeit

voranschreiten wird, ist zudem mit einer Verschärfung der Verkehrsproblematik zu rechnen.

In diesem Kontext kommt selbstredend auch dem öffentlichen Personennahverkehr eine

nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Denn nicht zuletzt hängen die Lebensqualität der

Bewohner und eine funktionierende Stadtstruktur zu einem erheblichen Teil vom ÖPNV-

Netz ab.

!

!5

Deutschland

Türkei

80.000

70.000

60.000

50.000

40.000

20.000

10.000

30.000

GroßbritannienItalien

SpanienPolen

Rumänien

NiederlandeGriechenland

Istanbul 48 Mio. Einw. (2050)

2000 2010

Prognose zur Bevölkerungsentwicklung Istanbuls

LitauenKroatien

2020 2030 2040 20500

3 http://www.lboro.ac.uk/gawc/world2010t.html (21.09.2013)

4 http://www.nufusu.com/il/istanbul-nufusu (21.09.2013)

ÖPNV in Istanbul. Ein historischer Rückblick

Interessanterweise verfügte Istanbul schon sehr früh - mitunter als einer der ersten Städte

überhaupt - über ein gut ausgebautes ÖPNV-Netzwerk in Form von Bahnlinien und Fähren.

Als eine von Wasser umgebene Stadt verwundert es nicht, dass die ersten öffentlichen

Verkehrsmittel Fähren waren, die ab 1837 zunächst von britischen und russischen

Unternehmen und ab 1851 auch von einer türkischen Gesellschaft, der Istanbul Maritime

Company, betrieben wurden.

!Ab 1871 erfolgte schließlich auch der

m a s s i v e A u s b a u ö f f e n t l i c h e r

Verkehrsmittel zu Lande. Hierbei

handel te es s ich zunächst um

pferdegezogene Trams. Ergänzt

wurden diese ab 1872 durch jeweils

z w e i Vo r o r t b a h n e n a u f d e m

asiatischen und europäischen Teil der

Stadt. Sie sollten die Anbindung der

Vororte an die Stadt gewährleisten.

Daneben erfolgte mit dem Bau des

sogenannten Tünel, einer unter-

irdischen Standseilbahn im Stadtteil

Beyoğ lu, auch eine technische

Großleistung. Nach dem Metropolitan

Ra i lway in London d ie zwe i te

unte r i rd i sche Sch ienens t recke ,

verband sie (und tut dies noch heute)

die Stadtteile Galata und Karaköy.

!In den folgenden Jahrzehnten wurde das öffentliche Schienennetz kontinuierlich

ausgebaut. 1912 wurden die pferdegezogenen Bahnen durch elektrisierte Vehikel ersetzt,

bevor 1956 ein neuer Zenit erreicht wurde. In diesem Jahr transportierten die insgesamt 270

Bahnfahrzeuge auf 56 Linien mehr als 100 Millionen Menschen in Istanbul.  5

Bedauerlicherweise vollzog sich ab diesem Zeitpunkt, trotz des überwältigenden Erfolgs

und der bewährten Funktionalität des Bahnsystems, ein dramatischer Strukturwandel.

!6

Schienennetz in Istanbul um 1920

5 http://www.cmistanbulbogazici.com/istanbul-nostalgic-tram/ (Stand 12.01.2014)

Binnen zehn Jahren wurden sämtliche Bahntrassen demontiert und der gesamte

öffentliche Nahverkehr fortan mit Bussen abgewickelt.

!Zu verstehen ist dieser drastische Wandel nur unter Berücksichtigung der politischen und

gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Zeit. Unter dem Ministerpräsidenten Adnan

Menderes (reg.1950 - 1960) wurde die bis

dahin noch weitgehend landwirt-

schaft l ich geprägte Türkei binnen

kürzester Zeit modernisiert und indus-

trialisiert.  Angestrebtes Ziel war es, die 6

Türkei zu einem “Küçük Amerika” - einem

kleinen Amerika - zu formen. In dieser,

vom American Way of Life inspirierten

Moder n i s ie rungsphase nahm das

Automobil selbstredend eine bedeu-

tende Rolle ein. Es symbolisierte hier nicht

nur die persönliche Freiheit des Individuums,

sondern galt fortan auch als Inbegriff von

Modernisierung und Fortschritt. In Istanbul zeigte

sich dieser kompromisslose Glaube an die Moto-

risierung in der Anlage überdimensionierter

Verkehrsachsen und der Ersetzung des schienen-

basierten öffentlichen Nahverkehrs durch moto-

risierte Fahrzeuge.  Dies schlägt sich auch in den 7

Zahlen nieder: Gab es 1955 zunächst nur 16 Busse in

ganz Istanbul, waren es 5 Jahre später bereits 525.

In den folgenden Jahren wurden alle bestehenden

Bahnlinien komplett zurückgebaut, so dass die

Stadt spätestens im Jahre 1966 über kein schienenbasiertes ÖPNV-Netz mehr verfügte.

Seitdem - und freilich bis heute - stellen Busse und Minibusse (Dolmuş) das Rückgrat des

öffentlichen Nahverkehrs dar.

!In den 1980er Jahren, keine 20 Jahre nach der Demontage der Bahnstrecken, wurde der

Rückbau des innerstädtischen Schienenverkehrs freilich als Fehler erkannt. Die nach 1950

!7

Eine der Hauptverkehrsstraßen der Altstadt um ca.1920 (oben) und 1960 (unten). Die Stadtbahnen wurden in dieser Zeit komplett demontiert

6 Belge, Murat: Istanbul Gezi Rehberi, Istanbul 2004, Seite 194 ff

7 Istanbul Araştırmalar Enstitüsü (Hrsg.): From the Imperial Capital to the Republican City: Henri Prost’s Planning of Istanbul (1936-1951), Istanbul 2010, Seite 167 ff

einsetzende Industrialisierung hatte zu einer massiven Verstädterung und zu einer Explosion

der Bevölkerungszahlen, insbesondere in Istanbul, geführt. In diesem Kontext zeigte sich,

dass der öffentliche Nahverkehr nicht allein mit motorisierten Vehikeln zu bewerkstelligen

war. So folgte der Einsicht in den Fehler schließlich ein Revival des schienengebundenen

Nahverkehrs. 1989 erfolgte der Bau der ersten Bahnlinie in Istanbul seit 1966. Zur

Jahrtausendwende weihte die Stadt schließlich auch ihre erste Metro ein. Seitdem arbeitet

die Stadtverwaltung Istanbuls an der Konzeption und Realisierung neuer Projekte. Obwohl

motorisierte ÖPNV-Angebote, wie Busse, Minibusse (Dolmuş) nach wie vor den

Löwenanteil am öffentlichen Nahverkehr der Stadt ausmachen, ist der Stadtverwaltung

bewusst, dass eine langfristige Lösung der Istanbuler Verkehrsproblematik ohne die

Etablierung eines tragfähigen öffentlichen Schienennetzes nicht denkbar ist.

!!!!!!!!!!!!!!!!!

!8

Status Quo

Seit Jahrzehnten ist Istanbul eine wachsende Stadt. Aktuelle Prognosen gehen davon aus,

dass für das Jahr 2025 - bei gleichbleibender städtischer Wachstumsrate - mit einer

Einwohnerzahl von mehr als 20 Millionen zu rechnen ist. Damit einhergehend ist mit der

Verdreifachung der momentan 1,7 Millionen registrierten Fahrzeuge auf dann 5,1 Millionen

zu rechnen. Parallel dazu ist ein enormer Anstieg bei den täglich mit motorisierten Vehikeln

stattfindenden Fahrten - von 11 auf 25 Millionen täglich - zu erwarten.  8

!In seinem gegenwärt igen Zustand erweist s ich die

i n f r a s t r u k t u r e l l e A u s s t a t t u n g d e r S t a d t d i e s e m

Bevölkerungsdruck jedoch nicht gewachsen. Zwar ist Istanbul

mit zwei Flughäfen (ein Dritter in Bau), zwei Fernbahnhöfen, zwei

Bushöfen, mehreren Häfen und einem gut ausgebauten

Autobahnnetz sehr gut an den überregionalen Verkehr

angeschlossen; das Nahverkehrssystem der Stadt selbst aber ist

weit davon entfernt, den heutigen geschweige künftigen

Herausforderungen zu begegnen.

!9

Gesamtheit der SPNV-Angebote Istanbuls (gelb: Metrobus)

ÖPNV-Nutzung nach Art, 2008

8 Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Mapping Istanbul, Istanbul 2009, Seite 128

!Gegenwärtig verfügt Istanbul über ein dreigliedriges ÖPNV-System. Die Hauptlast des

öffentlichen Nahverkehrs wird von motorisierten Vehikeln getragen. Hierzu zählen in erster

Linie die öffentlichen und privatbetriebenen Busse, die Minibusse (dolmuş) und seit 2007

auch der Metrobus. Gefolgt wird der motorisierte Transport von schienengebundenen

ÖPNV-Angeboten (Bahn, Metro, Standseilbahn etc.). Der Seeverkehr stellt heute -

obgleich das historisch älteste öffentliche Verkehrsmittel der Stadt - nur noch einen

sekundären Faktor im Nahverkehrsnetz der Stadt dar. Seit dem Bau der Bosporusbrücken

(1973/1988) wird der transkontinentale Güter- und Personenverkehr zum größten Teil auf

diesem Wege abgewickelt, so dass die Bedeutung des Seeverkehrs seitdem sukzessive

zurückgegangen ist.  9

!Besonderes Charakteristikum des Istanbuler Nahverkehrs ist hierbei das krasse

Missverhältnis zwischen der Nutzung motorisierter und schienengebundener Verkehrsmittel.

So zeigt eine Statistik zum Berufsverkehr aus dem Jahr 2008, dass lediglich 8% der

öffentlichen Fahrten mit Schienenfahrzeugen erfolgten. Dem standen 47% Busfahrten

gegenüber, gefolgt von Fahrten mit dem privaten Automobil (21%), dem Dolmuş (14,4%)

sowie mit dem Taxi (11,2%). Der Seeverkehr machte erwartungsgemäß lediglich 3,3% des

Berufsverkehrs aus. Seit geraumer Zeit versucht die Stadtverwaltung daher, durch

Investitionen in das Schienennetz den Anteil des SPNV (Schienenpersonennahverkehr) zu

erhöhen.

!Im Folgenden sollen die einzelnen Nahverkehrssysteme der Stadt einzeln aufgelistet und

erläutert werden. Damit soll ein Gesamtüberblick über die vorhandenen Möglichkeiten

der öffentlichen Fortbewegung geschaffen werden.

!!!!!!!!!

!109 Libert-Vandenhove, Louise-Marie & Mallinus, Daniel (Hrsg.): Istanbul, Zürich 1998, Seite 99

!Straßenbahn

Istanbul verfügt heute über zwei Straßenbahnlinien. 1992 wurde die Linie T1 - zunächst auf

einer kurzen Teilstrecke von 1,7 km - als erste Straßenbahn Istanbuls eingeführt. Bis 2011

wurde die Strecke immer wieder sukzessive erweitert, so dass sie heute auf einer

Gesamtlänge von 20 km zwischen den Stadtteilen Kabataş und Bağcılar verkehrt. Mit

täglich 265.000 Fahrgästen (2011)  ist die Straßenbahn T1 das mit Abstand meistbenutzte 10

Schienenfahrzeug Istanbuls. Dieser Umstand macht sich im Übrigen sofort bemerkbar. Trotz

eines hochfrequentierten Fahrplans ist die Bahn, insbesondere in den Rushhour-Zeiten

frühmorgens und abends, hoffnungslos überfüllt. Da die gesamte Strecke zudem

oberirdisch verläuft, gerät die Bahn immer wieder in Konflikt mit dem motorisierten

Straßenverkehr. Insbesondere in der Altstadt, wo der Schienenkörper auch von Autos

genutzt wird, macht sich dieser Umstand negativ bemerkbar.

!2007 folgte mit der Linie T4 die zweite Straßenbahn für Istanbul. Auf einer Gesamtstrecke

von 15,3 km stel lt s ie einen Anschluss der nördl ichen Stadttei le an den

Verkehrsknotenpunkt bei Topkapı her. Mit ca. 100.000 Fahrgästen täglich (2011) ist die T4

weit weniger frequentiert als die T1-Strecke. Zudem gerät die T4, da der Schienenkörper

vom Straßenverkehr getrennt und teilweise unterirdisch verläuft, nicht in Konflikt mit dem

Straßenverkehr und ist daher weitaus schneller unterwegs.

!!!!!!

!11

KabataşBağcılar

Topkapi

Bahnlinien T1 und T4 mit Umsteigepunkt bei Topkapı

Habibler

10 Alle folgenden Angaben zur Fahrgastauslastung beziehen sich auf: http://www.istanbul-ulasim.com.tr/hakk%C4%B1m%C4%B1zda/yolcu-istatistikleri.aspx (21.09.2013)

!Metro

Seit 1989 wird in Istanbul emsig an der Etablierung eines U-Bahn-Netzes gearbeitet.

Gegenwärtig verfügt die Stadt über 4 Strecken, wobei die Metro-Linie M1 mit ca. 200.000

Fahrgästen täglich (2011) die momentan wichtigste Strecke darstellt. 1989 als Verbindung

zwischen der Altstadt (Aksaray) und dem Busbahnhof in Esenler angelegt, wurde die

Trasse in den folgenden Jahren massiv erweitert. Heute stellt eine wichtige Verbindung

zwischen Flughafen, Busbahnhof und Altstadt her. Mit der geplanten Erweiterung der

Strecke bis nach Yenikapi, wo im Zuge des Marmaray-Projekts gegenwärtig der größte

und wichtigste Verkehrsknoten Istanbuls entsteht, dürfte sich die Bedeutung der M1-Linie

noch weiter steigern.

!Von Bedeutung für den unterirdischen Nahverkehr ist auch die im Jahr 2000 eröffnete U-

Bahn-Linie M2 im nördlichen Teil der Stadt. Mit 20 km Streckenlänge und 170.000

Fahrgästen täglich (2011) stellt sie eine Anbindung der nördlichen Vororte an die

Innenstadt her. Die Trasse wird künftig - wie auch die M1-Strecke - weitergeführt und an

den Verkehrsknoten bei Yenikapi angeschlossen. Hierzu wird die Metro auf einer schon

größtenteils abgeschlossenen Brücke über das Goldene Horn geführt und anschließend

unterirdisch bis nach Yenikapi weitergeführt.

!Jüngste Ableger der Metro sind die Strecken M3 und M4 in der Stadtperipherie. Ihre

Hauptaufgabe besteht ebenfalls in der schnellen Anbindung der Vororte an die

Innenstadt. Gegenwärtig haben sie eine weit geringere Fahrgastauslastung als die

erstgenannten Metro-Linien. Da sich die Stadt allerdings immer weiter in dieser Richtung

ausdehnt, dürfte sich die Bedeutung dieser Strecken in den nächsten Jahrzehnten

multiplizieren.

!In puncto U-Bahn-Netz lässt sich resümierend festhalten, dass seit 1989 beachtliche

Bestrebungen auf diesem Gebiet unternommen wurden. In einer Stadt wie Istanbul ist die

Metro schließlich ein mehr als probates öffentliches Fortbewegungsmittel, da die !12

Metro-Linien M1,M2 und M3 auf europäischer und M4 auf asiatischer Seite

Aksaray

Airport

Esenler

allgegenwärtigen Verkehrsstaus keinen Einfluss

auf ihren Fahrplantakt haben.  Gleichwohl wird 11

offensichtlich, dass das bestehende Netz in

seiner gegenwärtigen Form der öffentlichen

Verkehrslast einer Millionenstadt wie Istanbul

nicht genügen kann. Besonders deutlich zeigt

sich das in einer vergleichenden Studie zur

Gesamtlänge von Metro-Linien in ausgewählten

Weltstädten. Istanbul nimmt hier einen der

letzten Plätze ein. Die gegenwärtige Entwicklung

macht jedoch auch Hoffnung. So werden die

oben genannten Strecken bis 2017 durch weitere Metro-Linien (M5, M6 und M7) ergänzt.

Mit ihnen sollen jene Vororte der Stadt, die momentan über keine Anbindung an den

öffentlichen Schienenverkehr verfügen, erschlossen werden.

!!!!!!!!!!!!!!!!!

!13

Gesamtlänge Metro in ausgewählten Städten, 2008

50

100

0

150200

250

300350

400

11 Laut dem TomTom European Congestion Index 2003 belegt Istanbul unter allen europäischen Städten Platz 2 in puncto Verkehrsdichte und Staus: http://www.tomtom.com/lib/doc/pdf/2014-05-14%20TomTomTrafficIndex2013annualEur-mi.pdf (21.09.2013)

!S-Bahn (Marmaray)  12

Die aktuell größte Unternehmung im öffentlichen Nahverkehr ist zweifellos das Marmaray-

Projekt. Mit dem Bau eines unter dem Bosporus geführten Tunnels wurden die vormals

separaten S-Bahn-Linien im europäischen und asiatischen Teil der Stadt zu einer

zusammenhängenden S-Bahn-Stecke zusammengefügt. Damit ist es seit der Marmaray-

Eröffnung am 29.Oktober 2013 erstmals möglich, mit der Bahn durchgehend und ohne

Unterbrechung zwischen beiden Ufern Istanbuls zu reisen.

!Im Zuge des Projekts werden zudem die bestehenden S-Bahn-Strecken weiter ausgebaut.

Gegenwärtig verfügen diese über eine Länge von 30 km auf europäischer und 44 km auf

asiatischer Seite und stellen eine wichtige Verbindung der weiter entfernten Vororte

Istanbuls an das Stadtzentrum dar. Eine einschneidende Neuerung ist in diesem

Zusammenhang auch die Entwicklung von Yenikapi zu einem wicht igen

Verkehrsknotenpunkt im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Hier entsteht in den nächsten

Jahren ein Umsteigepunkt mit Anschluss zur S-Bahn (Marmaray), Fernbahn, U-Bahn und

zum Seeverkehr.

!Da mit der endgültigen Fertigstellung des Marmaray-Vorhabens erst 2015 zu rechnen ist

und der Fahrplan auf den S-Bahn-Strecken dementsprechend stark eingeschränkt ist,

lassen sich gegenwärtig keine endgültigen Aussagen zu Transportkapazität und

Auslastung machen. Vor Beginn der Marmaray-Bauarbeiten betrug die Anzahl der

täglichen Fahrgäste auf beiden S-Bahn-Strecken (B1, B2) ca. 100.000 Fahrgäste pro Tag.

Für den Marmaray-Tunnel wird von offizieller Seite en maximales Transportvolumen von

stündlich 75.000 Fahrgästen (pro Richtung) angegeben.  Freilich dürfte die 13

Fahrgastauslastung der Marmaray-Strecke nach endgültiger Fertigstellung - nicht zuletzt

durch die gute Vernetzung der Strecke an andere ÖPNV-Angebote - drastisch steigen.

!14

Vorortbahnen B1 und B2 samt Marmaray-Tunnel

Yenikapı

Marmaray-Tunnel

12 Der Begriff Marmaray setzt sich zusammen aus den Wörtern Marmara und ray (türkisch für Schiene)

13 http://www.basaksehir.bel.tr/manset/1541/asrin-projesi-marmaray-acildi?open=0 (21.09.2013)

!Historische Straßenbahn

In Istanbul fahren zwei sogenannte historische bzw. “nostalgische” Straßenbahnen. Sie

tragen die offiziellen Linienbezeichnungen T3 (Stadtteil Moda) und T5 (Stadtteil Taksim). Die

letztgenannte verbindet hierbei den Taksim-Platz mit dem Tünel-Platz am Galataturm. Mit

einer Streckengesamtlänge von 4,2 km sowie einer Fahrgastzahl von täglich weniger als

4000 Personen, nehmen die historischen Straßenbahnen nur eine Randrolle im ÖPNV-

Netzwerk der Stadt ein. Gleichwohl tragen sie - wie auch der Name nahelegt - zum

nostalgischen Bild der Stadt bei und sind in diesem Sinne vor allem eine begehrte

Touristenattraktion.

!!!!!!!!!!!!!!!!

!15

Die “nostalgischen” Bahnen T3 und T5

Taksim

Moda

!Standseilbahn

Istanbul verfügt über zwei unterirdisch geführte Standseilbahnen. Der sogenannte Tünel

aus dem Jahre 1871 darf hierbei für sich verbuchen, nach der Londoner U-Bahn die zweite

unterirdische Bahnlinie überhaupt zu sein. Sie trägt die Linienbezeichnung “T” und

verbindet den Stadtteil Karaköy am Goldenen Horn mit dem höher gelegenen Şişhane,

wo sich auch der Galataturm befindet. Eine etwas nördlicher gelegene zweite

Standseilbahn (Linienbezeichnung F1) wurde 2006 eröffnet. Sie stellt eine direkte

Verbindung vom Stadtteil Kabataş zum Taksim-Platz her. Da das Gelände an diesem Ort

der Stadt extrem steil ansteigt, sind Standseilbahnen erforderlich, um die Höhe zu

überwinden. Mit täglich fast 70.000 Fahrgästen (2012) stellen sie darüber hinaus wichtige

Instrumente des öffentlichen Nahverkehrs dar. Die hohe Frequentierung liegt vor allem

daran, dass beide Standseilbahnen an die Bahnlinie T1 sowie die historische Straßenbahn

in Taksim angeschlossen sind. Fahrgästen ist es somit möglich - mit der Bahnlinie T1 aus der

Altstadt kommend - eine der beiden Standseilbahnen zu nutzen und, oben angekommen,

auf die historische Straßenbahn umzusteigen. Hier zeigt sich somit ein vorzügliches Beispiel,

wie unterschiedliche ÖPNV-Angebote miteinander verzahnt werden können.

!!!!!!!!!!!

!16

Die Standseilbahnen T (1875) und F1 (2006)

Taksim

Şişhane

!Metrobus

Eine relative Neuheit im ÖPNV-Netz Istanbuls ist der Metrobus. Der Name leitet sich laut

Stadtverwaltung aus der Symbiose der Wörter Metro und Bus her, da der Metrobus

angeblich die Eigenschaften beider Systeme - eine schnelle Taktfolge und ein motorisiertes

System - miteinander vereint.

!Die 2007 angelegte Metrobus-Strecke misst momentan knapp 50 km. Dabei handelt es

sich im Grunde um eine einzige, zusammenhängende Trasse von der Endhaltestelle

Gürpınar im europäischen Istanbul bis zur Haltestelle Söğütlüçeşme im asiatischen Teil der

Stadt. Auf ihr verkehren 334 Großraumbusse mit einer besonders hohen Transportkapazität.

Allerdings wird die gesamte Strecke nicht in einem Stück befahren. Stattdessen existieren

insgesamt 6 ineinandergreifende Buslinien, die jeweils eine Teilabschnitt der Strecke

bedienen.  Je nach Fahrstrecke können daher auch mehrere Umstiege anfallen. Die 14

Besonderheit des Metrobus ist hierbei vor allem die extrem hohe Taktfrequenz. Zu

Rushhour-Zeiten verkehren die Busse teilweise im 45-Sekunden-Takt. Mit 800.000 Fahrgästen

täglich (2012) entfallen zudem rund 7% der täglichen ÖPNV-Fahrten in der Stadt auf den

Metrobus.  Obwohl ein relativ neues Medium, hat der Metrobus damit eine wichtige 15

Bedeutung im ÖPNV-Netz der Stadt eingenommen.

!Gleichwohl generiert die Metrobus-Trasse aber auch neue Probleme im Verkehrsnetz der

Stadt. Die Stadtautobahn O1, auf der der Metrobus größtenteils verkehrt, stellt eine stark

befahrene Magistrale der Stadt dar. Durch die Reservierung einer breiten Fahrspur für den

Metrobus wird die übrige Fahrbahnbreite der Autobahn deutlich reduziert. Auch der

Standstreifen entfällt. Damit stellt sich das neue System als zweischneidiges Schwert

heraus; während ein neues und relativ leistungsstarkes ÖPNV-Mittel eingeführt wurde,

wurde der übrige Verkehr (zu dem auch andere ÖPNV-Angebote wie Bus und Minibus

!17

Metrobus-Trasse zwischen Gürpınar und Söğütlüçeşme

Gürpınar

Söğütlüçeşme

14 Lediglich die Linie 34G bedient die gesamte Fahrstrecke; verkehrt jedoch fast hauptsächlich als Nachtbus.

15 http://www.istanbul-ulasim.com.tr/hakk%C4%B1m%C4%B1zda/yolcu-istatistikleri.aspx (21.09.2013)

gehören) durch die Einengung der Fahrbahn weiter behindert. Dieser Umstand ist auch

den Verkehrsteilnehmern in Istanbul bewusst, die sich massiv über die Einengung der

Fahrbahn beschweren und eine unterirdisch geführte Metro als probateres Mittel ansehen.

!Fast zeitgleich mit dem Metrobus wurde in jüngster

Zeit erstmals ein Park & Ride - Konzept initiiert

(türkisch: Park et Devam et) genannt. Die meisten

der aktuell 32 P&R - Punkte befinden sich in

unmittelbarer Nähe der Metrobus-Trasse. Laut der

IETT nutzen jährlich ca. 3,5 Millionen Fahrer den

Service, indem sie ihr Auto in den besonders

kostengünstigen Parkplätzen abstellen und mit dem

Metrobus weiterreisen. Derzeit wird allerdings nur

geringfügig für das neue Konzept geworben, so dass noch nicht von einer breiten

Resonanz in der Bevölkerung gesprochen werden kann. Gleichwohl verspricht das P&R-

Modell, bei konsequenter Verfolgung, eine Entlastung des motorisierten Straßenverkehrs

zugunsten der vorhandenen ÖPNV-Angebote.

!!!!!!!!!!!!!!!

!18

Park & Ride - Parkplatz im Stadtteil Üsküdar

Bus

Der größte Teil des öffentlichen Nahverkehrs

i n I s t a n b u l w i r d h e u t e m i t B u s s e n

abgewickelt. Mit täglich 3,5 Mio. Fahrgästen

(2012) stel lt dieser das mit Abstand

meistbenutzte Verkehrsmittel dar.

!2012 umfasste die Gesamtanzahl der

öffentlichen Busse in Istanbul ca. 6000

Vehikel. Der größte Teil der Fahrzeuge (4012

Busse) befindet sich nach wie vor in

öffentlicher Hand und wird von den

städt ischen Verkehrsbetr ieben ( IETT)

betrieben. Daneben existieren aber auch

sogenannte Özel Halk Otobüsü - privat-

finanzierte Busse, die unter der Oberaufsicht

der öffentlichen Verkehrsbetriebe verkehren.

Obwohl die Privatisierung öffentlicher Fahrzeuge die Stadtkasse entlastet, führt sie im

Alltag doch zu massiven Problemen. So ist es gang und gäbe, dass die Busfahrer - nach

privatwirtschaftl ichen Maßstäben handelnd - sich gegenseitig die Kunden

wegzuschnappen versuchen. Nicht zuletzt führt dies zu einer Qualitätsminderung im

öffentlichen Busbetrieb.

!Als Reaktion auf diesen Umstand hat die Stadtverwaltung im Jahr 2010 die sogenannte

Otobüs A.Ş. ins Leben gerufen. Ziel des neuen Betriebs ist es, die Gewinnausschüttung

unter städtische Aufsicht zu stellen, um die oben beschriebenen Rivalitäten unter den

privaten Busbetreibern zu vermeiden. Da sich die Stadt somit nicht an der Anschaffung

der Busse beteiligt, sondern lediglich Kontrollfunktionen übernimmt, erweist sich das System

für die Stadtverwaltung als besonders lukrativ.

!Festzuhalten bleibt, dass die insgesamt sehr hohe Zahl an Bussen zu chaotischen

Zuständen auf den Istanbuler Straßen führt. Besonders deutlich zeigt sich dieser Umstand in

den zentrumsnahen Stadtteilen. Auch existieren an mehreren Orten riesige Bushöfe, an

denen nicht nur dem Ortsfremden, sondern nicht selten auch dem Ortskundigen die

Übersicht abhanden kommt.

!!

!19

Busse sind die meistgenutzten Nahverkehrsmittel in Istanbul

Minibus (Dolmuş)

Während es die bis hierhin behandelten

ÖPNV-Angebote auch in anderen Städten

zu finden gibt, stellt der Minibus (türk.

dolmuş für “gefüllt”) eine urtürkische

Institution dar. Erstmals in den 1960er

Jahren als private Fahrgemeinschaft von

Berufspendlern entstanden, entwickelte

sich der Dolmuş ab den 1970/80er Jahren

schließlich zum Massentransportmittel der

Millionenstadt. Dessen Bedeutung hat sich

bis heute freilich nicht vermindert. Rund

15% aller täglichen Fahrten mit öffent-

lichen Verkehrsmitteln finden gegenwärtig

mit dem Dolmuş statt.

!!

Der Vorteil des Systems liegt heute vor allem in seiner großen Verbreitung in Istanbul. Es gibt

kaum ein Stadtquartier, welcher vom Dolmuş nicht bedient wird. Allerdings liegt darin auch

die große Problematik: Durch die extrem hohe Zahl der Minibusse, die geringe

Transportkapazität und das Stop-and-Go-Verfahren (der Dolmuş hält überall, wo Fahrgäste

ein- und aussteigen) trägt der Dolmuş in großem Maße zu den überfüllten Straßen Istanbuls

bei. Viele Stadtbewohner hört man sich heute daher über den Minibus beklagen. Und

auch die Stadtverwaltung arbeitet seit längerem daran, die Anzahl der Minibusse nach

Möglichkeit zu reduzieren.

!Es gilt in diesem Kontext allerdings zu bedenken, dass der Dolmuş trotz aller Kritik

gegenwärtig nicht aus dem ÖPNV-Netz der Stadt wegzudenken ist. Das übrige ÖPNV-

Angebot der Stadt zeigt sich nämlich bei weitem nicht in der Lage, das Dolmuş-System

komplett zu substituieren. Insbesondere in den engen Straßen und Gassen, in denen

größere Busse nicht verkehren können, stellt der Dolmuş die einzige Transportmöglichkeit

dar. Somit wird der Dolmuş wohl auch künftig - wohl oder übel - zum Straßenbild Istanbuls

gehören. Denn ohne die Etablierung eines äußerst engmaschigen Schienen- und

Busverkehrs scheint der Abbau des Dolmuş nicht zu bewerkstelligen.

!!!

!20

Vielerorts prägt der Dolmuş das Straßenbild Istanbuls

Seeverkehr

Ältestes und charakterist ischstes Nah-

verkehrsmittel Istanbuls sind zweifellos die

Fähren, die seit jeher zu einem Symbol der

Stadt avanciert sind. Mit einigen Dutzend

Anlegestel len s ind die Stadttei le am

Bosporusufer, am Goldenen Horn und am

Mar marameer hervor ragend an das

engmaschige Seeverkehrsnetz angeschlos-

sen. Es ist daher fast immer und überall

möglich, mit der Fähre die Uferstadtteile

Istanbuls zu erreichen.

!Spielte der Seeverkehr bis ins letzte Viertel des

20. Jahrhunderts noch eine wichtige Rolle im

Nahverkehrsnetz der Stadt, nahm diese

Bedeutung nach dem Bau der beiden

Bosporusbrücken (1973/1988) beträchtlich ab.

Heute spielen sich lediglich etwa 5% des

öffentlichen Nahverkehrs auf dem Wasser ab.

Mit dem Bau des Marmaray-Tunnels dürfte

dieser Anteil künftig noch weiter zurückgehen.

Gleichwohl ist ein Istanbul ohne Seeverkehr

nicht vorstellbar. Auch wenn heute nur noch

ein geringer Teil der öffentlichen Fahrten mit

Seefahrzeugen abgewickelt wird und

hochmoderne Katamarane den historischen

vapur ablösen, ist und bleibt der Seeverkehr

auch künftig Symbol und Identifikations-

merkmal der Stadt.

!!!!!!

!21

Die wichtigsten Anlegestellen und Fährverbindungen

Resümee und Ausblick

Es lässt sich festhalten, dass die Thematik des öffentlichen Nahverkehrs in Istanbul eine

multiperspektivische Betrachtungsweise erfordert. In ihr spielen nicht nur politische und

verkehrstechnische Gesichtspunkte, sondern letztendlich auch gesellschaftliche

Gewohnheiten und Präferenzen eine Rolle.

!In diesem Kontext ist es beispielsweise nötig, auf die Bedeutung des Automobils und

dessen symbolische Bedeutung in der türkischen Gesellschaft hinzuweisen. So stellt das

Auto in der Türkei nicht lediglich ein Transportvehikel dar, sondern ist in einem kaum

nachvollziehbaren Maße auch ein Prestige- und Statusobjekt. Als solches symbolisiert es

innerhalb der Gesellschaft den sozialen Status, die Anerkennung und die finanzielle und

persönliche Emanzipation der jeweiligen Person. Insofern ist “kein Verkehrsmittel in der

Lage, die zeitliche und räumliche Autonomie eines Benutzer so sicherzustellen wie das

Auto - Stau hin, Benzinerhöhung her. Das Auto ist in Istanbul immer noch Statussymbol und

Vorzeigeobjekt Nummer Eins.”  Insofern sind alle Betrachtungen und Überlegungen zum 16

öffentlichen Verkehrsnetz in Istanbul auch unter diesem Vorzeichen zu betrachten. Die

Gründe für die starke Bindung des Istanbulers an sein Individualfahrzeug und sein Verzicht

auf öffentliche Verkehrsmittel (wann immer möglich) sind damit eben auch auf

emotionaler und gesellschaftlicher Ebene zu suchen. Auch wenn dieser eher

sozialwissenschaftliche Aspekt an dieser Stelle nicht näher untersucht werden soll und

kann, sei hier der Hinweis erlaubt, dass einer der Gründe für das enorme

Verkehrsaufkommen der Stadt eben auch in diesem Punkt zu finden ist.

!Weiterhin ist die Verkehrsproblematik - und darin inbegriffen die Probleme des öffentlichen

Personennahverkehrs - auf den nach wie vor ungebrochenen Bevölkerungsanstieg der

Millionenmetropole zurückzuführen. Mit gegenwärtig 14 Millionen Einwohnern hat die Stadt

laut Expertenmeinungen ihre maximale Bevölkerungskapazität längst erreicht. Ungeachtet

dessen wächst die Metropole alljährlich immer weiter. Für die nächsten zwanzig Jahre ist

daher - sollte der Wachstumstrend sich fortsetzten - mit einem Bevölkerungsanstieg von bis

an die 25 Millionen zu rechnen.  17

!Es ist daher ohne Weiteres einsehbar, dass der Ausbau der Infrastruktur und des

öffentlichen Nachverkehrsnetzes - möge er noch so ehrgeizig vorangetrieben werden - mit

!22

16 http://www.fh-duesseldorf.de/a_fh/d_internationaloffice/info_3outgoings/a/c4/FB2D/FB2_Tuerkei_Istanbul.pdf (21.09.2013)

17 Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Mapping Istanbul, Istanbul 2009, Seite 128

einem solchen Bevölkerungszuwachs nicht mithalten kann. Eine tragfähige Lösung für den

überfüllten Verkehr und die insuffizienten öffentlichen Verkehrsangebote Istanbuls ist daher

nicht zuletzt auch in einem überregional agierenden politischen Gestaltungswillen zu

suchen. Noch immer zieht es viele Menschen aus den anatolischen Gebieten nach

Istanbul, weil die Herkunftsprovinzen keine hinreichend ausgebaute Infrastruktur und

Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Hier erfordert es vor allem weitsichtige Investitionen

auf Landesebene. Gelingt es, den Menschen an Ort und Stelle Arbeits- und

Beschäftigungsmöglichkeiten in Aussicht zu stellen, kann der Auswanderung nach Istanbul

präventiv entgegengewirkt werden.

!Jüngste Entwicklungen zeigen allerdings ein entgegengesetztes Bild: Ein Großteil der

staatlichen Investitionen fließt in Form von Mammutprojekten noch immer nach Istanbul.

Hier entstehen künftig ein dritter Flughafen, eine dritte Bosporusbrücke und womöglich

auch ein neuer Schifffahrtskanal zwischen dem Marmarameer und dem Schwarzen Meer.

Selbstredend befördern solche Projekte auch künftig einen Bevölkerungsanstieg und eine

immer weiter voranschreitende Expansion der Stadt ins Umland. Die ohnehin sehr laschen

und leicht zu umgehenden Bauleitpläne der Stadt stellen dabei ebenfalls kein Hindernis

dar.

!Die Maßnahmen im ÖPNV-Netz stellen sich im Kontext einer solchen, permanent

wachsenden Stadt daher selbstredend als unzureichend heraus. Prägnanter formuliert

ließe sich sagen, dass die Anstrengungen im Bereich des öffentlichen Verkehrssystems mit

der Geschwindigkeit des Stadtwachstums nicht mithalten können.  Schnelle Lösungen 18

wie der Metrobus können in diesem Sinne lediglich als temporäre Maßnahmen betrachtet

werden, da sie nicht zu einer langfristigen Beseitigung der bestehenden Probleme im

städtischen Nahverkehr beitragen. Selbiges gilt für die Busflotte der Stadt. Zwar wird diese

in jüngster Zeit zunehmend modernisiert und privatisiert (was zu einer Entlastung der

Stadtkasse führt); dies ändert jedoch nichts an der konkreten Tatsache, dass der größte Teil

des ÖPNV-Netzes Istanbuls auf motorisierten Vehikeln basiert, was wiederum einer der

wichtigsten Gründe für das Verkehrschaos auf den Istanbuler Straßen ist. Auch der Minibus

(Dolmuş) ist in diesem Kontext zu lesen. Erstmals 1960 eingeführt stellt er seitdem einen

unverzichtbaren Bestandteil des öffentlichen Verkehrsnetzes dar. Deren enorm große

Anzahl trägt ebenfalls maßgeblich zum hohen Verkehrsaufkommen bei.

!

!23

18 Bezüglich der Diskrepanz zwischen Planungsmaßnahmen und Stadtwachstum siehe auch: http://www.stylepark.com/de/news/superpool-oder-die-beteiligung-der-buerger/335866 (21.09.2013)

Es ist an dieser Stelle daher nicht von der Hand zu weisen, dass eine langfristige und

tragfähige Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs ohne die Etablierung eines

engmaschigen Schienennetzes nicht denkbar ist. Mit einer Streckengesamtlänge von ca.

220 km (Summe aller Strecken von Bahn, Metro, S-Bahn etc.) ist das gegenwärtige

Schienennetz allerdings weit davon entfernt, die Transportbedürfnisse der Metropole

abzudecken. Zum Vergleich: Die Gesamtschienenlänge aller Bahnlinien der Stadt Köln

beträgt 238 km.  Eine Minimumlänge von 400 km innerstädtischer Schienenstrecke 19

erscheint in diesem Kontext daher mehr als angebracht, um ein gut vernetztes und

funktionierendes Nahverkehrsangebot für Istanbul zu generieren.  20

!Ferner ist das derzeitige Schienennetz mit Bahn, Metro und S-Bahn vornehmlich für den

Pendelverkehr (commuter traffic) zugeschnitten. Hauptaufgabe der Strecken ist es, die

Vororte Istanbuls an die Innenstadt anzubinden und somit einen schnellen Berufsverkehr zu

ermöglichen. Innerstädtische Kurzstreckenverbindungen und Transferpunkte hingegen sind

auf ein Minimum reduziert. Die Tatsache, dass der Schienenverkehr nicht für Kurzstrecken

innerhalb der Stadt zugeschnitten ist, zeigt sich auch an den unflexiblen Fahrpreisen. Ein

Jeton kostet 4 Lira (Stand 2013). Dabei spielt es keine Rolle, ob lediglich eine Station oder

die gesamte Strecke befahren wird. Zwar werden mit der IstanbulKart, einer aufladbaren

PrePaid-Fahrkarte, die Fahrten insgesamt günstiger; allerdings existiert auch hier kein

Kurzstreckentarif.

!Zur Sicherstellung eines engmaschigen und gut funktionierenden öffentlichen

Schienennetzes erscheint daher ein kontinuierlicher Ausbau desselben - nicht nur als

Pendellinien, sondern eben auch als Netz in innerstädtischen Lagen - als unverzichtbar.

Trotz der bewegten Stadttopographie, die den Bau von Metros und Straßenbahnen

teilweise zu einer kostspieligen und langwierigen Aufgabe macht, liegt es auf der Hand,

dass langfristig-perspektivische Investitionen in das Schienennetz kurzsichtigen

Maßnahmen vorzuziehen sind.  Kostengünstige, motorisierte Lösungen wie der Metrobus 21

mögen den gegenwärtigen Mobilitätsdruck zwar einigermaßen befriedigen, können auf

lange Sicht aber nicht mit den Vorteilen von schienengebundenen Fahrzeugen

konkurrieren.

!

!24

19 http://www.kvb-koeln.de/german/unternehmen/leistungsdaten/bahn.html (21.09.2013)

20 Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Mapping Istanbul, Istanbul 2009, Seite 128

21 Als ein Positivbeispiel darf hier sicher der Ausbau der Metrolinien M1 und M2 in der historischen Altstadt gelten. Mittels Tunnelbohrmaschinen wurden die bestehenden Metrolinien bis zum Umsteigebahnhof in Yenikapi erweitert. Auf eine verkehrshinderliche Cut-and-Cover-Methode konnte damit ebenfalls verzichtet werden.

In einer Stadt wie Istanbul, das nicht nur von seiner ökonomischen Bedeutung, sondern vor

allem vom Tourismus lebt, erweist sich die Etablierung eines vermehrt schienenbasierten

ÖPNV-Systems ohnehin als Notwendigkeit. Denn nur auf diese Weise lässt sich dem immer

noch stark ansteigenden Verkehrsaufkommen, welches die wirtschaftliche und touristische

Bedeutung der Stadt gleichermaßen beeinträchtigt, langfristig entgegenwirken. Vor allem

aber hängen hiervon auch so wichtige Dinge wie die Lebensqualität der Bewohner und

die Erhaltung des historischen Charmes der Stadt ab.

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

!25

Literatur- und Abbildungsnachweis

Literaturvorschläge

Der größte Teil der Literatur zum öffentlichen Nahverkehr liegt in türkischer Sprache vor.

Von besonderer Relevanz sind hierbei insbesondere die jüngsten Veröffentlichungen der

Stadtverwaltung (Istanbul Büyükşehir Belediyesi).

!Belge, Murat: Istanbul Şehir Rehberi, Istanbul 2004

Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung: Türkei,

Bonn 2011

Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Mapping Istanbul, Istanbul 2009

Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Tracing Istanbul (from the air), Istanbul 2009

Istanbul Araştırmalar Enstitüsü (Hrsg.): From the Imperial Capital to the Republican City:

Henri Prost’s Planning of Istanbul (1936 - 1951)

Istanbul Büyükşehir Belediyesi (Hrsg.): Istanbul Çevre Düzeni Planı Raporu, Istanbul 2009

Istanbul Büyükşehir Belediyesi (Hrsg.): Istanbul Master Plan Summary, Istanbul 2007

Istanbul Büyükşehir Belediyesi Ulaşım Daire Başkanlığı Ulaşım Planlama Müdürlüğü (Hrsg.):

Istanbul Metropoliten Alanı Kentsel Ulaşım Ana Planı, Istanbul 2011

Kırmızı, Zeki Zikrullah: Istanbul’da Tramvay. Tramvayların Tarihi, Istanbul 1998

Kırmızı, Zeki Zikrullah: Istanbul Ulaşım Zaman Dizimi, Istanbul 2012

Kreiser, Klaus: Geschichte Istanbuls, München 2010

Libert-Vandenhove, Louise-Marie & Mallinus, Daniel: Istanbul, Zürich 1980

Metropolitan Planlama ve Kentsel Tasarım Merkezi (Hrsg.): Istanbul Il Bütünü Çevre Düzeni

Planı, Istanbul 2010

TMOOB Şehir Plancıları Odası (Hrsg.): Üçüncü Köprü Raporu, Istanbul 2010

Yetişkin Kubilay, Ayşe: Maps of Istanbul, Istanbul 2009

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!26

Abbildungsnachweis

Titelblatt http://winkingelephant.files.wordpress.com/2011/11/metrobus-project-in-istanbul-

wins-an-usa-award_21.jpg (21.09.2013) Seite 4 http://www.turkiye-rehberi.net/bah%C3%A7elievler-%C4%B0stanbul (21.09.2013)

Seite 5 Auf Grundlage von: Istanbul Büyükşehir Belediyesi (Hrsg.): Istanbul Çevre

Düzeni Raporu, Istanbul 2009, Seite 534 Seite 6 http://www.trainsofturkey.com/w/pmwiki.php/Urban/Istanbul (21.09.2013)

Seite 7 http://maviboncuk.blogspot.de/2006/02/tramvay-1-dersaadet-gets-rolling.html

(21.09.2013) Seite 9 Auf Grundlage von: Derviş, Pelin & Öner, Meriç (Hrsg.): Mapping Istanbul, Istanbul

2009, Seite 132 / http://cdn-s4.tarikmoon.com/wp-content/uploads/2014/01/

Istanbul_Rapid_Transit_Map.png (21.09.2013) Seite 11 http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e4/Bombardier_Flexity_Istan

bu l . jpg (21.09.2013) / ht tp://www.bi r hol iday.com/transport/ images/

istanbulmetromap.jpg (21.09..2013; selbige Grundlage für folgende Seiten) Seite 12 http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/71/Yenisahra1.JPG/

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(21.09.2013) / http://www.deine-bahn.de/sites/deine-bahn/files/newsimages/

deiba-4-2011_janicki_istanbul.JPG (21.09.2013) Seite 16 http://cinemusicompany.com/wp-content/uploads/2012/06/T%C3%BCnel-Taksim-

Karak%C3%B6y-Since-17-Ocak-1875-Turkey-Istanbul-2012-Photographs-by-B

%C3%BClent-%C3%96zalp-with-5D-Mark-3-200-mm-Lens-2.jpg (21.09.2013) Seite 17 http://whereistanbul.net/wp-content/uploads/2012/10/metrobus.jpg (21.09.2013) /

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wins-an-usa-award_21.jpg (21.09.2013) Seite 18 http://v3.arkitera.com/UserFiles/Image/news/2008/06/09/ispark03.jpg (21.09.2013)

Seite 19 h t t p : / / w w w . h a b e r d a r. c o m . t r / i m a g e s / h a b e r l e r / i s t a n b u l d a _ y a r i n _

otobus_ihalesi_yapilacak.jpg (21.09.2013) Seite 20 http://analitikbakis.com/Upload/minib%C3%BCs-476129293498687091311.jpg

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