Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE DENKSCHRIFTEN, 301. BAND FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS BAND3 Integration und Herrschaft Ethnische Identitäten und soziale Organisation im Frühmittelalter HERAUSGEGEBEN VON WALTER POHL UND MAXIMILIAN DIESENBERGER VERLAG DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN WIEN 2002

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

DENKSCHRIFTEN, 301. BAND

FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS

BAND3

Integration und Herrschaft Ethnische Identitäten und soziale Organisation

im Frühmittelalter

HERAUSGEGEBEN VON

WALTER POHL UND MAXIMILIAN DIESENBERGER

• VERLAG DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

WIEN 2002

ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE

DENKSCHRIFTEN, 301. BAND

FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS

BAND3

HERAUSGEGEBEN VON DER

FORSCHUNGSSTELLE FÜR GESCHICHTE DES MITI'ELALTERS

• VERLAG DER ÖSTERREICHISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

WIEN 2002

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Vorgelegt von w. M. HERWIG WOLFRAM in der Sitzung am 17; März 2000

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RAJKO BRATOZ

DIE EINSTELLUNG DER KIRCHE ZU DEN REGNA UND GENTES IM 7. JAHRHUNDERT

1. VOM TOD GREGORS DES GROSSEN BIS ZUM BEGINN DES MONENERGETISCH-MONOTHELETISCHEN STREITES

In der Entwicklung der Beziehungen und der Machtkonstellation zwischen der Kir­che, dem imperium und den neueren regna folgte in der Zeit nach dem Tod des Papstes Gregor (604) bis zum Antritt des Papstes Theodor (642) eine beträchtliche Abnahme der Aktivitäten und des Einflusses der Kirche, insbesondere der Päpste. Bereits deren An­zahl (acht in knappen vier Dezennien) zeigt, daß sie schnell wechselten und ausnahms­los nur kurze Zeit regierten. Aus dem verbitterten Kampf gegen Awaren und Slawen (mit dem Höhepunkt in der erfolglosen Belagerung Konstantinopels im Jahr 626)1 und besonders aus dem Krieg gegen Persien, der nach dem katastrophalen Anfang (611-614) mit einem militärischen Triumph endete (die Rückeroberung von Kleinasien, Ägypten, Syrien und Palästina in den Jahren 624 bis 630), 2 ist das imperium als Sieger hervorgegangen. Gleichzeitig war die Entwicklung in den „barbarischen" regna im We­sten, in den Staatenbildungen der Franken, Langobarden und der Westgoten weniger dramatisch, denn sie verlief in Richtung einer allmählichen Stabilisierung.3 Die Kirche erlebte jedoch am Anfang des 7. Jahrhunderts eine deutliche Schwächung. Die Aktivität der Päpste Sabinianus (604-606), Bonifatius III. (607), Bonifatius IV. (608-615), Deus­dedit (615-618) und Bonifatius V. (619-625) war vor allem auf die Regelung der Angele­genheiten in Rom und in Italien und mit wenigen Ausnahmen (Bonifatius IV. und Boni­fatius V.) noch in Britannien (als Fortsetzung der Politik Gregors des Großen) be­schr&nkt.4 Dem Verfall der Kirchenstrukturen im Großteil des Gebietes der Balkan-

1 Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567-822 n. Chr. (München 1988) 245-255.

2 Vgl. George Ostrogorsky, History ofthe Byzantine State (New Brunswick/New Jersey 1995) 95-104; vgl. den kirchenhistorischen Aspekt bei Louis Brehier/Rene Aigrain, Storia della Chiesa V. San Gregorio Ma­gno, gli stati barbarici e la conquista araba, 590-757 (Torino 21971) 145-165, und Gilbert Dagron/Pierre Ri­ebe/ Andre Vauchez, Die Geschichte des Christentums. Religion - Politik - Kultur. Band 4: Bischöfe, Mönche und Kaiser, 642-1054 (Dt. Ausg. bearb. u. ed. Egon Boshof, Freiburg/BaseVWien 1994) 4-23; 603-628.

3 Vgl. Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Berlin 1990) 380-388 (westgotischer Staat); 411-418 (langobardischer Staat); für den langobardischen Staat und dessen Verhältnis zu Byzanz vgl. Konstantinos P. Christou, Byzanz und die Langobarden. Von der Ansiedlung in Pan­nonien bis zur endgültigen Anerkennung 500-680 (Historical Monographs 11, Athen 1991) 107-225 (bis 680), und Jörg Jarnut, Storia dei Longobardi (Torino 1995) 53-79; Alexander Demandt, Antike Staatsformen. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte der Alten Welt (Berlin 1995) 591-646.

4 Vgl. Regesta pontificum Romanorum ab condita ecclesia ad annum post Christum natum MCXCY.III (ed. Felix Jaffä/Wilhelm Wattenbach, Leipzig 1885) 220-223; Liber pontificalis LXVII-LXXI (ed. Louis Du­chesne, Paris 1955) 315-322; Pietro Conte, Chiesa e primato nelle lettere dei papi del secolo V.II (Pubblicazioni dell'Universita Cattolica del s. Cuore, Saggi e ricerche, Serie terza, Scienze storiche 4, Milano 1971) 397-407;

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halbinsel und im Donauraum5 folgte keine (nicht einmal eine kurzfristige) Rückerobe­rung, wie das im Osten nach dem erfolgreichen Krieg Herakleios gegen Persien der Fall war.

2. DER MONENERGETISCH-MONOTHELETISCHE STREIT UND SEIN NACH­KLANG IN DEN BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZU DEN REGNA UND GENTES

Die vorübergehende Schwäche der Kirche (besonders der Päpste) kam beim Aus­bruch des monenergetischen und monotheletischen Streites zum Ausdruck, d. h. beim Streit über die Energie und den Willen Christi, der sich im theologischen Bereich schon seit der Mitte des 6. Jahrhunderts andeutete. Die Veranlassung dafür, daß er zu einem der zentralen Problemfälle des byzantinischen Staates wurde, war der Druck des Impe­riums auf die Kirche. Dabei sind zwei Erscheinungen zum Ausdruck gekommen: (1) Die Kirche mit dem Zentrum in Rom war als Teil des byzantinischen Staates mit dem Zen­trum im Osten erneut einem Druck ausgesetzt, der mit ähnlichen Fällen im 4„ 5. und 6. Jahrhundert vergleichbar war, als die Kaiser unabhängig von der Kirche (auch gegen die Kirche) Religionsdekrete erlassen hatten. (2) Die grundlegenden Probleme des Im­periums (wie z. B. die Einheit und die territoriale Integrität), das sich in einer kriti­schen Entwicklungsphase befand, haben sich auf die Kirche übertragen, wo nach dem 5. ökumenischen Konzil (553) weiterhin ungelöste Problemstellungen auf dem dogmati­schen Gebiet existierten. 6 Kaiser Herakleios hat - bereits zur Zeit der schnellen und kaum einzudämmenden arabischen Expansion im syrisch-palästinensischen Raum -mit Assistenz des Konstantinopolitaner Patriarchen Sergios im Jahre 638 eine Glau­bensformel (Ekthesis bzw. Expositio orthodoxae fid[a]ei) erlassen, die ohne Rücksicht auf die Beschlüsse der vorausgegangenen Konzile für alle Staatsangehörigen verbind­lich war, und die als Grundlage für die Vereinigung der gesamten christlichen Welt die­nen sollte.7 Dieses Religionsdekret erwies sich aber wegen des zu einem Kompromiß

Brehier/ Aigrain, Storia 517-525; Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 625-628; Angelo Di Berardino, Patro­logia IV. Dal concilio di Calcedonia ( 451) a Beda (I Padri latini, Assisi 1995) 176 f.

5 Vgl. kurz für den Ostbalkanraum: Peter Schreiner, Das Christentum in Bulgarien vor 864, in: Das Chri­stentum in Bulgarien und auf der übrigen Balkanhalbinsel in der Spätantike und im frühen Mittelalter, ed. Vassil Gjuzelev/Renate Pillinger (Miscellanea Bulgarica 5, Wien 1987) 51-61; für den Westbalkam:aum: Lothar Waldmüller, Die ersten Begegnungen der Slawen mit dem Christentum und den christlichen Völkern vom VI. bis VIII. Jahrhundert (Enzyklopädie der Byzantinistik 51, Amsterdam 1976) 188-230; Rajko Bratoz, Die Ent­wicklung der Kirchenorganisation in den Westbalkanprovinzen, 4. bis 6. Jahrhundert, in: Das Christentum in Bulgarien und auf der übrigen Balkanhalbinsel in der Spätantike und im frühen Mittellalter, ed. Vassil Gjuze­lev/Renate Pillinger (Miscellanea Bulgarica 5, Wien 1987) 149-196, hier: 159f.; 184-188 und ders„ Die römi­sche Synode 680 und die Frage der Kirchenorganisation ,,in gentibus" im 7. Jahrhundert, in: Acta XIII Con­gressus internationalis archaeologiae christianae, Split/Porec 1994, ed. Nenad CambVEmilio Marin, Pars II. Studi di antichita cristiana 54 (Citta del Vaticano/Split 1998) 587-602, hier: 596ff.; für den Ostalpenraum Hartmut Wolff, Die Kontinuität der Kirchenorganisation in Raetien und Noricum bis an die Schwelle des 7. Jahrhunderts, in: Das Christentum im bairischen Raum. Von den Anfängen bis ins 11. Jahrhundert, ed. Egon Boshof /Hartmut Wolff (Passauer historische Forschungen 8, Köln/Weimar/Wien 1994) 1-27.

6 Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 46ff.; Friedhelm Winkelmann, Die Quellen zur Erforschung des monenergetisch-monotheletischen Streites, in: Klio 69 (1987) 515-559, hier: 515 und bes. 555ff.; es ging nicht nur um die politischen Fragen, wie in der älteren Forschung behauptet wurde; vor der Eskalierung der poli­tischen Fragen existierten ungelöste theologische Fragen (vgl. Charles Moeller, Le chalcedonisme et le neo­chalcedonisme en Orient de 451 a la fin du Vle siecle, in: Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegen­wart 1: Der Glaube von Chalkedon, ed. Aloys Grillmeier/Heinrich Bacht [Würzburg 1951) 637-720), wobei durch den Eingriff der Kaiser in den Streit die politischen Elemente immer wichtiger wurden.

7 Die Ekthesis ist (im griechischen Original und in der lateinischen Übersetzung) in den Akten der La­teransynode von 649 (ACO 11,1 156,20/157,20-162,13/163,13) enthalten; vgl. Winkelmann, Quellen 525f. (Nr. 50); Brehier/ Aigrain, Storia 194-197, und Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 40ff.

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tendierenden Inhalts als strittig und war letzten Endes für alle unannehmbar. Es verur­sachte heftige Glaubensstreitigkeiten, insbesondere innerhalb der östlichen Patriar­chate, die zehn Jahre später (648) vom Kaiser Konstans II. mit einem neuen Dekret (Typos) verboten wurden.8 Die Konsequenzen dieses Dekrets, das noch geringere Wir­kung als das erste hatte, waren noch schärfere Reaktionen in der Kirche und damit eine Übertragung der Spannungen aus der zivilen in die kirchliche Sphäre. Es hat sich deutlich herausgestellt, daß die Beschlüsse des 4. und des 5. ökumenischen Konzils (Chalkedon 451 und Konstantinopel 553) bei weitem nicht unbestreitbar waren.

Rom und der Westen, mit Ausnahme der damals schon wenig bedeutenden und an die Peripherie der Entwicklung geschobenen schismatischen Kirche von Aquileia im langobardischen regnum und mit teilweiser Ausnahme der hispanischen Kirche im westgotischen regnum (die erste lehnte das 5. ökumenische Konzil ab, die zweite hatte einige Bedenken hinsichtlich der Konzilsbeschlüsse), 9 wurden wieder in die christologi­schen Dispute einbezogen, die im Osten praktisch ohne Unterbrechungen seit der er­sten Hälfte des 5. Jahrhunderts andauerten. Die Päpste hatten anfangs dem Druck der Kaiser nachgegeben (Honorius unterschrieb die Ekthesis, 10 seine Nachfolger Severinus und Johannes IV. haben die oktroyierte Glaubensformel nie bestätigt),11 dann aber lei­steten sie entschieden Widerstand. Drei Jahrzehnte später hat der Streit wegen der we­sentlich veränderten Verhältnisse im Osten und in Afrika nach der arabischen Invasion sowie wegen des Übertritts der Kaiser (Konstantin IV. und Mitregenten) zur Rechtgläu­bigkeit den ursprünglichen Sinn verloren. Schließlich wurde der Streit im Westen wie auch im Osten in den Jahren 680/681 überwunden.

Da der Konflikt zwischen dem imperium und der Kirche und danach der Streit in­nerhalb der Kirche fast alle Kräfte beanspruchten, konnte die Kirche in dieser Zeit nur wenig für die Missionierung und für die Festigung eigener Strukturen in den regna tun. Während die Aktivität der Kirche im Osten in dieser Hinsicht minimal war (in diesen Jahren verfielen die kirchlichen Strukturen im syrisch-palästinensischen Raum und in Ägypten,12 d. h. zeitlich ein halbes Jahrhundert nach dem gleichen Ereignis im Donau-

8 Der Typos ist im Original und in lateinischer Übersetzung ebenso in den Akten der Lateransynode von 649 (ACO II,l, 208/9-210,15/211,14) enthalten; vgl. Winkelmann, Quellen 537 Nr. 106; Brehier/ Aigrain, Storia 235f.; Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 43. Hauptmerkmal: Verbot aller Diskussionen über einen oder zwei Willen und Energien Christi unter Androhung schwerer Strafen (Absetzung für die Kleriker, Ex­kommunikation und Vertreibung für Mönche, Entlassung und Konfiskation des Vermögens für die Träger der staatlichen Würde, Körperstrafen und Verbannung für die Angehörigen der niedrigen Schichten).

9 Zum schismatischen Patriarchat Aquileia im 7. Jahrhundert vgl. Giuseppe Cuscito, Cristianesimo an­tico ad Aquileia e in Istria (Fonti e studi per la storia della Venezia Giulia. Serie seconda: Studi, vol. III, Trieste 1977) 293-312; zum Standpunkt der hispanischen Kirche gegenüber den Beschlüssen des 5. ökumenischen Konzils vgl. Brehier/ Aigrain, Storia 348 Anm. 117 (die hispanische Kirche sah im monotheletischen Streitei­nen Aspekt des Apollinarismus); Jose M. Lacarra, La Iglesia visigoda en el siglo VII y sus relaciones con Roma, in: Settimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 7 (Spoleto 1960) 353-384, hier: 378-384.

10 Brehier/ Aigrain, Storia 196ff. Papst Honorius wurde wegen dieser Unterschrift nach den Beschlüs­sen des 6. ökumenischen Konzils (auf den Vorschlag der östlichen Bischöfe) in das Verzeichnis der Häretiker eingetragen, gemeinsam mit den konstantinopler Patriarchen Sergios, Pyrrhos, Paulos und Petros, mit dem alexandrinischen Patriarchen Kyros und antiochenischen Patriarchen Makarios; vgl. ACO II, 2, 2, 798/9, 19 (18. Sitzung); 853/3, 13-15 (Edikt Konstantins IV.); 878/9, 3-5 (Brief des Papstes Leon II. an Kaiser Konstan­tin N.); vgl. auch Leo II. papa, Epistula 4 (ed. Migne, PL 96, Paris 1862) 414B: ... Honorio, qui flammam hae­retici dogmatis ... negligendo confovit); Epistula 7, ed. Migne, PL 419 D. Vgl. dazu Conte, Chiesa 480ff., bes. Nr. 243, 250, 251; ders., Il significato del primato papale nei padri del Vl concilio ecumenico, in: Archivium hi­storia pontificiae 15 (1977) 7-111, hier: 80-111; Georg Kreuzer, Die Honoriusfrage im Mittelalter und in der Neuzeit (Päpste und Papsttum Band 8, Stuttgart 1975) 58ff.

11 Brehier/ Aigrain, Storia 196f.; Conte, Chiesa 426-432. 12 Brehier/ Aigrain, Storia 197-228; Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 23-28.

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und Balkanraum), war die Wirksamkeit der Kirche (der Päpste) im Westen bedeuten­der, stand jedoch immer noch im Schatten einer Lösung der christologischen Fragen. Diese Fragen konnten wegen spezifischer Umstände kaum bzw. in geringem Maß in die Kirchen innerhalb der regna übertragen werden. Die Beziehung imperium - Kirche -regna wird kurz anhand der Akten der Lateransynode 649, des Briefes der römischen Synode im März 680 an die Kaiser, der Akten des 6. ökumenischen Konzils in Konstan­tinopel 680/681 und der Kanones des 2. trullanischen Konzils 691/2 analysiert werden. Die Übersicht wird mit der Synode von Pavia 698 abgeschlossen werden, die den Drei­kapitelstreit und-wie es scheint- auch die letzten Nachklänge des Monotheletismus in der italischen Kirche beendete.

2.1 Die Lateransynode 64913

Das Verhältnis der Mächte spiegelt sich bei der Lateransynode im Oktober 649 wider, die Papst Martin 1. berief und an welcher 105 meist italische Bischöfe teilnahmen.14 Die Bedeutung der Synode wurde zusätzlich durch die Teilnahme von zwei Bischöfen aus dem Patriarchat von Jerusalem gehoben, die Anhänger des zu dieser Zeit schon vor einem Jahrzehnt verstorbenen Patriarchen Sophronius waren, als auch von zwei afrikanischen Bischöfen, die im Namen von 42 unterschriebenen Bischöfen aus Numidia, Byzacene und Mauretania aufgetreten sind.15 Laut der erhaltenen „Synodalakten", die vor der Synode redigiert wurden und daher nur der Intention und nicht dem (sonst unbekannten) Verlauf der Synode entsprechen, sollte die Synode die Glaubensdekrete des Herakleios (Ekthe­sis) und Konstans' II. (Typos) zurückweisen, die damals von den Patriarchen von Kon­stantinopel, Antiochia und Alexandria befürwortet wurden. Die Diskussion der aktuellen

13 Rudolf Riedinger, der 1984 die neue textkritische Ausgabe besorgte (ACO II, 1), ist seit 1976 in meh­reren Studien (Rudolf Riedinger, Aus den Akten der Lateran-Synode von 649, in: Byzantinische Zeitschrift 69 [1976] 17-38; ders., Griechische Konzilsakten auf dem Weg ins lateinische Mittelalter, in: Annuarium histo­riae conciliorum 9 [1977] 253-301, hier: 256f.; ders., Lateinische Übersetzungen griechischer Häretikertexte des siebenten Jahrhunderts [Österr. Akad. d. Wiss., Phil. -hist. Klasse, Denkschriften 352, Wien 1979] bes. 11; ders., Einleitung zur Ausgabe in: ACO II,1; IX ff. und XVIIl; vgl. Winkelmann, Quellen 538) zum Schluß ge­kommen, daß die sogenannten Akten der Lateransynode nicht das in lateinischer Sprache verfaßte Protokoll von fünf Synodalsitzungen bedeuten. Es geht nämlich um den ursprünglich griechischen Text, der kurz vor der Synode von den in Rom lebenden griechischen Mönchen aus dem Kreis um Maximus Confessor redigiert und dann schnell und manchenorts oberflächlich ins Lateinische übersetzt wurde. Diese Texte (sonst „in meh­rerer Hinsicht eine Fiktion") dürften bei der Synodalarbeit gerade an den Tagen gelesen worden sein, die nach der Tradition die Tage der Sitzungen waren (5., 8., 17., 19. und 31. Okt.). Pietro Conte, 11 sinodo latera­nense dell'ottobre 649. La nuova edizione degli atti a cura di RudolfRiedinger (Rassegna critica di fonti dei se­coli VII-XII, Vaticano 1989) 31-165, bes. 142ff., hat die zum Teil radikale Kritik der Synodalakten etwas mo­difiziert: die Hauptakteure der Synode sollten die vorgelegte lateinische Übersetzung vorgelesen haben (und sie damit „legalisiert" haben), so daß dieses „drama sinodale" der formellen oder generischen Wahrheit und damit zumindest in generellen Prämissen den Standpunkten der Synodalprotagonisten entsprach.

14 ACO II, 1; die grundlegende Studie zur Synode: Conte, Sinodo. Bei der Synode waren 105 Bischöfe an­wesend; vgl. die Verzeichnisse von den einzelnen Sitzungen (ACO 11,1, 2/3-6/7 [griech. und lat. Version nur von der ersten Sitzung]; 31-35; 111-115; 177-181und247-251 [nur lateinische Fassung von der 2., 3., 4. und 5. Sit­zung]) und insbesondere das Schlußverzeichnis (ACO Il/l, 390/1-402/3). Die Bischöfe außerhalb Italiens be­finden sich am Ende des Verzeichnisses: die Bischöfe aus Afrika unter Nr. 103 und 106, zwei Bischöfe aus Pa­lästina unter Nr. 104und105. Die Akten haben nachträglich noch drei italische Bischöfe (aus Mailand, aus dem sardinischen Cagliari und aus Tortona) unterschrieben, so daß die gesamte Anzahl der unterschriebenen Bi­schöfe bemerkenswerte 108 beträgt (ACO II/l, 402/3; vgl. Conte, Sinodo 73 und 146). Von 102 italischen Bi­schöfen stammte eine nicht geringe Anzahl (über 20) aus dem Langobardenstaat. Offensichtlich erlaubte der Langobardenkönig Rothari nach dem Waffenstillstand mit Byzanz (der Friedensschluß folgte einige Jahre spä­ter) die Reise der Bischöfe nach Rom; vgl. Ottorinio Bertolini, Riflessi politici delle controversie religiose con Bisanzio nelle vicende del secolo VII in Italia, in: idem, Scritti scelti di storia medievale 1 (Livorno 1968) 265-308 (die Teilnahme von „mindestens 11" Bischöfen aus dem langobardischen Gebiet); Christou, Byzanz 202.

16 ACO II/l, 77 ff.

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 47

christologischen Fragen sollte vertieft werden, sie ging in sehr heikle Details und zog (bei der letzten, fünften Sitzung am 31. Oktober 649) die Lektüre und Erörterung einer gro­ßen Anzahl (123) von Abschnitten rechtgläubiger wie auch einer kleineren Anzahl (42) von Abschnitten häretischer Texte heran. Der Lesung sollte die Aufnahme von 20 Ana­thematismen folgen, in denen alle Häresien, an den letzten zwei Stellen unter den häre­tischen Texten die beiden Kaiserdekrete, Ekthesis und Typos, verurteilt wurden.16

Die Gefahren, die damals der christlichen .Welt von verschiedenen gentes drohten, kamen nur bei verschiedenen Anspielungen einiger in den „Synodaldokumenten" auf­tretender Bischöfen zum Ausdruck. So führte der ravennatische Bischof Maurus in ei­nem an den Papst adressierten Brief als Ursache für seine Abwesenheit von der Synode die Unruhen in der Stadt und im Lande, in der Armee als auch unter dem Volk an und erwähnte dabei die nicht näher präzisierten barbarischen (offensichtlich langobardi­schen) Einfälle.17 Dramatisch hat die Rede (unter dem Namen) des Bischofs Stephanos aus dem palästinensischen Gadda geklungen, der als Vertreter des Patriarchen von Je­rusalem auftrat. In seiner Rede sollte Stephanos ein Fragment des Schreibens des Pa­triarchen Sophronius (gest. 639) anführen, wo dieser die Invasion der Sarazenen an­schnitt.18 Im Sinne der damaligen Vorstellungen sah der Patriarch die Ursachen für die­ses Unglück in der Sündhaftigkeit der christlichen Welt.19 Ebenso dramatisch wirkte die Anspielung auf die arabischen Einfälle in der Memorialschrift der östlichen Äbte und Mönche, die damals in Rom lebten, in der man eine ähnliche Auslegung der Ursachen vorfindet. 20 Der bei der Synode vorgelegte Brief des Bischofs von Karthago, Victor, an den Papst Theodor aus dem Jahre 646 sollte an einer (sonst wenig klaren) Stelle auf die ernste Lage in Afrika hinweisen.21 Aufgrund der nur kurzen und hier und da eingestreu­ten Anspielungen auf die katastrophalen Verhältnisse in jener Zeit könnte man den Eindruck bekommen, daß diese Fragen bei der Synodalarbeit keine besonders große Rolle spielten. Nicht nur in den dem Papst zugeschriebenen Reden (insgesamt 15), 22

16 Vgl. ACO II/l, 258-314 (rechtgläubige Texte); 320-335 (häretische Texte); 368-389 (Anathematis­men; die Verurteilung von Ekthesis und Typos im 18. Anathematismus, S. 382f.).

17 ••• dum ab exercitu et plebe huius ciuitatis uel etiam Pentapolitanorum detinerer pro incertis gentilium (gr. ethnön) incursionibus ... (ACO 11/1, 24,6-8/25,4-5 [in allen Fällen wird die lateinische Übersetzung ange­führt, nur bei den wichtigsten Ausdrücken oder im Fall von Unterschieden zwischen dem Original und der Übersetzung auch der griechische Originaltext]; nach Riedinger, ACO 11/1, XVIII sollte dieser Brief das ein­zige authentische Dokument in den gesamten „Synodalakten" sein). Der Bericht läßt sich mit den Ereignissen verbinden, die Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 45 (ed. Ludwig Bethman/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover, unv. Nachdruck 1878) 135, beschreibt (erfolgreicher Krieg Rotharis gegen die Byzan­tiner: ... cum Ravennantibus Romanis bellum gessit ad fluvium Aemeliae quod Scultenna dicitur. .. ). Vgl. dazu Christou, Byzanz 195, und Jarnut, Storia 56.

18 Die Araber haben 636 Syrien und 638 Palästina mit Jerusalem erobert. In den behandelten Quellen wer­den sie ausnahmslos alsSarraceni/Sarracini (gr. Sarakenoi} bezeichnet. Auch in den historiographischen Quellen war das die vorherrschende Bezeichnung (z. B. Theophanes brauchte in seiner Chronographia, die die Haupt­quelle für diese Vorgänge ist, an 19 Stellen den Ausdruck Sarakeno( und nur an 8 Stellen den Ausdruck Araboi; vgl. Theophanes Confessor, Chronographia II, 571und699f. (ed. Karl de Boor, Leipzig 1883-1885) [Index, s.v.]).

19 ACO 11/1, 40, 31f./41, 30: ... propter emersam ex nostris peccatis incursionem Sarracinorum . ... 20 ACO 11/1, 50, 43ff./51, 40ff.: ... dum mundus dissoluitur et uita corrumpitur ... dum Afrorum habitare­

mus prouinciam ... 21 ACO 11/1, 102,32/103,31 f.: „. nostram quasiAfricanam prouintiam passe aliqua, quae in uero non con­

sistunt, mala peragere ... ; tatsächlich litt zur Zeit der Synode die afrikanische Provinz sehr wegen der arabi­schen Einfälle (646 haben die Araber Alexandrien und Ägypten erobert, danach folgte 647 der Angriff auf das Exarchat von Karthago, wobei die Verteidigung der Byzantiner und besonders der einheimischen berberi­schen Bevölkerung viel standhafter als im Fall Syriens, Palästinas und Ägyptens war; das gesamte Nordafrika fiel erst um 700 unter die Herrschaft der Araber; vgl. Brehier/ Aigrain, Storia 305-310). Zum Brief vgl. auch Conte, Chiesa 438f. Nr. 121.

22 Conte, Sinodo 143.

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auch in den „Reden" anderer aktiver Teilnehmer wird das Unheil jener Zeit nicht ange­sprochen. So sollte z. B. der Patriarch Maximus von Grado (Neu-Aquileia) im Rahmen der vierten Sitzung (nach der Lesung der Anathematismen des 5. ökumenischen Kon­zils) eine lange abschließende „Rede" verlesen, an der letzten (fünften) Sitzung, aber un­mittelbar nach der Anführung der rechtgläubigen und der häretischen Texte, wieder eine lange „Rede". In beiden sollte er den Kern der christologischen Fragen anschnei­den, 23 doch sollte er dabei nirgendwo auf die Katastrophe der aquileiensischen Kirche (der Verlust von mindestens der Hälfte des Metropolitangebietes) ein halbes Jahrhun­dert zuvor, oder auf die Spaltung des verbliebenen Gebietes in einen kleineren byzanti­nischen und einen größeren langobardischen Teil hinweisen. 24

Die Synode ignorierte - mit Ausnahme einiger periphärer Andeutungen - die neuen Verhältnisse in den, vom Standpunkt des Imperiums und der Kirche „barbarischen" regna völlig. Überhaupt konnte man nur dort geringes Interesse für das damals ent­scheidende Geschehen in der katholischen Kirche und eine verhältnismäßig geringe In­formiertheit darüber feststellen. Wie aus dem Brief des Papstes Martinus an den Bi­schof Amandus von Maastricht ersichtlich ist, 25 ließ der Papst die Synodalakten und insbesondere die Schlußerklärung der Synode vervielfältigen und hat die letzte als En­zyklika an die Kirchen und an die einzelnen bedeutenden Persönlichkeiten im. Osten und im Westen gesandt. 26 Unter den Empfängern dieser Dokumente werden in ver­schiedenen Quellen unterschiedliche Leute und Institutionen angeführt: der Kaiser (in diesem Brief, der auch von den wichtigsten Teilnehmern der Synode unterschrieben wurde, äußerte der Papst seine Sorge um das Christentum unter den gentes und sein Verhalten gegenüber diesen),27 der Frankenkönig Sigibert,28 die Kirche von Karthago,29

23 ACO II/l, 234,7/235,7-244,36/245,35; 344,4/345,5-352,9/353,8; vgl. Conte, Sinodo 62 und 84. 24 Vgl. Cuscito, Cristianesimo 304ff., und Rajko Bratoz, Aquileia und der Alpen-Adria-Raum im Früh­

mittelalter, in: Karantanien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, ed. Günther Hödl/Johannes Grabmayer (Wien/Köln/Weimar 1993) 151-208, hier: 152-158.

25 ACO II/l, 422-424. Der Papst drückt die Hoffnung aus, daß Amandus der Anfang und die Entwick­lung der monotheletischen Häresie bekannt sind („. credimus etenim ad uos peruenisse, quomodo in conturba­tione rectae fidei et catholicae ecclesiae conculcatione ante hos plus minus quindecim annos ... haeresis pollu­lauit ... ; 423, 23 ff.). Er teilt ihm mit, daß er durch die Bischöfe die Synodalakten (.„ quae in nostro concilio pe­racta sunt cum has synodales apices nostras ... ; 424, 19 ff.) auch dem Frankenkönig Sigibert schickt (424, 16 ff.). Vgl. dazu Georg Scheibelreiter, Der Brief Papst Martin I. an den Bischof Amandus von Maastricht aus dem Jahre 649, in: MIÖG 100 (1992) 84-102; Conte, Chiesa 446 Nr. 145; zuletzt Marc Van Uytfanghe, Die Vita im Spannungsfeld von Legende, Biographik und Geschichte (mit Anwendung auf einen Abschnitt aus der Vita Amandi prima), in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (Veröf­fentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32, Wien 1994) 194-221, hier: 220.

26 ACO II/l, 404-421; die Enzyklika wurde den spiritalibus fratribus nostris episcopis, presbiteris, diaco­nibus, abbatibus monasteriorum, monachis continentibus atque catholicae ecclesiae uniuersae sanctaeque ple­nitudini (405, 12ff.) ... ea quae a nobis pro catholicae ecclesiae synodaliter gesta sunt omnibus direx:imus ... (413, 11 ff.) geschickt. Auch der Liber pontificalis LXXVI (Martinus 3), ed. Duchesne 337, 4 ff„ berichtet über die Publizierung der Synodalacta: Quem synodum hodie archimo ecclesiae continetur. Et f aciens exemplaria, per omnes tractos Orientis et Occidentis direx:it, per manus orthodoxorum fidelium disseminamt.

27 Martinus papa, Epistula 3 ( ed. Migne, PL 87, Paris 1863) 137-146; vgl. Conte, Chiesa 446 f„ Nr. 146. Dieser Brief war der wichtigste und der einzige, der nicht nur vom Papst, sondern auch von den Hauptprotagonisten der Synode unterschrieben wurde, unter denen an der ersten Stelle Max:imus episcopus sanctae Dei Aquileiensis ec­clesiae war (Martinus papa, Epistula 3, ed. Migne, PL 87, 145f.), ihm folgtenDeusdedit Caralitanus, Maurus Cae­senae locum implens Mauri sancti episcopi sanctae ecclesiae Ravennae undDeusdedit presb. als der zweite Stell­vertreter des Bischofs von Ravenna. Der Papst erwähnte, daß der Streit auch unter den „ungläubigen Barbaren" bekannt sei: quod non solum pii populi scandalizentur, sed impii etiam barbari magnum confessionis nostrae my­sterium traducant . .. (Martinus papa, Epistula 3, ed. Migne, PL 87, 141 f.); am Ende drückte der Papst dem Kaiser die besten Wünsche für die Siege über „alle barbarischen Völker" aus: ... ad subjiciendum pedibus ejus barbaras om­nes gentes, quae bella volunt, utque victorem efficiat, rebus contra mtia pariter et homines feros praeclare gerendis ... et omnium gentium cer'IYices ei subdat (Martinus papa, Epist. 3, ed. Migne, PL 87, 145/6 B).

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 49

der Bischof Johannes aus Philadelphia (Provinz Arabia; Stellvertreter des Papstes für den gesamten Osten),30 noch 3 Bischöfe aus der Provinz Arabia (damals schon unter den Arabern),31 die Patriarchen von Jerusalem und Antiochia (alle schon unter arabischer Herrschaft)32 und der Bischof und die Kirche von Thessaloniki.33

Trotz relativ großer Publizität war das Echo im Westen schwach, so im Franken­reich wie auch im westgotischen Hispanien und in Britannien. Die Quellen weisen dar­aufhin, daß der Kern des monotheletischen Streites in damals jungen und teilweise mis­sionarisch orientierten Kirchen im Westen (z.B. in Britannien und im Frankenreich) wenig bekannt war, 34 trotz der gegenteiligen Behauptung des Papstes im Brief an den Kaiser. 35 Aufgrund unterschiedlicher Interessen und wesentlich verschiedener Ausbil­dungsmöglichkeiten des Klerus war der Streit über die Energeia (operatio) und Thelema (voluntas) Christi, der auf den anspruchsvollsten christologischen Texten vorwiegend griechisch schreibender Theologen des 5. und 6. Jahrhunderts basierte, nicht beson­ders interessant und verständlich. Das Verzeichnis der bekannten Adressaten im Osten und im Westen (zu den bekannten muß man auch einige unerwähnte in Hispanien und Britannien dazurechnen) weist darauf hin, daß der Papst politische Unterstützung suchte. 36 Diese hat er dringend wegen des energischen Widerstandes des Kaisers Kon-

28 ACO II/l, 424,16ff. 29 Martinus papa, Epistula 4, ed. Migne, PL 87, 145-154 (die Adressaten waren: catholicae Carthaginen­

sium ecclesiae, et omnibus qui ei subsunt, episcopis, clericis, populisque Christi amantibus). Vgl. auch Johannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio X 797 /8-803/ 4 (Paris/Leipzig 1901/2; 1. Ausg. Firenze 1763); Jaffä, Regesta 2063 und Conte, Chiesa 447 Nr. 147.

30 Martinus, Epistula 5, ed. Migne, PL 87, 153-164 A; vgl. auch Concilia X 805/6-813/ 4, ed. Mansi; Jaffä, Regesta 2064, und Conte, Chiesa 447 Nr. 148; die Sendung an den Bischof Johannes von Philadelphia wird auch in zwei anderen Briefen (vgl. nächste Anm.) erwähnt.

31 Martinus, Epistula 6, ed. Migne, PL 87, 163B-166 A: Theodoro episcopo Esbuntiorum; Concilia X 815/ 6, ed. Mansi; Conte, Chiesa 447 f. Nr. 149; Epist. 7, ed. Migne, PL 87, 165B-168A: Antonio episcopo Bacatho­rum; vgl. auch Concilia X, 817/8, ed. Mansi; Conte, Chiesa 448 Nr. 150; Epist. 8, ed. Migne, PL 87, 167-168: Georgio archimandritae monasterii sancti Theodosii; Concilia X, 819/20, ed. Mansi; Conte, Chiesa 448 Nr. 151.

32 Martinus, Epistula 11, ed. Migne, PL 87, 175-180; Concilia X, 827/8-831/2, ed. Mansi; Conte, Chiesa 448 f. Nr. 154. Die Empfänger des Briefes waren: Dilectis fratribus „. nempe Hierosolymitanae sedi „. orthodo­xis episcopis, presbyteris, diaconis, praef ectis monasteriorum, monachis, ascetis, populis Christum diligentibus; similiter iis qui censentur sub Antiochena sede.

33 Martinus, Epistula 12, ed. Migne, PL 87, 181-192; Concilia X, 833/ 4-843/ 4, ed. Mansi; Conte, Chiesa 449 Nr.156; der Papst setzte den Bischof von Thessaloniki, den Vorstand des päpstlichen Vikariates von Thessaloniki ab, bis dieser mit den Synodalbeschlüssen einverstanden ist. Darüber gab er auch der Kirche von Thessaloniki in einem besonderen Brief Bescheid. Epistula 13, ed. Migne, PL 87, 191D-198: clero et populo sanctae Dei catholicae Thessalonicensis Ecclesiae „.; vgl. Concilia X, 843/4-849/50; ed. Mansi; Conte, Chiesa 449 Nr.157.

34 Vgl. Conte, Sinodo 333-369 (Frankenreich); 375-380 (Britannien: verhältnismäßig genau war nur der Bericht Bedas in seiner Chronik: Beda Venerabilis, Chronica [ed. Theodor Mommsen, MGH Auct. ant. 13, Chronica minora 3, unv. Nachdr. München 1981] 223-333, hier: 312f.; Beda kannte die Lateransynode und die Anathematismen) Conte, Sinodo 381-393 (das westgotische Hispanien; die Informiertheit war schlechter; laut Quellen war auf dem 8. und 9. Konzil von Toledo 653 und 655 die Lateransynode nicht bekannt oder aktuell; diese wurde erst durch die Briefe nach dem 6. ökumen. Konzil bekannt; vgl. auch Lacarra, Iglesia 379); Conte, Sinodo 393-403 (Italien: die Lateransynode war Anastasius Bibliothecarius im 9. Jh. und dem ihm folgenden Landolfus Sagax allerdings nur oberflächlich bekannt). Die Fälle, die auf ein schlechtes Verständnis des mo­notheletischen Streites hinweisen: der Streit wird mit Monophysitismus verwechselt (Fredegar, Chronicon Iv, 66 [ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888, repr. 1956] 1-193, hier: 153f.: Eraglius „. infelex Euticiana aerese iam sectans, Christi cultum reliquens „.); im Frankenreich gab es keine Bedingungen für ter­minologische und vertiefte theologische Diskussionen, in Häresien sah man meist Täuschungen und Betrug (vgl. Scheibelreiter, Brief 101).

35 Vgl. Anm. 27. 36 Darauf weisen besonders die Verbindungen mit dem Frankenkönig Sigibert hin, der als einziger eine

reale Unterstützung im drohenden Konflikt mit dem Kaiser geben konnte (vgl. Scheibelreiter, Brief 100).

50 Rajko Bratoz

stans II. gegen die Synodalbeschlüsse gebraucht, was in den nächsten Jahren zum Hö­hepunkt des Konfliktes zwischen dem imperium und der rechtgläubigen Kirche führte und woraus die Verhaftung des Papstes und des führenden rechtgläubigen Theologen Maximus Confessor resultierte. 37

2.2 Die römische Synode vom 27. März 680

Eine viel wichtigere Quelle hinsichtlich der Beziehungen zwischen der Kirche, dem im­perium und den gentes (bzw. regna) ist der Brief der römischen Synode vom 27. März, der an die byzantinischen Kaiser (Konstantin IV. und seine Mitregenten Herakleios und Ti­berios) adressiert war, und der über die Vorbereitungen auf die Synode und - gleichzeitig mit dem an die gleichen Empfänger geschickten Brief des Papstes Agatho - über die Re­sultate der Synode berichtet.38 Die Unterzeichneten, mit dem Papst an erster Stelle der insgesamt 125 Bischöfe (bzw. in einigen Fällen ihrer Stellvertreter niedrigeren Ranges), eine gute Hälfte davon aus dem byzantinischen Gebiet in Italien, auf Sizilien und Sardi­nien, 39 die anderen aus den germanischen regna (ca. 50 aus dem langobardischen Italien, 40

zwei Bischöfe mit einem Stellvertreter des Bischofs aus dem Frankenreich und ein Bischof aus Britannien),41 drückten ihre Loyalität dem (den) rechtläubigen Kaiser(n) gegenüber aus. Sie bezeichneten sich dabei als Untertanen (douloi bzw. famuli) der nördlichen und westlichen Gebiete des christlichsten Imperiums.42 Mit Rücksicht auf die geographische Bezeichnung, die sich nicht nur auf das byzantinische Italien beziehen konnte, und ange­sichts der beträchtlichen (ca. 43 %) Teilnahme aus den Ländern außerhalb des Imperiums darf man schließen, daß sich auch die Angehörigen der Kirche zumindest im Langobar-

Auch die Stellungnahme der Langobarden, die einigen Bischöfen aus ihrem Territorium die Teilnahme an der Synode erlaubten, war für den Papst günstig. Nur die Könige der Westgoten und in Britannien waren zu weit entfernt, um dem Papst im Konflikt mit dem Kaiser eine reale Unterstützung geben zu können.

37 Brehier/ Aigrain, Storia 239-246; Conte, Sinodo 201-260; kurz auch Dagron/Riche/Vauchez, Ge­schichte 44 f. und 644.

38 Die Briefe sind im Protokoll der 4. Sitzung des 6. ökumenischen Konzils enthalten, die am 15. Novem­ber 680 im Rundsaal des Kaiserpalastes (Troullos) stattfand. Die Briefe wurden bei der Sitzung sämtlich in griechischer Sprache verlesen, etwas später aber in die lateinische Sprache übersetzt (ACO II/2, 1, 52, 15/53, 13-122, 4/123, 4 [der Brief des Papstes Agatho]; 122, 10/123, 10-158, 33/159, 31 [der Synodalbrief mit Un­terschriften]). Schon vor der Vorlegung dieser Dokumente bei der 4. Sitzung wurden die Vertreter des Papstes (zwei Presbyter und ein Diakon aus Rom) und der Synode (drei italische Bischöfe) im Protokoll der ersten drei Sitzungen erwähnt (ACO II/2,1, 16,13-19/17,12-17; 28,17-23/29,15-19; 36,30-36/37,25-30; 48,16-22/ 49,14-19). Nach der Lesung spielten die beiden Dokumente bei der darauffolgenden Arbeit des Konzils eine wichtige Rolle. Bei allen darauffolgenden Sitzungen und in den Schlußdokumenten wurden die beiden Doku­mente mehrmals erwähnt (ACO II/2,1 162, 20-23/163,17-21; 172,13-17/173,11-15; 182,13-17/183,11-15; 192,11-15/193,10-14; 198,2-202,4/199,2-203,2; 206/207; 232,19/233,17; 264,10-16/265,10-16; 280,3-7/ 281,3-7; 402,12-16/403,11-14; ACO II/2,2 516,1-5/517,1-4; 570,19-23/571,16-19; 630,4-8/631,4-7; 666,13-17/667,12-15; 684,16-21/685,15-18; 720,8-13/721,7-13; 731,4-8; 754,27-30/755,25-28; 772,25-30/773,23-29; 812,13-15/813,13-15 (l6gos prosphonetik6s), ebenso in verschiedenen Nachkonzilsdokumenten: ACO II/ 2,2, 862,9f./863,9f. (die Antwort des Kaisers an die römische Synode bzw. an den Papst); 874, 6ff./875, 6ff. (der Brief des neuen Papstes Leo II. an den Kaiser); 895, 29ff. (die Antwort des Kaisers Konstantin rv. an Papst Leo II.). Wegen seines theologischen Inhalts spielte der Papstbrief (Agathos Nachfolger Leo II. nannte ihn tomus dogmaticus [ed. Migne, PL 96, Paris 1862] 414A) bei dem auf theologische Fragen konzentrierten Konzil eine wesentlich wichtigere Rolle als der Synodalbrief.

39 Wesentlich weniger als auf der Lateransynode 649 (damals mehr als 80, jetzt ca. 70). 40 Die bemerkenswert rege Teilnahme der Bischöfe aus dem langobardischen Italien ist sicher eine

Folge des Friedens zwischen den Langobarden (König Perktarit) und Byzanz (Konstantin IV.), der gerade im Jahre 680 abgeschlossen wurde (vgl. Christou, Byzanz 222f., und Jarnut, Storia 61).

41 Vgl. kurz Bratoz, Römische Synode 591 ff. (kurze Analyse des Unterschriftenverzeichnisses). 42 Die Bischöfe deklarieren sich zu hoi douloi tou christianikotatou hymon kratous en te tofs dytikofs kai

arkt6ois meresi tynchanontes bzw. exigui ecclesiarum praesules uestri christiani imperii f amuli in septemtriona­libus uel occiduis partibus constituti (ACO II/2,1, 124,3-4/125,2-4).

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 51

den- und im Frankenreich zu Untertanen (douloi bzw.famuli) des Kaisers deklariert hat­ten, und daß sie damit (zumindest formal) ihre Zugehörigkeit zu diesen zwei regna ver­schwiegen hatten. Diese Tatsache überrascht einigermaßen, da sie an die Verhältnisse zur Zeit der ersten „ barbarischen" regna vor und um 500 erinnert, als die Kirche in Italien (be­sonders unter Theoderich dem Großen) teilweise pro byzantinisch orientiert war. 43 Die Bi­schöfe haben darauf Wert gelegt, festzustellen, daß in ihren Ländern die barbarischen Plünderungen und Verheerungen sozusagen täglich vorkamen, daß ihr Leben deswegen sehr schwer wäre und daß sie sich deswegen nur schwerlich dem Studium der heiligen Schriften widmen könnten, die Kirche aber in solchen Verhältnissen verfallen würde.44

Unter den gentes, inmitten derer sich die Bischöfe in besonders schwerer Lage befänden, wurden Langobarden, Slawen, Franken, Gallier, Goten und Britannier angeführt.45 Das Bild, das dem (bzw. den) Kaiser(n) von den Bischöfen vorgelegt wurde, ist also recht pes­simistisch, dennoch entspricht es - im Unterschied zu den Verhältnissen unter den Ara­bern oder Awaren - dem wahren Stand der Dinge nur teilweise. Die Behauptung ist über­trieben, wenn man die relativ ordentlichen und stabilen Verhältnisse im Großteil des Frankenreiches, im westgotischen Hispanien oder in Britannien bedenkt.46 Auch im da­mals noch zum Teil arianischen Langobardenreich in Italien war die Kirche insbesondere nach dem Friedensschluß mit Byzanz nicht mehr besonders gefährdet. Die römische Syn­ode zu Ostern 680 fand in der Zeit statt, als unter der Regierung des rechtgläubigen Kai­sers die Beziehungen zwischen dem Papst und dem Kaiser sehr gut waren und zugleich auch relativ ruhige politische Verhältnisse in Italien herrschten. Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich die Kirche im Westen sehr mit dem imperium verbunden, was im 7. Jahrhun­dert fast ein Ausnahmefall war. Die Kirchenstrukturen in den „barbarischen" regna de­klarierten sich im Brief, der zwar vom Papst geschrieben, aber auch von den Bischöfen aus diesen regna unterschrieben wurde, als Angehörige des Imperiums. In einem besonderen, an den (die) Kaiser adressierten Brief ermunterte der Papst diese, daß sie mit Gottes Hilfe einen Sieg über alle gentes erringen und damit die gesamte christliche Welt vereinigen würden. 47 Ebenso appellierten die in Rom versammelten Bischöfe im Einführungsteil ih­res Synodalbriefes an einen Sieg der Kaiser über alle gentes und an die Durchsetzung der Orthodoxie unter diesen. 48

43 Z.B. zur Zeit des laurentianischen Schismas; vgl. John Moorhead, The Laurentian Schism: East and West in the Roman Church, in: Church History 47 (1978) 125-136.

44 ACO II/2,1, 126,16ff./127, 15ff.: .„ in nostris regionibus diuersarum gentium (gr. ton diaph6ron ethnon) cotidie aestuat Juror, nunc confligendo, nunc discurrendo ac rapiendo, unde tota uita nostra sollicitudinibus plena est „. pristina ecclesiarum sustentatio paulatim per diuersas calamitates deficiendo succumbuit „. Vgl. Bratoz, Römische Synode 5f0 f. / .!:,)

46 ACO 11/2,1, 132,26ff./133,23ff.: .„ in medio gentium tam Langibardorum quamque Sclaborum (gr. Langibdrdon kai Skldbon) nec non Francorum, Gallorum et Gothorum atque Brittanorum (gr. Frdngon, Gallon kai G6tthon kai Bretanon) plurimi confamulorum nostrorum esse noscuntur .„ Vgl. Bratoz, Römische Synode 591 ff. (Kommentar zu dieser Stelle, bes. zur Erwähnung der Slawen).

46 Vgl. Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 635ff. 47 ACO 11/2,1, 58,11 ff./59,11 ff.: Sie restituat superma maiestas „. sub benigni uestri principatus regimine

totam christianam rem publicam (gr. pasan ten t6n Christianon politeian) et fortissimis uestris sceptris aduersas subigat nationes „. In der Fortsetzung war der Papst noch direkter (118,3ff./119,4ff.): „. quatenus supernae maiestatis terrore perculsae gentium nationes (gr. td gene t6n ethnon) sub sceptris uestri robustissimi principatus humiliter colla prosternant „. Den Brief schloß er mit folgendem Wunsch ab: Piissimum dominorum imperium gratia superna costodiat eique omnium gentium (gr. pdnton ton ethnon) colla substernat (122,3f./123,3f.).

48 Im Brief an Kaiser Constantin IV. und seine jüngeren Brüder und Mitregenten Herakleios und Tibe­rios, die als berühmte Sieger bezeichet werden („. serenissimis uictoribus atque triumphatoribus ... ; 122,10/ 123,10) appellierten die Bischöfe an das imperium, das mit Hilfe der Rechtgläubigk:E;ftefu;~·sieg über alle Völ­ker erringen sollte („. in terrestribus felicitatem donet et gentes subiuget uniuersas [gr. hdpanta ta ethne hypotd­xei], quas ad uere de se cognitionis confessionem asciscat, quas subiectas christiano imperio „. ; 122,24ff./ 123,22ff.).

52 Rajko Bratoz

2.3 Das sechste ökumenische Konzil in Konstantinopel 680/681

Im Verlauf des 6. ökumenischen Konzils waren die Fragen der Beziehungen zwi­schen der Kirche und den gentes weniger bedeutsam als bei der römischen Synode, da alle Anspielungen darauf nur gelegentlich geäußert wurden. Der Kaiser Konstantin IV. hat im Einführungsbrief dem Papst Agatho am 4. August 680 die Gründe für das Einbe­rufen des Konzils mitgeteilt und hat auch den Zweck aller Bemühungen angeführt: die Vereinigung der gesamten christlichen Welt, damit die Heiden und Häteriker aus den gegenwärtig herrschenden Verhältnissen keinen Vorteil ziehen könnten.49 Im Brief an den Konstantinopolitaner Patriarch Georgios hat er einen Monat später (am 2. Septem­ber 680) aber nur vorübergehend seine Sorgen hinsichtlich der militärischen und der zivilen Angelegenheiten ausgedrückt. Auf Grund anderer Quellen, vor allem Theopha­nes' Chronik, ist bekannt, daß diese Zeit für den byzantinischen Staat recht prekär war. 50

Nach der Erörterung der Verhältnisse im Westen im Rahmen der 4. Sitzung (am 15. November 680) mit der Lektüre der beiden oben erwähnten Dokumente der westli­chen Kirche über die römische Synode, die das Verhalten der Kirche gegenüber den gentes im Westen schildern, wurde bei der Verlesung verschiedener anderen Doku­mente auch die Frage der Beziehungen zu den gentes im Osten berücksichtigt. Ein sol­ches Dokument war die, auf der 11. Sitzung (am 20. März 681) vorgelegte, synodale En­zyklika des Patriarchen von Jerusalem, Sophronios, aus dem Jahre 634, adressiert an den Konstantinopolitaner Patriarchen Sergios, die aber auch den anderen Patriarchen und Papst Honorius übermittelt wurde. Der Patriarch von Jerusalem, der in einem um­fangreichen theologischen Traktat die monenergetische Lehre und andere aktuellen Häresien zurückgewiesen hatte, 51 appellierte im Schlußteil an die Rechtgläubigkeit als Bedingung für die kaiserlichen Siege über die Barbaren, besonders über die Saraze­nen. 52

Die zwölfte Sitzung am 22. März 681 verlief - ebenso wie die folgenden drei (die drei­zehnte am 28. März, die vierzehnte am 5. April und die fünfzehnte am 26. April) - in der Abwesenheit des Kaisers, der sich damals auf einem schweren und wenig erfolgrei­chen Feldzug gegen die Bulgaren befand. 53 Bei dieser Sitzung hat man beim Lesen des Briefes des Konstantinopolitaner Patriarchen Sergius an Papst Honorius .(Ende 633 oder Anfang 634) beiläufig die Siege Herakleios' über die Perser erwähnt, weiter seinen

49 ACO 11/2,1, 4,25f./5,23f. (hoi Hellenes kai hairetikoibzw. pagani et heretici), 50 ACO 11/2,1, 10,21 ff./11,21 ff: Quamquam sollicitudinibus tam militaribus quamque ciuilibus indesi­

nenter nostra serenitas coartatur. „ Der Kaiser spielt auf die Kriege an, die Byzanz davor und zur Zeit des Kon­zils führen mußte: Zwischen 674-678 versuchten die Araber wiederholt die Hauptstadt vom Meer her zu er­obern; vom Frühling 680 bis zum Spätsommer 681, also fast in der ganzen Zeit des Konzils, dauerte der Krieg mit den Bulgaren. Die bedeutendste Quelle für die damalige Epoche der Existenznot des Kaisertums ist Theo­phanes, Chronographia I 353-359; II, 223-227; vgl. George Ostrogorsky, History ofthe Byzantine State (New Brunswick/New Jersey 1995) 124ff; Vassil Gjuzelev, Forschungen zur Geschichte Bulgariens im Mittelalter (Miscellanea Bulgarica 3, Wien 1986) 14-19.

51 ACO Il/2,1410,13/411,12-494,9/495,11. Zum Brief vgl. Brehier/ Aigrain, Storia 183f.; Conte, Chiesa 415f. Nr. 58; Riedinger in ACO 11/2,2, XIV.

52 ACO 11/2,1, 490,18ff./491,18ff (Deus .„ uestris deo acceptabilibus orationibus mitigatus „, eis [sc. im­peratoribus] copiosam multitudinem condonet uictoriasque maximas aduerBUB barbaros inpendat et trophea .„ [gr. nikas te megistas kata barbdron doie kai tr6paia] „. barbarorum quidem omnium maximeque Sarracinorum [gr. Sarakenon] supercilium confringentia ... ).

53 Der schwierige Krieg wird auch im Epilog des Konstantinopeler Diakons Agatho (ACO 11/2,2, 898,3-901,12) apostrophiert: die Bulgaren haben viele Christen gefangengenommen und getötet (.„ tou geitnidzontos ethnous ton Ounnogouron Boulgdron meta pleistes aichmalosias te kai sphages ton en te Thrdke katamen6nton Christianon ... ; 900, 8ff.). Über den Krieg im Frühling und Sommer 681 vgl. Gjuzelev, Forschungen 19.

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 53

Sieg in Armenien und später in Nordsyrien.54 Auf die schweren Verhältnisse zur Zeit des bulgarischen Krieges erinnern die Akklamationen der Bischöfe zu Ehren des damals wegen des bulgarischen Feldzugs abwesenden Kaisers bei der 14. Sitzung (5. April 681), wobei die guten Wünsche für den Sieg ausgedrückt wurden.55 An die schweren Zustände zur Zeit des bulgarischen Krieges erinnerte der Presbyter Konstantinos aus dem syri­schen Apameia auf der 16. Sitzung am 9. August (diesmal wieder in Anwesenheit des Kaisers, der den Krieg mit Bulgaren zeitweilig abgeschlossen hatte).56 Nur an dieser Stelle trifft man in den behandelten Konzilsakten auf die staatspolitische, ethnische und territoriale Bezeichnung eines Gentilstaatsgebildes (Boulgar{a), während in allen anderen Fällen, im Osten wie im Westen, nur die Völker (gentes) genannt werden, wie z. B. die Sarazenen (zweimal), Perser, Franken, Langobarden, Slawen, Goten, Gallier und Britannier Ge einmal).57 Bei den letzten zwei Sitzungen (am 11. und 16. September) ist das Verhältnis der Kirche zu den gentes und regna unberücksichtigt geblieben, nur in der Schlußrede der Konzilsbischöfe zur Ehre des Kaisers (l6gos prosphonetik6s) drück­ten die Teilnehmer ihre guten Hoffnungen für den rechtgläubigen Kaiser aus: die bar­barische Welt (to bdrbaron bzw. barbari) sollte dem mit allen Tugenden „ausgerüsteten" Kaiser gehorsam sein. ~8 Einen ähnlichen Wunsch hatte auch der neue Papst Leo II.; nach dem Empfang der Konzilsbeschlüsse hat er die Hoffnungen auf die Einheit der rechtgläubigen christlichen Welt ausgedrückt und in den Schlußworten wieder den Wunsch geäußert, daß sich alle heidnische Völker dem Kaiser unterwerfen würden.59

Wegen der völligen Übereinstimmung zwischen dem Kaiser und dem Papst hinsicht­lich der Konzilsbeschlüsse hatten die Päpste Agatho und sein Nachfolger Leo II. keine -wie drei Jahrzehnte zuvor Martin 1. - Unterstützung für die eigene Politik bei den bar­barischen regna im Westen gesucht. Leo II. ließ die wichtigsten Konzilsdokumente (zu­erst den sog. l6gos prosphonetik6s und das kaiserliche Glaubensedikt, danach auch die anderen Texte) ins Lateinische übersetzen und sandte dann diese Übersetzungen an die des Griechischen unkundigen Kirchengemeinden im Westen. In den Quellen wird die Übermittlung dieser Dokumente nach Spanien belegt: sie wurden zuerst an die hispani­schen Bischöfe (in Erwartung des Abschlusses der Übersetzungsarbeit an den gesamten Acta hat der Papst die schon übersetzten Hauptdokumente gesandt, und zwar den Kon-

64 .' ACO II/2,2, 534-547; zum Brief vgl. Conte, Chiesa 412 Nr. 52 und Kreuzer, Honoriusfrage 12-16.

Zum Sieg des Herakleios über die Perser vgl. 534,11 ff./535,11 ff. (Armenien, Lazica); 546,1/547,1 (Edessa). Dazu und zum Feldzug in Armenien und Syrien in den Jahren 622-628 vgl. Ostrogorsky, History 101 ff.

55 ACO 11/2,2 654,23/655,21: „.fili dei, da illi uictorias! 56 ACO 11/2,2 694,24ff./695,23ff.: Constantinus „. presbyter ... ueni ad sanctum uestrum concilium, ut in­

struam uos, quia, si auditus essem, quae passi sumus hoc anno, non habuimus perpeti, hoc est quod passi sumus in proelio (Bulgariae) [ti epathomen eis tön p6lemon Boulgarias]. Zu den Ereignissen vgl. Theophanes, Chro­nographia I 358 f.; II, 224 f. Dieser Presbyter war nur bei dieser Sitzung anwesend; als er um die Teilnahme an der Sitzung warb, stellte er sich als Stellvertreter des Bischofs Abrahames aus Arethusa in der Provinz Syria Secunda (damals schon unter arabischer Herrschaft) vor. Offensichtlich war der große Krieg in Thrakien mit schweren Verlusten bald auch in Syrien bekannt.

57 Die Belege in ACO 11/2,1-2: Sarazenen (Sarakeno{, Sarracini: 492,3/493,3; 614,3/615,3); Perser (Per­sa{, Persae: 534,11/535,11); die gentes im Westen (132,27f./133,24f.; vgl. Anm. 45). Ein Vergleich mit Theo­phanes: dieser verwendet die Staatsbezeichnungen nur für das byzantinische Reich (Romania) und für Persien (Persis), alle anderen Staatsgebilde sind als gentes bezeichnet, z.B.: Sarrakenoi/Araboi, Abareis, Sklaboi usw. (vgl. Theophanes, Chronographia II 555 ff.).

58 ACO IV2,2 820,5-10/821,4-9: .„ eum [sc. imperatorem] aspiciant barbari et speramus in deum obtem­perare dominanti.

59 ACO 11/2,2 882,20ff./883,17 ff.: „. orthodoxa fides recollecto splendore totum orbem inradiat, fideles omnes gratias referentes exultant, infideles meror atque deiectio conprimit et consumit „. Piissimum domini im­perium gratia superna custodiat eique omnium gentium colla substernat.

54 Rajko Bratoz

zilsbeschluß [definitio], den l6gos prosphonetik6s und das Edikt des Kaisers),60 danach an den westgotischen König Erwig, 61 an den Comes Simplicius und an den Bischof von To­ledo Quiric(i)us.62 Es ist nicht bekannt, ob der Papst die Dokumente auch woanders hin­geschickt hat (z. B. in das Frankenreich, wie Papst Martin die Akten der Lateransynode, oder nach Britannien), sicher ist nur, daß später auch dort die Beschlüsse des Konzils (besonders die Verurteilung des Papstes Honorius) bekannt waren.63 Leo II. und später (684) noch Benedikt 11.64 waren bei der Inkraftsetzung der Konzilsbeschlüsse besonders auf deren Durchführung in der hispanischen Kirche bedacht. Im gesamten Westen gab es nur dort eine Opposition gegen das Konzil bzw. es herrschten nur dort einige Undeut­lichkeiten hinsichtlich der Auslegung der Energie und des Willens Christi, die bis zur 15. Synode in Toledo von 688 andauerten.65 Aufgrund der Berichte über das Ende des Dreikapitelstreites in Norditalien dürfte man zum Schluß kommen, daß es auch einige Unklarheiten in Norditalien gab, und daß vielleicht Verbindungen zwischen den Schis­matikern und den Gegnern des 6. ökumenischen Konzils geknüpft wurden.66 Andernorts im Westen ist kein Widerstand gegen das 6. ökumenische Konzil bekannt. Der monener­getisch-monotheletische Streit hat dort nur schwache Spuren hinterlassen.67

2.4 Das zweite Trullanische Konzil 692

Im Jahrzehnt nach dem ökumenischen Konzil schloß Byzanz Frieden mit den Ara­bern (685), führte einen erfolgreichen Krieg gegen die Bulgaren und Slawen (688/689) und verwickelte sich dann in einen neuen Krieg mit den Arabern (691/692). 68 Gerade zur Zeit dieses Krieges versammelte sich am selben Ort wie zehn Jahren davor das so­genannte zweite Trullanische Konzil, mit einer noch größeren Teilnahme der Bischöfe

60 Leo II. papa, Epistula 4, ed. Migne, PL 96, 411-415; vgl. auch Conte, Chiesa 484 Nr. 250. Die Doku­mente, die propter linguae diversitatem „. in nostrum eloquium examinate translata wurden, hat der Papst mit der Absicht umher gesandt, daß sie in der gesamten Kirche bekannt, und von den Bischöfen auch unterschrie­ben würden ( .„ ut per universos vestrae provinciae praesules, sacerdotes et plebes, per religiosum vestrum stu­dium innotescat, ac salubriter divulgetur, et ab omnibus reverendis episcopis una vobiscum subscriptiones in ea­dem definitione venerandi concilii subnectantur „ .).

61 Leo II. papa, Epistula 7, ed. Migne, PL 96, 418-420: Ervigio regi. Vgl. auch Conte, Chiesa 484 Nr. 251; Kreuzer, Honoriusfrage 104 f.

62 Leo II. papa, Epistula 5, ed. Migne, PL 96, 415-416: Dilectissimo fratri Quirico; vermutlich der Bischof von Toledo; ders„ Epistula 6, ed. Migne, PL 96, 416-418: Simplicio comiti. Vgl. auch Conte, Chiese 484 f. Nr. 252f.

63 Vgl. Conte, Sinodo 378; Kreuzer, Honoriusfrage llOf. 64 Benedictus II. papa, Epistula 1, ed. Migne, PL 96, 423-424; vgl. Conte, Chiesa 487 Nr. 261. Der Papst

appellierte an Petrus, der notarius regionarius war und der die drei Dokumente nach Spanien schickte, er möge konsequent (cum summa sedulitate atque vigilantia) seine Arbeit abschließen, d. h. auch die Unterschrif­ten von allen hispanischen Bischöfen unter dem Konzilsbeschluß (definitio) sammeln: subscriptiones quoque reverendissimorum episcoporum post eamdem synodicam definitionem „. procura subiungi .„ Officium perinde pietatis assumptum, vigilantia atque sollertia condecorans, festina perficere.

65 Charles Joseph Hefele/Henri Leclercq, Histoire des Conciles d'apres les documents originaux 3 (Paris 1909) 514f.; Brehier/ Aigrain, Storia 345-350; Lacarra, lglesia 379ff.; Conte, Sinodo 388f.

66 Vgl. Anm. 84 unten. 67 Der vorwiegende Teil der westlichen Berichten über das Konzil bezieht sich auf die Verurteilung des

Papstes Honorius (vgl. Hefele, Histoire 519ff.; Conte, Primato 89ff.; Kreuzer, Honoriusfrage 102ff.). In der sonst recht engagierten Kirche von Grado hinterließ der Streit einige Spuren; die Ereignisse (wie die Lateran­synode oder das 6. ökumen. Konzil) werden in der lokalen Chronistik erwähnt; vgl. Johannes Diaconus, Chro­nicon Venetum (ed. Giovanni Monticolo, Cronache Veneziane antichissime 1, Roma 1890) 85f.; Andreas Dan­dulus, Chronica per extensum descripta a. 649 und 680/l (ed. Ester Pastorello, Rerum Italicarum scriptores tomo XII/l, Bologna 1939ff.) 97 und 101.

68 Theophanes, Chronographia 1 364ff.; II, 231 f. Vgl. Ostrogorsky, History 129ff.; Gjuzelev, Forschun­gen 20.

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 55

(über 220, alle aus dem Osten; nur zehn griechische Bischöfe sind aus dem dem Papst direkt unterstellten Vikariat Thessaloniki gekommen). Das Konzil widmete sich gänz­lich disziplinären Fragen und damit der Befestigung der Kirchenstrukturen, also jenen Themen, die auf dem 5. und 6. ökumenischen Konzil wegen ihrer Überbelastung mit den Fragen der Rechtgläubigkeit nicht berücksichtigt wurden. Der Verlauf des Konzils ist nicht bekannt, da nur die einführende Rede der Synodalväter zur Ehre des Kaisers Justinian II. (l6gos prosphonetik6s), 102 kirchenrechtliche Beschlüsse (Kanones) und die Liste der Teilnehmer erhalten geblieben sind. 69

Die Kirche hat diesmal, nach allen schicksalhaften Geschehnissen des Jahrhun­derts, auf die neuen Zustände auf kirchenrechtlichem Gebiet reagiert. Mit einigen Be­schlüssen versuchte sie auch die spezifischen Verhältnisse auf dem Territorium zu be­rücksichtigen, das für den Staat schon lange Zeit verloren war, wo aber die kirchlichen Strukturen noch existierten (ecclesia in gentibus). Innerhalb der kirchenrechtlichen Terminologie verharrte das Konzil bei der alten Gepflogenheit, alle gentes (und ihre regna; aus dem Kontext ist ersichtlich, daß es vor allem um Araber, Bulgaren und Sla­wen ging) mit dem geringschätzigen Ausdruck barbar(o)i zu bezeichnen, nur an einigen Stellen auch mit etwas neutralerem Adjektiv gentilis (ethnik6s). 70 In der einführenden Lobrede wird der Kaiser als eine allen Völkern, die dem Staat unterworfenen sind, Strahlen und Licht bringende Gestalt dargestellt. 71

Neue Verhältnisse, nämlich die intensive Berührung mit den gentes (gewöhnlich in Kriegszuständen) spiegeln sich in fünf Kanones wider, die die Bedrohung der christli­chen Welt (laut dieser Regelungen identisch mit dem Staatsterritorium) schildern, in ei­nem Fall bezieht sich die Regelung aber auf das bereits verlorene Territorium, das sich unter der barbarischen Herrschaft befand. Infolge barbarischer Einfälle war eine Re­duktion der Anzahl der jährlich vorgeschriebenen (mindestens zwei) Provinzialsynoden auf nur eine gestattet. 72 Im Fall, daß die Kleriker wegen eines barbarischen Überfalls die eigene Kirchengemeinde verlassen hatten, mußten sie sofort nach dem Ende des drohenden Unheils zurückkehren.73 Die Bischöfe, die wegen barbarischer Einfälle ge­flüchtet waren, deren Städte jedoch für längere Zeit oder für immer in die Hände der Barbaren gefallen sind, behielten in der Verbannung ihre Würde und ihre Rechte.74 Ein Kanon regelt einen konkreten Fall der Flucht bzw. der Übersiedlung eines Bischofs und seiner Kirchengemeinde; es geht um die Flucht des zypriotischen Bischofs Johannes und s!')iner Gemeinde, die mit Zustimmung des Kaisers in die Provinz Hellespont über­siedelten, um „den barbarischen Überfällen und der Versklavung durch die Heiden" zu

69 Die dreisprachige Ausgabe (gr., lat. und franz.) der einführenden Rede und der Kanones bei Pericles­Pierre Joannou, Les canons des conciles oecumeniques, in: Pontificia commissione per la redazione del codice di diritto canonico orientale (Fonti. Fascicolo IX. Discipline generale antique [11° - IX" s.], t. 1,1, Grottaferrata 1962) 101-24, die Teilnehmerliste Concilia XI 11, 987-1006, ed. Mansi. Zum Konzil vgl. Heinz Ohme, Das Concilium Quinisextum und seine Bischofsliste. Studien zum Konzil von Konstantinopel 692 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 56, Berlin/New York 1990) bes. 220ff., und die Beiträge in: Annuarium historiae concilio­rum 24 (1992), bes. 95-185; kürzere synthetische Darstellungen: Brehier/ Aigrain, Storia 268ff.; Dagron/Ri­che/Vauchez, Geschichte 59-71.

7° Kan. 37, ed. Joannou, Canons 171: gentilis iniuria bzw. ethnike epireia; Kann. 39, ed. Joannou, Ca­nons 173: ethnike doule(a bzw. gentilium servitus. Vgl. Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 62.

71 Logos prosphonetik6s, ed. Joannou, Canons 106 (in der lateinischen Übersetzung): mentis puritate et splendore subiectos populos illuminantem.

72 Kan. 8, ed. J oannou, Canons 135; es geht um eine Anpassung auf die neuen Verhältnisse im Vergleich mit dem Kanon 19 des Konzils von Chalkedon (vgl. Joannou 84f.).

73 Kan. 17, ed. Joannou, Canons 148f. 74 Kan. 37, ed. Joannou, Canons 171 f.; zur Frage der Bischofstranslation vom Ende des 6. Jahrhunderts

weiter vgl. Sebastian Scholz, Transmigration und Translation. Studien zum Bistumswechsel der Bischöfe von der Spätantike bis zum Hohen Mittelalter (Köln/Weimar/Wien 1992) 89ff.

56 Rajko Bratoz

entkommen. 75 In einem Fall setzt die Regelung die Existenz der Geistlichen auf dem barbarischen Territorium voraus, also auf einem schon verlorenen Territorium, wo die Kirchenstrukturen zumindest teilweise noch existierten. Dabei berücksichtigte die Re­gelung die spezifischen Verhältnisse, in denen diese Presbyter leben mußten.76

Diese Regelungen sind allerdings ein Spiegelbild der neuen Lebensverhältnisse. Es bleibt noch eine Frage offen, nämlich in welchem Maß sich diese Reihe von Regelungen, die verschiedene Erscheinungsformen des offensichtlich am Ende des 7. Jahrhunderts noch immer bestehenden Heidentums bekämpften, 77 in den neueren ethnischen und re­ligiösen Veränderungen widerspiegelt. Es geht nämlich um die Ankunft und Ansiedlung von größeren gentilen (insbesondere slawischen) Gruppen im Staatsterritorium, die si-, cherlich heidnische Bräuche beibehalten hatten. Bei der verhältnismäßig großen An-zahl der beschriebenen heidnischen Bräuche ist es - mit Ausnahme derjenigen, die sich speziell auf Armenien beziehen78 - fast unmöglich, ihre Provenienz oder territoriale Verbreitung zu erkennen. Die kurzen Charakterisierungen dieser Bräuche weisen dar­auf hin, daß sich das Konzil vor allem mit den Elementen des klassischen antiken Hei­dentums befaßt hat, nicht aber mit den religiösen Bräuchen der neuangesiedelten heid­nischen Gruppen innerhalb des Reiches.79

2.5 Die Synode von Pavia im Jahr 698

Die Synode von Pavia im Jahr 698 war vor allem für die lokale Entwicklung der Kir­che im nordadriatischen Raum (das Patriarchat Aquileia auf dem Territorium des re-

76 Kan. 39, ed. Joannou, Canons 173f. (die Araber sind nicht genannt!); vgl. Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 62.

76 Kan. 30, ed. Joannou, Canons 161: „. toits en tais barbarikais ekklesiais hiereas .„ 77 In verschiedenen Regelungen wurden folgende Elemente des Heidentums verboten: das Bringen von

Trauben zum Altar invalescente consuetudine und deren Verteilung unter die Gläubigen (Kan. 28, ed. Jannou, Canons 158f.); die ausgelassenen Feierlichkeiten mit öffentlichen Tanzen, die Maskierung more antiquo (Frauen im Männergewand und umgekehrt), das Tragen von komischen, satyrischen und tragischen Masken, das Anrufen von Dionysos' Namen beim Pressen von Trauben und ausgelassenes Lachen bei der Füllung von Fässern mit neuem Wein (Kan. 62, ed. Joannou, Canons 198ff.); das Anzünden von Scheiterhaufen vor den Häusern und Werkstätten am ersten Monatstag und das Springen über das Feuer antiqua consuetudine (Kan. 65, ed. Joannou, Canons 203); die Eheverbindungen unter (noch immer!) Ungläubigen bzw. solche Ehen, bei denen ein Partner ungläubig ist (Kan. 72, ed. Joannou, Canons 209f.); das Baden im gemischten Badean­lagen, d. h. Männer und Frauen zusammen (Kan. 77, ed. Joannou, Canons 214); das Mitführen von Tieren in die Kirche, das nur in größter Not erlaubt war (Kan. 88, ed. Joannou, Canons 224f.); heidnische Schwüre (Kan. 94, ed. Joannou, Canons 229f.); die Verschönerung mit augenschmeichelnden Frisuren (Kan. 96; Joan­nou 233f.); das Besitzen von profanen, Sinnlichkeit erregenden Bildern (Kan. 100, ed. Joannou, Canons 236f.). Vgl. auch Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 66ff. Aus der gleichen Zeit (693) stammt ein strenges Verbot des Heidentums auf dem 16. Konzil von Toledo (Kanon 2, ed. Mansi 12, 69 f.), wobei die folgenden An­hänger des Heidentums erwähnt wurden: cultores idolorum „. veneratores lapidum, accensores facularum, ex­colentes sacra fontium vel arborum, auguratores quoque seu praecantores.

78 Die an das Heidentum, das Judentum und die Häresien gemahnenden Bräuche in Armenien wurden an folgenden Stellen untersagt: Kan. 32, ed. Joannou, Canons 162ff.: Kommunion mit reinem, nicht mit Was­ser gemischtem Wein; Kan. 33, ed. Joannou, Canons 166f.: in den Klerikerstand wurden nur Klerikerkinder genommen; Kan. 56, ed. Joannou, Canons 193f.: das Genießen von Käse am Samstag und Sonntag während der Fastenzeit „in Armenien und in anderen Orten"; Kan. 99, ed. Joannou, Canons 235f.: das Bringen von Fleischstücken zum Altar und ihre Verteilung unter den Klerikern iudaico more.

79 Unerwähnt bleiben die für die Slawen charakteristischen Religionspraktiken wie z. B. die Verehrung von Wasserquellen, Bäumen oder Holzidolen oder Lebensbräuche wie Polygamie, Selbstmord oder die Tötung von Witwen; vgl. Sergij Vilfan, La cristianizzazione delle campagne presso gli Slavi del sud occidentali: or­ganizzazione, resistenze, fondo sociale, in: Settimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 28 (1980) 889-918, hier: 914; ders„ Le tradizioni locali e le influenze ecclesiastiche nel matrimonio in Slovenia e nelle regioni vicine, in: Settimane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 24 (1977) 347-396, hier: 358 ff.

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 57

gnum Langobardorum) wichtig. Sie hat den Dreikapitelstreit bzw. das Schisma von Aquileia - nach der teilweisen Erledigung durch den Papst Honorius genau siebzig Jahre zuvor80 - endgültig beseitigt. Das Schisma war schon zur Zeit Gregors des Großen seiner Meinung nach in inhaltlicher (theologischer) Hinsicht überholt, 81 ein Jahrhun­dert später, als der langobardische Staat katholisch geworden war und gute Beziehun­gen zum Papst pflegte, 82 verschwanden aber auch die politischen Gründe für seine Fort­dauer. Es sind nur indirekte Berichte über diese Synode erhalten,83 aus denen die wich­tigsten Elemente ihres Verlaufs und ihre wichtigsten Resultate erkennbar sind. Der Le­sung von theologischen Texten und ihrer Auslegung (wie z. B. auf der Lateransynode und auf dem 6. ökumenischen Konzil) folgte die Verdammung derjeniger Texte (bzw. ih­rer Autoren), die auf dem 6. ökumenischen Konzil verurteilt worden waren (die Kon­stantinopolitaner Patriarchen Paulos und Pyrrhos) und derjenigen Autoren, die auf dem 5. ökumenischen Konzil verdammt wurden (die syrischen Theologen Theodor von Mopsuestia, Ibas von Edessa und Theodoret von Kyrrhos).84 Nach der Synode wurden -gemäß des Auftrags des Papstes Sergius - die Bücher der genannten Theologen ver­brannt. 85 Daß die Synode von Pavia nicht nur eine Abrechnung mit den Gegnern des 5. ökumenischen Konzils (d. h. mit den Anhängern des Dreikapitelschismas) war, sondern auch eine Abrechnung mit den Gegnern des 6. (antimonotheleti~chen) Konzils (d. h. mit den Anhängern der monotheletischen Lehre) bedeuten könnte, zeigt die Tatsache, daß unter den fünf genannten Häretikern gerade auf den ersten zwei Stellen (!) die Konstan­tinopolitaner Patriarchen Pyrrhos (638-641, das zweite Mal 655) und Paulos (641-654) auftauchten. Diese zwei wichtigen monotheletischen Theologen und Kirchenpolitiker wurden nämlich auf dem 6. ökumenischen Konzil und durch die Nachkonzilsdokumente als Häretiker gebrandmarkt. 86

3. EINIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Kirche, dem imperium und den „barbarischen" gentes und regna war im 7. Jahrhundert äußerst dynamisch. Der mo­nenergetisch-monotheletische Streit (638-681) sowie auch der nach der Zeit Gregors des Großen in die Peripherie der italischen Kirche verdrängte Dreikapitelstreit (bis

8° Cuscito, Cristianesimo 307 f.; Lujo Margetic, Histrica et Adriatica. Raccolta di saggi storico-giuridici e storici (Trieste 1983) 155ff., und Bratoz in: Zgodovinski casopis 46 (1992) 304ff. (mit etwas unterschiedlichen Auslegung des Honorius-Epitaphs mit dem Dystichon Histria testatur possessa hostilibus annis/septies et de­cies scismate pestifero des Honorius-Epitaphs).

81 Gregor der Große bezeichnete den Streit im Brief an den Mailänder Bischof Constantius als scissura pro nulla re facta (Gregorius Magnus, Registrum epistolarum 4, 2 [ed. Dag Norberg, CCSL 140, Turnhout 1982] 218, 12).

82 J arnut, Storia dei Longobardi 67 f. 83 Grundquelle ist Carmen de synodo Ticinensi (ed. Ludwig Bethmann, MGH SS rer. Langob„ unv.

Nachdr. Darmstadt 1988) 189-191, hier: 190f.; von anderen Quellen ist vom eigenem Wert noch Liber ponti­ficalis LXXXVI (Sergius), 15, ed. Duchesne 376; 381 Anm. 45.

84 Carmen IX, ed. Bethmann 190: Aulam ingressi ortodoxi pariter, /adverBUB prabos coeperunt contendere, /libros legentes sancitos a patribus, /Pauli et Pyrri detegentes heresem, /Theodori, Hibae simulque Theodoriti.

85 Carmen XVII, ed. Bethmann 191: Merito iuste pastor apostolicus /digni quod erant sectae pravae codi­ces, /quos antefati conscripserunt auctores, /iussit conburi, ultra ne pulluerent /pravorum mentes, qui erant de scismate.

86 Die definitive Verurteilung der beiden erfolgte in der Kaiserrede am Schluß der 18. Sitzung (ACO II/ 2,2, 798,19/799,19), im sog. l6gos prosphonetik6s (814,19/815,20), im Religionsedikt des Kaisers (834,15/ 835,13.f.; 852,16/853,15f.16) und als Anathema vonseiten des Papstes Leo II. im Brief an Kaiser Konstantin IV. (878,2/879,2).

58 Rajko Bratoz

698) sind vor allem infolge des Drucks des imperium (der Kaiser) auf die Kirche aus­gebrochen. Sein Verlauf stellt ein Spiegelbild der politischen Machtkonstellation dar. Auf dem dogmatischen Gebiet wurzelten die beiden Dispute in den christologischen Fragen des 5. und der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Die Akten der Lateransyn­ode im Jahr 649, die zwei Sendschreiben (des Papstes und der römischen Synode) von 680, die Akten des 6. ökumenischen Konzils in Konstantinopel in den Jahren 680/81, die Kanones des 2. trullanischen Konzils (691/2) weisen darauf hin, daß die innere Entwicklung der Kirche im 7. Jahrhundert vom antiken Erbe, besonders von den ne­storianischen und monophysitischen Fragen, im disziplinären und organisatorischen Bereich aber von den Regelungen des 4. ökumenischen Konzils in Chalkedon im Jahr 451 als auch von Justinians Kirchenpolitik und Gesetzgebung bestimmt war. Auf dem Gebiet der theologischen Diskussion, besonders hinsichtlich der Energie und des Wil­lens Christi, brachte das 7. Jahrhundert einige Neuigkeiten,87 sie basierten aber stets auf der erneuten theologischen Erörterung von Texten aus dem 4., 5. und 6. Jahrhun­dert. Die Synodalquellen erwecken dabei den Eindruck, als ob sich die vorwiegende, ja sogar fast die gesamte Aktivität der Kirche auf die Erörterung der theologischen Fragen konzentriert hätte, während sich die Fragen der Beziehungen zu den beste­henden gentes und regna, sowohl den christlichen im Westen als auch den heidni­schen oder andersgläubigen im Balkanraum, in Asien und in Afrika, stets am Rande befanden.

Wegen der komplizierten Beziehungen zum imperium (und den in vielen Fällen sei­nen Interessen folgenden östlichen Patriarchaten) suchten die Päpste (vom Standpunkt des imperiums nur die dem Rang nach angesehensten unter den Patriarchen) Verbün­dete in den etablierten katholischen regna im Westen (besonders im Frankenreich, we­niger bei den Westgoten in Hispanien und in den neuen regna in Britannien). Die gro­ßen Streitfragen der Kirche im byzantinischen Reich haben sich aber nur geringfügig auf die kirchlichen Strukturen dieser regna übertragen lassen, die den Inhalt und den wahren Sinn dieser Dispute nur schwer nachvollziehen konnten. Die heimischen Kir­chenstrukturen, so diejenigen mit antiker Herkunft (Hispanien, großer Teil des Fran­kenreiches, das langobardische Italien) sowie die neuentstandenen (bes. in Britannien), basierten nämlich auf einer völlig anderen Grundlage und hatten eine andere Tradition als in Byzanz, wo die Kaiser die Kirche zu beherrschen versuchten und darin - neben den bestehenden theologischen - auch eigentlich politische Probleme einführten. 88 Des­wegen überrascht es nicht, wenn die Kirchen in diesen regna für solche Streitigkeiten nicht empfänglich waren, und sie in den meisten Fällen, zumindest in theologischer Hinsicht auch nicht rezipieren konnten. Darauf weist die schwache Reaktion dieser Kirchen auf die monotheletische Frage, in vielen Fällen auch die offensichtliche Un­kenntnis ihres Inhalts und ihrer Protagonisten, was auch durch die Verwechslung der Namen der führenden häretischen Theologen in einigen westlichen Quellen zum Aus­druck gekommen ist. 89

Angesichts der großen Anstrengungen, die die Kirche im Byzantinischen Reich für die Beseitigung der christologischen Streitigkeiten und damit für die Stabilisierung in-

87 Vgl. die kurze Synthese bei Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 46-59. 88 Vgl. aber Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 46; die Vorstellung der älteren Forschung, es gehe um

eine „Häresie, die von den Politikern erfunden wurde" (vgl. dazu Winkelmann, Quellen 515), kann als überholt gelten; am Anfang existierte ein theologisches Problem, eine Art von „Neochalkedonismus", beruft man sich auf Kyrillos von Alexandria, um den noch immer aktuellen Nestorianismus zu unterdrücken; vgl. Moeller, Chalcedonisme.

89 Z. B. die Verwechslung des Monotheletismus mit dem Monophysitismus (bei Fredegar und zum Teil bei Beda; vgl. Anm. 34).

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 59

nerhalb des Imperiums auf sich nahm, 90 und wegen der ungünstigen militärisch-politi­schen Lage des Reiches war sie missionarisch sehr wenig aktiv. In der behandelten Zeit ist keine wichtigere Missionstätigkeit bekannt, die aus dieser Kirche hervorgegangen wäre. Im Raum, in dem der Staat schwere Niederlagen erlitten hatte (wie z. B. gegen die Araber), war eine solche Tätigkeit nicht möglich. In bezug auf die Slawen, Awaren und nach 680 auch auf die Bulgaren ist kein zuverlässiger Fall bekannt. Die Miracula s. De­metrii drücken für den Anfang des 7. Jahrhunderts nur sehr bescheidene Hoffnungen aus, daß die Slawen die christliche Religion annehmen würden, und für die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts berichten sie nur über vereinzelte Konversionen zum Chri­stentum, die aber kein Resultat einer Mission waren.91 Die Erwähnung der Christiani­sierung von Kroaten in Dalmatien zur Zeit des Kaisers Herakleios ist als solche nicht umstritten, sie brachte aber offensichtlich nur minimale Resultate. 92 Das gleiche gilt auch für die vermutliche missionarische Tätigkeit des salonitanischen Erzbischofs J o­hannes von Ravenna in Dalmatien und Pannonien.93 Die Erwähnungen oder Anspielun­gen auf eine ähnliche Aktivität vonseiten des Patriarchats Aquileia (Grado) in Istrien

90 Zur Zeit der religiösen Kämpfe und danach erlebte die Kirche eine spirituelle Erneuerung (vgl. Da­gron/Riche/Vauchez, Geschichte 50-59) und hat sich auch organisatorisch verstärkt, worauf die zuneh­mende Anzahl der Bistümer weist: am 6. ökumen. Konzil 680/l waren 174 Bischöfe anwesend, am zweiten trullanischen Konzil 692 220 Bischöfe, am 7. ökumen. Konzil in Nikaia 787 schon 317 Bischöfe, und diese Ent­wicklungstendenz hat sich später fortgesetzt (vgl. Notitiae episcopatuum ecclesiae Constantinopolitanae [ed. Jean Darrouzes, Paris 1981]). Im Vergleich mit dieser zunehmenden Verstärkung der Kirchenstrukturen in Byzanz war die Entwicklung im Westen bescheidener: bei der Lateransynode 649 waren 105 (durch spätere Unterschriften 108) fast ausschließlich italische Bischöfe anwesend (durch Stellvertreter waren noch 42 afri­kanische Bistümer vertreten, insgesamt rund 150), bei der römischen Synode 680 waren 125 Bischöfe anwe­send, davon ca. 120 (95 %) aus Italien; die Bistumsorganisation in Afrika verfiel, während die spanische Kir­che damals mehr als 70 Bistümer zählte, im Frankenreich eine ebenso große Zahl, in Britannien dagegen nur 7 (vgl. Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 613ff.; 638ff.).

91 Miracula s. Demetrii (ed. Paul Lernerle, Les plus anciens recueils I, Paris 1979) 189 § 214; nach der er­folglosen einmonatigen Belagerung von Thessaloniki 618 und nach dem Abmarsch des Chagans haben die Sla­wen Kontakte mit den Bürgern von Thessaloniki angeknüpft und dabei die Macht des hl. Demetrios kennen­gelernt und anerkannt (vgl. Pohl, Awaren 242f., und zusammenfassend Dagron/Riche/Vauchez, Geschichte 13). Bei den späteren Ereignissen (die Belagerung von Thessaloniki 677 und die Verhältnisse bis um 680) wei­sen die Miracula s. Demetrii 2, 4-5, ed. Lernerle, auf die allmähliche Akkulturation der Slawen hin und erwäh­nen sogar die einzelnen Konversionen (vgl. Waldmüller, Begegnungen 335ff.; Pohl, Awaren 278f.), die jedoch nicht eine Folge von organisierten Missionsbemühungen der Kirche waren.

92 Diese Bemühung wird bei Constantinus Porphyrogenitus, De administrando imperio 31 (ed. Gy. Mo­ravcsik/trans. R. J. H. Jenkins, Corpus fontium historiae Byzantinae I, Dumbarton Oaks 1967) 148, erwähnt (Kaiser Herakleios sollte nach dem Sieg über die Awaren Priester aus Rom zu den Kroaten schicken, aus ih­ren Reihen einen Erzbischof, einen Bischof, Presbyter und Diakone einsetzen und die Kroaten taufen lassen; vgl. dazu Waldmüller, Begegnungen 308-312; Neven Budak, Frühes Christentum in Kroatien, in: Karanta­nien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, ed. Günther Hödl/Johannes Grabmayer (Wien/Köln/ Weimar 1993) 223-234, hier: 223f., und Neven Budak, Prva stoljeca Hrvatske =Die ersten Jahrhunderte Kroatiens (Zagreb 1994) 81 ff.

93 Die Überlieferung von Johannes von Ravenna, dem Erzbischof von Salona, der angeblich von Papst Johannes rv. (einem gebürtigen Dalmatiner) konsekriert wurde und der in der Mitte des 7. Jahrhunderts das Christentum mit Erfolg verbreiten sollte (nach der Historia Salonitana maior 94 [ed. Nada Klaic, Academie serbe des sciences et des arts, Monographies 399, Classe des sciences sociales no. 55, Beograd 1967] per Dal­matie et Sclavonie regiones circumeundo restaurabat ecclesias, ordinabat episcopos, parochias disponebat et paulatim rudes populos ad informationem catholicam atrahebat ), ist legendenhaft. Im Wesen ging es um einen Wiederaufbau der Kirchenstrukturen unter den Romanen an der ostadriatischen Küste. Vgl. Budak, Prva stoljeca 83 ff. (die Kontakte der Kroaten mit dem Christentum waren nur sporadisch und schwach, außerdem nur auf diejenigen Kroaten begrenzt, die in der Nähe der Küste lebten; archäologische Belege fehlen; die Ab­sprache der Kroaten mit dem Papst [Historia Salonitana maior 96-105] ist legendenhaft, das Bistum Split entstand erst im Jahre 925 und nicht schon 640; vgl. auch Starohrvatski Solin, ed. Emilio Marin (Split 1992) 32.

60 Rajko Bratoz

sind unverläßlich und weisen nur auf vereinzelte Versuche mit bescheidenen Resultaten hin.94 Die Erwähnung der Bischöfe unter den Slawen im Brief der römischen Synode aus dem Jahr 680 bezieht sich auf die Reste der alten Kirchenstrukturen in dem von Slawen besetzten Gebiet im Hinterland der nordadriatischen Küste und nicht auf die Resultate einer Missionstätigkeit, die im Dokument nicht einmal apostrophiert ist.95

Die Beziehungen der Kirche zu anderen heidnischen oder andersgläubigen gentes und regna (Sarazenen, Bulgaren, Awaren und Slawen) waren praktisch kaum existent. Die spärlichen Reste der verfallenen Kirchenstrukturen auf diesem Gebiet stellten fast keine reale Macht dar; außerdem erlitt das Reich im 7. Jahrhundert von diesen gentes eine Reihe von militärischen Niederlagen, sodaß auch die politische Lage eine solche Aktivität nicht ermöglichte. Mehr Erfolg hatte die Kirche in den Kontakten zu den Kir­chenstrukturen im (vorwiegend arianischen) Langobardenreich in Italien, wo sich we­gen der politisch ruhigeren Zeiten und wegen des Übertritts der Langobarden zum Ka­tholizismus bessere Aussichten ankündigten.

Angesichts der Katastrophe, die die christliche Welt zwischen dem späten 6. und der Mitte des 7. Jahrhunderts fast halbierte, sind in den oben genannten Quellen zwei Vorstellungen anzutreffen, die ebenfalls ein Erbe der spätantiken Vorstellungswelt (be­sonders des 5. und 6. Jh.) bedeuteten. Die erste Vorstellung bezieht sich auf die Ursa­chen für solche Zustände: sie sind nämlich Resultat des sündhaften Lebens der Chri­sten, also eine Art verdiente Strafe Gottes. 96 Diese Vorstellung ist für den hl. Augusti­nus, Orosius, Salvian und besonders für die hagiographischen Schriften charakteri­stisch, 97 befindet sich aber auch an mehreren Stellen bei Gregor dem Großen.98

94 Darüber gibt es nur die legendäre Überlieferung über den hl. Florus in Südistrien (vgl. Dragutin Nezic, Sveti Flor, biskup romanskog Opitergiuma, vjerovjesnik istarskih Hrvata? [Hl. Florus, der Bischof des roma­nischen Opitergium, ein Missionar unter den istrischen Croaten?], in: Croatica Christiana Periodica 16 (1985) 94-106; 18 [1986] 57-65; 19 [1987] 17-25; kurz auch Bratoz, Aquileia 198Anm. 112). Laut des Epitaphs des Bi­schofs Marcianus, der um 623 in Grado gestorben ist, sollte dieser vierzig Jahre aus religiösen Gründen auf Reisen verbracht haben (peregrinatus est pro causa fidei annos XL); Sergio Tavano, Aquileia e Grado (Trieste 1986) 356f.; ders., Aquileia e Corno prima del 612 e dopo il 1751 (Atti del Convegno Corno e Aquileia. Per una storia della societa Comasca, 612-1751, Corno 1987) 93ff.; aus ähnlichen Gründen reiste auch sein Zeitge­nosse, der schismatische Bischof Agrippinus von Corno (laut seines Epitaphs aus Corno, v. 5f., hie patriam lin­quens propriam karosque parentes pro santa studuit pereger essefide; Tavano, Aquileia e Corno 93ff.; Cuscito, Testimonianze, 237-244). Im Fall von Marcianus könnte der Grund für die peregrinatio eine Mission unter den Heiden sein, während die Reise Agrippins im Kontext der Spannungen zwischen Schismatikern und Rechtgläubigen zu verstehen ist. Der Mönch Agrestius von Luxeuil, der 628 nach Aquileia gekommen war und sich den Schismatikern angeschlossen hatte, hatte auch vor, von dort aus unter den Heidenvölkern zu missio­nieren (Bratoz, Aquileia 166; Herwig Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit [MIÖG, Erg.-Bd. 31, Wien/München 1995] 43). Auch der Versuch ei­ner Mission unter den Slawen des Aquitaniers Amandus blieb erfolglos (vgl. Van Uytfanghe, Vita 210ff.; Rajko Bratoz, I contatti della chiesa aquileiese con gli Slavi delle Alpi orientali nel VII e VIII secolo, in: Studi Gori­ziani 79 [1994] 7-26, hier: 14f.).

96 ACO II/2,1132,27; vgl. Bratoz, Römische Synode 590ff. (die Verbindung dieser Erwähnung mit dem Teilnehmer an der Synode Bischof Andreas von Celeia; ACO II/2,1 154,21-23).

96 Vgl. ACO II/1 40,31f./41,30; 50,43ff./51,40ff.; ACO II/2,2 492,3f./493,3-5. Zur Idee, daß die Ursa­che für die unglücklichen Zeiten das sündhafte Leben der Christen sei, vgl. Dagron/Riche/Vauchez, Ge­schichte 17.

97 Zu diesen Vorstellungen bei Augustinus, Orosius und bes. Salvian vgl. Pierre de Labriolle/Gustave Bardy/Louis Brehier/Georges de Plinval, Storia della Chiesa IV (Torino 31972) 450ff., zu diesen Vorstellun­gen in den hagiographischen Texten aus dem 6. Jahrhundert wie z. B. Eugipps Vita s. Severini und Ennodius' Vita Antonii (bes. c. 12: sündhaftes Leben als Hauptursache für den Verfall einer Stadt oder eines Landes); vgl. Friedrich Lotter, Severinus von Noricum. Legende und historische Wirklichkeit (Monographien zur Ge­schichte des Mittelalters 12, Stuttgart 1976) 105 ff. und 157 ff.

96 Gregorius Magnus, Registrum epistolarum 5, 37, ed. Norberg 308, 9f.: peccata nostra ... culpa nostra; Gregorius Magnus, Registrum epistolarum 11, 31, ed. Norberg 919, 5f.: multitudo nostrorum ... peccatorum; in

Die Einstellung der Kirche zu den Regna und Gentes im 7. Jahrhundert 61

Die zweite Vorstellung betrifft den Ausweg aus diesem Zustand, und ist nicht mora­lisch, sondern realpolitisch begründet: der Kaiser (das imperium) wird (soll) mit seiner mächtigen Armee im Zug eines siegreichen Krieges die vorläufig verlorengegangene christliche Welt befreien und den ehemaligen Zustand der Kirche restituieren. 99 Diese Vorstellung, die auf der zum Teil erfolgreichen Rückeroberung Justinians im Westen und der kurzfristigen Rückeroberung Herakleios' im Osten basierte, war völlig illuso­risch.100 Es stellt sich die Frage, in welchem Maß (besonders in den Papstbriefen an die Kaiser) diese Vorstellungen (Wünsche) ernst gemeint waren und nicht nur ein bloßes Kompliment an die kaiserliche Macht darstellten.101 Eine Resonanz dieser Vorstellun­gen von der Kurzfristigkeit der Einbuße der Kirche findet man auch in einigen Kanones des zweiten trullanischen Konzils 692.

Die von der Existenznot und den christologischen Disputen belastete Kirche im by­zantinischen Reich des 7. Jahrhunderts fand nur wenig Zeit und Energie für die Missi­onstätigkeit, die zu dieser Zeit fast zur Gänze aus den kirchlichen Strukturen der regna im Westen (Frankenreich, Britannien) hervorging und die der Befestigung der christli­chen Strukturen auf dem Gebiet dieser regna oder in ihrer Nachbarschaft diente. Eine Mission unter den heidnischen oder andersgläubigen gentes, die in den genannten Quel­len (mit Ausnahme einer Erwähnung von Boulgaria) immer als solche und keinesfalls als politisch organisierte regna bezeichnet werden, war im Mitteldonau-, Unterdonau­und Balkanraum, im benachbarten asiatischen Gebiet und in Afrika damals völlig un­realisierbar und (mit Ausnahme einiger inhaltlich strittiger Berichte in den Quellen) vernachläßigbar.

der Bittschrift an Kaiser Maurikios haben die Bischöfe Venetiens und Rätiens auch peccata nostra als Ursache für das Unglück hervorgehoben (Gregorius I papa, Registrum epistolarum [ed. Paul Ewald/Ludwig M. Hart­mann, MGH Epistolae I, Berlin 21957] 16a; vgl. Bratoz, Römische Synode 588).

99 Diese Vorstellung findet sich schon in der Bittschrift venetischer und rätischer Bischöfe an Kaiser Maurikios vom 591 (Epistolae I, 19, 25f., ed. Ewald/Hartmann: „. credimus nos celeriter devictis gentibus ad pristinam libertatem reduci). Im Schlußteil des Briefes an Kaiser Konstans II. vom Jahre 649 äußerten Papst Martin und die an der Lateransynode versammelten Bischöfe einen ähnlichen Wunsch, zusammen mit der Hoffnung, daß der Kaiser rechtgläubig werde (Epistula 3, ed. Migne, PL 87, 145/6 B; vgl. oben Anm. 27). Der Wunsch nach einem raschen Sieg (des damals rechtgläubigen) Kaisers wurde besonders im Brief des Papstes Agatho aus dem Jahr 680 an Kaiser Konstantin IY. hervorgehoben, wiederum mit der Rechtgläubigkeit als Bedingung dafür: ACO 11/2,l 58,11 ff./59,11 ff.; 62,25ff./63,20ff.; 118,1 ff./119,1 ff.; 122,lf./123,lf. Auch im Brief der römischen Synode von 680 ist die Rechtgläubigkeit als Grundlage für die Siege ausdrücklich hervor­gehoben: ACO 11/2,l 122,24ff./123,22ff. Der gleiche Gedanke findet sich in der Enzyklika des Jerusalemer Patriarchen Sophronius, die am Konzil vorgelegt wurde (ACO 11/2,1 490,16ff./491,15ff.). An die künftigen Siege appellierten die Bischöfe bei den Akklamationen zu Ehren des Kaisers (ACO 11/2,2 654,23/655,21). Ähnliche Gedanken enthält auch der l6gos prosphonetik6s (ACO II/2,2 820,5ff./821,4ff.) und der Brief des Papstes Leo II. an den Kaiser (ACO 11/2,2 844,1 ff./885,1 ff.). Vgl. den ähnlichen Gedanken im l6gos prospho­netik6s des zweiten trullanischen Konzils von 692 (Joannou 106) und die Vorstellung in einigen Kanones, daß die Flucht der Bischöfe und damit der Verfall von Bischofssitzen nur eine vorläufige Erscheinung sei, hinter der die Hoffnung auf einen Sieg über die Barbaren steht.

100 Die von Konstans II. im Jahre 663 vorgenommene Reconquista Italiens scheiterte bald nach anfäng­lichen Erfolgen gegen die Langobarden (Ostrogorsky, History 122 f.), sein Nachfolger Konstantin IV. hat die in der Staatsideologie noch immer geltenden Ansprüche auf die universale Herrschaft in der Praxis reduziert. Vgl. Evangelos Chrysos, Byzantine diplomacy, A. D. 300-800: means and ends, in: Byzantine Diplomacy. Pa­pers from the Twenty-fourth Spring Symposium of Byzantine Studies, Cambridge 1990, ed. Jonathan She­pard/Simon Franklin (Belfast 1992) 25-39, hier: 27 f.

101 Daß diese Wünsche und Erwartungen nicht der Realität entsprechen, ist besonders im Fall der Quel­len aus der Zeit um 680/l ersichtlich (vgl. Anm. 99), da gerade vor und in dieser Zeit durch eine Reilie von Vereinbarungen Konstantins IY. mit den Gegnern (Araber, Langobarden, Bulgaren und Awaren) das byzanti­nische imperium die maximalen Ansprüche (Beherrschung der Oikumene) zumindest vorübergehend abgege­ben hatte. Vgl. Chrysos, Byzantine diplomacy 28ff.