Martina Dlugaiczyk: KörperWissen. Vom Inneren zum Äußeren. Eine Kooperation der Lehrstühle...

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KORPERW Vom SSEN nneren zum Äußeren Lehrstuhl für Bildnerische Gestaltung RWTH Aachen 2009/2010 BIG AKADEMIE

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KORPERW Vom

SSEN nneren zum Äußeren

Lehrstuhl für Bildnerische Gestaltung RWTH Aachen 2009/2010 BIG AKADEMIE

BIG AKADEMIE I KörperWissen Vom Inneren zum Äußeren Eine Kooperation der Lehrstühle Bildnerische Gestaltung, Kunstgeschichte und Tragkonstruktionen der RWTH Aachen

Kopie nach Rem-brandts Gemälde

.Anatomie des Dr. Tulp', Sammlung des

Reiff-Museums, ca. 1900

Anatomie: Vom Inneren zum Äußeren Martina Dlugaiczyk

Aufgeregt, wissbegierig, schier atem­los drängen die Chirurgen heran, um die Anatomie des Dr. Tulp in Augen­schein zu nehmen. Dabei vermit­teln sie in ihrer Gestik und Mimik eine ungeheure Affektentladung, die sich nicht allein über die Tatsache erklären lässt, dass der Vorsteher der Gilde gleichzeitig doziert und seziert. Ihrem Berufsstand entsprech­end wussten sie um die Modalitäten einer Anatomie im Allgemeinen und der Armsektion im Besonderen. Ihr exaltierter Zustand muss demnach eine andere Ursache haben. Es ist die ihnen gebotene Möglichkeit der Überprüfung, des Vergleichs zwisch­en dem geschriebenen Wort, dem Objekt und der praxisorientierten Demonstration, die diese ungehemmte Sehgierde hervorruft . Denn entge­gen konventioneller Lehrer-Schüler-Darstellungen wird hier nicht das passive Zuhören, das ,blinde Ver­

trauen', sondern die selbstverantwor­tete Wahrheitsfindung proklamiert. Das Mittel dazu stellt in erster In­stanz das Auge dar, welches, gepaart mit dem Intellekt, es dem Einzelnen ermöglicht, die Theorie an der Praxis zu verifizieren, bei Bedarf zu falsi­fizieren und im Umkehrschluss, die Praxis theoretisch zu durchdringen. Das Bild verhandelt somit das für die Kunstgeschichte zentrale Prinzip des Sehens und Erkennens mittels Vergleich. Das Gemälde, welches sich als Kopie in der hochschuleigenen Sammlung des Reiff-Museums der RWTH Aachen befindet sowie seine kunsthistorische wie medizingeschichtlichc Genese, diente für das Projekt KörperWis­sen als Ausgangspunkt, um der Geschichte und Entwicklung der kün­stlerischen Anatomie im Spannungs­feld zwischen Kunst- und Naturwis­senschaft sowie dem Körperbild und der künstlerischen Ausbildung im akademischen Ausbildungsbetrieb nachzuspüren. Anatomische Modelle wurden früh­zeitig in den akademischen Lehrbe­trieb integriert, weil an ihnen die Themen Raum, Körper und Bewe­gung bestens exemplifiziert werden konnten. Dass nicht nur im klas­sischen Lehrplan von Kunstakade­mien, sondern auch innerhalb von Architekturfakultäten praktische Kunstübung und theoretische Kunst­vermit t lung - also die systematische Erschließung eines Gegenstandes mittels Anschauung oder in kün­stlerischer Erprobung - angewandt wurden, veranschaulichen zahlreiche Exponate der hochschulinternen

Lehrsammlungen. Dazu gehört auch die anatomische Sammlung, die vom Skelett, über den Muskelmann bis hin zur Skulptur reichten, um den Aufbau des Körpers von Innen nach Außen und in seinem Verhältnis von Dynamik und Statik - theoretisch wie praktisch - nachzeichnen zu können. Neben der Kopie nach Rembrandts Gemälde der ,Anatomie des Dr. Tulp', die um 1900 entstanden sein dürfte, sei als ein weiteres Beispiel der in Gips gegossene .Muskelmann' ange­führt, der als klassisches Studien­modell den oberen Muskelaufbau des Körpers demonstriert . Die Gruppe der Muskelniänner - sei es als reines Funktionsmodell oder als eigen­ständiges Kunstwerk - sind dem Studium des anatomischen Zeichnens besonders dienlich, da sie in ihrer Dreidimensionalität sowie Kontra­poststellung gleichermaßen Statik und Dynamik veranschaulichen. Über die Wahrnehmung und Analysierung der unter der Epiderniis liegenden Muskeln und Sehnen versprach man sich ein besseres Verständnis der den Raumkörper umgebenden Hülle. Muskelmänner in ant iken Posen - z.B. der Dornenauszieher oder der Borghesische Fechter - dienten zudem als vorbildliche Gelenkpunkte zwischen anatomischen Darstel­lungen und antiker Skulptur, galten diese doch in Bezug auf die Propor­tionslehre und Naturnachahmung als Ideal. Gerade die Trias von Skelett (Konstruktion), Muskelmann (Mus-kelapparat) und Skulptur (Ober­flächenanatomie) entspricht seit der Renaissance dem geforderten Aufbau einer Figur von Innen nach Außen.

Kulminationspunkt aller Studien stellt dabei das .lebende Objekt', das Aktmodell dar, an dem es das Ver­ständnis von innerer Struktur und äußerer Form zu exemplifizieren galt. In diesem Kontext spielen zudem Atelierbilder des 19. und beginnen­den 20. Jahrhunder ts eine wichtige Rolle, da sie nicht nur die Hierarchie der anatomischen Lehrmittel, und in ihrer künstlerischen Umsetzung in Form von modellieren, zeichnen, malen die artes liberalis, sondern auch die Abkehr vom akademischen Lehrkonzept visualisieren. So finden sich Bildbeispiele, in denen zwar sämtliche zur Verfügung stehenden anatomischen Modelle dargestellt, aber nicht mehr genutzt werden -worin sich die Hinwendung zum individuellen und subjektiven Muster der körperlichen Wahrnehmung der Moderne ablesen lässt. Die Ausbildung an Architektur­fakultäten folgt mithin anderen Konditionen. So gilt es dem .Kör­perwissen zwischen Seziertisch und Bildfläche' die Analogien zwischen .Architektur des menschlichen Kör­pers' und .Architektur als menschli­cher Körper' zur Seite zu stellen. Be­reits in der frühen Neuzeit vermittelte sich das Wissen über Anatomie und Architektur über Körperbilder, indem im Kontext der Antikenbegeisterung Analogien zwischen Ruine, Bau und Ornament sowie Skelett, Körper und Haut hergestellt wurden. Dafür steht insbesondere Andreas Vesals ,De humani corporis fabrica' (1543) und Serlios Architekturtraktate (1537/40). Beiden Autoren dienen die beigestell­ten Illustrationen als wichtiges In­

s t rument der Argumentat ion, da über sie die mannigfachen anatomischen wie architektonischen Details in eine verdichtete, aber einfache Systematik übertragen und als solche vermittelt werden konnte. So versteht Versal den sezierten Körper als zu rekon­struierende Ruine und stellt dem ein kohärentes (Körper-)Bild zur Seite.

Das gemeinschaftliche Projekt der Fächer Kunstgeschichte, Bildnerische Gestaltung und Tragwerklehre ver­suchte aus unterschiedlichen Pers­pektiven sich diesen Analogien zu näheren. Dafür wurde der kuns th is ­torischen Entwicklungsgeschichte der Anatomie - wann durfte wer was sezieren, wo kamen überhaupt die Leichen her, wie wurden die Präpa­rate bzw. Surrogate genutzt und präsentiert, in welcher Weise erfolgte die künstlerisch-ästhetische Umset­zung und wie sieht der Umgang mit den Modellen in der Moderne bzw. Universitäten aus - zahlreiche prak­tische Übungen und Aufgabenstel­lungen zur Seite gestellt. Gerade der gestalterische Prozess, sei es durch das Zeichnen oder durch den Bau von anatomischen Modellen, bietet neben der wissenschaftlichen Analyse die beste Möglichkeit, sich in der Form­gebung einen Gegenstand syste­matisch zu erschließen. Dafür haben wir uns im ersten Zugriff den kompli­zierten Aufbau und Bewegungsappa­rat der Hand vorgenommen, um, wie Dr. Tulp es in der Anatomiestunde vorgibt, die Vorgaben theoretisch wie praktisch zu hinterfragen.

Ein Gespräch mit apl. Prof. Dr. med. Andreas Prescher, Lehr­stuhl für Molekulare und Zell­uläre Anatomie

Dlugaiczyic: Vielen Dank Herr Prescher, dass die Studierenden der Kunstgeschichte und Architektur Ein­blick in Ihr Tätigkeitsfeld der Anato­mie nehmen konnten und Sie sich für ein kurzes Interview zur Verfügung stellen. Können Sie uns als Einstieg kurz skizzieren, welchen Stellenwert die Anatomie in der Ausbildung zum Facharzt e innimmt?

Prescher: Der Wert der Anatomie war in früheren Zeiten ausgesprochen hoch, denn ein Großteil des vorklini­schen Studiums beinhaltete die ana­tomische Ausbildung. Das ist im Lauf der Jahre jedoch drastisch zurückge­fahren worden - und zwar nicht nur in der theoretischen Anatomie, also das was gelernt wird und wie intensiv es gelernt wird, sondern auch in der praktischen Anatomie, also was und wie präpariert wird. Da haben wir im Moment ein ganz erhebliches Defizit zu beklagen. Man muss auch ganz klar sagen, mit der Anatomie, so wie

sie zur Zeit die Studierenden hier ler­nen, können sie kein operatives Fach absolvieren oder rein biologisch tätig werden. Die Bildgebung, welche, im Moment der Interpretation, eigentlich auch angewandte Anatomie ist, wird so ebenfalls erschwert. Das heißt: Sie können nachher nicht mehr so ohne Weiteres eine Facharztausbildung machen. Sie müssten wahrscheinlich in nicht unerheblichem Maße nachge­schult werden.

Dlugaiczyk: In welcher Form und wo könnten die Studierenden sich denn dieses fehlende Ausbildungsmodul anderweitig aneignen bzw. diese Fehlstellen ausmerzen?

Prescher: Das ist ziemlich schwierig, denn die Situation ist bundesweit ei­gentlich mehr oder weniger ziemlich homogen. Das liegt aber nicht nur an den Anatomischen Instituten, die die Lehre anders s t rukturier t haben, sondern an den Anforderungen, die nun von anderen Stellen an die Aus­bildung gestellt werden. Die Curricu-laren Fächer wurden schwerpunkt­mäßig verschoben, so muss bspw. wesentlich mehr Molekularbiologie gelernt werden, als früher. Man kann in dieser begrenzten vorklinischen Zeit nicht unbegrenzt modernen Stoff integrieren, ohne an anderen Stelle einzusparen. Wo allerdings die anatomische Ausbildung noch sehr gut funktioniert, ist Frankreich, die ein völlig anderes System haben, weil dort die Anatomie eigentlich immer der Chirurgie zugeordnet ist und

somit ein sehr intensiver Praxisbezug besteht. Ähnliches lässt sich in den osteuropäischen Ländern beobachten, wobei sich auch hier Tendenzen der Reduzierung im Lehrfach Anatomie abzeichnen.

Dlugaiczyk: Wie verhält es sich denn damit in den Neuen Bundesländern? Lassen sich hier Unterschiede in der Ausbildung skizzieren? Ich denke da bspw. an Bammes in Dresden.

Prescher: In der DDR war die ana­tomische Ausbildung sehr gut. Die Anatomischen Institute hatten her­vorragende Strukturen und hervor­ragend ausgebildetes Personal. Zum Beispiel der Präparator. In der DDR war dies ein akademisches Berufsbild. Das war ein Ingenieur für Präpara­tionstechnik, der auch im Kurs, bei der Studentenausbildung, mitgear­beitet hat - und zwar auf sehr hohem Niveau. Diese Strukturen sind aber mittlerweile leider alle vollständig beseitigt. Der alte Personalstand ist so gut wie abgetreten bzw. neu be­setzt und die Inst i tutsstrukturen sind an den 'Weststandard' angeglichen worden. Dass die anatomische Ausbildung derartige Probleme hat, wird aber mittlerweile in den klinischen Fächern gesehen. So hat z.B. die Chi­rurgische Gesellschaft auf der letzten Jahres tagung in München großes Augenmerk genau auf diese Themen gelenkt, nämlich mangelnde ana to­mische Ausbildung und die Folgen für die Chirurgie und die Facharzt-

ausbildung. Es gibt aber noch keine Lösungsansätze. D.h.: Die Kliniker werden schon mit einem unzurei ­chenden Ausbildungsstand von Fach­arztanwärtern massiv konfrontiert.

Dlugaiczyk: Wie verhält sich aus Ihrer Sicht die Künstleranatomie an den Kunstakademien dazu, z.B. die Arbeiten von Manfred Zoller - um nur einen Namen zu nennen?

Binding: An den Akademien wird kaum noch Aktzeichnen praktiziert. Der Bezug zur menschlichen Fi­gur hat sich total aufs Foto verlegt; vielmehr wird mit und über fotore­alistische Malerei und Projektionen gearbeitet, um ein Verständnis für den anatomischen Körper zu erzielen. Aktzeichnen, also anatomische Stu­dien, ist auch an den Kunstakademien kaum noch vertreten

Prescher: Ich finden diesen Aspekt ausgesprochen wichtig, denn die Künstleranatomie hat früher im Ana­tomischen Institut eine sehr große Rolle gespielt. Ich erinnere z.B. an Hans Virchow, der eigenständige Prä­parierkurse für Künstler abgehalten hat. Das war immer ein ganz zent­rales Thema und deshalb liegt mir die Künstleranatomie auch sehr am Herzen, weil man als Anatom ein viel besseres Verständnis für die mensch­liche Gestaltung und Figur bekommt, wenn man sich mit der Oberflä-chenanatoniie, mit den Proportionen, mit der künstlerischen Darstellung in der Antike bei den Griechen, bei

den Ägyptern etc. - allein schon mit der unterschiedlichen Fussform - beschäftigt. Und ich bedauere es außerordentlich, dass die Verbindung zu den Kunstfächern mittlerweile so abgerissen ist. Früher hatten die Anatomien teilweise auch Abguss-Sammlungen von Kunstwerken, aber das ist mittlerweile alles verloren gegangen.

Gerhardt: Schade, denn wenn ich etwas zeichne, verstehe ich ja , das ist ein ganz anderes Besitzergreifen von dem was ich sehe; gerade in der Umsetzung vom Drei- ins Zweidi­mensionale.

Prescher: Dieser Punkt schlägt sich auch in unserem Unterricht nie­der: Noch vor 10 Jahren wurden im mikroskopisch-anatomischen Kurs von den Studierenden verlangt, das sie ihre mikroskopischen Präparate zeichnen. Dies wurde überprüft und korrigiert, also intensiv betreut. Mitt­lerweile ist das leider kein Standard­programm mehr; die Studierenden können zeichnen wenn sie wollen, sie können es aber auch lassen und wenn sie zeichnen wird das nur sehr halbherzig angesehen.

Dlugaiczyk: Nehmen denn angehende Ärzte das Angebot der Bildnischen Gestaltung wahr?

Binding: Ja, vor allem freies Akt­zeichnen, denn sie haben größtes Interesse am Proportionsverständnis, also wie der Körper aufgebaut ist.

Skelettmodelle im Büro von Andreas

Prescher

Und spätestens bei den Korrektu­ren merkt man, dass sie von einem anderen Blickwinkel aus agieren. Das Zeichenhandwerk müssen sie hinge­gen erst lernen.

Prescher: Das Zeichnen war früher integraler Bestanteil der ana to­mischen Vorlesung. Anatomische Situationen wurden an der Tafel peu ä peu entwickelt, das war didaktisch eigentlich gut, weil der Student die Überlegungen unmit telbar nach­vollziehen konnte, wie sich so eine Situation aufbaut. Das verlangt aber einen gewissen Zeitrahmen; aus die­sem Grund ist dies komplett verloren gegangen, es wird heute nur noch mit

Dia oder Power Point Applikationen gearbeitet, die mehr oder weniger schnell an den Studierenden vorbei­ziehen. Da ist es kaum noch möglich, sich entsprechende Gedanken zu machen. Ich versuche ja dieses Tafel­zeichnen noch ein bisschen aufrecht zu erhalten, ich arbeite recht viel an der Tafel, aber man stößt recht schnell an Grenzen, weil man dann seinen Stoff nicht mehr durchbekommt.

Dlugaiczyk: Spielen die Modelle, die modernen aus dem Skills-Lab, aber auch die historischen in ihrem Büro bzw. im Vortragssaal, in der Lehre noch eine Rolle? Und wie verhält es sich mit den Präparaten?

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Prescher: Auf jeden Fall. Die moder­nen Kunststoffmodelle werden im Unterricht sehr intensiv eingesetzt, darüber hinaus sind sie auch für das Eigenstudium der Studierenden zu­gänglich. Die Präparate aus meinem Büro werden ebenfalls in die Lehre eingebunden, stehen aber nicht zur allgemeinen Verfügung, da sie zum Teil privat generiert worden sind. Dlugaiczyk: Gab es schon mal eine Zusammenarbeit zwischen Ihrem Institut und bspw. der Fakultät für Architektur, so wie wir es nun bereits im Zweiten Semester praktizieren?

Prescher: Nein. Unsere Zusammen­arbeit stellt die Prämiere dar und ich danken Ihnen für Ihr Engagement.

Dlugaiczyk: Den historischen Lehr­plänen der Architekturfakultät kann man entnehmen, dass die Anatomie integraler Bestandteil der Ausbildung war: Zuerst ging es um das Zeichnen von Köpfen, Körperteilen und ganzen Figuren, danach folgte das zeichne­rische Verstehen von Rundungen, vornehmlich nach Gipsen, und das Zeichnen nach plastischen anatomi­schen Präparaten, was vom Aktzeich­nen - der Königsdisziplin - gekrönt wurde. Hierin vermittelt sich j a ganz anschaulich der klassische Aufbau - vom Inneren zum Äußeren, vom Detail zur Ganzkörperstudie, vom Präparat zum lebenden Modell. Gerade diese heterogenen Aspekte bzw. Zugriffsmöglichkeiten, haben uns überlegen lassen, die unter­schiedlichen Sicht- und Herangehens­

weisen einmal zu bündeln und zu schauen, in welcher Form wir da zu welchen Ergebnissen kommen. Und die Ergebnisse, die Modelle sprechen ja doch sehr für sich und auch die anatomischen Zeichnungen haben eine ganz eigene Qualität.

Prescher: Richtig, es gab übrigens bis vor einigen Jahren auch noch das Berufsbild des anatomischen Zeich­ners. Die Darstellung von anatomi­schen Situationen in Lehrbüchern über klassische Zeichnungen ist einfach unübertroffen und kann nur bedingt mit dem Mittel der Fotografie in dieser Brillanz erreicht werden. Es gibt zwar noch Interessenten, die das Berufsbild gerne ergreifen würden, die aber dann zumeist in den präpa­ratorischen Bereich gehen.

Binding: Werden die Modelle von Bildhauern angefertigt?

Prescher: Nein, von Firmen, die sogenannte Moulageure haben, die das nach Abgussverfahren machen. Wachsmoulagen, wie sie ehemals z.T. direkt in den Instituten hergestellt wurden, in Positivform und handko­loriert, werden heute in der Lehre nur noch als historisches Mittel einge­setzt.

Binding: Bei jedem Menschen sieht der Körperbau und Kontrapost total anders aus. Kann man darauf mit den Kunststoffmodellen überhaupt reagie­ren? Und wie verhält es sich mit den Organen?

Prescher: Der Grundbauplan ist im­mer gleich, aber jeder hat ganz erheb­lich individuelle Variationen. Manche Abwandlungen rufen medizinisches Interesse oder Bedeutung hervor, andere sind rein von akademischem Interesse, weil sie z.B. aus der Ent­wicklungsgeschichte resultieren. Deshalb gibt es u.a. auch Handbücher zur Anatomie des Kindes und des Seniums.

Dlugaiczyk: Wir haben im Reiff-Museum - neben den Gemälden und Graphiken - auch einen kleinen überkommenden Bestand an Skulptu­ren, wozu u.a. auch der Muskelmann in Gänze oder als Fragment gehört, woran man einmal mehr sehen kann, dass die Anatomie integraler Be­standteil der Architektenausbildung darstellte. Der Bestand wurde dar­über hinaus als Kunstwerke in der Schausammlung für ein interessiertes Publikum bereitgestellt. Gab es hier evtl . ähnliche Bestrebungen, die historischen, anatomischen Modelle mit modernen Mitteln in eine Schau­sammlung zu überführen? Ähnlich, wie man es zum Beispiel in der Medi­zingeschichte praktiziert?

Prescher: Leider nein. Aachen ist ein verhältnismäßig modernes Klinikum, wo es keine historisch gewachsene Sammlung gibt, geschweige denn Raumkapazitäten oder Personal.

Dlugaiczyk: Und wie verhält es sich mit den wunderbaren, ganz redu­zierten Holzmodellen, die Sie uns

eingangs gezeigt haben: Seit wann existieren sie und werden sie noch aktiv in der Lehre einsetzt?

Prescher: Ja, die Modelle sind ganz am Anfang, zur Institutsgründung angefertigt worden und zwar von un­serem Institutsschreiner. Die Modelle dienen der allgemeinen Gelenklehre und sind in ihrer Form auf die klas­sischen geometrischen Eigenschaften eines Gelenks zurückgebrochen und weisen eine ganz eigene Ästhetik auf.

Gerhardt: Unser Gespräch zeigt auch ganz deutlich, dass das was heute oftmals als Novität gehandelt wird, nämlich das interdisziplinäre Denken, früher eine Selbstverständlichkeit war.

Prescher: Richtig, es geht um die Ver­änderung im akademischen Denken. Es wird immer noch sehr viel vom alten humboldtschen Bildungsideal gesprochen, aber genau das ist, was verloren geht, die universelle Bil­dung. Und die Interdisziplinarität leidet oft auch daran, dass Akade­miker häufig viel zu spezialisiert denken und nicht mehr in die Breite mit ihrem Forschungsansatz gehen -und dann bricht die Kommunikation zwischen den einzelnen Bereichen zusammen. Deshalb begrüße ich Ihr Projekt auch so außerordentlich.

Dlugaiczyk: Herr Prescher, wir dan­ken Ihnen für das Gespräch.

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Eduardo Ferreira

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studierende Sommersemester 2009: Elisabeth Althoff, Hanna Birmans, Kevin Boyer, Marius Busch, Jae-Hyuk Choi, Eduardo Manuel Ferreira da Conceicao, Katharina Frank, Julia Catharina Große Frie, Adela Hakova, Niamh Ire-monger, Leia Kaprov, Maksim König, Sebastian Ralf König, Clara Mayoral Liebanas, Linda Joana Merk, Annette Oberwalleney, Dong-Hyun Oh, Margarete Dorothea Ölender, Julia Smielecki, Dongtian Tan, Petr Vycpalek, Peter Franz Weber, Lucas Wörde­hoff, Anna Wulf

Wintersemester 2009/10: Ana Brigitte Acosta Lebsanft, Martin Baden, Irada Baschirov, Annika Josefina Lena Brokamp, Yu Chen, Hede Edelhoff, Kaiin Grozdev, Til Mathis Jaeger, Gabriele Kreye, Stefanie Gisela Krön-ke, Pentti Marttunen, Linda Joana Merk, Jenny Oettermann, Hae-Kyoung Park, Harald Pilz, Johann Frieder M. B. G. Scheuermann, Sabine Monika Schmitz, Carolin Lara Schüpstuhl, Alexander Mi­chael Seick, Mengjun Sheng, Hristina Tsvetanova, Shaochen Wei

Dozentinnen Dr. Martina Dlugaiczyk Dr. Ing. Rolf Gerhardt Dipl. FbK Stephanie Binding Dipl. Szen. Anja B. Neuefeind

Grafik Leonard Wertgen Buchbindung Kurt Schnürpel, Aachen

Papier Römerturm Funktional 120 gr. Schrift Rotis Serif

Modellfotos Wolfgang von Gliszczynski