Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts im unteren Donauraum (Rumänien, Bulgarien, Ukraine) in...

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Il im Donauraum Band1 Beiträge zum Internationalen Wissenschaftskongress 9. -13 . April 2013 in Passau und Linz herausgegeben von Karl Möseneder, Michael Thimann, Adolf Hofstetter Redaktion: Ludger Drost MICHAEL IMHOF VERLAG

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Il

im Donauraum Band1

Beiträge zum Internationalen Wissenschaftskongress

9. -13. April 2013 in Passau und Linz

herausgegeben von Karl Möseneder, Michael Thimann, Adolf Hofstetter

Redaktion: Ludger Drost

MICHAEL IMHOF VERLAG

Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts im unteren Donauraum (Rumänien, Bulgarien, Ukraine) in Zusammenhang mit dem Phänomen Barock

Maximilian Hartmuth

M ein Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage,

inwiefern die künstlerische Produktion ent­

lang der unteren Donau im 17. und 18. Jahr­

hundert mit jener West- und Mitteleuropas im Barockzeitalter

sinnvoll in Verbindung gebracht werden kann. Das soll anhand

von Baudenkmälern erläutert werden, die sich in den drei öst­

lichen Anrainerstaaten der Donau befinden - in Bulgarien,

Rumänien und der Ukraine. Im ersten Teil möchte ich die Strukturen künstlerischer Pro­

duktion in diesem Gebiet besprechen, vor allem um dabei her­

vorzuheben, wie sehr sich die unterschiedlichen Machtver­

hältnisse am Nord- und Südufer auf das Kunstschaffen aus­

wirkten. Darauf lasse ich zwei Fallstudien von Baudenkmälern

folgen, einer Klosterkirche im Donaufürstentum Moldau und

einer Moschee im osmanischen Nordbulgarien. (Ich darf vor­

wegnehmen, dass beide Charakteristika aufweisen, die ihre

Erwähnung im Kontext eines Diskurses über das Phänomen

Barock im Donauraum sinnvoll erscheinen lassen.) Zwischen

beide Fallstudien wird sich ein Exkurs nach Galizien schieben,

der mit Vermutungen über Ursprung und Ausbreitung der

maßgeblich vom Barock beeinflussten orthodoxen Ikonostase

am spätosmanischen Balkan schließt. Abschließend will ich

versuchen, das Erfasste in einen Zusammenhang mit dem Kon­

gressthema zu bringen und eine vorläufige Antwort auf die

eingangs erwähnte Forschungsfrage zu geben.

Strukturen künstlerischer Produktion beidseits der Unteren Donau

Anders als die Obere Donau markierte die Untere Donau tra­

ditionell eine Grenze. Das hat gewiss auch damit zu tun, dass

der Unterlauf eine Breite von bis zu 2000m erlangt, mehr als

das Fünffache des Höchstwerts am Oberlauf, was es für politi­

sche Machthaber schwieriger gemacht haben dürfte, beide Sei­

ten in einem Herrschaftsbereich zu integrieren. Auch den Os­

manen gelang das nicht, oder zumindest nur bedingt: In der

Frühen Neuzeit kennzeichnete die Donau die Grenze zwischen

Gebieten im Süden, Donaubulgarien geheißen, die unter der

unmittelbaren Herrschaft des Sultans standen, und Gebieten

im Norden, den sogenannten Donaufürstentümern, die von

christlichen Herrschern geführt wurden, die dem Sultan un­

tertänig waren. Während die donaubulgarischen Gebiete von

muslimischen Statthaltern verwaltet wurden, gingen die stets

christlichen Fürsten der Walachei und der Moldau aus einer

Entscheidung der heimischen Bojaren hervor, die allerdings

vom Sultan bestätigt werden musste. Ab 1711 setzte er sie

selbst ein; als Qualifikation genügte eine finanzielle Zuwen­

dung. Das unterschiedliche Herrschaftssystem auf beiden Ufern der

unteren Donau hatte einen enormen Einfluss auf die Strukturen

künstlerischer Produktion in diesen Gebieten, auf Bauaufgaben

und Mechanismen der Kunstpatronage. Da es in den beiden

osmanischen Vasallenstaaten am linken Donauufer nicht zu

einer erwähnenswerten Ansiedlung von Muslimen oder er­

wähnenswerten Glaubensübertritten kam, bedurfte es dort kei­

ner monumentalen islamischen Infrastruktur. Es kam aber

auch nicht zu jenen Einschränkungen, die die christliche Ar­

chitektur im osmanischen Kernraum am rechten Donauufer

zu einer ausgesprochenen Provinzialität verurteilten. Kirchen­

neubauten waren dort nämlich generell nicht gestattet, Kup­

pelbau und Glockenturm sogar Tabu. In den Donaufürstentü­

mern hingegen war der Weiterbestand einer monumentalen

christlichen Baukunst gesichert. Die Donaufürsten investierten ihr Geld mitunter auch in opulente Residenzen. In Donaubul-

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MAXIMILIAN HARTMUTH

garien hingegen waren die muslimischen Statthalter, die Beys

und Paschas, die hauptsächlichen Stifter. Sie bauten natürlich

weder Kirchen noch stattliche Residenzen, denn ihr Mandat

konnte sehr kurz sein, sondern Moscheen und Bethäuser, Schu­

len, Bäder, Derwischklausen usw. Der Sultan selbst investierte

vielfach in Wehrbauten; den Donaufürsten hingegen war der

Festungs bau untersagt. Arg vereinfacht, könnte man also sagen,

dass die hauptsächlichen (monumentalen) Bauaufgaben im

Norden Kirchen und Residenzen, im Süden aber Festungen

und Moscheen samt Nebenbauten waren.

Wege des Barocks ins Osteuropäische Tiefland

Das erste Baudenkmal, das ich hier besprechen möchte, befin­

det sich in der Stadt Ia~i (Jassy, Jaszvasar, Yash, Ya~), dem eins­

tigen Zentrum des Donaufürstentums Moldau, im heutigen

1. Ia?i, Katholikon des Golia-Klosters, 1660

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Rumänien. Die ursprünglich in Suceava (Suczawa, Szucsava)

am Fuße der Karpaten gelegene moldauische Fürstenresidenz

war nach einem folgenschweren Bojarenaufstand im Jahre 1563

nach Ia~i verlegt worden, das sich wohl ob seiner Lage an einer

an Bedeutung gestiegenen Kreuzung wichtiger Handelswege

anbot. Die alte Via Tartarica, die die Krim über Podolien und

Galizien mit Mitteleuropa verband, war von den berittenen

Steppenbewohnern so beeinträchtigt, dass der Handel zuneh­

mend auf eine Route überging, die von Konstantinopel (Istan­

bul) und Edirne (Odrin, Adrianoupolis) über Galati und Ia~i

nach Lemberg (Lwiw, Lwow, Lw6w, Lemberik, Lvov, Ilyv6,)

führte. Auch die von Polen-Litauen euphemistisch „Geschenke"

genannten Tributzahlungen an die Osmanen wechselten ab

1621 offiziell in Ia~i die Besitzer.1 So entstand ein neuer politi­

scher, wirtschaftlicher und kultureller Mittelpunkt, dessen Zen­

tralität durch zahlreiche Stiftungen durch die jeweiligen Lan­

desfürsten bestätigt wurde.

Eines der bemerkenswertesten Baudenkmäler von Ia~i ist die

Klosterkirche des Golia-Klosters (Abb. 1). Sie wurde im 6. Jahr-

DIE KUNST DES 17. UND 18. JAHRHUNDERTS IM UNTEREN DONAURAUM IN ZUSAMMENHANG MIT DEM PHÄNOMEN BAROCK

zehnt des 17. Jahrhunderts durch den damaligen Fürsten der

Moldau, den albanischstämmigen Vasile Lupu, erbaut. Der

Aufbau der Kirche, auf eine axiale Abfolge von ~äumen basie­

rend, ist der lokalen Tradition verpflichtet. Neu ist die Gliede­

rung der Fassaden mit Pilastern, korinthischen Kapitellen,

Fenstergiebeln und Kraggesims, die eine Orientierung an west­

lichen Trends verrät. Ohne dass dies schriftliche Quellen bele­

gen, muss man angesichts dieser Neuerungen wohl von der

Beteiligung landesfremder Steinmetze ausgehen. Es spricht viel

dafür, dass es sich dabei um Italiener oder von Italienern im

benachbarten Polen Ausgebildete handelte. Waren es vielleicht

die Künstler, die im vorangehenden Jahrzehnt am Bau der Kar­

meliterkirche in Lemberg arbeiteten, der anlässlich des Kosa­

kenaufstands im Jahre 1648 aber unterbrochen werden musste?

Suchten und fanden die plötzlich arbeitslos Gewordenen eine

neue Aufgabe in der nahen Moldau, wo sich Vasile Lupu bereits

als aktiver Stifter hervorgetan hatte? Für das nahe Siebenbür­

gen, das ebenfalls ein Tor zum Barock hätte sein können, wären

derartige Formen jedenfalls zu früh, denn dort hemmte der

weitverbreitete Protestantismus den Vormarsch des Barock.

Das Südportal des Exonarthex von Golia dürfte wohl bereits

nach dem Abzug der Fremden geschaffen worden sein, denn

hier mischen sich barocke und bodenständige Elemente.2

Den Landesfürsten Vasile Lupu als Wegbereiter des Barock

oder einer westlichen Visualkultur zu verstehen, wäre allerdings

eine unzulässige Vereinfachung. Die ebenfalls durch ihn er­

baute Klosterkirche der Drei Hierarchen (1639 gewidmet)

mischt östliche Beiträge so gekonnt, dass eine eindeutige Zu­

schreibung unmöglich wird. 3 Sein Fürstenpalast, ebenfalls in

Ia~i , wies mit osmanischen Fliesen geschmückte Räume auf,4

wie Lupu sie wohl aus Istanbul kannte. Es wäre demnach wohl

passender zu sagen, dass sich in Ia~i, wie übrigens auch in Bu­

karest, einfach viele Wege kreuzten.

Die Moldau: Galizien als Katalysator?

Um den diese Tagung betreffenden Teil der in Ia~i stattfinden­

den Synthese zu verstehen, möchte ich den Blick auf ein 400

Kilometer nordwestlich gelegenes Baudenkmal lenken: die or­

thodoxe Kirche Mariä-Entschlafens (Abb. 2) im damals polni­

schen Lemberg in der heutigen Ukraine. Das aktuelle Bau­

ensemble setzt sich aus drei zu unterschiedlichen Zeiten er­

bauten Teilen zusammen. Versimpelnd könnte man sagen, dass

der Turm aus den 1570ern, die Kapelle aus den 1580ern und

die Kirche aus den l 590ern datiert, wobei die Einweihung der

letzteren erst 1630 stattfand. Der barocke Helm auf dem Turm

kam erst am Ende des 17. Jahrhunderts hinzu.5

Den Aufbau der Kirche könnte man als eine Italianisierung

des traditionellen ostkarpatischen Dreikuppelbaus bezeichnen,

2. Lemberg, Kirche Mariä-Entschlafens samt Kapelle und Korniakt­Turm, nach 1571, Zeichnung von Friedrich Ohmann

3. Lemberg, Kirche Mariä-Entschlafens samt Kapelle und Korniakt­Turm, Längsschnitt und Grundriss

den die Literatur bald moldauisch, bald ukrainisch nennt (Abb. 3).

Diesen Grundrisstypus kann man im Raum Lemberg noch gut

bei Holzkirchen nachvollziehen.6 Er dürfte bereits die Vorgän­

gerkirche ausgezeichnet haben, welche in den 1550er Jahren

unter der Leitung des Tessiner Baumeisters „Petrus Italus" im

Auftrag des moldauischen Fürsten Alexandru Läpu~neanu er­

richtet worden war. Sein Interesse an einer Stiftung in Lemberg

mag die damals engen politischen und wirtschaftlichen Bezie­

hungen zwischen den beiden Ländern widerspiegeln, außer­

dem die Präsenz einer zahlreichen orthodoxen Gemeinde in

der polnischen Handelsmetropole im Osten. Diese Kirche fiel

1571 einer Feuersbrunst zum Opfer. Danach begann der Wie­

deraufbau bzw. die Erweiterung um einen Turm und eine Ka­

pelle. Der Turm wurde von dem aus Kreta gebürtigen Lember­

ger Kaufmann Könstantinos Korniaktos errichtet, der dafür

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MAXIMILIAN HARTMUTH

den Baumeister Pietro da Barbona aus Padua verpflichtete.

Auch die Kirche wurde ab 1591 durch einen italienischen Bau­

meister erneuert: In den Schriftquellen Paolo Romano genannt,

orientierte er sich an der Struktur des Vorgängerbaus, oder

wurde von seinem Auftraggeber dazu angehalten.

Im Zusammenhang mit unserem Thema zeigt die Lemberger

Entschlafungskirche das Fortschreiten italianisierender For­

men in Richtung Donauunterlauf und in die Domäne nicht­

katholischer Sakralkunst an. Diese Auseinandersetzung er­

möglichte nachfolgende Werke wie die Golia-Klosterkirche.

Der (Proto-)Barock erreichte das Donaufürstentum Moldau

also nicht aus dem Westen, sondern aus dem Norden, aus

dem damaligen Polen. Die nachgewiesene Aktivität des in Si­

biu (Herrmannstadt, Nagyszeben) ansässigen, wohl aus Ober­

ungarn stammenden Grabsteinplastikers Elias Nicolai, der in

der Walachei für orthodoxe Auftraggeber arbeitete,7 zeigt,

dass auch Siebenbürgen grundsätzlich ein Tor zur Kunst des

Westens sein konnte; die Nord-Süd-Achse dürfte aber bedeu­

tender gewesen sein. Das scheint auch die Entwicklung der

Ikonostase zu einem Höhepunkt der Kunst im orthodoxen

4. Rohatyn, Ikonostase der Heilig-Geist-Kirche, 1650, Zeichnung von Karl Ritter von Sieg/

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Kircheninterieur zu verdeutlichen. Sie ersetzte das noch im

Mittelalter gebräuchliche templon aus Stein oder Marmor, das

Kirchenschiff und Altarraum trennte, durch eine mit Ikonen

besetzte Holzwand.

Die Ikonostase im Spannungsfeld zwi­schen Assimilation und Emanzipation

Eine der ältesten erhaltenen Ikonostasen, die noch dazu bereits

sehr deutlich einen manieristisch-barocken Einschlag aufweist,

bezeugt etwa durch Halb- bzw. Dreiviertelsäulen, Volutenkon­

solen und Kartuschen, findet sich in der sonst wenig ansehn­

lichen Holzkirche in Rohatyn bei Lemberg. Die 1650 vollendete

Ikonostase (Abb. 4) wurde von einer in Lemberg gegründeten

bratstvo (d. h. Laienbruderschaft) in Auftrag gegeben, die auch

den Aus- und Wiederaufbau der erwähnten Entschlafungskir­

che initiiert hatte. Diese orthodoxe confraternitas war ein trans­

ethnischer Zusammenschluss einflussreicher orthodoxer Kauf­

leute, die den Fortbestand ihrer Glaubensgemeinschaft und

den Wohlstand ihrer Glaubensbrüder im Lemberg der Gegen­

reformation zum Ziel hatte. Auch sie erstrebte eine Reformati­

on, die durch eine Steigerung des Bildungsniveaus erreicht

werden sollte. Innovationen wie die Druckerpresse fanden

rasch Akzeptanz. In den von der Laienbruderschaft finanzier­

ten Schulen wurden die klassischen Fächer Grammatik, Rhe­

torik, Poetik und Philosophie unterrichtet. Die Beziehungen

zum Patriarchen in Konstantinopel waren oft enger als die

zum heimischen Klerus, dessen Unaufgeklärtheit zuweilen als

unwirksames Mittel gegen den nach der Kirchenunion von

1596 gestiegenen Assimilationsdruck gesehen wurde.8

Trotz der Offenheit der Bruderschaft, überrascht die scheinbar

leichtfertige Übernahme von Elementen eines Formenvoka­

bulars, das wir mit der Gegenreformation verbinden, dann

aber doch. Ich frage mich, ob wir in das westliche Ornament

hier nicht zu viel hineinlesen. Die orthodoxen Kaufleute woll­

ten möglicherweise einfach die besten Künstler, die man in

Lemberg anheuern konnte, vielleicht auch um das Ansehen

der damals wohl noch als Bauernreligion begriffenen Ortho­

doxie in den Augen des mehrheitlich katholischen Patriziats

zu heben. Als Zwischenstufe könnten allenfalls die Scheinfas­

saden in den Patrizierkapellen Lernbergs vermutet werden, de­

ren Aufbau oft (anachronistisch) als „ikonostasenartig" be­

schrieben wird (Abb. 6).9

Der ausgedehnte Exkurs vom Donauraum in die heutige Ukrai­

ne ist gerechtfertigt, weil dem Anschein nach dort, in Orten

wie Rohatyn, eine für Südosteuropa bestimmende Entwicklung

im Bereich der Kunst beginnt: der Triumphzug der kunstvoll

geschnitzten Ikonostase als Medium für die Übersetzung ba-

DIE KUNST DES 17. UND 18. JAHRHUNDERTS IM UNTEREN DONAURAUM IN ZUSAMMENHANG MIT DEM PHÄNOMEN BAROCK

5. Arbanasi, Ikonostase der Georgskirche, 3. V. 17. Jh.

rocker Ornamentik ins ostchristliche Formenrepertoire. Die

Ikonostase selbst darf man als eine in den Innenraum und ins

Medium Holz übersetzte Barockfassade verstehen, der im or­

thodoxen Interieur die Aufgabe der Trennung von öffentlichem

und nichtöffentlichem Raum zukam. In den Gebieten, die

unter der unmittelbaren Herrschaft des Sultans standen, hatte

sie als Kunstobjekt wohl noch eine zusätzliche Bedeutung,

denn die Errichtung von Kirchen mit aufwändigen Fassaden

und Glockentürmen war den Christen untersagt. So kann man

von der Ikonostase am spätosmanischen Balkan wohl auch als

Ersatzfassade sprechen. Ihr kam wohl deshalb so viel Auf­

merksamkeit zu, weil sie das meist bescheidene Exterieur kom­

pensieren sollte.

Das Medium Holz leistete zu dieser erfolgreichen Übersetzung

einen wichtigen Beitrag: Es ermöglichte den Übergang „hoch­

kultureller" Formen in ein volkstümliches Programm. Die aus­

gezeichnetsten Schnitzer von Ikonostasen am spätosmanischen

Balkan waren schreibunkundige Wanderarbeiter aus abgelege­

nen Gebirgsdörfern. 10 Inwiefern der Berg Athos nicht auch

zum Vermittler italienischer Formen über den Umweg Kreta

wurde, ist schwer festzustellen, denn die balkanische Ikonostase

ist ein Amalgam, das auch nicht vor Elementen islamischen

Ursprungs zurückschreckt. Aus dem Flachrelief der Frühzeit

6. Lemberg, Boim-Kapelle, 1609-15

entwickelte sich ein Hochrelief, in dem sich, der orthodoxen

Tradition zum Trotz, selbst figürliche Darstellungen finden.

Südlich der Donau finden sich gleich vier frühe, wohl ins dritte

Viertel des 17. Jahrhunderts datierende, kunstvoll geschnitzte

Ikonostasen in dem Gebirgsstädtchen Arbanasi (Abb. 5) und

im unmittelbar benachbarten Tarnovo. In Arbanasi scheinen

wir die konkreten Verbindungen zu finden, an denen es bislang

mangelte. Seit seiner Gründung im 16. Jahrhundert hatte sich

Arbanasi zum bevorzugten Sitz von orthodoxen Kaufleuten

mit Handelsinteressen in Polen und Siebenbürgen entwickelt.

Zu ihnen gesellten sich schließlich Vertreter von Bojarenfami­

lien aus den Donaufürstentümern, sowie die Bischöfe Donau­

bulgariens, die die Ortschaft hoch über der alten bulgarischen

Hauptstadt Tarnovo als Sommerresidenz nutzten.11

Eine direkte Verbindung zwischen den Ikonostasen in Rohatyn

und Arbanasi lässt sich zwar nicht nachweisen, die Nord-Süd­

Bewegungsrichtung - vom polnischen Galizien über die Do­

naufürstentümer und die Donau selbst über Donaubulgarien

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MAXIMILIAN HARTMUTH

7. Pazardzik, Ikonostase der Muttergotteskirche, 1840, geschnitzt von Makarije Frckovski aus Debar/Westmazedonien

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auf den restlichen Balkan - dürfte aber grundsätzlich stimmen.

Den Höhepunkt ihrer Entwicklung am Balkan erreicht die Iko­

nostase allerdings in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

(Abb. 7); danach nimmt ihre Bedeutung als Objekt künstleri­

scher Gestaltung ab. Dass das just zu dem Zeitpunkt passiert,

als die Sultane ihren christlichen Untertanen wieder erlaubten,

Kirchen mit Kuppeln, Glockentürmen und repräsentativen

Fassaden auszurüsten, ist sicher kein Zufall. In diesem Zusam­

menhang darf ich meine bereits geäußerte Auslegung der Bal­

kan-Ikonostase als Ersatzfassade wiederholen.

Die Tombul-Moschee in Sumen (Nordbulgarien): Barock aus dem Osten?

Schließlich möchte ich ein Baudenkmal aus dem Bereich der

islamischen Kunst erwähnen, das zur Mitte des 18. Jahrhun­

derts in Donaubulgarien entstand. Teil einer ambitionierten

Stiftung, verhalf die sogenannte Tombul-Moschee der Stadt

Sumen ($umnu, $umla) dazu, dem traditionellen Zentrum der

Region, Razgrad, den Rang abzulaufen. In beiden Städten fin­

den sich ungewöhnlich große Zentralkuppelbauten als Mittel­

punkte des islamischen Gemeinwesens (Abb. 8). Das hat we­

niger mit überspitzter Frömmigkeit zu tun als mit dem schlech­

ten Ruf der Region Deliorman als Hort heterodoxer Glaubens­

strömungen.12 Für die „Zivilisierung" des Gebiets im Sinne

der Reichshauptstadt und dem von ihr verordneten orthodoxen

Islam, waren großzügige Institutionen vonnöten. Wie die Je-

8. Sumen, Panorama der Stadt im 19. Jahrhundert, die Stellung der Tombul-Moschee/Medresse im da­maligen Stadtbild illustrierend

DIE KUNST DES 17. UND 18. JAHRHUNDERTS IM UNTEREN DONAURAUM IN ZUSAMMENHANG MIT DEM PHÄNOMEN BAROCK

10. Sumen, Inneres der Tombul­Moschee, nach 1744/5

suiten bedurften die Osmanen dafür einer Architektur, die sich

durch klare Innenräume und gute Akustik auszeichnete. Man

wollte sehen, wer dem Freitagsgebet beiwohnt und sicher ge­

hen, dass das durch den Prediger vermittelte Wort Gottes auch

gehört wird. 13

Der Bauherr der Moschee war ein aus dem Raum Sumen ge­

bürtiger Beamter, der in Istanbul Karriere gemacht hatte. 14 Sie

ist ein für die „klassische" osmanische Architektur typischer

Zentralkuppelbau, dem eine mit fünf kleineren Kuppeln ge­

deckte Arkadenvorhalle vorgesetzt ist (Abb. 9). Dem Betsaal

südwestlich angebaut ist eine Medresse in Form eines Arka­

denhofs, von Studentenwohnzellen und Bibliotheksräumlich­

keiten umrahmt. Die Lateralstellung der Medresse ist, wie auch

der außerordentlich hohe oktogonale Baukörper, der sich zwi­

schen die quadratische Basis der Moschee und das Tambour

schiebt, ungewöhnlich. Von der Bauinschrift erfahren wir le­

diglich, dass die Fertigstellung der Moschee ins islamische Jahr

1157, also 1744/5 A.D., datiert werden muss. Im 5. Doppelvers

der von einem bekannten hauptstädtischen Dichter verfassten

Inschrift wird kurz auf den Bau eingegangen: Der Bauherr

hätte „dieses schmucke Heiligtum mit Licht erfüllt, dessen

Grundriss schön, dessen Aufriss lieblich und dessen Bau noch

dazu fest ist. "15 Inwiefern hier wirklich die Bauidee festgehalten

wurde, ist natürlich fraglich.

In der osmanischen Kunstgeschichte, die traditionell auf Is­

tanbul und die frühosmanischen Hauptstädte fokussiert ist, ist

die für die Provinz ungewöhnlich ambitionierte Tombul-Mo­

schee wenig bekannt. Wenn sie erwähnt wird, dann meistens

in Zusammenhang mit dem als „osmanischem Barock" be-

zeichneten Stilphänomen bzw. der sogenannten „Tulpenära".16

Diese Epochenbezeichnung bürgerte sich für das erste Drittel

des 18. Jahrhunderts ein, in dem der Überlieferung zufolge ein

Kulturwandel in Istanbul stattfand. Der osmanische Hof kehrte

sich angeblich von der Tradition ab und dem Westen zu.'7

Auch dem Besucher der Tombul-Moschee fällt bald auf, dass

sich die malerische Gestaltung des Interieurs Elementen be­

diente, die nicht Teil des traditionellen osmanischen Formen­

repertoires waren (Abb. 10). Allerdings konnte eine rezente

Restaurierung des Baudenkmals drei Schichten dekorativer

Wandmalerei nachweisen, von der nur die erste in die Bauzeit

datierte. 18 Das augenscheinlich Barocke hingegen stammt aus

9. Sumen, Ansicht der Tombul-Moschee, 1744/5

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MAXIMILIAN HARTMUTH

11. Sumen, Eingangsbereich der Tombul-Moschee, 1744/5

12. Ia~i, Golia-Kloster, Brunnen, 1766

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der Mitte des 19. Jahrhunderts, als solche Formen bereits in

einem quasi-offiziellen spätosmanischen Stil nostrifiziert wor­

den waren. Auch sonst gestaltet sich die Suche nach dem Ba­

rocken eher müßig. Der Spitzbogen wurde noch nicht dem

Rundbogen geopfert; auch finden sich bei den Dekorelemen -

ten aus der Bauzeit weder Voluten noch Rocaille, wie später

die Norm bei den Moscheen im sogenannten „osmanischen

Barock". Auffällig ist bestenfalls die hohe Frequenz von pseu­

dokorinthischen Säulenkapitellen, die erst damals in der os­

manischen Architektur der Hauptstadt auftauchten und der

osmanischen Tradition selbstverständlich fremd waren. Noch

deutlicher kommt die Orientierung am zeitgenössischen Stil

der Hauptstadt, der sich zur Jahrhundertmitte tatsächlich

westlichen Inputs gegenüber zunehmend öffnete, in der für

die osmanische Tradition ungewöhnlichen Gestaltung des

von dekorativen Säulchen flankierten Hauptportals zur Gel­

tung (Abb. 11).

Die Trinkbrunnen, die in Sumen und Ia~i und vielen anderen

Städten unter dem Einfluss Istanbuls nach der Jahrhundert­

mitte enstanden, weisen bereits eine greifbar westlich beein­

flusste Formensprache mit Rocaille, Kartuschen, Pilastern und

Blatt- und Rankendekorationen auf (Abb. 12).19 In der Provinz

sind sie ein Echo der Kultur Istanbuls.20 Sie weisen weder lokale

Eigenheiten auf, noch gibt es Hinweise darauf, dass das West­

liche an ihnen tatsächlich aus dem Westen und nicht aus dem

Osten vermittelt wurde.

Schluss: Verwestlichung aus Nord, Ost und Süd?

Wenn wir also abschließend feststellen können, dass es im un­

teren Donauraum durchaus Echos der frühneuzeitlichen Kunst

Mittel- und Westeuropas gab, muss weiter bestimmt werden,

dass diese nicht auf eine einzige Quelle zurückgehen. Sie haben

ihren Ursprung in Ostmitteleuropa, in Siebenbürgen und in

der polnischen Ukraine, aber eben auch - und im 18. Jahrhun­

dert vor allem - in Istanbul, das aus dem Westen kommende

Formen in die Balkanprovinzen im Gesamtpaket eines synthe­

tischen „Hauptstadtstils" zurückwirft. Der Barock kam nicht

als Einheit nach Südosteuropa, sondern in seine Einzelteile

zerlegt. Im Ornament tritt sein Einfluss am deutlichsten zutage;

die Architektur als Raumkunst und die Malerei als abbildende

Kunst werden nur sehr begrenzt erfasst. Ikonographische und

maltechnische Eigenheiten schlichen sich über die Ikonenma­

lerei ein, die hier unerwähnt blieb. Sie erweitern meine kunst­

geographische Betrachtung um eine Strömungsrichtung, näm­

lich den Süden, vor allem Kreta, dessen venezianisch beein­

flusste orthodoxe Kunst über den Berg Athos an die Untere

DIE KUNST DES 17. UND 18. JAHRHUNDERTS IM UNTEREN DONAURAUM IN ZUSAMMENHANG M IT DEM PHÄNOMEN BAROCK

Donau gelangte. Erwähnt sei auch noch der „Triumphbarock"

Karls VI., der sich bis zur Karpatengrenze vorschob und wohl

am besten durch das Karlstor im siebenbürgischen Alba Iulia

(Karlsburg, Gyulafehervar) vertreten ist.21 Einen bemerkens­

werten Einfluss auf die zeitgenössische Kunst jenseits der (sehr

nahen) Grenze haben Bauten wie diese allerdings nicht. Das

Anmerkungen

Vgl. Neamtu 1994 und Kolodziejczyk 2009. Ich bin Matthias Bo­denstein und Markus Ritter für Hinweise und konstruktive Kom­mentare zu Dank verpflichtet.

2 In Anbetracht des Nichtvorhandenseins eines kritischen Überblicks zur Kunstgeschichte der Moldau, darf ich auf die Beschreibung und visuelle Dokumentation der Kirche im Handbuch von Vätä~ia­nu 1986, S. 196-199 u. S. 437 verweisen.

3 Siehe dazu etwa Vätä~ianu 1986, S. 193-195 u. S. 436-437, der den Dekor der Dreikonchenkirche als „vorwiegend orientalischer (ge­orgischer-armenischer, arabo-türkischer, persischer) Herkunft" be­zeichnet, daneben aber gotische Elemente und von Moskauer Meis­tern besorgte Wandmalereien bemerkt.

4 Gervers-Molnar 2005, S. 40. 5 Die Baugeschichte der Kirche wird in Aufsätzen von Sas-Zaloziecky

(1949) und Bialostocki (1983) besprochen, auf die ich mich auch im Folgeabsatz beziehe.

6 Etwa in Halyc (südöstlich von Lemberg, 16. Jh.), Drohobyc (süd­westlich von Lemberg, 16.-18. Jh.) und Kryvka (nach Lemberg verbracht).

7 Vgl. Gündisch 1976. 8 Siehe dazu etwa Felmy 1986 und Isajevych 1990. 9 Vgl. etwa Bialostocki 1983, S. 53 u. 55. 10 Vgl. etwa die Würdigung bei Hoddinott 1954. 11 Kiel 1985, S. 111-117. 12 Siehe dazu Kiel 1991. 13 Siehe Hartmuth 2010, S. 23-25. 14 Bilaloglu 2011. 15 Eine Abschrift, Übersetzung und Photographie der Bauinschrift

findet sich bei Duda 1949, S. 72-73, 113-114, Tafel XI. 16 So etwa bei Stajnova 1990. 17 Vgl. etwa Yeni~ehirlioglu 1983. 18 Diese „Entdeckung", die mir 2008 in Bulgarien durch einen Vertre­

ter der verantwortlichen Baufirma mitgeteilt wurde, ist meines Wissens bislang nicht publiziert.

19 Glück 1924. 20 Hartmuth 2009. 21 Vgl. den Beitrag von Polleroß in diesem Band

Literatur

Bialostocki, Jan: At the crossroads of Classicism and Byzantinism. Leopolitan architectural achievements ca. A.D. 1600. In: Harvard Ukrainian Studies VII, 1983. S. 51-65.

Bilaloglu, Ahmet: Contextualizing an 13th century Ottoman elite: $erif Halil Pa~a of $umnu and his patronage. Masterarbeit, Sabanc1 Uni­versität. Istanbul 2011.

Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild, Galizien. Wien 1898.

Duda, Herbert W: Balkantürkische Studien. Wien 1949.

Fazit: Es gibt am unteren Donaulauf keinen „Barock" im enge­

ren Sinne als Kunstphänomen, wohl aber unverkennbare Re­

sonanzen der Kunst des frühneuzeitlichen West- und Mittel­

europas. Woher und warum diese im Ursprung von Italien

ausgehenden Formen hierher kamen, lässt sich allerdings nicht

pauschal feststellen.

Felmy, Karl Christian: Der Aufbruch der orthodoxen Laien in Polen­Litauen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Kirchenge­schichte 98/3, 1987. S. 370-385.

Filow, Bogdan D.: Die altbulgarische Kunst. Bern 1919. Gervers-Molnar, Veronika: Turkish tiles of the l 7th century and their

export. In: Turkish flowers. Studies on Ottoman art in Hungary, hg. v. Ibolya Gerelyes. Budapest 2005. S. 35-44.

Glück, Heinrich: Türkische Brunnen in Konstantinopel. In: Jahrbuch der asiatischen Kunst I, 1924. S. 26-30.

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