Corine Schleif: 500 Jahre Sakramentshaus. Erklärung - Verklärung, Deutung - Umdeutung

23
In: St. Lorenz 96 soo Jahre Sakramentshaus: Ergreifendes Heil, Ergreifen des Heils Nürnberg: Verein zur Erhaltung der Lorenzkirche, 1996 ". J\rafte : .Sauam.nlte4äue.c4ttt .. 1 ber untnt . · .< . ': Kupferstich Sakramentshausbrüstung von Westen mit dem Selbstbildnis des Adam Kraft Corine Schleif 500 Jahre Sakramentshaus: Erklärung - Verklärung, Deutung - Umdeutung 1 Schon 500 Jahre steht in der Lorenzkirche das Sakramentshaus gearbeitet aus Vacher Sandstein vom Bildhauer Adam Kraft und seiner Werkstatt (Abb.2). Monu- mental, schwer und fest wie die Kirche steht es da - unvergänglich unbeweglich und unveränderlich. Jedoch - so standhaft das Sakramentshaus bleibt - wurde es Der folgende Beitrag enthält Material und Beobachtungen meiner noch nicht abgeschlossenen Re- cherchen zur Rezeptionsgeschichte des Künstlers Adam Kraft und seiner Werke. Der Arbeitstitel lautet ,.Stories in Stone: Who was Adam Kraft? To Whom did He Belong?" Die Ideen haben sich durch viele Gespräche entwickelt. Mein Dank gilt Pia Cu neo und Peter Foley für wertvolle Vorschlä- ge, Edith Luther für zahlreiche Mitteilungen über Druckgraphiken und Literatu r, Georg Stolz ebenfalls für viele Hinweise über Quellen sowie hilf rei che Kritik und Unterstützung .bei der Drucklegung, und Matthias Walther, der mit Geduld und Aufmerksamkeit an den Recherchen teilnahm und viele Anre- gungen lieferte. 3

Transcript of Corine Schleif: 500 Jahre Sakramentshaus. Erklärung - Verklärung, Deutung - Umdeutung

In:

St. Lorenz 96 soo Jahre Sakramentshaus: Ergreifendes Heil, Ergreifen des Heils

Nürnberg: Verein zur Erhaltung der Lorenzkirche, 1996

". J\rafte : .Sauam.nlte4äue.c4ttt. . 1

ber untnt ~ti~ . . · .< .':

Kupferstich Sakramentshausbrüstung von Westen mit dem Selbstbildnis des Adam Kraft

Corine Schleif

500 Jahre Sakramentshaus: Erklärung - Verklärung, Deutung - Umdeutung1

Schon 500 Jahre steht in der Lorenzkirche das Sakramentshaus gearbeitet aus Vacher Sandstein vom Bildhauer Adam Kraft und seiner Werkstatt (Abb.2). Monu­mental, schwer und fest wie die Kirche steht es da - unvergänglich unbeweglich und unveränderlich. Jedoch - so standhaft das Sakramentshaus bleibt - wurde es

Der folgende Beitrag enthält Material und Beobachtungen meiner noch nicht abgeschlossenen Re­cherchen zur Rezeptionsgeschichte des Künstlers Adam Kraft und seiner Werke. Der Arbeitstitel lautet ,.Stories in Stone: Who was Adam Kraft? To Whom did He Belong?" Die Ideen haben sich durch viele Gespräche entwickelt. Mein Dank gilt Pia Cu neo und Peter Foley für wertvolle Vorschlä­ge, Edith Luther für zahlreiche Mitteilungen über Druckgraphiken und Literatur, Georg Stolz ebenfalls für viele Hinweise über Quellen sowie hilfreiche Kritik und Unterstützung .bei der Drucklegung, und Matthias Walther, der mit Geduld und Aufmerksamkeit an den Recherchen teilnahm und viele Anre­gungen lieferte.

3

2 Das Sakramentshaus

von verschiedenen Betrachtern sehr unterschiedlich wahrgenommen und im Laufe der Geschichte zu mannigfaltigen Zwecken gebraucht. Denn das Sakramentshaus diente nicht nur als zentraler Ort der spätmittelalterlichen eucharistischen Fröm­migkeit, sondern auch als Anlaß für amüsante Sagen sowie als Gegenstand ästhetisierender Beschreibungen; nahm an der Entwicklung des Faches Kunstge­schichte teil und wurde vereinnahmt sowohl für lokalpolitische Zwecke als auch für weltgeschichtliche Ambitionen.

Ebenfalls seit 500 Jahren kniet Adam Kraft unter dem Gewicht des Sakraments­hauses (Abb. 3). Sich auf ein Knie stützend, schaut er heraus um den Blick der unzähligen Nürnberger Bürger, Touristen vom ganzen Globus, Reiseleiter, Journali­sten, Schriftsteller, Graphiker, Maler, Fotographen, Dramatiker und Propagandisten, sowie zahlreichen Theologen - darunter Martin Luther, Philosophen - darunter Ge­org Friedrich Hegel, Historiker, wie z. B. Jakob Burckhardt, Komponisten von Jo­hann Pachelbel bis Hugo Distler, Poeten wie Helius Eobanus Hessus, Johann Wolf­gang von Goethe, Hans Christian Andersen, oder Hermann Hesse, Politikern - auch Adolf Hitler- und, nicht zuletzt, Kunsthistorikern von Johann Neudörfer zu Heinrich Wölfflin und Wilhelm Pinder zu erwidern. Einige haben die Begegnung dokumen­tiert oder ihre Reaktionen schriftlich artikuliert. Andere Verhandlungen, an denen dieses Monument teilgenommen hat, kann man spekulativ rekonstruieren. Schon für den Stifter Hans IV. Im hoff und seine Familie erfüllte das Sakramentshaus verschiedene Zwecke. Erstens beabsichtigten sie ein frommes Geschenk, wie sie es am Anfang des Vertrages zum Ausdruck gebracht haben, Gott dem almechtigen zu lob und seinem allerheiligsten fronleichnamauch seiner auserwelsten mutter Marie und dem heiligen himelfürsten und mertrer sant Lorentzen zu eren ist ein abred und geding eines sacramentsgeheuß zu machen ... 2 . Zweitens wollte lmhoff für das Lorenzer Pfarrvolk ein prächtiges Zentrum für die Verehrung des Allerheiligsten so­wie einen Schauplatz für die festlichen Riten um die geweihte Hostie schaffen . Folg­lich wurde die Stiftung an zwei Adressantenkreise gerichtet: an Gott und die Heili­gen sowie an die Gemeinde der Gläubigen. Der mittelalterlichen Denkweise folgend wurden Schenkungen generell immer mit der Erwartung einer Gegenschenkung verknüpft; auch nach der damaligen Kirchenlehre wurden fromme Stiftungen mit dem Versprechen auf Gegenleistung für die Ewigkeit verbunden3 . Solche Vorstel­lungen wurden im Zusammenhang mit der Stiftung des Sakramentshauses sogar dokumentiert. Auf einem Blatt mit der Überschrift Der lmhof Selgereth befinden

2

3

4

Vertrag zwischen Hans IV. lmhoff und Adam Kraft , Germanisches Nationalmuseum, lmhoff-Archiv, Fase. 31, Nr. 3a; gedruckt als Anhang 1, in: ST. LORENZ 94. Eccepanis angelorum. Das Sakraments­haus des Adam Kraft, MVzE NF 39; als Anhang II in: Schleif, C., Donatio et memoria (München 1990) und Bauer, H. u. Stolz, G. , Engelsgruß und Sakramentshaus in St. Lorenz zu Nürnberg (Königstein 1974), s. 11-1 2. Jezler, P., Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge-Eine Einführung, in: Jezler, P., Hg. , Himmel, Hölle, Fegefeuer (Ausstellungskat. d . Schweizerisches Landesmuseum, Zürich 1994), S. 13-26; Schleif, wie Anm. 2, S. 39-45.

sich zwei Einträge, die sich mit dem Sakramentshaus befassen4 . Das alte Wort Seigerät (oben eine orthographische Variante, auch als Seirat oder Seiteil bekannt), bezeichnete ursprünglich den Teil einer Erbschaft, der für alle Ewigkeit der Seele des Verstorbenen zugute kommen sollte. Dieses Dokument regelt die fortlaufende Finanzierung für Wartung und Reinigung sowie für Wachskerzen, die auf dem Ge­länder des Umganges montiert und an vorgesehenen Heiligentagen angezündet wurden. Um dieses fortdauernd finanziell bis zum Jüngsten Tag sicherzustellen, wurde ein Ewiggeld aus den Einkünften zweier Häuser gekauft. Die Stiftung verwal­ten sollte der älteste lebende von Hans IV. abstammende männliche Im hoff, im Falle des Aussterbens der Familie der Nürnberger Rat5 . Für lmhoff, wie für andere Stifter der Zeit stand also die Stiftung in einer zweifachen Wechselbeziehung. Als Gegen­leistung für sein nach Himmel und Erde gerichtetes Geschenk verlangte lmhoff die Gebete seiner Mitgläubigen, und erwartete die Fürbitte der vorangegangen Heili­gen sowie die Gnade Gottes6 .

Es war aber nicht nur die Hoffnung auf Seelenheil, die Im hoff bewegte, dieses kost­spielige Unternehmen durchzuführen. Denn die Stiftung des Sakramentshauses dien­te ebenfalls noch.unmittelbaren Zielen in gesellschaftlichen und politischen Berei­chen. Hans IV. lmhoff war einer der prominentesten Nürnberger Bürger seiner Zeit. Er stammte aus einer alten ratsfähigen Familie, und wurde in seiner Laufbahn mit verschiedenen wichtigen Ämtern bekleidet: Er war Mitglied des Inneren Rates, zweiter und erster Bürgermeister, Aufseher für die Reichskleinodien, Kirchenpfleger und Führer des Sakraments in St. Lorenz7 . Als Inhaber des letztgenannten Amtes nahm er zusammen mit Gabriel Nützel die führenden Positionen unter den Laien in den feierlichen Fronleichnamsprozessionen ein8 . Auch beim feierlichen Einzug Fried­richs 111. im Jahre 1471 diente Hans IV. lmhoff als einer der sechs Ratsherren, die den Traghimmel führten, unter dem der Kaiser einritt9 • Mit der Stiftung des Sakramentshauses machte er seinen Status in der Nürnberger Gesellschaft sowie sein politisches Ansehen dauerhaft sichtbar. Mit dem Privileg symbolisch Schutz zu gewähren, wird nicht nur das Bewachen sondern auch unterschwellig das Überwa­chen impliziert. Denn nur aus einer Lage der Stärke und Macht kann Schutz ge­währleistet werden. Durch das Sakramentshaus, das auffälligerweise mit seinen Familienwappen versehen wurde, bot lmhoff Schutz und Seherbergung auch für den Leib Christi. Der Chor war der wichtigste Platz in der Raumhierarchie einer Kirche und als sol­cher meist den Gräbern und Stiftungen des Klerus- manchmal aber auch dem Adel

4 5 6 7

8

9

6

Germanisches Nationalmuseum, lmhoff-Archiv, Fase. 31, Nr. 4b. Schleif, wie Anm. 2, S. 45. Schleif, wie Anm. 2, S. 231 -233. Schmidt-Fölkersamb, U., Die Familie lmhoff in Nürnberg und ihre heute noch vorhandenen Stiftun­gen in St Lorenz, in: ST. LORENZ 80, lmhoff'sche Stiftung, MVzE, NF 24, S. 8. Gümbel, A., Das Mesnerpfl ichtbuch von St Lorenz in Nürnberg vom Jahre 1493 (München 1928}, S. 55, 57, 58. Schmidt-Fölkersamb, wie Anm. 7, S. 8.

3 Selbstbildnis des Adam Kraft unter dem Sakramentshaus

4 Selbstbildnis eines Werkstattmitglieds unter dem Sakramentshaus an der Nordseite

5 Selbstbildnis eines Werkstattmitglieds unter dem Sakramentshaus an der Südseite

7

6 Selbstbildnis eines Baumeisters oder Bau­schaffenden in der südlichen Seitenschiffs­kapelle S XIV

- vorbehalten10• Auch in der Lorenzkirche waren Stiftungen von Laien im Teil des Chores innerhalb des Umganges sehr selten11. Der von dem Losunger Anton Tueher gestiftete Engelsgruß, dessen Schutzmantel aus Stoff das Tueherwappen aufwies, bot zusammen mit dem Sakramentshaus die zwei spektakulären Ausnahmen. Dar­an mag man erkennen, daß für die Familie lmhoff fromme Zwecke, Verantwortung für die Gemeinschaft, politische Macht und soziales Ansehen im Sakramentshaus verkörpert wurde. Adam Kraft und die Mitglieder seiner Werkstatt verbanden eine andere Palette von Zielen mit dem Werk. ln erster Linie erhielt der Künstler 770 Gulden vom Auftragge­ber - 70 Gulden mehr als die vertraglich vereinbarte Summe, da offensichtlich die Familie lmhoff besonderen Gefallen an dem fertigen Werk gefunden hat12 . Darüber­hinaus bekam die Ehefrau von Adam Kraft, die auch - wie üblich - in der Werkstatt tätig war, einen teueren Mantel, der über sechs Gulden kostete13 • Dieser sehr sieht-

10

11 12

13

8

Siehe Kötting, B. , Die Tradition der Grabkirche, in: Schmid, K. , und Wollasch, J., Hg., MEMORIA. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter (München 1984), 69-78; Kroos, R., Grabbräuche - Grabbilder, in: ders. S. 285-353. Schleif, w ie Anm. 2, S. 230-231 . Abrechnung von Adam Kraft, Germanisches Nationalmuseum, lmhoff-Archiv, Fase. 31 , Nr. 3d; ge­druckt als Anhang 2, in: ST. LORENZ 94, wie Anm. 2 und als Anhang IV in: Schleif, wie Anm. 2. Germanisches Nationalmuseum, lmhoff-Archiv, Fase. 28, Nr. 1, 79r.

7 Albrecht Dürer, Allerheiligenbild mit Selbstdarstellung aus der Landauer-Zwölfbrüderkapelle, Kunst­historisches Museum Wien, 1511

bare Erfolg brachte der Werkstatt nun weitere Aufträge, darunter mindestens ein Sakramentshaus-das kurz danach für die Abtei in Kaisheim errichtet wurde14 •

Aber über das rein Geschäftliche hinaus wollten Kraft und seine Werkstatt ähnlich wie der Stifter zum Ausdruck bringen, daß sie ihren Beitrag auch als gutes Werk anerkannt sehen wollten und verbanden damit ihre Hoffnung auf Seelenheil sowie ihren Anspruch auf gesellschaftliches Ansehen. Zu diesem Zweck haben sich Adam Kraft und zwei seiner Mitarbeiter-beide Gesellen oder vielleicht einer Lehrling und der andere Geselle - durch lebensgroße Figuren für alle Ewigkeit am Werk selbst

14 Stadtarchiv Nürnberg, Lib. cons Nr. N, 47r.

9

8 Unterer Bereich des Sakramentshauses

dargestellt (Abb. 3-5). Die drei Plastiken scheinen das Sakramentshaus auf den Rücken zu tragen. Dadurch drückten die Mitglieder der Werkstatt ihre Verantwor­tung für das Monument aus - buchstäblich würde das Sakramentshaus ohne sie nicht stehen - nicht existieren. Das Privileg, Selbstbildnisse an sakralen Werken anzubringen, hatte unter Hand­werkern und Künstlern eine lange Tradition, die bis ins frühe Mittelalter zurück­reicht15. Im Konzept folgen die drei Portraits den Konsolfiguren der mittelalterlichen Werkmeister und Baumeister, die sich ebenfalls als Stütze für einen Dienst oder Pilaster darstellten, als ob sie hiermit eine Funktion innerhalb des Bauwerks erfüll­ten16. Eine solche Figur aus der Mitte des 15. Jahrhunderts ragt im südlichen Sei­tenschiff am Fuß der Konsole hervor (Abb. 6). Bezeichnend für seinen Beruf hält der Baumeister oder Bauschaffende einen Hammer vor der Brust, auf seinen Stand hinweisend trägt er eine lange Zipfelmü1ze. Auch die Werkstatt Kratts zeigt sich in Werktagskleidern mit Arbeitsschuhen, Beinlingen und dem vorne geschnürten Wams. Der Meister hält einen Schlägel in der Rechten und früher ebenfalls einen Meise! oder Eisen in der Linken. Ein als Turban gewundenes Tuch schützt sein Haar vor dem Staub seiner Arbeit. Nur mittels dieser standesgemäß gekleideten Selbstportraits war es den Künstlern vergönnt sich im Lorenzerchor auf eine so mutige, auffällige und ansprechende Art zu verewigen. Ein zeitgenössisches Selbstbildnis Albrecht Dürers, das den Maler in pelzverbrämter Schaube darstellt, wie z. B. sein autono­mes, halbfigürliches Portrait von 1500, heute in München, oder auch seine Selbst­darstellung im Allerheiligenbild von 1511 in der Landauer-Zwölfbrüderkapelle, heu­te in Wien (Abb. 7), wäre in diesem Format und Material für diesen Ort und Kontext unannehmbar. Denn die Figuren mußten auch zu dem hierarchisch geordneten Weltbild des Stifters passen. Durch ihre Selbstbildnisse hat die Bildhauerwerkstatt die körperliche Arbeit und den Arbeiter gewürdigt, geheiligt, und dabei auch aufge­wertet, auch wenn dieses im Rahmen der Erfüllung der von Gott gesetzten Ord­nung geschah. Literarisch parallel dazu und ebenfalls um 1500 schrieb der Nürn­berger Poet Hans Rosenplüt das Gedicht Von den Mussiggengern und Arbeitern in dem er behauptete, ein Tropfen Schweiß sei soviel Wert, wie alle vasten, petten <und> ... almusen geben, in geistlichem vnd weltlichem leben17 •

Die drei Figuren sprechen den Betrachter von Mensch zu Mensch an. Sie sind Er­zähler, die vorne auf der Bühne stehen und den einzelnen Menschen im Publikum ins Auge sehen. Als Nürnberger konnten die drei Künstler diese Vermittlerrollen für ihre Mitbürger auf eine äußerst glaubwürdige und zuverlässige Weise übernehmen. Diese Absichten haben die Künstler erreicht indem sie sich in die Leerstellen zwi-

15 16

17

10

Schleif, wie Anm. 2, S. 68 sowie die dort angegebene Literatur. Diese Darstellungen hat Kurt Gerstenberg katalogisiert und besprochen. Siehe: Die Deutschen Baumeisterbildnisse des Mittelalters (Berlin 1966). Wuttke, D. , Methodisch-Kritisches zu Forschungen über Peter Vischer d. Ä: und seine Söhne, in: Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 49, 1967, S. 208-261, hier S. 258.

9 Verkündigungsdarstellung am Sakramentshaus

sehen den Zeilen im Vertrag hineingearbeitet haben. Denn der vom Auftraggeber angefertigte Vertrag schweigt über Künstlerbildnisse. Dadurch gelang es der Werk­statt den Stifter gewissermaßen zu übertreffen, denn wenigstens für die künftigen Generationen war es der Künstler und seine Mitarbeiter, die vom Publikum eher gehuldigt wurden als der Stifter. Wie die ersten Zuschauer das Sakramentshaus wahrgenommen haben und in wel­chen Zusammenhängen sie bestimmte Aspekte des Werks in ihr Leben integriert haben, kann nicht genau rekonstruiert werden, denn viele dieser Deutungen waren flüchtig, privat oder gruppenspezifisch und deshalb kaum artikuliert oder auch artikulierbar- auf jeden Fall nicht in einer geschichtsüberdauernden Form. Jedoch sind uns einige Umstände bekannt, die zu Spekulationen Anlaß geben. Besonders im deutschsprachigen Raum sowie in Böhmen und in den Niederlanden entwickelten sich im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts beeindruckend freiste­hende, turmartige Tabernakel für die ständige Ausstellung der geweihten Hostie. Dieses geschah eben als mehrere Konzile (z. B. in Mainz um 1451 und Köln um 1452) die sich immer steigernde Anzahl der eucharistischen Prozessionen außer­halb der Kirche zu begrenzen versuchten, indem sie auf das Fronleichnamsfest und die anschließende Oktav eingeschränkt wurden18. Sozio-psychologisch betrachtet

18 Rubin, M., Corpus Christi. The Eucharist in Late Medieval Culture (Cambridge 1991), S. 291-2.

12

10 Reliefdarstellung des Abschieds von Maria am Sakramentshaus

mußten Verhüllen und Enthüllen in einem wirksamen Zusammenspiel zueinander stehen. Hätte man die Hostie zu häufig gezeigt, wäre die distanzierende und ehrfurchterregende Aura verschwunden. Ein Sakramentshaus wie das in der Lorenz­kirche erzeugte dieses Gegenspiel nicht durch den auf einen flüchtigen Blick be­grenzten Zugang sondern erschwerte den Kontakt durch verschleierte Sicht. Eben­falls entstand die Aura durch die fast atemberaubende distanzschaffende Diver­genzen. Ein dünnes rundes Scheibchen - winzig, weiß und aus Weizen - wurde beherbergt in einer gewaltigen und sehr kostbaren Monstranz aus massivem Sil­ber19, die wiederum in einem kolossalen Turm geborgen wurde, der aus sorgfältigst gearbeiteten, gemeiselten Steinfiligralen, -figuren und -reliefs besteht. Fromme Be­trachter um 1500, die es wagten, sich dem Sakramentshaus anzunähern und sich anstrengten durch das Gitter in den fest verschlossenen Weihbrotkasten des Taber­nakels hineinzublicken, konnten mystisch verklärt den allerheiligsten wahren Leib Christi sehen. Gewiß spielte das Sakramentshaus auch eine besondere Rolle bei den wochenlang begangenen Festlichkeiten um Fronleichnam. Das sogenannte Mesnerpflichtbuch aus dem Jahre 1493 sowie einige zusätzliche Archivalien geben Hinweise auf viele

19 Laut einem losen Zettel , der dem Inventar von 1524 beiliegt, kostete die Monstranz 732 Gulden- fast soviel wie das Sakramentshaus selbst. Siehe Stadtarchiv Nürnberg , Kirchenamt 112, gedruckt als Anhang I, in: Schleif, wie Anm. 2. Siehe auch ebendaS. 21-22. Eine Chronik berichtet, die Monstranz sei im Jahre 1482 hergestellt worden. Siehe: Hegel, K., Die Chroniken der fränkischen Städte, Bd. 4 (= Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 10, Leipzig 1872), S. 369.

13

Einzelheiten bei den Prozessionen sowohl in der Kirche als auch um die Kirche innerhalb der Lorenzer Stadthälfte für die Zeit kurz vor dem Bau des heutigen Sakramentshauses20 • Hier muß das zeitweilige Verhüllen und Enthüllen ebenfalls zur liturgischen sowie dramaturgischen Spannung beigetragen haben. An einer Stelle ist zum Beispiel zu lesen, ltem am freitag fru singt man ein meß pistauf di wandelung, darnach singt man missam de corporis Christi und darnach predich man und tregt das sacrament vor der predich wider in das geheus, darnach di frameß pist auf di wndelu[ng]; dar[nach] prem und so treg[t] man das sacrament zu der prim wider herauf, darnach terz und sex21 • Aus diesen uns überkommenen Anweisungen für den Mesner, die oft wiederholt, ergänzt und korrigiert wurden, lassen sich die man­nigfaltigen Anreize aus allen Richtungen und für alle Sinnesorgane erahnen: der große Himmel oder Stoffbaldachin wird aufgespannt und mit zwei Engeln geziert; Gras- und Palmteppiche werden ausgelegt, die Monstranz wird jenachdem von verschiedenen Priestern getragen; Altäre werden aufgeschlagen, mit den besten Tüchern behangen, und beweihräuchert; der Klerus wird mit den kostbarsten je­weils genau angeordneten Ornaten bekleidet; Glocken werden zu bestimmten Zeit­punkten in mehreren Zusammensetzungen geläuteF2 . Nachdem das Sakraments­haus von Adam Kraft 1496 fertiggestellt wurde, muß dieses den Mittelpunkt der Fronleichnamsfeier gebildet haben. Offensichtlich wurde auch das Werk für die rei­che Vielfalt der Festlichkeiten geschaffen (Abb. 8) . Denn das Tabernakel ist durch zwei Treppen von zwei Richtungen erreichbar; mit einem podest-oder fast laufsteg­ähnlichen Umgang ausgestattet, sowie von einer aus verschieden Motiven konstru­ierten Maßwerkbrüstung umgeben. Ferner ist der Weihbrotkasten an drei Seiten durch drei vergoldete Türehen aufklappbar, von denen die Türflügel der Westseite die größten sind. Für die Andächtigen und vielleicht gebildeten Zuschauer, die die Aufmerksamkeit aufbrachten , die Ikonographie zu lesen, bot das Werk eine feingliedrige erzähleri­sche Erklärung des Kernsymbols des Christentums. Denn die Eucharistie beinhal­tet die Menschwerdung Christi sowie seinen Opfertod um die Menschheit zu erlö­sen. ln den dargestellten Szenen am Sakramentshaus las der Betrachter die Heils­geschichte, von unten nach oben in einer chronologischen Abfolge23 von der Ver­kündigung (Abb. 9), zu den Ereignissen der Karwoche - Abschied von Maria (Abb. 1 0), Letztes Abendmahl , Ölberg, Verurteilung (Abb. 11 ), Ecce homo, Geißelung (Abb. 12), Kreuzigung (Abb. 49), und Auferstehung (Abb. 50). Die Anwendung von zwei künstlerischen Techniken bot den Betrachtern eine dramatische Steigerung in der erzählerischen Wahrnehmung. Zum einen sind die Figuren der untersten Etagen im Relief, die der nächsten Etage fast vollplastisch und die der beiden oberen Szenen freistehend gearbeitet. Zum anderen sind die untersten Szenen mit vielen Beteilig­ten, die der darauf folgenden Etagen mit immer stärker reduzierten Figurengruppen ausgestattet - bis hin zur obersten Szene, die nur noch aus einer einzigen Figur besteht.

20

21 22 23

14

Schlemmer, K. , Gottesdienst und Frömmigkeit in Nürnberg am Vorabend der Reformation (Nürnberg 1979), S. 225-226, 229; Gümbel , wie Anm. 8, S. 27, 55-59. ebenda, S. 59. ebenda, S. 55-59. Zu ikonographischen Anordnungen und Erzählweisen siehe auch Schleif, wie Anm. 2, S. 16-45.

Die Heilsgeschichte mußte der Gläubige nicht unvermittelt aufnehmen. Denn viele Einzelfiguren existieren an den Rändern des Tabernakels und richten ihre Aufmerk­samkeit auf die Betrachter. Die schon besprochenen Künstlerfiguren stehen den Betrachtern zeitlich und räumlich am nahesten. Sie ragen in den Raum des Be­trachters hinein . Über ihnen sind andere Vermittler: an der Brüstung die vertrauten Nürnberger Heiligen: Deocarus, Vinzenz, Sebald, Stephan, Lorenz, Leonhard, und Sebastian (Abb. 13); darüber die Verfasser alttestamentarischer Schriften, Engel mit den Leidenswerkzeugen, und schließlich die Evangelisten (Abb. 47,48). Diese Gestalten vermitteln zwischen dem Heilsgeschehen bzw. dem Sakrament und den Empfängern . Durch die universale Bedeutung des Sakraments- hier so anschau­lich wie erklärend verpackt - fühlten sich Nürnberger Christen mit der ganzen Chri­stenheit vereint. Denn Christen im 3. Jahrhundert, im 21. Jahrhundert, in Jerusalem, und in lsland waren alle Teilhaber am Leib des Herrn geradeso wie sie. Trotz dieser Betonung der Einheit, die seit frühchristlichen Zeiten als Grundsatz der eucharisti­schen Lehre zu verstehen war, entstanden ebenfalls im eucharistischen System nicht nur Ideale der Zugehörigkeit sondern auch die Legitimation der Ausgrenzung sowie Muster einer hierarchischen innergesellschaftlichen Ordnung24 . Seit der all­mählichen Entwicklung der Transsubstantiationslehre im 11. und 12. Jahrhundert und deren Artikulierung beim vierten Iateranischen Konzil im Jahre 1215 oblag es alleine dem Klerus, Brot zum Leib sowie Wein in das Blut Christi umzuwandeln. Die Mystifizierung des Sakraments durch das Sakramentshaus, sowie der Pomp der dazugehörigen Riten untermauerte diese klerikale Macht, an der nur Männer und nur Männer körperlicher Vollkommenheit teilhaben konnten . Ebenfallsam Sakramentshaus artikuliert und vom ersten Publikum wahrgenommen sind die oben erwähnten standesspezifischen Privilegien der Patrizier das Sakra­ment zu "führen" und zu schützen. Dieses bezeugt das an der Brüstung so auffälli­ge, zweifach vorhandene lmhoffwappen mit aufwendiger Helmzier, jeweils in Be­gleitung der Wappen seiner Ehefrauen, Ursula Lemel und Margarete Neudung (Abb. 3); sowie die Wiederholung dieser Wappen an den Nordwest- und Südwestecken des Weihbrotkastens (Abb. 8), wie auch die Wappenpaare der zehn Kinder des Hans IV. lmhoff zusammen mit denen der Gatten am untersten Rand des Schreins (Abb. 8, 14)25 • Auch die Ordnung der Geschlechter wurde durch diese Wappen reflektiert und propagiert. Denn die auf der Brüstung befindlichen Frauenschilder sind we­sentlich kleiner als die Wappenschilder Hans lmhoffs. Ferner mußten auf dem Weihbrotkasten beide Frauenwappen einen geviertelten Schild mit dem lmhoffwappen teilen. Die Wappen der Kinder werden hierarchisch geordnet: die acht Söhne vor den zwei Töchtern; die Söhne vom ältesten zum jüngsten, und- wie immer - das Wappen des Ehemannes heraldisch rechts und das der Ehefrau heral­disch links. Solche Anordnungen boten mehrdeutige Wahrnehmungsmöglichkeiten: Mitglieder der angeheirateten Familien konnten auf Eheschließungen mit einer so wichtigen Familie wie die der lmhoff stolz sein; und Mädchen und Frauen haben

24

25

Zur Mehrdeutigkeit der Eucharistie und ihre Entwicklung siehe die anthropologische Studie von Ru­bin, wie in Anm. 18. Zu den Wappen in der Lorenzkirche siehe: Stolz, G., ST: LORENZ 86. Wappen in Fülle Wappenkunde Wappenkunst und Wappenrecht, MVzE NF Nr. 31. Stolz beobachtet, daß die Wappen der Kinder, "gleichsam als Garanten und Wächter" den Weihbrotkasten vor den Dämonen im unteren Bereich des Sakramentshaus schützen (S. 42).

15

erfahren, daß ihr Platz in der gewollten Ordnung immer auf der schwächeren, bzw. minderwertigen Seite, links des Mannes zu finden war, als wenn dieses so von Gott bestimmt wäre. Subtile Hinweise auf die nicht zum Leib Christi zugehörigen Menschen sind auch am Sakramentshaus ablesbar26. Vor allem bei der Geißelung (Abb. 12) und der Ver­urteilung (Abb. 15) beteiligen sich Folterknechte und Zuschauer, die in Physiogno­mie und Tracht dem Vorstellungsbild des "Anderen" entsprechen. Große Hakenna­sen sowie breite spitzförmige Hüte wurden in spätmittelalterlichen Darstellungen von biblischen Szenen verwendet, besonders um Juden, aber auch sonstige Au­ßenseiter zu charakterisieren27 . Daß einige christliche Betrachter diese negativen Gestalten auch mit ihren jüdischen Mitbewohnern assoziierten bzw. die Zeitgenos­sen als die Juden, "die Christus getötet hatten", ansahen, ist nicht zu verleugnen. Beispiele von Passionsspielen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts sind bekannt, in denen die Leidensgeschichte Christi mit antisemitischen Anekdoten ausgeschmückt wurde28. Das Sakramentshaus entstand nur wenige Jahre vor den Pogromen von 1498 und 1499, als Kaiser Maximilian seine Erlaubnis erteilte, die Juden aus der Stadt zu treiben. Knapp 30 Jahre bestand das Sakramentshaus in dem Kontext, für den es geschaf­fen wurde. Denn, nachdem 1525 die Reformation eingeführt wurde, folgten Debat­ten über die Praktiken der spätmittelalterlichen eucharistischen Verehrung. Schließ­lich äußerte sich der Lorenzer Pfarrer Andreas Osiander im Jahre 1528 in den 23 Glaubensartikeln definitiv gegen die Praxis, geweihte Hostien aufzuheben29 . Trotz­dem - oder vielleicht deshalb - besprach Helius Eobanus Hessus schon 1532 das Sakramentshaus als eines der Hauptgegenstände in seinem Encomion an die Stadt Nürnberg (Anhang 1)30• in diesem langen Gedicht lobte Eoban mit 1385 Versen das Stadtregiment, die Bürger, die Wälder, den Fluß, die Brunnen, Brücken, Mauern, Steinbrüche, Märkte, Spitäler, Gärten, Schulen, Kirchen und Kunstwerke. Zur be­sonderen Erhellung wählte er zwei zentrale Einrichtungen aus den letzten Jahren des spätmittelalterlichen Eifers im Reliquienkult bzw. bei der eucharistischen Fröm­migkeit: das Sebaldusgrab und das Sakramentshaus. Einleitend erklärt er die Funktion des Sakramentshauses als Häuschen, in dem man pflegte, die geweihte Hostie - den Leib Christi - aufzubewahren. Ferner äußerte er

26

27

28

29

30

16

Beckwith, S., Ritual, Church and Theatre. Medieval Dramas of the Sacramental Body, in: Aers, D., Hg., Culture and History, 1350-1600 (New York 1992), S. 65-89; Rubin, M., The Eucharist and the Construction of Medievalldentities, in: ders, S. 43-63. Mellinkoff, R., Outcasts. Signs of Otherness in Northern European Art ofthe Late Middle Ages (California 1993), Bd. I, S. 59-94. Diese Texte werden zur Zeit von Matthew Heintzelman für eine geplante Studie gesammelt und ana­lysiert. Die Artikel wurden zu den Nürnberger oder Schwabacher Visitationsartikeln überarbeitet. Siehe: Müller B., und Seebaß, G., Hg., Andreas Osiander d. Ä., Gesamtausgabe Bd. 3 (Güttersloh 1979), S. 123-180; Christensen, C., Art and the Reformation in Germany (Columbus 1979), S. 76. Neff, J., Hg., Helivs Eobanvs Hessvs Noriberga lllvstrata und andere Städtegedichte (Berlin 1896), S. 45-46; Gedruckt und übersetzt auf S. 84-86 von Mayer, M. M. (Hg.), Beschreibung der Werke des Steinmetzens Adam Kraft, in: Der Nürnberger Geschieht-, Kunst- und Alterthums-Freund, Jg. 1, Juni­August, 1842, S. 3-6, 13-15, 20, 33-34, 57-58, 78-80, 81-87, 89-90, 97-8, hier, S. 84-86 sowie von Weidner, W., in: Röthel, H., Adam Kraft. Das Sakramentshaus (Berlin 1946), S. 31-32. Zur Person siehe: Grässer-Eberbach, 1., Helius Eobanus Hessus (Erfurt 1993).

11 Darstellung der Verurteilung am Sakraments­haus

12 Darstellung der Geißelung am Sakramentshaus

mehrere kritische Einwände gegen den katholischen Ursprung des Sakraments­hauses. Als erste Kritik an der eucharistischen Lehre der römischen Kirche, schreibt er, Christus sei ein einziges Mal geopfert worden und nicht wiederholt an vielen Altären. Zweitens betont er, daß ein Sakramentshaus überflüssig sei: der Leib Chri­sti braucht keinen "dürftigen" Schrein oder sicheren Schutz. Implizit widersprach er dabei der Authorität der Kirche, ihren Geistlichen und auch der weltlichen Obrigkeit, die diese Aufgabe auf sich nahmen - eine Aufgabe, die er als Hybris hinstellte. Daran verknüpfte er seine dritte und Hauptkritik, die er gegen die Werkgerechtigkeit des Stiftens richtete, als er betont, daß der menschliche Wille schon immer mehr als billig um die göttliche Ehre besorgt war, und deshalb ihr solche Monumente wie das Sakramentshaus als gute Werke errichtet und dabei die Frömmigkeit des Glau­bens begraben hat. Überleitend bemerkt er, seine Absicht bestehe aber nicht darin, den Glauben zu verteidigen, sondern ein berühmtes Werk zu besprechen. Hier wird deutlich, daß seine Betrachtungen rein formal sind. Eoban lobt das Werk als herausragend über alle anderen seiner Gattung. Mehrmals behauptet er, das Monument sei aus wei­ßem Marmor gehauen. Er erwähnt die drei Atlanten die sich emporrecken a/s bräch ' auf sie ein die Last, die stürzende, hielten sie nicht stand. Aber der Künstler und seine Mitarbeiter bleiben durch die ganzen Abhandlungen anonym. Indem er sich entscheidet keine "großen Männer" zu feiern - ja sogar weder das Schaffen noch die Schaffenden zu erwähnen - laufen seine Gedanken parallel zur lutherischen

17

Betonung der "sola gratia"31 . ln den Passagen über das Sebaldusgrab schreibt er weiter, Es wäre unwichtig ob die Lehrmeisterin der Hand, des Geistes, oder des Künstlerischen das Monument gemacht hat. Die Neigung weder Menschen noch ihre Arbeit zu preisen dient nicht nur den reformatorischen Bestrebungen, sondern auch denen des Formalismus. Eoban wechselt die Metaphern ständig: architektonische sowie geometrische Konstrukte, Teile von Pflanzen oder Textilien. Gewiß imponierten ihm am meisten die komplexen abstrakten Formen der Verzierungen, denen er einen eigenen Willen zuschrieb: Und als tue den Fäden, den willigen, Einhalt die Biegung. Ebenso wie das Geweb' sich verwirrt in gekrümmeten Ästen, und durch Verlag'rung erneut, so wandern herüber, hinüber nach allen Regeln der Kunst die Säulchen, erstehen als andre, immer auf's neu geboren ... Nur kurz werden die Figuren erwähnt, und dann ganz ohne jeglichen ikonographischen Bezug: Dazwischen erstrahl'n der Figuren Tausend, wie Leben eratmend. Man glaubt, es habe der Meister selber die Steine beseelt. Mit der Behauptung Kraft habe die Steine belebt, verwandte Eoban einen altbekannten Topos aus der Antike, der in vielen Künstlerlegenden zu lesen ist. Dar­unter ist die Geschichte von Pygmalion vielleicht die bekannteste dieser Erzählun­gen32. Eoban schließt die Abhandlung über das Monument mit dem Vorbehalt, Alles, was drüber hinaus noch übrig bleibt, zu verkünden, hat mir die Muse versagt, die den Glanz dieses Werkes bewundert. Dieser Schlußsatz läßt den Formalismus sehr deut­lich anklingen. Auch bei den Philosophen und Kunsttheoretikern späterer Jahrhun­derte wird betont, daß die Wahrnehmung des Schönen so weit entfernt von allem Interesse, Nutz und Brauchbarkeit sein soll, daß dieses Wohlgefallen nicht in Wor­ten umzusetzen sei33. Durch die Einführung der Reformation hatte das Sakramentshaus seine offensicht­lich zweckbezogene Geltung verloren. Eobanus Hessus hatte dem Monument eine neue Legitimation erteilt, indem er sakrale Bedeutung durch ästhetische Wahrneh­mung ersetzte. Laut seiner Beschreibung gefiel das Monument ohne alle Zweckge­bundenheit und ohne alles Interesse. Er stellt diesen Formalismus nicht als neue Sicht oder neue Auslegung dar, sondern als eine schon immer vorhandene Seh­weise. Das Gefallen an diesem als Kunstwerk, überspannte konfessionelle und hi­storische Grenzen und vereint reformatorische mit vorreformatorischen Betrach­tern, sowie evangelische Nachkommen mit den Stiftern, die ihre katholischen Müt­ter und Väter waren34. Als ästhetisches Objekt blieb das Sakramentshaus vom Bil-

31

32

33

34

18

Zur Auswirkung der Lehre von sola gratia in der Kunst siehe: Halewood , W., Six Subjects of Reforma­tion Art: A Preface to Rembrandt (Toronto 1982), S. 10 f. Viele dieser Geschichten wurden gesammelt und untersucht in der Studie von Kris, E., und Kurz, 0 ., Legend, Myth, and Magie in the Image of the Artist (Yale 1979). "Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt", schreibt lmmanuel Kant in seiner Kritik der ästhe­tischen Urteilskraft. Siehe: Kant, 1., Kritik der Urtei lskraft (Suhrkamp Ausgabe: Frankfurt 197 4), S. 134. Ludwig Willgenstein und Susanne Langer betrachteten das Unaussprechliche sowohl von der Seite des Schaffens als auch des Rezipierens. Siehe: Hagberg, G. L. , Art as Language (lthaca 1995), s. 8-30. Schleif, C., Forms not Figures. lgnoring Images in Reformation Nuremberg, Beitrag zur Tagung der American Historical Association, San Franzisco 1994. Hierzu vergleiche auch Hofmann, W., Luther und die Folgen für die Kunst (Ausstellungskat. der Kunsthalle Hamburg, München 1983), bes. 23-71 .

13 Südwestecke der Brüstung mit den Figuren des hl. Leonhard und des hl. Sebastian

14 Wappen der Im hoff Kinder an der Südseite des Sakramentshauses

19

15 Detail aus der Szene des Ecce homo am Sakramentshaus

dersturm verschonP5. Folglich behielt das Sakramentshaus aber einige seiner so­zialen und politischen Aussagen, wie z.B. die mit Interessen verbundenen Hinweise auf gesellschaftliche Rangordnung , noch bei. Wie der Theoretiker Terry Eagleton verdeutlicht, stellt die ästhetische Betrachtung sowohl ein emanzipatorisches Mo­ment als auch eine ideologische Verschleierung der nicht zu überwindenden Un­gleichheit da~6 •

Nicht immer wurde aber die Verbindung des Sakramentshauses mit der Familie lmhoff, deren Wappen so auffällig zur Schau gestellt wurden, positiv geschildert. ln der Zeit nach der Einführung der Reformation ist sogar eine stifterfeindliche Legen­de mit dem Monument verknüpft worden. Es ist die bekannte Nürnberger Geschichte des redlichen Dieners, die in vielen Varianten als Sage tradiert wurde37• Nach dieser Geschichte, die Johannes Müllner 1623 in seine Annalen aufgenommen hat (An­hang II), wurde ein treuer Hausdiener von der Familie beschuldigt, er habe einen Pokal gestohlen. Aus Angst vor Folter gestand er die Tat. Nachdem der Diener be­reits erhängt worden war, fand man den vermißten Pokal unter einem Bett, wo ein vermeintlich betrunkener Gast ihn hingestellt hatte. Als Buße soll die Familie sowohl das Sakramentshaus - hier "Sakrament-Gotzenhäuslein " - als auch den Johannesaltar gestiftet haben. Die mittelalterlichen Reliquien, die immer noch im Altaraufsatz zu sehen sind , wurden als die des Dieners gedeutet. Die Legende über­liefert eine volkstümliche nachreformatorische Erklärung einiger Kultobjekte aus vor­reformatorischer Zeit. Diese Erzählung kettet die immer noch sichtbare Macht der finanzkräftigen Stifter und die Selbstgerechtigkeit der städtischen Oberschicht, so­wie die dunklen mittelalterlichen götzendienerischen Riten, den altkirchlichen Aber­glauben und die römische Werkgerechtigkeit assoziativ aneinander. Ganz andere Aspekte der Rezeptionsgeschichte des Sakramentshauses umgeben die Künstler. Schon Mitte des 16. Jahrhunderts fing man an, Kunstgeschichte als Künstlergeschichte zu betreiben - eine Betrachtungsweise, die heute immer noch vorherrscht. Als Johannes Neudörfer seine Nachrichten von Künstlern und Werk­leuten Daselbstim 154 7 verfaßt hat, widmete er die längste Abhandlung Adam Kraft. Er beginnt mit den Worten, Was geschickter, fleissiger und kunstreicher Baumeister und Steinmetz dieser Meister Adam gewesen ist, zeiget das Sacrament Haus in St Lorenzen Chor, welches a. 1496 angefangen und a. 1500 vollbracht worden, darun­ter er zuvörderst, als wäre er im Leben, sich selbst conterfeit hat, und hinter ihm seine zween Gesellen . ... [andere Werke werden aufgelistet] .. . Er war mit der linken Hand zu arbeiten gleich so fertig als mit der rechten, hatte aber eine wunderliche Art an sich, dass er allemal einen groben starken Bauernknecht zu einem Handlanger

35

36 37

20

Wie Christensen zeigt wurden vielerorts Sakramentshäuser angegriffen und auch abgerissen. Siehe Christensen, wie Anm. 29, S. 76. Eagleton, T. , The ldeology of the Aesthetic (Oxford 1990), bes. S.9. Eine Variante der Geschichte wurde in dem Heft: ST. LORENZ 73. Sagen und Geschichten, MVzE NF 15, S. 8-9, gedruckt. Für eine Liste der Stellen, wo die Erzählung in der Literatur vorkommt, siehe Schleif, wie Anm. 2, S. 73.

22

<111 16 Kupferstich, G. Fennitzer, "Sacrament­Häußlein in der Pfarrkirchen zu St. Lorentzen in Nürnberg. Dessen Werckmeister war Adam Krafft .. . ", um 1690,45,3 x 16,5 cm

17 Kupferstich, C. Monath, .. Das Sacramenthäuslein, welches Adam Krafft Ao. 1500 künstlich von Stein ausgefertiget", aus: J . G. Doppel­mayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, 1730, 29,2 x 17,4cm

dingete; dem zeigte er alle Ding mit höchstem Fleiss, als ob er sein Leben lang und beim Bauen auferzogen wäre, durch solches Zeigen macht ein anderer Gesell dar­neben etwas begreifen, war er desto besser. .. Kraft wird also als handwerklich be­gabter Baumeister und Steinmetz gepriesen, der ebenfalls mit Mitarbeitern geschickt und einfühlsam umzugehen wußte. Von weitreichenderem Einfluß ist die Passage, die Neudörfer von einem anderen nicht identifizierten Verfasser zitiert: Er [Kraft] hat das künstliche Werkstück, nemlich das Sacraments häuslein in St. Lorenzen Kirch alhier gearbeitet ... er ist berühmt gewest und hat sonderliche Erfahrung gehabt, die harten Steine zu mildern und zu giessen. Er habe Formen gemacht, darein Leimen mit kleinen gestossen Steinlein vermischt, den darauf gebrennt und mit Steinfarb angestrichen, es sind aber an solchem Werkstück alle krummen Bogen inwendig hohl und mit eisernen Stangen eingelegt. Sie könnten sonst nicht so bleiben38 . Hier schon wird eine Diskussion über die arbeitstechnische Leistung eingeführt, die heute noch fortdauert. ln der Beschreibung, die teilweise die Methoden des Steingusses miteinbezieht, vermi­schen sich Fakten mit Fiktionen. Bezeugt ist die Tätigkeit Stein zu mahlen, denn bei der Wartung und Reinigung des Sakramentshauses im Jahre 1500 bekam maister Adams hausfrawein trinck gelt fur stain mel zu klopfen39 . Die sonst besprochenen Arbeitsvorgänge- die Einzelstücke auszuhöhlen und auf Armaturen zu befestigen -lassen sich am Werk nachvollziehen. Auch der Überzug einer steinfarbigen Schläm­me wurde bei den letzten Untersuchungen von Eike Oellermann im Jahre 1993 be­stätigt. Die Legende - Kraft habe harten Stein "mildern" und "gießen" können - beruht auf einem Topos aus der Antike40 und fand ständige Wiederholung in der nachfolgen­den Literatur über Adam Kraft und das Sakramentshaus41 . Die weite allgemeine Verbreitung der Sage ist Joachim von Sandrart zu verdanken, der in seiner zwi­schen 1675 und 1679 veröffentlichten Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild­und Mahlerey-Künste behauptete, ... die Arbeit an sich selbsten aber zeiget, daß er eine sonderbare Wissenschaft, die harten Steine zu erweichen und in von Leimen und zerstossenen Steinlein gebrennte unddarzubereitete Formen zu gießen gewust habe42 • Im 18. Jahrhundert vermehrten sich solche Feststellungen über Kratts ge­heime fast alchemistische oder magische Kenntnisse als das Monument in den

38

39 40

41

42

24

Lochner, G., Hg.: Neudörffer, J., Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547 (Wien 1875), S. 10-11. Quelle gedruckt in: Schleif, wie Anm. 2, Anhang V. Schmid, W., Der Renaissancekünstler als Handwerker. Zur Bewertung künstlerischer Arbeit in Nürn­berg um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Wert und Bewertung von Arbeit im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Ergebnisse des internationalen Arbeitsgesprächs Lindabrunn 17. und 19. Sept. 1993 (Graz 1995), S. 61-149, hier 84; Ohly, F., Diamant und Bocksblut Zur Traditions- und Auslegungsgeschichte eines Naturvorgangs von der Antike bis in die Moderne (Berlin 1976), S. 106-113. Für eine Liste der Stellen, wo die Erzählung in der Literatur über das Sakramentshaus vorkommt siehe Schleif, wie Anm. 2, S. 73. Peltzer, A. , Hg., Joachim von Sandrarts Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste von 1675 (München 1925), S. 61-62.

18 Deckfarbenbild, G. Ch. Wilder, Chorinnen raum, 1831 , Graphische Sammlung, Germanisches National­museum Nürnberg

25

aufkommenden Reiseberichten immer mehr zur Kuriosität umgestaltet wurde. Eben­falls im 18. Jahrhundert schilderte Christoph Gottlieb von Murr das Sakraments­haus als Produkt sonderbarer technischer Fähigkeiten, sowohl in seiner Beschrei­bung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der Reichstadt Nürnberg als auch in der ersten kunsthistorischen Zeitschrift, die er herausgegeben hat. Murr glaubt, daß Kraft schon das Geheimniß gewußt habe, Massen von Sand und Thon eine Steinhärte zu geben und fügte dazu, der neapolitanische Ingenieur Nikolaus Lione habe diese Technik 1775 wieder erfunden, wofür er von Pius VI. ein ausschließli­ches Privileg für die Stadt Rom erhalten hat43. Es tauchten auch gegensätzliche Meinungen auf, wonach behauptet wurde, das Sakramentshaus sei aus einem har­ten Stein gemeiselt worden. Ch. Friedrich Nicolai vertrat nach seiner Reise im Jahre 1781 die Auffassung: ... so künstlich die Arbeit ist, so ist es doch viel glaublicher, daß alles mit geduldiger Mühe aus einem festen Stein sauber ausgehauen worden, von welcher geduldigen Mühsamkeif alter deutscher Künstler viele wichtigere Pro­ben vorhanden sind, als dieses Sakramentshäuslein. Da es nichts trägt, und dem Wetter nicht ausgesetzt ist, so konnten die leichten Theile der Arbeit ohne Schaden haltbar gemacht werden. Schon der Umstand, daß Adam Kraft mit zwey Gehülfen fünf Jahre mit dieser Arbeit zugebracht hat, zeigt, daß es sehr mühsam ausgearbei­tet worden; denn hätte es auf eine leichte Art können geformt werden, so wäre soviel Zeit nicht nöthig gewesen . ... 44 Zwar waren Murr und Nicolai beide Aufklärer, während Murr aber das Monument als Werk eines klugen Mannes mit besonderen wissenschaftlichen Kenntnissen konstruiert hatte, war Nicolai bestrebt das Sakramentshaus als Produkt fleißiger, geduldiger, schwerarbeitender Handwerker hinzustellen. Für das 18. Jahrhundert wurde das Sakramentshaus zum Gegenstand geistreicher Spekulationen. Distanziert hat man über das Werk gerätselt und es mit Anekdoten ausgeschmückt, um dieses als Phänomen zu erklären. Noch eine Debatte von größerer Tragweite hat Nicolai mit dem Selbstbildnis von Adam Kraft verknüpft, wenn er schreibt, Ich habe das Gesicht dieses Meisters mit großer Aufmerksamkeit und Vergnügen betrachtet. Es ist ganz Natur und Ausdruck. Der Mann hatte eine bedeutende Form von Stirn, tiefliegende Augen, von der Art, die Herr Lavater in seiner Physiognomik etwas uneigentlich Künstleraugen nennt, und einen breiten Mund mit geraden gleichsam beschnittenen Lippen, dergleichen ich bey sehr vielen mechanischen Künstlern dieser Art in Nürnberg und Augspurg oft angetroffen habe ... 45. Gemeint war der Züricher Theologe Johann Caspar Lavater, der sechs Jahre zuvor die Physiognomischen Fragmente veröffentlicht hatte und dabei heftige Diskussionen auslöste. Seine Lehre, daß der Charakter oder die Be­gabung eines Menschen am Äußeren abzulesen sei , macht er unter anderem am Beispiel von Künstlern deutlich: Die schönsten Mahler wurden die größten Mahler. Rubens, Vandyk, Raphael, drey Stufen von Männerschönheit! drey Stufen

43

44

45

26

Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der Reichstadt Nürnberg (Nürnberg 1781 ), S. 128-129; Journal zur Kunstgeschichte und allgemeinen Litteratur, Teil II, 1776, S. 49. Nicolai, Ch. F., Die Schilderung eines Kritikers, in: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 (Berlin und Stettin 1783), Bd. I, S. 228. ebenda.

19 Ölgemälde, P. Ritter, Das Sakramentshaus von Adam Kraft in der Sankt Lorenzkirche in Nürnberg, 1897, Fembohaus, Nürnberg

27

20 Radierung, G. C. Wilder, "Das Sakramentshäuschen von Adam Kraft in der Kirche des heil. .,.. Laurentius zu Nürnberg", aus: M. M. Mayer, Der Nürnberger Geschieht-, Kunst- und Alterthums- Freund, 1842,37,6 x 16 cm

mahlerischen Genies!46 Bei Adam Kratts Selbstportrait meinte Nicolai Hinweise für Lavaters Thesen zu finden. ln diesem Fall mag man erkennen, wie das Sakraments­haus in den Dienst etwas dubioser Zwecke gepreßt werden konnte. Auch wenn hier die Beobachtungen Nicolais auf einer indirekten, harmlosen und sogar positiven Ebene blieben, schlugen die damit verbundenen Behauptungen Lavaters weitere Wellen, die sich gefährlich für die Einschätzung Andersaussehender erwiesen - sei es für andere Völker oder Individuen, die in ihrem Äußeren Lavaters Normen nicht entsprachen. Bemerkenswerterweise wurde im 17. und 18. Jahrhundert das Sakramentshaus auch zum Sammelobjekt. Reproduziert in Druckgraphiken wurde das Monument käuflich und verkäuflich47 • Folglich wanderte das Sakramentshaus in zahlreiche Kunstkabinette und Bibliotheken auch außerhalb Nürnbergs. Die gebildeten Bürger der wohlhabenden Schicht gingen auf Reisen und sammelten Graphiken sowie Bücher, die gedruckte Illustrationen enthielten48. Schriftliche Reiseberichte und bild­liehe Darstellungen haben das Interesse an dem Kunstwerk als Kuriosität geweckt49 .

Jetzt befand sich das Sakramentshaus nicht mehr als einmaliges Monument im alleinigen "Besitz" des Patriziats, das es in Auftrag gegeben hat und an einem öf­fentlichen Platz anbringen ließ, sondern war Eigentum einer viel breiteren Schicht, vereinnahmt für den jeweiligen Privatbereich. Wie beim Stifter so dienten die Druck­graphiken unter anderen dazu, den sozialen Status der Sammler sichtbar zu ma­chen, obwohl nur unter ihresgleichen. Die Darstellungen des Sakramentshauses bestimmten die Vorstellung über das Kunstwerk immer wieder neu. ln den Drucken des 17. Jahrhunderts von Johann Wagenseil50 und Georg Fennitzer (Abb. 16) wird das Zierwerk vereinfacht und redu­ziert, um den Figuren sowie erzählerischen Szenen klare Konturen zu geben. Seide Graphiken zeigen keinen schwindelerregenden Turm, sondern ein gedrungenes Objekt, das man gerne auf einen Tisch setzt oder in ein Regal stellt. Weder Wagen­seil noch Fennitzer hält einen einheitlichen Blickwinkel bei (wie nach den Regeln der Linearperspektive zu erwarten wäre), sondern sie konstruierten verschiedene Teile aus unterschiedlichen Perspektiven. ln beiden Beispielen wird jedoch auf die Künstlerfiguren von oben herab gesehen! Diese so beweglichen und tragbaren Blätter dienten ebenfalls als Träger der vielfältigen Anekdoten, die im Laufe der Zeit durch wiederholte Erzählungen in veränderten Versionen dem Sakramentshaus angedichtet

46 47

48

49

50

28

Lavater, J. C., Physiognomischen Fragmente (Zürich 1775), S. 107. Waller Benjamin spricht vom Verlust der Aura seitdem Kunstwerke reproduzierbar sind. Siehe: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeil (Suhrkamp Ausgabe, Frankfurt 197 4), S. 1-63. Edith Luther schildert die Verhältnisse zwischen reisenden Kunstfreunden und Kunstsammlungen bzw. -handlungen. Siehe: Johann Friedrich Frauenholz (1758-1822). Kunsthändler und Verleger in Nürnberg (= Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte Bd. 41, Nürnberg 1988), 13-16. Viele Reisende staunten über das Sakramentshaus und erwähnten es in ihren Berichten. Siehe Fürst, B., Nürnberg in alten und neuen Reisebeschreibungen (Düsseldorf 1990) für eine Auswahl dieser Literatur. Wagenseil, J., De Sacri rom. lmperii Libera Civitate Noribergensi Commentatio ... (Aitdorf 1697).

wurden . Durch diese Geschichten paßten sich die Graphiken ihren jeweiligen Plät­zen in den Kabinetten und Bibliotheken der Wohnhäuser an. P. C. Monath hat seine Darstellung in die Weit der aufklärerischen Diskurse hineingesetzt, in dem drei ge­bildete Männer in zeitgenössischen Kleidern des 18. Jahrhunderts mit Gebärden voller Überzeugung vor dem Monument energisch debattieren (Abb. 17). Das 19. wie 20. Jahrhundert blickte sehnsüchtig auf vergangene Zeiten zurück wie kein Zeitalter zuvor. Mit der Veröffentlichung seiner Herzensergießungen eines kunst­liebenden Klosterbruders 1797 verhalf Wilhelm Wackenroder dem neuen Lebens­gefühl zum Durchbruch. ln seinem romantischen Vorstellungsbild spielte die Stadt Nürnberg sowie die Zeit von Adam Kraft eine wichtige Rolle. Fast seufzend schreibt er, Wie ziehen sie mich zurück in jenes graue Jahrhundert; da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der vaterländischen Kunst warst, und ein recht frucht­barer, überfliegender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte: - da Meister Hans Sachs und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor allen, Albrecht Dürer. .. noch lebten! Auch das Sakramentshaus hat für Wackenroder dieses Ambiente mitge­prägte. Denn schon 1793 beschrieb er mit großer Begeisterung in einem Reisebe­richt das äußerst künstliche Sakramentshäuschen .. . aus katholischen Zeiten5 1 • So­wohl Schriftsteller als auch Maler des 19. Jahrhunderts versuchten immer wieder ihre Leser bzw. Betrachter in eine Vorstellungsweit zurückzuführen, die sie mit dem Sakramentshaus assoziierten. ln E. T. A. Hoffmanns Roman Meister Martin der Küfner und seine Gesellen gehörte das Sakramentshaus zu den Wahrzeichen, die das Bild der Stadt des 16. Jahrhunderts bestimmten52 . Auch Georg Christoph Wilder (Abb. 18) und Paul Ritter (Abb. 19) verwendeten das Sakramentshaus in der Lorenzkirche um Bilder aus fernen Zeiten zu inszenieren. Mehrere Diskurse verflechten sich in der Sehnsucht nach dem späten Mittelalter sowie nach dem alten Nürnberg ineinander: die Verherrlichung eines verflossenen goldenen Zeitalters gegen eine Epoche der Nürnberger Mißwirtschaft; deutscher Nationalismus gegen französischen Imperialismus; eine Resakralisierung gegen die Säkularisierung; kultureller Pluralismus gegen kulturelle Hegemonie; eine Festklammerung an einer vertrauten handwerklichen Vergangenheit gegen eine unsichere neue Weltordnung der Frühindustrialisierung, eine nach innen gekehrte gefühlsbetonte Anschauung gegen einen kalten rationalistischen Geist der Aufklä­rung. Folglich wurden auch die Darstellungen und Vorstellungen des Sakraments­hauses im 19. Jahrhundert immer nach jeweils unterschiedlich gelagerten Interes­sen konzipiert. Das Sakramentshaus, das so prominent wie permanent dastand, wurde in viele Auseinandersetzungen einbezogen, die sich mit der Pflege bzw. Er­haltung der Kunst der Vergangenheit sowie mit der Schaffung von neuen Werken befaßten. Friedrich Schlegel plädierte 1805 in seiner Zeitschrift Europe für eine Art Multikultur­alismus zu Gunsten der deutschen Kunst. Er argumentiert, daß jede Nation eine eigene Musik, Architektur und Kunst hat, da es für ihn keine universale Ästhetik

51 52

30

Wackenroder, W., Werke und Briefe (Nachdruck: Heidelberg 1967), S. 109, 572. Hoffmann, E. T. A. , Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, in: E. T. A. Hoffmann Werke, Bd . 2 (Frankfurt 1967), S. 379. Dazu siehe Grate, L. , Die romantische Entdeckung Nürnbergs, S. 34.

gab53 . ln der Tat hatte die kulturelle Hegemonie der Napoleonischen Zeit viel Unmut ausgelöst. Nachdem die Franzosen Nürnberg im Jahre 1806 an den bayerischen Staat übergaben, wurden , wie bereitsamEnde des 18. Jahrhunderts, etliche Wert­gegenstände der Kirchen verkauft um die Schulden der Stadt zu tilgen. ln diesem Jahr wurde auch die große Monstranz eingeschmolzen, die das Sakramentshaus einst geborgen hat54 . Die Angst weiteres Kulturgut zu verlieren, veranlaßte mehrere Lokalgelehrte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Schriften zu verfassen, die ein gebildetes Publikum über ihr deutsches Kulturerbe informiert und dessen Spu­ren sichert. Im Jahre 1822 widmete der Verein nürnbergischer Künstler und Kunst­freunde sein erstes Heft dem Künstler Adam Kraft und ließ es von Friedrich Fleisch­mann mit Radierungen illustrieren. 1842 veröffentlichte M. M. Mayer in vielen Fort­setzungen in seinem Nürnberger Geschieht-, Kunst- und Alterthums-freund eben­falls eine ausführliche Abhandlung über Adam Kraft, die mit Radierungen von G. Ch. Wilder illustriert wurde. Bei Mayer wird die Idee, Adam Kraft habe über Kennt­nisse verfügt, die ihm es ermöglicht hätten Stein zu erweichen, wissenschaftlich widerlegt. Beide Publikationen berichten mit dem Anspruch der Vollständigkeit über das Sakramentshaus und bringen genaue Beschreibungen, Zitate aus der bisheri­gen Literatur und Angaben über frühere Abbildungen. Die Abhandlung über das Sakramentshaus in der ersten Monographie über Adam Kraft, die Friedrich Wanderer 1869 in Deutsch, Englisch und Französisch veröffent­lichte, dehnte diese Bestrebungen noch weiter aus. Er bebilderte den großformati­gen Band mit vielen Holzstichen, darunter auch mit einem Grundriß des Sakraments­hauses sowie einem hochformatigen Bild zum auffalten. Berthold Daun setzte die­se Traditionen fort , wobei er in seiner im Jahre 1897 erschienen Studie auch die vielen archivalischen Quellen heranzog und teilweise edierte55 • Viel später, in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg nahm Wilhelm Schwemmer diese positivisti­schen Ansätze in seinen reichlich bebilderten und straff formulierten Text über Kraft wieder auf56 .

Das Sakramentshaus spielte aber ebenfalls eine Rolle bei Auseinandersetzungen um neue Kunstwerke. Seit 1724 ragte das große Altarblatt von Johann Martin Schu­ster neben dem Sakramentshaus empor. Schon 1819 hatte sich der Kronprinz Lud­wig an diesem Barockaltar gestört, der zu nahe am Sakramentshaus stünde. Statt dessen wünschte er sich einen mittelalterlichen Altar wie den Hauptaltar aus dem 14. Jahrhundert in der Jakobskirche, der kurz davor restauriert wurde, um ein ein­heitliches Bild zu bewahren57• Auf der Radierung von G. Ch . Wilder, die M. M. Mayer 1835 gedruckt hat (Abb. 20), stehen- fast wie in einer vermeintlichen Momentauf-

53

54

55 56 57

Schlegel, F., Ansichten und Ideen von der christlichen Kunst: Dritter Nachtrag alter Gemälde, in: Europa, II, 2, 1805, S. 109-117; nachgedurckt in: F. Schlegel Gesammelte Werke, Kritische Friedrich­Schlegei-Ausgabe, Eichner, H., Hg. , 1. Abt. Bd. 4 (München und Wien), 1959, S. 120ft. Siehe auch Belting, H. , Die Deutschen und ihre Kunst: Ein schwieriges Erbe (München 1992). Stolz, G., ST. LORENZ 95, Pro Deo - Denk Mal. Kunstgut Stiftung und Erhalt in Krieg und Frieden, MVzE, NF Nr. 40, S. 32-35. Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Nürnbergs (Berlin 1897). Adam Kraft (Nürnberg 1958). Götz, N. , Um Neugotik und Nürnberger Stil (= Nürnberger Forschungen Bd. 23, Nürnberg 1981), S. 52. Zum Barockaltar siehe: Stolz, wie Anm. 54, S. 27-28; Stolz, G., ST. LORENZ 74. Der Hauptaltar der Nürnberger St. Lorenzkirche, MVzE, NF 16, S. 7.

31

nahme- Figuren, die so bekleidet sind wie zeitgenössische Bürger aus der gehobe­nen Mittelschicht im 19. Jahrhundert. ln seinem Deckfarbenbild aus dem Jahre 1831 hatte Wilder jedoch andächtige Menschen in historisierenden mittelalterlichen Ko­stümen gezeigt. Der Barockaltar fehlt (Abb. 18). Die Lösung zum Problem des Al­tars kam in der Form der "Regotisierung" des Alexander von Heideloff. Ein Stahl­stich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt - neben dem Sakramentshaus -zwei knieende, mittelalterliche Beter vor dem 1840 aufgestellten neugotischen Altar, der von Lorenz Rothermundt und Daniel Burgsehrniet nach Heideloff's Entwurf ausge­führt wurde (Abb. 21). Auch die 1839 errichtete Kanzel mit Plastiken von Ferdinand Müller sollte nach Heidelaff als Gegenstück zum Sakramentshaus und im "Adam Kraft'schen Styl" ausgeführt werden58 .

Die Selbstbildnisse am Fuß des Sakramentshauses erfuhren eine eigene Rezeptions­geschichte, denn sie wurden häufig allein in die verschiedensten Handlungen mit­einbezogen und führten dadurch ein fast selbständiges Leben. Viele Autoren des 19. Jahrhunderts folgten einer Behauptung Sandrarts und stellten den älteren Herrn mit dem Holzstab auf der Nordseite des Sakramentshauses als Meister Adam Kraft dar (Abb. 23, 24). G. F. Waagen nannte sogar die beiden anderen Gestalten die Söhne Adam Krafts59 • Daß eine ältere Person noch ganz ehrwürdig Geselle geblie­ben wäre, war mit einem patriarchalischen Weltbild vielleicht schwerlich zu verein­baren. Die ständige Präsenz einer frommen knieenden Handwerkerwerkstatt mit zwei an­onymen Mitgliedern muß den Nazarenern besonders imponiert haben. Diese gleich­gesinnten deutschsprachigen Künstler, die unter dem Spottnamen Nazarener be­kannt wurden, da sie sich wie die Nazarener im Neuen Testament von der Gesell­schaft absonderten, schlossen sich schon 1809 in Rom zum Lukasbund zusam­men. Eine Zeichnung des Spätnazareners Edward von Steinle, die den Hl. Eligius darstellt, während er in der Werkstatt eine geschwungene Fiale fertigstellt, erinnert an die Art der Selbstdarstellung der Handwerker-Künstler unter dem Sakraments­haus (Abb. 25)60.

Auch in den populären Bereich des Kunstgewerbes haben sich diese Künstler­bildnisse hineingefunden, wenn auch hauptsächlich durch die Nazarener vermittelt. Denn Weihnachtskrippenfiguren, die sich auf die gemalten Darstellungen der Nazarener beziehen, sind nicht weit von den Kraft'schen Bildnissen entfernt. Man­cher geschnitzte anbetende Hirte mit Hirtenstab kommt dem älteren Gesellen (Abb. 4) sehr nahe61 .

Um die Jahrhundertwende veränderte Friedrich Wanderer das knieende steinerne Selbstbildnis Adam Kratts in eine lebendige selbstbewußt dastehende Person für seine im kleinen Rathaussaal bestimmten Berühmte Männeraus Nürnbergs großer Vergangenheit (Abb. 26). Fast ironisch kehrte er den Sinn der Kraftsehen Selbstdar­stellung um, da er Kraft vergrößert bzw. das Sakramentshaus verkleinert und es dadurch ermöglicht, daß Adam Kraft, der muskulös und heroisch aufrecht steht,

58 59 60

61

32

Götz, wie Anm. 57, S. 53-54 Kunstwerke und Künstler in Deutschland, Teil I (Leipzig 1843), S. 243. Grote, L. , Joseph Sutter und der nazarenische Gedanke (München 1972), S. 13; Gallwitz, K., Hg., Die Nazarener (Ausstellungskat.: Städtische Galerie im Städel, Frankfurt 1977), s. 26. ebenda, S. 380-382.

sich leicht und fast respektlos auf sein Sakramentshaus stützt. Damit zeigt Wande­rer sehr deutlich, daß die Künstler für ihn -sowie generell zu dieser Zeit- viel wich­tiger waren als ihre Werke, die auf der Tafel nur als Attrappen zur Identifizierung herumstehen. Bei populären Aufführungen wurde das Selbstbildnis ebenfalls verlebendigt. Die Dürerfeiern des 19. Jahrhunderts nahmen immer mehr den Charakter eines Volks­festes in ausgelassener Stimmung an . Als 1840 Hunderte von Menschen in historisierenden Kostümen an den Festlichkeiten in München teilnahmen, bekleide­ten sich Künstler der Gegenwart als Künstler der Vergangenheit. Überliefert ist, wie Adam Kraft an der Seite Albrecht Dürers beim Festzug einherging62 . Gewiß kann

62 Mende, M., et al, Hg., Die Nürnberger Dürerfeiern 1828-1928 (Ausstellungskatalog: Dürerhaus, Nürn­berg 1971), S.9. Auch Gottfried Keller hatte den Festzug in: Der grüne Heinrichbeschrieben. Siehe: Böning, T., und Kaiser, G., Hg., Gottfried Keller Sämtliche Werke, Bd. 2 (Frankfurt 1985), S. 565-566 und den Stellenkommentar dazu.

21 Stahlst ich, J . Poppel nach Walther, "Adam Kratts Sakra­mentshäuschen" , um 1845, 18:13cm

33

22 "Tabernacle de L'Eglise St. Laurent A Nuremberg." Lithographie mit Tonpl. von Haghe. Um 1840, 38,7:27,5 cm

man davon ausgehen, daß die Darstellung Krafts seinem Selbstportrait - wie es bei Dürer der Fall war - angelehnt wurde. Beim Deutschen Sängerfest, das in Nürnberg im Jahre 1861 stattfand, wurden be­deutende Gebäude aus der Geschichte Nürnbergs hervorgehoben. Darunter wurde auch das Haus von Adam Kraft mit einem Bildwerk dekoriert, von dem ein Abbild erhalten ist (Abb. 53) Adam Kraft steht triumphierend zwischen seinen Monumen­ten da, während zwei Mitarbeiter noch am Werk beschäftigt sind. Bei diesem Fest spielten Künstler und Handwerker eine wichtige Rolle. Da sie aus allen Ständen kamen, durften sie deutsche Einheit und bürgerliche Ordnung demonstrieren - eine Ordnung die man angesichts der lndustriealisierung und drohenden Proletarisie­rung beibehalten wollte63 . Solche Inszenierungen stehen fast metaphorisch da. Sie demonstrieren nicht nur, wie die Gegenwart in ein Bild der Vergangheit hineingepreßt wurde, sondern auch umgekehrt, wie die Darlegungen der Vergangheit die eigene Morphologie des Darstellers widerspiegelt. Ähnliche Tendenzen sind in der Kunstgeschichtsschreibung erkennbar. Während des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Kunstgeschichte zu einer selb­ständigen Disziplin mit eigenen Kategorien und Erzählstrukturen. Die Kategorien waren hauptsächlich Stilbegriffe, die sowohl chronologische als auch geographi­sche Aspekte beinhalten, z.B. "griechisch," "römisch," "gotisch," "Renaissance". Daß diese Kategorien sehr willkürlich konstruiert waren, beweist die Beliebigkeit, mit der sie bei den Kunstwerken verwendet wurden, bis sie sich allmählich gegen Ende des 19. Jahrhunderts etablierten. Die ebenfalls willkürliche Erzählstruktur die­ser Disziplin bildet eine lineare Geschichte mit qualitativ "besseren" und "schlech­teren" Epochen. Nach dem Höhepunkt der Antike kam das tiefe Tal des Mittelalters und danach wieder der Gipfel der Renaissance. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts verfaßte der einflußreiche Schweizer Kulturhistoriker Jakob Burckhardt mehrere Bücher, in denen er die ewigen, klassischen Werte der italienischen Renaissance konturierte, wobei er Kontraste mit der Kultur des Mittelalters sowie der Nordeuro­pas aufzeichnete64 • Da die Kunst der eigenen Kultur- vor allem die der Zeit um 1500 von Dürer und Kraft- dabei zu kurz kam, waren nicht alle deutschen Kunsthistoriker mit diesem Schema einverstanden. Immer wieder kamen Einwände. Zumeist wur­den zwei Lösungen angeboten: entweder zählte man die Kunst des Kraftsehen Zeit­alters zur Renaissance, oder man erhob das "deutsche Mittelalter" und stellte es der Italienischen Renaissance als ebenbürtig gegenüber. Bei diesen Bestrebungen ist es interessant zu beobachten, wie das Sakraments­haus mehrfach stilistisch umgemodelt wurde, um in die unterschiedlichsten Sche­men hineinzupassen. Wilhelm Lübke, der grundlegend mehrere allumfassende Über­sichtswerke verfaßt hat, behandelte das Sakramentshaus in seiner 1871 erschie­nen Geschichte der Plastik von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Für ihn gehörte es zur Renaissance. Er berichtet: Es enthält in seinen oberen Partieen klei-

63

64

34

Brix, M. , Nürnberg und Lübeck im neunzehnten Jahrhundert, München 1981 , S. 104-105. Hinweise verdanke ich Frau Edith Luther und Herrn Georg Stolz. Burckhardt publizierte Der Ciceronein 1855, Die Kultur der Renaissance in Italien in 1860 und Oie Geschichte der Renaissance in ltalienin 1867.

}\lhllll ~r11ft ~ ißilbb•;;;r, '

_;..-""::-:-r-r

f I

ne etwas überfüllte Szenen aus der Passion, eine trefflich componierte Darstellung des Abendmahls und anderen figürlichen Schmuck, der jedoch zu sehr von den krausen Formen der Architektur verdeckt wird, um genossen und gewürdigt zu wer­den. An den unteren Theilen sind seine Statuetten von Heiligen angeordnet, darun­ter auch eine liebliche Madonna. Am wichtigsten sind aber die drei Iebensgrossen knieenden Figuren, welche den Unterbau auf ihren Rücken tragen. Der Eine ist jung, unbärtig, der Andere männlich, kraftvoll, mit vollem Krausbart (vielleicht der Meister selbst, der nach Neudörffers Zeugniss sich hier sammt zwei Gesellen dargestellt hat); der dritte ist älter und stützt sich auf seinen Stab. Diese Gestalten sind meister­hafte Charakterbilder voll Portraitwahrheit, dabei vorzüglich fein durchgeführt ... 65

Die meisten Autoren der Kunstgeschichte folgten aber dem Weg von Wackenroder, wobei sie das Mittelalter als eigenständig deutsch konstruierten und auf die gleiche Ebene mit der (italienischen) Renaissance stellten. ln seinem einflußreichem Buch Die Deutsche Sondergotik: Eine Untersuchung über das Wesen der deutschen Bau­kunst im späten Mittelalter, das Kurt Gerstenberg während des ersten Weltkrieges verfaßte, räumte er eigens einen Platz für die deutsche Kunst aus der Zeit von Adam Kraft ein. Nach seiner Definition distanzierte sich die deutsche Sondergotik sowohl von der französischen Gotik als auch von der italienischen Renaissance. Wie er selbst sein Vorhaben summiert: Um ihre psychologische Basis festzustellen, wur­den die reinen Kontraste aufgesucht in der Stimmungskunst des germanischen Nordens und der Affektkunst des romanischen Südens66•

65 66

36

(Leipzig), S. 232-7. (München 1913), S. 115.

<1111 <1111 23 Radierung, F. Fleisch­mann , "Adam Kraft. B ild hauer", aus: Die Nürnbergischen Künst­ler, geschildert nach ih­rem Leben und ihren Werken, Heft I, 1822

<1111 24 Stahlst ic h, "Adam Kraf t " , aus : Campe (Hg.), J . Neudörffer, Nachrichten .. . , 1828, 11,9 x 7,8 cm

25 Federzeichnung, Edward von Steinle, "Der Heilige Eligius", Staatliche Sammlung, München, 1828, 30,3 x 24,5 cm

Heinrich Wölfflin, der zur gleichen Zeit seine Grundbegriffe der Kunstgeschichte veröffentlichte, bemühte sich noch mehr, die vermeintlichen nationalen Stilunter­schiede durch einen festen Fachjargon zu prägen, der aus extremen Gegensätzen bestand: das Lineare und das Malerische, Fläche und Tiefe, geschlossene und of­fene Form, Vielheit und Einheit , Klarheit und Unklarheit67• ln seinem Essay Italien und das deutsche Formgefühl aus dem Jahre 1931 bietet Wölfflin sein am weite­sten entwickeltes Vokabular von nationalen Formbegriffen68• Schon 1905 hat das Sakramentshaus eine wichtige Rolle in diesem Diskurs gespielt, als Wölfflin schrieb: Als Inbegriff spätgotischer Form kann das Sakramenthäuschen genannt werden, das Adam Krafft in der Lorenzkirche zu Nürnberg hingestellt hat. Gibt es ein anderes Gebilde, das so wie dieses die Phantasie ständig in Bewegung hält? Nirgends ein Abschluß, nirgends klare Gelenke: alles ist Übergang, jeder Teil durchdringt den anderen. Das Auge muß suchen. Überschneidende Glieder verdecken wichtige An­sätze, und die Figuren bergen sich in tiefen Schattenhöhlen. Es ist das Unantikste, was der germanische Boden hervorgebracht hat, für italienische Empfindung ein Greuel, für uns eine Quelle unerschöpflichen Reizes69 .

Interessanterweise haben Lübke und Wölfflin gegensätzlich das Sakramentshaus als Kunstwerk der Renaissance bzw. der Spätgotik interpretiert, wobei sie verschie-

67 68

69

Wölfflin, H., Kunstgeschicht liche Grundbegriffe (Nachdruck: Basel 1979). nachgedruckt in: Wölfflin, H., Gedanken zur Kunstgeschichte. Gedrucktes und Ungedrucktes (Basel

1947), 119ft. Wölfflin, H., Die Kunst Albrecht Dürers (Nachdruck, München 1971), S. 40-41.

37

dene Aspekte des Werkes unterschiedlich wahrgenommen haben. Lübke bevor­zugte die Figuren und hauptsächlich die Selbstbildnisse, Wölfflin den Zierat, der die Figuren verdeckt. Die Betrachtungsweise Wölfflins beeinflußte viele Wissenschaft­ler am Anfang des 20. Jahrhunderts, wie z. B. Dorothea Stern, die nach einer detail­lierten Analyse der stilistischen Motive das Sakramentshaus als "Wunder deutscher Kunst" bezeichnete70 .

Kunsthistorische Lobhymnen, die eine überlegene deutsche Selbstidentität von spätmittelalterlichen Plastiken abzulesen behaupteten, fanden besonders begei­sterte Aufnahme in den Schriften innerhalb und außerhalb der Kunstgeschichte während des Dritten Reiches. Die Nationalsozialisten vereinnahmten unter anderen Adam Kraft um "die Symbolkraft der Stadt Nürnberg zu deuten" und dabei die alte "Reichsherrlichkeit" hervorzuheben. ln dieser Zeit strahlte das Portrait Adam Kratts germanische Männlichkeit sowie die Tugenden des deutschen Handwerks aus71 •

Die Geschichte der Instandsetzung, Reinigung und Wartung des Sakramentshauses ist eng verknüpft mit der eben erzählten Geschichte der Rezeption und Wahrneh­mung des Monuments. Weil verschiedene Hoffnungen, Absichten und Deutungen sich an das Objekt anhefteten, war es wichtig, daß das ganze Werk sowie besonde­re Teile davon geschützt, repariert oder gereinigt wurden. Im Laufe der Geschichte haben sich deshalb unterschiedliche Interessengruppen an der Instandhaltung be­teiligt. Wie schon erwähnt, übernahm die Stifterfamilie Im hoff die Verantwortung für die ersten Jahre und führte bis 1552 darüber Buch. Die erste Reinigung und Aus­besserung wurde von Adam Kraft und drei Mitgliedern seiner Werkstatt - seiner Ehefrau, Ulrich und Christoph ausgeführt. Die Reinigung im Jahre 1504 wurde als besonders abenteuerlich geschildert, da Schwierigkeiten entstanden sind, als die Arbeiter sich in einem Aufzug emporziehen wollten72 • Mehrere Täfelchen und Auf­schriften am Sakramentshaus bezeugen ebenfalls Restaurierungen oder Reinigun­gen für die Jahre 1501, 1571, 1605, 1654 und 1770 (Abb. 28). Unter den Anweisun­gen Heidelofts unternahm der Bildhauer Lorenz Rothermund in den Jahren 1836 und 1837 gründliche Renovierungen und Ergänzungen der Fehlstellen73• Er hat auch das filigrale Steinwerk mit einer Kalkschlämme versehen, eine Maßnahme, die sich für die Oberfläche als nachteilig herausstellte74 • Als besonderer Schutz wurde eben­falls im 19. Jahrhundert ein Gitter vor den Künstlerselbstbildnissen errichtet (Abb. 28). Bei weitem die amüsanteste Geschichte, die mit der Konservierung des Sakraments­hauses zusammenhängt, ist die der Katzenjagd im Jahre 1901 . Nach mehreren et­was widersprüchlichen Berichten hat man lange mit verschiedenen Mitteln versucht eine Katze aus den höheren Etagen des Sakramentshauses zu treiben, damit sie beim Gottesdienst nicht stören würde. Für die Katze ist das Abenteuer glimpflich

70 71 72 73 74

38

Der Nürnberger Bildhauer Adam Kraft (Straßburg 1916), S. 58-59. Siehe: Die Nürnberger Schau, 1940, Heft 7 und die dort angegebene Literatur. Germanisches Nationalmuseum, lmhoff-Archiv, Fase. 36, Nr. 2a; Schleif, wie Anm. 2, Anhang V, VI. Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Nr. L Fach 61, No. 5. Stolz, wie Anm. 54, S. 43, und die dort angegeben Literatur; A. Fritsch, Tätigkeitsbericht der Architektin 1993, in: ST. LORENZ 94, Ecce Panis Angelorum. Das Sakramentshaus des Adam Kraft, MVzE Nr. 38, S. 51.

26 Ölgemälde, F. Wanderer, "Berühmte Männeraus Nürnbergs großer Vergangenheit", 1901 , Fembohaus, Nürnberg, 2 x 4,5 m

verlaufen, da sie endlich unversehrt auf einer Strohmatte auf dem Boden gelandet ist und glücklich die Kirche verlassen durfte. Der hl. Johannes in der Kreuzigungs­darstellung ist aber weniger heil davongekommen, denn er ist ebenfalls hinabgestürtzt und auf dem Kirchenboden zerbrochen. ln den Auseinandersetzungen die folgten, stellte sich heraus, daß es nicht die Katze war, die die Figur niedergerissen hat. Ein Kutscher soll um Hilfe gebeten worden sein und seine lange Peitschenschnur hatte sich angeblich um die Figur gewickelt. Nach einem anderen Bericht wurde die Figur zerbrochen auf dem Boden aufgefunden. Dabei tauchte die Frage auf, ob die Figur zusammengesetzt, oder nur durch eine Kopie ersetzt werden soll. Eben in den Ta­gen als der Unfall passierte war man dabei die Figuren der Kreuzigungsgruppe als Vorlage für Gipsfiguren des neuen großen Kalvarienbergs am Johannesfriedhof zu verwenden. Folglich wurde argumentiert, Heutzutag macht man schon schönere Figuren als die da ist. Kritisch hat sich allerdings die Stadtgemeinde zu den Ereig­nissen geäußert. Wenn sie angerufen worden wäre, hätte die Feuerwehr die Katze entfernt und das Monument wäre unbeschädigt geblieben. So habe doch auch die Stadt Nürnberg ja das ganze deutsche Vaterland ein Interesse daran. Bei den Ange­legenheiten kommt das Konkurrenzverhältnis über die Kompetenzen der Kirchen­verwaltung und der Stadtgemeinde ans TageslichF 5 . Diese Episode verdeutlicht, wie das Sakramentshaus in mannigfaltige politische Verhandlungen verwickelt wur­de, sowie die verschiedenen Deutungen und Werte, die man dem Werk beigemes­sen hat, als auch die Konsequenzen dieser Deutungen für das Werk selbst. ln der Zeit des zweiten Weltkriegs kann man ebenfalls beobachten, welche Konse­quenzen Deutungen nach sich ziehen. Bei der Ideologiebildung von der deutschen Überlegenheit wurde die Stadt Nürnberg mit ihrer älteren deutschen Kunst, darun-

75 Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Nr. L, Fach 61, Nr. 5; Nordbayerische Zeitung 11. Juni 1901. Den freundlichen Hinweis auf den Zeitungsartikel verdanke ich Herrn Georg Stolz.

39

27 Eingelegte Blechtafeln über durchgeführte Restaurierungen am Sakramentshaus

ter auch Adam Kraft, seine Kunst und die Handwerkerselbstbildnisse am Sakraments­haus vereinnahmt. Daß diese Konstruktionen von Nürnberg als der deutschesten der deutschen Städte sowie die Macht- und Materialdemonstrationen, die mit Nürn­berg als Stadt der Reichsparteitage verbunden waren, provozierend wirken könn­ten, war der Leitung des 1938 gegründeten Referats für Wehrangelegenheiten, Luft­schutz und Ernährungsamt bewußt. Bereits 1939 hat man mit den Plänen für die bombensichere Bergung von Kunstgut in den Felsenkellern und Stollen unter der Nürnberger Altstadt und dem Burgberg begonnen. Stadtrat Konrad Fries und Ober­baurat Julius Lincke, die die Arbeit leiteten, mußten dafür Sorge tragen, daß die Werke still und leise in den Kunstbunker getragen wurden, um die Siegeszuversicht nicht zu beeinträchtigen bzw. den Vorwurf des Defätismus zu verhindern. Die Selbst­bildnisse von Adam Kraft und den zwei anderen Mitgliedern seiner Werkstatt wur­den auch in den Bergungskeller gebracht, wo sie in Sicherheit verweilten, während andere Kunstwerke sowie viele Menschen, die oben geblieben sind, vernichtet wur­den. Das Sakramentshaus selbst wurde kaminartig eingemauert (Abb. 29-32). Die­se Schutzeinrichtung aus Backstein mit einer Mauerstärke von 51 cm kostete 3.214,00 RM 76 • Zu dieser Zeit wurden auch vorsichtshalber sehr detaillierte Dokumentarfotos vom Sakramentshaus angefertigt. Bei dem Angriff der Allierten im Januar 1945 stürzten Teile des Hallenchorgewölbes auf das Sakramentshaus. Die etwa 7 m hohe Spitze, die aus der Ummauerung herausragte, wurde weggeschlagen und andere Stellen beschädigt (Abb. 29-32)77 .

Heute tut es auch Kunsthistorikern aus den ehemaligen Alliiertenstaaten weh, diese Verwüstungen zu betrachten, die in vielen Fotographien festgehalten wurden. Fast scheint es, als hielte man die mittelalterliche Kirche und ihre Kunstschätze für ver­antwortlich. Eine Art Bildersturm richtete sich gegen Bau- und Kunstwerke - auch das Sakramentshaus mit den Selbstbildnissen der Werkstatt-, die von den Natio­nalsozialisten als Zeichen verwendet wurden. Dabei muß man über die überzeu­gende Macht der Deutungen und Umdeutungen staunen. Nach Kriegsende arbeiteten die Steinmetze und Bildhauer der Bauhütte St. Lorenz bis 1952 um das Sakramentshaus wiederherzustellen (Abb. 33-35)?8 . Zu dieser Zeit wurden auch neue Fotographien angefertigt. Eine Teilreinigung wurde im Jahre 1961 wieder vorgenommen. ln den Jahren 1993-1994 wurde das Sakramentshaus wie­der eingerüstet um sehr genaue Messungen und Materialuntersuchungen zu unter­nehmen, sowie die Oberfläche zu reinigen. Die computergestützte photogramme­tische Aufmessung wurde von Dipl.-lng. Beata Hertlein durch ein verformungs­gerechtes manuelles Aufmaß ergänzt. Bei dieser Arbeit wurde versucht das Monu­ment von schädlichem Schmutz zu befreien und Kenntnisse über den Originalzu­stand sowie über frühere Konservierungsmaßnahmen zu gewinnen. Wenn man die Gesamtgeschichte der Restaurierungsarbeit am Sakramentshaus betrachtet, wird

76

77 78

40

Für einen ausführlichen Bericht über die Schutzmaßnahmen für die Lorenzkirche im zweiten Weit­krieg siehe: Stolz, wie Anm. 54, S. 53-59 und die dort angegebene Literatur. ebenda, S. 66. ebenda.

Im Jahr 1994 wurden am akrament hau In rand etzung ma nahmen durchgeführt.

Im Zug der R imgung - und ichcrung maCnahmen wurde a~ h

eine Ma aufnahme mit Dokumcnr.nion Ia Befunde angef rngt.

Die. c Arl citcn wurden fm.mlicrt au Mitteln !er Kin:h ngcmeinde ·r. Loren7

der Ev.-Lurh. Kir ·he 111 1\.tyern, dem Frei t<t.lt Barern o-. i dur ·h eine . ondertuwcndung de!> Lion lub urnb rg.

28 Sakramentshaus mit Schutzgitter, Aufnahme: 1909

es klar, wie verschiedene Interessen ganz andere Wertschätzungen am Objekt gel­tend machten79• Ob optische Vollkommenheit, Beständigkeit des Originals, Schutz und Schadensbekämpfung oder Spurensicherung der verschiedenen Vergangenheiten zum Ziel wurden, bestimmten immer die Bedeutungen, die die jeweiligen Fachexperten und Sponsoren diesen Aspekten beigemessen haben. Zum Schluß möchte ich die Aufmerksamkeit auf unsere Zeit und unsere Aufgaben lenken. Nach einer Betrachtung der seit 500 Jahren immer wechselnden Auffas­sungen des Sakramentshauses möchte ich dafür plädieren, daß Deutungen erfun­den werden und Bedeutungen gefunden werden, die durch Kritik, Toleranz und Ver­ständnis Brücken bauen und die Menschen zusammenbringen. Die Schriftreihe Mitteilungen des Vereins zur Erhaltung der Lorenzkirche, herausgegeben von Pro­dekan Gerhard Althaus und Baumeister a. D. Georg Stolz zeichnet sich als vor­bildhaft in diesen Bestrebungen aus. Die Hefte, die auch mehrfach das Sakraments­haus behandelt haben, verbinden und vereinen die realpol itischen Ziele der Erhal­tung mit Deutungen durch kritische historische Beiträge sowie durch alte und neue Auslegungen der Werke, die sich aktuell und vital an die christliche Botschaft knüp­fen. Nur dadurch bleibt das Sakramentshaus erhaltenswert.

79 Für ausführliche Berichte über die Geschichte der Restaurierungsarbeit in der Lorenzkirche und ihre mannigfaltigen Ansätze siehe: Stolz, wie Anm. 54, und E. Oellermann, "derhalben si verneuung und besserung notdürftig sein ... ", in: ders, S. 71-89.

Anhang 1

aus: Lobgedicht auf die Stadt Nürnberg, von Helius Eobanus Hessus, 1532, aus dem Lateinischem ins Deutsch übersetzt von W. Weidner nach H. Röthel, Adam Kraft. Das Sakramentshaus (Berlin 1946), S. 31 -32.

Dieses ist jenes Häuschen, in dem man aufzubewahren Pflegt die geweihte Hostie, den Leib des gekreuzigten Jesu, Hostie nicht wiederum auf heil'gen Altären zu opfern, Für uns ein einziges Mal nur geopfert, welche auch keines Hauses jemals bedurft', noch den Halt eines dürftigen Schreines Brauchte zu sicherem Schutz. Und doch hat der menschliche Willen, Immer schon mehr als billig besorgt um die göttliche Ehre - Hat ja das Üben der Werk' die Frommheit des Glaubens begraben -Ihr ein solch Monument im heiligen Tempel errichtet. Allein, da ich mich jetzt, in Schutz zu nehmen den Glauben Nicht mit der Absicht trag', sondern nur bedeutsames Kunstwerk Anzuführen, das wohl bekannt in unserer Stadt ist, Aber zu wenig gerühmt, schien mir des Gedichtes auch würdig Dieses Werk eines Häuschens, dem leicht dieser Gattung kein andres Gleichkommt. Weiß steht es da von Marmor; es dienet als Stütze Riesig ein Fuß, gegen den sich recken empor der Atlanten

42

29 Nicht zugemauerte Spitze des Sakraments­hauses, Aufnahme: 1943

30 Blick auf das eingemauerte Sakramentshaus, Aufnahme: 1944

Drei, als bräch ' auf sie ein die Last, die stürtzende, hielten Sie nicht stand. Und sodann erhebt von der Basis ein Turm sich, Der Pyramidengestalt hochragend zu bilden bestrebt ist. Schmäler nur dürfte er sein, einem Zweig, einem längeren, ähnlich, Und, mit dem Ende berührend die Höh' eines runden Gewölbes, Srahlet in Marmor er ganz, aufs beste ermessen vom Geist des Künstlers staunenswert. Und der Säulen wechselnde Ordnung Täuschet das Auge so leicht. Und um über und durch sie zieht das Geweb' sich empor, gleichsam als bieg' sich der Marmor und als tue den Fäden, den willigen, Einhalt die Biegung. Ebenso wie das Geweb' sich verwirrt in gekrümmeten, Ästen Und durch Verlag'rung erneut, so wandern herüber, hinüber Nach allen Regeln der Kunst die Säulchen , erstehen als andre,

44

31 Weggeschlagene Spitze des Sakraments­hauses nach dem Krieg, Aufnahme: 1947

32 Eingemauertes Sakramentshaus nach dem Krieg, Aufnahme: 1948

Immer auf's neu geboren. Dazwischen erstrahl'n der Figuren Tausend, wie Leben eratmend. Man glaubt es habe der Meister Selber die Steine beseelt. Sobald jedoch das Gewebe Zu seinem Ende gediehen, da hat es bereits des Gewölbes Ragende Rundung erreicht. Nun ist ihm, weiter zu wachsen, keinerlei Recht mehr vergönnt, worauf sich 's vom obersten Punkte, Da ja die Wölbung den Lauf ihn sperret, gebrochen zurückbiegt. All das müßten die Menschen bewundern, und wär's nur aus Bronze. - Gießen ja ließ sie sich leicht, modellieren und hin und her biegen-Ist drum nicht mehr zu bewundern, daß brechen sich lässet der Marmor, Eben noch hart, daß es scheint, man könne mit Händen ihn biegen? Alles, was drüber hinaus noch übrig bleibt, zu verkünden, Hat mir die Muse versagt, die den Glanz dieses Werkes bewundert.

45

33 Wiederherstellungsarbeit am Sakramentshaus nach dem Krieg. Bildhauer Fritz Strattner mit der eingerollten Spitze

Anhang 2

34 Steinmetz mit einem Baldachin

aus: Annalen der Reichsstadt Nürnberg von Johannes Müllner, 1623, G. Hirsch­mann, Hg., Teil I, Nürnberg 1972, S. 49.

Von der Ursach, welche gedachten Im Hoff und andere seines Geschlechts dies kostbar Gebäu aufrichten zu lassen bewegt haben soll , findet man in etlichen Nürnbergischen Chronicken nachfolgende Fabel. Nämblich, daß sie einen Diener gehabt, den sie mit Bezüchtigung, als sollte er ihnen ein gulden Pokal, das an einer Gastung verloren worden, gestohlen haben, ins Gefängnis gebracht, welcher des bezichtigten Diebstahls aus Forcht der Marter geständig gewest und sich darüber unschuldiglieh henken lassen, inmaßen sich seine Unschuld kurz hernach erfunden haben soll, als man das verlorene Pokal noch voll Weins unter einem Bett stehend gefunden, dahin es vielleicht einer, der es wider seinen Willen austrinken sollen, in trunkener Weis gesetzt und sich dessen nit mehr erinnert. Solchen unschuldigen Tod zu büßen, hab die Höftische Freundschaft nit allein das Sacrament­Götzenhäuslein, sondern auch denaltarunterhalb des Chors aufrichten und in den­selben etliche Gebein des gehenkten Dieners und obenauf ein gulden Pokal zu ewiger Gedächtnus setzen lassen, und eine Pfründ darzu gestiftet. Nun ist zwar nit ohn, daß auf gedachtem Altar zu öberst ein gulden Pokal stehet, darein man viel-

46

35 Bildhauer Heinz Heiber und Steinmetz Meßthaler

leicht bisweiln Rauchwerk gelegt, ist auch daran der Höftischen Wappen gemalet, daß aber obenstehender Inhalt eine Fabel seie, ist aus dem abzunehmen, daß die Totenbein, so in diesem Altar stehen, anderer Orten herkummen. So ist auch die Pründ zu solchem Altar nit von den Höftischen gestiftet, davon hernach meherer Bericht geschehen soll.

47