Pflege am Limit - Die Ökonomisierung der stationären Alterspflege und ihre Auswirkungen auf die...

100
Pflege am Limit Die Ökonomisierung der stationären Alterspflege und ihre Auswirkungen auf die Pflegekräfte Universität Bern Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Institut für Soziologie Prof. Dr. Christian Joppke Masterarbeit von: Adrian Durtschi Effingerstrasse 93 3008 Bern [email protected] 05-100-748 6. Semester Master Soziologie Bern, 31. August 2015 Korrigierte Fassung vom 18.09.2015

Transcript of Pflege am Limit - Die Ökonomisierung der stationären Alterspflege und ihre Auswirkungen auf die...

Pflege am Limit

Die Ökonomisierung der stationären Alterspflege und ihre Auswirkungen auf die Pflegekräfte

Universität Bern

Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Institut für Soziologie

Prof. Dr. Christian Joppke

Masterarbeit von:

Adrian Durtschi

Effingerstrasse 93

3008 Bern

[email protected]

05-100-748

6. Semester Master Soziologie

Bern, 31. August 2015

Korrigierte Fassung vom 18.09.2015

Seite 2

Danksagung

Zuerst möchte ich mich an dieser Stelle bei allen bedanken, welche mich beim

Schreiben dieser Masterarbeit unterstützt haben. Viel Motivation, Unterstützung sowie

wissenschaftliche Tipps und Tricks erhielt ich von Nadja und Elisabeth. Harte

Kleinstarbeit leisteten Katja und Samuel beim Lektorat. Ebenfalls zu erwähnen ist

Dominik, ohne dessen Hilfe ich an der Transkription verzweifelt wäre. Ein Dank gehört

auch meinem Arbeitgeber und Udo, welche dafür gesorgt haben, dass ich die nötige

Zeit erhielt um die Masterarbeit fertigstellen zu können. Ein besonderer Dank gilt

ebenfalls meinem Betreuer der Masterarbeit Prof. Dr. Christian Joppke. Ohne seine

Offenheit und seinen liberalen Geist hätte ich weder mein Masterstudium, noch diese

Masterarbeit erfolgreich abschliessen können. Abschliessend möchte ich noch meinen

Eltern danken. Ohne ihre Unterstützung wäre es mir nie möglich gewesen als erstes

Familienmitglied ein Studium an einer Universität zu absolvieren.

Seite 3

Abstract

In der stationären Alterspflege der Schweiz findet ein Ökonomisierungsschub statt.

Diese Arbeit geht der Frage nach, welche Auswirkungen diese Ökonomisierung auf die

Arbeitswelt der Pflegekräfte hat, welche Widersprüche dadurch entstehen und wie

Pflegekräfte darauf reagieren. Basierend auf der Grounded Theory wurden eine

Literaturstudie, zehn qualitative Interviews mit Pflegekräften sowie fünf mit Expertinnen

und Experten plus drei teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Das Ergebnis: In

der Pflege vollzieht sich eine neue kapitalistische Landnahme. Vom Neoliberalismus

getrieben werden aus der industriellen Güterproduktion stammende tayloristische

Methoden zur Produktivitätssteigerung und Kostensenkung eingesetzt. In der Folge

verändert sich die Arbeitswelt der Pflegekräfte. Diese berichten von zu wenig Zeit für

die Bewohnenden sowie für Emotions-, Gefühls- und Beziehungsarbeit, stattdessen

strikte Arbeitsteilung, zunehmende Prekarisierung der Arbeitsbedingungen sowie

gesteigerter Dokumentations- und Kontrollaufwand. Dadurch nimmt die Qualität der

Pflege ab. Für die Pflegekräfte entsteht ein Widerspruch zwischen ihrem Berufsethos,

welches das Wohl der Bewohnenden über alles stellt, und den Anforderungen durch

die Ökonomisierung. Darauf lassen sich fünf idealtypische Reaktion ausmachen:

Anpassung, Resignation, Selbstaufopferung, kleine Tricksereien und offener

Widerstand. Insgesamt findet eine Entfremdung statt, die Arbeits- respektive

Lebensqualität der Pflegenden und Gepflegten verschlechtert sich. Das ist

problematisch: Letztendlich wünschen wir uns alle nicht eine kostensparende und

profitable, sondern die bestmögliche Pflege.

Seite 4

Inhaltsverzeichnis

Danksagung .................................................................................................................. 2

Abstract ......................................................................................................................... 3

Inhaltsverzeichnis .......................................................................................................... 4

1. Einleitung ............................................................................................................... 6

1.1 Forschungsstand und -relevanz ...................................................................... 7

1.2 Leitfrage und Untersuchungsgegenstand ..................................................... 10

1.3 Aufbau und Struktur der Masterarbeit ........................................................... 12

2. Literaturstand und theoretische Grundlagen ......................................................... 14

2.1 Soziologie der Pflege .................................................................................... 14

2.2 Kapitalistische Landnahme ........................................................................... 19

2.3 Care-Ökonomie – Die Logik des Feldes ....................................................... 25

2.4 Berufssoziologie und Ethos der Pflegekräfte ................................................. 29

3. Stationäre Alterspflege und ihre Finanzierung in der Schweiz .............................. 36

3.1 Finanzierungssystem seit dem 1. Januar 2011 ............................................. 37

3.2 Situation des Personals in der stationären Alterspflege ................................ 39

3.3 Ökonomisierung und Herausforderungen ..................................................... 41

4. Theoretische Einordnung und Diskussion der schweizerischen stationären

Alterspflege .......................................................................................................... 43

5. Methodisches Vorgehen ....................................................................................... 46

5.1 Datenerhebungen ......................................................................................... 47

5.2 Datenauswertung ......................................................................................... 51

5.3 Selbstreflexion .............................................................................................. 51

6. Ergebnisse der empirischen Forschung ................................................................ 53

6.1 Auswirkungen auf die Arbeitswelt ................................................................. 53

6.2 Widersprüche zwischen Berufsethos und ökonomisierter Arbeitsweise ........ 62

6.3 Reaktionen der Pflegekräfte auf die Ökonomisierung ................................... 65

7. Diskussion der Ergebnisse ................................................................................... 73

7.1 Ökonomisierung und Auswirkungen auf die Arbeitswelt ................................ 73

7.2 Ökonomisierung und Widersprüche .............................................................. 77

7.3 Ökonomisierung und Reaktionen .................................................................. 78

7.4 Ökonomisierung und Entfremdung der Pflegekräfte ...................................... 80

7.5 Ökonomisierung und Zukunft ........................................................................ 81

Seite 5

8. Fazit ..................................................................................................................... 83

8.1 Beantwortung der Leitfragestellung .............................................................. 84

8.2 Bewertung und Ausblick ............................................................................... 86

9. Literaturverzeichnis .............................................................................................. 88

10. Abbildungsverzeichnis ........................................................................................ 100

11. Tabellenverzeichnis ............................................................................................ 100

Seite 6

1. Einleitung

„Private Alters- und Pflegeheime betrügen und tricksen, wo es nur geht. Sie haben

mehr Betten und weniger Personal als erlaubt – und sie stufen Betagte in einer zu

hohen Pflegestufe ein, um mehr Geld zu ergaunern“, schrieb die „Sonntagszeitung“ am

28. September 2014 (Balmer et al. 2014a; paraphrasiert durch Initiativkomitee

Altersheim-Initiative 2015) über die stationäre Alterspflege in der Schweiz. Die Pflege

von betagten Menschen ist – zumindest teilweise – ein lukratives Geschäft geworden.

Internationale Ketten und Hedgefonds treten in einen neuen Markt ein, der bis vor

einigen Jahren noch fernab der kapitalistischen Marktlogik organisiert war (Brügger

2015; Rickenbach 2014; Balmer 2012). In der Schweiz war die Pflege und Betreuung

betagter Menschen lange Familien- resp. Frauensache. Durch den gesellschaftlichen

und sozioökonomischen Wandel wird diese Aufgabe immer mehr von

professionalisierten Institutionen übernommen, welche professionelle stationäre oder

ambulante Pflege anbieten (Heintze 2015: 3-12). Gleichzeitig nehmen die

Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien stetig zu. Gemeinden und Kantone

sparen, unter anderem auch bei den Alters- und Pflegeheimen. Zudem werden die

Schweizerinnen und Schweizer immer älter. Dadurch wächst die Nachfrage nach

Plätzen in stationären Alters- und Pflegeheimen und die Kosten nehmen weiter zu. Es

herrscht ein Fachkräftemangel in der Pflege, der immer schlimmer wird (Dolder und

Grünig 2009: 47-59). Inzwischen arbeiten schweizweit alleine in der stationären

Alterspflege über 120‘000 Menschen (BfS 2015: 17). Damit sind Alters- und

Pflegeheime volkswirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich relevant.

Seit 1996 wird die stationäre Alterspflege für alle Betagten von den gesetzlich

obligatorischen Krankenkassen (mit)finanziert (Ryter und Barben 2015: 15). 2011

wurde in der Schweiz letztmals eine neue Pflegefinanzierung eingeführt. Dies geschah

mit dem Ziel, die Kosten neu zu verteilen, die Krankenkassen zu entlasten und

gleichzeitig den Wettbewerb unter den Anbietern zu intensivieren (Zogg 2011: 100-

104).

Bewohnerinnen und Bewohner erhalten nach Minuten abgestimmte, standardisierte

medizinische Pflege. Industrielle Planungs- und Arbeitsinstrumente halten immer mehr

Einzug in Alters- und Pflegeheimen (Durtschi et al. 2015: 1). Es findet eine schrittweise

Ökonomisierung eines bisher davon nicht betroffenen Bereiches statt. Diese

Entwicklung bringt einen potenziellen Widerspruch mit sich und damit eine enorme

Sprengkraft für die rund 120‘000 Beschäftigten in Alters- und Pflegeheimen, die

Seite 7

Politikerinnen und Politiker, die Heimleitungen, die Bewohnerinnen und Bewohner und

deren Angehörige.

1.1 Forschungsstand und -relevanz

Doch was sagt uns die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema? Die (Arbeits-)

Situation der Pflegekräfte der stationären Alterspflege und insbesondere die

Auswirkungen der Ökonomisierung auf diese sind bisher wenig erforscht. Ein Grossteil

der Literatur zur stationären Alterspflege befasst sich aus einer medizinischen und/oder

pflegewissenschaftlichen Perspektive mit dem Untersuchungsgegenstand. Spezifisch

für die Schweiz gibt es noch weniger Literatur, welche kurz vorgestellt wird: Corinne

Schwaller (2013) untersucht in ihrer Masterarbeit am Beispiel der Spitex Bern die

Ökonomisierung der ambulanten Alterspflege. Sie zeigt dabei den zunehmenden Druck

und Stress auf, welcher auf die ambulanten Pflegekräfte wirkt und wie jene damit

umgehen. Hierbei findet Schwaller eine stark aufopfernde Haltung der Pflegekräfte

zum Wohle der Spitexpatientinnen und -patienten. Claudio Zogg (2011) erläutert die

Auswirkungen der neuen Pflegefinanzierung auf die Alters- und Pflegeheime,

Bewohnende und die Geldgeber. Das Personal hat er nicht miteinbezogen.

Insbesondere für die Bewohnenden und die Sozialversicherungen lässt sich gemäss

Zogg ein grösserer Kostenaufwand erwarten. Die Ökonomin Mascha Madörin (2014a;

2014b; 2014c) analysiert die Ökonomisierung der Pflege, auch die der stationären

Alterspflege, aus volkswirtschaftlicher Sicht. Gleichzeitig stellt sie dar, weshalb

innerhalb der personenbezogenen Dienstleistungen eine andere Produktions- und

Verwertungslogik gilt als in der Industrie. Madörin erläutert die Wirkung der

Taylorisierung als Ausdruck der Ökonomisierung. Susy Greuter (2015; 2013) zeigt auf,

wie im Gesundheitswesen die soziale Beziehung zwischen Pflegefachkräften und

Pflegeempfangenden unter Druck geraten und sowohl die Pflegefachkräfte wie auch

die Pflegeempfangenden darunter leiden. Zudem weist sie nach, wie es in der

ambulanten Alterspflege zu einer Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse kommt. 2014

veröffentlichte das Institut für Pflegewissenschaften der Universität Basel eine

Erhebung zu den Bedingungen für Pflegekräfte in Alters- und Pflegeheimen (Zùñiga et

al. 2013). Daraus wird ersichtlich, dass zwar eine grosse Zufriedenheit mit dem Beruf

vorherrscht, aber Stress, gesundheitliche Probleme wie Rückenschmerzen und die

emotionale Belastung grosse Probleme sind. Die Zürcher Hochschule für Angewandte

Wissenschaften befragte 1200 Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger in der

Pflege, welche vor kurzem die höhere Fachschule oder Fachhochschule

abgeschlossen hatten (Schaffert et al. 2015). Es zeigte sich, dass der Berufseinstieg

eine Herausforderung darstellt und die Berufseinsteigenden einen hohen Berufsstolz

Seite 8

haben. Die Arbeitsbedingungen müssen aber verbessert werden, um einen

langfristigen Berufsverbleib sicherzustellen. Elisabeth Ryter und Marie-Louise Barben

(2015) analysieren in einer Studie über die Care-Arbeit die aktuellen

Herausforderungen für die Alterspflege in der Schweiz. Sie bemängeln darin die

Trennung von Pflege und Betreuung gemäss der neuen Pflegefinanzierung. Ihnen zu

folge führt dies zu negativen Auswirkungen bei der Pflegequalität, besonders für

Demenzkranke. Deshalb braucht es mehr Zeit für die einzelnen Bewohnenden,

respektive einzelnen Patientinnen und Patienten. Ebenfalls beobachten sie eine

Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einen Fachkräftemangel.

Die Ökonomisierung der Pflege und deren Auswirkungen auf die Pflegekräfte betreffen

mindestens vier sozialwissenschaftliche Bereiche und bilden dort ein relevantes

Thema. Diese Bereiche sind Soziologie der Pflege, Care-Ökonomie, Kapitalismus-

analyse und -kritik sowie Berufs- und Arbeitssoziologie.

Soziologie der Pflege: In der Soziologie der Pflege (Schroeter und Rosenthal 2005)

befasst man sich mit dem Einfluss der Gesellschaft auf die Pflege und dem Einfluss

der Pflege auf die Gesellschaft. Eine Erforschung der Auswirkungen der

Ökonomisierung der Pflege auf die Pflegekräfte und die Pflegearbeit spricht

insbesondere den ersten Teil, nämlich den gesellschaftlichen Einfluss auf die Pflege,

an. Ebenfalls kann die Pflege aufgrund ihrer permanenten sozialen Interaktionen

untersucht werden. Zur Analyse können verschiedene Klassiker genutzt werden, etwa

Norbert Elias, Niklas Luhmann, Talcott Parson oder Pierre Bourdieu.

Care-Ökonomie: Die aus der feministischen Ökonomie stammende Care-Ökonomie,

also die Ökonomie des (Ver-)Sorgens und Pflegens, legt ihren Fokus auf die bezahlte

und unbezahlte Reproduktionsarbeit, zu welcher auch die stationäre Altenpflege

gerechnet wird (Buddlender 2004). Auch die Bedeutung der Emotionen und Gefühle

sowie der sozialen Beziehungen sind in der Care-Ökonomie und ihrer Sicht auf die

Pflege wichtig (Bischoff-Wanner 2002). Sowohl die meisten Pflegekräfte, ob bezahlt

oder unbezahlt, als auch die Mehrheit der Bewohnenden in den Alters- und

Pflegeheimen sind nach wie vor Frauen, was zu spezifischen Ungleichheitssituationen

führt.

Kapitalismusanalyse und -kritik: Dieser Bereich befasst sich mit der Entwicklung und

der Kritik am kapitalistischen System (Altvater 2005). Besonders die Vertreter und

Vertreterinnen der Theorie der kapitalistischen Landnahme und der Ausbreitung des

Neoliberalismus sehen in der Ökonomisierung der Pflege ein Musterbeispiel für die

Expansion des kapitalistischen Systems. Wichtige Vertreterinnen und Vertreter dieser

Seite 9

Theorien sind u.a. Klaus Dörre, David Harvey, Luc Boltanski, Eva Chiapello, Pierre

Bourdieu und Karl Marx.

Berufssoziologie: Die Berufssoziologie befasst sich mit den Fragen nach

gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen und Entwicklungsdeterminanten von

verschiedenen Berufen (vgl. Kurtz 2002). Wolfgang Voges (2002) widmete dem Beruf

der Altenpflege in Deutschland eine eigene Monographie. Eine Ökonomisierung der

Pflege hat direkte Konsequenzen auf die Pflegeberufe und wirkt sich auf

verschiedenste Bereiche wie Berufsmoral, Ausbildungen, Berufsverständnis und

Berufswahl aus.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Pflegekräfte in der stationären

Alterspflege eine wenig erforschte Gruppe sind, es aber viele Anknüpfungspunkte gibt.

Es bestehen Forschungslücken bezüglich der Frage der Ökonomisierung der

stationären Alterspflege in der Schweiz und ihrer Auswirkungen auf das Personal. Hier

knüpft diese Arbeit an und will helfen, Teile dieser Lücke zu schliessen. Forschungen

zur Ökonomisierung der stationären Alterspflege und ihrer Auswirkung sind äusserst

aktuell. In Kanada, den USA aber auch den skandinavischen Ländern wird zurzeit

intensiv dazu gearbeitet (Anttonen und Meagher 2013: 18-20).

Das Thema Ökonomisierung der Pflege bietet sich aus drei Gründen für eine

Forschung an: Erstens weil die Pflege von betagten Menschen gesellschaftlich eine

wichtige Aufgabe ist. Die Menschen werden immer älter und werden mehrheitlich auf

irgendeine Art auf Pflege und Betreuung angewiesen sein. Besonders der Bereich der

stationären Alterspflege ist ausserhalb des medizinischen Bereiches relativ wenig

erforscht. Deshalb ist es unerlässlich, dass diese Lücke vertieft aus soziologischer

Perspektive untersuchtwird, um so die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen

Einflussfaktoren besser zu verstehen.

Zweitens lassen sich anhand der Pflege und deren Ökonomisierung die Entwicklung

und Auswirkungen des kapitalistischen Systems beobachten und analysieren. Da die

Pflege von der kapitalistischen und damit der betriebswirtschaftlichen Marktlogik lange

nicht erfasst war, lassen sich nun die Einführung dieser Logik und damit auch die

positiven und negativen Ergebnisse erforschen und darstellen. Des Weiteren kann die

Analyse der Ökonomisierung der stationären Alterspflege zu einem besseren und

tieferen Verständnis unseres Wirtschaftssystems führen. Auch kann man beobachten,

wie die Logik der kapitalistischen industriellen Güterproduktion und -verwertung bei

personenbezogenen Dienstleistungen wie der stationären Alterspflege wirkt.

Seite 10

Drittens wächst die Gruppe der bezahlten Pflegekräfte rasch an. Ohne diese

Pflegekräfte gibt es keine professionelle Alterspflege. Ihnen obliegt damit eine grosse

strukturelle Macht bei noch tiefer Organisationsmacht (Arbeitskreis Strategic Unionism

2013: 347-351). Seit 2011 nimmt der gewerkschaftliche Organisationsgrad aber zu

(Rieger et al. 2012: 131). Die Streiks deutscher Erzieherinnen und Erzieher in

Kindertagesstätten vom Sommer 2015 zeigen, wie gross die gesellschaftlichen und

politischen Auswirkungen bei Streiks in artverwandten Berufen sind. Das

gesellschaftliche und politische Sprengpotenzial bei einem Streik der Pflegekräfte ist

ebenfalls riesig. Somit ist die Reaktion der Pflegekräfte auf die Ökonomisierung von

grosser Bedeutung.

1.2 Leitfrage und Untersuchungsgegenstand

Da das ganze beschriebene Themenfeld den Rahmen einer Masterarbeit bei weitem

sprengen würde, werden in dieser Arbeit nur die wichtigsten Aspekte davon

aufgegriffen. Als Grundlage der Masterarbeit dient die folgende Leitfrage:

Wie wirkt sich in der deutschsprachigen Schweiz die zunehmende Ökonomisierung der

stationären Alterspflege seit dem 1. Januar 2011 a) auf die Arbeitswelt der Pflegekräfte

aus, b) was für allfällige Widersprüche bestehen zwischen ihrem Berufsethos und den

Anforderungen durch die Ökonomisierung und c) wie reagieren die Pflegekräfte auf die

Folgen der Ökonomisierung?

Der Untersuchungsgegenstand wird folgendermassen definiert: Untersucht werden

Alltag, Handeln und subjektive Erfahrungen von Pflegekräften aus der stationären

Alterspflege. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, wie sich die zunehmende

Ökonomisierung ihres Berufes und der Alters- und Pflegeheimen seit dem

1. Januar 2011 auf diese Berufsgruppe auswirkt und deren Arbeitswelt und -handeln

verändert. Des Weiteren wird untersucht, wie die Pflegekräfte mit den daraus

resultierenden Folgen umgehen. Damit liegt der Blickwinkel der vorliegenden Arbeit bei

den Pflegekräften und ihren Erfahrungen aus ihrer persönlichen Arbeitswelt. Für diese

Arbeit wurden Pflegekräfte sowie Expertinnen und Experten aus der

deutschsprachigen Schweiz befragt. Die Auswahl erfolgte aus

forschungsökonomischen Überlegungen und wird im Methodenteil ausgeführt.

Um das Verständnis der Fragestellung zu erleichtern, sind einige Definitionen

unerlässlich. Unter Ökonomisierung wird die Einführung der betriebswirtschaftlichen

Marktlogik (Kosten-Nutzenkalkulation der Arbeitgeber) und von tayloristischen

Instrumenten und Messverfahren verstanden. Als stationäre Alterspflege, auch bekannt

Seite 11

als stationäre Langzeitpflege, werden nicht nur die von der Krankenkasse als Pflege

definierten Handlungen betrachtet, sondern die ganze Zeit, während der eine betagte

Person innerhalb eines Alters- oder Pflegeheimes gepflegt und betreut wird.

Schliesslich wird Arbeitswelt in Verbindung mit dem Lebenswelt-Begriff verstanden:

„Als Lebenswelt gilt die subjektive Wirklichkeitskonstruktion eines Menschen (welche

dieser unter den Bedingungen seiner Lebenslage bildet)“ (Kraus 2013: 153).

Arbeitswelt bezieht sich in dieser Arbeit auf alles, was die Lohnarbeit betrifft und sich

auf diese auswirkt.

Die Wahl des Untersuchungsgegenstandes erfolgte aus mehreren Gründen. Einerseits

gibt es wenig Literatur und Studien zu Pflegekräften in Alters- und Pflegeheimen. Dabei

gehören diese einer stark wachsenden Personengruppe an, welche sowohl

zahlenmässig als auch wirtschaftlich immer mehr an Bedeutung gewinnt. Hinzu kommt,

dass die Pflege von betagten Menschen in stationären Alters- und Pflegeheimen ein

sich rasant entwickelnder Markt zu sein scheint. Der 1. Januar 2011 wurde als Datum

gewählt, weil seither in der Schweiz ein neues Pflegefinanzierungssystem in Kraft ist,

welches die Ökonomisierung nochmals verstärkt hat. Aus Sicht der Pflegekräfte soll

nachverfolgt werden, wie sich die neue Ökonomisierung in der stationären Altenpflege

vollzieht und wie sie diese erleben. Auch sollen damit Widersprüche, Abwehrkämpfe

und Handlungen der betroffenen Akteure zum Vorschein gebracht werden. Ebenfalls

erlaubt der Untersuchungsgegenstand die Beschreibung, inwiefern und wie sich die

Pflege- und die Kapitallogik aneinander anpassen. Pflege steht somit stellvertretend für

die personenbezogenen Dienstleistungen, welche bisher teilweise von der

kapitalistischen Logik ausgenommen waren. Als Frauenberufe wurden diese oft

unbezahlt geleistet und waren damit weder im Fokus der Wissenschaft noch der

Wirtschaft.

Nicht behandelt werden in dieser Arbeit die weiteren Gesundheitsbereiche, also weder

die ambulante Alterspflege, die akute Pflege in Krankenhäusern, noch neue

Wohnformen für betagte Menschen etc. Es kann nicht geklärt werden, ob Kosten

gespart wurden. Die subjektiven Arbeitswelten der Pflegefachkräfte werden auch nicht

auf ihre „Richtigkeit“ geprüft, sondern als subjektive Wahrheiten wiedergegeben.

Ebenfalls bleiben bei dieser Arbeit die nicht-pflegerischen Berufsgruppen und die

gesamte in diesem Bereich geleistete unbezahlte Arbeit aussen vor. Da das

Pflegewesen in der Schweiz stark föderalistisch geprägt ist, wird hier rein die

Deutschschweiz betrachtet, alles andere würde den Rahmen der Arbeit sprengen.

Schliesslich ist zu erwähnen, dass die Ergebnisse dieser Arbeit nicht statistisch

repräsentativ sein sollen, sondern explorativen Charakter haben.

Seite 12

Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, dass sie nicht nur von Personen am

soziologischen Institut der Universität Bern gelesen wird. Sie richtet sich auch als

public sociology an Pflegefachkräfte und weitere mit der stationären Alterspflege

verbundenen Personengruppen (Burawoy 2005). Es soll ferner ein Beitrag zur

Diskussion über die Ökonomisierung und ihre Auswirkungen geleistet werden. Die

Arbeit ist ergebnisoffen und richtet sich nach den gängigen wissenschaftlichen

Standards der qualitativen empirischen Methoden (Tedlock 2005).

1.3 Aufbau und Struktur der Masterarbeit

Um die Leitfrage zu beantworten, wird die Arbeit wie folgt aufgebaut: Zuerst werden in

einem Theorie- und Literaturkapitel die wichtigsten sozialwissenschaftlichen Theorien

für die Leitfrage besprochen und dargestellt. Dazu soll entlang der vier vorgestellten

Theorienblöcke vorgegangen werden. Das Kapitel beginnt mit einer Zusammenstellung

der wichtigsten Metatheorien der Soziologie der Pflege, wobei ein Schwerpunkt bei der

Theorie der Pflege als soziales Feld, wie sie Bourdieu beschreibt, liegt. Der zweite

Theorieblock erklärt, wie sich der Kapitalismus auf neue Bereiche wie die stationäre

Alterspflege ausweitet. Es wird dabei gezeigt, wie in den letzten Jahren eine neue

kapitalistische Landnahme gemäss Dörre und Harvey in ehemals staatlichen

Dienstleistungsbereichen, wie der Pflege von statten geht. Dies geht einher mit der

Erklärung, wie sich der kapitalistische Geist in den letzten Jahren verändert hat, der

Neoliberalismus die Ökonomisierung des Sozialen fördert und welche Auswirkungen

dies hat. Im dritten Theorieblock soll der Aspekt der kapitalistischen Logik in der Pflege

insbesondere aus der Sicht der Care-Ökonomie betrachtet werden. Hier liegt ein

Schwerpunkt auf der von der Güterproduktion verschiedenen Produktions- und

Verwertungsweise von personenbezogenen Dienstleistungsberufen. Ebenfalls soll die

Wirkung von tayloristischen Methoden in diesem Bereich kurz vorgestellt werden. Dies

erlaubt es dann, die Auswirkungen auf die Pflegekräfte zu betrachten. Der vierte und

letzte Theorieblock widmet sich der Frage der Berufs- und Arbeitssoziologie. Hier wird

ein besonderes Augenmerk auf das Berufsethos, die Emotions-, Gefühls-, und

Betreuungsarbeit gelegt und die Frage diskutiert, wie sich die Ökonomisierung auf

diese Berufskonstruktionen auswirken und ob es dadurch zu Widersprüchen kommt.

Im darauf folgenden Kapitel wird das aktuelle System der stationären Altenpflege in der

Schweiz kurz beschrieben. Dem folgt eine Erklärung des aktuellen Finanzierungs-

systems für die Alters- und Pflegeheime sowie eine Darstellung der Lage des

Pflegepersonals und einer Situierung dessen innerhalb des aktuellen Systems. Dem

schliesst sich eine Erklärung zur gegenwärtigen Situation der Ökonomisierung der

stationären Alterspflege in der Schweiz an. Darauf folgt ein erstes Analysekapitel, in

Seite 13

dem das vorgestellte schweizerische System unter die Lupe genommen wird. Es wird

dazu mit den zuvor aus der Literatur und Theorie erarbeiteten Konzepten theoretisch

eingeordnet, bewertet und diskutiert.

Dem folgt das Methodenkapitel inklusive einer Selbstreflektion. Um die Leitfrage zu

beantworten, werden qualitative Methoden genutzt. Dies, da diese es erlauben, die für

die Fragestellung nötige subjektive Lebenswelt und damit die Arbeitswelt der

Pflegekräfte zu erfassen. Bei der Datenerhebung wird auf eine Methodentriangulation

gesetzt. Herzstück sind zehn semistrukturierte Interviews mit Pflegekräften. Dazu

kommen Interviews mit Expertinnen und Experten aus für die Pflegekräfte relevanten

Bereichen. Als Expertinnen und Experten werden je eine Person aus den Bereichen

Arbeitgeber, Beschwerdestelle für Bewohnende, Gewerkschaft, Ausbildungsstätte und

Politik gewählt. Schliesslich wird die Datenerhebung um drei teilnehmende

Beobachtungen ergänzt, namentlich zwei Tagungen von Pflegekräften der

Gewerkschaft Unia und einer Fachtagung der SP Frauen des Kantons Bern. Die

erhobenen Daten werden nach dem Kodierungsverfahren der Grounded Theory in drei

Schritten ausgewertet. Die wichtigsten Ergebnisse werden entlang der Leitfrage

dargestellt. Schliesslich werden die Ergebnisse diskutiert und kritisch beleuchtet. Den

Schluss der Arbeit bildet das Fazit, in welchem die Leitfrage beantwortet wird. Dazu

kommen eine Einschätzung der Ergebnisse, der Stärken und Grenzen der Arbeit,

sowie ein Ausblick auf weitere Forschungsfelder in diesem Bereich.

Seite 14

2. Literaturstand und theoretische Grundlagen

Ziel dieses Kapitels ist es, die verschiedenen relevanten Theorien und die Forschungs-

literatur über die Auswirkungen der Ökonomisierung der stationären Alterspflege auf

die Pflegekräfte darzustellen und damit einen Analyserahmen zu bilden. Dies beginnt

mit einigen Überlegungen aus der Soziologie der Pflege, welche in Kapitel 2.1

aufzeigen sollen, wie die Pflege als eigenes System oder soziales Feld analysiert

werden kann. In Kapitel 2.2 werden das Konzept der kapitalistischen Landnahme und

des Neoliberalismus eingeführt und aufgezeigt, wie sich der Kapitalismus in bisher

nicht-kapitalistischen Bereichen ausbreitet. Ein weiterer Aspekt ist, wie diese

Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung inkorporiert wird, bis neoliberale Denk- und

Handlungsweisen hegemonial sind. Mit der Care-Ökonomie werden dann in Kapitel 2.3

die besondere Verwertungslogik der personenbezogenen Dienstleistung stationärer

Alterspflege erklärt und Entwicklungen aufgezeigt, welche tayloristische Methoden für

die Pflegekräfte haben. In Kapitel 2.4 erhalten verschiedene berufs- und

arbeitssoziologische Betrachtungen Platz, welche sich um die Entwicklung des

Berufes, die Arbeitsteilung und auch die Emotions- und Gefühlsarbeit drehen.

2.1 Soziologie der Pflege

Die Pflege und damit auch der Teilbereich stationäre Alterspflege kann aus

soziologischer Sicht entweder als soziales System gemäss Luhmann (Bauch 2005;

Fenchel 2008: 164-173) oder als figuratives Feld (Schroeter 2005) oder als konflikt-

und austauschtheoretischer Perspektive (Amrhein 2005) gesehen werden. In diesem

Unterkapitel sollen die einzelnen Theorien vorgestellt und auf ihre Nützlichkeit für die

Beantwortung der Fragestellung überprüft werden. Damit werden erste Erklärungen für

die Dynamiken im sozialen System (Kapitel 2.1.1) oder im sozialen figurativen Feld der

Pflege (2.1.2) aus einer konflikttheoretischer Perspektive (2.1.3) gegeben.

2.1.1 Soziales (Teil-) System Pflege

Aus Sicht von Luhmann (Rasch 2013) bestehen Gesellschaften aus verschiedenen

sozialen Systemen, wobei sich die Systeme durch Prozesse der Kommunikation

strukturieren. Systeme entstehen gemäss Luhmann (1986: 269)

„[...] wenn immer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikation gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikationen.“

Stabile Systeme können durch ihre Umwelt gestört werden – zum Beispiel beeinflusst

ein neues Finanzierungssystem die Pflege – oder mit anderen sozialen Systemen

gekoppelt werden. Dies führt in der Regel zu Veränderungen und damit einer Irritation

Seite 15

des bisher stabilen Systems. Sind diese Änderungen wichtig, werden sie verarbeitet,

um den Erhalt des Systems zu sichern. Daraus startet der Prozess der Restabilisierung

(Horster 2013: 5). Wenn nun ein allfälliges System der Pflege mit dem System der

Ökonomie und damit der Frage nach wirtschaftlicher Pflegearbeit gekoppelt wird, führt

dies zu Änderungen und Irritation in diesem System. Dies startet einen Prozess, der zu

systemrelevanten Änderungen führt.

Es gilt nun zu prüfen, ob sich Pflege als eigenes soziales System qualifiziert. Dies wird

anhand dreier Kriterien Luhmanns überprüft: Erstens der Autonomie des

Funktionssystemes, zweitens der privilegierten Funktionserfüllung und drittens der

codegeprägten Kommunikationsform (Bauch 2005: 71). Ein System ist autonom, wenn

es seine eigenen Entscheidungen im System treffen und umsetzten kann. Nun ist die

Pflege nach wie vor abhängig von den Entscheiden der Medizin und somit nicht in allen

Bereichen autonom (Schroeter 2006: 30). Es kann aber ein Bestreben nach

Unabhängigkeit festgestellt werden, was Teil der neuen Systemkonstitution ist. Dies

zeigt sich durch die Professionalisierung und Akademisierung im Pflegebereich (Bauch

2005: 73). Zum zweiten Punkt, der Funktionserfüllung, lassen sich nicht sämtliche

Funktionen eindeutig nur der Pflege zuordnen. So ist Behandlungspflege – Tätigkeiten

wie die Vorbereitung und Verabreichung von Medikamenten und Spritzen, das

Einführen von Sonden oder Kathetern etc. (vgl. EDI 2015: Art. 7b) – auch Teil des

Medizinsystems. Grundpflege – diese umfasst Tätigkeiten wie das Einbinden von

Beinen, das Anlegen von Kompressionsstrümpfen, das Betten und Lagern, die Hilfe bei

der Mund- und Körperpflege, beim An- und Auskleiden und beim Essen und Trinken

(vgl. ebd.: Art. 7c) – ist Teil des Alltagshandelns und Gefühlsarbeit und kann

verschiedenen Systemen zugeordnet werden (Bauch 2005: 74f). Doch auch hier

können Bestrebungen festgestellt werden, die Differenzierung zwischen Medizin und

Pflege auszuweiten und zu professionalisieren (Schroeter 2006: 31). Zum dritten

Punkt: Das Codier-System erlaubt die Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit und

Nicht-Zugehörigkeit zum System. Die binären Codes sind die leitende Differenz, an der

sich die Operationen im System orientieren. Nun ist es beim Codier-System bei der

Pflege im Moment nicht möglich, einen binären Code (z. B. pflegefähig/unfähig) zu

erstellen, welcher nicht an die Umwelt oder ein anderes System, wie beispielsweise

der Gefühlsarbeit, gebunden ist (Bauch 2005: 77). Pflege ist also kein eigenes soziales

System, aber gemäss der Systemtheorie im Konstituierungsprozess (Schroeter 2006:

35). Es finden sich Abgrenzungsprobleme hinsichtlich der Medizin und der

Gefühlsarbeit, welche beide Teile anderer Felder sind (Bauch 2005: 79-82). Pflege ist

Seite 16

ein Sub-System des Gesundheitssystems oder ein semi-ausdifferenziertes Feld mit

vielen Schnittmengen zu anderen Feldern (ebd.: 71).

2.1.2 Das Feld der Pflege

Schroeter (2005; 2006) beschreibt die Pflege als „soziales Feld“ (Fuchs-Heinritz und

König 2005: 139-157) in der Tradition von Bourdieu mit Figurationen im Sinne von

Elias (2004). Das soziale Feld der Pflege ist, wie jedes andere Feld, ein Ergebnis der

gesellschaftlichen strukturellen Differenzierung (z. B. Mann und Frau) und funktionalen

Differenzierung (z. B. Arbeitsteilung). Die sozialen Felder dürfen dabei nicht als

räumliche Begrenzungen verstanden werden, sondern sie sind immer relationale

Handlungsfelder mit Strukturen, Verflechtungen und Abhängigkeiten (Schroeter 2006:

35f). Deshalb ist das soziale Feld der Pflege ein figuratives Feld (Schroeter 2005: 86).

Unter Figuration werden die wechselseitige Abhängigkeit und das Machtgefüge der

Akteurinnen und Akteure untereinander in der Gesellschaft verstanden. Diese

Figurationen können sich durch Interdependenzen und gesellschaftliche Entwicklungen

verändern und anpassen (Treibel 2008: 23 und 46). Eine Einschränkung der

Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union würde die

Anzahl der verfügbaren Pflegekräfte massiv reduzieren. Damit würde zwischen den

schweizerischen Pflegekräften und den Alters- und Pflegeheime eine neue Figuration

entstehen. Jedes soziale Feld hat eine eigene Logik und eigene feldspezifische

Spielregeln. Sie sind nicht losgelöst von den anderen sozialen Feldern sondern mit

ihnen verwoben. Dies entspricht einer stärkeren Verbindung als eine Koppelung in der

Systemtheorie. Schroeter (2005: 36) definiert das figurative soziale Feld der Pflege

folgendermassen:

„Mit dem sozialen Feld der Pflege wird ein in sich in differenzierter (und in eine Vielzahl von Subfeldern untergliederter) gesellschaftlicher Teilbereich im Gesundheitssystem mit spezifischen und spezialisierten Akteuren umrissen, der über eigene materielle und soziale Ressourcen verfügt und nach eigenen Regeln und Logiken funktioniert.“

Das Feld der Pflege ist ein Strukturrahmen. Es lässt sich als in konzentrisch

verschachtelten Arrangements von verschiedenen Subfeldern betrachten, wie zum

Beispiel Krankenpflege oder stationäre Alterspflege (Schroeter 2005: 91f). Das

bedeutet, für unsere Betrachtung ist die stationäre Alterspflege ein Subfeld des Feldes

der Pflege. Dieses Subfeld lässt sich in mindestens vier Ebenen unterteilen: In die

personale Ebene, die interpersonale Ebene, die organisatorische Ebene und die

gesellschaftliche Ebene. Zwischen den Ebenen existieren direkte und indirekte

Verwebungen und sie sind in Verbindung miteinander. Damit gibt es immer wieder

komplementär verknüpfte Beziehungen mit differenzierten Machtverteilungen

(Schroeter 2006: 37f.). Ziel- und Interessenskonflikte entstehen regelmässig zwischen

Seite 17

den Ebenen. So gibt es beispielsweise das persönliche Ziel der Pflegekraft, eine

möglichst gute Pflege anzubieten. Das steht dem gesellschaftlich-ökonomischen Ziel

von Kostenersparnissen bei der Pflege entgegen. Es können aber nicht nur zwischen,

sondern auch innerhalb der Ebenen des Feldes konflikthafte Auseinandersetzungen

stattfinden (Schroeter 2005: 94f).

Die verschiedenen sozialen Felder können ebenfalls aufeinander einwirken (Bourdieu

1998). Ein solches Einwirken ist der Einfluss des ökonomischen Feldes auf das Feld

der Pflege und seine Subfelder. Die betroffenen Felder werden dadurch verändert.

Das Feld der Pflege ist neben dem Struktur-, immer auch ein Handlungsrahmen. Die

Handlungen finden entlang der gegebenen Struktur statt (Schroeter 2006: 40).

Innerhalb des Feldes der Pflege entsteht ein spezifisches Pflegekapital, welches

seinen spezifischen Wert nur in seinem Feld entfaltet. Hierzu lohnt sich ein Blick in die

Kapitaltheorie von Bourdieu (1987; Fuchs-Heinritz und König 2005: 157-170). Bourdieu

unterscheidet zwischen ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem

Kapital. Als ökonomisches Kapital versteht er materiellen Besitz und verfügbares

Eigentum, welches in Geld umgewandelt werden kann. Das kulturelle Kapital tritt in

drei Formen in Erscheinung. In der objektiven Form besteht kulturelles Kapital aus

Büchern, Kunstwerken, etc. Das inkorporierte Kulturkapital besteht aus kulturellen

Fähigkeiten, Kenntnissen, Wissen etc. Man verinnerlicht es aufgrund der

gesellschaftlichen Erwartungen, ihrer geschlechtlichen Sozialisation und beim Erlernen

und beim Ausüben des Berufs. Institutionalisiertes kulturelles Kapital besteht aus

Bildungstiteln und Abschlüssen. Das soziale Kapital besteht aus den Möglichkeiten,

andere um Hilfe, Rat oder Informationen zu bitten, sowie die Chance durch

Gruppenzugehörigkeit sich gegen andere Menschen durchzusetzen. Als letztes Kapital

nennt Bourdieu das symbolische Kapital. Dieses besteht aus den Chancen, soziale

Anerkennung und soziales Prestige zu gewinnen. Das symbolische Kapital tritt in der

Regel mit anderen Kapitalsorten gemeinsam auf und macht jene bedeutsam. Im Feld

der Pflege lässt sich als spezifisches kulturelles Kapital pflegerisches Fachwissen von

Pflegekräften oder als ökonomisches Kapital finanzielle Mittel der Arbeitgeber für die

Anstellung von Pflegekräften sehen. Stellung, Macht und Einfluss der Akteurinnen und

Akteure ist von der Akkumulation von Kapitalien abhängig (Bourdieu 1987: 727-755).

Durch die Akkumulation der verschiedenen Kapitalien entsteht das spezifische

Pflegekapital. Daraus ergeben sich neben der Stellung auch die möglichen Handlungs-

und Dispositionsspielräume im Feld. Diese sind wiederum abhängig von den

spezifischen Logiken sowie den Feldregeln und -strukturen (Schroeter 2005: 95-97).

Seite 18

„Zur Konstruktion des figurativen Feldes der Pflege bedarf es jedoch nicht nur der

Bestimmung der wirksamen Formen des spezifischen Kapitals, sondern auch

Kenntnisse der spezifischen Feldlogik“ (Schroeter 2006: 41). Somit ist das soziale

Subfeld der Alterspflege immer ein Deutungsrahmen für die Akteurinnen und Akteure.

Im Feld selbst laufen verschiedene Diskurse zusammen. Die herrschende soziale

Ordnung und Regeln des Feldes werden als Doxa angenommen und als

selbstverständlich hingenommen (Fuchs-Heinritz und König 2005: 201-203).

2.1.3 Macht und Konflikte im Feld der Pflege

Das Konzept der Pflege als figuratives soziales Feld erlaubt die Untersuchung der

verschiedenen Akteurinnen und Akteure im Wettstreit miteinander. Dabei ringen sie in

einer Figuration um Macht, Hegemonie der Diskurse und Kapitalien (Schroeter 2005:

100).

„[Das Pflegepersonal, A.D.] agiert auf verschiedenen, direkt oder indirekt miteinander verknüpften Feldern (Arbeitswelt, Politik, Rechtssystem, Wissenschafts- und Bildungssystem, Öffentlichkeit), wo es um Anerkennung und Einfluss kämpft, um soziale Rechte und Gerechtigkeit, um Gehör und Mitspracherechte, um materielle und immaterielle Zuwendungen und Einbringungen – um soziale Partizipation.“ (ebd.: 101)

Es zeigt sich, dass die Analyse von Konflikt- und Machtbeziehungen innerhalb der

Pflege und insbesondere der stationären Alterspflege mit Hilfe von Bourdieu und Elias

zu spannenden Ergebnissen führt. Gerade das Pflegepersonal in der stationären

Alterspflege ist Bestandteil von vielen sozialen Konflikten und Machtkämpfen (Amrhein

2005: 107). Als soziale Konflikte werden solche Spannungssituationen verstanden „in

denen zwei oder mehrere Parteien, die voneinander abhängig sind, mit Nachdruck

versuchen, scheinbar oder tatsächlich unvereinbare Handlungspläne zu verwirklichen

und sich dabei ihrer Gegnerschaft bewusst sind“ (Glasl 1994: 14). Als Definition von

Macht wird die Definition Max Webers (1980: 28) verwendet: Macht ist „jede Chance,

innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben

durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Die Chancen auf Macht im

sozialen Feld der Pflege beruht bei den Akteurinnen und Akteure auf unterschiedlicher

Akkumulation des feldspezifischen Kapitals. Innerhalb eines Alters- und Pflegeheims

kann gemäss Amrhein (2005: 118-121) von einer klaren Machthierarchie zwischen den

drei Akteuren Heimträger, Pflegepersonal und Bewohnenden ausgegangen werden:

Am schlechtesten gestellt sind die Bewohnenden, aufgrund ihrer schlechten

körperlichen und geistigen Verfassung (abnehmendes kulturelles Kapital) und dem

dünner werdenden sozialen Netzwerk (soziales Kapital). Für sie ist ein Heimwechsel

oft nicht mehr möglich. Pflegekräfte haben ein spezifisches Wissen über die zu

verrichtende Pflegearbeit und Ausbildungsabschlüsse, die dies belegen (kulturelles

Kapital). Aber sie sind in der Wahl ihrer Mittel zur Interessensdurchsetzung – wie Streik

Seite 19

– eingeschränkt, da sie moralisch stark an ihre zu Pflegenden gebunden sind

(inkorporiertes kulturelles Kapital) und schlecht gewerkschaftlich organisiert sind

(soziales Kapital). Am besten stehen gemäss Schroeter (2006: 211-214) die

Heimträger da, welche über beträchtliche Spielräume in den organisatorischen

Strukturen verfügen und deren Aktivitäten nur sehr schwach vom Staat kontrolliert

werden. Auch können sie beispielsweise Pflegekräfte entlassen oder die finanziellen

Ressourcen verteilen (ökonomische Macht).

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Betrachtung der Pflege als soziales

figuratives Feld mehr Vorteile bietet, als die Betrachtung als soziales System. Der

Fokus dieser Arbeit liegt bei den Pflegekräften. Die Systemtheorie analysiert keine

Akteurinnen und Akteure, sondern Kommunikation. Hinzu kommt, dass nicht von

einem eigenständigen System der Pflege ausgegangen werden kann. Drei Punkte

sollten aber für weitere Überlegungen von den sozialen Systemen mitgenommen

werden: 1. Die Gesellschaft besteht aus mehreren Bereichen (soziale Systeme oder

Felder), die aufeinander einwirken können. 2. Die Pflege ist nicht unabhängig von

anderen Bereichen wie der Ökonomie oder Gefühlen. 3. Die Koppelung eines

Bereiches mit einem anderen, wie beispielsweise Pflege mit der Wirtschaft, führt zu

Irritationen und zu einer Neuordnung zwecks Stabilisierung. Soziale Felder erlauben

es, diese Gedanken mitzunehmen und zusätzlich eine direkte Betrachtung der

Akteurinnen und Akteure. Innerhalb der Felder streiten die verschiedenen Akteurinnen

und Akteure um Macht und Einfluss innerhalb einer spezifischen Figuration. Jedes Feld

verfügt über seine eigenen Spielregeln und Logiken. Die Akteurinnen und Akteure

verfügen über materielle und soziale Ressourcen. Der Einfluss und die Macht werden

von der Akkumulation des spezifischen Pflegekapitals bestimmt. Dies setzt sich

zusammen aus ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital.

Gerade die Alters- und Pflegeheimbetreibenden zeigen sich als starke Akteure. Am

schwächsten sind die Bewohnenden. Aber auch die Pflegekräfte sind innerhalb des

Feldes den Heimträgern untergeordnet, aber besser positioniert als die Bewohnenden.

2.2 Kapitalistische Landnahme

Um zu verstehen, wie es zu einer Ökonomisierung des Subfeldes der stationären

Alterspflege gekommen ist, muss ein Blick auf die Wirtschaft und die dort

vorherrschende Form, den Kapitalismus, geworfen werden. Dazu werden sowohl der

Kapitalismus als solcher wie auch der Dienstleistungsbereich näher betrachtet. Als

Grundlage dazu dienen die Werke von Theoretikerinnen und Theoretiker aus dem

Bereich der Kapitalismuskritik. In Kapitel 2.2.1 wird erklärt, wie die ursprüngliche

Seite 20

Landnahme des Kapitalismus von statten ging. Diese Betrachtung soll ermöglichen,

Rückschlüsse auf heute zu ziehen. Danach folgt in Kapitel 2.2.2 die Darstellung der

heutigen kapitalistischen Landnahme und einige ihrer Auswirkungen. Schliesslich folgt

in Kapitel 2.2.3 eine Analyse des Neoliberalismus als heute vorherrschender

kapitalistischer Geist und wie sich dieses Denken in der Politik, der Wissenschaft und

der Bevölkerung festsetzt.

Folgende Definition des Systems Kapitalismus wird in dieser Arbeit verwendet: Ein

System, welches „unbegrenzte Kapitalakkumulation durch den Einsatz von formell

friedlichen Mittel“ zum Ziel hat (Boltanski und Chiapello 2006: 39) und die Gesellschaft

und Wirtschaft so organisiert, dass „das 'Streben nach Profit, nach immer erneutem

Profit'“ möglich ist (Weber, zit. nach Swedberg 2009: 88). Die heutige gängige Form

beruht auf Marktwirtschaft mit Privateigentum an Produktionsmitteln (Mankiw und

Taylor 2004: 255). Stetiges Wirtschaftswachstum, höhere Gewinne und neue

Anlagemöglichkeiten sind für die permanente Kapitalakkumulation im Kapitalismus ein

Muss. Dazu brauche es stetig mehr Produktivität, argumentiert Nicholas Gregory

Mankiw (2004: 540f.). Das heisst, eine Person muss bei gleichbleibender oder

besserer Qualität in der gleichen Zeit mehr Güter herstellen oder Dienstleistungen

anbieten, als sie es bisher konnte.

Obwohl gemäss Bornewasser (2014: 1-8) der Dienstleistungsbereich seit Jahren

grösser ist als der industrielle Sektor, hinkt seine Produktivität massiv hinterher. Pro

investierten Franken lässt sich demnach mit industriellen Gütern mehr neuer Ertrag

erzielen als mit Dienstleistungen. Einzige Ausnahme bildet hierbei der Finanzsektor,

doch macht dieser beschäftigungsmässig nur einen kleinen Teil des

Dienstleistungsbereiches aus. Insbesondere der Gesundheitsbereich legte in den

letzten Jahren aber volkswirtschaftlich und personell massiv zu, argumentiert

Bornewasser weiter. Und er wird aus verschiedenen Gründen (technische Entwicklung,

Alterung der Bevölkerung etc.) in den nächsten Jahren noch weiter wachsen.

Der Gesundheitsbereich und somit die stationäre Alterspflege waren lange fernab der

kapitalistischen Profit- und Marktlogik organisiert. Ein Grossteil der Arbeit wurde (und

wird) unbezahlt geleistet oder als staatliche Aufgabe der Bevölkerung angeboten

(Bischoff-Wanner 2014; Bischoff 1992). Kapitalakkumulation, Gewinne und

Kostenoptimierung standen nicht im Vordergrund. In den letzten Jahren jedoch kam es

hier zu Veränderungen: Auch in der Schweiz setzte die Ökonomisierung des

Gesundheitswesens ein. Da grosse Teile der Budgets von der öffentlichen Hand

bezahlt wurden, kam der Impuls zu mehr Wirtschaftlichkeit vom Staat. Privatisierungen,

Seite 21

New Public Management, Rationalisierungen und die Einführung von

betriebswirtschaftlichen Instrumenten und Logiken hielten Einzug (Pelizzari 2001: 21 -

44).

2.2.1 Ausweitung des Kapitalismus – Kapitalistische Landnahme

Die Ausweitung des kapitalistischen Systems auf neue Bereiche oder die

„Herausbildung einer kapitalistischen Produktionsweise in einer nicht-kapitalistischen

Umwelt“ (Dörre 2009: 36) wird kapitalistische Landnahme genannt. Dieses Phänomen

ist nicht neu, es lässt sich seit dem Ursprung des Kapitalismus beobachten. Das

Theorem der kapitalistischen Landnahme beschäftigt sowohl Autorinnen der

Feministischen Ökonomie (vgl. Federici 2012; 2013), wie auch Kapitalismuskritiker

(vgl. Dörre 2014a; 2012, Harvey 2005; 2007), unter anderem im Zusammenhang mit

dem Gesundheitswesen. Die Theorie hat ihre Wurzeln bei Karl Marx (1972) und seiner

Beschreibung der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. Marx zeigte auf, wie der

Kapitalismus bei der englischen Gesellschaft ab dem 16. Jahrhundert schrittweise

Einzug hielt. Für die neue Wirtschaftsform brauchte es im doppelten Sinne eine freie

Arbeiterschaft, welche bereit war, in der kapitalistischen Logik zu arbeiten: Die

Arbeiterschaft musste einerseits frei sein von Knechtschaft und anderseits frei von

anderen Produktionsmitteln, also nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft. Ihnen

blieb somit nichts anderes übrig, als ihre Arbeitskraft an Fabrikbesitzer (Kapitalisten) zu

verkaufen (Kössler 2013: 22-33). Diese Freisetzung der Arbeiterschaft erfolgte durch

Gewalt, Befreiung aus der Knechtschaft, Enteignung und staatlichen Zwang. Die

Verlagerung von gebunden Arbeitskräften auf dem Land hin zu den städtischen

Manufakturen und Fabriken war politisch gewollt und wurde vom Staat durchgesetzt.

Mit der Zeit verinnerlichte die Arbeiterschaft diese Art der Produktion und führte sie

freiwillig, ohne Druck von aussen weiter (Dörre 2014b: 1f). „Im Fortgang der

kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung,

Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbst-

verständliche Naturgesetze anerkennt“ (Marx und Engels: 1968: 765f). Durch die

fortlaufende Arbeitsteilung und die Produktion von Gütern für andere und nicht für sich

selbst entfremden sich die Arbeiter von ihrer neuen Tätigkeit. Folgen davon waren

weitere Ausbeutung und die Entmenschlichung der Arbeiter (Oppolzer 1974).

Die Theorie der ursprünglichen Akkumulation wurde von Rosa Luxemburg (1975)

weiterentwickelt. Die ursprüngliche Akkumulation war nicht das Ende der Ausweitung

des Kapitalismus. Vielmehr musste sich der Kapitalismus, um wachsen und somit

weiterbestehen zu können, räumlich immer weiter ausbreiten und nicht-kapitalistische

Seite 22

Bereiche einnehmen. Ausbeutung fand gemäss Luxemburg in äusseren Bereichen wie

Kolonien statt, welche als innere Bereiche im Kapitalismus weiterbestehen und Schritt

für Schritt eingenommen wurden von der kapitalistischen Logik:

„Der Kapitalismus bringt in seinem Innern laufend selber nichtkapitalistische Inseln hervor, die er später an Land nehmen kann, und zwar in Form einer Subsistenzproduktion, die sich gerade wegen der kapitalistischen Produktionsweise laufend erweitert.“ (Feministische AutorInnengruppe 2013: 107)

Unter diesem Gesichtspunkt nutzten verschiedene Feministinnen in den 1980er Jahren

die Theorie Luxemburgs für die Analyse unbezahlter Hausarbeit im kapitalistischen

System. Sie beschreiben dabei die Ausbeutung der Hausfrau als neue Form der

kapitalistischen Landnahme. Prozesse der fortlaufenden kapitalistischen Akkumulation

führen dabei häufig zu Transformationen der Klassen- und Geschlechterverhältnisse

und rufen am Anfang meistens Widerstände der betroffenen Gruppierungen hervor

(Kalmring 2013: 104-107). Federici (2012) ergänzte das Theorem der kapitalistischen

Landnahme um verschiedene feministische Betrachtungsweisen. So sei die neue

Landnahme insbesondere ein weltweiter Angriff auf die soziale Reproduktion, mit dem

Ziel, diese neu zu strukturieren (Federici 2013: 42f). Durch die zunehmende

Lohntätigkeit der Frauen müssen die Reproduktionsarbeiten (z.B. Zubereitung von

Nahrung, Pflege, Kinderbetreuung) neu auf dem Markt eingekauft werden, was den

Boom der Dienstleistungsberufe noch einmal beschleunigte (Federici 2012: 71-86).

2.2.2 Neue kapitalistische Landnahme im 21. Jahrhundert

Dörre (2014a; 2014b; 2013; 2012) und Harvey (2005; 2007) erweiterten diese Theorie

der neuen kapitalistischen Landnahme um ein weiteres Argument. Der Kapitalismus

weite sich noch heute auf nicht-kapitalistische Bereiche innerhalb des heutigen

kapitalistischen Systems, wie die Pflege, das Trinkwasser oder den Wohlfahrtstaat aus.

Zentraler Treiber hinter solchen Landnahmen seien „Kapitalüberschuss-

Absorbationsprobleme“ (Dörre 2014a: 33). Landnahmen geschehen als Reaktion auf

(Wirtschafts-)Krisen, wenn das Wachstum (zusätzliche Kapitalakkumulation) nicht

mehr möglich ist, da das Kapital nicht mehr gewinnbringend genug investiert werden

kann (Dörre 2013: 114-117). „Kapitalistische Entwicklung vollzieht sich als komplexe

Innen-Aussenbewegung. Stets beinhaltet sie die Internalisierung von Externen, die

Okkupation eines nicht oder nicht vollständig kommodifizierten Anderen“ (Dörre 2014a:

30). Bisher nicht verwertetes Land wird kommodifiziert und somit als etwas

Auswärtiges, Nichtkapitalistisches internalisiert und in die kapitalistische

Produktionsform hineingenommen, um die Kapitalakkumulation zu steigern (Dörre

2013: 114). Harvey (2005: 145) argumentiert, dass die heutige Akkumulation vor allem

mit Enteignungen geschehe, zum Beispiel durch Privatisierungen:

Seite 23

„Als heutige Beispiele solcher Landnahmen [...] nennt Harvey: Fusionen, Schuldknechtschaft, Plünderung von Rentenfonds, Biopiraterie, Kommodifizierung der Natur und die Privatisierung öffentlicher Güter wie Trinkwasser, Energie, Kommunikations- und Transportwege, Kollektivland sowie sozialer Einrichtungen.“ (Feministische AutorInnengruppe 2013: 102)

Neues Wachstum beruht demnach auf der Durchsetzung von neuen

Strukturparametern (Dörre 2014: 31). Als Beispiel kann hier der Wandel der Pflege in

verschiedenen europäischen Ländern herangezogen werden. Durch eine neue

Marktorientierung, Privatisierungen und betriebswirtschaftliche Mitteln wie

Zeitrationierung wird die Pflege ökonomisiert und trägt zur Kapitalakkumulation bei

(Aulenbacher et al. 2014). Die neue kapitalistische Landnahme geht einher mit einer

Prekarisierung und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der materiellen

Lage der betroffenen Arbeiterschaft (Harvey 2007: 208-213; Dörre 2014a 33-41).

Massive Flexibilisierungen bei den Arbeitszeiten, tiefe Löhne, kaum Lohnerhöhungen,

Zunahme von atypischen Arbeitszeitverhältnissen und eine schleichende Erosion des

Mittelstandes sind die Folgen (Wahl 2011: 126-158; Dörre 2014b: 8f).

2.2.3 Der neue kapitalistische Geist und die Ökonomisierung des Sozialen

Doch nicht nur in der Produktion und der Arbeitswelt kommt es zu Veränderungen.

Dörre (2013: 120-128) argumentiert weiter, dass die Landnahmen in Europa

finanzkapitalistisch getrieben sind und es zu einer „Ökonomisierung des Sozialen“

kommt. Nur so sei es überhaupt möglich, die nötigen Arbeitskräfte zu finden und den

Umbau des Staates in Angriff zu nehmen. Um dies zu ermöglichen, muss der

„kapitalistische Geist“ (Boltanski und Chiapello 2006) so angepasst werden, dass er mit

dem Finanzmarktkapitalismus, den neuen Landnahmen und dem Akkumulationsregime

übereinstimmt (Dörre 2014a: 31). Allen Menschen, wohnt zur Aufrechterhaltung des

kapitalistischen Systems ein „kapitalistischer Geist“ inne. Dieser Geist ist die

Verinnerlichung von kapitalistischen Normen, Werten und Weltanschauung. Er

ermöglicht, dass das kapitalistische System trotz Ungleichheiten ohne offene Gewalt

aufrechterhalten bleibt. Der Geist des Kapitalismus bezeichnet auch die aktuelle

Ideologie, von welchem der Kapitalismus getragen wird (Boltanski und Chiapello 2006:

42-53). Durch veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Wirtschaftskrisen

oder Kapitalismuskritik passt sich der kapitalistische Geist soweit an, dass der

Kapitalismus weiterhin erhalten bleibt. Auch passt sich der Kapitalismus diesen

Veränderungen an. Als Gesellschaftsmodell, welches den heutigen Zustand am besten

beschreibt ist, der Neoliberalismus zu nennen (Schranz 2005). Ideologische

Grundlagen des Neoliberalismus sind das ökonomische Nutzenkalkül, der Marktglaube

und das Bild des Homo oeconomicus, also dass sich Menschen stets nutzen-

maximierend verhalten. Der eigentliche Kern bildet damit die Ökonomisierung des

Seite 24

Sozialen, also dass auch im sozialen Bereich ökonomisch gedacht wird (Maiolino

2014: 225-295). Dies geht einher mit dem Übergreifen der neoliberalen Denkweise aus

der Volks- und Betriebswirtschaft in benachbarte Wissenschaftsbereiche (vgl. Burren

2007). Vier Grundzüge stehen der Kapitalakkumulation im Neoliberalismus zu Grunde:

1. Privatisierungen von staatlichen Dienstleistungen und Kommodifizierung, also dem

zur Ware machen von ehemals nicht kapitalistischen Gütern; 2. Wachsende Rolle des

Finanzsektors gegenüber der Realwirtschaft; 3. Krisenmanagement mit dem Zweck,

neoliberale Reformen umzusetzen und 4. Einschränkung der staatlichen Um-

verteilungspolitik und Sozialwerke (Harvey 2007: 198-205).

Bourdieu (1988; 2009) und Wacquant (2009) skizzieren den Neoliberalismus als

politische Idee und beschreiben, wie sich dieser auf andere, nicht-ökonomische

Bereiche und soziale Felder ausbreitet. Die Politik übernimmt die Umsetzung des

neoliberalen Denkens durch Veränderungen des Sozialstaates, Privatisierungen und

Bestrafungen durch das Strafrecht. Das Eindringen des neoliberalen Denkens in die

Gesellschaft und in soziale Felder nennt Bourdieu „Intrusion“ (1998: 112ff.). Dies

geschieht auch beim Feld der Pflege und dem Subfeld der stationären Alterspflege.

Harvey (2007: 52-82) stellt fest, dass anfänglich die Durchsetzung der neoliberalen

Politik in Chile und Argentinien durch Militärputschs geschah. Seither würden formell

friedlichere Massnahmen verwendet werden: Eine Elite von Unternehmern, Medien

und Think Tanks woben die Ideen des Neoliberalismus als „Freiheitversprechen“ in die

politischen Debatten ein. Schritt für Schritt übernahmen, überzeugten und

beeinflussten sie Intellektuelle, Schulen, Universitäten, Medien und Parteien. Sie alle

wirkten mit ihren neoliberalen Ideen in die Gesellschaft hinein, bis ihr Diskurs

hegemonial wurde. Dort, wo Neoliberale die Macht im Staat hatten, nutzten sie diese

zur Durchsetzung ihrer Ideologie und die staatlichen Institutionen zur Inkorporierung

des Neoliberalismus in der Bevölkerung. Die Ökonomisierung durch die kapitalistische

Landnahme und den Neoliberalismus findet als embedded competition in vielen

Bereichen statt und ist nicht ein plötzliches Erscheinen, sondern hält als Prozess

schrittweise Einzug. Dabei nimmt die Ökonomisierung nicht immer dieselbe Form an

(Manzei und Schmiede 2014: 18-24).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den letzten Jahren eine kapitalistische

Landnahme in nicht-kapitalistischen Bereichen wie der stationären Alterspflege

stattgefunden hat. Dabei wirkte der Staat unterstützend und übernahm bei der

Einführung die Aufgabe des Treibers. Dies basiert auf dem kapitalistischen Prozess,

dass neue Anlagefelder zur Kapitalakkumulation erschlossen werden müssen. Dies ist

ein Einwirken des Feldes der Ökonomie auf das Feld der Pflege, was wiederum zu

Seite 25

Irritationen und einer Neuordnung im Feld führt. Für die Umstellung sind daher äussere

Druckmittel nötig, wie beispielsweise eine neue Finanzierungsregelung. Diese

Druckmittel stossen zu Beginn oft auf Widerstand, werden aber über die Zeit von den

betroffenen Personen übernommen und verinnerlicht, bis sie das neue System kritiklos

selber vertreten. Die Landnahme und Ökonomisierung entspricht dem neuen Geist des

Kapitalismus, der die aktuelle Ideologie, von welcher der Kapitalismus getragen wird

entspricht. Im Moment ist dies der Neoliberalismus. Er geht davon aus, dass

profitorientierte marktförmige Lösungen effizienter sind als bisherige, nicht-

kapitalistische Lösungen. Daher führt er für zu Sparmassnahmen, Privatisierungen,

Ökonomisierungen und weniger Einfluss des Staates.

2.3 Care-Ökonomie – Die Logik des Feldes

Jedem sozialen Feld sind seine eigenen Regeln und Logiken inhärent. Deshalb gilt es

zu prüfen, welche Verwertungs- und Produktionslogiken bei der stationären Alters-

pflege zu tragen kommen, wenn die kapitalistische Landnahme erfolgt und der Neo-

liberalismus zum herrschenden Diskurs wird. In diesem Kapitel sollen daher die

ökonomischen und sozialen Eigentümlichkeiten der personenbezogenen Dienst-

leistungen, wie der stationären Alterspflege, mit Hilfe der Care-Ökonomie erläutert

werden. In Kapitel 2.3.1 wird dazu das Grunddilemma, die Kostenfalle der Dienst-

leistungsberufe erläutert. Dieser zeigt auf, dass der Pflege ein anderer ökonomischer

Verwertungs- und Produktionsprozess zu Grunde liegt als der Industrie. In Kapitel 2.3.2

wird beschreiben, was passiert, wenn tayloristische Methoden zur Rationalisierung und

Produktivitätssteigerung aus der industriellen Güterproduktion auf personenbezogene

Dienstleistungen angewendet werden.

Es gibt innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft mehrere Wirtschaftssektoren mit

ihren eigenen ökonomischen und sozialen Regeln (Madörin 2014a: 182f). Deshalb sind

nicht alle wirtschaftlichen Tätigkeiten und sozialen Felder gleich zu analysieren. Es

muss mindestens zwischen der marktwirtschaftlichen industriellen Güterproduktion und

der Anderen Wirtschaft unterschieden werden. Die Andere Wirtschaft wird als

„Produktion und Erhaltung von Menschen“ angesehen und beinhaltet

personenbezogene Dienstleistungen (Donath 2014: 168f). So folgt beispielsweise die

Pflege von betagten Menschen einer eigenen Logik (Folbre 2006: 350-353). Um die

Logik des Subfeldes der stationären Alterspflege zu begreifen, empfiehlt sich daher ein

Blick in die Theorie der Care-Ökonomie, auch Sorgeökonomie genannt. Gemäss Ulrike

Knobloch (2013: 10f) untersucht die Care-Ökonomie:

Seite 26

„[...] in welchem Umfang Sorgearbeit in einer Gesellschaft geleistet wird, wie die Bereitstellung [...] individuell und gesellschaftlich organisiert ist, wer konkret Sorgearbeit leistet [...] und untersucht das Angebot und die Nachfrage nach Sorgearbeit ebenso wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Sorgeleistungen erbracht werden.“

Im Folgenden wird Care-Arbeit synonym zu Sorgearbeit verwendet. Als Care-Arbeit

werden sämtliche bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten und alltäglichen Aufgaben

betrachtet, welche sich um die Gesundheit, Betreuung und das Wohlbefinden von

Menschen drehen und von den Empfängerinnen und Empfängern nicht alleine für sich

selbst erbracht werden können (Wolkowitz 2006: 148). Diese Care-Arbeit wird immer in

einem gesellschaftlichen und politischen Rahmen, einem so genannten Care-Regime,

erbracht, welches dynamisch ist und sich verändert (Knobloch 2013: 12). Dieses Care-

Regime verändert sich nun aufgrund der kapitalistischen Landnahme. Und damit

ändern sich auch die Verhältnisse für die Pflegekräfte.

2.3.1 Kostenkrankheit der personenbezogenen Dienstleistungen

Nun machen gemäss Susan Donath (2014: 168) viele Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler den Fehler, das ökonomische Standardmodell auch auf die Care-

Arbeit ausdehnen zu wollen. Dabei übersehen sie die Eigenheiten der Care-Arbeit und

kommen zu inadäquaten Schlussfolgerungen. Gegenwärtig findet gemäss Madörin

(2013: 136f) eine massive Taylorisierung der Arbeitsprozesse und entsprechend eine

zunehmende Arbeitsteilung im Bereich der Care-Arbeit statt: „Zweck dieser

Arbeitsteilung ist, dass dadurch eine Lohnhierarchie eingeführt werden kann, und wie

in der Industrie die Arbeitsabläufe standardisiert und damit kontrolliert werden können.“

Im Taylorismus werden gemäss Rabinbach (2001: 277-283) die Industrieunternehmen

rationalisiert, um die Produktivität zu erhöhen. Dies geschieht durch die Aufteilung der

Güterproduktion in einzelne Arbeitsschritte. Diese werden standardisiert, kontrolliert,

möglichst effizient gestaltet und auf die verschiedenen Beschäftigten verteilt, wenn

möglich durch Maschinen übernommen und neu angeordnet. Die

Industriearbeiterschaft wurde, so Rabinbach weiter, an den gewonnen Mehrerträgen

durch die Produktivität beteiligt (höherer Lohn und mehr Freizeit). Gleichzeitig wurden

die Güter durch die Rationalisierungen günstiger und konnten von einer breiteren

Masse konsumiert werden.

Dass nun die gleichen Rationalisierungsmethoden in der stationären Alterspflege

automatisch zu einem grösseren Angebot an Pflegedienstleistungen und zur Erhöhung

des Lebensstandards für die Beschäftigten der Branche führen werden, scheint fraglich

(Madörin 2013: 136). Eine Care-Tätigkeit, oder generell personenbezogene Dienst-

leistung wie die stationäre Altenpflege, unterscheiden sich in vielen Punkten

(Personenbezogenheit, Abhängigkeit, Angewiesenheit, Asymmetrie und Zeitbedarf)

Seite 27

von der klassischen Güterproduktion der Industrie (Knobloch 2013: 13). Die Pflege

folgt deshalb einem anderen Verwertungs- und Produktionsprozess, als dies bei der

industriellen Güterproduktion der Fall ist (Madörin 2013: 129). Donath (2014: 170) geht

davon aus, dass eines der wesentlichen Merkmale der Care-Arbeit und damit der

Pflege ist, „dass nur wenig oder kein Produktivitätszuwachs möglich ist.“ Dieses

Phänomen wird von den Ökonomen William Baumol und Alan Blinder (1985: 546) als

Kostenkrankheit bezeichnet. Sie beschreiben das Phänomen wie folgt:

„Weil Produktivitätssteigerungen für die meisten Dienstleistungen sehr schwierig sind, ist zu erwarten, dass ihre Kosten jahrein, jahraus schneller steigen als die Kosten von Industriegütern. Über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten kann sich dieser Unterschied in der Wachstumsrate aufsummieren, so dass Dienstleistungen im Vergleich mit Industriegütern enorm teurer werden.“

Dieser Logik folgend, ist ein Auseinanderdriften der Produktivität zwischen den

personenbezogenen Dienstleistungen und der industriellen Güterproduktion zu

erwarten (Madörin 2011: 142).

Im Gegensatz zur Subjekt-Objekt-Beziehung in der Güterproduktion setzt die Pflege

eine zwischenmenschliche Beziehung, also eine Subjekt-Subjekt-Beziehung, voraus.

In jeder solchen Beziehung sind die Beziehungskompetenz, die Kommunikation, aber

auch die gegenseitigen Gefühle und Emotionen bedeutungsvoll (Madörin 2007: 154).

Die Arbeit kann nur persönlich von Individuen erbracht und nicht durch Maschinen

ersetzt werden. Dadurch ist bezahlte Pflegearbeit immer ortsgebunden, auf Menschen

angewiesen, mit einem hohen Arbeitsaufwand und Lohnkosten verbunden

(Feministische AutorInnengruppe 2013: 108 und Donath 2014: 172). Des Weiteren ist

die Reaktion eines Subjektes auf einen Input nicht immer dieselbe, wie es bei der

Produktion eines Gutes der Fall ist. Ein Mensch kann nicht in dem Masse

vereinheitlicht und normiert werden wie ein Industrieprodukt. So schwankt der

tatsächliche Pflegebedarf sehr stark und entzieht sich der vollständigen Kontrolle und

der Standardisierbarkeit. Schliesslich gilt es zu bedenken, dass durch die Pflege von

Menschen kein neues Produkt entsteht, welches in die Warenzirkulation übergeht. Die

Arbeit manifestiert sich vielmehr im Körper des gepflegten Menschen und in seinem

Wohlergehen (Madörin 2013: 134-143). Die Qualität der Pflege lässt sich deshalb auch

nicht einfach messen. Sie ist im höchsten Masse personen- und kontextabhängig

(Folbre 2006: 352).

2.3.2 Auswirkungen der Taylorisierung auf die Pflege

Produktivitätsgewinne lassen sich in der stationären Alterspflege durch

Standardisierung, Rationalisierung und Prekarisierung erzielen (Feministische Autor-

Innengruppe: 2013 110f). Es wird versucht, die Behandlungen als standardisierte Vor-

Seite 28

gehensweise im Sinne einer möglichst erfolgreichen und günstigen Methode

durchzuführen und mit einem Zeitbudget zu versehen (Madörin 2007: 159). Für den

Toilettengang werden beispielsweise 15 Minuten festgelegt, für das Anziehen von

Stützstrümpfen neun Minuten oder für komplizierte Verbände 20 Minuten. Diese

verrechenbare Zeit ist dann die produktive Zeit, der Rest wird als nicht-produktiv und

damit nicht-verrechenbar kategorisiert (Baumann und Ringger 2013: 140f). Damit wird

die Subjekt-Subjekt-Beziehung zwischen Pflegekraft und zu Pflegenden objektiviert

und es findet eine neue Art der Entfremdung statt (ebd.: 154). Der nicht

standardisierbare und nicht messbare Teil der Care-Arbeit, die Betreuung, die

Gefühlsarbeit und das Zwischenmenschliche, werden schrittweise wegrationalisiert und

finden im Alltag der Pflegekräfte immer weniger Platz (Greuter 2015). Pflege, wie sie

die Pflegekräfte verstehen, ist kaum noch möglich (Greuter 2013: 150). Wichtige

Fähigkeiten und Tätigkeiten, welche die Kompetenzen und den Reiz des Berufes

ausmachen, werden so Schritt für Schritt abgeschafft (Madörin 2013: 140). Auch

werden dadurch falsche Anreize gesetzt. So ist es für ein Alters- und Pflegeheim unter

Umständen finanziell besser, wenn Bewohnende, die nicht mehr autonom aufstehen

und gehen können und deshalb das Zeitbudget der einzelnen Pflegekräfte sprengen,

im Rollstuhl transportiert werden (Durtschi et al. 2015: 2). Die verstärkten Kontrollen

der Krankenkassen führen zu einem administrativem Mehraufwand, welche dem

Pflegepersonal Zeit für die Pflegearbeit entzieht und zusätzliche Kosten verursachen

(Baumann und Ringger 2013: 147f). Die Hierarchisierung und Unterschichtung durch

günstigere und schlechter ausgebildete Personen, Stellenabbau und zu wenig Zeit für

gute Pflege durch knappe Zeitbudgets und Kostenvorgaben gehören mit der

Taylorisierung zum Alltag (Feministische AutorInnengruppe 2013: 112f). Es scheint

also in der Pflege nicht möglich, bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen einen

Gewinn zu erzielen, ohne dass sich der Charakter der Pflege oder die Qualität ändert

(Haller und Chorus 2013: 68).

Ein weiteres, spezifisches Problem der Care-Arbeit liegt in der Finanzierbarkeit. Dies

wird auch in der Pflege sichtbar. Bei einer totalen privatwirtschaftlichen und rein

marktförmigen Organisation der der stationären Alterspflege würde die hohen Kosten

einem grossen Teil der Bevölkerung den Zugang zu professioneller Pflege

verunmöglichen (Winker 2013: 125). Dies führt dazu, dass es staatliche Regulierungen

und Umverteilungen braucht, damit sich nicht nur einkommensstarke Personen

Alterspflege leisten können (Haller und Chorus 2013: 68). Hohe Profite sind dort zu

erwarten, wo Pflegedienstleistungen als Fliessbandarbeit professionell abgewickelt

Seite 29

werden können oder ein gut betuchtes Feld von Bewohnerinnen oder Bewohnern

angesprochen wird, welches bereit ist mehr zu bezahlen (Winker 2013: 124f).

Es konnte gezeigt werden, dass das Feld der Pflege nicht derselben Logik wie die

bisherige industrielle Güterproduktion folgt. Bei den personenbezogenen Dienst-

leistungen, wie eben der Pflege, kann die Produktivität nicht im gleichen Masse erhöht

werden wie bei den industriellen Gütern. Dadurch steckt die Pflege in einer Kostenfalle.

Trotzdem werden tayloristische Methoden zur Produktivitätssteigerung und

Kostensenkung eingesetzt. Die Pflege wird in einzelne Arbeitsschritte zerlegt und für

diese Arbeitsschritte Zeitbudgets aufgestellt. Wichtige Teile der Pflege und Betreuung

geht dabei verloren. Durch die kapitalistische Verwertungs- und Produktionslogik des

Feldes der Pflege, führt nun die Taylorisierung, also das Zerstückeln der

Arbeitsschritte, entweder zu Qualitätsverlust für die Bewohnerinnen und Bewohner

und/oder schlechteren Bedingungen für das Personal. Dies steht im Gegensatz zur

Taylorisierung bei der Industrie, welche zu mehr, günstigeren und besseren Produkten

und besseren Bedingungen für das Personal geführt hat.

2.4 Berufssoziologie und Ethos der Pflegekräfte

Dieses Kapitel beschäftigt sich in einem ersten Schritt berufs- und arbeitssoziologisch

mit den Pflegekräften, ihrem Beruf und der Ökonomisierung. Es beginnt mit einer

historischen Betrachtung, wie sich der Beruf der (Alten-)Pflegekräfte entwickelte. In

Kapitel 2.4.1 wird die weitere Entwicklung des Berufes Richtung Profession erläutert.

Dem folgt in Kapitel 2.4.2 eine Darstellung des entstanden Berufsethos der

Pflegekräfte und die Motivation und Gründe für die Berufswahl. Danach wird in Kapitel

2.4.3 die Emotions- und Gefühlsarbeit in der Altenpflege behandelt sowie die

Problematik, dass diese wegen der Ökonomisierung weniger Beachtung findet.

Schliesslich wird in Kapitel 2.4.4 ein Blick auf die Arbeitsbedingungen, Probleme und

Herausforderungen der Pflegekräfte geworfen, insbesondere auf jene, die von der

Ökonomisierung betroffen sind.

Die Konstruktion und der Zuschnitt von Berufen ist ein andauernder und dynamischer

Prozess. Dieser Prozess ist abhängig von der jeweiligen gesellschaftlich-historischen

Situation und der Interessensdurchsetzung von verschiedenen Interessensgruppen

(Voges 2002: 13). Der Beruf der professionellen und damit bezahlten Pflegekräfte in

der stationären Altenpflege ist noch jung. Das Berufsbild entstand aus der Lücke in der

beruflichen Versorgung (Winter 2005: 280). Wenn in der Berufssoziologie von Alten-

pflege, zu welcher auch die stationäre Alterspflege gehört, gesprochen wird, dient

folgende Definition von Voges (2002: 23) als Grundlage:

Seite 30

„Berufliche Altenpflege umfasst zunächst alle unmittelbar personenbezogenen Dienstleistungen zur Versorgung Älterer und Hochbetagter. Wenn [...] von Pflegearbeit gesprochen wird, handelt es dabei zunächst um `körpernahe` Arbeitstätigkeiten, die sich gleichermassen auf die physischen, psychischen, sozialen und mentalen Aspekte der Betreuung und Versorgung Pflegebedürftiger beziehen. [...] Pflege in diesem Sinne bezieht sich somit grundsätzlich sowohl auf medizinisch-pflegerische als auch sozial-pflegerische Arbeitsanteile.“

Ursprünglich wurde die Pflegearbeit primär von Familienangehörigen wahrgenommen

und sekundär von Ordensschwestern, welche diese Arbeit als göttliche Aufgabe sahen.

Es lassen sich im deutschsprachigen Raum drei teilweise parallel verlaufende

Entwicklungen zur Professionalisierung des Pflegeberufes feststellen. Die erste Linie

folgt der industriellen Entwicklung resp. der „Sozialen Frage“ im 19. Jahrhundert. Das

Bevölkerungswachstum erreichte eine neue Höchstquote und Arbeitersiedlungen

entstanden. Parallel dazu kam es zu einer Verelendung eines Teils der Arbeiterschaft

in den Städten. Zudem entstanden, um eine schnellstmögliche Genesung der Arbeits-

kräfte zu gewährleisten, die ersten Krankenhäuser. Ein erhöhter Bedarf an Personen,

welche die Pflege übernehmen konnten, war die Folge. Als zweite Linie lässt sich die

medizinische Entwicklung im 19. Jahrhundert nennen. Zur Unterstützung der Ärzte

brauchte es mehr qualitativ gut gebildetes und speziell geschultes Personal. Die dritte

Linie besteht im bürgerlichen Frauenbild des 19. Jahrhunderts: Personenorientierte

Fähigkeiten und Eigenschaften galten als typisch weiblich und die Pflege daher als

idealen Frauenberuf (Bischoff-Wanner 2014: 20-26).

Die Pflege wuchs im 20. Jahrhundert weiter zu einem Beruf mit einem eigenständigen

Anforderungsprofil, eigener Fachlichkeit und einer materiellen Vergütung (Witterstätter

1996: 89f). In der Schweiz etablierte sich im Gesundheitswesen ein familienbasiert-

subsidiäres System. Das heisst, in der Pflege blieb die Familie der zentrale Ort und

öffentliche Dienstleistungen kamen nur subsidiär zum Einsatz (Heintze 2015: 6). Die

Fachlichkeit, also die Berufsinhalte der Pflegearbeit, war lange beschränkt auf

unterstützende Tätigkeiten für die Ärzte. Trotz diesen ersten Schritten der

Verberuflichung, war es noch immer nicht zu einer Professionalisierung gekommen.

2.4.1 Verberuflichung und Professionalisierung

Die einzelnen Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen begannen sich zu

spezialisieren, Krankenhäuser, Alters- und Pflegeheime, Psychiatrien usw. entstanden.

Dem entlang veränderten sich ebenfalls der Beruf und die Qualifikationen der

Pflegekräfte. Durch steigendes Arbeitsaufkommen, technologische Entwicklungen und

neuen Arbeitsinhalten wird der Beruf immer komplexer und muss neu zugeschnitten

werden. Der Beruf Pflegekraft blieb ein weiblicher Beruf, die grosse Mehrheit der

Beschäftigten sind bis heute Frauen (Barben und Ryter 2015: 3) Immer noch gilt der

Beruf Pflegekraft als komplementärer Part zur männerdominerten und als

Seite 31

naturwissenschaftlich geltenden Medizin (Voges 2002: 30f). Er ist wie viele

Frauenberufe im Verhältnis zum Anspruchsniveau und der tatsächlichen Bedeutung

gesellschaftlich eher tief bewertet (ebd. 55). Durch eine Professionalisierung soll dies

verbessert werden. Ebenfalls wird angestrebt, Pflege als wissenschaftliche Disziplin im

tertiären Bereich des Bildungssystems (Universitäten, Fachhochschulen) zu verankern

(ebd. 138). Dies kann in der Schweiz an den verschiedenen neuen Studiengängen an

den Hochschulen und den Ausbildungen an Höheren Fachschulen beobachtet werden

(Ludwig und Schäfer 2011: 30-34). Die wissenschaftliche Handlungsweise fernab von

reinem Erfahrungswissen wird für die Pflegewissenschaften heute im Evidence-based

Nursing erforscht (Behrens 2014). Auch entstanden mit den verschiedenen,

anspruchsvoller werdenden Berufsbildern verschiedene Stufen in der Pflege. Auch aus

wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber und des Staates kam so schrittweise eine

Arbeitsteilung innerhalb des Pflegeberufes (Voges 2002: 27-29). Ein Beispiel dafür ist

die Unterteilung der stationären Alterspflege in drei Ausbildungs- und Funktionsebenen

in der Schweiz (siehe dazu Kapitel 3.2; Ludwig und Schäfer 2011: 30-32). Teilweise

wird die Arbeitsteilung in den Betrieben zwecks Kostenoptimierung der Arbeitseinsätze

stark ausdifferenziert. So ist beispielsweise eine Mitarbeiterin A zuständig für die

Spritzen, Mitarbeiterin B für Verbände, Mitarbeiterin C für das Waschen, Mitarbeiterin D

für das Aufnehmen und Mitarbeiterin E für die Aktivierung (Feministische

AutorInnengruppe 2013: 113). Medizinaltechnische Handlungen werden hierbei von

diplomierten Pflegekräften erledigt, während betreuende Tätigkeiten von schlechter

bezahlten und nur angelernten Personen ausgeführt werden.

2.4.2 We Care – Berufsethos und Berufswahl der Pflegekräfte

Parallel zum eigenständigen Beruf entwickelte sich das Berufsethos, welches auch als

Teil des spezifischen (inkorporierten) kulturellen Kapitals der Pflegekräfte angesehen

werden kann. Die wichtigsten internationalen ethischen Prinzipien der Pflege lassen

sich in vier Punkten zusammenfassen: Der erste sagt aus, dass die Autonomie und

Selbstbestimmung der Pflegeempfangenden immer zu respektieren und zu

berücksichtigen ist. Punkt zwei beinhaltet, dass eine Pflegekraft keinen Schaden

zufügen darf. Punkt drei ist das Prinzip, dass den Pflegeempfangenden Gutes getan

werden soll mit der Pflegearbeit. Der vierte und letzte Punkt dreht sich generell um die

Gerechtigkeit im Handeln der Pflegekräfte, zu welchem sie verpflichtet sind

(Beauchamp und Childress 2009). Im Mittelpunkt der Ethik steht somit das

Wohlbefinden der zu Pflegenden. Leitvorstellung ist, dass die Pflegenden vor allem für

die Pflegeempfangenden und nicht für sich selbst da sind. Der Beruf wird oft aus dem

Wunsch gewählt, mit anderen Menschen zu arbeiten und ihnen helfen zu wollen

Seite 32

(Dunkel 2005: 227-233). Der eigene Anspruch ist, dass Bewohnerinnen und Bewohner

in Pflegeheimen sich wohl fühlen. Dieses Wohlergehen ist direkt mit dem Wohlbefinden

der Pflegekräfte verbunden (Koch-Straube 2003: 133-139). Eine gute Beziehung zu

Patientinnen und Patienten wurde im Sommer 2002 in einer Erhebung der Universität

Nürnberg-Erlangen von 96 % der befragten Pflegekräften von ambulanten Diensten als

wichtiger Einzelaspekt der Tätigkeit bewertet und wurde als zentraler Einflussfaktor für

die Arbeitszufriedenheit ermittelt. Diese beziehungsorientierte Grundhaltung der

Pflegekräfte rückt die Pflegeempfangenden in den Mittelpunkt des beruflichen

Selbstverständnisses (Blüher und Stosberg 2005: 183f). Wer den Beruf in der Pflege

nicht als Berufung sieht, sondern als einfache Tätigkeit in der Arbeitswelt, dem wird

eine berufsfeindliche Betrachtung vorgeworfen (Voges 2002: 23). Die von den

Ordensschwestern vorgelebte Selbstaufopferung haben auch die heutigen Pflegekräfte

tief verinnerlicht (Bischoff-Wanner 2014: 30).

Doch wieso wählen Menschen diesen Beruf, der immer noch Selbstaufopferung be-

inhaltet? Eine Möglichkeit bietet die Betrachtung nach intrinsischen (Arbeitsinhalte) und

extrinsischen (ökonomischen) Motiven. Gerade die intrinsischen, immateriellen Motive

lassen sich bei der Wahl des Berufes in der Pflege häufig finden. Beim Arbeitsinhalt im

Mittelpunkt stehen die soziale Anerkennung und Würdigung, die Nächstenliebe, Pflicht-

bewusstsein gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohner sowie der Wunsch, an-

deren Menschen zu helfen. Ökonomische Motive zählen, unter anderem wegen den zu

erwartenden relativ tiefen Einkommen, nicht zu den Hauptmotiven. Daneben können

die Motive auch in Push- und Pull-Faktoren unterteilt werden. Ein wichtiger Push-

Faktor ist beispielsweise die tiefe Eintrittsschwelle für diesen Beruf. Ein wichtiger Pull-

Faktor ist die Attraktivität von personenbezogenen Arbeiten (Voges 2002: 149-157).

Doch genau dieser wichtige Pull-Faktor, also die Arbeit mit den Menschen, gerät

zunehmend unter Druck.

2.4.3 Pflegekräfte und Bewohnende: Emotions- und Gefühlsarbeit

Unter der knapp bemessen Zeiten für die Pflege und der dadurch erzwungenen

Arbeitsteilung leiden am meisten die „psychosozialen Anteile“, die Emotions-, Gefühls-

und Beziehungsarbeit, welche faktisch wegrationalisiert werden (Greuter 2013: 149-

151). Da Emotionen und Gefühle nicht gemessen und standardisiert werden können,

kommen sie in den wirtschaftlichen Überlegungen und der Pflegefinanzierung gar nicht

vor. Dabei erfordert eine gute und ganzheitliche Pflegearbeit immer Empathie und eine

direkte Verbundenheit zu den Bewohnerinnen und Bewohnern und lässt sich nicht

wegrationalisieren (Bauch 2005: 81). Eine so zu leistende Pflege entfernt sich immer

Seite 33

stärker vom Idealbild einer guten Pflege, denn ohne genug Zeit für die Bewohnenden

muss bei den weichen Faktoren, der Emotions-, Gefühls- und Beziehungsarbeit ge-

spart werden (Unger 2014: 312). Sowohl Emotions-, wie auch Gefühl- und Beziehungs-

arbeit gehören aber zum Arbeitsalltag der Pflegekräfte. Emotionsarbeit beschreibt da-

bei die Beeinflussung der eigenen Gefühle und die Gefühlsarbeit die des Gegenübers

(ebd.: 301). Entscheidend dabei ist die Beziehung zwischen zu Pflegenden und der

Pflegeperson sowie die gegenseitige Empathie:

„Empathie spielt [...] in der Pflegeperson-Patient-Beziehung eine wichtige Rolle, denn nicht nur erwarten Patienten eine einfühlsame Pflege und Einfühlungsvermögen von Pflegenden, Empathie ist auch eine Voraussetzung von Gefühlsarbeit und vermittelt Nähe zum und Erkenntnisse über den Patienten“ (Bischoff-Wanner 2002: 97).

Das Sparen bei der Emotions- und Gefühlsarbeit und damit bei der Pflegeperson-

Bewohnenden-Beziehung hat auf mehreren Ebenen negative Auswirkungen. Weniger

Zeit bedeutet für die Pflegekräfte, dass sie weniger gut wissen, wie es den ihnen

anvertrauten Personen geht und was deren Bedürfnisse sind (Madörin 2013: 137).

Gute Emotions- und Gefühlsarbeit verringert gemäss verschiedenen Studien die Heil-

dauer bei Erkrankungen und Operationen und hat grundsätzlich einen positiven Ein-

fluss auf die zu Pflegenden (Unger 2014: 309; Greuter 2015: 17). Damit stellt sich die

Frage, ob das Sparen hier nicht zu höheren Folgekosten führt. Auch auf die Pflege-

kräfte selbst hat es Einfluss. Sie sind in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaft-

lichkeit und Emotionalität. Die Beziehung sowie die Emotions- und Gefühlsarbeit mit

den Bewohnerinnen und Bewohner, ist ein entscheidender Faktor in ihrem Beruf und

kann zunehmend nur noch unter Stress und mit einem schlechten Gewissen erbracht

werden. Gleichzeitig bleiben beim Fehlen der Beziehungs-, Emotions- und Gefühls-

arbeit die positiven emotionalen und immateriellen Entschädigungen der Bewohnenden

gegenüber den Pflegekräften, also dankbare Worte und Gesten, aus (Unger 2014:

310). Bei der Emotionsarbeit wird des Weiteren zwischen Oberflächenhandeln

(Gefühlsausdruck gegenüber zu Pflegenden, unabhängig von den eigenen Gefühlen)

und Tiefenhandeln (das Zeigen der eigenen Gefühle) unterschieden. Gerade die Dis-

sonanz zwischen erlebten und dargestellten Gefühlen beim Oberflächenhandeln kann

unter anderem zu Burnouts1 führen (Nerdinger 2012: 17).

1 „Burnout ist eine arbeitsassoziierte Stressreaktion, die zu einem anhaltenden negativem Gefühlszustand

bei normalen Individuen führt. Primär ist Burnout charakterisiert durch Erschöpfung, die begleitet ist von chronischem Stress, reduzierter Effizienz und Motivation und der Entwicklung von gestörter Einstellung und Verhalten am Arbeitsplatz“ (Albrecht 2015: 8).

Seite 34

2.4.4 Arbeitsbedingungen – Personalmangel, Stress und Beeinträchtigungen

Verschiedene Autorinnen und Autoren zeigen, dass die Pflegearbeit mit gesund-

heitlichen Risiken verbunden ist. Die grösste körperliche Belastung liegt beim Heben

und Tragen von älteren Menschen. Gerade die Erkrankung der Lendenwirbelsäule

zählt zu den typischen Berufskrankheiten. Bis zu 87 % der Pflegekräfte leiden gemäss

der Freiburger Wirbelsäulenstudie unter Rückenschmerzen (Hofmann et al. 1998). Die

Krankheitstage generell und die Krankheitstage wegen Rückenproblemen im spezi-

fischen sind massiv höher als in den anderen Berufen (Grabbe et al. 2005: 123). Das

Risiko für Bandscheibenvorfälle liegt über demjenigen von Bau- und Industriearbeitern

(Hofmann et al. 1998).

Schliesslich gibt es gemäss Martina Michaelis (2005 263-269) eine grosse psychische

Belastung im Arbeitsalltag der Pflegekräfte. Dazu gehören Stress durch Zeitknappheit,

ständig wechselnde Arbeitsanforderungen, Enttäuschung über fehlende Anerkennung

und schlechte Arbeitsorganisation. Als belastend werden gemäss Michaelis ausserdem

der Anstieg der Überstunden, Wochenend- und Abendarbeit sowie eine zunehmende

Unvereinbarkeit von Privat- und Berufsleben wahrgenommen.

Die Ökonomisierung der Pflege führt gemäss Blüher und Stosberg (2005: 184f) zu

einem Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis (Ethos) und den vorgegebenen

Anforderungen, welche sie als „Dichotomie Markt oder Menschlichkeit“ beschreiben.

Gerade Berufsneueinsteigende können gemäss Wolfgang Dunkel (2005: 233f) nicht so

pflegen, wie sie es gelernt haben und es möchten. Dies hat Konsequenzen: Am

Anfang versuchen die Pflegekräfte diese Diskrepanz durch grosses Engagement

wegzumachen. Falls die verbundenen Pflegeziele dadurch nicht erreicht werden und

die Anerkennung ausbleibt, ist zunehmende Erschöpfung und Desillusionierung die

Folge, so Dunkel weiter. Hinzu kommt, dass die stationäre Alterspflege einen beson-

deren Arbeitsstil verlangt. Mit ihrem persönlichen Einsatz versuchen einige Pflege-

kräfte, die Lücke zwischen der Arbeitsanforderung und dem Arbeitskrafteinsatz zu

schliessen. Damit sollen die strukturellen Mängel (Zeitmangel, Personalmangel)

aufgefangen werden (Voges 2002: 174f). Auf ihnen lastet ein persönlicher und gesell-

schaftlicher Druck, die Situation zu verbessern (Koch-Straube 2005: 222).

Gemäss Voges (2002: 165) finden sich die persönlichen ethischen Hauptprobleme der

Pflegenden im Arbeitsalltag und nicht in Krisensituationen. Sie stehen oft vor dem

Dilemma, eine Pflegeaufgabe nur zu Lasten einer anderen erfüllen zu können oder

eben nicht. Mit diesem Problem sind sie jeden Tag konfrontiert, bei jedem

Bewohnenden. Ihnen fehlt die Zeit, sich ausreichend und so, wie sie es sich wünschen,

Seite 35

um ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu kümmern. Viele Pflegekräfte geben dies

auch als einen der Hauptgründe für das Verlassen ihres Berufes an (Dunkel 2005:

233f). Eine Studie von 1998 und 1999 unter mehreren tausend Pflegekräften aus

Krankenhäusern, deren Patientinnen und Patienten und 168 Krankenhäusern hat

ergeben, dass eine Senkung des Personalbestandes negative Auswirkungen für das

Personal und die Patientinnen und Patienten hat. Weniger Personal führt zu einer

höheren Mortalität der Patientinnen und Patienten nach der Behandlung und einer

höheren Burnout-Wahrscheinlichkeit und Jobunzufriedenheit bei den Pflegekräften

(Aiken et al. 2002). International vergleichende Studien haben die gleichen

Zusammenhänge ergeben (vgl. Schwendimann et al. 2014).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich der Beruf der Pflegekraft im steten

Wandel befindet. Im Feld der Pflege herrscht ein Konkurrenzkampf zwischen den

verschiedenen Interessensgruppen, welche alle bei der Ausgestaltung des Berufes

Einfluss nehmen oder nehmen möchten. Ursprünglich waren die Pflegekräfte

Ordensschwestern, fernab der Lohnarbeit, welche ihre Berufung als göttliche Aufgabe

wahrnahmen und voller Hingabe und Selbstaufopferung erfüllen. Bei der

professionellen beruflichen stationären Alterspflege steht aus Sicht des Personals nach

wie vor das Wohl der gepflegten Bewohnerinnen und Bewohner über allem anderen,

was den wichtigsten Teil des Berufsethos ausmacht (inkorporiertes kulturelles Kapital).

Helfen wollen und Selbstaufopferung gehören bis heute zu diesem Berufsethos. Dies

steht im Gegensatz zur kapitalistischen Landnahme und der stattfindenden

Taylorisierung. Diese führt zu mehr Stress für das Pflegepersonal, da sie nicht mehr

genug Zeit für eine ihren Erwartungen entsprechende Pflegeleistung haben. Die für die

Pflegearbeit wichtige Emotions-, Gefühls- und Beziehungsarbeit mit den

Bewohnerinnen und Bewohnern wird wegrationalisiert. So verliert der Beruf einen

wichtigen Teil seines Reizes. Gleichzeitig ist eine immer stärkere Arbeitsteilung

feststellbar. Die Pflegekräfte befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen

guter Pflege (Berufsethos) und der Wirtschaftlichkeit im Sinne des Neoliberalismus und

dem daraus folgendem Taylorismus.

Seite 36

3. Stationäre Alterspflege und ihre Finanzierung in der

Schweiz

Die stationäre Alterspflege in der Schweiz ist ein grosser und komplexer Bereich, mit

vielen Bewohnenden, Pflegekräften und einem eigenen Finanzierungssystem. Nur

wenn wir dieses komplexe System mitbeachten und kennen, ist eine Beantwortung der

Fragestellung in Kombination mit den bisher vorgestellten Theorien möglich. In diesem

Kapitel soll deshalb ein Überblick über den Status-Quo, wichtige Kennzahlen und das

System der professionellen stationären Alterspflege in der Schweiz präsentiert werden.

Davon ausgehend folgt eine Einführung in das Finanzierungssystem für die Alters- und

Pflegeheime (Kapitel 3.1). Dem folgt ein Bericht über die aktuelle Lage, Zufriedenheit

und Probleme des Personals in der stationären Alterspflege in der Schweiz (3.2). Die

Ökonomisierung dieses Bereiches und den ersten Folgen davon, wie z.B. das knappe

Zeitbudget der Pflegekräfte, werden im darauffolgenden Kapitel präsentiert (3.3).

Die meisten Menschen würden gerne bis an das Ende ihres Lebens selbstbestimmt in

ihren eigenen vier Wänden wohnen (Höpflinger 2004: 9-13). Nur für eine Minderheit

der betagten Menschen kommt ein freiwilliger Umzug in ein Alters- oder Pflegeheim in

Frage. Dies wird erst dann Thema, wenn sie mit familiärer und/oder ambulanter Pflege

nicht mehr selbständig zu Hause leben können, sei es beispielsweise aus

gesundheitlichen Gründen oder Angst vor sozialer Vereinsamung (Sowinski und

Ivanova 2014: 531; Strohmeier 2012: 76f). In ihrem neuen und oft letzten Zuhause

werden sie und andere Menschen in der gleichen Lage bis zu ihrem Tod professionell

gepflegt. Professionelle Pflege bedeutet in der Schweiz:

„[...] die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege umfasst die Förderung der Gesundheit, die Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind die Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy) [...]“ (SBK 2007: 7).

In der stationären Alterspflege ist der emotionale, soziale und betreuerische Teil bei

der professionellen Pflege ausgebauter und wichtiger als beispielsweise in der akuten

Pflege in den Krankenhäusern (Garms-Homolovà 2014: 422). Die professionelle

stationäre Alterspflege wird in der Schweiz in 1580 Alters- und Pflegeheimen geleistet,

davon sind 1112 privatrechtlich und 468 öffentlich-rechtlich organisiert (BfS 2015: 9).

Insgesamt leben in der Schweiz über 145’000 Personen in einer Institution der statio-

nären Alterspflege. Dies sind rund 2 % der Wohnbevölkerung. Die Bewohnenden sind

mehrheitlich schwer pflegebedürftig und über 80 Jahre alt bei den Männern, respektive

85 Jahre bei den Frauen. Die Mehrheit der Bewohnenden sind Frauen (ebd.: 25).

Seite 37

Aufgrund der weiteren Alterung der Gesellschaft, wird bis 2030 von bis zu über

220‘000 Personen ausgegangen, welche eine professionelle Pflege in einem Heim

brauchen werden (Höpflinger et al. 2011: 21-60). Bis 2040 werden im Extremfall sogar

über 300‘000 Personen in Alters- und Pflegeheimen leben (Christen et al. 2015: 21).

Bereits heute kostet die stationäre Alterspflege über 9,2 Milliarden Franken (BfS 2015:

31). Auch hier ist in den nächsten Jahren eine massive Kostenzunahme zu erwarten.

Grösster Kostenpunkt ist das Personal mit rund zwei Drittel (Widmer 2012b: 12) bis

drei Viertel (Christen et al. 2015: 27) der Kosten. Damit sind die Alters- und

Pflegeheime auch ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor. Ihr Anteil am

Bruttoinlandprodukt (BIP) ist stark zunehmend und wie im gesamten

Gesundheitssektor werden auch in Zukunft steigende Wachstumsraten erwartet

(Madörin 2014b: 7-13).

Steuerung und Kompetenzverteilung sind föderalistisch organisiert (Allgäuer 2009:

23.). Der Bund gibt Rahmenbedingungen zur Finanzierung vor und ist für die

allgemeine Steuerung zuständig. Die weiteren Kompetenzen obliegen dann den

Kantonen, wobei diese einzelne Steuerungsmechanismen, Kompetenzen und Kosten

auch an die Gemeinden weitergeben können (Zogg 2011: 96; Jäggi und Künzi 2015:

16). So findet sich in jedem Kanton ein anderer Grad an Regulationen. Beispielsweise

sind die Kontrollen der Qualität der Pflege und Heime in jedem Kanton unterschiedlich

geregelt (Balmer et al. 2014a). Gleich verhält es sich bei den Personalschlüsseln, also

den Vorgaben, wie viel Personal mit welchem Skill- und Grade-Mix in einer Institution

angestellt werden muss. Einige Kantone kennen keine, andere sehr rigorose Vorgaben

und Kontrollen (Kassensturz und Espresso 2013). Die Grundzüge der Finanzierung

sind im Krankenversicherungsgesetz seit 1996 mehrheitlich klar geregelt. Da die

Kosten für die Versicherungen und damit die Krankenkassenprämien im

Gesundheitswesen stetig gestiegen, sowie die verschiedenen Sozialversicherungen

nicht aufeinander abgestimmt waren, kam es 2009 zu einer Revision. Hauptziel war die

Kostenentlastung für die Krankenkassen. Diese neue Pflegefinanzierung wird seit 2011

angewandt (Ryter und Barben 2015: 13-18).

3.1 Finanzierungssystem seit dem 1. Januar 2011

Beim schweizerischen System der Pflegefinanzierung kann von einer

wettbewerbsneutralen Subjektfinanzierung gesprochen werden. Dabei werden alle

Anbieter von stationären Pflegeleistungen gleich behandelt, sobald sie von einem

Kanton auf die Pflegebettliste gesetzt werden (Nicolai 2009; Klie 2014: 68). Somit gibt

es keine direkte Subventionierung der Alters- und Pflegeheime mehr. Ausnahmen sind

Seite 38

einige wenige Kantone, die noch einen kleinen Teil der Investitionen decken (Christen

et al. 2015: 10). In der Finanzierung wird zwischen Pflege und Betreuung

unterschieden. In der Krankenpflege-Leistungsverordnung (EDI 2015) wurden neue

versicherungsrechtliche Kategorien geschaffen. Diese Definieren die Pflegeleistungen

der Behandlungspflege, der Grundpflege und der Akut- und Übergangspflege. Alles

was nicht innerhalb dieser Kategorien als Leistungen definiert ist, gilt als Betreuung

und wird nicht durch die Krankenkassen finanziert. Geld für die definierten

pflegerischen Leistungen erhalten Bewohnende nach einer Bedarfsabklärung, einem

so genannten Assessment. Ein solches dauert 14 Tage und findet einmal pro Halbjahr

statt oder bei einer akuten Verschlechterung des Zustandes. Aufgrund der

Bedarfsabklärung wird eine Person danach in eine der zwölf Pflegestufen eingeteilt.

Eine Pflegestufe entspricht 20 Minuten bezahlter Pflegezeit. Das bedeutet, dass die

erste Pflegestufe 20 Minuten bezahlte Pflege, Pflegestufe zwei 21-40 Minuten

beinhalten usw. Pflegestufe 12 beinhaltet das Maximum mit 201-220 Minuten bezahlte

Pflege am Tag (Zogg 2011: 93-95; Jäggi und Künzi 2015: 13f). Die Entgeltung erfolgt

nach zeitbasierten, medizinisch-technische Handlungen umfassenden Einzel-

leistungen, welche auf die Minute genau heruntergebrochen werden können (Durtschi

et al. 2015: 1). Damit dies nach einheitlichen und überprüfbaren Kriterien passiert, gibt

es in der Deutschschweiz zwei Abrechnungssysteme: RAI und BESA (Ryter und

Barben 2015: 35). Um Abrechnung zu kontrollieren, ist ein umfassendes

Dokumentationssystem nötig. Dieses führt zu einem erhöhten Aufwand für die

Pflegekräfte in diesem Bereich (Widmer 2012a).

Die Pflege wird dann von insgesamt drei Akteuren bezahlt, namentlich den Kranken-

kassen, der öffentlichen Hand und den Bewohnenden. Die Kantone setzen pro Pflege-

stufe normierte Pflegekosten fest. Die Krankenkassen beteiligen sich an diesen Pflege-

kosten mit einem definierten Beitrag bis maximal 220 Franken. 20 % des maximalen

Krankenkassenbeitrages können die Kantone von den Bewohnenden als Selbstbehalt

fordern. Die Differenz muss am Schluss die öffentliche Hand übernehmen (Bundes-

versammlung 2015).

Die Betreuungskosten inklusive der Hotelleriekosten, also alles, was in der

Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) nicht als Pflege definiert ist, müssen voll-

umfänglich von den Bewohnenden selbst bezahlt werden. Hierbei gibt es keine Kosten-

begrenzung. Falls sich Bewohnende die Betreuungskosten nicht selbst leisten können,

erhalten sie Ergänzungsleistungen. Dafür können die Kantone Höchstgrenzen vor-

sehen (Zogg 2011: 93 und 97f). Die Pflege- und Betreuungskosten machen insgesamt

mehrere tausend Franken im Monat aus. Dabei bezahlen die öffentliche Hand 10 %,

Seite 39

die Krankenkassen 20 % und Privatpersonen, respektive wenn nötig die Sozialver-

sicherungen, 70 % der Kosten (Jäggi und Künzi 2015: 15-22).

3.2 Situation des Personals in der stationären Alterspflege

Die professionelle Pflege in Alters- und Pflegeheimen wird heute von über 80‘000

Personen wahrgenommen. Werden das technische und rein betreuende Personal

(Abwarte, Hauswirtschaftsangestellte, Gastronominnen, Fachpersonen Aktivierung

etc.) hinzugerechnet, wären es über 120‘000 Personen (BfS 2015: 17-21). Die

benötigte Anzahl Pflegekräfte wird bis 2040 um das 1,8- bis 2,2-fache zunehmen

(Christen et al. 2015: 27). Momentan findet das Wachstum vor allem bei privaten

Alters- und Pflegeheimen statt (Lampart 2015).

Die Pflegekräfte werden in drei Stufen eingeteilt. Die erste Stufe sind Personen mit

einem tertiären Berufsbildungsabschluss, also einem Bachelor oder Master einer Uni-

versität, Fachhochschule oder einem Abschluss an einer Höheren Fachschule (HF).

Mit diesen Abschlüssen bringen diese Personen die Voraussetzung mit, selbständig

sämtliche Grundpflege- und Behandlungspflegeleistungen zu erbringen und anzuleiten.

In Alters- und Pflegeheimen sind dies meist Pflegefachpersonen HF. In der zweiten

Kategorie sind Personen mit einem sekundären Berufsabschluss. Das sind Berufs-

tätige mit einem Berufsabschluss Fachangestellte Gesundheit EFZ (FaGe) oder Fach-

angestellten Betreuung EFZ, also einer Berufslehre. Sie können selbst alle Standard-

situationen der stationären Altenpflege, der Grundpflege und fast alle Behandlungs-

pflegeleistungen erbringen, teilweise aber unter Aufsicht einer Person mit tertiärem

Abschluss. Die dritte Kategorie umfasst das Assistenzpersonal. Dieses hat als primäre

Stufe oft eine kurze Ausbildung beim Schweizerischen Roten Kreuz besucht oder

maximal eine zweijährige Attestausbildung. Diese Personen können unter Aufsicht der

höheren Stufen Aufgaben der Grundpflege und Betreuung ausführen (Ludwig und

Schäfer 2011 30-34; ALBA 2013: 31). Insbesondere der Anteil der Personen mit einem

primären Abschluss hat zugenommen (Zùñiga et al. 2013: 12f).

Eine grosse Mehrheit der Personen arbeitet Teilzeit. Auf allen Stufen sind fast nur

Frauen tätig (Prey et al. 2004: 36-42). Immer mehr Personen haben einen

Migrationshintergrund (Ryter und Barben 2015: 30f). Bereits heute ist die Lage auf dem

Arbeitsmarkt für Alters- und Pflegeheime angespannt. Bis 2030 wird ein

Personalmangel von mehreren 10‘000 Personen in der stationären Alterspflege

befürchtet (Rüegger und Widmer 2010: 7). Als weiteres Problem kommt hinzu, dass

viele ausgebildete Pflegekräfte ihren Beruf im Laufe ihrer Karriere wechseln. Jede

achte Person in der stationären Alterspflege überlegt sich, ihre Stelle zu künden,

Seite 40

respektive den Beruf ganz zu verlassen (Zùñiga et al. 2013: 36). Zusätzlich werden

altersbedingt etwa ein Drittel aller Pflegekräfte in den nächsten 10 bis 15 Jahren

pensioniert und aus dem Berufsleben ausscheiden (Rüegger und Widmer 2010: 7).

Die Arbeitsbedingungen in der stationären Altersbetreuung sind nicht einheitlich

geregelt. Die meisten Angestellten sind privatrechtlich angestellt. Für sie gelten keine

Mindestarbeitsbestimmungen. Dies, weil sie keinem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen

und gesetzliche Regulierungen fehlen (vgl. Unia 2015). Insbesondere Personen mit

einer tiefen Berufsbildung geraten deshalb zunehmend unter Druck.

Obwohl die Mehrheit (88 %) mit ihrer Arbeit und Arbeitsstelle zufrieden ist (Zùñiga et al.

2013: 38), gibt es in der stationären Alterspflege ein „traditionell tiefes Einkommen für

pflegerische Leistungen“ (Madörin 2014a: 84-87), also oft tiefe Löhne. Als besonders

positiv wird die Chance der beruflichen Weiterentwicklung angegeben (Curaviva und

Qualis 2011: 17f). Die Partizipation wird grossmehrheitlich als positiv bewertet, jedoch

gibt es hier zwischen den Betrieben eine grosse Varianz (Zùñiga et al. 2013: 7). Grund-

sätzlich werden die Arbeitsbedingungen als fair bewertet, in verschiedenen Bereichen

wird aber Kritik laut. Neben dem zu tiefen Entlöhnungsniveau muss oft kurzfristig für

krankes und beurlaubtes Personal eingesprungen werden, um den Betrieb aufrecht zu

erhalten (Prey et al. 2004: 145). Eine Studie der Zürcher Hochschule für angewandte

Wissenschaft kommt zum Schluss, dass für eine längere Verweildauer der Pflegekräfte

mehr Lohn, bessere Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nötig

wären (Schaffert 2015: 8).

Weitere oft von Pflegekräften bemängelte Punkte sind der Stress, die emotionale

Erschöpfung und gesundheitliche Schäden. In einer Studie der Universität Basel

(Zùñiga et al. 2013: 3 und 33f) geben Pflegekräfte der stationären Alterspflege aus der

ganzen Schweiz oft an, dass sie während der Pflege unter Stress stehen und für die

Bewohnerinnen und Bewohner zu wenig Zeit haben. So können sich 35 % zu wenig

über die Bewohnerinnen und Bewohner informieren, ein 30 % der Befragten gaben an,

dass sie die BewohnerInnen oft warten lassen müssen, 20 % können in wichtigen

Momenten keinen Beistand leisten und 25 % fehlt die Zeit für aktivierende und

erhaltende Arbeit an und Therapien mit den Bewohnenden. Im Kanton Bern wurde

festgestellt, dass ein Drittel der Pflegekräfte resigniert haben und ein Sechstel zudem

aktiv unzufrieden ist (Künzi und Schär Moser 2002: 29). Viele Pflegekräfte leiden

gemäss Zùñiga et al. (2013: 3 und 33f) unter Rückenschmerzen (71 %) und/oder

Gelenk- oder Gliederschmerzen (51 %). Bei 66 % treten häufig am Ende des Tages

Zustände der Energielosigkeit und Ermüdungserscheinungen auf. Depressionen sind

Seite 41

bei Pflegekräften im stationären Altersbereich häufiger festzustellen als in der

sonstigen Bevölkerung (Prey et al. 2004: 80-83). Die Fluktuationsrate in Alters- und

Pflegeheimen ist hoch: Sie lag beispielsweise in Bern 2002 bei 22 % (Künzi und Schär

Moser 2002: 63). Ebenfalls ist festzustellen, dass die emotionale Belastung und der

emotionale Stress zunehmen und zu massiv mehr Burnouts und ähnlich gelagerten

Ausfällen führen (Zùñiga et al. 2013: 3 und 28-32).

3.3 Ökonomisierung und Herausforderungen

Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind als wichtige Grundsätze im

Krankenversicherungsgesetz (KVG), welchem die Pflege zu folgen hat, verankert. Das

Sparen ist heute ein hegemonialer Diskurs in der Pflege. Ihm hat sich alles

unterzuordnen und ist somit ein entscheidender Faktor für die Ökonomisierung der

Pflege (Madörin 2014a: 35-45). Pelizzari (2001) bezeichnet als Ökonomisierung die

Neuordnung ehemals nicht nach Marktlogiken organisierter Gesellschafts-, Geschäfts-

und Staatsbereiche durch interne Rationalisierung und der Übernahme von Kosten-

Ertrags-Kalkülen. Ökonomisierungsstrategien lehnen sich dabei am Funktionieren von

privatwirtschaftlichen Firmen und tayloristische Prinzipien aus der industriellen

Güterproduktion an. Viele Privatisierungen wurden seit 2011 damit begründet, dass

sich Aktiengesellschaften dem Markt einfacher anpassen könnten und flexibler seien

als andere Rechtsformen (Nicolai 2009: 16).

Um Kosten zu sparen und effizienter zu arbeiten, werden die betriebswirtschaftliche

Marktlogik sowie ihre Instrumente und Messverfahren Schritt für Schritt in der

stationären Alterspflege eingeführt:

„Die [...] Pflegeheime sind gehalten, ihre Leistungen möglichst kostengünstig zu erbringen. Dabei sollen sie sich an betriebswirtschaftlichen Managementmethoden und Effizienzkriterien orientieren, die oft im Kontext der Güterproduktion entwickelt worden sind und auf care-spezifische Anforderungen wenig Rücksicht nehmen“ (Ryter und Barben 2015: 35).

Heimleitungen sind heute eher Manager und müssen, wenn überhaupt, oft nur über

wenig pflegerisches Wissen verfügen (vgl. Rosenthal 2005; ALBA 2013: 25). Die

Menge an Literatur zum Pflegemanagement nimmt gleichzeitig massiv zu und

fokussiert zumeist auf Themen wie Arbeitsprozesse, Arbeitsorganisation und viele

betriebswirtschaftliche Instrumente (vgl. Müller 2011; Loffing und Geise 2010; Rosen-

thal 2005 und Buchinger 2012).

In seiner Publikation wirbt der Hotellerie Verband dafür, Hotels in Pflegeheime

umzuwandeln. Die Gewinnspanne beträgt dabei 5-10 % und bringt mehr Rendite

(Schlenczek 2011). Gleichzeitig gibt es immer mehr private, gewinnorientierte Ketten in

der Schweiz. Senevita ist beispielsweise Teil des multinationalen Pflegekonzerns

Seite 42

ORPEA. Die Ketten Tertianum und Seniocare werden von Investmentgesellschaften,

sogenannten Private Equity Fonds oder Hedgefonds, finanziert (Balmer und Haederli

2014b). Diese investieren nicht nur in gewinnorientierte Unternehmungen, sondern

auch in gemeinnützige oder gar öffentliche Alters- und Pflegeheime. Private Equity

Fonds, welche in Pflegeheime investieren, versprechen teilweise eine Rendite von 8-

18 % (Klie 2013: 75f).

Madörin (2014a: 22-34; 2014ba: 20) weist in ihrer Studie zur Ökonomisierung des

schweizerischen Gesundheitswesen darauf hin, dass die Pflege unterfinanziert und

überreguliert ist. Durch die enge Definition der Pflege im Gesetz werde vieles nicht

finanziert und über Betreuungskosten oder unbezahlte Arbeit von Familienangehörigen

quersubventioniert. Alters- und Pflegeheime und Pflegekräfte geraten dadurch unter

Druck. Rationalisierungen der Arbeits- und Pflegeprozesse sind deshalb heute nach

wie vor an der Tagesordnung. Die durch die Pflegestufe festgelegten Zeiteinheiten

reichen oft nicht aus für eine individuelle, gesamtheitlich, gute Pflege.

Seite 43

4. Theoretische Einordnung und Diskussion der schweizerischen stationären Alterspflege

Ziel ist es nun, die schweizerische Situation in der stationären Alterspflege in einen

Kontext mit den sozialwissenschaftlichen Theorien zu bringen und zu diskutieren.

Diese Betrachtung beginnt bei den Akteurinnen und Akteure, der Verteilung der Macht

und der Figuration im Feld der Pflege. Es zeigt sich, dass neben den Heimträgern als

Arbeitgeber zwei weitere Akteure den Alltag der Pflegekräfte, aber auch der

Bewohnenden, massgeblich bestimmen. Das ökonomische Kapital für die medizinische

Pflege, dessen Regulierung und Bedarf, sowie die Definitionsmacht, was Pflege ist,

liegt grösstenteils in den Händen eines Triumvirates von Staat (Bund, Kantone und

Gemeinden), Krankenkassen und Arbeitgebern. Die Pflegekräfte erhalten oft wenig

ökonomisches Kapital (tiefer Lohn etc.). Die Pflegekräfte sind durch ihr Berufsethos an

das Wohl ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gebunden (kulturelles Kapital) und über

verfügen wenig Organisationsmacht (soziales Kapital).

Gleichzeitig ist eine starke Ökonomisierung des Feldes der Pflege festzustellen. Eine

kapitalistische Landnahme hat stattgefunden. Der Neoliberalismus ist heute die

hegemoniale Denkrichtung. Er bildet damit die neue Doxa im Feld der Pflege und

entspricht dem aktuellen Geist des Kapitalismus. Kostensparen beim Staat und der

Pflege, Rationalisierungen, Produktivitätssteigerungen und die Trennung von

produktiven und nicht-produktiven Tätigkeiten sind das neue Credo. Die

wettbewerbsneutrale Subjektfinanzierung und der hohe Grad an Selbstfinanzierung

durch die Bewohnerinnen und Bewohner wirken als starke Markttreiber. Es gibt aber

eine wichtige Einschränkung: Es wird nicht alles dem freien Markt überlassen, trotz

einer starken Zunahme marktförmiger Organisation und der Profitmöglichkeiten für

gewinnorientierte Anbieter. Gleichzeitig aber reguliert das System von Staat,

Versicherungen und Pflegeheimen verschiedene Aspekte der Pflege und ihrer

Finanzierung. Dieser Teil erinnert eher an die chinesische Variante des Kapitalismus

(ten Brink 2010: 40f), als an die reine neoliberale. Durch diese Durchmischung ist für

alle Menschen in der Schweiz unabhängig des Einkommens eine minimale Pflege

möglich. Die Variante kann auch als Teil des Geistes des Kapitalismus von allen

getragen werden, als Mix zwischen einem angelsächsischen Neoliberalismus und

einem chinesischen Staatsregimekapitalismus. Gleichzeitig bildet sie aber eine neue

Möglichkeit für die zusätzliche Kapitalakkumulation. Staat, Krankenkassen und Heime

führen dazu die nötige Produktionsweise ein. Mit dem in der Schweiz bestehenden

kapitalistischen Regime der stationären Alterspflege können profitable Teile, wie die

Hotellerie und die Betreuung wohlhabender Klientinnen und Klienten, marktförmig

Seite 44

angeboten werden und bilden interessante Anlageflächen. Durch Kostensenkungen

lassen sich Gewinne erzielen. Um die Rendite zu erhöhen, gibt es auf der Ertragsseite

zwei weitere Massnahmen: Mehreinnahmen durch Betreuungsbeiträge, da diese nicht

festgelegt sind, oder die Selektion von Bewohnerinnen und Bewohnern mit rentablen

Pflegestufen. Auf der Aufwandsseite gibt es unter dem Credo Rationalisierung und

Produktivitätssteigerung mehr Möglichkeiten. Dazu muss entweder beim Personal oder

der Qualität der Hebel angesetzt werden. Beim Personal kann auf verschiedene Arten

gespart werden. Weniger Personal anstellen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern,

billigere Arbeitskräfte anstellen, mehr Freiwilligenarbeit oder mit der gleichen Anzahl

Personal mehr Personen pflegen und betreuen. Möglich ist auch eine Einsparung bei

Material- und Sachkosten oder die Senkung der pflegerischen und betreuerischen

Qualität. Die Investitionen von Private Equity Fonds in ausgewählte Pflegeheime sind

eine Folge dieser neuen Möglichkeiten. Durch die vollführte kapitalistische Landnahme

werden alle Einrichtungen der stationären Alterspflege marktförmiger organisiert. Alle

müssen sich an dieselben Kostenvorgaben bei der Pflege halten und stehen im

Wettbewerb untereinander, unterliegen den gleichen Rationalisierungszwängen und

dem gleichen neoliberalen Denken.

Die Ökonomisierung und Rationalisierungen in der Arbeitswelt erfolgt auch in der

Schweiz durch tayloristische Methoden der industriellen Güterproduktion. Dies trotz der

Kostenkrankheit bei personenbezogenen Dienstleistungen und weiterer Inkompatibi-

litäten, von welchen Care-Ökonominnen und Care-Ökonomen warnen, weil bei der sta-

tionären Alterspflege eine andere Verwertungslogik vorliegt. Die Pflege wird

vermessen, quantifiziert und mit einem Kosten- und Zeitregime zwecks Produktivitäts-

steigerung versehen. Dies führt zu Verschlechterungen für das Personal oder der

Pflegequalität. Als Pflege zählen nur noch medizinaltechnische Begriffe aus der KLV,

welche auch messbar sind. Für diese gibt es jeweils ein Zeitbudget, in welchem die

normierten Handlungen an Menschen vollführt werden müssen. Dies wird durch ein

ausgebautes Dokumentationswesen kontrolliert. Das Kostenkorsett wirkt auf alle. Die

Betreuung, also Beziehungs-, Emotions- und Gefühlsarbeit, wird wegrationalisiert, da

für eine ganzheitliche Pflege das Geld fehlt. Somit werden die Pflege und die Pflege-

beziehungen Schritt für Schritt objektiviert. Dadurch findet eine neue Art der Entfremd-

ung zwischen den Pflegekräften und den Bewohnerinnen und Bewohnern statt.

Die Ökonomisierung hat verschiedene Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Pflege-

kräfte. Das Berufsbild befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit

und Menschlichkeit. Verschiedene Interessensgruppen versuchen den Zuschnitt des

Berufes der Pflegekräfte in der stationären Alterspflege nach ihren Wünschen anzu-

Seite 45

passen. Mit der Tertiärisierung des Berufes soll die Professionalisierung vollendet

werden. Mit der Ökonomisierung und den Professionalisierungsbestrebungen erfolgt

eine Arbeitsteilung im tayloristischen Sinne. Dies zeigt sich an den drei Ausbildungs-

und Funktionsstufen und führt zu Positionierungskämpfen der Pflegekräfte innerhalb

des Feldes. Der zunehmende Stress, die Zeitnot und die Verschlechterung der Arbeits-

bedingungen sind typische Anzeichen für die Rationalisierungen durch das taylorist-

ische und kostensparende Denken. Die Pflegekräfte scheinen in einem Widerspruch

zwischen der Ökonomisierung und der eigenen Vorstellung von guter Pflege und des

eigenen Ethos zu stecken. Damit lassen sich auch die hohe Fluktuations- und Burnout-

Raten erklären. Die Auflösung dieses Widerspruchs scheint zumindest theoretisch in

der Schweiz noch nicht greifbar und der Prozess der Ökonomisierung geht in der

Arbeitswelt, aber auch bei den Pflegekräften, weiter.

Seite 46

5. Methodisches Vorgehen

Um die Leitfragen empirisch zu untersuchen, sind qualitative Methoden am ziel-

führendsten. Sie ermöglichen einen Zugang zur Lebenswelt der Pflegekräfte, welcher

mit einer quantitativen Herangehensweise nicht zu erfassen ist. Eine qualitative

Analyse erlaubt das Erleben des Arbeitsalltags, die subjektiven Deutungen und inter-

pretativen Prozesse der Pflegekräfte explorativ zu erkunden (vgl. Flick 2011). Im

Gegensatz zu standardisierten quantitativen Methoden ist es mittels qualitativen

Methoden möglich, das persönliche Erfahrungswissen der Menschen zu erschliessen

und dieses auch individuell zu deuten (Bohnsack 1999: 17-25). Dies ist wichtig, da die

Ökonomisierung als embedded competition unterschiedliche Erscheinungsformen hat

(Manzei und Schmiede 2014: 18-24). Gerade deshalb ist ein Forschungsansatz,

welcher die Ökonomisierung aus der subjektiven Welt der Pflegekräfte herleitet und

ihre erlebten Auswirkungen im Alltag beschreibt statt vorher zu generalisieren, am

erfolgversprechendsten (Hug und Poscheschnik 2010: 88-90).

Um die Leitfrage beantworten zu können, wurden Daten zu verschiedene Themen-

kreisen wie Pflege, Ethos und Beruf erhoben. Inspiriert wurden dieser Fragenkomplex

durch Corinne Schwallers (2013: 2) Analyse zur Ökonomisierung der Spitex. Als Erstes

braucht es eine Positionierung der Pflegekräfte zu ihrer Arbeit, ihrem Pflegeverständnis

und ihrer Motivation:

- Wie sieht der Arbeitsalltag von Pflegekräften in der stationären Altenpflege aus?

- Was verstehen Pflegekräfte unter qualitativ guter Pflege?

- Wieso üben Pflegekräfte in der Altenpflege ihren Beruf aus, was ist ihre Motivation?

- Was ist das berufliche Selbstbild der Pflegekräfte?

Nach dieser Positionierung konnte auf das Vorhandensein von Widersprüchen und

allfällige Konsequenzen der Ökonomisierung in folgenden Themenkreisen ein-

gegangen werden:

- Welche Veränderungen stellen die Pflegekräfte in den letzten Jahren fest?

- Wie nehmen die Pflegekräfte die Ökonomisierung ihrer Arbeitswelt und die Pflege

im Alltag durch die Pflegekräfte wahr?

- Wie gehen die Pflegekräfte mit allfälligen Widersprüchen zwischen Pflege und

Ökonomie um und wie reagieren sie darauf?

Seite 47

5.1 Datenerhebungen

Bei der Datenerhebung zu den genannten Themenkreisen empfahl sich aufgrund des

nicht einfach fassbaren Untersuchungsgegenstands eine Kombination verschiedener

Methoden, um genügend Daten von verschiedenen Sichtpunkten sammeln zu können.

Hierzu wurde eine Methodentriangulation (between-methods) gemäss Flick (2008: 15f)

ausgeführt. Verschiedenen Methoden ergänzen sich und ermöglichen Erkenntnisse,

die eine Methode alleine nicht könnte (Garz und Kraimer 1991: 19). Ziel war es, durch

diesen Methodenmix bei der Datenerhebung systematisch verschiedene Blickwinkel

auf den Untersuchungsgegenstand einnehmen zu können. Die verschiedenen

Perspektiven wurden durch betroffene Pflegekräfte, verschiedene Expertinnen und

Experten sowie Tagungsdiskussionen eingefangen.

5.1.1 Semistrukturierte Leitfadeninterviews mit Pflegekräften

Das erste und wichtigste Erhebungsinstrument für diese Arbeit waren zehn semi-

strukturierte, qualitative Interviews mit Pflegekräften aus der stationären Alterspflege.

Diese Interviews ermöglichen es, Sichtweisen, Meinungen und Interpretationen der

Pflegekräfte zu erheben (Moser 2008: 89). Dabei wurde darauf geachtet, dass die

Interviews semistrukturiert geführt wurden. Das heisst, im Fokus stand nicht eine

beliebige Narration der Interviewten, sondern ihre Aussagen zu den vorher theoretisch

erarbeiteten und hergeleiteten Themen- und Fragekomplexen. Dies ermöglichte das

subjektive Verstehen (Flick 2011: 203-214). Dazu wurde ein Leitfaden erstellt und bei

allen Interviews verwendet.

Bei der Konstruktion des Leitfadens wurde mit der Methode SPSS (S: Sammeln, P:

Prüfen, S: Sortieren, S: Subsumieren) von Helfferich (2011: 178-189) entlang der oben

genannten Themenblöcke gearbeitet. Es wurde dem Grundsatz gefolgt, immer vom

Allgemeinen zum Spezifischen zu gehen. Jedes Interview startete mit offenen Fragen

zur Vorgeschichte, um dann konkreter zu werden. Analog wurde bei den Themen- und

Fragekomplexen umgegangen – immer zuerst offene Fragen und dann gegen Ende

des Komplexes spezifische Fragen.

Bei der Stichprobenziehung für die semistrukturierten Interviews wurde die Methode

des theoretischen, respektive gezielten, Samplings angewandt (Kruse 2015: 237-249).

Bei den zehn interviewten Pflegekräften bedeutete dies, dass jede Hierarchiestufe,

namentlich primäre Stufe (pflegerisches Assistenz- und Hilfspersonal), die sekundäre

Stufe (meistens FaGe) und die tertiäre Stufe (Abschlüsse von Höheren Fachschulen,

Fachhochschulen oder Universitäten, hier meistens Pflegefachpersonen HF)

angemessen vertreten sein mussten. Des Weiteren wurde bei den Pflegekräften auf

Seite 48

eine gewisse Varianz bezüglich Kanton, Betriebsgrössen und Nationalitäten geachtet.

Ferner wurde in der Frauendomäne auch ein Mann interviewt. Alle Pflegekräfte die

ausgewählt wurden, mussten sowohl vor, wie auch nach dem 1. Januar 2011 in der

stationären Alterspflege gearbeitet haben. Alle Personen arbeiteten in privaten Alters-

und Pflegeheime, wobei einige gewinnorientiert waren und andere nicht. Die

Stichprobenziehung erfolgte nach dem Schneeballprinzip. Dies bedeutet, dass zuerst

Pflegende aus dem beruflichen und privaten Umfeld angefragt wurden und diese

darum gebeten wurden, weitere, den Kriterien entsprechende Pflegekräfte zu

empfehlen (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014). Dies führte zu folgenden interviewten

Personen, welche alle sofort nach der Anfrage zusagten und sehr offen und direkt

antworteten:

Sämtliche Personen wurden anonymisiert und deshalb in der Tabelle 1 die Kategorien

so weit geöffnet, dass die Anonymität der Interviewten gewahrt werden kann

Name Stufe Kanton Nationalität Geschlecht Betriebsgrösse

in Anzahl

Angestellten

Orientierung

des Betriebes

Tamara

Wüthrich*

Primär BE CH W 50 Gewinn

Jasmin

Müller*

Tertiär BE CH W 100 Nicht-

Gewinn

Nadja

Engel*

Sekundär (in

Tertiär

Ausbildung)

SG/ ZH/

BE

CH W Unterschiedlich Beides

Luca

Michel*

Sekundär (in

Tertiär

Ausbildung)

BE CH M Unterschiedlich Beides

Tanja

Birnstiel*

Tertiär BS Nicht CH W 30 Gewinn

Dagmar

Polzin*

Tertiär AG Nicht CH W 75 Gewinn

Isabelle

Fuhrmann*

Sekundär BE CH W 100-200 Nicht-

Gewinn

Elisabeth

Jung*

Sekundär BE CH W 100-200 Nicht-

Gewinn

Maria

Tschanz*

Sekundär SO Nicht CH W 75 Nicht-

Gewinn

Sabine

Kurz*

Primär BE CH W 50 Nicht-

Gewinn

Tabelle 1: Interviewte Pflegekräfte, * sämtliche Namen sind frei erfunden

Seite 49

(Christians 2005: 145). Dies ist nötig, da in den Interviews offen gesprochen wurde und

einigen Interviewte dadurch negative Konsequenzen drohen könnten. Die Interviews

wurden digital aufgezeichnet und von Schweizerdeutsch möglichst nahe am Original

auf Hochdeutsch transkribiert (Dresing und Peh 2011).

5.1.2 Expertinnen- und Experteninterviews

Um die Perspektive der Pflegefachkräfte zu ergänzen, wurden für diese Arbeit

Expertinnen- und Experteninterviews durchgeführt. Als Expertinnen und Experten

gelten hier Personengruppen, welche für das Forschungsthema eine spezifische

Fachkenntnis oder Kompetenz ausdrücken können (Hug und Poscheschnik 2015:

104). Bei den Expertinnen und Experten interessiert nicht die Person als Individuum

und ihr subjektives Erfahrungswissen, sondern das Expertenwissen dieser Person in

einem spezifischen Feld, welches sich rund um das Thema Ökonomisierung der Pflege

und Auswirkungen auf das Personal gruppiert (Flick 2011: 214f). Dazu wurde je eine

Vertreterin oder Vertreter eines Arbeitgebers, der Politik, einer Gewerkschaft, einer

Beschwerdestelle für Bewohnende sowie der Berufsbildung interviewt:

Name Funktion Akteur Rolle im Feld

Christine Fitze* Nationalrätin, ehemals

Gemeinde- und Grossrätin

Politik Reguliert die gesetzlichen

Rahmenbedingungen mit

Lorenz Eggenschwiler* Rektor einer Höheren

Fachschule

Ausbildung Bildet Pflegkräfte aus

Magdalena Christen* Dipl. Heimleiterin Arbeitgeber Stellt Pflegekräfte ein

Christoph Uetz* Fachspezialist der einer

Beschwerdestelle

Bewohnerinnen

und Bewohner-

organisation

Vertritt bei individuellen

Beschwerden die

Bewohnenden

Andreas Stern* Leitungsperson der

Gewerkschaft Unia im Bereich

Pflege

Gewerkschaft Vertritt die kollektiven

Interessen der Pflegekräfte

Tabelle 2: Interviewte Expertinnen und Experten, * sämtliche Namen sind frei erfunden

Auch diese Personen wurden anonymisiert. Christoph Uetz wurde nach Anfrage für

einen Experten von der Geschäftsstelle der Unabhängigen Beschwerdestelle für das

Alter vermittelt. Die restlichen vier Expertinnen und Experten wurden gezielt

ausgewählt. Es sind Vertreterinnen und Vertreter von Institutionen, welche als Akteure

im Feld der Pflege eine wichtige Rolle spielen. Alle angefragten Personen waren offen

und gaben gerne Auskunft. Sie waren über den Arbeitstitel der Forschung informiert.

Die Interviews wurden als explorative Interviews zur Erweiterung der Wissens-

dimensionen geführt. Das bedeutet, es wurden entlang der oben bestehenden

Themenblöcke Fragen gestellt. Damit konnten die Expertinnen und Experten Kontext-

Seite 50

bedingungen und -wissen für den Prozess der Ökonomisierung und das Handeln und

Verstehen der eigentlichen Zielgruppe, der Pflegefachkräfte, beitragen (Meuser und

Nagel 1991: 446). Die Interviews erlaubten eine vertiefte Analyse der Fragestellung

und des gesellschaftlichen Rahmens rund um die Ökonomisierung der Pflege. Die

Interviews wurden wie die semistrukturierten Leitfadeninterviews geführt und

transkribiert.

5.1.3 Teilnehmende Beobachtung

Als letzter Teil der Datenerhebung innerhalb der Methodentriangulation wurde an zwei

Tagungen, welche thematisch alle mit der Leitfragestellung verwandt waren,

teilnehmende Beobachtung durchgeführt. Kennzeichen der teilnehmenden

Beobachtung ist das Eintauchen des Forschers in das Feld als aktiver Teilnehmender

(Flick 2011: 287). Bei der Datenerhebung lag der Fokus nicht nur auf den

gesprochenen Aussagen, sondern auch den Verhaltensweisen, Emotionen und

Interaktionen zwischen den Menschen aus den verschiedenen Feldern (Hug und

Poscheschnik 2015: 108-110). Gegenüber einigen Teilnehmenden wurde in Vor-

gesprächen erwähnt, dass Notizen gemacht und für diese Masterarbeit gebraucht

werden. Ansonsten stand die Teilnehmerrolle im Vordergrund (Spöhring 1989: 140).

Die erste Beobachtung fand an der nationalen Branchenkonferenz Langzeitpflege und

Betreuung der Gewerkschaft Unia statt. Über 30 Delegierte (alles Pflege- und

Betreuungskräfte) diskutierten über die aktuellen Probleme ihrer Branchen sowie über

mögliche Lösungen und Kampagnen. Ebenfalls wurde eine erste Diskussion zum

Manifest „Gute Pflege und Betreuung“ (Unia 2015) geführt. Die zweite teilnehmende

Beobachtung konnte an einer Tagung für das erwähnte Manifest durchgeführt werden,

wo neun Pflegefachleute und drei Gewerkschaftssekretäre das Manifest fertig aus-

arbeiteten. Die letzte teilnehmende Beobachtung erfolgte an einer Tagung der SP

Frauen Kanton Bern zum Thema „Mit Springseil und Rollator in die Zukunft – Heraus-

forderungen und Chancen einer Gesellschaft im demographischen Wandel.“ Hier

wurden unter anderem die Entwicklungen und mögliche politische Handlungsfelder

diskutiert. Teilnehmende waren Politikerinnen und Politiker, Pflegekräfte, Arbeitgeber-

innen und Behördenvertretungen, wobei einige Personen gleich mehrere Rollen in sich

vereinigten. Zugänge zu den ersten beiden Anlässen erfolgten durch die Funktion des

Verfassers als Gewerkschaftssekretär. Zur SP-Tagung erfolgte der Zugang über die

Einladung durch eine Pflegekraft. Die teilnehmende Beobachtung wurde in Feldnotizen

(Moser 2008: 74-76) und Fotoprotokollen festgehalten.

Seite 51

5.2 Datenauswertung

Als Methode für die Auswertung wurde die Grounded Theory verwendet (Strübing

2004). Diese wurden jedoch nicht als eigenes Forschungsproramm oder zur

Theoriegewinnung genutzt (Strauss und Corbin 1996). Die Anwendung der Grounded

Theory beginnt beim spiralförmigen Prozess zwischen Datenerhebung, Auswertung

und Strukturieren der Ergebnisse (Krotz 2005: 167-179). Wie bei diesem nicht-lineare

Vorgehen üblich, traten während der Analyse noch zusätzliche Kategorien, neue Ideen

oder Phänomene auf und es mussten Anpassungen bei der Erhebung und Auswertung

gemacht werden (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014: 9). Dies führte dazu, dass der

Leitfaden entsprechend angepasst wurde und statt der ursprünglich geplanten neun

Pflegekräfte zehn, und statt vier, fünf Expertinnen und Experten interviewt wurden.

Herzstück der Auswertung ist das dreistufige Kodierverfahren. Zuerst wurden die

erhobenen Daten offen kodiert. Das heisst, es wurden beim Text kurze und ohne

irgendwelche Einschränkungen Codes verteilt. Diese Codes beschrieben die

entsprechenden Textstellen, fassten sie zusammen und zeichneten sie aus. Darauf

folgte das axiale Kodieren. Dazu wurden die Codes des offenen Kodierens

systematisch angeordnet und zueinander in Beziehung gesetzt. Dadurch entstanden

neue Codes. Beim letzten Schritt, dem selektiven Kodieren, wurden

Schlüsselkategorien gebildet und in Verbindung zueinander gebracht (Breuer 2010: 80-

93). Die für die Leitfrage wichtigen Kategorien werden mit den Verbindungen

untereinander als Ergebnisse dargestellt (Flick 2011: 532-536).

5.3 Selbstreflexion

Neben dem bereits dargelegten Forschungsinteresse ist das Thema dieser Arbeit auch

für mich persönlich von Bedeutung. Einerseits weil verschiedene weibliche Mitglieder

meiner Familie (Schwester, Mutter, Grossmutter) in Pflegeheimen gearbeitet haben,

andererseits arbeite ich beruflich als Gewerkschaftssekretär mit Pflegekräften aus der

Langzeitpflege zusammen und vertrete als solcher ihre kollektiven Interessen.

Aufgrund meiner Vorgeschichte habe ich also bereits ein Vorwissen zum behandelten

Thema und eine spezifische Interessenslage. Ich hoffe, mit dieser Forschung

Diskussionen anzuregen. Meine Arbeit richtet sich bewusst an eine breitere

Öffentlichkeit, Pflegekräften und Verantwortliche (public sociology), in der Hoffnung,

dass die Ergebnisse wahr- und aufgenommen werden. Es ist mir wichtig, darauf

hinzuweisen, dass trotz sämtlichen Versuchen, neutral und objektiv zu sein, mein Ich

als Person und meine Einstellungen immer mitschwingen – sei es bei der Erhebung,

Auswertung oder Interpretation. Dies wäre auch der Fall bei quantitativen Methoden

Seite 52

oder einer reinen Theoriearbeit. Die ganze Arbeit war durch Selbstreflexion begleitet,

vom Schreiben des Exposés bis zur Abgabe. Dadurch kann ich auch sagen, dass

Vieles nicht so gekommen ist, wie ich am Anfang vermutet habe und die Arbeit nicht

mein Vorwissen und Haltung wiedergibt, sondern das bestmögliche wissenschaftliche

Ergebnis.

Seite 53

6. Ergebnisse der empirischen Forschung

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse aus der Auswertung der Interviews mit den

Pflegekräften, den Expertinnen und Experten sowie der teilnehmenden Beobachtungen

präsentiert. Dazu werden die Ergebnisse entlang der Fragestellung geordnet. Dies

bedeutet, dass die Folgen der Ökonomisierung auf die Arbeitswelt der Pflegekräfte in

Kapitel 6.1 aufgezeigt werden. Allfällige Widersprüche zwischen dem Berufsethos und

den Anforderungen durch die Ökonomisierung werden in Kapitel 6.2 dargestellt und

Reaktionen der Pflegekräfte auf die Folgen der Ökonomisierung in Kapitel 6.3

aufgeführt. Die vorgestellten Ergebnisse stellen die gefundenen Kategorien der

Datenauswertung und Kodierung durch die Grounded Theory dar. Die Ergebnisse

werden durch besonders passende und prägnante Zitate der interviewten Pflegekräfte

sowie Expertinnen und Experten unterlegt. Die teilnehmenden Beobachtungen wurden

bei der Auswertung mitbearbeitet, werden aber nicht zwecks Zitierung herangezogen.

6.1 Auswirkungen auf die Arbeitswelt

Es zeigt sich bei allen interviewten Personen, dass die Arbeit, die Arbeitswelt und der

Beruf in den letzten Jahren einem starken Wandel unterliegen und nicht mehr

dieselben sind wie davor. Insbesondere das Verhältnis zu den Bewohnenden ist durch

den Wandel stark in Mitleidenschaft gezogen worden:

„Es hat sich gewandelt. Zurzeit, sollte ich sagen, in den letzten zehn bis 15 Jahren, wo ich einfach sagen muss, es ist nicht mehr der Mensch, der im Mittelpunkt steht. Ich habe jetzt einfach das Gefühl, es ist das Geld, das im Mittelpunkt steht. Und vorher hat man das noch gehabt. Vorher hast du die Zeit noch gehabt“ (Jasmin Müller

2).

Durch die Verschiebung des Fokus von den Bewohnenden hin zu ökonomischen

Kriterien verändert sich der Arbeitsalltag der Pflegekräfte. Ein permanenter Spardruck

beschleunigt die Veränderungen zusätzlich:

„Also jetzt, ich als Teamleitung, oder ja, in der Betriebssitzung tun sie dir das ganz klar sagen. In der PeKo [Personalkommission, A.D.] sowieso noch. Du weisst immer [...] man sollte noch sparen, und man sollte... Personalkosten sind immer drüber und so“ (Elisabeth Jung).

Die Pflegekräfte erleben diesen Wandel in der Arbeitswelt als eine klare Priorisierung

der Wirtschaftlichkeit innerhalb ihrer Arbeit. So beschreibt die erfahrene Pflegefachfrau

Dagmar Polzin diesen Wandel: „Es geht nur noch um Zahlen. Es geht nicht mehr um

den Menschen an sich.“ Dieser Wandel liegt gemäss dem Gewerkschafter Andreas

Stern in der neuen Pflegefinanzierung begründet. Diese führt als wichtige

Rahmenbedingung zu einem klaren Kosten- und Ökonomisierungsdruck: „Was ich

beobachte, ist, wie gesagt, durch die politischen Rahmenbedingungen, im Fall der

2 Die Quellenangaben zu den Zitaten der interviewten Pflegekräfte sowie Expertinnen und Experten erfolgt

aufgrund der anonymisierten Tabellen 1 und 2 aus Kapitel 5.1.

Seite 54

Pflegefinanzierung, ist es klar, dass es in erster Linie darum geht, Kosten zu

reduzieren“ (Andreas Stern). Diese Logik der Pflegefinanzierung wird an die Pflege-

kräfte und Bewohnende weitergegeben:

„Wenn ein Bewohner neu kommt, tust du 14 Tage lang eine so genannte Beobachtungsphase machen. Das heisst, in diesen 14 Tagen musst du alles einschreiben in die Pflegedok, was du bei den Bewohnern machst. [...] Das gibst du dann in den Computer ein. Und anhand von dem, was du eingegeben hast, wird dir eine Pflegestufe errechnet.“ (Elisabeth Jung).

Diese Stufe ist dann entscheidend für Anzahl Minuten, die pro Tag für die Pflege eines

Bewohners, respektive einer Bewohnerin aufgewendet werden: „Das heisst, unter dem

Strich, pro Stufe hast du zwanzig Minuten. Davon sind zehn Minuten direkte Pflege und

zehn Minuten indirekte Pflege. Das heisst, zehn Minuten bist du am Bett und zehn

Minuten am Schreiben“, erklärt Isabelle Fuhrmann, welche seit Jahren als Teamleiterin

arbeitet. Der Rest wird nicht als Pflege vergütet, sondern als Betreuung von den

Bewohnenden selbst bezahlt. Die durch das Gesetz eingeführte Trennung von Pflege

und Betreuung ist den Pflegekräften deutlich bewusst und wird von ihnen schrittweise

verinnerlicht, wie sich am Beispiel von Nadja Engel, welche zur Zeit in Ausbildung zur

Pflegefachfrau HF ist, zeigt:

„Unterdessen ist für mich Pflege fast nur noch der Körperpflegeteil, auch der Medizinaltechnische. Während Betreuung für mich halt alles andere ist. Eben, Gespräche führen oder mal spazieren gehen oder von mir aus, muss ja kein Spaziergang sein, von mir aus kann man die Leute einfach mal nach draussen setzen, und wir kommen euch dann wieder abholen“.

Der Wandel der Arbeitswelt ist weit vorangeschritten und der Beruf der Pflegekräfte

ändert sich. Viele der Veränderungen werden von den Pflegekräften als problematisch

empfunden.

6.1.1 Zeitdruck, zu wenig Personal und Sparen

Als prägende Veränderung in der neuen Arbeitswelt wird oft angegeben, „dass wir [die

Pflegekräfte] zu wenig Zeit haben für die Leute“ (Elisabeth Jung). Die Zeiten, welche

durch die Pflegefinanzierung definiert werden, sind zu knapp bemessen:

„Das Problem ist, es geht einfach nicht auf. Es liegt zeitlich nicht drin, wenn ich um Sieben mit den Medis anfange, bin ich, wenn es gut kommt, um zwanzig nach Sieben fertig, und dann gehe ich davon aus, dass kein einziger Patient noch ein Wort mit mir wechseln will, oder irgendetwas. Wo ich einfach die Tabletten hinstellen kann und ‚Adieu‘“ (Nadja Engel).

Das beschriebene enge Zeitkorsett bedeutet für viele Pflegekräfte einen grossen

Druck. Wenn sie das Zeitbudget nicht einhalten, werden sie nicht selten kritisiert. Die

Pflegefachfrau Tanja Birnstiel beschreibt:

„Das heisst dann einfach [...] ich bin zu langsam. Und wenn ich irgendwie um Zehn am Morgen, also nach drei Stunden, drei... nein, vier Bewohner gewaschen und angezogen und aufs WC begleitet und Zähne geputzt und sie zum Frühstück gebracht habe und so, und vielleicht noch einen Moment mit ihnen geschwatzt und vielleicht noch zwei, drei andere, die im Gang so prekär gelaufen sind, geschaut habe, dass die nicht umfallen, dann war das einfach zu wenig. Und die haben gefunden, das ist langsam.“

Seite 55

Privatisierungen und Personalabbau als Teil der durchdringenden Ökonomisierung der

stationären Alterspflege manifestieren sich für die Pflegekräfte im erlebten Zeitdruck.

Diese Privatisierungen sind mit Personalabbau und zusätzlichem Stress verbunden,

wie beispielsweise Luca Michel berichtet:

„Als unser Heim privatisiert worden ist. Also wo es von der Stadt privatisiert worden ist. Vorher haben wir noch viel mehr Personal zur Verfügung gehabt und auch noch viel mehr Zeit gehabt mit den Leuten. Also da haben wir noch Zeit gehabt, am Sonntag spazieren zu gehen und so. Und als das dann geändert hat, ist ein sehr grosser Umbruch gekommen.“

Dieses Sparen beim Personal veranschaulicht die Pflegehelferin Tamara Wüthrich mit

einem Beispiel aus eigener Erfahrung:

„Also 18 Bewohner, und wir sind fünf Leute gewesen, die zu denen geschaut haben. Und dann, nach einem halben Jahr, hat sich das Pflegegesetz geändert, und dann sind zwei Abteilungen zusammengeschlossen worden. Dann sind dann plötzlich statt 18 Leute 33 oder 34 Bewohner gewesen und immer noch fünf Angestellte. [...] Und immer noch gleich viel Zeit. Das hat man dann wirklich extrem gemerkt.“

Auch während den Nachtschichten ist immer weniger Personal für laufend mehr

Bewohnende zuständig. Das führt dazu, das Bewohnenden vertröstet werden müssen:

„Und dann müssen wir einfach sagen, nein, gute Frau oder guter Mann, aber erstens

sind wir nur zwei Personen in der Nacht, es sind 87 Bewohner“ (Maria Tschanz).

Aufgrund von Personal- und Zeitmangel fehlt oftmals die Möglichkeit für betreuerische

und aktivierende Tätigkeiten, welche früher vorhanden war, führt Jasmin Müller aus,

welche seit über 40 Jahren als Pflegefachfrau arbeitet:

„Ich mag mich mal erinnern, ich bin mal auf einer Abteilung gewesen, mit 12 oder 13 Heimbewohnern, und wir sind auf jeder Schicht vier Leute gewesen. Und wir haben dort auch nicht nur Schwerstpflegefälle gehabt. Dort haben wir wirklich noch Zeit gehabt für im weitesten Sinne Ergotherapie, Aktivierung usw. mit den Bewohnern zu machen. Das ist unvorstellbar, undenkbar heutzutage“.

Sparen ist heute ein omnipräsentes Thema in vielen Alters- und Pflegeheimen.

Gespart wird überall, nicht nur beim Pflegepersonal:

„Einfach schon beim Materialverbrauch fängt das an. Zum Beispiel fängt es an bei den Einlagen. Unsere Pflegedienstleitungs-Stellvertretung ist für das Inkontinenzmaterial zuständig. Und es ist ja klar aufgeschrieben, welche Bewohner haben welches Inkontinenzmaterial. Und dann wird das auch genau ausgerechnet, wieviel Einlagen darf sie am Tag und in der Nacht verbrauchen. [...] Jetzt muss aber nur mal irgendetwas sein, dass vielleicht eine Bewohnerin eine Blasenentzündung hat, und das läuft ständig. Dann brauchst du mehr Einlagen. Plötzlich hast du keine Einlagen mehr, oder nicht mehr die Grösse“ (Maria Tschanz).

Oder es gibt Einsparungen beim Essen für die Bewohnenden:

„Das ist von... dass man schaut, dass man möglichst billige Produkte einkauft. Dass man... [...] vom Essen her sicher nicht mehr, das denke ich, ist keine ausgewogene Ernährung, die die Leute bekommen in einem Alters- und Pflegeheim. Sondern billige Ernährung“ (Jasmin Müller).

Von manchen Pflegekräften wird die neue Arbeitswelt mit den engen Zeitbudgets

respektive Zeitkorsetts als eine Art der Fabrikarbeit wahrgenommen:

„Ich habe mal temporär drei Monate in der Nahrungsmittelindustrie gearbeitet. Und dann stehst du wirklich am Fliessband, tust die Käsestückchen sortieren [...]. Irgendwann habe ich angefangen, auf die Uhr zu

Seite 56

schauen, wie viele kommen in fünf Minuten, dann habe ich angefangen, zu rechnen, wie viele kommen in einer Stunde. Und manchmal, eben auf der Pflege, wenn du wirklich so viele Leute zu machen hast und so [...] hat es ein bisschen etwas wie Fliessbandarbeit, oder. Bist beim einen, tägg bumm schnell hopp, gehst zum Nächsten, tägg bumm schnell hopp“ (Tamara Wüthrich).

Die Arbeit wird gemäss Christine Fitze „aufgestückelt“. Dies wird von Gewerkschafter

Stern bestätigt:

„[Es werden] arbeitszählige Schritte ein geführt, die zeitbasiert sind, die eigentlich den Menschen an und für sich nur noch zu einem Produkt verkommen lassen, wo man so schnell als möglich einen Schritt vollziehen muss, damit man diesen Schritt schlussendlich in einem Kästchen erfassen kann, das relevant wird für [...] die, die das Geld geben“.

Passend zu dieser Entwicklung ist ein Wandel in der höchsten Führungsebene in den

Alters- und Pflegeheimen. Die Heimleitungen sind heute eher Manager oder

Betriebswirte und keine Pflegefachleute mehr, wie die langjährige und aus der Pflege

kommende Magdalena Christen erklärt:

„Nein, nicht aus der Pflege. Sei es KV, sei es Betriebswirtschaft. Das ist heute ein Management. Weil ich bin eidgenössisch-diplomierter Heimleiterin. Das gibt es heute nicht mehr. Es gibt heute Betriebsleiter, oder Geschäftsleiter, oder fragt mich doch nicht, ich weiss nicht, wie man denen allen noch sagt.“

Die neuen Manager werden als Heimleiter genau wie der Spardruck und die knappen

Zeitbudgets als befremdlich und nicht zur stationären Alterspflege gehörend

wahrgenommen und prägen den Alltag der Pflegekräfte.

6.1.2 Administration, Dokumentation und Kontrolle

Während die Zeit mit den Bewohnenden für Pflege und Betreuung abnimmt, nimmt die

Zeit, welche die Pflegekräfte im Büro für administrative Tätigkeiten, Dokumentationen

und Kontrollen brauchen, zu. Dies geht einher mit dem Gefühl kontrolliert zu werden.

Maria Tschanz beschreibt diese Zunahme der Dokumentationsaufgaben wie folgt:

„Das Aufschreiben nimmt eben leider sehr viel Zeit in Anspruch. Ich weiss, es ist wichtig. Aber wenn ich es so vergleiche mit früher, hat man halt schon mehr Zeit gehabt für die Bewohnerinnen und Bewohner, Patienten. Was ich jetzt eben heutzutage bedauere, dass man nicht mehr so Zeit hat für die Bewohner.“

Heimleiterin Christen spricht von einem eigentlichen „Dokumentationswahn“, der

massiv zunimmt. Isabelle Fuhrmann, welche in der Funktion einer FaGe in

Tagesverantwortung arbeitet, gibt das Verhältnis Administration und direkte Pflege wie

folgt an: „Auf einen Tag würde ich sagen, [...] viel mehr Schreibarbeiten als am Bett

oder beim Bewohner zu sein, sicher [...] 70:30.“ Auch Pflegeassistenzen und -hilfen

verbringen mehr Zeit mit der Dokumentation ihrer Arbeit:

„Und dann hat jeder Bewohner einen Massnahmenkatalog. Das heisst, Massnahmen, das ist eine sehr lange Liste, die man abhaken kann. Auf dieser Liste sind zum Beispiel, schon nur vom Morgen, sind drauf [...] Zeit, Datum nennen; Massnahmen der Tagesverfassung anpassen; Auf die Toilette setzen; von der Toilette wieder wegnehmen; Gebiss reinigen; Mund spülen; Ganzkörperpflege; Intimpflege; Einlagen wechseln. Es ist wirklich eigentlich jeder Handgriff, den man machen muss bei dem Bewohner, ist dort drauf und muss dokumentiert werden“ (Tamara Wüthrich).

Seite 57

Die Dokumentation und Administration wird vor allem für die Krankenkassen gemacht,

welche regelmässig Kontrollen durchführen:

„Lustigerweise gehen sie ja meistens nicht zum Bewohner. Was noch schade ist. Die schauen einfach anhand der Einträge, der Dokumentationen, ob das übereinstimmen könnte mit der Pflegestufe. Und stellen dann auch solche Fragen“ (Elisabeth Jung).

Ebenso müssen Teamleitungen und tagesverantwortliche Pflegekräfte zusätzliche

Aufgaben in der Kontrolle übernehmen:

„Und ich, ich habe mich auch, oder fühle mich auch heute nicht so wohl in dieser Rolle, als Kontrolleur oder so. Ich habe nie Polizist werden wollen, und jetzt habe ich manchmal das Gefühl, sei ich. Und das ist nicht so mein.“ (Nadja Engel).

Schliesslich nimmt auch die Kontrolle der Mitarbeitenden untereinander zu, zum

Beispiel ob andere Pflegekräfte das Zeitbudget einhalten: „Also die Mitarbeiter selber

sind ja noch ein gutes Instrument [zur Kontrolle. ...] Also es ist eigentlich ein recht

deftig gewesenes Kontrollinstrument“ (Tanja Birnstiel). Diese gegenseitige Kontrolle

wird, wie der zunehmende administrative Aufwand für die Dokumentationen, als grosse

Last wahrgenommen.

6.1.3 Digitalisierung

Ein grosser Wandel in der Arbeitswelt entstand durch den gesteigerten

Dokumentations- und Kontrollaufwand auch hinsichtlich der technischen Hilfsmittel. Es

findet eine starke Digitalisierung statt. In immer weniger Alters- und Pflegeheimen

werden die Pflegedokumentationen und Bewohnendendossiers noch handschriftlich

geführt. Vielmehr wird heute der Computer eingesetzt, da es kaum mehr anders geht:

„Weil [...] das ist einfach ein Krieg. [...] Heute, wo man für alles irgendeinen Beleg braucht oder ein Rezept und jedes Pflaster abrechnen muss, hast du so viele Dokumente, du kannst das fast nicht mehr alles in einer handgeschriebenen Pflegedokumentation unterbringen“ (Nadja Engel).

In der Mehrheit der Alters- und Pflegeheime müssen Pflegekräfte sämtliche

Tätigkeiten, Vorkommnisse, Belege etc. digital erfassen oder es in naher Zukunft tun.

Diese digitale Erfassung kann mit einem PC, Laptop oder über ein tragbares Gerät

geschehen:

„Der Computer kommt jetzt dann, wir bekommen dann ein Gerät, das wir quasi auf uns tragen, wie im Service, wo man sieht, was man bestellen kann. Und dann tut man dann einfach beim Heimbewohner, Zimmer sowieso, tut man abrechnen, was man gemacht hat oder eben nicht gemacht hat aus dem Betrieb“ (Jasmin Müller).

Selbst ältere Pflegeassistentinnen müssen sich heute mit dem Computer arrangieren:

„Also Computer hat mich mehr gestresst. Es sind vielleicht zwei Laptops, und dort sollte jede einschreiben, oder, und das ist ein bisschen mühsam. [...] Oder aber jetzt wollen sie es umstellen, sie haben das Gefühl, es werde einfacher und besser. Für mich jetzt nicht, ich bin halt nicht ein Computerfreak, ich bin auch nicht mit dem aufgewachsen“ (Sabine Kurz).

Seite 58

Die Computerprogramme dienen nicht nur der Dokumentation. Sie berechnen

beispielsweise nach einem Assessment die Pflegestufe des Patienten und damit die

Zeit, welche die Pflegekräfte bei diesem verbringen dürfen: „Und das machst du 14

Tage lang, und das gibst du dann in ein Computer ein. Und der spuckt dir dann so eine

Pflegestufe aus.“ (Isabelle Fuhrmann). Einige Programme übernehmen heute für die

Pflegekräfte anhand der gemachten Eingaben bereits die Pflegeplanung: „Wenn du

etwas eingibst, zum Beispiel, ja, was dem Patienten fehlt, dann stellt es eigentlich

gleich, gibt der Computer gleich so Pflegeprobleme und -lösungen“ (Tanja Birnstiel).

Und die Digitalisierung geht weiter. So arbeiten die ersten Heime bereits mit

Strichcodes zur Dokumentation der Leistungen, wie man es beispielsweise aus dem

Detailhandel kennt:

„Und dann gibt es noch die Heime, das ist noch ‚ganz verreckt‘, die haben pro Bewohner einen Strichcode. Und das Zimmer hat auch den Strichcode. Und jedes Mal, wenn Sie in das Zimmer gehen, tun sie abcoden, wie in der Migros, und dann hat es darunter noch Leistungen, die Sie auch gleich erfassen. Dann haben Sie die Leistung erfasst plus die Zeit“ (Magdalena Christen).

Der Pflegeberuf wird damit Schritt für Schritt von der Digitalisierung in Beschlag

genommen. Die Computer bestimmen, wenn auch in unterschiedlichen Umfang, den

Alltag der Pflegekräfte. Das Bedienen dieser Geräte ist eine neue Fähigkeit, die zum

Beruf gehört.

6.1.4 Arbeitsteilung und Hierarchie

Was sich ebenfalls stark verändert hat in den letzten Jahren, ist die Arbeitsteilung der

Pflegekräfte untereinander. In den 1990er Jahren wurde teilweise sogar noch die

Hauswirtschaft von den Pflegekräften erledigt: „Und als ich angefangen habe, haben

wir alle alles gemacht. Das heisst, ich habe nie gekocht. Aber sonst haben wir alle alles

gemacht. Also wir sind alle in die Küche helfen, wir sind alle in die Waschküche helfen,

im Hausdienst“ (Magdalena Christen). Heute gibt es hingegen nicht nur eine klare

Arbeitsteilung zwischen den Bereichen Pflege und Hauswirtschaft, sondern auch

zwischen den Pflegekräften untereinander:

„Früher hat es, also die Hierarchiestufen hat es auch gegeben, das ist klar, aber das ist kein Problem gewesen. [...] Weil die Teilung ist mittlerweile ganz krass. Also pflegen tut heute in der Regel die Pflegehelferin und Pflegeassistentin. Und die anderen, die rennen einfach mit Medikamenten herum und mit Spritzen und mit Verordnungen und mit Bestellungen und mit Arztvisiten und Telefon und hier und da und dort. Ja. Das ist das. Du stehst nicht mehr häufig am Bett, als Pflegefachfrau“ (Jasmin Müller).

Die Betreuung und Grundpflege wird heute mehrheitlich von den Pflegeassistenzen

und -hilfen erbracht. Bei der Betreuung bedeutet dies:

„Also normalerweise sind das Aufgabe, die von den Pflegeassistenten und Pflegehelfern und auch Lernenden übernommen werden. Spaziergänge. Beschäftigen mit den Bewohnern. So etwas halt. Oder einfach nur mit dem Bewohner in die Cafeteria mal runter gehen. Bei schönem Wetter draussen auf der Terrasse sitzen. Einen Kaffee nehmen“ (Dagmar Polzin).

Seite 59

FaGe und Pflegefachfrauen HF machen hingegen Behandlungspflege, Führung und

Dokumentation und verbringen damit viel weniger Zeit mit den Bewohnenden:

„Also es ist so, dass die Hauptlast der Grundpflege von Pflegegehilfen gemacht wird, also angelerntem Personal [...] das eine Schnellbleiche gemacht hat, vom Roten Kreuz, oder zum Teil FaGe noch. Und die wirklich gut ausgebildeten Fachleute, die sind in der Kaderposition, die tun Pflegeplanung machen, die tun, ja, die Assessments machen, die geriatrischen Assessments, die Fragebögen ausfüllen. Und die teilen ein und sagen den Leuten, was sie machen müssen. Und machen die Behandlungspflege, komplizierte Sachen, Verbände, komplizierte Medikamentenabgabe usw. Aber das heisst, mehr und mehr, also die Hauptlast der Grundpflege wird von nicht sehr gut ausgebildeten Leuten, also angelernten Leuten, gemacht“ (Christoph Uetz).

Zwischen den FaGe und den HF ist in der stationären Alterspflege noch ein Prozess

zur endgültigen Arbeitsteilung im Gange. Oftmals übernahmen seit 2011 die sekun-

dären FaGe vollständig die Aufgaben von Personen mit einem tertiären Berufs-

abschluss in einem Pflegeberuf:

„Es gibt Orte, wo die FaGe als Zweitklassenpflegende behandelt werden. Und prinzipiell ist das Nonsens. Weil in den meisten Bereichen der Langzeitpflege Fachangestellte Gesundheit sind genauso gut wie die hoch ausgebildeten Bachelor of Nursing oder Master of Nursing. [...] Aber die braucht es für Studienleitungen, für kompliziertere Sachen und für höhere Kaderfunktionen. Und ich denke, dass die FaGe idealerweise, wir haben ganze Abteilungen gebildet nur mit FaGe. Und wo alles von den FaGe gemacht wird“ (Christoph Uetz).

Die unklaren Profile für FaGe und Pflegefachpersonen HF führen zu einem steten

Spannungsfeld, wie beispielsweise der Rektor einer Höheren Fachschule, Lorenz

Eggenschwiler, anfügt:

„Es gibt auch verschiedene Modelle, wobei, was ich ganz sicher auch sage, dort gibt es Klärungsbedarf. In der Tradition hat man ja zum Teil sogar Diplomierte und FaGe einfach genau gleich eingesetzt. Und das finde ich geht auch nicht. Du musst wirklich ein differenziertes Einsatzprofil haben, für die HF und für die FaGe. Und du musst auch interessantere Aufgabe haben können, wenn du als Arbeitgeber attraktiv sein willst für eine Diplomierte. Du musst der auch aufzeigen können, was sie da für Aufgaben, anders als eine FaGe, wahrnehmen können“ (Lorenz Eggenschwiler).

Nadja Engel, welche als FaGe die Ausbildung zur Pflegefachfrau HF macht, reflektiert

über ihren erlernten Beruf:

„FaGe ist eine relativ praktische Erfindung gewesen, gerade für die Langzeitinstitutionen. Weil man einerseits immer ein wenig Mühe gehabt hat, um überhaupt diplomiertes Personal zu finden, andererseits kostet aber die FaGe auch wesentlich weniger. Also FaGe kostet etwa einen Tausender weniger als die Diplomierte. Und für die FaGe ist halt gewesen, da sie im Spital nicht wahnsinnig viel zu sagen hat, arbeitet sie nur als Hilfspersonal. In den Langzeitinstitutionen kann sie volle Verantwortung übernehmen.“

Rektor Eggenschwiler sieht in der zunehmenden Differenzierung starke

„Arbeitgeberinteressen“, welche sich auch in der Ausbildung niederschlagen und zu

einer stärkeren Spezialisierung der Personen auf der tertiären Stufe wie den

Pflegefachpersonen HF führt. Diese Entwicklung ist genauso wie die Arbeitsteilung

zwischen den einzelnen Stufen ein neues Element der Ökonomisierung der

Arbeitswelt. Die Arbeitsteilung führt zu neuen Berufsinhalten, verschiebt andere und

wird von den Pflegekräften kritisch beäugt.

Seite 60

6.1.5 Arbeitsbedingungen

Bei den Arbeitsbedingungen lässt sich insbesondere in den Bereichen Arbeitszeiten

und Einsätze eine starke Flexibilisierung feststellen. Geteilte Dienste, also

unzusammenhängende Arbeitseinsätze am selben Tag, nahmen in den letzten Jahren

massiv zu:

„[...] dann finden sie einfach, die Leute müssen halbe Dienste machen. Und jetzt, wenn ich gekommen bin, hat es geheissen, ja, die Hälfte der Dienste müssen etwa halbe Dienste sein. Und schlussendlich habe ich einfach nur halbe Dienste gehabt. Und das heisst einfach, [...] du bist an gleich vielen Tagen anwesend wie jemand, der Vollzeit arbeitet. Und entweder so, dann halbe Dienste, oder geteilte Dienste, [...] der Dienst ist einfach immer dann, wenn die meiste Arbeit anfällt“ (Tanja Birnstiel).

Gleichzeitig wird von den Verantwortlichen in den Alters- und Pflegeheimen oft mit zu

wenig Personal kalkuliert. Das führt dazu, dass viele Pflegekräfte nicht selten kurzfristig

einspringen müssen und die Pläne auch unterhalb der gesetzlichen Frist von zwei

Wochen erneut geändert werden:

„Also wir bekommen [...] Montag ist der Plan, vielleicht zwei Tage, bevor er anfängt, bekommen wir den ausgehändigt. Er wird auch einfach umgeändert, also man kommt her, schaust schnell drauf, ah, eigentlich hätte ich morgen frei gehabt, jetzt habe ich nicht frei, ja gut, fragen wäre eine Idee, aber das finden sie nicht nötig. Es wird einfach über einen verfügt“ (Tamara Wüthrich).

Gleichzeitig wird die Teilzeitanstellung zum Normalfall. Wegen dem zunehmenden

Druck und Stress des Pflegeberufes einerseits und der Attraktivität der geteilten

Dienste für die Arbeitgeber andererseits, werden 100 %-Stellen immer seltener:

„Ja, es gibt noch so vereinzelte. Aber die, die sind natürlich... fallen von einem Burnout zum anderen. Haben regelmässig ihre Kranktage. Sie haben null Nerven mehr für die Heimbewohner. Und klar, das ist... das merkt man gut. Dort ist, gerade bei den Hochprozentigen, habe ich das Gefühl und den Eindruck, und auch, wie sie reden, der ist einfach für die nur noch lästig“ (Jasmin Müller).

Neben der Zunahme von Burnouts fallen auch der Anstieg von Fluktuationsraten und

Berufsaussteigerinnen in der stationären Alterspflege ins Auge:

„Also de facto, auf Betriebsebene, wenn man die Zahlen anschaut, haben wir relativ viele Leute, die den Job wechseln. Die nicht umgehen können, auf die Länge, mit dieser Dissonanz. Man hat eine nicht allzu lange Verweildauer. Das wiederum führt natürlich dazu, dass man auch Personalmangel hat. Das andere ist, man merkt so, und es sind grösstenteils Frauen, die in diesen Jobs arbeiten, dass sie nach ihrer Familienpause gar nicht mehr einsteigen“ (Andreas Stern).

All dies führt zu negativen Auswirkungen auf das Privatleben der Pflegekräfte:

„Es ist halt schon so, seine Hobbies, wenn man ein Hobby hat, geht das halt schon ein bisschen in den Hintergrund. Man kann nicht mehr jeden Dienstag in einen Turnverein. Weil dann hat man Spätdienst, man hat Nachtwache. Oder ich bin noch im Samariterverein und mache noch, bin Kursleiterin und technische Leiterin. Gebe Kurse, gebe Übungen, und da muss ich manchmal fast ein wenig darum kämpfen, dass ich frei bekomme dafür. Es wird nicht so Rücksicht genommen darauf“ (Maria Tschanz).

Ebenfalls sind viele Personen „total erschöpft“ und „ausgelaugt nach der Arbeit“ und

haben kaum mehr Kraft für soziale Kontakte (Dagmar Polzin). Auf der monetären

Ebene gibt es Kritik an der ungenügenden Lohnentwicklung. Die Löhne sind in den

letzten Jahren kaum angestiegen. Die Löhne des Assistenz- und Hilfspersonal stehen

Seite 61

sogar unter Druck nach unten. So stellt sich beispielsweise die Pflegefachkraft Tanja

Birnstiel in der Lohnfrage das ideale Lohngefüge vor:

„Ich würde sicher allen genug Lohn zahlen... Also ich würde sicher schauen, dass die Unterschiede in den verschiedenen Berufsgruppen nicht so gross sind. Also zwischen den verschiedenen Ausbildungen, sage ich einmal. Es ist ja gerade in den Altersheimen arbeiten ja viele mit einem SRK-Kurs. Das ist ja eigentlich so eine dreimonatige Ausbildung. Und die arbeiten meistens zum Mindestlohn. Also für 4'000 Franken“.

Verglichen mit der Zunahme der Kosten im Gesundheitswesen hätten die Löhne bei

einer parallelen Entwicklung stark ansteigen müssen. Dies würde auch die Attraktivität

des Berufes steigern, merken mehrere Personen an: „Und es braucht auf der Ebene

der Zuschläge und der Löhne eine massive Bewegung“ (Andreas Stern). Grundsätzlich

gilt festzuhalten, dass die Arbeitsbedingungen durch die Ökonomisierung eher prekärer

geworden sind.

6.1.6 Spielraum vorhanden?

Für die Interviewten war klar, dass es einen relativen Gestaltungsspielraum für die

Alters- und Pflegeheime gibt. Wie gross der ist, darüber ist man sich uneinig. Isabelle

Fuhrmann denkt dazu, „dass trotz allem was passiert, was heute ist mit dem ganzen

Krankenkassenabrechnungssystem und so, dass es sicher gute Arbeitsorte gibt.“

Pflegefachfrau Müller widerspricht dem: „Gut, ich muss gleich ehrlich sagen, ich kenne

viele Heime, ich habe einen grossen Bekanntenkreis in der Pflege. Was ich mir jetzt als

gut vorstellen würde, hab ich schon seit Langem nicht mehr gehört, dass es das noch

gibt.“ Rektor Eggenschwiler hingegen weist darauf hin, dass für einige Unternehmen

die stationäre Alterspflege ein gutes Geschäft ist: „Also die verdienen Geld. Also das

heisst, es kann nicht so sein, dass das Geld nicht reichen würde. Also wenn man einen

Gewinn herausnehmen kann, dann kann man das ja offenbar mit diesen

Rahmenbedingungen eigentlich recht gut geschäften.“ Die erfahrene

Gesundheitspolitikerin Fitze kann aufzeigen, dass es Alters- und Pflegeheime gibt,

welche bessere Arbeitsbedingungen anbieten als die öffentliche Hand, und: „Es gibt

sehr viele Best Practices und Ideen, die man verwirklichen kann.“ Auch

Gewerkschafter Stern meint, dass es Arbeitgeber gibt:

„die sich in den Rahmenbedingungen probieren, so zu verhalten und auch zu handeln, dass es für die Menschen, die dort arbeiten, so angenehm wie möglich ist. Das gibt es sicher. Klar, da gibt es Arbeitgeber, die probieren, innerhalb dieses Rahmens, ihr Möglichstes zu machen, und einigermassen menschenwürdige Arbeitsbedingungen anzubieten.“

Trotz des angetönten Spielraumes sind die Veränderungen der Arbeitswelt durch die

Ökonomisierung für die Pflegekräfte deutlich sichtbar. Sie treten in unterschiedlichen

Intensitäten und Umfang auf. Die Zerstückelung der Pflege in einzelne

medizinaltechnische Schritte mit Zeitbudgets ohne psychosozialen und betreuerischen

Anteil und der andauernde Spardruck sind überall feststellbar. Dadurch haben die

Seite 62

Pflegekräfte viel weniger Zeit, welche sie mit Pflege der Bewohnenden verbringen.

Gleichzeitig nimmt der zeitliche Aufwand für administrative Arbeiten, Kontrollen und

Dokumentationen zu Handen der Krankenkassen zu. Zu diesem Zweck halten nach

und nach digitale Dokumentations- und Kontrollprogramme Einzug in die Alters- und

Pflegeheime. Massiv gestiegen ist auch die Arbeitsteilung unter den Pflegekräften

entlang der Stufen ihrer Ausbildung. Schliesslich sind die Arbeitsbedingungen von

Prekarisierung bedroht. Kein Wunder, dass einige Pflegekräfte ihren Beruf infolge der

Ökonomisierung kaum mehr wiedererkennen.

6.2 Widersprüche zwischen Berufsethos und ökonomisierter Arbeitsweise

Um das Ethos der Pflegekräfte zu verstehen, ist es wichtig nachzuvollziehen, was gute

Pflege für Pflegekräfte in der stationären Alterspflege bedeutet. Elisabeth Jung bringt

dies auf den Punkt:

„Gute Pflege... Für mich wäre das wirklich, wenn ich Zeit hätte für die Bewohner. Wenn ich mir Zeit nehmen könnte, wenn ich wüsste, es sind noch fünf andere am Pflegen, und ich kann mir hier für den Bewohner Zeit nehmen. Die Frau, wo ich jetzt das Gefühl habe, die will nicht duschen heute, sondern die will über ihre Vergangenheit reden, dann könntest du vielleicht zuerst eine halbe Stunde mit ihr über die Vergangenheit reden, und dann doch noch duschen, weil sie nach einer halben Stunde doch noch das Gefühl hat, sie möchte duschen.“

Gute Pflege hat, das haben alle Interviews mit Pflegekräften sowie die teilnehmenden

Beobachtungen gezeigt, mit genug Zeit und der Individualität und dem Wohlergehen

der Bewohnenden zu tun. Die Bewohnenden sollen glücklich sein und im Mittelpunkt

stehen. Pflege wird dabei nicht nur medizinaltechnisch verstanden, sondern

gesamtheitlich. Betreuung, Emotions- und Gefühlsarbeit spielt dabei eine wichtige

Rolle. Diese fehlt heute für viele Pflegekräfte, um von einer guten Pflege sprechen zu

können. So meinte beispielsweise Isabelle Fuhrmann in Bezug darauf was gute Pflege

brauche: „Das ist für mich mehr Betreuung, und das findet nicht statt. Also die Leute

sind eigentlich auf der Ebene, auf der psychosozialen Ebene, sind sie einfach sich

selbst überlassen.“ Tanja Birnstiel geht bei ihrer Definition noch stärker auf das

Wohlbefinden der Bewohnenden ein:

„Pflege an und für sich ist [...], wie soll ich jetzt sagen, [...] es ist so die Vermittlung des Wohlbefindens, wenn sich das jemand selber nicht mehr kann. Einfach dort in denen Bereichen halt unterstützen, wo es mangelt. Dass jemand leben kann und sich wohl fühlt.“

Gute Pflege ist nicht nur etwas Kurzfristiges, sondern auf eine längerfristige Beziehung

zwischen der Pflegekraft und den Bewohnenden angelegt:

„Man baut ja eine Beziehung auf, in der Langzeitpflege vor allem, man lernt einander kennen. Und das ist eben wirklich, also, es gibt auch viel wirklich gute Gespräche mit den Bewohnern, und ja, irgendwie, wie soll ich sagen, sie wachsen einem ans Herz. Und das ist dann eben auch das Schöne. Und man will ihnen etwas Gutes tun. Ich will, dass es den Bewohnern gut geht und ich tue wirklich auch mein möglichstes, was ich kann, dass es ihnen gut geht, oder“ (Tamara Wüthrich).

Seite 63

Eng verbunden bleiben die Pflegekräfte nach wie vor mit der Idee des Helfens:

„[...V]iele Pflegende haben eigentlich das Gefühl, sie wollen helfen, und dann kannst

du doch nicht einfach die [Bewohnenden] im Stich lassen. [...] Vielleicht habe ich ein

Helfersyndrom (lacht)“ (Sabine Kurz). Einige Interviewten versuchten auch, ihr

Berufsethos selbst zu definieren. Nadja Engel zitiert dazu die internationalen ethischen

Grundsätze des Pflegeberufes: „Aber wir arbeiten eigentlich schon mit den Tugenden

[...]. Nicht schaden, Gutes tun... Gerechtigkeit und nochmal irgendwas... sie haben

noch mal einen... Autonomie [...].“ Oder kurz auf den Punkt gebracht von Dagmar

Polzin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Zusammenfassend lässt sich

sagen, dass das Erbringen von einer gesamtheitlichen, qualitativ guten Pflege im

Mittelpunkt des Berufsethos steht und die Pflegekraft sich dazu dem Wohlergehen der

Bewohnenden unterordnet.

Wieso üben aber die Pflegekräfte ihren Beruf aus? Der Beruf in der stationären

Alterspflege wird gemäss den interviewten Personen wegen der Beziehungen und

Emotionen rund um die Arbeit mit den Bewohnenden gewählt:

„Weil sehr viel zurückkommt. Wenn ich herkomme, und es heisst, [...] ich habe 14 Tage Ferien gehabt, oh schön, sind Sie wieder da, und jetzt geht die Sonne auf, wenn Sie ins Zimmer kommen. Das ist das, was mich... oh nein, das ist doch schön, oder! [...] Ich sage immer, wenn ich ins Zimmer komme, und der im Bett oder die im Bett sagt, ‚Jetzt kommt noch die‘, dann höre ich auf, dann ist etwas nicht mehr gut für mich. Dann geht es nicht mehr. Klar sind die nicht immer gut aufgelegt, und so. Aber es geht ihnen vielleicht schlecht. Und wenn ich drin war, und ich herausgehe, möchte ich, dass es ihnen wenigstens ein bisschen besser geht. Also sie sind nicht gesund, ich habe nicht Illusionen. Aber wenigstens fühlt er sich besser, vielleicht tut ihm der Rücken nicht mehr weh, vielleicht tut ihm das Bein nicht mehr weh... Vielleicht habe ich ihm ein Kaffee bringen können, irgendetwas habe ich tun können“ (Sabine Kurz).

Die direkte Interaktion mit den Bewohnenden ist bei der Arbeit für die Pflegekräfte

wichtig:

„Einfach die Bewohner, die mir, wie gesagt, viel geben. Und wir nehmen uns manchmal auch in die Arme. Es gibt Bewohner, die mich umarmen. Ich habe auch schon mal einen Kuss auf die Wange bekommen. [...] Man erlebt auch lustige Sachen, über die man lachen kann, auch mit den Bewohnern, wo man wirklich herzhaft mit ihnen lachen kann. Und das ist doch das Schöne“ (Maria Tschanz).

Beziehungen müssen dabei aufgebaut und gepflegt werden. Dabei geben die

Pflegenden auch einen Teil ihrer selbst zum Wohl der Bewohnenden:

„Ich kann immer noch ein Stück von mir geben. Und sie so ein Stück weit glücklich machen und zufrieden machen. Und für mich ist einfach immer noch so ein Stück ganz ganz ganz ganz doll, toll, wenn sie zu mir sagen: ‚Dagmar, schön sind Sie da. Wenn Sie da sind, weiss ich, es funktioniert. ‘ Und ich fühle mich nicht alleine. Und das lässt mich eigentlich immer wieder aufstehen“ (Dagmar Polzin).

Den Bewohnenden kommt die höchste Bedeutung zu, sie sollen im Mittelpunkt stehen

und qualitativ gute Pflege erhalten. Das ist ein zentraler Bestandteil ihres Berufsethos.

Für viele Interviewte steht dies jedoch im Widerspruch mit der Ökonomisierung:

„Also ganz pauschal hätte ich gerne den Ökonomisierungsgedanken wieder weg von der Pflege. Ich wünschte mir, dass ich die Zeit hätte, am Tag, [...] auf jeden Patienten oder jeden Bewohner so einzugehen, wie er halt einfach ist. Und er individuell, und [...] nicht die zehn anderen, oder so. Ich glaube,

Seite 64

das wäre mein grösster Wunsch. Alles andere ist mir gleich. [...] Dass ich könnte, eigentlich, wenn es geht, jeden Abend heimgehen und das Gefühl haben, heute habe ich meine Arbeit gut gemacht. Und nicht, wie in 99 % der Fälle, hm, ist wieder nicht so toll gewesen heute“ (Nadja Engel).

Der zunehmende Stress, das fehlende Personal und die fehlende Zeit werden als

Verlust der Pflegequalität wahrgenommen: „Ich denke, wenn sie Personal sparen,

sparen sie bei der Qualität ein. Ganz automatisch. Ist sonst gar nicht möglich“

(Magdalena Christen). Dies bestätigt auch Luca Michel, der in Ausbildung zum

Pflegefachmann HF ist:

„Weil ich denke, schlussendlich, wenn man immer im Stress ist, irgendwann schraubt man so weit zurück, dass man einfach durch mag. Und dann leidet die Qualität, weil man eben so kleine Sachen, die auch gut tun würden, einfach ausblendet.“

Genauso werden die Normierung der einzelnen Arbeitsschritte und die Zeitbudgets als

Widerspruch zum eigenen Berufsethos wahrgenommen: „Eben, ich bin keine

Maschine. Ich kann nicht sagen, bei dem Bewohner habe ich jetzt zehn Minuten. Es

kommt ja immer auf seine Verfassung an“ (Maria Tschanz). Das Finanzierungssystem

wird von vielen Pflegekräften negativ gesehen. So schafft es falsche Anreize: „Wenn

eine Person im Rollstuhl sitzen würde statt selbst zu laufen. Dann würde mehr bezahlt

werden“ (Tanja Birnstiel). Solche Fehlanreize, wie Bewohnende im Rollstuhl zu pflegen

statt ihnen zu helfen selbstständig zu sein, widersprechen klar dem eigenen

Berufsethos. Oder wie Jasmin Müller es beschreibt:

„Also man nimmt sich nicht mehr Zeit, beim Duschen des Heimbewohners zum Beispiel, den zu aktivieren, zu motivieren, dass er sich selber wäscht. Weil ich bin viermal schneller, wenn ich es mache. Und wundere mich dann, nach drei Wochen, dass er sich gar nicht mehr das Gesicht waschen kann. [...] Man hat keine Zeit mehr für die Heimbewohner, ist ganz klar.“

Immer weniger erinnert an den ursprünglich gelernten Beruf, was zu inneren Konflikten

führen kann:

„Die eigentlich den Job auch gelernt haben und gemacht haben, weil sie für die Menschen etwas machen wollen, und so aber immer mehr zu Leuten verkommen, die Teil der Arbeitsteilung werden, so wie man das früher hatte in der Anfangszeiten der Industrie, oder jetzt teilweise immer noch hat. Und dass es natürlich einen riesengrossen Unterschied gibt zwischen Menschen, mit denen man zu tun hat, und Produkten“ (Andreas Stern).

Die Pflegekräfte sowie die Expertinnen und Experten sehen einen klaren Widerspruch

zwischen der Ökonomisierung und ihrem Pflegeethos und der Idee, wie gepflegt

werden sollte:

„Ich glaube einfach nicht, dass es funktionieren kann. Ich glaube nicht, dass irgendetwas mit Menschen, und insbesondere noch mit schwer kranken Menschen, das böse gesagt nur noch auf das Sterben hin gepflegt werden, dass das kann oder soll rentabel sein. [...] Das kann nicht funktionieren. Und sonst macht man Fliessbandarbeit, aber dann ist es nicht mehr... dann ist es nicht mehr patientenzentriert oder so. [...] Ich glaube, das ist ein Widerspruch als Ganzes. Es kann nicht rentabel sein“ (Nadja Engel).

Auch wird auf den Widerspruch des knappen Zeitkorsetts und der nötigen Emotions-

und Gefühlsarbeit hingewiesen. „Auf der einen Seite solltest du einfühlsam sein,

geduldig sein, alles. Und auf der anderen Seite verlangen sie speditives Arbeiten, Zeit

Seite 65

einhalten. Dort bin ich im Clinch“ (Maria Tschanz). Die Widersprüche werden als so

gross wahrgenommen, dass Pflegekräfte vor der Aufgabe stehen, inkompatible Dinge

miteinander zu vereinen:

„Weil es nicht funktioniert. Es funktioniert einfach nicht. Ich weiss gar nicht, wie ich das erklären soll. Da fehlen mir die Worte. [...] Ich finde einfach, wir sollten nicht zu allem Ja und Amen sagen. Wir sollten... [...] was nicht geht wird gehend gemacht, sage ich immer“ (Dagmar Polzin).

Die Ökonomisierung und ihre Begleiterscheinungen führen dazu, dass sich der Beruf

verändert. Dadurch entspricht der Beruf nicht mehr der ursprünglichen Motivation:

„Ja, das ist ein Widerspruch. Weil ich denke noch heute, wenn man den Pflegeberuf lernt, hast du eigentlich immer noch die Vorstellung, [...] ich habe noch Kontakt. Ich kann jemandem im weitesten Sinne helfen. Ich kann für jemanden da sein. Ich helfe dann, ich mache, ich schaffe mit dem Patienten zusammen, Heimbewohner. [...]. Wenn sie wirklich Büro machen wollen, da machen sie eine KV-Ausbildung usw. Und ich kenne jetzt auch sehr viele, die den Beruf lernen, aber nicht drauf arbeiten. Eine HF-Ausbildung machen, aber nicht da drauf arbeiten“ (Jasmin Müller).

Der Widerspruch äussert sich auch bei der Ausbildung und der erlebten Pflegepraxis.

„Was haben wir gelernt... Das ist eben schon noch anders gewesen“ (Sabine Kurz).

Auch der Rektor der Höheren Fachschule sieht einen Widerspruch zwischen

Professions- und Arbeitgeberinteressen:

„Es hat so ein wenig, also auf einer übergeordneten Ebene würde ich noch ein wenig anders antworten. Es gibt Arbeitgeberinteressen und es gibt Professionsinteressen. Professionsinteressen im Sinne von Best Practice, was sind die Standards in der Pflege, was weiss man aus Evidence Based Nursing, was ist eigentlich... Was wäre eigentlich das Richtige, das zu tun wäre. Und die Arbeitgeberinteressen, die möglichst kostengünstig, möglichst effizient, wirklich nur gerade das, das wirklich nötig ist, und sicher nicht mehr – das sind so zwei Pole“ (Lorenz Eggenschwiler).

Die Politikerin Christine Fitze versucht die Widersprüche politisch zu verorten und sie

sieht sie nicht als Teil des Links-Rechts-Schemas sondern tiefer liegend: „Ich würde

nicht einmal sagen, es ist ein Links-Rechts-Graben, sondern es ist ein Kapital-

Menschen-Graben“. Die Widersprüche ziehen sich von der Ausbildung, zum

Berufseinstieg über das ganze Arbeitsleben hinweg. Alles in allem erleben damit die

Pflegekräfte bewusst einen grossen Widerspruch zwischen ihrem Berufsethos und der

Ökonomisierung. Pflege hat sich für sie am Wohl der Bewohnenden zu orientieren.

Dies ist durch die Ökonomisierung in manchen Bereichen nicht mehr der Fall und steht

im Widerspruch zum Berufsethos.

6.3 Reaktionen der Pflegekräfte auf die Ökonomisierung

Es zeigen sich unterschiedliche Arten von Reaktionen der Pflegekräfte auf die

Ökonomisierung der stationären Alterspflege. Nachfolgend werden die wichtigsten

aufgezeigt. Diese Reaktionen der Pflegekräfte können sowohl einzeln, als auch in

verschiedenen Kombinationen in Erscheinung treten.

Seite 66

6.3.1 Übernahme eines neuen Arbeitsstiles

Eine mögliche Reaktion ist die Übernahme eines neuen, der Ökonomisierung

angepassten Arbeitsstiles. Dieser beruht auf dem Einhalten der Zeitbudgets durch

schnelleres Arbeiten und dem Inkaufnehmen einer tieferen Pflegequalität:

„Wir sind zwangsläufig schneller, und auf der Strecke bleibt der Heimbewohner. [...] Jetzt geht man einfach durch, weiss genau, der hat dieses, jenes. Ein Bad, eine Toilette, Verband wechseln usw. Und das heisst einfach, dass die Arbeit ganz sicher flüchtiger gemacht wird. Schneller“ (Jasmin Müller).

Die pflegerischen Aufgaben werden gemäss den Vorgaben erfüllt, doch es zeigt sich,

dass es unterschiedliche Qualitäten gibt. Eine dem Zeitregime entsprechende

Ausführung wirkt zwar nach aussen gut, doch ist sie für die Pflegekräfte und die

Bewohnenden nicht befriedigend:

„Und ich habe nicht die Zeit, um ihnen diese Zeit zu geben, die sie brauchen. Das heisst, anstatt dass sie sich das Gesicht selbst waschen, weil es einfach zu lange geht, nehme ich den Lappen und muss das machen. [...] Das reicht einfach meistens, reicht das nicht um eine richtige Mundpflege zu machen. Es ist quasi... Die Leute müssen einfach, wie soll ich sagen. Von aussen muss es gut aussehen. Aber was dann wirklich gemacht ist, ist eigentlich egal...“ (Tamara Wüthrich).

Zudem gehört zum neuen Arbeitsstil ein klares Setzen von Prioritäten. Das kann

einerseits heissen, dass Bewohnende zeitlich vertröstet werden müssen, anderseits,

dass nicht alle gleich gut behandelt werden:

„Ja, ich setze schon ein wenig Prioritäten. Und eben, manchmal, ich muss einfach auch lernen, dass ich zwischendurch auch aus dem Zimmer gehe und beim nächsten Bewohner anfangen gehe. Einfach so „switchen“, hin und her „switchen.“ Ich muss einfach, eben manchmal muss ich auch dem Bewohner sagen, so jetzt muss ich wieder gehen“ (Maria Tschanz).

Die Ökonomisierung macht es nötig, dass die Pflegekräfte schneller und mit anderen

Prioritäten arbeiten als bis anhin. Nicht die grösstmögliche Pflegequalität steht dabei im

Mittelpunkt, sondern die Einhaltung der Vorgaben.

6.3.2 Übernahme der Denkweise und Kontrollfunktion

Eine weitere Reaktion neben dem angepassten Arbeitsstil ist die vermehrte

Übernahme des ökonomischen Denkens. Für die Pflegekräfte ist der Beruf des

Pflegens dadurch nichts Spezielles mehr: „Das ist ein Job wie jeder andere. Es ist halt

auch der einfachste Weg. Am wenigsten Widerstand“ (Tanja Birnstiel). Dies kann auch

Karrieren innerhalb des Berufes ermöglichen. Beobachtbar sind dabei auch eine

stärkere Faszination an dem medizinischen Teil des Berufs und eine Abkehr von

Emotionen, Gefühlen und Betreuung:

„Es sind nicht alle so, aber die gibt es eben auch, die dann irgendwie einfach die Möglichkeit ergriffen haben, aufzusteigen in der Hierarchie. Und wo du einfach merkst, dort ist mehr das Funktionelle. [...] Die orientieren sich durch Verbände, Medikamente sind wichtig und so, und der Mensch ist irgendwie wie zweitrangig. [...] Denen ist irgendwie alles scheissegal, kommen einfach arbeiten damit man das Geld daheim hat. [...] Aber es gibt so die mit dem Herzen und die, denen das Medizinische, wichtiger ist als der Mensch“ (Isabelle Fuhrmann).

Seite 67

Mit der Übernahme des ökonomischen Denkens einher geht eine Abkehr vom

bisherigen Berufsethos und damit von der guten Pflege:

„Aber vollumfängliche, gute Pflege... das würde ich heutzutage ehrlich gesagt etwa 50 % der Pflegenden fast absprechen. Das ist mein Erlebnis aus der Praxis. Dass ich bei 50 % oder mehr der Leute das Gefühl habe [...] ja, der Patient ist völlig unwichtig oder der Bewohner. Es muss einfach, es muss laufen, es muss funktionieren...“ (Nadja Engel).

Die Übernahme des ökomischen Denken und Handelns der Pflegekräfte hat auch zur

Folge, dass solche Pflegekräfte Druck auf Personen ausüben, welche sich nicht an das

Zeitbudget und die neuen Vorgaben halten, wie ein Beispiel von Tamara Wüthrich

zeigt:

„Also wir haben eine gehabt in unserem Heim, wirklich ganz jemand Tolles. [...] Die ist meistens nicht fertig geworden zurzeit mit ihren Leuten. Ihr hat man immer noch helfen gehen müssen, weil sie es gut gemacht hat, ist dadurch natürlich, hat immer ein bisschen aufs Dach bekommen von oben, sie sei zu langsam. Ist dann wirklich, ist eine Arme gewesen, ist viel geplagt worden.“

So kontrollieren gewisse Pflegekräfte andere Pflegekräfte und geben diesen zu spüren,

wenn sie zu langsam sind. Dies findet ohne Auftrag der Leitung statt:

„Und dann bin ich in meinem Ego gerührt, irgendwie, dass sie das gesagt hat, und dann bin ich wieder vorgelaufen zu den anderen zweien, und die sind mega wütend gewesen, beide. Und dann, also schlussendlich haben sie nichts gesagt, aber sie sind eigentlich wütend gewesen, weil sie gefunden haben, ich bin viel zu lange bei der gewesen“ (Tanja Birnstiel).

Der neue Arbeitsstil wird damit nicht nur äusserlich vollführt, sondern von einigen auch

innerlich für richtig befunden und mitgetragen. Pflegekräfte welche sich nicht daran

halten, werden deshalb aus Überzeugung geschnitten und bestraft.

6.3.3 Resignation und innerer Widerwille

Eine weitere Reaktion ist die Übernahme des neuen Arbeitsstils, jedoch verbunden mit

einem inneren Widerwillen. Die Pflegekräfte machen zwar, was von ihnen erwartet

wird, entfernen sich aber innerlich von ihrem Beruf und resignieren:

„Ja, ich denke, wenn ich das Umfeld anschaue, in dem ich arbeite, die sind wahrscheinlich genau gleich weit wie ich. Die sind auch irgendwo resigniert, die müssen jetzt einfach noch arbeiten, die spulen jetzt einfach ihre Arbeit dort ab, ohne [...] Herzblut, ist sowieso der falsche Ausdruck, aber die sind zunehmend abgelöscht. Und die, die es sich erlauben und leisten können, die gehen“ (Jasmin Müller).

Die Pflegekräfte fügen sich den Umständen und verlieren Energie und Elan: „Oder

andere, die sich halt fügen. Und eben, dann pflegen sie halt die Leute, aber eben, wie

sie gepflegt sind“ (Maria Tschanz). Auch Gewerkschafter Stern stellt eine starke

Resignation fest. Er bringt sie mit der hohen Fluktuation und Burnout-Rate des Berufes

in Verbindung:

„Viele Pflegekräfte sind aber, denke ich, teilweise auch sehr resignativ unterwegs. Ich würde sagen... Äussert sich aber auch, und da gibt es auch wieder Zahlen, äussert sich relativ stark mit einer hohen Absenzenrate in der Branche, hohe Burnout-Rate.“

Seite 68

Die fehlende Motivation, mangelnde Freude am Beruf, fehlende Wertschätzung und die

als Fabrikarbeit organisierte Pflege führen, kombiniert mit der knappen Zeit für die

Bewohnenden, zur Resignation und Abstumpfung:

„Mich treibt im Moment gar nichts mehr an. [...] Das ist für mich, also das habe ich abgeschlossen. Weil die Wertschätzung kommt in keiner Art und Weise. [...] Das ist null Motivation mehr. Und das kann man irgendwann mal, nicht mal mehr so weit, wie soll ich sagen, einfach so sich weit aufrappeln und sagen, ich mache es dem Heimbewohner zuliebe. Irgendwann geht das auch nicht mehr“ (Jasmin Müller).

Resignation ist eine Folge der Enttäuschung über die nur unzulänglich ausgeführte

Pflegearbeit. Innerlich besteht das alte Berufsethos weiter, welches den neuen

Arbeitsstil nicht gutheissen kann.

6.3.4 Aufopferung für die Bewohnenden

Eine stark verbreitete Reaktion auf die Ökonomisierung und die daraus resultierenden

neuen Anforderungen ist die Selbstaufopferung der Pflegekräfte. Damit es den

Bewohnenden trotz fehlender Zeit gut geht, werden beispielsweise verschiedene

Tätigkeiten unbezahlt verrichtet:

„Zuerst haben die Bewohner Vorrang. Und ich schaue, dass ich zum Einschreiben komme, aber wenn ich halt mal nicht kann, entweder mache ich Überzeit, was man ja auch nicht sollte, weil das wird auch nicht unbedingt bezahlt, oder mache es aus Goodwill noch. [...] Oder dass ich halt dann wirklich Sachen mache an den Randzeiten. Dann, wenn ich eigentlich Feierabend hätte“ (Maria Tschanz).

Trotz des Drucks wird versucht, so gut wie möglich für die Bewohnenden individuell da

zu sein und sich für ihr Wohlbefinden einzusetzen:

„Ich probiere eigentlich wirklich, meine Sache so zu machen, dass den Bewohnern wirklich wohl ist. Ich nehme mir halt hier ein bisschen mehr Zeit für jemanden, der es gerade braucht, [...] bleibe halt dann trotzdem die halbe Stunde länger. [...] Ich schaue einfach, nach Möglichkeit, dass ich dahinterstehen kann mit dem, was ich mache“ (Dagmar Polzin).

Dieses Zusatzengagement geschieht nicht für den Arbeitgeber, sondern zum Wohl der

Bewohnenden. Beispielsweise, wenn unbezahlte Arbeit zu Hause verrichtet wird, weil

im Pflegeheim während der bezahlten Arbeitszeit keine Zeit dazu war: „Es ist vielleicht

nicht unbedingt im Namen der Institution, aber eigentlich jedes Mal wenn ich

irgendetwas nachschauen wollte, habe ich das in der Freizeit gemacht.“ (Nadja Engel).

Auch ist es den Pflegekräften wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, dass es ein

Muss sei, sondern dass eben die Bewohnenden im Zentrum stehen:

„Weil ich ihr das versprochen hatte, weil ich genug Zeit haben wollte. Ich habe einfach, solange sie mochte, habe ich mit ihr unterwegs sein wollen. Das ist der Grund, wieso ich in der Freizeit gegangen bin. Weil ich einfach einen angenehmen, ruhigen Tag... Und sie hat auch nicht das Gefühl haben sollen, das sei vom Heim aus. Das ist mein Grund, dass ich das in meiner Freizeit gemacht habe.“ (Luca Michel)

Oft wird auf Pausen verzichtet oder diese werden nicht richtig bezogen, wie Isabelle

Fuhrmann erläutert: „Ein Teil macht gar nie Pause, weil sie keine Zeit haben. Eben,

zum Beispiel, der mit den Pausen. Der geht nicht auf, immer [...].“ Fuhrmann führte

Seite 69

auch weitere Probleme auf. So würden oft die gesetzlichen Ruhezeiten missachtet

oder man kommt unbezahlt früher zur Arbeit um fertig zu werden:

„Mit den Ruhezeiten. Der geht nicht auf. Spät, Frühdienst ist immer noch... einfach so Sachen. [...] Dass die meisten Mitarbeitenden in der Abteilung früher kommen, damit sie fertig werden mit den Sachen, oder später gehen. Also ich würde sagen, von zehn machen das acht“ (Isabelle Fuhrmann).

Diese Selbstaufopferung wird von einigen Pflegekräften selbstkritisch gesehen, weil sie

dabei bis an die Grenze der Belastbarkeit und darüber hinausgehen:

„Weil wir einfach [...] es ist viel zu viel, zu viel Selbstverständliches. Weisst du, wir sind immer noch so ein bisschen in einer Aufopferungsrolle... Wir machen viel zu viel eben... packen wir noch oben drauf, das gar nicht mehr drin liegen würde. Oder eben, macht es neben der Zeit. Ob das wirklich zeitgemäss ist, weiss ich nicht“ (Maria Tschanz).

Viele Pflegekräfte, welche nach diesem Muster auf die neuen Herausforderungen der

Ökonomisierung reagieren, sind anfälliger für Krankheiten und Burnouts: „Das hat

einfach auch damit zu tun, oder, also, das kann es ja auch nicht sein, dass die Leute

dann so auf dem Zahnfleisch laufen, bis es nicht mehr geht“ (Tamara Wüthrich).

Selbstaufopferung als Ausweg aus der Ökonomisierung führt kurz- und mittelfristig zu

einer besseren Pflege. Langfristig macht es die Pflegekräfte aber krank, da sie ihre

körperlichen und psychischen Grenzen überschreiten.

6.3.5 Kleine legale und illegale Tricks

Eine weitere Reaktion der Pflegekräfte ist die Anwendung von vielen kleinen legalen

und illegalen Tricks, um das Leben der Bewohnenden angenehmer zu machen. Sei

dies, um mehr Zeit für die Pflege zu haben oder für kleine Gefälligkeiten für die

Bewohnenden. Weit verbreitet ist der Widerstand gegen – aus der Sicht der

Pflegekräfte – unnütze und nicht pflegerelevante Aufgaben:

„Ja sicher, die Tricks, die werden... Ja, ganz klar. Das ist... ich probiere diesbezüglich... Also mein Trick, also das ist kein Trick, ich putze schon lange nicht mehr. Nein. Ich habe schon lange, eine Ewigkeit nicht mehr geputzt. Und sage auch meinen Kolleginnen, geht besser mit den Leuten reden“ (Jasmin Müller).

Auch das auslassen von gewissen administrativen Leerläufen ist beliebt. „Das wäre ja

auch nicht gestattet. Aber wie ich halt bin, lieb und gutmütig, tue ich halt meine Zeit mal

für einen Bewohner freihalten“ (Maria Tschanz). Eine kleine Gefälligkeit, welche

eigentlich nicht erlaubt wäre, ist beispielsweise das Einkaufen für die Bewohnenden.

Dies geschieht in der Freizeit der Pflegekräfte:

„Weisst du, für irgendwie... obwohl, gut, das kommt vielleicht noch dazu, Besorgungen machen für die Bewohner... Ja, ich gehe ja eh einkaufen, bringe ich noch mit – dass du in der Freizeit irgendwie etwas kaufen gehst. Aber das sind irgendwie, Gefälligkeiten“ (Isabelle Fuhrmann).

Diese Kleinigkeiten fernab der ökonomischen Logik sind wichtig für die Psychohygiene

der Pflegekräfte, wie Nadja Engel in einem Beispiel zeigt:

Seite 70

„Die Bewohner, wenn sie ‘posten’ gehen wollten, haben sie zahlen müssen, wenn du mitgegangen bist. Und zwar 60 Franken in der Stunde. Und wir haben eine Bewohnerin gehabt, die hat wirklich einfach kein Geld gehabt, und die hat irgendwie schon längstens Mal Unterhosen kaufen gehen müssen. Und das ist bei uns in der Institution wirklich verboten worden. Du hast nicht dürfen ohne es zu verrechnen. Und dann bin ich halt mal um zwanzig nach Vier habe ich gerade Feierabend gehabt, dann bin ich halt da gegangen mit ihr. Auf der einen Seite finde ich es ein bisschen traurig, dass es notwendig ist. [...] Ich mache viel lieber so etwas und gehe dann nach Hause und bin halt eine Stunde länger geblieben, als nach meinen Standards achteinhalb Stunden. Weil nach denen finde ich es manchmal furchtbar, nach Hause zu kommen. Und dann halt mal eine gute Tat und dafür ist der Abend danach gerettet.“ (Nadja Engel)

Auch Tricks im Auftrag der Leitungen um mehr Geld und so mehr Zeit zu erhalten,

gehören zu den nicht immer freiwilligen Reaktionen der Pflegekräfte:

„Also ich habe jetzt zum Beispiel mitbekommen, dass Leute, gerade beim RAI ist es so, wenn Leute eine Wunde haben, dann steigen sie in der Stufe. Also es heisst, sie müssen mehr zahlen. Da werden einfach, obwohl die Wunden trocken sind und zu sind, da werden einfach Wundverbände weiterhin täglich gemacht, damit die Leute in der Stufe nicht abgestuft werden“ (Dagmar Polzin).

Obwohl höhere Stufen mehr Zeit bedeuten, sind solche Tricksereien aber umstritten:

„Klar hat man es gern gehabt, wenn die Stufe ein bisschen höher war. [...] Wiederum finde ich es dann auch hart, wenn man es zusammen ausreizen muss, ich sage jetzt, nicht bescheissen, aber wirklich Sachen, die vielleicht zwei, drei, viermal vorgekommen sind, reinnehmen muss, damit dann die Stufe hochgeht. [...] Und das finde ich wiederum so, ja, auch nicht ganz korrekt“ (Luca Michel).

Manchmal muss auf Druck der Leitung die Dokumentation angepasst werden, damit es

mehr Geld gibt: „Einfach das, was ich gemacht habe. Dann hat es geheissen, nein,

nein, ich müsse nochmal gehen, ich müsse alles abklicken. Und dann habe ich quasi

eigentlich im Auftrag betrogen“ (Tamara Wüthrich). Solche kleinen Tricksereien sind

zum festen Alltag der Pflegekräfte geworden.

6.3.6 Weiter wie bisher, Angst und fehlende Kraft

Obwohl sich durch die Ökonomisierung die Arbeitswelt für die Pflegekräfte stark

verändert und dies häufig negativ bewertet wird, sieht man wenige Pflegekräfte, welche

sich wehren, um wie früher weiterarbeiten zu können. Viele Pflegekräfte begründen

dies mit Angst vor Jobverlust:

„Das ist Angst. Das ist Angst der einzelnen Mitarbeiter, denke ich. Sind ganz viele Abhängigkeitsverhältnisse, die es gibt. Es sind viele Ausländer, die auf den Job angewiesen sind, weil sie sonst vielleicht das Land verlassen müssen, wenn sie keinen Job mehr haben. Und selber noch Familie vielleicht im Hintergrund haben. Ich selber bin alleinerziehende Mutti mit zwei Kindern“ (Dagmar Polzin).

Viele Arbeitgeber würden die Situationen der Pflegekräfte schamlos ausnutzen:

„Da werden einfach die Situationen, wo die Leute drin stecken, zum Teil schamlos ausgenutzt. Oder, Trennung vom Mann, und musst unbedingt eine Stelle haben, als Ungelernte, denke ich, die sind eher gefährdet, obwohl wir [Pflegefachfrauen; A.D.] auch“ (Jasmin Müller).

Auch die Arbeitszeiten schränken ein stärkeres Engagement für eine Veränderung der

Arbeitsbedingungen und für die Bewohnenden ein. Gerade durch die geteilten Dienste

sind Pflegekräfte oft den ganzen Tag absorbiert:

„Aber manchmal fehlt dir auch der Elan dazu, [...] gehen wir im besten Fall davon aus, ich schaffe im Altersheim, fange am Morgen um Sieben an, bin mit Pause am Abend um Acht wieder daheim. Vielleicht,

Seite 71

vielleicht habe ich auch ein bisschen Sozialleben oder irgendein Hobby oder irgendetwas. Und wo soll ich dann noch die Energie oder die Zeit hernehmen? [...] Ich wüsste nicht wie“ (Nadja Engel).

Durch die Arbeit sind die Pflegekräfte ausgelaugt und hätten keine Kraft mehr: „Ich

denke, [...] was vielfach das jetzt ausmacht, warum dass wir als Pflegende uns nicht so

wehren, weil es auch eine Kraftfrage ist“ (Isabelle Fuhrmann). Das Pflegeethos scheint

ein weiterer Grund zu sein, weshalb die Pflegekräfte nicht vermehrt für sich selber

kämpfen. Das Wohl der Bewohnenden zählt mehr als das eigene:

„Für mich ist es berufsgruppentypisch. [...] Ich denke, es hat fest damit zu tun, dass man... dass Pflegende zuerst einmal für die Leute schauen, die sie pflegen, und weniger für sich selber. Und darum auch nicht um die eigenen Arbeitsbedingungen kämpfen“ (Christine Fitze).

Die erfahrene Abteilungsleiterin Elisabeth Jung führt als weiteren Grund an, dass die

Pflegekräfte in der Schweiz keine Tradition in Arbeitskämpfen hätten und sie deshalb

alles mit sich machen lassen:

„Ich habe einfach das Gefühl, das ist einfach, weil es nicht so Tradition hat, tust du das weniger. Also du hörst ja immer, von den Bauarbeitern, die machen das seit Jahren. Ich denke, im Ausland ist es auch eher noch, dass du dich organisierst oder dass du auf die Strasse gehst. Auch in den Pflegeberufen.“

Es zeigt sich bei den Interviews aber auch, dass es Pflegekräfte gibt die sich trotz

allem wehren und ihren alten Arbeitsstil weiter fortsetzten: „Also eben, ich habe mich

eben nicht so stressen lassen. Ich habe mir die Zeit selbst genommen [...]“ (Tanja

Birnstiel). Ausserdem ist es möglich, durch persönlichen und kollektiven Einsatz die

Bedingungen zu verbessern. So gelang es beispielsweise Elisabeth Jung in ihrem

Betrieb, gesetzeskonforme Pausenregelungen durchzusetzen, ohne dass es zu

Verschlechterungen für die Bewohnenden gekommen wäre:

„Da ich ja bei der Personalkommission bin und jetzt... Also dort, ich glaube, sie haben mich noch nie so gerne gehabt, aber jetzt haben sie mich noch weniger gerne. Ich bin dort ganz penetrant und eklig, dass wir das wirklich arbeitsgerecht oder gesetzlich durchziehen können. Doch, ich habe das Gefühl, jetzt machen wir die Pausen bei uns richtig.“

Auch andere Pflegende erzählen von kleinen, aber erfolgreichen Interventionen. Es

zeigt sich also, dass Pflegekräfte welche genug Kraft haben, durchaus erfolgreich

gegen einzelne Aspekte der Ökonomisierung bestehen können. Damit können sie

weiter arbeiten wie früher, ohne einen neuen Arbeitsstil übernehmen zu müssen oder

sonst auszuweichen. Doch bilden sie eine Minderheit.

Es kann gesagt werden, dass es fünf Typen von Reaktionen der Pflegekräfte gibt.

Diese Typen treten in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung auf. Der erste Typus

übernimmt einen neuen, angepassten Arbeitsstil und die neue ökonomische

Denkweise. Der zweite Typus übernimmt ebenfalls den neuen Arbeitsstil, bleibt

allerdings mit ihm im Konflikt, weil für ihn weiterhin das bisherige Berufsethos gilt. Der

dritte Typus versucht durch Selbstaufopferung wie unbezahlte Mehrarbeit, den neuen

Seite 72

Arbeitsstil nicht zu übernehmen und wie bisher für die Bewohnenden da zu sein. Der

vierte Typus versucht, durch kleinere legale und illegale Tricks mehr Zeit für die

Bewohnenden zu erhalten. Der fünfte Typus schliesslich, geht in den offenen

Widerstand gegen die Leitung. Er bleibt dabei beim alten Arbeitsstil und nimmt sich

Zeit für die Bewohnenden.

Seite 73

7. Diskussion der Ergebnisse

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Forschung interpretiert,

diskutiert und mit der Theorie verknüpft. Dies geschieht entlang der Forschungs-

fragestellung. Es zeigt sich, dass das Eindringen der Ökonomie in das soziale Feld der

Pflege und damit das Subfeld der stationären Alterspflege zu grossen Veränderungen,

Irritationen und Kämpfen unter den Akteurinnen und Akteuren im Feld führt. In Kapitel

7.1 werden dazu die Ökonomisierung und die Auswirkungen auf die Arbeitswelt der

Pflegekräfte betrachtet und theoretisch verortet. Kapitel 7.2 beschäftigt sich mit den

hervorgetretenen Widersprüchen zwischen Ökonomisierung und Berufsethos, dem

sinnstiftenden Kern der Arbeit der interviewten und beobachteten Pflegekräfte. Die

verschiedenen Arten und Idealtypen von Reaktionen der Pflegekräfte auf die

Ökonomisierung stehen im Mittelpunkt von Kapitel 7.3. In Kapitel 7.4 wird die

Entfremdung der Pflegekräfte aufgrund der Ökonomisierung als gemeinsame

Verbindung zwischen den Unterfragen der Leitfragestellung vorgestellt und

interpretiert. Schliesslich wirft Kapitel 7.5 einen Blick auf die weitere Entwicklung der

stationären Alterspflege durch die fortschreitende Ökonomisierung.

7.1 Ökonomisierung und Auswirkungen auf die Arbeitswelt

Die kapitalistische Landnahme ist weit vorangeschritten. Es lässt sich innerhalb des

Feldes der Pflege eine starke Strukturverschiebung hin zu einem Primat der Ökonomie

betrachten. Der neoliberale kapitalistische Geist, entspricht zu grossen Teilen der

neuen Doxa und damit den Spielregeln im sozialen Feld der Pflege und dem Subfeld

der stationären Alterspflege. Daraus ergeben sich zahlreiche Änderungen in der

Arbeitswelt der Pflegekräfte. Da sowohl die Pflegekräfte, wie auch die Bewohnenden,

gegenüber den Alters- und Pflegeheimen im Feld eine schwache soziale Stellung

innehaben, werden viele negative Veränderungen in der neuen Arbeitswelt auf sie

überwälzt. Die neue Doxa erleben die Pflegekräfte als den direkten und indirekten

Spardruck, der immer und überall präsent und zu spüren ist. Pflege muss heute

rentieren. Zahlen und die Wirtschaftlichkeit werden als vorgegebene Ziele deshalb von

den Pflegekräften als wichtiger wahrgenommen als das Wohlbefinden der

Bewohnenden. Da die Regeln des Feldes neu sind, müssen sich der Beruf, die

Handlungen und der Arbeitsstil der Pflegekräfte anpassen. Deshalb erkennen viele

Pflegekräfte ihren Beruf und ihre Arbeitswelt nicht wieder.

Um zu sparen und die Produktivität zu erhöhen, werden verschiedene Instrumente des

Taylorismus auf die stationäre Alterspflege übertragen. Der letzte Schub geschah nach

der Einführung der neuen Pflegefinanzierung per 1. Januar 2011. In tayloristischer

Seite 74

Manier wird die Pflege messbar und rationalisierbar gemacht. Die Bewohnenden

werden aufgrund ihres Zustandes normiert, bewertet und in Pflegestufen eingeteilt.

Jede Pflegestufe entspricht einer bestimmten Anzahl Pflegeminuten. Gleichzeitig wird

die Pflege aufgesplittert in medizinische Pflege und nicht-medizinische Betreuung, was

früher eine Einheit bildete. Die einzelnen Handlungen sind neu in Einzelschritte zerlegt

und mit einem normierten Zeitbudget belegt. Damit hat ein Minütelen begonnen: Für

jeden Bewohnenden gibt es ein klar definiertes Zeitbudget für die medizinische Pflege,

die Betreuung, Beziehungs-, Gefühls- und Emotionsarbeit bleibt aussen vor. So

entsteht für manche Pflegekraft das Gefühl, eher industrielle Fabrikarbeit zu leisten,

nämlich getaktete Einzelschritte an Bewohnenden zu vollführen, statt mit den

Bewohnenden individuell zu arbeiten. Dies erstaunt nicht, kommt doch der Taylorismus

aus der industriellen Güterproduktion.

Diese Berechnung der Pflegezeit stellt die Arbeitswelt der Pflegekräfte auf den Kopf.

Man kann nur noch die vordefinierte Zeit bei den Bewohnenden verbringen. Dadurch

verringert sich die Zeit, die man insgesamt für die Bewohnenden zur Verfügung hat.

Oftmals reicht die Zeit nicht einmal aus, um die ganze vorgesehene Arbeit richtig zu

erledigen. Menschen lassen sich nicht wie Güter vorhersagen und berechnen, wie wir

aus der Care-Ökonomie wissen. Die Zeitbudgets sind knapp berechnet, wodurch

Stress entsteht. Es können nur noch die medizinischen Einzelleistungen erbracht wer-

den, für aktivierende Arbeit oder Beziehungs-, Gefühls- und Emotionsarbeit bleibt gar

keine Zeit mehr. Damit verlieren die Pflegekräfte einen wichtigen Teil ihres Berufes.

Die Qualität der vollbrachten Pflegeleistungen lässt sich nicht objektiv messen.

Gewaschen ist eine Person schnell. Erfasst und bezahlt sind nur Wasser, Lappen und

die Verrichtung „Waschen“ als Zeiteinheit und nicht die Qualität und der Zeitpunkt des

Waschens. Einher geht das Sparen und Berechnen der Pflegezeit mit einem

Stellenabbau, das heisst, weniger Pflegekräfte müssen mehr Bewohnende pflegen.

Wirtschaftlich gesprochen: Die Produktivität steigt. Ebenfalls dem Neoliberalismus

entsprechend werden die Pflegekräfte mit Privatisierungen von Alters- und

Pflegeheimen konfrontiert.

Einher geht dies mit einer tayloristischen Arbeitsteilung und -hierarchie. So wie die

einzelnen Handlungen aufgebrochen wurden, müssen zwecks Kostenoptimierung oder

Renditesteigerung die Aufgaben verteilt werden. Die kostengünstigen Pflegehilfen und

-assistenzen übernehmen deshalb die direkte Pflegearbeit mit den Bewohnenden, die

Grundpflege und Betreuung, also den pflegeintensiven aber nicht immer messbaren

Teil der Arbeit. Die Fachangestellten Gesundheit und die Pflegefachkräfte HF über-

nehmen vor allem Tätigkeiten der Behandlungspflege, Pflegeplanung, Administration

Seite 75

und Führung. Während die Pflegehilfen und -assistenzen noch etwas Zeit mit den

Bewohnenden verbringen können, sehen die Höherqualifizierten die Bewohnenden

immer weniger. So gaben in den Interviews mehrere Personen an, inzwischen 70 %

ihrer Arbeit fernab der Bewohnenden zu verrichten. Dies ist ein massiver Wandel für

Personen, welche den Beruf gewählt haben, um direkt mit Menschen zu arbeiten.

Gleichzeitig zeigt sich, dass zwischen FaGe und Pflegefachkräfte HF nach wie vor ein

Wandlungs- und Ausdifferenzierungsprozesses stattfindet. Zwischen diesen Gruppen

findet ein eigentlicher Positionskampf um Arbeitsinhalt und Kompetenzen statt. Auch

dieser Vorgang ist theoretisch begründet und geschieht jeweils, wenn Berufe auf neue

gesellschaftliche Gegebenheiten stossen. Die Arbeitgeber haben ein Interesse an

Sparen und Rendite. Dieses Interesse widerspiegelt auch den momentanen

kapitalistischen Geist unserer Gesellschaft. Daher versuchen verschiedene

Interessensgruppen möglichst viele Kompetenzen in der stationären Alterspflege den

FaGe zu geben, da sie billiger sind als tertiäre Pflegefachkräfte.

Weitere Neuheiten der Arbeitswelt sind der „Dokumentationswahn“ und die

zunehmenden Kontrollen im Berufsalltag. Jeder Handgriff, der vollführt wird, muss

irgendwo festgehalten werden. Das führt für die Pflegekräfte zu einem massiven

administrativen Mehraufwand. Die Dokumentation dient der Kontrolle, ob wirklich alles

gemacht und ob nicht zu viel verrechnet wurde. Die Dokumentationspflicht ist damit

gleichzeitig Kontroll- und Disziplinierungsinstrument der Krankenkassen, Arbeitgeber

und öffentlicher Hand. Wer sich nicht daran hält wird bestraft. Dies kann durch

Abmahnungen durch den Arbeitgeber geschehen oder durch die Krankenkassen und

die öffentliche Hand, welche Gelder streichen. Parallel dazu wird im Alltag häufiger

kontrolliert, ob sich die Pflegekräfte an die Regeln halten. Dies geschieht einerseits

durch die Vorgesetzten, anderseits immer mehr auch durch andere Pflegekräfte,

welche die neuen Regeln bereits verinnerlicht haben. Dieses Kontrollieren und Strafen

ist eine Auswirkung der kapitalistischen Landnahme. Die Pflegekräfte werden mit

Druck in die neuen Arbeitsweisen hineingedrängt, bis sie diese schliesslich selbst

übernehmen und weitergeben.

Um die Kontrollen und die geforderten Dokumentationen vollbringen zu können,

werden vermehrt digitalisierte Hilfsmittel eingesetzt. Die Digitalisierung zeigt sich in der

vermehrten Nutzung von Computern und Computerprogrammen. Tragbare digitale

Geräte erlauben es, die Dokumentationspflicht schneller, genauer und kostengünstig

wahrzunehmen. Von Hand geschriebene Pflegedokumentationen sind heute aufgrund

der zahlreichen Vorgaben immer seltener möglich. Damit müssen sämtliche

Pflegefachkräfte die Computer und die Programme beherrschen, was einer grossen

Seite 76

Neuerung entspricht. Dies ist ein typisches Beispiel, wie neue gesellschaftliche

Voraussetzungen und technische Hilfsmittel den Inhalt eines Berufes von aussen her

verändern.

Wie in der Theorie vermutet, führen die verschiedenen tayloristischen Massnahmen in

der Pflege, im Gegensatz zur industriellen Güterproduktion, nicht zu besseren

Arbeitsbedingungen. Das Credo des Sparens und der Produktivitätssteigerungen führt

für die Pflegekräfte oftmals zu schlechteren Bedingungen. Ein wichtiger Punkt ist

hierbei die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Durch geteilte Dienste, die stetige

Änderungen der Arbeitspläne und die ständige Abrufbarkeit der Pflegekräfte können

die Alters- und Pflegeheime Kosten sparen. Dadurch arbeiten die Personen trotz

Teilzeitanstellung an gleich vielen Tagen wie bei einer Vollzeitanstellung, aber die

Arbeitgeber müssen weniger bezahlen. Gleichzeitig ist durch die geforderte

Produktivitätssteigerung der Job so anstrengend, dass eine 100 %-Anstellung oft gar

nicht mehr möglich ist oder überproportional zu Überbelastung und Krankheiten führt.

Dies geht einher mit der These, dass es bei einer neuen kapitalistischen Landnahme

zwecks der Gewinnsteigerung zur Prekarisierung der Arbeitsbedingungen kommt. Die

Löhne, gerade der tiefer qualifizierten Pflegekräfte, geraten unter Druck.

Nur am Rande erwähnt wurde der Fakt, dass der Anteil von Pflegekräften mit

Migrationshintergrund zunimmt. Da der Anteil bereits früher hoch war, wird die jetzige

Zunahme nicht als Wandel wahrgenommen. Gleiches scheint für die körperlichen

Beschwerden infolge der Arbeit zu gelten. Auch wenn diese immer noch da sind und

teilweise auch zunehmen, werden vor allem die Burnouts und das Ausgelaugt-Sein

erwähnt. Dies lässt sich damit erklären, dass es bei diesen Symptomen eine stärkere

Zunahme gibt.

Ebenfalls zeigt sich, dass der Wandel der Arbeitswelt in den einzelnen Alters- und

Pflegeheimen unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Einige Alters- und Pflegeheime

können sich bessere Arbeitsbedingungen oder mehr Pflegezeit erlauben als andere.

Grund dafür können beispielsweise Zusatzeinnahmen bei der Betreuung oder

Hotellerie sein. Möglich ist auch eine vorteilhafte Kostenstruktur, weil die Bewohn-

enden gesamthaft weniger Zeit benötigen, als die normierten Kosten vorgeben; also

eine für das Heim positive Zusammensetzung der Pflegestufen der Bewohnenden.

Natürlich muss ein Alters- und Pflegeheim in einer solchen Situation das Geld dann

auch in die Pflege investieren wollen. Jedes Heim muss aber so oder so aufgrund des

heutigen Systems seine Kosten optimieren. Viele Heimleiter machen dies aber mehr

als nötig und nach betriebswirtschaftlichen neoliberalen Logiken. Es zeigte sich, dass

Seite 77

trotz aller Zwänge auch alternative Wege möglich sind, wenn beispielsweise die

Heimleitungen einen anderen Kurs verfolgen oder sich Politikerinnen und Politiker für

innovative Lösungen einsetzen. Das Zeitkorsett bleibt natürlich auch hier bestehen.

Wie dieses jedoch angewandt wird, kann variiert werden. Einige Alters- und

Pflegeheime schreiben grosse Gewinne, was ebenfalls eine Neuerung in der

Arbeitswelt der Pflegekräfte ist. Stationäre Alterspflege kann also durchaus auch

gewinnbringend erbracht werden. Die Frage ist dann nur, wo gespart wird. Am

einfachsten ist dies bei den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte und der Qualität der

Pflege. Ein solches Vorgehen entspricht dem inkorporierten kapitalistischen Geist

mancher Heimleiter oder Politikerinnen und Politiker und wird deshalb unreflektiert

übernommen. Aber ein gewisser Handlungsspielraum ist, je nach Akkumulation der

Kapitalien der einzelnen Arbeitgeber und Politkern, trotzdem gegeben. Oder sie

können bei Konflikten von anderen Akteuren wie Pflegekräften, Angehörigen oder

Bewohnenden dazu gebracht werden. Nichtsdestotrotz sind alle Akteurinnen und

Akteure mit einem ökonomisierten Feld der Pflege konfrontiert und müssen sich an

neue Spielregeln und Gegebenheiten gewöhnen.

7.2 Ökonomisierung und Widersprüche

Das Berufsethos der Pflegekräfte ist Teil des (inkorporierten) kulturellen Kapitals dieser

Berufsgruppe. Es orientiert sich am Wohl der Bewohnenden. Das eigene Wohlbefinden

wird jenem der Bewohnenden untergeordnet. Um das Wohl der Bewohnenden zu

garantieren, ist eine ganzheitliche und individuelle gute Pflege nötig, welche sowohl

aus Pflege im medizinischen Sinn, als auch aus betreuerischen und psychosozialen

Inhalten besteht. Noch stärker als angenommen wird dabei der betreuerische Teil und

die Individualität der Bewohnenden betont. Wie die Theorie vermuten lässt, ist für die

Pflegekräfte die Arbeit mit den Bewohnenden, insbesondere die Gefühls- und

Beziehungsarbeit, für ihre Berufswahl entscheidend. Positive Rückmeldungen von den

Bewohnenden für das pflegerische Handeln sind sehr wichtig für die Pflegekräfte. Die

Pflegekräfte und die Bewohnenden bilden in diesem Berufsethos eine untrennbare

Einheit. Ebenso gehören in der Vorstellung der Pflegekräfte Pflege und Betreuung

immer zusammen. Zwischen dem Berufsethos und der laufenden Ökonomisierung als

neue, quasi hegemoniale Doxa lassen sich nun zahlreiche Widersprüche finden. Die

aufgezeigten Veränderungen in der Arbeitswelt, insbesondere die tayloristische

Arbeitsteilung und die Zeitkorsetts für das Verrichten von medizinischen

Einzelleistungen an den Bewohnenden, werden von den Pflegekräften eindeutig als

Konflikt und Widerspruch mit dem eigenen Berufsethos wahrgenommen. Normierte,

auf die Minute getaktete, rein medizinische Pflegeschritte laufen dem Bild der

Seite 78

Pflegekräfte von individueller Pflege zuwider. Sowohl Bewohnende als auch

Pflegekräfte können nicht einfach normiert und standardisiert werden. Als besonders

eklatant wird im Alltag die Trennung von Pflege und Betreuung wahrgenommen. Das

Fehlen von genügend Zeit für – oder je nach Stufe überhaupt das Fehlen von –

Emotions-, Gefühls-, und Beziehungsarbeit verhindert es, Beziehungen zu den

Bewohnenden aufzubauen. Durch die Ökonomisierung wird den Pflegekräften der

persönliche, sinnstiftende Kern der Pflegearbeit weggenommen und verhindert damit

gute Pflege. Gleichzeitig wird der grundsätzliche Gedanke der Ökonomisierung der

stationären Alterspflege kritisiert. Angetrieben vom eigenen Ethos wird Pflege als

etwas gesehen, worauf alle Menschen ein Anrecht haben, unabhängig von ihren

finanziellen Mitteln. Pflege soll nicht etwas sein, das rentabel ist. Die falschen Anreize

des Finanzierungssystems werden kritisch gesehen und als Widerspruch aufgefasst.

Als Hauptwiderspruch zum Berufsethos lässt sich zusammenfassend ausmachen,

dass die Ökonomisierung und die neue tayloristische Arbeitswelt zu einer

Verschlechterung der Pflege und damit des Wohlbefindens der Bewohnenden führen.

Dieser Widerspruch ist allen Pflegekräften meist explizit bewusst. Damit ist im Subfeld

der stationären Alterspflege aus dem theoretischen Zielkonflikt zwischen der

persönlichen Ebene (Ziele der Pflegekräfte) und der gesellschaftlichen Ebene (Sparen

und Ökonomisierung) ein reeller Widerspruch geworden.

7.3 Ökonomisierung und Reaktionen

Es gibt verschiedene Formen von Reaktionen auf die Ökonomisierung. Diese sind bei

den Pflegekräften einzeln oder kombiniert zu beobachten. Bestimmend für die

Reaktionen und damit die Handlungen ist einerseits das Berufsethos der Pflegenden

als kulturelles Kapital. Anderseits, und fast noch stärker, wirken im Feld der Pflege die

neuen, neoliberalen Regeln. Diese Regeln (Doxa) und Figurationen haben sich durch

die Ökonomisierung angepasst und die Handlungen sind nun Reaktionen auf die

vorgefundenen neuen Realitäten im Feld der Pflege. Die einzelnen Typen von

Reaktionen sollen nun idealtypisch betrachtet werden:

- Der erste Typus übernimmt den neuen Arbeitsstil der tayloristischen Arbeitsteilung

bei gleichzeitiger Ablehnung des bisherigen Berufsethos. Die kapitalistische

Landnahme war hier erfolgreich sowohl bei der Art, wie gearbeitet wird, als auch bei

der inneren Einstellung. Mit Bewohnenden wird hier keine Beziehung mehr

eingegangen. Die Pflege wird rein medizinisch und standardisiert gesehen und das

Wohlbefinden der Bewohnenden hat einen funktionalen Wert. Die Pflegekräfte sind

nunmehr bessere „Pflegeroboter.“ Ein neues Arbeitsethos entsteht für diese

Seite 79

Pflegekräfte. Das neue Ethos entspricht dem aktuellen neoliberalen kapitalistischen

Geist im Feld der Pflege.

- Der zweite Typus hält sich ebenfalls an die neuen Regeln und den Arbeitsstil. Er

gehorcht damit der Doxa des Feldes. Diese Personen haben jedoch ihr Berufsethos

noch nicht aufgegeben und stehen in einem permanenten Konflikt zwischen der

eigenen inneren Erwartung und der vollbrachten Arbeit. Ihr Beruf entspricht nicht

mehr ihren Erwartungen und widerspricht dem inkorporierten kulturellen Kapital. Die

(Beziehungs-)Arbeit mit und die Reaktionen der Bewohnenden fehlen ihnen, werden

ihnen gar fremd. Wie aber aufgezeigt wurde, gehört diese Beziehungsarbeit immer zu

guter Pflege. Viele Pflegekräfte dieses Typus sind daher resigniert und verlieren ihren

Antrieb, innerlich haben sie gekündigt. Folgen sind u.a. Burnouts und Berufswechsel.

- Der dritte Typus behält sowohl seinen Arbeitsstil als auch sein Berufsethos bei.

Genauer gesagt wächst aus dem Berufsethos ein selbstaufopfernder Arbeitsstil. In

der Tradition der Ordensschwestern und der unbezahlten Frauenarbeit opfern sich

die Pflegekräfte auf. Wie im Theorieteil vermutet, sollen dadurch die strukturellen

Mängel wie Zeit- und Personalmangel zu Gunsten der Bewohnenden auf eigene

Kosten kompensiert werden. Das Wohlbefinden der Bewohnenden ist wichtiger als

das eigene. Das heisst, Pflegekräfte machen beispielsweise ihre Pausen nicht oder

verbringen sie mit den Bewohnenden. Die Pflegekräfte leisten vor und nach ihren

Schichten unbezahlte Mehrarbeit, arbeiten in ihrer Freizeit und zu Hause. Oder die

Pflegekräfte arbeiten über ihre Leistungsgrenzen hinaus. Diese Selbstaufopferung

findet sich im Berufsethos und damit dem kulturellen Kapital der Pflegenden. Dieser

Typus leidet ebenfalls oft an Burnouts und Krankheiten.

- Der vierte Typus versucht durch kleine legale und illegale Tricks mehr Zeit und damit

eine höhere Pflegequalität für die Bewohnenden zu erreichen – gleichzeitig aber den

alten Arbeitsstil und auch das Ethos zu behalten. Hierbei versuchen die Pflegekräfte,

angetrieben von ihrem Berufsethos, kleine Handlungen zu vollziehen, welche ihnen

ermöglichen, ihrem Ideal der guten Pflege eher zu entsprechen. Dies erfolgt

beispielsweise durch das Auslassen von gewissen, als weniger relevant erachteten

Tätigkeiten, abgekürzten Dokumentationen oder höhere Einstufungen von

Bewohnenden. Letzteres erfolgt oft auch auf Druck und Anweisung der Arbeitgeber.

Diese Tricks können von Vorgesetzten respektive den Kontrollbehörden oder

Krankenkassen bestraft werden und erfolgen deshalb meist im Versteckten.

- Der fünfte Typus arbeitet genau gleich weiter wie bisher. Einerseits ist dies möglich,

wenn das Heim die Ökonomisierung nicht so hart umsetzt, oder anderseits, wenn die

Seite 80

Pflegekräfte in den offenen Konflikt mit ihren Vorgesetzten und Heimleitungen gehen

und sich durchsetzen können. Dieser Typus tauchte in der empirischen Untersuchung

bei den Pflegekräften am wenigstens auf. Oft wurde zwar berichtet, dass dies früher

teilweise gemacht wurde, jedoch zu negativen Konsequenzen führte. Durch

zunehmende Kontrolltätigkeit der Leitungen und Vorgesetzten, aber auch von

Kolleginnen und Kollegen des ersten Typus, wird der fünfte Typus immer seltener.

Die Kontrollen, der Druck und somit die kapitalistische Landnahme zeigen hier ihre

Wirkung. Zudem verhindern die schwache Stellung und damit die spezifische

Figuration der Pflegekräfte im Feld gegenüber den Arbeitgebern, dass mehr

Pflegekräfte in den offenen Konflikt gehen.

Es zeigte sich ebenfalls, dass sich kein kollektiver Widerstand gegen die

Ökonomisierung formiert hat. Dies wird mit der engen Bindung der Pflegekräfte an die

Bewohnenden erklärt. Eine weitere Erklärung besteht darin, dass die Arbeit in der stati-

onären Alterspflege sehr anstrengend ist und die Pflegekräfte durch die geteilten Dien-

ste nur wenig Freizeit haben. Hinzu kommt, dass viele Pflegekräfte wenig ökono-

misches Kapital besitzen und daher auf den Job angewiesen sind. Es zeigt sich

jedoch, dass sich die Pflegekräfte, welche sich individuell wehrten, oft durchsetzen

konnten. Ebenfalls wurde deutlich, dass die einzelnen Reaktionen nicht immer gleich

stark zum Vorschein treten. Früher oder später treten sie als Reaktion auf die Ökono-

misierung aber auf. Manchmal reichen kleine Reaktionen aus, um beispielsweise durch

kleine Selbstaufopferungen die Pflegequalität für die Bewohnenden zu verbessern und

genügend Zeit mit den Bewohnenden zu verbringen. Je nachdem wie stark die Ökono-

misierung fortgeschritten ist und wie sich die Leitungen der Alters- und Pflegeheime

verhalten, kommen die Reaktionen und ihre Folgen stärker oder schwächer vor.

7.4 Ökonomisierung und Entfremdung der Pflegekräfte

Als verbindendes Element zwischen den drei Unterfragestellungen der Leitfrage lässt

sich eine neue Art der Entfremdung bei den Pflegekräften feststellen. Dem zu Grunde

liegt die Veränderungen des Berufes und der Arbeit durch die Ökonomisierung. Die

fehlende Zeit und die tayloristische Funktionsweise der Pflegeerbringung mit dem

Minütelen als Umsetzung des Zeitbudgets führen dazu, dass sich die Pflegekräfte

schrittweise von den Bewohnenden entfremden. Die wichtige Emotions-, Gefühls- und

Beziehungsarbeit kann nicht mehr erbracht werden. Die Rückmeldungen der

Bewohnenden bleiben aus. Die Subjekt-Subjekt-Beziehung, welche der stationären

Alterspflege zu Grunde liegt und sie ausmacht, wird durch die Ökonomisierung

schrittweise zu einer Subjekt-Objekt-Beziehung, wie bei der industriellen

Seite 81

Güterproduktion. Die eigentlich untrennbare Einheit zwischen Pflegekräften und

Bewohnenden wird damit durchbrochen. Auch die Motive der Alters- und

Pflegeheimbetreiber verschieben sich in Richtung Sparen. Einige stellen gar das

Renditedenken in den Vordergrund. Deshalb tragen die Pflegekräfte in sich einen

Konflikt aus. Dieser basiert wie aufgezeigt auf den vielen Widersprüchen zwischen

dem Berufsethos (kulturelles Kapital) der Pflegekräfte und der tatsächlichen Arbeit,

welche durch die Spielregeln des sozialen Feldes der Pflege und ihrer Doxa bestimmt

ist. Der sinnstiftende Kern, welcher dem Berufsethos der Pflegekräfte entspringt, die

direkte Pflege- und vor allem Betreuungsarbeit für die Bewohnenden und deren

Wohlbefinden, stehen durch die Ökonomisierung somit unter Druck. Das Streben nach

Wirtschaftlichkeit der Alters- und Pflegeheime wird von den Pflegekräften als

Bedrohung des eigentlichen Wesens des Pflegeberufes gesehen. Deshalb empfinden

viele Pflegekräfte, welche länger in der stationären Alterspflege arbeiten, ihren Beruf

inzwischen als einen anderen. Sämtliche Reaktionen, welche bei den Pflegekräften

aufgrund der Ökonomisierung ausgemacht werden konnten, lassen sich als

Reaktionen auf die Entfremdung oder den Prozess der Entfremdung ihrer Arbeit

deuten. Der neue Arbeitsstil, welcher auf Schnelligkeit beruht und die Qualität der

Pflege ausser Acht lässt, ist Ausdruck der Entfremdung. Pflegekräfte können sich nun

von ihrem alten Berufsethos trennen und als „Pflegeroboter“ weiterarbeiten. Hierzu

wird ein neues Ethos aufgebaut. Oder Pflegekräfte resignieren und verlassen ihren

Beruf, da der Beruf nicht mehr ihren Vorstellungen entspricht und sie sich von ihm

entfremdet haben. Die anderen Reaktionen, also der individuelle Widerstand, die

kleinen Tricks und die Selbstaufopferung, sind persönliche Abwehrkämpfe der

drohenden Entfremdung dieser Pflegekräfte. Auch sie stoppen die Ökonomisierung

und die kapitalistische Landnahme nicht. Durch die zunehmenden Kontrollen,

insbesondere von anderen Pflegekräften, und die grösser werdende Belastung in der

Arbeitswelt, steigt der Druck, den neuen Arbeitsstil und das neue Ethos zu

übernehmen. Die Entfremdung nimmt damit zu.

7.5 Ökonomisierung und Zukunft

Es lässt sich feststellen, dass die Ökonomisierung vielfältige Wirkungen auf die Pflege-

kräfte hat. Sie verändert die Pflegekräfte aber auch die Regeln und Figurationen des

Feldes der Pflege schrittweise. Dies geschieht nicht immer ohne Konflikte und Pro-

bleme – oder gar im Einklang mit dem Willen und den Wünschen der Pflegekräfte. Da

die Ökonomisierung der Pflege voranschreitet, kann angenommen werden, dass die

vorgefundenen Ergebnisse künftig noch stärker im Alltag der Pflegekräfte Einzug

halten werden. Trennung von Pflege und Betreuung, tayloristische Methoden, Zeit-

Seite 82

korsetts, zunehmende Kontroll- und Dokumentationspflichten und damit schliesslich die

Entfremdung der Pflegekräfte von ihrer Arbeit sind Teil der fortschreitenden kapitalis-

tischen Landnahme. Damit werden die Regeln des Feldes der Pflege und ihrer

Subfelder wie der stationären Alterspflege für die einzelnen Akteurinnen und Akteure

nachhaltig verändert. Unter dem Druck, den neuen Arbeitsstil zu übernehmen, schreitet

die Taylorisierung und Ökonomisierung weiter voran. Pflegekräfte, welche nicht Schritt

halten können oder wollen, verlassen den Beruf. Wenn diese Entwicklung so weiter-

geht, werden sich der Kapitalismus und damit die Kapitalakkumulation in der Pflege

weiter ausbreiten. Die Gewinne der Unternehmen werden weiter steigen. Das neue

Berufsethos der Pflegekräfte entspräche Schritt für Schritt dem neoliberalen kapitalis-

tischen Geist. Ob dies allerdings langfristig möglich ist, sei es wegen dem grossen Per-

sonalbedarf, der zu hohen Personalfluktuation oder der dadurch abnehmenden Pflege-

qualität, lässt sich nicht beantworten. Es kann allerdings angenommen werden, dass

zwei Momente die Entwicklung ändern könnten. Es zeigt sich, dass tayloristische

Methoden nicht zu besseren Bedingungen für die Pflegekräfte und die Bewohnenden

führen. Qualitativ gute Pflege für alle kann nicht alleine vom freien Markt erbracht wer-

den. Da fast alle Menschen alt werden, einmal Pflege und Betreuung brauchen werden

und auch die Anzahl der Angehörigen zunimmt, könnte ein gesellschaftlicher und poli-

tischer Druck zu einer Umkehr der Ökonomisierung führen. Oder die Pflegekräfte ver-

ändern ihre Stellung im Feld der Pflege durch die Stärkung ihres sozialen Kapitals,

sprich indem sie sich kollektiv organisieren. Wie es sich bei den interviewten Pflege-

kräften zeigt, sind sich die Pflegekräfte des Widerspruchs zwischen Ökonomisierung

und guter Pflege und ihrem Berufsethos durchwegs bewusst. Und ihr Berufsethos will,

dass sie sich für die Bewohnenden einsetzen. Dies könnte ein erster Schritt sein in

Richtung eines kollektiven Bewusstseins und der Organisierung, hin zu einer Stärkung

des sozialen Kapitals der Pflegekräfte und damit ihrer Stellung im Feld. So könnten sie

sich einerseits für sich als Pflegekräfte, anderseits für die Bewohnenden einsetzen und

die Regeln verändern. Doch was würde dann geschehen? Ein neuer kapitalistischer

Geist könnte sich dieser Kritik und Systemfehler annehmen und Lösungen herausbrin-

gen, welche sowohl Wachstum und Gewinn ermöglichen als auch eine gute stationäre

Alterspflege. Oder es entsteht ein neuer Konsens, welcher ermöglicht, dass stationäre

Alterspflege ausserhalb der kapitalistischen Sphäre angeboten und ausgeführt wird.

Was genau geschieht und in welche Richtung es gehen wird, ist unklar. Auch ob

überhaupt eine der herausgearbeiteten Varianten Wirklichkeit werden wird, kann

aufgrund der vorhanden Daten und Theorien nicht gesagt werden. Fest steht jedoch,

dass die Ökonomisierung der Pflege sowohl für die Pflegekräfte, wie auch für die

Gesellschaft weiterhin ein wichtiges und aktuelles Thema bleiben wird.

Seite 83

8. Fazit

Diese Arbeit schliesst einen Teil der Forschungslücke zum Thema Ökonomisierung der

stationären Alterspflege sowie ihre Auswirkungen auf die Pflegekräfte. Für die Schweiz

lässt sich feststellen, dass die stationäre Alterspflege zunehmend marktförmig organi-

siert wird. Als zusätzliche Markttreiber wirken die wettbewerbsneutrale Subjektfinanzie-

rung und die hohe Kostenbeteiligung der Bewohnenden. Gleichzeitig reguliert ein

Triumvirat von Staat, Versicherungen und Heimträgern einzelne Aspekte der statio-

nären Alterspflegepflege wie etwa ihre Finanzierung. Dies entspricht eher der staats-

kapitalistischen chinesischen und nicht der rein neoliberalen Logik. Die Mischung der

beiden kapitalistischen Systeme erlaubt die momentan bestmögliche Kapitalakkumu-

lation in diesem Bereich. Staat, Krankenkassen und Heimträger führen dazu die nötige

kapitalistische Produktionsweise ein. Damit findet eine Ökonomisierung mit mannig-

faltigen Auswirkungen statt.

Um die Ökonomisierung und ihre Auswirkungen theoretisch analysieren zu können,

empfiehlt es sich, die stationäre Alterspflege in der Schweiz als ein figuratives soziales

Subfeld der Pflege zu betrachten. In diesem streiten verschiedene Akteurinnen und

Akteure wie Pflegekräfte oder Heimbetreiber um Macht und Einfluss. Jedes Feld und

Subfeld verfügt über seine eigenen Spielregeln (Doxa). Die Macht der Akteurinnen und

Akteure wird von der Akkumulation des spezifischen (ökonomischen, kulturellen,

sozialen und symbolischen) Pflegekapitals bestimmt.

Die Pflege war in der Schweiz lange ausserhalb der kapitalistischen Ordnung

organisiert. In den letzten Jahren fand eine kapitalistische Landnahme von ihr statt.

Dies führt zu Irritationen und ermöglicht eine Neuordnung im Feld. Um die Umstellung

in ihrem Sinne durchzusetzen setzen die Wirtschaft und Politik Druckmittel ein. Dies ist

beispielsweise die neue Pflegefinanzierung in der Schweiz. Denn am Anfang werden

solche Neuerungen meist abgelehnt. Mit der Zeit übernehmen die betroffenen

Personen diese jedoch, zuerst zwangsweise und dann wie von selbst. Sie

verinnerlichen diese schliesslich. Die Landnahme entspricht dem neuen Geist des

Kapitalismus. Im Moment ist dies der Neoliberalismus. Er bildet die neue Doxa des

Feldes der Pflege. Doch die neue kapitalistische Logik stösst in der Pflege auf ein

Problem. Die Produktivität kann dort nicht in dem Masse erhöht werden wie bei der

Produktion industrieller Güter. Die Pflege leidet an einer Kostenkrankheit und wird so

zu immer höheren Kosten führen. Trotzdem werden vermehrt tayloristische Methoden

und andere betriebswirtschaftliche Mittel zur angestrebten Produktivitätssteigerung und

Kostensenkung eingesetzt. Die Pflege wird dazu in einzelne Arbeitsschritte zerlegt. Zur

Seite 84

Erledigung jedes Schrittes werden knappe Zeitbudgets aufgestellt (Minütelen). Die

Pflege ist damit in engen und messbaren Zeitkorsetts gefangen. Was nicht messbar ist

wird wegrationalisiert. Damit entfällt ein zentraler Teil des Berufes. Eine Lohnhierarchie

soll eingeführt werden. Mit diesen tayloristischen Arbeitsmethoden wird versucht die

Produktivität zu steigern. Diese Entwicklung geht einher mit der Professionalisierung

des Berufes der Pflegekräfte, welcher ursprünglich unentgeltlich von Ordens-

schwestern als göttliche Aufgabe erledigt wurde. Durch die Ökonomisierung wird der

Beruf neu zugeschnitten und ist Spielball von verschiedenen Interessensgruppen.

8.1 Beantwortung der Leitfragestellung

Wie lässt sich nun die eingangs gestellte Fragestellung: „Wie wirkt sich in der

deutschsprachigen Schweiz die zunehmende Ökonomisierung der stationären

Alterspflege seit dem 1. Januar 2011 a) auf die Arbeitswelt der Pflegekräfte aus, b) was

für allfällige Widersprüche bestehen zwischen ihrem Berufsethos und den

Anforderungen durch die Ökonomisierung und c) wie reagieren die Pflegekräfte auf die

Folgen der Ökonomisierung?“, empirisch beantworten?

Ihr Arbeitsalltag ist aus Sicht der Pflegekräfte wegen der Ökonomisierung einem

starken Wandel unterworfen. Kostensparen und Renditedenken sind neu stets Teil

ihrer Arbeitswelt. Die tayloristischen Arbeitsinstrumente haben sich durchgesetzt. Neu

haben die Pflegekräfte pro Bewohnenden vordefinierte Zeiten zur Verfügung. Diese

beruhen auf normierten Zahlen. Die Zeitkorsetts sind eng bemessen und führen immer

öfters bereits bei den vorgesehenen medizinischen Handlungen zu Zeitnot. Damit

bleiben nicht messbare Handlungen wie Emotions-, Gefühls-, Beziehungs- und

psychosoziale Arbeit auf der Strecke. Jede Pflegekraft muss immer mehr Bewohnende

pflegen. Die Pflege kann dabei nicht mehr nach den qualitativen Massstäben der

Pflegekräfte erbracht werden. Deshalb fühlen sich verschiedene Pflegekräfte heute bei

ihrer Arbeit vermehrt an Fabrikarbeit erinnert. Gleichzeitig nimmt die Arbeitsteilung

immer mehr zu. FaGe und Pflegefachpersonen HF sehen die Bewohnenden immer

seltener und können so nicht mehr direkt mit ihnen arbeiten. Dafür erledigen sie

Aufgaben in der Planung, Leitung, Administration und Dokumentation, was bis zu 70 %

ihrer Arbeitszeit ausmacht. Die Arbeit mit den Bewohnenden übernimmt zu grossen

Teilen das Hilfs- und Assistenzpersonal. Der Dokumentationsteil der Arbeit hat stark

zugenommen. In gewissen Alters- und Pflegeheimen muss jedes einzelne verwendete

Heftpflaster belegt werden. Um die geforderten Dokumentationen zu bewältigen, ist

eine verstärkte Digitalisierung unumgänglich. Schritt für Schritt halten (portable)

Computer, Pflegeprogramme oder auch Strichcodes Einzug. Im Gegensatz zur

Seite 85

industriellen Produktion führen die tayloristischen Massnahmen aber nicht zu einer

Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Arbeitszeiten werden immer flexibler,

geteilte Dienste gehören zur Tagesordnung, kurzfristiges Einspringen wird erwartet und

die Arbeitspläne ändern immer wieder. Hohe Fluktuationsraten, Berufsausstiege und

Burnouts sind inzwischen die Norm.

Diese neue Arbeitswelt steht für die Pflegekräfte explizit und implizit im Widerspruch zu

ihrem Berufsethos, welches das Wohlbefinden der Bewohnenden über alles andere

setzt. Dafür ist eine ganzheitliche, individuelle und gute Pflege nötig, welche sowohl

Pflege im medizinischen Sinn wie auch betreuerische, Gefühls-, Emotions- und

Beziehungspflege beinhaltet. Die Ökonomisierung führt aber zu einer Verschlechterung

der Pflegequalität und damit des Wohlbefindens der Bewohnenden.

Die neue Arbeitswelt und der Widerspruch führen bei den Pflegekräften zu verschie-

denen Reaktionen, welche hier idealtypisch dargestellt werden. Diese Typen können in

der Realität auch gemischt und in unterschiedlichen Intensitäten vorkommen. Der erste

Reaktionstyp ist die Übernahme eines neuen, den Anforderungen des Taylorismus und

der Ökonomisierung entsprechenden Arbeitsstils inklusive Reduktion der Pflege-

qualität. Gleichzeitig trennen sich diese Personen vom bisherigen Berufsethos und

entwickeln ein neues, das den veränderten Umständen entspricht und nicht mehr die

Bewohnenden im Zentrum hat. Auch beim zweiten Typus werden die Arbeiten gemäss

der neuen Anforderungen erledigt. Das Berufsethos bleibt jedoch das alte. Der innere

Konflikt dieser Pflegekräfte führt zu Resignation, Antriebslosigkeit und inneren Kündi-

gungen. Beim dritten Typus opfern sich die Pflegekräfte für das Wohlbefinden der

Bewohnenden selbst auf, etwa indem sie die Pausen nicht beziehen oder in ihrer

Freizeit unbezahlt arbeite. Dadurch haben diese Pflegekräfte mehr Zeit für die Bewoh-

nenden. Gleichzeitig bewegen sie sich jedoch an ihrem Leistungslimit. Der vierte Typus

versucht durch kleine legale und/oder illegale Tricks mehr Zeit für die Pflege zu erlan-

gen. Damit sollen die eigenen Ansprüche für gute Pflege und das Wohl der Bewoh-

nenden trotz der Ökonomisierung aufrechterhalten werden. Dies kann beispielsweise

durch das Auslassen von gewissen Arbeiten oder Tricksereien bei den Pflege-

einstufungen erfolgen. Der fünfte Typus will wie früher weiter arbeiten und geht offen in

den Konflikt. Solche Pflegekräfte laufen Gefahr, von Leitungen und Krankenkassen

bestraft zu werden. Gleichzeitig müssen sie auch mit negativen Konsequenzen seitens

anderer Pflegekräfte rechnen, welche das neue Ethos bereits inkorporiert haben.

Als verbindendes, gemeinsames Element lässt sich eine Entfremdung der Pflegekräfte

von ihrem Beruf und den Bewohnenden feststellen. Pflegekräfte üben diesen Beruf

Seite 86

aus, um Beziehungs-, Gefühls-, und Emotionsarbeit auszuüben, für die Bewohnenden

da zu sein und mit ihnen zu arbeiten. Dieser wichtige Teil sowie die Reaktion und

Interaktion mit den Bewohnenden fehlen den Pflegekräften. Die Ökonomisierung

verwandelt die ehemalige Subjekt-Subjekt-Beziehung zwischen Pflegekräften und

Bewohnenden in ein Subjekt-Objekt-Verhältnis. Die Einheit zwischen beiden Seiten

wird aufgebrochen. Die Pflegekräfte entfremden sich dadurch von ihrer Arbeit und den

Bewohnenden. Die Entwicklungen der Arbeitswelt sowie der erlebte Widerspruch der

Pflegekräfte drücken dies aus. Die Reaktionen sind Folgen dieser Entfremdung oder

Versuche sie zu verhindern.

8.2 Bewertung und Ausblick

Die vorliegende Arbeit und die Ergebnisse bieten insgesamt einen guten Einblick in

das Themengebiet der Ökonomisierung der Pflege und der Auswirkungen auf die

Pflegekräfte. Die empirischen und theoretischen Ergebnisse erscheinen umfassend,

realistisch und passen zueinander. Die ganze Arbeit hat einen explorativen Charakter

und erhellt diesen bisher wenig erforschten Bereich. Gerade deshalb erlauben die

Ergebnisse und Erkenntnisse auch Anschlussforschungen. Die Ergebnisse wurden

nach den gängigen Standards der qualitativen Sozialforschung ermittelt. Nichts

destotrotz gibt es einige Punkte, welche bei dieser Arbeit kritisch betrachtet werden

müssen. Die Ergebnisse bringen die subjektive Sicht der beteiligten Pflegekräfte zum

Ausdruck und keine universell geltenden Wahrheiten. In vielen Punkten wurden die

Antworten idealtypisch dargestellt, wie beispielsweise bei den Reaktionen der Pflege-

kräfte. In der Realität wird die Intensität der vorgefunden Ergebnisse von Kanton zu

Kanton und von Heim zu Heim unterschiedlich sein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die

Stellung des Verfassers als Gewerkschaftssekretär, welcher, wie in der Selbstreflexion

ausgeführt, beruflich eine grosse Nähe zum Untersuchungsgegenstand aufweist. Dies

kann zum Beispiel das Verhalten der befragten Personen beeinflusst haben, eher die

Aussagen gemacht zu haben, von denen sie denken, dass sie der Erwartung des

Forschenden entsprechen. Ebenfalls kann die Auswahl der untersuchten Personen

kritisiert werden. Gerade das Schneeballsystem kann dazu führen, dass Pflegekräfte

empfohlen wurden, welche ähnlich denken wie die direkt angefragten Personen. Des

Weiteren erwies es sich bei der Literaturanalyse als schwierig, zwischen stationärer

Alterspflege und Pflege im Generellen zu unterscheiden. Das liegt daran, dass die

stationäre Alterspflege bisher in den Theorien und der Literatur oft stiefmütterlich

behandelt und einfach mitgemeint wurde.

Seite 87

Abschliessend stellt sich die Frage, welche Anschlussforschungen gemacht werden

könnten, um das Themengebiet weiter zu ergründen. Eine Möglichkeit ist, die hier

angewandte empirische Forschung mit einem anderen Sampling zu wiederholen,

sprich die Pflegekräfte nach einer anderen Methode auszuwählen oder die Anzahl der

Interviews zu erhöhen. Ebenfalls wäre die Ausweitung des Untersuchungsgegen-

standes auf die ganze Schweiz und auf andere Pflegebereiche, wie die Akutpflege

oder die ambulante (Alters-)Pflege, wünschenswert. Ein Wechsel der Methoden könnte

ebenfalls neue Ergebnisse liefern. So wären teilnehmende Beobachtungen innerhalb

von Alters- und Pflegeheimen sicher sehr erkenntnisbringend. Spannend wären

zusätzlich quantitative Methoden oder Mixed-Method-Untersuchungen. Diese würden

es beispielsweise erlauben, die Ergebnisse dieser Arbeit zu überprüfen. Gewinn-

bringend wäre auch die Vertiefung einzelner Aspekte. So wäre beispielsweise die

Lebensführung von Pflegekräften ein spannender Punkt. Oder man könnte die

Perspektive wechseln und die Auswirkungen der Ökonomisierung auf die

Bewohnenden oder die Heimbetreiber erforscht werden. Ein in dieser Arbeit kaum

beachtetes Thema ist die Migration. Diese ist aber für die Gesellschaft, die Pflege und

im Bereich der Ökonomisierung ein wichtiges Forschungsfeld. Interessant wären

Forschungen zu den migrantischen Pflegekräften, den Auswirkungen der Migration auf

das Feld der Pflege, der Pflegemigration auf die Gesellschaft und die politischen

Regulationen. Ebenfalls würde sich eine international vergleichende Forschung zur

Ökonomisierung im Bereich der Pflege anbieten. Jeder Nationalstaat reagiert mit

unterschiedlichen Politiken auf den vermehrten Bedarf an Pflege und Pflegekräften.

Zudem findet die Ökonomisierung unterschiedlich statt und damit sind die

Auswirkungen auf die Pflegekräfte nicht immer dieselben.

Es zeigt sich: Zum Thema Ökonomisierung und Pflege kann noch viel geforscht

werden. Dies ist auch wichtig, denn nur die Forschung erlaubt uns Erkenntnisgewinne

für einen Bereich, welcher uns alle etwas angeht. Wir alle werden älter oder werden

einmal krank. Wir alle brauchen einmal Pflege. Und dann wünschen wir uns nicht nur

eine gute, sondern die beste Pflege und Betreuung.

Seite 88

9. Literaturverzeichnis

Aiken, Linda H., Sean P. Clarke, Sloane M. Douglas, Julie Sochalski und Jeffrey H.

Silber. 2002. Patient Mortality, Nurse Burnout and Job Dissatisfaction. Journal of

the American Medical Association. 288(16): 1987-1993.

ALBA, Alters- und Behindertenamt Abteilung Alter. 2013. Grundlagen zur

Betriebsbewilligung im Bereich der stationären Alterspflege. Bern: Gesundheits-

und Fürsorgedirektion des Kantons Bern.

Albrecht, Simone. 2015. Burnout – ein Leitfaden des ifa. Institut für Arbeitsrecht.

Webdokument.

http://www.arbeitsmedizin.ch/fileadmin/public/Dokumente/Burnout/Burnout__Leitfa

den_03_2015_1.pdf (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Allgäuer, Michael. 2009. Zukünftige Herausforderungen in der Langzeitpflege: Wie

sehen die Strategien aus? Wer steuert? Mit welchen Instrumenten wird gesteuert?

Ein Vergleich der staatlichen Strategien und Steuerungsinstrumente in Basel, Bern

und Zürich. Masterarbeit eingereicht an der Universität Bern im Rahmen des

Executive Master of Public Administration (MPA), 15. Oktober 2009. Bern:

Kompetenzzentrum für Public Management. Universität Bern.

Altvater, Elmar. 2005. Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale

Kapitalismuskritik. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Amrhein, Ludwig. 2005. Pflege in konflikt- und austauschtheoretischer Perspektive. S.

107-124. In Soziologie der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und

Perspektiven, herausgegeben von K. Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim:

Juventa.

Anttonen, Anneli und Gabrielle Meagher. 2013. Mapping Marketisation: Concepts and

Goals. S. 13-22. In Marketisation in Nordic Eldercare: A Research Report on

Legislation, Oversight, Extent and Consequences, herausgegeben von G.

Meagher und M. Szebehely. Stockholm: Stockholm University.

Arbeitskreis Strategic Unionism. 2013. Jenaer Machtressourcenansatz 2.0. S. 345-375.

In Comeback der Gewerkschaften? Machtressourcen. Innovative Praktiken,

internationale Perspektiven, herausgegeben von S. Schmalz und K. Dörre.

Frankfurt a. M.: Campus.

Aulenbacher, Brigitte, Kristina Binner und Maria Dammayr. 2014. Gute Arbeit und

soziale Teilhabe. Wie marktgerecht darf es denn sein? Leitbilder in Wissenschaft

und Pflege in Grossbritannien, Österreich und Schweden. S. 339-352. In Arbeit in

Europa. Marktfundamentalismus als Zerreisprobe, herausgegeben von K. Dörre,

K. Jürgens und I. Matuscheck. Frankfurt a.M.: Campus.

Seite 89

Balmer, Dominik, Catherine Boss und Alexandre Haederli. 2014a. Millionengewinne

auf Kosten der Betagten In Sonntagszeitung vom 28. September 2014.

http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_28_09_2014/nachrichten/Millionengewinne

-auf-Kosten-der-Betagten-16074 (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Balmer, Dominik und Alexandre Haederli. 2014b. Die grossen drei der Branche. In

Sonntagszeitung vom 28. September 2014.

http://www.sonntagszeitung.ch/read/sz_28_09_2014/nachrichten/Die-grossen-drei-

der-Branche-16077 (zuletzt besucht am 01. Juni 2015).

Balmer, Dominik. 2012. Milliardengeschäft mit Altersheimen boomt. In Berner Zeitung

vom 20. Juli 2012. http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/unternehmen-und-

konjunktur/Milliardengeschaeft-mit-Altersheimen-----boomt/story/17273545 (zuletzt

besucht am 01. Juni 2015).

Bauch, Jost. 2005. Pflege als soziales System. S. 71-84. In Soziologie der Pflege.

Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven, herausgegeben von K.

Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim: Juventa.

Baumann, Hans und Beat Ringger. 2013. Care, Produktivität, Emanzipation: Der Care-

Imperativ. S. 134-176. In Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung

des Kapitalismus, herausgegeben von H. Baumann, I. Bischel, M. Gemperle, U.

Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich: Edition 8.

Baumol, William und Alan Blinder. 1985. Economics. Principles and Policy. San Diego:

Harcourt Brace Jovanovich.

Beauchamp, Tom L. und James F. Childress. 2009. Principles of Biomedical Ethics.

Oxford: Oxford University Press.

Behrens, Johann. 2014. Evidence based Nursing. S. 151-164. In Handbuch

Pflegewissenschaft. Studienausgabe, herausgegeben von D. Schaeffer und K.

Wingfeld. Weinheim: Beltz Juventa.

BfS, Bundesamt für Statistik. 2015. Statistik der sozialmedizinischen Institutionen 2013

– Standardtabellen. Definitive Resultate. Neuchâtel: BfS.

Bischoff-Wanner, Claudia. 2014. Pflege im historischen Vergleich. S. 19 – 36. In

Handbuch Pflegewissenschaft. Studienausgabe, herausgegeben von D. Schaeffer

und K. Wingfeld. Weinheim: Beltz Juventa.

Bischoff-Wanner, Claudia. 2002. Empathie in der Pflege. Bern: Hans Huber.

Bischoff, Claudia. 1992. Frauen in der Krankenpflege. Zur Entwicklung von Frauenrolle

und Frauenberufstätigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Campus.

Seite 90

Blüher, Stefan und Manfred Stosberg. 2005. Pflege im Wandel veränderter

Versorgungsstrukturen: Pflegeversicherung und ihre gesellschaftlichen

Konsequenzen. S. 177-192. In Handbuch Pflegewissenschaft. Studienausgabe,

herausgegeben von D. Schaeffer und K. Wingfeld. Weinheim: Beltz Juventa.

Bohnsack, Ralf. 1999. Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in Methodologie

und Praxis qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer.

Boltanski, Luc und Chiapello Eve. 2006. Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz:

UVK.

Bornewasser, Manfred. 2014. Dienstleistungen im Gesundheitssektor. S. 1-26. In

Dienstleistungen im Gesundheitssektor. Produktivität, Arbeit und Management,

herausgegeben von M. Bornewasser, B. Kriegesmann und J. Zülch. Wiesbaden:

Springer.

Bourdieu, Pierre. 2009. Das Elend der Welt. Konstanz: UVK.

Bourdieu, Pierre. 1998. Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Strategie

des wissenschaftlichen Feldes. Konstanz. UVK.

Bourdieu, Pierre. 1988. Gegenfeuer. Konstanz. UVK.

Bourdieu, Pierre. 1987. Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen

Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag.

Breuer, Franz. 2010. Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die

Forschungspraxis. Wiesbaden: VS.

Brügger, Helen. 2015. Betagte in Windeln für die Rendite. In WOZ Die Wochenzeitung

Nr. 05/2015 vom 29. Januar 2015. http://www.woz.ch/1505/langzeitpflege/betagte-

in-windeln-fuer-die-rendite (Besucht am 1. Juni 2015).

Buchinger, Sascha. 2012. Personalmarketing in der stationären Altenhilfe. Fachkräfte

gewinnen und halten. Stuttgart: Kohlhammer.

Budlender, Debbie. 2004. Why Should We Care about UNPAID CARE WORK?

Harare: UNIFEM.

Bundesversammlung, Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

2015. Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) vom 18. März 1994

Webdokument. https://www.admin.ch/opc/de/classified-

compilation/19940073/index.html (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Burawoy, Michael. 2005. 2004 Presidential Address. For Public Sociology. American

Sociological Review. 56(2): 259-294.

Seite 91

Burren, Susanne. 2007. Massenstudienfach, epistemische Fragmentierung und

politische Legitimität. S. 317-336. In Konkurrierende Deutungen des Sozialen.

Geschichts-, Sozial-, und Wirtschaftswissenschaften im Spannungsfeld von Politik

und Wissenschaft, herausgegeben von C. Honegger, H-U. Jost, S. Burren und P.

Jurt. Zürich: Chronos.

Christen, Andreas, Fabian Hürzeler, Sascha Jucker und Emanuel Roos. 2015.

Gesundheitswesen Schweiz 2015. Swiss Issues Branchen. Die Zukunft des

Pflegeheimmarkts. Pfäffikon: Schellenberg.

Christians, Clifford. 2005. Ethics and Politics in Qualitativ Research. S. 139- 164. In

The Sage Handbook Qualitative Research, herausgegeben von N. Denzin und Y.

Lincoln. Thousand Oaks: Sage.

Curaviva und Qualis. 2011. Bedingungen und Einflussfaktoren für einen attraktiven

Arbeitsplatz in Institutionen der Langzeitpflege. Zürich: Curaviva.

Dolder, Peter und Anette Grünig. 2009. Nationaler Versorgungsbericht für die

Gesundheitsberufe 2009. Personalbedarf und Massnahmen zur

Personalsicherung auf nationaler Ebene. Bern: GDK und OdASanté.

Donath, Susan. 2014. Die andere Wirtschaft. Vorschlag für eine eigenständige

feministische Ökonomie. S. 167-177. In Kritik des kritischen Denkens,

herausgegeben von I. Bichsel, U. Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich:

Edition 8.

Dörre, Klaus. 2014a. Sozialkapitalismus und Krise: Von der inneren Landnahme zu

äusserer Dominanz. S. 25-50. In Arbeit in Europa. Marktfundamentalismus als

Zerreisprobe, herausgegeben von K. Dörre, K. Jürgens und I. Matuscheck.

Frankfurt a.M.: Campus.

Dörre, Klaus. 2014b. Prekarität – Zentrum der sozialen Frage im 21. Jahrhundert. Auf

die Plätze, Arbeit (s) los! 23. September 2014. Bremen: Arbeitnehmerkammer.

Dörre, Klaus. 2013. Landnahme. Triebkräfte, Wirkung und Grenzen kapitalistischer

Wachstumsdynamik. S. 112-140. In Die globale Einhegung – Krise, Ursprüngliche

Akkumulation und Landnahmen im Kapitalismus, herausgegeben von M.

Backhouse, O. Gerlach, S. Kalmring und A. Nowak. Münster: Westfälisches

Dampfboot.

Dörre, Klaus. 2012. Die neue Landnahme. Dynamiken und Grenzen des

Finanzmarktkapitalismus. In Soziologie – Kapitalismus – Kritik. Eine Debatte.

herausgegeben von K. Dörre, S. Lessenich und H. Rosa. Frankfurt a. M.:

Suhrkamp.

Seite 92

Dörre, Klaus. 2009. Prekarität im Finanzmarktkapitalismus. S. 35-64. In Prekarität,

Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts,

herausgegeben von R. Castel und K. Dörre. Frankfurt a.M.: Campus.

Dresing, Thorsten und Thorsten Pehl. 2011. Praxisbuch Transkription. Regelsysteme,

Software und praktische Anleitungen für qualitative ForscherInnen. Marburg: VS.

Dunkel, Wolfgang. 2005. Zur Lebensführung von Pflegekräften. S. 227-246. In

Soziologie der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven,

herausgegeben von K. Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim: Juventa.

Durtschi, Adrian, Barbara Gysi, Silvia Marti, Katharina Prelicz-Huber, Beat Ringger,

Sarah Schilliger, Theresia Storz, Hans Sturm, Susanne Ulrich und Christina

Werder. 2015. Das Denknetzpflegemodell. Eine Skizze. Denknetz Fachgruppe

Langzeitpflege und -betreuung. Zürich: Denknetz.

EDI, Eidgenössisches Departement des Inneren. 2015. Verordnung des EDI über

Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung (Krankenpflege-

Leistungsverordnung, KLV) vom 29. September 1995 (Stand am 1. Juni 2015).

Webdokument: https://www.admin.ch/opc/de/classified-

compilation/19950275/index.html (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Elias, Norbert. 2004. Was ist Soziologie? Weinheim: Juventa.

Federici, Silvia. 2013. Ursprüngliche Akkumulation, Globalisierung und Reproduktion.

S. 40 – 52. In Die globale Einhegung – Krise, Ursprüngliche Akkumulation und

Landnahmen im Kapitalismus, herausgegeben von M. Backhouse, O. Gerlach, S.

Kalmring und A. Nowak. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Federici, Silvia. 2012. Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen

Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution Reihe: Kittchen

Politics, Band 1. Münster: Edition Assemblage.

Feministische AutorInnengruppe. 2013. Das Theorem der Neuen Landnahme: Eine

feministische Rückeroberung. S. 99-118. In Care statt Crash Sorgeökonomie und

die Überwindung des Kapitalismus, herausgegeben von H. Baumann, I. Bischel,

M. Gemperle, U. Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich: Edition 8.

Fenchel, Volker. 2008. Sozialwissenschaftliche Theorieansätze und ihre Bedeutung für

die Pflege. S. 143-176. In Pflegewissenschaft 1. Lehr- und Arbeitsbuch zur

Einführung in das wissenschaftliche Denken in der Pflege, herausgegeben von H.

Brandenburg und S. Dorschner. Bern: Hans Huber.

Flick, Uwe. 2011. Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek bei Hamburg:

Rowohlt.

Flick, Uwe. 2008. Triangulation. Eine Einführung. Wiesbaden: VS.

Seite 93

Folbre, Nancy. 2006. Nursebots to the Rescue? Immigration, Automation and Care.

Globalizations. 3(3): 349-360.

Fuchs-Heinritz, Werner und Alexandra König. 2005. Pierre Bourdieu. Konstanz: UVK.

Garms-Homolovâ, Vjenka. 2014. Pflege im Alter. S. 405- 428. In Handbuch

Pflegewissenschaft. Studienausgabe, herausgegeben von D. Schaeffer und K.

Wingfeld. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Garz, Deltlef und Klaus Kraimer. 1991. Qualitativ-empirische Sozialforschung im

Aufbruch. S. 1-34. In Qualitativ-Empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden,

Analysen, herausgegeben von D. Garz und K. Kraimer. Opladen: Westdeutscher

Verlag.

Glasl, Friedrich. 1994. Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und

Behandlung von Konflikten für Organisationen und Berater. Bern: Paul Haupt.

Grabbe, Yvonne, Hans-Dieter Nolting und Stefan Loos. 2005. DAK-BWG.

Gesundheitsreport 2005. Stationäre Krankenpflege. Arbeitsbedingungen und

Gesundheit von Pflegenden in Einrichtungen der stationären Krankenpflege in

Deutschland vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Gesundheitssystems.

Berlin: Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH.

Greuter, Susy. 2015. Care in der Pflege – ein Auslaufmodell. In Krankenpflege 5/2015,

Mai 2015: 14-17.

Greuter, Susy. 2013. Rationalisiert, rationiert und prekarisiert: Die Situation der Care-

Arbeiterinnen in der Spitex. In Arbeit ohne Knechtschaft. Bestandsaufnahmen und

Forderungen rund ums Thema Arbeit, herausgegeben von R. Gurny und U.

Teklenburg. Zürich: Edition 8.

Haller, Lisa Y. und Chorus Silke. 2013. Care, Wert und Wohlfahrtsstaat. Plädoyer für

die Berücksichtigung des Staates als zentraler Akteur der politischen Ökonomie.

S. 64-73. In Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des

Kapitalismus, herausgegeben von H. Baumann, I. Bischel, M. Gemperle, U.

Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich: Edition 8.

Harvey, David, 2007. Kleine Geschichte des Neoliberalismus. Zürich: Rotpunktverlag.

Harvey, David. 2005. The new imperialism. Oxford: Oxford University Press.

Heintze, Cornelia. 2015. Skandinavien macht es vor: Eine gute Langzeitpflege und –

betreuung ist gut für alle. VPOD-Verbandskonferenz, Januar 2015. Zürich:

Denknetz und VPOD.

Helfferich, Cornelia. 2011. Die Qualität qualitativer Daten: Manual für die Durchführung

qualitativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Seite 94

Hofmann, Friedrich, Martina Michaelis, Matthias Nübling und Ulrich Stössel. 1998.

Bandscheibenerkrankungen und Wirbelsäulenbeschwerden im Pflegeberuf. Die

internationale Freiburger Wirbelsäulenstudie. S. 235-251. In Berufsbedingte

Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, herausgegeben von D. Wolter und H.

Seide. Berlin: Springer.

Höpflinger, Francois, Lucy Bayer-Oglesby und Andrea Zumbrunn. 2011.

Pflegebedürftigkeit und Langzeitpflege im Alter. Aktualisierte Szenarien für die

Schweiz. Bern: Hans Huber.

Höpflinger, Francois. 2004. Age Report 2004. Traditionelles und neues Wohnen im

Alter. Zürich: Seismo.

Horster, Detlef. 2013. Paradigmenwechsel in der Systemtheorie. (Einführung). S. 1-8.

In Soziale Systeme, herausgegeben von D. Horster. Berlin: Akademie.

Hug, Thomas und Gerald Poscheschnik. 2015. Empirisch forschen. Die Planung und

Umsetzung von Projekten im Studium. Konstanz: UVK.

Initiativkomitee Thuner-Altersheiminitiative. 2015. Die Initiative. Webdokument.

http://www.altersheimeretten.ch/?page_id=180 (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Jäggi, Jolanda und Kilian Künzi. 2015. Unterstützung für Hilfe- und Pflegebedarf im

Alter – Ein Systemvergleich zwischen Deutschland, Japan und der Schweiz. Bern:

Büro BASS.

Kalmring, Stefan. 2013. Die Krise als Labor gesellschaftlicher Entwicklungen.

Fortgesetzte ursprüngliche Akkumulation und die grossen Krisen der

Kapitalakkumulation. S. 72-111. In Die globale Einhegung – Krise, Ursprüngliche

Akkumulation und Landnahmen im Kapitalismus, herausgegeben von M.

Backhouse, O. Gerlach, S. Kalmring und A. Nowak. Münster: Westfälisches

Dampfboot.

Kassensturz und Espresso. 2013. Personal-Qualifikation in Pflegeheimen.

Webdokument.

http://www.srf.ch/konsum/content/download/1615162/14247454/version/1/file/c412

ed147cd10a78d0720deb5e0cca0a.pdf (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Klie, Thomas. 2014. Wen kümmern die Alten? Auf dem Weg in eine sorgenden

Gesellschaft. München: Pattloch.

Knobloch, Ulrike. 2013. Sorgenökonomie als kritische Wirtschaftstheorie des Sorgens.

S. 9-23. In Care statt Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des

Kapitalismus, herausgegeben von H. Baumann, I. Bischel, M. Gemperle, U.

Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich: Edition 8.

Seite 95

Koch-Straube, Ursula. 2005. Lebenswelt Pflegeheim. S.222-227. In Soziologie der

Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven, herausgegeben von K.

Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim und München: Juventa.

Koch-Straube, Ursula. 2003. Fremde Welt Pflegeheim. Eine ethnologische Studie.

Bern: Hans Huber.

Kössler, Reinhart. 2013. Prozesse der Trennung. Gewalt im Ursprung und

fortgesetztes Prozessieren des Kapitals. S. 20 – 39. In Die globale Einhegung –

Krise, Ursprüngliche Akkumulation und Landnahmen im Kapitalismus,

herausgegeben von M. Backhouse, O. Gerlach, S. Kalmring und A. Nowak.

Münster: Westfälisches Dampfboot.

Kraus, Björn: 2013. Erkennen und Entscheiden. Grundlagen und Konsequenzen eines

erkenntnistheoretischen Konstruktivismus für die Soziale Arbeit. Weinheim: Beltz

Juventa.

Krotz, Friederich. 2005. Neue Theorien entwickeln. Eine Einführung in die Grounded

Theory, die Heuristische Sozialforschung und die Ethnographie anhand von

Beispielen aus der Kommunikationsforschung. Köln: Herbert von Halem.

Kruse, Jan. 2015. Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz. Weinheim:

Beltz Juventa.

Künzi, Kilian und Marianne Schär Moser. 2002. Die Arbeitssituation im Pflegebereich

im Kanton Bern. Untersuchung im Rahmen des Projekts „Verbesserung der

Arbeitssituation im Pflegebereich (VAP)“ Synthesebericht. Bern: Büro BASS, Büro

a&o.

Kurtz, Thomas. 2002. Berufssoziologie. Bielefeld: Transcript.

Lampart, Daniel. 2015. Falsche Vorwürfe von Arbeitgebern und Economiesuisse:

Beschäftigungswachstum im Gesundheits- und Sozialwesen bei den privaten

Firmen, nicht beim Staat. Webdokument: http://www.sgb.ch/aktuell/blog-daniel-

lampart/entry/falsche-vorwuerfe-von-arbeitgebern-und-economiesuisse-

beschaeftigungswachstum-im-gesundheits-und-s/year/2015/month/03/day/30/

(zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Loffing, Christian und Stephanie Geise. 2010. Managment und Betriebswirtschaft in der

ambulanten und stationären Altenpflege. Lehrbuch für Führungskräfte,

Weiterbildungsteilnehmende und Studenten. Bern: Hans Huber.

Ludwig, Iris und Monika Schäfer. 2011. Die Differenzierung beruflicher Funktionen in

der Pflege als Herausforderung und Chance. S. 24-41. In Pflegewissenschaft in

der Praxis. Eine kritische Reflexion, herausgegeben von S. Käppeli. Bern. Hans

Huber.

Luhmann, Niklas. 1986. Ökologische Kommunikation. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Seite 96

Luxemburg, Rosa. 1975. Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen

Erklärung. In Gesammelte Werke Band 5 – Ökonomische Schriften. Berlin: Dietz.

Madörin, Mascha. 2014a. Ökonomisierung des Gesundheitswesens − Erkundungen

aus der Sicht der Pflege. Winterthur: Departement Gesundheit. Institut für Pflege.

Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft.

Madörin, Mascha. 2014b. Ökonomisierung des Gesundheitswesens – Erkundungen

aus der Sicht der Pflege Teil 1: Der Kostendruck auf das Gesundheitswesen und

auf die Pflege. Winterthur: Departement Gesundheit. Institut für Pflege. Zürcher

Hochschule für Angewandte Wissenschaft.

Madörin, Mascha. 2014c. Kommentar zu Donaths Artikel aus Sicht einer feministischen

Politökonomin. S. 178-187. In Kritik des kritischen Denkens, herausgegeben von I.

Bichsel, U. Knobloch, B. Ringger und H. Schatz. Zürich: Edition 8.

Madörin, Mascha. 2013. Die Logik der Care Arbeit. Annäherung einer Ökonomin. S.

128 – 145. In Arbeit ohne Knechtschaft. Bestandsaufnahmen und Forderungen

rund ums Thema Arbeit, herausgegeben von R. Gurny und U. Teklenburg. Zürich:

Edition 8.

Madörin, Mascha. 2011. Das Auseinanderdriften der Arbeitsproduktivität: Eine

feministische Sicht. S. 56-70. In Gesellschaftliche Produktivität jenseits der

Warenform, herausgegeben von H. Baumann, B. Ringger, H. Schatz, W. Schöni

und B. Walpen. Zürich: Edition 8.

Madörin, Mascha. 2007. Neoliberalismus und die Reorganisation der Care-Ökonomie.

Eine Forschungsskizze. S. 141-162. In Zur politischen Ökonomie der Schweiz.

Eine Annäherung, herausgegeben von H. Baumann, B. Ringger, H. Schatz, W.

Schöni und B. Walpen. Zürich: Edition 8.

Maiolino, Angelo. 2014. Politische Kultur in Zeiten des Neoliberalismus. Eine

Hegemonieanalyse. Bielefeld. Transkript.

Mankiw, Nicholas Gregory und Markus Taylor: 2004. Grundzüge der

Volkswirtschaftslehre. Stuttgart: Schäffer-Pöschel.

Mankiw, Nicholas Gregory. 2004. Principles of Economics. Mason, Ohio: Thomson

South-Western.

Manzei, Alexandra und Rudi Schmiede. 2014. 20 Jahre Wettbewerb im

Gesundheitswesen. Theoretische und empirische Analysen zur Ökonomisierung

von Medizin und Pflege. Wiesbaden: Springer.

Marx, Karl. 1972. Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Berlin: Dietz.

Seite 97

Marx, Karl und Friedrich Engels. 1968. Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation. S.

741-791. In Das Kapital herausgegeben von K. Marx und F. Engels - Werke, Band

23, Bd. I, Siebenter Abschnitt. Berlin: Dietz Verlag.

Meuser, Michael und Ulrike Nagel. 1991. ExpertInneninterviews. Vielfach erprobt,

wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. S. 441 – 467. In

Qualitativ-Empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen,

herausgegeben von D. Garz und K. Kraimer. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Michaelis, Martina. 2005. Pflege als extreme Verausgabung. Arbeitssoziologische

Aspekte. S. 211-226. In Soziologie der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und

Perspektiven, herausgegeben von K. Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim:

Juventa.

Moser, Heinz. 2008. Instrumentenkoffer für die Praxisforschung. Eine Einführung.

Zürich: Pestalozzianum und Lambertus.

Müller, Herbert. 2011. Arbeitsorganisation in der Altenpflege. Ein Beitrag zur

Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung. Hannover: Schlütersche.

Nerdinger, Friedmann W. 2012. Emotionsarbeit im Dienstleistungsbereich. Report

Psychologie. 37(1): 8-18.

Nicolai, Peider. 2009. Systemwechsel Objekt-/Subjektfinanzierung. Neue

Herausforderungen für öffentliche Alters- und Pflegeinstitutionen. Bern: Senevita.

Oppolzer, Alfred. 1974. Entfremdung und Industriearbeit: die Kategorie der

Entfremdung bei Karl Marx. Köln: Pahl-Rugenstein.

Pelizzari, Alessandro. 2001. Die Ökonomisierung des Politischen. Konstanz: UVK.

Prey, Hedwig, Martin Schmid, Marco Storni und Sybille Mühleisen. 2004. Zur Situation

des Personals in der schweizerischen Langzeitpflege. Zürich: Rüegger.

Przyborski, Aglaja und Monika Wohlrab-Sahr. 2014. Qualitative Sozialforschung. Ein

Arbeitsbuch. München: Oldenbourg.

Rabinbach, Anson. 2001. Motor Mensch. Kraft, Ermüdung, und die Ursprünge der

Moderne. Wien: Turia und Kant.

Rasch, Wilhelm. 2013. Soziale Systeme. (Kapitel 1). S. 9-22. In Soziale Systeme,

herausgegeben von D. Horster. Berlin: Akademie.

Rickenbach, Rainer. 2014. Private Investoren erobern Altersheime. In Neue Luzerner

Zeitung Nr. 59 vom 12. März 2014, S. 3.

Rieger, Andreas, Vania Alleva und Pascal Pfister. 2012. Verkannte Arbeit

Dienstleistungsangestellte in der Schweiz. Zürich: Rotpunktverlag.

Seite 98

Rosenthal, Thomas. 2005. Pflege und Managment: ein Spannungsfeld. Konzepte –

Kontroversen – Konsequenzen. S. 299-322. In Soziologie der Pflege. Grundlagen,

Wissensbestände und Perspektiven, herausgegeben von K. Schroeter und T.

Rosenthal. Weinheim: Juventa.

Rüegger, Heinz und Werner Widmer. 2010. Personalnotstand in der Langzeitpflege.

Eine Sekundäranalyse vorliegender Texte. Zollikerberg: Institut Neumünster.

Ryter, Elisabeth und Marie-Louise Barben. 2015. Care Arbeit unter Druck. Ein gutes

Leben für Hochalterige braucht Raum. Manifestgruppe der GrossmütterRevolution.

Bern: GrossmütterRevolution.

SBK, Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. 2007.

Professionelle Pflege Schweiz. Bern: SBK.

Schaffert, René, Dominik Robin, Romy Mahrer Imhof und Peter Rüesch. 2015.

Berufslaufbahnen und Berufsrollen in der Pflege aus der Sicht von

Berufseinsteigenden. Winterthur: Departement Gesundheit. Zürcher Hochschule

für Angewandte Wissenschaft.

Schlenczek, Gudrun. 2011. Umnutzung: Vom Hotel zum Heim. In htr -hotel revue vom

20. Oktober 2011. ttp://www.htr.ch/fokus/umnutzung-vom-hotel-zum-heim-

28704.html (zuletzt besucht am 1. Juni 2015).

Schranz, Mario. 2005. Die Problematisierung des Service Public in der Schweiz – Der

Anfang vom Ende des neoliberalen Gesellschaftsmodells? S. 74-89. In Triumpf

und Elend des Neoliberalismus, herausgegeben von K. Imhof und T.S. Eberle.

Zürich: Seismo.

Schroeter, Klaus. 2006. Das soziale Feld der Pflege. Eine Einführung in Strukturen,

Deutungen und Handlungen. Weinheim: Juventa.

Schroeter, Klaus. 2005. Pflege als figuratives Feld. S. 85 – 106. In Soziologie der

Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven, herausgegeben von K.

Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim: Juventa.

Schroeter, Klaus und Thomas Rosenthal. 2005. Soziologie der Pflege. Grundlagen,

Wissensbestände und Perspektiven. Weinheim: Juventa.

Schwaller, Corinne. 2013. Die Ökonomisierung der ambulanten Pflege. Erfahrungen

und Einschätzungen von Pflegenden aus einer Arbeitswelt im Umbruch.

Arbeitsblatt Nr. 58. Bern: Institut für Sozialanthropologie.

Schwendimann, René, Marcel Widmer, Dietmar Ausserhofer und Sabina De Geest.

2014. Das Pflegefachpersonal in Schweizer Spitälern im europäischen Vergleich.

Obsan Bulletin 3/2014. Neuenburg: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium.

Seite 99

Sowinski, Christine und Gergana Ivanova. 2014. Stationäre Langzeitpflege. S. 531-

542. In Handbuch Pflegewissenschaft. Studienausgabe, herausgegeben von D.

Schaeffer und K. Wingfeld. Weinheim: Beltz Juventa.

Spöhring, Walter. 1989. Qualitative Sozialforschung. Wiesbaden: Springer.

Strauss, Anselm und Juliet Corbin. 1996. Grounded Theory. Auszüge. Grundlagen

qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Psychologie Verlags Union.

Strohmeier Navarro Smith, Rahel. 2012. Alterspflege in der Schweiz. Ein föderal

geprägtes Politikfeld im europäischen Vergleich. Bern: Peter Lang.

Strübing, Jörg. 2004. Grounded Theory. Wiesbaden: VS.

Swedberg, Richard. 2009. Grundlagen der Wirtschaftssoziologie. Wiesbaden: VS.

Tedlock, Barbara. 2005. The observation of participation and the emergence of public

ethnography. S. 467-481. In The Sage Handbook Qualitative Research,

herausgegeben von N. Denzin und Y. Lincoln. Thousand Oaks: Sage.

Ten Brink, Tobias. 2010. Strukturmerkmale des chinesischen Kapitalismus. In MPIfG

Discussion Paper 10 /1. Februar 2010. Köln: Max-Planck-Institut für

Gesellschaftsforschung.

Treibel, Annette. 2008. Die Soziologie von Norbert Elias. Eine Einführung in ihre

Geschichte, Systematik und Perspektiven. Wiesbaden: VS.

Unger, Antonia. 2014. Professionelle Pflegedienstleistung im Spannungsfeld von

Emotionen, Emotionsarbeit und Effizienz. S. 297-325. In Dienstleistungen im

Gesundheitssektor. Produktivität, Arbeit und Managment, herausgegeben von M.

Bornewasser, B. Kriegesmann und J. Zülch. Wiesbaden: Springer.

Unia. 2015. Manifest für gute Pflege und Betreuung. Bern: Unia.

Voges, Wolfgang. 2002. Pflege alter Menschen als Beruf. Soziologie eines

Tätigkeitfeldes. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Wacquant, Loïc. 2009. Bestrafen der Armen: Zur neoliberalen Regierung der sozialen

Unsicherheit. Opladen: Budrich.

Wahl, Asbjorn. 2011. The Rise and Fall of the Welfare State. London: Pluto.

Weber, Max. 1980. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundrisse der verstehenden

Soziologie. Tübingen: Mohr.

Widmer, Richard. 2012a. Zunahme der administrativen Aufgaben in den Alters- und

Pflegeheimen. Bestandsaufnahme sowie Massnahmen und Forderungen. Bern:

Curaviva.

Seite 100

Widmer, Richard. 2012b. Die Volkswirtschaftliche Bedeutung der Alters- und

Pflegeinstitutionen in der Schweiz. Erhebung der Leistungen, der Arbeits- und

Ausbildungsplätze sowie der Wertschöpfung 2010. Bern: Curaviva.

Winker, Gabriele. 2013. Zur Krise sozialer Reproduktion. S. 119-133. In Care statt

Crash. Sorgeökonomie und die Überwindung des Kapitalismus, herausgegeben

von H. Baumann, I. Bischel, M. Gemperle, U. Knobloch, B. Ringger und H. Schatz.

Zürich: Edition 8.

Winter, Maik. 2005. Pflege in prekärer Sonderstellung. Berufssoziologische Aspekte. S.

279-298. In Soziologie der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und

Perspektiven, herausgegeben von K. Schroeter und T. Rosenthal. Weinheim:

Juventa.

Witterstätter, Kurt. 1996. Grundwissen Soziologie für die Pflege. Pflege in der

Lebenswelt. Stuttgart: W. Kohlhammer.

Wolkowitz, Carol. 2006. Bodies at work. London: Sage.

Zogg, Claudio. 2011. Wer zahlt die Pflege? Die neue Pflegefinanzierung. S. 87-107. In

Sozialalmanach 2011. Schwerpunkt: Das vierte Lebensalter. Das Caritas-Jahrbuch

zur sozialen Lage in der Schweiz. Trends, Analysen, Zahlen, herausgegeben von

I. Meyer. Luzern: Caritas.

Zùñiga, Franziska, Dietmar Ausserhofer, Christine Serdaly, Catherine Bassal, Sabina

de Geest und René Schwendimann. 2013. SHURP. Swiss Nursing Homes Human

Resources Project. Schlussbericht zur Befragung des Pflege- und

Betreuungspersonales in Alters- und Pflegeinstitutionen der Schweiz. Oktober

2013. Basel: Institut für Pflegewissenschaft. Universität Basel.

10. Abbildungsverzeichnis

Titelbild: Schmid, Roger. 2007. Ambulanter Pflegedienst. Webdokument:

http://www.karikatur-cartoon.de/medizin/ambulanter_pflegedienst.htm (zuletzt

besucht am 1. Juni 2015).

11. Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Interviewte Pflegekräfte. Quelle: Eigene Darstellung.

Tabelle 2: Interviewte Expertinnen und Experten. Quelle. Eigene Darstellung.