"Moralische Verantwortung, Freiheit und Kausalität. Versuch der Auflösung des Patts zwischen...

31
Grazer Philosophische Studien 78 (2009), 69–99. MORALISCHE VERANTWORTUNG, FREIHEIT UND KAUSALITÄT Versuch der Auflösung des Patts zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten 1 Julius SCHÄLIKE Universität Konstanz Summary Many incompatibilists and compatibilists agree that freedom is a precondition of moral responsibility. Many incompatibilists acknowledge that certain varieties of freedom are compatible with determinism. e dissent concerns the question of whether such compatibilist freedoms suffice for moral responsibility. e debate is stuck in a stalemate. I try to show that the stalemate can be overcome by approaching the question not in terms of freedom, but of responsibility. To call an agent morally responsible for an event is to claim that (i) a relation holds between her and the event which makes it possible to (ii) judge her morally in the light of the event. I argue that the relevant relations are causal ones, rela- tions compatible with determinism. e moral assessment of an agent is in turn determined by the quality of her will. e question as to the quality of a will does not depend on its causal history, and so a fortiori is independent of whether this history unfolded in a determined way or not. Hence, both of the constitutive elements of moral responsibility (i&ii) are compatible with determinism. is compatibilist result can be reformulated in terms of freedom, thus overcoming the stalemate. I. Viele Inkompatibilisten und Kompatibilisten sind sich darin einig, dass Freiheit eine Voraussetzung für moralische Verantwortung ist. 2 Viele 1. Für hilfreiche Diskussionen danke ich Neil Roughley, Gottfried Seebaß und den Teilnehmern seines Forschungskolloquiums, sowie dem Auditorium eines Vortrags, den ich an der Universität Konstanz gehalten habe. 2. Einige Kompatibilisten (in Anknüpfung an Frankfurt 1969) bestreiten dies allerdings – zu Unrecht, wie ich in Schälike 2009 zu zeigen versuche.

Transcript of "Moralische Verantwortung, Freiheit und Kausalität. Versuch der Auflösung des Patts zwischen...

Grazer Philosophische Studien78 (2009) 69ndash99

MORALISCHE VERANTWORTUNGFREIHEIT UND KAUSALITAumlT

Versuch der Aufl oumlsung des Patts zwischen Kompatibilistenund Inkompatibilisten1

Julius SCHAumlLIKEUniversitaumlt Konstanz

Summary

Many incompatibilists and compatibilists agree that freedom is a precondition of moral responsibility Many incompatibilists acknowledge that certain varieties of freedom are compatible with determinism Th e dissent concerns the question of whether such compatibilist freedoms suffi ce for moral responsibility Th e debate is stuck in a stalemate I try to show that the stalemate can be overcome by approaching the question not in terms of freedom but of responsibility To call an agent morally responsible for an event is to claim that (i) a relation holds between her and the event which makes it possible to (ii) judge her morally in the light of the event I argue that the relevant relations are causal ones rela-tions compatible with determinism Th e moral assessment of an agent is in turn determined by the quality of her will Th e question as to the quality of a will does not depend on its causal history and so a fortiori is independent of whether this history unfolded in a determined way or not Hence both of the constitutive elements of moral responsibility (iampii) are compatible with determinism Th is compatibilist result can be reformulated in terms of freedom thus overcoming the stalemate

I

Viele Inkompatibilisten und Kompatibilisten sind sich darin einig dass Freiheit eine Voraussetzung fuumlr moralische Verantwortung ist2 Viele

1 Fuumlr hilfreiche Diskussionen danke ich Neil Roughley Gottfried Seebaszlig und den Teilnehmern seines Forschungskolloquiums sowie dem Auditorium eines Vortrags den ich an der Universitaumlt Konstanz gehalten habe

2 Einige Kompatibilisten (in Anknuumlpfung an Frankfurt 1969) bestreiten dies allerdings ndash zu Unrecht wie ich in Schaumllike 2009 zu zeigen versuche

70

Inkompatibilisten erkennen an dass es Formen von Freiheit gibt die mit dem Determinismus kompatibel sind Der Dissens betriff t die Frage ob die kompatibilistischen Freiheiten fuumlr moralische Verantwortung ausreichen Die diesbezuumlgliche Diskussion hat in ein argumentatives Patt gefuumlhrt Ich versuche zu zeigen dass dieses Patt uumlberwunden werden kann wenn man sich der Problematik nicht von der Freiheits- sondern der Verantwor-tungsseite her naumlhert Die Frage unter welchen Bedingungen ein Akteur fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich gemacht werden kann ist so zu verstehen dass (i) nach einer Relation zwischen Akteur und einem Ereignis (etwa einer Handlung) gefragt wird welche es erlaubt (ii) den Akteur im Lichte des Ereignisses moralisch zu beurteilen Die fuumlr moralische Verant-wortung relevanten Relationen sind so meine Th ese kausale Relationen welche mit dem Determinismus vereinbar sind Die moralische Beurteilung von Akteuren bemisst sich an der Qualitaumlt ihres Willens Fuumlr die Frage wel-che Qualitaumlt ein Wille hat ist es jedoch irrelevant ob er sich determiniert oder indeterminiert gebildet hat Die beiden konstitutiven Elemente (iampii) von moralischer Verantwortung sind folglich mit dem Determinismus vereinbar Dieser kompatibilistische Befund laumlsst sich unter Verwendung der Freiheitsterminologie reformulieren das Patt ist uumlberwunden

II

Unter welchen Bedingungen ist man rational gerechtfertigt einen Akteur fuumlr ein Ereignis fuumlr verantwortlich zu halten Eine gelaumlufi ge Antwort rekurriert auf kausale Abhaumlngigkeit x ist dann fuumlr y verantwortlich wenn y kausal von x abhaumlngt Dieser Begriff von Verantwortung ist jedoch sehr weit So kann man etwa sagen dass die Schneeschmelze verantwortlich fuumlr das Steigen des Pegels des Bodensees ist oder dass bei einem Motorscha-den ein Leck in der Oumllwanne dafuumlr verantwortlich ist dass der Schaden auftritt Diese Rede scheint unproblematisch und gibt das philosophische Problem das sich mit dem Verantwortungsbegriff verbindet noch nicht zu erkennen Dieses Problem knuumlpft sich weniger an den generischen Begriff der Verantwortung als an den spezifi scheren der Verantwortung als Person oder als Akteur In diesem Zusammenhang spricht man auch von moralischer Verantwortung3 Hier scheint ein Zusammenhang beson-

3 bdquoMoralische Verantwortungldquo wird von einigen Autoren allerdings nicht als Kausalbegriff interpretiert sondern synonym verwendet mit ndash je nach Kontext ndash bdquomoralisch zu missbilligenldquo oder bdquomoralisch zu billigenldquo (so zB Adams 1985) Die kausale Interpretation scheint mir jedoch

71

derer Art zwischen Entitaumlten zu bestehen die Person selbst ist die kausale Quelle Damit die Person als Person verantwortlich ist genuumlgt es nicht dass irgend etwas an oder in ihr in Kausalprozesse involviert ist es genuumlgt zB nicht dass ein Ball den man ihr ohne dass sie es voraussieht an den Kopf wirft von diesem so abprallt dass er eine Vase zerstoumlrt Die Person ist dann nicht persoumlnlich fuumlr das Zerbrechen der Vase verantwortlich obgleich sie durch ihren Koumlrper kausal involviert ist Einem Vorschlag zufolge ist es der Wille der Person der involviert sein muss damit von persoumlnlicher Verantwortung geredet werden kann Warum ist dies so Der Wille stellt eine Spezies von Wuumlnschen also von optativischen Einstel-lungen4 dar Im Anschluss an Seebaszlig laumlsst sich der Wille als motivational qualifi ziertes Wuumlnschen fassen bdquoWer etwas will und nicht nur wuumlnscht ist darauf eingestellt unter gewissen Umstaumlnden aktiv zu werdenldquo5 Harry Frankfurt bestimmt den Willen (will ) ndash in Anknuumlpfung an Hobbes6 ndash als bdquodesire (or desires) by which [the agent] is motivated in some action he performs or [hellip] by which he will or would be motivated when or if he acts [hellip Th e notion of the will] is the notion of an eff ective desire ndash one

die semantisch angemessenere zu sein jedenfalls ist es die die ich hier verwenden werde (cf Sher 2006 67 bdquoUnder its standard interpretation responsibility is a causal notionldquo) Zu welch bizarren Resultaten es fuumlhren kann wenn bdquoVerantwortungldquo in beiden Bedeutungen innerhalb ein und desselben Diskurses verwendet wird laumlsst sich bei M J Zimmerman beobachten der sagt eine Person koumlnne obgleich sie fuumlr nichts verantwortlich ist doch in einem bestimmten Maszlige verantwortlich sein Sie ist fuumlr nichts verantwortlich insofern sie nicht kausal involviert ist aber doch in einem bestimmten Maszlige insofern sie ggf moralisch zu missbilligen (blameworthy) ist Der Kausalbegriff korrespondiert Zimmermans Rede von bdquoscope of responsibilityldquo der evaluative der Rede von bdquodegree of responsibilityldquo (Zimmerman 2002 560 564f) Die Ambiguitaumlt von bdquoVerantwortungldquo fuumlhrt zu zahlreichen Verwirrungen da viele Autoren die beiden Bedeutungen nicht auseinander halten und meinen immer wenn jemand fuumlr etwas moralisch kritikwuumlrdig ist er hierin auch kausal involviert ist Diese Verwirrung stellt wie mir scheint sogar eine der Hauptmotivationsquellen fuumlr den Inkompatibilismus dar (cf G Strawson 1994 213 bdquoWhat one does is a function of how one is [hellip] So if one is to be truly responsible [blameworthy] for how one acts one has to be truly responsible [blameworthy] for how one is [hellip] But to be truly responsible [causally involved] for how one is one must have brought it about that one is the way one is [hellip]ldquo

4 In optativischen Einstellungen nimmt das Subjekt in der Weise Stellung zu Sachverhalten dass es sie gewissermaszligen auff ordert Tatsachen zu sein Der propositionale Gehalt des Wunsches bildet den normativen Maszligstab fuumlr die Wirklichkeit man spricht hier von einer bdquoworld-to-mind direction of fi tldquo die spiegelbildlich zu der einer Meinung ist cf Searle 1979 Seebaszlig 1993 68ff 2006 207

5 Seebaszlig 2006 2076 Hobbes bestimmt den Willen als bdquothe last Appetite or Aversion immediately adhaering

to the action or to the omission thereofldquo (Hobbes 1651 36)

72

that moves (or will or would move) a person all the way to actionldquo7 Schopenhauer hat den Willen als den bdquoKernldquo einer Person bezeichnet8 Und in der Tat ist der Wille ein Kausalfaktor ganz besonderer Art der in engstem Zusammenhang mit dem steht was eine Person als Person ausmacht9 Jedenfalls scheint der Wille der Aspekt der Person zu sein auf den sich unsere Rede von persoumlnlicher Verantwortung faktisch bezieht Hans kann somit nur dann persoumlnlich verantwortlich fuumlr den Tod von Paul sein wenn sein Wille in dem Kausalprozess der zu Pauls Tod fuumlhrt ein relevanter Faktor ist Unklar ist jedoch vorerst wie die Relata genauer zu qualifi zieren sind kann jede Art von Wille als kausale Quelle bei per-soumlnlicher Verantwortung gelten oder nur ein irgendwie ausgezeichneter etwa ein freier oder autonomer Wille Und macht man die Person fuumlr jede Art von Ereignis das kausal von diesem Willen abhaumlngt verantwortlich oder nur fuumlr bestimmte etwa Handlungen intentionale Handlungen oder freie Handlungen Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf den Begriff bdquomoralische Verantwortungldquo Diesen Begriff verstehe ich als Pendant des Begriff s bdquopersoumlnliche Verantwortungldquo insofern er auf dieselbe Form von Kausalrelation rekurriert mit dem Unterschied dass hier ein wertendes Urteil hinzukommt Dieses Werturteil ist ein moralisches Urteil uumlber die Person Eine Person ist moralisch verantwortlich fuumlr ein Ereignis x wenn die kausale Rolle ihres Willens im Zusammenhang mit x von der Art ist dass man gerechtfertigt ist die Person zu billigen oder zu missbilligen Wie ist die Kausalbeziehung aber nun genau beschaff en

Hier wird nun das philosophische Problem deutlich das sich mit dem Begriff der moralischen Verantwortung verbindet Kandidaten fuumlr Enti-taumlten fuumlr die jemand moralisch verantwortlich ist sind seine Handlun-gen Alle Handlungen Manchmal tun Menschen furchtbare Dinge oder lassen sie geschehen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen Beispielsweise gibt ein Bankangestellter einem Gangster der ihm droht ihn andernfalls zu erschieszligen den Tresorinhalt heraus Ist er fuumlr den Scha-den verantwortlich Hier akzeptieren wir als Entschuldigungsgrund eine Erklaumlrung der Art bdquoIch konnte nicht anders ich war dazu gezwungen den Schaden anzurichtenldquo Man sagt dann auch dass die Person keine Kontrolle uumlber das Geschehen hatte oder dass es ihr nicht moumlglich war etwas zu tun um das Uumlbel zu verhindern Und wenn man sagt dass nur eine Handlung zu der der Person eine Alternative off en steht eine freie

7 Frankfurt 1971 3258 Schopenhauer 1839 Kap 2 618f 624 1841 sect 20 794ndash7969 Glover 1970 64f

73

Handlung ist so kann man auch sagen dass eine Person nur fuumlr freie Handlungen verantwortlich sein kann Und dies wirft die Frage auf ob es falls alle Weltprozesse determiniert sind uumlberhaupt freie Handlungen geben kann

Der Kompatibilist haumllt dies fuumlr moumlglich Er verweist darauf dass bdquofreildquo mit bdquogehindertldquo kontrastiert10 In Bezug auf das Handeln ist der Kausal-faktor der frei oder gehindert ist der Wille des Akteurs Dass ein Wille gehindert ist kann zunaumlchst einmal heiszligen dass er an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert ist Ich spreche hier von kausaler Freiheit des Wil-lens Wodurch wird ein Wille in seiner kausalen Rolle gehindert Hier sind drei Typen von Faktoren ins Auge zu fassen physische volitive und kognitive Hindernisse Bei physischen Hindernissen spricht man auch von physischem Zwang ein Bergsteiger der einen anderen der abgerutscht ist eine Zeit lang am Guumlrtel halten kann ihn schlieszliglich aber fallen lassen muss ist gezwungen den anderen fallen zu lassen und der Zwang besteht darin dass sein Wille keinen Einfl uss auf die Ereignisse nehmen kann da die koumlrperlichen Kraumlfte nicht ausreichen Volitive Hindernisse liegen vor wenn ein besonders ausgezeichneter Teil des Willens ndash man spricht hier vom autonomen oder vom im praumlgnanten Sinne eigenen Wollen ndash durch andere Strebungen an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert wird Man nennt dies auch motivationalen Zwang bzw im positiven Fall Willens-freiheit Kognitive Hindernisse bestehen wenn dem Willen nicht die erforderlichen Informationen zur Verfuumlgung stehen um kausal wirksam zu werden11 Wer etwa ein Zimmer verlassen will aber irrigerweise meint die Tuumlr sei verschlossen ist auch dann unfrei wenn das Oumlff nen der Tuumlr seine koumlrperlichen Kraumlfte nicht uumlberstiege

Der Umstand dass alles Geschehen determiniert ist stellt als solcher weder ein physisches noch ein volitives oder kognitives Hindernis dar So uumlbt etwa das Faktum dass der Wille in seiner Konstitution durch antezedente Ereignisse determiniert ist weder physischen noch volitiven Zwang auf das Subjekt aus Dass ein Akteur gezwungen wird bedeutet dass sich etwas seinem autonomen Willen entgegenstellt so dass er nicht tun kann was er will12 Dass ein autonomer Wille in seiner Konstitution determiniert ist ist jedoch nichts was diesem Willen im Wege stehen

10 Cf Hobbes 1651 ch 21 Schopenhauer 1839 521 Pauen 2004 60f 75ff 11 Schopenhauer spricht hier von bdquointellektueller Freiheitldquo 1839 523 Anhang (624ff )12 Cf Hobbesrsquo Defi nition von bdquoZwangsfreiheitldquo bdquothe absence of external impedimentsldquo

bdquoabsence of oppositionldquo (Hobbes 1651 ch 21) aumlhnlich Hume Treatise 407f Schlick 1930 162

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

70

Inkompatibilisten erkennen an dass es Formen von Freiheit gibt die mit dem Determinismus kompatibel sind Der Dissens betriff t die Frage ob die kompatibilistischen Freiheiten fuumlr moralische Verantwortung ausreichen Die diesbezuumlgliche Diskussion hat in ein argumentatives Patt gefuumlhrt Ich versuche zu zeigen dass dieses Patt uumlberwunden werden kann wenn man sich der Problematik nicht von der Freiheits- sondern der Verantwor-tungsseite her naumlhert Die Frage unter welchen Bedingungen ein Akteur fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich gemacht werden kann ist so zu verstehen dass (i) nach einer Relation zwischen Akteur und einem Ereignis (etwa einer Handlung) gefragt wird welche es erlaubt (ii) den Akteur im Lichte des Ereignisses moralisch zu beurteilen Die fuumlr moralische Verant-wortung relevanten Relationen sind so meine Th ese kausale Relationen welche mit dem Determinismus vereinbar sind Die moralische Beurteilung von Akteuren bemisst sich an der Qualitaumlt ihres Willens Fuumlr die Frage wel-che Qualitaumlt ein Wille hat ist es jedoch irrelevant ob er sich determiniert oder indeterminiert gebildet hat Die beiden konstitutiven Elemente (iampii) von moralischer Verantwortung sind folglich mit dem Determinismus vereinbar Dieser kompatibilistische Befund laumlsst sich unter Verwendung der Freiheitsterminologie reformulieren das Patt ist uumlberwunden

II

Unter welchen Bedingungen ist man rational gerechtfertigt einen Akteur fuumlr ein Ereignis fuumlr verantwortlich zu halten Eine gelaumlufi ge Antwort rekurriert auf kausale Abhaumlngigkeit x ist dann fuumlr y verantwortlich wenn y kausal von x abhaumlngt Dieser Begriff von Verantwortung ist jedoch sehr weit So kann man etwa sagen dass die Schneeschmelze verantwortlich fuumlr das Steigen des Pegels des Bodensees ist oder dass bei einem Motorscha-den ein Leck in der Oumllwanne dafuumlr verantwortlich ist dass der Schaden auftritt Diese Rede scheint unproblematisch und gibt das philosophische Problem das sich mit dem Verantwortungsbegriff verbindet noch nicht zu erkennen Dieses Problem knuumlpft sich weniger an den generischen Begriff der Verantwortung als an den spezifi scheren der Verantwortung als Person oder als Akteur In diesem Zusammenhang spricht man auch von moralischer Verantwortung3 Hier scheint ein Zusammenhang beson-

3 bdquoMoralische Verantwortungldquo wird von einigen Autoren allerdings nicht als Kausalbegriff interpretiert sondern synonym verwendet mit ndash je nach Kontext ndash bdquomoralisch zu missbilligenldquo oder bdquomoralisch zu billigenldquo (so zB Adams 1985) Die kausale Interpretation scheint mir jedoch

71

derer Art zwischen Entitaumlten zu bestehen die Person selbst ist die kausale Quelle Damit die Person als Person verantwortlich ist genuumlgt es nicht dass irgend etwas an oder in ihr in Kausalprozesse involviert ist es genuumlgt zB nicht dass ein Ball den man ihr ohne dass sie es voraussieht an den Kopf wirft von diesem so abprallt dass er eine Vase zerstoumlrt Die Person ist dann nicht persoumlnlich fuumlr das Zerbrechen der Vase verantwortlich obgleich sie durch ihren Koumlrper kausal involviert ist Einem Vorschlag zufolge ist es der Wille der Person der involviert sein muss damit von persoumlnlicher Verantwortung geredet werden kann Warum ist dies so Der Wille stellt eine Spezies von Wuumlnschen also von optativischen Einstel-lungen4 dar Im Anschluss an Seebaszlig laumlsst sich der Wille als motivational qualifi ziertes Wuumlnschen fassen bdquoWer etwas will und nicht nur wuumlnscht ist darauf eingestellt unter gewissen Umstaumlnden aktiv zu werdenldquo5 Harry Frankfurt bestimmt den Willen (will ) ndash in Anknuumlpfung an Hobbes6 ndash als bdquodesire (or desires) by which [the agent] is motivated in some action he performs or [hellip] by which he will or would be motivated when or if he acts [hellip Th e notion of the will] is the notion of an eff ective desire ndash one

die semantisch angemessenere zu sein jedenfalls ist es die die ich hier verwenden werde (cf Sher 2006 67 bdquoUnder its standard interpretation responsibility is a causal notionldquo) Zu welch bizarren Resultaten es fuumlhren kann wenn bdquoVerantwortungldquo in beiden Bedeutungen innerhalb ein und desselben Diskurses verwendet wird laumlsst sich bei M J Zimmerman beobachten der sagt eine Person koumlnne obgleich sie fuumlr nichts verantwortlich ist doch in einem bestimmten Maszlige verantwortlich sein Sie ist fuumlr nichts verantwortlich insofern sie nicht kausal involviert ist aber doch in einem bestimmten Maszlige insofern sie ggf moralisch zu missbilligen (blameworthy) ist Der Kausalbegriff korrespondiert Zimmermans Rede von bdquoscope of responsibilityldquo der evaluative der Rede von bdquodegree of responsibilityldquo (Zimmerman 2002 560 564f) Die Ambiguitaumlt von bdquoVerantwortungldquo fuumlhrt zu zahlreichen Verwirrungen da viele Autoren die beiden Bedeutungen nicht auseinander halten und meinen immer wenn jemand fuumlr etwas moralisch kritikwuumlrdig ist er hierin auch kausal involviert ist Diese Verwirrung stellt wie mir scheint sogar eine der Hauptmotivationsquellen fuumlr den Inkompatibilismus dar (cf G Strawson 1994 213 bdquoWhat one does is a function of how one is [hellip] So if one is to be truly responsible [blameworthy] for how one acts one has to be truly responsible [blameworthy] for how one is [hellip] But to be truly responsible [causally involved] for how one is one must have brought it about that one is the way one is [hellip]ldquo

4 In optativischen Einstellungen nimmt das Subjekt in der Weise Stellung zu Sachverhalten dass es sie gewissermaszligen auff ordert Tatsachen zu sein Der propositionale Gehalt des Wunsches bildet den normativen Maszligstab fuumlr die Wirklichkeit man spricht hier von einer bdquoworld-to-mind direction of fi tldquo die spiegelbildlich zu der einer Meinung ist cf Searle 1979 Seebaszlig 1993 68ff 2006 207

5 Seebaszlig 2006 2076 Hobbes bestimmt den Willen als bdquothe last Appetite or Aversion immediately adhaering

to the action or to the omission thereofldquo (Hobbes 1651 36)

72

that moves (or will or would move) a person all the way to actionldquo7 Schopenhauer hat den Willen als den bdquoKernldquo einer Person bezeichnet8 Und in der Tat ist der Wille ein Kausalfaktor ganz besonderer Art der in engstem Zusammenhang mit dem steht was eine Person als Person ausmacht9 Jedenfalls scheint der Wille der Aspekt der Person zu sein auf den sich unsere Rede von persoumlnlicher Verantwortung faktisch bezieht Hans kann somit nur dann persoumlnlich verantwortlich fuumlr den Tod von Paul sein wenn sein Wille in dem Kausalprozess der zu Pauls Tod fuumlhrt ein relevanter Faktor ist Unklar ist jedoch vorerst wie die Relata genauer zu qualifi zieren sind kann jede Art von Wille als kausale Quelle bei per-soumlnlicher Verantwortung gelten oder nur ein irgendwie ausgezeichneter etwa ein freier oder autonomer Wille Und macht man die Person fuumlr jede Art von Ereignis das kausal von diesem Willen abhaumlngt verantwortlich oder nur fuumlr bestimmte etwa Handlungen intentionale Handlungen oder freie Handlungen Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf den Begriff bdquomoralische Verantwortungldquo Diesen Begriff verstehe ich als Pendant des Begriff s bdquopersoumlnliche Verantwortungldquo insofern er auf dieselbe Form von Kausalrelation rekurriert mit dem Unterschied dass hier ein wertendes Urteil hinzukommt Dieses Werturteil ist ein moralisches Urteil uumlber die Person Eine Person ist moralisch verantwortlich fuumlr ein Ereignis x wenn die kausale Rolle ihres Willens im Zusammenhang mit x von der Art ist dass man gerechtfertigt ist die Person zu billigen oder zu missbilligen Wie ist die Kausalbeziehung aber nun genau beschaff en

Hier wird nun das philosophische Problem deutlich das sich mit dem Begriff der moralischen Verantwortung verbindet Kandidaten fuumlr Enti-taumlten fuumlr die jemand moralisch verantwortlich ist sind seine Handlun-gen Alle Handlungen Manchmal tun Menschen furchtbare Dinge oder lassen sie geschehen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen Beispielsweise gibt ein Bankangestellter einem Gangster der ihm droht ihn andernfalls zu erschieszligen den Tresorinhalt heraus Ist er fuumlr den Scha-den verantwortlich Hier akzeptieren wir als Entschuldigungsgrund eine Erklaumlrung der Art bdquoIch konnte nicht anders ich war dazu gezwungen den Schaden anzurichtenldquo Man sagt dann auch dass die Person keine Kontrolle uumlber das Geschehen hatte oder dass es ihr nicht moumlglich war etwas zu tun um das Uumlbel zu verhindern Und wenn man sagt dass nur eine Handlung zu der der Person eine Alternative off en steht eine freie

7 Frankfurt 1971 3258 Schopenhauer 1839 Kap 2 618f 624 1841 sect 20 794ndash7969 Glover 1970 64f

73

Handlung ist so kann man auch sagen dass eine Person nur fuumlr freie Handlungen verantwortlich sein kann Und dies wirft die Frage auf ob es falls alle Weltprozesse determiniert sind uumlberhaupt freie Handlungen geben kann

Der Kompatibilist haumllt dies fuumlr moumlglich Er verweist darauf dass bdquofreildquo mit bdquogehindertldquo kontrastiert10 In Bezug auf das Handeln ist der Kausal-faktor der frei oder gehindert ist der Wille des Akteurs Dass ein Wille gehindert ist kann zunaumlchst einmal heiszligen dass er an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert ist Ich spreche hier von kausaler Freiheit des Wil-lens Wodurch wird ein Wille in seiner kausalen Rolle gehindert Hier sind drei Typen von Faktoren ins Auge zu fassen physische volitive und kognitive Hindernisse Bei physischen Hindernissen spricht man auch von physischem Zwang ein Bergsteiger der einen anderen der abgerutscht ist eine Zeit lang am Guumlrtel halten kann ihn schlieszliglich aber fallen lassen muss ist gezwungen den anderen fallen zu lassen und der Zwang besteht darin dass sein Wille keinen Einfl uss auf die Ereignisse nehmen kann da die koumlrperlichen Kraumlfte nicht ausreichen Volitive Hindernisse liegen vor wenn ein besonders ausgezeichneter Teil des Willens ndash man spricht hier vom autonomen oder vom im praumlgnanten Sinne eigenen Wollen ndash durch andere Strebungen an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert wird Man nennt dies auch motivationalen Zwang bzw im positiven Fall Willens-freiheit Kognitive Hindernisse bestehen wenn dem Willen nicht die erforderlichen Informationen zur Verfuumlgung stehen um kausal wirksam zu werden11 Wer etwa ein Zimmer verlassen will aber irrigerweise meint die Tuumlr sei verschlossen ist auch dann unfrei wenn das Oumlff nen der Tuumlr seine koumlrperlichen Kraumlfte nicht uumlberstiege

Der Umstand dass alles Geschehen determiniert ist stellt als solcher weder ein physisches noch ein volitives oder kognitives Hindernis dar So uumlbt etwa das Faktum dass der Wille in seiner Konstitution durch antezedente Ereignisse determiniert ist weder physischen noch volitiven Zwang auf das Subjekt aus Dass ein Akteur gezwungen wird bedeutet dass sich etwas seinem autonomen Willen entgegenstellt so dass er nicht tun kann was er will12 Dass ein autonomer Wille in seiner Konstitution determiniert ist ist jedoch nichts was diesem Willen im Wege stehen

10 Cf Hobbes 1651 ch 21 Schopenhauer 1839 521 Pauen 2004 60f 75ff 11 Schopenhauer spricht hier von bdquointellektueller Freiheitldquo 1839 523 Anhang (624ff )12 Cf Hobbesrsquo Defi nition von bdquoZwangsfreiheitldquo bdquothe absence of external impedimentsldquo

bdquoabsence of oppositionldquo (Hobbes 1651 ch 21) aumlhnlich Hume Treatise 407f Schlick 1930 162

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

71

derer Art zwischen Entitaumlten zu bestehen die Person selbst ist die kausale Quelle Damit die Person als Person verantwortlich ist genuumlgt es nicht dass irgend etwas an oder in ihr in Kausalprozesse involviert ist es genuumlgt zB nicht dass ein Ball den man ihr ohne dass sie es voraussieht an den Kopf wirft von diesem so abprallt dass er eine Vase zerstoumlrt Die Person ist dann nicht persoumlnlich fuumlr das Zerbrechen der Vase verantwortlich obgleich sie durch ihren Koumlrper kausal involviert ist Einem Vorschlag zufolge ist es der Wille der Person der involviert sein muss damit von persoumlnlicher Verantwortung geredet werden kann Warum ist dies so Der Wille stellt eine Spezies von Wuumlnschen also von optativischen Einstel-lungen4 dar Im Anschluss an Seebaszlig laumlsst sich der Wille als motivational qualifi ziertes Wuumlnschen fassen bdquoWer etwas will und nicht nur wuumlnscht ist darauf eingestellt unter gewissen Umstaumlnden aktiv zu werdenldquo5 Harry Frankfurt bestimmt den Willen (will ) ndash in Anknuumlpfung an Hobbes6 ndash als bdquodesire (or desires) by which [the agent] is motivated in some action he performs or [hellip] by which he will or would be motivated when or if he acts [hellip Th e notion of the will] is the notion of an eff ective desire ndash one

die semantisch angemessenere zu sein jedenfalls ist es die die ich hier verwenden werde (cf Sher 2006 67 bdquoUnder its standard interpretation responsibility is a causal notionldquo) Zu welch bizarren Resultaten es fuumlhren kann wenn bdquoVerantwortungldquo in beiden Bedeutungen innerhalb ein und desselben Diskurses verwendet wird laumlsst sich bei M J Zimmerman beobachten der sagt eine Person koumlnne obgleich sie fuumlr nichts verantwortlich ist doch in einem bestimmten Maszlige verantwortlich sein Sie ist fuumlr nichts verantwortlich insofern sie nicht kausal involviert ist aber doch in einem bestimmten Maszlige insofern sie ggf moralisch zu missbilligen (blameworthy) ist Der Kausalbegriff korrespondiert Zimmermans Rede von bdquoscope of responsibilityldquo der evaluative der Rede von bdquodegree of responsibilityldquo (Zimmerman 2002 560 564f) Die Ambiguitaumlt von bdquoVerantwortungldquo fuumlhrt zu zahlreichen Verwirrungen da viele Autoren die beiden Bedeutungen nicht auseinander halten und meinen immer wenn jemand fuumlr etwas moralisch kritikwuumlrdig ist er hierin auch kausal involviert ist Diese Verwirrung stellt wie mir scheint sogar eine der Hauptmotivationsquellen fuumlr den Inkompatibilismus dar (cf G Strawson 1994 213 bdquoWhat one does is a function of how one is [hellip] So if one is to be truly responsible [blameworthy] for how one acts one has to be truly responsible [blameworthy] for how one is [hellip] But to be truly responsible [causally involved] for how one is one must have brought it about that one is the way one is [hellip]ldquo

4 In optativischen Einstellungen nimmt das Subjekt in der Weise Stellung zu Sachverhalten dass es sie gewissermaszligen auff ordert Tatsachen zu sein Der propositionale Gehalt des Wunsches bildet den normativen Maszligstab fuumlr die Wirklichkeit man spricht hier von einer bdquoworld-to-mind direction of fi tldquo die spiegelbildlich zu der einer Meinung ist cf Searle 1979 Seebaszlig 1993 68ff 2006 207

5 Seebaszlig 2006 2076 Hobbes bestimmt den Willen als bdquothe last Appetite or Aversion immediately adhaering

to the action or to the omission thereofldquo (Hobbes 1651 36)

72

that moves (or will or would move) a person all the way to actionldquo7 Schopenhauer hat den Willen als den bdquoKernldquo einer Person bezeichnet8 Und in der Tat ist der Wille ein Kausalfaktor ganz besonderer Art der in engstem Zusammenhang mit dem steht was eine Person als Person ausmacht9 Jedenfalls scheint der Wille der Aspekt der Person zu sein auf den sich unsere Rede von persoumlnlicher Verantwortung faktisch bezieht Hans kann somit nur dann persoumlnlich verantwortlich fuumlr den Tod von Paul sein wenn sein Wille in dem Kausalprozess der zu Pauls Tod fuumlhrt ein relevanter Faktor ist Unklar ist jedoch vorerst wie die Relata genauer zu qualifi zieren sind kann jede Art von Wille als kausale Quelle bei per-soumlnlicher Verantwortung gelten oder nur ein irgendwie ausgezeichneter etwa ein freier oder autonomer Wille Und macht man die Person fuumlr jede Art von Ereignis das kausal von diesem Willen abhaumlngt verantwortlich oder nur fuumlr bestimmte etwa Handlungen intentionale Handlungen oder freie Handlungen Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf den Begriff bdquomoralische Verantwortungldquo Diesen Begriff verstehe ich als Pendant des Begriff s bdquopersoumlnliche Verantwortungldquo insofern er auf dieselbe Form von Kausalrelation rekurriert mit dem Unterschied dass hier ein wertendes Urteil hinzukommt Dieses Werturteil ist ein moralisches Urteil uumlber die Person Eine Person ist moralisch verantwortlich fuumlr ein Ereignis x wenn die kausale Rolle ihres Willens im Zusammenhang mit x von der Art ist dass man gerechtfertigt ist die Person zu billigen oder zu missbilligen Wie ist die Kausalbeziehung aber nun genau beschaff en

Hier wird nun das philosophische Problem deutlich das sich mit dem Begriff der moralischen Verantwortung verbindet Kandidaten fuumlr Enti-taumlten fuumlr die jemand moralisch verantwortlich ist sind seine Handlun-gen Alle Handlungen Manchmal tun Menschen furchtbare Dinge oder lassen sie geschehen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen Beispielsweise gibt ein Bankangestellter einem Gangster der ihm droht ihn andernfalls zu erschieszligen den Tresorinhalt heraus Ist er fuumlr den Scha-den verantwortlich Hier akzeptieren wir als Entschuldigungsgrund eine Erklaumlrung der Art bdquoIch konnte nicht anders ich war dazu gezwungen den Schaden anzurichtenldquo Man sagt dann auch dass die Person keine Kontrolle uumlber das Geschehen hatte oder dass es ihr nicht moumlglich war etwas zu tun um das Uumlbel zu verhindern Und wenn man sagt dass nur eine Handlung zu der der Person eine Alternative off en steht eine freie

7 Frankfurt 1971 3258 Schopenhauer 1839 Kap 2 618f 624 1841 sect 20 794ndash7969 Glover 1970 64f

73

Handlung ist so kann man auch sagen dass eine Person nur fuumlr freie Handlungen verantwortlich sein kann Und dies wirft die Frage auf ob es falls alle Weltprozesse determiniert sind uumlberhaupt freie Handlungen geben kann

Der Kompatibilist haumllt dies fuumlr moumlglich Er verweist darauf dass bdquofreildquo mit bdquogehindertldquo kontrastiert10 In Bezug auf das Handeln ist der Kausal-faktor der frei oder gehindert ist der Wille des Akteurs Dass ein Wille gehindert ist kann zunaumlchst einmal heiszligen dass er an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert ist Ich spreche hier von kausaler Freiheit des Wil-lens Wodurch wird ein Wille in seiner kausalen Rolle gehindert Hier sind drei Typen von Faktoren ins Auge zu fassen physische volitive und kognitive Hindernisse Bei physischen Hindernissen spricht man auch von physischem Zwang ein Bergsteiger der einen anderen der abgerutscht ist eine Zeit lang am Guumlrtel halten kann ihn schlieszliglich aber fallen lassen muss ist gezwungen den anderen fallen zu lassen und der Zwang besteht darin dass sein Wille keinen Einfl uss auf die Ereignisse nehmen kann da die koumlrperlichen Kraumlfte nicht ausreichen Volitive Hindernisse liegen vor wenn ein besonders ausgezeichneter Teil des Willens ndash man spricht hier vom autonomen oder vom im praumlgnanten Sinne eigenen Wollen ndash durch andere Strebungen an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert wird Man nennt dies auch motivationalen Zwang bzw im positiven Fall Willens-freiheit Kognitive Hindernisse bestehen wenn dem Willen nicht die erforderlichen Informationen zur Verfuumlgung stehen um kausal wirksam zu werden11 Wer etwa ein Zimmer verlassen will aber irrigerweise meint die Tuumlr sei verschlossen ist auch dann unfrei wenn das Oumlff nen der Tuumlr seine koumlrperlichen Kraumlfte nicht uumlberstiege

Der Umstand dass alles Geschehen determiniert ist stellt als solcher weder ein physisches noch ein volitives oder kognitives Hindernis dar So uumlbt etwa das Faktum dass der Wille in seiner Konstitution durch antezedente Ereignisse determiniert ist weder physischen noch volitiven Zwang auf das Subjekt aus Dass ein Akteur gezwungen wird bedeutet dass sich etwas seinem autonomen Willen entgegenstellt so dass er nicht tun kann was er will12 Dass ein autonomer Wille in seiner Konstitution determiniert ist ist jedoch nichts was diesem Willen im Wege stehen

10 Cf Hobbes 1651 ch 21 Schopenhauer 1839 521 Pauen 2004 60f 75ff 11 Schopenhauer spricht hier von bdquointellektueller Freiheitldquo 1839 523 Anhang (624ff )12 Cf Hobbesrsquo Defi nition von bdquoZwangsfreiheitldquo bdquothe absence of external impedimentsldquo

bdquoabsence of oppositionldquo (Hobbes 1651 ch 21) aumlhnlich Hume Treatise 407f Schlick 1930 162

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

72

that moves (or will or would move) a person all the way to actionldquo7 Schopenhauer hat den Willen als den bdquoKernldquo einer Person bezeichnet8 Und in der Tat ist der Wille ein Kausalfaktor ganz besonderer Art der in engstem Zusammenhang mit dem steht was eine Person als Person ausmacht9 Jedenfalls scheint der Wille der Aspekt der Person zu sein auf den sich unsere Rede von persoumlnlicher Verantwortung faktisch bezieht Hans kann somit nur dann persoumlnlich verantwortlich fuumlr den Tod von Paul sein wenn sein Wille in dem Kausalprozess der zu Pauls Tod fuumlhrt ein relevanter Faktor ist Unklar ist jedoch vorerst wie die Relata genauer zu qualifi zieren sind kann jede Art von Wille als kausale Quelle bei per-soumlnlicher Verantwortung gelten oder nur ein irgendwie ausgezeichneter etwa ein freier oder autonomer Wille Und macht man die Person fuumlr jede Art von Ereignis das kausal von diesem Willen abhaumlngt verantwortlich oder nur fuumlr bestimmte etwa Handlungen intentionale Handlungen oder freie Handlungen Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf den Begriff bdquomoralische Verantwortungldquo Diesen Begriff verstehe ich als Pendant des Begriff s bdquopersoumlnliche Verantwortungldquo insofern er auf dieselbe Form von Kausalrelation rekurriert mit dem Unterschied dass hier ein wertendes Urteil hinzukommt Dieses Werturteil ist ein moralisches Urteil uumlber die Person Eine Person ist moralisch verantwortlich fuumlr ein Ereignis x wenn die kausale Rolle ihres Willens im Zusammenhang mit x von der Art ist dass man gerechtfertigt ist die Person zu billigen oder zu missbilligen Wie ist die Kausalbeziehung aber nun genau beschaff en

Hier wird nun das philosophische Problem deutlich das sich mit dem Begriff der moralischen Verantwortung verbindet Kandidaten fuumlr Enti-taumlten fuumlr die jemand moralisch verantwortlich ist sind seine Handlun-gen Alle Handlungen Manchmal tun Menschen furchtbare Dinge oder lassen sie geschehen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen Beispielsweise gibt ein Bankangestellter einem Gangster der ihm droht ihn andernfalls zu erschieszligen den Tresorinhalt heraus Ist er fuumlr den Scha-den verantwortlich Hier akzeptieren wir als Entschuldigungsgrund eine Erklaumlrung der Art bdquoIch konnte nicht anders ich war dazu gezwungen den Schaden anzurichtenldquo Man sagt dann auch dass die Person keine Kontrolle uumlber das Geschehen hatte oder dass es ihr nicht moumlglich war etwas zu tun um das Uumlbel zu verhindern Und wenn man sagt dass nur eine Handlung zu der der Person eine Alternative off en steht eine freie

7 Frankfurt 1971 3258 Schopenhauer 1839 Kap 2 618f 624 1841 sect 20 794ndash7969 Glover 1970 64f

73

Handlung ist so kann man auch sagen dass eine Person nur fuumlr freie Handlungen verantwortlich sein kann Und dies wirft die Frage auf ob es falls alle Weltprozesse determiniert sind uumlberhaupt freie Handlungen geben kann

Der Kompatibilist haumllt dies fuumlr moumlglich Er verweist darauf dass bdquofreildquo mit bdquogehindertldquo kontrastiert10 In Bezug auf das Handeln ist der Kausal-faktor der frei oder gehindert ist der Wille des Akteurs Dass ein Wille gehindert ist kann zunaumlchst einmal heiszligen dass er an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert ist Ich spreche hier von kausaler Freiheit des Wil-lens Wodurch wird ein Wille in seiner kausalen Rolle gehindert Hier sind drei Typen von Faktoren ins Auge zu fassen physische volitive und kognitive Hindernisse Bei physischen Hindernissen spricht man auch von physischem Zwang ein Bergsteiger der einen anderen der abgerutscht ist eine Zeit lang am Guumlrtel halten kann ihn schlieszliglich aber fallen lassen muss ist gezwungen den anderen fallen zu lassen und der Zwang besteht darin dass sein Wille keinen Einfl uss auf die Ereignisse nehmen kann da die koumlrperlichen Kraumlfte nicht ausreichen Volitive Hindernisse liegen vor wenn ein besonders ausgezeichneter Teil des Willens ndash man spricht hier vom autonomen oder vom im praumlgnanten Sinne eigenen Wollen ndash durch andere Strebungen an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert wird Man nennt dies auch motivationalen Zwang bzw im positiven Fall Willens-freiheit Kognitive Hindernisse bestehen wenn dem Willen nicht die erforderlichen Informationen zur Verfuumlgung stehen um kausal wirksam zu werden11 Wer etwa ein Zimmer verlassen will aber irrigerweise meint die Tuumlr sei verschlossen ist auch dann unfrei wenn das Oumlff nen der Tuumlr seine koumlrperlichen Kraumlfte nicht uumlberstiege

Der Umstand dass alles Geschehen determiniert ist stellt als solcher weder ein physisches noch ein volitives oder kognitives Hindernis dar So uumlbt etwa das Faktum dass der Wille in seiner Konstitution durch antezedente Ereignisse determiniert ist weder physischen noch volitiven Zwang auf das Subjekt aus Dass ein Akteur gezwungen wird bedeutet dass sich etwas seinem autonomen Willen entgegenstellt so dass er nicht tun kann was er will12 Dass ein autonomer Wille in seiner Konstitution determiniert ist ist jedoch nichts was diesem Willen im Wege stehen

10 Cf Hobbes 1651 ch 21 Schopenhauer 1839 521 Pauen 2004 60f 75ff 11 Schopenhauer spricht hier von bdquointellektueller Freiheitldquo 1839 523 Anhang (624ff )12 Cf Hobbesrsquo Defi nition von bdquoZwangsfreiheitldquo bdquothe absence of external impedimentsldquo

bdquoabsence of oppositionldquo (Hobbes 1651 ch 21) aumlhnlich Hume Treatise 407f Schlick 1930 162

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

73

Handlung ist so kann man auch sagen dass eine Person nur fuumlr freie Handlungen verantwortlich sein kann Und dies wirft die Frage auf ob es falls alle Weltprozesse determiniert sind uumlberhaupt freie Handlungen geben kann

Der Kompatibilist haumllt dies fuumlr moumlglich Er verweist darauf dass bdquofreildquo mit bdquogehindertldquo kontrastiert10 In Bezug auf das Handeln ist der Kausal-faktor der frei oder gehindert ist der Wille des Akteurs Dass ein Wille gehindert ist kann zunaumlchst einmal heiszligen dass er an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert ist Ich spreche hier von kausaler Freiheit des Wil-lens Wodurch wird ein Wille in seiner kausalen Rolle gehindert Hier sind drei Typen von Faktoren ins Auge zu fassen physische volitive und kognitive Hindernisse Bei physischen Hindernissen spricht man auch von physischem Zwang ein Bergsteiger der einen anderen der abgerutscht ist eine Zeit lang am Guumlrtel halten kann ihn schlieszliglich aber fallen lassen muss ist gezwungen den anderen fallen zu lassen und der Zwang besteht darin dass sein Wille keinen Einfl uss auf die Ereignisse nehmen kann da die koumlrperlichen Kraumlfte nicht ausreichen Volitive Hindernisse liegen vor wenn ein besonders ausgezeichneter Teil des Willens ndash man spricht hier vom autonomen oder vom im praumlgnanten Sinne eigenen Wollen ndash durch andere Strebungen an seiner kausalen Wirksamkeit gehindert wird Man nennt dies auch motivationalen Zwang bzw im positiven Fall Willens-freiheit Kognitive Hindernisse bestehen wenn dem Willen nicht die erforderlichen Informationen zur Verfuumlgung stehen um kausal wirksam zu werden11 Wer etwa ein Zimmer verlassen will aber irrigerweise meint die Tuumlr sei verschlossen ist auch dann unfrei wenn das Oumlff nen der Tuumlr seine koumlrperlichen Kraumlfte nicht uumlberstiege

Der Umstand dass alles Geschehen determiniert ist stellt als solcher weder ein physisches noch ein volitives oder kognitives Hindernis dar So uumlbt etwa das Faktum dass der Wille in seiner Konstitution durch antezedente Ereignisse determiniert ist weder physischen noch volitiven Zwang auf das Subjekt aus Dass ein Akteur gezwungen wird bedeutet dass sich etwas seinem autonomen Willen entgegenstellt so dass er nicht tun kann was er will12 Dass ein autonomer Wille in seiner Konstitution determiniert ist ist jedoch nichts was diesem Willen im Wege stehen

10 Cf Hobbes 1651 ch 21 Schopenhauer 1839 521 Pauen 2004 60f 75ff 11 Schopenhauer spricht hier von bdquointellektueller Freiheitldquo 1839 523 Anhang (624ff )12 Cf Hobbesrsquo Defi nition von bdquoZwangsfreiheitldquo bdquothe absence of external impedimentsldquo

bdquoabsence of oppositionldquo (Hobbes 1651 ch 21) aumlhnlich Hume Treatise 407f Schlick 1930 162

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

74

kann13 Ebenso wenig macht der Determinismus es unmoumlglich uumlber die relevanten Informationen zu verfuumlgen Die Tatsache dass der Determi-nismus wahr ist wuumlrde somit nicht dazu fuumlhren dass die Gruumlnde die in Faumlllen wie dem Handeln unter Zwang und Unwissenheit moralische Verantwortung aufheben generalisiert werden koumlnnen also fuumlr jede Hand-lung gelten Kausale Freiheit des Willens setzt keine ontologisch off enen alternativen Moumlglichkeiten voraus14 welche unter den Bedingungen des Determinismus nicht existieren erfordert ist allein dass der Wille des Akteurs kausal wirksam wird

Es gibt somit eine Form von Freiheit verstanden als kausale Freiheit die mit dem Determinismus kompatibel ist Kausale Freiheit hat verschie-dene Aspekte Zwangsfreiheit und Wissen Die zwingenden Kraumlfte koumlnnen aumluszligere physische sein etwa eine Fessel oder eine verschlossene Tuumlr oder innere psychische wie etwa im Falle von Sucht Entsprechend existiert Zwangsfreiheit in zwei Varianten als physische Freiheit und als Willens-freiheit Mit kognitiver Freiheit einher geht eine Form von Kontrolle die ein Akteur uumlber bestimmte Ereignisse besitzt ndash diejenige Kontrolle naumlm-lich die durch autonome Willentlichkeit gewaumlhrleistet wird Diejenigen Ereignisse die kausal von seinem autonomen Willen abhaumlngen stehen unter der Kontrolle des Akteurs sein Wille ist der Kausalfaktor der die Ereignisse mit hervorbringt der ihre Entstehung steuert Waumlre der Wille ein anderer waumlren die Ereignisse auch anders Wenn Verantwortung Frei-heit und Kontrolle voraussetzt so kann dieser Anforderung auch unter den Bedingungen des Determinismus Genuumlge getan werden

Der Inkompatibilist wird falls er vernuumlnftig ist zwar zugeben dass kausale Unfreiheit und Determination nicht dasselbe sind15 er wird jedoch

13 Wie Bieri bemerkt gibt es keinen Standpunkt von dem aus dies als Hindernis gesehen werden koumlnnte cf Bieri 2001 259ff

14 Ontologisch off en ist ein Ereignisverlauf der nicht durch die Konjunktion von antezedentem Weltzustand und den Naturgesetzen determiniert ist Strittig ist ob Zwangsfreiheit alternative Moumlglichkeiten anderer Art voraussetzt Frankfurt (1969 1971) hat argumentiert dass dies nicht der Fall sei man koumlnne ungezwungen bdquoaus eigenem freien Willenldquo handeln auch ohne alternative Moumlglichkeiten zu haben (1971 335) Ich habe zu zeigen versucht dass auch die Akteure in Frankfurt-Szenarien Handlungsalternativen besitzen (cf Schaumllike 2009 Vihvelin 2004)

15 Hierbei kommt es auf den Begriff bdquoZwangldquo nicht an Einige Inkompatibilisten halten Determination tatsaumlchlich fuumlr Zwang so etwa Ekstrom 1998 284f Dies ist sehr unplausibel (cf auch Fischer 2002 209f) da bdquoZwangldquo stets etwas vorauszusetzen scheint das gezwungen wird und dh an seiner bdquowesensmaumlszligigen Entfaltungldquo (Seebaszlig 2006 148 und passim) gehindert wird wobei off en bleiben kann ob diese Entfaltung determiniert vonstatten geht oder nicht Dennoch wird der Inkompatibilist akzeptieren muumlssen dass es unterschiedliche Formen von Zwang gibt

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

75

argumentieren dass kausale Freiheit zwar eine gewisse Form von Freiheit und Kontrolle gewaumlhrleiste jedoch nur eine sehr oberfl aumlchliche oder bdquoseichteldquo16 und bei naumlherer Betrachtung irrelevante Was so fragt er soll es denn fuumlr einen Unterschied machen ob das Handeln vom Willen abhaumlngt wenn ontologisch fi xiert sei worauf der Wille sich richte Dann liege es doch in letzter Instanz nicht am Akteur was geschehe sondern an den Determinanten seines Willens Damit der Akteur moralisch ver-antwortlich sei muumlsse er nicht nur die Ereignisse durch seinen Willen kontrollieren sondern auch seinen Willen selbst er muumlsse die Faktoren kontrollieren die seinen Willen kausal beeinfl ussen Der Inkompatibilist kann also akzeptieren dass die Rede von Freiheit und Kontrolle auch unter den Bedingungen des Determinismus sinnvoll ist er bestreitet jedoch dass die Zuschreibung kompatibilistischer Freiheit und Kontrolle ausreichend ist um einen Akteur moralisch verantwortlich zu machen Der Akteur benoumltige wie man dann sagt nicht nur die kompatibilistische Form von Willensfreiheit sondern auch starke Willensfreiheit ndash Willensfreiheit die Indetermination voraussetzt Robert Kane druumlckt dies so aus dass Kon-trolle qua Willentlichkeit nicht ausreiche sondern ultimative Kontrolle erforderlich sei um ultimative Verantwortung tragen zu koumlnnen und erst ultimative Verantwortung gewaumlhrleiste moralische Verantwortung mache also moralische Billigung und Missbilligung angemessen Ultimative Kon-trolle jedoch sei mit dem Determinismus nicht vereinbar da die kausalen Wurzeln des Willens jeder Person dann jenseits ihrer Geburt laumlgen so dass sie nicht von ihr kontrollierbar seien

Hier zeichnet sich eine argumentative Pattsituation ab die eine Seite behauptet Formen von Freiheit und Kontrolle die mit dem Determinis-mus kompatibel sind seien fuumlr moralische Verantwortung ausreichend waumlhrend die Gegenseite dies leugnet Beide Seiten versuchen fuumlr ihre Sache bestimmte Intuitionen zu mobilisieren die sich mit dem Begriff

als Gattungsbegriff wird er vielleicht bdquoFestgelegtseinldquo vorschlagen als eine Spezies bdquoFestgelegtsein der Zukunft durch den antezedenten Weltzustand und die Naturgesetzeldquo und als weitere Spezies koumlnnte gelten bdquoFestgelegtsein der Zukunft auch unabhaumlngig vom Willenldquo (so wie etwa die Position eines 10 Tonnen schweren Felsbrockens in der naumlheren Zukunft nicht von meinem Willen abhaumlngt sofern er stabil in einer Kuhle liegt und ich nicht uumlber Werkzeug verfuumlge) Der Kompatibilist braucht nur das Zugestaumlndnis dass nicht immer wenn Zwang im ersten speziellen Sinne vorliegt auch Zwang im zweiten speziellen Sinne vorliegt Seine Behauptung ist dass Zwangsfreiheit im zweiten Sinne mit dem Determinismus kompatibel ist und diese Behauptung ist off enkundig wahr Damit ist natuumlrlich nicht schon der Kompatibilismus erwiesen denn es fragt sich nun ob diese Form von Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend ist

16 Cf Smilansky 2000 285 Wolf 1990 40f

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

76

der moralischen Verantwortung verbinden Es handelt sich jedoch um Intuitionen die mit der Einsicht zusammenhaumlngen dass moralische Ver-antwortung etwas mit Freiheit und Kontrolle zu tun hat sie sind deshalb nicht gehaltvoll genug um bestimmen zu koumlnnen welche Formen von Freiheit und Kontrolle hier relevant sind Wie laumlsst sich dieses Patt aufl ouml-sen Kompatibilisten haben versucht nachzuweisen dass die inkompati-bilistischen Begriff e von Freiheit und Kontrolle inkohaumlrent sind In der Tat haben Inkompatibilisten Probleme zu sagen was eine freie ultimativ kontrollierte Handlung kennzeichnet17 Dies ist nicht uumlberraschend weil wir uns wie mir scheint unter einer inkompatibilistischen Freiheit gar nichts vorstellen koumlnnen Einige Inkompatibilisten geben dies auch zu Sie ziehen daraus die Konsequenz dass Freiheit wie sie fuumlr moralische Ver-antwortung erforderlich waumlre auch unter den Bedingungen von Indeter-mination unmoumlglich ist18 Andere Inkompatibilisten leugnen dies jedoch und verweisen auf noch zu leistende philosophische Arbeit Wiederum andere sind zwar uumlberzeugt dass inkompatibilistische Freiheit moumlglich und wirklich ist sie kapitulieren jedoch vor der philosophischen Aufgabe dies zu erklaumlren indem sie hier von einem bdquoMenschheitsraumltselldquo19 sprechen das zu loumlsen wir einfach zu dumm bzw ndash nach der Auff assung Peter van Inwagens ndash neuronal falsch bdquoverdrahtetldquo seien20

Ich moumlchte versuchen zu zeigen dass die Kompatibilisten richtig liegen Das Patt kann uumlberwunden werden wenn man sich daran erinnert warum die Frage nach moralischer Verantwortung uumlberhaupt relevant ist

Die rettende Antwort lautet dass sie relevant ist im Kontext von Bedingungen fuumlr die Rechtfertigung von Billigung oder Missbilligung von Personen Ich werde nun den Versuch unternehmen diese Bedingun-gen herauszuarbeiten ohne die strittigen Begriff e bdquoFreiheitldquo bdquoKontrolleldquo bdquoKoumlnnenldquo etc zu verwenden Gezeigt werden soll dass es auch unter den Bedingungen des Determinismus gerechtfertigt sein kann Personen moralisch zu billigen oder zu missbilligen Dieser Befund kann dann unter

17 Sie nennen zwar notwendige Bedingungen darunter Indetermination aber keine hinreichenden und wenn sie sie nennen so ist unklar worin die Relevanz von Indetermination eigentlich liegt Robert Kanes Freiheitsbegriff etwa so scheint mir ist parasitaumlr zu kompati-bilistischen Begriff en die Faumllle von Indetermination in denen er Freiheit und moralische Verantwortung gewaumlhrleistet sieht erscheinen nur unter der Voraussetzung als plausible Faumllle dieser Art dass das Subjekt auch im deterministischen Fall als frei und verantwortlich gegolten haumltte

18 Cf G Strawson 1994 Pereboom 2001 Guckes 200319 Seebaszlig 2006 19120 Van Inwagen 1998 194

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

77

Verwendung der kompatibilistischen Varianten der strittigen Begriff e reformuliert werden Die Frage ob diese Begriff e Bedingungen markieren die hinreichend sind fuumlr moralische Billigung und Missbilligung kann sich geht man die Sache auf diese Weise an nicht mehr stellen da die Begriff e gezielt verwendet werden um einen bereits etablierten kompati-bilistischen Befund zu reformulieren

III

Meine Argumentation knuumlpft an Uumlberlegungen an die Peter Strawson in einem beruumlhmten Aufsatz mit dem Titel bdquoFreedom and Resentmentldquo aus dem Jahre 1962 entwickelt hat Ich teile keinesfalls alle Meinungen die Strawson hier vertritt So halte ich seine begriffl iche Th ese jemanden fuumlr moralisch verantwortlich zu halten heiszlige in Bezug auf ihn bestimmte aff ektive Dispositionen zu besitzen Dispositionen wie die des Grolls oder der Schuldgefuumlhle fuumlr falsch21 Anknuumlpfen moumlchte ich an seine Th ese dass es im Kontext der Frage nach moralischer Verantwortung um eine bestimmte Weise der Reaktion auf Willensqualitaumlten geht22 ndash keine aff ek-tive Reaktion allerdings sondern eine evaluative Wenn wir jemanden moralisch fuumlr ein negatives Ereignis etwa das Leiden eines Menschen verantwortlich machen meinen wir dass dieses Ereignis ein schlechtes Licht auf seine Qualitaumlt als Person wirft der Umstand dass das Ereignis negativ ist hat damit zu tun dass er als Mensch zumindest partiell nega-tiv zu beurteilen ist Nun ist jemand dann schlecht als Person wenn sein Wille Defi zite aufweist23 Wenn wir nach der moralischen Verantwortung fragen fragen wir danach ob eine Person in Anbetracht bestimmter Ereig-nisse moralische Billigung oder Missbilligung verdient und Gegenstand des Urteils ist ihr Wille Die Frage welche Qualitaumlt ein Wille hat kann jedoch ganz unabhaumlngig von Fragen nach der kausalen Rolle bzw der Verantwortung gestellt werden Freilich gibt es hier ein epistemisches

21 Zwar gehen Aff ekte wie Groll oder Schuldgefuumlhle typischerweise mit Urteilen uumlber negativ beurteilte Willensqualitaumlten einher doch besteht meiner Ansicht nach kein begriffl icher Zusammenhang Man kann auch aff ektfrei solche Urteile faumlllen und es daruumlber hinaus sogar als unangemessen erachten solche Aff ekte auszubilden (cf Schaumllike 2009 Sher 2006 86ndash88 113)

22 P Strawson 1962 83 (Kap 5) Cf auch Wallace 1994 Kap 52 Prominente Vertreter eines bdquoReactive-attitudes-Ansatzesldquo sind auch FischerRavizza (cf 1998 5ndash8)

23 bdquoWhatever we do our doing of it is no more to our discredit than are those purely mental acts by which we do itldquo Th omson 1993 199

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

78

Problem da wir die Willensqualitaumlt nicht unmittelbar erkennen koumlnnen wir sind auf wahrnehmbare Zeichen angewiesen Aber es ist eben nur ein epistemisches Problem Angenommen wir wuumlssten dass jemand einen sadistischen oder egoistischen Willen hat so waumlre es korrekt ihn fuumlr diesen Willen zu missbilligen sofern wir uumlber die entsprechenden evaluativen Maszligstaumlbe verfuumlgten und sofern diese Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Wie diese Maszligstaumlbe inhaltlich defi niert sind ob sie etwa konsequentialistisch an der Realisation bestimmter Weltzustaumlnde oder aber deontologisch an intrinsischen Eigenschaften von Handlungen orientiert sind ist strittig Kaum vernuumlnftig bestritten werden kann jedoch dass die Person als Person moralisch an ihrem Willen gemessen wird Auch der Utilitarist beurteilt die Person moralisch nicht danach wie sie die Gluumlcksbilanz faktisch beein-fl usst sondern danach wie sehr sie sich darum bemuumlht24

Ein billigendes oder missbilligendes Urteil laumlsst sich somit auf zwei Weisen in Frage stellen man kann (i) bezweifeln dass die Beschreibung des Willens korrekt ist und man kann (ii) die Guumlltigkeit der Wertmaszligstauml-be bestreiten Betrachten wir zunaumlchst den zweiten Punkt Strawson war der Meinung dass die Praxis Dinge im Lichte bestimmter Maszligstaumlbe zu bewerten keinerlei problematische metaphysische Praumlsuppositionen impli-ziert Es sei einfach ein Faktum dass wir mit bestimmten Wertmaszligstaumlben ausgestattet seien hier ist an Maszligstaumlbe zu denken die so Unterschiedliches betreff en wie Moral Aumlsthetik Funktionalitaumlt und sportliches Koumlnnen Wer moralische Maszligstaumlbe akzeptiere der nehme eine ablehnende Haltung zu einem Mangel an bdquogutem Willenldquo ein wobei Strawson hierunter einen Mangel an Bereitschaft verstand die Interessen anderer zu beruumlcksichtigen Eine solche Einstellung zur Willensqualitaumlt sei einer weiteren rationalen Ausweisung weder faumlhig noch beduumlrftig Ich teile Strawsons Ansicht doch ist sie keinesfalls unkontrovers viele sind der Meinung moralische Einstel-lungen seien rational begruumlndbar entweder weil es objektive moralische Tatsachen gebe wie moralische Realisten behaupten oder weil die Moral vernuumlnftig sei einfachhin vernuumlnftig wie die Kantianer meinen oder instrumentell vernuumlnftig wie die Kontraktualisten Ob sie Recht haben kann ich hier zum Gluumlck off en lassen denn es aumlndert nichts an Strawsons Punkt wenn irgendwelche Wertmaszligstaumlbe guumlltig sind dann entweder weil sie faktisch akzeptiert werden oder weil es Gruumlnde gibt sie zu akzeptieren Im letzteren Fall handelt es sich um moraltheoretische normative Gruumln-

24 bdquoDas Motiv [hat] zwar sehr viel mit dem Wert des Handelnden aber nichts mit der Moralitaumlt der Handlung zu tunldquo Mill 1871 32 (Kap 2)

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

79

de nicht um Gruumlnde die etwas mit nicht-normativen Fakten bezuumlglich der kausalen Struktur der Welt zu tun haben So wird die Antwort auf die Frage ob ein Wille im Lichte von Praumlferenzen abzulehnen ist die wir faktisch besitzen oder im Lichte von objektiven normativen Tatsachen oder aber deswegen weil es einfachhin oder instrumentell vernuumlnftig ist ihn abzulehnen sicherlich nicht davon abhaumlngen ob die Welt determiniert ist oder nicht Ebenso wenig werden die inhaltlichen Kriterien an denen der Wille zu messen ist hiervon abhaumlngen Diese Fragen haumlngen allein von normativen Gruumlnden ab sofern sie uumlberhaupt von Gruumlnden abhaumln-gen Freilich koumlnnte man auch bestreiten dass moralische Wertmaszligstaumlbe uumlberhaupt existieren Aber dann haumltte sich die Frage nach der moralischen Verantwortung von selbst aus Gruumlnden ad acta gelegt die mit dem Deter-minismus nichts zu tun haben

Eine evaluative Stellungnahme auf der Basis zugrunde gelegter Wert-maszligstaumlbe abzugeben ist nun metaphysisch kaum anspruchsvoller als das Zusprechen einer deskriptiven Eigenschaft Evaluative Urteile basieren auf deskriptiven Urteilen zunaumlchst muss ein Sachverhalt unter einer bestimm-ten Beschreibung zur Kenntnis genommen werden Hinzu tritt ledig-lich die billigende oder missbilligende Stellungnahme So stellt etwa die Zuschreibung der Charaktereigenschaft des Egoismus oder des Sadismus zunaumlchst durchaus ein deskriptives Urteil dar25 das allein dadurch zu einem evaluativen wird dass der Urteilende diese Charaktereigenschaft billigt oder missbilligt also den diesbezuumlglichen Wertmaszligstab akzeptiert Fuumlr die Angemessenheit dieses deskriptiven Urteils ist es voumlllig unerheblich ob die Welt determiniert ist oder nicht Die Aussage dass jemand ein Egoist oder ein Sadist ist kann nicht sinnvoll durch den Hinweis bestritten werden er sei darin determiniert Egoist oder Sadist zu sein Was oder wie jemand ist und wie es dazu kam dass er es ist sind zwei verschiedene voneinander unabhaumlngige Fragen Wenn jemand eine Person missbilligt tut er somit etwas was insofern es die theoretische Vernunft betriff t so unproblema-tisch ist wie das Faumlllen des zugrunde liegenden deskriptiven Urteils etwa des Urteils dass er grausam oder egoistisch oder verlogen ist

25 De facto geht in die Begriff sverwendung von bdquoEgoismusldquo zwar stets eine Bewertung mit ein insofern als Egoist jemand gilt der sich uumlber das angemessene Maszlig hinaus um sich selbst kuumlmmert Zu diesem evaluativ aufgeladenen Alltagsbegriff laumlsst sich jedoch ein deskriptives Pendant bilden das mit dem Kriterium fuumlr Angemessenheit operiert ohne es als Angemessenheitskriterium zu benennen etwa indem gesagt wird der Egoist sei jemand der sein eigenes Wohl (um den Faktor x) houmlher gewichtet als das Wohl der anderen Als Sadist laumlsst sich wertneutral beschreiben wer Freude daran hat anderen Leid zuzufuumlgen

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

80

Die Frage ob Billigung oder Missbilligung angemessen sind hat somit einen Aspekt der in den Bereich der theoretischen Rationalitaumlt faumlllt es geht um die Korrektheit der Zuschreibung von evaluationsrelevanten deskrip-tiven Eigenschaften Unter Umstaumlnden hat diese Frage auch eine prak-tische Dimension dann naumlmlich wenn moralische Einstellungen selbst begruumlndbar sind Diese Gruumlnde sind dann aber normativer Art die kausale Struktur der Welt ist hier irrelevant Damit waumlre die Determinismusfrage im Kontext von moralischer Beurteilung von moralischer Billigung und Missbilligung ohne Belang der Kompatibilismus waumlre bewiesen

Interessanterweise hat Strawson es jedoch nicht so gesehen seiner Ansicht nach hat die Frage nach der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung eine praktische Dimension die ich noch nicht beruumlcksichtigt habe Strawson zufolge liegt dies daran dass die Pra-xis den Willen einer Bewertung zu unterziehen Auswirkungen auf die Qualitaumlt des Lebens der Betroff enen habe Ohne die Moumlglichkeit solche Urteile zu faumlllen entfalle der Bereich aff ektiver Reaktionen der auf diesen Urteilen aufbaut Reaktionen wie Groll Empoumlrung Schuldgefuumlhle sowie die damit verbundene persoumlnliche Anteilnahme die das intersubjektive Leben so wie wir es kennen praumlge Wir koumlnnten nur eine distanzierte von Strawson bdquoobjektivldquo genannte Haltung zueinander einnehmen eine Haltung der zwischenmenschlichen Kaumllte die den Beziehungen den Status von Prognose Manipulation und Konditionierung verleihe Hier gelte es Pro und Contra abzuwaumlgen Die Praxis der wertenden bzw aff ekti-ven Reaktion auf Willensqualitaumlten insgesamt stehe auf dem Pruumlfstand Sollte die Abwaumlgung zuungunsten der Praxis ausfallen waumlre sie im Lichte praktischer Gruumlnde unangemessen Diese praktischen Gruumlnde beziehen sich nun jedoch nicht intern auf die Guumlltigkeit der Wertmaszligstaumlbe selbst sondern auf die Praxis des Anwendens der Wertmaszligstaumlbe Man kann hier von einer externen praktischen Bewertung sprechen

Strawson ist der Auff assung eine objektive aff ekt- und wertungs-freie Haltung durchgehend einzunehmen sei uns nicht nur psychisch unmoumlglich sondern auch nicht wuumlnschenswert da unser Leben dadurch dramatisch verarmen die Lebensqualitaumlt drastisch sinken wuumlrde Es sei somit auch extern praktisch rational auf bestimmte Weise auf Willens-eigenschaften zu reagieren falls der Wille diese Eigenschaften tatsaumlchlich besitzt da es praktisch rational sei eine moumlglichst hohe Lebensqualitaumlt zu erzielen26

26 Strawson 1962 83 87

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

81

Jay Wallace stimmt Strawson darin zu dass die Frage der Angemessen-heit von moralischer Billigung und Missbilligung eine uumlber die Begruumln-dung der evaluativen Maszligstaumlbe hinausgehende praktische Dimension hat er argumentiert jedoch dass Strawson es sich zu einfach mache die praktische Frage die sich bezuumlglich der reaktiven Haltungen zu Willens-qualitaumlten stelle betreff e nicht allein die Lebensqualitaumlt die von der Moumlg-lichkeit solcher Reaktionen tangiert sei sondern auch die Moral relevant sei nicht nur der pragmatische Aspekt des Nutzens solcher Haltungen sondern auch der moralische Aspekt der Fairness27 Wallace weist darauf hin dass moralische Billigung und Missbilligung positive oder negative Auswirkungen auf ihr Objekt haben kann Wer negativ beurteilt wird hat oft unter Ablehnung und Sanktionen zu leiden Dies werfe die Frage auf ob es nicht unfair sei dass einige unter diesen Haumlrten zu leiden haumltten waumlhrend andere davon verschont blieben Insbesondere stelle sich die Fra-ge ob dies unter der Bedingung des Determinismus unfair sei da dieser denjenigen die mit einem missbilligenswerten Willen ausgestattet sind keine Chance lasse den harschen Reaktionen zu entkommen da sie nicht die Faumlhigkeit haumltten einen billigenswerten Willen auszubilden Wallace verwendet groumlszligeren Aufwand darauf zu zeigen dass dies nicht unfair ist Er arbeitet heraus welche Fairnessprinzipien hier relevant sind und weist nach dass es in ihrem Lichte nicht unangemessen ist determinierte Wesen den Vor- und Nachteilen auszusetzen die mit moralischer Billigung und Missbilligung einhergehen28

Wallace betont dass in dieser Interpretation die Pruumlfung der Angemes-senheit der Einnahme reaktiver Haltungen anders als im Falle des Rekurses auf pragmatische Kriterien keine Pruumlfung von auszligen darstellt Hier wird ja die Praxis moralischen Urteilens und Reagierens anhand moralischer Kriterien gepruumlft so dass es sich um ein moralinternes Projekt handle29

Mit Strawsons pragmatischem Argument teilt Wallaces diesbezuumlgliche Argumentation jedoch den normativen Status Maszligstab der Angemessen-heit sind praktische Normen

Ich glaube dass Strawsons und Wallaces normative Bewertungen der Praxis des Wertens richtig sind Meine Kritik an ihnen zielt nicht auf ihr praktisches Urteil sondern auf den Status den sie ihm einraumlumen betriff t dieses Urteil wirklich in relevanter Hinsicht die Frage der Angemessenheit von moralischer Billigung und Missbilligung Koumlnnten Uumlberlegungen dieser

27 Wallace 1994 Kap 4328 Ebd Kap 5 629 Ebd 98ff

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

82

Art moralische Billigung und Missbilligung tatsaumlchlich als unbegruumlndet erweisen Ich denke nein Und weil die Argumente Strawsons und Wallaces inhaltlich angezweifelt werden koumlnnen und auch angezweifelt werden bedeutet dies dass die Praxis von moralischer Billigung und Missbilligung auf noch festerem Grund steht als Strawson und Wallace meinen da die Angemessenheit dieser Praxis nicht von den praktisch-normativen Argu-menten abhaumlngt die sie vorbringen30

bdquoMoralisch angemessenldquo laumlsst sich auf unterschiedliche Weise verstehen Zum einen kann man damit die korrekte Anwendung moralischer Maszligstauml-be meinen also das Zutreff en moralischer Urteile Zum anderen kann man auf die Folgen des mentalen Prozesses des Urteilens abheben Ein Gedanken-experiment von Pamela Hieronymi macht diesen Unterschied deutlich31 angenommen mit dem Faumlllen moralischer Urteile waumlren furchtbare Folgen fuumlr das Wohl sehr vieler Menschen verbunden Ein maumlchtiger Daumlmon haumltte es so eingerichtet dass Millionen Menschen qualvoll sterben muumlssten wann immer ich jemanden moralisch billigte oder missbilligte Dann erzeugte mein moralisches Urteilen ein groszliges moralisches Uumlbel und ich verhielte mich moralisch falsch wenn ich in Uumlberlegungen eintraumlte die moralische Billigung und Missbilligung zur Folge haben koumlnnten Dies wuumlrde jedoch nichts daran aumlndern dass mein billigendes oder missbilligendes mora-lisches Urteil zutreff end waumlre sofern dessen Gegenstaumlnde die relevanten Eigenschaften besaumlszligen und die Maszligstaumlbe guumlltig waumlren Ob billigende oder missbilligende Urteile zutreff end sind ist somit voumlllig unabhaumlngig davon welche Folgen Billigung oder Missbilligung haumltten32 Noch deutlicher wird dies wenn wir annehmen Menschen muumlssten sterben wann immer ich eine Rechenaufgabe korrekt loumlste Dann waumlre es moralisch falsch wenn ich dies wissend den Versuch unternaumlhme Rechenaufgaben zu loumlsen Dennoch waumlre es sicher nicht mathematisch unangemessen wenn ich urteilte dass 4 die Summe von 2 plus 2 sei Entsprechendes gilt fuumlr moralische Billigung und Missbilligung Es kann im Lichte der Folgen moralisch unangemessen sein sich daruumlber den Kopf zu zerbrechen ob jemand einen grausamen

30 Zu den Zweifl ern an Strawsons Argumenten gehoumlren etwa Derk Pereboom und Barbara Guckes die meinen ein Leben ohne reaktive Haltungen sei zwar in gewisser Weise aumlrmer aber diese Verarmung sei kein zu hoher Preis fuumlr den Vorzug die involvierten zumeist doch negativen Aff ekte nicht mehr erleiden zu muumlssen (cf Pereboom 2001 Guckes 2003 214) Zu den Kritikern Wallaces zaumlhlen Fischer 1996 Benson 1996 Clarke 1997 und Haji 2002

31 Cf Hieronymi 2004 128f32 Strawson meint selbst dass die Pointe von moralischer Billigung und Missbilligung

nicht darin besteht irgendwelche externen Zwecke zu erfuumlllen etwa das Verhalten anderer zu beeinfl ussen sondern schlicht darin subjektive Einstellungen auszudruumlcken

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

83

Willen besitzt und es kann auch moralisch unangemessen sein seine Meinung uumlber die Willenseigenschaften zu aumluszligern wenn dies fuumlr irgendje-manden belastend sein sollte Es kann aber nicht aus diesen Gruumlnden unan-gemessen im Sinne des Zutreff ens sein von jemandem der einen grausamen Willen besitzt zu meinen dass er einen grausamen Willen besitzt und ihn dafuumlr zu missbilligen wenn Grausamkeit schlecht ist Die folgenbe-zogenen moralischen Gruumlnde koumlnnten dafuumlr sprechen sich zu bemuumlhen keine moralischen Maszligstaumlbe mehr fuumlr guumlltig zu halten da sich moralische Urteilsbildung auf diese Weise wirksam unterbinden laumlsst Diese Gruumlnde spraumlchen jedoch nicht gegen die Guumlltigkeit dieser Maszligstaumlbe sondern nur gegen das Ausbilden der entsprechenden Einstellungen Sie wuumlrden mora-lische Billigung und Missbilligung somit nicht unzutreff end machen

Dies bedeutet dass fuumlr die im gegenwaumlrtigen Kontext allein relevante Frage ob moralische Billigung und Missbilligung im Sinne des Zutreff ens angemessen sind normative Fragen die nichts mit der Guumlltigkeit der Wert-maszligstaumlbe zu tun haben sondern mit den Folgen des Urteilens irrelevant sind Fuumlr die Guumlltigkeit der Maszligstaumlbe jedoch spielt es keine Rolle ob die Welt determiniert ist Dies spielt aber auch fuumlr die Frage welche deskriptiven Eigenschaften ein Wille faktisch hat keine Rolle Dann aber ist die Frage ob die Welt determiniert ist in diesem Kontext gaumlnzlich irrelevant

IV

Was hat all dies mit moralischer Verantwortung zu tun Sehr viel wie ich meine Fuumlr Strawson und Wallace heiszligt auf die Willensqualitaumlt mit bestimmten ihrer Meinung nach aff ektiven Einstellungen zu reagieren Einstellungen in denen sich moralische Billigung und Missbilligung ausdruumlckt nichts anderes als den Traumlger des Willens moralisch verant-wortlich zu machen Es gibt ihrer Ansicht nach keine Tatsache des Ver-antwortlich-Seins die logisch basaler als diese reaktiven Haltungen und somit begriffl ich unabhaumlngig von ihnen ist Diese begriffl iche Verbindung von moralischer Verantwortung mit aff ektiven Haltungen wie Groll und Schuldgefuumlhl halte ich fuumlr falsch Moralische Billigung und Missbilligung sind evaluative Einstellungen die typischerweise empirisch mit bestimmten Aff ekten einhergehen nicht jedoch a priori33 Welche Analyse von mora-lischer Verantwortung habe ich stattdessen anzubieten

33 Cf Schaumllike 2009

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

84

Ich halte bdquoVerantwortungldquo fuumlr einen Begriff der wie eingangs erlaumlu-tert kausale Abhaumlngigkeit bezeichnet bdquoPersoumlnliche Verantwortungldquo oder bdquoVerantwortung als Akteurldquo sowie bdquomoralische Verantwortungldquo bezeichnen eine bestimmte Form kausaler Abhaumlngigkeit von Ereignissen vom Willen Welche Form Dies laumlsst sich jetzt klaumlren Gesucht wird eine Form von kausaler Beziehung die es ermoumlglicht eine Person im Lichte von Ereignis-sen die kausal von ihr abhaumlngen moralisch zu bewerten Die moralische Beurteilung einer Person betriff t die moralische Qualitaumlt ihres Willens bis zu welchem Grade ist sie bereit sich an moralischen Normen zu ori-entieren Die gesuchte Kausalbeziehung muss also von der Art sein dass die Ereignisse Zeugnis von der Willensqualitaumlt ablegen koumlnnen Nicht immer wenn ein Ereignis willensabhaumlngig ist ist das gewaumlhrleistet So ist der Wille der Urgroszligmutter von Hitler sicher kausal involviert in den Ereignisprozess der zum 2 Weltkrieg gefuumlhrt hat aber es waumlre unsinnig sie wegen des Krieges zu missbilligen Dies liegt daran dass sie nicht gewusst oder geahnt hat welche Auswirkungen ihr Handeln haben wuumlr-de Fuumlr die Ermoumlglichung von moralischer Billigung und Missbilligung im Lichte eines Ereignisses muss eine Beziehung besonderer Art zwischen dem Willensinhalt und dem Ereignis bestehen Das Ereignis muss gewollt oder schwaumlcher als moumlgliche Folge des eigenen Handelns vorhergesehen werden so dass zumindest das Risiko dass das Ereignis eintritt akzeptiert und somit in den eigenen Willen aufgenommen wird Die Verursachung des Ereignisses muss in diesem Sinne intentional sein

Der Begriff der Handlungsintention ist somit von entscheidender Bedeu-tung hinsichtlich der Frage welche Art von Kausalrelation bei moralischer Verantwortung vorliegt Wenn ein Ereignis eine intentionale Handlung darstellt bdquofaumlrbtldquo die moralische Qualitaumlt des es verursachenden Willens gleichsam bdquoabldquo auf die Qualitaumlt dieses Ereignisses der Wille bdquodruumlckt sichldquo in diesen Ereignissen bdquoausldquo34 Der Umstand dass das Ereignis negativ ist ndash beispielsweise stirbt ein Mensch ndash hat damit zu tun dass ein Wille negativ ist ndash jemand hat ihn aus Habgier getoumltet Hier ist die Diagnose zu stellen dass jemand staumlrker nach dem eigenen materiellen Wohl strebte als danach das Leben anderer zu erhalten und dies ist eine Willensqualitaumlt die im Lichte einer plausiblen Moral missbilligenswert erscheint Der Habgierige ist dann moralisch verantwortlich fuumlr das negative Ereignis er steht zu ihm in einer Kausalrelation die einen berechtigt ihn hierfuumlr zu missbilligen John Mackie hat diese Einsicht in seiner bdquostraight rule of responsibilityldquo

34 Cf Fischer 1999 2002 196

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

85

ausgedruumlckt ein Akteur ist fuumlr alle seine intentionalen Handlungen mora-lisch verantwortlich und nur fuumlr sie35 Da der Determinismus intentionales Handeln nicht unmoumlglich macht ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismus etabliert

Hat Mackie Recht wenn er seine bdquostraight ruleldquo propagiert Sind wir fuumlr alle absichtlichen Handlungen verantwortlich und nur fuumlr diese Wie mir scheint nein36 Faktisch werden Subjekte auch fuumlr Ereignisse verantwortlich gemacht die sie nicht intendiert haben und zwar im Falle von unbewusster Fahrlaumlssigkeit und manchmal auch von Vergessen Hier wird zum Vorwurf gemacht dass die Person auf bestimmte Dinge nicht aufmerksam geworden ist Dies laumlsst sich in das hier entwickelte Konzept integrieren indem die kritisierten doxastischen Defi zite als Indizien inter-pretiert werden die ein evaluatives Licht auf die Person werfen Wenn eine Person nicht daran denkt welches Risiko fuumlr andere sie verursacht wenn sie mit hoher Geschwindigkeit durch eine verkehrsberuhigte Zone faumlhrt so kann das daran liegen dass sie ein zu geringes Interesse am Wohl anderer hat Und wenn wir eine Verabredung vergessen so kann das daran liegen dass wir ein zu geringes Interesse an der Person haben mit der wir verabredet sind Klarerweise haben unsere Interessen einen kausalen Einfl uss darauf was uns auff aumlllt und was uns einfaumlllt Dieser kausale Einfl uss ist es der das ausbleibende Auff allen und Einfallen zu Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt machen kann ndash freilich zu truumlgerischeren Indizien als das intentionale Handeln denn manchmal uumlbersehen oder vergessen wir auch Dinge die uns sehr wichtig sind Deshalb haben die entsprechenden Verfehlungen auch ein geringeres Gewicht bei der morali-schen Beurteilung der Person Im Falle von bewusster Fahrlaumlssigkeit ndash etwa wenn durch zu schnelles oder betrunkenes Fahren ein Unfall verursacht wird ndash verursacht die Person das Uumlbel zwar nicht absichtlich aber sie geht das Risiko absichtlich ein Das Unfallereignis kann als Zeichen fuumlr einen moralischen Fehler gelten denn wer solche Risiken eingeht also das drohende Uumlbel vorhersieht der interessiert sich nicht hinreichend fuumlr dasWohl anderer37

35 Mackie 1977 208 Mackie knuumlpft hier an Aristoteles an der Lob und Tadel ebenfalls an Willentlichkeit (hekousion) knuumlpft (cf EN 1109b30f)

36 Cf auch Stoecker 199737 Zur Bedeutung von Intentionalitaumlt qua Voraussicht bei Fahrlaumlssigkeit cf Wallace 1994

138f Zimmerman 1986 Seebaszlig 2006 Kap 3 Anders als diese Autoren bin ich jedoch ndash wie gesagt ndash nicht der Meinung dass Fahrlaumlssigkeit stets bewusste billigende Inkaufnahme zu irgendeinem (bei unbewusster Fahrlaumlssigkeit fruumlheren) Zeitpunkt voraussetzt (bdquohellip all negligence involves actual foresightldquo Zimmerman 1986 206 216)

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

86

Diese Uumlberlegungen zeigen inwiefern es gerechtfertigt ist jemanden moralisch im Lichte von Ereignissen zu billigen oder zu missbilligen obgleich diese Billigung oder diese Missbilligung eigentlich nicht auf Ereignisse sondern auf die Willensqualitaumlt abzielt Unter bestimmten kausalen Bedingungen legen Ereignisse Zeugnis ab von der Willensqua-litaumlt Auf diesen Zusammenhang ist der Begriff der moralischen Verant-wortung zugeschnitten Da dieser Kausalzusammenhang nicht durch die Annahme alles sei kausal determiniert bedroht werden kann sondern allenfalls durch die Annahme einige Ereignisse seien indeterminiert ist die Kompatibilitaumlt von moralischer Verantwortung und Determinismusbewiesen

V

Nun lassen sich die passenden Begriff e von Freiheit und Kontrolle einfuumlh-ren Ich werde versuchen den gesicherten kompatibilistischen Befund in diesen Begriff en zu reformulieren Wenn dies gelingt ist gezeigt welche Formen von Freiheit und Kontrolle fuumlr moralische Verantwortung aus-reichend sind

Wie eingangs erlaumlutert gibt es unterschiedliche Begriff e von Freiheit von denen einige mit dem Determinismus kompatibel sind andere nicht Die Frage die sich stellte war welche Form von Freiheit ausreichend ist fuumlr moralische Verantwortung Hier musste eine argumentative Pattsituation konstatiert werden die Kompatibilisten behaupten ausreichend sei kausale Freiheit die in physische psychische und kognitive Freiheit zerfaumlllt sie gewaumlhrleistet die Form von Kontrolle die willentlichem Handeln eignet Die Inkompatibilisten behaupten Indetermination sei erforderlich da nur sie ultimative Kontrolle ermoumlgliche also Kontrolle nicht nur uumlber das Handeln qua Wille sondern auch uumlber den Willen qua einer bestimmten Faumlhigkeit die genauer zu charakterisieren waumlre eine Aufgabe der uumlberzeu-gend nachzukommen bis heute meines Erachtens niemandem gelungen ist Dieses Patt kann nun ganz einfach uumlberwunden werde Wir wissen jetzt worauf es im Zusammenhang mit moralischer Verantwortung ankommt auf die moralische Bewertung einer Person genauer ihres Willens im Lichte von Ereignissen Ereignisse koumlnnen die erforderliche epistemische Rolle spielen wenn sie in einem bestimmten kausalen Verhaumlltnis zum Willen stehen Dieses Verhaumlltnis besteht bei intentionalem Handeln Die Frage lautet nun welche Formen von Freiheit und Kontrolle sind in

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

87

intentionalem Handeln impliziert und somit hinreichend fuumlr moralische Verantwortung

Zunaumlchst zur Frage nach der Freiheit bdquoAlles bewusste absichtliche Handeln ist freildquo behauptet Ernst Tugendhat38 Gemaumlszlig der konditionalen Analyse von Freiheit ist jemand frei wenn er anders handelte wenn er etwas anderes wollte Handlungen die der Akteur in diesem Sinne vollzie-hen kann werden von ihm entweder absichtlich vollzogen oder absichtlich unterlassen Implizit steckt in der konditionalen Analyse dass der Akteur zutreff end meint dass er die Handlung vollzieht wenn er dies will und dass er sie unterlaumlsst wenn nicht denn nur wenn diese doxastische Bedin-gung gegeben ist kann der Wille handlungskausal wirksam werden Eine Handlung die nicht frei im konditionalen Sinne waumlre waumlre keine inten-tionale Handlung Intentionales Handeln ist somit im konditionalen Sinne frei Da Subjekte fuumlr intentionales Handeln moralisch verantwortlich sind ist diese konditionale Freiheit fuumlr moralische Verantwortung ausreichend Konditionale Freiheit ist mit dem Determinismus kompatibel Damit ist erwiesen dass diejenige Freiheit die fuumlr Verantwortung hinreichend ist mit dem Determinismus kompatibel ist Ist sie auch notwendig Ich habe herausgearbeitet dass wir fuumlr alle intentionalen Handlungen verantwort-lich sind aber nicht allein fuumlr diese Unsere Verantwortung erstreckt sich auch auf fahrlaumlssig verursachte Ereignisse Freiheit im konditionalen Sinne ist somit fuumlr Verantwortung nicht notwendig39

Wer intentional handelt besitzt nun Kontrolle uumlber Ereignisse in dem Sinne dass diese Ereignisse insofern sie vom Willen des Subjekts abhaumlngen von ihm abhaumlngen sie stehen unter der Kontrolle seines Willens Der Wille ist der Kausalfaktor der die Handlungen und die davon abhaumlngigen Ereignisse beeinfl usst Kompatibilistische Kontrol-le qua autonomer Willentlichkeit ist somit hinreichend fuumlr moralischeVerantwortung40

Nun wird deutlich wie die Grundlagen von moralischer Billigung und Missbilligung das kausale Konzept von Verantwortung und das kausal-evaluative Konzept von moralischer Verantwortung miteinander zusam-menhaumlngen dass jemand moralisch verantwortlich ist impliziert dass

38 Tugendhat 1976 11039 Zur Analyse von Fahrlaumlssigkeit cf Schaumllike 200940 Der Akteur nimmt uumlblicherweise an dass der Eintritt der Folgen willensabhaumlngig ist

und insofern kontrolliert wird ndash andernfalls bestuumlnde keine Motivation zu handeln Tatsaumlchlich koumlnnen die Folgen jedoch uumlberdeterminiert sein ndash auf den Mann auf den man schieszligt wird auch von anderen geschossen und auch die anderen Kugeln wuumlrden ihn toumlten

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

88

bestimmte Ereignisse ein evaluatives Licht auf ihn als Person werfen41 bdquoAuf ihn als Personldquo heiszligt auf seinen Willen Bestimmte Ereignisse legen Zeug-nis ab von der Willensqualitaumlt Moralische Billigung und Missbilligung beziehen sich auf diese Willensqualitaumlt und sind nicht grundsaumltzlich davon abhaumlngig dass tatsaumlchlich Ereignisse stattfi nden die ein Licht auf den Willen werfen Diese Ereignisse haben nur eine epistemische Funktion sie sind Indizien fuumlr die Willensqualitaumlt Wie koumlnnen sie diese epistemische Funktion erfuumlllen Dadurch dass sie kausal in einer bestimmten Weise von der Willensqualitaumlt abhaumlngen Die Kausalstruktur von intentionalem Han-deln gewaumlhrleistet dass Ereignisse Indizien fuumlr Willensqualitaumlt darstellen koumlnnen Immer wenn jemand ein Ereignis intentional herbeigefuumlhrt hat hat er es als moumlgliche Folge seines Handelns zumindest vorausgesehen Damit hat er es akzeptiert und in seinen Willen aufgenommen dann aber zeugt das Ereignis von seiner Willensqualitaumlt und man kann ihn auf dieser Basis moralisch beurteilen42 Und genau dies geschieht wenn er moralisch verantwortlich gemacht wird man meint dann dass die negativen oder positiven Ereignisse ein negatives oder positives Licht auf ihn werfen da er diese Ereignisse mitsamt ihren negativen oder positiven Aspekten zumindest insofern gewollt hat als er sie billigend in Kauf genommenhat43

VI

Die Hauptschritte der Argumentation sind sehr einfach und jeder einzel-ne scheint mir einwandfrei zu sein Koumlnnte sie vielleicht doch irgendwie angefochten werden Man koumlnnte versuchen zwischen moralischer Kritik der Willensqualitaumlt und moralischer Missbilligung zu unterscheiden So

41 bdquo[I]n blaming someone for something we take its moral defect to refl ect badly on himldquo (Sher 2001 150 2006 57)

42 bdquo[When] any result has been foreseen and adapted as foreseen [by the agent] such result is the outcome not of any external circumstances [hellip] but of the agentrsquos conception of his own end [hellip] Th e result is simply an expression of himself [hellip] We are responsible for our conduct because that conduct is ourselves objectifi ed in actionsldquo (Dewey 1891 160f)

43 Moralische Verantwortung und moralische Billigung und Missbilligung haumlngen somit insofern zusammen als jemand stets dann wenn er fuumlr ein Ereignis moralisch verantwortlich ist im Lichte dieses Ereignisses gebilligt bzw missbilligt werden kann Der Umkehrschluss hingegen ist nicht guumlltig nicht immer wenn jemand fuumlr etwas gebilligt bzw missbilligt werden kann ist er fuumlr dieses auch moralisch verantwortlich Jemand der einen uumlblen Willen hat ist zu missbilligen unabhaumlngig davon ob er dafuumlr verantwortlich ist dass sein Wille kritikwuumlrdig ist

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

89

koumlnnte man argumentieren jemand verdiene keine Missbilligung fuumlr seine Grausamkeit wenn er dazu determiniert war einen grausamen Willen zu haben Diese Argumentation scheitert jedoch denn zu missbilligen heiszligt nun einmal nichts anderes als eine ablehnende Haltung gegenuumlber bestimmten Eigenschaften einzunehmen Wer ein Bild wegen seiner Haumlss-lichkeit kritisiert der haumllt seine aumlsthetische Qualitaumlt fuumlr missbilligenswert ohne sich uumlber seine Kausalgeschichte Gedanken zu machen44 Analog missbilligt jemand der Grausamkeit ablehnt einen Willen stets dann wenn er ihn fuumlr grausam haumllt Koumlnnte man vielleicht sagen dass der Wil-le qua Grausamkeit zwar missbilligenswert sei aber die Missbilligung nur den Willen nicht aber die Person triff t45 Das scheint kaum sinnvoll ist es denn nicht der Wille der Person46 Nun koumlnnte man dies zugeben jedoch behaupten dass im Falle der Determination die Missbilligung des Willens nicht auf die Person als ihren Traumlger uumlbergeht Der Wille waumlre dann ein Fremdkoumlrper in der Person nicht in Schopenhauers Worten ihr Kern Das erscheint jedoch unplausibel Was anderes als ihr Wille sollte die moralische Identitaumlt der Person konstituieren bzw wie soll-te ihr Wille diese Identitaumlt nicht konstituieren47 Kann man plausibel sagen dass ein zu missbilligender Wille kein schlechtes Licht auf die

44 Freilich spielen bei der Beurteilung von Kunstwerken Fragen der Genese durchaus eine Rolle ein Bild wird anders gesehen und bewertet wenn sich herausstellt dass sein Urheber nicht die Person war die man dafuumlr hielt bzw dass es eine Faumllschung ist Dies zeigt jedoch nur dass einige aumlsthetischen Maszligstaumlbe historisch sensitiv sind nicht jedoch dass alle es sind Auch wenn uns jegliche historischen Informationen uumlber alle in den Museen befi ndlichen Werke unrettbar verloren gingen koumlnnten wir doch aumlsthetische Urteile uumlber sie faumlllen manche fuumlr schoumln andere fuumlr haumlsslich halten Entsprechend gilt auch fuumlr den Willen dass es moralische Maszligstaumlbe gibt die historisch insensitiv sind Auf die Frage ob es auszligerdem auch historisch sensitive Maszligstaumlbe gibt und welche Auswirkungen dies fuumlr die moralische Verantwortung haumltte komme ichzuruumlck

45 So Th omas Reid der meint im Falle von Determination zwischen dem Gutsein als Person und dem Gutsein der sie konstituierenden Eigenschaften unterscheiden zu koumlnnen (bdquo[Th e saying that Cato was good because he could not be otherwise] if understood literally and strictly is not the praise of Cato but of his constitution [hellip]ldquo (Reid 1788 Essay IV ch 4 (Works 600) cf Chisholm 1964 27f)) Auch Lawrence Blum unterscheidet zwischen bdquomoral criticismldquo und bdquoblameldquo wobei Letzterer voraussetze dass die Person es haumltte vermeiden koumlnnen die kritikwuumlrdigen Einstellungen zu besitzen (Blum 1980 189) Cf auch Wolf 1990 40f

46 So auch Adams bdquoTo me it seems strange to say that I do not blame someone though I think poorly of him believing that his motives are thoroughly selfi shldquo (Adams 1985 21)

47 bdquoTh ese evaluations are inescapably evaluations of the agent because the conduct in question expresses the agentrsquos own evaluative commitments her adoption of some ends among others To adopt some end among others is to declare what one stands forldquo (Watson 1996 270)

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

90

Person wirft Missbilligung ihres Willens scheint stets auch die Person zu treff en48 Diesen Zusammenhang koumlnnte man allenfalls leugnen indem man bdquoPersonldquo inkompatibilistisch defi niert etwa als bdquounbewegter Bewe-gerldquo bdquoSchoumlpfer des eigenen Willens ex nihiloldquo oder aumlhnlich Dann aber haumltte man den determinierten Willen lediglich stipulativ zum Fremdkoumlr-per erklaumlrt und sich einer petitio principii schuldig gemacht Am Begriff bdquoPersonldquo haumlngt hier aber ohnehin nichts Dem Inkompatibilisten sei sein Personbegriff geschenkt Denn eins ist klar auch determinierte Wesen die einen Willen besitzen sind Akteure und ihr Wille konstituiert zweifellos ihren Kern als Akteure Wer dies bestreiten wollte muumlsste behaupten dass determinierte Wesen keine Akteure sind also nicht handeln koumln-nen was absurd waumlre Moralische Bewertungen beziehen sich auf Wesen als Akteure und deshalb auf ihren Willen Sollten determinierte Wesen keine Personen sein koumlnnen so haumltte sich lediglich gezeigt dass eine moralische Bewertung ndash die eine Bewertung als Akteur darstellt ndash nicht ipso facto auch eine Bewertung als Person ist dass also die Bewertung als Akteur und die als Person auseinander fallen koumlnnen Fuumlr mein Argu-ment wichtig ist allein dass Determination die Bewertung als Akteurnicht tangiert

Man koumlnnte bezweifeln dass moralische Wertmaszligstaumlbe auf jegliche Form von Willen zugeschnitten sind und behaupten sie bezoumlgen sich nur auf den im starken Indetermination voraussetzenden Sinne frei gebil-deten Willen ndash etwa auf einen Willen den der Akteur als bdquounbewegter Bewegerldquo unabhaumlngig vom antezedenten Zustand der Welt und von den Naturgesetzen geformt hat Hierzu ist zu sagen dass nicht bestreitbar ist dass es von aumluszligerster Relevanz ist welche Qualitaumlt ein Wille fak-tisch besitzt ndash gleichguumlltig wie er gebildet wurde Es ist von aumluszligerster Relevanz weil davon das faktische Handeln abhaumlngt das fuumlr das eigene Leben und das Leben anderer von so groszliger Bedeutung ist Deshalb ist es keineswegs uumlberraschend dass wir uumlber entsprechende Wertmaszligstaumlbe verfuumlgen Dies ist wie man mit Strawson sagen kann nur natuumlrlich Und wenn es zutriff t dass der faktische Wille ein evaluatives Licht auf die faktische Personden faktischen Akteur wirft so sind es Wertmaszligstaumlbe fuumlr PersonenAkteure Gewiss koumlnnte es sein dass wir zusaumltzlich uumlber ein Set von Wertmaszligstaumlben verfuumlgen die sich exklusiv auf den im star-ken Sinne freien Willen beziehen Das erscheint jedoch schon weniger

48 Cf Shers Bemerkung in Bezug auf Charaktereigenschaften bdquo[Where] a personrsquos vices are concerned it is not possible to hate the disposition to sin but love the sinner because the sinner is in good measure constituted by his dispositions to sinldquo (Sher 2006 65 cf 2001 155)

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

91

natuumlrlich nicht nur weil niemand genau zu sagen vermag was ein im starken Sinne freier Wille eigentlich ist Aber angenommen es gibt auch diese Maszligstaumlbe Dann stellt sich die Frage welches Set von Maszligstaumlben nun das bdquomoralischeldquo ist Diese Wortfrage ist jedoch nebensaumlchlich Ent-scheidend ist dass beide die praktische Identitaumlt des Subjekts betreff en beide Sorten von Willen werfen ein evaluatives Licht auf das Subjekt als Akteur Wie mir scheint haben die Ausdruumlcke bdquopraktische Identitaumltldquo und bdquomoralische Identitaumltldquo faktisch dieselbe Bedeutung so dass es semantisch in Bezug auf beide Typen von Wertmaszligstaumlben nicht unangemessen ist von bdquomoralischen Wertmaszligstaumlbenldquo zu sprechen Doch auch wenn man hier begriffl ich diff erenzieren wollte bliebe der sachliche Punkt dochbestehen

Eine andere Moumlglichkeit meine Argumentation zu kritisieren waumlre eine reductio ad absurdum aufzuzeigen So koumlnnte man versuchen nachzu-weisen dass die Th ese Handlungsfreiheit sei hinreichend fuumlr moralische Verantwortung unseren Intuitionen bezuumlglich bestimmter Phaumlnomene nicht entspricht So scheint es dass es im Falle von Noumltigung Sucht psychischer Krankheit Hypnose Gehirnwaumlsche und neuronaler Mani-pulation nicht angemessen waumlre Subjekte moralisch verantwortlich zu machen obgleich sie durchaus Freiheit in dem Sinne besitzen von dem ich behaupte er sei der fuumlr moralische Verantwortung relevante Aumlhnli-ches gilt fuumlr Tiere und kleine Kinder Ihnen fehlt so sagt man dann oft starke Willensfreiheit Starke Willensfreiheit so scheint es sich hier zu zeigen ist eine notwendige Bedingung fuumlr moralische Verantwortung die in meinem Konzept keine Beruumlcksichtigung fi ndet Dies koumlnnte man als reductio betrachten

Tatsaumlchlich steht es jedoch beileibe nicht so schlimm Dass die Sub-jekte in den genannten Faumlllen unter bestimmten Umstaumlnden weder Billi-gung noch Missbilligung verdienen obgleich sie groszliges Unheil anrichten moumlgen laumlsst sich auf der Basis meines Konzepts plausibel darlegen Wenn der Bankkassierer mit vorgehaltener Waff e genoumltigt wird Geld herauszu-geben so steht es ihm zwar frei dies zu verweigern und zu sterben aber das erwartet man moralisch nicht von ihm Er tut somit nichts Verwerfl i-ches sein Wille ist makellos und deshalb verdient er keine Missbilligung Es ist nicht so dass er eine moralisch verwerfl iche Intention ausgebildet hat und deshalb entschuldigt ist weil er unfrei war eine andere Intention auszubilden

Der psychisch Kranke der unter Wahnvorstellungen leidet koumlnnte etwas Furchtbares tun etwa einen Menschen absichtlich umbringen dies

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

92

jedoch in der Meinung dass er einen Marsianer unschaumldlich macht der als Feind der Menschheit zur Erde kam Seine Tat ist dann nicht Ausdruck eines moralisch kritikwuumlrdigen Willens sondern ein Akt der Notwehr Der Akteur ist zwar moralisch verantwortlich fuumlr das Toumlten und den Tod aber er ist kein Moumlrder er ist nicht moralisch verantwortlich fuumlr den Tod eines unschuldigen Menschen weil er nicht intendiert hat einen unschuldigen Menschen zu toumlten49

Der Hypnotisierte mag ebenfalls einen Menschen toumlten doch ist es nicht im praumlgnanten Sinne sein Wille der hier kausal wirksam wird sondern der des Hypnotiseurs sobald die Hypnose endet triff t ihn die moralische Missbilligung nicht mehr Folglich liegt die moralische Verant-wortung beim Hypnotiseur er ist es den man missbilligt Analog verhaumllt es sich mit dem nur voruumlbergehend neuronal Manipulierten

Wie das Problem des Suumlchtigen zu analysieren ist ist strittig Zu den kompatibilistischen Vorschlaumlgen die zu meinem Konzept passen zaumlhlen Harry Frankfurts Analyse die auf verschiedene Willensstufen abhebt50 Gary Watsons Idee im Bereich des Willens einen engeren Bereich abzuson-dern der diejenigen Strebungen enthaumllt die die Person als im emphatischen Sinne zu sich gehoumlrig erachtet die sie billigt und auf Werte ausgerichtet sieht51 und Michael Pauens Unterscheidung zwischen aktuellem Willen und personalen Praumlferenzen52 Alle drei Konzepte haben die Pointe eine Sphaumlre des bdquoeigentlichenldquo Wollens auszuzeichnen mit dem sich die Person identifi ziert eine Sphaumlre die auch als das autonome Wollen bezeichnet wird Dies lieszlige sich in meine Th eorie dergestalt integrieren dass als das im Blick auf moralische Verantwortung bzw moralische Billigung und Missbilligung relevante Wollen nicht jedes beliebige Wollen gelten kann sondern nur das autonome Wollen Nur dieses betrachtet man als Ausdruck der Person so dass man nur Ereignisse die kausal von diesem volitiven Kern der Persoumlnlichkeit abhaumlngen ihr zurechnet Hier waumlre der Begriff der Willensfreiheit durchaus am Platze der bdquoschwacheldquo kom-patibilistische allerdings man koumlnnte denjenigen Willen mit dem die Person sich identifi ziert dann als frei bezeichnen wenn er nicht durch

49 Cf Wallace 1994 167ff ndash Faumllle psychischer Krankheit die nicht auf wahnhafter Taumluschung basieren sondern etwa auf einer Disposition zu unkontrollierbar aufwallenden Hassaff ekten infolge traumatisierender Erlebnisse sind anders zu analysieren Spricht man hier Verantwortung ab so uU aus aumlhnlichen Gruumlnden wie im Falle von Sucht wider Willen (su)

50 Frankfurt 197151 Watson 197552 Pauen 2004 75ff 133

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

93

andere ihrer Volitionen von denen sie sich distanziert an der kausalen Wirksamkeit gehindert und insofern gezwungen wird Diese bdquoschwacheldquo Willensfreiheit waumlre dann als qualifi zierte Handlungsfreiheit zu verstehen als kausale Abhaumlngigkeit der Ereignisse vom autonomen Wollen Schwache Willensfreiheit waumlre etwa bei dem von Frankfurt analysierten widerwillig Suumlchtigen nicht gegeben sein autonomer Wille lehnt den Drogenkon-sum ab wird aber durch bdquofremdeldquo volitive Elemente kausal blockiert53

Alternativ oder ergaumlnzend koumlnnte man darauf hinweisen dass der Suumlch-tige gewissermaszligen innerer Noumltigung ausgesetzt ist er richtet Unheil an um anderes Unheil ndash das Erleiden von Entzugsqualen ndash zu verhindern und unter bestimmten Bedingungen mag das moralisch untadelig sein54

Auszligerdem handelt er wenn die Entzugserscheinungen auftreten unter aff ektiven Bedingungen die eine adaumlquate moralische Beurteilung seiner Handlungsalternativen erschweren so dass er den Schaden den er anrich-tet tendenziell nicht absichtlich verursacht55

Kleine Kinder scheinen sich oft absichtlich unmoralisch zu verhalten etwa wenn sie luumlgen ohne dass wir sie hierfuumlr verantwortlich machen und kritisieren56 Dies laumlsst sich zum einen so verstehen dass Kinder nur uumlber ein undeutliches Verstaumlndnis der Bedeutung des Luumlgens verfuumlgen zum anderen so dass wir als das moralische Uumlbel nicht das Luumlgen selbst anse-hen sondern den Schaden der dadurch verursacht wird diesen Schaden jedoch koumlnnen kleine Kinder nicht abschaumltzen Daher wirft das Luumlgen keinen ndash oder nur einen verhaumlltnismaumlszligig kleinen ndash Schatten auf ihren Willen Ob Tiere im relevanten Sinne intentional handeln ist schwer zu sagen Klar scheint jedoch dass sie wenn sie Schaden anrichten dies nicht unter einer Beschreibung tun die ihren Willen moralisch kritikwuumlrdig erscheinen lieszlige Moralische Kritik hat die Pointe einen Willen als allzu

53 Frankfurt zufolge ist auch der triebhaft Suumlchtige nicht moralisch verantwortlich wobei er unter einem Triebhaften (wanton) ein Wesen versteht das keine Wuumlnsche bezuumlglich der Frage hat welcher seiner Wuumlnsche erster Stufe handlungseff ektiv werden moumlge Einem Triebhaften ist sein Wille deshalb gleichguumlltig (Frankfurt 1971 327f) Insofern ein Triebhafter in keiner Weise volitiv gehindert ist seinem bdquoeigenenldquo Willen entsprechend zu handeln wuumlrde ich ihn nicht als unfrei bezeichnen und fuumlr verantwortlich halten In diesem Punkt weiche ich somit von Frankfurt ab Der Umstand dass Tiere ndash die Paradefaumllle triebhafter Wesen also ndash nicht moralisch verantwortlich sind erklaumlre ich anders als Frankfurt su

54 Cf Greenspan 1978 196ndash19955 Suchtinduzierte Wuumlnsche sind bdquosources of a good deal of sbquonoiselsquo ndash like a party next doorldquo

(Watson 1999 72) cf Wallace 1999 444 cf auch Aristoteles EN VII uumlber bdquoWissensverlustldquo unter widrigen aff ektiven Bedingungen

56 Cf Wallace 1994 166f

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

94

egoistisch oder uumlbelwollend zu missbilligen57 Tieren mangelt es zwar an Altruismus jedoch ebenso an Egoismus und Bosheit Bei Tieren grei-fen Kategorien wie bdquoegoistischldquo bdquoaltruistischldquo und bdquouumlbelwollendldquo nicht denn diese Begriff e setzen die Faumlhigkeit voraus den Willen im Lichte einer bestimmten Beschreibung der Handlungssituation zu bilden Diese Beschreibung enthaumllt Meinungen uumlber das auf dem Spiel stehende Wohl der vom Handeln betroff enen Subjekte Der Egoist ist jemand der etwas das er fuumlr in relativ geringem Maszlige zutraumlglich fuumlr sich haumllt auch dann tut wenn er meint dass andere in einem relativ hohem Maszlige darunter leiden werden Tiere sind kognitiv nicht in der Lage die hier implizierten Meinungen zu bilden da sie wie man sagt nicht uumlber die erforderliche bdquoTh eorie des Geistesldquo verfuumlgen dh nicht wissen dass andere Subjekte mentale Zustaumlnde haben Ein Hund waumlgt nicht das Wohl seines Herrchens und seiner selbst gegen das vermeintlicher bdquoEindringlingeldquo ab bevor er zubeiszligt er beiszligt einfach zu Sein Handeln zeugt also nicht von einem allzu egoistischen Willen Moralische Praumldikate sind auf den Willen von Tieren nicht anwendbar Es macht deshalb keinen Sinn Tiere moralisch zubeurteilen58

Das einzige echte Problem dass sich meiner Konzeption stellt bereiten bestimmte Faumllle von Gehirnwaumlsche und neuronaler Manipulation dieje-nigen Faumllle naumlmlich bei denen das Opfer dauerhaft in seinen Praumlferenzen manipuliert wurde Fragen werfen auch Faumllle wie der des Gewaltverbre-chers Robert Harris auf den Gary Watson schildert und analysiert59 Harris war ein sensibles und warmherziges Kind doch nachdem er eine bestuumlrzende Sozialisation durchlaufen hatte die von kontinuierlichem Missbrauch brutalster Zuumlchtigung und voumllligem Mangel an liebevoller Zuwendung gepraumlgt war wurde aus ihm ein kaltbluumltiger mehrfacher Moumlr-der und sadistischer Tierquaumller Harris hatte so scheint es keine Chance zu einer moralisch integren Person zu werden seine Verbrechen sind das unausweichliche Produkt der Umstaumlnde Gut moumlglich dass aumlhnliche Umstaumlnde auch uns zu Moumlrdern gemacht haumltten ndash dass sie uns erspart blieben muss als ein bloszliger Gluumlcksfall angesehen werden60 Gibt diese Einsicht Anlass daran zu zweifeln dass wir dazu berechtigt sind Harris moralische Vorwuumlrfe zu machen

57 So jedenfalls Schopenhauer (Schopenhauer 1841 sectsect 14ndash16) und Strawson 196258 bdquoA dog lacks the capacity to refl ect on its behavior in moral (or morally relevant) terms

whereas the sadist typically does notldquo (Zimmerman 2002 569)59 Cf Watson 1987 235ff 60 Cf ebd 245

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

95

Dass solche Faumllle irritierend sind soll hier nicht bestritten werden Ich sehe jedoch nicht an welcher Stelle sie die hier entwickelte Argumenta-tion erschuumlttern Meiner Analyse zufolge ist moralische Verantwortung insensitiv in Bezug auf die Genese des Wollens der Wille so wie er sich faktisch praumlsentiert wird an moralischen Maszligstaumlben gemessen Auch der-jenige der obgleich er fruumlher ein harmloser Altruist war durch bestimmte Umstaumlnde zu einem brutalen Sadisten wird verdient wenn man mir glaubt unsere Missbilligung wir sind darin berechtigt ihn fuumlr mora-lisch verantwortlich fuumlr seine Verbrechen zu halten Manche meinen dies kaumlme einer reductio gleich Meiner Ansicht nach sind die diesbezuumlglichen Intuitionen jedoch keinesfalls eindeutig In diesem Falle so denke ich sollte man sie sofern man sie hat aufgeben Meine Argumentation zeigt warum sie unbegruumlndet sind Man kann sie aufgeben denn mir scheint unser Vertrauen in sie ist nicht unerschuumltterlich und es laumlsst sich ganz gut verstehen warum wir sie haben Wenn wir etwa zoumlgern Harris moralisch verantwortlich zu machen ndash wenn die Kenntnis der Vorgeschichte seiner Verbrechen wie Watson sagt bdquogives pause to the reactive attitudesldquo61 ndash so kann dies verschiedene Ursachen haben Zum einen koumlnnte es sein dass wir an die zerstoumlrte Persoumlnlichkeit denken und konstatieren dass diese nicht fuumlr die Verbrechen verantwortlich sei Und dies triff t ja zu es ist die neue Person die im alten Koumlrper haust die die Verantwortung traumlgt Zum anderen kann es sein dass wir es fuumlr moumlglich halten dass der urspruumlngliche Charakter nicht gaumlnzlich zerstoumlrt sondern teilweise nur uumlberformt und zudem uumlberlagert wird durch Aff ekte des Hasses und des Zorns Aff ekte die nicht als adaumlquater Ausdruck dominierender Willens-einstellungen betrachtet werden duumlrfen sondern deren ungewoumlhnliche Staumlrke sich aus den extremen Umstaumlnden erklaumlrt62 In gewisser Weise kann man dann sagen dass es nicht seine Taten sind die wir verabscheuen Eine Th erapie die nicht auf Umorientierung der Strebensdispositionen sondern die Adaption des Verhaltens an die aufgeklaumlrten Interessen sowie die Herstellung einer bdquomittlerenldquo Aff ektlage im Sinne von Aristoteles63

abzielt koumlnnte den bdquowahrenldquo Willen freilegen mit dem Ergebnis dass der therapierte ndash nicht bdquoein andererldquo sondern wieder bdquoer selbstldquo gewordene

61 Ebd 24262 bdquo[Upbringing under adverse conditions can make it] extremely diffi cult to take moral

requirements seriously [because the victims] may be subject to a kind of pent-up displaced anger much more insistent than the emotions most of us experience and this may be a source of unusually strong incentives to antisocial behaviorldquo (Wallace 1994 232f)

63 Cf die mesotes-Lehre in Aristoteles EN

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

96

ndash Harris sich von seinen Taten distanziert so dass der Fall analog zu dem der Hypnose zu analysieren waumlre Solange wir nicht wissen ob dies auf Harris tatsaumlchlich zutriff t zoumlgern wir uumlber ihn zu urteilen Sollte sich jedoch erweisen dass die Umstaumlnde aus dem Kind das geweint hat als es Bambis Mutter im Film sterben sah64 tatsaumlchlich einen durch und durch kaltbluumltigen Killer gemacht haben dann dies fordert die hier vorgestellte Konzeption darf und soll ihn unser ungebremster moralischer Vorwurf treff en ndash freilich nicht ihn allein sondern auch diejenigen die an ihm schuldig geworden sind65

LITERATUR

Adams R M (1985) bdquoInvoluntary Sinsldquo in Th e Philosophical Review 94 3ndash31Aristoteles Nikomachische EthikBenson P (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Th e Journal of Philosophy 93

574ndash578Bieri P (2001) Das Handwerk der Freiheit Uumlber die Entdeckung des eigenen Wil-

lens Muumlnchen HanserBlum L A (1985) Friendship Altruism and Morality London Routledge amp

Kegan PaulChisholm R M (1964) bdquoHuman Freedom and the Selfldquo in Watson 2003

26ndash37Clarke R (1997) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Philosophy and Phenomenological

Research 57 230ndash232Dewey J (1891) Outlines of a Critical Th eory of Ethics Repr New York Green-

wood Press 1957Ekstrom L (1998) bdquoProtecting Incompatibilistic Freedomldquo in American Philo-

sophical Quarterly 35 281ndash291Fischer J M (1996) bdquoReview of Wallace 1994ldquo in Ethics 106 850ndash853mdash (1999) bdquoResponsibility and Self-Expressionldquo in Journal of Ethics 3 277ndash297

64 Watson 1987 24165 Hier stimme ich mit Harry Frankfurt uumlberein bdquoWe are the sort of persons we are and it

is what we are rather than the history of our development that counts Th e fact that someone is a pig warrants treating him like a pig unless there is reason to believe that in some important way he is a pig against his will and is not acting as he would really prefer to actldquo (Frankfurt 2002 28) ndash Wie Watson im Postscript von 2004 bemerkt hat Harris seine Taten spaumlter bereut und sich bei den Eltern der Opfer entschuldigt bdquoHis crimes were monstrous but he was not a monster He was one of usldquo (Watson 1987 259)

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

97

mdash (2002) bdquoFrankfurt-Style Compatibilismldquo in Watson 2003 190ndash211Fischer J M Ravizza M (1998) Responsibility and Control A Th eory of Moral

Responsibility Cambridge Cambridge University PressFrankfurt H G (1969) bdquoAlternate Possibilities and Moral Responsibilityldquo in

Watson 2003 167ndash176mdash (1971) bdquoFreedom of the Will and the Concept of a Personldquo in Watson 2003

322ndash336mdash (2002) bdquoReply to John Martin Fischerldquo in S BussL Overton Contours of

Agency Essays on Th emes from Harry Frankfurt Cambridge Mass MIT Press 27ndash31

Glover J (1970) Responsibility London Routledge amp Kegan PaulGreenspan P S (1978) bdquoBehavior Control and Freedom of Actionldquo in J M

Fischer (Hg) Moral Responsibility Ithaca Cornell University Press 1986 191ndash224

Guckes B (2003) Ist Freiheit eine Illusion Eine metaphysische Studie Paderborn Mentis

Haji I (2002) bdquoCompatibilist Views of Freedom and Responsibilityldquo in R Kane (Hg) Th e Oxford Handbook of Free Will Oxford Oxford University Press 202ndash228

Hieronymi P (2004) bdquoTh e Force and Fairness of Blameldquo in Philosophical Per-spectives 18 Ethics 115ndash148

Hobbes Th (1651) Leviathan or Th e Matter Form and Authority of Government New YorkLondon Norton 1997

Hume D (Treatise) A Treatise of Human Nature hg von P H Nidditch Oxford Oxford University Press 21978

Kane R (1998) The Significance of Free Will Oxford Oxford UniversityPress

Mackie J L (1977) Ethics Inventing Right and Wrong Harmondsworth Pen-guin

Mill J St (1871) Der Utilitarismus Stuttgart Reclam 1976Pauen M (2004) Illusion Freiheit Moumlgliche und unmoumlgliche Konsequenzen der

Hirnforschung FrankfurtM FischerPereboom D (2001) Living Without Free Will Cambridge Cambridge Univer-

sity PressReid Th (1788) Essays on the Active Powers of Man in Th e Works of Th omas

Reid DD Sir William Hamilton (Hg) Hildesheim G Olms Verlagsbuch-handlung 1983 (11846)

Schaumllike J (2009) Spielraumlume und Spuren des Willens Rehabilitation der Kondi-tionalanalyse von Freiheit und Th eorie moralischer Verantwortung Paderborn Mentis (erscheint vorauss 2009)

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

98

Schlick M (1930) bdquoWann ist der Mensch verantwortlichldquo in U Pothast (Hg) Seminar Freies Handeln und Determinismus FrankfurtM Suhrkamp 1978 157ndash168 (zuerst in Schlick Fragen der Ethik Wien 105ndash116)

Schopenhauer A (1839) Uumlber die Freiheit des Willens in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 519ndash627 FrankfurtM Suhrkamp

mdash (1841) Uumlber die Grundlage der Moral in Saumlmtliche Werke ed W v Loumlhneysen Bd 3 630ndash815 FrankfurtM Suhrkamp

Searle J (1979) Expression and Meaning Studies in the Th eory of Speech Acts Cambridge Cambridge University Press

Seebaszlig G (1993) Wollen FrankfurtM Klostermannmdash (2006) Handlung und Freiheit Philosophische Aufsaumltze Tuumlbingen Mohr Sie-

beckSher G (2001) bdquoBlame for Traitsldquo in Noucircs 35146ndash161mdash (2006) In Praise of Blame Oxford Oxford University PressSmilansky S (2000) Free Will and Illusion Oxford Oxford University PressStoecker R (1997) bdquoHandlung und Verantwortung Mackiersquos Rule Put Straightldquo

in Analyomen 2 356ndash364Strawson G (1994) bdquoTh e Impossibility of Moral Responsibilityldquo in Watson

2003 212ndash228Strawson P F (1962) bdquoFreedom and Resentmentldquo in Watson 2003 72-93Th omson J J (1993) bdquoMorality and Bad Luckldquo in D Statman (Hg) Moral

Luck New York 1993 195ndash215Tugendhat E (1976) Vorlesungen zur Einfuumlhrung in die sprachanalytische Philoso-

phie FrankfurtM SuhrkampVan Inwagen P (1998) bdquoTh e Mystery of Metaphysical Freedomldquo in R Kane

(Hg) Free Will Oxford Blackwell 2002 189ndash194Vihvelin K (2004) bdquoFree Will Demystifi ed A Dispositional Accountldquo in Philo-

sophical Topics 32 427ndash450Wallace R J (1994) Responsibility and the Moral Sentiments Cambridge Mass

Harvard University Pressmdash (1999) bdquoAddiction as Defect of the Will Some Philosophical Refl ectionsldquo in

Watson 2003 424ndash452Watson G (1975) bdquoFree Willldquo in Watson 2003 337ndash351mdash (1987) bdquoResponsibility and the Limits of Evilldquo in Watson 2004 219ndash259mdash (1996) bdquoTwo Faces of Responsibilityldquo in Watson 2004 260ndash288mdash (1999) bdquoDisordered Appetites Addiction Compulsion and Dependencyldquo

in Watson 2004 59ndash87mdash (Hg) (2003) Free Will Second Edition Oxford Oxford University Pressmdash (2004) Agency and Answerability Selected Essays Oxford Oxford University

Press

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576

99

Wolf S (1990) Freedom Within Reason Oxford Oxford University PressZimmerman M J (1986) bdquoNegligence and Moral Responsibilityldquo in Noucircs 20

199ndash218mdash (2002) bdquoTaking Luck Seriouslyldquo in Th e Journal of Philosophy 99 553ndash576