Die Kurden

309

Transcript of Die Kurden

ZumBuch

DiesesBuchschildertumfassendundallgemeinverständlichdieGeschichtederKurdenindreiTeilenvonihrerIslamisierungim7.JahrhundertüberdasAufkommendesBegriffs«Kurdistan»im12.JahrhundertbiszudenjüngstenEntwicklungenimsyrischenBürgerkrieg.DervierteundletzteTeilistdergegenwärtigenkurdischenGesellschaftgewidmet,dievontraditionellenOrganisationsformenwieFamilienundStämmenebensogeprägtistwievondenAuswirkungenderModernisierung,voninnerenKonfliktenundnichtzuletzterheblichenWanderungsbewegungen,seiesindieStädte,indenWestenderTürkeioderinsAusland.

ÜberdieAutoren

MartinStrohmeieristProfessorfürTürkischeSprache,GeschichteundKulturanderUniversityofCyprusinNikosia/RepublikZypern.

LaleYalçın-HeckmannistEthnologin,ForschungskoordinatorinamMax-Planck-InstitutfürethnologischeForschungundPrivatdozentinanderMartin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg.

Inhalt

VerzeichnisderKarten

VerzeichnisderAbbildungen

VerzeichnisderTabellen

HinweisezudenKarten

HinweisezurSchreibweiseundAussprachevonWörternundNamen

Einleitung

ErsterTeil:SprachenundKulturen

1.:DasLand:KurdistanalsgeographischerundpolitischerBegriff

2.:DieMenschen:MythenundFakten

3.:SprachenundLiteraturen:VielfaltundRestriktion

4.:Religionen:DieDominanzdesIslams

ZweiterTeil:GeschichtederKurdenbiszumBeginndes20.Jahrhunderts

1.:DieKurdenimMittelalter:IntegrationindieislamischeVölkergemeinschaft

2.:Kurden,OsmanenundPerser:KurdischeHerrschaftenzwischenzweiGroßreichen

3.:Das19.Jahrhundert:OsmanischeReformen,ausländischeEinflüsseundkurdischeReaktionen

4.:DerBeginndes20.Jahrhunderts:DasAufkommendesNationalismusunterdenKurdenunddasEndedes

OsmanischenReiches

DritterTeil:DieKurdenim20.und21.Jahrhundert

1.:DieKurdeninderRepublikTürkei:Rebellion,Repression,AssimilationundIntegration

2.:DieKurdenimIrak:ZwischenAutonomieundAuslöschung

3.:DieKurdeninIran:SprachlicheAffinitätundpolitischeKonfrontation

4.:DieKurdeninSyrienundimLibanon:UnsichererStatus,Diskriminierung,diePKKundderBürgerkrieginSyrien

5.:DieKurdeninderSowjetunionundihrenNachfolgestaaten,insbesondereArmenienundAserbaidschan:KulturelleFörderungundDeportationen

VierterTeil:WirtschaftundGesellschaftamBeispielSüdost-Anatoliens

1.:SozialstrukturundEntwicklung

DemographischeEntwicklungderTürkeiunddieKurdenBinnenmigrationundVerstädterungBildungGesundheitIndustrieundArbeitsmarktSüdost-Anatolien:EinFallvonUnterentwicklung?

2.:Bauerntum,ländlicheProduktionsformenundLandbesitz

3.:HaushaltundFamilie

4.:StammundHerrschaftinKurdistan

5.:GeschichteundGegenwarteineskurdischenDorfesoder:Ausblickaufdas«Lokale»inder«globalisierten»Welt

6.:Postskriptum

Anhang

Anmerkungen

EinleitungErsterTeil1.DasLand2.DieMenschen3.SprachenundLiteraturen4.ReligionenZweiterTeil1.DieKurdenimMittelalter2.Kurden,OsmanenundPerser3.Das19.Jahrhundert4.DerBeginndes20.JahrhundertsDritterTeil1.DieKurdeninderTürkei2.DieKurdenimIrak3.DieKurdeninIran4.DieKurdeninSyrienundimLibanon5.DieKurdeninderSowjetunionundihrenNachfolgestaaten,insbesondereArmenienundAserbaidschan

VierterTeil1.SozialstrukturundEntwicklung2.Bauerntum,ländlicheProduktionsformenundLandbesitz3.HaushaltundFamilie6.Postskriptum

StatistischeDatenzuKurdeninderTürkei

1.Demographie2.MigrationsbewegungenundAnteilderKurdeninderTürkei(nachProvinzen)

3.Bildungsstand4.GesundheitsversorgunginderTürkei

Glossar

AusgewählteDatenzurkurdischenGeschichte

Literatur

Register

VerzeichnisderKarten1.VonKurdenbewohnteStädteundRegionen(Türkei,Iran,Irak,SyrienundArmenien)212.KurdischeSprachen293.Provinzratswahlenvom29.3.2009,StimmenanteilederDTP(ParteiderdemokratischenGesellschaft)1174.DiepolitischeLagederKurdeninSyrienundimIrak(März2016)1765.GeschätzterAnteilderEinwohnerkurdischerMuttersprache1990192

VerzeichnisderAbbildungen(FotografieNr.2–8:EnverÖzkahraman)1.DieZeitungKürdistan882.KurdenprotestinderTürkei1093.FlüchtlingstreckirakischerKurdenindieTürkei1434.CiciBibi1885.AlterMannmitPfeife1896.KurdischeZeltsiedlungaufderBergweide2107.HochzeitszuginHakkari2138.DasDorfAnitos236

VerzeichnisderTabellen1.GeschätzterAnteilkurdischerMuttersprachlerinderTürkei(1935–1990)1902.MittelwertdererwünschtenKindernachRegionenderTürkei(1993)2503.RatederSäuglingssterblichkeitundFertilitätnachausgewähltenRegionenderTürkei(1993und1998)2504.VolkszählungeninderTürkeiundAnteilderstädtischenBevölkerunganderGesamtbevölkerung2515.HochrechnungdesAnteilsderkurdischenBevölkerunginverschiedenenRegionenderTürkei(1990)2516.Bevölkerungszahl,-dichteund-zuwachsratesowieNetto-MigrationsrateeinigerProvinzen2567.GeschätzterAnteilderKurdeninverschiedenenProvinzenderTürkeiindenJahren1965und19902578.BildungsstandinderTürkeiundimSüdosten19902589.ZahlderPatientenproArztundKrankenbettenpro10.000PersonennachRegionenderTürkei(2002)259

HinweisezudenKarten

DieKarten1und2basierenaufdenKarten1,2und4inDavidMcDowallsAModernHistoryoftheKurds(London/NewYork1996/1997,S.XIII,XIV,XVI)undwurdenanhandderKarten«VordererOrient:EthnischeGruppen–DieemischePerspektive»(TübingerAtlasdesVorderenOrientsderUniversitätTübingen,TAVOAVIII13)und«VordererOrient:SprachenundDialekte»(TAVOAVIII10)vondenVerfassernmodifiziertundvomVerlagneuerstellt.DieProzentzahleninKarte1stellennurgrobeSchätzungendar.

Karte4:©PeterPalm,Berlin

HinweisezurSchreibweiseundAussprachevonWörternundNamen

InunseremKontexthabenwiresmitvierSprachenzutun:Kurdisch,Arabisch,PersischundTürkischbzw.dembis1928inarabischerSchriftgeschriebenenOsmanisch.DieLateinschriftdesTürkischenbietetkeineSchwierigkeiten;esverfügtübereinigevomDeutschenabweichendebzw.gegenüberdemDeutschenzusätzlicheLaute.AufdieWiedergabevonarabischenundpersischenBegriffenundNameninwissenschaftlicherUmschrift–fürKurdischgibteskeineallgemeinakzeptierteTranskription–wurdeverzichtet,weildiesdieVerwendungzahlreicherSonderzeichennotwendiggemachtunddenSatzsowiedieLesbarkeiterschwerthätte;entsprechendwerdenbeispielsweisewederbestimmtearabischeKonsonantennochDehnungszeichenbeilangenVokalengesetzt.VielmehrwurdeeineKompromisslösungangestrebt.DieSchreibweiselehntsichsoengwiemöglichandieAussprachean,versuchtaberauch,derTranskriptioneinigermaßengerechtzuwerden.Inkonsequenzensindnichtvermeidbargewesen.EinBeispiel:EinederAusspracheangenäherteSchreibweisedesarabischenNamensMuhammadlautetimpersischenKontextMohammed;einemöglichekurdischeTranskriptionwäreMihemed.InbeidenFällenistder«arabischen»SchreibweisederVorzuggegebenworden.DieverwendetenZeichenwerdenfolgendermaßenausgesprochen:

c türk.,dschwieinDschungel,z.B.cumhuriyet

ç türk.,tschwieTscherkessen,z.B.çavuş

dh arab.,entsprichtdemstimmhaftenthinengl.this,z.B.madhhab

ğ türk., nur in der Wortmitte und am Wortende vorhandenerBuchstabe, der einen kaum hörbaren Reibelaut darstellt undhäufigeineLängungdesvorausgehendenVokalszurFolgehat,

z.B.doğu(«Osten»)

gh arab.,entsprichtdemhochdeutschausgesprochenenrinfahren,z.B.ghaiba

ı türk. (i ohne Punkt), gesprochen wie das e in Rose, z.B.Diyarbakır

î langesîwieinJîn

q arab./pers., ein am hinteren Gaumen erzeugtes k (nicht kw!),z.B.Qom,Naqschbandiya

s stimmlosesswieinHaus,z.B.sunna,Husain

ş türk.,Lautwertsch,z.B.Muş

th stimmlosesthwieinengl.thing

x kurd.,chwieinBach

y wiedasdeutschej,z.B.Ayyubiden,Yeziden

z stimmhaftesswieinSonne,z.B.Zand,Yeziden

HäufigeBegriffewieAgaundScheichsowiezahlreichegeographischeNamen(z.B.Mosul)werdenineingedeutschterForm(zumeistgemäßDuden)wiedergegeben.

Einleitung

IndenkurdischenBergen,wodietürkischeArmeeihreWachtposteninDörfernoderinderenNäheunterhält,gabesbisindieachtzigerJahreeinenBeruf,denmanals«Mauleselunternehmer»bezeichnete.Reşit,dessenFamilienacheinemAufstandindieserRegionimJahr1930indenWestenderTürkeideportiertwordenwarundderdortalsKindgutTürkischgelernthatte,übtediesenBerufaus.SeineFamiliekehrtenachmehrerenJahreninihrHeimatdorfzurück,«diesesLochzwischendenBergen»,wieReşitsichauszudrückenpflegte.ErwarJägerundunterhieltsichgernmitdenSoldatenundOffizierenderGendarmeriewacheundübernahmdeneinträglichenGütertransportmitMauleselnfürdasMilitär.ErtransportiertedenVorratfürdieSoldaten,dieimWintergenausowiedieDorfbewohnervonderAußenweltabgeschnittenwaren.SeineArbeitbrachteihninnäherenKontaktzudenSoldaten;erschlossFreundschaftmitihnenundkonntesie,wennnötig,umHilfebitten.EinesTageswollteReşitmitseinemSohn,derzumMilitärdienstmusste,indieStadt.ZusammenmitzweianderenDorfbewohnern«mietete»erdasAutoeinesihmbekanntenFeldwebels(çavuş),umsichvonihmdorthinfahrenzulassen.WährendderFahrtunterhieltensiesichlebhaftundlautaufKurdisch,woraufderFeldwebel,einTürkeeinfacherBildungausdemSchwarzmeergebiet,plötzlichgereiztdasGesprächunterbrach:«HörtaufmitdieserekelhaftenSprache!»DieMitfahrerwarenerstauntundschwiegen.DannsagteReşitlangsamundmitsicherer,ruhigerStimmeundverschmitztemBlick:«Çavuş,wirwissen,dasswiralleausZentralasienstammenundBrudervölkersind,aberdieSprachekannstduunsnichtverbieten…»Reşitlebtnichtmehr.InderAuseinandersetzungzwischenden

«Brudervölkern»bzw.indemKriegzwischenPKK-Guerilla,türkischerArmeeundkurdischenDorfschützernwurdeergetötet.DieArbeit,dieerverrichtete,istnichtmehrgefragt;dietürkischeArmeeließüberallhinStraßenbauen,ihreVersorgungliegtheutenichtmehrindenHänden

vonMauleselunternehmern.DiePersonensindinvielfältigerWeiseindasGescheheneingebunden:Derçavuş,derimEinsatzgegenkurdischeSchmugglerist,bessertseinkargesGehaltmitTaxifahrtenfürdiekurdischeBevölkerungauf.Reşit,ein«integrierter»Kurde,bestreitetvonseinerArbeitimDienstderArmeeseinenLebensunterhaltundwirdspäter(dieGeschichtespielt1981)Dorfschützer(korucu).DieBegebenheitführtverschiedeneFacettenkurdischenAlltagsvorAugen:AmbivalenzenvonIdentitätundIdeologie,situationsbedingtesoderpragmatischesHandelnundDenken,wechselseitigeAbhängigkeitderMenschenvoneinander.Wasveranlasstedençavuş,dasKurdischeals«ekelhaft»,alsoalsminderwertigzubezeichnen?Hatteersichsprachlichausgegrenztgefühlt?WieerklärensichReşitsSouveränitätinseinerBehandlungdesçavuş,seinselbstbewussterTonundseineironischeAnspielungaufdieangeblichgemeinsameHerkunftvonTürkenundKurden?EssindsolcheAlltagssituationen,andenensichdiekomplexenhistorischenBeziehungenundsozialenProzessezwischenTürkenundKurdenablesenlassen.EineethnischeIdentität,dievoneinernationalenabweicht,kannimAlltageineunausgesprocheneSelbstverständlichkeithaben.EthnischeIdentitätkannaberauchzugespitztundbewusstverwendetwerden,umdieUnterschiedezwischenbeidenIdentitätenzuunterstreichen.DievonReşitundseinenLandsleutengesprocheneSpracheisthierderGegenstandsolcherProzesse.FürsiegehörtihreSprachezuihremSelbstverständnisundwirdnichtaus«patriotischen»Gründengesprochen.DerçavuşreagiertaufseineAusgeschlossenheitaggressiv.DieseHaltungdrücktnichtmehralleinseinepersönlicheFrustrationaus,sonderngreiftaufdubioseIdeologienzurück,diesichaufdieethnisch-nationale«Überlegenheit»vonTürkenüberKurdenbeziehen.ReşitweißumdieUnangemessenheitderInterventiondesçavuş.ErspieltmitderZweideutigkeitdieserIdeologieundbetontdieGemeinsamkeitderHerkunftvonTürkenundKurden,akzeptiertsieabernurumdenPreisderGleichwertigkeitdereigenenSprache.Kurdischzusprechenkannmanihmnichtverbieten;diesisteinewesentlicheKomponenteseinesSelbstverständnissesalsKurdeundalsBürgerdestürkischenStaates.

IndieserEpisodeistderUmgangmitGeschichtevongroßerBedeutung.GeschichteundGeschichtsbewusstseinsindzentralfürethnischeundnationaleIdentitäten,diekeineswegsimmerzusammenfallen.EinesozialeGruppekanneinBewusstseinvonobjektivenKriterienwieSpracheundReligionhaben,diesievonanderensozialenGruppenunterscheiden;diesbedeutetabernicht,dasssieihreIdentitätnuraufdieseKriterienbeziehenmuss.Geschichtewirdimmerwiederneugeschrieben,GeschichtsbewusstseinkonstituiertsichimmerwiederaufsNeue.AkteureinungleichenMachtverhältnissen–seiesaufderindividuellenoderaufdergesellschaftlichenEbene–könnenhistorischeKonstruktebenutzen,umdieseVerhältnissezumeigenenVorteilzuändern.DieUnstimmigkeitzwischenunterschiedlichenKonstrukten,dieinunsererGeschichtezumKonfliktführte,unddieDiskrepanzvonFremd-undSelbstsicht(d.h.wiedieKurdenvonanderengesehenwerdenundwiesiesichselbstsehen)sindwichtigeElementedesVerhältnissesderKurdenzuanderenVölkern.SeitBeginnihres«nationalenErwachens»,alsoseitsieihreSpracheundKulturalsBasiseinernationalenIdentitäteinsetzen,musstendieKurden(bzw.ihrenationalistischenVorkämpfer)erleben,dassihrSelbstbild(ihrhistorischesKonstrukt)vonanderennichtohneweiteresakzeptiertwurde,beispielsweiseihneneineeigeneIdentitätversagtwurdeodersieals«wildesBergvolk»galten,wennsieimWestennichtsogargänzlichunbekanntwaren.DiesefrustrierendeErfahrungmachteeinMitgliedderkurdischenStudentenvereinigungHivi,dassichvordemErstenWeltkriegzumStudiuminderSchweizaufhielt:«AndemTag,andemichindiePensioninLausanneeinzog,fragtemichdieVermieterinvordenanderenGästen,dieausmehralszehnverschiedenenLändernkamen:‹Monsieur,SiekommenausIstanbul,sindSieTürkeoderGrieche?›InmeinemgebrochenenFranzösischantworteteich:‹WederTürkenochGrieche.›AufihreFrage:‹ZuwelchemVolkgehörenSiedann?›antworteteich:‹IchbinKurde.›AlleGästeamTischschautenmichverdutztan,alsobsieetwasganzSonderbaresgehörthätten.Natürlichschämteichmich.Undichwarverletzt,dassichzueinemVolkgehörte,dasniemandkannte.GlücklicherweisewarenzweiRussenzugegen,diemirausmeinerVerlegenheithalfenundetwaszudenKurdenundKurdistansagenkonnten.AmnächstenTagsaßichnachdemFrühstückimSalon.DiePensionswirtinfragte:‹Siesagen,dassSieKurdesind.WoistdennihrLand?›IchöffnetedieLandkarte,diedortlag,zeigteaufdieStadtDiyarbakır,überderderNameKurdistaningroßenBuchstabengeschriebenstand,undsagte:‹Dakommeichher.›»1

ImJahre1998jährtesichzumhundertstenMaldieGründungeiner

ZeitungmitNamenKürdistan.ZwarwardenHerausgebernundAutorenvonKürdistandieForderungnacheinemStaatgleichenNamensnochfremd,weilsiesichalsloyaleUntertanendesOsmanischenReiches,wennauch–zusammenmittürkischenReformern–alsGegnerdesautokratischherrschendenSultansAbdülhamidverstanden.AberdieGrundlagenwurdengeschaffenfüreinProgramm,wieesNationalistenüberallaufderWeltpropagieren:RückbesinnungaufGlanzzeitendeseigenenVolkes,ForderungnachÜberwindungvonAbhängigkeitundRückständigkeitsowienachModernität.DiekurdischeNationalbewegung,diesichseitBeginndes20.Jahrhundertsherausbildete,lenkteihrAugenmerkaufzweiPunkte:Zumeinengaltes,denKampfumdievonihrbeanspruchtenRechtederKurdenbzw.dieEinheitderKurdenzuführen.ZumanderenwurdendieModernisierungderkurdischenGesellschaftunddieZurückdrängungtraditionellerIdentitätenundStrukturenalsVoraussetzungenfür«nationalen»Fortschrittangesehen.WährendLetzteresansatzweiserealisiertwordenist,konntedaslängstnichtvonallenKurdenverfolgteProjektderstaatlichenEinheitnichtbewerkstelligtwerden.BisheutelebendieKurdennichtineinemeigenenStaat,sondernvoralleminIran,inderTürkei,imIrakundinSyrien.WährenddieKurdenimIrakderUnabhängigkeitamnächstengekommensind,widersetztsichindenanderendreiLänderneinTeilderKurdenseitJahrzehntenstaatlichemHomogenisierungsdrucksowieRepressionenundkämpftumpolitischeundkulturelleAnerkennungsowieAutonomie.Dievorüber70JahrenaufdieKurden-RepublikvonMahabad

gemünzteAussagekannnochheutealskonziseDefinitionderKurdenfrageimallgemeinengelten:«IhreseltsamwidersprüchlichenElemente–Stammeskriege,rivalisierendeImperialismenundkonkurrierendeGesellschaftssysteme,mittelalterlicheRitterlichkeitundidealistischerNationalismus–veranschaulichendieKomplexitätderkurdischenFrage.SiebetriffteinVolk,dasnievereintwarunddasjetztauffünfStaatenaufgeteiltist,vondenenkeinerdennationalistischenBestrebungenderKurdenwohlwollendgegenübersteht».2DiekurdischeFragebestehtalsonichtnurauseinemKonflikt

zwischenTürkenundKurden,ArabernundKurdenbzw.Iranernund

KurdenoderdenRegierungenderTürkei,IransundIraks.SieistauchnichtineinSchemavonUnterdrückernundUnterdrücktenzupressen.VielmehrgibtesinderkurdischenGesellschaftselbstSpannungen,dieherrührenauseinemstarkenEntwicklungsgefälle,unterschiedlichenOrientierungenderFührungsschichtenunddemKonfliktzwischennochvorhandenenStammesstrukturenundAnsätzenzueinerbürgerlichenGesellschaft.AbgesehendavonhatdiekurdischeProblematikallgemeinereDimensionen.InsbesondereseitdemZusammenbruchderkommunistischenSystemedesOstblocksunddemWegfallderaltenbipolarenMachtkonstellationhabensichinEuropaundanseinemRandgewalttätigeKonflikteentzündet,inderenMittelpunktFragenvonEthnizität,Minderheiten,NationalismusundDemokratiestehen.DieKurdenlebenineinerRegion,dievonstrategischerBedeutungist.WasserreichtumundÖlvorkommensindeinsobedeutenderFaktor,dasswederdieTürkeinochderIrakaufdieseRessourcenverzichtenkönnen,aufdieauchdieKurdenAnsprücheerheben.DamitistKurdistanauchfürdiewestlicheWeltvongeopolitischerBedeutung.DieshatzueinemlebhaftenInteresseandenEreignissenundPersonenbeigetragen.IndensechzigerundsiebzigerJahrenwaresderlegendäreKurdenführerMustafaBarzani,derdiewestlicheÖffentlichkeitbeschäftigte.SeitdenachtzigerJahrensindesdiePKKinderTürkeiundderÜberlebenskampfderirakischenKurdensowiedieTransformationihresGebietsineineautonomeRegion,denenweltweiteAufmerksamkeitzuteilwurden.TrotzderpublizistischenPräsenzderKurdenindenMedienbestehteinMangelanaktuellen,umfassendenundzuverlässigenInformationenzurGeschichteundGegenwartderKurden.MitdemvorliegendenBuchwirdversucht,dieseLückezuschließen.EswendetsichanLeserinnenundLeser,dieHintergrundkenntnissezurBerichterstattungindenMediensuchen.DarüberhinausistesfüralljenevonInteresse,diesichüberdieRollederKurdeninderGeschichteundihregegenwärtigenLebensbedingungeninformierenwollen.DasBuchbestehtausvierTeilen.ImerstenTeilwerdenzunächstHerkunft,SprachenundReligionenderKurdendargestellt,anschließendwerdenwichtigeEreignisseundEntwicklungeninderkurdischenGeschichtebeschrieben.DerdargestellteZeitraumerstrecktsichvonder

IslamisierungderKurdenim7.JahrhundertüberdasAufkommendesBegriffs«Kurdistan»im12.JahrhundertundkurdischeFürstentümerzwischendenReichenderOsmanenundPerserbishinzurEntwicklungdeskurdischenNationalismusseitdemEndedes19.Jahrhunderts(TeilII).EinSchwerpunktliegtaufderDarstellungderSituationderKurdenbesondersinIran,imIrakundinderTürkeibisinunsereZeit(TeilIII).ImviertenTeilwerdenWirtschaftundGesellschaftderKurdenunter

besondererBerücksichtigungderVerhältnisseimSüdostenderTürkeianalysiert.AusgehendvondersozioökonomischenLagewerdendieAuswirkungenderModernisierungundgesellschaftlichenDifferenzierungdargestellt.ZentraleInstanzendersozialenOrganisationwieHaushaltundFamiliewerdenebensovorgestelltwieunterschiedlicheProduktions-undLebensformen.AuchdiefürdiekurdischeGesellschaftimmernochrelevantentraditionellenStammes-undFührungsstrukturenwerdenausführlicherläutert.DieAkzentsetzungaufdieTürkeibotsichauszweiGründenan.ZumeinenkonnteauseigenerFeldforschunggeschöpftwerden;zumanderenistüberdieKurdeninderTürkeisehrvielmehrbekanntalsüberjeneindenanderenStaaten.Diesliegtnichtzuletztdaran,dassdieTürkeitrotzallerEinschränkungeneinekritischeÖffentlichkeitbesitzt,diebegonnenhat,diekurdischeFragezudiskutieren.LetzthinhabenVorschlägedergegenwärtigenRegierungunddesPräsidentenHoffnungenaufeineGewährungumfassenderkulturellerRechtefürdieKurdengeweckt.DerBegriffKurdistanistumstritten.DerEinfachheithalberverwenden

wirihnzurBezeichnungdesGebiets,indemKurden,inveränderlicherZahlundnichtimmerdieMehrheitbildend,leben.ZueinemsoverstandenenKurdistanzählengroßeTeilederOst-undSüdost-Türkei,Nordwest-IransunddesNord-Irak.DieTeileIbisIIIwurdenvonMartinStrohmeierverfasst,TeilIVvon

LaleYalçın-Heckmann.DasKapitel1(TeilIII)überdieKurdeninderTürkeiunddieEinleitungentstandeninZusammenarbeit.DaderAnmerkungsapparatmöglichstknappgehaltenwerdensollte,wurdeaufEinzelnachweiseteilweiseverzichtet.DieAutorendankenDr.HaraldSchüler(Nürnberg)fürdieErstellung

derKarten«Provinzratswahlen2009,StimmanteilederDTP(ParteiderdemokratischenGesellschaft)»,«GeschätzterAnteilderEinwohnerkurdischerMuttersprache1990»undseineHilfenbeiderInterpretationstatistischerFragen.DankgiltauchunserererstenLeserinAngelaZerbeundDr.BärbelReuterfürihreMitarbeitandenKorrekturen.Dr.LudwigPaul(Göttingen)undDr.WalterPosch(Bamberg)habenwertvolleHinweisebeigesteuert.DieIdeezudiesemBuchgehtzurückaufGesprächemitProfessor

Dr.UlrichHaarmann(DirektordesGeisteswissenschaftlichenZentrumsModernerOrientinBerlin),derauchdieKontaktezumVerlagC.H.Beckhergestellthat.ZurBestürzungseinerKollegenundFreunde,denenerfachlichundmenschlichstetsVorbildwar,isteram4.Juni1999imAltervon56JahreneinemschwerenLeidenerlegen.

NikosiaundNürnberg,1.Mai2016MartinStrohmeierLaleYalçın-Heckmann

ErsterTeil

SprachenundKulturen

1.DasLand:KurdistanalsgeographischerundpolitischerBegriff

EineallgemeinakzeptiertegeographischeDefinitionKurdistansgibtesnicht.Dasistnichtüberraschend,weilmitdemBegriffganzverschiedeneVorstellungenverbundenwerden.KurdischeNationalistenverwendenihnmitNachdruck,währenddieStaaten,aufderenTerritorienKurdistanliegt,ihnlangeZeitgeleugnetoderignorierthaben.BisindiejüngsteZeitwarKurdistanaufdereinenSeite(z.B.inderTürkei)einverpöntes,zuweilenauchverbotenesWort,aufderanderenSeiteeinpolitischerKampfbegriff,derdasZieleinesbeträchtlichenTeilsderKurdenbenennt.DieProblematikliegtdarin,dassderBegriffKurdistanniezusammengefallenistmiteinerstaatlich-politischenEinheitgleichenNamens,diefestumrisseneunddauerhafteGrenzengehabthätte.SolcheGrenzziehungenwarenohnehinvorBeginnderModerne,zumalinkaumerschlossenenundschwerzugänglichenGebietenwieKurdistan,nichtmöglich.SogesehenistKurdistaneinegeographischeKonvention,einBegriff,denmanausGründenderBequemlichkeitundinErmangelungpräzisererDefinitionengewählthat.SeitetwaeinemJahrtausendexistiertunzweifelhafteineRegionoder

LandschaftdiesesNamens.DerpersischeNameKurdistanbedeutet«LandderKurden»undbezeichneteeineProvinzdesReichesdertürkischstämmigenDynastiederSeldschuken,dievom11.biszum13.JahrhundertweiteTeiledesVorderenOrientsbeherrschten.ImOsmanischenReichgabesgleichfallseineProvinz(eyalet)mitNamenKurdistan,dieausdendreiDistriktenDersim,MuşundDiyarbakırbestand;inosmanischenDokumentenistauchvoneinem«Kürdistan-iDiyarBekr»dieRede.HeutewirdderNameKurdistanoffiziellnurfüreineProvinz(HauptstadtSanandadsch)inIranverwendet(Irakisch-

KurdistanheißtimoffiziellenSprachgebrauch«RegionKurdistan-Irak»).

DieAusdehnungKurdistansistzuverschiedenenZeitenunterschiedlichverstandenworden.DerpersischschreibendeGeographHamdallahMustaufiQazwini(1281–1350)bezeichneteinseinemNuzhatal-Qulub(«VergnügenderHerzen»)damitdasGebiet,dasimWestenanUnter-Mesopotamien(inderTerminologiedermittelalterlichenislamischenGeographen:der«arabischeIrak»,d.i.Babylonien),imOstenanden«persischenIrak»(dasalteMedien),imSüdenanChuzistansowieimNordenanAserbaidschanundDiyarBakr(Obermesopotamien)grenzte.1QazwinisKurdistanwarsomitbedeutendkleineralsjenes,dasimScharafnamebeschriebenwird:«DasLandKurdistanbeginntbeiHormuz,dasamindischenMeer[gemeintisteinOrtanderStraßevonHormuzzwischendemPersischenGolfunddemGolfvonOman]gelegenist,understrecktsichvondaineinergeradenLiniebiszumLandMalatyaundMaraş.ImNordendieserLinieliegenFars,derpersischeIrak,AserbaidschanundArmenien,imSüdenDiyarBakr,MosulundderarabischeIrak».2Kurdistan,alsodasGebiet,indemeinzahlenmäßigveränderlicher,

bisweilendominierenderBevölkerungsanteilKurdensind,istimWesentlichenaufdieStaatenTürkei,IrakundIranverteilt.KurdenlebenzwarauchindenehemaligenSowjetrepublikenundheuteunabhängigenStaatenArmenienundAserbaidschansowieinSyrieninunterschiedlichenKonzentrationen,aberdieDichtederkurdischenBevölkerungimDreieckIran,IrakundTürkeiwirdhiernirgendserreicht.EinebeträchtlicheZahlvonKurdengibtesfernerinStädtenaußerhalbKurdistans,beispielsweiseinIstanbul,Damaskus,BagdadundTeheran,oderinGebieten,indiesiezuverschiedenenZeitenumgesiedeltwordensind(z.B.inderGegendvonHaymananaheAnkara).UnterdiesenVoraussetzungenerstrecktsichKurdistaninFormeines

BogensvonNordwestRichtungSüdostvom39.biszum48.Längengradundvom35.zum40.Breitengrad.DasHerzKurdistansbildendieGebirgszügedesöstlichenTaurusinderTürkeiunddeswestlichenZagrosinIran.ÜberhauptistKurdistandurchseinegebirgigeundzerklüfteteBeschaffenheitgeprägt.DieBergeerreichenstellenweiseHöhenbiszu4000Metern,diehöchsteErhebungistderArarat

(5165m)imäußerstenNorden;siesenkensichimWestenzumostanatolischenHochplateauundfallenimSüdenzurmesopotamischenTiefebenebzw.zursyrischenWüsteab.WeitereCharakteristikasinddieDurchbrüchedurchdieGebirgedesTaurus,dieCanyonsdesEuphratunddiefruchtbarenHochebenennördlichderStädteMalatyaundMuş.DervorherrschendgebirgigeundteilweiseunzugänglicheCharakterKurdistanshatspezifischegesellschaftlicheundwirtschaftlicheVerhältnissehervorgebracht.DieAbgeschlossenheithatunteranderemdazugeführt,dassZentralregierungenundVerwaltungenentwedernuruntergroßenSchwierigkeitenundVerlustenihreKontrolledurchsetzenkonntenoderdaraufverzichtenundsichmiteinerlockerenAnbindungbegnügenmussten.DieUnzugänglichkeitbedeutetzumanderen,dasswirtschaftlicheVerbindungenzur«Außenwelt»nurhöchstmühsamhergestelltundaufrechterhaltenwerdenkonnten.LangeZeitbliebKurdistaneinvondengroßenHandelsströmenkaumberührtesGebiet.EntsprechenddergeographischenBeschaffenheitsinddieklimatischenBedingungeninKurdistansehrunterschiedlich.InfolgederHöhenlageistdasKlimainweitenTeilenKurdistansverhältnismäßigkalt.VieleGipfelsinddiemeisteZeitdesJahresschneebedeckt.IndenTälernistdasKlimakontinentalundrelativtrocken,währendindenEbenengewisseRegenmengenverzeichnetwerden.DieTemperaturensindvonbeträchtlichenGegensätzengekennzeichnet.ImgebirgigenNordenKurdistanssindWintertemperaturenvonunter–30GradCelsiuskeineSeltenheit,währendinKirkukimNord-IrakimSommerüber40Graderreichtwerdenkönnen.GleichwohlistKurdistankeineunfruchtbareRegion,inderPflanzen-undBaumwuchsvölligfehlenwürden.WievieleGegendendesMittelmeerraumswarKurdistaninfrüherenJahrhundertenbewaldetgewesen,aberderHolzschlagfürBau-undHeizzweckesowiederAbfraßvonSträuchernundZweigendurchTierehabenihrenTributgefordert.DadurchsindbeispielsweisedieEichenwälderimZagrosfastvölligverschwunden.TrotzdembietenauchheutenochWeidenundAlmenSchafenundZiegenNahrung.DieWirtschaftinKurdistanberuhtzumgroßenTeilaufAckerbauundViehzucht.ImSüdostenderTürkeispieltGetreideanbaueineRolle,aufdemPlateauIranswerdenWeizenundGersteangepflanzt.IndenTälern

desiranischenKurdistanwerdenReis,TabakundBaumwolleproduziert.ImNordostendesIrakermöglichendieNiederschlagsmengeneineLandwirtschaftohnekünstlicheBewässerung;auchhierwirdReisangebaut.KurdistanisteineViehzuchtregionparexcellence.KriegsbedingteZerstörungen,VertreibungenundmehroderwenigererzwungeneAbwanderungausdenländlichenGebieten(z.B.inderTürkei)sindjedochnichtohneAuswirkungenaufdielandwirtschaftlicheProduktiongeblieben.DasStraßen-undWegenetzistindenhöherenBergregionen

ausgesprochenbegrenztbzw.dürftig.NatürlichsinddieEbenenundTälerfürdenVerkehrsehrvieldienlicher.BisindiejüngereVergangenheitsinddieStaatsgrenzen,dieKurdistanzerschneiden,vondennomadischenStämmenaufihrensaisonalenWanderungen,zumBeispielzwischenderSyrischenWüsteunddemanatolischenHochland,ignoriertworden.KurdistanistinersterLinieeineländlicheRegionmitzahlreichen,

zumTeilentlegenenDörfern.DochgibteseinigewenigeGroßstädtevonRang,beispielsweiseDiyarbakırinderSüdost-TürkeiundErbil,dieHauptstadtIrakisch-Kurdistans.SeinWasserreichtummachtKurdistanineinersonstwasserarmen

WeltgegendzueinerstrategischwichtigenRegion.DominierenschonbeieinemflüchtigenBlickaufdieKartediebeidenStrömeEuphratundTigris,sokommennochzahlreicheFlüsseundSeenhinzu,beispielsweisediebeidenZab-FlüsseundderAras.DieQuellflüsse(diedesEuphratheißenMuratundKarasu)undOberläufederbeidenStrömeverlaufenauftürkischemTerritorium.HiersindbereitsmehreregroßeStaudämme(u.a.derAtatürk-StaudammsüdöstlichvonAdıyaman)inBetriebgenommenworden,diederStromerzeugungdienenundinteilseingeleiteten,teilsrealisiertenProjekten–zunennenwäreetwadasSüdost-Anatolien-Projekt(GAP,AbkürzungfürGüney-DoğuAnadoluProjesi)–weiteLandstrichezwischenUrfaundGaziantepinlandwirtschaftlicheNutzflächenverwandelnsollen.DerTigris(türk.Dicle)entspringtnahedemHazar-Seesüdlichder

StadtElazığ,berührtDiyarbakırundCizreundnimmtaufirakischemGebietdieZuflüssedesGroßenunddesKleinenZabauf,die,wieauch

derDiyala,indenBergenanderirakisch-iranischenGrenzeentspringen.ImNord-IrakgibteseinigeStaudämmeundWasserkraftwerke,dieandiesenFlüssenbetriebenwerden,wennauchnichtinderselbenGrößenordnungwieinderTürkei.AuchimkurdischenTeilIranssindzahlreicheWasserläufevorhanden.DazukommenalswichtigeSeenderVan-See(3700km2)inOst-AnatolienundderUrmiya-See(5700km2)inIran.DieÖlvorkommeninKurdistansindeinbedeutenderwirtschaftlicher

undgeopolitisch-strategischerFaktor.DieAufteilungderEinkünfteausdenÖlfeldernvonKirkuk(dasnichtimkurdischenTeilliegt,abervondenKurdenbeanspruchtwird)istzwischenderZentralregierunginBagdadundderRRKI(Regional-RegierungKurdistan-Irak)bishernochnichtabschließendgeklärtworden.DieErdölproduktioninSüdost-Anatolien,vorallemumBatman,decktlediglichca.10%desinländischenBedarfs.

2.DieMenschen:MythenundFakten

DieHerkunftderKurdenliegtimvorgeschichtlichenDunkel,weildiemeistenNachrichtenüberdieKurdenvordemMittelalter,genauer:vorderAnnahmedesIslamsundderdamiteinsetzendenErwähnunginmuslimischenQuellen,bruchstückhaftundumstrittensind.JewenigergesicherteKenntnissewirübereinenbestimmtenGegenstand,beispielsweiseeinhistorischesFaktum,haben,destotrefflicherlassensichSpekulationenanstellen.DiestrifftgewissaufdieBehauptungindertürkischenAusgabederfranzösischenEnzyklopädieMeydan-Larousse1zu,dieKurdenseien«eintürkischstämmigesVolk».IndeszeigtdieNennungderKurdenzweierlei:DerName«Kurden»wirdheutzutageinderTürkeikeineswegsignoriert;indembetreffendenArtikelwerden

immerhinalternativeTheorienzur«türkischen»HerkunftderKurdenvorgestellt.Nochim19.JahrhundertfandenosmanischeAutorenwiederalbanisch-stämmigeSchemseddinSami,Verfassereineshistorisch-geographischenLexikonsmitdemTitelQamusul-Alam(«OzeanderNamen»)2,nichtsdabei,dieKurdenalsVolkzubezeichnen,dasdem«iranischenZweigderarischenVölker»angehörte(unterAriernverstandmanim19.JahrhundertAngehörigefrühgeschichtlicherVölkermitindogermanischerSpracheinIndienundIran).Nursovielistsicher:DieiranischeHochebenewarseitalterseinwichtigerSchnittpunktzwischendemVorderenOrientundZentralasienbzw.demindischenSubkontinentsowieSchauplatzvonWanderungsbewegungenvonVölkern,dieausdemOstenkamen.VermutlichsinddieVorfahrenderKurdenumdieWendevomzweitenzumerstenJahrtausendv.Chr.imZugevonEinwanderungswellenindogermanischerAriernachWest-IrangekommenundhabensichmitderansässigenBevölkerungvermischt.DieseRegionwarTeilderaltorientalischenReichederSumerer,Assyrer,UrartäerundMeder.Im6.JahrhundertlöstendieAchämenidendieMederalsHerrscherüberweiteTeileIransab.IndenfolgendenJahrhundertenherrschtenSeleukiden,PartherundSassanidenüberdieseGegend,dieerstabdem12.JahrhundertalsKurdistanbezeichnetwerdensollte.DieEinordnungderKurdenunteriranischebzw.indo-europäischeVölkergründetsichauflinguistischeundnichtaufethnogenetischeBelege.OhnehinlassensichHerkunftundAbstammungvonVölkernkaumermitteln,weilsichüberlangeZeiträumehinwegVermischungenmitanderenVölkernergebenhaben.SoauchimFallderKurden,dieKontaktemitsemitischenundtürkischenVölkerschaftengehabthaben.DieThesevonderAbstammungderKurdenvondenMedernistebensowenigbewiesenwiedieVerwandtschaftderkurdischenSprachemitdemMedischen(dabeiwirdderNamedeskurdischenDialektesKurmandschaufgespaltenindieBestandteileKurfürKurdundMandschfürMedisch,Meder).EineandereThesegehtdavonaus,dassdieKurdenvondenSkythen,einemnordiranischenVolk,abstammen.IndeneinschlägigenQuellen,insbesondereInschriften,werdenNamenerwähnt,dieaufeinegewisseNähezudemBegriff«Kurden»verweisen

(bes.dieKonsonanten«k»,«r»und«d»).ObKardu,Karduchen(erwähntinderAnabasisXenophonsum400v.Chr.)oderKyrtii(beiStrabo)–alldieseNamenhabenspitzfindigephilologischeSpekulationenausgelöst,aberbisheutekeinewissenschaftlicheKlarheitgeschaffen.Nichtwenigerspekulativ,dafüraberunterhaltendersinddieMythen,diesichumdenUrsprungderKurdenranken.EinedieserLegendenwirdvondemVerfasserdesiranischenNationaleposSchahname,Firdausi,berichtet(dieseLegendeistinVariantenbeizahlreichenAutorenpersischerundarabischerZungeerhalten).DanachherrschteeinsteintyrannischerDrachenkönignamensSohak(auch:Zohak,Dohak)überdasLandSchahrazur.SeinenSchulternentwuchsenSchlangen,denentäglichdieGehirnezweierKindergeopfertwerdenmussten.ListigeLeute(inanderenQuellenwareseinMinister)hattendieIdee,anstattdeseinenKindeseinKalbs-oderLammhirnzuopfern,sodassjeweilseinKindmitdemLebendavonkam.DieaufdieseWeisegerettetenKinderwurdenindieBergegebrachtundavanciertenzuVorfahrenderKurden.HiereinAusschnittinderÜbersetzungFriedrichRückerts3:«Sie[dieRetter,diesichalsKöcheindenPalastdesTyranneneingeschlichenhatten]nahmenherausdasHirnvonSchafen,undmischten’sdemHirnejenesBraven.Demandernwardfreiauszugehnerlaubt,gesagt:‹Nunsieh,wiedubirgstdeinHaupt!LaßdichnichttreffeninStadtundFeld,Wüst’undBergistdeinTeilaufderWelt.›MitschlechtemTierhauptanMenschenstattmachtensiealsodieDrachensatt.EindreißigJünglingemonatlichalsodurchsiedemTodentwich.Alsderenzweihundertzusammenkamen,wokeinerwußtedesandernNamen,einigeGeißenundSchafediesengabendieKöch’undzurWüstesiewiesen.DortsindnundieKurdenerwachsendaraus,denennichtamHerzenliegtFeldundHaus.UnterTuchzeltenwohnensiegern;ihrHerzkenntkeineFurchtdesHerrn.»

SohakwurdevondemSchmiedKawamitseinemHammererschlagen,nachdemzuvoralleseineanderenKinderfürdenTyrannengetötetwordenwarenundnunauchdasletztegeopfertwerdensollte.DerTyrannenmordwirdaufden21.März612v.Chr.datiert.JustandiesemTagerobertendieMederdieHauptstadtdesAssyrischenReiches,Ninive,aufdemlinkenTigris-UfergegenüberMosulgelegen.Darüberhinauswirdam21.MärzderersteTagdesiranischenSonnenjahresgefeiert.HiervermischensichalsoMythenmithistorischenFaktenundvolkstümlichenBräuchen.EineranderenLegendezufolge,dieinnahöstlichenLiteraturen

überliefertwird,entsandteKönigSalomonvonihmbeherrschteDschinnen(arab.dschinn;unsichtbareWesen,diepositivodernegativinsLebenderMenscheneingreifen)nachEuropa,umvondortdieschönstenJungfrauenfürseinenHaremherbeizuschaffen.BeiihrerRückkehrfandendieDschinnenihrenKönigtotvorundbehieltendieMädchenfürsich.AusdieserVerbindunggingendieKurdenhervor.4EineVariantedieserGeschichteüberliefertScharafad-Din.AuchihmmüssenZweifelgekommenseinobdieserwundersamenGeschichte,dennerfügteseinemBerichteinschränkendhinzu,dassdieWahrheitalleinGottbekanntsei.5

3.SprachenundLiteraturen:VielfaltundRestriktion

WennvonderZugehörigkeiteinesIndividuumszueinergrößerenGruppevonMenschen–seiesNation,VolkoderEthnie–dieRedeist,fälltunsgewöhnlichalserstesKriteriumdieSpracheein.WirbezeichneneinePersonalsDeutschenoderDeutsche,weilerodersieDeutschsprichtunddiedeutscheStaatsangehörigkeitbesitzt.WieverhältessichabermiteinemausderTürkeieingewandertenMenschen,derdiedeutscheSprachebeherrschtundaufgrundeinerbestimmtenAufenthaltsdauerdiedeutscheStaatsangehörigkeiterhaltenhat,danebenauchnocheinentürkischenPassbesitzt?IstdieserMenschDeutscher,TürkeoderDeutsch-Türke?Undwasist,wenndieserMenschauchnochkurdischerHerkunftist?EinesolchemehrfacheIdentitätisteineKonstellation,mitdervieleKurdenleben.FürMenschen,diesichzueinemVolkbekennen,dasüberkeinen

eigenenStaatverfügt,istdieFragederIdentität,desBekenntnissesundderLoyalitätzudemStaat,indemsieleben,schwierig.EinKurdeausIranwirdimAuslandzunächsteinmalalsIranerwahrgenommen.Seine

kurdischeHerkunftwirder–jenachSituation,GesprächsthemaundVertrautheitmitseinemGegenüber–mitteilenoderauchnicht,jenachdem,oberdieserIdentitätBedeutungbeimisst.DieBehauptungeinerkurdischenIdentitätistnichtwiebeianderenNationalitäten«objektiv»durcheinenPassgreifbar,sondernsubjektivunddarüberhinausfließendundoszillierend.

DieZuweisung«Kurde,Kurdin»istkeineswegsklar.DieDefinition,werKurdeistundwernicht,hängtinhohemMaßevonderAnerkennungdesKriteriumsSprachefürdieIdentitäteinesMenschenab.IsteinKurdenurjemand,derKurdischspricht,undjemand,derzwarkeinoderkaumKurdischspricht,abersichzumKurdentumbekennt,keinKurde?DerausschließlicheBezugaufdieSprachebirgtProbleme,zumaldasKurdischenurimNord-IrakeineoffizielleSprachedarstellt.DieAbsurditätderBehauptung,werkeinKurdischspricht,seikeinKurde,wirdsogleichklar,wennmanweiß,dassdieKurdisch-KenntnisseeinesAbdullahÖcalansehrgeringsind,TürkischdiewichtigsteSpracheinderPKKistundnachÖcalansAussagenauchineinemunabhängigenkurdischenStaatunterseinerÄgideseinwürde.WerwolltenunausgerechnetdemFührereinerlangeZeiteffektivenGuerilla-Bewegung,dievorgibt,innationalerMissiontätigzusein,seinKurdentumabsprechen?DieIdentifizierungvonSprecherneinerSprachemitAngehörigen

einerNationisteinErgebnisvonProzessen,dieinderNeuzeitzunächstinEuropa,späterauchinanderenWeltregionen,zurBildungvonNationalstaatengeführthaben.EntscheidendfürdieEntstehungdieserStaatenwarendievonNationalbewegungenpropagiertenIdentitäts-oderZugehörigkeitsmerkmalewieSprache,GeschichteundgemeinsameKultur.InvormodernerZeithabendieseMerkmaleeineweitausgeringereRollegespielt,dasheißtSprachewarnichtunbedingteinIndizfürdieethnischeZugehörigkeiteinesMenschen.Erstabdem18.JahrhundertwarSprachenichtmehrwieinvormodernerZeitalleinVerständigungsmittel,sondernwurdezumAusweisnationalerIdentität.EbenweilesbisherkeinenfestetabliertenkurdischenStaatgibt–

schließlichistdieRegionKurdistan-IrakjaeinBundeslandimIrak–,wirdvondenGegnernkurdischernationalerBestrebungen(z.B.RegierungenvonStaaten,indenenKurdeningrößererZahlleben)durchausbezweifelt,dassdieKurdeneineNationodereinVolkseienbzw.überdieKriterienvonZugehörigkeitverfügen,dieandereStaatsnationenbesitzenoderzubesitzenvorgeben.AllerdingsdürftedieseEinstellungindemMaßeabnehmen,indemdieExistenzderkurdischenautonomenRegionimNord-Irakzementiertwird.Umgekehrt

fehltesnichtanVersuchenkurdisch-nationalistischerKreise,solcheMerkmalezubetonenodersogarzuerfinden,umForderungennacheinemeigenenStaatzulegitimieren.Tatsacheist,dassesdenKurdenbishernichtgelungenist,eineninternationalanerkanntenStaatzugründen,indemdaskurdischeElementethnischeundsprachlicheHomogenitätundDominanzgehabthätte.DiesesDefizit,dasvieleKurdenbeschäftigtundunterdemsieintellektuellundpolitischleiden,isteinwichtigerAspektderkurdischenFrage.ZuverlässigeAngabenüberdieZahlderKurdengibtesnicht.Nicht

alleStaaten,indenenKurdenwohnen,habeneinInteresse,derenZahlzuermitteln.EineAusnahmestelltdieVolkszählunginderTürkeiimJahre1965dar,beidernachderMuttersprachegefragtwurde.DaherkursierenetlicheAngaben,diejenachInteressenlageihrerUrhebermitVorsichtzugenießensind.UnterdiesenVorbehaltenkönnenfolgendeSchätzungenübernommenwerden:Danachdürfteesinsgesamt24bis27MillionenKurdengeben,vondenenungefährdieHälfteinderTürkeiwohnen.GutvierMillionenlebenimIrak;5,7MillioneninIran,etwasmehralseineMillioninSyrien.DieZahlderKurdeninWesteuropawirdaufca.700.000undindenNachfolgestaatenderSowjetunionauf400.000geschätzt.1Einestandardisierte,einheitlichekurdischeSprachegibtesnicht.

Vielmehrzerfälltdas«Kurdische»ineineReihevonDialektenbzw.Mundarten,diezumTeilstarkvoneinanderabweichenunddaherwechselseitignurschwerverständlichsind.DieseDifferenzierungenunddiefehlendepolitischeEinheitunterdenKurdenhabendazubeigetragen,dassdieKommunikationunterihnenbeeinträchtigtist.DiewichtigstenkurdischenDialektgruppensindKurmandschi(auchNord-Kurdischgenannt),dasinderTürkei,inSyrienundimLibanon,dennördlichenLandesteilenIraks(z.B.umMosul)undIranssowieinderehemaligenSowjetunion(Armenien,Aserbaidschan,Georgien)gesprochenwird.SeitBeginnderdreißigerJahrewirdKurmandschimitlateinischenBuchstabengeschrieben.HingegenwirdfürdasansonsteninIrak(z.B.umArbil,SulaimaniyaundKirkuk)undIran(besondersumMahabad=SaudschbulakundSanandadsch=Senne)verbreiteteSorani(auchZentral-Kurdischgenannt)einevomarabischenAlphabet

abgeleiteteSchriftverwendet.GrammatikalischgesehensinddieUnterschiedezwischenKurmandschiundSoraninichtgeringeralsetwajenezwischendemDeutschenunddemHolländischen;beispielsweisekenntSoraniimGegensatzzumKurmandschikeingrammatikalischesGeschlecht.DieSprecherräumlichweitvoneinanderentfernterDialektekönnensichgegenseitigkaumverstehen.ZusätzlichwirddieSituationnochdurchdasVorhandenseinvonlokalenundregionalenUnterdialektenkompliziert.ZazakioderdieSprachederZaza-Kurden(auchDimligenannt)zähltweitauswenigerSprecheralsKurmandschioderSorani.Sieleben–abgesehenvonMigranteninEuropa–ausschließlichinderTürkei,undzwarvorzugsweiseimDreieckzwischenDiyarbakır,SivasundErzurum.InjüngsterZeithabenIranistendiesprachlicheEigenständigkeitdesZazakibetont.ZazakiwiederumistmitGoraniverwandt,das,ursprünglichumKermanschahundSanandadschinIranverbreitet,bereitsseitdem19.JahrhundertanBedeutungverlorundheutefastausgestorbenist.EshatabereinegewisseBedeutungbewahrt,weilesdieheiligeSprachederAhl-iHaqqist,einerheterodoxenreligiösenGemeinschaft,vondernochdieRedeseinwird.InderForschungistnochkeineÜbereinkunftüberdieZusammengehörigkeitvonbzw.UnterschiedezwischeneinzelnenDialektenerzieltworden,jaesgibtsogarTendenzen,angesichtsgroßerUnterschiedewenigervonDialektenalsvoneigenenSprachenauszugehen.VonkurdischerSeitewirddieZahlderKurmandschi-Sprecherauf15Millionen,jenederSorani-Sprecherauf6unddiederZaza-Sprecherauf4Millionengeschätzt.2GemeinsamistdenkurdischenDialektenoderSprachen,dasssiezurwestlichenGruppeiranischerSprachengehören,dieeinenZweigderindoeuropäischenSprachfamiliedarstellen.ZudieserGruppezählenaußerdemdasPersische(Farsi),dieStaatsspracheIrans,BeludschischundTadschikisch.DamitunterscheidetsichdasKurdischeganzerheblichsowohlvomTürkischen,dasentgegenderfrüherbehauptetenZugehörigkeitzudenural-altaischenSprachenwohlehereineeigeneFamiliebildet,alsauchvomArabischen,daszudensemitisch-hamitischenSprachenzählt.IndenLändern,indenenKurdenleben,hatsichdasKurdischeunter

ganzverschiedenenBedingungenentwickelt.AmeindeutigstenwardieSituationbisvorkurzeminderTürkei.ÜberJahrzehntehinweg,nämlichvonderNiederschlagungderKurden-AufständeindenzwanzigerunddreißigerJahrenbiszumBeginnderneunzigerJahre,warenkurdischePublikationenzumeistverboten.DieEinschränkungen,denendasKurdische–bishinzumabsurden,weilnichtdurchführbarenVerbotdesGebrauchsderSpracheschlechthin–unterlag,habenseineEntwicklungbeeinträchtigt.ZwargabesabundzukurzfristigLockerungen,diesichmitVerschärfungenderRestriktionenabwechselten.IndensechzigerJahrenkonnteninderTürkeikurdischePublikationenerscheinen.DiesewurdenzumTeilzweisprachigherausgebrachtwiezumBeispieldieZeitschriftenDicle-FıratundDeng,weilausschließlichaufKurdischabgefasstePublikationenvonvielenKurdennichtverstandenwurden.NachdemMilitärputschvon1980ergabensichwiedergravierendeBeschränkungen.MitdertürkischenVerfassungvon1982undinsbesonderedemSprachengesetzNr.2392wurdederGebrauchdesKurdischenunterStrafandrohunggestellt.SeitAnfangderneunzigerJahredes20.JahrhundertsisteineschrittweiseLegalisierungdesKurdischenerfolgt.BisherigerHöhepunktdieserEntwicklungwardieEröffnungdeskurdischsprachigenKanals6derTürkischenRadio-undRundfunkanstaltTRTam1.1.2009.GelegentlichwerdenkurdischePolitikerjedochimmernochstrafrechtlichverfolgt,wennsieRedeninderÖffentlichkeitaufKurdischhalten.ImIrakunterlagdasKurdische,dasheißtinersterLiniedasvonderMehrheitderKurdenimIrakgesprochene,arabisch-schriftlicheSorani,nichtsolchenEinschränkungen.ImGegenteil,inderbritischenMandatszeitindenzwanzigerJahrenerfuhrdasKurdischeeineoffizielleFörderung.AllerdingswarendieErfolgeaufgrunddesMangelsangeeignetenSchulbücherninKurdischundqualifiziertenLehrerngering.JenachpolitischerSituationwurdedemKurdischenmanchmalmehr(AnerkennungalszweiteAmtssprachenebendemArabischenzuBeginndersiebzigerJahre,GründungeinerKurdischenAkademiederWissenschaften)undmanchmalweniger(VerbotvonPublikationen)Freiheiteingeräumt.DieveränderteSituationimkurdischenLandesteilseit1992gabderEntwicklungdesKurdischenAuftrieb.Kurdischistjetzt

ersteAmtsspracheinIrakisch-Kurdistan.WiederumandersliegendieDingeinIran.EinVerbotdesKurdischenwäredortkaumdenkbar.WeildasKurdischedemPersischenverwandtist,wirdesalsimweitestenSinnezur«eigenen»KulturgehörendbetrachtetundunterliegtdamitnichtderAusgrenzung,wiediesinderTürkeibisvorkurzemderFallwar.AlseineBedrohungnationalerEinheitodergarSicherheitistdasKurdischeinIrannieaufgefasstworden.Dasheißtallerdingsnicht,dassdasKurdische,alsovorallemSorani,sichungehinderthätteentfaltenkönnen.EbenweildieAutonomiebestrebungenbekämpftwurden,suchtemanauchkurdischeVeröffentlichungenzuunterbinden.AbMittederachtzigerJahresetzteeineLegalisierungdesKurdischenein,waszueinemAnwachsenderZahlderPublikationenführte.NachrichtenüberdiegegenwärtigeSituation,etwaobKurdischalsUnterrichtsspracheanSchulenzugelassenistundeineZensurfürBücherinkurdischerSprachebesteht,sindwidersprüchlich.AufsGanzegesehenweistdasKurdischeinIrannichtdengleichenEntwicklungsstandwieimIrakauf.DiekurdischenMinderheiteninSyrienundimKaukasusspielenimUnterschiedzufrüherimHinblickaufBemühungenumdieSpracheeineuntergeordneteRolle.DaherkommtwohldiegrößteBedeutungdenAktivitätenderKurdeninderDiaspora,besondersinEuropa,zu.InDeutschland,FrankreichundSchwedenlebenzahlreichekurdischeIntellektuelle,diealsPublizistenundLiteratensichfürdiekurdischeSpracheengagieren.HiergibteszahlreicheInstitutionen–zunennenwärenetwadasPariserInstitutKurdeundAbteilungenandenUniversitätenGöttingenundUtrecht–,diekurdischeSpracheundLiteraturpflegen.DaheristKurdischkeineaussterbende,wohlabereinezumTeilgefährdeteSprachemitungewisserZukunft.DieGefährdungbestehtdarin,dasseinedominanteSprachewiedasTürkischedasKurdischeverändertundesschließlichverdrängt.DiepessimistischeProphezeiungvonCeladetBedirChanineinemoffenenBriefanAtatürkausdemJahre1933,dassbeieinerUnterdrückungderkurdischenSprachedieZahlihrerSprechergenauwiediederIndianerNordamerikasinwenigenJahrenandenFingerneinerHandabzuzählenwäre,hatsichbislangnichtbewahrheitet.3

DieKurdenverfügenübereineausgedehnteLiteratur,diebisins19.JahrhunderthineinzumeistmündlichüberliefertwurdeundseitdemvoneinheimischenundausländischenForschernschriftlichfestgehaltenwordenist.HierbeihandeltessichüberwiegendumDichtungundFolklore(Sprichwörter,Rätsel,Lieder,Märchen).DemgegenübersindschriftlicheTraditionennichtsehrzahlreich.Allerdingsentstandabdemspäten16.JahrhunderteinePoesieinkurdischerSprache,derenbedeutendsteVertreterdieDichterMela-yeDscheziriundseinSchülerFeqi-yeTeyransowieAhmad-iChani(1651–1706)sind.DieHerausbildungeinerLiteraturinKurmandschihingmitderEtablierungquasi-unabhängigerkurdischerHerrschaftenzusammen.AndenFürstenhöfenwurdedieseLiteraturgefördertundgepflegt.LesenundSchreibenwurdepraktischnurvonReligionsgelehrten,zumgeringerenTeilauchvonAngehörigenderFürstenhäuserbeherrscht.Indenmilitanten,aufKurdischabgefasstenGedichtendesHadschiQadirausChoi(ca.1817–1897)begegnenunsanti-osmanischeundanti-religiöseElemente.DerAutor,ähnlichwievorihmAhmad-iChani,befasstsichmitdermisslichenLagedeskurdischenVolkesundprangertdiepolitischenundreligiösenFühreran,diedessenUnwissenheitausnutzen.ErempfiehltdenKurden,demBeispielderBulgaren,Serben,GriechenundArmenierzufolgenundsichgegendieosmanischeHerrschaftaufzulehnen.DieGedichteHadschiQadirssindbemerkenswert,weilsiedieIdeengebildeterKurden,diedenNationalismusinitiierten,umvieleJahrevorwegnahmen.WahrscheinlichhatereinigeMitgliederderBedirChan-Familie,beidererinseinemIstanbulerExilunterkam,inihremEintretenfürpolitischeundkulturelleBelangederKurdenbeeinflusst.EineProsa-SchriftspracheentfaltetesicherstmitderGründungvonkurdischenZeitungenimOsmanischenReichabEndedes19.Jahrhunderts.DieseZeitungen(Kürdistan,Ruj-iKürd,Jîn),dieteilsinKurmandschi,teilsinTürkischinarabischerSchrift,alsoOsmanischerschienen,boteneinePlattformfürBemühungenumkurdischeSprache(Schriftreform)undLiteratur.SeitdendreißigerJahrenwirddaslateinischeAlphabetüberwiegendfürKurmandschibenutzt,währendSoraniinarabischerSchriftgeschriebenwird.KurdeninderSowjetunion

bzw.inihrenNachfolgestaatenverwendendaskyrillischeoderlateinischeAlphabet.AlsherausragendeFigurenderkurdischenLiteraturim20.JahrhundertsinddieBrüderCeladetundKamuranBedirChanzuerwähnen.DieseAbkömmlingederberühmtenDynastiegleichenNamensstudierteninMünchenbzw.LeipzigundbegabensichnachGründungdertürkischenRepublik1923nachSyrien,wosie,begünstigtdurchdiekulturelleFreiheitunterfranzösischemMandatundmitUnterstützungfranzösischerOrientalisten,dieliterarischeZeitschriftHawar(«RufnachHilfe»,Damaskus1932–1945)ausderTaufehoben.DieBedirChansrichteteneinAlphabetinLateinschriftfürKurmandschiein.WohlderersteRomaninkurdischerSprache(Kurmandschi)mitdem

TitelSchivanekurd(«DerkurdischeHirte»,1935)entstammtderFedervonErebSchemo(1898–1978),einemKurdenausArmenien.ThemasindKindheitundJugenddesAutors,dieärmlichenhäuslichenVerhältnisseunddieVeränderungen,welchedieMachtergreifungderKommunistenundderAufbaueinersozialistischenGesellschaftmitsichbrachten.Esdarfnichtvergessenwerden,dassKurden(auchwenn

berücksichtigtwird,dassdieZuschreibungeinerkurdischenIdentitätoderHerkunftproblematischerNaturist)eineganzeReihevonWerkenverschiedenerGattungennichtaufKurdischverfassthaben,sondernaufArabisch(insbesonderezuReligionundRecht;einerdergroßen,arabischschreibendenHistorikerdes13.Jahrhunderts,Ibnal-Athir,warKurde)undvorallemaufPersisch.KurdischerHerkunftwarendieVerfasserdesaufPersischerschienenenScharafname,Scharafad-DinBitlisi,unddesHaschtBihischt(«AchtParadiese»,derTitelstehtfürdieerstenachtosmanischenSultane),Idris-iBitlisi(gest.1520).LetztereristalsArchitektosmanischerOberherrschaftüberKurdistanbeikurdischenNationalistennichtwohlgelitten,jawirdvondiesensogarineinemWortspielals«TeufelvonBitlis»(Iblis-iBitlisi)geschmäht.UnabhängigvonderSprachegehtinderRegeldieTendenzdahin,ein

«Kurdentum»nurjenenzuunterstellen,vondenenmanglaubt,dasssiepositivzudenpolitischenForderungenderKurdenstehen.Entsprechendwerdendie«Anderen»nichtvorbehaltloszurethnischenGemeinschaft

gezählt.DerDenkerundSoziologeZiyaGökalp(1876–1924),dermindestensvoneinemElternteilkurdischerHerkunftist,wurde(möglicherweisenachanfänglichemEngagementfürkurdischeSpracheundLiteratur)zumTheoretikerdestürkischenNationalismus.EinerderAutoren,derinjüngererZeitschrieb,undzwarkurdisch,persisch,arabischundtürkisch,warScheichRizaTalabani(ca.1843–1910).IneinemseinerGedichteinkurdischerSprachesangerdasLobderBaban-Dynastie:«IcherinneremichanSulaimaniya,alsesdieHauptstadtderBabanwar,EswarnichtvondenPersernunterworfenundauchnichtunterjochtvonderosmanischenDynastie.

VordemPalasttorstandenScheichs,MollasundFrommeineinerlangenReihe,DerOrtderWallfahrtfürdieLeutemitAnliegenwarderGird-iSaiwan[OrtinderNäheSulaimaniyas].

WegenderTruppenbataillonegabeskeinenZugangzumAudienzsaaldesPaschas.DasGeräuschderKesselpaukenderMilitärkapelledrangbiszudenHallendesSaturn.AchjeneZeit,jenesZeitalter,jenerTag…Araber!IchleugnenichteureÜberlegenheit,ihrseiddieVorzüglichsten,aberSaladin,dersichdieWeltunterwarf,gehörtezumGeschlechtderBaban-Kurden.MögendieglänzendenGräberderDynastievonBabanvollseinmitGottesGnade,DennderRegenihrerFreigebigkeitwarwieSchauerimApril…»4

InneuererZeitwarYaşarKemal(1923–2015),derTrägerdesFriedenspreisesdesdeutschenBuchhandels,derprominentesteunterdenAutoren,diesichalsKurdenverstehen;erschriebaberineiner«Staatssprache»,nämlichTürkisch.MehmetUzun(1953–2007)tratalsRomancierinkurdischerSprachehervor.EinanderervielseitigerkurdischerAutor,dermeistaufTürkischschrieb,warMusaAnter(1917–1992).ErveröffentlichteeinTheaterstück,indemArmutundUnwissenheitderkurdischenLandbevölkerungbeschriebenwerden,gabeinkurdisch-türkischesWörterbuchherausundtratalsJournalisthervor.KurzvorseinemgewaltsamenToderschienenseineMemoirenintürkischerSprache.DarinbeschreibtAnter,wieerwegeneineskurdischsprachigenArtikelsinderZeitungİleriYurtimJahr1958vorGerichtangeklagtwurde.DerRichterfragteAnterinderVerhandlung:«MusaBey,warumschreibenSieaufKurdisch?Icherwiderte:‹HerrRichter,inIstanbulgebendieJuden,GriechenundArmenier[d.h.dieMinderheiten,denenimVertragvonLausannederGebrauchihrerSprachenzugestandenwordenwar]ihreeigenenZeitungenheraus.

AußerdemerscheinenZeitungeninEnglischundFranzösisch.Wasistschondabei,wennichaufKurdischschreibe?›DerRichterwarfein:‹AberdassinddochMinderheiten›,woraufichentgegnete:‹HerrRichter,heißtdas,dassesvorteilhafterist,derMinderheitineinemLandanzugehörenalsderMehrheit?WennichnichtdasgleicheRechthabewieeineMinderheit,washabeichdannmiteinersolchenMehrheitzuschaffen?BittefällenSieeinUrteilunderkennenSiemichalsMinderheitan!›DerRichter,dieVerteidigerundsogarderStaatsanwaltlachten.DerRichtersagte:‹Musa,wassagstduda?KannichdiesesProblemmitmeinemUrteillösen?›Manmusswissen,dassderRichtereinLandsmannvonunsausKarswar.Erbeschütztemich,soweitesihmmöglichwar».5ImÜbrigensindWerkeausderFederkurdischerAutorennichtauf

orientalischeSprachenbeschränkt.SoistbeispielsweisedieAutobiographieNurad-DinZazas,indererseinEngagementfürdiekurdischeSachebeschreibt,infranzösischerSpracheerschienen.6Sosehrmanbedauernmag,dassdieschriftlicheÜberlieferungin

kurdischerSpracheverhältnismäßiggeringist,sosehristdieVielsprachigkeitkurdischerGelehrterundLiteratenhervorzuheben,obnunausTalentoderderNotgeboren.OhnehingabesinfrüherenJahrhundertenimRahmenderislamischenKulturkeineFixierungaufeineSprache,auchwenndasArabischealsOffenbarungssprachedominierte.ImZeitalterderNationalstaatenhatsichnaturgemäßeineVorrangstellungderStaats-oderNationalsprachenherausgebildet,eineEntwicklung,anderdasKurdischenichtteilhatte.FrüherhatmansichüberdieethnischeEinordnungkultureller

ProduktewieFilmeoderGedichtealskurdischodernicht-kurdischauseinandergesetzt,wennalsalleinigesKriteriumdiekurdischeHerkunftderUrhebergalt.DerRegisseurYılmazGüney(1931–1984)beispielsweiseverstandsichgewissalsKurde,seinbemerkenswertesŒuvregreiftineinigerHinsichtkurdischeSujetsauf(seinFilmYol,«DerWeg»,derbeimFilmfestivalinCannes1982die«GoldenePalme»gewann,wurdeinderTürkeierstmals1999gezeigt);aberseinFilmschaffenteiltsovieleGemeinsamkeitenmitdemseinertürkischenKollegen,dassesnichtgerechtfertigtwäre,seineFilmeals«kurdisch»

anzusehen.AufdieFrage,warumerkeinenFilminkurdischerSprachegedrehthabe,antworteteGüney:«Ganzeinfach,weilKurdischinderTürkeidurchGesetzverbotenist».7InzwischengibtesetlicheFilmekurdischstämmigerRegisseure(BahmanGhobadi/Iran,HinerSalim/Irak,HalilUysal/Türkei)mitkurdischerThematik(teilweiseinkurdischerSprachegedreht),dieaufeinheimischenundinternationalenFilmfestivalsgezeigtwerden.SeitdemBeginndes20.JahrhundertswirdAhmad-iChanisMamuZin

(MamundZin)alskurdischesNationalepos,seinVerfasseralsfrüherkurdischerNationalistgerühmt.ZumBeweiswerdengewöhnlichdiefolgendenVerseangeführt,dieimVorwort(«UnserLeiden»,derd-ema)zureigentlichenGeschichtestehen:

«WennesnurEintrachtgäbeunteruns,wennwirnureinemzugehorchenhätten,würdeerzuKnechtenmachendieTürken,AraberundPerserallesamt.WirwürdenunsereReligionundunsernStaatvollendenundWissenschaftundWeisheiterlangen…»8

DieCharakterisierungChanisalsnationalistischerDichteristjedochahistorischundanachronistisch,weilsieaußerAchtlässt,dassdieVerwendungderBegriffeNationalismusundNationnurunterganzbestimmtenBedingungenderNeuzeit,namentlichabderFranzösischenRevolution,sinnvollist.ImGegensatzzudenzitiertenVersenistdemeigentlichenStückweitauswenigerAufmerksamkeitgeschenktworden.DahersolldieHandlungkurzzusammengefasstwerden(MamuZinist1992inderTürkeiintürkischerSpracheverfilmtundaufKurdischsynchronisiertworden).DieGeschichteträgtsichinBotanzu.AmNeujahrstag(kurd.newroz)

habensichdiebeidenjüngerenSchwesterndesHerrschers(Emir),ZinundSiti,alsMännerverkleidet.SokönnensieunerkanntinderStadtherumspazierenundsichdieMänneranschauen,diesiegerneheiratenwürden.SietreffenaufalsMädchenverkleideteJünglinge,denensieihreRingeschenken.DiejungenHerrensindTadschin,derSohneinesMinisters,undMam,einSchreiberamHof.AlssiedieNamenaufdenRingenderMädchensehen,bemerkensie,dassessichumdiePrinzessinnenhandelt.MamistvonSehnsuchterfülltnachZin,deren

Ringerträgt.Tadschinversuchtihnzuüberzeugen,dasssie,dieimRufederStärkestehen,keineSchwächezeigendürfen.AberMamerklärt,dasserseineStärkeundTapferkeitverlorenhatunddurchdieLiebezuZinaufgezehrtwird.InzwischenhabendieSchwesternerfahren,dassdiezweiRingenunMamundTadschingehören.WeilihmMamleidtut,vertrautsichTadschinseinenBrüdernund

einflussreichenFreundenan,diesogleichseineHeiratmitSitiarrangieren.IhreStrategiebautdarauf,dassMamalsbaldumdieHandvonZinanhaltenkann.NachderHochzeitgibtTadschindemEmirdenRat,seinenTürhüterBakr,denerfürniederträchtighält,zuentlassen.DieserwiederumversuchtsichanTadschinzurächen.Esgelingtihm,denEmirzuüberzeugen,dassTadschindieStellungdesEmirsusurpierenwolle.DerEmir,dergroßeStückeaufTadschinhält,zweifeltzunächstdaran.AlsBeweisfürTadschinsArroganzführtBakran,dassTadschindieSchwesterseinerfrischangetrautenFrau,Zin,Mamversprochenhabe.DurcheineListerreichtBakr,dassMamseineLiebefürZingegenüberdemEmirpreisgibt.DiesscheintBakrsVerschwörungstheoriezubestätigen.DererzürnteEmirlässtMameinkerkernundinKettenlegen.DasLeidenderbeidenLiebendenbeginnt.ErstkurzvorihremTodwerdensiesichwiedersehen.MamundZinverzehrensichnacheinander.IhrLeidenführtsieauf

einemystischeSuchenachreiner,geistigerLiebe.IhreSehnsuchtwirdzueinemStrebennachdemTod,umsoeineVereinigungmitGottherbeizuführen.UnterdessenwartenMamsFreundeundZinsSchwesterhilflosaufdenEmir,damiterseinenFehlerwiedergutmacht.SchließlichdrängtTadschinsBruderdarauf,denEmirunterGewaltanwendungzurFreilassungMamszuzwingen:«EntwederbefreienwirMammitGewaltoderwiropfernunserLeben».9SiebedrängendenEmir,Mamfreizulassen,unddrohendamit,ihnzubefreien.DerEmirfürchteteinenAufstandundmachtsieglauben,ergebeihrenForderungennach.InWahrheithatBakrihnschonüberredet,Mamzutöten.AlsderEmirseineSchwesterbesucht,umsieinseinenPlangegenMameinzubeziehen,findetersiesterbenskrankvor.Eristbestürzt,alserdasLeidenerkennt,daserüberdiebeidengebrachthat,undistvollerBedauernüberseinenBetruganseinerSchwesterundMam.Die

Nachricht,dassMamdemTodenaheist,gibtZinneueKraft.SieversichertihremBruder,dassseinMitleidundseineReueihreSeelebefreithätten,sodasssieihrenKörperverlassenundzuMamsSeelefliegenkönne.SiebittetihrenBruder,ihrBegräbnismiteinemFestzufeiern,soprächtigwiedieHochzeitihrerSchwester.ErmögeauchEinsamen,ArmenundUnterdrücktenhelfensowieDichternundKünstlern,die«wieeineKerzebrennen»,umihreMitmenschenzuerleuchten.KurzeZeitspäterwirdMamaufgefordert,sichzumEmirzubegeben,weilerihnfreilassenwolle.AberMamweigertsich,«einDiener,SklaveoderGefangenervonjemandandersaußerGottzusein».10ImTodsinddieLiebendenvereint.AmEndetötetTadschinBakr,umMamsLeidenzurächen.MamisteineheroischeGestalt,daerseinLebenfürseineLiebezuZin

undseineEhreopfert.ErwirdgewöhnlichalseinSymboleinesversklavten,unterworfenenKurdistanangesehen;dieGeschichtesollzeigen,wiedieNationgerettetwerdenkann.SämtlichePersoneninderGeschichtesindKurdenundsymbolisierenStärkenundSchwächendesVolkes.DieLiebesgeschichtefindetaufeinergeistigenEbenestatt,siestelltdasVerlangennachderVereinigungmitGottdar(uniomystica).AbergenausowichtigsindLiebe,LoyalitätundVerantwortungderMenschenuntereinander.TadschinundseinBruderwerdenalstapfereundehrenwerteLeutedargestellt,diebereitsind,ihrLebenfüreinenFreundzuopfern,aberauchalsleichtgläubig,indemsievomEmirGerechtigkeiterwarten.DerEmiristimPrinzipeinguterMann,deraberzulässt,dassBakreinenKeilzwischenihnundseinihmergebenesVolktreibt.BakrmissbrauchtdasVertrauendesEmirs.EristgetriebenvonkleinlicherEifersucht,RacheundRivalität,allesEigenschaften,dieAhmed-iChanianandererStelledesWerkesalsHindernissefürEintrachtundGlückunterdenKurdenerwähnt.SowohldurchSpiritualitätalsauchdurchWeltlichkeitbietetdasStücknichtnurmuslimischen,sondernauchsäkulargesinntenBestrebungenfüreinKurdistaneinenFundusidealerTypen:derDichteralsPatriot;Helden,diebereitsind,fürhehreIdealeihrLebenzuopfern;einHerrscher,dernachanfänglicherVerblendungdurchdasLeidenvonMamundZinerleuchtetwird.BakristderinnereFeind,derVerräter.Außerihm

werdendieGestaltenimEposalsedleCharakteredargestellt,dieineinemStaatvereintleben,abhängigvonderLoyalitätundderHingabeeinesjeden,umdasWohlderGemeinschaftzuerreichen.GegeneinKurdistanohneFreiheitundGerechtigkeit–verkörpertdurchMambzw.seinLeiden–setztderAutoreinLand,dassichvereintgegendieÜbeltätererhebenmuss:«DieWeltwirdunterworfenfürdenMenschendurchSchwertundTugend».11

4.Religionen:DieDominanzdesIslams

IndenvonKurdenbewohntenGebietendesVorderenOrientssinddurchdieJahrtausendehindurchReligionenentstandenunduntergegangen.FastalledürftenihreSpurenindenheutenochunterKurdenanzutreffendenGlaubensanschauungenhinterlassenhaben,auchwenngenaueNachweisekaumzuführensind.DiekulturellenWurzelnderVorfahrenderKurdenliegenüberwiegendindenaltiranischenundaltindischenZivilisationenbegründet.IhrereligiösenAnschauungenumfasstendieVerehrungvonNaturelementenwieWasserundFeuerunddieEinteilungderGesellschaftineinePriesterkasteundLaien.DarausentwickeltesichderZoroastrismus,dessenStifterderProphetZarathustra(griech.Zoroaster,lebteum1000v.Chr.)warundderbeidenIranerneinebesondereStellungeinnahm(andereNamenfürdiesenGlaubensindParsismusundMazdaismus,letztereristabgeleitetvondemNamendesGottesAhuraMazda).DerZoroastrismusistwesentlichgeprägtvondemdualistischenGegensatzzwischenGutundBöse.VielleichtsindgewisseElementedesZoroastrismusindasChristentumunddenIslameingegangen.NahmerschonunterdenAchämenideneinebeherrschendeStellungein,sowurdederZoroastrismusinderSassanidenzeit(226–642),derPeriode,diederAusbreitungdesIslamsin

Persienvorausging,zurStaatsreligion.AuchderManichäismus,dessenStifterMani(216–277)sichalsderletzteinderReihederProphetenBuddha,ZarathustraundChristusverstand,gediehinKurdistan.ObwohldasChristentumunterdenKurdenkeineAnhängergefundenhat,sindwahrscheinlicheinigeseinerSymboleundRitualeindieGebräuchederAhl-iHaqqundderYezideneingegangen.DieüberwiegendeMehrheitderKurdenbekenntsichheutezum

sunnitischenIslamundunterscheidetsichinihrenGlaubensvorstellungenund-praktikenkaumvonnicht-kurdischenMuslimen.SunnitensindeinederbeidenGlaubensgemeinschafteninnerhalbdesIslams.SiesindAnhängerdervomProphetenMuhammadgelehrtenundgelebtenGlaubensvorstellungen(sunnabedeutetBrauch).AuchdieandereKonfessiondesIslams,dieSchia,folgtinsoweitdersunna.DochhabensichdiebeidenKonfessionenindenerstenzweiJahrhundertendesIslams(alsovom7.bis9.Jahrhundert)auseinanderentwickelt.AlsSchiiten(derNameleitetsichhervondemBegriffschiatAli,«ParteiAlis»)lassensichganzallgemeinjeneMuslimebezeichnen,dieimStreitüberdieLeitungdermuslimischenGemeindenachdemTodeMuhammadsimJahre632alsNachfolgeralleinseinenSchwiegersohnundVetterAlianerkennenwollten.NachdemAlidervierte(undletzte)dersogenanntenrechtgeleitetenKalifengewordenwar,wurdeervonseinenGegnern(u.a.derProphetenwitweAischa)bekämpftund–nichtvondiesen,sondernvoneinemAnhängereinerAbspaltungseinereigenenGruppe–ermordet.ImUnterschiedzuihrenNachbarninderTürkeiundimIrak,diebeide

derhanafitischenRechtsschule(madhhab)angehören,folgendieKurdenfastausschließlichdemschafiitischenmadhhab.DievierRechtsschulen,indenendietraditionelleAuslegungislamischenRechtsvonhervorragendenGelehrtendes8.und9.Jahrhundertszusammengefasstunddiejeweilsnachihnenbenanntwordensind,unterscheidensichinEinzelheitendertheologischenGrundlageundinderAlltagspraxisvoneinander.EinkleinesBeispielausderjüngerenVergangenheitmagfürdiesubtilenUnterschiedezwischendenRechtsschulenstehen:NachderschafiitischenLehrekanndasFreitagsgebetnurdannstattfinden,wennmindestensvierzigGläubige(Männer)anwesendsind.Dagegen

reichennachAnsichtdeshanafitischenmadhhabachtMänneraus.DieGemeindeeineskurdischenWeilersmitnurwenigenGläubigenentschiedsichdaherdafür,demhanafitischenRituszufolgen,müsstediesaberjeweilsdurchdievorgeschriebeneAbsichtserklärung(niya)deutlichmachen.1WohleheraufdieSchwierigkeiten,welchediearabischeSprache

vielenKurdenbereitete,alsaufdieIntensitätdesGlaubensweistdieBeobachtungEvliyaÇelebis,desosmanischenReisendendes17.Jahrhunderts,hin:«InallenobenbeschriebenenMoscheengibteseinenRezitator,damitmandenKoranauswendiglernenkann.AberdawirunsinKurdistanbefinden,gibtesnichtvieleLeute,diedenKoranauswendigkönnenwiediesinArabienderFallist.Dasrührtdaher,dasssiesichnichtsonderlichumdieWissenschaftdesMemorierensbemühen.DieLeutehiermeinen,dass‹einMensch,dersichaufdasMemorierenkonzentriert,keinvollkommenesVerständniserlangenkann›».2DiesdeutetzugleichaufeinenweiterenUmstandhin,nämlichdieExistenzeinesVolksislams,dersichimGegensatzzumHochislamoderoffiziellenIslamwenigumdieVorschriftenderReligionsgelehrtenkümmertundoffenerfürdieAufnahmevonBestandteilenandererReligionenist.DerVolksislam(Volksfrömmigkeit)wiederumberührtsichmit

Glaubensformenund-praktiken,wiesieimSufismus,derislamischenMystik,praktiziertwerden.MystischeErfahrungstrebtnacheinerEinheitmitGott,zieltabaufeineVerinnerlichungdesGlaubens.DieVereinigungen,indenensolchmystischesGedankengutgepflegtundweitergegebenwird,heißenDerwisch-(pers.,entsprechenddemarab.faqir)oderSufi-Orden(arab.tariqa,«Weg»,nämlichderGotteserkenntnis).AnderSpitzederhierarchischorganisiertenBruderschaftenstehtein‹Meister›(arab.scheich,murschid,pers.pir),derindenVersammlungsstätten(arab.zawiya,türk.tekke)seineSchüler(Adepten,murid)indermystischenTraditionunterweist.WesentlicheElementeihrerRituale,diehäufiginklosterähnlichenVersammlungsstättenabgehaltenwerden,sindRezitation,MusikundTanz.DerindenBruderschaftengepflegteIslamdarfabernichtalsGegensatzzurorthodoxenTraditionverstandenwerden;vielmehrbemächtigtesichdiesunnaderSufi-Orden,diesichüberallinder

islamischenWeltabdem12.Jahrhundertausbreiteten.InKurdistanwaresScheichAdiibnMusafir,derimfrühen12.JahrhundertalsSufi-MeistereinengroßenEinflusserrang(undmerkwürdigerweisezumGründerdesYezidismuswerdensollte,s.u.).DiezweiBruderschaften,dieauchheutenochvieleAnhängerunterKurdenhaben,sinddieQadiriyaunddieNaqschbandiya.DieQadiri-DerwischeübengewisseexzentrischePraktikenwiezumBeispieldasEssenvonGlas.ImGegensatzdazuistdieNaqschbandiyainihrenÜbungeneherzurückhaltend.DieserOrdenwurdeim14.JahrhundertinZentralasiengegründetundverbreitetesichspätestensseitBeginndes19.JahrhundertsinKurdistan.SeineRolleinderkurdischenPolitikistunübersehbar:ScheichUbaidullahausNehriundScheichSaidsindBeispielefürzweiNaqschbandiya-Meister,diezugleichpolitischeFührerkurdischerBewegungengewesensind.Heutesindesdie«Dynastien»derBarzanisundTalabanis,dieVerbindungenzurNaqschbandiyabzw.zurQadiriyaunterhalten.AndersliegendieDingeinIran,wodieZwölfer-Schiaseitdem16.JahrhundertStaatsreligionist.DerNameZwölfer-SchiarührtvonderÜberzeugungher,dassderzwölfteineinerReihevonreligiösenFührern(Sing.imam,dererstewarAli),MuhammadibnHasanal-Mahdi(9.Jahrhundert)mitNamen,nichtgestorbenist,sonderninderVerborgenheit(ghaiba)lebt,umdereinstdasReichGottesaufErdenzuerrichten.UnterdenschiitischenRichtungen(anderesinddieIsmailitenundZaiditen)istdieZwölfer-Schiazahlenmäßigdiebedeutendste.NurdieimSüdwestendesLandes,voralleminderProvinzKermanschah,siedelndenKurdenbekennensichzurZwölfer-Schia;dieMehrheitderKurdeninIransindhingegenSunniten.EinebesondereAusprägungderSchia,diesichvondenanderenschiitischenRichtungensehrweitentfernthat,istderAlevismus.DerNameleitetsichvonarab.alawi,alsoAli-Anhänger,her.DieAleviteninderTürkeidürfennichtmitdeninSyrienlebendenAlawiten(auchNusairiergenannt)verwechseltwerden.Alevitenstellenmindestens15%derBevölkerunginderTürkeiundsindvorallemunterTürken,aberauchunterKurdenzufinden.DieAlevitenwerdenwegenihrerHeterodoxiewedervondenSunnitennochvondenSchiitenanerkannt;

siestehenihrerseitsderenorthodoxenLehrensehrdistanziertgegenüber.DashatseinenGrunddarin,dassdieAlevitensynkretistischenundesoterischenLehrenfolgen,indenensichaltiranischemitvorislamischenVorstellungenverbinden.Daseinzige,wasAlevitenundSchiitenmiteinandergemeinhaben,istdieVerehrungAlis.AnsonstenverzichtendieAlevitenaufdieBefolgungderGebetsvorschriftenundandererPflichten,legenkeinenWertaufdasFastenimMonatRamadan,habenanstattMoscheenspezifischeVersammlungsstätten;derGenussvonAlkoholistbeiihnennichtverboten.MankönntevoneinerTendenzzurVerinnerlichungreligiöserErfahrungensprechenimGegensatzzudereheraufOrthodoxiebzw.OrthopraxieangelegtenSunnaoderSchia.AlldashatdieAlevitenschoninderOsmanenzeit(damalswarensieobihrescharakteristischenKopfputzesalsQızılbasch,alsoRotköpfe,bekannt)suspektgemachtundzuVerfolgungengeführt.NochinjüngsterZeitisteszugewaltsamenÜbergriffenaufgehetzter,politischrechtsstehenderSunnitenaufAlevitengekommen,dieteilsaufdieüberwiegendlinkepolitischeOrientierungderAlevizurückzuführensind.DieAleviunterstützendenLaizismus(diegesetzlichverankerteTrennungvonStaatundReligioninderTürkei)aktiv.DiemeistenkurdischenAlevitenzählenzudenZaza-Sprechern.EinevielleichtdenAlevireligiösverwandteGruppesinddieSchabak,dieimNordenIraks,voralleminderGegendumMosul,wohnen.InKurdistansindnichtnurdiebeidenKonfessionendesIslamsvertreten,wiewirsieauchunterTürken,ArabernundIranernantreffen,sondernauchSondergruppenundGlaubenslehren,dieunterdenKurdenspezifischeAusprägungenerhaltenhabenbzw.nurunterihnenverbreitetsind.DazuzählendieAhl-iHaqq(«Leute»bzw.«AnhängerderWahrheit»),dieimIrakKakaigenanntwerden.AuchbeidenAhl-iHaqq(wiebeidenAleviten)findetsichsynkretistischesGedankengut.ImZentrumstehtdieextremeSchia,alsgöttlicheManifestationenwerdenunteranderemAliundSultanSohakverehrt,dessenWorteimDialektGoraniüberliefertsindundalsheiliggelten.IhrGlaubeistabernichtalleinaufKurdenbeschränkt,vielmehrgehörenauchIranerundtürkischstämmigeAserbaidschanerzuihrenAnhängern.DieAhl-iHaqqsindinIran,insbesondereumKermanschah,undimNord-Irak

verbreitet.BeiihnenbestehteineähnlicheAffinitätzumGorani-DialektwiebeidenkurdischenAlevizurZaza-Sprache.WiedieAleviglaubenauchdieAhl-iHaqqandieReinkarnation.BeiihnenfindensicheineReihevongemeinschaftlichenRitenundPraktiken,diegenerellvonislamischenMystikerngepflegtwerden.Die«LeutederWahrheit»sindvorallemindenunterensozialenSchichtenvertreten,insbesonderebeiNomadenundDorfbewohnern.EineausschließlichaufKurden,undzwarKurmandschi-Sprecher,begrenzte,bemerkenswerteSektestellendieYezidendar.DielangeZeitgeheimnisumwitterteundpejorativ«Teufelsanbeter»genannteGemeinschaftistjüngstbessererforschtworden.InderTatlässtsichderGlaubederYezidenalseineGeheimreligionbezeichnen,weilzumeinendieVermischungmitAndersgläubigendenAusschlussausderGemeinschaftnachsichzieht,zumandereneineTrennungvonLaienundGeistlichendasreligiöseWissenaufeinebestimmteKastebeschränkt.RelativiertwirddieseTrennungdadurch,dassLaienbestimmteGeistlichealsihreindividuellenScheichshaben,wasdieengenBindungenunterdenYezidenunterstreicht.YezidiwirdmandurchGeburt.DieYezidenführenihreAbstammungalleinaufAdamzurückundbeanspruchensomiteineExklusivität,diesievomRestderMenschheitunterscheidet.DiebeischiitischenGruppierungenüblicheTendenzzumVerbergendeseigenenGlaubens(taqiya)istauchbeidenYezidenanzutreffenundgründetdarin,dasssievonAndersgläubigen,beispielsweisevonderosmanischenObrigkeit,aberauchvonkurdisch-sunnitischenNachbarn,häufigverfolgtwurden.ÜbertrittezumChristentumundIslamsindvorgekommen.AuchimyezidischenGlaubenfindensichBestandteileandererReligionenwiedesZoroastrismus,Judentums,IslamsundChristentums.ReligiöseLehrensindinzweiheiligenBüchernundinmündlichenTraditionenfestgehalten.ImMittelpunktstehteinEngelinGestalteinesPfaus(malakta’us),derdengöttlichenWillenverwirklicht.DieserEngelistdurcheineSündezumTeufelgeworden,aberdurchReueunddieGnadeGottesgeläutertworden.EsistebendieseDoppeldeutigkeit,diedenYezidenihrenSchmähnamen«Teufelsanbeter»eingetragenhat.NochnichtbefriedigendgeklärtistdieHerleitungihresNamens.Allgemeinwird

angenommen,dasseraufdenUmayyaden-KalifenYazid(regierte680–683)zurückgeht,derdenSchiitendurchseinenKampfgegendenAli-SohnHusainverhasstist.DieYezidenglaubenwederandieExistenzeinesTeufelsnochgebrauchensiedaskurdischebzw.arabischeWort(scheitan)dafür.GotthatdieWeltauseinerPerleerschaffen(dieseKosmogoniefindetsichauchbeidenAhl-iHaqq),siebengottähnlicheEngelhabendasSchöpfungswerkfortgesetztunddieeinzelnenHimmelskörpergeschaffen.DieEschatologiederYezidenwirdbestimmtvonderVorstellung,dassguteSeelennachdemTodeanthropomorphsind,währendschlechteinTiere(dieeigentlichsündigeMenschensind)verwandeltwerden.DieYezidenverehrenHeilige,anersterStelleScheichAdi,dessenGrabinScheichannördlichvonMosulihrwichtigsterWallfahrtsortist.ScheichAdiwareinSufi-Scheichdes12.JahrhundertsundwurdezumEponymuseinesDerwischordens,derauchaußerhalbKurdistansZulauffand.AbernurvonseitenderKurdenwurdeihmeinegeradezugottähnlicheVerehrungzuteil,waszusammenmitderAbweichungvonislamischenLehrenundderÜbernahmevorislamischerreligiöserElementezurEntstehungdesYezidismusbeitrug.DiereligiöseHierarchiederYezidenwirdangeführtvoneinemoberstenScheich(diesesAmtisterblich),demmehrereScheichsundpireunterstelltsind.DanebengibteseinweltlichesOberhaupt,dasfürdieBeziehungenzudenstaatlichenAutoritätenzuständigist.DieMitgliederderreligiösenHierarchiedürfennuruntereinanderheiraten(Endogamie).HauptsächlicheSiedlungsgebietesinddieSindschar-Berge(westlichvonMosulandersyrisch-irakischenGrenzegelegen)undderBezirkScheichan.Verfolgungenim19.JahrhunderthabeneineEmigrationvonYezidenindenTrans-Kaukasusausgelöst.InderSüdost-Türkei,entlangderGrenzezumIrakundzuSyriensindmehrereDutzendYeziden-Dörferlokalisiertworden.AufgrundmassiverRepressionen,denensieausgesetztwaren,habenvieleBewohnerdieserDörferAsylinDeutschlandgefunden.SchätzungenüberdieZahlderYezidenschwankenzwischen150.000und300.000.EsgibtzwarChristeninKurdistan,dieaberihrerSpracheundihrem

SelbstverständnisnachkeineKurdensind.SiesprechenaramäischeoderarabischeMundartenalsMuttersprache;vielevonihnenbeherrschenauchKurdisch.IhreBeziehungenzumkurdischenMilieuwarenhäufiggetrübt;zumBeispielgabesim19.JahrhundertMassaker(muslimischer)KurdenanChristen,weildieseaufKostenihrermuslimischenNachbarnvondeneuropäischenGroßmächtengefördertwurden.EssinddreiGruppenvonChristenzuunterscheiden:DieSuryani(türk.Süryani)nennensichselbstsyrisch-orthodoxeChristen,siewerdenauchJakobitengenannt.SiesindMonophysiten,dasheißtsieerkennendasaufdemKonzilvonChalkedon(5.Jahrhundert)verkündeteDogmaderzweiNaturenChristi(göttlichundmenschlich)nichtan,sondernbetonendieEinheitdieserbeidenNaturen.DiemeistenSuryanihabenihreangestammteHeimat,dieTurAbdin-BergeumMidyatinderSüdost-Türkei,wegenderandauerndenRepressiondurchkurdischeNachbarnunddesmangelndenSchutzesderRegierungverlassenundsindnachIstanbuloderinswestlicheAuslandabgewandert.IhreZahlwirdauf150.000bis300.000geschätzt.DieNestorianerglaubennichtnurandiezweiNaturenChristi,sondernauchanzweiPersonen,dieChristusinnewohnen.UnterdemNamenAssyrerlebenbzw.lebtensieinKurdistanhauptsächlichumHakkariunddenUrmiya-See,wobeiauchhiereinestarkeAbwanderungzuverzeichnenist;ihreZahlbeträgtschätzungsweise75.000.SeitderMittedes16.JahrhundertshatsicheinTeilderNestorianerderkatholischenKirchezugewandt,aberdasAramäische(Altsyrische)alsliturgischeSprachebeibehalten.SiewerdenalsChaldäerbezeichnetundsiedelnvorallemimIrak,woihrPatriarchresidiert.IhreZahlbeträgtdeutlichunter200.000.DiegrößteundbedeutendstechristlicheGruppe(wiedieSuryanisindsieMonophysiten),diebiszumBeginndes20.JahrhundertsihrVerbreitungsgebietmitdenKurdenteilte,sinddieArmenier.DieÜberlebendenderVertreibungenundMassakerimErstenWeltkriegverließenOst-AnatolienundgingennachIstanbulbzw.insnahöstlicheodereuropäischeAuslandodernachArmenien.SeitderGründungdesStaatesIsraelimJahre1948habenfastalleinKurdistan(Irak,Iran)lebendenJudenihreHeimatverlassen.

ZweiterTeil

GeschichtederKurdenbiszumBeginndes20.Jahrhunderts

1.DieKurdenimMittelalter:Integrationindieislamische

Völkergemeinschaft

DieGeschichtederKurdengewinnterstmitdemAufstiegdesIslamsindererstenHälftedes7.JahrhundertsklarereKonturen.IhreEroberungszüge(ghazwa)führtendiemuslimischenAraberausdemSüdwesten(Hedschas)unddemInnernderArabischenHalbinselRichtungNorden(Ägypten,Syrien)undNordosten(Irak,Persien).ZudiesemZeitpunktgehörteKurdistan–freilichnichtunterdiesemNamen–zurEinflusssphäredesByzantinischen,vorallemaberdespersischenSassaniden-Reiches.UmdieMittedesJahrhundertswurdendieSiedlungsgebietederKurdendemraschexpandierendenislamisch-arabischenReichder«rechtgeleitetenKalifen»(632–661)undderUmayyaden(661–749)einverleibt.DieVorstößewurdenbisandenKaukasusundnachAserbaidschangetragen;dieNiederlagedessassanidischenHeeresimJahre642beiNihawandimZagros-GebirgesüdlichvonHamadansichertedenMuslimendieKontrollePersiens.Dasheißtabernicht,dassdieMenschenindiesenGebieten(Kurdistan,Armenien,Mesopotamien,Persien)wirklich«unterworfen»wurdenundinnäherenKontaktzudenneuenHerrenkamen.DieAngriffederMuslimehattenvielmehrExpeditionscharakter.SieverweiltennichtlängeralsirgendnötigindenfürsieundihreTierezukaltenGebirgsregionenIrans.DieBergweltKurdistanswarfürdiebeduinischenAraberundihreTiere(Dromedare)füreinenlängerenAufenthaltnichtgeeignet.ZudemhattendieMuslimewederdieMittelnochsahensiedieNotwendigkeit,dasdünnbesiedelteundschwerzugänglicheBerglanddauerhaftinBesitzzunehmen.ZurErrichtungeinerdirektenHerrschafthätteeseinesgewaltigenmilitärischenAufgebotsbedurft;darüber

hinausgabeshier–imGegensatzzudenStädten–keineReichtümerzu«erwerben».DasBeute-Machen,eintraditionellerZugbeduinischenLebens,dernunmehrmitderislamischenEroberungsideologiegepaartwar,stellteeinenbedeutsamenAnreizbeiderEroberungundUnterwerfungweiterTeiledesVorderenOrientsdar.DieErobererwarenvondenwohlhabenden,städtischenZentrenderHerrschaft,indenenoderinderenNachbarschaftsieihreLagerstädte(adschnad,amsar)aufschlugen,fasziniertundnichtvondenkargen,armenundzumTeilmenschenleerenGebirgsregionen.Kurdistanblieb–wieauchinspäterenJahrhunderten–ineinerRandlage,esbildetediePeripherievonReichen,derenZentrenanderswolagen.DieVerwaltungenderUmayyadenmitderHauptstadtDamaskusunddersieablösendenDynastiederAbbasiden-Kalifen(749–1258)habensichwohldamitzufriedengebenmüssen,dassdieKurdendieGrundsteuerbezahlten,fürderenEinziehungdieFührerderNomadenstämmeverantwortlichwaren.WiereagiertendieBewohnerKurdistans,die–diessolltemansichimmerwiederinsGedächtnisrufen–jalängstnichtalleKurdenwaren,welcheFolgenhattendieEinfällederAraber?EshatdenAnschein,dassdieEindringlingediewirtschaftlichenStrukturen,insbesonderedienomadischeLebensform,kaumbeeinträchtigthaben.VereinzeltverpflichtetensichdieMuslimesogarvertraglichdazu,dieWanderungennichtzustören.ArabischeGeographen,dieabdem9./10.JahrhundertschreibenundInformationenzudenNamenundVerbreitungsgebietenkurdischerStämmeliefern,bezeichnetenkurdischeNomadenundSeminomadenalsal-Akrad(Sing.al-Kurd).IhrenspärlichenAngabenzufolgewarendieKurdeningroßerZahlinganzPersienverbreitet.Freilichsinddieerwähnten500.000ZeltewohleineÜbertreibung.1DieseKurdenwarenmitihrenSchaf-undZiegenherden«nachArtderBeduinen»beständigaufderSuchenachWeideland.SieverfügtenauchüberPferde,undzumTransportverwendetemanvorallemOchsen.ZudieserZeitwarSesshaftigkeitunterdenKurdenkaumverbreitet,wirhörenlediglichvoneinerkurdischenStadtgründung(Uschnuiye)imSüdwestendesUrmiya-Sees.DieAutorenschweigensichübersozialeVerhältnisseweitgehendaus,offenbargabeskeineeklatantensozialenUnterschiedeundauchkeineArmut.GanzStädterundaufdenSitzder

KalifeninBagdadfixiert,derenLobliedersingt,sprichtal-Yaqubi(gest.897)vonden«unfruchtbaren,rauhenundverschneitenGebieten,wodiehartherzigenKurdenwohnen…».2WennauchdieWirtschaftsformenderKurdensichnichtänderten,sohattedasEindringendermuslimischenAraberlangfristigeinehöchstbedeutsameAuswirkung,undzwardieIslamisierungderKurden.LeidersindunsereKenntnisseüberdiesenProzessäußerstdürftig.Wirwissennicht,inwelchemAusmaßdieMenscheninKurdistandenjüdischen,zoroastrischen,christlichenundNatur-Religionenanhingen.Wirkönnenhöchstensvermuten,dassdieÜbernahmedesIslamsinersterLiniedamitzuerklärenist,dasserdenMentalitätenunddenNormenderKurdenentsprach.VielleichtsindesinderislamischenFrühzeitzunächstnureinigekurdischeGroßegewesen,dieinBeziehungenzudenUmayyaden-KalifeninDamaskus,dennominellenOberherren,getretensindunddenIslamangenommenhaben.DarausleitetsichwohlderAnspruchab,vondenUmayyadenabzustammen,deneinigedieserGroßenspäteralsLegitimationbenutzthaben.GewisshateseineAbwehrderEinheimischengegendieEroberergegeben,diezumTeilmitdereinfachenTatsachezuerklärenist,dassKurdendemHeerderSassanidenangehörten.AberdiemituntervertreteneThesevonder«gewaltsamenIslamisierung»3lässtsichnurmitderEinschränkungaufrechterhalten,dassdieAusbreitungdesIslamsalleinunterHeidenzwingendvorgeschriebenwar,alsoeine«Bekehrung»aufjedenFallstattzufindenhatte(dschihad).GenerellistderIslamnichtmit«FeuerundSchwert»verbreitetworden,sondern,soferndieAnnahmenichtfreiwilligerfolgte,durchArrangementsundVerträge.DieheutigeExistenzvonNicht-MuslimeninKurdistandeutetdaraufhin,dassdieExpansiondesIslamszumalinabgeschlossenenRegionenbegrenztunddasBeharrungsvermögennicht-muslimischerGruppenausgeprägtwar.VonBedeutungistauch,dassdieBevölkerungmitderexistierendenHerrschaft–ByzanzundSassaniden–nichtzufriedenwar,weilnestorianischeChristenalsMonophysitenvonderbyzantinischenStaatskircheverfolgtwurden.UnterdersassanidischenStaatsreligion,demZoroastrismus,ergingesChristennichtbesser.VondenMuslimen

hattenAndersgläubigeehereineErleichterungzuerwarten:Siemusstensichzwarunterwerfen,abernichtkonvertieren.ChristenundJudenwarenindenAugenderMuslimeAnhängeranerkannterReligionen.DiesensogenanntenSchriftbesitzern(ahlal-kitab)warlediglicheineimVergleichzuMuslimenhöhereAbgabenlastauferlegt.DafürwurdedenAndersgläubigenderStatusvon«Schutzbefohlenen»(dhimmi)zuteil.DieNeigungderMuslime,möglichstaufKonfrontationzuverzichten,wurdeauchdarindeutlich,dassmandieZoroastrieralsSchriftbesitzeranerkannte.ZurDurchsetzungdesIslamsmagfernerbeigetragenhaben,dassseineAnnahmematerielleVorteileversprach.DieSteuerbelastungwarunterislamischerHerrschaft,selbstfürNicht-Muslime,geringeralsinByzanzundimsassanidischenPersien.InsgesamtergabsichausdenKontaktenderKurdenmitdenMuslimen

einezunächstnuroberflächlicheIslamisierung,dieMöglichkeitenzurMischungderneuenReligionmitbisherigenGlaubensinhaltenund-formenoffenließ.SolcheKonversionensindwederaufeinenSchlagundmassenhaftnochzwangsweisegeschehen,sondernmanmusssichdarunterpragmatischeundallmählicheAnpassungenangeänderteVerhältnissevorstellen,KompromissezwischenbisherigenundneuenGlaubens-undLebensformen.DieKurdensindnichtdaseinzigeVolkimVorderenOrientgewesen,dassichdemIslamzuwandte.DieIraner,diebiszurarabisch-islamischenEroberungüberwiegenddemZoroastrismusanhingen,wurdenebensoMuslimewiedieTürken,derenvorislamischeGlaubensvorstellungeninersterLinievomSchamanismusgeprägtwaren.KurdistanunddieangrenzendenRegionendesZweistromlandeswaren

einMosaikverschiedenerethnischerundsprachlicherElemente.HiersiedeltenKurden,Araber,PerserundbaldauchTürken,dieseitdem9.JahrhundertinwachsenderZahlvondenKalifenalsSöldnerangeworbenwurden.ObwohldielokaleDominanzeinesdieserElementebisweilenbeträchtlichwar,istindieserGemengelageihregesonderteErfassungkaummöglich.WenndieMenschenüberhauptalsIndividuenwahrgenommenwurden(dasbetraffastausschließlich«große»PersönlichkeitenundHerrscher),danninersterLiniealsMuslimeundnichtalsKurden,PerseroderAraber.StrenggenommensinddemIslamethnischeDiskriminierungenfremd,wasaberGefühleethnischer

Zusammengehörigkeit,PartikularismenundethnischeSpannungensowieVorurteile(häufigresultierendausdemGegensatznomadisch-sesshaft)nichtausschloss.WennesinIransowohlunterdenKurdenalsauchunterandereninStammesverbändenlebendenVölkernWiderstandgegendiearabischenEroberergab,dannhattediesnichtsmitethnischenGegensätzenoderderAbwehrgegen«Fremdherrschaft»zutun,sondernmiteinerweitverbreitetenAbneigungnomadischerStämmegegenjedeArtvonBeherrschungdurcheine(ferne)Zentralregierung.SeitderMittedes8.JahrhundertsbefandsichdaspolitischeZentrumdesIslamsinBagdad,imIrak,wodieAbbasiden-Kalifenresidierten.IhrEinflussreichtenichtaus,umregelmäßigwiederkehrendeAufständeinderkurdischenRegionzuverhindern,obessichnunumWeigerungenhandelte,Steuernzuentrichten,umRäuberunwesenoderbestimmteFormensozialenProtestes,diezumTeilreligiöseMotivegehabthabenmögen.KurzvorderMittedes10.JahrhundertshörenwirvondemAufstandeinesgewissenDaisamibnIbrahim,einesKurdenoderHalbkurden,dereinigecharidschitischeKurdenstämmeumsichgescharthatte(dieCharidschitenhattensichbereitsinderMittedes7.JahrhundertsvondenSchiitenabgespaltenundbekämpftensowohlSunnitenalsauchSchiiten,warenaberim8.JahrhundertnachderMachtübernahmederAbbasidenfastvollständigeliminiertworden).AufdieseWeisegelangeskurdischenStämmen,mehroderwenigerkurzlebigeundkleinräumigeHerrschaftenzuerrichten.ZeitweisegingmanKoalitionenmitgegnerischenKräftenein;werheutemiteinanderverbündetwar,konnteschonbaldgegeneinanderantreten.SolcheBündnissewurdenauchüberkonfessionelleGrenzenhinweggeschlossen.ZentrifugaleTendenzenschwächtendieZentralmachtundermöglichteninderMittedes10.JahrhundertsdenAufstiegderiranisch-schiitischenDynastiederBuyiden(945–1055),diefortandie«starkenMänner»inBagdadwaren.Ihnengelangdie«Befriedung»desnördlichenMesopotamiens,wodiezahlreichvertretenenKurdenimmerwiederalsaufständischesElementvonsichredenmachten.DieBuyidengriffenauchdirektinkurdischeBelangeein.ImSüden,umKermanschah,musstensiesichallerdingsmitTributzahlungeneiner

dieserkurdischenKleinherrschaftenzufriedengeben.HasanwaihausdemStammderBarzikanhattesichdemBuyidenRuknad-Daulanützlichgemacht,derdafürmanchedenKurdenangelasteteAuswüchsemitdenWortentolerierte:«AuchdieKurdenmüssenleben»!4NachdemTodediesesindenQuellengepriesenenFührersinterveniertendieBuyidenzugunsteneinesseinerSöhneunderhobenBadribnHasanwaihzumFürsten.DabeiwarBadrkeineswegseineMarionettederBuyiden,warendochdieseselbstgespalten.Erkonntedurcheine«Schaukelpolitik»seineMachtausbauen.WieseinVatergenosserhohesAnsehen,weilerdieInteressenderBauerngegenseinenomadischeGefolgschaftwahrte,undwurdevomKalifenmitdemEhrentitel«SchützerderReligionunddesStaates»ausgezeichnet.InNord-AserbaidschanschwangsichdiekurdischeDynastieder

Schaddadiden(951–1031)zuHerrenüberdieStadtGandschaauf.InihremBestreben,SicherheitundOrdnungherzustellen,undinErmangelungeigenerTruppenwandtensichdieStadtbewohnerandieinderUmgebungsiedelndenwehrhaftenNomaden.Diese«Aufgabenverteilung»warfürbeideSeitenvorteilhaft:DieNomadenprofitiertenfinanziell,dieStädtergenossenSchutzundeineweitreichendeAutonomie.DasoftalsGegensatzbeschriebeneVerhältnisNomaden–SesshaftekanntealsodurchausAusnahmen.ZueinerArtkurdischerVorzeigedynastiesinddieMarwaniden

avanciert,dieihrZentrumimGebietvonDiyarbakırhatten.EtwazurgleichenZeitwieBadr,alsoineinerPeriodederSchwächungderBuyiden,gelangeinemanderenStammesführerderKurden,einemgewissenBaz,derAufstiegzueinemzeitweisegefährlichenGegnerderBuyiden.ErerobertedasGebietzwischenMosul,DiyarbakırundNusaibinundlegtedamitdenGrundsteinfürdieetwaeinJahrhundertwährendeHerrschaftderMarwaniden.NachseinemTodimJahre990folgtenihmsukzessivedreiNeffen,diezudeneigentlichenBegründernundNamensgebernderDynastiewurden.SieunterhieltengleichzeitigBeziehungenzumKalifatinBagdad,zudenschiitischenGegenkalifeninKairo,denFatimiden,undzuByzanz.AufdemHöhepunktihrerMachtunterAbuNasir,auchgenanntNasirad-Daula,reichteihrEinflussbereichvonUrfaimWestenbiszumVan-SeeimOsten.Die

Marwanidenherrschtennichtübereinenwieauchimmergearteten«kurdischen»Staat.ZwarbestanddasMilitärimWesentlichenauskurdischenStammesangehörigen,aberdieBevölkerung,seienesStädteroderBauern,setztesichgroßenteilsausnicht-kurdischenMuslimen,ChristenundJudenzusammen.InkulturellerHinsichtarabisiert,errangendieMarwanidenRuhmalsMäzenevonDichternundGelehrten.DieungewöhnlichlangeHerrschaftszeitNasirad-Daulas(1011–1061)beschertederRegioneinerelativeStabilität.DiesePerioderegionalerundgewissbescheidenerkurdischerMachtentfaltungwurdebeendetdurchdasAuftauchennomadischerTürkenabderMittedes11.Jahrhunderts.DiesestellteninsoferneineBedrohungfürdieKurdendar,alsdiewirtschaftlicheGrundlagefürbeidediegleichewar,nämlichSchafzucht,undbeideumdieselbenWeidegebietekonkurrierten.1054waresmitderweitgehendenUnabhängigkeitderMarwanidenvorbei,alsNasirad-DaulasichdenSeldschukenunterwerfenmusste.1071fandaufmarwanidischemGebietdieSchlachtzwischendem

byzantinischenKaiserRomanosDiogenesIV.unddemSeldschuken-SultanAlpArslanstatt,diedenlangenProzessderTürkisierungundIslamisierungAnatolienseinleitete.DieSeldschuken,inderenArmeeauchkurdischeSöldnerdienten,gründetendasReichderGroß-Seldschuken(sogenanntzurUnterscheidungvoneinigenkleinerenLinien,z.B.denRum-SeldschukeninAnatolien),dasweiteTeileIransundMesopotamiensumfasste.NachderAuflösungdesGroß-SeldschukenreichesgegenEndedes11.JahrhundertsbildetensicheinigeTeilstaatenheraus.WohlderbedeutendstewarderjenigevonChorasan(Ost-Persien)mitseinemZentruminNischapur.UnterdemlangjährigenHerrscher,SultanSandschar(1118–1157),begegnetunszumerstenMalderNameKurdistan,also«LandderKurden».SandscharernannteseinenNeffenSulaimanSchahzumGouverneurderProvinz,derenVerwaltungnichtinderbedeutendstenStadt,Kermanschah,sondernindemOrtBaharangesiedeltwar.LeidermachtQazwinikeineAngabendarüber,warumdieProvinzKurdistanhieß.EineeinfacheErklärungdafürwäre,dassderkurdischeCharakterdominantwar,seiesausGründendesvorherrschendenNomadismusoderausethnischenbzw.sprachlich-kulturellenGründen.TatsächlichhattedieerwähnteDynastieder

HasanwaihinderzweitenHälftedes10.JahrhundertshierihrenMittelpunktundeinigearchitektonischeSpurenhinterlassen(MoscheenundBurgen).Vielleichtwaresdiese«Erinnerung»,dieWahrnehmungeineskurdischenKontinuumsinderRegion,dieQazwinizuseinerStellungnahmebewegte.AnsonstenerfahrenwirlediglichvonwirtschaftlicherProsperitätderProvinzinderSeldschukenzeitundeinemdramatischenRückgangdesSteueraufkommensunterdenMongolenim14.Jahrhundert.DiewohlbekanntesteislamischeDynastiekurdischenUrsprungsistdiederAyyubiden(Mittedes12.bisMittedes13.Jahrhunderts).IhreHerrschafterstrecktesichüberÄgypten,Syrien,TeileMesopotamiensundJemen,derSchwerpunktlagalsonichtinKurdistan.DerberühmtesteHerrscherderAyyubidenistderauchimWestenzuRuhmgelangteSaladin(indenmuslimischenQuellenSalahad-Din).SeinVaterAyyubundseinOnkelSchirkuhstammtenausderGegendvonEriwaninArmenienundhattensichalsSöldnerimIrakverdingt,woSaladininTikritamTigris,aufhalbemWegezwischenBagdadundMosulgelegen,geborenwurde.1152schlossensiesichdemZangidenNurad-Dinan,dessenRufalsGegnerderKreuzfahreraufBerufssoldatenanziehendgewirkthabenmag,weilmansichdadurchBeuteversprach.NachdemTodeNurad-DinsvermochtesichSaladin,derinzwischenzumHeerführeraufgestiegenwar,gegendessenErbendurchzusetzen.DaraufhinerhieltervomKalifenal-MustadidieBestätigungseinerHerrschaftüberÄgypten,PalästinaundSyrien.SaladinprofiliertesichalsmuslimischerVorkämpfergegendieKreuzfahrer,denener1187beiHittininPalästinaeinevernichtendeNiederlagebeibrachteundJerusalementriss.VonkurdischenNationalistenwirdSaladingernalsSymbolfigurfüreinenkurdischenStaatinsFeldgeführt.InWirklichkeitunterschiedsichderAyyubiden-StaatnichtvonanderenzeitgenössischenHerrschaftsgebilden.SeinemCharakternachwarderStaateinZusammenschlussvonMitgliederndersehrweitläufigenHerrscherfamilie,diedurchausnichtimmergemeinsameSachemachten.ZwarwarenzahlreicheKurdeninderVerwaltungundimMilitärdesStaatestätig,aberdasGrosderTruppenstelltenTürken.Als1169,am

AnfangseinerKarriere,dieWahlSaladinszumNachfolgerSchirkuhsalsOberbefehlshaberanstand,hatteeresmiteinemkurdischenundeinemtürkischenRivalenzutun.EinerderayyubidischenFührerappellierteandasZusammengehörigkeitsgefühlderKurdenmitdenWorten:«Wahrlich,jederistfürSaladin,außerdir[gemeintistderkurdischeHerausforderer]undal-Yaruqi[dertürkischeRivale].JetztbedarfeseinerEinigungzwischendirundSaladin.EristkurdischerHerkunft,unddieHerrschaftsolltedahernichtaufdieTürkenübergehen»–freilichwurdeihmseinVerzichterleichtertdurchfinanzielleVersprechungen.5DieEpisodezeigt,dasseingemeinsamesHandelnderKurdennichtselbstverständlichwar,aberalserstrebenswertangesehenwurde.ArabischeHistorikerscheinendenAyyubideneineArt«Kurdizität»zuzubilligen,dennsiebezeichnetendieHerrschaftderAyyubidenalsjenederal-AkradimUnterschiedzujenerderal-Atrak,derTürken.DamitwarendieMamlukengemeint,alsodieDynastietürkischstämmigerehemaligerMilitärsklaven,diealsNachfolgerderAyyubideninSyrienundÄgyptenvon1250bis1517regierten.HierherwarenKurdenvordenMongolenHülägüsgeflohen,dievomGroßchanderMongolen,Möngke(demBruderHülägüs),speziellmitderUnterwerfungderIsmailitenundKurdenbeauftragtwordenwaren.AlsGegenspielerderMongolen,diesiebeiAinDschalutinPalästinaimJahr1260besiegten,zeigtendieMamlukeneinInteresseandenKurden,vielleichtweilmansiealspotentielleBundesgenosseneinschätzte.AusdiesemGrundwarmaninKairogutinformiertüberdieKurden,wassichandenNachrichtenüberKurdistanundkurdischeStämmeinIbnFadlallahal-UmarisgeographischemWerkMasalikal-absarfimamalikal-amsar(«DieWegederWahrnehmungindenHerrschaftsbezirkendergroßenStädte»)ablesenlässt.DerMongoleneinfallinVorderasienzogauchdieKurdeninMitleidenschaft.StädtewieDiyarbakırundMardinwurdenausgeplündert.DerMongolensturmführteinIranwenigerzueinerMongolisierungalsvielmehrzueinerTurkisierungderBevölkerung.DurchdieeinströmendenmongolischenundturkmenischenNomadenstämme,diesichvorallemzwischenVan-SeeundMosul«niederließen»(dieSommerweidenbefandensichumdenVan-See

herum,dieWinterquartierelageninderEbenevonMosul),wurdendieviehzüchtendenTeilederBevölkerungKurdistansinRichtungNorden,nachArmenien,abgedrängt.ZurZeitderIlchane,wiedieMongoleninIranim13.und14.Jahrhunderthießen,wurdeesstillumdieKurden.SchlimmereFolgenalsderMongoleneinfallzeitigtedasWütenderHeereTimurs,derdievonihmerobertenStädteregelrechtauslöschte.InderzweitenHälftedes15.JahrhundertsbefandsichKurdistanunter

derHerrschaftdersunnitischenAqqoyunlu(«diemitdemweißenHammel»)undderschiitischenQaraqoyunlu(«diemitdemschwarzenHammel»),zweierturkmenischerDynastien,dieanderSpitzevonStammeskonföderationenstanden.SiestießenindasMachtvakuum,dasdurchdenTodTimursinIranentstandenwar.WährendersteresichnachWesten,alsoAnatolienundSyrien,orientierten,konzentriertesichderHerrschaftsbereichderQaraqoyunlueheraufdenOsten,AserbaidschanundIrak.VondemAufstiegunddenRivalitätenderbeidenDynastienwurdenauchdieKurdenberührt.DasVordringenderQaraqoyunlunachWesteninvolvierteKurdeninpolitischeundreligiöseStreitigkeitenundlösteBevölkerungsbewegungenaus.ZudieserZeitnahmendieMukri-KurdendieGegendsüdlichdesUrmiya-SeesinBesitz.1467besiegtendieAqqoyunluihre«schwarzen»NamensvetternundwarendamitalleinigeHerrscherüberKurdistan.DerVerfallderMachtderAqqoyunlugegenEndedes15.JahrhundertsbrachtedenKurdenvorübergehendeinegewisseSelbständigkeit,bissiezuBeginndes16.JahrhundertsvomSafawiden-HerrscherSchahIsmailI.unterworfenwurden.DieBevölkerungsbewegungeninIranvom11.bis15.Jahrhundert

habendieethnischeZusammensetzungIransentscheidendgeprägt.DavonbliebenauchdieKurdennichtunberührt.SiehabentürkischeundmongolischeGruppenassimiliert(esgibtvielemongolischeOrtsnameninKurdistan),andererseitswurdenKurden,voralleminAserbaidschan,türkisiert.DieBevölkerungKurdistansstelltealsoeinethnischesMosaikdar,wennauchdieDominanzdeskurdischenElementsunbezweifelbarist.IndiesenturbulentenZeitenfandwohlauchderRückzugderassyrischenChaldäerindieBergregionenzwischenUrmiya-SeeunddemGroßenZabstatt.AuchinAnatolienwarendieKurdenvonden

InvasionenderTürkenundMongolenbetroffen,dieMigrationenauslösten.SowarendieGermiyan-Nomaden,dienachWest-AnatolienzogenundumKütahyaeinFürstentumgründeten,kurdischerHerkunft.EinesehrvielglänzendereZukunftalsdenGermiyansollteindesdenOsmanenbeschiedensein,diezudiesemZeitpunktnochübereinbescheidenesFürstentuminNordwest-Anatoliengeboten.

2.Kurden,OsmanenundPerser:KurdischeHerrschaftenzwischen

zweiGroßreichen

DieGeschichteKurdistansvomausgehendenMittelalterbiszumBeginndes20.JahrhundertsistganzwesentlichgeprägtdurchdasOsmanischeReich(ca.1300–1922)undmehrereStaatsgründungeniranischer(oderteilstürkischstämmiger,iranisierter)Dynastien,insbesonderediejenigederSafawiden(1501–1722).ZumbesserenVerständnissindeinigeInformationenzumAufstiegderbeidenReicheundihrerOrganisationsstrukturenunerlässlich.ImGefolgedermongolischenExpansionvonZentralasiennachWesten

gelangtentürkischeVölkerschaften,unteranderemderStammderOgusen,nachVorderasien,teilsaufderFluchtvordenHeerenderMongolen,teilsmitihnen.Ogusenwarenauchschonim11.JahrhundertnachIranundAnatoliengekommenundhattendortmehrereStaaten(u.a.dasReichderSeldschuken)gegründet.DiesenTürkenundTurkmenen-Stämmen(muslimischeNomadentürkischerEthnie)gelanginKleinasiendieGründungvonKlein-Herrschaften,nachdemderStaatderRum-Seldschukenzusammengebrochenwar.DasosmanischeFürstentum(Emirat)warkeineswegsdasgrößteunterdiesenHerrschaften,aberesnahmdurchdieNachbarschaftzuByzanzgeographischundgeopolitischeinebesondersgünstigeLageein,die

seinespätereExpansionentscheidendbegünstigte.DieGründungdesosmanischenStaatesvollzogsichumdieWendevom13.zum14.JahrhundertinNordwest-Anatolien.AnfangswarderAnführerderOsmanendasOberhaupteinerReihevonStämmen.InfolgedesterritorialenunddemographischenWachstumsdifferenziertesichdieosmanischeGesellschaftallmählich.WarbislangdiegesamteBevölkerungwehrhaftgewesen,soentstandunterOrhan(regierte1324–1359)einebesondereGruppevonKriegern,dieinBeritteneundFußsoldatengeschiedenwurden.NunmehrhattedasFürstentumeinekritischeGrößeerreicht,dieeineProfessionalisierunginstaatlichenundmilitärischenBelangenerforderlichmachte.UnterdenmilitärischenAnführern(Sing.bey)begannsicheineHierarchieherauszubilden.MitderAusweitungdesTerritoriumswurdedieVerwaltung

komplexer;neueInstitutionenbildetensichheraus,diezentralasiatisch-türkische,islamischeundbyzantinischeEinflüsseaufwiesen.DiewichtigstenEinflüssekamenausdemislamischenBereich:SteuererhebungunddasWesirsamtwurdenderklassischenislamischenStaatsordnungentnommen.DerBodengehörteüberwiegenddemStaat.MitAusnahmederFrommenStiftungen(Sing.vaqf,Plur.evqaf)wurdenallebebautenFlächenunddasWeidelandalsEigentumdesHerrschers(sultan)angesehen.BestimmteTeile(muqataa)desBodenswurdeninFormvonPfründen(timar)anmilitärischeBefehlshaber(sipahi)anstelleeinesfestenSoldeszurNutznießung,dasheißtzurSteuereintreibung,vergeben.AlsGegenleistungmusstendietimar-InhabermilitärischeundadministrativeAufgabenerfüllen.SiehattenSoldatenundPferdezustellenunddafürSorgezutragen,dassdieBauerndasLandbearbeitetenundKaufleutesowieHandwerkerinihrenSpartentätigwurden,sodassSteuernindieStaatskasseflossen.DiesipahierfüllteneineArtpolitischerMittlerfunktionzwischenBauernundStaat.DiegrundlegendeVerwaltungseinheitdesOsmanischenReicheswar

dieProvinz(sandschaq,wassovielwie«Fahne»bedeutet).AnderSpitzeeinerProvinzstanddersandschaqbeyi,einmilitärischerBefehlshaber,derzugleichtimar-Inhaberwar.Einsandschaqbestand,jenachGröße,gewöhnlichausmehrerenDutzendtimars,dieterminologischnachihremWert,alsoihremSteueraufkommen,unterschiedenwaren.Mehrere

sandschaqsbildetenGroßprovinzen(vilayet,eyalet),diedemKommandovonGouverneuren(beylerbeyi)unterstelltwaren.DieZahlderGroßprovinzenwarim16.Jahrhundertüberschaubar:Rumelien(d.h.dieeuropäischenBesitzungenaufdemBalkan),Anatolien,Karaman,Rum(dieRegionumSivas),Arabien(hauptsächlichSyrien)undschließlichDiyarbakır,alsoeineProvinzmiteinerbeträchtlichenkurdischenBevölkerung.DenbeylerbeyisstandenbeiderErfüllungihrerzivilenundmilitärischenAufgabeneinStabvonBeamten(z.B.derFinanzchefderProvinz,defterdar)undSoldatenzurSeite.ParalleldazuexistierteeinreichsweitinSprengeleingeteiltesGerichtswesen.Richter(qadi)sprachenRechtundbildetenzugleichdasRückgratderBürokratie.DieVerwaltungderosmanischenReichsteilewarinGesetzbüchern(qanunname)geregelt.Hierinwurdendiesteuerlichen,administrativenundstrafrechtlichenBestimmungenfüreinebestimmteProvinzfestgelegt;zumBeispielenthieltensieAngabenüberdieSteuernaufbestimmteProdukte.InRegistern(tahrir)wurdenDörferundStädte,EinwohnerzahlenunddiesteuerlichenBelastungenaufgeführt.AbderMittedes16.Jahrhunderts,nachderRegierungszeitSüleymans

(1520–1566),kamendieEroberungenzumStillstand.DerwirtschaftlicheNiedergang,unteranderemhervorgerufendurchdasEinströmenamerikanischenSilbersnachEuropaundinsOsmanischeReichsowiedieVerschiebungderHandelsroutenvomMittelmeerzumAtlantik,unddiezunehmendeSchwächederZentralregierungverursachtenÄnderungenim«klassischen»osmanischenSystem.DertimarwurdevonderSteuerpacht(iltizam)abgelöstmitderFolge,dassüberhöhteSteuerngefordertwurdenundBauerninfinanzielleBedrängnisgerieten.ProvinzgouverneurewurdenselbstSteuerpächterbzw.esentstandeineSchichtvonGroßgrundbesitzern,denenhäufigderAufstiegzulokalenMachthabern(ayan)gelang.DiesekonntensichzeitweisevonderHohenPforte(bab-iali,demSitzdesGroßwesirsundderosmanischenRegierung)defactounabhängigmachenundverbandenwirtschaftlicheVerfügungsgewaltmitpolitischenMachtmitteln,indemsiePolizeigewaltundGerichtsbarkeitusurpierten.ImOsmanischenReichwarderIslamsunnitischerObservanz

Staatsreligion,währendunterdenTurkmenenheterodox-mystische

Glaubensanschauungenvorherrschten.DieRichtschnurdesHandelnswardasReligionsgesetz(scharia).DiemuslimischenBewohnerdesOsmanischenReicheswarenTürken,Araber,Bosnier,AlbanerundKurden.Christen(Griechen,Armenier)undJudenmusstenüberdieauchvonMuslimenzuzahlendeGrundsteuerhinauseinesogenannteKopfsteuer(dschizya)entrichten,wofürsiedenStatusvonSchutzbefohlenen(dhimmi)genossen,alsodieProtektiondesStaates.Christen,MuslimeundJudenwarenjeweilsinReligionsgemeinschaften(millet)organisiert,dieihreinnerenAngelegenheitenweitgehendselbständigregelten;esgabalsoeinegriechisch-orthodoxe,einearmenisch-gregorianische,einejüdischeundeinemuslimischemillet.DieosmanischeExpansioninEuropavollzogsichzumgroßenTeil

durchmilitärischeUnternehmungenunddurcheineLandnahmebzw.dengelenktenZuzugvonNomadenundBauern.InAnatolienwurdedasTerritoriumüberwiegendauffriedlichemWege,nämlichdurchKauf,verwandtschaftlicheBeziehungen(z.B.Einheirat)oderfriedlicheInkorporationandererFürstentümervergrößert.ZuBeginndes16.JahrhundertsbrachtedieAusdehnungihrerHerrschaftnachOstendieOsmanenjedochinKonfliktmitdenSafawiden.DieseführtensichzurückaufSafiad-Din(1252–1334),einen

(möglicherweisekurdischen)ScheicheinessunnitischenSufi-OrdensimiranischenTeilAserbaidschansmitSitzinArdabil,zwischenTabrizunddemKaspischenMeergelegen.InderMittedes15.JahrhundertslassensichpolitischeAmbitionendesOrdensfeststellen,dieausRivalitätenunterseinenScheichsresultierten.ScheichDschunaidfandseineGefolgschaftvorallemunterdenTurkmenenOst-Anatoliens,diesichvonseinenheterodoxenGlaubensanschauungen,inderenMittelpunktdieVerehrungdesKalifenAli(alsoeinesschiitischenImams)stand,angezogenfühlten.DerAqqoyunlu-HerrscherUzunHasanverbündetesichmitDschunaid,dessenSohnHaidareinespezielleroteundmitzwölfZwickelnverseheneKopfbedeckung(fürdie12schiitischenImame)einführte,nachderdieAnhängernunmehrQızılbasch(«Rotköpfe»)genanntwurden.DasBündniszerbrachbald;einerderSöhneHaidars,Ismail,schlugmitseinenQızılbaschdieAqqoyunluundwurdezumBegründerderDynastie.Seineüberwiegendturkmenischen

AnhängerhieltenSchahIsmail(regierte1501–1524)füreinenmahdi,dasheißteinen«untergöttlicherLeitungstehenden»Retter.NachseinemEinzugindiezukünftigeHauptstadtTabriz(dieStadtwarauchdasZentrumderAqqoyunlugewesen)erklärteerdieunterseinenAnhängernnochkaumbekannteZwölfer-SchiazurStaatsreligion.DiesmarkiertdenBeginnderetwaeinJahrhundertwährendenSchiitisierungPersiens,dasbisdahineinüberwiegendsunnitischesLandgewesenwar.DamithattesichinunmittelbarerNachbarschaftdersunnitischenOsmaneneinStaatetabliert,derpolitischundreligiösindeutlichemGegensatzzuihnenstand.DerKonfliktwarnichtodernurzueinemgeringenTeilreligiöserNatur,wurdeaberreligiöslegitimiert.OsmanischeTheologenwandtensichnichtgegendieSafawidenalsSchiiten,vielmehrsuchtensienachzuweisen,dassdieSafawidenüberhauptkeineMuslimewaren,alsoUngläubige,gegendiemandenHeiligenKriegführenmüsse.EinederWurzelndesKonfliktswar,dassvieleturkmenischeAnhängerderSafawideninOst-AnatoliensiedeltenundeinenständigenUnruheherddarstellten.Diesumsomehr,alsdieOsmanenmitderEinführungeinerSondersteuer(avariz)imJahre1501unddervonihnenverfolgtenrestriktivenNomaden-PolitikdieTurkmenendrangsalierten.DagegentoleriertendieSafawidenzunächstdietribaleOrganisationihrerAnhänger,beruhteihreOrganisationdochselbst–derTraditionderMongolenbzw.AqqoyunluundKaraqoyunlufolgend–politischundmilitärischaufdemTribalismus.FreilichprofitiertendieKurdenvondieserPolitiknicht,zumalschongegenEndedes16.JahrhundertsinPersieneinzentralisierterStaatgeschaffenwurde,dersichinseinerPolitikgegenüberNomadenwenigvomOsmanischenReichunterschied.WiedieOsmanen,sobefandensichauchdieSafawidenzuBeginndes16.JahrhundertsineinerPhasederExpansion.EinigelokaleKurdenherrscher,diesichnachdemNiedergangderAqqoyunluhattenetablierenkönnen,suchtendarausKapitalzuschlagen.SiebatenIsmailumeineBestätigungihrerHerrschaften,holtensichabereineAbfuhr;einigewurdeninsGefängnisgeworfenundQızılbasch-FühreranihrerStelleeingesetzt.DiekompromissloseBehandlungdurchIsmailveranlassteeinigeKurdenfürsten,beidenOsmanenumBeistand

nachzusuchen.JenehalfenbeiderVertreibungvonQızılbasch-TruppenderSafawidenausOst-Anatolien,wobeidiekurdischenHerrscherihresonstigenRivalitäten«vergaßen»undgeschlossenkämpften.DieseselteneEintrachtverdanktensiedemdiplomatischenGeschickdeskurdischenGelehrtenundranghohenosmanischenBeamtenMevlanaHakimad-DinIdrisBitlisi;einerseinerSchülernamensMahmudKeletschiriausdemStammderRuzegiwaralsSekretärScharafBeysinBitlisindererstenHälftedes16.JahrhundertstätigundstiegzumChefberaterSultanSüleymansinSachenKurdistanauf.IdrishattenochunterdemAqqoyunluUzunHasaninTabrizVerwaltungserfahrunggesammeltundbefandsichseiteinigenJahreninDienstenSelimsI.(1512–1520).DieKurdenhattenvomSultangefordert,einerderIhrenmögezumbeylerbeyunddamitAnführerdesWiderstandsgegendieSafawidenbestimmtwerden.EinsolchhoherPostenwarinderRegelPersönlichkeitendesHofesvorbehalten,sodassIdrisSelimdenRatgab:«Unterihnen[denkurdischenEmiren]bestehteineVielfaltanEinzelinteressenundkeinerwirdsichdemanderenunterwerfen.WennesdasZielseinsollte,dieZersplitterungunddenZerfallderQızılbaschzuerreichen,dannisteserforderlich,einenDienerdesHofesmitdieserwichtigenAngelegenheitzubeauftragen,aufdassdiekurdischenEmireihmgehorchenundsichihmfügen».1

Exkurs:Scharafad-DinBitlisiundseineChronikScharafname

Scharafad-DinChanal-Bitlisi,derVerfasserdesScharafname,wurdeimJahre1543inderNähevonQominPersiengeboren.SeineVorfahrenherrschtenalsFürstendesRuzegi-StammesüberdieostanatolischeStadtBitlis(al-Bitlisibedeutet«derausBitlisStammende»).WidrigepolitischeVerhältnissezwangenseinenVater,EmirSchamsad-DinibnScharafad-Din,nachPersienauszuwandern.ImAltervonneunJahrenkamScharafad-DinzurAusbildungandenHofSchahTahmasps.ZwanzigJahrelangversaherinverschiedenenProvinzendesSafawiden-ReichesdasAmteinesStatthalters.ImJahre1576wurdeerindieZentralezurückbeordert.Intrigen,dieeineStrafversetzungindieProvinzzurFolgehatten,zermürbtenihnsosehr,dasserimDezember1578mitsechshundertFamilien-undStammesangehörigennachVan,indasLandseinerVorväter,ging.DerdortigeGouverneur,ChüsrevPascha,verwandtesichbeiSultanMuradIII.(herrschte1574–1595)fürScharafad-Din,woraufermitdererblichenHerrschaft(ocaklık)überBitlisundMuşbetrautwurde.AlserimAugust1597seinScharafnameabschloss,verwalteteerseineLändereiennurnochnominell,faktischherrschtebereitsseinSohnAbul-MaaliSchamsad-Din.Scharafad-Dinlebtemindestensnochbis1599.DerersteTeildesinpersischerSprachegeschriebenenScharafnamebestehtauseinemVorwort,vierBüchern(eigtl.«Blätter»,sahife)undeinerNachschrift,welchedieAutobiographieScharafad-Dinsenthält.ImzweitenTeilwirddieGeschichtederOsmanenundderHerrscherPersiens

vomEndedes13.biszumEndedes16.Jahrhundertsbeschrieben.DievierBücherdeserstenTeilssinddiewichtigsteQuellefürdiekurdischeGeschichte.DasersteBuchhandeltvon«jenenHerrschern,diedasBannerderHerrschaftaufgepflanzthattenundwelchedieHistorikerzudenselbständigenHerrschernzählten».DazugehörenunteranderemdiebereitserwähntenHasanwaihunddieAyyubiden.ImzweitenBuchführtderVerfasserdiekurdischenDynastienauf,die,ohnevolleUnabhängigkeiterlangtzuhaben,bisweilenaufihrenNamenMünzenschlagenunddasKanzelgebet(chutba)verrichtenließen(d.h.siebeanspruchtentypischeMerkmaleeinesislamischenHerrschers)wiebeispielsweisedievonArdalan.GegenstanddesdrittenBuchessinddieInhabererblicherHerrschaften(hakim,Plur.hukkam)(insgesamtzweiDutzend,u.a.Baban).ImviertenBuchbeschreibtScharafad-DinausführlichdieGeschichtederFürstenvonBitlisundinsbesondereseineneigenenStamm,dieRuzegi.SeineQuellensindvorallempersischeChroniken,Inschriften,InformationenvonGewährsleutenundeigeneErlebnisse.DasVorgehendesAutorsentbehrtnichteinergewissenSystematik.ErmachtAngabenzurLage,zumKlima,zudenBauten,EinwohnernundberühmtenPersönlichkeiten(z.B.Gelehrten),zumreligiösenLebenundzurGeschichtebestimmterOrte.ErbeschreibtzunächstdieHerrscher,dievordenKurdeneineStadtoderRegioninnehatten,unddanndieAbstammungkurdischerDynastienundStämme.AuchihreWeidewanderungenund-plätze,ihreAuseinandersetzungenmitNachbarstämmensowieBeziehungenmitdenOsmanenundPersernwerdenbehandelt.HäufigschreibtervondenFrauenderStammesfürsten,unteranderenvonderGattindesHadschiChanausdemStammderDunbali,diesichvonihremMannbeleidigtfühlteundihrenBruderumHilfebat,woraufdiesermitseinemStammundosmanischerUnterstützungkurzerhanddieStadtChoiniederbrannte.BitlisunddieRuzegiliegendemAutorbesondersamHerzen.ErleitetihreHerkunftvondenSassanidenab,erwähnt–durchausnichtohneSympathie–diechristlich-armenischenVorgängerinderHerrschaftundbehauptet,dassdieFürstenvonBitlisbereits450JahreüberdieStadtherrschen.ErschreibtabernichtnurStadtgeschichte,sondernliefertaucheinegenaueBeschreibungderGegend,unterscheidetarmenischeundkurdischeDörferunderklärtLandbebauungundViehzucht.ObwohldieOsmanenihnwiederinseineangestammtenRechteeinsetzten,machterkeinenHehlausseinerSympathiefürdiePerser.Scharafad-DinsHaltungzudenKurdenistambivalent.ImmerwiederbeklagterdieNaivitätderKurdenunddieAnarchieunterihnen:«EineallgemeineVerwirrungrissunterdenRuzegi-Stämmenein,undjedermannstrebtenacheigenemSinnenachderFürstenmacht.Verse:WenneinLandohneHerrscherbleibt,wirftsichinjedemDorfederVorsteherzumGebieterauf».2AndererseitsisterstolzaufseinenStamm;erverweistbeispielsweisedarauf,dassdiemächtigepersischeArmeeesnichtwagte,vondenarmenischenBauerngewaltsamVorrätezunehmen,weilsieVergeltungsmaßnahmenderRuzegibefürchtete.SeinenStammpreisterinfolgendenWorten:«UnterdenClanenundStämmenKurdistansistderRuzegi-ClanbekanntfürGroßzügigkeitundextremeTapferkeit,MännlichkeitundEifer,überausgroßeBescheidenheitundSinnfürEhre,Ehrlichkeit,Direktheit,FrömmigkeitundTreue.WannimmerBestrafungundSchwierigkeitenüberihreHerrscherkamen,soließenesdieRuzegidochniemalsanDiensteifrigkeit,WeggenossenschaftundTodesbereitschaftfehlen.ImmerwenndieProvinzBitlisihrerKontrolleentrissenundihreHerrscherentmachtetwurden,vermochtenesdieRuzegi,durchklugePolitikundohnedieHilfeanderersowiemitGottesBeistandihreProvinzwiederunterihreHerrschaftzubringen.EsistunterdenKurdenwohlbekannt,dassfürjedenMauersteinderFestungvonBitliseinRuzegiseinLebenverlorenhat.UndimmerwenndiemächtigenHerrscherbeschlossen,Kurdistanzuunterwerfen,musstensieersteinmalKrieggegendieFürstenvonBitlisunddenRuzegi-Clanführen.DennsolangesichderRuzegi-ClannichtunterwirftundGehorsamleistet,tundiesauchdieanderenStämmeKurdistansnicht».3

ImJahr1514wurdeIsmailmitseinenTruppennahedemostanatolischenÇaldırandankderüberlegenenFeuerkraftderosmanischenArtilleriegeschlagen.DerterritorialeZugewinnwargering.VielwichtigerwarderpsychologischeEffektderNiederlageIsmails,weildergottgleicheNimbus,denerunterseinenAnhängern,besondersdenQızılbasch,genoss,beschädigtwordenwar.GleichwohlkonntederosmanischeSiegdieAmbitionenderSafawidennichtdauerhaftbeschränken.Selimgingnundaran,dieneuerobertenTerritorienindasosmanischeVerwaltungssystemeinzugliedern.Eswurdendreieyaletgebildet,diegroßeTeileKurdistanseinschlossen:dernördlicheTeilKurdistanswestlichdesVan-SeesbildetedieProvinzDiyarBakr;Raqqa,dasdieGegendzwischenUrfaundderStadtamEuphratumfasste,undMosulimnördlichenMesopotamien.DiekurdischenFürsten,diebisheruntersafawidischerOberhoheitgestandenhatten,wurdenvonSelimanerkannt,weilereinsehenmusste,dassseineKräftefürihreUnterwerfungnichtausreichten.ImGegenzuggelobtensieSelimTreue.EinsolcherVasallenstatus,derdieErblichkeitihrerMachtbezirkeeinschloss,wardieAusnahmeinderVerwaltungdesReiches.DerArchitektdieserAllianzzwischenSultanundKurdenherrschern,Idris,setztealsoeineRegelungdurch,diedenOsmanenunddenkurdischenHerrscherngleichermaßenzumVorteilgereichte.EinigenkurdischenHerrscherfamilienwiezumBeispieljenenvonBohtanundHakkariwurdeeinAutonomie-Statusverliehen.WohlmusstensieeinenTreueidleisten,aberPflichtenwiedieGestellungvonSoldatenoderdieZahlungvonSteuernwarendamitnichtverbunden.DieserKürdhükumeti(«kurdischeHerrschaft»,dieBezeichnungsetztesichallerdingserstim17.Jahrhundertdurch)genannteStatuswarerblich.DiezweiteVariantedieserausschließlichaufdiekurdischenGebietedesOsmanischenReichesbeschränktenRegelungenwardasAkradbeyliği,wasebenfalls«kurdischeHerrschaft»bedeutet,inhaltlichaberverschiedenwarvonKürdhükumeti;erstereswurdeauchocaklık(türk.«Feuerstelle»,imübertragenenSinne:Land,daseinerFamilievomSultanverliehenwird)oderyurtluk(dasWortyurt,«Zelt»,stammtausdemMongolischenundwurdeinsPersischeundTürkischeübernommeninderBedeutungvon«Lehen»)genannt.DieseHerrschaftenentsprachen

dergrundlegendenVerwaltungseinheitdesReiches,demsandschaq.DerkurdischeHerrschernahmhieralsodieStelleeinessandschaqbeyiein.ImUnterschiedzuden«normalen»sandschaqswarhierdasAmtdesbeyinnerhalbderFamilieerblich,wobeiallerdingsjeweilsdieBestätigungdesProvinzgouverneurserforderlichwar.BeiUnbotmäßigkeitsolcherAkradbeyigegendieZentralregierungkonntensieabgesetztundFamilienangehörigezuNachfolgernbestimmtwerden.AndersalsindenKürdhükumetimusstendieHerrscherderAkradbeyliğimilitärischeDiensteleistenundSteuernandenFiskusabführen.IneinigenFällenmögendieRegelungenabgeschafftwordensein.Wo

infolgeinnererStreitigkeitenineinemKürdhükumetidieZentralmachtintervenierte,wurdederStatusdieserHerrschaftzueinemAkradbeyliğireduziert.DieswaraberdieAusnahme:InderRegelbewiesendiekurdischenHerrschafteneinebemerkenswerteStabilität,ja,vieleAkradbeyliğierlangtendefactoeineUnabhängigkeit,wiesiedieKürdhükumetivonRechtswegenhatten.DiesistinersterLiniedaraufzurückzuführen,dassKurdistaneinGrenzlandundGegenstandkonkurrierenderosmanisch-safawidischerHerrschaftsansprücheblieb.FürbeideSeitenwaresgünstiger,dieUnabhängigkeitlokalerFürsteninKaufzunehmen,alsmitallenMittelneinekaumrealisierbareDirektherrschaftzuerzwingen.InsgesamthattedieosmanischeVerwaltunginKurdistanwenigEinfluss,obwohlesetlicheInterventionengegebenhat.EinhoherosmanischerBeamter,deralsGouverneurnachVangehensollte,wehrtesichgegenseineVersetzung,weilerwusste,dassseineAutoritätnursoweitreichtewiedieGeschützederFestung.4AlsEvliyaÇelebiinderMittedes17.JahrhundertsinOst-Anatolien

weilte,hattesichandiesenZuständenweniggeändert.UnterBezugaufviersolcherKürdhükumeti(u.a.HakkariundBitlis)schreibter:«Alsdiesehükumetserobertwurden,bekamensieihreeigeneProvinzgemäßdemVertragSultanSüleymans.SiehabendenStatuseinessandschaq,werdenaberalserblicherBesitz(yurtluk,ocaklık)verwaltet.ImGegensatzzuanderenEmirenunterliegensienichtErnennungundEntlassung.WenneinerdieserHerrscherstirbt,sotrittseinSohnanseineStelleodereinangesehenerVerwandter,sonstniemand.TrotzdemwerdenihreBesitzungensteuerlicherfasst,genausowiedieBesitzungen

indenanderensandschaqs.IhreEinkommensquellenbestehenauswohlhabendenDörfern,diealstimarundzeamet[«Großpfründe»]definiertsind».5DieseArrangementshattenzurFolge,dassdieinneren

MachtverhältnisseindenkurdischenHerrschaften,undzwarsowohlindenAkradbeyliğialsauchindenKürdhükumeti,wiesiezuBeginndes16.Jahrhundertsherrschten,festgeschriebenwurden.Im17.JahrhunderthörenwirvonKlagenkurdischerFürsten,dassdievonderZentraleentsandtenProvinzgouverneuresichnichtmehrumderenPrivilegienkümmerten.BeylerbeyissetztenEmireab,mischtensichindieNachfolgeeinunderzwangenSteuern,vondenensiejaausgenommenwaren.DieseRisseimAutonomie-StatuswurdenvonderHohenPforteaufmerksamverfolgtundauch–teilweiseerfolgreich–gekittet,hättedochdieUnzufriedenheitderlokalenKurdenherrschersieinihrerLoyalitätgegenüberdenOsmanenwankelmütigwerdenlassenunddadurchzurSchwächungderOstfrontdesReichesführenkönnen.MitalldiesenCharakteristikanahmKurdistanim16.Jahrhundertdie

Situationvorweg,dieinanderenTeilendesOsmanischenReicheserstabdem17./18.JahrhundertEinzughielt,nämlichdenVerfallderzentralisiertenOrdnungunddieAusweitungderMachtderGouverneureindenProvinzen.MitanderenWorten:DieAusnahmeKurdistanwurdezumRegelfall.AbdemEndedes16.JahrhundertswurdederBegriffeyalet,derbisdahinnurfürhalbautonomeGebiete,beispielsweisefürdiekurdischensandschaqsverwendetwordenwar,generellzurBezeichnungderProvinzenverwendet.WiehatmansichdieAusübungderMachtindenEmiraten

vorzustellen?DerosmanischeHofwardasVorbild,demmanindenkurdischenFürstentümernfolgte.DieEmiratewieseneinigeÄhnlichkeitenmitdemosmanischenHerrschaftssystemhinsichtlichihrerInstitutionenimBereichvonVerwaltungundMilitärauf.DabeiwardieIntegrationindasReichnichtbesondersausgeprägt.ErstenswarderAnteilderEinkünfte,diederEmirfürsichbehaltendurfte,hoch;zweitensübertrafdiemilitärischeStärkedesEmirsdiederosmanischenTruppenbeiweitem;unddrittenswarderEmirinderErnennungderRichterautonom.

DieEmiratewarenimGroßenundGanzenpolitischeEinheitensesshafterkurdischerundchristlicherUntertanen.IneinigenEmiratengabesaucheinenomadischeBevölkerung.BeimHerrschervonBitlishieltensichnichtwenigeralssiebzigStammesführergleichsamalsGeiselnmitVorzugsbehandlungauf.IhreAnwesenheitbürgtefürdenGehorsamihrerStämme.DagegengehörtendiegroßenStammeskonföderationeninderProvinzDiyarbakırzukeinemEmirat.DieseKonföderationenbestandenaustürkischenundkurdischenStämmen,dieihreWinterquartiereamRandedersyrischenWüstehattenundsichimSommeraufdenAlmenzwischenErzincanundErzurumaufhielten.InderMittedes16.JahrhundertsbestandeinesolcheKonföderationaus7500Haushaltenmitca.2MillionenSchafen.KontaktezwischenStaatundStammesverbändenbeschränktensichhieraufdieEintreibungvonSteuern.DiewirtschaftlicheBedeutungeinerRegionbzw.einerStadtentsprach

nichtunbedingtihremHerrschaftsstatus.SowarBitlisinOst-Anatolien«nur»einAkradbeyliği,währenddasGebietHazoeinKürdhükumetiwar.DankderLagederStadtBitlisaneinerwichtigenHandelsrouteunddenzahlreichenKaufleutenundHandwerkerngabeseingroßesSteueraufkommen.KaufleuteundHandwerkerwarenmehrheitlichArmenierundAraber;zusammenmitdenchristlichenBauern,meistensArmenier,erwirtschaftetensiedengrößtenTeildesSteueraufkommens.DersandschaqbeyistrichunteranderemdieMarktsteuern,dieErträgeeinigerDörfersowiedieHälftederKopfsteuerdernicht-muslimischenEinwohnerein–dieandereHälftegingandenGouverneur.ManchmalerhobendieEmireauchAbgabenaufdieHerdenderStämme,wasimFallederWeigerungzuStrafexpeditionenundgewaltsamerEintreibungderSteuernführte.EsgabnochweitereEinheitendersteuerlichenAusbeutungdesLandes,beispielsweiseinderFormdestimar.SiewareninBitlisindenHändenvonStammesangehörigen,dieinderosmanischenArmeesipahi-Rängebekleideten.EineandereEinkommensquellestelltenFrommeStiftungendar,derenEinkünfteentsprechenddemfestgelegtenStiftungszweckwohltätigenZweckenzugutekamen,zumBeispieldemUnterhaltvonKoranschulen,VolksküchenundMoscheen.DieGrundsteuer(charadsch)wurdevon

einemBeamtendesvalieingetriebenundandenStaatsschatzabgeführt.WasdieGesellschaftsstrukturimEmiratvonBitlisbetrifft,sostanden

anihrerSpitzederEmirundseineFamilie.EineführendeSchichtvonStammesangehörigen(Agas)undNichtstammesangehörigen(hoheWürdenträger,Scheichs)wardarunterangesiedelt.DienichtzudieserElitezählendenStammesleutewarengeschiedeninPferdebesitzerundsolche,diekeinePferdehatten.DiestädtischeBevölkerungsetztesichzusammenausmuslimischenKurdenundausChristen,alsoArabernundvorwiegendArmeniern.DerkurdischeHerrscherstütztesichaufeinekampfbereite

militärischeGefolgschaft,diesogaruniformiertwar.ImKriegsfallkonnteaufweitere,nachTausendenzählendeReiterundFußsoldatenausdenStämmenzurückgegriffenwerden.DarüberhinauswareinJanitscharenregimentstationiert,daseinUntergebenerdesvalibefehligte.Qadi(Richter),mufti(Rechtsgelehrter,derRechtsgutachtenerstellt)undkommunaleBeamtewurdenvomEmirernannt,währendnormalerweisedieosmanischenRichtervomScheichül-Islam(demranghöchstenGeistlichenimReich,derzugleichmuftivonIstanbulwar)ernanntwurden.DieBesonderheitderSituationinKurdistanwirddadurchunterstrichen,dassdermuftidemschafiitischenRitusangehörte,derRechtsschule,derdiemeistenKurdenanhingen–undnichtdemhanafitischen,welcherderosmanischeStaats-Rituswar.AuchimEmiratvonBaban(HauptortSulaimaniya)existierteeine

komplexeVerwaltungsorganisation,innerhalbderereineganzeReihevonÄmternihrenosmanischenVorbildernnachgebildetwaren.NominellgehörteeszumOsmanischenReich;defactoversuchtendieEmireaufdemschmalenGratderUnabhängigkeitzwischenOsmanenundPersernzuwandeln.WeildieOsmanenKurdistan,wennüberhaupt,nurumdenPreiseinermassivendauerhaftenPräsenzmitentsprechendenKostenhättenhaltenkönnen,nahmensiedieQuasi-UnabhängigkeitderEmirateinKauf.AuseigenerKraftwärendieseEmiratenichtinderLagegewesen,einesolcheMachtstellungzuerreichen.EswarenabernichtnurerblicheHerrschaftenwiejenevonBaban,die

ausdenRivalitätenderbeidenMächteNutzenzogen.Inder

unmittelbarenGrenzregionmangelteesnichtan«Grenzgängern»,alsoanStämmenundHerrschern,die,jenachdem,wasdiebeidenSeitenzubietenhatten,sichfürdieeineoderandereentschieden,dieseEntscheidungaberschnellwiederumstießen,wenndieandereSeitemehrbot.BezeichnendfürdiesegeschmeidigeAnpassungistauch,dasseinVerwandtereinesStammesführershäufigaufderanderenSeitezufindenwar.ImBedarfsfallstanderbereit,umdenStammzuführen,wennmandieSeitegewechselthatte.DieDynamikdieserraschwechselndenVerhältnissebotdenbeidenGroßmächtenreichlichAnsatzpunkte,umdieStämmeundihreBeziehungenuntereinanderfürihreeigenenZieleeinzusetzen.ÜberdieLageimpersischenTeilKurdistansistweitausweniger

bekanntalsüberjeneimosmanischenTeil.KurdischeHerrscherfungiertenalserblicheundquasi-autonomeStatthalterderZentralregierung.DerGrundfürdieseRegelungwarderselbewieaufderosmanischenSeite:DierandständigeLageKurdistanssowiedienomadischeLebensweisederBevölkerungließenesratsamerscheinen,sichdereinheimischenHerrscherzubedienen.AlsGegenleistungfürdieEntsendungvonSoldateninsSafawiden-HeerwurdendieVorrechtederLokalherrscheranerkannt.SoverliehzumBeispielSchahTahmasp(regierte1524–1576)imJahr1553anChalilChan,denChefdesSiyahMansur-Stammes,großeGebieteumZendschanundSultaniye(zwischenTabrizundTeherangelegen)als«Lehen»(yurtbzw.ocaklık,s.o.).InIranderSafawidenragtedasFürstentumArdalan(ZentrumSenna,

auchSanandadschgenannt)unterdenkurdischenHerrschaftenhervor.DieAusdehnungderHerrschaftüberArdalanfielungefährzusammenmitdenGrenzendermoderneniranischenProvinzKurdistan.NochbisweitindiezweiteHälftedes16.JahrhundertsstandArdalanunterosmanischerOberhoheit.ZuBeginnseinerHerrschaftunterwarfsichHolouChanSultanMurad(regierte1574–1595);dieswarwohleinederuntenerwähnten«SündendesUngehorsams».HolouChanunterhieltaberauchguteBeziehungenzudenSafawiden,sodassdasScharafnameihmeine«unvergleichlicheSelbständigkeitinderHerrschaft»attestiert.6EswarenabernichtnurdieGroßmächte,welchedieAmbitionenderArdalan-Fürstenbeschränkten.DieseErfahrungmussteTimurChan

SultanAliBeg,derBruderundVorgängerHolouChans,machen:«ErstandbaldaufderSeitederOsmanen,baldaufjenerderKhyzylbaschen[d.h.derSafawiden]undbrachtefortwährenddiebenachbartenFürstenringsumgegensichauf,indemermitihnenFehdenführteunddieräuberische,plünderndeHandinihreLandeausstreckte».7DieNachbarntatensichgegenihnzusammen,brachtenihmeineschwereNiederlagebeiundnahmenihngefangen.DieArdalanwarenursprünglichwohlSunniten.Tendenzenzur

Schiitisierungwarenpolitischbegründet,ÜbertrittereinäußerlicherNaturundoffenbaraufdieFührungsschichtbeschränkt.EsscheintzwischenihnenunddenschiitischenSafawidenkaumProblemegegebenzuhaben,vielleichtmitAusnahmedesfrühen18.Jahrhunderts,alsnunmehrvomHofentsandteStatthaltersichzunehmendindieBelangedesHerrscherhauseseinmischten.ChanAhmadChan,einerderGroßenvonArdalan,wareinengerVertrauterdesSafawiden-SchahsAbbasI.(1587–1629).SeineGeschichte,diedasVerhältniszwischendenArdalan-FürstenunddemSchahaufdereinenunddasMisstrauenzwischenVaterundSohnaufderanderenSeite(sowiedenBrauch,dasskurdischeFürstenals«Pfand»bzw.GeiselnamHofsichaufhaltenmussten,umsobeiIlloyalitätihrerUntertanenzurRechenschaftgezogenwerdenzukönnen)veranschaulicht,erzähltderpersischeHistorikerIskandarMunschi(1560–1633):«WeiterhinetablierteindiesemJahrChanAhmadChan,derSohnvonHolouChanArdalan,seineHerrschaftüberseineererbtenGebiete.Wiebereitserwähnt,warimJahrzuvorChanAhmadChan,dervonKindesbeinenanindergnadenvollenObhutdesPalasteserzogenwordenwar,freigelassenundzuseinemVaterzurückgeschicktworden.DerPlandesSchahswar,ChanAhmadChannachdemTodseinesVaters,derbereitseinhohesAltererreichthatte,alsNachfolgereinzusetzen.AberwiealleMenschenklammertesichauchHolouChan,solangenocheinFunkeLebeninihmwar,anseineirdischenGüter,insbesondereweilsieHerrschaft,MachtundStatusumfassten.ErhattedenVerdacht–Gottbehüte–,dassseinSohnihmdieMachtentreißenkönne,undweigertesich,ihnzuempfangen.AufAnrateneinigerseinerKämpferteilteerihmLandimGebietvonSchahrezorzuunddieBurgvonZalm.EineAnzahlvonAngehörigenderArdalanschlossensichChanAhmadChanan.UnruhestifterbewirkteneineVerschlechterungderBeziehungenzwischenVaterundSohn.SchließlichbrachenKämpfezwischenbeidenSeitenaus.ChanAhmadChan,derAngstvorseinemVaterhatte,zogsichzunächstzurück.ImselbenJahrverließHolouChanseinenHerrschaftssitzinHasanabad,umdieVerstärkung

einerseinerFestenzubeaufsichtigen.ChanAhmadChannutzteseineAbwesenheitaus.MitListundTückeschlichersichmiteinigenLeutennachHasanabad,nahmdieFestungeinundbemächtigtesichdesVermögens,dasseinVaterjahrelangangehäufthatte.ErversprachdenStämmenundClanenderArdalanBelohnungenundVergünstigungen.Daraufhinschlossensich

vieleihrerFührerChanAhmadChananunderkanntenihnalsihrenHerrscheran.AlsHolouChanderLagegewahrwurde,bliebihmnichtsanderesübrigalssichzubeugen.WegenseineshohenAltersundseinerGebrechlichkeiterteilteseinSohnihmdieErlaubnis,sichzumHofdesSchahszubegeben.ErbatdenSchahumVerzeihungfürdieSündendesUngehorsams.DieserverziehsieihminAnbetrachtderTatsache,dassHolouChanseinenSohnandenHofentsandthatte,umdemSchahzudienen–obwohlerdazuverpflichtetgewesenwar…AnschließendsandteihnderSchahnachIsfahan,damiterdortdenRestseinerTageverbringe».8UnterSchahAbbasII.(1642–1666)wurdeSulaimanChanArdalan,derNachfolgervonChanAhmadChan,desVerratsbezichtigt.SeineeigenenLeuteverdächtigtenihn,dassermitseinemHabundGutinsOsmanischeReichhabefliehenwollen(wiedieseinigeJahrzehntezuvorScharafad-Din,derVerfasserdesScharafname,getanhatte).DaraufhinwurdeseineAblösungalsStatthalterverfügtundseinältesterSohnmitderNachfolgebetraut.Dasheißt,dieIlloyalitätwurdenurihmselbstangelastetundnichtaufalleFamilienangehörigenübertragen.TrotzsolcherperiodischauftretendenReibereiendauerteesbis1682,alsdasAmtdesGouverneursüberdaspersischeKurdistanerstmalsnichtvoneinemArdalanausgeübtwurde,wasauchzuBeginndes18.JahrhundertsmehrmalsderFallwar.DochbliebendiesAusnahmen,dennerstindensechzigerJahrendes19.JahrhundertswurdedieMachtderZentralregierungüberdiebisdahinvondenArdalankontrolliertenGebieteausgedehnt.DieBeschränkungderrelativenSelbständigkeitderKurdeninIranfällt

indieZeitderDynastiederQadscharen(1796–1925)undistinersterLinieaufsozioökonomischeVeränderungenzurückzuführen.DieQadscharenmusstensicheinerseitsmitkurdischenStammeschefsarrangieren,dieinihremGebietfreischaltenundwaltenkonnten;andererseitsbedientensiesichebendieserFührer,umsoihreHerrschaftindirektausübenzulassen;dieStammeschefswurdenmehroderwenigerindieStaatsverwaltungintegriert.DenStammesführernfieldieAufgabezu,Steuern(dieminimalwaren)einzutreiben,TruppenauszuhebenundfürSicherheitundOrdnungzusorgen.EineauchnurannäherndderHamidiyeimOsmanischenReichvergleichbareTruppegabesinPersiennicht(sieheS.84f.).EinerderHauptgründe,dieseindirekteHerrschaftanzuwenden,warderUmstand,dassdieQadscharenüberkeinstehendesHeerverfügten.EineunvermeidlicheKomponentederindirektenHerrschaftwardiePolitikdes«Teileund

herrsche».DieErzeugungvonRivalitätenunterdenvonihnenanerkanntenFührernwargeradezueineVoraussetzungfürihreeigeneHerrschaftssicherung,bewirktezugleichabereineandauerndeInstabilität.SozioökonomischeVeränderungenindenkurdischen

SiedlungsgebietenIranswarenverbundenmiteinemRückgangtribalerStrukturenundderzunehmendenBeschäftigungehemaligerViehzüchterinderLandwirtschaft.ImZusammenhangmitdemAnwachsenderSesshaftigkeitihrerStammesangehörigenerwarbenAgasLandtitelundließensichzumTeilindenStädtennieder,waszueinerSchwächungderStammesbeziehungenführte.EinegewisseDifferenzierungderkurdischenGesellschaftmachtesichbemerkbarinunterschiedlichenHaltungenzurVerfassungsrevolutionimJahre1906.WährenddieStammesführerdieMonarchieunterstützten,dieihnenimmernocheinengewissenPlatzinderVerwaltungshierarchiesicherte,begrüßtenstädtischeKurden,beispielsweiseinSenna,Saqqez,UrmiyaundKermanschah,dieVerfassungsbewegung.MehralsdreiJahrhunderte,vonderMittedes16.biszumBeginndes

20.Jahrhunderts,bildetendieFürstentümerinKurdistandieGrenzezwischenOsmanenundPersern.DieseKontinuitätlässtdiehäufiggebrauchteBezeichnung«Zankapfel»fürKurdistanalsetwasübertriebenerscheinen,zumalderVertragvonQasr-iSchirin(auchZuhabgenannt,unweitderiranisch-irakischenGrenzeanderStraßevonBagdadnachTeherangelegen)imJahre1639einehundertJahrewährendePeriodedesFriedenszwischenbeidenReicheneinleitete.Auchdieimmerwiederbehauptete«Teilung»KurdistansdurchdenVertragwirddenTatsachennichtgerecht.Erstensexistiertevorherkein«ungeteiltes»Kurdistan;zweitenswurdendieangeblichen«Teile»Kurdistansnichthermetischvoneinanderabgeriegelt.DennnachwievorüberquertenNomadenaufihrenWanderungendiese«Grenze».ManmusssichvorAugenhalten,dassesdamalsausMangelanÜberwachungfestumrisseneGrenzennichtgebenkonnte.WederGrenzpostennochGrenzpfähleexistierten,undinderTatbestehtderVertragausnichtmehralsBestimmungendarüber,welcheOrteosmanischoderpersischseinsollten.DahergabesauchkeineBeschränkungenfürdieWeidewanderungenderKurden.Man

könntehöchstensdavonsprechen,dassmitdemVertragdieInteressensphärenbeiderReicheabgegrenztwurden.ErstzuBeginndes20.Jahrhunderts(Istanbul1913)wurdevoneinerbritisch-persisch-russisch-türkischenKommissioneinegenaueGrenzziehungfestgelegt.

3.Das19.Jahrhundert:OsmanischeReformen,ausländischeEinflüsse

undkurdischeReaktionen

DieMachtverteilunginKurdistan,bestimmtdurcheineschwacheosmanischeKontrolleundweitgehendeUnabhängigkeitkurdischerHerrscher,währteimGroßenundGanzendreiJahrhunderte.IndessengabesnochzuBeginndes19.JahrhundertserfolgreicheVersuchekurdischerFürsten,sichaufKostenderZentralgewaltzuprofilieren.DemExpansionsdrangdesEmirsvonSoran(HauptstadtRawanduz),MuhammadPascha,derwegenErblindungeinesAugesMîr-ikora(«blinderFürst»)genanntwurde,fielendieNachbaremirateimNorden(Bahdinan,HauptstadtAmadiya)undimSüden(Baban,ZentrumSulaimaniya),diedurchinnereFehdenstarkgeschwächtwaren,zumOpfer.AlleindasFürstentumBotanhieltstand.Verantwortlichdafür,dassnichtnurMîr-ikorasExpansion1836zumStillstandgebrachtwurde(derEmirwurdeexiliertundspäterermordet),sondernauchdieübrigenEmirateimLaufderZeiteliminiertwurden,warenvornehmlichdreiFaktoren:dasAnwachsenausländischerEinflüsse,dieZentralisierungsbemühungenderHohenPforteunddieKonfrontationmitdemvonderPforteabgefallenen«Vizekönig»vonÄgypten,MuhammadAli.InderMittedes19.JahrhundertswarKurdistankeinabgeschlossenes

GebietohneVerbindungzurAußenweltmehr.WestlicheStaatenverstärktenihrenEinflussdurchdieEinrichtungvonSchulen,

Missionsstationen,KrankenhäusernundKonsulaten.MehrundmehrmischtensichfremdeMächteindieinnerenAngelegenheitendesReichesein,indemsiealsSchutzherrenderchristlichenMinderheitenauftraten.AmbedrohlichstenwarendieExpansionsgelüsteRusslands.NachdenGebietsverlustenaufdemBalkanbemühtesichdieosmanischeRegierung,wenigstensimOstenihreMachtzustabilisieren.Anatolienerhieltnichtnurterritorial-militärisch,sondernauchideologischeinenhöherenStellenwert.InAnlehnunganwestlicheModelleversuchtedasReich,dieVerwaltungzureformieren.UnterSultanMahmudII.(regierte1808–1839)wurdenMaßnahmenergriffen,umdieAutoritätderZentralregierungdurchzusetzen.DurchdenVersuchderPforte,SteuernundandereLeistungeneinzutreiben,sahenkurdischeEmireihreMachtundPrivilegiengefährdetundleistetenWiderstand,deraberlangfristigerfolgloswar.IneinemmehrereJahrzehntewährendenProzesswurdendieEmireausgeschaltet.WasdenStaatimUnterschiedzuvergangenenJahrhundertenbefähigte,dieKurdenandieKandarezunehmen,wardiekurzzuvormitausländischerHilfereorganisierteArmee.DieFeuertaufederTruppender«neuenOrdnung»(yeninizam)fandinKurdistanstatt.NachderNiederschlagungeinesdervielenAufständewurdeeigenseine«MedailledesSiegesüberKurdistan»geprägt.Dieszeigt,dassdieOsmanen–imUnterschiedzurHaltungderrepublikanischenTürkeigegenüberdenKurden–denüberwiegendkurdischenCharakterOst-Anatoliensnichtleugneten.Seit1831befandsichdasOsmanischeReichinkriegerischenAuseinandersetzungenmitseinemabgefallenen«Vasallen»MuhammadAli,dersichdefactozumunabhängigenHerrscher(1805–1849)überÄgyptenaufgeschwungenunddasLandzueinerbedeutendenRegionalmachtgemachthatte.DerSchauplatzderKonfrontationwarvorallemSyrien,wobeiderGrenzenaneinanderstießen.EinemehrjährigePhasedesStillstandsindenAuseinandersetzungenMittederdreißigerJahremachtedieVersorgungderosmanischenTruppen–etwa50.000anderZahl–ausderRegionerforderlich.DiezudiesemZweckveranstaltetenFeldzügewarenderAuftaktzurUnterwerfungKurdistans,diesichmithinkeinemzielgerichtetenVorgehenverdankte,sonderneherderKonfrontationmitMuhammadAli.DerProzessderEingliederungKurdistansindie

osmanischeVerwaltungsstrukturzogsichübermehrereJahrzehntehin.EinerPeriodederIntensivierungosmanischerKontrollefolgteeineZeitderLockerung,bisdanngegenMittedesJahrhundertsdieZentralregierungendgültigdieOberhandgewann.DerVerlaufderRebelliondesEmirsvonBotan,BedirChan,veranschaulichtdieStrategiendesWiderstandskurdischerFürsten.DieserfestigteseineHerrschaftdurchdieBildungvonAllianzenmitmuslimischenundnestorianischenStammesführernunddieGewährleistungvonOrdnungundSicherheit.ImBemühen,seineMachtgegenüberderHohenPfortezudemonstrieren,überzogerallerdings,alsersichweigerte,SoldatenfürdenosmanischenFeldzuggegenRusslandzustellen.DiefälligeStrafaktionderOsmanenließnichtlangeaufsichwarten.1838wurdedieHauptstadtBotans,Cizre,belagert.BedirChanmusstekapitulieren,verlorabernichtseinAmt.AlsimJahrdaraufdieosmanisch-ägyptischenKampfhandlungenwiederaufgenommenwurdenundderKernraumdesReiches,Anatolien,bedrohtwar,stürztesichBedirChananderSpitzeseinerLeutefürdieOsmanenindieSchlacht.AberdieBegeisterungderKurdenfürdieosmanischeSachedürftenichtsehrausgeprägtgewesensein.DieNiederlageinderSchlachtvonNisib/NusaibinimJahre1839wardemRufdesosmanischenStaatesinKurdistannichtförderlich.BedirChanwurdedadurchzudemVersuchermuntert,diegeradeerstangezogenenFesselnderosmanischenVerwaltungwiederzulockern.Esgelangihm,großeTeileKurdistanserneutunterseineKontrollezubringen.DerdamaligeosmanischeMilitärberaterundspäterepreußischeGeneralfeldmarschallHelmuthvonMoltke(1800bis1891),derdieFeldzügegegendiekurdischenEmirateausallernächsterNähemiterlebte,schreibt:«MitdemTagevonNisibhattedieHerrschaftdesPadischahs[desosmanischenSultans]überdaskaumerstbesiegte,aberniewirklichunterworfeneKurdenvolkfaktischaufgehört.ManhattekeineMachtmehrüberdieGebirgsbewohner,undsoließmansieebenzufrieden.Jetzt,woenglischeundösterreichischeKanonenderPfortefreieHandinAsiengeschafft,fordertdieRegierung,wiefrüher,AbgabenundFronen,GeldundRekruten,undsofortistderAufruhrda,oder,wenneresnochnichtist,sowirderinnächsterZukunftunausbleiblicheintreten».1

WasletztendlichBedirChansSturzunddieExilierungseiner«Dynastie»herbeiführte,hattemitdenweitreichendenVeränderungenderMachtverhältnisseinKurdistanzutun.DasBemühenchristlicherMissionareumdieNestorianernährtebeidiesendieHoffnung,dievonihnenalsJochempfundenemuslimischeHerrschaftabzuschütteln.ImJahre1843weigertesicheineKonföderationnestorianischerStämme,demEmirvonHakkariTributzahlungenzuleisten.DieserwandtesichanBedirChanumUnterstützung.DemMassaker,dasandenNestorianernverübtwurde,wurdeimWestengroßeAufmerksamkeitzuteil.GroßbritannienundFrankreichführtenBeschwerdeundverlangtenStrafmaßnahmen.DieszwangdieHohePforte,EmirBedirChan1847insExilzuschicken.DerMangelanRechtundOrdnung,derdurchdenWeggangdesEmirshervorgerufenwurde,wurdesowohlalsgestiegenerchristlicherEinflussalsauchalsWillederosmanischenRegierungverstanden,dieMachtderKurdenzubeschneiden.DieanschließendeMachtzersplitterungführtezueinemAnwachsenvonKonfliktenunterdenStämmen.NachderNiederlageimKriegmitRussland(1878),denVerlustenaufdemBalkanunddemdarausresultierendenPrestigeverlustdesReicheskehrtenzweiSöhneBedirChans,diekurdischeRegimenterinderosmanischenArmeegeführthatten,nachBotanzurück.AlssichderÄltere,Osman,zumHerrschererklärte,unterstützteihndieMehrheitderStämme.ErnahmdiePrärogtivenseinesVaterswiedieNamensnennunginderFreitagspredigt(chutba)fürsichinAnspruchundbrachtesoseineAutoritätzumAusdruck.AberseineHerrschafthattekaumeinJahrBestand.DieNachkommenBedirChanssuchtenihrenAhnherrnzumerstennationalistischenFührerderKurdenzustilisierenunddieAusdehnungseinesEmirats,dassichvonMosulbiszumVan-SeeundvonDiyarbakırbiszurpersischenGrenzeerstreckte,alsBemühungumeinvereintesKurdistandarzustellen.Dieslässtsichnichtbestätigen,denndieRebellionBedirChanswieauchdieandererkurdischerEmireim19.JahrhundertunterschiedsichkaumvontraditionellenVersuchen,dieHerrschaftderZentralregierungabzuschüttelnunddadurchdeneigenenMachtbereichzuvergrößern.DieErhebungenscheiterten,weildiemilitärischenStrategien,AusrüstungundAusbildungderEmirate

denenderOsmanenunterlegenwaren.DieFürstenhandeltenunabhängigvoneinander;siewarennichtvoneinerübergreifendenkurdischen«Idee»motiviert,ihr«Kurdentum»gegendie«Türken»zuverteidigen.LetztlichwarendieKurdenherrscherdemVersuch,sichzugunstengrößererErfolgsaussichtenmitanderenFührernzusammenzutun,ebensowenigzugetanwieeinerUnterwerfungunterdieZentralmacht.DieAufständerichtetensichnichtgegendieosmanischenSultaneselbst.InsbesondereinihrerRollealsKalifen,alsgeistigeFührerallerMuslime(derislamischenGemeinschaft,umma),wurdensievondenKurdenanerkannt.Diesumsomehr,alsimZusammenhangmitderÖffnungderKurdengebietenachaußendieSpannungenzwischenChristen(Armenier,Nestorianer)undMuslimenzunahmen.DerbislangdieKurdenbegünstigendeStatusquo–siehattengewohnheitsrechtlichdenAnspruch,sichselbstundihreTiereindenWintermonateninarmenischenDörferneinzuquartieren(qıschlaq)–ändertesich,nachdemdieChristendurchFörderungvonMissionarenihreLageverbessertenundselbstbewusstergegenüberihrenmuslimischenNachbarnauftraten.ZusätzlichwurdensieermuntertdurchForderungeneuropäischerMächtenachmehrRechtenfürdiechristlichenUntertanendesOsmanischenReiches.ChristlicheBauernfühltensichermutigt,kurdischenLandbesitzernPachtzahlungenzuverweigern.WenndieKurdeninsolchenFällen(oderauchimFalledesBausvonKirchenundKrankenhäuserndurchMissionare)Widerstandleisteten,veranlasstendieVertreterderGroßmächtebeiderHohenPforteStrafmaßnahmengegenStammesführer.DieKurdenempfandendaherdieosmanischenVerwaltungsreformenunddasgestiegeneSelbstbewusstseinderChristenalszweiSeiteneinundderselbenMedaille,nämlichalsVersuchderUnterwerfungderMuslime.SogarderMesopotamien-ArchäologeundLandeskennerAustenLayard,derdenkurdischenStammesführernundihrerBehandlungderChristenkritischgegenüberstand,äußerteVerständnisfürdieÄngstederKurden.IndenAugenderKurdenoffenbartesichdieSchwächederRegierungnichtnurinNachgiebigkeitgegenüberwestlichenStaaten,sondernauchinderUnfähigkeit,AlternativenzudenbisherigenMachtstrukturen

aufzubauen.DerStaatwarweitdavonentfernt,seineVorrechte,beispielsweisehinsichtlichSteuereinziehungundKonskription,durchsetzenzukönnen.DiedirekteKontrollebeschränktesichaufeinigeZentrenwieCizre,SulaimaniyaundBitlis,woGarnisonenstationiertwaren.DerStaatvermochtenicht,öffentlicheSicherheitherzustellen,weildiehäufigwechselndenStatthalterüberkeinerleiAutoritätbeidenStämmenverfügten.JetzthattennichtmehrdieEmire,sondernosmanischeProvinzgouverneure(valis)undkurdischeStammeschefsdasSagen.DievaliswarenangewiesenaufdieAgas,umvorOrteinigermaßenpräsentzusein.DasführtezueinerVerschlechterungderLagederBevölkerunginKurdistan.DurchdiegewissermaßendoppelteHerrschaftwurdendieUntertanenzweimalzurKassegebeten:vonderPforte,diejährlichTruppenzurSteuereinziehungentsandte,undvondenAgas.EngverbundenmitdemUntergangderEmiratewardasWachstumreligiöserBruderschaften.DieNaqschbandiyaundQadiriyahattensichzuBeginndes19.JahrhundertsraschinKurdistanausgebreitet,obwohlihreWurzelnindemGebietweiterzurückreichen.DieOsmanenhattendieNaqschbandiyawegenihrersunnitisch-orthodoxenHaltungseitjeherbegünstigt.DasGefühlderUnsicherheitinderBevölkerungKurdistanssteigertediePopularitätderBruderschaften.IndenerstenJahrzehntendes19.JahrhundertshattedieNaqschbandiyaeinProgrammzurStärkungdesIslamsundzurAbwehreuropäischerExpansionentwickelt.DieMehrzahlderStammesführerwarenMitgliedersolcherBruderschaften.DieBevölkerungübertrugihreLoyalitätaufdieScheichsdieserOrden.DieZugehörigkeitzudenBruderschaftenwarnichtidentischmitdemGebiet,daseinStammbeherrschte.SieüberstiegalsoStammesgrenzen,sodassScheichsinderLagewaren,beiStreitigkeitenunterdenStämmenzuvermitteln.DieStellungderScheichswurdedadurchgestärkt,dasssienachVerlustderüberkommenenMachtstrukturendieeinzigverbleibendeAutoritätdarstellten,welcheüberdieeinzelnenStämmehinausging.DieScheichsübernahmenalsoeineFunktion,diebislangEmireinnegehabthatten.DieScheichswarenunterschiedlicherHerkunft.EinigestammtenausAga-Familien,andereausbäuerlichenVerhältnissen.DieAutoritäteines

ScheichshingabvonseinemTalent,Allianzenzuschmieden,undvonseinemCharisma,daswesentlichaufmagischenundmedizinischenFähigkeitenberuhte;fernervonseinerAbkunftvomProphetenundschließlichvonseinerwirtschaftlichenMacht.EtlicheScheichskonntenaufgrunddergenanntenPositionenundFähigkeiteneinansehnlichesVermögenanhäufen.MandarfdieScheichsinderkurdischenGesellschaftnichtverwechselnmitAsketenundMystikernvergangenerJahrhunderte,diesichfüreinLebeninArmutundBescheidenheitentschiedenundjeglicheNähezu«weltlichen»InstanzenundMachthabernzuvermeidentrachteten.Eswarnurfolgerichtig,dassStämmeundClanesichumstarkespirituelleFührerscharten,umdieBedrohungenabzuwehren,diealsgegendenIslamgerichtetempfundenwurden.DieMitgliedschaftindenOrdenbrachtedieErfahrungmitsich,einerdenStammtranszendierendenGruppeanzugehören.WeildieKonfliktezwischenAnhängernverschiedenerReligionenentstandenwaren,wurdensieinreligiöseGegensätze«übersetzt».UnterdiesenVoraussetzungenverwundertesnicht,dassanderSpitzederbedeutsamstenundammeistendiskutiertenRevoltedes19.JahrhundertskeinEmir,sonderneinScheichstand.DerNaqschbandiya-ScheichUbaidullahwardererstekurdischeFührer,dereinegroßeAnzahlvonStämmengegendieHohePfortemobilisierte.ErbegründeteseinZielderEtablierungeinesunabhängigenKurdistanmitderschlechtensozialenLageundderKorruptionsowiedemAmtsmissbrauchvonBeamten.UbaidullahundseineAnhänger,dieimtürkisch-russischenKrieginderosmanischenArmeegekämpfthatten,befürchtetenoffenbar,dassnachdemBerlinerKongress(1878)unterdemDruckderGroßmächtediePfortedenArmenierneinenunabhängigenStaatinOst-Anatolienzugestehenkönne.DerScheicherklärteseineErgebenheitgegenüberdemSultanundzogmitseinenLeutenaufpersischesTerritorium,umdorteinGebietfürseineAspirationenzufinden.DeriranischenRegierunggelangesaber,ihnüberdieGrenzenachAnatolienzuvertreiben.AufihrenDruckhinwurdeUbaidullahvonderPforteexiliert.IneinemBriefaneinenamerikanischenMissionarbetonteUbaidullah,dassdieKurdenein«eigenständigesVolk»seienundihre

Angelegenheitenselbständigregelnwollten.AufdenerstenBlickscheintessichumeineManifestationkurdischenNationalgefühlszuhandeln,findensichdochdieKonturennationalerIdentität,nämlichderWunschnachSelbstbestimmungeinerethnischenGruppe.Aberesistbezeichnend,dassdieseWorteineinemBriefaneinenAusländergebrauchtwurden.AlsZeugenentsprechenderarmenischerStrategienhattenkurdischeFührerdieVorteilegesehen,welchedieAnerkennungals«Nation»mitsichbrachten,umUnterstützungaußerhalbdesOsmanischenReicheszuerlangen.Esmussbezweifeltwerden,dassUbaidullahs«nationalistische»AussageneinneueskurdischesSelbstverständnisbedeutetenoderseineAnhängermotivierten.EswarwenigerderRufnachUnabhängigkeit,derUbaidullahsLeutezudenWaffengreifenließ.WichtigerwarendiepersönlicheLoyalitätgegenüberdemScheichundsozialeBeweggründe.ZwarverübelteUbaidullahdemSultan,dassersichderKurdengegendiearmenischeBedrohungbediente.AbererstellteseineAutoritätnichtinfrage.DieKurdenscheineneingespaltenesVerhältniszumSultangehabtzuhaben.InsofernermitderRegierungidentifiziertwurde,wurdeeralsschwachempfunden.AlsKalifhingegenbesaßerungebrochenePopularitätunterdenKurdenundwurdevonihnenals«Beschützer»bezeichnet.InderTatpropagierteSultanAbdülhamid(regierte1876–1909)eineanderePolitikgegenüberdenKurdenalsSultanMahmud,derversuchthatte,siesichmitFeuerundSchwertgefügigzumachen.ErsterersahdieKurdenalsVerbündeteimKampfgegendasVordringenderGroßmächteunddenvonihnengeschürtenNationalismusunterdennicht-muslimischenMinderheiten,insbesonderedenArmeniern.AbdülhamidließirreguläreKavallerieeinheiten(Hamidiye)aufstellen,dieauskurdischenStämmenrekrutiertwurden.Dieab1890eingerichtetenHamidiye-Regimenterumfasstengut50.000Mann.AttraktivwardasHamidiye-ModellfürdieKurdendadurch,dassdieStämme,diesolcheRegimenterstellten,vonSteuernundderregulärenWehrpflichtbefreitwaren.DieEinheitenwarendurchihrenspeziellenStatusderJurisdiktionderProvinzbürokratieentzogenundnurderMilitärführungverantwortlich.SelbstgegendieschlimmstenVergehenschrittmannichtein,sodassdieHamidiyedenEindruckgewannen,dass

ihreVerfehlungenstaatlichsanktioniertwaren.WenneinProvinzgouverneurTruppenzurEindämmungvonKonfliktenzwischenHamidiye-StämmenundNicht-Hamidiye-Stämmenbzw.Armeniernanforderte,mussteersichandenOberkommandierendenderViertenArmee,ZekiPascha,einenSchwagerAbdülhamids,wenden.DieserhattekeinInteressedaran,dieChefsderHamidiyefürMissetatenihrerLeutezurRechenschaftzuziehen.IhmwaraneinerkampfesbereitenHamidiyegelegen,dieimKriegsfallTruppenstellenmusste.DieFührerderHamidiyewurdenaneinereigensgegründetenSchule(AschiretMektebi)ausgebildet,einerSpezialschulefürSprösslingekurdischerundarabischerStämme.DieseErziehungunddieErfahrungdesDienstesineinemausschließlichkurdischenRegimentmögenzwareinigepositiveAuswirkungenimHinblickaufdieStiftungvonSolidaritätunterdenKurdengehabthaben.AberletztenEndeswardieHamidiyedochnurdieFortsetzungeinesaltenSpielsmitneuenKarten,nämlichdieKurdengegeneinanderauszuspielen.DieGründungderHamidiyeschufeineneueMachtverteilungzwischendenverschiedenenGruppeninOst-Anatolien.GewinnerwarnichtunbedingtderStaat,sondernwarendiemächtigstenHamidiye-Chefs,die,wiezumBeispielIbrahimPaschaausViranşehir,nunmehrquasioffizielllegitimierteKurden-Führerwaren.EindeutigeVerliererwarendieArmenier.SiewarenderHamidiyemitihrenhäufigenÜberfällenausgeliefert;mitoffiziellerLegitimationundinUniformendesOsmanischenReicheskonntenkurdischeStämmeArmenieralsodrangsalieren,diesichzumZwecknationalistischerBestrebungeninParteienundKomiteesorganisierthatten.ImAuslandverstärktedieUnterdrückungderArmenierdasBildderKurdenalsprimitiv,unkontrollierbarundbrutal.DieFolgewar,dassdieSpannungenzwischenKurdenundArmeniernstiegen,undgenaudieswardasKalkülderPolitikAbdülhamids.AberauchunterdenKurdenselbsthäuftensichKonflikte.DieStämmenämlich,ausdenendieRegimenterrekrutiertwurden,konntensichleichtüberihreNachbarnerheben.EinweitererAspektdiesesinnerkurdischenKonfliktswar,dassHamidiye-RegimenterausschließlichaussunnitischenStämmengebildetwurden.DasführtezueinerBenachteiligungodersogarUnterdrückung

alevitischerStämme,diesichspäternichtamScheich-Said-Aufstandbeteiligtenbzw.ihnsogaraktivaufseitenderRepublikbekämpften.GegenEndedes19.JahrhundertsbotKurdistaneinBildderAuflösung,FraktionierungundtribalerKonflikte.SpannungenzwischendenStämmenwurdennurnochübertroffenvondensichverschärfendenGegensätzenzudenChristen.DasErstarkenderchristlichenMinderheitenunddieÜberlegenheitwestlicherStaatenwurdenalsBedrohungempfunden.Abdülhamidgelanges,diedarausresultierendenGefühlevonFrustration,AngstundAggressionineineFeindschaftgegendieArmenierzuverwandelnunddadurchmuslimischeIdentitätzustärken.AufdieseWeisebliebendieKurdenimosmanischenLagerverankert.

4.DerBeginndes20.Jahrhunderts:DasAufkommendes

NationalismusunterdenKurdenunddasEndedesOsmanischenReiches

ImletztenVierteldes19.JahrhundertsentstandenimOsmanischenReichimRahmenderModernisierungzahlreicheSchulenundHochschulen.KurdischeAbsolventendieserSchulenundderAschiretMektebibildeteneinedünneSchichtvonBeamten,OffizierenundÄrzten,dieeinInteresseanSprache,GeschichteundKulturihresVolkesentfalteten.WesentlicheImpulsefürihregeistigeundpolitischeBewusstseinsbildungempfingensieimeuropäischenExil.Dorthinflohensie,alsSultanAbdülhamiddieVerfassungaussetzte(1878)undbegann,Regimegegner,diesichvorallemausdenKreisenderJungosmanenundspäterenJungtürkenrekrutierten,unnachsichtigzuverfolgen.DiekurdischenIntellektuellenwarenvonseparatistischenodernationalistischenAnliegenweitentfernt.AlsTeilderjungtürkischen

OppositiongaltihrAugenmerkhauptsächlichderBeseitigungderAutokratiedesSultansundderVerbesserungdesVerhältnisseszwischenArmeniernundKurden.DieErfahrungdesgemeinsamenFeindesunddesExilsstifteteeingewissesZusammengehörigkeitsgefühluntertürkischenundkurdischenOppositionellen,daserstnachderJungtürkischenRevolution(1908)einerDistanzierungvoneinanderwich.Um1900gründetenkurdischeIntellektuelle,diezumTeil

AbkömmlingederEmirewarenwiedieBedirChansundBabans,ineinerZeitstrengerZensurdieerstenkurdischenZeitungen(Kürdistan1898)imAusland(Ägypten,England,Schweiz).IndiesenPublikationenwurdeKurdisch(Kurmandschi)zumerstenMalingedruckterFormalsProsaverwendet;bislangwarKurdischganzüberwiegendeineSprachederPoesiegewesen,unddiemeistenZeugnissewarenhandschriftlichüberliefertworden.DieZeitungenentwickeltensichzuForenfürdieArtikulierungkurdischerBelangeundinitiierteneineintensivereKommunikationunterihrenLesern.NatürlichverfolgtendieHerausgeberundGründerderZeitungenauchdasZiel,Führungsansprücheanzumelden.

Exkurs:DieerstekurdischeZeitung:KürdistanDieNachkommenkurdischerFürsten,dienachdengescheitertenAufständenseitderMittedes19.JahrhundertsKurdistanbzw.dasOsmanischeReichverlassenmussten,spielteneinewichtigeRolleinderEntwicklungdeskurdischenNationalismus.Einervonihnen,MiqdadMidhatBedirChan,gründetedieerstekurdischeZeitungnamensKürdistan1898inKairo.DerUntertitellautete:«ZeitunginkurdischerSprache…zurErweckungderKurdenundzurFörderungdesStudiumsderKünste».1RechtbalderschienenauchArtikelintürkischerSprache.GleichwohlistdieCharakterisierungderZeitungals«kurdisch»gerechtfertigt,weildieseundanderekurdischeZeitungen,dieindenfolgendenzweiJahrzehntenimOsmanischenReicherschienen,spezielldieKurdenansprachen.InKürdistanwurdenzumerstenMalProsa-TexteinkurdischerSprachegedruckt,undzwarimKurmandschi-DialektvonBotan/Cizre.DieHerausgeberundAutoren,diezurjungtürkischenOppositiongehörten,wandtensichvor

allemgegendieAutokratieSultanAbdülhamids.Siebeschuldigtenihn,durchdieEinrichtungderHamidiye-RegimenterZwietrachtunterdenKurdengesätundsiegegendieArmenieraufgehetztzuhaben.DieindenSpaltenderZeitungbeklagteRückständigkeitKurdistanswolltemanvorallemdurchBildungbekämpfen.DazugehörtedasWissenumkurdischeGeschichteundKultur,dasderHerausbildungeinesPatriotismus«unterdemtapferstenundklügstenderorientalischenVölker»2dienensollte.DasEposMamuZin,dasmitderZeitalseinerderwichtigstenBausteinenationalerBewusstseinswerdungBerühmtheiterlangte,wurdeinFortsetzungenabgedruckt.Religion,dassozialeundmoralischeBezugssystemderbreitenMasse,spielteehereineuntergeordneteRolleindenArtikeln.Daszeigt,wiegroßdieKluftzwischendenjenigenwar,dieinKürdistanschrieben,unddenKurden,dieinKurdistanlebten.

DieBestimmungkurdischerIdentitätunddasVerhältniszudenanderenVölkernimReichwarenherausragendeThemendeskurdischenDiskurses.FürdiemeistenKurdenstandaußerFrage,dasssieinersterLinieMuslime,dannOsmanenunderstandritterStelleKurdenwaren.KurdischeLoyalitätstelltedieBindungenanKalifatundSultanatnichtinfrage.EineTrennungvondenTürkenkonntensichdieseKurdennichtvorstellen.EswarbestimmtenZirkelnwiederStudentenvereinigungHivi(«Hoffnung»)vorbehalten,einausgeprägteresBekenntniszureigenenethnischenIdentitätzupropagieren.HiviriefnichtnurzurWiedererweckungderKurden,sondernauch–inbemerkenswerterÜbereinstimmungmitderTerminologieheutigerNationalismusforscher–zur«ErschaffungderkurdischenNation»auf.DerkurdischeArztundMitbegründerdesKomiteesfürEinheitundFortschritt(dieGeheimorganisation,ausderdiegleichnamigeParteiderJungtürkenhervorging),AbdullahCevdet(1869–1932),führteinseinenArtikelndasDilemmakurdischerIntellektuellereindringlichvorAugen:Kurdenwolltensiesein,aberauchloyaleOsmanen;fürsichwolltensiesein,abermitdenTürkenauch.

Abb.1:DieersteNummerdererstenkurdischenZeitungKürdistan

Einromantischer,zunächstfastausschließlichkulturellausgerichteter

Nationalismustratzutage.ImMittelpunktderAufmerksamkeitstandendiealsBlütezeitendesVolkesempfundenenPeriodenkurdischerMachtentfaltungwieunterSultanSaladin.FreilichstießendiekurdischenNationalistendererstenGenerationaufSchwierigkeiten,musstensiedochfeststellen,dassChronikenundDokumenteinkurdischerSprachefehlten,dieZeugnisüberdiesePeriodenablegen.Umsowichtigerwardie«Entdeckung»Ahmad-iChanisalsNationaldichter,weilseinMamuZindiekulturelleLeistungsfähigkeitderKurdenunterBeweisstellt.AllerdingswarenderVerbreitungdieserAnsichtenundderHerstellungeinerkurdischenÖffentlichkeitalleinschonaufgrundderhohenAnalphabetenrateGrenzengesetzt.SoriefmandiekurdischenHochschulabsolventeninIstanbulzurRückkehrinden‹SchoßderNation›auf:«WennwirFortschrittfürunserVolkwollen,danndürfenwirnichtweiteraufdengepflastertenStraßenIstanbulspromenieren.VielmehrmüssenwirindieentlegenstenEckenKurdistansgehenunddortDruckereiengründen».3NachderJungtürkischenRevolutionundderRückkehrderkurdischen

ExilantenbotsichdieMöglichkeitzurGründungmehrererkurdischerGesellschaften,welchezunächstnochdieKoexistenzmitdenTürkenbetonten.DochdieSolidarisierungderNationalitätendesReichesunterdemausderFranzösischenRevolutionentlehntenMotto«Freiheit,Gleichheit,Brüderlichkeit»warnureinStrohfeuer.TendenzeneinerDistanzierungvondenTürkenmachtensichbemerkbar.UnwissenheitundMangelanBildungwurdendafürverantwortlichgemacht,dassdieKurden«denFremdendienen»(d.h.denTürken).IndemMaße,indemdieTürkisierungspolitikdes«KomiteesfürEinheitundFortschritt»(IttihadveTeraqqiCemiyeti)zunahm(vondernichtnurdieKurden,sondernauchundvorallemdieAraberbetroffenwaren),wurdendieAnsichteneinigerKurdenradikaler,insbesondereimStudentenbundHivi.DiesführtezuSpannungenzwischendenverschiedenenGruppen.KurdischeNotabelnwarenvielfältigmitdentürkischenFührungsschichtenverbunden.SayyidAbdülqadir,SohndesobenerwähntenAufstandsführersScheichUbaidullah,warzugleichVorsitzenderder«KurdischenGesellschaftfürgegenseitigeHilfeundFortschritt»(KürdTeavünveTeraqqiCemiyeti)undPräsidentdes

OberhausesdesosmanischenParlaments.ZweifellosverbreitertesichdieBasisderkurdischenBewegungbiszumBeginndesErstenWeltkriegs.SelbstunterdengebildetenSchichtenbestandaberwenigAufnahmebereitschaftfüreine«nationale»,alsoaufkurdischeInteressenkonzentriertePolitik.LetztenEndesbliebdieZahlkurdischerNationalistenaußerordentlichgering,undsiestießenmitihrenAnsichtenaufwenigResonanz.MitEnttäuschungverzeichneteeinkurdischerNationalist,wieimErstenWeltkriegseineAgitationunterkurdischenOffizierenkeinGehörfand.IhreLoyalitätgehörtedemKalifenundihremStammundnichtabstraktenIdealenwiePatriotismusundNation.DerErsteWeltkriegendetemitdervernichtendenNiederlagedes

OsmanischenReiches.DasTriumviratEnver,CemalundTalatentzogsichdurchFluchtderVerantwortung,währendGriechenundAlliierteTeileAnatoliensundIstanbulbesetzten.InderwirreninnenpolitischenSituationentstandeinFreiraum,indemdieKurdenVereinigungengründeten,VeranstaltungenabhieltenundZeitungenherausgaben.DiesePhasemarkiertedenvorläufigenHöhepunktnationalerBewusstseinsbildungunterdenKurden.EsschiensicheineaussichtsreicheGelegenheitfüreineneigenenStaatzubieten.Der«VierzehnPunkte-PlanfürdenWeltfrieden»(8.1.1918)desamerikanischenPräsidentenWoodrowWilsonräumtedennicht-türkischenMinderheitendesOsmanischenReicheseine«autonomeEntwicklung»ein.DieimDezember1918gegründete«GesellschaftfürdenAufstiegKurdistans»(KürdTealiCemiyeti)hatallemAnscheinnacheinenhöherenGradanInklusionerreichtalsfrühereVereinigungen.ImUnterschiedzuderenZielenfehltenunjeglicherHinweisaufeineZusammenarbeitmitdenTürken,waseinerEntfremdungzwischenKurdenundTürkengleichkam.AberdieÜbereinstimmungunterdenMitgliedernderkurdischenGruppierungen,zudenenAristokraten,Offiziere,AkademikerundreligiöseWürdenträgergehörten,warehergering.1920spaltetesichdieGesellschaftüberdieFrage,obmanAutonomieoderUnabhängigkeitdenVorzuggebensolle.InzwischenhattesicheineBewegungformiert,anderenSpitzeder

erfolgreicheArmeegeneralMustafaKemal,derspätereAtatürk(so

lauteteseit1934seinFamilienname),stand.DertürkischeBefreiungskrieg,dasWerkdieserBewegung,richtetesichgegendieBesetzungAnatoliensundThrakienssowiedenVersuchderGriechenimWestenundderArmenierimOsten,sicheinStückausderKonkursmassedesOsmanischenReichesherauszuschneiden.MustafaKemalwarvonSultanMehmedVI.Vahdettin(regierte1918–1922)imMai1919beauftragtworden,dienachdemZusammenbruchderstaatlichenOrdnungherrschendeAnarchieinAnatolienzubeseitigen.ImGegensatzzudiesemAuftragmachtesichMustafaKemaldaran,dasmitdenAlliiertenkooperierende(unddahervonseinenGegnernderKollaborationgeziehene)AncienRégimezuentmachtenunddasLandvondenOkkupantenzubefreien.DamitexistiertenzweiMachtpole,nämlichdieSultansregierung,diemehroderwenigerunterKuratelderAlliiertenstandundderenMachtaufIstanbulundseineUmgebungbeschränktwar,unddieWiderstandsbewegung(u.a.unterdemNamenAnadoluveRumeliMüdafaaiHukukCemiyeti,«GesellschaftfürdieVerteidigungdernationalenRechteAnatoliensundThrakiens»),dieeinenwachsendenZulaufverzeichnete.DervonderSultansregierungunterzeichneteDiktatfriedenvonSèvres

(10.8.1920)verlangtedenTürkenumfangreicheZugeständnisseab,unteranderemdieAbtretungOst-Thrakiensundİzmirs(Smyrna)mitseinemHinterlandanGriechenland,SyriensundKilikiensanFrankreich,IraksundPalästinasanEngland.InArtikel64desVertragesvonSèvre,dervieleWennundAberenthielt,wurdedenKurdeneinunabhängigerStaatinAussichtgestellt.DassüdlicheKurdistansollteineinemvonEnglandzugründendenStaataufgehen,währendZentralkurdistan,alsoeinTeilOst-Anatoliens,MittelpunkteineskurdischenStaateswerdensollte,derabernureinDritteldervonKurdeningrößererZahlbewohntenGebieteimOsmanischenReichausgemachthätte.DieseBestimmungenwarendasErgebnisvonVerhandlungen,dieeinekurdischeDelegationunterFührungdesehemaligenosmanischenDiplomatenScherifPaschabeidenFriedensverhandlungenerzielthatte(März1919).BedenkenderSiegermächtewegenderÜberschneidungmitarmenischenGebietsansprüchenkonntendurchdieÜbereinkunftScherifsmitdemarmenischenDelegiertenBoghosNubarPascha

zerstreutwerden.DieTeilungderOstprovinzendesOsmanischenReichesineinarmenischesundeinkurdischesGebietbildetedanndieGrundlagefürdieentsprechendeKlauselimVertragvonSèvres.IneinerDenkschrift,dieinSèvresvorgelegtwurde,forderteScherif

PaschafürdieKurdenUnabhängigkeitundbekundetezugleichLoyalitätgegenüberdemReich.DiesewidersprüchlicheHaltungspiegeltesichauchwiderindenMeinungsverschiedenheiten,welchedieErgebnissevonSèvresauslösten.ScherifPascha,dersichgewissermaßenselbstzumVerhandlungsführerernannthatte,besaßwenigRückhaltunterdenKurden.AlserdannderTeilungKurdistanszustimmte,wardieEmpörunggroß,weilvieleKurdendenVerlustderHeimatbefürchtetenundweniggeneigtwaren,ineinemarmenischenStaatzuleben.Hinzukam,dassdiegroßeMehrheitderKurdensichdemKalifatverbundenfühlte.EineFraktionradikalererNationalisten,diedemKalifatkeineBedeutungeinräumten,spaltetesichvonder«GesellschaftfürdenAufstiegKurdistans»abundbildeteeineeigeneGruppenamens«Sozialorganisation»(Teşkilat-iiçtimaiye).SieschickteeineDelegationzumamerikanischenKommissarinIstanbul,umdenWunschderKurdennachUnabhängigkeitzuartikulieren.DieserentließdieKurdenmitdenWorten:«Hilfdirselbst,dannhilftdirGott!»4OffenbarwarendieAmerikanertrotzderhehrenAbsichtserklärungen,wiesiedieWilson-Prinzipiendarstellten,keineswegsgewillt,denKurdenaktivzurSeitezustehen.InzwischenhattesichnämlichdasBlattgewendet.DieAmerikaner

undBritenwarenschonbaldaneinemkurdischenStaatnichtmehrinteressiert,weildieKurdenuneinsundgelähmtwaren.ImDezember1920warderTraumvoneinemarmenischenStaatausgeträumt,nachdemgroßeTeilediesesGebietsvonTruppenKemalsbesetztwordenwaren.DieKemalistenhattenanPopularitätgewonnen,eineRegierunginAnkaraetabliert(TürkischeGroßeNationalversammlung,1920)unddurchdenSiegüberdieGriechendieKontrolleübergroßeTeileAnatoliensgewonnen.DieAlliiertenwarenbeeindrucktvondenmilitärischenErfolgenundderPersonMustafaKemals.Dernotorisch«krankeMannamBosporus»befandsichimJahre1922aufdemWegederGenesung.

DiePerspektivenvonTürkenundKurdenwarenzuEndedesWeltkriegessehrverschieden.Esschien,alswürdendieKurdendieGewinnerunddieTürkendieVerlierersein.Wieistangesichtsdessenzuerklären,dassdieKurdensichaufseitenderTürkenamWiderstandgegendieBestimmungenvonSèvresbeteiligten?EsgabmehrereGründefürdieseHaltung.DiewenigenNationalistenmitihremZentruminIstanbulhattenestrotzlangjährigerAgitationnichtvermocht,einegrößereZahlvonKurdenhintersichzubringen.SchonimSommer1919gelangesMustafaKemal,sichderUnterstützungeinflussreicherKurdenführerzuversichern.Dasssieihmdiesenichtversagten,warausihrerSichtklar:KemalwarderKopfderBewegung,welchedieMachtinAnatolieninnehatteunddieseaufStammesführerundScheichsübertrug.IndasParlamentderNationalisteninAnkarazogendennauchzahlreichekurdischeNotabelnein.InderRhetorikderKemalistenwurdederBefreiungskriegzur

VerteidigungdesKalifatsgeführt.DieseInstitutionwareinBindegliedzwischenTürkenundKurden,dassieeintegegendieAspirationender«christlichen»Staaten.GanzbewusstsetztendietürkischenNationalistendieReligionimKampfgegendieOkkupation,insbesonderederGriecheninWest-Anatolien,undzurErlangungderSolidaritätderislamischenWeltein.AngesichtsderPrioritätmuslimischerIdentitätundLoyalitätderKurdenzumOsmanischenReichwaresverständlich,dassdiesesichaufdieSeitederKemalistenschlugen.Eswarebennichtmöglich,feinsäuberlichzwischenKurdenundTürkenzuunterscheiden;beidewarenjaAngehörigedermuslimischenReligionsgemeinschaft(millet)imOsmanischenReichgewesen.DieGemeinsamkeiteninReligionundKulturließensichnichtvonheuteaufmorgeneliminieren,zumalselbstinradikalerenkurdischenZirkelneineigenerStaatkaumernsthafterwogenwurde.DarüberhinauswarendieVorteile,dieihnendieKemalistenin

Aussichtstellten,konkreteralsdieäußerstvagenVersprechungenderGroßmächte,dieindenAugenderKurdendieVerantwortungfürdieVerschlechterungihresStatusim19.Jahrhunderttrugen.ZuRechtgingendieKurdendavonaus,dassfürdieAlliiertendievonihnendiktiertenBedingungenvonSèvreskeinGlaubensgrundsatzwaren.Es

gabZusicherungenderKemalisten,dieaufeineDezentralisierungundkulturelleAutonomiederKurdengebietehinausliefen.DerVertragvonLausanne(24.7.1923)hobdieBestimmungenvon

Sèvresimplizitauf.DamitwurdedieKonsequenzgezogenausdemerfolgreichenWiderstanddertürkischenNationalbewegunggegendieAufteilungKleinasiensunterdieAlliiertenunddievonihnenzunächstprotegiertenGriechenundArmenier.WährenddiesebeidenGruppenmitMinderheitenrechtenausgestattetwurden,fandendieKurdenkeineErwähnung,weilsiealsTeildermuslimischenMehrheitsbevölkerungangesehenwurden.DieKurden,dieindenKriegswirrennachWest-Anatoliengeflohenwaren,durftennichtinihreHeimatzurückkehren.VondenAutonomie-VersprechungenwarkeineRedemehr.DiekurdischenVereinigungenlöstensichauf,außerdemwarenetlicheihrerMitgliedergezwungen,insAuslandzufliehen,weilihnendurchihreKontaktezudenAlliiertendieVerhaftungalsKollaborateuredrohte.

DritterTeil

DieKurdenim20.und21.Jahrhundert

1.DieKurdeninderRepublikTürkei:Rebellion,Repression,

AssimilationundIntegration

NachderGründungderTürkischenRepublikschwandendieSolidaritätunddieLoyalität,welchedieKurdenimBefreiungskrieg(millimücadele)mitderkemalistischenBewegunggezeigthatten.DieswarimWesentlichendasErgebnisvonMaßnahmenzurSäkularisierungundTürkisierung,welchenachdemKonzeptderStaatsführungModernisierung(dermeistgebrauchteSloganlautete:Anschlussandie«zeitgenössischeZivilisation»,womitdieeuropäischegemeintwar)undnationaleHomogenisierungbewirkensollten.InsbesonderedieforcierteSäkularisierungunddiemassiveZurückdrängungdesinstitutionalisiertenIslamsstießenkeineswegsnurunterKurden,sondernauchunterTürkenaufWiderstand,weilsieihrereligiösenGefühleverletztsahen.DaswichtigsteBindegliedzwischenTürkenundKurden,dasKalifat,

wurdeabgeschafft.IndenWahlenzurGroßenNationalversammlungderTürkei(TürkiyeBüyükMilletMeclisi)imAugust1923warennurhandverleseneKandidatenderVolkspartei(HalkFırkası,dienachGründungderRepublikinCumhuriyetHalkFırkası,RepublikanischeVolkspartei,umbenanntwurde)erfolgreich.DieKurden,dieinsParlamenteinzogenund,wiezumBeispielFeyziPirinççizadeausDiyarbakır,Ministerämterübernahmen,warennationalistischerNeigungenunverdächtig.BeiderVergabehöhererBeamtenstellenwurdendieKurdenübergangen,diekeineGewährfüreineloyaleHaltunggegenüberderRegierungboten.GemäßArtikel39desLausannerVertragessolltenderöffentliche(z.B.

inderPresse)undprivateGebrauchallervontürkischenStaatsbürgern

gesprochenenSprachenzulässigsein(SchulenwarenindiesemArtikelnichtausdrücklicherwähnt).Kurdisch,dasalsSpracheindenstaatlichenSchulen–strenggenommenwarUnterrichtsspracheimmerTürkischgewesen–mehroderwenigergeduldetwordenwar,wurdenichtexplizitverboten,sondernindirektabgeschafft,indemimMärz1924diegeradeinKurdistanzahlreichenreligiösenBildungseinrichtungen(Sing.medrese)geschlossenwurden.GleichermaßenwurdeinArtikel39den«türkischenStaatsbürgernnicht-türkischerSprache»dieMöglichkeitdesmündlichenGebrauchsihrerMuttersprachevorGerichteingeräumt.ZwarbestandmanaufdemvorrangigenGebrauchdesTürkischen,aberdefactokonntenKurden,diedesTürkischennichtmächtigwaren,mitDolmetschernvorGerichterscheinen–einePraxis,dienachwievorgeübtwird.

Exkurs:MinderheitenindertürkischenRechtsordnungAusgangspunktfürdasVerständnisdesBegriffesMinderheitistderVertragvonLausanne(24.7.1923;Art.37–44).Danachgenießenallein–dienamentlichnichtgenannten–Griechen,ArmenierundJudenaufderBasisihrerReligionszugehörigkeitMinderheitenrechte.DieVorschriftendesLausannerVertragessindeineFolgedesosmanischenmillet-Systems.DieSiegermächte,diezunächstaufeineralleEthnienumfassendenMinderheitenregelungbestandenhatten,musstensichmitderErwähnungdernicht-muslimischenMinderheitenbegnügen.Nicht-türkischenmuslimischenMinderheitenwieKurden,ArabernundTscherkessenistdieserMinoritätenstatusnichtzugestandenworden;ihnenwurdeaberdermündlicheGebrauchihrerSprachenvorGerichtzugesichert.AllerdingswurdedieserPassus–imGegensatzzujenen,welchedienicht-muslimischenMinderheitenbetreffen–nichtunterdieGarantiedesVölkerbundesgestellt.DasPrinzipdesNationalismusdurchziehtdieVerfassung,inwelcherderBegriff«Minderheit»nichtvorkommt,wieeinroterFadenundfindetunteranderemimGrundsatzderunteilbarenEinheitvonStaatsgebietundStaatsvolkseinenAusdruck.EinweitererAspektdesMinderheitenverständnisseskommtmitdemPrinzipderGleichheitinsSpiel.LautVerfassung–diederzeitgültigestammtausdemJahre1982–darfniemandnachSprache,Rasse,Geschlecht,WeltanschauungundReligionunterschiedlichbehandeltwerden.DieserGrundsatzwirdinderTürkeialsAuftragdesStaatesverstanden,vorhandeneethnischeundreligiöseUngleichheitenabzubauenbzw.dieSchaffungeinerethnischenGruppezuverhindern.1InArtikel125desStrafgesetzbuchesistderTatbestanddesSeparatismus(«VergehengegendieinternationalePersönlichkeitdesStaates»)geregelt.DanachwirdmitdemTodebestraft,werversucht,TeiledesStaatsgebietsvomStaatswesenabzutrennenoderunterdieHerrschafteinesausländischenStaateszubringen.DerTatbestandistnurdannerfüllt,wenneineGefahrfürdasRechtsgutvorliegt,dieTatalsomit«geeignetenMitteln»begangenwird.DasAbfassenvonArtikelnmitentsprechendemInhaltistnochkeinSeparatismus;dazubedarfeseinesorganisiertenundumfassendenAnsatzes.DerFührerderPKK,AbdullahÖcalan,wurdeam29.6.1999wegenHochverratsgemäßArt.125zumTodedurchErhängenverurteilt.2002wurdedasTodesurteilineinelebenslangeFreiheitsstrafeumgewandelt.

IndessenwurdendiekurdischenGebietenichtsofortvoneinerSäkularisierungs-undTürkisierungswelleerfasst,unddieAuswirkungenderkemalistischenReformenwurdenauchnichtvonallenKurdengleichempfunden.DieDurchsetzungderReformenunddiePräsenzdesStaatesinderländlichenTürkei,nichtnurinOst-Anatolien,ließennochlangeaufsichwarten.DiekurdischenOffiziere,Stammesführer,ScheichsundstädtischenNotabeln,welchedieKemalistenunterstützthatten,warenenttäuscht.SelbstunterKurden,diefürnationalistischeIdeennichtvielübrighatten,machtesichVerbitterungüberdasjanusgesichtigeVerhaltenMustafaKemalsbreit.EinalterkurdischerBauerbrachtediesJahrzehntenachdenEreignissengegenüberdemSoziologenİsmailBeşikçiaufdenPunkt:«Nachwelchemvonbeidenfragstdu,dennesgibtzweiMustafaKemal.Einen,derwährenddesFeldzuges[gemeintistderUnabhängigkeitskrieg]einenStammesführernachdemanderenbesuchte,Kalifat,Sultanat,denPadischahundReligionwieGlaubenschützensowiegegendieUngläubigenkämpfenwollteunddafürvondenStammesführernHilfeerbat.Oderdenanderen,dernachdemFeldzugdenPadischahverjagte,diereligiösenSchulenschloss,demKoranundunsererReligionkeineBeachtungmehrschenkte?Nachwelchemvonbeidenfragstdu?»2EtlicheKurden,diesichinderNationalbewegungengagierthatten,warengezwungen,dieTürkeizuverlassen,wolltensiesichnichtwegenihreralsLandesverrateingestuftenKontaktezudenAlliierteneinerStrafverfolgungaussetzen.SiegingennachEuropa,SyrienundindenIrak.EinenEinblickindieGemütsverfassungkurdischerNationalistengewährtderoffeneBrief,deneinlangjährigesprominentesMitgliedderBewegung,ŞükrüMehmedSekban(1881–1960),wenigeTagenachLausanne–alsonochvorderAusrufungderRepublik–andenobenerwähntenPirinççizadeschrieb.DarinschlugSekbaneineSelbstverwaltungfürdievonKurdenbewohntenGebieteOst-AnatoliensunddenGebrauchdesKurdischenalsVerwaltungs-undUnterrichtssprachevor.ImZentrumseiner–mitunterwidersprüchlichen–ArgumentationstandindesdienachdrücklicheBeteuerungkurdischerLoyalitätgegenüberdenTürken.MitseinemHinweisaufkurdischeLoyalitäthoffteSekbanwohl,dieRegierungvon

ihrerbereitsinUmrissenerkennbarenAssimilationspolitikabzubringen.Erbetonte,dassdieKurdenzwarvondenTürkensprachlich-kulturellverschieden,aberbeideVölkerdurchdiegemeinsameGeschichteverbundenseien.SekbansAusführungengipfelnindemSatz:«KurdenundTürkensindeins.KurdebedeutetdasselbewieTürke».3DamitvollzogerdentürkischenStandpunktnach,freilichmitdemgravierendenUnterschied,dassgeradedieÜbereinstimmungzwischenKurdenundTürkenerstereneinenlegitimenAnspruchaufAutonomiebegründe.Esistnichtunwahrscheinlich,dassSekbanaussprachbzw.schrieb,wasvieleMitgliederderkurdischenBewegungdachten.ImÜbrigenwiederholteerdamitdieFormulierungen,dieKemalbisAnfang1923inseinenAvancengegenüberdenKurdengebrauchthatte.ObwohldiekurdischeBewegungeinigeihrerführendenKöpfedurch

Fluchtverlorenhatte,konntespätestens1923eineGeheimorganisationnamensAzadi(«Freiheit»)gegründetwerden,derenSchwerpunktinOst-Anatolien,vorallemumErzurumlag.UnterdenprominentenAzadi-MitgliedernwarensowohlStammesführeralsauchOffizierewieİhsanNuriundHalidCibran,dieinderosmanischenArmeegedientundimBefreiungskriegaufseitenderKemalistengekämpfthatten.DieseMilitärswarennichtkompromittiertdurchKontaktezudenAlliierten,wiediesbeidennunimExilbefindlichenNationalistenderFallwar.Esistbezeichnend,dassdieEtablierungvonAzadibereitsvorErlassderSäkularismus-Gesetzevon1924/25stattfand,alsokurdischerWiderstandgegendieRegierunginAnkaranichtallein–undvielleichtauchnichtinersterLinie–alseinKampfgegeneine«Atheismus-Politik»bzw.alsAntiklerikalismuszuverstehenwar.AzadihattemaßgeblichenAnteilamZustandekommeneinerKoalition

verschiedenerKräfte,derenFührungderprominenteNaqschbandi-ScheichSaidausPaluübernahm–wirerinnernuns,dassScheichsbereitsim19.JahrhunderteinewichtigeintegrierendeFunktioninderkurdischenGesellschaftausgeübthatten.SaidwarNationalistundreligiöserFührer;derAufstand,denerleitete,wareinnationalistischerAufstandinreligiösemGewand.DerAufrufzurRevolte,derSaidzugeschriebenwird,gebrauchtezunächstehereinenationalistischeTerminologiealsreligiöseAppelle.ErstinderMassenmobilisierung

setzteSaidseinereligiöseAutoritätein.ErerließreligiöseGutachten(Sing.fetva),indenendieRegierunginAnkaraalsFeindderReligiongebrandmarktwurde.EinerderSöhneAbdülhamids,derimBeiruterExillebte,solltenachdenVorstellungenSaidsdieKalifenwürdeübernehmen.DieserWandelinderDiktionistwohlsozuerklären,dassSaidmitdemAufrufvorallemseineFührungsrolleunterdergroßenteilsmilitärischundsäkularerzogenenGruppevonAzadi-Mitgliedernsichernwollte,ansonstenaberdiereligiöseIdentitätderkurdischenBevölkerungansprach.DerAufstandwurdeimFebruar1925vorzeitigdurcheinenbewaffnetenZwischenfallausgelöst,andemtürkischeGendarmenundKurdenbeteiligtwaren.ObwohldieVorbereitungennochnichtabgeschlossenwaren,griffendieRebellenzudenWaffen.Saidbliebnichtsanderesübrig,alsdenBefehlzumAufstandzuerteilen(Februar1925).DieKurdenhattenanfangsdurchausErfolgezuverzeichnen.IneinerArtdezentralerStrategiebestanddasZielzunächstdarin,dieRegierungstruppenauseinzelnenBezirkenzuvertreiben,dieunterdemKommandovonlokalenMilitärführernstanden.DannsolltensichdieseGruppenvereinigenunddieEroberungderwichtigstenStädteinAngriffnehmen.Etwa10.000bis15.000kurdischenBewaffnetengelanges,innerhalbwenigerWochenkleinereOrtewieLice,Maden,PaluundBingöleinzunehmen.DiezahlenmäßigüberlegenenRegierungssoldatenmusstensichbaldindiegroßenGarnisoneninDiyarbakırundErzurumzurückziehen,umaufVerstärkungenzuwarten.InderZwischenzeitwurdenAngriffeaufdieRebellenausderLuftvorgetragen.DiestaatlicheVerwaltungwarnichtmehrHerrderLage,weildieBeamtenausdemKampfgebietgeflohenwaren.EswarnichtinersterLiniedastürkischeMilitär,dasdieAufständischenbekämpfte,sondernvorallemeinigeZaza-sprachige(SaidwarebenfallseinZaza-Sprecher,wennauchSunnit)Aleviten-Stämme,insbesonderejenerderHormek.DerGrunddafürwarwohlwenigerideologischerNaturalsvielmehrder,dassdieHormeknochRechnungenmitdenbenachbartenCibranoffenhatten,diederwichtigsteStammunterdenRebellenwaren.DiesunnitischenCibranhattennämlichunterSultanAbdülhamideinHamidiye-Regimentgestellt

unddiedadurchgewonnenePositiondazugenutzt,aufKostenihrerNachbarnzuexpandieren.DieHormekundandereStammesgruppenverhindertendieEroberungErzincansundErzurumsdurchdieAufständischen.DiesestießenauchvonseitenderstädtischenkurdischenBevölkerungaufWiderstand,zumBeispielinElazığ,weilsiePlünderungenveranstalteten.IhrwichtigstesZiel,dieEroberungDiyarbakırs,erreichtendie

Aufständischennicht.DerAngriffaufdieStadt,denScheichSaidpersönlichanführte,wurdezurückgeschlagen.MittelsderBagdad-BahnnachOst-AnatolienverlegteTruppenverstärktendiebereitsimGebietaufmarschierteStreitmacht.EinTeilderRebellenwurdezwischenBingölundLiceeingekesseltundvernichtendgeschlagen.ScheichSaidwurdeMitteAprilinseinemHauptquartierinGencgefangengenommen,wasgleichbedeutendmitdemEndedesAufstandswar.ZwarverwickeltenRebellenRegierungstruppenanverschiedenenOrtenineinenGuerillakrieg,aberohneFührungsfigurundausreichendeKommandostrukturenwardieszumScheiternverurteilt.Bemerkenswertist,dassnunmehrandernorts,woderAufstandbislangkeinEchogefundenhatte,gegendasMilitärWiderstandgeleistetwurde.DerGrunddafürwar,dassdasMilitärinseinemVorgehenoffenbaralleKurdenübereinenKammschorundnichtzwischenneutralenodersogarregierungstreuenundaufständischenKurdenunterschied.DieslösteselbstunterKurden,dienichtanderRebellionteilgenommenhatten,Verbitterungaus.NachdemEndedesAufstandsmachtemansichandieAusschaltung

der–sodieSichtweisederRegierung–«religiös-reaktionären»Basis,alsoderMachtderScheichsundStammesführer.TrotzderBedeutungvonWaffenimtraditionellenStammesmilieu,indemderStaatherkömmlicherweisekaumAutoritäthatteundKonflikteunterdenStämmen–ebenauchmitWaffengewalt–undohneInterventiondesStaatesgeregeltwurden,entwaffnetedasMilitärkurdischeStämme.StämmeoderganzeDörferwurdenindenWestendesLandesdeportiert;ihreHerdenwurdenbeschlagnahmt.SolcheMaßnahmenveranlasstennichtnurgeschlageneRebellen,sondernauchStammesgruppen,diemitdemAufstandnichtszutunhatten,indenIrakzufliehen.

DieVerantwortlichendesAufstandes,darunterScheichSaidundDutzendeseinerMitstreiter,außerdemSeyyidAbdülqadir–dermoderateKurdenführerinIstanbul,derindenvergangenenzweiJahrzehntenhoheStaatsämterinnegehabthatteunddessenBeteiligungamAufstandnichterwiesenwar–,wurdenvoreinsog.Unabhängigkeitsgericht(İstiklalMahkemesi)inDiyarbakırgestelltundimJuni1925zumTodeverurteilt.AusdenVerhandlungsprotokollenscheinthervorzugehen,dassScheichSaidvorallemausreligiösenMotivenhandelte.ErbegründetedenAufstandmitderPflichtderMuslime,beiZuwiderhandlunggegendieVorschriftenderschariadurchdieMachthaber(d.h.indiesemFalldieKemalisten)sichgegendiesezuerheben.Dieser«Schauprozess»4warderAuftaktzueinerReihevonradikalenMaßnahmen,welchedieangestrebteSäkularisierungundVerwestlichungvorantreibensollten.ImHerbst1925wurdedasTragendesFezverboten;Demonstrationen,diesichdagegenrichteten,fandenvoralleminOst-Anatolienstatt;(vermeintliche)RädelsführerwurdenvondenUnabhängigkeitsgerichtenineinigenFällenzumTodeverurteilt.DerScheich-Said-AufstandliefertedenVorwandfürdenErlassdes

GesetzesNr.578zur«AufrechterhaltungvonRuheundOrdnung»(Takrir-isükunkanunu),dasderRegierungfürzweiJahreaußerordentlicheVollmachtensichernsollte,inWirklichkeitaberweitdarüberhinauseinebiszumEndedesZweitenWeltkriegesandauerndeautoritärePhaseeinleitete.InAnkaranutzteMustafaKemaldieGelegenheit,umseineohnehinschonstarkeMachtstellungweiterauszubauen,indemer–nachdemIntermezzoderFortschrittlichenRepublikanischenParteiunterFethiOkyar(gewissermaßendieloyaleOpposition,dieParteiwurdeimJuni1925aufgelöst)–seinenMitstreiterİsmetİnönüwiederalsMinisterpräsidenteneinsetzte.DiePressewurdeandieKandaregenommen,unddieerwähntenUnabhängigkeitsgerichtewurdeneingesetzt,die–besetztmitParlamentsabgeordneten–eine«politischeJustiz»ausübten.DieSummeundUmsetzungdieserMaßnahmenkönnensointerpretiertwerden,dassdieStaatsführungindemAufstandeineernsthafteBedrohungfürdiejungeRepublikerblickte.DerislamischeAnstrichderRevolte–diereligiöseRhetorik,Scheichs

alsFührerunddieErklärungdes«HeiligenKrieges»(dschihad)–kamderRegierunginAnkaragelegen,welcheinihrerPropagandadieRevoltezueinemAufbäumenreligiös-reaktionärerKräftegegenFortschrittundModernisierungverzerrenkonnte.DiesscheintauchkurdischenExilpolitikernbewusstgewesenzusein.IneinemoffenenBriefanİnönüwarfensieimJahr1926dertürkischenRegierungeinerseitsdiebrutaleUnterdrückungdesAufstandsvor.AndererseitsdistanziertensiesichvondessenreligiösenAttributenundbezeichnetensichals«AnhängerderRepublikunddesModernismus»und«GegnerdesKlerikalismus».5DieMitgliederderkurdischenNationalbewegung,dienachGründungderRepublikinsAuslandgeflohenwaren,trafensich1927inderNähevonBeirut,umeineAllianznamensChoibun(«Unabhängigkeit»)zubilden.ChoibunvereinteMitgliederverschiedenerkurdischerGesellschaftenausIstanbul,diesichgegenEndedesWeltkriegeszerstrittenhatten.DieAllianzumfassteabernichtnurMitgliederausderTürkei,sondernauchausdenbritischenundfranzösischenMandatsgebietenundIran.ChoibunhatteengeKontaktezuderarmenischenNationalistenorganisationDaschnaktsutiun(«Unionisten»),mitderenHilfesiediekurdischeFragevordenVölkerbundzubringenhoffte.DieArmenierihrerseitsunterstütztendieKurden,umsodieinternationaleAufmerksamkeitaufden–wiesieessahen–heroischenKampfbeiderVölkergegentürkischeUnterdrückungzulenken.TrotzRivalitätenundideologischerDifferenzenwarChoibunderersteVersuchintellektueller,militärischer,religiöserundtribalerFührer,ihrenWiderstandzukoordinieren.ChoibunwarverantwortlichfürdieDurchführungdesAufstandesamAraratimJahre1930.DieRegionumdenArarat,solautetedasZielderErhebungunterderFührungİhsanNuris,sollte«befreit»undessolltedorteinekurdischeRegierungeingesetztwerden.ChoibunfieldieAufgabezu,denAufstandpropagandistischzuverkaufenunddietürkischeRegierungaufdieAnklagebankzusetzen.DerAufstandmisslang.Erstenswareseinmilitärisch-taktischerFehler,diekurdischenKräftenuraneinerFrontangreifenzulassen,weilsiediesverletzlichmachtefürAttackenderüberlegenentürkischenMilitärmacht.ZweitenshattendieKurdenfälschlicherweisekalkuliert,dassIran

GrenzüberquerungenvonkurdischenAufständischendulden,dentürkischenSoldatenabergleichesverwehrenwürde.TatsächlichschlossIranabermitderTürkeieinAbkommen,indemdieGrenzenzwischenbeidenLänderngeschlossenunddadurchkurdischeFlucht-undVersorgungswegeabgeschnittenwurden.DieRebellenwurdenzerstreut,İhsanNuriflohnachIran.ErfolgreichgestaltetensichdagegenzuBeginnderdreißigerJahredieAktivitätenvonChoibun,insbesonderederBrüderKamuranAliundCeladetBedirChan,aufkulturellemGebiet.LetzterererteilteAtatürkineinemoffenenBriefeineLektionüberdieÄhnlichkeitenzwischendemKurdischenundindoeuropäischenSprachenunddieUnterschiedezumTürkischen.DamitreagierteeroffenbaraufdienationalistischenSprach-undGeschichtstheorien,denenzufolgedasTürkischedieUrsprachederMenschheitwarunddieTürkenbereitsseitgrauerVorzeitAnatolienbesiedelten.Abererbeließesnichtdabei:FürdenFall,dassdieKurdenfragenichtdurchdieGewährungeinerAutonomiegelöstwerde,drohteermitdembewaffnetenKampf.6DietürkischeRegierungließsichindesnichtvonihrerPolitikderAssimilation(dienatürlichnichtsohieß,sonderninderoffiziellenSprachregelungtemdingenanntwurde,d.h.«Zivilisierung»)abbringen,diemitäußersterHärtedurchgeführtwurde.EsgabStimmenimKabinett,dievoneiner«Nichtintegrierbarkeit»derKurdensprachen.BritischeDiplomatenregistriertenbesorgtAuswüchsegegendieBevölkerung.7BereitsnachdemEndedesScheich-Said-AufstandshatteesDeportationengegeben,diewiederumAnlasswarenfürlokaleScharmützelzwischenKurdenunddemtürkischenMilitär.1934trateinGesetzinKraft,das,ohnesiebeimNamenzunennen,inersterLinieaufdieKurdenabzielte.TeilederBevölkerung,insbesondere«PersonenohneVerbundenheitmittürkischerKultur»(Art.4)solltenumgesiedeltundzerstreutwerden;daszahlenmäßigeVerhältnisvonTürkenundNicht-Türken(d.h.türkischenStaatsbürgern,diekeinTürkischsprachen)solltesogestaltetwerden,dassdieTürkenüberalldieBevölkerungsmehrheitbildeten.StammesführerundScheichssolltenvonihrenGefolgschaftengetrennt,dieFunktionenvonScheichsundAgasüberhauptabgeschafftwerden–inderRealitätwarmanaufsieangewiesen,sodassdervonder

RegierungangekündigteKampfgegenAusbeutungdurchfeudaleGroßgrundbesitzernichtstattfand.8WennauchdieAusführungdiesesGesetzesweithinterseinenAbsichtenzurückblieb,sozeigtesdochdenrepressivenCharakterderPolitikgegenüberdenKurden.DerAusbaudesSchulwesensverfolgteprimärdasZiel,KurdendietürkischeSpracheundKultur‹einzuimpfen›;ernsthafteAnsätzezueinerwirtschaftlichenEntwicklungOst-Anatoliensgabesdamalsnochnicht.DerfürlangeZeitletzteKurdenaufstandfand1937/38inderRegion

Tuncelistatt,diewenigeJahrezuvornochDersimhieß.DersimwarseitlangemeineunruhigeRegion,wogegendierepressivePolitikdesletztenJahrzehntsWiderstandgeleistetwurde.DieForderungenderDersim-Kurden,dieausschließlichAlevitenwarenundanderenSpitzeeinGeistlichernamensSeyyidRızastand,liefenaufeineArtlokalerSelbstverwaltunghinaus.ÜberdieProvinzwurdederAusnahmezustandverhängt,undeswurdengroßeTruppenkontingentezusammengezogen,dieaufdemHöhepunktderKampagnedreiArmeekorps,ca.50.000Mann,umfassten.ZahlenmäßigundvonihrerAusrüstungherwarendieKurdenderüberlegenenMilitärmachtnichtgewachsen.ImVerlaufderKämpfewarenvieleKurdengezwungen,ihreDörferzuverlassen,diedanndemErdbodengleichgemachtwurden.AufrufevonseitenderKurdenumHilfeausdemAuslandverhalltenungehört.DasScheiterndesDersim-AufstandsmarkiertedenBeginneinerca.zwanzigJahrewährendenPhase,inderkurdischeStimmenzumSchweigenverurteiltwaren,jadasWortKurdegerietinAchtundBann.ObwohlmitunterderBegriff«Bergtürke»(dağlıTürkler)verwendetwurde,hatteernieoffiziellenCharakter.Bis1945kanntedieTürkeistrenggenommenkeineDemokratie;die

AlleinherrschaftderRepublikanischenVolkspartei(CumhuriyetHalkPartisi,CHP)ließkeinenoffenenpolitischenWettstreitzu.DiefreiwilligeAufgabeihresMachtmonopolsundderÜbergangzumMehrparteiensystemabdemJahr1946brachtenfrischenWindindiepolitischeArena.OppositionelleEinstellungenfandenihrenWegindieneuenParteien(vorallemdieDemokratischePartei,DemokratPartisi,DP)undkonntendurchbreitepolitischeMobilisierungzumAusdruckgebrachtwerden.DieCHPhattebisindievierzigerJahrehineinin

Südost-AnatolienaufdieMobilisierungderüberwiegendkurdischenBevölkerungverzichtet,weilsiesichalsRepräsentantindestürkischenNationalismusverstand,9unddasbedeutetedieLeugnungoderIgnorierungandererIdentitätenalsdertürkischen.AlsdieDPbegann,ParteiorganisationenimOstenzugründenunddieBevölkerungpolitischzumobilisieren,warenandereParteiengezwungen,diesemBeispielzufolgen,wolltensienichtinsAbseitsgeraten.DieseJahresindgekennzeichnetdurchdasAuftretenmehrererkurdischerPolitikerausdemkonservativ-liberalenLager–AgasundScheichswarentrotzderGesetzeundMaßnahmenkeineswegsausderkurdischenGesellschaftverschwunden–sowiedieTeilnahmederkurdischenBevölkerunganundihreIdentifikationmitParteipolitik.DiebesondersinKurdistanvorherrschendenklientelistischenStrukturenbegünstigtendies.DieMeinungenzurEingliederungderKurdengebieteindienationale

Politiksindgeteilt.InderSichtlinkerTheoretikerzieltediesePolitikdaraufab,durchAusnutzungausgewählterStammesführer,AgasundScheichs,dieKurdenzukontrollieren.IndiesemZusammenhangwardieRededavon,dassdietraditionellenkurdischenElitensichunddasVolkumdeseigenenProfitswillenverkaufthätten.AndererseitsbehauptetendieselbenBeobachter,dassdiekurdischenElitenwenigvondemWirtschaftsaufschwung,dendieTürkeiindenfünfzigerJahrenerlebte,profitierten.InanderenErklärungsmodellenwirdehereinePolitikvonZuckerbrotundPeitschegegenüberderkurdischenFührungsschichtkonstatiert,dienurteilweisedurchwirtschaftlicheBegünstigungzurKooperationbewegtwerdenkonnteundimmerderheimlichenUnterstützungderkurdischenSacheverdächtigtwurde.DiefünfzigerJahrebrachtenVerbesserungenundErleichterungenfür

diekurdischeBevölkerung,insbesondereeineVerminderungmilitärischerKontrollen.FührendekurdischeFamilien,dieindendreißigerJahrenzumeistindenWestenderTürkeiumgesiedeltwordenwaren,konntennuninihreHeimatzurückkehren.DerAusbauderInfrastrukturinKurdistanwurdegefördert,auchwenndieseimVergleichzumWestendesLandesdeutlichunterentwickeltblieb.DielangsameÖffnungderRegionermöglichteesauchanderenSchichtenderkurdischenBevölkerung,anderwirtschaftlichenEntwicklung

teilzuhaben,wodurchdiealtengesellschaftlichenHierarchiensichwandelten.DiekurdischenFührungsschichtenerwartetenvonihrerMitarbeitinParteienundvonderBeteiligunganWahlenzuallerersteineBewahrungbzw.StärkungihresEinflusses.KonservativeStammesführer,GroßgrundbesitzerundScheichsschlossensichinsbesonderederDPan,dieeineZurückdrängungdersäkularenReformenbegonnenhatteundderReligionwiedermehrGewichtverschaffenwollte.Am27.Mai1960putschtedasMilitär,umdersichzunehmend

undemokratischgebärdendenRegierungderDPunterderFührungvonAdnanMendereseinEndezusetzen.EinerderBeweggründefürdieInterventionwar,dassdieParteidurchdiekurdischenStammesführerundScheichsinihrenReiheneinemRegionalismus(doğuculuk)Vorschubgeleistethabe;allerdingsgabesauchinanderenParteienführendeMitglieder,denenihrEngagementfürostanatolischeWahlbezirkealsdoğuculukausgelegtwurde.ZudenMaßnahmen,diezurUnterbindungvonAktivitätenunterdenKurdenergriffenwurden,gehörtenaucherneuteDeportationenvonStammesführernundScheichs,obwohldiesenachkurzerZeitwiederrückgängiggemachtwurden.GleichzeitigwurdeeineKampagneentfacht,durchdiemandieBemühungenkurdischerKreiseaufkulturellemundsprachlichemGebietbekämpfenwollte.Internatsschulen,andenenkurdischeSchülerintürkischerSpracheundKulturunterrichtetwurden,wurdenschwerpunktmäßiginOst-Anatolieneröffnet.1962verbotdasstaatlicheUnternehmenSümerbankdenGebrauchdesKurdischeninihrenBetriebeninDiyarbakır.Dieszeigt,dassdieMaßnahmengegendiekurdischeSpracheinderÖffentlichkeitnichtsehrstrengbzw.willkürlichgehandhabtwurden.Publikationen,indenenkurdischstämmigeAutorendentürkischen

UrsprungderKurdennachzuweisensuchten,warenBestandteilderKampagne.InseinemVorwortfüreinederartigePublikationmachteStaatspräsidentCemalGürsel(1960–1966)klar,dassdieExistenzeinerkurdischenEthniealsBedrohungfürdentürkischenStaatverstandenwird:«ZukeinemZeitpunktinderGeschichteisteszueinerEinwanderungeinesfremdenVolkesinunsereOstprovinzengekommen,dessenErbendieheutigenEinwohnerwären.NirgendwoaufderWeltgibteseineRassemiteinereigenenIdentität,die‹kurdisch›genanntwerdenkann.DieKurdensindnichtnurunsereBürger,sondernauchunsereVolksgenossen…Jahrhundertelange

MisswirtschaftundVernachlässigungdurchdenStaatunddieabgeschlosseneLebensweisederKurdenhabenleiderdieseFolgegehabt[d.h.dassdieKurdensichalseineigenständigesVolkvorzustellenbegannen].Diejenigen,diedanachtrachten,NationundVaterlandderTürkenzuteilenundzuzerschlagen,wollendarausNutzenziehen.AllentürkischenIntellektuellenmussklarsein,dassdasKurdentumvonfeindlichenMächtenaufgehetztwirdmitdemZiel,dienationaleEinheitzuerschütternundunssozuFallzubringen.Wirkönnendiesselbstverständlichnichtzulassen,dadieöstlichenProvinzenTorundFestungunseresLandessind.WennwirdieseunserewahrhaftenBrüdervernachlässigenundnichtaufklären,dannwerdensiederPropagandadesFeindesohneWaffenundschutzlosausgeliefertsein.AmEndewerdenwirdannwegendieserniederträchtigenPropagandazweigeteiltsein.FallswirdieöstlichenProvinzenverlieren,könnenwirunsauchindenzentralenundwestlichenProvinzenschlechthalten.IndiesemKampfgehtesumdieZukunftdestürkischenVaterlandsunddertürkischenNation,unddiesisteineäußersternsteAngelegenheit».10

DieneueVerfassungvon1961unddassichdarausentwickelnderelativliberaleKlimatrugenzurEntstehungeinerlinkenBewegungbei.VonbesondererBedeutungwardie1961gegründeteTürkischeArbeiterpartei(TürkiyeİşçiPartisi,TİP).InnerhalbdieserBewegungbildetensicheinigeGruppierungenheraus,diespezifischkurdischeAnliegenvertraten.ObwohlnurvongeringerZahl,warenesinsbesonderekurdischeStudentenandenUniversitäteninIstanbulundAnkara,diekommunistischeundsozialistischeIdeenalsVehikelfürkurdischenationalistischeBestrebungenübernahmen.ZusätzlichenAuftriebgewanndiekurdischeBewegungdurchdieEntwicklungenimIrak.AlsBarzaniausseinemExilinMoskauzurückkehrteundAutonomiefürdieKurdenimIrakforderte,wardiesWasseraufdieMühlenkurdischerStudentenundIntellektuellerinderTürkei.EinTeildeslinkenSpektrumswolltediekurdischeFragedernational-

antiimperialistischenunterordnenundbegriffsieprimäralseinBeispielfürwirtschaftlicheUnterentwicklung;anderebetonteneherdenethnischenbzw.sogarnationalenCharakterdesProblems.SolcheDiskussionenfandenauchinderZeitschriftBarışDünyasıstatt.DieUnterentwicklungderOstregionwurdealsHindernisfürdieEntwicklungderTürkeiinsgesamtbetrachtet.FürdieAutorenvonBarışDünyasıwarklar,dassdas«Ostproblem»(doğudavası)nichtmitVerbotenodermitGewaltgelöstwerdenkönnte.IhreForderungnacheinem«modernenStaat»bedeutete,dassalleStaatsbürgergleichenAnteilansozialenundpolitischenFortschrittenhabensollten.DieAbschaffungtraditionellerFührungsrollenwiejenerderAgaswurde

vorerstabgelehnt,weildiesenocheinesozialeBedeutungundFunktionbesäßenunderstdurchdenmodernenStaatersetztwerdenmüssten.11ThemenwiedieangeblichetürkischeHerkunftderKurdenoderder

EntwicklungsstandderkurdischenSprachewurdenheftigdiskutiert.DiekontroverseDebatteüberEthnizitätführtezueinerEntfremdungvonkurdischenundtürkischenIntellektuellen.DenHerausgebernvonBarışDünyasıwurdeSeparatismusundBefürwortungdersowjetischenVielvölkerstaatskonzeptionvorgeworfen.AndersalsBarışDünyasıhattedieZeitungDicle-Fırat,dieinDiyarbakırerschien,eineausgeprägterekurdischeNote,obwohlDicle-FıratsichderObjektivitätundderstaatlichenEinheitverschriebenhatte.AuchwenndasWortKurdistannichtunbedingtverwendetwurde,sokonntedochunterdemSynonym«Doğu»dieLageim«Osten»erörtertwerden.InjederNummerderZeitungfandensicheinoderzweiGedichteinkurdischerSpracheundArtikelzurGeschichteundKulturderKurden.EbenfallsinDiyarbakırerschieneineZeitungnamensİleriYurt,inwelcherderSchriftstellerMusaAnterkurdischeGedichtepublizierteunddadurcheineDiskussionüberdiePräsenzderkurdischenSpracheinderÖffentlichkeitauslöste.

Abb.2:AnlässlichderEröffnungeinerneuenStraßedurchMinisterpräsidentBülentEcevit

protestierenKurdengegen«nationaleUnterdrückung»,Şemdinli,1977

WährendunterderDP-HerrschaftdietraditionellenkurdischenElitenindaspolitischeSystemintegriertwurden,fandabMittedersechzigerJahreeineMobilisierunggrößererTeilederBevölkerunginkurdischenStädtenstatt.Aufmehreren«Ost-Versammlungen»(Doğumitingleri)imJahre1967wurdenForderungenlautnachmehrSchulen,wirtschaftlicherEntwicklungundBeendigungderRepressiondurchdenStaatsapparat:«DerOstenisteineSchandefürdieTürkeides20.Jahrhunderts».12DieseVersammlungen,vondenendieanderenParteiensichdistanziertenundgegendiedieRegierungvorging,wurdenauchvonderTİPorganisiert;kurdischeIntellektuelleundStudentenführerhieltenAnsprachenaufKurdisch.Einigevonihnenfandensichinden«RevolutionärenOst-Kulturklubs»(DevrimciDoğuKültürOcakları,DDKO)zusammen.DieseGruppewandtesichgegendiealschauvinistischempfundeneStaatsideologieundbetontedieGleichberechtigungallerVölkerinderTürkei.DieDDKOverlangteneinEndederPolitik,dieaufderAssimilationderKurdenberuhte.DerHerrschaftdurchAgasundScheichsunddemTribalismuswolltensiemiteinerrevolutionärenPolitikbegegnen.DieDDKOkonntenihreAuffassungenineinigenGewerkschaftenundderTİPdurchsetzen,waseinerderGründefürdieSchließungderTİPimJahr1970war.Die«Kulturklubs»sindinsofernbemerkenswert,alssiedieerstelegaleOrganisationmiteinemklarenBekenntniszurkurdischenIdentitätwaren.NachderMilitärinterventionvomMärz1971wurdensiegeschlossen.MittedersechzigerJahrewurdedie«DemokratischeParteiTürkisch-Kurdistans»(TürkiyeKürdistanDemokratPartisi,TKDP)–derNamewurdeinbewussterAnlehnungandieirakischeDPKformuliert–unterderFührungdesJuristenFaikBucakgegründet.InderFolgewardieseillegaleParteivonSpaltungenbetroffen;AuseinandersetzungeninderFührung,indiesichBarzanieinmischte,gipfelteninHinrichtungenvonParteikadernimNord-Irak.SeitdenfünfzigerJahrenmachtesicheineRückkehrdesIslamsindasöffentlicheundpolitischeLebenderTürkeibemerkbar.DieDPbegann,dieSäkularismus-Reformenrückgängigzumachen,beispielsweiseim

BereichderreligiösenErziehung.UnterdiesenVoraussetzungenfandenzweiEntwicklungenstatt,diefürdiekurdischeGesellschaftvonBedeutungwaren,nämlichdieillegaleWiederbelebungdermedresenundderAufschwungderreligiösenOrden.DiemedresenwareneinKristallisationspunktkurdischerSpracheundIdentitätimOsmanischenReichgewesen.DurchdieZweisprachigkeitdermedreseninkurdischenGebietenbotensichMöglichkeitenzurPflegekurdischerSprache,LiteraturundKultur.DiereligiöseElitewarvonentscheidenderBedeutungfürdieIntegrationderkurdischenUnterschichtindietürkischePolitik.SowurdederEnkelvonScheichSaid,A.MelikFırat,alsAbgeordneterderDPinsParlamentgewählt.ScheichsundmelasgewannenwiederEinfluss,indemsieinklandestinenmedresenUnterrichterteiltenundreligiöseDiensteanboten.DiesemelaswurdenvonihrenGemeindenmitGeldbzw.religiösenAlmosenentlohnt.DiemedresenwarenunterschiedlichenCharakters:ImeinenTypstandenkurdischeSpracheundIdentitätimVordergrund,wodurchpolitischeAspekteinsSpielkamen.BeidemanderenTypspieltenderSufismusunddiespirituelleMachtderScheichseinewichtige,abereherapolitischeRolle.13AuchwenndieScheichsKurdenwarenundmitihrenSchülernundAnhängernKurdischsprachen,sowarihreethnischeZugehörigkeitfürsiesekundär.DieReligionsschüler(kurd.feqi)unddiemüridswarenKurden,Türken,PerserundAraber.FürDorfgemeindenundStammesführer,diefürdiefinanzielleUnterstützungdieserSchülerundAnhängerVerantwortungtrugen,waresebenfallsirrelevant,welcherEthniedieseangehörten.ManunterhieltsieausreligiöserÜberzeugungundausVerpflichtungzurAlmosengabe.Said-iNursi(auchKurdigenannt,1876–1960)wareinerdieserScheichs;seinEinflussgingweitüberethnischeGrenzenhinaus.ErgehörtesowohldemNaqschbandiya-alsauchdemQadiriya-Ordenan.Said-iNursigiltalsGründerderNurculuk-BewegungundwarpolitischerAktivistundTheologeinderZeitdesausgehendenOsmanischenReichesundderjungenTürkischenRepublik.DieBewegungfandeinreichesBetätigungsfeldinmehrerenkonservativausgerichtetenParteien.ÄhnlichwieSaid-iNursierrangenmehrerekurdischeScheichsverschiedenerOrdenoffenoderheimlichEinfluss,densiefürpolitische

Ambitionen,seiesprotürkischoderprokurdisch,ausnutzten.IhreMachtpositionberuhtenichtnuraufreligiöserAutorität,sondernauchaufLandbesitzundReichtum.DiesstießaufKritikunterlaizistischgesonnenenKräftenindertürkischenPolitik.NachderAuflösungderTİPkameszueinerZersplitterungundRadikalisierungderlinkenBewegung.EsentstandenzahlreicheextremistischeundterroristischeOrganisationen,vondeneneinigedenGuerillakampfpropagierten.NachderMilitär-InterventionvomMärz1971wurdenpolitischeAktivitäteneingeschränktundradikaleundbewaffneteGruppenimLandeaufgelöst.DieCHPunterBülentEcevit,diesichindenJahrenzuvornachlinksorientierthatte(ortanınsolu,«linkeMitte»),übteeinestarkeAnziehungskraftinKurdistanaus.DieCHPdominierteindenStädtenOst-Anatoliens,währendaufdemLandedieAgasundScheichsdafürsorgten,dass«ihreLeute»dieGerechtigkeitspartei(AdaletPartisi,AP)bzw.dieNationaleHeilspartei(MilliSelametPartisi,MSP)wählten.SeitMittedersiebzigerJahregabeshäufigeRegierungswechsel,wasdaraufzurückzuführenist,dasszukeinemZeitpunkt–unteranderembedingtdurchdasMehrheitswahlrecht–eineParteiinderLagewar,alleineineRegierungzubilden.IndiesenzerbrechlichenKoalitionsregierungengelangesbesondersderParteiderNationalistischenBewegung(MilliyetçiHareketPartisi,MHP),eineihrenWahlergebnissenvölligunangemesseneMachtstellungzuerlangenundihrerideologischenLinie–ChauvinismusundFaschismus–Geltungzuverschaffen.ErneuttratenbewaffnetelinksradikaleGruppenauf,diesichmitdenfaschistischenKräften(u.a.denberüchtigtenGrauenWölfen)Auseinandersetzungenlieferten.DieEskalationzueinembürgerkriegsähnlichenKonfliktwurdeerstdurchdenMilitärputschvomSeptember1980gestoppt.ParteienundVereinewurdenverboten,Politikerverbannt,diepolitischenFreiheiteneingeschränktundOppositionelleverhaftet.DieRückkehrzurNormalisierungdespolitischenLebensschlossdieAnnahmeeinerneuenVerfassung(1982)unddieGründungneuerParteienein.Unterdennach1980zerschlagenenradikalenGruppierungenwurdealleindiePKKrelativschnellwiederaktiv.DerGrunddafürwar,dassdieParteikadernach

demPutschinsbenachbarteSyriengeflohenwarenundvonhierausdenbewaffnetenKampfaufnahmen.BiszuseinerInhaftierungwardiePKKganzaufdiePersonihresVorsitzendenAbdullahÖcalanzugeschnitten,derindenPublikationenderParteisogarals‹dieFührung›bezeichnetwurde.InihrerIdeologiefolgtesiemarxistisch-leninistischenPrinzipienundbegriffKurdistanalseinetürkischeKolonie,diedurchdenbewaffnetenKampfbefreitundrevolutioniertwerdenmüsse.VonderForderungnacheinemunabhängigenkurdischenStaatistdiePKKabgerücktundsprichtnunvoneinem‹demokratischenKonföderalismus›,auchwennihreGuerillaindenBergenNordiraksundIransundteilweiseauchinderTürkeiweiterkämpft.DieOrganisationderPKKwaraufgeteiltineinenmilitärischenFlügel,dieVolksbefreiungsarmeeKurdistans(ArteşaRizgariyaGeleKurdistan,ARGK),undeinenpolitischen,dieNationaleBefreiungsfrontKurdistans(EniyaRizgariyaNetewaKurdistan,ERNK).Seit2007nenntsichdieOrganisation‹GemeinschaftderGesellschaftenKurdistans›(KomaCivakenKurdistan,KCK)undhatweitereFlügel-bzw.Jugend-,Frauen-,Auslands-undparlamentarischeOrganisationen.DiePKKfinanziertbisheutedenKrieggegendietürkischeArmeeundrivalisierendeParteienwieBarzanisDPKundTalabanisPUKauseinerMischungvonfreiwilligenAbgaben,erpresstenSchutzgelderninderTürkeiundEuropa,Drogen-undWaffenhandelsowieMenschenschmuggel.IneinererstenAktionimAugust1984griffdiePKKzweiKleinstädteimSüdostenan,brachtesiezeitweiligunterihreKontrolleundverbreiteteihrePropaganda.BevorzugteAngriffszielewarenmilitärischeundstaatlicheEinrichtungen;dasVorgehenderPKKforderteaberauchzahlreicheOpferunterderZivilbevölkerung.1985modifiziertedieRegierungeinDorfwächtergesetz,gemäßdemindenkurdischenDörferneineMilizgegendiePKK-Angriffegebildetwurde.DieZahldieserDorfwächter(korucu)variierteundbetrugimJahr201650.000.ZunächsthattensiedieAufgabe,dieArmeezuunterstützen,weilsiemitdenörtlichenVerhältnissenvertrautwaren;diekorucuwohntenweiterimDorf.DasSystemfunktioniertenichteinheitlich:WährendineinigenGegendendieDorfwächterrelativselbständigundunterderFührung

einesAgaihrenAufgabennachgingen,wurdensieanderswoweitgehendvonderArmeeinstruiert.DieBezahlungerfolgteausderStaatskasse.DiesesSystemerinnertandiespätosmanischenHamidiye-RegimenterundzeigtdieKontinuitätdesUmgangsmitdemKurdenproblem.DadurchwurdedieSpaltunginderBevölkerungvertieft,unddieEinstellungzurPKKkompliziertesich.MituntersympathisierenDorfschützermitderPKKundunterstützensiesogarinsgeheim.DieJahre1991und1992standenimZeicheneinerAufweichungder

FrontenundverhärtetenPositioneninderKurdenfrage.GewisseEntwicklungenundStatementsvonPolitikerngabenAnlasszurHoffnungaufeinegrößereOffenheitimUmgangmitdenKurden.ZudiesenbaldenttäuschtenHoffnungenzähltedieÄußerungdesdamaligenMinisterpräsidentenDemirel,wonach«diekurdischeRealität»inderTürkeianerkanntwerdenmüsse.14PrononcierterundkonkreterließsichdertürkischeStaatspräsidentÖzalvernehmen.SeinerInitiativewareszuverdanken,dassdasSprachenverbotsgesetzvon1983imJahr1991aufgehobenunddermündlicheGebrauchdesKurdischenlegalisiertwurde.Özalerkannteauch,dasswenigerBeschränkungenfürdiekurdischeMinderheitderTürkeimehraußenpolitischeBewegungsfreiheitbescherenkönnten.ErhieltesfüranderZeit,dieTürfüreinenDialogzwischenRegierungundKurdenmindestenseinenSpaltzuöffnen;sogardasWort«Föderation»gebrauchteer.ÖzalsahdieKurdenfrageimZusammenhangmiteinerneuenStandortbestimmungtürkischerPolitikimNahenOstenundinZentralasien.DurchdiestrategischeUnterstützungfürdieAmerikanerimGolfkrieg,fürdiesichÖzalstarkgemachthatte,kanndieTürkeiseitheraufdieRückendeckungderUSAinderKurdenfragezählen.DiestärkereInternationalisierungdesKurdenkonfliktesberuhteauf

mehrerenFaktoren.ErstenshatesdiePKKvermocht,inEuropaInteresseundSympathiezuwecken,nichtnurunterihrenAnhängern,sondernauchgenerellunterKurdenunduntereinemgewissenTeilderwesteuropäischenÖffentlichkeit.AktionenvonmilitantenKurdenwieSelbstverbrennungsversuche,AutobahnblockadenundKonsulatsbesetzungenhabenjedochnichtnurAufmerksamkeitaufsichgezogen,sondernauchAblehnunghervorgerufen.Zweitenswarder

Golfkrieg1991mitseinenFolgeneinKatalysatorfürneueEntwicklungeninderKurdenfrage.DermitFehleinschätzungenverbundeneundbestenfallshalbherzigeVersuchderUSA,oppositionelleKräfteimIrak,insbesonderedieKurden,zumAufstandgegendasRegimeSaddamHusainsaufzustacheln,schlugfehl.DiesführtezueinerMassenfluchtirakischerKurdenindieTürkei.DenAugendererstauntenWeltöffentlichkeitpräsentiertesichdieTürkeialsZufluchtsortundSchutzpatronfürverfolgteKurden.AnzeichenfüreineEntspannunggabesindentürkischen

Parlamentswahlenvon1991.IhrgutesWahlergebnisverdanktedieSozialdemokratisch-PopulistischePartei(SosyalDemokratHalkçıParti,SHP)alleinderAufstellungehemaligerMitgliederderArbeitsparteidesVolkes(HalkınEmekPartisi,HEP),einerPartei,diesichdiefriedlicheLösungderKurdenfrageunterWahrungderterritorialenIntegritätderTürkeizumZielgesetzthatte.Dieses«Huckepack-Verfahren»beschertederSHPzwareinenkurzfristigenErfolg,brachteihraberdenVorwurfein,«diePKKinsParlamentkatapultiert»zuhaben.1992sahsichdieSHPgezwungen,dieseAbgeordneten,diesichalsVermittlerzwischenderPKKunddempolitischenEstablishmentverstanden,ausderParlamentsfraktionauszuschließen.NachdemsiebereitsdurchprokurdischeAktionenaufgefallenwaren,brachteihrBesuchbeiÖcalandasFasszumÜberlaufen.EinVerfahrenwegenSeparatismus,dasgegendieAbgeordneteneingeleitetwurde,endetemitdemVerbotderHEP.InVorwegnahmediesesVerbotsgründetensieflugseineneueParteinamensParteiderDemokratie(DemokrasiPartisi,DEP).AlsdieDEPversuchte,diePKKhoffähigzumachen,trafsiedasgleicheSchicksalwieihreVorgängerinHEP;1994wurdesiedurchVerfassungsgerichtsbeschlussaufgelöst.SiebenDEP-Parlamentarier,darunterLeylaZana,wurdenzuHaftstrafenzwischendreieinhalbundfünfzehnJahrenverurteilt.DieParteiderDemokratiedesVolkes(HalkınDemokrasiPartisi,HADEP)isteineNachfolgeparteivonHEPundDEP,diezumerstenMalmitdemAnspruch,kurdenspezifischeInteressenzuvertreten,beidenParlamentswahlenvon1995antrat.SiescheitertejedochmitihremlandesweitenAnteilvon4,2%ander10%-Hürde.InihremProgrammwarbdieHADEPfürdiefriedlicheKoexistenzvon

TürkenundKurdenundfüreinegerechteunddemokratischeLösungderKurdenfrage.15Diesichnach1990abzeichnendegrößereOffenheitinder

KurdenfrageführtegleichzeitigzueinergrößerenUnübersichtlichkeitderMitspielerindemKonflikt.KonnteschonimmernichtvoneinemalleinigenKonflikttürkischerStaatversusKurdendieRedesein,sogaltdiesumsomehrseitBeginnderneunzigerJahre:Militär,Sicherheitsapparate,terroristischeOrganisationen,diegegenprokurdischeGruppen,kurdischePolitikerunddiePKKvorgingen;«kurdischeParteien»wieHEP,DEPundHADEP,dieeinenSpagatübtenzwischennationalistischenInteressenunddenihnenvomSystemgesetztenGrenzen;diePKK,dieversuchte,eineMassenbewegungzuinitiierenbzw.einesolchezuwerden,wobeisieeinerseitsdiekurdischenParteienalsMittelbenutzte,andererseitsihremilitärischenAktionenintensivierte;daspolitischeEstablishment,dassehrunterschiedlicheEinstellungenzurKurdenfragehatte;nichtstaatlicheOrganisationenwieMenschenrechtsvereine,diesichfürmehrDemokratieundgegenRepressioneinsetzten,undzwarnichtnurfürdieKurden.DarüberhinausbildetedieAuseinandersetzungdenNährbodenfürdie

EntstehungmafiöserStrukturen.DieInteressenallerAkteurehabensichzueinemschierunentwirrbarenKnäuelzusammengeballt.ZudieserUnübersichtlichkeitträgteinChaosvonInformationenundDesinformationenbei.Hinzukommt,dassseiteinemVierteljahrhundertdietürkischenRegierungeninderRegelschwachundnurvonkurzerDauerwaren.IndenletztenJahrenwurdedieInstabilitätnochgesteigertdurchdenletztlicherfolgreichenVersuchdesMilitärs,dieislamischenKräfteindieSchrankenzuweisen,dasheißtinsbesonderedieWohlfahrtspartei(RefahPartisi,RP)unterNecmettinErbakanvonderMachtzuentfernen.EswarnämlichdieRP,diebeidenKommunalwahlen1994einengroßenZulaufunterderkurdischenBevölkerunginSüdost-Anatolienerreichte.DiesefühltesichangezogenvondemProgrammderRP,dassogutwiekeinetürkisch-nationalistischenInhaltehatte,sonderndieWählereheralsMuslimeundohneRücksichtaufihreethnischeHerkunftansprach.DerErfolghatte

allerdingsauchmitdemRückzugderDEPkurzvorderKommunalwahlvon1994zutun.EinBeweisdafürwarendieErgebnissederParlamentswahlenvon1995,alsdieRPeinenTeilihrer«kurdischen»StimmenandieHADEPabgebenmusste.16ImUnterschiedzurRP,derenKandidatenimSüdostennurgelegentlichspezifischkurdischeAnliegenvertraten,schienihreNachfolgerinundoppositionelleParteiderTugend(FaziletPartisi,FP,1997–2001)sichehermitkurdischenForderungenidentifizierenzukönnen.AufgrundderZersplitterungderverschiedenenInteressengruppenstießdasWaffenstillstandsangebotÖcalansvomMärz1993aufkeineReaktion.ImGegenteilkameszueinerEskalationdesKrieges,diezusammenfielmitdemTodeÖzals,derWahlDemirelszuseinemNachfolgerundderÜbernahmedesMinisterpräsidentenamtesdurchTansuÇiller.ZweifelloshatdasEngagementderBevölkerungfürdiekurdische

Sache,aberauchihrLeidenzugenommen.EsisteinAnzeichenfürdieStärkungdesSelbstbewusstseinsunddenErfolgderPropagandaderPKKunterderBevölkerung,dasssichseit1991dieFamiliengefallenerPKK-Kämpferzuihren«Märtyrern»bekannten,indemsiedieHerausgabederLeichnamefordertenunddieBeerdigungeninpolitischeDemonstrationenumfunktionierten.DiesführtezueinergrößerenBereitschaftdesMilitärsundderzurBekämpfungdesTerrorismuseingesetztenSpezialeinheiten,mitWaffengewaltgegendieBevölkerungvorzugehen.

ZuBeginndesKampfesderPKKwarsowohlaufseitendesMilitärsalsauchderRegierungdieEinstellungverbreitet,dassmanmitderPKKschnellfertigwerdenkönne.DieseErwartungistnichteingetroffen.ObwohlderPKKimmerwiedereinraschesEndevorausgesagtwurde,hatsiemilitärischeErfolgeerringenundzeitweiseeineMobilisierungderBevölkerungerreichenkönnen.InMilitärkreisenwirddieAnsichtvertreten,dassdiePKKnurdeshalbsoerfolgreichwar,weilsieinternationaleUnterstützungerfuhr,insbesondereindenNachbarstaatenGriechenlandundSyrien,undnichtetwa,weilsieüberdieJahrehinwegzunehmendRückhaltinderBevölkerunggefundenhatte.InzwischenhabensichaberselbstimMilitärZweifeleingeschlichen,obderSiegüberdiePKKgleichbedeutendmiteinerLösungderKurdenfrageist.Eshatsichdamitabgefunden,dasseinsolcherKrieggegeneineGuerillaohnehinnichtvollständigzugewinnenist.AppellederMilitärführungandieWirtschaft,sichimSüdostenzuengagierenundzuinvestieren,zeigen,dasssiedenKonfliktfürweitgehendbeendethält.DieVerhaftungÖcalanswurdepropagandistischalsErfolgdes

türkischenStaatesverkauft.DieBildervomgefesseltenundeingeschüchtertenÖcalanhabenunterKurdendasGefühleinerkollektivenErniedrigunghervorgerufenunddasInteressederWeltöffentlichkeitandenKurdenerneuert.ImVorfelddesProzesseswurdenocheinmalFrontgemachtgegenden«Terroristenchef»,aberzudemvielfachbefürchtetenSchauprozesskamesnicht.DarauswurdeindenMediendieForderungabgeleitet,nunmehreinepolitischeLösungderKurdenfrageinAngriffzunehmen.DerAufrufÖcalansandiePKK,denKrieginderTürkeizubeenden,

istvomtürkischenStaatzunächstnichtgewürdigtworden,weilmanschonimmeraufderbedingungslosenKapitulationbestandenhatte.EineBereitschaftAnkaraszumKompromissundDialogzeichnetsicheinstweilennichtab;imGegenteil,derAufrufwurdeeheralsEingeständnisderNiederlagederPKKaufgefasstundhatnationalistischeKreise,dieinallenRegierungsparteienvertretensind,ermutigt,imsicherenGefühldesSiegesüberdiePKKweiteraufIntransigenzzusetzen.Unterderseit2002regierendenAKPzuerstmitRecepTayyipErdoğanalsMinisterpräsidentwar–insbesondereimKontextder

VerhandlungenübereinenEU-BeitrittderTürkei–einegrößereOffenheithinsichtlichderkurdischenFrageerkennbar,diesichspäterwiederwandelte.EinvonderPKKverkündetereinseitigerWaffenstillstandwurdevon

derPartei2004aufgekündigt.SeitdemhabenPhasenderWaffenruhemiteinerEskalierungderKämpfeabgewechselt.AbgeordneteprokurdischerParteienwieHADEPundihrerNachfolgerinDTPwurdenperiodisch,seieswegenGebrauchsderkurdischenSpracheoderwegenangeblicherUnterstützungderPKK,mitAusschlussausdemParlamentbedrohtbzw.vonderJustizzuteilslangjährigenHaftstrafenverurteilt,wiebeispielsweiseLeylaZanaimJahr2008.SiemussteihreHaftstrafeallerdingsnichtantreten(fürdieErgebnissederDTPbeidenProvinzratswahlen2009s.Karte3,S.117).AndererseitskehrtenimOktober2009mehrereDutzendPKK-KämpferunterZusicherungvonStraffreiheitindieTürkeizurück.HandeltessichhierumRückzugsgefechtenationalistischerKreiseodermusseineRückkehrzueinerPolitikderhartenHandbefürchtetwerden?DieimJahr2009begonnene‹KurdischeÖffnung›(KürtAçılımı)schien

zunächsteinInteressedertürkischenRegierungzusignalisieren,KurdenalsgleichberechtigteBürgeranzuerkennen.BalddaraufwurdedieInitiativein‹ProjektfürnationaleEinheitundBrüderlichkeit›(MilliBirlikveKardeşlikProjesi)umbenannt,undandereMinderheitenwieRomaundArmenierwurdenmiteinbezogen.IndeskameszueinerWende,alsdasVerfassungsgerichtimDezember2009dieDTPverbotundbisFebruar2010mehrerehundertPolitikerundFunktionäreausderenNachfolgepartei,derParteidesFriedensundderDemokratie(BDP,BarışveDemokrasiPartisi),verhaftetwurden.DieAnklagelauteteaufMitgliedschaftineinerterroristischenVereinigung,alsoinKCKbzw.PKK.DieAKPbefürwortetedieAnklagegegendiekurdischenPolitikerimJuni2010undnanntealsGrundverfassungswidrigeHandlungenderAngeklagten.Zwischen2010und2015fandenwichtigeWahlenundpolitische

VeränderungeninderTürkeiundinderRegionstatt,welchedieKurdenbetrafen.DieimJahr2009inOsloaufgenommenenGeheimkontaktemitderPKK-FührungführtenzuVerhandlungenmitÖcalanabDezember

2012;imMärz2013begannAnkaraoffiziellFriedensgesprächemitderPKK.DerdarausresultierendeWaffenstillstand,derbisJuli2015imWesentlicheneingehaltenwurde,gabvielendieHoffnung,dassdieAKP-RegierungsichmitderprokurdischenDemokratischenParteiderVölker(HDP,HalklarınDemokratikPartisi)arrangierenundeinenKonsensuszwischendenForderungenbeiderParteienfindenwerde.DochdieAKPhattevermutlichmitderUnterstützungderHDPfürVerfassungsveränderungengerechnet,dieaufmehrRechtefürdenPräsidentenabzielten.Siewurdeenttäuscht:DieHDP-FührungverweigertevorderParlamentswahlimJuni2015ihreUnterstützungfüreinsolchesPräsidialsystem,übersprangdaraufhindie10%-WahlhürdeundwurdedrittgrößteParteiimParlament.DasWahlergebnisderHDPvom7.Juni2015isteinBeweisdafür,dasseineprokurdischeParteiüberzeugendfüreinelandesweitePolitikeintretenkann,alsoauchfürNicht-Kurdenwählbarist.DabeigerätdieHDPvondreiSeitenunterDruck:durchmilitantePolitikerindeneigenenReihen,durchunabhängigejüngereKämpfer(TAK,YDG-H,PKK)unddurchdieAgitationnationalistischerParteien(z.B.derMHP).EinStimmenverlustderHDPbeimerneutenUrnengangimNovemberwardieFolge.GleichzeitigverfolgteErdoğanbis2015andereZiele,indemerbeispielsweiseversuchte,denEinflussdesMilitärszuverringernunddievonderEUgefordertenReformenimBereichvonJustizundMinderheitenrechtenvoranzutreiben.

AuchwenndiePKKbisJuli2015immerwiederihreBereitschaftzurBeendigungdesKonfliktsverkündete,hatsieseitdemdenbewaffnetenKampfindenkurdischenStädtendesSüdostenswiedervollaufgenommen.RegierungundPKKwerfensichgegenseitigvor,denWaffenstillstandgebrochenzuhaben.DerseitSommer2015neuaufgeflammteKriegkostetebereitshunderteMenschendasLeben,BewaffneteebensowieZivilisten.DarüberhinauskonntedasvonderKCKpropagierteDemokratisierungsprojektkeinklaresProgrammanbieten(indemmalvoneinerkonföderativenDemokratie,malvoneinerbasisdemokratischenNeustrukturierungu.a.miteigenenJustizinstitutionenundeigenerVerwaltungdieRedewar)undsolltein

kurdischenGebietenimAlleingang,alsoohneBeteiligungderRegierung,durchgesetztwerden.DietürkischeRegierungschiendieseEntwicklungignorierenoderduldenzuwollenundmusstesichvondernationalistischenOppositionvorwerfenlassen,dassWaffenundMunitionimKurdengebietinderZeitdesWaffenstillstandsunbemerktgehortetwerdenkonnten.InderTatweistdieKurdenpolitikderAKPseit2010zahlreiche

inhaltlicheWidersprücheauf.ZwarfindetsieimmernochUnterstützungunterderkurdischenBevölkerung,insoferndieWahlergebnisseeindiesbezüglichesUrteilzulassen.GleichzeitigführtedieAKPjedochzwischenHerbst2015undMärz2016inmehrerenkurdischenStädten(Silopi,Cizre,TeilevonDiyarbakır)regelrechtKrieg.ZynischversprichtdieRegierungdereinheimischenBevölkerungwirtschaftlicheUnterstützung,nachdemsiezuvorganzeStädteoderStadtteilehatbombardierenlassen.ZudiesenWidersprüchengehörtauch,dassimNovember2011–ErdoğanhattesichgeradeöffentlichfürdentürkischenStaatwegendesDersim-MassakersimJahr1938entschuldigt–34SchmugglerausdemkurdischenDorfRoboski(ProvinzŞırnak)durchLuftangriffegetötetwurden.DieVerantwortlichenwurdenbisheutenichtvorGerichtgestellt,auchwennRegierungundMilitärden‹Fehler›inzwischenzugegebenundEntschädigungszahlungenangebotenhaben.WährendnochimJahr2013AKP-PolitikerundRegierungsmitgliedermitdemCo-VorsitzendenderPYD,SalihMuslim,verhandelten,wurdenimSommer2015dieParteizueiner«Terrororganisation»undihreMitgliederzu«FeindenderTürkei»erklärt;seitdembekämpftdieTürkeidenDe-facto-KleinstaatRojava.AlldiesmussauchimZusammenhangmitdenEreignissenim

benachbartenSyrienundimNahenOstenverstandenwerden.DerVersuchErdoğans,einestärkereRolleimNahenOstenzuübernehmen(«Neo-Osmanismus»),istgescheitert.InfolgederEskalationdesBürgerkriegssindseitJuli2011mehrals2,5MillionenMenschenausSyrienindieTürkeigeflohen.VieledieserFlüchtlingesindnachEuropaweitergezogen;dieFlüchtlingskrisestärktedieVerhandlungspositionErdoğansgegenüberderEU.DerKriegindenkurdischenStädtenunddieAngriffeaufdiePressefreiheitwerdenvoneuropäischenPolitikern

geflissentlichübersehen,solangedieTürkeiEuropadieFlüchtlingevomLeibehält.ErstnachmehrerenAnschlägendes«IslamischenStaats»(IS)inderTürkeikonntesichdietürkischeRegierung,nachdemsiedessenAktivitätenlangeZeitgeduldethatte,daraufverständigen,gegendieTerrororganisationvorzugehen.GleichzeitigsetztdieTürkeiallesdaran,einzusammenhängendesTerritoriumRojavainNord-Syrienzuverhindern.DiediplomatischenBeziehungenzudenUSAundderEUsindnichtfreivonSpannungen,dasVerhältniszuRusslandundzumAssad-Regimeistzerrüttet.IndieserSituationscheinteinlangfristigerPlanfüreinebesonnenePolitikgegenüberdenKurdeninderTürkeiundinderRegioninweiteFernegerücktzusein.

2.DieKurdenimIrak:ZwischenAutonomieundAuslöschung

ZumZeitpunktderGründungdesIrakwarkeineswegsausgemacht,dassdassüdlicheKurdistaneinintegralerBestandteildesneuenStaateswürde.Feststandlediglich,dassdieehemaligenosmanischenProvinzenBasra,BagdadundMosuldembritischenMandatsgebieteinverleibtwürden.DieseProvinzenhattennurwenigeGemeinsamkeiten,dieeineEinheithättenstiftenkönnen.WährenddieStadtMosulvorallemvonArabernbewohntwurde,dominiertenKurdenindenländlichenGebietenderProvinz.AußerdemgabeseinebeträchtlicheZahlvonTurkmenen,vorallemumKirkuk.DiekurdischsprachigeBevölkerungwarüberwiegendsunnitisch,schlossaberauchYezidenein.InBagdadüberwogensunnitischeAraber,wohingegenschiitischeMuslimedieMehrheitinderRegionBasrabildeten.WährendderosmanischenHerrschaft,diehäufigvonmamlukischenundiranischenZwischenspielenunterbrochenwurde,wardieKontrollederRegierunginderRegelaufdieStädtebeschränkt.DieschwerzugänglichenBerggebietewareninderHandkurdischerStämme.AlleVersuche,ihreMachtzubeschränken,schlugenfehl.SelbstfähigeTanzimat-ReformerwieMidhatPascha(1822–1884),diesichderModernisierungundZentralisierungdesReichesverschriebenhatten,musstensichwohloderübelaufAgasundScheichsverlassen,umdieöffentlicheOrdnungaufrechtzuerhaltenundSteuerneinzutreiben.DiesesZweckbündnisstärktedieVorherrschaftderStämme.AufderanderenSeitewardieEinrichtungvonSchuleneinwirksamesMittel,KurdenandenStaatzubinden.FamilienausdenStädtenundaustribalemMilieuschicktenihreSöhnenachBagdadundIstanbul,umsiezuOffizierenoderBeamtenausbildenzulassen.EinigedieserloyalenosmanischenKurdenspielten

inderFolgezeiteineRolleindenkurdischen,britischenundarabischenInteressenkonflikten.DasbritischeInteresseanMesopotamienberuhteaufseinerstrategischenLageamSchnittpunktderLand-undSeewegenachIndien.DiebritischeRegierungkonnteaufExpertenzurückgreifen,dieErfahrungenimUmgangmitdereinheimischenBevölkerunghatten.EnglischeHandelsagenten,GelehrteoderOffiziere,diemeistüberKenntnisseorientalischerSprachenverfügten,bereistenKurdistanimAuftragderRegierung.SieliefertenInformationenüberdiesozialeOrganisationundWirtschaftderweitgehendunbekanntenkurdischenStämmeundknüpftennützlicheVerbindungen.EinerdieserExperten,MajorE.B.Soane,wurdenachdemKriegeinflussreicherbritischerBeamterindenkurdischenGebietenMesopotamiens.ErreisteinVerkleidungzweiJahreinKurdistan,wobeiihmzustattenkam,dasserzum(schiitischen)IslamübergetretenwarundverschiedenekurdischeDialektebeherrschte.ErtratzwarfürdieSelbstbestimmungderKurdenein.AberimGegensatzzuseinemKollegenE.M.Noel,deroft–inherabsetzenderWeise–alsderkurdischeLawrencebezeichnetwird,erkannteSoanerasch,dassdieFähigkeitenderKurdenzurSelbstverwaltungbeschränktwaren.WährenddesWeltkriegesversprachdiebritischePropaganda,dassEnglandeineRollealsBeschützerdesIslamundBefreiervonKurdenundArabernübernehmenwerde.GegenEndedesKriegeswurdendieosmanischenProvinzenBagdadundBasrabesetzt.EinigekurdischeStämmeunterstütztendas,aberesgabauchsolche,diedasVordringenderBritenmitMisstrauenverfolgten.ImgeheimenSykes-Picot-AbkommenvomJahre1916wardieRegionumMosulFrankreichzugeschlagenworden.DiesesZugeständnisbereutendieBritenschonbald,alsihnendieBedeutungvonMosulfürdieLebensfähigkeitBagdadsklarwurde,wardochMosulderHauptlieferantfürdieVersorgungBagdadsmitWeizen;darüberhinauswuchsdasInteresseanMosulwegenseinerÖlquellen.NurzweiTagenachdemWaffenstillstandvonMudrosholtensiedasVersäumnisnachundbesetztenkurzerhanddieProvinzMosul.AbgesehenvonderdadurchhervorgerufenenVerärgerungFrankreichswurdedieBesetzungbaldvondernational-

türkischenBewegungangefochten.IndenfolgendensiebenJahrenengagiertesichGroßbritannienstarkinderProvinz.ÖlkonzessionenwurdenanFrankreichunddieUSAvergeben,umdieUnterstützungbeiderLänderfürdasenglischeMandatzuerlangen.Inder«Anglo-FrenchDeclaration»vom7.November1918hießes,dassdasZielFrankreichsundGroßbritanniensdie«BefreiungdervondenTürken…unterdrücktenVölkerunddieEinsetzungnationalerRegierungenundVerwaltungen»1sei.AlsErgebnisderMandatsverteilung,dieaufderKonferenzvonSanRemo(1920)beschlossenwurde,erhieltFrankreichSyrienundEnglanddieProvinzenMesopotamiens.InSüd-KurdistanverfolgtendieBriteneinePolitikindirekterHerrschaftdurchStammesführer,dieVerwaltungsposteneinnahmenundmitbeträchtlichenPrivilegienausgestattetwurdenwiezumBeispieldemRecht,juristischeAngelegenheitenselbstzuregeln.ImGegenzugwarensieverpflichtet,SteuerneinzutreibenunddieenglischeVerwaltungzuunterstützen.InjedemGebietachtetenkleineBeratergruppenaufdieWahrungbritischerInteressen.DieseMethodehattezwardenVorzugniedrigerKostenunderfordertekeinemilitärischePräsenz.Sieerwiessichaberalsziemlicherfolglos,schufunzähligeSchwierigkeitenundwarnichtgeeignet,dentürkischenAnsprüchenentgegenzutreten,dieseitderProklamationdesNationalpakts(Misak-imilli,20.1.1920)verstärktwordenwaren.DerMisserfolgdieserPolitikindirekterHerrschaft,dieauchindeneigenenReihenaufKritikstieß,wurdedeutlichandenErfahrungen,welchedieBritennachderErnennungScheichMahmudszumGouverneurvonSulaimaniyamachten.MahmudwarOberhauptderBarzindschi-Familie,diedemQadiriya-OrdenverbundenwarundparallelzumNiedergangdesBaban-EmiratsanEinflussgewonnenhatte.1918hatteerdenHochkommissarfürMesopotamiengemahnt,dieKurden«nichtvonderListederbefreitenVölkerauszuschließen».2NoelerhieltdenAuftrag,dieStammeschefszubeschwichtigen,dassGroßbritanniennichtdieAbsichthabe,denKurdeneineVerwaltungaufzuzwingen.Ende1918wurdeScheichMahmudzumGouverneureinesgroßenTeilsKurdistansernanntundmitGeldmittelnzurEntlohnungseinerAdministratorenausgestattet.Noelwurdesein

Berater;ihmfolgteimApril1919Soane.MahmudverstandsichalsFührerallerKurdenundsuchteseineMachtdurchPatronageundBestechungzustärken.EinerseitswuchsseineMachtstellung,weilvieleStämmesichzurUnterstützungverpflichtetfühlten,schienerdochbritischeRückendeckungzuhaben.AndererseitsgabesetlicheStämme,diesichweigerten,Mahmudanzuerkennen.InderGegendvonKirkukbeispielsweisewarendieStämmederTalabani-Familieloyal,einerDynastievonScheichs,dieebenfallsdemQadiriya-Ordenanhingen.AlsSoaneversuchte,MahmudsAktivitätenzubeschränken,indemereinigeGebieteseinerVerwaltungentzog,riefsichMahmudzumHerrschervonKurdistanaus.UnterseinenAnhängern,dieauchinIranzufindenwaren,warberfüreinen«HeiligenKrieg»(dschihad)gegendieBriten.DieRevoltewurdeniedergeschlagenundMahmudinsExilgeschickt(Juni1919).InderZwischenzeithattendiearabischenOffiziere,diedasBannerder

RevoltegegendieOsmanengehissthatten,nachdemihneneinarabischerStaatversprochenwordenwar,wichtigeWeichengestellt.DieAnhängerderScharifen(d.h.desHerrschersvonMekka,Husain,undseinerSöhne)hattennachdemAbzugderTürkeneinekonstituierendeVersammlunginDamaskuseingesetztundeinarabischesReichmitdemHusain-SohnFaisalalsKönigausgerufen.VieleführendeVertreterderVerwaltungFaisalskamenausdemIrak.DiesekehrtennachdemfranzösischenSiegüberdiearabischenTruppenimJuli1920inihreHeimatzurück,woaufgrundderNichteinhaltungbritischerVersprechenfürdiearabischeUnabhängigkeitUnruhenausgebrochenwaren.AufderKonferenzvonKairo(1921)trafensichbritischeDiplomaten,

umLösungsvorschlägefürMesopotamienzuerarbeiten.DerVorschlagfüreinenStaat,derausdenProvinzenBagdadundBasragebildetwerdensollte,fandZustimmung;FaisalwurdealsThronanwärtervorgeschlagen.InderMosul-Fragebzw.derVerwaltungSüd-KurdistansgabesentgegengesetzteMeinungen.DieAnsicht,dasskurdischeWünscheberücksichtigtundkurdischeEinheitgefördertwerdensollten,warweitverbreitet.VieleteiltenWinstonChurchillsprophetischeAnsicht,dasseinzukünftigerHerrscherIrakssichnichtverpflichtetfühlenwürde,kurdischeRechtezurespektieren.Schließlichgewann

jedochdasArgumentdieOberhand,dassMosulaufgrundderÖlvorkommenundagrarwirtschaftlicherFaktorenvonwesentlicherBedeutungfürdenIraksei.ZunächsthattediebritischeVerwaltungmitarabischerOppositiongegenFaisalzukämpfen.SeineMachtübernahmekonntenurdurchdieDeportationeinespopulärerenRivalenerreichtwerden.NachdemFaisaldenThronbestiegenhatte,erkannteerrichtig,dassGroßbritanniendieKurdenalsDruckmitteleinsetzenwürde.DarüberhinausbefürchteteerdiepermanenteBedrohungdurcheinenkurdischenStaat.Vorallemaberbetonteer,dassohnediegroßeZahldersunnitischenKurdendiesunnitischenArabergegenüberdenSchiitenindieMinderheitgeratenwürden.UnterdenKurdengabeswedereinestarkePersönlichkeitnocheineGruppe,dieauchnurimEntferntesteninderLagegewesenwäre,füreingemeinsamesVorgehenzusorgen.AbgesehenvondendurchauseigennützigenBestrebungeneinesScheichMahmudwarennationalistischeAktivitätenderKurdenbeschränkt.StädtischeKurdenwarenehergeneigt,ihreHoffnungenaufdieBritenzusetzen,alssichdenInitiativenvonStammesführernanzuschließen.EsgabzwareinzelnekulturelleGesellschaften,aberihrWirkungsgradwarbegrenzt.MangelteesgenerellinSüd-KurdistanannationalemSelbstbewusstsein,sobildeteSulaimaniyaeineAusnahme.DieStadtwardasZentrumdesBaban-Emiratsgewesen,dassichbiszurMittedes19.JahrhundertseinegewisseAutonomiehatteerhaltenkönnen.ZuBeginndes20.JahrhundertsgabesnocheinelebendigeErinnerunganvergangenekurdischeMacht.InBotan,demStammlandderBedirChans,warendieFürstenvertriebenworden,undihreHauptstadtwarzurBedeutungslosigkeitherabgesunken.DagegenwarenetlicheBabaninSulaimaniyageblieben.DerKurdenexperteEdmondsbeschriebdieweitverbreiteteÜberzeugungderEinwohnerSulaimaniyas,dassihreStadtdazubestimmtsei,dieHauptstadteineskurdischenStaateszuwerden.3NachdemSiegüberMahmudundnochvorseinerEntlassungimJahre1920richteteSoaneeineVerwaltunginSüd-Kurdistanein.DerSorani-DialektwurdealsoffizielleSprachegefördert;eineZeitungindieserSprachewurdegegründet,eineGrammatikundLesebücherfürSchulen

wurdenentwickelt.Ende1920wurdeoffensichtlich,dassGroßbritannienimBegriffwar,eine«nationale»RegierungimMandatsgebietanstellederexistierendenbritischenVerwaltungeinzurichten.Dasführtedazu,dassSoanesFormderVerwaltungnichtmehrkompatibelwarmitdemKonzeptdesneuenirakischenStaates.WährenddieirakischestaatlicheAutoritätaufKirkukundMosulausgedehntwurde,verbliebSulaimaniyaunterdirekterbritischerKontrolle.DietürkischennationalenKräfteunterMustafaKemal,welchedie

RechtmäßigkeitdesbritischenMandatsinSüd-Kurdistannichtanerkannten,ernanntenihreeigenenVertreterfürMosulundentsandtenTruppen,umeinenAufstandanzuzetteln.Siesetztenaufden«HeiligenKrieg»,umdie«Ungläubigen»,alsodieBriten,zuverjagen.IhreAgitationtrugFrüchteunterzahlreichenStämmen,dieentwederdurchreligiöseArgumenteüberzeugtwurdenodersichinderHoffnungaufeinenSiegderTürkendiesenanschlossen.DieKemalistenbesetztenRaniyaundGebieteumArbil,KirkukundSulaimaniya,wasdieBritenzurEvakuierungveranlasste.EntgegendenWarnungenihrerVertretervorOrtzögertedieRegierungSeinerMajestät,MilitärindenkurdischenGebieteneinzusetzen.NachdemRückzugderGriechenausKleinasienzeichnetensichFriedensverhandlungenab;Englandwardahernichtgeneigt,eineweitereKonfrontationmitdenTürkenzuriskieren,sondernwolltedieMosul-FragedurchDiplomatielösen.AusMangelanAlternativenriefendieBritenMahmudausdemExilzurückinderHoffnung,dassseineStellungdasNationalgefühlunterdenKurdenstärkenundderKalifatspropagandaderTürkenetwasentgegensetzenwürde.VonAnfanganweigertesichMahmud,irgendwelcheBeschränkungenzuakzeptieren,erklärtesichselbstzumHerrschervonKurdistanundübteDruckaufandereStämmeausbzw.bestachsie,umsichihreGefolgschaftzusichern.UmderdoppeltenGefahrzubegegnen,versprachendiebritischeund

dieirakischeRegierungdenKurdeneineeigeneRegierunginnerhalbderGrenzendesIrak.DamitwarZeitgewonnen,unddieMosul-FragekonnteaufdieFriedensverhandlungenvertagtwerden.SchließlichwurdendieTürkenzurückgedrängtundMahmudwurdeindieFlucht

geschlagen.WeildieMosul-FrageauchinLausannenichtgelöstwerdenkonnte,wurdesieandenVölkerbundverwiesen.DievomVölkerbundnachMosulentsandteKommission(1925)befand,dassdiemeistenEinwohnerderkurdischenGebietemitdemSchutzdurchGroßbritannieneinverstandenwarenundnichtuntertürkischerHerrschaftlebenwollten.DieshattezutunmitdenEntwicklungeninderTürkei,mitderAbschaffungvonSultanatundKalifat;außerdemwarwährendderTätigkeitderKommissionderScheich-Said-Aufstandniedergeschlagenworden.DerVölkerbundsprachMosuldemIrakzuunterdenBedingungen,dassdasGebiet25JahreunterdemMandatdesVölkerbundesbliebeunddieWünschederKurdenBeachtungfindenmüssten.AufdieersteBedingungsollteverzichtetwerden,wennderIrakMitglieddesVölkerbundeswürde.DerSpruchdesVölkerbundesbesiegeltedasSchicksalSüd-Kurdistans.AngesichtsderVersprechungenGroßbritanniensundIraksakzeptiertendieKurden–unterZusicherungvonGarantienbezüglichkulturellerundadministrativerSelbstverwaltung–ihreIntegrationindenirakischenStaat.DerVertragzwischenGroßbritannienundIrakausdemJahre1930

beinhaltetekeineGarantienkurdischerRechte.DieslösteUnruheunterdenKurdenaus,dieaufbritischenSchutzvertrauthatten.IneinerPetitionandenVölkerbund(1930)empörtensiesich,dasssie«derGnadederAraber»ausgeliefertwaren,undforderteneineneigenenkurdischenStaatunterdemMandatGroßbritanniensodereineranderenMacht.41932erlangtederIrakalskonstitutionelleMonarchieUnabhängigkeitundwurdeMitglieddesVölkerbundes.DieseUnabhängigkeitbestandaberweitgehendnuraufdemPapier,denndieBritenbehieltendieKontrolleüberdieLandesverteidigungunddieWirtschaft.Sieversuchtenzwar,dieirakischeRegierungzueinerkonziliantenHaltunginderKurdenfragezubewegen,hieltensichaberletztenEndesausderInnenpolitikheraus.DieGeschichtederKurdenimIrakistdurchExtremegekennzeichnet.

AufdereinenSeitewurdendieKurdenalsethnischeGruppeweitgehendanerkannt;imUnterschiedzudenKurdeninderTürkeikonntensiesichkulturellundsprachlichfreiausdrückenundbetätigen.PolitischverfügtensieübereinegewisseRepräsentationinderHauptstadt,

mochtendieEinflussmöglichkeitenauchbegrenztsein.ObwohlmanihnenimmerwiederAutonomiezusagte,wurdediesnieinvollemUmfangindieTatumgesetzt.AufderanderenSeitesinddieKurdeninkeinemderNachbarstaateneinersolchenRepressionbishinzurMassenvernichtungausgesetztgewesenwieimIrak.UndnurhiersinddieKurdenseitmehrerenJahrenvomZentralstaatmehroderwenigerunabhängigundhabeneine«RegionaleRegierung»etabliert,diesichzueinemDeFacto-Kurdenstaatentwickelthat.DergrundlegendeKonfliktbestehtdarin,dassAutonomie,lokaleHerrschaftundRegionalismusdervonallenirakischenRegimenpraktiziertenPolitikundIdeologieeinerzentralisiertenundautoritärenHerrschaftentgegenstehen.SeitseinerGründunghatderIrakeineVielzahlundVielfaltvonRegierungen,RegierungssystemenundIdeologienerlebt.1958wurdediekonstitutionelleMonarchie,inderzunehmenddieMilitärsdieOberhandgewonnenhatten,vonGeneralAbdal-KarimQasimgestürztunddieRepublikausgerufen.SounterschiedlichdieRegierungenunddievonihnenvertretenenIdeologien(Panarabismus,irakischerNationalismus)waren,soverfolgtensiegegenüberdenKurdenletztlichdieselbePolitik.HäufigeUmstürze,dieEndedersiebzigerJahrezurMachtergreifungSaddamHusainsführten,habenanderPolitikgegenüberdenKurdenweniggeändert.KeineirakischeRegierungwarbereit,aufrichtige,substanzielleundlangfristigeKonzessionenandieKurdenzumachen.EineschwacheZentralregierungwarjedochgezwungen,mitdenKurdenzuverhandeln.DieswarhäufigderFallinderKonsolidierungsphaseeinerneuenRegierungoderinZeitenaußenpolitischerKrisenundBedrängnisse.DannkonntendieKurden,jedenfallskurzfristig,EinflussgewinnenunddurchinnereundäußereBündnissederRegierunggefährlichwerden,sodassdieseanstatteineshartenVorgehensversuchte,denKurdenentgegenzukommen.DasMusterähneltesichsehr:JedeneueRegierunghofiertedieKurden,diesichbereitwilligaufeineKooperationeinließen.SaßmanfestimSattel,wurdendieKurdenalsBündnispartnernichtmehrbenötigtundfallengelassenbzw.alslästigeBittstellerbeiseitegeschoben.DieVerhandlungenBagdadsmitdenKurdenbeinhaltetenmeisteinkurzfristigesTauschgeschäft:einigeVersprechungen,Zugeständnisseund

etwasGeld;ansonstenwurdenverschiedenekurdischeGruppengegeneinanderausgespielt.AufdieseArtundWeisekonntendieRegierungengenügendZeitgewinnen,umihreeigenenKräftezukonsolidieren,unddanneineharteHaltungeinnehmen.DieamhäufigstengemachtenunddauerhaftestenKonzessionenbetrafendieSprache.Zeitungenkonntengedruckt,wissenschaftlicheVereinigungengegründet,undeskonnteinkurdischerSpracheunterrichtetwerden.EsgingdabeiinersterLinieumdiesüdlichenTeileKurdistans,woSoranischoninderMandatszeiteinegewisseEntwicklungalsbevorzugteSprachedurchlaufenhatte.InderMonarchiewurdendieStämme–wieschoninderMandatszeit–weitgehendinihremStatusquobelassen.DieAgasnahmenhoheitlicheAufgabenwieSteuereinziehungundGerichtsfunktionwahr.DiesesZugeständniszwecksKonfliktvermeidungführtedazu,dassReformen(z.B.eineBodenreform)nichtdurchgeführtwerdenkonnten,weildiesunterdenGroßgrundbesitzernWiderstandhervorgerufenhätte.DieIntegrationvonAgasindaspolitischeSystemwurdedurchihreWahlinsParlamentgefördert.StädtischeKurdennutztenAufstiegschancenbeimMilitär.AngesichtsihrerstarkenAbhängigkeitvonGroßbritannien,RepressionundKorruption,derGegnerschaftzumPanarabismusunddessozioökonomischenGefällesinderBevölkerungwardieMonarchiewenigpopulär.IndendreißigerJahrenbildetensichzweiHauptströmungenheraus,dieReformenundeineanti-imperialistischePolitikforderten.NebeneinemirakischenNationalismus,derdemokratischeundsozialeReformensowiewirtschaftlicheUnabhängigkeitanstrebte,übtediepanarabischeIdeeeinegroßeAnziehungskraftbesondersaufArmeeoffiziereaus.DiePanarabistenversprachensichvonderVereinigungarabischerStaateneineErneuerungderarabischenNation.1936fandderersteMilitärputsch–demvieleweiterefolgensollten–unterFührungeineskurdischenOffiziersnamensBakrSidqistatt.ErwarkeinkurdischerNationalist,sondernvertrateinenirakischenNationalismusundzogdamitdieKritikderPanarabistenaufsich.GewissermaßenalsAbwehrreaktionaufdenPanarabismusgründetenbürgerlicheKurdendieVereinigung«Hoffnung»(Hiwa),diezunächst

politischkauminErscheinungtrat.HingegenfordertediePartei«Befreiung»(Rizgari)inihremProgrammUnabhängigkeitfürdieKurden.SolcheGruppierungenwarenallerdingswedervonlangerDauernochkonntensieeinegrößereAnzahlvonKurdenmobilisieren.DaherwardieKommunistischeParteiimIrak(gegr.1934)einwichtigerPartnerderbürgerlichenKurden.SiefühltensichvondieserParteiangezogen,weilsiefürModernisierung,FortschrittunddieRechtederMinoritäteneintratundsichgegenNationalismuswandte.FreilichwardieKommunistischeParteimitdemProblemkonfrontiert,obmandersozialenFrageVorrangvordernationaleneinräumensolle–eineFrage,diefürKurdenentscheidendwar.FürdiepolitischaktivenstädtischenKurden,diekeineHerausforderungfürdieRegierungdarstellten,warendieStämmenochkeineBündnispartnerzurDurchsetzungpolitischerZiele.DieStämmeimNordendesIrakwareneinpotentiellerUnruheherd.EineernsthafteBedrohungfürBagdadwurdendieKurden–zunächstohneBeteiligungderstädtischenKurden–erstmitdemAuftreteneinescharismatischenFührers.MullaMustafaBarzani,biszuseinemTodimJahre1979die

bekanntesteFigurderkurdischenBewegung,standineinerTraditionvoncharismatischenScheichs,diebereitsim19.JahrhundertdankihrerVermittlerrollezwischenstreitendenClanenundStämmenEinflussgewonnenhatten.NachdemMustafasBruderAhmadeinenAufstandgegendieumAusweitungihrerAutoritätbemühteirakischeRegierungentfachthatteundermithilfederRoyalAirForcebesiegtwordenwar,mussteseineFamilieihrenStammsitzBarzanverlassenundwurdeinSulaimaniyaunterHausarrestgestellt(1933).HieristBarzaniwohlmitnationalistischemGedankengutinBerührunggekommen.1943kehrteerinseineHeimatzurück.DiebaldaufflammendenAufständeunterMullaMustafawurdenzunehmendalsKampfumAutonomierechtebegründet,obwohlesimWesentlichenimmernochumdenaltenKonfliktzwischeneinersichausbreitendenZentralregierungundlokalenKräftenging,diesichdemwidersetzten.AlsesderRegierungnichtgelang,denKampfmilitärischfürsichzuentscheiden,warsiegezwungen,mitBarzanizuverhandeln.MitderEntsendungeinerkurdischenDelegation–alleMitgliedergehörtenderdamalswichtigstenGesellschaftHiwaan–unter

LeitungdeskurdischenMinistersMadschidMustafademonstrierteBagdadseineAnerkennungBarzanisalskurdischenFührer.MitgliederderDelegationstimulierteninderGegendvonBarzannationalistischeAktivitätenundgingenvondortnachMahabad,wosieengeVerbindungenzurKomala-Führung(sieheS.155–158)knüpften.MöglicherweisebeeinflusstvondiesenAktivitätenforderteBarzaniindenVerhandlungenmitMadschidMustafaeinenkurdischenBevollmächtigteninBagdadunddieEinrichtungkurdischerDistrikteinderRegionMosul.DieRegierunglehntedieseForderungenabundschickteeineStreitmachtindenNorden,dieBarzaniundseineKämpfernachIranvertrieb.DortschlossensiesichdemKampfinMahabadanundverwandeltenaufdieseWeiseihreFluchtineineheroischeTat.DadurchavancierteMullaMustafazumunumstrittenenFührerderirakischenKurden.SowohlstädtischeintellektuelleKurdenalsauchStammesführer

erhieltendurchdieAusrufungderRepublikvonMahabadstarkenAuftrieb.DenstädtischenKurdenbliebfreilichnichtverborgen,dasssichihreInteressennichtmitdenenBarzanisdeckten.Ebensowenigkonntensieübersehen,dasserdieeinzigekurdischePersönlichkeitwar,diegroßeMassenmobilisierenkonnte.MullaMustafamochtezwareinigenationalistischeAnliegeninseinVokabularaufgenommenhaben,bliebaberimGrundegenommeneintypischerStammeschef,dessenMachtaufseinenKämpfernberuhte.SomitstellteereinHindernisdarfürdieModernisierungswünschederstädtischenKurden.DasDilemmaderkurdischenstädtischenNationalistenbestanddarin,dasssieBarzanieinerseitsalsnationalenHeldenfeiernmussten,andererseitsmitseinerScheich-RolleundseinerPolitikdurchausnichtkonformgingen.ZudemfandeineSpaltungunterdenstädtischenNationalistenstatt,

alsausMahabaddieAnweisungBarzaniskam,dieDemokratischeParteiKurdistans(DPK)zugründenundallekurdischenGruppendarinzuverschmelzen.EinigederstädtischenAktivistenhieltenesfürsinnvoller,sichmitderirakischenOppositionzuverbünden,dieDemokratisierungundMinoritätenrechteanstrebte,alssichmitrückschrittlich-feudalenKurden–sowurdenBarzaniunddieStämmegesehen–zusammenzutun.DieseKurdenwarenstarkbeeinflusstvonderKommunistischenPartei

undweigertensich,derDPKbeizutreten.AnderestädtischeKurdenhingenjedochderIdeederkurdischenEinheitanundträumtenvonderEtablierungeinesgemeinsamenStaates,einesGroßkurdistan,dasmitderRepublikvonMahabadderRealitäteinStücknäherzurückenschien.DieseGruppierungkonnteessichnichtleisten,dieStämmezuignorieren,dasieselbstnichtinderLagewar,größereTruppenzumobilisieren.BarzaniließsichinAbwesenheitzumParteivorsitzendenküren,seinVertreterwurdeeinSohnvonScheichMahmud.Dasstädtisch-linkeLagerwarrepräsentiertdurchHamzaAbdullah,derGeneralsekretärwurde.DasProgrammderDPKwarnationalistisch;esfehltenabersozialeundwirtschaftlicheForderungen,weilmanbefürchtete,dadurchStammeschefsundGroßgrundbesitzerzuverprellen.BarzanisAktivitätenwurdevorläufigeinEndegesetzt,alsMahabad

fielundwederdieirakischenochdieiranischeRegierungihnundseineKämpferaufihremTerritoriumduldenwollten.AufeinemabenteuerlichenMarschgelangesMullaMustafaundseinenLeuten,sichindieSowjetuniondurchzuschlagen,woerfürdienächstenzehnJahreAsylfand(1947–1958).DieshättedasEndeBarzanisalsKämpferfürdiekurdischeSacheseinkönnen,wennnichtimJuli1958MilitärsunterderFührungQasimsdurcheinenPutschdieunpopuläreMonarchiegestürzthättenundihnenderKurdenführernichtalswillkommenesWerkzeugerschienenwäre.UnterdenPutschisten,diesichFreieOffizierenannten,gabeszwei

konkurrierendeStrömungen.IhreExponentenwarenQasim,dersicheinemirakischenNationalismusverschriebenhatte,undAbdas-SalamArif,einbegeisterterPanarabist.DasBündnisdieserGruppierungen,zudenennochderBaath(«Sendung»,einepanarabischorientierte,sozialistischeParteiimIrakundinSyrien)kam,waraufgrundderideologischenUnterschiedevonvornhereinbrüchig.QasimsuchtedahernachPartnern,dieeinGegengewichtzudenPanarabisten(auchalsNasseristenbezeichnet)bildetenbzw.mitderenHilfeersichihrerentledigenkonnte.DiesesGegengewichtfanderinBarzaniunddenKurden.UnterdessenwareseinemlinkenNationalisten,IbrahimAhmad,

gelungen,GeneralsekretärderDPKzuwerdenunddieParteiaufseineLiniezubringen(Barzani,dernominellParteichefwar,hieltsichnachwievorimMoskauerExilauf).1953nahmdieDPKsozialeReformeninihrProgrammauf,unteranderemeineBodenreform.DiesmachtedieParteifürBauernundArbeiterattraktiv.DieOrientierungderParteimussalsAusdruckderwirtschaftlichenEntwicklungunddurchsieausgelöstersozialerSpannungen,diesichauchinderkurdischenGesellschaftbemerkbarmachten,gesehenwerden.IndendreißigerJahrenwarengroßeTeilevonStaatslandinprivateHändegelangt.DieGroßgrundbesitzer,zudenenauchprominentekurdischeFamilienzähltenwiedieNachkommenvonScheichMahmudBarzindschi,suchtenihreMachtgegenüberdenBauernmitGewaltdurchzusetzen.DerWiderstandderBauern,dervonderKommunistischenParteiunterstütztwurde,zwangMahmudsSohnScheichLatif,Zugeständnissezumachen.DersichtbareWohlstandbestimmterSchichtenführtezueinerUnzufriedenheitunterdenjenigen,dieandiesemWohlstandnichtpartizipierten.DievonhoherArbeitslosigkeitgeprägtewirtschaftlicheLageindenStädtenIrakisch-KurdistanssorgtefüreinPotentialanLeuten,diesowohlaufkurdischerSeite(peschmerga,«dievordemTodstehen»,d.h.bereitsind,ihrLebenzuopfern,Guerillas)alsauchaufstaatlicherSeite(vonihrenGegnernalsdschahsch,«jungeEsel»,geschmäht,vonderRegierungalsfursan,«Helden»,verklärt)alsKämpfereingesetztwerdenkonnten.IbrahimAhmadversicherteQasimnachdemPutschkurdischer

Kooperation.InderprovisorischenVerfassungwurdenAraberundKurdenalsgleichberechtigtePartnerbezeichnet.MitkurdischerHilfekonnteQasimseineBündnispartner,PanarabistenundBaathisten,vonderMachtentfernen.AlsdieKurdenausgedienthatten,suchteereinenKeilzwischenihrekonkurrierendenGruppierungenzutreiben.BarzanikonnteseineFührungspositionstärkendurchAusschaltungderstädtischenKurden,verkörpertdurchIbrahimAhmadunddessenSchwiegersohnDschalalTalabani.DiesewiederumhattensichschnelleralsBarzanigegenQasimgestellt,weilsieerkannthatten,dassseineAvancengegenüberdenKurdenkeinewirklichenVorteilebrachten.MitderZeitwurdedieMachtBarzanisfürBagdadbedrohlich.Ab1960

betonteQasimdasZiel,dieKurdenzuintegrieren.ZahlungenanBarzaniwurdeneingestellt,undihmfeindlichgesonneneStämmewurdenmitWaffenundGeldunterstützt.VondenVerlautbarungen,dieAraberundKurdenseienPartner,warnichtsmehrübriggeblieben.DerZeitraumvonAnfangdersechzigerbisMittedersiebzigerJahre

wargeprägtdurchfastununterbrocheneKämpfezwischenKurdenundderRegierung.DerersteAufstandgingvonAgasaus,diegegendieLandreformrevoltierten(1958).ErstnachdemdieRegierungeinesderBarzani-Dörferangegriffenhatte,schlosssichauchdiesermitseinenStämmenderRebellionan.QasimsVersuch,allegegeneinanderauszuspielen,warimEndeffekterfolglosundführtezuseinerIsolierung.1963tatensichseineGegnerzusammen,umihnzustürzen.DerCoupbrachtedenBaathunddieNasseristenmitArifanderSpitzeandieMacht.WährendesunterdenKurdenzumoffenenKampfzwischenTalabaniundBarzanikam,verhandeltedieneueRegierungmitBarzaniübereinenWaffenstillstand.EsistbezeichnendfürdieKurdenfrageimIrak,dasseskeineklaren

FrontenunddauerhaftenAllianzengab;derFeindvongesternkonntederPartnervonmorgensein.DieDifferenzenzwischenden«Stammes-Kurden»BarzanisunddeninderDPKorganisiertenKurdenumIbrahimAhmadundDschalalTalabaniwurdennurkurzfristigbeigelegt.LetztlichverwandtendieverschiedenenkurdischenGruppenmehrEnergiedarauf,sichgegenseitigzubekriegenalsdenKampfgegendieirakischeRegierungzuführen.Diesesetzteihrerseitsallesdaran,den«Bruderkampf»unterdenKurdenanzuheizen.VondemFriedensabkommenmitArif(1963)profitiertenichtdiekurdischeBewegung,sondernalleinBarzanidurchGeldundWaffenlieferungen.Dadurchgelangesihm,AhmadundTalabaniauszuschaltenundseineKontrolleüberdieDPKwiederzustärken.ImFrühjahr1966wurdendieRegierungstruppenunddiemitihnen

verbündetenKurdenderAhmad-Talabani-FraktionvonBarzanivernichtendgeschlagen.DiesbildetedenHintergrundfürdenbislangweitestgehendenVersuchimIrak,dieKurdenpolitischmitgleichenRechtenauszustatten,was–beiErfolg–demStaateinenbinationalenCharakterverliehenhätte.EingemäßigterNationalist,Abdar-Rahman

al-Bazzaz,derseitdemEintritteinerganzenReihevonZivilistenindasKabinettalsMinisterpräsidentamtierte,warbemüht,denKurdenentgegenzukommen.IneinemAbkommenzwischenBarzaniundal-BazzazwurdeeineraltenkurdischenForderungnachgegeben.DanachsolltendieüberwiegendkurdischenTeilevonderProvinzMosulabgetrenntundzueinerneuenProvinzDohukzusammengefasstwerden.AberdasMilitär,dasseitjehereinepolitischeLösungderKurdenfragebekämpfte,setztesichgegenal-Bazzazdurch,der–vorallemnachdemTodePräsidentArifs(April1966)–keineHausmachthatte.ImJuli1968erlangtederBaath,gestütztaufdasMilitär,diealleinigeMacht.DieParteimitihrerarabisch-nationalistischenAusrichtungwarfürdieKurdeneinschwierigerGegenspieler,zumalsiewederBarzaninochdieDPKalsVertreterderKurdenfürlegitimierthielt.WieunterallenneuenMachthaberngabeszunächstZuckerbrotfürdieKurden:KurdischsollteanSchulenunterrichtetwerden,einekurdischeUniversitätinSulaimaniyagegründetundnewroz(dasvondenKurdengefeierteiranischeNeujahrsfest)alsoffiziellerFeiertaganerkanntwerden(1970).DurchdieErnennungvonkurdischenMinisternversuchtederBaathdieKurdeneinzubindenunderklärtesichbereit,dievonal-Bazzaz1966angekündigtenKonzessionenindieTatumzusetzen.DamitsuchtedieRegierungdieKurdenumTalabaniundAhmad,diedemBaathideologischnahestanden,ansichzuziehenundBarzaniauszubooten.Währendbeidedarumbemühtwaren,durchguteBeziehungenzudenBaathistenihrePositionenzustärken,wollteBarzanieineZusammenarbeitmitdenMachthabernnureingehen,wenndieseihreKooperationmitTalabaniundAhmadaufgaben.DieVersprechungenvon1970warenabergleichzeitigeinMittel,mitdemmanhoffte,BarzanisStellungzuschwächen,alsoeinenKeilzwischendiebeidenwichtigstenKurdenorganisationenzutreiben.BarzanidemonstrierteseineÜberlegenheit,indemerRegierungstruppenunddieÖlanlagenumKirkukangriff.NachzähenVerhandlungenkameszueinemAbkommen(11.3.1970),dasfürdiekurdischeSeiteBarzaniundfürdieRegierungSaddamHusain–damalsVizepräsident–unterzeichneten.DasAbkommenumfassteunteranderemdieAnerkennungdesKurdischenalsoffizielleundUnterrichts-Spracheund

dieTeilhabederKurdenanVerwaltungundRegierung,insbesonderedieVergabederwichtigenPosteninkurdischenGebietenanKurden–ElementeeinerRegelung,dieeinerAutonomienahekamen.AberBagdadhieltsichnichtanseineZusagen.EinewesentlicheBestimmungdesAbkommens,welchedieSelbstverwaltungderkurdischenGebietebetraf,wurdevonderRegierungausgesetzt.AufBarzaniundseinenSohnIdriswurdenAnschlägeverübt,diejedochmisslangen.DanachfühltensichdieKurdennichtmehrandasAbkommengebunden.IndensechzigerJahrenwurdeIranzueinemwichtigenFaktorinderirakischenKurdenfrage.HintergrundwarderungelösteKonfliktüberdieGrenzziehungimSchattal-Arab,demgemeinsamenMündungsstromvonEuphratundTigris.UmBagdadzuschwächen,ließIranBarzaniGeldundWaffenzukommen.AnfangdersiebzigerJahresignalisiertederSchahseineBereitschaft,dieUnterstützungderKurdeneinzustellen,wennderIrakdervonTeheranangestrebtenRevisiondesVertragesvonSaadabad(v.a.dieGrenzziehungimSchattal-Arabbetreffend)zustimme.DerAbschlusseinesFreundschaftsvertragesdesIrakmitderSowjetunion(April1972)unddieVerstaatlichungderÖlindustrieriefendieUSAaufdenPlan,dieindenKurdeneinMittelsahen,umdenIrakzudestabilisieren.JedeSeitegabderanderendieSchuldanderverfahrenenLage:DieRegierungbeschuldigteBarzani,BeziehungenzufeindlichenMächten(Iran,USA)aufgenommenzuhaben;dieKurdenkontertenmitdemVorwurf,dasswesentlichePunktedesAbkommensnichtverwirklichtwordenseien.WohlindemGefühl,mitdenUSAeinenstarkenVerbündetenimRückenzuhaben,gingBarzaniinseinenForderungenweiter.SieliefenaufeineFöderationhinaus,innerhalbdererdieKurdenindenmehrheitlichvonihnenbewohntenGebieteneinschließlichderÖlregionumKirkuk,dasdieHauptstadtderKurdenseinsollte,eineSelbstverwaltunghätten.DadiesfürdieRegierungunannehmbarwar,reagiertesiemitdemAutonomiegesetzvomMärz1974.EsstießaberaufAblehnung,dennesenthieltetlicheEinschränkungen,diedenNamenAutonomienichtmehrgerechtfertigterscheinenließen.AllerdingsplädiertenführendeMitgliederderDPK,unterihnenauchBarzanisältesterSohnUbaidullah,füreineAnnahmedesGesetzes,weilsiedie

KonzessionenfürdasÄußerstedessenhielten,wasBagdadzuzugesteheninderLagewar.ImnächstenWaffengang,dersichindenJahren1974und1975ereignete,warendiekurdischenKräftedenTruppenBagdadszwarzahlenmäßigebenbürtig,verfügtenaberkaumüberschwereWaffenwiebeispielsweiseArtillerie.DieeigentlicheStärkederKurdenmachteohnehindieFähigkeitzumGuerilla-Kriegaus.BinnenKurzembesetztedieArmeeeinengroßenTeildesKurdengebiets,auchdieStädteAmadiyaundRawanduz.DieserregteBesorgnisinIran,derpromptdieKurdenunteranderemdurchdieEliminierungetlicherirakischerFlugzeugeentlastete.Aberdaswarzuwenig;füreineeffektivereStützungderKurdengegendieirakischeÜbermacht(Panzer,Flugzeuge)wärengrößereAnstrengungenIransnötiggewesen.DerSchahgewährteindesdenKurdengeradesovielHilfe,dasssiezwardieirakischeArmeebeschäftigten,sieabernichthättenschlagenkönnen.DerIraklenkteaufderOPEC-KonferenzinAlgier(März1975)inderaltenStreitfragederGrenzziehungimSchattal-Arabein.ImGegenzugfürdieErfüllungseinerForderungstellteIranseineUnterstützungderKurdenein.DaswardasEndedesKrieges.Mehrals100.000Kurden,peschmergaundihreFamilien,zogensichnachIranzurück,wohineineebensogroßeZahlvonKurdensichvordenKämpfengeflüchtethatten,währendanderesichdemirakischenMilitärergaben.NungingdieRegierungdaran,dasvonihreinstangebotene,abervondenKurdenzurückgewieseneAutonomiegesetzumzusetzen.DieGegnerBarzaniswurdenanderRegierungbeteiligt;einKurdewurdeVizepräsident.Zugleich–unddieshattenichtsmitdemGesetzzutun–wurdenMaßnahmenergriffen,welchedieDemographieKurdistansveränderten.HundertevonkurdischenDörfernwurdenzerstört,ihreBewohner–dieZahlgingindieHunderttausende–wurdeninanderenLandesteilenangesiedelt.DurchadministrativeManipulationenwurdeversucht,überalleinearabischeBevölkerungsmehrheitsicherzustellen,gewissermaßeneineArabisierungderKurdeneinzuleiten.VerhaftungenundFoltertateneinÜbriges,umdiesenMaßnahmenGewichtzuverleihen.AndererseitswurdenInitiativenzueinerwirtschaftlichenFörderungderKurdengebieteergriffen,diedurchdenÖlboommöglich

wurde.DieInfrastrukturwurdeentwickelt,Fabriken,SchulenundKrankenhäuserwurdengebaut.Allerdingsdarfnichtübersehenwerden,dassdamitletztlichdasZielverfolgtwurde,dieAbhängigkeitdeskurdischenNordensvonderHauptstadtzuvergrößern.DieNiederlageimMärz1975unddieFluchtMullaMustafasnachIran(vondortbegabersichzurBehandlungeinerschwerenKrankheitindieUSA,woer1979starb)bedeuteteneinemassiveSchwächungderDPK,worausseinalterGegner,DschalalTalabani,Vorteilezog.NochimgleichenJahrgründeteerinDamaskusdiePatriotischeUnionKurdistans(PUK),dieausderVereinigungzweierGruppenmitsozialistischerbzw.marxistisch-leninistischerProgrammatikresultierte.Siemachtedie«feudalistisch-tribalistische»FührungderDPKverantwortlichfürdasScheiterndesAufstands.1976nahmdiePUKdenKampfgegendasRegimeinBagdadauf.ZurgleichenZeitgingendieSöhneBarzanis,IdrisundMasud,daran,dieDPKzureorganisieren.DiePUKerlitt1979einenRückschlag,alseinGroßteilderPUK-KämpfervonTalabaniabfielundsichmiteinerAbspaltungvonderDPKzurSozialistischenParteiKurdistansvereinigte.Zwischen1979und1982erreichtendieAuseinandersetzungenzwischendenverschiedenenkurdischenOrganisationeneinenHöhepunkt.IdrisBarzaniagiertevonIranaus,woerdienachdemFalldesSchah-RegimesetablierteIslamischeRepublikIranimKampfgegendieiranischenKurden(DemokratischeParteiKurdistansinIran,DPKI)unterstützte.GegenEndedesKriegesmitdemIrak(s.u.)ließIrandieKurdenfallen.DiesbrachtediebeidenzerstrittenenHauptorganisationenderKurden,diePUKunddieDPK,wiedernäherzueinander.AufiranischeVermittlungtrafensichBarzaniundTalabaniEnde1986inTeheran,umihreFehdezubegraben.1987wurdeeineKurdistan-Frontgebildet,derdiebeidengenanntenParteiensowieverschiedeneKlein-undSplittergruppenangehörten.EinweitererFaktorderwechselndenFronteninderirakischenKurdenfragewarendie«regierungstreuen»Kurden(dschahschbzw.fursan).1986zähltensie150.000bis250.000Mitglieder,daswarenca.dreimalsovielMann,wiediekurdischenOrganisationenaufbietenkonnten.DergrößteTeilderdschahsch/fursanwarschlechtausgerüstet

undsog.Landesverteidigungs-Bataillonenzugeordnet.DasSystemberuhtedarauf,dassStammesführerihrewaffentragendenLeutedemStaatmeldetenundproManneinebestimmteSummeerhielten,wobeidieangegebenenZahlenmeisthöherlagenalsesderRealitätentsprach.DieseLeutebrauchtenkeinenWehrdienstinderirakischenArmeeabzuleisten.AußerdemverlangteihnenderDienstkeineKasernierungab,sodasssieweiterhinihrenBrotberufennachgehenkonnten.DieMitgliedschaftindendschahsch/fursanbedeuteteabernichteinegenerelleLoyalitätgegenüberderirakischenRegierung.VielmehrsympathisiertenetlichemiteinerderkurdischenGruppierungenundunterstütztendieseheimlich.AuchdemRegimewarwohlklar,dassesmitderZuverlässigkeitderdschahsch/fursannichtweitherwar.EntsprechendwarendiesehäufigebensobetroffenvonrepressivenMaßnahmen(z.B.Deportationen)wieeingroßerTeilderkurdischenZivilbevölkerung.DieUnterstützungeinesTeilsderirakischenKurdenfürIranvergalt

BagdadmitbrutalerGewalt.GanzeDörferwurdendemErdbodengleichgemacht,Massenverhaftungen,FolterundExekutionenwarenanderTagesordnung.AlsimMärz1988iranischeTruppengemeinsammitPUK-KräftenimirakischenTeilKurdistansvorstießenunddieStadtHalabdschabesetzten,gingdasMilitärmitdertödlichstenWaffevor,dieeszurVerfügunghatte,mitGiftgas.Etwa5000Menschen,überwiegendZivilisten,starben.DamitwarendieAktionengegendiekurdischeBevölkerung,diedenCharaktereinesVernichtungsfeldzugeshatten,nichtbeendet.AuchinanderenTeilenNord-Irakswurdedie«OperationAnfal»(«Beute»,nachdemTitelderSure8imKoran)fortgesetzt.DieMenschen,dievordiesenAngriffenflohen,wurdenvonTruppenumzingelt,inSammellagerabtransportiertoderumgebracht.FrauenundKinderwarendavonnichtausgenommen.DieZahlderToten,diezubeklagenwaren,wirdauf150.000bis200.000geschätzt.Ca.1,5MillionenMenschenwarenvonUmsiedlungsaktionenbetroffen.Diejenigen,diedenAngriffenentkamen,flüchtetenüberdieGrenzeindieTürkei(mehrerezehntausend)undnachIran(alleinimSommer1988ca.100.000).InderTürkeiwurdendieFlüchtlingeinLagernuntergebracht;trotztürkischenDrängensaufeineRückkehrindenIrak

zogensieesvor,dortzubleiben.DieAnfal-KampagnensindvonderOrganisationHumanRightsWatchalsGenozideingestuftworden.ObwohldieaußerordentlichzerstörerischeNaturderirakischenAngriffeaußerFragesteht,istdieVerwendungdesBegriffesGenozidvonForschernmitZurückhaltungaufgenommenworden.EsgehörtzudenbitterstenErfahrungenderjüngerenGeschichte,dass

trotzdesVorgehensBagdads–HalabdschaistwieSrebrenicaundMyLaieinSynonymfüreinenMassenmordunterderZivilbevölkerunggeworden–vonderinternationalenGemeinschaftkeineMaßnahmenzumSchutzderKurdenergriffenwurden,weilderIrakimKrieggegenIranvomWestenunterstütztwurde.ErstnachdessenEndeäußertenwestlicheRegierungenihreBesorgnis,vermiedenjedocheineVerurteilungIraks,umWirtschaftsaufträgeimRahmendesirakischenWiederaufbau-Programmsnichtzugefährden.Esbliebeinigennicht-staatlichenOrganisationenvorbehalten,AufklärungundPublizierungdesMassenmordesandenKurdenimIrakzubetreiben.AuchdeutscheFirmenwurdenbeschuldigt,Substanzenbzw.GerätezurHerstellungchemischerWaffengeliefertzuhaben.EinweiteresKapitelderGeschichtederKurdenbegannmitder

InvasionundVertreibungderirakischenStreitkräfteausKuwaitindenJahren1990/91.BeimTruppenaufmarschderUSAamPersischenGolfhieltensichdieKurdenzunächstzurück.Zumeinenmusstensiedaraufbedachtsein,nichtalsAnhängselderAlliiertenzueinemZeitpunktzuerscheinen,alsdasVorgeheninsbesonderederAmerikanerKritikinderarabischenWeltauslöste.ZumanderenwardieErinnerungandieEreignissevon1988nochzufrisch.DerAufrufdesamerikanischenPräsidentenGeorgeBushzumSturzSaddamHusainsverändertedieSituation.Zweifel,dasseinAufstandgegenBagdadnichtdieUnterstützungderGolf-Koalitionhabe,wurdenspätestensdurchdenSiegüberdieirakischenStreitkräftezerstreut.DieErhebungwarnichteigentlichgeplant,sonderninihrentludsichdieWutderkurdischenBevölkerungüberdiejahrelangeRepressiondurchBagdad.DiekurdischeFührung,diesichbislangZurückhaltungauferlegthatte,konntegarnichtandersalsdemeruptivenWiderstandderBevölkerungzufolgen.Dabeispieltendiedschahsch/fursaneineentscheidendeRolle.

AnetlichenOrtenübernahmennämlichsieundnichtdieKurdistan-FrontdieKontrolleundstelltendurchVerhandlungendenfriedlichenAbzugderRegierungstruppensicher,wobeikaumeinederdschahsch/fursan-GruppensichaufdieSeitederRegierungstellte.DassihneneinGeneralpardonversprochenwurde,wennsiesichderErhebunganschließenwürden,magihnendieEntscheidungerleichterthaben.ImMärznahmendieKurdendieStadtKirkukein,derenKontrolleschonimmereineihrerForderungengewesenwar.DochdieKurden(unddieWelt)hattendieRechnungohnedenWirt,

sprichSaddamHusain,gemacht.NachdemdieErhebungderSchiitenimSüdenniedergeschlagenwordenwar,wandtesichBagdadgegendieKurden.AllerdingswaresnichtalleindieÜberlebensfähigkeitvonHusain,diedemkurdischenAufstandeinEndebereitete.ObwohldiewestlichenFührungsmächtederKoalition,alsodieUSAundGroßbritannien,mehroderwenigerexplizitdasirakischeVolkzumAufstandgegenSaddamHusainaufgefordertunddadurchdenEindruckerweckthatten,eventuellzugunstenderHusain-Gegnereinzugreifen,bliebensienunmehrpassiv.Eingeschwächter,abernochimAmtbefindlicherHusainwurdeeinemAuseinanderbrechendesirakischenStaatesvorgezogen,weildiesunabsehbareKonsequenzenfürdieStabilitätderRegiongehabthätte.Iranhätteversuchenkönnen,sichseinenTeilvomIrakherauszuschneiden.EinekurdischeRevoltehättedieTürkeiaufdenPlangerufen,weilsiemöglicherweisemiteinemÜberschwappenderkurdischenBewegungaufdaseigeneTerritoriumkonfrontiertwordenwäre.DarüberhinaushättedieTürkeiihrealtenAnsprücheaufdieehedemosmanischeProvinzMosulerneuernkönnen–eineFurcht,diesichdurchErklärungendestürkischenStaatspräsidentenSüleymanDemirelimJahre1995bestätigensollte.IndieserSituationverfolgtedieTürkeieineDoppelstrategie.DenAmerikanernwurdedieNutzungihresLuftwaffenstützpunktesİncirlikbeiAdanafürAngriffegegendenIrakgestattet.DerrestriktiveKursgegenüberdereigenenkurdischenMinderheitwurdeetwasgelockert,sprachPräsidentÖzaldochvoneiner«Anerkennung»kurdischerRechte,wasauchimmerdieskonkretbedeutenwürde.UnterdiesenUmständenhattendieElitetruppenSaddamHusains,die

RepublikanischeGarde,leichtesSpielmitdenKurden.IhrerDisziplinundüberlegenenAusrüstunghattendieKurdennichtsentgegenzusetzen,Kirkukwurdezurückerobert.InwenigenTagenbefandsicheingroßerTeilderkurdischenBevölkerungdesIrakaufderFlucht.AnfangAprilverurteiltederUN-SicherheitsratdasirakischeVorgehengegendieKurdenundforderteBagdadzurEinstellungderKämpfeauf.Kurden,dieindieTürkeiflüchtenwollten,wurdenanderGrenzezurückgewiesen,währendIranderAufnahmederFlüchtlingezustimmte.ErstnachdemKritikandertürkischenWeigerunglautgewordenwar,erklärtedieTürkeiihrEinverständnis,dieinzwischenaufeinehalbeMillionangewachseneZahlvonFlüchtlingenhereinzulassen.GleichzeitigwurdedievomdamaligentürkischenStaatspräsidentenÖzalpropagierteEinrichtungeinerSicherheitszone(safehaven)imNordIrakakzeptiert.IrakischenFlugzeugenwurdeeinFlugverbotnördlichdes36.Breitengrades(=kurdischerNorden)undsüdlichdes33.Breitengrades(zumSchutzderSchiiteneingerichtet)erteilt.

Abb.3:FlüchtlingstreckirakischerKurdennachdemGolfkriegandertürkischenGrenzevorderBrückeDeştanüberdenZab,März1991

EswardiepraktischeUmsetzungderUN-Resolution688vomApril1991,inderderSicherheitsratdieUnterdrückungderZivilbevölkerung

verurteilthatte.BalddaraufbeganndieRückführungderFlüchtlingeausderTürkei.NichtzuletztaufgrunddererbärmlichenLagederBevölkerungsahen

sichdieKurdengezwungen,mitBagdadzuverhandeln.Esmussdaranerinnertwerden,dassdieKurdennureine,wennauchdiegrößteOppositionsgruppeimIrakwaren.1992hattesichderIrakischeNationalkongresskonstituiert,demdiemeistenOppositionsgruppenangehörtenunddessenZieleindemokratischerundföderalerStaatwar.DieEntscheidungderKurdistan-Front,aufeigeneFaust,alsoohneKonsultationdernicht-kurdischenGruppenmitSaddamHusainzuverhandeln,schwächtedieirakischeOpposition.DieGesprächedrehtensichwiefrüherumdasAusmaßderAutonomiefürdieKurdengebiete.SieverliefenergebnislosundwarenbegleitetvonZusammenstößenzwischenkurdischenKämpfernundRegierungstruppen.Husainhoffte,dieKurdenzueinerLösungzwingenzukönnen;seineForderungnachAblieferungallerschwerenWaffenwurdeaberabgelehnt.BagdadgingzueinerPolitikdeswirtschaftlichenAusblutensüber.EineBlockadewurdeverhängt,diezurVerknappungundVerteuerungvonBenzinundLebensmittelnführte.DieZahlungderGehälterkurdischerStaatsbediensteterwurdeeingestellt.DasAnsehenderkurdischenOrganisationensank,weilsievonderBevölkerungfürdieverheerendeVersorgungslagemitverantwortlichgemachtwurden.Husaingingwohldavonaus–zuRecht,wiedieEreignissezeigensollten–,dassesfrüheroderspäterzuKonfliktenunterdenkurdischenParteienkäme,diediesezwingenwürden,einenModusvivendimitihmzufinden,undzwarzuseinenBedingungen.MitderEtablierungderUN-Sicherheitszone,demAbzugderirakischen

RegierungstruppenundderVerhängungdesirakischenEmbargoserreichteeinkurdischesGebietzumerstenMaleineinternationalgeduldeteAutonomie(dieseRegionerstrecktsichauchsüdlichdes36.Breitengrads;siereichtvonZachuimNordwestenbisHalabdschaimSüdosten).DieKurdenkonntendiesenZustandderDe-facto-Unabhängigkeit–vonökonomischerUnabhängigkeitkonnteundkannkeineRedesein–fürihrenationalistischenZielenichtnutzen.DieslagzumeinenandenKonkurrenzkämpfenderkurdischenParteien,vor

allemderDPKundderPUK,untereinander.AberauchohnedieseRivalitätenhättendieChancenfüreinegedeihlicheEntwicklungdesDe-facto-Staatesschlechtgestanden.ZweiTatbeständewarenvongroßemEinfluss:ErstensgabeskeineauswärtigeMacht,dieeinenunabhängigenKurdenstaatgewolltodergeduldethätte;wasauchimmerfürunddurchdieKurdenerreichtwerdenkonnte,konntenurimRahmendesirakischenStaatesverwirklichtwerden.ZweitenswäreKirkukmitseinenÖlanlagendieeinzigmöglichewirtschaftlicheEinkommensbasisfüreinenkurdischenStaatgewesen;KirkuksollteindesnachAnsichtauswärtigerMächteirakischbleiben.Andersausgedrückt:KeineauswärtigeMachthättedieÜbernahmeKirkuksdurchdieKurdengeduldet,dadieseinAngriffaufIraksLebensnervgewesenwäre.WashabendieKurdenausdemäußerstbegrenzten«Freiraum»ihres

fragilenDe-facto-Staatesgemacht?WelcheswarendieLebensbedingungen,oderbesser:BedingungenihresÜberlebens?DiewirtschaftlicheLagebotdamalswenigAnlasszurHoffnung,dasssichdieEnklaveinirgendeinerWeisealsfunktionsfähigerweisenkönnte.Dieinden70er-und80er-JahrenvernachlässigteAgrarwirtschaftwardurchdiePolitikderverbranntenErdeundUmsiedlungderDorfbevölkerunginvielenGegendenweitgehendzerstört.SeitEndederachtzigerJahrewarderIrakvonausländischenLebensmittelimportenabhängig.DiedurchdenÖlboomermöglichtenBau-undModernisierungsprojektedersiebzigerJahrehattennichtprimärdasZielverfolgt,dieInfrastrukturkurdischerStädtezumodernisieren,sondernsolltendieLoyalitätundAbhängigkeitihrerBewohnervomZentrumgewährleisten.Mangelwirtschaftwaralsovorprogrammiert,alsdiekurdischenStädtenachderVerhängungdesEmbargosvonBagdadabgekoppeltwurden.Dievielenarbeitslosenbzw.gehaltslosenStaatsbedienstetenundBinnenflüchtlingeverschlimmertendieLage.Schätzungenzufolgewarenzeitweise70%derBevölkerunginderSchutzzonevonhumanitärerHilfe(OperationProvideComfort)abhängig.DieGelderundSachleistungen,diedurchstaatliche,nicht-staatlicheundUN-HilfsorganisationennachKurdistanflossen,hatten–ungewollt–einenbedenklichenEffektgehabt.SiebrachteneineWirtschafthervor,dieesvielen(Stammes-)Führernermöglichte,ihreMachtdurchZugangzu

diesenRessourcenzuerhaltenoderauszubauen.DieHilfsorganisationenkonntennämlichnurdurchlokaleMächtesicherstellen,dassihreLeistungenbeidenHilfsbedürftigenankommen.DieLokalmächteihrerseitsherrschteninersterLiniedurchMilizen,indeneneinbeträchtlicherTeildermännlichenBevölkerungseinAuskommenfand.DieseMilizengewährleistetenSchutzundOrdnung.Eshandeltesich

teilsumehemaligepeschmerga,teilsumehemaligedschahsch/fursan-Verbände,derenFührerihreeinstigeRegierungstreueaufneuePatroneübertrugen.Siewarenabernichtimmerstandhaft,einbesseresAngebotanLeistungenkonnteihre«Treue»leichtändern.InderRegelwarensieeinerParteiloyalbzw.botenihreDiensteeinerParteianunderhielteneinenkargenLohn.DafürsichertensiesichabereinenZugangzuundAnteilandenHilfsgüternbzw.denVerteilernetzen,diedurchdieParteiorganisiertwaren.DieParteienselbstwarengewissermaßenPatronegeworden,undihreMachtbasiswarklientelistischaufgebaut.DiekurdischenParteienbeschlossen,imMai1992einParlamentund

eineFührungzuwählen.Der«Wahlkampf»drehtesichfastausschließlichumPersonenundnichtumProgramme.AngesichtsderkatastrophalenWirtschaftslagewaresnichtverwunderlich,dassmanentsprechendderLoyalitätzubestimmtenPersonenwählte,vondenenbestimmteLeistungenundDiensteerwartetwurden.Barzanis«AutonomiefürKurdistan,DemokratiefürIrak»undTalabanisAutonomiefürdieKurdeninnerhalbeinesföderalenIrakunterschiedensichnichtwesentlichvoneinander.DieswareinerealistischeEinschätzungderMöglichkeiteninsofern,alswederdieTürkeinochIraneinevollkommeneLoslösungderSchutzzonevomIrakgeduldethätten.DiedrittgrößteGruppierungwurdedievonIranunterstützte«IslamischeBewegung»Kurdistans.DieWahlenverliefentrotzungünstigerAusgangsbedingungenweitgehendfriedlichundohnenennenswerteUnregelmäßigkeiten.DPKundPUKerreichtenzusammenfast90%derStimmen,wobeidieParteiTalabanisnuretwaswenigerals2%hinterderDPKzurückblieb.ImParlamenthattendiebeidenParteienjeweils50Sitze,währendfünfSitzefürzweiParteienderassyrischenChristenunterdenKurdenreserviertwaren.Eine«KurdischeRegionalregierung»(KurdistanRegionalGovernment)

wurdegebildet,diezugleichenTeilenmitMitgliedernderDPKundPUKbesetztwar.GingeinMinisteramtaneinMitglieddereinenPartei,mussteseinStellvertreterderanderenParteiangehören.DiesesProporz-System,dasindenmeistenVerwaltungszweigeneingeführtwurde,hatdieHandlungsfähigkeitderkurdischen«Regierung»erheblichbeeinträchtigt.SchwerwiegenderwarindesdieTatsache,dassdieParteispitzensichweigerten,MachtandiegewähltenVertreterabzugebenbzw.sichselbstindiedemokratischenStruktureneinzugliedern,dasiedadurchihreEigenständigkeiteingebüßthätten.SobliebendieParteizentralendiebestimmendenFaktorenimTagesgeschehen,wasgroßenRaumfürFehler,VersäumnisseundKorruptioneröffnete.DieseZweiteilungsetztesichinanderenBereichenfort.Diealten

RivalitätenzwischenBarzaniundTalabani,kulturell-sprachlicheUnterschiedezwischenKurmandschi-undSorani-Sprechern,ideologischeDifferenzenzwischentraditionalistischenundprogressivenKräftenließenkeineübergreifendenStrukturenundLoyalitätenaufkommen.UnddochreichendieseFaktorennichtaus,umdieKonflikteindemfragilenkurdischenGebietzuerklären.DieBruchlinienzwischenbeidenklientelistischenOrganisationenverliefennichtmehrausschließlichentlangideologischerUnterschiedewietraditionalistisch/progressivodersozialerZugehörigkeit.VielmehrwarendieParteieninderLage,StammesangehörigeundStädterzugleichanzuziehen.Diesdeuteteherdaraufhin,dassStammesloyalitätendurchdieParteienteilweiseüberwundenwurden.WelchenEinflussdieseWidersprüchlichkeitenaufdieEntwicklungkurdischernationalerIdentitäthaben,bleibtabzuwarten.Wovonexistiertein«Staat»,indemwegenderzusammengebrochenen

WirtschaftundderextremhohenArbeitslosigkeitnichtaneineBesteuerungzudenkenwar?NebenderhumanitärenHilfewarendieHaupteinnahmequellendieZölle,dieaufImporteundSchmuggelwarenandenGrenzübergängenzurTürkeiundzuIranerhobenwurden.Dieeingenommenen«Steuern»flossenzumeistindieKassenderParteienoderindieTaschenörtlicherFührungspersönlichkeiten.InderKontrolleüberdieGrenzübergängeunddamitdieEinnahmenlagauchdie

HauptursachefürdiehäufigenKämpfezwischenDPKundPUK.EinAbkommenübereine«Demilitarisierung»,dasinDublinimAugust1995vonbeidenParteienunterzeichnetwurde,schlugfehl.SchmuggelsichertezumeinendasÜberlebenderMenschenimNord-Irak,warzumanderenabergleichzeitigverantwortlichfürbestimmteEngpässeoderMängel.SowurdebeispielsweiseeinTeilderGetreideernte1992und1993indenIrakaußerhalbderUN-Schutzzonegeschmuggelt,weilBagdadeinenhöherenPreisbot.WelcheswarendieaußenpolitischenOptionen?VonSaddamHusain–erkonntederSelbstzerfleischungderKurdenuntereinanderzuschauen–warkeinernsthafterundvertrauenswürdigerBeitragzueinerLösungzuerhoffen,solangekeineauswärtige«Garantiemacht»auftrat.DieLebensfähigkeitderkurdischenEnklavehingvonderTürkeiab,weilüberihrTerritoriumdiemeistenHilfslieferungenkamenundsiederEinflussnahmewestlicherStaatenzugänglicherwaralsIran.WährendBarzanizögerte,setzteTalabaniaufdietürkischeKarte.SeinemDrängenaufeinEngagementAnkarasimkurdischenNordenIrakserteiltedietürkischeRegierungjedocheineAbsageundverständigtesichmitIranundSyriendarauf,dieUnverletzlichkeitderirakischenGrenzenanzuerkennen.Dasbedeutetabernicht,dassesnichtzueinergelegentlichenZusammenarbeitAnkarasmitdenkurdischenParteiengekommenwäre.DPKundPUKbeteiligtensich–nichtimmergemeinsamundgleichzeitig–antürkischenMilitäroperationengegendiePKKimtürkisch-irakischenGrenzgebiet.DieTürkeiunterstützteihrerseitsdiekurdischeAdministrationinArbilfinanziell,waseinergewissenAnerkennungihrerAutoritätgleichkam.AnkaravermitteltezudemWaffenstillständezwischenPUKundDPK;eshateinInteresseaneinerSicherheitszone–ähnlichderisraelischenimSüd-Libanon–,dievonihrgenehmenundwirtschaftlichabhängigenkurdischenGruppenkontrolliertwird,umsoPKK-AktivitätenaufirakischemBodendasWasserabzugraben.DerDauerkonfliktzwischenDPKundPUKwar1996AnlassfürdieerstegrößereirakischeMilitäraktionseit1991.OffiziellwurdesievonBagdadmitderAbwehriranischerAktivitäten(zugunstenderPUK)undeinemHilfeersuchenderDPKbegründet.IrakischeTruppenbesetzten

Arbil;eskamzuKämpfenzwischenDPKundPUK;DPK-KräftenahmenSulaimaniyaein,dieHochburgderPUK.BaldnachdemRückzugderirakischenTruppengelangesderPUK,dieStadtzurückzuerobern.ImMai1997unternahmdieTürkeieinenihrerhäufigenVorstößeindenNord-Irak,umdortigePKK-Stützpunktezuzerstören.GleichzeitigwarenDPK-undPKK-KämpferinKämpfeverwickelt,wobeiletzterevonderPUKunterstütztwurden.DiePUKihrerseitskonnteaufdenBeistandIransrechnen,waraberzurgleichenZeitmitdervonIranunterstütztenislamistischenGruppierungunterdenKurdenüberKreuz;dieDPKkonnteaufdieHilfeBagdadszählen.DaimNord-IraksovieleAkteuremitspielen,sinddieKombinationsmöglichkeitenentsprechendzahlreich,KooperationenundAllianzenvonbeschränkterDauerundVoraussagenüberdieEntwicklungschwerzutreffen.ImSeptember1998erklärtenBarzaniundTalabaniineinemgemeinsamenKommuniquéinWashingtonihreBereitschaftzueinerVersöhnungderverfeindetenParteienundzueinerfriedlichenBeilegungihrerDifferenzen.Darüberhinausbekanntensiesichzur«territorialenIntegritätundEinheit»desIrak.Mitder«OperationIraqiFreedom»,derInvasionvonTruppenmehrererStaatenunterFührungderUSA,unddemFalldesRegimesvonSaddamHusainnahmdieSituationderKurdenimIrakeineunvorhergeseheneWendezumBesseren.RelativstabilepolitischeVerhältnisseundeinegünstigeWirtschaftsentwicklung(Öl,Landwirtschaft,Bauboom)machtendiemitAutonomiestatusausgestattetenkurdischenGebieteimNord-IrakfastzueinerOasedesFriedensineinemansonstenvonKriegundTerrorheimgesuchtenLand.Nach2003gelangtendieehedemmeistzerstrittenenParteienDPKundPUKzueinemGleichgewichtderKräfte,indemMasudBarzanizum«PräsidentenKurdistans»(danebengibteseinenPremierminister)undDschalalTalabanizumPräsidentendesIrakgewähltwurde.Die2009verabschiedeteVerfassungdeskurdischenBundesstaatesgewährtdenMinderheiten(v.a.muslimischeAraberundTurkmenen,danebenchristlicheAssyreru.a.)kulturelleRechteundteilsSelbstverwaltung.AndererseitsgibtesSpannungenzwischenArabern,KurdenundTurkmenenimölreichenKirkuk;dieStadtistauchStreitobjektzwischenderRRKIundderZentralregierunginBagdad.Zwarhabensichdie

BeziehungenzwischenderRRKIundderTürkei–nichtzuletztdankeinerstarkenwirtschaftlichenVerflechtung–entkrampft,abernachwievorbeobachtendernördlicheNachbarundIrandieEntwicklungIrakisch-KurdistansmitArgusaugen,weilderAutonomiestatusalsAusgangspunktfürUnabhängigkeitsbestrebungenwahrgenommenwird.IndenletztenJahrenhatsichderAutonomie-StatusderKurdenregionweiterverfestigt.DieRRKIverfügtüberalleInsignieneinesunabhängigenStaates:eineeigeneFlaggeundNationalhymne,eineeigeneArmee,dieÄmterdesPräsidentenundMinisterpräsidenten(nurdasdesAußenministersfehlt,derirakischeAußenministeristjedochKurde)sowieeineigenesParlament.WashindertdieKurdenimIrakdaran,einenunabhängigenStaatauszurufen?Barzanihatmehrfachdavongesprochen,dassdieKurdenimIrakdasRechtaufSelbstbestimmunghätten,wasinletzterKonsequenzdieAusrufungeinesunabhängigenStaateswäre.Daerjedochweiß,dasseinsolcherSchrittaufdenWiderstandderinternationalenStaatengemeinschaftstoßenwürde,forderterzunächsteinReferendumderBevölkerung.Unabhängigkeitodernicht:DieRRKIwirdinzwischenalswichtigerregionalerAkteurwahrgenommen.DasverdanktsichnichtzuletztderTatsache,dassdenKurdenimIrakeinewichtigeRolleimAbwehrkampfgegendenISzufällt.DeutschlandhatArbilWaffenundMunitiongeliefert;dieBundeswehrbildetkurdischesMilitär(Peschmerga)aus.AuchdieTürkeiunterhältengeBeziehungenzudenKurdenimNord-Irak.DieTürkeiistderwichtigsteHandelspartner,überihrTerritoriumläuftdiePipelinefürdenExportvonÖlzumMittelmeerhafenCeyhan.DifferenzengibtesmitderTürkeiwegenihrerAngriffeaufPKK-Stützpunkteaufkurdisch-irakischemGebiet.LetztenEndeswissenaberbeideSeiten,dassdieVorteileeinerZusammenarbeitdieNachteileeinerKonfrontationüberwiegen.ImVergleichzuanderenGebietenimethnischundreligiösfragmentiertenIrakistderkurdischeNordenstabilundsicher.AufderanderenSeitehatdieExpansiondesIS,welchedieGrenzezwischenSyrienundIrakteilweiseaufgelösthat,auchdieKurdenregionnichtverschont.Irakisch-Kurdistanbeherbergtgegenwärtigfast250.000FlüchtlingeausSyrienundetwasübereineMillion

BinnenflüchtlingeausdemIrakbeieinerBevölkerungvonca.4Millionen.AuchinderInnenpolitikgibtesLicht-undSchattenseiten.DemokratischeWahlenfindenstatt;MinderheitenrechtesindimPrinzipgewährleistet,auchwennsichYezidenübermangelndeparlamentarischeRepräsentationunddieUntätigkeitderRRKIinihremExistenzkampfgegendenISempören(Sindschar-Krise).NachwievorbeeinträchtigenklientelistischeundStammesstrukturensowieKorruption,VetternwirtschaftunddieMachtfüllederBarzanisundTalabaniseineweitereDemokratisierungderGesellschaft.SolcheMissständewarenverantwortlichfürdieSpaltungderPUK;dieneugegründeteParteides«Wandels»(Goran)tratzumerstenMalindenRegionalwahlenimJuli2009anundverdrängtediePUKimSeptember2013aufPlatzdreiinderWählergunst.UnangefochtenanderSpitzerangiertdieKDP.UnterderRegierungdesmachtbewusstenSchiiten-PolitikersNurial-MalikiundnachdemAbzugderUS-TruppenEnde2011gestaltetensichdieBeziehungenzwischenArbilundBagdadschwierig,zumalStaatspräsidentTalabanialsVermittlerdurchseinenSchlaganfallausfiel(undauchnichtmehrinseinAmtzurückkehrte;seinNachfolgerwurde2014derKurdeFuadMasum).DieWahldeseheranKonsensorientiertenSchiitenHaidaral-AbadizumMinisterpräsidenten(September2014)undeineausgewogenereMachtverteilungführtenzueinergewissenEntspannung.EsbedurftelangwierigerVerhandlungen,umsichaufeinenneuenVerteilungsmodusderEinnahmenausEnergieexportenzuverständigen(Dezember2014);fortansolltendieKurden17%ausdemErlösdieserAusfuhrenbekommen.DieserEntscheidungwareinjahrelangerKonfliktvorausgegangen,sodassdieKurdenÖlausihremTerritoriumzwischenzeitlichineigenerRegieüberdieTürkeivermarkteten.DerInteressenausgleichzwischenArbilundBagdadwurdedurchdievomISdargestellteBedrohungbeschleunigt,welchedieverschiedenenKräfteimIraknäherzusammenrückenließ.DerfluchtartigeRückzugderirakischenStreitkräfteausMosulvordenvorrückendenIS-KämpfernließnichtnurKirkuk,sondernauchTeilederzwischenderZentralregierungunddemRRKIumstrittenenGebieteindenProvinzenNinawa,Salahad-DinundDiyalaindieHändeder

Kurdenfallen.DieseErweiterungkurdischenEinflussbereichsinGebietenmitbeträchtlicherarabischerBevölkerungunddiepunktuelle,wennauchspannungsgeladeneZusammenarbeitArbilsmitdenKurdeninSyriensindabernichtimInteresseBagdads.Irakisch-KurdistanmachteineWirtschaftskrisezuschaffen,dieinersterLinieaufMindereinnahmeninfolgedesniedrigenÖlpreisesunddenaufgeblähtenöffentlichenSektorzurückzuführenist.VordiesemHintergrundsinddiesichhäufendenForderungenBarzanisnachUnabhängigkeitdesföderalenTeilstaatswohlalseinAblenkungsmanöverimInnernundalsDruckmittelaufpotentielleGeldgeber(USA,Europa)zusehen.DarüberhinaussollderRufnacheinemReferendumkaschieren,dassnachzweiAmtszeitenundzweiverfassungsmäßigproblematischenVerlängerungen(diezweiteläuftseitAugust2015)seinePräsidentschaftnichtmehrhinreichendlegitimiertist.

3.DieKurdeninIran:SprachlicheAffinitätundpolitische

Konfrontation

DerZusammenbruchderSafawiden-HerrschaftimerstenDritteldes18.JahrhundertsstürztePersieninlangjährigeWirren,dieunterdenHerrschernNadirSchah(1736–1747)undKarimChanZand(1750–1779)nurteilweiseeingedämmtwerdenkonnten.ErstgegenEndedes18.JahrhundertsgelangesAgaMuhammadSchah,demBegründerderturkstämmigenDynastiederQadscharen,denZerfallzumStillstandzubringenundPersienungefährindenGrenzendesSafawiden-Staates(ausgenommenAfghanistanunddenKaukasus)zueinen.Im19.JahrhundertsteigertesichderEinflussinsbesondereRusslandsundEnglands,diesichzahlreicheWirtschaftsprivilegienund-monopole

sicherten,biszurAbhängigkeit.TeilweiseinReaktiondaraufkameszuVolksaufständen,währendgleichzeitigwestlichespolitischesIdeengutinsLandeindrang.DieseEntwicklungengipfelteninderEinsetzungeinesParlaments,das1906eineVerfassungverabschiedete.ImErstenWeltkriegbesetztenrussisch-zaristischeundbritischeTruppenTeileIrans.DieVerwaltungparalysiert,dieFinanzenzerrüttet,dieVersorgungderBevölkerungzusammengebrochen,brachenUnruhenausundmachtensichseparatistischeBestrebungenbemerkbar.KämpfeunterdenStämmentrugenzueinerallgemeinenAnarchiebei.InKurdistanwardasChaosbesondersausgeprägtundbegünstigtedenAufstiegIsmailAgas,dervondenAngehörigenseinesStammes,denSchikak,SimkogenanntwurdeundüberdieRegionwestlichundnordwestlichdesUrmiya-Seesgebot.IndenKriegsjahrenerreichteSimkoeineweitgehendeSelbständigkeit.SeinePositionwurdezusätzlichgestärktdurchseineAllianzmitdemNaqschbandi-ScheichTahainSchamdinan(imDreiländereckIran-Türkei-Irakgelegen).DieVerbindungvonKurdenüberdieStaatsgrenzenIransunddesOsmanischenReicheshinwegstelltefürTeherannaturgemäßeineBedrohungdar.GroßbritannienfavorisierteSimkosEinbindungdurchdieÜbertragungregionalerAutorität,umihnsobesserkontrollierenzukönnen.EsverweigerteaberdieLieferungvonWaffen,woraufhinerdiesevondernational-türkischenBewegungMustafaKemalserhielt.ZuBeginndesJahres1920fühltesichdieiranischeRegierungstarkgenug,gegenSimkovorzugehen;imFebruarwurdeervonRegierungstruppengeschlagen.BereitswenigeMonatespäterkonnteer,mitneuenWaffenversehenundeinerwachsendenZahlvonAnhängernauchausanderenStämmen,seineMachtbasiswiederaufbauen.DieihmzurVerfügungstehendenca.1500MannführteeruntertürkischerFlaggeinsFeld,wodurchdieBedrohungiranischenTerritoriums,insbesondereangesichtsseinerZusammenarbeitmitdenKemalisten,verdeutlichtwurde.ImFebruar1921ergriffRezaChan,derFührereinerKosakenbrigade(seit1878TeilderiranischenArmeeunterdemKommandorussischerOffiziere),ineinemStaatsstreichdieMachtinTeheran;damitwardasEndederQadscharen-Herrschafteingeläutet.Erselbstübernahmdie

FunktionendesKriegsministersundOberkommandierenden.MithilfederArmeewurdediestaatlicheAutoritätwiederhergestellt.ImSommer1922wurdeSimkobesiegt.ErflohindieTürkeiundindenIrak,woerversuchte,UnterstützungfürseineZielezugewinnen.1924wurdeervonRezaChanbegnadigt,weilmanglaubte,dasserimAuslandIranmehrSchadenzufügenkönnealsimLandeselbst.DiesstelltesichalseineTäuschungheraus,warSimkodochinkurzerZeitwiederobenauf.ErmussteabererneuteineNiederlageeinsteckenundsetztesichindenIrakab.SchließlichwurdeerunterdemVorwandeinerAmnestieunddemVersprechen,ihnzumGouverneurvonUschnaviya(Uschnuiye)zumachen,nachIrangelocktundgetötet.WaswarenSimkospolitischeKalküleundImpulse?Gewiss,ersprachvonUnabhängigkeitundvereinigteeinigeStämmeunterseinerFührung.SeinBündnismitScheichTahaverliehihmfürkurzeZeitEinflussüberdieGrenzenIranshinaus.Einpolitisch-programmatischesFundamenthattendieseTatenabernicht.AbgesehenvoneinerZeitung,dieerherausgebenließ,dieaberkaumeinenationalistischeAusrichtunghatte,sindStellungnahmenSimkoszuseinenBeweggründennichtaufunsgekommen.SimkowareintypischerStammeschef,einAbenteurer,derAnhängermobilisierteundRivalenunterdrückte,wiediesauchandereStammesführer,obwohllängstnichtsoerfolgreich,getanhatten.DerZulaufvonanderenStämmen,derihnzeitweisezueinerregionalenGrößemachte,ließraschnach,wennsichMisserfolgeeinstelltenoderrivalisierendeStammesführerbefürchteten,voneinemübermächtigenSimkoerdrücktzuwerden.SelbstunterdenClanenderSchikakhatteerGegner,dienurdaraufwarteten,sichmiteinemanderenStammeschefbzw.einerauswärtigenMachtzuverbünden,umihnauszubooten.SimkowardemtribalenMilieuverbundenundmachteausseinerGeringschätzungfürdiestädtisch-sesshafteKulturkeinenHehl.VielleichtwaresdieserStolzaufdieStammesherkunft,dieihnblindmachtefürihregravierendenSchwächen.IndenzwanzigerunddreißigerJahrenändertesichdieSituationinKurdistan.WieMustafaKemalinderTürkei,sounternahmauchRezaChan(ab1925RezaSchahPahlawi)denVersucheinersprachlichenundkulturellenHomogenisierungderGesellschaft.Amdringlichstenwaraus

derSichtdesStaatesdieZentralisierung,unddasbedeutetedieUnterdrückungtribalerAutonomieunddieBeschränkungdesNomadismus.EinewichtigeVoraussetzungfürdieFähigkeitdesStaates,denStämmenseinenWillenaufzuzwingen,warderEinsatzmilitärischerTechnologieundentsprechendausgebildeterTruppen.WeilsichdieneugewonneneAutoritätdesStaatesnichtaufAnhiebdurchsetzenließ,spieltemanzunächstdasalteSpiel,nämlichStämmebzw.innerhalbeinesStammeskonkurrierendeFührergegeneinanderauszuspielen:dieunendlicheGeschichtedesVerhältnissesvonZentralmachtundStämmen.DabeiwarendieGrenzenIransVor-undNachteilzugleich.RebellierendeStämmekonntensichüberdieGrenzeindenIrakabsetzen,wennihnendieExpansionderZentralmachtlästigwurde.DadurchwurdeeinekontinuierlicheKontrolleverhindert.UmgekehrtsickertenirakischeKurdendurchdieGrenzeein,umsichbritischenNachstellungenzuentziehen;dieseKurdenkonntengegendieInteressenderBriteneingesetztwerden.ImFalleScheichMahmudsverfuhrmanso:AlsdieBriten1922SimkoimIrakAsylgewährten,tatendieIranermitMahmuddasgleiche.MitanderenWorten:DiegegnerischenSeitenbenutztendieKurdendazu,sichgegenseitigSchadenzuzufügen.DieLebensweisenomadischerundseminomadischerStämmemitihrensaisonalenWanderungenschufProblemefüreinenStaat,dersichdaranmachte,MilitärdienstundregelmäßigeBesteuerungdurchzusetzen.Widerstanddagegenwarweitverbreitet,insbesonderegegendenVersuch,StammesangehörigeihrerWaffenzuberauben.DieEntwaffnungderStämmeinGrenznähegestaltetesichamschwierigsten,konntendiesedochihreWaffenindenIrakschaffenundbeinächstbesterGelegenheitwiederabholen.TeilweisegingdieRegierungmitmassiverGewaltgegendieStämme–beileibenichtnurgegenkurdische,sondernauchturkmenischewiedieKaschgai–vor,wobeisienicht–wieimFalleSimkos–vorderLiquidierungvonStammesführernzurückschreckte.EinanderesInstrumentdesStaates,sichdieStämmegefügigzumachen,bestandinderUmsiedlungausKurdistaninandereRegionenIrans.WeitereMaßnahmenumfasstendieKonfiskationvonHerdenunddieBeschränkungvonWeidewanderungen.AlldasbeeinträchtigtenichtnurdasStammesleben,sondernhatteauch

AuswirkungenaufdieWirtschaftdesLandes.IndenStädten,dievondenLieferungenderviehzüchtendenStämmeabhängigwaren,kameszuVersorgungsengpässen.GegenEndederdreißigerJahre–etwazeitgleichmitdenKurdeninderTürkei–warendieKurdeninIranweitgehendunterworfen.ZwarwurdenStammesstrukturennichtgänzlichzerstört,aberdieBewegungsfreiheitdernomadischenStämmewarstarkeingeschränkt.DieMachtderStammesführerwurdegebrochen;ihrEinflussberuhtenunhauptsächlichaufihremLandbesitzundihrenVerbindungeninderHauptstadtTeheran.Auchaußenpolitischwurdeversucht,dieKurdenstärkerzukontrollieren.DerVertragvonSaadabad(1937),indemIran,IrakunddieTürkeigegenseitigihreGrenzenanerkannten,richtetesich,ohnesiebeimNamenzunennen,gegendieKurden.ObwohlIranimZweitenWeltkriegoffiziellneutralwar,unterhieltesengeBeziehungenzuNazi-Deutschland.NachdemdeutschenÜberfallaufdieSowjetunionwurdenTeiledesLandesvonbritischenundsowjetischenTruppenbesetzt,wasdieAutoritätderTeheranerRegierungerheblichschwächte.RezaSchahdanktezugunstenseinesSohnesMuhammadRezaSchah(regierte1941–1979)ab.Diestrategischen,wirtschaftlichenundpolitischenInteressenderSowjetunionrichtetensichbesondersaufNordwest-Persien(=Süd-Aserbaidschan),dasandieASSRAserbaidschangrenzte.AufbeidenSeitenderGrenzebefandensichreicheÖlvorkommen,andenenmansichdieBohrrechtesichernwollte.InSüd-AserbaidschanfördertendieSowjetsAutonomiebestrebungen;mitihrerHilfewurde1941diekommunistischeTudeh-Parteigegründet.DieUnzufriedenheitinAserbaidschanmitTeheranspieltedenSowjetsindieHände.UnterihremSchutzwurde1945dieautonome«AserbaidschanischeVolksregierung»gebildet,welchedieausschließlichlokaleVerwendungdereingenommenenSteuernunddieEinführungdesAserbaidschanischenandenSchulenverkündete.EinGroßteilIranisch-Kurdistans,dasadministrativzuriranischenProvinzAserbaidschangehörte,warzwarnichtbesetztworden,unterlagaberauchnichtderuneingeschränktenKontrollederZentralmacht.DiesenFreiraumnutzteeineGruppevonKurdeninderKleinstadt

Mahabad–Beamte,Kleinhändler,OffiziereundLehrer–zurGründungeineranfangsgeheimen‹GesellschaftzurWiedererweckungKurdistans›(Komala-iDschiyanawa-iKurdistan,September1942).NachderSatzungwarderIslamdieoffizielleReligioninKurdistan.DennochwarendieBeiträgeinNischtiman(«Heimat»),demOrganderGesellschaft,überwiegendsäkularausgerichtet.DerRekursaufdenIslamdientewohlalseinMittel,umnichtvonkonservativenKreisenalsAtheistenabgestempeltzuwerden.GleichermaßenwarendieMitgliederderGesellschaftbemüht,nichtalsKommunistenetikettiertzuwerden.DieserVorwurfkonnteerhobenwerden,weildieKomalasozialeDisparitäteninderkurdischenGesellschaft,beispielsweisezwischenBauernundLandbesitzern,ansprach.SolcheUngleichheitenwarenfürdieKomalaabernichtAusdruckvonKlassenunterschieden,sondernAuswüchseindividuellenBesitzstrebens,diedurchein«humaneres»VerhaltenderLandbesitzergegenüberdenBauernvermiedenwerdenkönnten.DasThema,dasdieKomala-MitgliederinersterLiniebeschäftigte,war

dieBestimmungdesProjektsKurdistan.MitwemundwiewolltensieihreZieleverwirklichen?ObwohlsichdieOrganisationislamischgab,warenauchchristlicheAssyrerzugelassen.Stammesführer,GrundbesitzerundGroßhändlerspieltenkeineRolleinderGesellschaft.WieihreirakischenHiwa-KollegenwarendieKomala-LeutemitdemProblemkonfrontiert,dassdieVerknüpfungvonsozialenReformenmitnationalistischenBestrebungenunteranti-reformerischenKräftenwiedenStämmenaufWiderstandstoßenwürde.WurdendieseTeildernationalistischenBewegung,sowürdediesozialeKomponenteinfragegestellt.DieKomalawollteVeränderungenbewirkenmiteinemzivil-politischenProgrammunterAusschlussmilitärischerGewalt.DiesstelltedieGesellschaftvoreinDilemma:WolltesieErfolghabenundihreZielenichtnurinderStadt,sondernauchaufdemLanddurchsetzen,sowürdesieohneUnterstützungvonStammesführernnichtauskommen.DerKomalaschwebteeinKurdistanvor,dasüberdieGrenzenIrans

hinausging.SieunterhieltKontaktezuKurdenindenNachbarstaaten.SchonbeidemGründungstreffenderKomalawareinirakisch-kurdischerOffizier,derMitgliedderHiwawar,zugegengewesen.1944trafensich

kurdischeAktivistenausIran,IrakundderTürkeiimDreiländereckaufdemBergDalanpur.ZudieserZeitentstanddieKarteeinesGroß-Kurdistans,dieaufVorarbeitenderChoibunberuhteund1945derkonstituierendenSitzungderVereintenNationeninSanFranciscovorgelegtwurde.AufdieserKarteumfassteKurdistanfastganzOst-Anatolien,berührtezwischenAdanaundIskenderundasMittelmeer,besaßeinenKüstenstreifennördlichvonBuschirinIranamPersischenGolfundschlossgroßeTeileNord-Iraks,insbesonderedieÖlgebieteumMosulundKirkuk,ein.1DieentscheidendenImpulse,diezurAusrufungderKurdischen

RepublikvonMahabadführten,kamenindesnichtsosehrvondenKomala-LeutenalsvielmehrvondenSowjets.Seit1942suchtendiesedieKooperationmitkurdischenNotabelnundStammesführern,umihrenEinflusszuvergrößernunddieVersorgungderBesatzungstruppensicherzustellen.SienahmenVerbindungzurKomalaauf,hofiertenaberauchStammesführerundNotabelnwieQadiMuhammad,denprominentestenundeinflussreichstenManninMahabad.QadiMuhammad,derunterkurdischenFührerndurchseineWeltläufigkeithervorstach,hattedieBesetzungIransunddenZusammenbruchderAutoritätderRegierungalsChancezurMachtexpansionbegriffen.1941hattendieEngländerseineBitteumUnterstützungfüreinKurdistanunterderÄgideGroßbritanniensabgelehnt.DagegenludendieSowjetsihnundanderekurdischeFührernachBakueinundpräsentiertensichalsVerfechterderRechtevonMinderheitenundderSelbstbestimmungderVölker.DieSowjetsverstärktenihreInitiativegegenüberdenKurden,

nachdemTeherandiegefordertenÖlkonzessionen1944abgelehnthatte.InderAbsicht,dieKomalaunterihreKontrollezubringen,bedrängtensiedieGesellschaft,QadiMuhammadinihreReihenaufzunehmen.ZwargabesZurückhaltunginderKomala,weilmandieBerührungmitdenetabliertenMachtgruppenundeinenVerratihrerdemokratisch-säkularenPrinzipienfürchtete.DieKomalahatteinzwischeneinebreiteAkzeptanzinderstädtischenBevölkerunggefundenundeinekritischeGrößeerreicht.Dahersahsiesichmehroderwenigergezwungen,alternativeOrganisationsformenzuentwickelnundQadiMuhammadals

ihrenVorsitzendenzuakzeptieren.DieKomalatratinsLichtderÖffentlichkeitanlässlicheinerFeierimApril1945,aufdereinekurdischeOperaufgeführtwurde.DieHauptfigurwareinekurdischeMutter,diediekurdischeHeimatsymbolisierte.SiewurdevondreifremdenMännern(Türkei,Iran,Irak)drangsaliertundinKettengelegt,bissievonihrenSöhnengerettetwurde.DieOpermachtegroßenEindruckaufdasPublikumundstifteteeinGemeinschaftsgefühl.ImHerbst1945wurdedieKomala–nichtohnesowjetischesZutun–

indieDemokratischeParteiKurdistansinIran(DPKI)umgewandelt.AlsZielesetztesiesichdieAutonomiederKurdeninIran,lokaleVerwendungderSteuereinnahmen,KurdischalsUnterrichts-undAmtssprachesowieFörderungvonLandwirtschaftundBildung.DieParteikonnteinMahabadundeinigenanderenStädtenwieSaqqezundSardaschtihreBasisverbreitern.NunmehrerhieltenauchLandbesitzerundStammesführer,herkömmlicherweisedieTrägerderMachtinKurdistan,EinflussinderDPKI.EineEntwicklungimIrakbeschertedenAktivisteninMahabadeine

unerwarteteundnichtimmerunproblematischeUnterstützung.NacheinerNiederlagegegenRegierungstruppensahsichMollaMustafaBarzanigezwungen,denIrakzuverlassen.Mitihmkamenca.1000BewaffneteundeinigedesertiertekurdischeOffizierederirakischenArmee,dieaufGeheißderSowjetssichQadiMuhammadzurVerfügungstellten,waseinebeträchtlicheStärkungderMahabaderBewegungbedeutete.AufderanderenSeitestelltenBarzaniundseineLeutegleichzeitigeineBedrohungundeineBelastungdar,weileinstarkerMannvonaußenwieBarzanidieMachtkonstellationinKurdistanveränderteunddieKämpferundihreFamilien(inMahabadwurdeübrigens1946BarzanisSohn,derheutigeKurdenführerMasudBarzani,geboren)versorgtwerdenmussten.UnterdessenhattedieAgitationderSowjetsimiranischenTeil

AserbaidschansFrüchtegetragen.ImDezember1945wurdedie«AserbaidschanischeVolksregierung»inTabrizetabliert.DieKurdeninMahabadgingennocheinenSchrittweiter:Am22.Januar1946riefQadiMuhammaddie«RepublikKurdistan»aus.DieKleidung,dieerbeidieserGelegenheittrug,veranschaulichtdieunterschiedlichenElemente,

diederStaatsgründunginnewohnten:AufdemKopftrugereinenTurban,bekleidetwarermiteinerUniforminsowjetischemStil.DieSowjetsgewährtendenKurdennurhalbherzigUnterstützung.EinerseitshättensiedieKurdenlieberindie«AserbaidschanischeVolksregierung»eingegliedertgesehen,andererseitswusstensie,dasseinsolcherVersuchvondenKurdennichtakzeptiertwerdenwürde.ZwarerhieltendieKurdeneineDruckpresseundUniformen,abersogutwiekeinederversprochenenWaffen.DieGründungderRepublikvonMahabadwardasWerkderDPKI.

TatsächlichwardieÜbereinstimmungzwischenStaatundParteisehrgroß.QadiMuhammad,VorsitzenderderDPKI,wurdedurchdasParlamentzumPräsidentengewählt.ZwarübernahmenauchdieMännerdererstenStundederKomalaÄmter,aberdiewichtigstenPositionenwurdenvonNotabelnundStammesführerneingenommen.AmbedeutendstenwarendieLeistungenwährendderkurzlebigenRepublikimkulturellenBereich.KurdischwurdeAmts-undUnterrichtssprache.DankdervondenSowjetszurVerfügunggestelltenDruckpressewurdenLehrbücherundZeitschrifteninkurdischerSprache(Sorani)publiziert.DiekulturellenErfolge,diezurKohäsionunterstädtischenSchichtenbeitrugen,habensichunterdenStämmenweitwenigeralseinheitsstiftendeMomenteausgewirkt.DiesehieltennursolangezuQadiMuhammad,wieerderstarkeMannwar,deralleFädeninderHandhielt.Sobaldoffenbarwurde,dassdieSowjetsihreUnterstützungzurückzogenunddieiranischeRegierungwiederHerrderLagewurde,musstendieStammesführerzusehen,dasssieeineguteAusgangspositioninihremVerhältniszuTeheranerlangten.EinederwichtigstenStützenderRepublik,HamaRaschid,zogsichschonMonatevordemFallMahabadsaufseinLandjenseitsderGrenzeimIrakzurück.Mahabad(dasGebietderRepublikerstrecktesichvonBanehund

SardaschtimSüdenentlangeinesschmalenStreifensanderirakischenundtürkischenGrenzebisnachMakuundandieGrenzezurSowjetunion)konntenursolangebestehen,wiedieSowjetunionihreschützendeHandüberdieAserbaidschanischeVolksregierunghielt.NachdemsieimFrühjahr1946dielanggefordertenÖlkonzessioneninNord-Persienerhaltenhatte,zogsieihreTruppenab.Die

AserbaidschanischeVolksregierungrealisiertesofort,dasssienunmehraufsichalleingestelltwarundtratinVerhandlungenmitTeheranein.ImJuniwurdedasGebietwiederunterdieKontrollederZentralregierunggebracht;dieFührerderVolksregierungfungiertennunalsiranischeBeamte.QadiMuhammadsBemühungenumeineFortführung,jasogareineAusdehnungderRepublikscheiterten.AlsdieiranischenTruppenimDezember1946inAserbaidschanundKurdistanStellungbezogen,hatteerschondieUnterstützungdermeistenStämmeverloren.ImDezember1946wurdeMahabadkampfloseingenommen,QadiMuhammadverhaftetundimMärz1947miteinigenMitstreiterngehenkt.MahabadwirdhäufigalsdereinzigekurdischeStaatinderGeschichte

bezeichnet.DieseCharakterisierungistziemlichungenauundlässteinigeTatsachenaußerAcht.ZumeinenwardieRepublikgewissermaßeneinAblegerderAserbaidschanischenVolksregierunginTabriz,zumanderenwarsiepraktischeinStadtstaat,oderbesser:Städtestaat.DaspolitischeGebildewarnämlichbegrenztaufMahabadselbstundeinigeanderestädtischeZentren.ÜberwiegendkurdischgeprägteStädtewieChoiundUrmiyagehörtennichtdazu,weilsieaufdemGebietderAserbaidschanischenVolksregierunglagen.AufdemLande,unterdenBauernhattedieRegierunginMahabadnurbegrenztAutorität;dorthieltenStammesführerundGrundbesitzermilitärischundwirtschaftlichalleFädeninderHand.DieMahabaderFührungkamausderMittelschichtunddenReihenderNotabeln,ScheichsundStammesführer;dieseHeterogenitätbegünstigteDifferenzen.DieeinflussreicheGruppederreichenBazarhändler(Sing.bazari)standderRepublikzwarreserviertgegenüber,zahlteabernolensvolensihreSteuern,dieeinenbeträchtlichenTeilderStaatseinnahmenausmachten.InmilitärischerHinsichtstütztesichdieRegierungaufdieArmee,StammesangehörigeundBarzani-Kämpfer.DasPotentialderStämmewarzahlenmäßigundvonderBewaffnungherbedeutenderalsdieArmee,wasdieproblematischeAbhängigkeitderMahabaderRegierungvondenStammesführernunterstreicht.DasEndederRepublikvonMahabadwarzugleicheinerheblicher

SchlagfürdieDPKI.IndeswardiekurdischeBewegunginIrannicht

erloschen.EinigeIntellektuelle,LehrerundKaufleutebemühtensichdarum,denGeistvonMahabadlebendigzuhalten.DieBedingungenfürkonkreteAktivitätenwarenabernichtgünstig.ZwarwurdendieEndedervierzigerJahreeingeschränktendemokratischenFreiheitenunterMinisterpräsidentMuhammadMossaddeqteilweisewiedergelockert,dochkonntediekurdischeBewegungwegendeszentralistischenKursesderRegierungnichtdavonprofitieren.IndenWahlenzumParlament(madschlis)1952gabendieEinwohnerMahabadsihreStimmenganzüberwiegendeinemKandidaten,derDKPI-Mitgliedwar;seineWahlwurdedaherfürungültigerklärt.NachdemSturzMosaddeqs(1953),dervondenUSAbetriebenwordenwar,gerietendiemarxistischeTudeh-ParteiunddieDPKIunterstarkenDruck.DieTudehakzeptiertedieForderungderDPKInachAutonomieundAnerkennungkurdischerIdentität.IndensechzigerundsiebzigerJahrensorgtedasgemeinsameSchicksalvonDPKIundTudeh,nämlichRepressionundVerbot,zusätzlichfüreinestarkeÜbereinstimmung.EtlicheMitgliederderbeidenParteienwanderteninsGefängnis,womarxistischesIdeengutdieAuffassungenderDPKI–Leutebeeinflusste.DerSturzderMonarchieimIrak1958bliebnichtohneAuswirkungen

aufdieKurdeninIran.DieZugeständnissederRegierungQasimandieKurdenbeunruhigtenTeheran,weilmanbefürchtete,dassdieKurdeninIranGleichesfürsichverlangenkönnten.DierepressivenMaßnahmenwurdenverschärft,sodassdieDPKIindensechzigerJahrenvomIrakausoperierenmusste.DieRückkehrdes«Mahabad-Helden»BarzaniausseinemMoskauerExilundseineoffizielleAnerkennungalsKurdenführerverfehltennichtihreWirkungaufdieiranischenKurden.AuchdieErfolgederWiderstandsbewegungnachdemEndedes«Honigmonds»zwischenBarzaniundQasimbeeindrucktendieDPKIsosehr,dassdieParteiihreehersozialreformerischeAusrichtungaufgabzugunstendertraditionalistisch-nationalistischenPerspektiveBarzanis.ErveranlasstedieVereinigungderDPK(d.h.derDemokratischenParteiKurdistansimIrak)mitderDPKI.DasBündniswährtenichtlange,dennesbrachenRichtungskämpfezwischenLinkenundTraditionalistenaus,dieBarzaniundseineiranischenParteigängerfürsichentschieden.1964wurdeaufdemParteikongressderDPKIderlinkeFlügel(demderspätere

GeneralsekretärAbdor-RahmanQasemluangehörte)ausgeschlossen.InzwischenbenötigteBarzaniinseinemKampfgegendasBagdader

RegimedieHilfeIrans.DerPreisdafürwar,dieDPKIvonihrenAktivitätengegendieRegierunginTeheranabzubringen.EtlichelinkeAbweichlerderDPKI,diemitderPassivitätderParteiunzufriedenwaren,zetteltenimKurdengebietIransAufständean.Unzureichendbewaffnetundausgebildet,wurdensievonderArmeedesSchahsgeschlagen.Barzani-Kämpferwarendaranbeteiligtbzw.liefertenAufständischeanIranaus.DietotenKämpferderDPKIwurdenalsMärtyrergefeiert,waszueinemWiedererstarkenderlinkenKräfteinderkurdischenBewegungführte.DerRichtungskampfinderDPKIwurde1971entschieden,alsQasemluzumGeneralsekretärderParteigewähltwurde.QasemluwareininPragpromovierterSozialwissenschaftler,derinderTudehmitgearbeitetundinEuropaunterkurdischenStudentenausIranagitierthatte.Ab1973lautetederprogrammatischeSloganderDPKI:«DemokratiefürIran,AutonomiefürKurdistan».AufwirtschaftlichemGebietwurdeeineVeränderungderBesitzverhältnisseaufdemLandezugunstenderBauerngefordert.DieAusbreitungderkurdischenBewegungindensiebzigerund

achtzigerJahrenverdanktesichwenigerderNeuorientierungderDPKIalsvielmehrdemsozialenundwirtschaftlichenWandel,derdiekurdischeGesellschaftinIranerfassteundEthnizitätzueinemwichtigenFaktormachte.BisindievierzigerJahrewurdeeinePolitikdergewaltsamenSesshaftmachungdernomadischenStämmeverfolgt.DieRegierungwolltedieStammesstrukturenzerstören,weilsieinsbesondereindemmilitärischenPotentialderStämmeeinmassivesHindernisfürdenAufbaueinesmodernenStaateserblickte.SpäterwurdenandereStrategienentwickelt,umNomadensesshaftzumachen,zumBeispielwurdeeinStammesratgegründet,dersichmitFragenderGesundheitundBildungbefassensollte.WirklichesozialeReformen,dieeineUmverteilungdesLandesmitsichgebrachthätten,erfolgtennichtvorAnfangdersechzigerJahre,weilGroßgrundbesitzerdiesverhinderten.TraditionellwardieBauernschaftstarkvondenGrundbesitzernabhängig,diefürsiedieBeziehungenmitderAußenweltregelten.DieAbhängigkeitundAusbeutungderBauernführtezueinemGefühlder

Unzufriedenheit,aberArmut,UnwissenheitundderUmstand,dasssienichtorganisiertwaren,ließenzunächstkeinenWiderstandaufkommen.DieseSituationändertesichdurchdasZusammenspielmehrererFaktoren:durchgewandelteBeziehungendesStaateszudenBauern,beispielsweisedurchKaufstaatlicherMonopolproduktewieZuckerdirektbeidenBauern,ideologischeAgitationderSowjetswährendderBesetzungimZweitenWeltkriegunddemdarausresultierendenAufstiegderTudeh-Partei.DernochindenfünfzigerJahrenvorherrschendeGroßgrundbesitz

wurdedurchdieLandreform(«WeißeRevolution»),dieaufDruckderUSAdurchgeführtwurde,nurlangsamzugunstenderSchaffungkleinenLandbesitzeszurückgedrängt.DieGroßgrundbesitzer,dievorderBodenreformzweiDritteldesbestelltenLandesbesaßen,wurdendurchdieReformnahezubedeutungslos.DerAnteilvonbesitzlosenBauernundLandarbeiternanderLandbevölkerung,derbisdahinca.vierFünftelausgemachthatte,gingstarkzurück.DieGewinnerderBodenreformwarenBauernmitmittleremLandbesitz,derenZahldeutlichanstieg.AllerdingshattegeradeinKurdistandieLandreformhäufignichtdengewünschtenErfolg,weillokalestaatlicheInstanzenunfähigodernichtwillenswaren,dieAnweisungenauszuführen.DieBauernerfuhren,dassdieMachtdesStaatesgegenüberdenGrundbesitzernbegrenztwar,unddiesstärktenichtihrVertrauenindenStaat.EsmachtesieumsoempfänglicherfürdieAgitationkurdischerOrganisationen.AuchwardasverteilteLandoftnichtgroßgenug,alsdassesseineBebauerhätteernährenkönnen.FernerverursachtedieMechanisierungderLandwirtschaftdasAufkommeneinesländlichenProletariats,dasindieStädteKurdistansabwanderte.AndereGründefürdieMigrationvomLandindieStadtwarendasBevölkerungswachstum,dieVerbesserungderKommunikationundderVerkehrswegesowiedasbessereBildungsangebotindenStädten.HierergabensichintensivereFormenderKommunikationunterdenmigriertenKurdenundAnsätzezueinerPolitisierung.DurchdenVerlustihresdörflichenundtribalenUmfeldeswarendieMigrantenoffenfürneueIdentitätsangebote.DaherstießenkurdischeGruppen,dienationalistischeZielsetzungenmitderForderungnachsozialerGerechtigkeitverbanden,aufResonanz.

DieSituationderKurdeninIranstandhäufigineinerWechselbeziehungzurLagederKurdenimIrak.WährendderSchahsichalsGegnerkurdischerAutonomiebestrebungenimeigenenLandzeigte,unterstützteergleichzeitigBarzanisKampfgegenBagdad.ImMärz1975ließerBarzanifallen,weilderIrak–alsGegenleistungfürdieEinstellungiranischerHilfeandieirakischenKurden–einerRegelungdeslangeumstrittenenGrenzverlaufsbeiderLänderimSchattal-Arabzustimmte.DasAusbleibeniranischerHilfeführteumgehendzumZusammenbruchdeskurdischenKampfesimIrak.TrotzderVerbesserungen,diedurchdie«WeißeRevolution»eintraten,

konntennationalistischgesonneneKurdennichtzufriedensein,weildieRegierungdenAutonomieforderungennichtnachgab.DasZugeständnisvonRundfunksendungenundPublikationeninkurdischerSpracheerschienihnennichtausreichend.Eswardahernichtverwunderlich,dasseingroßerTeilderKurdendenSturzdesSchah-Regimes1979begrüßteundalseineChanceansah,eineVerbesserungihrerSituationherbeizuführen.AllerdingsstandensiederEtablierungderIslamischenRepublikIraneherablehnendgegenüber.Ende1978kehrtenvielekurdischeExilanten,unterihnenQasemlu,

nachIranzurückundentfaltetenintensiveBemühungenumeinenWiederaufbauderDPKI,dieinfolgederRepressionüberdieJahreanZusammenhaltverlorenhatte.ZusammenmitanderenGruppenbildetendieDPKIundPersönlichkeitenwieScheichEzzad-DinHoseiniausMahabadeinenRat,derinVerhandlungenmitdenneuenMachthaberneintrat.DieForderungenwarenwohlbekannt;sieumfasstenunteranderemAutonomieundKurdischalsoffizielleSprache.Unterdessenwurdeam1.April1979dieIslamischeRepublikausgerufen.DieFührunginTeheranundQomsetzteaufZeitgewinnzurKonsolidierungihrerPosition.BeieinemTreffenvonChomeinimitHoseinientspannsichfolgenderDialog:«IchverlangevonIhnenSicherheitundStabilitätinKurdistan»,sagteChomeini,woraufHoseinierwiderte:«InOrdnung,dannverlangeichdieAutonomieKurdistansvonIhnen».2AufgrundderungeklärtenSituationkamesimAugust/September

1979zuKämpfenzwischenKurdenundschiitischenMilizen,densog.Revolutionsgarden(pasdaran).ImKurdengebiethattedieRegierung

keineAutoritätmehr;MahabadbefandsichzeitweiseunterkurdischerKontrolle.NachBeendigungderKämpfeerhobendieKurdenrechtweitgehendeForderungen.DasKurdistan(seit1961existierteineProvinzKurdistanmitderHauptstadtSanandadsch),fürdassieAutonomieineinemföderativenIranbegehrten,umfasstenichtnurkurdischesGebietansich,sondernauchTeileAserbaidschansunddieStadtKermanschah,wodieBevölkerungsmehrheitSchiitensind(undnichtSunnitenwiediemeistenKurden).DieRegierungwiesdieseForderungenzurückundmachteihrerseitseinAngebotadministrativer,sprachlicherundkulturellerRechte,welcheEingangindieVerfassungfindensollten.WährendindemVerfassungsentwurfderIslamischenRepubliknoch

dieRedevonKurden(undanderenMinderheiten)war,die«gleicheRechtegenießen»,kamdiesinderVerfassungselbst,dievoneinemklerikaldominiertenGremiumumgeschriebenwurde,nichtmehrzumAusdruck.DieKonzeptionethnischerMinderheitenwurdeabgelehnt,weilderIslamohnehinnichtunterscheidezwischenMuslimenverschiedenerZunge,jadieVorstellungvonMinderheitenwurdesogaralsislamfeindlichbezeichnet.DieBetonungdesschiitischenElementsinderVerfassungbedeuteteabereinegewisseAusgrenzungdersunnitischenBevölkerung,ebenderKurden.DieDoktrindesvelayat-ifaqih,alsoderHerrschaftdesanerkanntenRechtsgelehrten(alsodieFührungdesStaatesdurcheinenGeistlichen),wurdevonführendenkurdisch-sunnitischenTheologen(wiez.B.Hoseini)abgelehnt.DiemeistenKurdenbliebendemReferendumüberdieAnnahmederVerfassungderIslamischenRepublikfern,weilihnendiedarinenthalteneZulassunglokalerSprachenzurNutzunginMedienundSchulennichtsubstanziellgenugerschien.DieGründefürdasScheiternderVerhandlungenzwischenTeheran

unddenKurdenlageninersterLiniedarin,dassdieneuenMachthaber–wieschondasalteRegime–keinInteresseanderFragmentierungihresTerritoriumsdurchkurdischeForderungennachAutonomiehabenkonnten.DasMisstrauenTeheransgegenüberdenKurdenwirdvordemHintergrundderErfahrungeninMahabadundmitSimkoverständlich.DieFurchtvorZugeständnissenandieethnischenMinderheitenbetrafen

abernichtalleindieKurden,sondernauchandereVölkerinIran.AusderSichtTeheranswürden,gäbemandenKurdennach,anderefürsichdasGleicheverlangen.MinderheitenlebenunteranderemandenGrenzen,wosieeineGefährdungderstaatlichenIntegritätdarstellenkönnten:AserbaidschanerundTurkmenenandenGrenzenzurTürkeiundzurehemaligenSowjetunion,AraberandenGrenzenzumIrakundBelutschenandenGrenzenzuAfghanistanundPakistan.UnterdiesenUmständenhattefürTeherandieForderungderKurdennachAutonomiedenBeigeschmackvonSezession.Kurden,TurkmenenundBelutschensindkeineSchiiten,sondernmehrheitlichSunniten.DieunterschiedlicheReligionszugehörigkeitwargewissnichtgenerellUrsachefürschlechteBeziehungenzwischen(sunnitischen)Kurdenund(schiitischen)Iranern,abersiekonntealsAnsatzpunktdienenfüreineManipulationderBeziehungen.DiesgeschahzumBeispieldadurch,dassdieRegierungHeißspornederislamischenRevolutionwiediepasdarannachKurdistanschickte.Andererseitsdarfnichtverschwiegenwerden,dassschiitischeKurdenumSanandadschundKermanschahsichmitderIslamischenRepublikidentifiziertenundAutonomiepläneablehnten.EskamsogarzuKämpfenzwischensunnitischenundschiitischenKurden.AufbeidenSeitengabeskeineInstanzmitunangefochtenerAutorität.

DieIslamischeRepublikhattekeineeinheitlicheFührung;verschiedeneFlügelkonkurriertenumdieVorherrschaft.DieArmee,frühereinbedeutenderMachtfaktor,spieltekaumeineRollemehr.DieRevolutionsgardenwarenzwarideologischmotiviert,aberalsTruppenichtdiszipliniert.UnterdenKurdengabeseineVielfaltanRichtungen.ObwohlsiediestärksteGruppewar,besetztedieDPKInichtalleindasFeld.ImNordensuchtedieirakischeDPKderBarzani-BrüderdieKurmandschi-sprachigenStämmefürdieIslamischeRepublikundgegenkurdischeAutonomiebestrebungenzubeeinflussen,wiesievonderDPKIverfolgtwurden,dieihreAnhängereherunterSorani-Sprechernhatte.ImSüden,besondersumSanandadsch,wardieKomala-ischureschgar-izahmatkaschan-iKurdistan(RevolutionäreVereinigungderWerktätigenKurdistans)aktiv,einelinksradikaleGruppierung,derenZieleheraufDezentralisierungalsaufAutonomieausgerichtetwar.InderDPKIkameszuSpannungen,welchesichanderFrageentzündeten,obderAbwehr

äußererFeinde(wieim1980beginnendenIran-Irak-Krieg)oderinnenpolitischenVeränderungenwiezumBeispielkurdischenAutonomiebestrebungenderVorrangeinzuräumensei.InSanandadschscheitertedieRegierungmitihremVersuch,einensunnitischenReligionsgelehrtenalsGegenfigurzudempopulären(sunnitischen)ScheichHoseiniaufzubauen.WährendHoseiniderbekanntesteGeistlichemitlinkenTendenzenwarundinsoferneineAusnahmeunterdenüberwiegendkonservativenReligionsgelehrtenbildete,stellteseinBruderScheichDschalaleinekonservativesunnitischeMilizauf,dievomIrakfinanziertwurdeundsowohlmitTeheranalsauchmitderRevolutionärenVereinigungundderDPKIzerstrittenwar.DasMachtgefügeinderkurdischenGesellschaftwarmannigfaltigund

unübersichtlich.ObwohlderTribalismusüberdieJahrzehntehinwegmassivgeschwächtwordenwar,gabesnochkurdischeAgasundGrundbesitzer.SiewarenvonverschiedenenInteressengeleitet.TeilsstandensieaufseitendesStaates,weilihreRivalenesmiteinerderkurdischenParteienhielten.TeilsverfolgtensieeinenZickzack-Kurs:DaswarderFallbeiTahirChan,demSohnSimkos,dererstmithilfederDPKIseineMachtauszudehnenhoffte,dannaberinsLagerderBarzanisüberwechselte.ImÜbrigengabesauchStammesführer,welchedieDPKIunterstützten.FürvieleLandbesitzerwarendieWirrendesÜbergangsvomSchah-

RegimezurIslamischenRepublikeineGelegenheit,GrundundBodenwiederzuerlangen,derdurchdieLandreformenteignetundBauernzugeteiltwordenwar.Eskamaberauchvor,dassBauernLandinihreHandbrachten.DieRevolutionäreVereinigungunterstütztedieseBauern,wohingegendieRevolutionsgardendieInteressenderLandbesitzergegendieBauernverteidigten.DerGrunddafürwarweniger,dassdiepasdaranmitdenLandbesitzernsympathisiertenoderdieBauernablehnten.VielmehrgaltihrAugenmerkderBekämpfungderihnenideologischverhasstenRevolutionärenVereinigung.IndiesenKonfliktentendiertenGrundbesitzerdazu,denStaatumHilfeanzugehen,währendBauernaufkurdischeOrganisationensetzten.AmVorabenddesIran-Irak-Krieges,imApril1980,stellteTeheran

seineKontrolleübergroßeTeileKurdistanswiederher.Der

RegimewechselinIranmitsamtdenerheblichenDifferenzenzwischeneherliberalenKräftenumdenPräsidentenAbol-HasanBaniSadrunddenislamischenHardlinern(Islamisch-RepublikanischeParteiunterVorsitzAyatollahBeheschtis)wurdevomirakischenMachthaberSaddamHusainalsgünstigeGelegenheitangesehen,umdenNachbarnanzugreifen(September1980).DenVorwandlieferteeineumstritteneBestimmungimAbkommenüberdenSchattal-Arabvon1975.TrotzseinermomentaneninnerenSchwierigkeitenstelltenämlichIransislamischeRevolutioneineGefahrfürdenIrakdar,weilüberdieHälftederBewohnerIraksSchiitensindundderFunkederRevolutionleichthätteüberspringenkönnen.DerKriegzogsichbiszumdurchdieUNvermitteltenWaffenstillstand(Resolution598,August1987)unddessenAnnahmeimJuli1988hin.ErstimAugust1990aberkameszumlangeverhandeltenFriedensvertrag,denHusainnunmehrunterGewährungvonKonzessionenunterschrieb,weilerangesichtsseinersoebenbegonnenenBesetzungvonKuwaitfreieHandbrauchte,obwohlderIrandieBesetzungkeineswegsguthieß.OhnederTeheranerRegierungindenRückenfallenunddenschon

immererhobenenSeparatismus-Vorwurfbestätigenzuwollen,habenKurdenführerdennochversucht,politischesKapitalausderInvasionzuschlagen.InderTatschiendieBedrohungdurchdieirakischeInvasioneineChancefürdieKurdeninIran,ihreAutonomieforderungendurchzusetzen.Wiesichzeigensollte,gelangesindessenIranundIrak,imKrieg«ihre»Kurdenzubekämpfen.QasemlumachteseineUnterstützungfürdenKampfgegendenIrakvondemZugeständnisderAutonomieunddemRückzugderiranischenArmeeausKurdistanabhängig.DieRegierunginTeherangingaufdieForderungenderKurdennichtein,weilsieunerwarteteWiderstandskräftesowohlgegeninnere(ethnische)TurbulenzenalsauchgegendenIrakmobilisierenkonnte.NachdemiranischeTruppendieOffensiveBagdadsfürserstezurückgeschlagenhatten,konnteTeheranindenJahren1982bis1984diebewaffnetenKräftederDPKIneutralisierenbzw.sogarüberdieGrenzeindenIraktreiben,wodieseSchützenhilfevonderPUKerhielten.WiesohäufigseitdemErstenWeltkrieghattendieKurdendesIraks

undIransentwederdieMachtverhältnissenichtrichtigeingeschätztoderfalscheKonsequenzengezogen.Spätestensseit1975(demPaktvonAlgier,indemderSchahdieirakischenKurdenfallenließ)mussteesdenKurdenklarsein,dassihreGeldgebernichtdasgeringsteInteressehatten,sieihreeigenenZieleverwirklichenzulassen.DieRegierungenIransundIrakshofften,diejeweilsandereSeitezudestabilisierenundTruppenimHinblickaufdieKurdenzubinden.DieKurdenIrans,insbesonderedieDKPI,habenHilfeausBagdadangenommen,sichabernichtfürdenKampfBagdadsgegendieeigenenKurdeninstrumentalisierenlassen.DieBarzani-Kurdendagegenhalfendenpasdaran,dieGrenzgebietevonderKontrolledurchiranischeKurdenzubefreien.DieachtzigerJahrestandenfürdieKurdenunterkeinemgutenStern.

DieRevolutionäreVereinigung,quasiderkurdische,maoistischorientierteFlügelderKommunistischenParteiIrans(diesewar1979alsKonkurrenzzurTudehgegründetworden,dermanvorwarf,Moskau-treuzusein),wurdeschierzurBedeutungslosigkeitverurteiltundentferntesichzusehendsauskurdischemFahrwasser.Erst1991bekanntesiesichwiederuneingeschränktzurkurdischenSache.AlssichQasemlunachdemEndedesIran-Irak-KriegesfürdieWiederaufnahmevonVerhandlungenmitTeheranaussprach,stießdiesaufWiderstandinderDPKI.Eswurdeargumentiert,dassdieOpferunterdenKurdenimKonfliktmitderRegierungnichtumsonstgewesenseindürften.AußerdemwurdeQasemlueinautokratischerFührungsstilvorgeworfen.DaraufhingründetesicheineAbspaltungnamensDPKI-RevolutionäreFührung,dieunterLinkenZulauffandundsichmitderRevolutionärenVereinigungverbündete.NachdemZerfallderSowjetunionundderdadurchausgelöstenKrisedesinternationalenMarxismusundKommunismusverlordieseGruppierungraschanAnsehen.QasemlunahmGesprächemitderiranischenFührungauf.WenigeWochennachdemTodChomeinis(Juni1989)wurdeerinWienbeieinemTreffenmitseinenGesprächspartnerninderRegierungerschossen.AuchseinNachfolgerSadeqScharafkindiwurde1992inBerlinvonHäscherndesiranischenRegimesermordet.DerProzessgegendieMörder,einenIranerundeinenLibanesen,diebeidezueinerlebenslangen

Freiheitsstrafeverurteiltwurden,istinDeutschlandunterdemNamenMykonos-Prozess(nachdemRestaurant,woScharafkindiermordetwurde)bekanntgewordenundführtezueinerschwerenBelastungderdeutsch-iranischenBeziehungen.DasGerichtstelltefest,dassiranischeBehördendieErmordungangeordnethatten.DieKurdeninIranerlittenalsoeineNiederlageaufderganzenLinie.

ErstenszogensiedenKürzerenimmilitärischenSchlagabtausch,zweitenswurdensiedurchinnereKonfliktegeschwächt–andenenauchderZusammenschlussvonDPKIundDPKI-RevolutionäreFührungimJahre1997wenigändert–unddrittenswurdenihrewichtigstenFührerausgelöscht.IndenPräsidentschaftswahlenimJahr1993,beidenenAliAkbarRafsandschaniwiedergewähltwurde,warKurdistandieeinzigeProvinz,indereinOppositionskandidateineMehrheitbekam.Dieszeigtimmerhin,dasstrotzderSchwächungderkurdischenBewegungunteriranischenKurdeneinvonderMehrheitderBevölkerungabweichendespolitischesMeinungsbildvertretenist.DieLiberalisierungunterStaatspräsidentMuhammadChatami(seitAugust1997)führtezeitweisezueinerstärkerenVertretungkurdischerBelangeinParlamentundRegierung.MitderWahlMahmudAhmadinedschadszumPräsidenten(2005)setztejedocheinerestriktivereHaltunggegenüberdenMinderheitenein.VordiesemHintergrundmüssendieUnruhengesehenwerden,dieimAugust2005nachderErmordungeineskurdischenOppositionspolitikersdurchSicherheitskräfteausbrachen.Dieseit2004aktiveundmitderPKKverbündetePJAK(PartiyaJiyanaAzadaKurdistane,«ParteifüreinfreiesLebeninKurdistan»),dieunterdenkurdischenGruppierungendurchihreMilitanzhervorsticht,liefertsichbisheutesporadischGefechtemitdenRevolutionsgarden.AuchnachderumstrittenenWiederwahlAhmadinedschads(2009)dauertedierepressivePolitikgegenüberdenKurdenfort.DasVersprechendes2013gewähltenPräsidentenHassanRohani,DiskriminierungvonMinderheitenzubeenden,brachteihm71%derWählerstimmenindermehrheitlichvonKurdenbewohntenProvinzKurdistanein.AberdieKurdensindmehralsskeptisch,obdiesesVersprechenumgesetztwerdenwird.MehrerekurdischeKandidatenwurdenvondenParlamentswahlenimFebruar2016ausgeschlossen,wasteilweisezuWahlboykottenführte.

WelcheFolgendieÖffnungIransnachderAufhebungderinternationalenSanktionenfürdieKurdenhabenwird,istungewiss.

4.DieKurdeninSyrienundimLibanon:UnsichererStatus,Diskriminierung,diePKKundderBürgerkrieginSyrien

DiePräsenzvonKurdeninSyrienreichtmindestensbisins11.Jahrhundertzurück.HierlageinerderSchwerpunktedesAyyubiden-StaatesmitseinermächtigenkurdischenFührungsschicht.AuchwährendderosmanischenHerrschaftwarenunterdenlokalenMachthabernkurdischeFamilien,diesicheinerrelativenSelbständigkeiterfreuten.DieKurdeninSyriensiedelnvoralleminderDschazira(«Insel»,d.i.Nordwest-Mesopotamienbzw.Nordost-Syrien)inderProvinzal-Hasaka,derKornkammerSyriens;StädtemiteinerbeträchtlichenkurdischenBevölkerungsindAmudaundQamischli.InderDschaziraließensichKurdenerstseitderMittedes19.Jahrhundertsdauerhaftnieder,wohingegendieKurdeninNordwest-SyrienimGrenzgebietzurTürkeischonseitJahrhundertendortansässigsind.SchließlichgibtesseitdemMittelaltervielekurdischeEinwohnerinDamaskus.IhreZahlwirdauf300.000geschätzt.AuchinderzweitgrößtenStadtSyriens,Aleppo,wohnenKurdeninnennenswerterZahl.DiemeistenKurdeninSyrien–ihreZahlwirdauf1,2bis

1,5Millionengeschätzt,alsoetwa8bis10%derBevölkerung–sindSunniten.EinigetausendYezidensiedelnimGebietdesDschabalSindscharimirakischen-syrischenGrenzgebietundinNordwest-Syrien.DieKurdeninSyriensindKurmandschi-Sprecher.WievielevonihnendieSprachetatsächlichbeherrschen,istnichtbekannt;daeskeineformalenBildungsinstitutionenzurErlernungdesKurdischengibt,aber

überallArabischunterrichtetwird,istzuvermuten,dassmindestensunterderjungenurbanenGenerationdasArabischedominiert.Das1916zwischenEngland,FrankreichundRusslandgeschlossene

geheimeSykes-Picot-AbkommensahSyrienalsfranzösischeEinflusssphärevor.DieKonferenzvonSanRemobestimmteSyrienalsMandatfürFrankreich,PalästinaundTransjordanienalsenglischesMandat.ImJuli1920marschiertenfranzösischeTruppeninDamaskusein.DasMandatsgebieterstrecktesichnichtaufSyrienindenheutigenGrenzen,sondernumfassteauchdenLibanon.DasMandatüberSyrienwährtebis1941;1943wurdedieRepublikausgerufen.DiefranzösischeMandatsherrschaftinSyrienbetriebeineStärkungderkurdischenMinderheit,umdiearabischeBevölkerungsmehrheit,insbesonderedienationalistischenAktivisten,inSchachzuhalten.Dieszeigtesichbeispielsweise,alsFrankreichzurNiederschlagungeinesnationalistischenAufstandsimJahr1925unteranderemkurdischeKämpfereinsetzte.FrankreichunterstütztezunächstdiekurdischeNationalistenorganisationChoibun,waswiederumaufdasMisstrauenarabischerKreisestieß.DieTätigkeitderChoibunwurdeab1928beschränktundbalddaraufnachProtestenderTürkeigänzlichunterbunden.ImJuni1928wurdenForderungennachoffiziellerAnerkennungdesKurdischenundEinsatzkurdischerBeamterindenvonKurdenbewohntenRegionenerhoben.DochstandenkeineswegsalleKurdenhinterdiesenForderungen.EtlicheihrerFührerengagiertensichzusammenmitsyrischenNationalistenfürdieHerstellungsyrischerUnabhängigkeitundverfolgtenkeinespezifischkurdischenInteressen.ImJahre1946wurdeSyrienunabhängig.Diebaldeinsetzende

ArabisierungwarbegleitetvonzeitweiligenKonfiskationenkurdischerPublikationenundderEntlassungkurdischerOffiziereausderArmee.IndesbesetztenbisindieMittederfünfzigerJahreKurdenhöchsteÄmterimMilitär.EinePolitikderDiskriminierungwurdeerstsichtbarseitdemEndederfünfzigerJahre,alsdieStrömungdesPanarabismusstärkerwurde.KurzvorderEtablierungderVereinigtenArabischenRepublik(VAR),demvierJahrewährendenZusammenschlussSyriensundÄgyptens,wurde1957dieDemokratischeParteiKurdistansinSyrien(DPKS)gegründet.ZuihremProgrammzähltendieüblichen

Forderungen:AnerkennungkulturellerRechtewiezumBeispielBeschulunginderMuttersprache,BeschäftigungvonKurdenimMilitärundSicherheitsapparatsowieimöffentlichenDienst.1960wurdendieFührerderDPKSverhaftet;ihrVorsitzender,Nurad-DinZaza,konntespäterdasLandverlassen.DieParteizerfieldanninzweiFlügel,einenradikalen,dereinepankurdischeLösungverfolgte,undeinengemäßigten,derdenKurdenzumehrRechteninnerhalbSyriensverhelfenwollte.SpäterentstandeineVielzahlkleinerundkleinsterParteienimUntergrund.DieZersplitterungistteilweiseaufdieerfolgreichePolitikdesStaateszurückzuführen,einenKeilzwischendiekurdischenGruppenzutreiben;teilsistsieeineFolgeinnererKonfliktederkurdischenGesellschaft.DiekurdischenOrganisationensetztensichfüreinemoderateVerbesserungderLagederKurdenein.DaherkonntesichDamaskuseinekonziliantereHaltungleistenundduldetediekurdischenGruppierungen.NachdemScheiternderVARwurdeSyrieninSyrischeArabischeRepublikumbenannt.1963gelangtedieBaath-ParteiandieMacht,dieheutemehralsdieHälftederParlamentssitzehält.WieimIrak,sowarauchinSyriendieKommunistischeParteifürdieKurdenamattraktivsten,weilsienichtoderjedenfallsingeringeremMaßealsandereParteiendemarabischenNationalismushuldigte.1995verfügtendieKommunistenüberachtMandateimParlament.DasgravierendsteProblemderkurdischenMinderheitinSyrienbetrifftihrePräsenzinderDschazira,wokurdischeNomadenseitaltersihreWinterweidenhatten.NachdemErstenWeltkriegundbesondersseitderKurdenpolitikderTürkischenRepublikbegannenKurden,sichhierniederzulassen.DieNeuankömmlingekonkurriertennichtnurmitalteingesessenenarabischenStämmen,sondernauchmitbereitssesshaftgewordenenKurden.EinStreitpunktunterdiesenGruppenwardasknappeElementWasser.MittederdreißigerJahrelebteninderDschaziraetwa42.000Araber(v.a.Viehzüchter),ca.82.000Kurden,dieüberwiegendalsBauerntätigwaren,und32.000christlicheAraber,diealsStadtbewohnerinersterLinieHändlerundHandwerkerwaren.DieHeterogenitätderBevölkerungerregtedieAufmerksamkeitsyrischerNationalisten,dieessichzurAufgabegemachthatten,ganzSyrien,wozusieauchdieDschazirazählten,ineinemStaatzuvereinigen.

DerstarkeAnstiegdeskurdischenBevölkerungsanteilsbeschäftigtenachErlangungderUnabhängigkeitdiesyrischeFührung.IneinemZensusinderProvinzal-Hasakawurdeangeblichfestgestellt,dassvieleKurdensichdortunrechtmäßigaufhielten,alsoerstnachGründungderRepublikSyrienalsillegaleZuwandererausderTürkeiunddemIrakgekommenwaren.Ungefähr120.000KurdenwurdendaraufhinausdersyrischenStaatsangehörigkeitentlassen.IneinerKampagnewurdendieKurdeninderDschazirazurBedrohungdernationalenSicherheitstilisiert.DerdamaligeSicherheitschefderProvinzwarnteineinerrassistischenDiktionvorderGefahr,diedem«arabischenVolkskörper»auseinerDominanzderKurdenerwachse,undentwarfeinProgrammzurBekämpfungdieserGefahr.DessenwichtigsteBestandteilewarenUmsiedlungvonKurden,dieBegünstigungvonArabernaufdemArbeitsmarktunddieStärkungdesarabischenBevölkerungselements.DieUmsetzungdiesesProgrammsbeschränktesichallerdingsaufdieTeilunggroßerkurdischerLändereienimunmittelbarenGrenzgebietzurTürkeiunddieGründungvonDörfernspeziellfürAraber.DieVorgängeinderDschazirasindcharakteristischfürdasMisstrauen,dasdenKurdeninSyrienentgegengebrachtwird.DieBehördenbefürchteten,dassdieKurdeneinesTagsinderRegionzahlenmäßigdominierenwürdenunddiesseparatistischenTendenzenVorschubleistenkönnte.Diesumsomehr,alssiegewissermaßendiefünfteKolonnefremderMächte,insbesondereIsraels,hättenbildenkönnenunddiekurdischeRevolteunterBarzaniimIrak,dersichisraelischerUnterstützungerfreute,aufdieangrenzendenGebieteinSyrienhätteübergreifenkönnen.DarüberhinausgabesindensechzigerJahrenersteAnzeichenfüreinWiedererwachendeskurdischenNationalismusinderTürkei,dassichauchaufdieKurdenSyrienshätteauswirkenkönnen.ObnundiebefürchtetenEntwicklungenausgebliebensind,weilsieaufrealitätsfernenAnnahmenberuhtenoderebendurchdieMaßnahmenderBehördenverhindertwurden:SieveranschaulichendenCharaktereinesStaates,der–wiealleStaatenderRegion–seinePolitikeinemextremenSicherheitsbedürfnisunterordnetunddabeiauchvormassivenRepressionen–erinnertseiandieblutigeUnterdrückungdesAufstandsderMuslimbrüderinHamaimJahre1982–und

Menschenrechtsverletzungennichtzurückschreckt.DerGrundfürdasMisstrauengegenüberdenKurden,nämlicheinSeparatismus-VorwurfoderAngstvordemselben,dürfteweitgehendhaltlosoderzumindestübertriebensein;manmussdiesinZusammenhangsehenmitdenEntwicklungenderKurdenfrageimIrakundinderTürkei,vorallemaberdergrößtenHerausforderungSyriens,derSicherheitvisàvisIsrael.DieKurdeninSyrienwarenvonDiskriminierungenbetroffen,dievonwirtschaftlicherBenachteiligung(kurdischeBauerninNordwest-SyrienerhieltenangeblichkeinsubventioniertesSaatgutwiesonstüblich)überArabisierung(kurdischeOrtsnamenwurdenarabisiert;dieBehördenweigertensich,KindermitkurdischenNamenamtlichzuregistrieren)bishinzuaufenthaltsrechtlichenSchikanenreichten(Kurden,denendieStaatsbürgerschaftverwehrtwurdeunddieals«Ausländer»erfasstwurden,hattenkeinestaatsbürgerlichenRechte,durftennichtwählenundhattenkeinenAnspruchaufkostenlosemedizinischeVersorgung).KurdischwarniealsamtlicheSpracheanerkannt.ImGegensatzzudenArmeniernwaresdenKurdennichtgestattet,eigeneSchulenzuunterhalten.KurdischeBücherdurftennichtgedrucktwerden,obschondieEinfuhrvonPublikationeninkurdischerSprache,beispielsweiseausdemLibanon,geduldetwurde.PeriodischerneuerteVerbotedesöffentlichenGebrauchsderSprachelegennahe,dassdieseimmerwiedermissachtetwurden.EinneuerFaktorinderKurdenfrageSyriensergabsichzuBeginnderachtzigerJahre,alsdiePKK-FührungnachdemMilitärputschinderTürkeinachSyrienfloh.IndersyrischkontrolliertenBeqaa-EbeneimLibanonkonntesieAusbildungslagerundinSyrienBüroseinrichten;SyrienwarlogistischeundAufmarsch-BasissowieAusgangspunktfürmilitärischeAktionenderPKK.IhrePräsenzstießanfangsaufSympathieunterdenKurden;zahlreichejungeKurdenschlossensichderPKKalsKämpferan.MitderZeitjedochkühltesichdasVerhältnisab;diePKKwurdezunehmendalsBelastungempfunden.AugenscheinlicherlegtesiederkurdischenBevölkerungZahlungenoderLeistungenauf.UmsichmitderRegierunggutzustellen,übernahmdiePKKdensyrischenStandpunkt,dasseseigentlichkeinesyrischenKurdengebe,sondernnurkurdischeFlüchtlingeausderTürkei.DieseAuffassungnutztenatürlich

auchderPKK,indemsieihreinenAnspruchaufBeherrschungdersyrischenKurdenverliehodermindestenseinenlegitimenEinfluss.DieBevormundungdurchdiePKKstießaufdenWiderspruchderKurden,diesich–trotzBeschwerdenüberDiskriminierung–durchausalsloyaleStaatsbürgerempfinden.DiePKKerfüllteinsyrischerSichtmehrereFunktionen.SiegabeinerkleinenMinderheitunterdenKurdenGelegenheit,sichaktivfürdiekurdischeSacheeinzusetzen;sokonntederEifereinigerKurdenfürdenKampfderPKKgegendieTürkeigenutztwerden.MitanderenWorten:WährendsichaufdereinenSeiteeinemilitant-nationalistischekurdischeOrganisationamtlicherFörderungerfreute,wurdendie«eigenen»Kurdendiskriminiert–einUmstand,derdenWiderwillenvonsyrischenKurdenerregte.ImÜbrigenerstrecktesichdieInstrumentalisierung«auswärtiger»kurdischerOrganisationennichtnuraufdiePKK,sondernauchaufdiePUKTalabanis.DieTürkeiversuchte,denPKK-AktivitäteneinenRiegelvorzuschieben,indemsieEndederachtzigerJahreeinenSchutzzaunanihrerGrenzezuSyrieninstallierte.ZwarstellteereinwirksamesHindernisgegendieInfiltrationdurchPKK-Kämpferdar,aberdiePKK-PräsenzinSyrienwarAnkaraweiterhineinDornimAuge.IndenneunzigerJahrenkameszueinerReihevonVereinbarungenzwischenbeidenLändernübereineZusammenarbeitinSicherheitsfragen,dieinersterLiniedieKurdenbetrafen.WährendderTürkeidarangelegenwar,derPKKihreBasisinSyrienzuentziehen,gingesihremNachbarnimSüdenumdie«Wasserfrage»,dasheißtumdie–nachsyrischerAuffassungzugeringe–WassermengeimEuphrat,welchedieTürkeiinsbesonderenachdemBauzusätzlicherStaudämme«übrigließ».ObwohldieTürkeikeinenZweifeldaranließ,dasssiegegebenenfallsmilitärischintervenierenwerde,erfüllteSyrienaustürkischerSichtdieVereinbarungennicht,insbesonderedieZusicherung,keinePKK-Aktivitätenmehrzuzulassen.ErstimHerbst1998zwangPräsidentAssadnachmassiventürkischenDrohungendiePKK,ihreVertretungenundAusbildungslagerzuschließen.ÖcalansOdysseedurchEuropabegann;dietürkischenKämpferderPKKsindvermutlichindenNord-IrakoderindieTürkeigegangen,diesyrischenKämpferwohlinSyrien

verblieben.Damitwarder«Deal»,wonachdasRegimederPKKUnterschlupfgewährteunddiesediesyrischenKurdenzumStillhaltendrängte,hinfällig.DieAussöhnungAssadsmitSaddamHusainführtezueinerUnterstützungderkurdischenAktivistenSyriensdurchdieBarzani-Kurden(DPK).SchließlichermutigtedieunterdemSohnundNachfolgerAssads,Bascharal-Assad(seit2000),kurzlebigeundbescheideneLiberalisierungKurdenzurEntfaltungstärkererAktivitäten.Dochdamitwaresbereits2003vorbei,alsinfolgederVerschlechterungderBeziehungenzwischenSyrienunddenUSAsowiedemIrakeineinnenpolitischhärtereGangarteingeschlagenwurde.UnruhenimFrühjahr2004inNordost-SyrienfordertenzahlreicheTodesopferunterdenKurdenundführtenzuVerhaftungen.DochgelangeskurdischenOrganisationen,zwischenkonfrontationsbereitenAktivistenunddemRegimezuvermitteln.

UnmittelbarnachAusbruchdesAufstandsgegendasAssad-RegimeimFrühjahr2011zogsichdieArmeekampflosausdenKurdengebietenzurück.IndasMachtvakuumstießdie2003vonehemaligensyrisch-kurdischenPKK-Kämpferngegründete«KurdischeParteiderDemokratischenUnion»(PartiyaYekitiyaDemokrat,PYD).AuchwurdedasberüchtigteGesetz93ausdemJahre1962,dasvieleKurdenzurechtlosen«Fremden»(adschanib)abstempelte,imApril2011aufgehoben;sowurdederAufenthaltsstatusvonca.15%derungefähr2MillionenKurdenlegalisiert.OffensichtlichwollteAssaddieKurdenruhigstellen.GleichwohlbrachennachderErmordungdesführendenOppositionellenMischalTammo,dererstkurzzuvorausdemGefängnisentlassenwordenwar,UnruhenindenkurdischenGebietenSyriensaus(Oktober2011).TammohatteaufeineZusammenarbeitmitarabischenRegimegegnerngesetzt,währenddiePYDihrZielinZugeständnissenandieKurdensah.DiePYDistdiejüngsteundmächtigsteuntereinemgutenDutzendkurdischerParteieninSyrien.SieunterscheidensichhauptsächlichdurchihreBeziehungenzurPKK,demRRKIunddemAssad-RegimesowiedurchihreideologischenOrientierungen;alletreten–wennauchinunterschiedlicherAusprägung–füreineAutonomiederKurdengebieteein.DiemeistenParteienhabensichzueinemBündnis(«KurdischerNationalrat»)zusammengeschlossen,dasunterderÄgidederRRKI2011gegründetwurde.DerHauptgegensatzliegtdarin,dassdiePYDmitderPKKverbündetist,währenddiewichtigsteParteiimNationalrat(PartiyaDemokrataKurdiliSuriye,Kurdisch-DemokratischeParteiSyriens)eineSchwesterparteiderBarzani-ParteiimIrakist.DiePYDist–ebensowiediePKK–Mitgliedinder«UnionderGemeinschaftenKurdistans»(KomaCiwakenKurdistan,KCK).DurchihrePKK-NäheistdiePYDbeietlichenKurdennichtwohlgelitten,weilsiedieZeitenderGängelungdurchdieÖcalan-ParteinochinschlechterErinnerunghaben.DemerklärtenZieleiner«demokratischenAutonomie»istdiePYDmitderEinrichtungeinerautonomenVerwaltungindendreiKantonenAfrin,KobaneundCizire(zusammengefasstRojava,«Westen»,alsoWest-Kurdistan,genannt)imJanuar2014nähergekommen.DazuhatmaßgeblichdermilitärischeArmderPYDbeigetragen,die

«Volksverteidigungseinheiten»(YekineyenParastinaGel,YPG),diedenBewohnern,auchwennsienichtalleKurdenundAnhängerderPYDsind,Sicherheitgewährleisten.GeradezupopulärwurdedieYPGdurchihreerfolgreicheVerteidigungKobanesgegendenIS(September2014bisFebruar2015).BereitskurzzuvorhatteihrmutigerEinsatzanderSeitederPKKfürdievonderAuslöschungbedrohtenYeziden,vondenensichvielealsKurdenverstehen,imirakischenSindschar-Gebirge(August2014bisNovember2015)derYPGvielSympathieeingebracht.DieKurdeninSyrienhabensichalsBollwerkgegendenISprofiliert;dieYPGgiltalsverlässlicheundschlagkräftigeTruppe,weshalbsiealsDe-facto-VerbündeterderAnti-IS-KoalitionmilitärischeUnterstützunggenießt.Einepolitisch-diplomatischeAufwertungwirdfrüheroderspäterdieFolgesein.DieUnterstützungderYPGbirgtaberdieGefahrsowohleinerEntfremdungderTürkeivondenUSAalsauchethnischerKonfliktezwischenArabernundPYDimKurdengebiet.ImanabenteuerlichenAllianzennichtarmenSyrien-KonfliktistderBeistanddesPentagonfürdieYPGdasvielleichtmerkwürdigsteZweckbündnis.WährendnämlichdieUSAmitderPYDeinelinkeundrusslandfreundlicheOrganisationunterstützen,giltdieSchwesterparteiPKKalseine«terroristischeVereinigung»,derenUnterstützungnachUS-Gesetzenverbotenist.ZumanderenbeteiligtsichdiePYDaneinem«NationalenKoordinationsratfürdemokratischenWandel»,derals«patriotischeOpposition»vonDamaskusgeduldetwird,sodassvoneinemModusVivendibzw.einemStillhalteabkommenzwischenRegimeundRojavagesprochenwerdenkann.DerBürgerkriegundbesondersdieVerteidigungKobanesgegendenIShabendiesyrischenKurdenindenBlickpunktderWeltöffentlichkeitkatapultiert.BeieinerLösungdesKonfliktswerdensieeineRollespielenundsichihreharterkämpftePositionnichtwiederentreißenlassenwollen;deshalbsindauchVerhandlungenohneTeilnahmederKurdensinnlos.DieKurdenimLibanon–ihreZahlbeträgtschätzungsweise60.000–sindimZusammenhangmitjeneninSyrienzubehandeln,weildieKurdenimLibanonausSyrienstammenoderüberSyrienindenLibanongekommensind.LetzterestammenausderSüdost-Türkei(TurAbdin,

Mardin)undsindineinererstenWellenachdengescheitertenAufständenindenzwanzigerunddreißigerJahrensowieineinerzweiten(seit1950)aufderSuchenachBeschäftigungsmöglichkeitenindenLibanoneingewandert.ZudieserGruppezählenauchsyrischeKurden,dienachdemZensusinal-HasakaihresyrischeStaatsangehörigkeitverlorenhatten.InsbesonderewährenddesWirtschaftsboomsindenfünfzigerundsechzigerJahrenerwiessichderlibanesischeArbeitsmarktalsAnziehungspunkt.DieKurdengehörenzurSchichtderTagelöhnerunddominierengewisseBranchen.ImBürgerkriegschlossensicheinigeKurdendenDrusenundihrerProgressivenSozialistischenParteiunterKamalDschumblatt(eigtl.Dschanbulat)bzw.seinemSohnundNachfolgerWalidan.DieEreignisseimBürgerkrieg,indemdieKurdenangesichtsihrergeringenZahlundihresunsicherenAufenthaltsstatusinUngewissheitlebten,führtenzueinerAbwanderungnachEuropa.EsistvorallemdiefehlendeStaatsbürgerschaft,diedenKurdenProblemebereitet;vermutlichbesitztnurdieHälftevonihneneinenlibanesischenPass.WennihnendieservondenBehördenverweigertwird,soistdiesteilweisezuerklärenausderdelikatendemographischenBalanceimLibanon,welchedieGrundlagebildetfürdaspolitischeProporzsystem.

5.DieKurdeninderSowjetunionundihrenNachfolgestaaten,

insbesondereArmenienundAserbaidschan:KulturelleFörderungundDeportationen

DieGeschichtederKurdenimsüdlichenKaukasuslässtsichmindestensbisins7.Jahrhundertzurückverfolgen.InderNeuzeithatesmehrereBevölkerungsbewegungengegeben:Im19.JahrhundertgelangtedurchdieExpansiondesZarenreichesimKaukasuseinebeträchtlicheZahlvon

KurdenunterrussischeHerrschaft.ZuEndedes19.undzuBeginndes20.JahrhundertslöstedieVerfolgungvonYezidi-KurdenimOsmanischenReicheinenEinwanderungsschubaus;sienahmenvoralleminGeorgienundArmenien,diemehrheitlichvonChristenbewohntsind,Zuflucht.SchließlichkamesinderStalin-ÄrazuDeportationenundnachdemZerfallderSowjetunionzuVertreibungen,vondenendieKurdenallerdingsnichtalseinzigeethnischeGruppebetroffenwaren.DieUmwälzungenimGefolgederOktober-Revolutionvon1917hattenzweiErgebnisse:ZumeinenführtensiezueinerSesshaftwerdungnomadischerKurden,zumanderenwurdenimRahmenderleninschenNationalitätenpolitikSchuleneröffnet,andenenaufKurdischunterrichtetwurde,undPublikationeninkurdischerSpracheherausgegeben.Von1923bis1929bestandimWestenAserbaidschansanderGrenzezuArmenienein«KurdischerBezirk»(Kurdistanskijuezd),dessenHauptstadtLadschinwar.DieAbkehrvonderFörderungnationalerKulturenunddieHinwendungzueinemrussischdominiertenZentralismusseitMittederdreißigerJahreweckteMisstrauengegenüberMinderheitenbzw.nicht-russischenVölkern;davonwarenKurdennichtausgenommen,diezuTausendennachKasachstan,KirgisienundSibirienumgesiedeltwurden(BarzaniundseineKurden,dienachdemFallMahabadsindieSowjetuniongingen,wurdendortkeineswegsmitoffenenArmenempfangenundalsbaldaufverschiedeneSowjet-Republikenverteilt).NachdemEndederSowjetunionwurdendieseMaßnahmenals«ungesetzlich»und«verbrecherisch»gebrandmarktundGesetzezurRehabilitationerlassen,dieaberbisheutenichtindieTatumgesetztwurden.DieZahlderKurdeninderehemaligenSowjetunionbeträgtSchätzungenzufolgeeinpaarHunderttausend;etwadieHälftedavonlebtinArmenienundAserbaidschan,derRestinGeorgien,dersüdrussischenRegionKrasnodarundMoskau.DerZerfallderSowjetunionhatnichtzuVerbesserungenoderErleichterungenderLagederKurdengeführt;imGegenteil,imKaukasusgerietendieKurdenindenKonfliktumdasaufaserbaidschanischemTerritoriumgelegeneGebietNagornijKarabach,dasmehrheitlichvonArmeniernbewohntwurde,hinein.VertreibungenvonAserbaidschanernausArmenienzogenPogromeanArmenierninderaserbaidschanischen

StadtSumgaitnachsich(1988/89).DiesverursachteweitereVertreibungenvonAserbaidschanernausArmenienundArmeniernausAserbaidschan.MitdenAserbaidschanernflohenüberwiegendmuslimischeKurdenausArmenien.NachdemKriegumNagornijKarabachunddessenAnnexionflüchtetenca.18.000weiteremuslimischeKurdenausdenvonArmenienbesetztenGebieten.WardieAssimilationderKurdenandietürkischstämmigeAzeri-Mehrheitsbevölkerungohnehinweitvorangeschritten,sohatdasgemeinsameSchicksalderVertreibungdasZusammengehörigkeitsgefühlmitdenAzerisweiterverstärkt.DieSelbstwahrnehmungalseigenständigeethnischeGruppeistsehrreduziert.DieswirdzwarvonvielenKurdenbedauert,aberdieunsichereSituationderMinderheiten,insbesonderederFlüchtlinge,dieFurcht,beiBehördenAnstoßzuerregen,dieSorgeumdastäglicheBrotundderKampfumdaswirtschaftlicheÜberlebenineinemLand,daswiealleehemaligenLänderdesOstblocksvoneinemraschensozioökonomischenWandelerfasstwürdeundsichzudemimKriegmitdemarmenischenNachbarnbefand,lasseneinEngagementfürSpracheundKulturindenHintergrundtreten.WahrscheinlichkommtderRegierungdieseSituationnichtungelegen,weilsiesoihrepassiveHaltunginBezugaufMinderheitenrechterechtfertigenkann.Erleichtertwirdihrdiesdadurch,dasssichdasKurdischeKulturelleZentrum,dasalsVertretungderKurdenauftrittundeineZeitungmitdemTitel«DieStimmederKurden»herausgibt,einergroßenZurückhaltungbefleißigt,wasAktivitätenzukurdischerSpracheundKulturangeht.DiestrifftaufKritikunterKurden,diegerneineaktivereRolledesZentrumssähen.DiesemwirdeineTendenzzurübermäßigenfreiwilligenBeschränkungvorgeworfen,ausFurcht,derStaatkönneForderungennachkulturellenRechtenalsSeparatismusauffassen.DieseFurchtistwohlnichtganzunbegründet,weilangesichtsderengenundfreundschaftlichenBeziehungenzwischenAserbaidschanundderTürkeieinArgwohnhinsichtlichkurdischerAktivitätenbesteht.TatsächlichhegendieKurdeninAserbaidschankaumderartigeAbsichten.IhreHeimatsehensiepragmatischinAserbaidschan;obsieihreZukunftdortoptimistischsehen,isteineandereFrage,undsie

betrifftnichtnurdieKurden.WährendinAserbaidschandieKurdenübereingewissesMaßankulturellerFreiheitverfügen–aneinigenVolksschulenwirdfürdieFlüchtlingeKurdisch-Sprachunterrichterteilt–,habensichdieDingeinArmenien,frühereinAushängeschildsowjetischerMinderheitenpolitik,zumSchlechterengewendet.LangeZeitgenossendieKurdeninArmenieneinensicherenStatus–keineSelbstverständlichkeitangesichtsderwechselvollenBeziehungenbeiderVölker,diesichim19.und20.JahrhundertinMassakernvonKurdenanArmeniernundkonkurrierendenterritorialenAnsprüchenäußerten.DieZusammenarbeitnationalistischerkurdischerundarmenischerOrganisationeninihremKampfgegendiejungeTürkischeRepublikindenzwanzigerunddreißigerJahrensetzteeinenharmonischerenAkzent.AuchinArmenienbliebendieKurdennichtvomTerrordesStalinismusverschont,einSchicksal,daseinGroßteilderBevölkerungerlitt.ErstabMittederfünfzigerJahrewurdedenKurdenwiederkulturelleFörderungzuteil,konnteihreZeitungvonneuemerscheinen,dieheute–inkyrillischerSchrift–vorsichhinkümmert.IndensechzigerJahrenstrahltedaslegendäreRadioErivanSendungeninkurdischerSpracheaus,dieüberArmenienhinausempfangenwerdenkonntenundeinennichtgeringenEinflussaufdasEigenbewusstseinderKurdenindenNachbarländernausübten.DieBesonderheitderKurdeninArmenien–ihreZahldürftezwischen50.000und80.000liegen–bestehtheutedarin,dassdiemeistenvonihnenYezidensind.DiewenigenmuslimischenKurdenhabendasLandinRichtungAserbaidschanverlassen.DasVerhältniszwischenYezidi-KurdenundmuslimischenKurdenwardergestalt,dassbeidezwarumdiehistorischeVerwandtschaftmiteinanderwussten,diemuslimischenKurdensichabereherdenmuslimischenAzeri,dieYezidenmehrdenchristlichenArmeniernzugehörigfühlten.AngesichtsderVertreibungihrerGlaubensbrüderausihremangestammtenGebietinderSüdost-Türkei–keinePolitikdesStaates,abervonihmgeduldet–verwundertesnicht,dassdieYezideninArmenieneineTürkei-kritischeHaltungeinnehmenundmitderPKKsympathisieren.NichtnuralsFolgewachsendernationalistischerTendenzenunterArmeniern,sondernauch

aufgrundeigenerKonstrukte,dieaufabsonderlichenTheorienberuhen,definierensichvieleYezidenausschließlichalssolcheunddistanzierensichvonihrerZugehörigkeitzudenKurdenbzw.leugnensiesogar.

VierterTeil

WirtschaftundGesellschaftamBeispielSüdost-Anatoliens

1.SozialstrukturundEntwicklung

InderDiskussionüberdas«Kurdenproblem»hatdersozialeundwirtschaftlicheEntwicklungsstandinSüdost-AnatolienstetseinbesonderesGewicht.VieleArgumentehängenmitderBewertung,denUrsachenundAussichtendiesesEntwicklungsstandeszusammen.ManchePolitikermöchtendas«Kurdenproblem»alleinmitderBeseitigungderUnterentwicklunglösen.StammesstrukturenundtraditionelleNormenundWertesindebenfalls

GegenstanddersozialenAnalyseundderPolitik–undzwarnichtnurdertürkischenRegierung,sondernauchderkurdischenNationalistenundPolitiker.ManchemöchtendieStammesorganisationalsÜberbleibselfeudalerZeitenundalsHindernisderModernisierungabschaffen;andereseheninderStammesorganisationdieeigentlicheUrsachedesbisherigenScheiternskurdisch-nationalerBestrebungen,könnendiepolitischeMobilisierungderKurdenabernichtohnedietraditionellenStammeselitenverwirklichen.DerHintergrundfürdieseDiskussionenistimFolgendengenauerzu

betrachten.DieDaten,diehierdargestelltwerden,stammenmeistausForschungsberichtenundErhebungenzumSüdost-Anatolien-Projekt(GüneydoğuAnadoluProjesi,GAP),einemimfortgeschrittenenStadiumbefindlichen,gigantischenBewässerungs-undEnergiegewinnungsprojekt.Eszieltdaraufab,dasWest-Ost-GefälleinderTürkeiabzubauen.GAPumfasstdieProvinzenAdıyaman,Batman,Gaziantep,Mardin,Siirt,ŞanlıUrfaundŞırnakunddamiteineFlächevon75.358Quadratkilometern,ca.9,7%derTürkei.DamitistdiegeographischeAusdehnunggrößeralsdieGesamtflächevonBelgien,Dänemark,denNiederlandenundLuxemburgzusammen.Hierleben

mehrals10%derBevölkerungderTürkei.DasProjektbesitztgroßeBedeutungfürdieEntwicklungderTürkeiinsgesamtundinsbesonderederkurdischenGebiete.

DemographischeEntwicklungderTürkeiunddieKurden

WennwirdieBevölkerungsentwicklungderTürkischenRepublikbetrachten,sindeinigeAngabenzurDemographiedesOsmanischenReichesunerlässlich:WelcheBesonderheitendemographischerNaturimosmanischenKurdistankannmanfeststellenundwelchehatdieTürkischeRepublikgeerbt?KurdischeProvinzenimOsmanischenReichwarendünnerbesiedeltalsdieimWestenAnatoliensoderdieaufdemBalkangelegenen.DaslaganderGeographiederöstlichenProvinzensowieandernomadischenundseminomadischenLebensweisederKurden.DasHochlandunddieSteppeKurdistanseignetensichambestenalsWeideland.DieNomadenkonntenimSommerdasGebirgeundimWinterwiedieBauerndieEbenenindenTälernbewohnen.Esgabjedochauchgrößere,bevölkerungsreicheSiedlungenundStädtewieDiyarbakırmit31.443EinwohnernEndedes16.Jahrhunderts,dasdamitgrößerwaralsEdirneundKonya(30.140bzw.15.356Einwohner).1MuslimewarennichtdieeinzigenBewohnerKurdistans.EsgabwieinanderenanatolischenProvinzeneinebeträchtlichechristlicheBevölkerung.InderProvinzDiyarbakırgabesEndedes16.Jahrhundertsnebenmehrals70.000muslimischenHaushaltenfast12.000christliche.WiedieZusammensetzungderBevölkerungimOsmanischenReichermitteltwurde,istnichtgenauzurekonstruieren.DieBevölkerungszählungvon1844unterschiednachethnischerZugehörigkeit,wobeidieReligionmitberücksichtigtwurde.DieZahlderKurdenunterden35MillionenEinwohnernimdamaligenOsmanischenReichbetrugeineMillion.ImJahr1867hattedasOsmanischeReich40MillionenEinwohner,davonlebtenfast2Millioneninden

ostanatolischenProvinzenvonHarput,ErzurumundKurdistan.DieQuelledieserZahlenistnichtklar,obwohlsiefürdieWeltausstellunginParis(1867)indemosmanischenKatalogveröffentlichtwurdenundeineWeilealsoffizielleStatistikendesOsmanischenReichesgalten.2

Abb.4:CiciBibi:einealtekurdischeFrauderStammesgruppederBerwariausdemDorfŞıklıko,Çukurca,ProvinzHakkari(1978),gestorben1997

ZurZeitderGründungdesgegenwärtigentürkischenStaateshattenvieleStädtederOst-TürkeinachdenvorangegangenenKriegsjahrenfastdieHälfteihrerBevölkerungverloren:Sivashatte1912eineBevölkerungvon60.000Einwohnern,1927warenesnur29.000;Bitliskam1912auf40.000Einwohner,1927warenesnur9000.Dieser

BevölkerungsschwundistnichtnuraufKriegsgefallenezurückzuführen,sondernauchaufVertreibungenvonchristlichenundmuslimischenBevölkerungsgruppenwährendderKriegsjahre.MittederzwanzigerJahredesletztenJahrhundertshattedieTürkeica.13MillionenEinwohner;2008erreichtedieBevölkerungszahlüber71Millionen.MitanderenWorten:Innerhalbvonknapp90JahrenhatsichdieZahlihrerEinwohnermehralsverfünffacht.

Abb.5:AlterMannmitqalun(Pfeife)ausdemStammderPinyanişimDorfZiyaniş,Çukurca,ProvinzHakkari(1981/82).DiePfeifewirdbeieinerFriedenssitzunggeteilt.NeueKleiderund

Hosenwerdengeflickt,umsievordembösenBlickzuschützen

DieErrechnungdesAnteilsderKurdenandertürkischenBevölkerung

istauspolitischen,soziologischenunddemographischenGründenschwierig.DiezuverlässigstenErhebungenbedienensichderDatenzukurdischenMuttersprachlern.NachderMuttersprache–KurmandschiundZaza–wurdeindenBevölkerungszählungenvon1935und1965gefragt,unddieseZahlenwurdenveröffentlicht.AnhandderBevölkerungszuwachs-,Fruchtbarkeits-undSterblichkeitsratenundeinerAnalysevonMigrationsbewegungeninnerhalbderTürkeisowiederAbwanderunginsAuslandisterrechnetworden,dasssichderAnteilderBevölkerungmitKurdischalsMuttersprache–alsmeistakzeptiertesKriteriumfürkurdischeIdentität–zwischen1935und1990wiefolgtentwickelthat:3

Tabelle1:GeschätzterAnteilkurdischerMuttersprachlerinderTürkei(1935–1990)

Jahr Bevölkerunginsgesamt KurdischalsMuttersprache

1935 16.157.450 1.480.246 (9,16%)

1965 31.391.421 3.130.390 (9,97%)

1990 56.475.035 7.046.200 (12,6%)

1995gabesschätzungsweise8,21MillionenKurdenbzw.Kurdisch-Muttersprachler;diePrognosefürdasJahr2000lagbei9,57Millionen.4Nacheinervondemnicht-staatlichenUmfrage-InstitutKONDAdurchgeführtenRepräsentativbefragung,inderca.50.000PersoneninderganzenTürkeibefragtwurden,gabesinderTürkeiimJahr200711,5MillionenKurden(15,6%derBevölkerung).5DadieGAP-RegionGegenstandmehrererStudiengewesenist,verfügenwirübereinengroßenDatenbestand,dereinenGroßteilderKurdengebieteerfasst.ImJahr1993wohntenhierKurden,Türken,Turkmenen,AraberundAssyrer.DiekurdischsprachigeGruppewardiegrößteinallenProvinzendiesesGebiets–mitAusnahmevonGaziantep.TürkenundAraberwohnteneherinStädten,besondersinŞanlıUrfa,SiirtundBatman,währendeinigeländlichearabischsprachigeGruppeninderProvinzMardinzufindenwaren.KurdischalsMutterspracheherrschteinfolgendenProvinzenvor:87,5%derDörferinderProvinz

Diyarbakır,83,3%inMardin,80%inAdıyaman,77,8%inŞanlıUrfa.InGaziantepwurdein83,3%derDörferTürkischalsMuttersprachegesprochen,indenanderenDörfernKurdisch.6Insgesamtgabenfast73%derBefragtenKurdischalsMuttersprachean,17,4%Türkisch,8,1%Arabisch.7AlszweiteoderdritteSprachegaben5%derBefragtenKurdischan,aberfast71%Türkisch.KurdischwirdinmehralsderHälftederStädteinderGAP-Regionam

häufigstengesprochen.NuretwaeinDrittelderBefragtengabenTürkischalsMuttersprachean.EinganzanderesBildzeigtesichinderStadtGaziantep,wo93%derBefragtenTürkischalsihreMuttersprachebezeichneten.TürkischalszweiteSprachewurdejedochvonfastzweiDrittelnderbefragtenstädtischenHaushaltsvorständegesprochen.8

DemnationalenBevölkerungsregisterdesJahres2008zufolgehattedieTürkei71.517.100Einwohner;dieBevölkerungswachstumsratenderöstlichenProvinzenfallenunterschiedlichaus(Tabelle6,S.254).Von1990bis2008zeigeninsgesamtvierProvinzeneinenabsolutenBevölkerungsverlust,auchwenn2008dieNetto-MigrationsrateunddiejährlicheWachstumsratepositivwaren(z.B.Tunceli).DiedurchschnittlicheBevölkerungsdichtederTürkeibetrug93PersonenproQuadratkilometerimJahr2008;vonden24östlichenProvinzen(derinsgesamt81ProvinzenderTürkei)hattennurdreieineüberdurchschnittlicheBevölkerungsdichte,19ProvinzenderResttürkeibesaßendagegenüberdurchschnittlichhoheWerte.GemäßdemBevölkerungszensusdesJahres2000gabes15ProvinzenmitnegativemBevölkerungswachstum;nur4vondiesenlagenimOstenderTürkei.DieHälfteallerProvinzenmitüberdurchschnittlichhohenBevölkerungswachstumsraten(imJahr2000betrugdieDurchschnittsratefürdieTürkei18,28Promille)befandensichinöstlichenundsüdöstlichenRegionenderTürkei.DieskannmitderüberwiegendländlichenStrukturdieserRegionerklärtwerden;nurwenigeProvinzendieserRegion,wiebeispielsweiseGaziantepundKilis,habeneinestädtischeMehrheitsbevölkerung.EinhäufiggenanntesArgumentist,dassdieFruchtbarkeitsratedestürkischenOstenshöheralsdiedesWestenssei,weildieKurdensichmehrKinderwünschenalsdieTürken.DieregionalenUnterschiedehinsichtlichdererwünschtenKinderzahlwurdenineinerBevölkerungsbefragungdesJahres1993untersucht.DemnachwünschtensichdieBewohnerderamweitestenentwickeltenwestlichenundnordwestlichenProvinzenimDurchschnitt2,2Kinder,diederöstlichenundsüdöstlichenProvinzen2,9Kinder.EsbestehtsomitkeineallzugroßeDifferenzzwischendenbeidenRegionen.AuchaufdenDurchschnittderGesamttürkeibezogen(2,4)istderUnterschiednurgeringfügig.9AuchwennsichdiegewünschteKinderzahlimOstenundWestenderTürkeinichtsehrunterscheidet,zeigtdiefaktischeFruchtbarkeitsrateimOsteneinenenormenUnterschiedzumgesamttürkischenDurchschnitt.ImJahr2000wardiedurchschnittlicheFruchtbarkeitsratevon

24ProvinzendesOstensundSüdostensderTürkeimit4GeburtenproFraudeutlichhöheralsderDurchschnittinderTürkeivon2,53.EinigeProvinzenwieHakkariundŞırnakgehörtenmitFruchtbarkeitsratenvonjeweils6,69und7,06GeburtenproFrauzurSpitze.ZwischenderOst-undderWest-TürkeigabesnichtnurbeiderFertilitätsrategroßeUnterschiede,sondernauchdieSäuglingssterblichkeitbetreffend:NacheinerStudiewardieSäuglingssterblichkeit(1993)indenöstlichenUntersuchungsgebietenjeweilsmindestensanderthalbmalsohochwieimWesten.10DieWertederöstlichenundsüdöstlichenProvinzenlagenerheblichüberdenGesamtwertenderTürkei.AuchimJahr2000lagendieZahlenderSäuglingssterblichkeitimmernochüberdenGesamtwertenderTürkei.IndiesemJahrstarbendurchschnittlich43von1000Säuglingen.17der24östlichenundsüdöstlichenProvinzenhattenüberdurchschnittlicheWerte,alsoeinehöhereSäuglingssterblichkeitalsdieResttürkei.EinweiteresDrittelderrestlichenProvinzenderTürkeibesaßebenfallsüberdurchschnittlichhoheWerte.DieAltersstrukturimGAP-GebietzeigteinejungeBevölkerung:InsechsGAP-Provinzenwaren,gemäßderVolkszählungvon1990,42,5%derBevölkerungunter15Jahrealt.IneinigenProvinzendesGAP-GebietsnähertesichdieseZahlder50%-Marke.11ImJahr2008waren26,3%derGesamtbevölkerungderTürkeiunter15Jahrealt;indenöstlichenundsüdöstlichen24ProvinzenlagderAnteildieserAltersgruppefastimmerüberdemDurchschnitt.IneinemDritteldieserProvinzenwarenmindestens40%derBewohnerjüngerals15Jahre.

BinnenmigrationundVerstädterung

SeitderMittedes20.JahrhundertsführtedasBevölkerungswachstumzueinerstarkenBinnenmigrationundUrbanisierunginderTürkei.DerAnteilderStadtbevölkerunganderGesamtpopulationstiegvon20%imJahr1955auf50%imJahr1985undauf75%beiderletztenVolkszählungimJahre2008.12DiewichtigstenGründefürdiese

Binnenmigrationsind:(1)DieländlichenRessourcenwarenausgeschöpft,damansienichtmitbessererTechnologiebearbeitenkonnte.(2)DieAbhängigkeitzwischenStadtundLandwurdedurchneueTechnologienerhöht.(3)Nach1950betriebderStaateineWirtschaftspolitik,dieüberwiegendstädtischeInvestitionenbegünstigte.(4)StaatlicheSozialdienstewieBildungundGesundheitentwickeltensichamschnellsteninstädtischenRäumen.(5)WegenbessererBildungs-undArbeitschancensahenvieleFamilienihreZukunftindenStädten.(6)VieleurbaneZentrenwarendurchverbesserteStraßen-undTransportnetzwerkevonländlichenGebietenausleichterzuerreichen.DieeinzelnenRegionenderTürkeisindvonZuwanderungund

AbwanderunginunterschiedlichemMaßebetroffen.IndenJahren1975bis1990nahmenwestlicheRegionenmehrEinwohnerauf,alssieabgaben;dieöstlichen,nördlichenundzentralenRegionenverzeichnetenmehrAbwanderungalsZuwanderung.IndernördlichenRegionwarbisindieneunzigerJahredernegativeWanderungssaldohöheralsinderOst-Region.13ImJahr2008hattenbeinaheallegeringbesiedeltenProvinzenimOstenundSüdosteneinenegativeMigrationsrate,alsomehrPersonenverließendieseProvinzen,alsPersonenindieseumzogen.FastdieHälftederProvinzenmitniedrigerBevölkerungsdichteundnegativerMigrationsratehatteauchnegativeWachstumsratenimJahre2008,sieverlorenalsoinabsolutenZahlenanBevölkerung.DerMigrationsprozessdarfnichtausschließlichalsVerlust

vorhandenerBindungenoderalsIsolationvombisherigensozialenMilieuverstandenwerden,dadieMigranteninschonvorhandenesozialeBezügehineinkommenundsieauchvorderendgültigenMigration(alleinodermitderFamilie)einigeKenntnissedurchsaisonaleundtemporäreArbeitinderStadthaben.EsistalsokeinevölligneueundfremdeWeltfürsie.FürvielesindbessereBildungsmöglichkeitenfürihreKinderundallgemeinbessereLebensbedingungenausschlaggebendfürdenWunsch,indieStadtzuziehen.AndererseitssindsichdieMigrantenbewusst,dassdasStadtlebenbeträchtlicheNachteilemitsichbringt,wozuhoheLebenshaltungskostenundMietausgabensowieArbeitslosigkeitzählen.MitanderenWorten:Die

ChancedersozialenMobilitätderKinderdurchbessereErziehungscheintderwichtigsteGrundfürdenWunschzusein,ineineGroßstadtzuziehen.14DieKurdensindvondiesenWanderungsprozessenstarkbetroffenund

lebennichtnurinden«traditionell»kurdischenGebieten.15DerAnteilderkurdischenBevölkerungistinindustriellsichschnellentwickelndenGroßstädtenwieAdana,Mersinundİzmirbesondershoch,inzentralanatolischenStädtenwieKonya,KayseriundAnkaraeherniedrig.SosinddieKurdenzwischen1965und1990ineinemsignifikantenMaßeindiewestlichenProvinzenmigriert(Tabelle7,S.255–256).IneinigenwestlichenundzentralenProvinzenderTürkeihatsichihrAnteilmehralsverdoppelt,sogarverdrei-odervervierfacht,wennauchdieProzentzahlimmernochniedrigbleibt.InKocaelizumBeispielistdieZunahmeenorm:DerAnteilvonKurdenindieserProvinzistvon0,49%auf7,94%gestiegen.AuchindenProvinzen,diesonstalstraditionellekurdischeSiedlungsgebietegelten,sinddieKurdensehrunterschiedlichstarkvertreten.DieAbwanderungausdenkurdischenGebietenindieWest-TürkeihatseitdenachtzigerJahrenstarkzugenommen.HierspieltennebendenallgemeinenUrsachenauchmancheSonderfaktoreneineRolle:DiemilitärischenAuseinandersetzungenverursachtendieMigrationausDörfernindienächstgelegenenundsichererenStädte,aberauchinStädtewieİzmir,Antalya,BursaoderIstanbul.DieAbwanderungausderGAP-RegionzumBeispielerfolgtezuerstindieStädteGaziantep,AdanaundMersinimSüdenderTürkei,dannnachİzmirundIstanbul,aberkaumnachAnkara.16EntgegendergängigenMeinunglebtdieMehrheitderKurdenjedochnichtimWestenbzw.inwestlichenundsüdlichenMetropolen,sondernimmernochimOstenundSüdostenderTürkei.DieMigrationinnerhalbdesGAP-Gebietsvollziehtsichmeistaus

DörferninderEbeneindieKlein-undGroßstädte,dieMigrationinandereRegionen(meistinGroßstädteimSüdenoderWesten)ausBergdörfern.17InnerhalbdesGAP-GebietsgibtesauchunterschiedlicheLand-Stadt-MigrationsbewegungenundUrbanisierung:WährenddieStädteGaziantep,DiyarbakırundŞanlıUrfaMigrantenanziehen,verlierendieProvinzenvonMardin,AdıyamanundSiirtBevölkerungan

dieProvinzenaußerhalbdesOstensundSüdostens.18DerVolkszählungvon1990zufolgelebten63%derBevölkerungimGAP-GebietindenStädtenGaziantep,DiyarbakırundŞanlıUrfa.19DieGründefürdieMigrationausdenDörfernindiesemGebietsindvielfältig:wirtschaftlicheNot,StreitumBesitz,BlutracheoderallgemeineSicherheitsprobleme(besondersnachBeginndesKriegesgegendiePKK).AußerdemgibtessaisonaleArbeitsmigrationausderHälftederDörferbesondersimBereichderBauwirtschaft.20DerVerstädterungsprozessinkurdischenGebietenderTürkeiist

insgesamtvoneinigenBesonderheitengekennzeichnet:(1)DieMigrationindiesüdöstlichenStädteverursachteineimVergleichzudenimWestengelegenenStädtenschwerereKrisedesstädtischenArbeitsmarktes,dernichtalleMigrantenaufnehmenkann.(2)DieMigrationausdenländlichenGebietenindieStädtederkurdischenGebieteoderindenWestenderTürkeiverläuftparallelzuderAbwanderunglokalerElitenindenWesten,dieeigentlichdasnötigematerielleundsozialeKapitalfürInvestitionenimSüdostenhaben,aberderUnsicherheitundInstabilitätderKriegsökonomieinderRegionentfliehenwollen.DieseAbwanderungführtbeispielsweisezuerhöhtemVerkaufvonImmobilienderreicherenSchichtundgleichzeitigzurasantenMietsteigerungenfürdieeinkommensschwachenGruppeninkurdischenStädten.(3)DieStädteimSüdostenderTürkeisindSprungbrettfürdieAbwanderungnachWesten.AuchdieStadtGaziantep,diedasgrößtePotentialzuwirtschaftlicherBlütehat,isthiervonnichtausgenommen.21(4)DieStädteimSüdostenentwickelnsichnurlangsamzuneuenindustriellenZentren;siehabeneinehoheKonzentrationvonMilitär,dieihrenCharakterstarkprägt.DieMigrantenvomLandhabenunterschiedlicheBindungenund

ErwartungenandasstädtischeLeben.VieleLandloseoderVertriebenebedienensichweiterderBeziehungenzumächtigenAga-oderScheich-FamilienodersiesuchendieUnterstützungvonPersoneninMachtpositionen,welchestädtischeoderstaatlicheLeistungenfürsie«anzapfen»können.MigrantensindbesondersoffenfürEinflüsseklientelistischerundreligiöserPersonenundInteressengruppenundschwerzugänglichfüreineParteipolitik,diesichnichtaufsolche

DienstleistungenundprotektionistischenAngeboteeinlassenwill.22

Exkurs:DerFallDiyarbakır23EinebeträchtlicheZwangsmigrationfindetindieStadtDiyarbakırstatt.LautderDiyarbakır-StudiedestürkischenArchitekten-undIngenieursverbandeswaren36%derBefragtenEinheimische,30%warenvor1990migriertund34%nach1990zwangsmigriert;siesindalsonichtausindividuellenGründenzugezogenoderweilsiedasStadtlebenattraktivfanden,sondernwegenderkriegerischenAuseinandersetzungenundVertreibungen,diesiezurMigrationgezwungenhatten.Vondennach1990zwangsmigriertenbefragtenHaushaltsvorständengabfastdieHälftedirektdenKriegunddieVertreibungausdemDorfalsGrundfürihreMigrationan.24MitanderenWorten:Ab1990ändertensichdieHauptgründederMigrationvomLandindieStadtdrastisch.DieProvinzDiyarbakırhatte1965bis1990einennegativenWanderungssaldo(–7,6%);25

diesändertesichnach1990.DiejährlicheRatedesMigrationszuwachsesvon1990bis1997betrug+2,2%.26GleichwohlsetztesichdieAbwanderungausderStadtauchnach1990fort.Zugleichverwandeltendiejenigen,dieausderländlichenUmgebungnachDiyarbakırzwangsmigrierten,dieStadtgewissermaßenineingroßesDorf,trotzdermehrstöckigenBillighäuser,diesiebewohnen:NebendenHochhäusernoderaufdenBalkonendieserHäuserzumBeispielgibteseinentandır,einentraditionellenBackofen,denmanimDorfalseinLochindieErdebaut.DieDiyarbakır-StudieunterstreichtdieKritikanderPlanlosigkeitstaatlicherMaßnahmenund

denKürzungenverschiedenerEtatsderProvinz:Investitionenstagnieren,nurProjekteimmilitärischenundSicherheitsbereichwerdenfinanziert.27WährendKapitalausDiyarbakırnachWestenabgezogenwird,werdendieverbliebenenInvestorenkaummitausreichendenKreditenunterstützt.VetternwirtschaftundKorruptionwerdenvonderRegierungzumindesttoleriert;esexistierteinakuterWohnungsmangel,unddieWohnungen,diefürdieZugezogenengebautwurden,wurdenzumeistohneGenehmigungerrichtet.

Ab-undZuwanderungenbildeneinenTeilderMigrationsbewegungenundsindoftlangfristigoderendgültig.EsgibtaberaucheinesaisonaleMigration,diedasLebenbestimmterBevölkerungsgruppenindenProvinzen,diemehrheitlichvonKurdenbewohntwerden,betrifft.SaisonaleMigrationfindetzwischenProvinzeninnerhalbundaußerhalbderGAP-Regionstatt.Fast10%derBevölkerungdiesesGebietsnahmenansaisonalerMigrationteil.28SaisonaleMigrationbetriffthauptsächlichdiejungeGenerationvonMännern.WegenderhohenBevölkerungszuwachsrate,derdurchdasErbsystemverursachtenVerkleinerungdesGrundbesitzes,derArbeitslosigkeitundderMechanisierunginderLandwirtschaftarbeitenmeistjungeMännersaisonalinwestlichenoderinderNäheliegendenStädtenundGroßstädteninderBauindustrieoderinkleinerenBetriebendesproduzierendenGewerbes.29DieseMobilitäteröffnetnichtnurneue

EinkommensmöglichkeitenundUnterstützungderbetroffenenFamilien,sondernhataucheineWirkungaufdieAutoritätsstrukturindentraditionellenFamilien.DiejungenMännerbeispielsweisewollennichtmehrinDrei-Generationen-FamilienlebenundmöchtenihrEinkommenfürsichselbstbehalten,andersalsintraditionellenländlichenFamilien,woderVaterdieEntscheidungenfürdenHaushaltalleingetroffenhatte.

Bildung

IndenöstlichenundsüdöstlichenRegionenistderBildungsstandderBevölkerungrelativniedrig.DieOstregionderTürkeihatdieniedrigstenWertefürMännerundFrauen(Tabelle8,S.256–257).DieFrauenimSüdostensinddabeibesondersbenachteiligt;einenGymnasialabschlusserreichenimVergleichzudenMännernimOsten,aberauchimVergleichzudenFrauenimWestenkaumhalbsovieleFrauen.FastdreimalsovieleFrauenimWestenundviermalsovieleMännerimOstenerreicheneinenUniversitätsabschluss.InDiyarbakırstellenKinderundJugendlicheimSchulaltervon7bis

18Jahrenungefähr35%derStadtbevölkerung.IndieserAltersgruppebesuchtenmehralsdieHälftewedereineSchulenochstandensieineinemBeschäftigungsverhältnis.30DieAngabenzurGAP-RegionkontrastierenjedochstarkmitdenAngabenausderDiyarbakır-Studie:DemnachgabeseinesehrgeringeZahlderKinderimschulpflichtigenAlter,dienichtzurSchulegingen(40von2782Befragten).31DieProzentzahlderAnalphabetenimstädtischenMilieuderGAP-

RegionlagbeietwaeinemViertelderBefragten.32IndiesemGebietkonntenimJahr1990nur60%derBevölkerunglesenundschreiben,45%derFrauenund76%derMänner.33

Gesundheit

EinVergleichderärztlichenVersorgungnachverschiedenenRegionen

derTürkeiisteinweitererIndikatordesEntwicklungsstandesderkurdischenGebiete(Tabelle9,S.257).DieZahlderPatientenproArztliegtinöstlichenundsüdöstlichenRegionenstetsüberdemDurchschnittswert.DieMarmara-RegionbesitztdiehöchsteAnzahlPatientenproArzt.Dieskanndadurcherklärtwerden,dasssichdieZahlennuraufdieÄrztederstaatlichenPoliklinikenundGesundheitszentrenbeziehen,währendprivateundstaatlicheKrankenhausärzteindieUntersuchungnichteinbezogenwurden.WeiterzeigtdieTabelle,dassesindenöstlichenundsüdöstlichenRegionendiegeringsteAnzahlvonKrankenhausbettengab.DieseRegionenbesaßenauchdiehöchstenRatenvonPoliklinikenohneÄrzte(jeweilsfürSüdostenundOsten20%,Türkeidurchschnitt13%).

IndustrieundArbeitsmarkt

AllgemeinhatindenurbanenZentrenderTürkeidieverarbeitendeIndustriedengrößtenAnteilamBruttosozialprodukt,gefolgtvomDienstleistungssektorundHandel.DerDienstleistungssektorinderGAP-RegionliegtetwasunterdemDurchschnittswertfürtürkischeStädte.34SeinAnteilanderGesamtwirtschaftderRegionbeträgt37%.35InderGAP-RegionlagjedochdieDifferenzierunginnerhalbdiesesSektorsunterdemWertfürdieGesamt-Türkei,wasfürdieEinseitigkeitderEntwicklungdiesesBereichsspricht.36DerAnteilderBeschäftigteninderverarbeitendenIndustrieinderGAP-RegionliegtjedochauffälligunterdemDurchschnittswertfürdieurbaneTürkei:InderGAP-Regionarbeitetenetwa12%(nachanderenQuellen16%)derBeschäftigtenindiesemSektor,währendderDurchschnittswertfürdieTürkei29%(imJahr1990)betrug.371980bis1985warennur2%derverarbeitendenIndustriederGesamt-TürkeiindieserRegionangesiedelt.ImgleichenZeitraumhattesichderAnteilderKleinbetriebeindieserRegionimVergleichzurGesamt-Türkeisogarverringert.NachderLiberalisierungspolitikderÖzal-ÄrahatsichderStaatausInvestitionenzurückgezogen,wasverheerendeAuswirkungen

aufdieIndustrieindemGebiethatte.PrivatisierungsmaßnahmenhattenkeinenErfolg,weildienötigeInfrastrukturfehlte.WegenderInstabilitätdurchdiekriegerischenAuseinandersetzungenmusstenimmermehrFirmenundBetriebeschließenundwurdenmeistindenWestendesLandesverlegt.38EinewichtigeAusnahmebildetdieStadtGaziantep,inderdieBeschäftigungindiesemSektordenDurchschnittswertwestlichertürkischerStädteerreichte.InstädtischenZentrenderTürkeikannmankaumeinelandwirtschaftlicheProduktionbeobachten.InderGAP-Regionjedochwaren13%derBeschäftigtenimAgrarsektortätig.AndererseitshattedasBaugewerbeintürkischenStädtenallgemeineinenAnteilvon7,6%,währenddieseZahlfürdieGAP-Region18%erreichte.39AufdemArbeitsmarktindenkurdischenProvinzensiehtesbedrückendaus.GenauereZahlenliegenfürDiyarbakırvor,woetwasmehralseinFünftelderbefragtenErwerbsbevölkerungarbeitsloswar.40AllerdingsmusssolchenAngabenmitZurückhaltungbegegnetwerden,weilArbeitslosigkeitnichtdurchAnmeldungregistriertwird.DerinformelleistderwichtigsteSektorinstädtischenMilieusdieserRegion.Arbeitssucheund-vermittlungläuftintypischerWeiseindiesemSektorübereineMischungvonVermittlungdurchVerwandte,BekannteoderprivateArbeitsvermittlervonLeihfirmen,dieAnteilevomLohnfürihreDiensteeinbehalten.DasEinkommenistvonzentralerBedeutungfürdiegesamteLebenslagevonMenschen.1996betrugdasjährlichePro-Kopf-DurchschnittseinkommeninderTürkei2138$41undinDiyarbakır283$42(imMärz1996entsprach1$75.000TürkischenLira).Fast24%derbefragtenHaushaltehatteneinEinkommenvonmaximal4MillionenLira=ca.53$imMonat).43Nur2%derHaushaltegehörtenzurhöchstenEinkommensgruppe(50–100MillionenLira=666–1332$imMonat).Wennmanberücksichtigt,dassimJahr19966MillionenLiraimMonatdemoffiziellenMindestlohninderTürkeientsprachen,bedeutetdas,dassinDiyarbakır41%derHaushaltewenigeralsdiesenBetragverdienten.Fast47%dieserMindestlohngruppewarenZwangsmigranten.DieDiyarbakır-Studiezeigtaußerdem,dassnur0,1%derBefragtenindieserStadtein

überdurchschnittlichesEinkommenhatten.44EinerArmutsstudieintürkischenStädtenvon1994zufolgelagdieArmutsgrenzebei384$imJahrproPerson,dasheißtdieswardieMindestsummeeinerPersonfürGrundbedürfnissewieLebensmittel.InDiyarbakırwurdedieseArmutsgrenzemit432$imJahrproPersonfestgelegt.Fast88%derBevölkerungund95%derZwangsmigranteninDiyarbakırlebtenunterdiesemLimit.45EineaktuelleStudievonTESEV,dievoneinerGruppebekanntertürkischerÖkonomenundSozialwissenschaftlerdurchgeführtwurde,weistaufähnlicheEntwicklungsindikatorenhin.InderAnalysesozioökonomischerEntwicklungsindikatorenvon1996bis2003wurdefestgestellt,dass17ProvinzenderSüdost-undOst-TürkeidieniedrigstesozioökonomischeEntwicklunginnerhalballer81Provinzenhatten(2006,S.13,Tabelle1.1).DarüberhinausvermutetendieAutoren,dassimJahr2004rund60%derBevölkerungdieserRegionunterderArmutsgrenzelebten(TESEV2006,S.102).LauteineranderenStudieausdemJahr2002hatten2,4%derBevölkerunginderTürkeieinTageseinkommenvonuntereinemUS-Dollar.InderOst-undSüdost-Türkeitrafdiesauf14%derBevölkerungzu.46

Südost-Anatolien:EinFallvonUnterentwicklung?

DieUnterentwicklungdersüdöstlichenundöstlichen–mehrheitlichvonKurdenbewohnten–ProvinzeninderTürkeiistseitMittedersechzigerJahreeinwissenschaftlichesundpolitischesDiskussionsthema.MitderVerbreitungsozialistischerIdeenunterPolitikernundSozialwissenschaftlern,diemeistderArbeiterpartei(TİP)nahestanden,wurdedieUnterentwicklungdieserProvinzenimVergleichzudenwestlichenProvinzenalseinausder«LogikdesKapitalismus»hervorgehenderProzessverstanden.DagegensetztederSoziologeBeşikçidieThesederEthnizität:EineungleicheEntwicklungdesKapitalismuskönnenichtdieLagederKurdeninderTürkeierklären,daessichumUnterdrückungundAusbeutungvonVolksgruppenhandele.

KritikervonBeşikçisTheseargumentieren,dassEthnizitätalseinzigerErklärungsansatzfürdieUnterentwicklungdesOstensundSüdostensKlasseninteressenund-schichtungenunterdenTürken,denKurdenundanderenethnischenGruppenübersehe;kapitalistischeEntwicklungfindeohneRücksichtaufethnischeZugehörigkeitstatt.KapitalbildungführezuweitererAusbeutungderkurdischenBevölkerungdurchihre«eigenen»herrschendenSchichtenvonGroßgrundbesitzern,AgasundScheichs.47DieseseieninderLage,vonderMechanisierungderLandwirtschaftundderErweiterungderMärktezuprofitieren,indemsieihretraditionellenFührungspositionendenneuenHerrschaftsstrukturendesKapitalismusanpassenkönnten.48LetzteremstimmtBeşikçidurchauszu.GleichwohlstelltsichdieFrage,obEthnizitäteineprimäreRollebeiderUnterentwicklungspieltebzw.spielt.BeşikçiführteseinArgumentdergezieltenethnischenUnterdrückungderKurdendurchdenStaatfortundsprachvon«internemKolonialismus»sowievonKurdistanals«internationalerKolonie»;diesesModellwurdesogleichvonkurdischennationalistischenGruppenundTheoretikernübernommen.Kritikerargumentierten,dassdiesesModellderAusbeutungundUnterdrückungtheoretischundempirischnichtgenügendentwickeltsei,umdaskomplexeVerhältniszwischenKlassenherrschaftundethnischerHerrschaftimFallderKurdenzuerklären.49SicherlichspieltUrbanisierungeinewichtigeRolleimProzessderUnterentwicklungundfürdasWest-Ost-Gefälle.DurchsiesankderAnteilderLandwirtschaftamBruttosozialproduktvon50%indenfünfzigerJahrenauf15%imJahr1990.DieIndustrialisierungbegannindendreißigerJahrenwährenddesinstabilenWeltmarktesmitstaatlicherUnterstützungundwurdeindensechzigerJahrenimRahmeneinergemischtenPlanwirtschaftfortgesetzt.DieWirtschaftwuchsrasch,ohnedassdieszueinerVollbeschäftigungderstädtischenBevölkerunggeführthätte.DiesüdöstlichenundöstlichenkurdischenProvinzenhabenmehralszwanzigJahrelangeinenSonderstatus(KalkınmadaÖncelikliYöreler)indieserPlanwirtschaftgehabt.DaaberderStaatnichtgenügendinvestierteunddieEntwicklungindiesenProvinzennichteffizientgenugunterstützte,konntedieAbwanderungvonKapitalundElitenwiezum

BeispielausDiyarbakırnichtverhindertwerden.Esistsogarbestrittenworden,dassderKapitalismusüberhauptEingangindieseRegiongefundenhat.50EinigeProblemediesesunterentwickeltenGebietsgibtesauchinder

übrigenTürkei.DieRegionweistaberauchBesonderheitenauf:51(1)EineeffizienteFörderungderRegionwurdenichterreicht.ObwohldasGebietfürViehwirtschaftsehrgeeignetist,isteinewirksameUnterstützungimWesentlichenausgeblieben.DurchdenKrieggegendiePKKunddurchdasdamiteinhergehendeWeideverbotistdieschwacheViehwirtschaftineineschwereKrisegestürztworden.(2)DieLandbesitzstrukturenstelleneingroßesHindernisfüreinenachhaltigeundprofitablelandwirtschaftlicheEntwicklungdar.42%derländlichenBevölkerungindiesemGebietsindlandlos.52(3)WeilderStaatdieEntwicklungderIndustriedurchAufbauderInfrastrukturunterstützenmussunddieIndustriesichfürdenMarktunddieProduktiongünstigeOrteaussucht,wurdenimmerwiederdieschonentwickeltenstädtischenZentrenfürindustrielleNeuansiedlungenvorgezogen.(4)AuchdieEinführungeinigerIndustrien,wiebeispielsweisederölverarbeitenden,hatdieHoffnungaufArbeitsplätzenichterfüllt.(5)DasBevölkerungswachstumimSüdostenderTürkeiisteinHindernisfürdieWirtschaftsförderung.(6)DieVerteilungstaatlicherKrediteundFörderungsmaßnahmenhabentrotzderbevorzugtenBehandlungdiesesGebietsnichtzudenerhofftenErgebnissengeführt.53(7)StaatlicheInvestitioneninderGAP-Regionsindungleichverteilt;etwadieHälftekommtderEnergiewirtschaftzugute,andereSektorenwerdendagegenvernachlässigt.54GewinneausderEnergieerzeugungwerdennichtinderGAP-Regionreinvestiert.DieArgumentationdesStaatesgegendenVorwurfabsichtlicherUnterentwicklunglautetejedoch,dassdieKostenfürdasGAP-GebietderzeitbeiniedrigenGewinnensehrhochseien.DerSoziologeÖzer,derselbstimGAP-Projektgearbeitethat,istder

Auffassung,dassdietürkischenRegierungeneinekapitalistischeEntwicklungundIndustrialisierungindiesemGebietverhinderthätten,weildiesdieVerstärkungethnisch-nationalerBewegungen,alsodeskurdischenNationalismus,hätteverursachenkönnen.55StaatlicheRessourcenflossendahervorallemindenAusbauderInfrastrukturund

indasMilitär.56ObwohldieGAP-RegionseitdensiebzigerJahrenvonverschiedenen

neuenKommunikationstechnologienundvonderEntwicklungderKleinindustrieprofitierte,hatdiegesellschaftlicheEntwicklungnichtmitdiesenwirtschaftlichenundtechnologischenEntwicklungenSchritthaltenkönnen.InderGesellschaftherrschenimmernochalteWerte-undNormenmustervor,diesichnursehrlangsamandieErfordernisseindustriellerEntwicklungwiezumBeispieldieAusbildungeinerqualifiziertenArbeitnehmerschaftanpassen.DadurchwirdeinkoordiniertersozialerundökonomischerWandelindieserRegionverhindert.57DieGAP-StudieuntersuchtaußerdemdenZusammenhangzwischen

BerufundsprachlichenKompetenzen:Diejenigen,dieTürkischalsMuttersprachegelernthaben,sindmeistinderverarbeitendenIndustrieoderimDienstleistungssektortätigundspielenaucheinewichtigeRolleimHandel,währendjenemitKurdischalsMuttersprachemeistinderLandwirtschaft,imBau-oderDienstleistungsgewerbetätigsind.58DieHandeltreibendenhabeninderMehrheitKurdischalsMuttersprache.DieÜberrepräsentationtürkischerMuttersprachlerinderIndustrieundimDienstleistungssektorrührtvoneinerKoinzidenzzweierFaktorenher:DieTürkisch-MuttersprachlerlebenmehrheitlichinGaziantep,unddieseStadtistindiesenSektorenammeistenentwickelt.59DieGruppemitTürkischalsMutterspracheistinsozioökonomischerHinsichtineineretwasbesserenPosition,währenddieGruppemitKurdischalsMutterspracheunddiemitArabischundZazafolgen.JedochgehörenalledieseGruppenzuderunterstenEinkommensgruppestädtischerBevölkerunginderTürkei.KeinedieserSprachgruppenliegtüberderstädtischenArmutsgrenze.DieDifferenzierungzwischendenSprachgruppenunterstütztdieTheoriederethnischenSchichtungabernicht,weiljeneeherdenLinienderunterschiedlichenregionalen,wirtschaftlichenundstädtischenEntwicklungenfolgt.60WidersprücheindenErklärungsansätzenzurUnterentwicklung

Südost-Anatolienssindoffensichtlich.Einerseitsheißtes,dieRegionseiabsichtlichvernachlässigtworden,andererseits,dassgroßeInvestitionengetätigtwordenseien.DassdiesenichtzudenerhofftenErgebnissen

führten,erklärenPolitikermitdenschwierigenBedingungen,nämlichdensogenanntenfeudalistischenStrukturen,Stammesstrukturenund-loyalitäten,MangelanBildungundQualifizierunginallenberuflichenundLebensbereichen.IndiesenArgumentenwerdensozialstrukturelleGegebenheitenentwederaufethnischeMerkmalereduziertoderignoriert,wasderKomplexitätdersozialenRealitätnichtgerechtwirdunddieLösungderProblemeerschwert.AnderehaltendieMigrationausallenSchichtenderBevölkerungin

dieentwickelterenGebieteundStädtederTürkeifürdaswichtigsteProblemdesSüdostens,weildadurchinallenBerufenundLebensbereichensozialesundmateriellesKapitalverlorengeht.61DerstetigestrukturelleWandeldesHumankapitalsführtzueinermangelhaftenÜbertragungvonWissenzwischendenGenerationen.KaumjemandübtdenBerufseinerVorfahrenaus.IndiesemVakuumvonWissenundWerten,woallesimmerwiederneu,aberoftnuroberflächlicherlerntwird,kannvonStabilitätkaumdieRedesein.62DieungeplanteundrasantesozialeMobilitätbringtUngleichheiten,unrealistischeErwartungenundAnpassungsproblemefürIndividuenunddieGesellschaftmitsich.SiestellteinmassivesProblemdar,daskaummitinstabilenKoalitionenvonParteienundmilitärischenMaßnahmenzulösenist.

2.Bauerntum,ländlicheProduktionsformenundLandbesitz

BisindieachtzigerJahrewardieTürkeiinersterLinieeinAgrarland,indemLandwirtschaftundländlicheBevölkerungdominierten.DieseitherigeTendenzwurdeschondurchdieVolkszählungvon1997bestätigt:65%derBevölkerungderTürkeilebtenheuteinStädten.DieländlichgeprägtenProduktionsweisenundLebensform(en)geltenjedochimmernochalsbedeutsamfürdiekurdischenGebiete.1DiedortigenländlichenStrukturenweisenfolgendeCharakteristikaauf:2

DieländlichenSiedlungensind–imVergleichzurübrigenTürkei–sehrverstreut.DieserschwertdieAusbreitungvonDienstleistungenundInfrastruktureinrichtungen,schränktdieMöglichkeitein,vondiesenDienstleistungenzuprofitieren,underhöhtderenKostenfürdenZentralstaatunddielokaleVerwaltung.ImGrenzgebietzumIrakundzuIransindkleineBergdörferdiehäufigsteSiedlungsform.WegendesknappenundungenügendausgebautenStraßennetzesundihrergeographischungünstigenLagesindsieschwerzuerreichen.DieHauptbeschäftigungindiesenDörfernistViehzucht,häufiginVerbindungmitAckerbau.DieProduktivitätderViehzuchtistniedrig.DieDörfer,dieViehzuchtbetreiben,sindoftamstärkstenvondembewaffnetenKonfliktzwischenderPKKunddertürkischenArmeebetroffenundzeigendiestärkstenTendenzenzurerzwungenenodergeplantenAbwanderung.IndenlandwirtschaftlichgenutztenGebietenistdieVerteilungdesLandbesitzesdurchstarkeUngleichheitgekennzeichnet.EsgibtvieleKleinbauernnebenwenigenGroßbauernmitgroßemLandbesitz.

DiesbedeutetdieExistenzeinergrößerenZahlvonyarıcıundortakçı(«Pächter»)sowievielerlandloserBauernfamilien.DieGroßgrundbesitzerführtenkapitalistischeFormenderLandwirtschaftundbezahlteLandarbeitein.AuchHandelskapitalfindetlangsamdenWegindielandwirtschaftlicheProduktion.DieZahlderNomaden,dieWeidewirtschaftbetreiben,verringertsichstetig.AuchdieVerbliebenenwerdenwohlbaldzurLandwirtschaftübergehenundsichansiedeln.EsgibtimmernocheineGruppevonfast50.000Dorfschützern(korucu),diekeinerproduktivenBeschäftigungnachgehen,dieaber,nachZusagendertürkischenRegierunganEUundUN,aufgelöstwerdensollen.WiesieindaswirtschaftlicheLebenreintegriertwerdenmüssen,istnochunklar.

BauerntumwardietraditionellsteLebensforminKurdistanundistimmernochweitverbreitet.DieTypendesBauerntumsinkurdischenGebietenvariierenjenachgeographischenundklimatischenFaktorensowiewirtschaftlicherEntwicklungundIntegrationindieMarktwirtschaft.Subsistenzlandwirtschaft,inderdieBauernfamilienurfürdeneigenenLebensunterhaltwirtschaftet,istseltengeworden.BauerntuminderEbeneoderBergbauerntumsinddiehäufigstenFormen.BeideproduzierenteilweisefürdenVerkauf,teilweisefürdieTauschökonomieundschließlichfürdenKonsumdeseigenenHaushalts.DarüberhinauskoexistiertFeldwirtschaftmitViehzucht.DieseMischformentstandausderNotwendigkeit,dieRentabilitäteinzelnerWirtschaftsformenzuverbessern.DieZahlderHaushaltemitgroßenHerdenistniedrig.DiegehaltenenTierehabeneherdieFunktioneinerAbsicherung,dennunerwartetesowievorhersehbareKostendesHaushaltswiebeieinerHochzeitoderbeiLandkaufwerdendurchVerkaufvonTierengedeckt.3TrotzihrerFlexibilitätistdieTierhaltungseitdenachtzigerJahrenzurückgegangen.DieGründedafürliegenvorwiegendinderAbnahmedesWeidelandesundinallgemeinenwirtschaftlichenundpolitischenProblemen.WeitereGründesindderKaufvonTraktoren,TierkrankheitenunddieVerkleinerungdesBesitzesdurchErbgang.DerRückgangderTierhaltungmussjedochnichtunbedingtals

VerschlechterungderLagederBauernangesehenwerden;erkannauchalsZunahmederAnbauproduktionaufKostenderViehwirtschaftverstandenwerden.4EineandereMischformistdieKombinationvonBauerntumundbezahlterArbeit,oftinStädten.ZusätzlicheLohnarbeitwirdnichtnurvoneinemMitglied,sondernvonmehrerenMitgliederndesHaushaltsübernommen.DieLohnarbeitfindethauptsächlichinderLandwirtschaftstattundwirdvorwiegendimselbenDorfundingeringeremMaßeinNachbardörfernund-provinzenbetrieben.LohnarbeitwirdmanchmalvonderganzenFamiliewahrgenommen,wennallihreMitgliederalssaisonaleLandarbeitermeistindieÇukurova-EbenezurBaumwollerntemigrieren.BauerntuminVerbindungmitsaisonalerMigrationalsLandarbeiterhateinelangeTraditionimSüdostenderTürkei,diemitderProduktionfürdenMarkt,etwavonBaumwolleundZuckerrüben,begonnenhat.DieModernisierungderLandwirtschaftdurchTraktorenundMähdrescherindenfünfzigerJahrenführtezueinerErweiterungderAnbauflächen,diesichhauptsächlichzumVorteilderGroßgrundbesitzerundAgasauswirkte.DurchihreMachtpositionundbessereKontaktezudenpolitischenMachtzentrenkonntensieihreLandansprücheaufdiebisdahinalstraditionellkommunaloderstammeszugehöriggeltendenWeideflächenerweitern.DieVerteilungdesBesitzeslandwirtschaftlicherGerätezeigtUngleichheitenimSüdostenderTürkei.DieBesitzverhältnisseundderZugangzuneuerenTechnologienbildetenundbildenimmernocheinenzentralenAspektderMachtverhältnisseindenkurdischenGebieten.DörferlassensichnachdenBesitzverhältnissenundderZugehörigkeitzueinerStammesgruppeklassifizieren.5DemnachgibtesvierTypenvonDörfern:(1)Aga-Dörfer,indenendasLandeinemAgagehörtundvonPächtern,dieeinenTeilderErntealsPachtabgebenmüssen,bearbeitetwird;(2)DörfervonStammesgruppen,indenenverschiedeneFamiliengruppeneinesStammeszusammenwohnenunddasLandbesitzen;(3)Bauerndörfer,indenendasLandmehroderwenigergleichverteiltundimBesitzvonBauernist;(4)Mischdörfer,indenenesnebendemAgaauchKleinbesitzerund/oderlandlosePächtergebenkannundindenendasLandungleichverteiltist.

ZudenBesitzverhältnisseninkurdischenGebietengibtessehrunterschiedlicheAngaben.6DiefeudalenAbhängigkeitsverhältnissezwischenGroßgrundbesitzer-AgasundLandlosengibtesheutenurnochselten.DieVerpachtungvonLandunddieBearbeitungdurchanderesindweitverbreitet.DieBauernineinemPachtverhältnisheißenortakçı.DieLandbesitzerverpachtenihrLandmeistfürdieHälftederErnteanTeilbauern.SiesindoftselbstnichtinderLage,dasLandzubearbeiten,weilsieinderStadtleben.InkurdischenGebietengibtesunterschiedlichelandwirtschaftliche

Produktionsverhältnisse,diejeweilsBesitzstrukturenundProduktionsformenwiderspiegeln.ManunterscheidetneunFormendieserVerhältnisse,dieteilweisegleichzeitigexistierenodersichüberschneiden:7(1)MarabacılıkistdieProduktionsform,inwelcherdermaraba-

Haushalt,meisteineFamilie,dielandwirtschaftlicheArbeitundderLandbesitzerdieProduktionsmittelLandundSaatguteinbringen.DieErntegehthäufigzuzweiDrittelnandenBesitzerundzueinemDrittelandiemaraba-Familie.DieFamiliewohntmeistaufdemGutdesLandbesitzers,beidemessichoftumeinenAgahandelt.(2)BeiyarıcılıkwirddasLandvomLandbesitzerzurVerfügung

gestellt,aberandersalsbeimmaraba-VerhältniswerdenverschiedenePhasenderlandwirtschaftlichenArbeitzwischenLandbesitzerundLandarbeiterfamiliengeteilt.DieseFormexistiertoftzwischenzweiFamilien,diebeidewenigBesitzhaben,ihreArbeitskräftezurProduktionserhöhungzusammenbringenundamEndedieErnteteilen.(3)Ortakçılık(engl.«share-cropping»)istdemyarıcılıkähnlich,da

beideSeiten,BesitzerundLandarbeiter,ArbeitundErnteteilen.DerUnterschiedliegtdarin,dassdieTeilunggenauabgesprochenundverhandeltwird.(4)InderProduktionsformdericarcılık(«Verpachtung»)wirddasLand

einesGroß-oderMittelgroßgrundbesitzersvoneinemHaushaltbzw.einerFamiliegepachtetundbearbeitet.DerBesitzerhatdannmitdemGewinnoderVerlustbeimErnteausfallnichtszutun.DieseFormexistiertoftzwischenKleinbesitzernunddemStaat,wennderStaatseinenBesitz(hazinearazisi)verpachtet.

(5)LandwirtschaftlicheTagelöhnerodersaisonaleLandarbeiter(gündelikvemevsimliktarımişçisi)sindmeistFamilien,dieoftsehrwenigLandhabenundihreArbeitskraftgegenLohnfürLandbesitzereinsetzen.IhreArbeitistjedochvonmodernisierterLandwirtschaft,alsovonerhöhterMechanisierungbedroht,unddieseArbeitersindauchoftTagelöhnerindenStädtenderRegion.(6)Civelek(«Landarbeiter»)istdieFormdesProduktionsverhältnisses,beidemdiecivelek-FamilieaufdemGutdesLandbesitzerswohntundihreUnterkunfts-undNebenkostenvomBesitzerbezahltwerden.DafürarbeitetdieFamiliealsTagelöhnerfürdenLandbesitzerundzahlteigeneLebens-undandereKostenvondiesemLohn.DasVerhältniskannkurz-oderlangfristigsein;solcheFamilienjedochwerdenkaumindieDorfgemeinschaftintegriertundhabeneinenniedrigerenStatusalsdienormalenBauernfamilien.(7)Traktörmüteahhitliği(«Traktor-Unternehmertum»)isteineFormdesländlichenProduktionsverhältnisses,diedurchMechanisierunginderLandwirtschaftentstandenist.EinTraktorbesitzerkannbeispielsweisedasLandandererbearbeitengegendieHälftederErnte.ErbezahltdasSaatgutundandereProduktionskosten,währendderBesitzerseinLandzurVerfügungstellt.DieseArtdesVerhältnissesscheinteineZwischenlösungfürdieBauernzusein,dieetwasKapital,aberwenigLandbesitzenunddieSituationandererMittelgroßbauern,diezwarLand,aberkeinenTraktorbesitzen,ausnutzen.(8)RıpçılıkistdieFormderProduktion,inderdieLandwirtschaftnurmittraditionellenMethodenundGerätenbetriebenwirdundalleKostenderProduktionvomLandbesitzerübernommenwerden.DerrıpçıistderLandarbeiter,derfürseineLeistungundArbeitskrafteinVierteldesErnteaufkommenserhält.(9)Azap(«Gutsknecht»)wiederumisteinArbeitsverhältniszwischendemLandbesitzerunddemLandarbeiter,dasallerdingsmeistnurfürbegrenzteZeit,beispielsweiseeineErntesaison,dauert.DemazapwirdseineArbeitinNaturalienund/oderdurchdieBereitstellungeinesStücksLandzurBearbeitungfürdenEigenbedarfentgolten.DerBesitzerübernimmtalleKosten,undderazapistgewissermaßenalsseinKnechtfüreineSaisonverantwortlichfürallelandwirtschaftlichen

Produktionsarbeiten.StaatlicheUnterstützungfürlandwirtschaftlicheProduktionund

ProduktespieltvoralleminkurdischenGebieteneinewichtigeRolle.DieBauernwerdenmitKreditenzugünstigenZinsenunterstützt,damitsieihreTechnologieundProduktionverbessernkönnen.NunwirddieVergabederKreditenichtnurvonpolitischenBeziehungenundVergünstigungenbeeinflusst,sondernesgibtmarktwirtschaftlicheGründe,größerelandwirtschaftlicheEinheitenbeiderKreditvergabevorzuziehen.DiesscheintbesondersdieViehwirtschaftzubetreffen,davieleViehzüchtereherkleinelandwirtschaftlicheUnternehmersind.InderGAP-RegionistdieMechanisierungdurchTraktorenweitfortgeschritten,auchwenndieMechanisierungsratedasländlichePotentialnichtausschöpft.InderHarran-EbenebräuchtemandiedoppelteZahlderzurZeitvorhandenenTraktoren,umdasPotentialvollzunutzen.8InKurdistanwirdKleintierhaltungundWeidewirtschafttraditionell

vorwiegendvonSeminomadenundNomadenbetrieben.DieseLebensformen,diefrühermitStammesstrukturenengverbundenwaren,sindjedochseitdenachtzigerJahrenvoneinemschnellenNiedergangbetroffen.DafürgibtesmehrereGründe:ErstensistderNiedergangvonNomadismusundSeminomadismusnichtganzneu,damitUrbanisierung,VerstädterungundModernisierunglandwirtschaftlicherProduktionsformendieExistenzgrundlagendieserLebensformenuntergrabenwurden.ZweitenswurdedieWeidewirtschaftvonNomadenundSeminomadennurunzureichendmitFördermaßnahmenwierichtigplatziertenundbilligenKreditenodertechnischenEntwicklungsprogrammenzurQualitäts-undProduktivitätssteigerungunterstützt.DrittenswurdendieAnbaugebieteaufKostenderWeiden,diefür

nomadischeundseminomadischeProduktionnötigsind,erweitert.DieshingteilsmitdemraschenBevölkerungswachstum,teilsmitderModernisierungderLandwirtschaftindenletztenfünfzigJahrenzusammen.

Abb.6:SeminomadenausdemStammderDoskiaufderBergweide(zoma)imCilo-Gebiet,1983/84

ViertenswarendieMärktefürProduktederWeidewirtschaftnichtstabilgenug,umdieKontinuitätdieserProduktionzufördern.DieinländischenMärktewarendünnerundgeographischungünstigerverteiltalsdieMärkteinIrak,IranundSyrien.MitdererhöhtenKontrolledieserGrenzenundderVerhinderungdesillegalenVerkaufsvonSchafenundZiegenüberdieGrenzenhinwegwurdedieViehwirtschaftunattraktiveralsinfrüherenJahren.DiePreisederehemaligenstaatlichenFleischkombinatelagenimmerunterdenendesWeltmarktes,jenewarendaheralsKäuferunbeliebt.FünftenswurdederNiedergangderWeidewirtschafterheblich

beschleunigtdurchdieEskalationdespolitischenKonfliktsimKurdengebietunddurchdiemilitärischenMaßnahmengegendiePKK-Kämpfer,insbesonderedurchdasWeideverbot.SechstenswarendieFuttermittelindustrieunddieansiegebundenen

Nebengewerbezuschwach,umdenErhaltdieserProduktionsweisezufördern.9

3.HaushaltundFamilie

HaushaltundFamiliesindsehrbedeutsameBegriffefürdiekurdischeGesellschaftwiefüranderenahöstlicheGesellschaften.InvielenKontextenüberlappensichdiebeidenBegriffe,indemmandieMitgliedereinesHaushalts(kurd.mal)auchalseineFamilieversteht.SoziologischgesehenmüssendieseBegriffejedochnichtimmersynonymsein.IneinenHaushaltkönnenauchNicht-Familienmitgliedertemporäroderlangfristigintegriertsein.HaushaltemitNicht-FamilienmitgliedernwarenundsindnochüblichinderOberschicht.HierfandenDienstpersonal,auchSchutzbedürftigeund/oderarmeentfernteVerwandteundStammesangehörige–undsogarMitgliederandererEthnienundGlaubensgemeinschaftenwieArmenier,JudenoderNestorianer–dieMöglichkeit,gegenDienstleistungenalsHaushaltsmitgliederaufgenommenzuwerden.BesondersbeiAgafamiliensindmännlicheundweiblicheAngehörigesolcherMinderheitenundgegebenenfallsderenKinderoderGeschwistersehroftzufinden.BestehendeVerwandtschafterleichtertundlegitimiertdieAufnahmeundIntegrationvonNicht-FamilienmitgliedernindenHaushalt;sieistjedochkeineVoraussetzungundkannimProzessderEntwicklungeinesHaushaltserzeugtwerden.Wieuntenausführlicherklärtwerdenwird,bedeutetderkurdischeBegriffmalauchdiekleinstesozialeEinheiteinerStammesgruppe,inderderenMitgliederihreAbstammungvoneinemAhnen/Urahnenausdrückenkönnen.DerengereBegriffvonmalalsHaushaltundFamilieistGegenstandvielerkurdischerRedewendungenundAussprücheunddamitsymbolischundfolkloristischreichinseinerBedeutung.WennmalalsHaushaltverstandenwird,sinddieHauptmerkmaledieserBezeichnunggemeinsamesWohnenunddiegemeinsamewirtschaftlichebzw.produktiveundkonsumtiveEinheit.DieseMerkmalebildenauchdieKriterienfürdiesoziologische

DefinitioneinesHaushaltsundseinerGröße.DiedurchschnittlicheHaushaltsgrößeinderTürkeibetrug4,8Personen.1InkurdischenGebietenistdieseZahldeutlichhöher.DerGroßhaushaltistderhäufigsteHaushaltstypinländlichenGebietenderGAP-Region.DiedurchschnittlicheHaushaltsgrößeindieserRegionbetrug6Personen.2DieHaushalteimstädtischenMilieubestehenmeistauseinerKernfamilie.3JedochsinddiestädtischenHaushaltederGAP-RegionkaummitstädtischenHaushaltenderWest-Türkeizuvergleichen.NureinViertelderHaushalteindenStädtenderGAP-RegionhabenvieroderwenigerMitglieder.DiegrößteGruppederstädtischenHaushalte(43,5%)zählt7odermehrPersonenzumHaushalt.DieseHaushaltebedeutennichtunbedingtdieDominanzdererweitertenFamilie(d.h.Drei-Generationen-Familie),sonderneherdiedergroßenbzw.kinderreichenKernfamilie.4Familientypund-größesindaufdemLandundinderStadtunterschiedlich.DörflicheFamiliensindeherGroß-underweiterteFamilienmitdurchschnittlich10Personen,währendindenStädtenderRegiondieFamilienmitdurchschnittlich4bis5Personeneherkleinsind.DieFamiliengrößeändertsichimdörflichenMilieudemsozioökonomischenStatusderFamilieentsprechend.BeidenFamilienmitniedrigeremStatussinddieFamiliengrößer.ÄhnlicheUnterschiedegibtesimstädtischenMilieu;indengecekondu-(schnellundohneBaugenehmigungerrichteteBillighäuser)GebietenamRandderGroßstädtederGAP-RegionsinddieFamiliengrößeralsindenzentralenundaltenStadtteilen,diemeistlängerbzw.seitmehrerenGenerationenvoneinzelnenFamilienbewohntwerden.5HaushaltegehendurchverschiedenePhasendesWachstums,diezyklischverlaufen.EinHaushaltistbestimmtdurchKernfaktorenwiegemeinsamesWohnenundWirtschaften.WährenddesProzessesdeshaushaltlichenzyklischenWachstumswerdendieseAspekteeinesmalsunterschiedlichstarkbetont.DasgemeinsameWohnenkannsaisonaloderjährlichunterbrochenwerden.

Abb.7:HochzeitszuginderStadtHakkariimWinter1981/82

BesondersbeidenseminomadischenundnomadischenweidewirtschaftlichenProduktionsweisenwerdenHaushalteimSommerzwischenWeidesiedlungen(zoma)aufdenBergenundDorfsiedlungenimTaloderinderEbenegeteilt.ObwohleszwischendenHaushaltenimDorfundaufderWeideeinelebhafteMobilitätgibt,werdenerwachseneMitgliederzwischenWeidesiedlungundDorfdenArbeitsanforderungenentsprechendeingesetzt.InderseminomadischenProduktionistderSommerauchdieJahreszeit,inderdiemeisteundhärtestelandwirtschaftlicheArbeitanfällt.Eskommtdahermanchmalvor,dassdiejungenErwachsenenaufderWeidesiedlungmonatelangnichtindasDorfzurückkommenunderstimHerbstwiederdasZeltderWeidesiedlungmitdemHausimDorfvertauschen.DarüberhinaustrennensichmanchmaldieHaushaltsmitglieder

aufgrundderArbeitsmigrationfürmehrereJahrevoneinander.DerHaushaltbleibtjedochweiteralseinmalbestehen,solangedieGüterimgemeinsamenBesitzsind.DieendgültigeTeilungeinesHaushaltsbewirktmeistderFortzugdesältestenSohnesvommännlichenFamilienoberhauptoderdieTrennungderFamilienvonBrüdern.Diese

Trennung,dieaufKurmandschialsmalcudabûn(Haushaltgetrennt)bezeichnetwird,istofteinkonfliktreicherundschmerzvollerProzess.NunwerdennichtnurdiewirtschaftlichenundproduktivenRessourcenwieLand,Haus,Vieh,FelderundandereGüter,sondernauchdassozialeKapitalgeteilt.AbdiesemPunktsinddiegetrenntenHaushaltefürihrenjeweiligenRuf,ihrAnsehenundihresozialeAnerkennungsowiefürdieeigenewirtschaftlicheExistenzverantwortlich.DasgemeinsameWohnenimHaushaltistdieerwünschteundideale

FormdesZusammenlebensinderkurdischenGesellschaft.NachderHeiratbleibendieSöhneoftzuerstmitihrenEhefrauenimHaushaltdesVaters.Dieskannsolangeandauern,bisdiePaaremehrereKinderhaben.SoentwickelnsichdieHaushaltezuDrei-Generationen-Familien.DieentscheidendenFaktorenfürdenZeitpunktderAufspaltungeinesHaushaltssindvielfältig:ZumeinenistdiewirtschaftlicheRentabilitätdesHaushaltsinBezugaufEinkommenproMitgliedentscheidend.ZumanderenistdieProduktionsweisewichtig,daalleHaushaltsmitgliederanderProduktionbeteiligtsind.WenndieländlicheProduktionbeispielsweisemehreremännlicheArbeitskräftefürdieHeuernteoderfürdieViehwirtschaftbraucht,dannwirddieTrennungverschoben,bisdiejüngsteGenerationmännlicherArbeitskräfteherangewachsenist.ÄhnlichistdieExistenzgenügendweiblicherArbeitskräfteeinFaktorfürdieEntscheidung,einenHaushaltzuteilen.WeiblicheArbeitskraftkannaberdurchHeiratgewonnenwerden,währenddiemännlichemeistersterzeugtundgroßgezogenwerdenmuss.HaushaltewerdengrößerundkleinerimProzessihrerzyklischen

Entwicklung.MitderTrennungvondemUrsprungshaushaltdesVatersoderdesälterenBrudersisteinHaushaltaufsichgestelltundumfasststetsdieoftkinderreicheKernfamiliedesneuenmännlichenFamilienoberhaupts.WenndieSöhnedieserFamiliegroßsindundheiraten,erreichtdieserHaushaltdasStadiumdererweitertenFamilie:NunwohnenverheirateteSöhne,ihreEhefrauenundKinderzusammenmitdemaltenVater,seinerFrauundunverheiratetenKindern.DieseDrei-Generationen-FamiliestelltoftdiePhasedergrößtenAusdehnungeinesHaushaltsdar.MitdemwirtschaftlichenundsozialenDruckaufdieälterenSöhnekannjetzt–mussabernicht–diePhaseder

Haushaltsaufspaltungeintreten.Jenachdem,wievieleverheirateteSöhnemitihreneigenenFrauenundKindernunterdemDachdeselterlichenHaushaltszusammenleben,kanndieTrennungfrüheroderspätereintreten.WennderVaterfrühstirbt,kannderHaushaltweiteralserweiterteFamiliezusammenbleiben.DieskommtbesondersinFällenvor,indenendielandwirtschaftlicheProduktiondenZusammenhaltderArbeitskräfteerfordertunddieFamilienderverheiratetenBrüdernochjungundrelativkleinsind.DersozialeDruckdesZusammenhaltsalsBrüderfamilienineinemHaushaltistjedochwenigerstarkalsindemFalleinesVatersundseinerSöhne,diezusammenineinemHaushaltwohnen.MitderGründungeigenerHaushaltedurchdieSöhnebzw.BrüderundihreFamilienistderZyklusderEntwicklungeinesHaushaltsabgeschlossen.DieseProzessederErweiterungundAufspaltungvonHaushaltensind

engmitderIdeologiederpatrilinearenSolidaritätverbunden.DieseIdeologiebesagt,dassmännlicheMitgliedereinesHaushaltszusammenhaltenundmöglichstlangeauchzusammenbleibensollen.FrauenwerdenmitderEhedasHausderelterlichenFamilieverlassenundkommenindenHaushaltdesEhemannes.JenachderArtderEheundderräumlichensowiesozialenNähezwischendenFamilienderEhepartnerkanndieserWechseleinenUmzugindasHauseinesOnkelsinderNachbarschaftoderabereinenUmzugineinenHaushaltineinemanderenDorf,ineineranderenStadtodersogarineinemanderenLandbedeuten.DieMobilitätderFrauendurchHeiratindie(bekannte)FremdeermöglichtdieHerstellung,WiederbelebungundPflegesozialerKontaktezwischenHaushaltenundVerwandtschaftsgruppen.AuchwenndieFrauendurchdieEheendgültigihrDorfoderdieHeimatstadtverlassen,erhaltensieBesuchmeistvonmännlichenVerwandten,wodurchsozialeundinformelleKontaktegepflegtwerden.WenndieIdeologiederpatrilinearenSolidaritätnachlässt,besondersinfolgevonProzessenderUrbanisierung,BildungundIndividualisierung,werdendiehäufigenKontaktezwischenVerwandtschaftsgruppenundHaushalten,zwischenLandundStadtundmanchmalauchüberGrenzenhinweggefährdet.DieseProzessehabenKonsequenzenfürdieEntwicklungeinesHaushalts.ImstädtischenMilieunimmtdieZahlvonGroßhaushalten

miterweitertenFamilienundHaushaltenmitmehrerenverheiratetenBrüdernundderenFamilienab.DieseTendenzwirddurchstädtischeWohnungs-undBaustrukturenverstärkt.InderrepublikanischenTürkeiverzeichnendieStädteimSüdosten

besondersseitdenfünfzigerJahreneinerasanteEntwicklung.MitderLand-Stadt-MigrationentwickeltensichdieStädtejedochwenigeralsGegenpolzuländlichenLebensformen,sonderneheralsderenFortsetzung.MigrantenausdenDörfernpflegenKontaktezuihremHerkunftsortaufvielfältigeWeise.DieKontaktebesteheninbeideRichtungen,besonderswennessichumeineMigrationvomDorfindienahegelegenenStädtehandelt.ReicheMigrantenwieGroßgrundbesitzer,AgasundScheichswerdenzukleinerenodergrößerenHändlern,UnternehmernoderAngestellteninderStadt,ohneihreverwandtschaftlichenundproduktionsbezogenenVerbindungenzumDorfaufzugeben.WenndiesegenügendKapitalakkumulierthaben,migrierensieoftindiewestlichenundsüdlichenGroßstädtederTürkei.ReicheGrundbesitzerziehenhäufiginStädtederWest-Türkei,währendsolchemitmittleremGrundbesitzeherindiesüdöstlichenundöstlichenStädteabwandernundihrKapitaldortanlegen.VerwandtschaftermutigtunderleichtertdieEntscheidung,vomLand

indieStadtzuziehen.VerwandtschaftlicheBeziehungensindwichtigfürdieWahldesWohnortesinderStadt.VerwandtschaftundhemşerilikbildendieGrundlagefürallesozialenBezügeinderLand-Stadt-MigrationundindenkurdischenGebieten.Hemşerilik,eintürkischesWort,beziehtsichaufdieVerbindungzwischenMenschen,diesichmeistinderMigrationbefindenundausdemgleichenOrtbzw.dergleichenRegionstammen.EsentstehteinBeziehungsgefügevonVerwandtenundhemşeri,indemverwandtschaftlicheBeziehungenausdemDorfauchimstädtischenMilieuundbeiderArbeitgepflegtwerden.MigrantenwohneninderNähevonundarbeitenoftzusammenmitVerwandtenundhemşeris.6MitanderenWorten:DasGemeinschaftslebendesdörflichenMilieussetztsichinderStadtkaumverändertfort.SozialeBeziehungeninandereStädtebzw.insAuslandzeigenähnlicheTendenzen.DasstädtischeMilieueröffnetMöglichkeitenfürBildung,Berufund

neueLebensformen.InwieweitdiesezueinerÄnderungdesWerte-undNormensystemsführenistnichteindeutigzubeurteilen:EinerseitswerdendurchBildungundberuflicheQualifikationdieErwartungenvonurbanenKurdenerhöht,indemsiesichmitdenStandardsderwestlichenTürkeiundEuropasmessen.AndererseitsermöglichendiestädtischenStrukturenkeinensofortigengesellschaftlichenAufstieg,wenndereinzelneAufsteigeraufdieUnterstützungseinerFamilieundseinerVerwandtenverzichtenmuss.DieIndividualisierungsprozessederModerneinurbanenKontextenwerdenhierzurkritischenInstanz.SichvontraditionellenundmitdemHerkunftsortverbundenenBeziehungen,VerpflichtungenundErwartungenganzzulösen,istriskant,wennmaninderweiterenGesellschafteinenStatuserwerbenmöchte.DieWertevorstellungeninderweiterenGesellschaftderTürkeibeziehensichnichtnuraufdurchBildungundArbeiterworbenenStatus,sondernimmernochauchaufdenvonderFamilieundähnlichenprimärenGruppenererbten.DaheristesfürdiesozialeMobilitätinstädtischenMilieusnotwendig,verschiedeneWertesystemeundBeziehungsgefügegleichzeitigzupflegen.

4.StammundHerrschaftinKurdistan

AusderGeschichtekurdischerGebietewissenwir,dassStämmeundStammesstruktureneinedominanteRolleindersozialenOrganisationdieserGebietehatten.EsgabStämme,dieuntereinemstarkenmîrvereinigtwaren;anderewarendurchrivalisierendeFührergespalten;eindritterTypvonStämmengingAllianzenmitbenachbartenGroßreichenein.InKurdistanlebtenStammes-undNichtstammesgruppen,ChristenundMuslime.InderGegenwartüberlappensichStammesstrukturen,

seminomadischeProduktionsweiseundnomadischeWanderungenhäufig,abernichtimmer.DiewichtigsteExistenzgrundlageinvielenkurdischenGebietenistdieseminomadischeWeidewirtschaft,diedurchGetreide-undGartenanbauergänztwird.DieseminomadischeWirtschaftsformberuhtaufBergweiden(kurd.zoma,türk.yayla),dievondenStämmengemeinsamgenutztwerden,undaufHeuernten,dieaufgeteiltwerdenentsprechenddenStammesgrenzen.DieStammeszugehörigkeitgewährleistetdasindividuelleNutzungsrechtundwirdvomVateraufdenSohnübertragen.StammesstrukturenundBeziehungenzwischenStämmensindvonBedeutungfürdieWeidewirtschaftunddenHandelderGetreide-undGartenprodukte.DiegrundlegendeEinheitderStammesorganisationwirdalsmal

bezeichnet.MalheißtsovielwieHaushalt,eineVerwandtschaftsgruppe,diezusammenwohnt,sowielineage.LineagebezeichneteineaufgemeinsamerGenealogieberuhendeAbstammungsgruppe,diealleinüberdenrechtlichenStatuseinesIndividuumsentscheidet.MalalslineageisteinepatrilineareVerwandtschaftsgruppe,dievoneinemfiktivenVorfahrenabstammt.DieZugehörigkeitzueinemStammwird

definiertdurchdieMitgliedschaftineinemmal(lineage).StammesangehörigelernendurchihreSozialisationdieanderenMitgliederihresmalkennen,dieVerwandteundmanchmal,abernichtimmer,Nachbarnsind.ManchemalsumfassenHundertevonFamilien,trotzdembehauptetman,dassmansichuntereinanderkennt.JemehrMitgliedereinmalhat,destoeinflussreicheristseinePositioninnerhalbdesStammes.Nurwenneinmal(lineage)einenadligenStatusbeanspruchtodersichaufeinenHeiligenbzw.dieFamiliedesProphetenzurückführt,kanndermalaußerhalbdesStammesEinflussausüben.DiesozialeEinheitmalbezeichnetamklarstendieZugehörigkeiteinerPersonodereinesHaushalteszumStamm.DiebesteMöglichkeit,dieStammeszugehörigkeiteinesIndividuumszuermitteln,bestehtdarin,dieZugehörigkeitzueinemmaldarzulegenodergegebenenfallsinZweifelzuziehen.DieZugehörigkeitzueinemmalverpflichtetauchdieMitglieder,zusammenzuhandeln;zumBeispielumdieNutzungsrechteeinerWeidezuverteidigen,umdenBrautraubeinerFrauausdemeigenenmalgemeinsamzurächenoderanderHochzeiteinesMitgliedsmitpassendemGeschenkteilzunehmen.DienächsthöhereEinheiteinesStammeswirdocaxoderqabile(«Clan»)genannt.Mehreremalswerdenzuocax/qabileszusammengefasst.Ocax/qabilewerdeninderRegelzurückgeführtaufBrüderoderpatrilineareVettern.DieGrößeeinesocax/qabileistvariabel.DarüberhinaussinddieGrenzenzwischeneinemocax/qabileundeinereşiret(«Stamm»)ineinigenFällenumstritten.ImAllgemeinengehtmanvoneinerZahlvon4bis8malsproocax/qabileaus.Dasbedeutet,dassdieAnzahlderMitgliederbeträchtlichvariierenkann.WiemalistauchqabilekeineterritorialeEinheit.HeiratenzwischenMitgliedernverschiedenerqabilessindhäufig.DiehöchsteOrganisationsstufeistderStamm(eşiret).MitgliedervonmalsundqabilessindMitgliedereinesStammes.DaswichtigsteKriteriumfürdieZugehörigkeitzueinereşiretistdietatsächliche,vorgestellteodergemeinsambeanspruchtepatrilineareAbstammung.ImGegensatzzuqabileundmalkannalleinderStammdieNutzungvonWeiderechtenregeln.StämmewarenfrüherteilweiseinStammeskonföderationen

organisiert,wobeidieAllianzenundRivalitätenzwischendenStämmenunterderFührungeinesmîrsgeregeltwurden.DieRangordnungzwischendenStämmeninderGegenwartwirdauffrühereBeziehungenzurückgeführtundinBegriffewie«Distanz»und«Nähe»gekleidet.DemnachwerdeneinigeStämmeals«nah»empfundenundbeschrieben,anderealsentferntodersogarrivalisierendverstanden.SolcheBeschreibungenvonsozialerDistanzweisenoftauchaufdieLiniederSolidaritätundKonkurrenzzwischenverschiedenenStämmenhin.DasTerritoriumisteinwichtigesElementfürdieBezeichnungvonStämmen.DennessindhäufigStämmeundnichtetwadieerwähntenkleinerenOrganisationsformen,diemiteinemüberliefertenAnspruchaufeinbestimmtesTerritoriuminVerbindunggebrachtwerden.DieZuschreibungeinesbestimmtenTerritoriumszueinemStammbedeutetnicht,dassdortnichtauchGruppenandererStämmeodernicht-tribaleGruppenlebenwürden.Esistdavonauszugehen,dassfrüherDörferundzoma-Gruppen(«Weidesiedlungen»)überwiegendvonMitgliederneinunddesselbenStammesbewohntwaren.IndenletztenJahrzehnten,dievonlandwirtschaftlicherTransformation,Migration,aberauchKrieggeprägtwaren,hatsichteilweiseeineVermischungverschiedenerStämmeergeben.DieMachtderTradition:DieVerbindungzwischeneinembestimmtenTerritoriumundeinemStammistlebensnotwendigfürdietribaleGruppe,weilWeiderechteausTraditionenfolgen,alsoausdemAnsprucheinesStammes,erhabeschonimmerdiesesWeidelandbenutzt.HeutzutagekönnendieNutzungsrechtevonWeidenverkauftwerden.DiesführthäufigzuKonflikteninnerhalbeinesStammessowiezwischenunterschiedlichenStammesgruppen.Geschichte:StammeszugehörigkeitberuhtzueinemgutenTeilaufeinemgemeinsamenGeschichtsbewusstseinbzw.einemkollektivenVerhältniszurVergangenheit,dasvondenMitgliederneinesStammesgeteiltwird.AlleStammesgruppenhabentatsächlicheoderfiktiveGeschichte(n)überihreUrsprünge,diesievonanderenGruppenunterscheiden.ImGegensatzzuStämmenkönnennicht-tribaleGruppenkeinerleihervorgehobenenStatusbeanspruchen,weilsiekeineWurzeln,keineruhmreichenVorfahrenundkeineheroischenKämpfeinihrer

Vergangenheithaben.WernichtzueinemStammbzw.einemClangehört,istentwederauseinemanderenGebietzugezogenoderhatseineStammeswurzelnverloren.KulturelleSymbole:NebengemeinsamerAbstammung,Lokalitätund

GeschichtegibtesunterdenKurdeneineReihevonkulturellenSymbolen,durchdieStammesleutesichidentifizierenunddieihnenIdentitätverleihen.DazuzählenunteranderemKleidung,bestimmteZelttypenundderGebrauchbestimmterRedewendungen.DieSymbolesindauchsozialdifferenziert,zumBeispieltragendieführendenundgebildetenMitgliedereinesStammesdieselbenKleiderwiestädtischeNichtstammesleute.FürführendeMitgliedereinesStammesisttraditionelleKleidung,diebeiFamilienfestenwieHochzeitenundBeschneidungszeremonienundinderletztenZeitauchbeipolitischenVeranstaltungengetragenwird,einSymbol.EtischeKriterien:Stammesgruppenwerdenvonzugezogenen

BewohnernkurdischerGebietewieetwaVerwaltungsangestelltenund-beamten,zivilemundmilitärischemDienstpersonal,LehrernundHändlernnochandereCharakteristikazugeschrieben.DieZuschreibungundBeschreibungvonStammesstrukturenund-beziehungenvonaußenstehenineinerWechselbeziehungmitdenjenigenvoninnen.Stammesführer(Agas)erklärenhäufig,dasssiegegenTribalismus(aşiretçilik)seien,auchwennsieselbstdieausbeuterischeStammespolitikderPatronage,derVetternwirtschaftunddesÜberschussgewinnspraktizieren.SolcheAußenansichtenwerdenhäufigvondenjenigenübernommen,diesozialeMobilitätsuchenundsichzentralstaatlicherRessourcenbedienenwollen.FürdiesesindStämmehauptsächlich«rückwärtsgerichtet»,«feudalistisch»oder«primitiv»,auchwennsieselbstdietribalenNetzwerkeausnutzen.StammeszugehörigkeitwirdvonAußenstehendenoftzuvereinfacht

miteinemVerhaltenundeinerMentalitätassoziiert,dieblindenGehorsamundUnterwürfigkeitgegenüberdemStammesführer(Aga),Banditentum,IgnoranzundBlutrachebeinhalten.DieserAnsichtzufolgehälteinStammzusammen,paradoxerweisejedochbefindensichStammesmitgliederstetsinKonfliktundSpannungmiteinander.OhneihreStammesführer,diesieausbeuten,geltenStämmebei

Außenstehendenalsunkontrollierbarundschwerzulenken.DarüberhinaussindausdieserSichtdieUnterschiedezwischenqabile,malodereşiretmeistbedeutungslosoderkaumbemerkbar;oftnurdurchZufallwerdensie«entdeckt»,wennbeispielsweisezweiStammesangehörige,dieunterschiedlichenqabilesangehören,einenStreitmiteinanderanfangen.Üblicherweisewirddannangenommen,dassinsolchenFälleneineirrationale,unerklärbareundtiefverwurzelteFeindschaftzwischenverschiedenenqabilesbestehtunddassderStreitnurdieNeubelebungdieserFeindschaftist.SolcheAmbiguitätenhinsichtlichderTerminologieundderZuordnungderStammeszugehörigkeitoderNichtzugehörigkeitexistierenbekanntlichnichtnurinderkurdischen,sondernauchinanderennahöstlichenGesellschaften.ZumBeispielwirdseitdem13.JahrhundertinschriftlichenQuellenerwähnt,dassStämmeinderkurdischenRegionwiezumBeispielinHakkarisiedeltenundinderWahlderFührungdieserRegioneinenwichtigenEinflussausübten.DieseStämme(esistnichtklar,obessichumStammesgruppenoder-konföderationenhandelte)wurdenzusammenalsHakkariyabezeichnet.HistorischeQuellendes19.unddes20.Jahrhunderts,beispielsweisedieBerichtevonMissionarenundReisenden,nennenwiederumStammesnamen,diezumTeilheutenochexistieren.WiedieseQuellenabereineStammesgruppeidentifizierenundihreUnter-oderObergruppierungenunterscheiden,bleibtoftunklar.HäufigistindiesenQuellenvonderAnwesenheitverschiedenerStämmemitnomadischenundangesiedeltenSegmentenundvonStammeskonföderationendieRede;diegenauenDetailsdieserStrukturenwerdenaberkaumgeschildert.WennmandieFlexibilitätdergegenwärtigenlokalenVerwendungvonStammesterminologiebetrachtetunddiestrategischeAnwendungderVerwandtschaftsterminiundlokalerKonstrukteberücksichtigt,istzuvermuten,dassdieVerhältnissedamalsnichtvielanderswarenalsheute.DieKlassifizierungssystemederStammesmitgliederselbstsindsowohlempirischalsauchkonzeptionellflexibel.DieAbstammungsideologieistamsignifikantestenaufderEbenedesStammes(eşiret),wodieStammesgruppediekollektivenNutzungsrechtefürbestimmteWeiden

aufrechterhält.WeilkollektiveNutzungsrechtefürdieWeidendasTerritoriumeinesStammesbeschreiben,werdendieseRechtenichtuntergeordnetenStammesgruppierungenzugeteilt.DamitbleibteşiretdieeinzigeterritorialfestlegbareEinheitderStammesorganisation.WennandereStämmeoderNichtstammesgruppeneinenAnspruchauf

Stammesgebieteerheben,istderNachweiseigenerAbstammungunddertatsächlichenNutzungvonWeidennotwendig,umNutzungsrechteverteidigenzukönnen.ZuletzthatStammeszugehörigkeitverschiedeneKonnotationenfürNichtstammesangehörigeundAußenstehende.DerkulturelleKontextfürdieDefinitionderStammeszugehörigkeitwirddurchdialektischekognitiveProzesseunterverschiedenenGruppierungenvonEinheimischenundZugezogenenbestimmt.DieFrage,wasundwermitStämmenoderNichtstammesgruppenzutunhat,reflektiertschließlichkulturelleKategorien.StammesidentitätinKurdistanistnureinederdortvorhandenen

Identitäten.DasLandhatimmermehrereundverschiedeneIdentitätenundGruppenbeheimatet:Stammes-undNichtstammesgruppen,verschiedeneethnischeundreligiöseGruppen.UnterletzterenhateinHomogenisierungsprozessstattgefunden,sodassinderGegenwartnicht-muslimischeeinheimischeIdentitäteneineAusnahmegewordensind.AndereIdentitäten,diesichaufeineethnischeZugehörigkeit(wieTürke,Kurde,Araber)gründen,sindwiefrühersehrwichtig,aberhäufigmitanderenAspektenderIdentitätwieVerwandtschaft,Stammeszugehörigkeit,WohnortundländlicheHerkunftgekoppelt.DieRollederStammesideologieistimKontextsozialerProzessevongroßerBedeutung.InkurdischenGebietenwerdenalleindieBegriffeeşiretodereşir

(«stammesangehörig»)fürstammesbezogeneAngelegenheitenverwendet:BegriffewieDiyarbakırlı,Vanlıoderdoğulu(«ausDiyarbakır»,«ausVan»oder«Ostanatolier»)beziehensichaufanderePrinzipienderZuordnung,nämlichLokalitätundRegionalität.StammesgruppenkönnenbestimmtenGebietenzugeordnetwerden.DieseGebietesindjedochniehomogen,sondernumfassenauchsozialeGruppenaußerhalbderStämmeund/oderGruppenausanderenStämmen.DarüberhinauserhälteinStammesgebietdurchMischehenzwischen

StammesmitgliedernundPartnernaußerhalbderStämmesowiezwischenPersonenausunterschiedlichenStämmeneinegemischteStruktur.StammesideologieverlangtpatrilineareSolidaritätinnerhalbder

StammesgruppeundinsbesonderezwischenengenpatrilinearenVerwandten.DieseSolidaritätbestehtzwischenengenVerwandtenundteiltsichentlangderLiniederClaneundlineages.Brüder,VäterundSöhnehaltenzusammengegendieBrüderdesVatersunddessenSöhne,undsiealleverbündensichgegenandereentferntereVetternväterlicherseits.AlleVettern,engereundentferntere,alsoallepatrilinearenVettern,halten,jedenfallsnachderIdealvorstellung,zusammengegenandereStammesgruppen.InderPraxisjedochsiehtderZusammenhaltandersaus.WennStammesleutekonkreteBeispielederSolidaritätundderSpaltunginnerhalbderStammesgruppenennen,fangensiemeistobeninderHierarchiean:BeiKonflikteninnerhalbeinesStammesfunktioniertdieseSegmentation–oderdasPrinzipsegmentärerGesellschaft–wenigeralszwischendenStämmen.GemeinsamerWohnortundAbstammungsindzweiKernpunkteder

TheorienkorporativerGesellschaftssysteme.EinArgumentlautet,dassderZusammenhaltdurchAbstammungunwichtigerwird,jelängerGruppengemeinsamwohnen.Abstammungsbeziehungengehenjedochnichtsofortverlorenundkönnenwiederbelebtwerden,wennökologischeunddemographischeZwängedieserforderlichmachen.AbstammungkannunterbestimmtenZwängenbestimmteHandlungsweisenlegitimieren.WiegemeinsamesWohnenundAbstammungalswichtigePrinzipienbeiderGründungvonNachbarschaftenundvonzoma-Gruppen(«Weidesiedlungen»)wirken,gehtausdemfolgendenBeispielhervor:InSisin,einemBergdorfinHakkari,beruhtedieSiedlungvonzweiNachbarschaftenimallgemeinenauftopographischen,klimatischenundphysischenBedingungen,demVorhandenseinvonbewässertenFeldernunddemSiedlungsmusterderfrüherenBewohnerdesDorfes,derNestorianer.AlsdasDorfum1943vonmuslimischenKurdenneubesiedeltwurde,breitetensichdielineagesimDorfausundmischtensichmitanderenlineages.SowurdendiezweiNachbarschaftenausgemischtenAbstammungsgruppengebildet.DieEntwicklungvonNachbarschaftenerreichtebalddaraufihrephysischenundklimatischenGrenzen.DiephysischeGrenzezwischendenNachbarschaftenentsprachjedochnichtdersozialenGrenzezwischendenzoma-Gruppen.Nachungefähr35JahrenderNeusiedlungimDorfSisinspaltetesichdieDorfgemeinschaftinzweizoma-Gruppen.DieswurdedurcheinenKonfliktumeinenBrautraub

verursacht.DieSpaltunginverschiedenezoma-Gruppenzeigt,dassSpaltungenaufterritorialerBasis,beispielsweiseTeilungvonFeldern,NachbarschaftenundImmobilien,vielschwierigeristalsdieGründungvonneuenzoma-Gruppenbzw.neuensozialenInteressengruppen,dietemporärmiteinanderkooperieren.

WenngemeinsamefinanzielleInteressenundgemeinsamerLandbesitzzerstritteneHaushaltezumZusammenhaltzwingen,wirddieFormierungvonzoma-GruppenzumAusdruckunterschiedlicherundneuerAllianzenzwischenverwandtenundbenachbartenHaushalten.DieskannzuweiterenpermanentenSpaltungenführen.EinanderesBeispielauseinemBergdorfimWestenvonHakkaristelltdieKomplexitätundIntensitätsolcherKonfliktsituationendar:DasDorfAnitosbefandsichinderNähederStadtHakkariundhatteeineBevölkerungvonNichtstammesangehörigen.BiszurGründungderTürkischenRepublikwurdeesvonNestorianernbewohnt.DiezuziehendenkurdischenBewohnervonAnitosgabenverwandtschaftlicheBeziehungenzuPersonenundGruppeninNachbardörfernan,ohneeineStammeszugehörigkeitzubehaupten.DasDorfwarinzweiTeilegespalten,wassichindensozialenBeziehungenundindemSiedlungsmusterderNachbarschaftenniederschlug.BeziehungenzwischendenBewohnernwarengespannt;esgabkeineBesuchezwischenmanchenNachbarhaushalten.EinigeDorfbewohnervermiedendenKontaktzuanderenDorfbewohnern,dasieaufderFluchtvorderGendarmeriewarenundSpitzelimOrtbefürchteten.UnterdemEinflussvonanderenpolitischenAuseinandersetzungen,aberauchwegenderstetenSpannungundderKonfliktezwischenrivalisierendenGruppenimDorfspaltetesichAnitosmehrmalsinzoma-Gruppen.Zuletztenthieltenmanchezoma-GruppennurnochvierHaushalte.

DiesozialenProzessebeiderGründungeinerSiedlungbesondersinseminomadischenStammesgebietentrugenunterschiedlicheZüge:Nachbarschaftssiedlungensindwenigerflexibelalszoma-Siedlungen.Andererseitssindzoma-SiedlungenehervonsozialenKonfliktenundSpannungenbetroffenalsNachbarschaftssiedlungen.Jenachtopographischen,wirtschaftlichenundpolitischenGrenzenbringenzoma-SiedlungendiesozialenBeziehungenineinerGruppestärkerzumAusdruck.DisputeverursachenoftneueAllianzenundFragmentierungeninnerhalbeinesStammes.DersegmentäreCharakterderkurdischenStammesorganisationwirdprimärinKonfliktensichtbar.Andererseitsistzuvermuten,dassdieSegmentationderStammesorganisationnichtnurdurchKonfliktedeutlichwird,sondernsichAllianzenundSpaltungenentlanganderersozialerGrenzen,zumBeispielineinemtribalenZwei-Parteien-System,zeigen.Stammesstrukturenspaltensichoftinzwei

gegnerischeFraktionenauf,wasmeistaufzentralstaatlicheEinflüssezurückzuführenist.DiesesModelldessozialenundpolitischenHandelnsfunktioniertzwischenverschiedenenStämmenundsetztsieineinehierarchischeundpolitisch-symbolischeBeziehungzueinander.DaherwerdeneinigeStämmezusammenalsdem«linken»undanderealsdem«rechten»Blockzugehörigklassifiziertundaufeinanderbezogen.ManchmalwerdendieseBezeichnungenausdereinheimischenStammesorganisationaufpolitischeParteienübertragen,indemSinne,dassmanche«linke»Stämme«linkePolitik»unterstützenund«rechte»die«Rechte».DiekurdischeStammesorganisationkenntsegmentäreOppositionundFraktionalismus.EinheimischeVorstellungenvonBlockallianzenzwischendenStämmenschreiben«traditionelle»FeindschaftoderFreundschaftbestimmtenStämmenzu.WennestatsächlichzueinemStreitkommt,haltenjedochnichtalleStämmezusammen,dienachderVorstellungmiteinanderalliiertsind.EinigeStammesuntergruppierungenwerdensichdanndochstellvertretendfürdenganzenStammmitderbetroffenenStammesgruppesolidarisieren.DieseStammesgruppensindoftengmitderbetroffenenGruppeverbunden;zumBeispielsindsieNachbarnoderhabenzahlreicheHeiratsbeziehungenuntereinander.DarüberhinaussinddieStämmenichtgleichgroßodergleicheinflussreich.WennungleicheStammesgruppenmiteinanderinKonfliktgeraten,dannmüssenihrePartnerundAlliierten–nachdemsegmentärenOppositionsmodell–KostenundNutzenbeiihrerTeilnahmeanderKonfliktlösungkalkulieren.HierspielendieGeschichteundFührungspersönlichkeiteneinewichtigeRolle.InwieweitdieGruppenineinenKonflikthineingezogenwerden,hängtvorallemvonderFähigkeitderFührungspersönlichkeitab,sichfürdieInteressenihrerGruppeeinzusetzen.OftspieltauchderZentralstaateinewichtigeRolleinderEntwicklungeinesKonfliktszwischendenStämmen.WennderFührereinerGruppezentralstaatlicheInstanzenaufseineSeiteziehenkann,wirddieUngleichheitzwischenverschiedenenStämmenundStammesgruppenstärker.StämmeimNahenOstensindkaumunabhängigvonstaatlichen

Strukturen,dieanderPeripherieaufsieeinwirken.IndiesenBeziehungenzwischenStaatundStammgaltendiePrinzipienderOppositionundFeindschaftnurbegrenzt,dafrüherdieStämmeinBezugaufihreLoyalitätzwischenSultanundStaatsapparatunterschiedenhaben.DieseDifferenzierungzwischendemSultanundseinemVerwaltungspersonalwurdeoftinderGeschichtekurdischerStämmebeobachtet,wenndieStämmegegendenvompolitischenZentrumgeschicktenVerwalterrebellierten,abersogleichdurcheinVersprechenodereineVergünstigungvonseitendesSultansbeschwichtigtwerdenkonnten.DieStammesführermachtendieseDifferenzierungsmöglichkeitzueinemzentralenElementihrerpolitischenStrategien.KurdischeStämmehabenimAllgemeineneinebreitePalette

wirtschaftlicherBeziehungenzudenumgebendenStaatenundkönnenmitihnenabwechselndAllianzenschließen.SiekönnenjedochnichtaufDauereineExistenzbasisohnedieUnterstützungvonHandelszentren,vonderGetreidewirtschaftindenEbenenundvondenNomaden,diedenTauschhandelmitBauernpflegten,schaffen.WegenderFraktionierunguntereinandersinddiekurdischenStämmeunfähig,langfristigeinegemeinsameFrontgegendenZentralstaatzubilden.DerStaatfördertdiesdurchbevorzugteBehandlungvonbestimmtenStämmenundanderepolitischeStrategien.Stammesuntergruppierungenwielineagesoderqabiles(«Clane»)haben

keineklarerkennbarausgewähltenStammesführer,dieimKonfliktfallzwischendiesenGruppierungenvermittelnkönnen.DieStammesorganisationistsoindasStaatssystemeingebettet,dassKonflikteaufverschiedenenStammesebenenvonstaatlichenInstanzenwieGendarmerieundZivilbehördenbeeinflusstwerden.DiestaatlicheVerwaltungwendetdasPrinzipderSippenhaftungan,indemsiedieVerwandteneinesAngeklagtenfürdessenTatenmitverantwortlichmachtundsoversucht,Personen,diegeflüchtetsind,unterDruckzusetzen.DiesePraktikenverstärkendiekollektiveVerantwortungfürdieTateinesMitgliedsderGruppe–diesmalverstärktdurchdiePolitikdesZentralstaates.Dieszeigt,wiestaatlicheundstammesbezogenePraktikenmiteinanderverwobensind.DisputekönnenabernichtnurzuSegmentierung,sondernauchzu

stärkeremZusammenhaltunterdenlineagesführen.IndemobengenanntenFalldesBergdorfesSisingabeseinezoma-Siedlung.MitdemKonfliktumdenBrautraubjedochwurdedasDorfnichtnurgeteilt,sondernesverstärktensichdieblutsverwandtschaftlichenBeziehungenzwischendenHaushalten,diederselbenlineageangehörten.DieseVerstärkungderVerwandtschaftsbeziehungenführtezuBlockallianzenzwischenmehrerenlineages,sodassVorstellungenvon«Wir-Gruppen»gegenüberden«anderen»entstanden.DieseBlockallianzenschreibenden«anderen»bestimmteAttributewieUneinigkeitoderKonservativismuszu.DieeigeneGruppe,diesichauseinerengenlineage-GruppevonverwandtenHaushaltenzusammensetzt,wirddannalshomogenundeinigdargestellt.ManlegtWertdarauf,gemeinsameEntscheidungeninwirtschaftlichenundpolitischenAngelegenheitenzutreffen,undachtetdarauf,dassKonflikteinnerhalbderGruppenichtnachaußenbekanntwerdenunddieGruppemöglichsteinheitlichwirkt.InderGeschichteKurdistanshabenStammesführeroftdieRolle

politischerFührerausgefüllt.HeutemüssenStammesführerganzandereMethodenundMechanismenanwenden,umihreMachtzubehauptenundsieineinemkomplexenpolitischenMilieuzuverteidigen.HeutewieinderGeschichtegibtesmehrereFührertypennebeneinander.DieFrageindiesemZusammenhangist:WiesinddieseFührertypenmiteinanderverbundenundwasistihrVerhältniszuMacht-undAutoritätsstruktureninKurdistan,dasTeilunterschiedlicherStaatenist?WasistihrVerhältniszudeneinfachenLeuten?DieArtderFührerschaftbringtdiestrukturelleZusammensetzungvon

Stammesgruppen,dieGleichheitundHierarchieunterihnensowiedasVerhaltendesZentralstaatesgegenüberdiesenStämmenzumAusdruck.DasVerhältniszwischenStammundStaatkannsehrunterschiedlicheFührertypenhervorrufen.WennderZentralstaatschwachist,wirddieEntstehungdes«Banditen»alsFührertypbegünstigt.Der«Bandit»isteineFührungspersönlichkeit,dieihreAnhänger«kauft»,indemsiesieandenGewinnenihrerBeutezügebeteiligt.WennaberStammundStaatsichgegenseitiganerkennen,istderFührerjemand,derinDisputenundKonfliktenvermitteltunddie«Gläubigen»durchmoralischeBindungenhält.InderPraxissinddieFührerofteineMischungdieserbeiden

Typen.DietatsächlichenMacht-undKontrollbeziehungenzwischendenStämmen,demStaatunddenFührungspersönlichkeitensindsehrkomplex.WennderZentralstaatsehrschwachundderFührerkein«Bandit»ist,dannisterofteineVerwaltungsperson,diemitdemStaatverhandeltundvermittelndtätigist.Der«Bandit»alsFührertypentsteht,wennderStaatstarkgenugist,umdieAutonomiederStämmezuverhindern,abernichtstarkgenug,umdenBanditenfestzusetzen.StarkeFührertypentretenauf,wennderStaatsehrschwachistodergarnichtexistiertoderimGegenteilsehrstarkistunddamitdenlokalenFührerselbstauswählt.AndererseitsdürfendieAbhängigkeitunddieBeziehungenzwischen

zweiTypenvonFührern,nämlichLandbesitzernundScheichs,nichtunterschätztwerden.ScheichskönnenFührervonAbstammungsgruppenundSippenseinundähnlicheMengenvonRessourcen,vonMännern,WaffenundRechtenanWeidenundWasserbesitzen.UnterstützungfürdieseFührerzeigtsichinGeldundNaturalien,wasmitpolitischerMobilisierungundgegenseitigerRespektsbezeugung(z.B.zwischenLandbesitzernundScheichs)erwidertwird.EsgibtparallelehistorischeEntwicklungenindenBeziehungen

zwischenLandbesitzern,StammesführernundScheichsinKurdistan.InderGegenwartjedochhatdiepolitischeGewichtungderMachtdieserFührersichzuGunstenderStammesführerverlagert.ObwohldietraditionellenTitelvonScheich,SayyidoderAgaindenStaaten,indenenKurdenleben,keinepolitisch-rechtlicheAnerkennungmehrfinden,habensieindersoziopolitischenOrdnungimmernocheineBedeutung.DieStammesführer–inhöheremMaßealsScheichsundSayyids–könnendurcheinestrategischeMobilisierungihrerBasisunddurchdenErwerbmodernerstaatlicherQualifikationenwieBildung,BerufundStatusweiteralspolitischeKraftimstaatlichenSystemfunktionieren.EinweitererAspektvonFührerschaftzeigtsichinderen

konsolidierenderFunktioninnerhalbdesStammessystems.DieStammesorganisationunddassegmentäreSystemkurdischerStämmeberuhenauf(realeroderimaginärer)VerwandtschaftundaufdemPrinzipdersegmentärenOpposition.VerschiedeneSegmenteeines

StammeshabenjeweilsFührermitunterschiedlichgroßerMachtundAutorität.DieEigenschaftendieserFührer,ihrEinfluss,AnsehenundCharismatragenzurEntstehungeinergeeintenStammesgruppebei:WeildiekleinerenFührervonUntergruppierungeneinesStammesmiteinanderumMachtundGefolgschaftkonkurrieren,müssensiebestehendeRivalitätenundFeindschaftenzwischenmöglichenAnhängernüberwinden.ImProzessderGruppenbildungkanndieLoyalitätzueinemFührerwichtigerseinalsdiezueinemStamm.EntsprechendhatsichderhistorischeWandelvoneinemdespotischenundmächtigenFührertyphinzueinemwenigermächtigenundwenigerdespotischen«kleineren»Führertypvollzogen.LetztereristzugleichmitTeilenseinerAnhängerschaftverwandt,wodurchdieRollevonVerwandtschaftundSegmentierunggestärktwird.EinweitererPunkt,derindiesemZusammenhanggenanntwerden

muss,istdieWirkungexternerundinternerFaktorenaufdieFührerrollen.DieexternenFaktoren(entwickelteliterarischeTraditionen,Weltreligionen,dieExistenzeinesZentralstaatesundandererStammeskonföderationen)könntenimFalleKurdistansdieEntstehungvonStammeskonföderationenverursachthaben.SohabendieFührerdieserKonföderationen,mächtigemîrs,dieMacht,dievomStaatszentrumausging,monopolisiert.AndererseitskönnendieinternenFaktoren(Produktionsverhältnisse,Ökologie)wiedieobendiskutiertesegmentäreOppositiondieEntstehungbestimmterFührertypenbewirkthaben.

DiegrundlegendenEntwicklungenvonHerrschaftinKurdistankönnenwiefolgtzusammengefasstwerden:(1)Schonim12.und13.JahrhunderterwähntenHistoriker

muslimischekurdischeStämmeoderStammeskonföderationen,diemitihrenFührernanmilitärischenAngriffentürkischerAtabegs(Fürsten)verschiedenerKleinstaateninKurdistan,imheutigenAnatolienundimNord-Irakteilnahmen.DieStammesgruppenzahltendiesenFührernSteuernfürihrenSchutz;wirwissenabernicht,obdieseStammesgruppenaucheigenen«kleineren»FührernSteuernoderandereAbgabenzahlenmussten.DassabhängigeBauern(reaya)Abgaben

entrichteten,istbekannt;dieUnklarheitbetrifftdieAngehörigenderStammesgruppe,alsodieArtderBeziehungenzwischendemStammesführerunddenStammesangehörigen.(2)SeitderMittedes14.JahrhundertsberichteteneinigeHistoriker

vondemZusammenschlusseinigerStämmeundStammeskonföderationenwiederŞembû-DynastieinderRegionHakkariuntereinemFürsten(mîr).ObwohlmannunvonkurdischenStammeskonföderationensprechenkann,führtedieFamiliedesFürstenwieaucheinigeanderekurdischeFamilieninfrüherenJahrhundertenihreAbstammungaufdie–nicht-kurdische–Abbasiden-Dynastiezurück.DarüberhinauswurdediesesGebietvom11.biszum14.JahrhundertvontürkischenundmongolischennomadischenVolksgruppenbesiedelt.(3)DieumfassendsteAuflistungkurdischerStämmeund

StammeskonföderationensowieautonomerFürstentümerfindetsichimScharafname.KurdischeStämmeundihreFührerwurdendurchdieAnwendungunterschiedlicherpolitischerStrategienindieVerwaltungdesOsmanischenunddesPerser-Reichesinkorporiert.DerProzessderInkorporationscheintjedochdieführendenFamilienundStammesdynastienmehrbetroffenzuhabenalsdieanderenSchichtenderStammesorganisation.Diemîr-imîran(türk.beylerbeyi,«StatthaltereinerGroßprovinz»),welchedieosmanischenProvinzeninKurdistanregierensollten,konntendieRivalitätenzwischendenkonkurrierendenFührerdynastienkurdischerPrinzen(mîrs)ausnutzenundsiegegeneinanderausspielen,wasnichtohneKonsequenzenfürdieStammesgruppendieserFührerblieb.(4)Abdem17.JahrhundertgibteszahlreicheHinweisedarauf,dass

kurdischeStämmeunterschiedlicheArtenundGradevonAutonomiebesaßenundihreFührer,obschonderosmanischenVerwaltunghierarchischuntergeordnet,immerhinSteuernfürsicheinnehmenkonntenunddemSultanLoyalitätdurchdieStellungvonbewaffnetenStammesangehörigendemonstrierten.(5)Stammesorganisationund-führungwarenkeineswegsnurfür

Kurdenrelevant.AndereethnischeundreligiöseGruppierungeninKurdistanundAnatolienwarenzumTeilauchstammesgesellschaftlich

organisiert.SiehattenFührer,diedenTiteleinesStammesführers(wieAga,reis,malik)bekamen;andereFührer(wieScheichundSayyidfürdiemuslimischenethnischenGruppenderKurdenundTürkenoderMarShimunfürdiechristlichenNestorianer)leitetenhauptsächlichihrereligiösenGemeindenundBruderschaften.DieTeilungderStammesorganisationinzweiBlöckekannauchbeieinigennicht-muslimischenStammesgruppierungenwiedenNestorianernbeobachtetwerden.AllediesesozialenOrganisationsprinzipienexistiertengleichzeitignebensozialenGruppenaußerhalbderStammesorganisation,zumBeispielBauern(reaya)undanderenabhängigenGruppierungen.(6)DieReformmaßnahmenundnationalistischenBewegungenimOsmanischenReichdes19.JahrhundertstrugenzudenAufständenverschiedenerOberhäuptervonsemiautonomenkurdischenProvinzenbei.BesonderswirktensichdieVerwaltungsreformenaufdieMachtkurdischerFühreraus.DaeuropäischeGroßmächtedieInteressenchristlicherMinderheitendesOsmanischenReichesvertratenundaucheigenewirtschaftlicheInteressenimNahenOstenverfolgten,kamendiekurdischenFührerleichterinKontaktmitdenVertreterndieserGroßmächte.DieExistenzmehrererMachtzentrengabdenkurdischenFührernundmîrsMöglichkeiten,stammesinterneRivalitätenundKonfliktedurchdieEinmischungdieserMachtzentrenzumanipulierenundsiedadurcheskalierenzulassen.DieinternenRivalitätenundderintensivierteDruckdeszentralisierendenStaateserhöhtennichtnurdiePolitisierungundInkorporationverschiedenerEbenenderStammesorganisation;nunkonntensichauchkleinereStammesuntergruppierungenuntereinempolitischehrgeizigenFührervereinigenundihreGefolgschaftvoneinemStammesoberhauptaufeinanderesübertragen.(7)DieReformmaßnahmenim19.JahrhundertführtenzuderAbschaffungpolitischerundtraditionellerFührungsämterwiemîrundAga.DurchdasMachtvakuum,dassoentstandenwar,konntenneueFührertypenwiezumBeispielreligiöseFühreralsVermittlerzwischendeninKonfliktgeratenenParteienverstärktauftreten.MachtkämpfezwischendenneuenundtraditionellenkleinerenFührertypenin

KurdistanwirktensichzumNachteilvonBauernaus,dienunnichtnurdenStammesführern,sondernauchoftdenScheichsAbgabenzahlenmussten.Wennsiedemnichtnachkamen,konntensievondenbewaffnetenMilizenundStammeskriegerndieserFührerausgeplündertundvertriebenwerden.HiersehenwirdenTypdesBanditen-Führers,dersichineinemMachtvakuumnachderEliminierungmächtigermîrsprofilierenkonnte.SeineAnhängerähnelnwiederumdemTypeinesMietlings,derbereitwar,sowohlfürdieInteressendesStammesalsauchauseigenemInteresseBauernundandereStammesgruppenauszuplündernundzuvertreiben.(8)DiepanislamistischePolitikSultanAbdülhamidsamEndedes19.undAnfangdes20.JahrhundertshatdieMachtreligiöserFührerverstärkt.DerSultanunterstütztedieOberhäupterreligiöserOrdengegenüberdenVerwaltungsbeamten.DamitkonntendieScheichsihreEinflussgebieteausweitenundSteuernvondenNomadenundBauernerheben.DurchdieNetzwerkereligiöserOrdenwiediederNaqschbandiyaoderQadiriyakonntensiepolitischeKräfteorganisierenundreligiöseund/odernationalistischeAufständeanzetteln.(9)DieEreignisseindenerstenJahrzehntendes20.Jahrhunderts,nämlichdieWelt-undregionalenKriege,InvasionenundVertreibungensowiewirtschaftlicheundpolitischeNotprägtendiekurdischenGebieteunddasSchicksalihrerBevölkerung.KurdischeStämmewurdenauchselbstinitiativinderVertreibungundBekämpfungchristlicher(z.B.ArmenierundNestorianer)oderandererethnischerundtribalerGruppen.IndiesemProzessgabessowohlStämmeundStammeskonföderationen,diedietürkischeNationalbewegungunterstützten,alsauchandere,dieentwederpassivbliebenodergegendieNationalbewegungkämpften.IndiesenturbulentenJahrzehntenentstandenneueFührungspositionen.EsgabneueGrenzen,mancheFührungspersönlichkeitenwurdeninsExilgeschickt,dieneuentstehendenStaatenkontrolliertendieGrenzgebietestrenger,botenabergleichzeitigneueMöglichkeitensozialerMobilitätdurchGründungpolitischerParteienundberuflicheBildung.DamitvermehrtensichdiepolitischenMachtzentren,sodassinKonfliktennichtmehrnurtraditionelleFührerwieAgas,beys,ScheichsoderSayyids,sondernauch

lokaleVerwaltungsbeamte,RichteroderdieGendarmerievermittelten.DadurchwurdendieLegitimationunddieGültigkeitdesRechtssystemsherausgefordert:DieStammesleutekonntensichnunaufverschiedeneSystemestützen,dieaufTradition(adat),aufderschariaoderaufdemZivilrechtberuhten,undRechtsansprücheerheben.

5.GeschichteundGegenwarteineskurdischenDorfesoder:Ausblick

aufdas«Lokale»inder«globalisierten»Welt

DieKurdeninderTürkeisindinletzterZeitdurcherzwungeneoderwirtschaftlichveranlassteBinnenmigrationzunehmendindiewestlichenGroßstädtederTürkei,aberauchindieöstlichenundsüdöstlichenkleinerenStädteabgewandert.AnhandeinesBergdorfesinderProvinzHakkarilässtsichveranschaulichen,wiedieseBinnenmigrationvonstattengehtundwelchesozialenundindividuellenGründesowieKonsequenzendiesehabenkann.1984beganndieArbeiterparteiKurdistans(PKK)einenKrieggegendentürkischenStaatunddietraditionellenkurdischenEliten.DieerstenbewaffnetenAktionenfandenindenProvinzenHakkariundŞırnakstatt.Seitdemwurdenüber30.000MenschenindiesemunerklärtenKrieg(ausderSichtdestürkischenStaatesgegendie«separatistischenTerroristen»,ausderSichtderPKKgegendie«türkischenKolonialisten»undgegenden«Staatsterror»)getötetundmehreretausendDörferzwangsevakuiertoderfreiwilligverlassen.DasDorf,dasichSisinnenne,existiertnichtmehr.SeineBewohnermusstenSisinverlassenundlebenjetztteilweiseinbenachbartenKleinstädtenodersindineinanderesDorfinderEbeneumgezogen.DasBeispielSisinzeigt,dassdiepolitischeLageindenkurdischenGebietensehrkomplexist.EswarschonvordemMilitärputschvon1980

schwierig,übereinlokalesEreignislückenloseundverlässlicheInformationenzuerhalten.EineharmloseAuseinandersetzungzwischenNachbarnumdasWasserrechtimDorfwurdezueinemblutigenKampfzwischenmehrerenParteien«aufgeblasen»,bisdieNachrichtdasnächsteDorferreichte.Odereswarumgekehrt:BestimmteSpannungenundAuseinandersetzungenwurdenvondrittenParteienverheimlichtoderunterschiedlichinterpretiert–jenachdem,werderBerichterstatterwar.WennbeispielsweiseeineFrauauseinemDorfentführtwurde,verstandenihreVerwandtenundNachbarndiesalsBrautraubgegendenWillenderFrau.ImDorfdesEntführerswardiesjedocheineEntführungmitZustimmungderFrau.DieBetrachtungsweiseeinesEreignissesistsicherimmervonderSubjektivitätdesErzählersgeprägt;jedochwardiesbesondersextreminderProvinzHakkari.DieZuverlässigkeiteinerInformationhingüberwiegendvonderVertrautheitderBeziehungzwischendemErzählerunddemZuhörerab.DieVerortungdesLokalenimGlobalenbedeutet,dieIndividuenausdemherrschendenunddepersonalisiertenpolitischenDiskursherauszuhebenundihneneinGesichtzugeben:Personenkönnennichteinfachals«PKK-Anhänger»oder«RegierungstreueundKurdenverräter»gesehenwerden.SiehandelneherauspragmatischenalsausideologischenGründenundversuchenimAllgemeinen,denKriegzuüberleben.SiesympathisierenbereitsmitdenGuerillas,jedochwissensiesehrgenau,dassihreVerwandtenundStammesangehörigenauchvonGuerillasgetötetwerden.NunzurGeschichtedesDorfes:SisinwarimJahr1982einBergdorfmitungefähr250Personen,diesichauf23Haushalteverteilten.HakkariisteinegebirgigeRegion(ganzinderNähevonSisinistdermitüber4000mhöchsteGipfeldesSüdostensderTürkei),sodassSiedlungensehrverstreutundkleinsindunddieWeidenundHeuwiesendieseminomadischeProduktionsweisebestimmten.DieBergdörferlebtenhauptsächlichvonKleinviehwirtschaft.DieBewohnerbrachtenihreSchafeundZiegenmeist«illegal»überdieGrenzeindenIrakundnachIranzumVerkauf.DergrenzüberschreitendeHandelwarfürdieBeziehungenzumtürkischenStaatunddessenVertreterninHakkarivongroßerBedeutung,ebensowiefürdieKontaktezudenKurdenimIrak

undinIran,besondersdadiesezugleichdenInformationsaustauschüberPolitikundWirtschaftindenbetroffenenLändernermöglichten.DerUrsprungdesMisstrauenszwischenderlokalenGendarmerieunddenDorfbewohnernhingmitdieser«illegalen»Viehwirtschaftzusammen.DieDorfbewohnerbeobachtetenjedeBewegungdesGendarmeriekommandeurs,dieGendarmeriewarihrerseitsmisstrauischgegenüberjederReiseinRichtungGrenze.EsgabsporadischeKontrollen,wobeimanchmalimIrakgekaufterundgeschmuggelter(kaçak)TeeoderandereKonsumgüterbeschlagnahmtwurden.JedochkonntemandasVerhältniszwischenderGendarmerieunddenDorfbewohnernauchalseineArterzwungenerSymbiosebezeichnen,weildieökologischenundentwicklungsspezifischenBedingungendieKooperationbeiderSeitennotwendigmachten.ImWinterbeispielsweisewarendieSoldatenderGendarmeriehauptwachegenausovonderKälteundvomSchneeeingeschlossenwiedieDorfbewohner.SiemusstenihreWintervorrätegenausomitMauleselntransportierenwiedieEinheimischen.DadurchgewannendermenschlicheKontaktunddieZusammenarbeitzwischendenDorfbewohnernunddenSoldatenNormalität,auchwenndiesesGebietdieGeschichteeinesAufstandesunddessenUnterdrückungindendreißigerJahrenkennt.

Abb.8:DasDorfAnitosinderProvinzHakkari,1981/82

SisinlagineinemGebiet,dasvoneinemStammalstraditionellesSiedlungs-undSommerweidegebietbeanspruchtwurde.DiesistjedochnurdiehalbeWahrheit.DasDorfwarbis1915einnestorianisches,alsochristlichesDorf,sowievieleandereDörferindiesemStammesgebiet.AnderStelleeinerMoscheestandvor85JahreneinenestorianischeKirche.DieNestorianerwurdenzudieserZeit–imZusammenhangmitdenAuseinandersetzungendesErstenWeltkriegesundderGründungderTürkischenRepublik–vondenStammesangehörigenundanderenKurdensowietürkischenMilitärkräftenausdiesemGebietvertrieben.

DieAbkömmlingedieserNestorianerlebtenbiszumGolfkrieg1991imNord-IrakundflüchtetennachdemgescheitertenAufstandderKurdengegenSaddamHusainzurückinRichtungHakkari.DieStämmeinHakkarihabenunterschiedlichesGewichtund

verschiedenartigeGröße.Siesindeigentlicheherlose,fiktiveVerwandtschaftsgruppen,dieinbestimmtenSituationenzusammenhaltenund-handelnkönnen,abernichtimmermüssen.JedochistundwardieWahrnehmungvonStämmenimmereinpolitischerundsozialerAkt.AusderSichtdertürkischenRegierungsinddieStämmeeinÜberbleibselalter«feudaler»Strukturen,dieeinewichtigeRolleindiesemGebietspielenund/oderanti-zentralistischenWiderstandundkurdischenNationalismussymbolisieren.Manglaubt,dassdieStammesgruppenfastimmerzusammenhaltenund-handelnundvonihrenFührerngnadenloskontrolliertundausgebeutetwerden.DieBeziehungeninnerhalbeinerStammesgruppeweisenallerdingssehrunterschiedlicheStrukturenundCharakteristikaauf.SiekönnenegalitärePraktikeninnerhalbderGruppedarstellenoderebenhierarchischeStrukturenwiderspiegeln.WasdieVertreterderzentralenRegierungschlechtnachvollziehenundverstehenkonnten,wardieTatsache,dassesinjedemGebietverschiedeneStämme,aberauchkeinemStammangehörendePersonenundSchichtengab,unddasszwischendiesenGruppeneindelikatesGleichgewichtvonMachtundEinflussexistierte.VerwandtschaftlicheBeziehungenunddiedadurchentstandenenNetzwerkedecktensichmitStammesbeziehungen,weildiejenigen,diekeinemStammangehörten,undsogarvonaußerhalbHakkarisstammendeMenschenindieseBeziehungeneingebundenwurden.JedochbestandenzwischenstädtischenundländlichenGruppenVorurteileundDistanz,auchwennsiedemselbenStammangehörten.DieUrteilevonDorfbewohnernüberdie«Türken»wurden

hauptsächlichvonErfahrungenmitSoldatenwährenddesMilitärdienstesodermitLehrern,HebammenundBürokrateninderStadtgeprägt.TrotzdemgabesvielfältigeKontakte,besonderswenndiese«Türken»imDorflebtenundarbeiteten.DieBauernvonSisinwurdenvondenAngehörigenihreseigenen

Stammesalsbesondersreligiösbezeichnet.Siewarenfrommund

bestrebt,ihrenRufalsaufrichtigeDorfgemeindezubehalten.EsgabunterihneneineMehrheitvonFamilien,derenVorfahrenbeimAufstandindendreißigerJahrenaufseitenderRegierungstanden.SiewarennurindensiebzigerJahrengespalten,alsdieMehrheitderMännerSüleymanDemirel–damalsVorsitzenderderGerechtigkeitspartei(AdaletPartisi,AP)undzwischen1993und2000Staatspräsident–undeineMinderheitBülentEcevit–seinerzeitVorsitzenderderRepublikanischenVolkspartei(CumhuriyetHalkPartisi,CHP)undbis2002mehrmalsPremierminister–unterstützten.SiehattenWaffen,diesievonihrenVäterngeerbthattenunddiezuihremmännlichenSelbstverständnisgehörten.SiehattenKonfliktemitanderenClanendesStammes,aberdieseKonfliktediskutiertemannichtmitFremden.ManerfuhrdarübernurinprivatenGesprächenoderwährendeinerKrise.DieBewohnerinSisinwarenkonservativeBauern,diemitderfürsieabenteuerlichenlinkenPolitikihresStammesführersundseinesBrudersnichtszutunhabenwollten.SieerhoffteneherUnterstützungundPatronagevoneinemanderenStammesführer,derimmerderjeweiligenregierendenParteiangehörte.1986ergriffensiedieWaffendestürkischenStaates,umDorfwächter

(korucu)zuwerden.BeimeinemBesuchimJahre1987begrüßtenmichdieMännerinSisinmitSchüssenausihrenautomatischenWaffen.Siewarenglücklich,wiederWaffenzuhaben,weilsieihreeigenenWaffennachdemMilitärputsch1980hattenabgebenmüssen.SiewarenfastdieerstenihresStammes,dieDorfwächterwurden.DafürwurdensieauchausihrereigenenStammesgruppekritisiert.DergebildeteStammesführer,derspäterimpolitischenExilinderBundesrepubliklebteundsichimmerfüreinelinkekurdischePolitikeingesetzthatte,wareinedieserkritischenStimmen.DieBewohnervonSisinihrerseitshofftenaufVermittlungundEinflussnahmedesFührersderDemokratischenParteiKurdistansimIrak.DasGebiet,indemSisinliegt,kanntevordemMilitärputschimJahr1980kaumpolitischeGewalt.JedochfanddieBarzani-BewegungdersiebzigerJahreundderenZusammenbruchvielResonanzinundaktiveTeilnahmeausdiesemGebiet.VieleDorfbewohnerundStammesangehörigewurdenbesondersdurchBarzanisBewegungunddenKriegimNord-Irakstarkpolitisiert.

DiepolitischeKultur,dievomBildromantischerBanditen(eşkıya)geprägtwar,fandindemBilddesPeschmerga(«Todgeweihter»,d.h.kurdischerKämpfer)ihreEntsprechung.HeutepflegtdieSprachedeneuphemistischentürkischenBegriffdağdakiler,alsodiejenigen,dieindenBergenkämpfen;diesistderTerminusfürPKK-Kämpfer,wennmansienichtsonennenmöchte.ZurückzuSisin:DieDorfwächterahntendieSchwierigkeitihrer

Aufgabe,hofftenaber,dasseinedirekteKonfrontationmitderPKKvermeidbarwäre,wennsieihrenKontaktzuBarzani–derdamalssehreinflussreichinderUmgebungvonHakkariwar–weiterpflegten.ImmerhinbliebendieDorfwächtervonSisinbisJuni1994inihrenÄmtern,siekämpftenalsofastsiebenJahrelangalsDorfwächterzusammenmitdenSoldatendertürkischenArmeegegendiePKK.ImJuni1994gabeseinemassivemilitärischeAuseinandersetzung,an

derallezehnDorfwächterausSisinundandereausdemNachbardorfbeteiligtwaren.1992hattendieDorfwächterdiegleichenUniformenwiedieKommandosdertürkischenArmeebekommen.IndiesemKampfgabeszahlreicheToteunterdenSoldaten;vondenzehnDorfwächternfieleinjungerMann,denichalskleinenJungengekannthatte.ErwarWaise,unddaeralleinemitseineruraltenGroßmutternichtlebenkonnte,warersehrfrüh,imAltervon13Jahren,verheiratetworden.DieserZübeydwaralsodereinzigeGefalleneunterdenDorfwächtern,fürdiedieskeingeringerVerlustwar.DasMilitärsahdiesangesichtsseinereigenenVerlusteoffensichtlichandersundmitMisstrauen.InderselbenAuseinandersetzungwarenvierDorfwächtervonderPKKalsGeiselngenommenworden,wurdenjedochnachzweiWochenwiederfreigelassen.LautHüseyin,meinemGastgeberimDorf,behauptetederKommandeurdesKommandobataillons,dasserseinVertrauenindieBewohnervonSisinverlorenhabe,weilesunterihnennureinOpfergab.Erhabedeswegenbeschlossen,dieBewohnerausdemDorfzuvertreiben.DiesistselbstverständlichdiesubjektiveWahrnehmungHüseyinsüber

dieGründederVertreibungausdemDorf.DerKommandeurhattesichereigeneGründe.DieDenkweisevonHüseyinistaberbemerkenswert:Erglaubtefast,Glückgehabtzuhaben.NacheinerAufforderungdes

MilitärsmusstenalleDorfwächterihreWaffenzurückgeben.DasienunnichtmehrunbewaffnetimDorfwohnenkonnten,müsstensiealledasDorfverlassen.HüseyinempfandGlückimUnglück:SiedurftenihreVorrätemitnehmen.DieHäuserwurdenvonihrenBewohnernselbstabgerissen,undeinigenahmenBalkenundandereBaumaterialienmit,umneueHäuserinanderenDörfernbauenzukönnen.AnderezogenindieStadt.LautHüseyinhabensiedieVerschlechterungderLageunddieEskalationderGewalttäglichgespürtundvoraussehenkönnen.DeswegentrafeneinigebereitsvorJuni1994VorbereitungenfüreinenUmzug.Anderenergingesschlechter.EinenweiterenBekanntenausSisin,Hasan,habeichimHerbst1994inderStadtbesucht.ErhateinegroßeFamilie;zurZeitdesBesucheswohntenachtKinderunddieElternineinemärmlichenZimmereinesaltenHauses.HasanwardereinzigeErwerbstätige.ErverdienteetwazweiEuroproTagalsungelernterBauarbeiterbeiderstädtischenStraßenbaufirma,unddaernichtfestangestelltwar,mussteerimmerumneueArbeitsverträgebangen.ImSeptember1998erfuhrich,dassdieFamilien,dieindasDorfin

derEbeneumgezogenwaren,auchihreKleinviehwirtschaftaufgebenmussten.DerGrundist,dassdiePKK-GuerillashäufigdieSchaf-undZiegenherdenstehlen.JetztmöchtensieRinderzüchten,denndiemüssensienichtaufdieWeidebringen.UnterderjungenGenerationvonSisingibtesunterschiedlicheEntwicklungen:EinerseitsgingenzumerstenMalausdemDorfjungeMänneralsLohnarbeiterübereinegroßeEntfernungnachIstanbul.AndererseitsgabesunterdenjungenMenschen(auchFrauen)solche,diesichdenGuerillasanschlossen.DieseminomadischeLebensweisemitSubsistenzlandwirtschaftder

BewohnervonSisinwarbisindiesiebzigerJahredesletztenJahrhundertsvonTraditionenundUnterentwicklung,aberauchvoneinemgewissenMaßanSelbständigkeitgekennzeichnet.MitderZwangsmigrationindieKleinstadtsindvorerstLandwirtschaftundKleinviehwirtschaftaufgegebenworden.DieLand-Stadt-Migration,diebereitsdurchBevölkerungswachstumundModernisierungeingesetzthatte,beschleunigtesichrasendschnellundvölligunvorbereitet.DieneuenStadtbewohnerkönnennurschwerinsStadtlebenintegriertwerden;siesindzumeinenunqualifiziertfürstädtische

Beschäftigungsmöglichkeiten,zumanderensinddieseMöglichkeitenohnehinbegrenzt.ZudemProzessderVerstädterunggehörtauchdieAuflösungalterFamilien-undStammesstrukturen,wobeidieheranwachsendeGenerationDiskriminierungundBenachteiligungnichtmehrhinnehmenwird.SieentfremdetsichzusehendsdenaltenVerhältnissen:DieJüngerenwandernausindieMetropoleoderbeteiligensichaktivanderGuerillabewegung.DieswarderStandbiszumAufrufÖcalans,denKrieggegendietürkischenMilitärkräftezubeenden.WieundmitwelchenMittelndiejungeGenerationderKurdeninderTürkeiweiterumihrekurdischeIdentitätundumeinegleichberechtigteTeilnahmeaufallengesellschaftlichenEbenenkämpfenwird,istoffen.

6.Postskriptum

SeitmehralseineinhalbJahrzehntensitztÖcalanimGefängnisundbeteiligtsichausseinerZelleherausandenDiskussionenzurLösungdesKurdenproblemsinderTürkei.InvielerHinsichthatsichdieLagederKurden,aberauchdieWahrnehmungderAuseinandersetzungumdieKurdengeändert.VoneinerVerleugnungkurdischerIdentitätundSpracheinderTürkeikannkaummehrdieRedesein.AuchwenndiestaatlichenVolkszählungeninderTürkeikeineZahlenüberethnischeZugehörigkeitodernicht-türkischeSprachenpublizieren,soistdiesgangundgäbebeiprivatenRepräsentativbefragungen(lauteinerKONDA-Studievon2007,inderfast50.000ErwachseneimganzenLandbefragtwurden,lebenüber11MillionenKurdeninderTürkei).1IndessinddiemateriellenundimmateriellenSchädendesKriegesseit

1984beträchtlich.TrotzdesDrängensvonMenschenrechtsorganisationeninnerhalbundaußerhalbderTürkeiakzeptiertedieRegierungerst2002dieExistenzvon«internallydisplacedpersons»(innerhalbdeseigenenStaatesvertriebenenPersonen).Seit2003wirddieLagederVertriebenenindenjährlichenBerichtenderEU(«accessionprocessyearlyassessmentreport»)beurteilt.Seit1998gibtesProjekte,umihreRückkehrinsichereGebietezuermöglichen.ImJuli2004hatdieRegierungeinGesetzverabschiedet(Nr.5233),nachdemPersonen,dieunterTerrorgelittenhaben,entschädigtwerdensollen.DiezugespitzteIdentitätspolitikderTürkei,inderStaatsbürgersich

zunehmendüberihreIdentitätsmerkmalebeispielsweisealsKurde,sunnitischerTürkeoderAlevitdefinieren,spiegeltsichineinemwidersprüchlichenWahlverhaltenwider.ProkurdischeParteiengenießen

vorallemimSüdostenderTürkeistarkeUnterstützung,wiemandenWahlergebnissenderHDPentnehmenkann(41,5%dergültigenStimmenimSüdostenderTürkeiimNovember2015).GleichzeitigistdieAKPinebendiesemGebietsehrstark.BeidenParlamentswahlenimNovember2015erreichtesie46%dergültigenStimmen(gegenüber33,4%imJuni2015).2EineoptimistischeInterpretationdiesesWahlverhaltenswürdeinderDominanzzweierstarkerParteieneineHoffnungfürihreKooperationsehen(dadieUnterstützergruppen,diesievertreten,beideunverzichtbarwären).EinepessimistischeAuslegungwürdejedochaufeineirreversibleSpaltungderpolitischenArenaabheben.WennmanaberdieTeilnahmederKurdenannahöstlicherundeuropäischerPolitikalseinenFaktorineinemgrößerenZusammenhangwahrnimmt,würdemandieLösungderKurdenfrageinderTürkeiauchnichtmehrnurinderTürkeisuchen.DamitbleibenvielelokaleundnationaleFragenoffenundabhängigvondenpolitischen,wirtschaftlichenundsozialenEntwicklungeninderRegionunddarüberhinaus.

Anhang

1

2

1

Anmerkungen

(DieTitelaußerhalbderAnmerkungenstellengrundlegendeLiteraturdar,derenvollständigebibliographischeAngabenimLiteraturverzeichniszufindensind.)

Einleitung

KadriCemilPaşa(ZinarSilopi):DozaKurdistan(KürdistanDavası).Kürtmilletinin60yıllıkesarettenkurtuluşsavaşıhatıraları,hrsg.vonMehmetBayrak,2.Aufl.Ankara1991(1.Aufl.Beirut1969),S.36.

Roosevelt,Jr.,Archie:«TheKurdishRepublicofMahabad»,in:MiddleEastJournalI/3,July1947,S.247–269,hier:S.247.

ErsterTeil

1.DasLand

LeStrange,Guy(Übers.):TheGeographicalPartoftheNuzhatal-QulubcomposedbyHamd-AllahMustawfiofQazwinin740(1340),Leyden/London1919,Repr.Frankfurt/M.1993(PublicationsoftheInstitutefortheHistoryofArabic-IslamicScience,IslamicGeography,vol.103),S.105–107.

2

123

4

5

1

23

Véliaminof-Zernof,Vladimir(Hrsg.):Scheref-NamehouHistoiredesKourdesparScheref,PrincedeBidlis,TomeI,TextePersan-PremièrePartie,St.-Pétersbourg1860,S.13f.Charmoy,FrançoisBernard(Übers.):Chèref-NâmehoufastesdelanationkourdeparChèref-ou’ddîne,PrincedeBidlîs…,TomeI–IV,St.-Pétersbourg1868–1875,S.27.

2.DieMenschen

Istanbul1969–1985.Istanbul1896,Bd.5,S.3840–3843.

Firdosi’sKönigsbuch(Schahname).Übers.vonFriedrichRückert.AusdemNachlaßhrsg.vonE.A.Bayer.SageI–XIII.Berlin1890.S.34f.

Edmonds,CecilJ.:Kurds,TurksandArabs.Politics,travelandresearchinnorth-easternIraq1919–1925,Londonu.a.1957,S.4.

Véliaminof-ZernofI,S.13;CharmoyI/2,S.27(wieAnm.2,TeilI,Kap.1).

3.SprachenundLiteraturen

Kreyenbroek,PhilipG.:«OntheKurdishlanguage»,in:Kreyenbroek/Sperl1992,S.68–83.

McDowall1996,S.3f.DieseZahlendürftensicheheraufPersonenbeziehen,diesichalsKurdenverstehen,dennaufKurdisch-Sprecher;derenZahlliegtvermutlichdarunter.

www.mirrors.ids.it/sol/Library/Struggle/kurds.html(9.11.1998).

Bedirxan,EmirCeladetAli:BirKürtAydınındanMustafaKemal’eMektup,Istanbul1992,S.94f.

4

56

7

8

9

10

11

1

2

Edmonds,CecilJ.:«AKurdishlampoonist:ShaikhRizaTalabani»,in:JournaloftheRoyalCentralAsianSociety,Bd.22,1935,S.111–123,hier:S.116f.

Anter,Musa:Hatıralarım,Istanbul1990,S.144.

Zaza,Noureddine:MaviedeKurde,ou,lecridupeuplekurde,Lausanne1982.

Hassanpour,Amir:«TheCreationofKurdishMediaCulture»,in:Kreyenbroek/Allison1996,S.48–84,hier:S.79.

Ahmad-iChani:MamuZin,hrsg.v.M.B.Rudenko,Moskau1962,S.64,Vers232.

Shakely,Ferhad:KurdishNationalisminMamuZinofAhmad-iKhani,Brussels1992,S.140.

Nebez,Jemal(Hrsg.):Ahmad-iÇhanie.MamundZingenanntRomeoundJuliaderKurden,München1969,S.39und41.

Shakely(wieAnm.9),S.127.

4.Religionen

Kreyenbroek,PhilipG.:«ReligionandReligionsinKurdistan»,in:Kreyenbroek/Allison1996,S.85–110.

Bruinessen,Martinvan/Boeschoten,Hendrik(Hrsg.):EvliyaÇelebiinDiyarbakır:TheRevelantSectionoftheSeyahatname,Leiden1988(EvliyaÇelebi’sBookofTravels,hrsg.v.KlausKreiser,Vol.I),S.49.

Ebd.,S.145.

1

2

3

45

1

2

3

ZweiterTeil

1.DieKurdenimMittelalter

Behrendt1993;Bruinessen1989.

Schwarz,Paul:IranimMittelalternachdenarabischenGeographen,9TeileineinemBand,Hildesheim/NewYork1969,S.156.

Lewis,Bernard(Hrsg.):DerIslamvondenAnfängenbiszurEroberungvonKonstantinopel,Bd.II,Zürich/München1982,S.96.

Minorsky,V.:«Kurds»,in:EncyclopaediaofIslam,2.Aufl.,Bd.V,S.451.Nikitine,Basile:LesKurdes,Paris1956,Repr.1975,S.181.Ehrenkreutz,AndrewS.:Saladin,Albany,N.Y.1972,S.63.

2.Kurden,OsmanenundPerser

Behrendt1993;Bruinessen1989.

Véliaminof-ZernofI,S.416f.;CharmoyII/1,S.296(wieAnm.2,TeilI,Kap.1).

Barb,H.A.:«GeschichtederkurdischenFürstenherrschaftinBidlis»,in:Sitzungsberichtederphilosophisch-historischenKlassederKaiserlichenAkademiederWissenschafteninWien,XXXII,Heft1,1859,S.186.

Véliaminof-ZernofI,S.360;CharmoyII/1,S.231(wieAnm.2,TeilI,Kap.1).

4

5

6

78

1

12

Dankoff,Robert(Übers.):TheintimatelifeofanOttomanstatesman.MelekAhmedPasha(1588–1662).AsportrayedinEvliyaÇelebi’sBookofTravels(Seyahat-Name),Albany,N.Y.1991,S.147(SUNYSeriesinMedievalMiddleEastHistory).

Dankoff,Robert:EvliyaÇelebiinBitlis.TherelevantsectionoftheSeyahatnameeditedwithtranslation,commentaryandintroduction,Leiden1990(EvliyaÇelebi’sBookofTravels,hrsg.v.KlausKreiser,Vol.II),S.15.

Barb,H.A.:«GeschichtevonfünfweiterenKurden-Dynastien»,in:Sitzungsberichtederphilosophisch-historischenKlassederKaiserlichenAkademiederWissenschafteninWien,XXX,Heft1,1859,S.97.

Ebd.,S.96.

IskandarBegTürkmen[Munschi]:Tarih-iAlamara-iAbbasi,Bd.2,Teheran1350/1971,S.926f.;vgl.Savory,RogerM.(Übers.):HistoryofShahAbbastheGreatbyEskandarBegMonshi,Vol.II,Boulder,Col.1978(PersianHeritageSeries,hrsg.v.EhsanYarshater,28),S.1144.

3.Das19.Jahrhundert

Behrendt1993;Bruinessen1989.

Moltke,Helmuthvon:«DasLandundVolkderKurden»,in:GesammelteSchriftenundDenkwürdigkeiten,Bd.2:VermischteSchriften,Berlin1892,S.288–298,hier:S.289.

4.DerBeginndes20.Jahrhunderts

Strohmeier2003.Nr.1,22.4.1898.Nr.27,13.3.1901.

3

4

1

2

3

45

678

9

AhmedRıfatBabanzade:«Kürdgençlerine»,in:Hetav-iKürd(«KurdischeSonne»)Nr.3,11.1.1914,S.18f.KadriCemilPaşa1991,S.57(wieAnm.1,Einleitung).

DritterTeil

1.DieKurdeninderTürkei

Behrendt1993;Bruinessen1989.

Rumpf,Christian:«MinderheiteninderTürkeiunddieFragenachihremrechtlichenSchutz»,in:ZeitschriftfürTürkeistudien2,1992,S.173–209.

Beşikçi,İsmail:DoğuAnadolu’nunDüzeni,2.Aufl.Ankara1970,S.299.

Sekban,ŞükrüMehmed:KürdlerTürklerdenneistiyorlar?NafiavekiliveDiyarbakırmebusuFeyzibeyedoktorŞükrüMehmedbeyinbirmektubu,Kairo1923,S.27.Behrendt1993,S.384.

AbgedrucktinBayrak,Mehmet:KürtlerveUlusal-DemokratikMücadeleleri.GizliBelgeler-Araştırmalar-Notlar,Ankara1993,S.499.Bedirxan,EmirCeladetAli1992,S.96(wieAnm.3,TeilI,Kap.3).McDowall1996,S.200.

Nr.2510,İskanKanunu,SicilliKavaniniBd.10,14.6.1934,S.406–423.

Schüler,Harald:DietürkischenParteienundihreMitglieder,Hamburg1998(SchriftendesDeutschenOrient-Instituts),S.131f.

10

1112

13

141516

1

234

AusC.GürselsVorwortfürdiezweiteAuflagedesBuchesDoğuİlleriveVartoTarihi(Ankara1961),indemderkurdischstämmigeVerfasserŞerifFıratdieKurdenkonsequentals«Bergtürken»anspricht,S.3f.Anter,Musa:Hatıralarım,Istanbul1990,S.183.

SosyalizmveToplumsalMücadelelerAnsiklopedisi,Bd.7,Istanbul1988,S.2129.

Zinar,Zeynelabidin:«MedreseeducationinKurdistan»,in:IslamdesKurdes:LesAnnalesdeL’autreIslamNo.5,1998,S.51.Cumhuriyetv.9.12.1991.Schüler(wieAnm.9),S.106.Ebd.,S.58–60.

2.DieKurdenimIrak

Katzman,Kenneth:«TheKurdsinPost-SaddamIraq»(CongressionalResearchService7–5700,April6,2009),in:handle.dtic.mil/100.2/ADA498387(Zugriff28.11.2009).McDowall1996;Leezenberg,Michiel:«Irakisch-Kurdistanseit

demZweitenGolfkrieg»,in:Borck/Savelsberg/Hajo1997,S.45–78;Farouk-Sluglett/Sluglett1991.

Antonius,George:TheArabAwakening.TheStoryoftheArabNationalMovement,London1938,Repr.NewYork1965,S.435.McDowall1996,S.152.Edmonds1957,S.59.TheNearEastandIndia,25.9.1930,S.348.

3.DieKurdeninIran

12

Bruinessen,Martinvan:«NationalismusundreligiöserKonflikt:DerkurdischeWiderstandimIran»,in:BerlinerInstitutfürvergleichendeSozialforschung(Hrsg.):ReligionundPolitikimIran.Mardomnameh–JahrbuchzurGeschichteundGesellschaftimMittlerenOrient,Frankfurt/M.1981,S.372–409;McDowall1996;Vali,Abbas:«PolitischeHerrschaftundIdeologiederkurdischenNationalbewegungimIran1942–1979»,in:Borcku.a.1997,S.327–357.Meiselas1997,dieKartebildetdenvorderenVorsatzdesBuches.Meiselas1997,S.286.

4.DieKurdeninSyrienundimLibanon

McDowall,David:TheKurdsofSyria,London1998(KurdishHumanRightsProject).

5.DieKurdeninderSowjetunionundihrenNachfolgestaaten,insbesondereArmenienundAserbaidschan

Flint,Julie:TheKurdsofAzerbaijanandArmenia,London1998(KurdishHumanRightsProject).Müller,Daniel:«TheKurdsofSovietAzerbaijan,1920–91»,in:CentralAsianSurvey19(1),2000,S.41–77.

VierterTeil

1.SozialstrukturundEntwicklung

1

2

3

456

789

Barkan,zit.nachBehar,Cem(Hrsg.):Osmanlıİmparatorluğu’nunveTürkiye’ninNüfusu1500–1927(DieBevölkerungdesOsmanischenReichesundderTürkei1500–1927),DİE(StaatsinstitutfürStatistik),Ankara1996,S.5,Tabelle1.3.

Vgl.Behar,Cemin:DİE(Hrsg.):OsmanlıDevleti’ninİlkİstatistikYıllığı(DaserstestatistischeJahrbuchdesOsmanischenReiches),Ankara1996,S.29.

Vgl.Mutlu,Servet:«EthnicKurdsinTurkey:ADemographicStudy»,in:InternationalJournalofMiddleEastStudies4,Nov.1996,S.517–541;hierS.520,Tabelle1,S.525und532;Prozentangabenfür1935nacheigenerBerechnung;Mutlu,Servet:«PopulationofTurkeybyEthnicGroupsandProvinces»,in:NewPerspectivesonTurkey12,Spring1995,S.33–60.

Mutlu1995,S.51.Milliyet,22.3.2007.

ODTÜSosyolojiBölümü(FachbereichSoziologiederTechnischenUniversitätdesMittlerenOstens)GAPAraştırmasıEkibi:GAPBölgesiNüfusHareketleriAraştırması(ForschungzuBevölkerungsbewegungeninderGAP-Region),Ankara1993,S.17f.

Ebd.,S.64.Ebd.,S.193f.

LautderZuordnungindieserStudieumfasstdieRegion1(Westen)dieammeistenentwickeltenwestlichenundnordwestlichenProvinzenderTürkei.InderRegion5(Osten)liegenfastalleöstlichenundsüdöstlichenProvinzen,wodieKurdeninderRegelmehrheitlichoderjedenfallszahlreichwohnen:Hakkari,Şırnak,Siirt,Van,Bitlis,Mardin,Batman,Muş,Diyarbakır,Adıyaman,K.Maraş,Malatya,Sivas,Elazığ,Bingöl,Muş,Tunceli,Gümüşhane,Bayburt,Erzurum,Kars,Ağrı.

Tabelle2:MittelwertdererwünschtenKindernachRegionenderTürkei

(1993)

Region Gesamt-Mittelwert Land Stadt

1.Westen 2,2

2.Süden 2,5

3.Zentral 2,3

4.Norden 2,4

5.Osten 2,9

Türkeiinsgesamt 2,4 2,5 2,3

Quelle:HacettepeÜniversitesi:1993TürkiyeNüfusveSağlıkAraştırması(ForschungzurBevölkerungundGesundheitinderTürkei)Ankara,mitgeteiltvonA.Hancıoğlu.

Tabelle3:RatederSäuglingssterblichkeitundFertilitätnachausgewähltenRegionenderTürkei(1993und1998)

Region RatederSäuglingssterblichkeit(Promille)

Fertilitätsrate

1.Westen 42,7(1993) 2,0(1998)

2.Süden 55,4(1993) 2,6(1998)

3.Zentral 57,9(1993) 2,6(1998)

4.Norden 44,2(1993) 2,7(1998)

5.Osten 60,0(1993) 4,2(1998)

Türkeiinsgesamt 52,6(1993) 2,6(1998)

42,7(1998)

Quelle:HacettepeÜniversitesi:1993TürkiyeNüfusveSağlıkAraştırması,Ankara;undvorläufigeErgebnissederUntersuchungvon1998,mitgeteiltvonA.Hancıoğlu.

11

1314

ODTÜ1993,S.13.

Tabelle4:VolkszählungeninderTürkeiundAnteilderstädtischenBevölkerunganderGesamtbevölkerung

Volkszählung AnteilderstädtischenBevölkerung(%)

1927 16,4

1935 16,9

1940 18,0

1945 18,3

1950 18,1

1955 22,5

1960 26,3

1965 29,9

1970 35,8

1975 41,4

1980 45,4

1985 51,1

1990 56,3

1997 65,0

2008 74,9

Quelle:DİE:TürkiyeNüfusu,1923–1994DemografiYapısıveGelişimi,(BevölkerunginderTürkei,demographischeStrukturundEntwicklung1923–1994),Ankara1995,S.44,Tabelle5–1;DİE-ErgebnissederVolkszählungvon1997imInternetv.21.9.1998.DİE:TürkiyeNüfusu1923–1994,Ankara1995,S.47.ODTÜ1993,S.105.

1617181920

Tabelle5:HochrechnungdesAnteilsderkurdischenBevölkerunginverschiedenenRegionenderTürkei(1990)(nachMutlu1996,S.533,Tabelle3)

Region ProvinzendieserRegion AnteilanderGesamtbevölkerung%

Marmara (1) 6,09

Ägäische (2) 3,93

Mittelmeer (3) 8,95

Zentralanatolien (4) 5,53

Schwarzmeer (5) 0,50

Osten (6) 41,96

Südosten (7) 64,98

Insgesamt(7.046.250) 12,60

(1)Balıkesir,Bilecik,Çanakkale,Edirne,Istanbul,Kırklareli,Kocaeli,Sakarya,Tekirdağ(2)Afyon,Aydın,Denizli,İzmir,Kütahya,Manisa,Muğla,Uşak(3)Adana,Antalya,Burdur,Gaziantep,Hatay,Isparta,İçel,

K.Maraş(4)Ankara,Çankırı,Çorum,Eskişehir,Kayseri,Konya,Nevşehir,

Niğde,Sivas,Yozgat(5)Amasya,Artvin,Bolu,Giresun,Gümüşhane,Kastamonu,

Ordu,Rize,Samsun,Sinop,Tokat,Trabzon,Zonguldak(6)Ağrı,Bingöl,Bitlis,Elazığ,Erzincan,Erzurum,Hakkari,Kars,

Malatya,Muş,Tunceli,Van(7)Adıyaman,Diyarbakır,Mardin,Siirt,ŞanlıUrfa

ODTÜ1993,S.88–90.Ebd.,S.12.Ebd.,S.6.Ebd.,S.10.Ebd.,S.13.

21

2223

242526

272829

3031323334353637383940

TMMOB:BölgeiçiZorunluGöçtenKaynaklananToplumsalSorunlarınDiyarbakırKentiÖlçeğindeAraştırılması,Ankara1996,S.113.DiesisteineStudiedestürkischenArchitekten-undIngenieursverbandes,inderstichprobenartigdiemännlichenBewohnervon1072HaushalteninDiyarbakırbefragtwurden.Ebd.,S.114.

DieseDarstellungberuhtüberwiegendaufderDiyarbakır-StudiedesTMMOB1996.TMMOB1996,S.28.Ebd.,S.27.

DİE-ErgebnissederVolkszählungvon1997imInternetv.21.9.1998.TMMOB1996,S.29.KöyEnvanterEtüdleri,zit.nachODTÜ1993,S.24.

Özer,Ahmet:ModernleşmeveGüneydoğu(ModernisierungundderSüdosten),Ankara1998,S.271f.TMMOB1996,S.61.ODTÜ1993,S.117.Ebd.Ebd.,S.15.Ebd.,S.135.Özer1998,S.37.ODTÜ1993,S.137.ODTÜ1993,S.135,undÖzer1998,S.37.Özer1998,S.237.ODTÜ1993,S.135.

TMMOB1996,S.37.DieArbeitslosenkategorieschließtindiesemFallauchdiejenigenaus,diegelegentlichoderiminformellenSektorzusehrniedrigenLöhnenarbeiten.

41

42

43

4445

46

47

48495051525354555657

Vgl.TMMOB1996,S.43f.ImJahr1996betrugdasPro-Kopf-Bruttosozialprodukt2826$/Jahr,DİE:1997TürkiyeİstatistikYıllığı(StatistischesJahrbuch),Ankara1998,S.505.

UnterdenZwangsmigrantenwardies204$/Jahr.TMMOB1996,S.43f.

IndieserGruppelebteninjedemHaushaltdurchschnittlich6,5Personen.45%dieserGruppewiederumwarenZwangsmigranten.TMMOB1996,S.41–43.TMMOB1996,S.42–43.

TMMOB1996,S.44.DasbesondershoheMaßanArmutinDiyarbakırhängtdamitzusammen,dassindensechsJahrenvorderStudieeinegroßeZahlvonZwangsmigrantenindieStadtkam,diefast40%derGesamtbevölkerungausmachen;hinzukommt,dass67%derBevölkerungunter25Jahrenaltsind.

Ergöçmen,B.A.,Hancıoğlu,A.,Koç,İ.&Ünalan,T.:BinyılKalkınmaHedeflerineDemografikBakış,H.Ü.NüfusEtüdleriEnstitüsüveBirleşmişMilletlerNüfusFonu,Ankara2004,S.9.

Aydın,Zülküf:UnderdevelopmentandRuralStructuresinSouth-easternTurkey,London1986,S.25,undODTÜ1993.Aydın1986,S.25.Ebd.,S.26.Özer1998,S.181.RıfatDağ,zit.nachTMMOB1996,S.126–127.Ebd.,S.126;nachanderenQuellennur25%:ODTÜ1993,S.22.TMMOB1996,S.127.Özer1998,S.332f.Ebd.,S.235.Ebd.,S.297,Anm.Ebd.,S.294f.

5859606162

1

23456

ODTÜ1993,S.195.Ebd.Ebd.,S.197.AhmetCengiz,zit.nachTMMOB1996.TMMOB1996,S.50.

2.Bauerntum,ländlicheProduktionsformenundLandbesitz

ImJahr2008lebten75%derGesamtbevölkerungderTürkeiinStädten;inallen24Provinzen(außerGaziantep)derkurdischenRegionenlagderAnteilderStadtbevölkerungimmerunterdiesemWert.DenniedrigstenAnteilanStadtbevölkerunghattemit34,2%dieProvinzMuş(Quelle:www.tuik.gov.tr).InMuşwaren83%derArbeitskräfte(Jahr2000)inderLandwirtschaftbeschäftigt(TESEV,S.73,Tabelle3.2).

TMMOB1996,S.112f.ODTÜ1993,S.81.Ebd.,S.82.Özer1998,S.123.

ZudenBesitzverhältnisseninderGAP-Regionwerdenamhäufigsten,wieauchindemBerichtderRepublikanischenVolkspartei(CHP)überdieSituationimOstenundSüdostenderTürkeivomMai1998(DoğuveGüneydoğu–ÖnRapor),diefolgendenZahlenausderVorstudiedesGAP-ProjektsvomJahr1989(DPT:GAPMasterPlanı1989)zitiert:

Provinzen Landlose 1–20ha 20–100ha 100+ha

Adıyaman 21,2% 75% 3,5% 0,3%

Diyarbakır 41,3% 51,6% 2,8% 0,5%

Gaziantep 28,6% 64,5% 6,6% 0,3%

Mardin 41,3% 56,3% 2,1% 0,3%

Siirt 44,6% 53,8% 1,5% 0,1%

7

8

9

1

2

3

ŞanlıUrfa 48,1% 50,2% 7% 0,7%

Quelle:CHPDoğuveGüneydoğuRaporu,Ankara1998,S.23IneinerspäterenGAP-Studiewirdberichtet,dass40%derbefragtenHaushaltelandloswaren.(ODTÜ1993,S.69)IneinerdrittenStudiefandendieForscher,dass25%derBauerninderGAP-Regionlandloswaren,während75%derBauerneigenesLandbearbeiteten.In83%derDörferdieserletztenStudiegabeslandloseBauern.(Sencer1993,zit.nachODTÜ1993,S.22).

Özer1998,S.156–165.Alletürkischenbzw.kurdischenBegriffehierhabenmitLandarbeits-undBesitzverhältnissenzutunundstammenausländlichenundhistorischenKontexten.

Traktorbesitzistnichtgleichmäßigverteilt.LautderGAP-Studie1993besaßenfast75%derbefragtenHaushaltsvorständekeinenTraktor.VondenBauernhaushalten,dieeinenTraktorhatten,nutztennur10%einenKreditvoneinerInstitution,wiez.B.vonderstaatlichenBankderLandwirtschaft.VondenHaushaltenohneTraktorhatten51%einenfürihrelandwirtschaftlicheArbeitgeliehen.ODTÜ1993,S.80.

Vgl.Özer1998,S.134–138.

3.HaushaltundFamilie

DİE:1997TürkiyeİstatistikYıllığı,Ankara1998,S.107,nacheigenerBerechnung.

LautderTESEV-Studie(S.40,Tabelle2.5)betrugimJahr2000diedurchschnittlicheHaushaltsgrößeinderTürkei5,1Personen.DiedurchschnittlicheHaushaltsgrößeimSüdostenderTürkeiwarmit6,7Personendeutlichhöher.BeineunProvinzendieserRegionwurdesogareinDurchschnittvonsiebenodermehrPersonenproHaushaltermittelt.

ODTÜ1993,S.114,126.

456

1

2

Ebd.,S.126.Özer1998,S.370f.ODTÜ1993,S.191.

6.Postskriptum

http://www.milliyet.com.tr/2007/03/22/guncel/agun.html(aufgerufenam20.7.2009)

KondaKasım’15Barometresi:1KasımSandıkveSeçmenAnalizi,KONDAAraştırmaveDanışmanlık(BerichtundAnalysederWahlergebnissevonParlamentswahleninderTürkeiimNovember2015),am5.3.16runtergeladenvon:http://www.konda.com.tr/download.php?tok=2c968447d9702f6d3d95fd3970d4254c&ln=tr

StatistischeDatenzuKurdeninderTürkei

1.DemographieAufderBasisderErhebungvon1990unddemPersonenregistervon2008werdendieBevölkerungsgrößeund-dichtesowieNetto-Migrations-undjährlicheWachstumsratevon24ProvinzenderTürkei,indenentraditionelldieMehrheitderKurdenwohnt,aufgezeigt.

Tabelle6:Bevölkerungszahl,-dichteund-zuwachsratesowieNetto-MigrationsrateeinigerProvinzen

Provinz 1990Bevölkerung

1990Bevölkerungsdichte

(prokm²)

2008Bevölkerung

2008Bevölkerungsdichte

(prokm²)

2007–2008Netto-

Migrationsrate(Promille)

Adıyaman 513.131 67 585.067 83 –14,96

Ağrı 437.093 38 532.180 46 –28,96

Bingöl 250.966 31 256.091 31 –4,73

Bitlis 330.115 49 326.897 47 –27,86

Diyarbakır 1.094.996 71 1.492.828 99 –10,73

Elazığ 498.225 54 547.562 59 –6,41

Erzincan 299.251 25 210.645 18 –4,73

Erzurum 848.201 34 744.967 31 –31,23

Gaziantep 1.140.594 149 1.612.223 236 0,59

Kilis – – 120.991 85 3,20

Hakkari 172.479 24 258.590 36 3,18

Kars 349.834 36 312.128 31 –28,02

Iğdır – - 184.025 51 –20,42

Malatya 702.055 57 733.789 62 –3,17

K.Maraş 892.952 62 1.029.298 72 0,55

Mardin 557.727 63 750.697 85 –18,25

Muş 376.543 46 404.309 50 –38,42

Siirt 243.435 45 299.819 55 –2,52

Sivas 767.481 27 631.112 22 –18,15

Tunceli 133.143 17 86.449 12 9,22

ŞanlıUrfa 1.001.455 54 1.574.224 84 –7,45

Van 637.433 33 1.004.369 52 –9,01

Batman 344.669 73 485.616 104 –6,57

Şırnak 262.006 37 429.287 60 –6,16

Türkei 54.473.035 71 71.517.100 93 0

Quelle:DİE:1997TürkiyeİstatistikYıllığı(StatistischesJahrbuch),Ankara1998,S.70,Tabelle37.DieZahlenfür2008:www.tuik.gov.tr(dieoffizielleWebseitedestürkischenStatistikamtes).ImJahr2008hattedieTürkeieineBevölkerungswachstumsratevon13,1‰(1994betrugsie18,28‰);HakkarigehörtezudenProvinzenmitderhöchstenWachstumsrate(48‰).74,9%derBevölkerunglebteninStädten;26,3%derBevölkerunggehörtenzuderAltersgruppevon0–14Jahren.

Bis1990warKiliseinDistriktinnerhalbderProvinzGaziantepundwurdeerst1995eineeigeneProvinz.AuchIğdırwarbis1990einDistriktinnerhalbderProvinzKarsundwurdeerst1992eineeigeneProvinz.

2.MigrationsbewegungenundAnteilderKurdeninderTürkei(nachProvinzen)

DassvieleKurdenübermehrereJahrzehnte,inerhöhtemMaßeaberindenletztenfünfzehnJahrenindiewestlichenundsüdlichenProvinzenundindieGroßstädtederTürkeiabgewandertsind,kannausüblichenBevölkerungszahlennichtentnommenwerden.DieseMigrationsbewegungenwurdenvonMutluanhandvonAnalysenderBevölkerungswanderungenund-zuwachsratenwiefolgteingeschätzt:

Tabelle7:GeschätzterAnteilderKurdeninverschiedenenProvinzenderTürkeiindenJahren1965und1990(nachMutlu1996,S.526f.)

Provinz %derKurden(1965) %derKurden(1990)

Adana 4,58 10,05

Adıyaman 46,40 43,69

Ağrı 70,45 70,45

Ankara 3,84 6,74

Antalya 0,04 3,22

Aydın 0,27 4,07

Balıkesir 0,08 2,48

Bilecik 0,12 3,93

Bingöl 76,52 76,63

Bitlis 64,03 64,03

Bursa 0,07 4,47

Çorum 3,89 3,89

Denizli 0,06 3,08

Diyarbakır 72,78 72,78

Elazığ 43,17 43,15

Erzincan 19,74 19,74

Erzurum 15,78 16,22

Eskişehir 0,54 3,10

Gaziantep 12,09 13,22

Hakkari 89,47 89,47

Hatay 2,12 5,48

İçel 1,51 9,71

Istanbul 2,77 8,16

İzmir 1,04 6,91

K.Maraş 15,37 15,37

Kars 22,36 19,02

Kayseri 2,11 4,56

Kırşehir 6,61 6,61

Kocaeli 0,49 7,94

Konya 3,97 5,42

Malatya 17,19 17,20

Manisa 0,06 3,48

Mardin 74,90 74,84

Muğla 0,04 2,06

Muş 67,65 67,75

Sakarya 0,54 2,82

ŞanlıUrfa 47,84 47,84

Siirt 78,78 78,78

Sivas 11,73 11,72

Tekirdağ 0,20 3,30

Tunceli 55,81 55,90

Van 70,70 70,70

3.Bildungsstand

Tabelle8:BildungsstandinderTürkeiundimSüdosten1990

Geschlecht Westen Süden Zentral Norden Osten

BevölkerungmitmindestensGrundschulabschluss(%)

Männer 97,1 95,2 97,6 96,7 87,0

Frauen 94,8 89,4 94,8 93,0 66,4

mitmindestensGymnasialabschluss(%):

Männer 28,2 24,9 34,1 29,0 23,6

Frauen 23,9 17,4 20,9 14,9 10,6

mitmindestensUniversitätsabschluss(%):

Männer 7,8 5,9 8,5 5,9 6,7

Frauen 5,3 3,2 4,6 2,3 1,8

ZahlenfürdieTürkeiinsgesamt:

mitmind.Grundschulabschluss Männer 94,9%

Frauen 87,7%mitmind.Gymnasialabschluss Männer 28,2%

Frauen 18,9%

mitmind.Universitätsabschluss Männer 7,3%

Frauen 3,9%

Quelle:DİE:TürkiyeNüfusu,1923–1994,Ankara1995,S.78–79,Tabellen9–7Abis7D.

DieStudievonTESEVimJahr2006zeigt,dass95,5%dertürkischenBevölkerungdie8-jährigeGrundschuleabgeschlossenhatten.DieentsprechendenRatenbeliefensichauf93,2%fürdieSüdost-Türkeiund85,6%fürdieOst-Türkei.Nur85,5%derMädcheninderSüdost-TürkeibesuchtendieGrundschule(TESEV2006,S.107,Tabelle4.5).DieRatenfürdenMittelschul-besuch/abschlussdesselbenJahresbetrugen66,5%fürdieTürkeiinsgesamt,fürdieSüdost-Türkei42,7%unddieOst-Türkei45,1%.MädchenimSüdostenundOstenderTürkeihattenmit28,8%und31,3%dieniedrigstenMittelschulabschlussratenüberhaupt(TESEV2006,S.112,Tabelle4.6).

4.GesundheitsversorgunginderTürkei

Tabelle9:ZahlderPatientenproArzt(A)undKrankenbettenpro10.000Personen(B)nachRegionenderTürkei(2002)

A B

Türkei 4708 23,30

Mittelmeer-Region 3595 19,20

ÄgäischeRegion 3565 23,50

Zentralanatolien 3985 26,60

Schwarzmeer-Region 3747 26,40

Marmara-Region 7651 27,50

Ost-Anatolien 5223 18,00

Südost-Anatolien 7304 10,90

Quelle:TESEV2006,S.119,Tabelle4.10.DieZahlderÄrztebeziehtsichnuraufdiejenigen,dieinstaatlichenPoliklinikenundGesundheitszentrenarbeiten.

Glossar

Aga(urspr.mongol.):ImOsmanischenReichmilitärischerRang;hier:Stammesführer,(Groß-)Grundbesitzer.

AKP:AdaletveKalkınmaPartisi(ParteifürGerechtigkeitundEntwicklung),gegr.2001.EntstandenausderFaziletPartisi.DerVorsitzendederAKP,RecepTayyipErdoğan,istseit2003türkischerMinisterpräsident.

Aleviten(auch:Alevi):«AnhängerundVerehrerAlis»,inosmanisch-safawidischerZeitauchalsQızılbaschbezeichnet;ReligionsgemeinschaftinderTürkei,diesichvondenLehrenderZwölfer-SchiasehrweitentfernthatundvieleunterSunnitenundSchiitenverbindlicheVorschriftennichtanerkennt.

AP:AdaletPartisi(Gerechtigkeitspartei),gegr.1961,verbotennachdemMilitärputschvom12.9.1980.

Aschiret(türk.aşiret,kurd.eşiret):Stamm.Assyrer:V.a.imGrenzgebietzwischenderTürkeiundIransiedelndeNestorianer,derenLiturgiespracheAramäisch(Altsyrisch)ist.

Azadi(kurd.«Freiheit»):Ca.1923gegründete,nationalistischausgerichteteGeheimorganisationkurdischerOffiziereundStammesführermitvagenVorstellungenüberdieGründungeineseigenenStaates.

Azeri(dassindAserbaidschanisch-Sprecher):SchiitentürkischerZungeimKaukasus-Gebiet,besondersinderRepublikAserbaidschanundinNordwest-Iran;ihreSprachestehtdeminderTürkeigesprochenenTürkischnahe.

Baath(arab.«Sendung»,«Wiedererweckung»):Parteimit«sozialistischer»undpanarabischerProgrammatikundzeitweiseverfeindetenFlügelninSyrienundimIrak.

BDP:BarışveDemokrasiPartisi,prokurdische«Friedens-undDemokratiepartei»inderTürkei.Bey(türk.,auch:Beg):MilitärischerAnführer,Stammesführer,hoherVerwaltungsbeamter(z.B.inderVerbindungbeylerbeyi,d.i.StatthaltereinerGroßprovinz),entsprichtungefährdemBegriffEmir.

Chaldäer:Seitdem16.JahrhundertzumKatholizismusübergetreteneNestorianer,dieeinesemitischeSprache(Aramäisch)sprechenundinjüngererZeitihreHeimatimSüdostenderTürkeiverlassenhaben.

Chan(türk.):Fürst,Herrscher.Choibun(kurd.«Unabhängigkeit»):1927gegründetekurdischenationalistischeAllianz,OrganisatorindesArarat-AufstandesimJahr1930undzahl-reicherBemühungenumkurdischeSpracheundLiteratur.

CHP:CumhuriyetHalkPartisi,RepublikanischeVolkspartei(seit1935unterdiesemNamen),gegr.1923alsHalkFırkasıbzw.CumhuriyetHalkFırkası,aufgelöst1980,neugegründet1992.

Chutba(arab.):Freitagspredigt.DDKO:DevrimciDoğuKültürOcakları,RevolutionäreOst-Kulturklubs.DEP:DemokrasiPartisi(Demokratie-Partei);kurzlebigeprokurdischePartei(1993–94)inderTürkei.

Dhimmi(arab.):«Schutzbefohlener»(derStatusdesSchutzbefohlenenheißtdhimma),nicht-muslimischerUntertaninislamischenStaaten,dersichzueinerdervomIslamanerkannten

Offenbarungsreligionenbekennt(ahlal-kitab,arab.«Schriftbesitzer»).DP:DemokratParti(DemokratischePartei),gegr.1946,nachdemStaatsstreichderMilitärsvom27.5.1960verboten.DPK:DemokratischeParteiKurdistansimIrak,gegr.1946.VorsitzenderseitdenfünfzigerJahrenMullaMustafaBarzani(bis1975),heute:MasudBarzani.Dschahsch(arab.«jungerEsel»):PejorativeBezeichnungfür«regierungstreue»KurdenimIrakdurchihrekurdischenGegner.Dschihad(arab.,türk.cihat):«Kampf»,«heiligerKrieg»gegenUngläubige,allgemeinjeglicheBemühungzurAusbreitungundVerteidigungdesIslams.DTP:DemokratikToplumPartisi(ParteiderdemokratischenGesellschaft),2005gegründeteprokurdischeParteiderTürkei,diemit21AbgeordnetenimParlamentvertretenwar.VerbotdurchdasVerfassungsgerichtam11.12.2009.Emir(arab.amir,«Fürst»,«Befehlshaber»,imkurdischenKontextmîr):HerrschereineskurdischenFürstentumsimOsmanischenReichundinIran.Fetva(arab.fatwa,türk.fetva):Rechtsgutachten.Fursan(arab.«Helden»,Sing.faris):IdealisierendeBezeichnungfür«regierungstreue»KurdendurchdasRegimeinBagdad.GAP:GüneyDoğuAnadoluProjesi(Südost-Anatolien-Projekt),GroßprojektzurStromerzeugungdurchWasserkraftundzurlandwirtschaftlichenNutzung.HADEP:HalkınDemokrasiPartisi(Demokratie-ParteidesVolkes),1994–2003,kurdischorientierteParteiinderTürkei.Hamidiye:Ab1890vonSultanAbdülhamideingerichtetekurdischeStammesregimenter.HDP:HalklarınDemokratikPartisi(DemokratischeParteiderVölker)inderTürkei,gingimJahr2012ausdemDemokratischenKongressderVölker,einerlinkenundprokurdischenSammlungsbewegung,hervor;beidenParlamentswahlenimNovember2015bekamsie10,8%derStimmen.HEP:HalkınEmekPartisi(1990–1993),prokurdischeArbeitsparteidesVolkesinderTürkei.Hiwa(«Hoffnung»):KurdischeParteiimIrakdervierzigerJahre.«IslamischerStaat»:sunnitisch-dschihadistischeTerrormiliz,seit2014unterdiesemNamen,Vorgängerorganisationenseit2004unteranderenNamen.Kalif(arab.):«Nachfolger»desProphetenMuhammadinseinerEigenschaftalsOberhauptderislamischenGemeinde,InhaberdesKalifats.KCK:KomaCivakenKurdistan(GemeinschaftderGesellschaftenKurdistans),2007gegründetepolitischeOrganisationderPKK,Co-VorsitzenderistCemilBayık.Kurmandschi:NordkurdischeDialektgruppe,gesprocheninderTürkei,imäußerstenWestenIransentlangderGrenzezurTürkei,inSyrienundimNord-Irak;KurmandschiwirdinLateinschriftgeschrieben.Madhhab(arab.«Weg»,Pl.madhahib):RechtsschulenimsunnitischenIslam,indenenislamischesRechtzusammengefasstwurde;manunterscheidetvierRechtsschulen,dienachprominentenJuristenbenanntwurden:derschafiitische,hanbalitische,hanafitischeundmalikitischemadhhab.Medrese:HöhereislamischeLehranstalten,andenenTheologenundJuristenausgebildetwurden;inderTürkei1924gesetzlichabgeschafft.MHP:MilliyetçiHareketPartisi(ParteiderNationalistischenBewegung),1972–1980unterdemVorsitzvonAlparslanTürkeş,1992wiedergegründet.Millet:ReligionsgemeinschaftimOsmanischenReich(v.a.Armenier,Griechen,Juden)mitSelbstverwaltungundeigenerGerichtsbarkeit.Molla(türk.,kurd.mela):IslamischerOberrichter,Rechtsgelehrter;imkurdischenKontextauchVorbeter.

MSP:MilliSelametPartisi,NationaleHeilspartei(gegr.1972)desNecmettinErbakan,nachdem12.9.1980aufgelöst.Naqschbandiya:Sufi-OrdenmitgroßemEinflussinKurdistan.Nestorianer:ChristlicheGlaubensgemeinschaftimOrientseitdem5.Jahrhundert,s.a.AssyrerundChaldäer.Newroz:NeujahrsfestimiranischenKulturbereich(21.3.),vonKurdenalsnationalerFeiertagbegangen.Nurculuk(türk.«BewegungderAnhängerdesLichtes»):OrdensähnlicheBewegungüberwiegenduntertürkischenundkurdischenMuslimenmitbeträchtlichemEinflussinpolitischenParteien,gegr.vonSaid-iNursi.Pascha(auspers.padischah):TitelimOsmanischenReichfürhohemilitärischeundzivileWürdenträger.Pasdaran(pers.Pl.«Wächter»):RevolutionsgardeninderIslamischenRepublikIran.Peschmerga(pers./kurd.«dervordemTodist»,d.h.todesmutig):KurdischerGuerillero.PJAK(PartiyaJiyanaAzadaKurdistane,«ParteifüreinfreiesLebeninKurdistan»):militantekurdischeOrganisationinIranseit2004,mitPKKverbündet.PKK:PartiyaKarkerenKurdistan(ArbeiterparteiKurdistans),VorsitzenderAbdullahÖcalan(«Apo»),inderzweitenHälftedersiebzigerJahreentstandenemarxistisch-leninistischeGuerilla-Organisation,dieseit1984denKampfgegendie«kolonialeUnterdrückung»durchdietürkischeRegierungundfüreinenkurdischenStaatführte;nachdemAppellÖcalansvomAugust1999hatdiePKKdenKampfinderTürkeifürbeendeterklärt,wasabervonihrenNachfolgeorganisationenimmerwiederrückgängiggemachtwurde.PUK:PatriotischeUnionKurdistansimIrak,gegr.1975;VorsitzenderDschalalTalabani.PYD:kurd.PartiyaYekitîyaDemokrat(ParteiderdemokratischenUnioninSyrien),PKK-nahePartei,gegründet2003,EintretenfürdemokratischeAutonomieundKonföderalismus.Qadi:Richter,dernichtnurislamischesRechtsprach,sondernauchdieFunktioneinerArtNotarwahrnahm.Qadiriya:MystischerOrdenmitbedeutenderAnhängerschaftinKurdistan.Qızılbasch(türk.«Rotköpfe»):SeitdemEndedes15.Jahrhundertsgebräuchliche,imallg.abwertendeBezeichnungfürdieAleviten.Reaya(arab./türk.«Herde»,koll.):UrsprünglichinderBedeutung:nicht-muslimischeUntertanenimOsmanischenReich,dannauchallgemein:steuerzahlendeUntertanen,d.h.ChristenundMuslime.Rizgari(kurd.«Befreiung»):KurdischeParteiimIrak.RRKI:Regional-RegierungKurdistan-Irak.Sayyid(arab.«Herr»,türk.seyit):NachkommedesProphetenMuhammad;vielfachinderBedeutung:heiligePerson.Scharia(arab.,türk.şeriat):IslamischesRecht.Scheich(arab.«alterMann»):TitelfürhohegeistlicheWürdenträger,bes.spirituelleFührervonSufi-Orden.Schia(arab.«Partei»):EinederbeidenKonfessionendesIslams,die–imGegensatzzurSunna–aufderNachfolgedesProphetenMuhammaddurchseinenSchwiegersohnAlibesteht;Schiitensindalsojene,diesichzurSchiabekennen.Sorani(mitunterZentralkurdischgenannt):KurdischeDialektgruppe,dieimIrakzwischenMosulundHalabdschaundinIranzwischenMahabadundSanandadschgesprochenwird;SoraniwirdinarabischerSchriftgeschrieben;wichtigsterDialektistdervonSulaimaniya.SHP:SosyaldemokratHalkçıPartisi(Sozialdemokratisch-populistischePartei),gegr.1985,schlosssich1995mitderCHPzusammen.Sunna(arab.«Brauch»):DiegrößerederbeidenKonfessionendesIslams;dieGläubigenrichten

sichnachderSunna,demBrauchdesPropheten.Suryani(türk.Süryani):Syrisch-orthodoxeChristen(Jakobiten),die–ursprünglichinderSüdost-Türkeibeheimatet–einesemitischeSprache(Turoyo)sprechen.

TAK:kurd.TeyrêbazênAzadiyaKurdistan(«FreiheitsfalkenKurdistans»),radikaleundmilitanteSplittergruppederPKK(gegr.2004),bekanntesichzudenSelbstmordanschlägeninAnkaraimFebruarundMärz2016.

Tariqa(arab.«Weg»,türk.tarikat):ReligiöseBruderschaft,Derwischorden.Timar(pers.):ImOsmanischenReichLehenoderPfründe,dieInhabernmilitärischerbzw.zivilerÄmteranstelleeinesSoldeszurNutznießungübertragenwurdenundv.a.dasRechtzurSteuereinziehungineinembestimmtenGebieteinschlossen.

TİP:TürkiyeİşçiPartisi(ArbeiterparteiderTürkei),gegr.1961,zwischen1971und1980mehrfachverboten.

Umma(arab.«Volk»,türk.ümmet):DieGemeinschaftderMuslime.Vali(arab./türk.):GouverneureinerProvinz(vilayet)imOsmanischenReichundinderRepublikTürkei.

Vaqf(arab.,Pl.evqaf):FrommeStiftung.Vilayet:ProvinzimOsmanischenReichundinderRepublikTürkei.YDG-H:YurtseverDevrimciGençlikHareketi,(«Patriotisch-revolutionäreJugendbewegung»)JugendorganisationvonPKK-AnhängerninderTürkei.

Yeziden(auch:Yezidi):AnhängereinerausschließlichunterKurdenverbreitetensynkretistischenReligion.

YPG:(kurd.YekîneyênParastinaGel)«Volksverteidigungseinheiten»derKurdeninSyrien,PKK-naheMiliz.

Zaza(Zazaki,Dimili):KurdischerDialekt,derwegenseinerbeträchtlichenUnterschiedezudenanderenkurdischenDialektgruppeneheralseigenständigeSprachebegriffenwerdenkann.

Zeamet(arab./türk.):EineArtGroß-timar.Zoma(kurd.):Sommerweide.

AusgewählteDatenzurkurdischenGeschichte

2.Jahrtsd.v.Chr. MutmaßlicheEinwanderungindogermanischerAriernachIran,darunterVorfahrenderKurden.

612v.Chr. DerLegendezufolgeTötungdesTyrannenSohakdurchdenSchmiedKawa(21.3.);EroberungNinivesdurchdieMeder.

5./4.Jh.v.Chr. ErwähnungdesVolkesderKarduchen,diemancheForschermitdenKurdenidentifizieren,inderAnabasisXenophons.

1.Jh.v.Chr. ErwähnungderKyrtiiinderGeographiedeslateinischschreibendenStrabon.

3.–7.Jh. SassanideninIran,ZoroastrismusStaatsreligion.

6./7.Jh. ProphetMuhammad(569–632),StifterdesIslams.

7.Jh. ExpansiondermuslimischenArabernachIran;BeginnderIslamisierungderKurden.

9./10.Jh. ErwähnungkurdischerNomaden-StämmebeiarabischenGeographen.

10./11.Jh. KurdischeLokaldynastieninAserbaidschan(Schaddadiden951–1031)undIran.

11.Jh. MarwanideninNord-MesopotamienundSüdost-Anatolien,SultanNasirad-Daula(1011–1061),InvasionennomadischerTürkenindenVorderenOrient.

12.Jh. ErstmaligeErwähnungdesBegriffes«Kurdistan»alsNameeinerProvinzdesSeldschukenreichesinIran.

TätigkeitdesSufi-ScheichsAdiibnMusafirinKurdistan,wirdspäterzumGründerdesYezidismus.

12./13.Jh. AyyubideninÄgypten,SyrienundMesopotamien.

1250–1517 MamlukeninSyrienundÄgypten.

13./14.Jh. DiemongolischeDynastiederIlchaneinIran.

um1300 GründungdesOsmanischenReiches.

15.Jh. KurdistanunterderHerrschaftderturkmenischenDynastienderAqqoyunluundQaraqoyunlu.

1514 BündnisdesosmanischenSultansSelimI.mitkurdischenFürstengegendieSafawiden,imGegenzugGewährungeinerQuasi-Autonomie.

16.–18.Jh. Safawiden-DynastieinIran.

1597 Scharafad-DinBitlisiverfasstseinScharafname.

16./17.Jh. BlütezeitkurdischerDichtung;AbfassungdesEposMamuZindurchAhmad-iChani.

18.–20.Jh. Qadscharen-DynastieinIran.

19.Jh. Reformperiode(Tanzimat,1839–1876)imOsmanischenReich;BestrebungenmitdemZiel,dieProvinzenderKontrollederHohenPforteunterzuordnen;UnterwerfungderkurdischenFürstentümer;ZunahmedesEinflussesreligiöserBruderschaftenundihrerOberhäupter.

1880–82 AufstandScheichUbaidullahsvonNehri.

1890 EinrichtungderkurdischenHamidiye-Regimenter.

1898 Gründungdererstenkurdisch-undosmanischsprachigenZeitungKürdistandurchAngehörigederBedirChan-Familie;VerbotderVerbreitungimOsmanischenReich.

1908 JungtürkischeRevolution(23.7.);SturzSultanAbdülhamids;Gründungundalsbaldiges,abernichtstriktgehandhabtesVerbotkurdischerGesellschaftenundZeitungen.

1918 «VierzehnPunkte-PlanfürdenWeltfrieden»(8.1.)desamerikanischenPräsidentenWoodrowWilson.

1918 WaffenstillstandvonMudros(30.10.):KapitulationdesOsmanischenReiches.

1918 Etablierungder«GesellschaftfürdenAufstiegKurdistans»(Dezember);1920SpaltungderGesellschaft.

1918–22 RevoltenScheichMahmudBarzindschisinSüd-Kurdistan.

1919–22 Unabhängigkeitskampfdernational-türkischenBewegungunterdem

ArmeegeneralMustafaKemal.

1919–26 AufständedesKurdenführersSimkoinNordwest-Iran.

1920 KonferenzvonSanRemo(April):BritischesMandatüberMesopotamien,französischesMandatfürSyrien.

1920 FriedensvertragvonSèvres(10.8.):Art.64stellteinenkurdischenStaatinAussicht.

1921 EndederQadscharen-HerrschaftinIran,MachtergreifungRezaChans,desspäterenRezaSchahPahlawi(ab1925).

1923 GründungderRepublikTürkei(29.10.).

1923 «KurdischeAutonomeProvinz»inderASSRAserbaidschan(bis1929).

1923 GründungeinerkurdischenGeheimorganisationnamensAzadi.

1924 AbschaffungdesKalifats;VerbotreligiöserSchulenundVereinigungensowievonDerwischordeninderTürkei(3.3.).

1924 VertragvonLausanne(24.7.):AufhebungderBestimmungenvonSèvres,HerstellungderSouveränitätderRegierunginAnkara.

1925 Scheich-Said-AufstandinderTürkei(FebruarbisApril);HinrichtungderFührer(Juni).

1926 AnschlussMosulsandenIrakaufBeschlussdesVölkerbunds(5.6.).

1927–1930 Kurden-AufständeamArarat.

1930 Anglo-irakischerVertrag(30.6.).

1932 UnabhängigkeitdesIrak(3.10.).

1932–1945 DieBrüderKamuranundCeladetBedirChangebendiekurdischeZeitschriftHawar(«RufnachHilfe»)inDamaskusheraus.

1934 «Besiedlungsgesetz»(İskanKanunu,Nr.2510)vom14.6.ermöglichtdieUmsiedlung«nicht-türkischsprachiger»türkischerStaatsbürgerinnerhalbderTürkei;ZielistdieZer

schlagungvonStammesstrukturenundderMachtvonScheichsundAgas.

1935 (Vermutlich)ersterRomaninkurdischerSprache:Schivan-ekurd(«DerkurdischeHirte»)vonErebSchemo.

1936–38 AufstandinderProvinzDersim(späterinTunceliumbenannt);

NiederschlagungistgleichbedeutendmitdemEndederkurdischenBewegunginderTürkei.

1937 VertragvonSaadabadzwischenIran,IrakundderTürkei(8.7.).

1942 Gründungderzunächstgeheimen«GesellschaftzurWiedererweckungKurdistans»(Komala-iDschiyanawa-iKurdistan)inderiranischenKleinstadtMahabad.

1945 UmwandlungderKomalainDemokratischeParteiKurdistansinIran(DPKI).

1946–47 Ausrufungder«RepublikKurdistan»inMahabad(22.1.)durchQadiMuhammad;imDezemberWiederherstellungderAutoritätderTeheranerRegierungimGebietvonMahabad;HinrichtungQadiMuhammads(März1947);FluchtMullaMustafaBarzanisindieSowjetunion.

1958 SturzderMonarchieimIrak:KonzessionenderRegierungQasimandieKurden;RückkehrBarzanisausseinemMoskauerExil.

1961ff. AufstandsbewegungenirakischerKurdenunterMustafaBarzani,unterbrochenvonkurzfristigenFriedensabkommen(1963mitGeneralArif).

1966 NiederlageirakischerTruppenundmitihnenverbündeterKurdengruppierungengegenBarzani-Kurden;AbkommenzwischenBagdadundBarzanibeinhaltetweitgehendeZugeständnisseanKurden,dieabernichtverwirklichtwerden.

1970 BagdadundBarzanivereinbareneineArtAutonomieregelungfürdieKurden,dieabernichtumgesetztwird(11.3.).

1970–71 Gründungder«RevolutionärenkulturellenZentrendesOstens»signalisiertWiedergeburtderkurdischenBewegunginderTürkei;Schließungder«Zentren»nachderMilitärinterventionvom12.3.1971.

1971 Abdor-RahmanQasemluzumGeneralsekretärderDPKIgewählt.

1974 EinseitigeVerkündungdesAutonomiegesetzesvom11.3.1970durchdieirakischeRegierung,wirdvonKurdenzurückgewiesen.

1975 AbkommenvonAlgierzwischendemSchahundSaddamHusain(März):IranverzichtetaufUnterstützungderKurdenimIrakunderhältimGegenzugKonzessioneninstrittigenGrenzfragen.

1975 GründungderPUKDschalalTalabanisinKonkurrenzzurDPKderBarzanis.

1978 GründungderPKK(PartiyeKarkerenKurdistan,«ArbeiterparteiKurdistans»)durchAbdullahÖcalan,genanntApo.

1979 SturzdesSchahswirdvonKurdenbegrüßt;AusrufungderIslamischenRepublikIran(1.4.);KonfrontationzwischenRegierungundKurden,dieAutonomieforderungenerheben.

1979–82 AuseinandersetzungenzwischenDPKundPUK.

1980–88 Iran-Irak-Krieg:BeideStaatenunterstützenzwecksDestabilisierungdieKurdenderGegenseite.

1980 MilitärputschinderTürkei(12.9.).

1983 GesetzNr.2392(19.10.):VerbotdesGebrauchsallerSprachen,«dienichtersteAmtssprachevonderTürkeianerkannterStaaten»sind,richtetsichimplizitgegendasKurdische(SicilliKavaniniBd.64,1983,S.954ff.).

1984 ErsteAktionenderPKKinSüdost-Anatolien.

1986–87 AnnäherungderDPKundPUKaufiranischeVermittlung,BildungeinerKurdistan-Front.

1988 Ca.5000Menschen,überwiegendZivilisten,sterbennachGiftgaseinsatzirakischenMilitärsinderkurdischenStadtHalabdscha(März).

1989 ErmordungdesGeneralsekretärsderDPKI,Abdor-RahmanQasemlu,inWien(Juli).

1989 ParteiausschlussvonsiebenkurdischenParlamentsabgeordnetenderSHPnachTeilnahmeaneinerKurden-KonferenzinParis(Oktober).

1990 EinmarschirakischerTruppenindenNachbarstaatKuwait(August).

1991 VertreibungderIrakerausKuwaitdurcheineinternationaleMilitärkoalitionunterFührungderUSA;ErhebungderKurdenwirdvonBagdadniedergeschlagen;FluchteinesgroßenTeilsderkurdischenBevölkerungnachIranundindieTürkei;EinrichtungeinerSchutzzonefürKurdenimNord-IrakdurchdieAlliierten(OperationProvideComfort);RückzugirakischenMilitärsausdemNord-Irak(März–April);HerausbildungeineskurdischenDe-facto-StaatesindervondenUN

eingerichtetenSicherheitszone.

1991 AufhebungdesSprachenverbotsgesetzesvon1983;türkischeStreitkräfteunternehmenAktionengegendiePKKimNord-Irak;beidentürkischenWahlenkommenKandidatenderHEPaufderListederSHPinsParlament(Oktober).

1992 FeierlichkeitenamkurdischenNeujahrstag(newroz)inSüdost-AnatolienschlageninDemonstrationenumundwerdenvomtürkischenMilitärblutigunterdrückt(März).

1992 WahleninIrakisch-Kurdistan,EinberufungeinesParlamentsundBildungeiner«KurdischenRegionalregierung»(Mai).

1993 Iran,SyrienunddieTürkeibekräftigenineinergemeinsamenErklärungihrFesthaltenanderterritorialenIntegritätdesIrak(Februar).

1993 VerkündungeineseinseitigenWaffenstillstandesdurchdiePKK(März);imAprilstirbtdertürkischeStaatspräsidentÖzal,BefürwortereinergewaltlosenLösungderKurden-frage;gerichtlichesVerbotderHEP(Juli).

1994 AufhebungderImmunitätundVerhaftungvonmehrerenAbgeordnetenderDEP(u.a.LeylaZana;März);VerurteilungzulangjährigenHaftstrafenwegenSeparatismus.

1993–96 AngriffeiranischerTruppenaufStützpunkteiranischerKurdenimNord-Irak.

1994–98 TrotzmehrererVermittlungsversuche,u.a.derUSA,immerwiedergewaltsameAuseinandersetzungenzwischenDPKundPUKimkurdischenDefacto-Staat.

1997 ZusammenschlussderDPKIundDPKI-RevolutionäreFührung.

1998–99 DrohungenderTürkeigegenüberSyrienführenzurAusweisungÖcalans,dernachmehrmonatigerOdysseedurchmehrereeuropäischeLänderinKeniavomtürkischenGeheimdienstfestgenommenundindieTürkeigebrachtwird(November–Februar).

1999 AnklagegegenÖcalanvorGerichtwegenSeparatismus;VerurteilungzumTode(Juni);AufrufÖcalansandiePKK,denKampfeinzustellen(August);BestätigungdesTodesurteilsdurchdenKassationsgerichtshof(Dezember).

2002 UmwandlungdesTodesurteilsgegenÖcalanineinelebenslangeFreiheitsstrafe(Oktober).

2003 VerbotderHADEPdurchdastürkischeVerfassungsgerichtwegenangeblicherVerbindungenzurPKK(März).

2003 Nachder«OperationIraqiFreedom»ÜbernahmederMachtdurcheinen«IraqGoverningCouncil»,demu.a.BarzaniundTalabaniangehören(Juli).

2004 UnruhenunterdenKurdenimNordostenSyriens(März).

2004 BestätigungderRRKIdurchdieprovisorischeirakischeVerfassung(März).

2004 AufkündigungdesWaffenstillstands(seit1999)durchdiePKK(Juni).

2005 Wahlenzur«ProvisorischenIrakischenNationalversammlung»und«KurdischenNationalversammlung»(Januar);Barzani«PräsidentKurdistans»(Juni).

2005 AnnahmederVerfassungIraksdurchReferendum:AutonomiefürKurdistan(Oktober).

2006 DTPruftPKKzumWaffenstillstandmitdertürkischenRegierungauf(September).

2007 AngriffvonPKK-KämpfernauftürkischeMilitärposten(Oktober).

2008 GroßangelegtetürkischeMilitäraktiongegenPKK-StützpunkteimNord-Irak(Februar).

2008 VerurteilungLeylaZanaszu10JahrenGefängniswegenPropagandafürdiePKK(Dezember).

2009 BeginnvonSendungeninkurdischerSprachedurchdenstaatlichenSatellitenkanalTRT6(Januar).

2009 VerlustederDPKundPUKbeidenParlamentswahleninIrakisch-KurdistanundErstarkenderOpposition;VerabschiedungderVerfassungfürdenautonomenkurdischenGliedstaatimIrak(Juni/Juli).

2009 VerbesserungderHaftbedingungenfürÖcalan,nachdemersichalsVermittlerzwischenDTP,PKKundderRegierungimRahmenderInitiative«KurdischeÖffnung»angebotenhatte(November).

2009 VerbotderDTPdurchdastürkischeVerfassungsgericht(Dezember),Nachfolgerinwirddiebereits2008gegründeteBDP(BarışveDemokrasiPartisi,«ParteidesFriedensundderDemokratie»);BeschlussdesMinisterratszurEröffnungmehrererHochschulinstitutefürkurdischeSprache(Dezember).

2010 BDPundAKPberatenüberdieGründungeinerWahrheits-undVersöhnungskommissionnachdemVorbildSüdafrikaszurUntersuchungungeklärterVerbrechenimKurdengebiet(Dezember).

2009–2014 StreitüberdieÖlexportezwischenRRKIundBagdad,vorläufigbeigelegtimDezember2014.

2011 RegimekritischeDemonstrationeninSyrienimKontextdes‹ArabischenFrühlings›(März).

2011 AngriffedestürkischenMilitärsaufPKK-RebellenanderGrenzezumIrak(Mai-August);EskalationsolcherKämpfe,nachdemimFebruardersechsmonatigeeinseitigeWaffenstillstandderPKKendete;BarzaniprotestiertgegendieGrenzverletzungdestürkischenMilitärs(Oktober).

2011 ParlamentswahleninderTürkei;AKPbekommtmehrals50%derStimmen;dieZahlderkurdischenParlamentariererhöhtsichvon22auf36(Juni).

2011 ErmordungdeskurdischenPolitikersMischalTammoinQamischli(Oktober).

2011 PremierministerErdoğanentschuldigtsichimNamendestürkischenStaatesfürdasMassakerandenKurdeninDersim(1937/38)(November).

2012 AngriffedertürkischenLuftwaffeaufPKK-LagerimNord-Irak(Februar,März,Juni);KämpfezwischenPKKunddemtürkischenMilitärinderTürkei.

2012 RückzugdersyrischenArmeeausdenKurdengebieten(Juli).

2012–2013 BewaffneteAuseinandersetzungenzwischenRRKIundBagdadüberdieKontrollevonKirkukundUmgebung(November–Dezember2012,Februar,Juli2013).

2013 ZehnkurdischePolitiker(sechsvonihnenehemaligeBürgermeisterinkurdischenStädten)undMitgliederderKCKwerdenfreigelassen;erstes

SignalfürFriedensverhandlungenmitderPKK(Februar).

2013 ÖcalansAufrufzumWaffenstillstandwirdinDiyarbakırvonmehrals200.000MenschenmitJubelbegrüßt(März).

2013 Gezi-Park-ProtesteinIstanbul,beidenenvieleoppositionelleGruppierungen(u.a.auchKurden)gegendieRegierungprotestieren(EndeMai–MitteJuni).

2013 Fluchtvonca.35.000kurdischenBewohnernNordost-SyriensüberdieGrenzeindenkurdischenTeildesIrak,umKämpfenzwischenkurdischenMilizenunddermital-Qaidaverbündetenal-Nusra-Frontzuentkommen(August).

2013 PKKerklärt,dasssiedenRückzugihrerKämpferausderTürkeistoppenwird,daihreForderungenbeidenFriedensverhandlungennichterfülltwürden(September).

2013 BeidenParlamentswahlenimkurdischenTeilIraks,ausdenendieDPKBarzanisalsSiegerhervorgeht,verweistdieoppositionelleParteides«Wandels»(Goran)diePUKaufPlatzdrei(September).

2013 ErstergrößererAnschlagdesISimirakischenKurdengebiet(Arbil,September).

2014 AusrufungderautonomenSelbstverwaltungRojavamitdendreiKantonenAfrin,KobaneundCizire(Januar).

2014 BeidenWahlenzumirakischenParlamentgewinnenderschiitischeBlock174,sunnitischeGruppierungen36,Kurden-Parteien69undSäkularisten32voninsgesamt328Sitzen(April).

2014 AnschlagdesISaufPUK-BüroinderProvinzDiyalamit18Toten(Juni).

2014 BesetzungderÖlfelderumKirkukdurchTruppenderRRKI(Juli).

2014 WahldeskurdischenPUK-PolitikersFuadMasumzumNachfolgerDschalalTalabanisalsPräsidentIraks(Juli).

2014 NachderEroberungMosuls(Juni)MassakerdesISanYezideninderRegionSindschar,Massenflucht;EvakuierungvonÜberlebendendurchdieYPG(August–September).

2014 RecepTayyipErdoğanerstervomVolkgewählterPräsidentderTürkei(erhält52%derStimmen)(August).

2014 VerteidigungderkurdischenStadtKobaneandersyrisch-türkischenGrenzegegendenISdurchYPG-,PKK-undandereMilizensowiePeschmerga-KämpferausdemIrak,UnterstützungdurchLuftangriffederAnti-IS-Koalition;MassenfluchtderBevölkerungindieTürkei(September–Februar2015).

2014 ProtesteinderTürkeigegendieUntätigkeitderRegierungangesichtsdesVordringensdesISundderLagederVerteidigervonKobane(Oktober–November);dieTürkeilässtirakischePeschmergaszurHilfederPYDnachKobanevorrücken(Oktober).

2014 Kurdische(Peschmerga,YPG,PKK)undyezidischeKräftevertreibenISausdemSindschar-Gebirge(Dezember–November2015).

2015 YPGerobernTallAbyad,GrenzstationzurTürkei,vomIS.

2015 ParlamentswahleninderTürkei;AKPverliertdieMehrheit;HDPbekommt12%derStimmenundwirddrittgrößtePartei(Juni).

2015 BeiSelbstmordanschlagdesISwerden34prokurdischeAktivistenimtürkischenSuruç(anderGrenzebeiKobane)getötet(Juli).

2015 TürkischeLuftwaffebeteiligtsichzumerstenMalanLuftschlägenderAnti-IS-KoalitioninSyrien(August).

2015 PKKtötet16SoldatenimSüdosten;türkischeLuftwaffebombardiertPKK-LagerimNord-Irak,BodentruppenüberschreitendieGrenzezumIrak;landesweiteProtestevonNationalistengegenundAngriffeaufHDP-BürosinderTürkei(September).

2015 Mehrals100prokurdischeTeilnehmereinerDemonstrationsterbenbeieinerdemISzugeschriebenenBombenexplosioninAnkara(Oktober).

2015 ErneutParlamentswahleninderTürkei;AKPkannwiederalleinregieren;HDPbleibtüber10%(November).

2016 SelbstmordanschlageinesTAK-Mitgliedstötet28MenscheninAnkara(Februar).

2016 37MenschensterbenbeieinemSelbstmordanschlagderPKK-

SplittergruppeTAKinAnkara(März).

Literatur

Behrendt,Günter:NationalismusinKurdistan.Vorgeschichte,EntstehungsbedingungenundersteManifestationenbis1925,Hamburg1993(SchriftendesdeutschenOrient-Instituts)

Borck,Carsten/Savelsberg,Eva/Hajo,Siamend(Hrsg.):Ethnizität,Nationalismus,ReligionundPolitikinKurdistan(Kurdologie,1),Münster1997

Bozarslan,Hamit:LaQuestionKurde:ÉtatetminoritésauMoyen-Orient,Paris1997Bruinessen,Martinvan:Agha,ScheichundStaat,PolitikundGesellschaftKurdistans,Berlin1989(EditionParabolis)

Farouk-Sluglett,Marion/Sluglett,Peter:DerIrakseit1958.VonderRevolutionzurDiktatur,Frankfurt/M.1991

Kirişçi,Kemal/Winrow,GarethM.:KürtSorunu:KökeniveGelişimi,Istanbul1997(TheKurdishQuestionandTurkey:AnExampleofaTrans-StateEthnicConflict,London1997)

Kreyenbroek,PhilipG./Sperl,Stefan(Hrsg.):TheKurds:AContemporaryOverview,London-NewYork1992

Kreyenbroek,PhilipG./Allison,Christine(Hrsg.):KurdishCultureandIdentity,AtlanticsHighlands,N.J.1996

LesKurdesetlesÉtats.PeuplesMéditerranéensNo.68–69,Paris1994McDowall,David:AModernHistoryoftheKurds,London-NewYork1996Meiselas,Susan:Kurdistan:IntheShadowofHistory,NewYork1997Özer,Ahmet:ModernleşmeveGüneydoğu,Ankara1998Olson,Robert:TheEmergenceofKurdishNationalism1880–1925,Austin1989Seufert,Günter(Hrsg.):DerAufschwungkurdischerPolitik:ZurLagederKurdeninIrak,SyrienundderTürkei.StiftungWissenschaftundPolitik,Berlin2015

Strohmeier,Martin:CrucialImagesinthePresentationofaKurdishNationalIdentity:HeroesandPatriots,TraitorsandFoes.Leiden-Boston2003(Social,EconomicandPoliticalStudiesoftheMiddleEastandAsia,86)

TESEV:DoğuveGüneydoğuAnadolu’daSosyalveEkonomikÖncelikler,Istanbul2006Yalçın-Heckmann,Lale:TribeandKinshipamongtheKurds,Frankfurt/M.1991Yalçın-Heckmann,Lale:KürtlerdeAşiretveAkrabalıkİlişkileri,Istanbul2002

Register

al-Abadi,Haidar150AbbasI.,Schah74AbbasII.,Schah75Abbasiden53,56,230Abdülhamid,Sultan14,84–87,99f.,232Abdülqadir,Sayyid90,101Abdullah,Hamza132AbuNasir(Nasirad-Daula)57f.AdaletPartisi(AP;Gerechtigkeitspartei)111,237AdaletveKalkınmaPartisi(AKP;ParteifürGerechtigkeitundEntwicklung)118–121,241f.AdiibnMusafir,Scheich44,47Aga10,72,76,82f.,104–106,108,110f.,113,122,129f.,134,151,166,196,201,207f.,212,216,221,229,231–233

Ahl-iHaqq(Kakai)32,42,46f.Ahmad-iChani34f.,38f.,41,89Ahmad,Ibrahim133–135Alawiten(Nusairier)45Aleviten,Alevismus(Alevi)45f.,86,100,104,241Algier,Paktvon(1975)137,168Ali(Kalif)42–47,65AlpArslan,Sultan58Anfal(Operation)139f.Anter,Musa37,109Aqqoyunlu60f.,65f.Araber14,37,39,45,52–55,64,72,90,97,111,122f.,126,128,134,148,165,172f.,179,190,223

–Arabisierung57,138,171,174–Historiker59f.–Sprache9,22,31–33,35f.,38,43,47f.,171,190,204Ararat-Aufstand103Ardalan,Ardalan-Fürsten67,74–76Arif,Abdas-Salam133–135Armenien22,31,36,49,52,59f.,181–184–Armenier35,37,48f.,64,72,81,83–87,91,94,97,103,119,174,182–184,212,233Aschiretmektebi(aşiretmektebi)85f.Aserbaidschan,Aserbaidschaner22,31,46,52,60f.,159,164,181–183–AserbaidschanischeVolksregierung155,158–160–«KurdischeAutonomeProvinz»inAserbaidschan181–Nord-Aserbaidschan57–SowjetischeUnionsrepublik155–Süd-Aserbaidschan64,155,158

al-Assad,Baschar175,178al-Assad,Hafiz121,178Assad-Regime121Assyrer(Asuri)26,48,146,148,156,190Atatürk(MustafaKemal)24,34,91–93,98f.,102f.,126,152f.Ayan64Ayyubiden10,58–60,67,170Azadi99f.

Baath(sozialistischeParteiimIrakundinSyrien),Baathisten133–135,172Baban(kurdischeDynastie)36f.,67,73,78,87,124,126Bab-iAli(HohePforte)64,70,78–84Bagdad22,25,53,56f.,59,77,101,122f.,125,129–131,134,136–142,145,147–151,161,163,168BaniSadr,Abol-Hasan167BarışDünyası(Zeitschrift)108BarışveDemokrasiPartisi(BDP)119Barzani,AhmadScheich131–Familie,Stamm44,160,166–Idris136,138–Masud138,148,158,166,168,173,178,238f.–MelaMustafa(Mulla,Molla)15,108,113,131–138,145–151,158–161,163,181–Ubaidullah137Barzikan(Stamm)56Barzindschi(Stamm,Familie)124,133Bazari(Bazarhändler)160al-Bazzaz,Abdar-Rahman135BedirChan,Celadet34f.,79–81,103f.–Familie35,79f.,87,126–KamuranAli35,103Beheschti,Ayatollah167Beşikçi,İsmail98,201f.Bey,beg62,69,233Beylerbeyi63,66,70,231Bitlis(Bidlis)36,66–68,70–72,82,188Bodenreform,Landreform129f.,133f.,162,166Botan(Bohtan)39,78–80,87,126Bucak,Faik110Bush,George140Buyiden,Dynastie56f.Byzanz,byzantinisch52,54f.,57f.,62

Cemal(Pascha)90Cevdet,Abdullah89Chaldäer(Keldani)48,61Charadsch72Charidschiten56Chatami,Muhammad169Choibun103,156,171

Chomeini,Ayatollah164,169Christen,Christentum42,46–48,54,64,67,71f.,78,80–82,86,93,146,148,156,172,181,184,187f.,218,231–233,235–Bauern68,72,81–Missionare80f.,84,222–Stämme79f.,231–Untertanen54f.,71,81f.Chutba67,80Cibran(Stamm)100Cibran,Halid99Çiller,Tansu116CumhuriyetHalkFırkası(HalkFırkası)(RepublikanischeVolkspartei;Volkspartei)96CumhuriyetHalkPartisi(CHP;RepublikanischeVolkspartei)105,111,237f.

Damaskus22,35,53f.,125,138,170–172,179Daschnaktsutiun(«Unionisten»;armenischeNationalistenorganisation)103Defterdar63Demirel,Süleyman113,116,141,237DemokrasiPartisi(DEP;ParteiderDemokratie)115f.DemokratPartisi(DP;DemokratischePartei)105f.,109f.DemokratikToplumPartisi(DTP;ParteiderdemokratischenGesellschaft)16,117,119DemokratischeParteiKurdistansimIrak(DPK)110,113,132–135,137f.,144,146–148,161,166,178DemokratischeParteiKurdistansinIran(DPKI)138,157f.,160–164,166,168f.DemokratischeParteiKurdistansinSyrien(DPKS)171f.Deng(Zeitschrift)33Dersim(Tunceli)20,104f.,121,191Dersim-Massaker1938.121Derwisch,Derwischorden44,47Deutsch,Deutschland9f.,28,31,34,48,140,149,155,169DevrimciDoğuKültürOcakları(DDKO;RevolutionäreOst-Kulturklubs)109f.Dhimma,dhimmi55,64Dicle-Fırat(Zeitung)33,108Diyarbakır10,13,20,22,24,32,57,60,63,71,81,96,100f.,107–109,121,187,190,195–198,200,202,223Doğu,Doğuculuk9,106,108f.,223–DoğuMitingleri109Dohak(Zohak/Sohak)27,46Dschahsch133,138–141,145Dschalal,Scheich166Dschihad54,102,125Dschizya64Dschumblatt,Kamal180–Walid180Dunbali(Stamm)67

Ecevit,Bülent109,111,237Edmonds,CecilJ.126Erbakan,Necmettin116

Erdoğan,RecepTayyip118,120f.ErebSchemo36Ethnizität,Ethnie12,15,28,61,89,97,107f.,111,162,187,201–204,212,223EvliyaÇelebi43,70Eyalet20,63,68,71

Faisal,König125f.Fatimiden,Dynastie57FaziletPartisi(FP;ParteiderTugend)116Feqi-yeTeyran34Fetva99Fırat,A.Melik110Firdausi26Frankreich13,25,34f.,37f.,80,91,103,123–125,171Fursan133,139–141,145

Germiyan-Kurden61Ghazwa52Gökalp,Ziya36Golfkrieg(1991)114,143,236Goran(Parteides«Wandels»)150Gorani32,46Griechen,Griechenland13,35,37,64,90f.,93f.,97,118,127Großbritannien,England33,80,87,91,103,122–128,130,141,151f.,157,171Güney,Yılmaz38GüneydoğuAnadoluProjesi(GAP;Südost-Anatolien-Projekt)24,186,190,193,195,197–200,203,210,212f.

Gürsel,Cemal107

HadschiQadir35Hakkari48,69f.,80,188f.,193,213,222,224f.,230,233–238Halabdscha139f.,144HalkınDemokrasiPartisi(HADEP;ParteiderDemokratiedesVolkes)115f.,119HalkınEmekPartisi(HEP;ArbeitsparteidesVolkes)114f.HalklarınDemokratikPartisi(HDP)119f.,241f.HamaRaschid159Hamidiye(Anführer,Stämme,Truppen,Regimenter)76,84–87,100,113Hasanwaih56–58,67Hawar35Hemşeri,hemşerilik216f.Hivi13,89f.Hiwa130f.,156HolouChan(Ardalan)74f.Hormek(Stamm)100Hoseini,Ezzad-DinScheich164–166Hukkam67HumanRightsWatch140Husain,Saddam114,129,136,140–144,147f.,167,175f.,236

Ibnal-Athir36IbrahimPascha85Idris-iBitlisi(MevlanaHakimad-Din)36,66,69İleriYurt(Zeitung)37,109Iltizam64Imam44,65İnönü,İsmet102InstitutKurdedeParis34Irak14–16,22–24,30f.,33f.,38,43,46–49,52,56,59f.,77,91,98,101,108,110,114,122–159,161,163,165–168,170,172–174,178f.,205,211,235,238–Nordirak16,23f.,30,45f.,110,112,139,142,147–149,156,175,230,236Iran,Persien14,16,20,22–28,31–34,38,42,44–46,49,52f.,55,58,60–62,64–68,73–77,81,83,103,112,122,125,131f.,135–142,145–170,205,211,235–Dynastien56,61f.,74–76,230–Herrschaft54,67f.,74–76,151,164f.–Iraner14,28,42,45f.,55,154,165,169–IslamischeRepublikIran138,163–167–KriegmitIrak(1980–1990)138,140,166–168–Perser,Persisch9f.,16,20,22,26,32f.,36f.,39,52,55,67–69,73–77,81,83,111,231–Sprache26,32,67Islam(Muslim)22,25,38,41–49,52–59,62,64,67,72,79,81–83,86,88,93f.,96f.,102,110,116,122f.,148,155f.,164f.,167,182–184,187f.,218,224,230–232–Islamisierung15,54f.,58–Volksislam43f.IslamischeBewegungKurdistans(imNordirak)145f.IslamischerStaat(IS)121,176,177Ismail,Aga(Simko)152–154,165f.Ismail,SchahI.61,65f.,68Ismailiten44,60Istanbul13,22,35,37,48f.,72,77,89–93,101,103,108,122,195,240İstiklalMahkemesi(Unabhängigkeitsgericht)101IttihadveTeraqqiCemiyeti90

Jîn10,35Juden,Judentum37,47,49,54,57,64,97,212Jungosmanen86Jungtürken86f.,89

Kairo,Konferenzvon125Kalif,Kalifat43,47,52–57,59,65,81,84,89f.,92f.,96,98,100,127KarimChanZand151Kawa27Kemal,Yaşar37Kemalisten93f.,96,98f.,102,127,152Kermanschah32,45f.,56,58,76,164f.Kirkuk23,25,31,122,125–127,136,141f.,144,148,150,156Kobane176,179KomaCivakenKurdistan(KCK)112,119,120,179Komala-iDschiyanawa-iKurdistan(GesellschaftzurWiedererweckungKurdistansinIran)131,

155–158Komala-ischureschgar-izahmatkaschan-iKurdistan(RevolutionäreVereinigungderWerktätigenKurdistans)166

KommunistischeParteiimIrak130,132f.KommunistischeParteiIrans168Korucu(Dorfschützer)12,113,206,238Kürdistan(Zeitung)13f.,35,87f.KürtAçılımı(KurdischeÖffnung)119Kurden–al-Akrad53,60–Akradbeyliği69–71–Aufstände11,32,53f.,56,78,81,86f.,99–105,127,131,134,138,141,161,178,180,231f.,235–237

–Autonomie14f.,30,33f.,57,69–71,73,90f.,94,99,104,108,126,128,131,136f.,142,144f.,148f.,153,155,157,160f.,163–167,178f.,228,231

–Autoren13f.,35–38,107f.–Deportationen11,101,104,106f.,125,139,144,154,173,181–DichtungundFolklore26–28,34–41,212–Exil35,78,80,84,86f.,89,99,102,108,125,127,133,161,163,233,238–Flucht99,103,114,121,127,131,137–140,142f.,145,174,182f.,225,227,236–GesellschaftfürdenAufstiegKurdistans(KürdTealiCemiyeti)90–92–GuerillakriegderKurden11,101,137–Kürdhükumetleri69–71–KurdenimErstenWeltkrieg13,90,93,103,168,172,236–KurdischeGesellschaftfürgegenseitigeHilfeundFortschritt(KürdTeavünveTeraqqiCemiyeti)90

–kurdischeNation30,40,84,89–kurdischerNationalismus,kurdischeNationalbewegung,Nationalisten13–16,20,30,35f.,38f.,59,80f.,84,86f.,89f.,92f.,98f.,102f.,108,115,126,130–133,135,144,146,161,163,171,173,175,183,186,202f.,237

–kurdischesVolk14,25,28,30,35,41,55,80,84,89,99,106f.–MigrationundWanderungen32,47,61,77,163,189–191,194–197,202,205,216,218,220,233f.,240

–Nomaden,Nomadentum24,46,53,55–58,61,71,73,77,153f.,162,172,181,187,206,210f.,213,218,222,225,227,235,240

–Publikationen32–34,87,107,163,171,174,181–Republik14–Roman35–37–Schrift9f.,31,35–38,183–Sprache9–13,16,26,28–41,43,46,48,86f.,89,96–98,103,107–111,113,126,129,136,157–159,163–165,170–172,174,181–183,189–191,203f.,241

–Sprachverbot11f.,20,32f.,38,96,107,113,174–UniversitätinSulaimaniya135–Vertreibung24,48f.,104,137f.,139f.,181f.,184,188,196f.,239–Zeitungen13,35,87f.,90,129,153,182f.Kurdistan13–16,20,22–26,30,33,36,40–45,47–49,52–55,58–62,66,68,70–83,86–92,97,105f.,108,110–112,122–129,132f.,137–139,141f.,145f.,148–159,161–167,169–171,179,187,202,206,210,218,228–232

Kurmandschi31f.,34–36,46,87,146,166,170,189,214

Laizismus,Säkularisierung45,96,98,102,111Land–Landbesitz(Großgrundbesitz)64,81,104,106,111,129f.,132f.,154–157,160,162f.,166f.,201f.,205–209,216,224,229

–Landlose,Landlosigkeit196,202,205,207–Pachtarten207f.Latif,Scheich133Lausanne,Vertragvon37,94,96–98,127Layard,Austen81f.

Madhhab9,43Mahabad(Saudschbulak)14,31,131f.,155–161,164f.,181Mahmud,Scheich124–127,132f.,154MahmudII.,Sultan78,84Mal211f.,214,218f.,221Malakta’us47Maliki(al-Maliki),Nuri150MamuZin38–41,87,89Mamluken59f.,122MarShimun231Maraba,marabacılık208Marwaniden57f.Masum,Fuad150Mazdaismus42Meder26f.Medrese97,110f.MehmedVI.Vahdettin,Sultan91Mela-yeDscheziri34Menderes,Adnan106MidhatPascha122MilitärputschimIrak130,132–134MilitärputschinderTürkei–(1960)106–(1971)110f.–(1980)33,112,174,234,238Millet64,93,97MilliSelametPartisi(MSP;NationaleHeilspartei)111MilliyetçiHareketPartisi(MHP;ParteiderNationalistischenBewegung)112,120f.Minderheiten15,34,37,78,84,86,90,97,113f.,119,126,141,164f.,169–172,175,181–183,212,231f.

–Minderheitenrechte37,94,97,120,148,150,157,182Mîr(Emir,Emirat)39–41,62,66f.,70–73,77–83,87,124,126,218,230–232Misak-imilli(NationalpaktderTürkei)124Missionare,Missionsstationen78,80f.,84,222Moltke,Helmuthvon79f.Mongolen,Mongolisierung58,60–62,65,69,230Mossadeq,Muhammad160Mosul10,22,27,31,45,47,57,59f.,68,81,122f.,125–127,131,135,141,150,156–Mosul-Abkommen127,135

–Mosul-Frage125–127Mufti72f.MuhammadAli78f.MuhammadPascha(Mîr-ikora)77MuhammadRezaSchahPahlawi152f.,155Muhammad,AgaSchah151Muhammad,Qadi157–159Mukri-Kurden61Munschi,Iskandar74f.Muqataa62MuradIII.,Sultan67,74Murid44,111Murschid44Muslimbrüder173Muslim,Salih121Mustafa,Madschid131Mykonos-Prozess169

NadirSchah151Naqschbandi,Naqschbandiya10,44,82f.,99,111,152,232Nasseristen133f.Nestorianer(Nasturi)48,54,79–81,212,224f.,231,233,235f.Neo-Osmanismus121Newroz39,135Noel,E.M.123f.Nubar,PaschaBogos92Nurculuk-Bewegung(Orden)111Nuri,İhsan99,103

Ocaklık(yurtluk)67,69f.,74Öcalan,Abdullah(Apo)30,97,112,114–116,118f.,175,179,240f.Ölvorkommen15,25,125,136,155f.Özal,Turgut113f.,116,141f.,199Özer,Ahmet203Ogusen62Okyar,Fethi102Osmanen14–16,20,35f.,43,46,61–90,92,99,122,125,170,181,187–Kriege62,64f.,68,78f.,83–OsmanischeHerrschaft35f.,61–77,79–82,122,170–OsmanischesReichimErstenWeltkrieg49,90,168,236–Reformen14,78–81,231f.–Reich14,20,35,61–87,90–93,110f.,122,152,181,187,231f.–Verwaltung63f.,68–71,78–81,231

ParlamentswahleninderTürkei2015.120,241,242Parsismus42PartiyaJiyanaAzadaKurdistane(PJAK,ParteifüreinfreiesLebeninKurdistan,Iran)169PartiyeKarkerenKurdistan(PKK;ArbeiterparteiKurdistans)15,30,97,112–120,147–150,169,174f.,178f.,184,195,202,205,211,234,238–240

–Guerilla11,30,101,112,118,175,234f.,240PartiyaYekitiyaDemokrat(PYD)121,178f.Pasdaran(Revolutionsgarden)164f.,167f.PatriotischeUnionKurdistansimIrak(PUK)113,138f.,144,146–148,150,168,175Peschmerga133,137,145Pirinççizade,Feyzi96,98

Qadi63,72Qadiri,Qadiriya44,82,111,124f.,232Qadscharen(Dynastie)76,151f.Qanunname63Qaraqoyunlu60f.Qasemlu,Abdor-Rahman161,163,167–169Qasim,Abdal-Karim129,132–134,161Qasr-iSchirin,Vertragvon77Qazwini,HamdallahMustaufi22,58Qızılbasch45,65f.,68

Rafsandschani,AliAkbar169Reaya230f.RefahPartisi(RP;Wohlfahrtspartei)116Regional-RegierungKurdistan-Irak(RRKI)25,149f.,178RezaChan(RezaSchahPahlawi)136–138,155,161,163,166,168Rıza,Seyyid104Rizegi,Ruzegi(Stamm)66–68Rizgari130Roboski121Rohani,Hassan169RomanosDiogenesIV.,byzantinischerKaiser58Rojava121,179Rückert,Friedrich27Ruj-iKürd35Russland77–80,121,151,171,179,181f.–KurdenimMoskauerExil108,133,161–Oktober-Revolution(1917)181

Saadabad,Vertragvon136,155Safawiden61f.,64–68,70,73f.,151Safehaven(UN-SchutzzonefürKurdenimIrak)142,144f.,147Said-iNursi111Said,Scheich(ausPalu)44,86,99–102,104,110,127Saladin(Salahad-Din)37,59,89Sanandadsch(Senne)20,31f.,74,76,164–166Sandschaq(beyi)63,69–72Sandschar,Sultan58Sassaniden26,42,52,54f.,67Schabak45Schaddadiden57Schafiiten,schafiitisch43,73

Schahname26f.Schamanismus55Scharafad-DinChan(Bitlisi)27f.,36,66–68,75Scharafkindi,Sadiq169Scharafname22,36,66f.,74f.,231Scharia64,102,233ScharifenvonMekka125Scheich10,36,44,46f.,64f.,72,82–84,86,90,93,98f.,101f.,104–107,110f.,122,124–127,131–133,152–154,160,164,166,196,201,216,229,231–233

–Scheichül-Islam72SchemseddinSami25ScherifPascha92Schia(Schiiten)42,44–47,56f.,60,65,74,122f.,126,141f.,150,164f.,167–Schiitisierung65,74Schikak(Stamm)152f.Sekban,MehmedŞükrü98f.Seldschuken20,58,62Selim,SultanI.(Yavuz)66,68f.Sèvres,Vertragvon91–94Sipahi63,72Soane,E.B.123–126Soran77–Sorani31–35,126,129,146,159,166SosyaldemokratHalkçıParti(SHP)114Sowjets,Sowjetunion22,31,35,108,132,136,155–159,162,165,168,181–183Stalin-Ära181,183Stamm14,24,53,56f.,60,62,66–68,71–73,75f.,80,82–86,90,100f.,122–125,127,129–132,134,146,150,152–154,156,159f.,162,166,172,186,188f.,204,207,210,212,218–238,240

–aşiretçilik(Tribalismus)65,76,86,103,122,138,153,163,220f.,225,233–eşiret/aşiret219,221–223–lineage218f.,223f.,227f.–nomadischeStämme24,53,56,154,162,214,218,222,225–ocax/qabile(Klan)83,153,219–223,227,238–Stammesführer16,53,57,71,73,76,79,81f.,93,98f.,101,104,106f.,111,124–126,131f.,139,153–160,166,221,226–232,238

–Stammeskonföderationen60,71,219,222,230f.,233–Stammesorganisation56,186,218–233–Stammesstrukturen15f.,76,82f.,101,150,154,162,186,204,210,218–233,240–Stammesverbände55,71,101,219f.Süleyman,Sultan(Kanuni)63,66,70Sufi-Orden,Sufismus43f.,47,64,111Sulaimaniya31,36,73,78,82,124,126f.,131,135,148Sunna10,42–45Suryani(Süryani)(Jakobiten)48Sykes-Picot-Abkommen123,171Syrien14,22,24,31,34f.,45,47f.,52,58–60,63,71,79,91,98,112,118,121,124,133,147,149–151,170–180,211

Taha,ScheichausNehri(Schamdinan)152f.TahirChan166Tahmasp,Schah67,73Tahrir63Takrir-isükunkanunu(Gesetzzur„AufrechthaltungvonRuheundOrdnung“)102Talabani(Familie,Stamm)44,125Talabani,Dschalal113,134f.,138,145–148,150,175Talabani,ScheichRiza36TeyrebazenAzadiyaKurdistan(TAK)120Timar62–64,70,72Timur60Tudeh-Partei155,160–162,168Türken11–15,28,39,45,55,57–62,64,81,86,89–91,93,96,98f.,104,107,111,115,124f.,127,190f.,201,231,237

–al-Atrak60–Dynastien20,57,60f.,151–Herrschaft62,127–Nationalbewegung,Nationalismus,Nationalisten36,93f.,96f.,105,107,116,118–120,123,126,152,233

–PolitikderAssimilation(temdin)98,104,110,182–Republik35,78,96–121,127f.,139–142,147–150,152–157,171–175,179,183f.,186–205,212,216f.,225,233,235f.,240–242

–TürkischeGroßeNationalversammlung93,96–türkischstämmig20,25,46,60f.,182–Türkisierung58,60f.,90,96,98TürkiyeİşçiPartisi(TİP;TürkischeArbeiterpartei)108–111,201TürkiyeKürdistanDemokratPartisi(TKDP;DemokratischeParteiTürkisch-Kurdistans)110Turkmenen60,62,64f.,122,148,154,165,190

Ubaidullah,Scheich(ausNehri)44,83f.,90,137Umayyaden47,52–54Umma81USA114,121,123,136,138,140f.,148,151,160,162,178f.UzunHasan(Aqqoyunlu)65f.Uzun,Mehmet37

Vali72,82Vaqf,vaqif,evqaf(vakıf)62Velayat-ifaqih(HerrschaftdesanerkanntenRechtsgelehrten)164Viehzucht,Viehwirtschaft23f.,60,68,76,154,172,202,205f.,210f.,214,235,240Volkszählung(Zensus)31,173,180,191,193–195,205,241

WeißeRevolution162f.Weltkrieg,Erster13,49,90,93,103,123,151,168,172,236Wilson-Prinzipien90,92

Yarıcılık,yarıcı205,208Yazid,Yezidi,Yeziden10,42,44,46–48,122,150,170,178f.,181,183f.YekîneyênParastinaGel(YPG,«Volksverteidigungseinheiten»derKurdeninSyrien)179

YurtseverDevrimciGençlikHareketi(YDG-H)120

Zana,Leyla115,119Zaza32,45f.,100,189,204–Zazaki(Dimili)32Zaza,Nurad-Din38,172Zeamet70Zoma(Sommerweide)23,60,210,213,218,220,224f.,227,235Zoroastrismus42,47,54f.Zwölfer-Schia44f.,65

Mit8 Abbildungenund5 Karten

1. Auflage.20002.,durchgeseheneAuflage.2003

3.,überarbeiteteundaktualisierteAuflage.2010

4.,neubearbeiteteAuflage.2016©VerlagC.H.BeckoHG,München2000

Umschlagbild:MeetingofelderlyKurdishmen,Alqosh,NinevehProvince,Iraq©mauritiusimages/imageBROKER/MichaelRunkel

Umschlagentwurf:KonstanzeBerner,MünchenISBNBuch9783406690921ISBNeBook9783406690938

DiegedruckteAusgabediesesTitelserhaltenSieimBuchhandelsowieversandkostenfreiaufunsererWebsitewww.chbeck.de.

DortfindenSieauchunsergesamtesProgrammundvieleweitereInformationen.