Bewegung in Sachsen. Ein Beitrag zur Emanzipation der deutschen Tonpfeifenforschung

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SCHWERPUNKTTHEMA'TONPFEIFEN IN SACHSEN"Auswohl der wichtigsten im Bond behondelten Orte

Zum Titelblatt: Tonpfeifenfunde in Einbeck, wo der sagenhafte Till Eulenspiegel seine Späße getrieben hat und ihm dafärein Denkmal gesetzt wurde, ist eines der Hauptthemen dieses Bandes.

Dresden Bernstadt

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BEWEGUNG IN SACHSENEIN BEITRAG ZUR EMANZIPATION DERDEUTSCHEN TONPFEIFENFORSCHUNG

RALF KLUTTIG-ALTMANN/MARTIN KÜGLER

r Einführung

Die Tonpfeifenforschung hat sich in Deutschland bekann-

termaßen erst in den späten 198oer Jahren langsam etab-

liert. Die wichtigsten Schritte waren die Vorlage einer

Terminologie (1987) und die Gründung eines Arbeitskrei-

ses (1988) sowie das Erscheinen des "Knasterroer" (seit

1989) als Publikationsorgan für die Ergebnisse der Unter-

suchungen. Das Besondere an der Tonpfeifenforschung in

Deutschland von Beginn an ist die enge Zusammenarbeit

von Archäologen und historisch orientierten Wissenschaft-

lern wie Historikern, Volkskundlern und Kunsthistoriker

sowie engagierten Sammlern.

Wie bei jedem neuen Zweig kulturhistorischer Wissen-

schaften orientierle man sich anfangs an dem, was an

Wissen und Kenntnissen im eigenen Land bereits vorhan-

den war - im Hinblick auf Tonpfeifen und Pfeifenbäcker

fiel die Bilanz Ende der rgSoer Jahre sehr nüchtern aus.

Der Blick über, die Grenzen zeigte aber rasch, dass es in

Großbritannien und - für Deutschland noch viel relevan-

ter - in den Niederlanden eine engagierte Forschungs- und

Publikationstätigkeit gab (und gibt). Die Orientierung

deutschsprachiger Pfeifenforscher an niederländischen

Arbeiten, deren Methodik und Terminologie wird aber

nicht nur durch den damaligen Forschungsvorsprung

erklärt, sondern ist sachlich auch in der Bedeutung der

dortigen Tonpfeifenproduktion für den deutschen Markt

begründet. Gouda war unbestreitbar seit der Mitte des 17.

Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der maß-

gebliche Herstellungsort für Tonpfeifen - sowohl quantita-

tiv wie vor allem auch qualitativ. Von hier ging die grund-

legende Entwicklung der Kopfformen und Modelle aus,

hier wurden Kopfdekore und Stielverzierungssysteme ent-

wickelt, hier wurden im Laufe der Jahrzehnte Millionen

von Tonpfeifen hergestellt, die bei den Käufern in den

Niederlanden wie in Deutschland sehr beliebt waren.

Beide Faktoren - die Bedeutung Goudas für den europä-

ischen Tonpfeifenmarkt und der Forschungsstand in den

Niederlanden - haben bei deutschen Forschern jedoch

rasch dazu geführt, die Provenienz von Funden fast grund-

sätzlich mit "Gouda" anzugeben und sich mit einer groben

Datierung nach Jahrhunderlen zu begnügen. Deutsche

Produktionsorte waren weitgehend unbekannt und noch

viel weniger \,!'usste man über die Produkte, die dort herge-

stellt r.r'r-rrden. Im Zweifelsfall tendierle man eher zu einer

Zuschreibung nach Gouda, so dass sich die Annahme ver-

festigte, die Pfeifenlieferungen von dort wären fast allein in

der Lage gewesen, die deutschen Raucher zu versorgen und

einheimische Produkte hätten kaum einen Markt gehabt.

Erschwert wurde - und wird - die Forschungsarbeit

nicht nur wegen der Übernahme der Modelle aus Gouda

durch deutsche Pfeifenbäcker, sondern vor allem durch die

hemmungslose Nachahmung speziell Goudaer Marken

und Herstellernamen, worauf schon 1987 am Beispiel von

Pfeifen aus dem Westerwald hingewiesen wurde.' Ande-

rerseits stellte jedes nachgewiesene Plagiat einer nieder-

ländischen Pfeife durch deutsche Produzenten einen wich-

tigen Schritt dar, die scheinbare absolute Dominanz der

Importe zu relativieren, den Blick auf das tatsächliche

Mengenverhältnis von niederländischen und deutschen

Tonpfeifen an einem Verbrauchsort zu schärfen und sich

auch über verändernde Marktanteile klar zu werden.

Gerade die Tagung des Arbeitskreises Tonpfei;fen 2oo2 im

sächsischen Grimma zeigte, welche enormen Fortschritte

insgesamt zu verzeichnen sind. Hierbei kann man gegen-

wär1ig in der Bearbeitung von Funden und Produktions-

orten regional jedoch noch gravierende Unterschiede fest-

stellen. Kurzum lässt sich sagen - wie auch im vorliegenden

Band in vielen Beiträgen nachzulesen ist - dass in Sachsen'

wie in keinem anderen deutschen Bundesland die Ton-

pfeifenforschung seit zwei Jahren in Bewegung geraten ist

und einen Stand erreicht hat, der v.a. dazu Anlass gibt, die

Bedeutung Goudas für die Pfeifenforschung in Deutsch-

land grundsätzlich zu überdenken. Dies gilt einerseits für

die Frühzeit der Tonpfeifenproduktion im 17. Jahrhunderl

und die Frage des Technologietransfers. Zu fragen ist aber

auch, wie die allerorten ständig wachsende Zahl von

Tabakrauchern ausreichend mit Tonpfeifen versorgt wer-

den konnten - waren Importe möglich oder entstand durch

die Nachfrage eine Produktion vor Ort? Andererseits ist für

das r8. und r9. Jahrhundert die Frage nach der Unter-

scheidung der einheimischen Produkte und Plagiate von

2 Kügler: Tonpfeifen, S. 78, Kat.Nr. 86, 89 u.ö.

3 Im Folgenden wird mit "Sachsen" stets das heutige Bundesland

bezeichnet, historische Gebietsveränderungen bleiben dabei unbe-

rücksichtigt.

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den niederländischen Importen sowie die nach einer

eigenständigen Formentwicklung zu stellen. Vorausge-schickt sei ein Überblick über die Tonpfeifenproduktion inSachsen nach dem neuesten Stand der Forschune.

z Produktionsorte in Sachsen und die

Marktposition

Bisher waren im Bundesland Sachsen ra Produktions-stätten bekannt.' Das von den Verfassern dieses Beitrags

angelegte Verzeichnis deutscher Tonpfeifenproduktions-

orte weist nach aktuellem Standjedoch zo Orte in Sachsen

auf, in denen Tonpfeifen hergestellt w-urden. Die Infor-

mationen über den jeweiligen Produktionszeitraum, dieAnzahl der Werkstätten und die wirtschaftliche Bedeutung

fallen dabei sehr verschieden aus, was auf den lokal sehrunterschiedlichen Forschungsstand zurückzuführen ist.

Gibt es für manche Orte wie z.B. Ostritz an der Neiße nur

einen einzigen vagen Beleg, liegen für Grimma oder

Waldenburg (Altstadt) bereits intensive Untersuchungen

vor (s.u.). Die vorhandenen Angaben erlauben aber eineerste Charakterisierung der Gesamtentwicklung, wobeizwei Gruppen zu unterscheiden sind: Orte mit einerProduktion im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert sowie

solche, wo erst ab r75o oder noch später Tonpfeifen herge-

stellt wurden.

Mit denjüngst entdeckten Belegen fär einen spätestens

ab 1656 tätigen Pfeifenbäcker in Leipzig'zählt Sachsen zu

den frühesten belegten Produktionsgebieten in Deutsch-

land. Weitere Orte, in denen die Herstellung nach der

schriftlichen Überlieferung schon im t7. Jahrhundert

begann, sind Grimma (belegt ab 168Z) und Leisnig (ab

t697)u. Die Anfänge in Waldenburg bleiben noch im

Dunkeln, doch setzt die r7z5 erfolgte Gründung einerPfeifenbäckerinnung voraus, dass das Gewerbe bereits län-gerc Zeit ansässig war.' Zeitlich ebenso unklar bleibt der

4 Weinhold: Meister, S. 235 f., nannte 1982 rB Orte, von denen

aber heute einer in Sachsen-Anhalt (Bitterfeld) und drei in Polen

liegen; Seeliger: Bereich, nannte rg8g aufgrund seiner zufälligen

Materialsammlung zehn Orte, wobei es sich bei Chemnitz um eine

Verwechslung mit Schemnitz/Bafrska Star,rrica in der Slowakei

handelt.

5 Vgl. den Abschlussbericht über die Fundaufnahme in Leipzig

von Kluttig-Altmann: Tonpfeifen, in diesem Band.6 Vgl. fä. Angaben über Grimma und Leisnig die Beiträge von

Pesenecker: Tonpfeifenproduktion, und Mattuschka: Pfeifen-

bäckerei, in diesem Band.

7 Vgl. fü. Angaben über Waldenburg (Altstadt) den Beitrag von

Standke: Tonpfeifenbäckerei, in diesem Band.

Beginn der Produktion in fünf nahe beieinanderliegenden

Orten in der Oberlausitz südöstlich von Görlitz, von denen

Christian Gerber rTzo berichtet: "In denen kleinen

Städtlein, als Ostriz lOstritz], Hirschfelde, Seidenberg,Reichenau, Bernstädtlein sind die Thone tueifiIich, dahero

uiel Tabacks-Pfeffin allhier gemache| und uerf'ühret

werden."t Auch hier wäre ein Beginn um oder sogar langevor 17oo möglich, wie nicht zuletzl archäologische Fundevon Tonpfeifen in Görlitz, ZiIta\ Bernstadt und Freiberg(s.u.) sowie in Breslau (WrocIaw/PL)" vermuten lassen. Für

eine Produktion vor 17oo in vermutlich mindestens einemder genannten Herstellungsorte sprechen vor allem tlpolo-gische und technologische Besonderheiten, auf die weiter

unten noch intensiv eingegangen wird. Über Belgern heißtes, dort seien um r77o in großem Umfang Tonpfeifen her-gestellt worden, weitere Nachrichten sind nicht vorhan-

den."' Als letzter Ort ist Königsbrück zu nennen, wo 7729

eine Innung der Pfeifenbäcker gegründet wurde, was

wiederum auf einen schon länger zurückreichenden An-

fangszeitraum schließen lässt, und das Gewerbe bis in die

erste Hälfte des 19. Jahrhunderls ausgeübt rurde." Meißen

mit seiner kurzfristigen Produktion durch Johann Müller(r7to-t713) kann als Sonderfall betrachtet werden, da hier

späterhin keine Tonpfeifen mehr hergestellt wurden."

Die zweite Gruppe von Produktionsorten bilden solche,

wo erst ab der Mitte des r8. Jahrhunderts Pfeifenbäcker

ansässig wurden oder sogar erst nach r8oo fassbar sind. Zu

nennen sind hier Dresden mit der "Fabrik" von Prevot (ab

r77il," oder Görlitz mit der erst durch die Zuwanderung

von Johann Conrad Wille t777 gegründeten Werkstatt.'*

Die bisher z.T. nur sehr vereinzelten Belege für Meuselwitz(belegt um t8oo),'u Muskau (ab 1763?),'" Borna (belegt um

18oo)," Pirna und Wermsdorf (belegt um rSro)'8 sowie

B Gerber: Wohltaten, S. 325. Zwei der fünf Orte liegen heute in

Polen: Seidenberg (Zawidöw) und Reichenau (Bogatynia).

9 Witkowska: Fajki; Lisowa: Zbiör.

10 Vgl. Morgenroth: Böttger, in diesem Band.

tt Vgl. Kubasch: Bedeutung.

" Wle Anm. 1c).

13 Schumann: Staats-Post- und Zeitungs-Lexikon, Bd. z, S. t76 f.

14 Kügler: Schönhof, S. 93; ausfährlicher zur Pfeifenbäckerei in

Görlitz und der Familie Wille demnächst von dems.: Tonpfeifen-

funde.

15 Ludovici: Akademie, Sp.3r.

16 weinhold: Meister, S. r75 f. u. 235.

17 Schumann: Staats-Post- und Zeitungs-Lexikon, Bd. 1, S. 454.tB vg1. weinhold: Meister, S. 235 f.

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Neukirch in der Oberlausitz (belegt r8zo)'' lassen erken-

nen, dass es sich jeweils um eine zeitlich wie quantitativ

eng begrenzte Produktion gehandelt haben muss. Für

Kötzschenbroda'" ist belegt, dass dort von 1828 bis nach

1863 produziertlmrrde. Als sehr fraglich ist noch die Ton-

pfeifenproduktion in Herrnhut um die Mitte des 18. Jahr-

hunderts "u.rennen."

Von den genannten zo sächsischen Orten liegen nur in

wenigen Fällen nähere Angaben über die Anzahl der

Meister und die Dauer sowie den Umfang der Produktion

vor. Pfeifenbäckerorte mit überregionaler Bedeutung

waren im 18. und beginnenden r9. Jahrhundert Grimma

und Waldenburg. Noch unklar ist die Bedeutung von Leis-

nig und Königsbrück, ebenso wie von Muskau, Görlitz oder

Dresden, denn die vereinzelt genannten Produktions-

zahlen sind quellenkritisch problematisch.'= Weiterge-

hende lokale Forschungen stehen hier noch aus.

Dennoch lässt sich fär das 17. Jahrhundert aufgrund der

Funde an Verbrauchsorten wie Leipzig erkennen, dass die

Versorgung aus dem eigenen Land einen hohen Anteil ein-

nahm und nicht weiter von der Annahme ausgegangen

werden kann, niederländische Produkte hätten den Markt

überschwemmt." Tatsächlich ist der Anteil der eindeutig

als niederländische Importe zu identifizierenden Tonpfei-

fen sehr gering. Kommt im Falle Leipzigs neuerdings ein(oder mehrere?) Pfeifenbäcker in der Stadt selbst als

Hersteller in Frage (s.o.), so ist auch zunehmend von einer

Versorgung aus anderen sächsischen oder thüringischen

Orten auszugehen. Diese Beobachtung gilt in noch größe-

rem Maße für das 18. Jahrhundert, wo der prozentuale An-

teil der mit Sicherheit aus Gouda stammenden Tonpfeifen

in den untersuchten Fundkomplexen im Verlauf des Jahr-

hunderts nur langsam anwächst. Aber auch in diesen Zei-

ten kann von einer marktbeherrschenden Stellung der Im-

pofte keine Rede sein, vielmehr sind es Pfeifen aus Grim-

ma oder Waldenburg, die bevorzugt gekauft wurden. För-

19 Schumann: Staats-Post- und Zeitungs-Lexikon, Bd. 7,5.7g.

=' Vgl. den Beitrag von Standke: Tonpfeifenbäckerei, in diesem

Band sowie Schubert: Chronik. S. r8z u. zz6.

zr Den einzigen Hinweis liefert Walker: Origins, S. 15 f., zr u. 24.

Walker weist ab 1755 einen Töpfer und Pfeifenbäcker in Penn-

sylvania nach, der aus Herrnhut stammte und dort beide Hand-

werke gelernt haben sol1.

" Vgl. hierzu grundsätzlich Seeliger: Pfeifenmacher , S. 2r-27.

23 VCl. hierzu Kluttig-Altmann: Tonpfeifen, in diesem Band, so-

wie den grundlegenden Ürberblick von dems.: Rauch, wie auch die

weiteren im Literaturverzeichnis aneeführten Titel von dems.

dernd für den Verkauf war es in jedem Fall, die spezifi-

schen Kennzeichen einer echten Goudaer Pfeife fast per-

fekt zu imitieren, und den sächsischen Pfeifenbäckern

gelang es, sich damit gegen die - wegen des weiten Trans-

portweges teureren - Importe durchzusetzen.

Daneben gibt es auch zahlreiche Beispiele für eine

individuelle und korrekte Kennzeichnung der Pfeifen aus

sächsischen Orten. Künftige genaue Untersuchungen der

Produkte aus den Herstellungssorten werden es besser

möglich machen, die Plagiate von den Importen zu unter-

scheiden und nachvollziehbare Kriterien für diese Diffe-

renzierung zu entwickeln. Die schon bekannten Aussagen

schriftlicher Quellen etwa aus Grimma über die Imitation

von Marken, Dekoren und Stielaufschriften machen es

aber nahezu unwahrscheinlich, dass etwa in der zweiten

Hälfte des r8. Jahrhunderts Importe aus Gouda den säch-

sischen Markt hätten dominieren können. Ihr Marktanteil

dürfte vielmehr stets geringer als der sächsischer/deut-

scher Tonpfeifen gewesen sein. Daher muss bei der Inter-

pretation von Tonpfeifenfunden in umgekehrter Weise

stärker als bisher davon ausgegangen werden, dass es sich

um sächsische Produkte handelt und nicht a oriori um

niederländische Importe.

Dies ftillt bei Tonpfeifen des r8. Jahrhunderts zugegebe-

nermaßen schwer. Bei der oben bereits genannten Gruppe

von Funden aus dem 17. Jahrhundert sindjedoch nicht nur

die typologischen Unterschiede augenfällig, deren Inter-

pretation das von der Forschungsmeinung bisher postu-

lierte niederländische "Versorgungsmonopol" untergräbt,

sondern sogar das "Dogma" von der einzig möglichen Me-

thode, Tonpfeifen seriell herzustellen, völlig in Frage stellt.

3 Terra incognita Sachsen. Die Bntdeckung

neuer alter Tonpfeifen-Technologien

Eine höchst erstaunliche Seite an den in letzter Zeit ent-

deckten frühen Funden in Sachsen sind Merkmale bisher

für Tonpfeifen unbekannter bzw. nicht für möglich gehal-

tener Technologien. Die folgende Darstellung beruht auf

der Untersuchung der Fundstücke aus Görlitz sowie weite-

rer unpublizierter Funde aus Bernstadt und Freiberg'"

sowie aus ZitIar,'u die aufgrund der zahlreichen Arbeits-

24 Ygl. für Görlitz Kügler: Schönhoi S. gz ff.; die Fragmenre aus

dem Heimatmuseum Bernstadt u'urden freundlicherweise von

Peter Schoene zur Verfügung gestellt; auf den Fund aus Freiberg

wies dankenswerterweise Bernd Standke/Freiberg hin.

25 Der unpublizierte Fund aus der Grabung am Salzhaus in

Zittav 2ooof2oor (Grabungsnummer Zi-o5) *rrrde den Ver-

fassern im Februar zooz bekannt und konnte aufeenommen und

spuren viel von ihrem Entstehungsprozess preisgeben.

Dabei offenbaren sich gravierende Abweichungen zum"üblichen" Ablauf bzw. völlig neue produktionstechnische

Wege. Die einzelnen neuen Technologien hängen eng

zusammen und treten teilweise an den gleichen Objekten

auf; der besseren Übersicht halber werden sie hier nach-

einander beschrieben. Vorab ist zu bemerken, dass der/dieProduktionsort/e noch nicht bekannt sind, eine Entste-hung in der Region Ostsachsen aber sicher ist. Auch eineFein- bzw. Einzeldatierung ist erst nach genauer Bearbei-

tung möglich. Als Grobdatierung kann jedoch schon jetzt

die Zeit ab ca.64o/5o bis ca. 168o genannt werden.

3.1 Manuelle Verzierungen an Tonpfeifen-

köpfen

An Funden aus Görlitz, die M. Kügler unlängst vorstellte,

fällt neben der für sich schon ungewöhnlichen, zylindri-

schen Kopfform und dem ansetzenden rund gebogenen

Stiel auch die Art der Kopfiierzierung auf, die in zwei ähn-

Iichen Varianten auftritt (Abb. r)." Der aus horizontal um-

laufenden Rillen und anderen Motivbändern bestehendeDekor wurde, wie sonst auf Stielen, nach dem Ausformen

der Pfeife manuell abgerollt, was die Art des Dekors selbst

sowie die individuellen Unterschiede zwischen den gleich

fotografiert werden; eine detaillierte Bearbeitung steht noch aus.Frau Dr. Judith Oex1e, Landesamt für Archäologie Dresden, sei fürihre freundliche Unterstützung dieser ersten Untersuchung sehrnachdrücklich gedankt.

26 Kügler Schönhof, S. 93 f., Variante 1: Kat.Nr. S-Z &ier abgebil-det Kat.Nr. 6), Variante z: Kat.Nr. B.

verzierten Pfeifen verraten. Wie sonst bei manuellen

Stielverzierungen überlappen sich die Ansätze der Motiv-

bänder oder diese verlaufen leicht schräg zur Kopfachse.

Der ausgeformte und angetrocknete Kopfwrrrde bei der

häufiger vorkommenden Variante r an seiner Ansatzstelle

mit drei oder vier parallelen Ritzlinien versehen,'- darüber

folgt ein Motivband aus alternierenden stehenden und

hängenden Dreiecken. Direkt darüber ist eine

Art Tannenzweigmotiv abgerollt, zuletzt (etwa

auf der Kopfmitte) folgen eine breite und eine

schmale Furche. Die Furchen können jeweils mit

einem relativ unspezifischen Werkzeug ausge-

führt worden sein, die Motivbänder mussten,

wie auf Stielen auch, mit einem speziellen

Rollrädchen o.ä. angebracht werden, in die dasjeweilige Motiv eingeschnitten war.

Für diese markanten Typen, die eine seltene

Kopfform mit einem ungewöhnlichen Dekor

kombinieren, liegen inzwischen zwei weitere

Parallelen aus Sachsen vor. Nahezu identische

Stücke zur Görlitzer Variante r wurden in Frei-

berg und Bernstadt (Abb. z) gefunden. Die

Exemplare der einzelnen Fundorte zeigen stets

den gleichen Verzierungskanon, weichen aber

in der Ausführung und in der Kopfform gering-

fügig voneinander ab, so dass von einem in meh-

reren Werkstätten produzierten, überregional bekannten

Pfeifentlp ausgegangen werden kann. Dass die "Familie"

27 Nle beschriebenen Verzierunqen verlaufen horizontal um denKopf.

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Abb. z: Pfeife Görlitzer Variante 1 aus Bernstadt bei Zittau.

Görlitzer Variante z (a) und Variante r (b).

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dieses Grundtlps größer gewesen sein muss, belegt ein

Fragment aus Zittau, welches auf einem sich nach unten

allmählich verjüngenden Kopf Rillen der Görlitzer

Variante r mit dem Dreieck/Rillen-Motiv der Görlitzer

Variante z kombiniert (Abb. g).'"

Für manuell eingedrückte Kopfuerzierungen an Ton-

pfeifen konnte nur eine einzige publizierte Parallele aus

Breslau ausfindig gemacht werden,'" wenn man von

Marken und von der Kopfränderung absieht, welche auch

eine manuelle Verzierung darstellt und an manchen

Köpfen nicht nur "regulär" randständig, sondern weiter

unten, schräg oder mehrmals angebracht wurde'" und

nicht selten auch als einfachste Stielverzierung diente.

Die Neufunde aus Zittau und Bernstadt weisen jedoch

ebenfalls verschiedene Varianten manueller Verzierungen

auf. Zwischen dem Material aus Zittau, Bernstadt und

Breslau bestehen zudem große Ahnlichkeiten in den ver-

wendeten Motiven, welche verstärkt an kleinen, meist dop-pelkonischen oder trichterförmigen Köpfen des mittleren

und späten r7. Jahrhundefis auftreten. Die große Vielfalt

dieser anderen manuellen Kopfuerzierungen muss zu

einem späteren Zeitpunkt vorgestellt werden.

28 wi" Anm.27.

29 Witkowska: Fajki, die auch das schon zuvor bei bei Lisowa:Zbiör, vorgestellte Material berücksichtigt.

30 Kluttig-Altmann: Erster Vorbericht, S. ZS Abb. r; ders.: Be-obachtungen, S.+Z f., Kat.Nr. 20.

J.z Nachträgliches Biegen des Stieles (nach dem

Durchstechen des Rauchkanals)

Wird an einer im Ganzen ausgeformten Tonpfeife der sog.

Weierdraht durch den Stiel bis in den Kopf hinein durch-gestoßen, um einen Rauchkanal mit Verbindung zurn Kopf

herzustellen, entsteht an der gegenüberliegenden Innen-

wandung des Kopfes meist eine Einstichstelle, da Kopf

und Stiel stets einen verschieden großen Winkel bilden(Abb. +a). Bei ungewöhnlich vielen Kopffragmenten aus

Görlitz und Zittau füllt jedoch auf, dass die Wandunggegenüber dem Durchstoßloch keine derartigen Spuren

aufureist. Das Loch stößt direkt von unten durch den Kopf-

boden, entweder parallel zur Längsachse des Kopfes oder

leicht schräg, wie Einstichspuren zeigen, die von unten in

Richtung Rand zielen (Abb. S). Gleichzeitig sind außen an

der Verbindungsstelle zwischen Kopf und Stiel aufftillig

viele Fingerspuren zu bemerken.

Aus diesen Merkmalen lässt sich erschließen, dass bei

den Zittauer Funden Kopf und Stiel vor dem Durchstechen

Abb. 3: Evtl. zusammen gehörende Kopf- und Stielfragmenteeiner Pfei fe mit g le i tendem Kopf-St ie l -Übergang sowie ver-schiedener manueller Kopf- und Stielverzierungen. Zittau,Salzhaus.

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Abb.4: Durchstechen des Rauchkanals (Weiern) bei üblicher,komplett modelgeformter Pfeife (a), in flachem Winkel (b) undin einer Achse (c).

9.3 Zusarnmensetzeneinzelnhergestellter

Köpfe und Stiele

Die Herstellungsspuren an diesen Funden lassen aber noch

einen anderen, in seiner Bedeutung für die bisherige Sicht

auf die Tonpfeifentechnologie viel weitreichenderen

Schluss zu: Bei vielen Pfeifen der genannten Fundkom-

plexe kann zweifelsfrei erkannt werden, dass Kopf und

Stiel manuell zusammengefügt urrrden, nachdem man sie

vorher einzeln herstellte. Für die Herstellung des Kopfes

selbst konnten zwei Varianten entschlüsselt werden.

3.3.r Mit der Form hergestellte Köpfe

Anfänglich fäIlt auf, dass die betreffenden Pfeifenköpfe

überdurchschnittlich stark verdrückt sind, dass diese

Druck- und Wischspuren von Fingern herrühren, dass sie

bereits angebrachte Kopfverzierungen verwischen und

dass die ungewöhnlich kieinen und spitz zulaufenden

Fersen ebenfalls sehr unregelmäßig und degeneriert gestal-

tet sind (Abb. 6). Die Längsachse der Pfeifen ist oft ge-

krümmt, der ansetzende Stiel von unregelmäßiger Stärke.

Weder Kopf noch Stiel lassen auch nur die allergeringsten

Spuren einer Formnaht erkennen. Gerade am Kopfansatz,

noch in einem sehr flachen Winkel ausgerichtet gewesen

sein müssen (Abb. +b). Erst danach urrrde der Stiel per

Hand in die gewünschte Lage gebracht. Bei den Görlitzer

Funden kommt der Rauchkanal senkrecht aus dem Koof-

boden, und die

Wandung trägt

überhaupt kei-

ne Einstich-

spuren, so dass

sich Kopf und

Stiel beim Wei-

ern in einer

Achse befunden

haben müssen(Abb. 4c). Dem

kommt entge-qen r ] e qq r ]er

Stiel stets bo-

genförmig an-

setzt und die

Pfeife keine

Ferse besitzt.

In einem Fall

lässt sich durcheine "oi inst ioe"

Bruchstelle sogar

Biegen des Stieles(Abb. r).

Abb. 6: Tonpfeifen mit angarniertem Stiel. Zittau, Salzhaus.

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erkennen, dass der Rauchkanal beim

leicht oval zusammengedrückt rtrrrde

wo er bei modelgeformten Pfeifen seinen größten Durch-

messer hat, ist der Stiel oft etwas eingeschnürl. Die Ober-

fläche der Pfeifen ist rau, überall von Fingerspuren be-

deckt und weist keine Anzeichen einer Glättung auf.

Zusammenfassend betrachtet widerspricht der ganze

Abb. 5: Einstichspuren des Weierdrahtes, von unten zurMündung verlaufend (vgl. Abb. 4b). Zittau, Salzhaus.

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Habitus der Pfeifen dem regulären Ursprung aus einer

Pfeifenform, denn dabei entsteht, trotz mancher zugestan-

dener Unregelmäßigkeiten, doch ein gewisser Standard in

der Oberflächenqualität, der Ausrichtung der Pfeife und

der Gestaltung einzelner Details.

Die wichtigste Beobachtung aber sind Abbruchstellen,

die bei anderen Pfeifen so noch nicht beobachtet werden

konnten, im Zittauer Material jedoch fast die Regel dar-stellen (Abb. Z). Die Pfeifen aus einer zweischaligen Form

behalten beim Zerbrechen meist einen kleinen Stielansatz,

weil der Stiel aufgrund der Materialhomogenität in der

Regel an einer dünneren Stelle brechen wird als direkt amKopf, und die entstehende Bruchstelie ist geklüftet. Stiele

des Zittauer Komplexes brachen überwiegend direkt am

Kopf ab. Dadurch entstand eine ovale, innen glatte Ab-

bruchstelle, außen von einem ringförmigen Grat umge-

ben - mit anderen Worten: innen die frei gelegte Kopf-

wandung, außen ein Rest des angarnierten Stieles. Solche

Bruchstellen sind qpisch für zusammengefügte Einzelteile,

wie sich häufig an Keramik erkennen lässt, wenn einschlecht angefügter Henkel oder Fuß abgefallen ist. Bei

einer (nachlässigen) Angarnierung geht das Material keine

sehr feste Bindung ein und bildet bei Druckbelastungen diegrößte Schwachstelle.

Die Beobachtungen an den Fundstücken lassen denSchluss zu, dass nur die Köpfe dieser Pfeifen in einer Formgefertigt wurden. Die Stiele wurden handgerollt, durch-

bohrt (s.o.) und dann an den Kopf angefügt, wobei man

den Kopf-Stiel-Übergang manuell verstrich. Die Fersen

wurden bei diesem Vorgang wahrscheiniich per Hand aus

dem Stiel herausgedrückt oder extra angesetzt, worauf ihre

unregelmäßige Form, mehr aber noch ihr Sitz weit auf dem

Stiel, in einem größeren Abstand vom Kopf als üblich, hin-

deutet (Abb.6).

Die Beschädigung vorhandener Kopfverzierung durch das

Anbringen des Stieles offenbart, dass die Köpfe bei den

Zittauer/Bernstädter Funden vor dem Montagevorgang

verziert w.urden (s.u.), obwohl dies im Sinne der End-qualität kontraproduktiv ist.

Diese Beobachtungen wurden erstmals an zahlreichen

Fragmenten des Zittauer Salzhaus-Komplexes gemacht.

Neue Funde mit ähnlichen Kopfformen und Dekoren aus

Bernstadt weisen die gieichen Merkmale auf. Bei einer

Rückschau auf bereits publiziertes Material können zwei

Leipziger Funde angeführt werden, die einige der beschrie-

benen Merkmale besitzen und möglicherweise ebenso her-gestellt nurden." Da beide mit Stielansatz erhalten sind

und so die aufFällige Bruchstelle am Kopf nicht gegeben ist,

schien es sich bisher nur um nachlässig gearbeitete, frühe

Funde zu handeln - auf der Grundlage der neuen Erkennt-

nisse aus Ostsachsen eröffnen sich jetzt viel weit reichen-

dere Interpretationsmöglichkeiten.

3.3.2 Auf der Drehscheibe produzierte Köpfe

Die eingangs genannten Görlitzer Pfeifen mit den zylindri-

schen Köpfen (Abb. r) halten noch eine andere überra-

schung parat. Da alle Köpfe beschädigt sind und genaue

Einblicke in das Innere erlauben, konnten trotz derVerfärbung durch Tabakkondensat bei zwei Fragmenten"

an der Innenwandung eindeutige Drehspuren festgestellt

werden! Das Kopfinnere weist im unteren Teil typische

Drehwülste auf, wie sie z.B. oft an Steinzeuggefäßen zu

31 Kluttig-Altmann: Zweiter Vorbericht, S. rB, Abb. 9; ders.:Beobachtungen, S. +Z f., Kat.Nr. zo. Letztgenanntes Vergleichs-stück besitzt im Zittauer Fundkomplex sogar eine frappierendähnliche Entsprechung.

32 Kügler: Schönhof, S. g: f., Kat.Nr. 6 f.

Tlpische Bruchstellen nach dem Abbruch eines angarnierten Stiels. Zittau, Salzhaus.

erkennen sind. Die ganze innere Kopfwandung ist darüber

hinaus mit feinen Drehrillen bedeckt. Diese Spuren sind

aufgrund der Kleinheit der Objekte und der Feinheit des

Tones nur schwach ausgeprägt, aber doch eindeutig zu

erkennen und sicher zu interpretieren. Sie verlaufen streng

horizontal und sind durch keinen anderen Arbeitsgang zu

erzeugen als einen formenden Finger bzw. ein Werkzeug

an dem schnell rotierenden Kopf. Der übliche Gestal-

tungsprozess des Kopfinneren, v.a. die Aushöhlung mit

dem Stopfer und ein manuelles Nacharbeiten des Rauch-

kanalloches, erzeugt andere Spuren, welche zwangsläufig

vertikal oder schräg verlaufen.

An den beiden anderen Fragmenten aus Görlitz waren

diese Spuren nicht so sicher, aber ansatzweise zu beobach-

ten." Bei einer Überprüfung der anderen Funde dieses

Kopfllps aus Bernstadt gelang der Nachweis von Dreh-

spuren ebenfalls an zwei von drei in Frage kommenden

Fundstücken. Zusätzlich lassen sich dort vertikale Nach-

bearbeitungsspuren erkennen, als ob man zuletzt mit

einem dicken Draht von oben nach unten an der inneren

Kopfwandung herunter gefahren sei. Durch diese Nach-

bearbeitung u.urde an den Bernstädter Funden auch das

Austrittsloch des Rauchkanals geglättet, während bei den

Görlitzer Funden der beim Durchstoßen entstehende cha-

rakteristische Grat unverändert erhalten ist. Der Freiber-

ger Fund entspricht ebenfalls dieser Beschreibung.

Es kann mit weitgehender Sicherheit geschlussfolgert

werden, dass der Kopft1p mit der beschriebenen Roll-

stempelverzierung (Abb. r f.), der bis jetzt an drei Fund-

orten in Sachsen nachgewiesen ist, auf der Drehscheibe

entstand. Abgesehen von den beschriebenen Spuren

kommt auch die zylindrische Kopfform dieser Herstel-

lungsmethode entgegen. Zu,l,etzt soll erwähnt werden, dass

bei zwei Fragmenten, bei denen dies aufgrund des Erhal-

tungszustandes noch festgestellt werden kann, der Innen-

durchmesser des Kopfes an der Mündung enger ist als

unten. Dieses Verhältnis wäre bei der Aushöhlung mit

einem Stopfer nicht möglich.

Im Gegensatz zu den weiter oben beschriebenen

Zittauer/Bernstädter Funden wurde bei den Köpfen des

Görlitzer Tlps der Kopfdekor nach dem Anbringen des

Stieles abgerollt, wie die Überlagerung der Druck- und

Wischspuren der Stielausrichtung durch die Verzierungen

zeigt.

Im Zusammenhang mit dieser neu entdeckten Tech-

nologie, Pfeifenköpfe auf der Drehscheibe herzustellen und

danach den Stiel anzufügen, wird eine Quelle interessant,

welche Martin Kügler bereits 1995 erwähnte. In der"Trunckenen Trunckenheif", einer zeittypischen Anti-

Tabak-Schrift, schreibt Sigmund von Birken 1658: 'Zasset

uns doch auch betrachten, die Tabakninkgeschirre; die

RauchJlöten, die Werkzeuge dieses tollen Gesäuffi! die

gemeAnsten werden aus Toon, die besten aus Englischer

I?eide, zubereitet. AIIe Töpfer-Scheiben, sind do:rnit

bernüssigt, und alle Kramlöden damit angefiillet."'o

Leider bleibt offen, wo Birken dies gesehen hat. Musste M.

Kügler diese Beschreibung damals noch als falsch kolpor-

tierte Beobachtung auffassen, weil sie wirklich der gesam-

ten bekannten Tonpfeifentechnologie widersprach und

derartige Aussagen oft nicht wörtlich zu nehmen sind,

bekommt sie im Lichte der neuen Funde eine große

Bedeutung. Wenn es sich um eine realistische Beobachtung

handelt, ist das Drehen von Pfeifenköpfen in zwei weit von-

einander entfernt liegenden deutschen Regionen nachge-

wiesen - von einem vermutlich süddeutschen Ort (Nürn-

berg?) schriftlich und in Ostsachsen durch Funde. Es wird

ein sehr spannendes Kapitel künftiger Forschung sein, die-

sen ersten Hinweisen nachzugehen und gezielt nach weite-

ren Belegen für diese unvermutet aufgetauchte alternative

Technologie zu suchen.

J.4 Schlussfolgerungen zurTechnologie

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es zur

gängigen Technologie der zweischaligen Pfeifenform bis-

her unbekannte Alternativen gab, welche v.a. um die

Mitte/in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Ost-

sachsen und angrenzenden Regionen verbreitet waren.

Diese ersten Beobachtungen sind ein Anfang und mit

Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs weiterer ähnlicher

Beobachtungen - regional wie überregional. Abschließend

seien einige Gedanken über die Motivation, diese z.T. selt-

sam anmutenden (Behelfs-)Technologien zu verwenden,

erlaubt.

Pfeifenköpfe zu drehen kann mit dem Nicht-Kennen

oder Nicht-Erwerben-Können von Pfeifenformen zusam-

menhängen, ferner mit der starken Verwurzelung des

Pfeifenmacherhandwerks im Töpfergewerbe. Töpfer konn-

ten so einen Teil ihrer Erfahrung und ihres Könnens in die

Pfeifenherstellung einbringen und sich einen neuen

Absatzmarkt erschließen. Das Endprodukt ist attraktiv und

steht der Qualität "normal" produzierter Pfeifen nicht

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34 Birken: Trunkenheit, S. zr (bzw. S. zo des Nachdrucks),

Biografie ebd., S. z3r ff.; vgl. Kügler: Pfeifenbäckerei, S.+g.33 Ebd., Kat.Nr. 5 u. ro.

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Umfange vorauszusetzen als es bisher postuliert wurde.Vielmehr muss stärker als bisher von lokaler/regionaler

Produktion ausgegangen werden. Diese Produkte heben

sich im r7. Jahrhundert teilweise deutlich tlpologisch vonden importierten Pfeifen ab, während sie im 18. und 19.

Jahrhundert die goudischen Vorbilder bis zur Perfektionimitieren. Somit sind einerseits noch ortsspezifische Tlpen

und Entwicklungen herauszuarbeiten, und andererseitsCharakteristika zu benennen, die Plagiate von echtenniederländischen Pfeifen unterscheiden lassen. Hierbei

arbeiten Archäologie und historische Wissenschaften engzusammen, indem Funde und schriftliche Quellen von denProduktionsorten gemeinsam interpretierl werden.

Die hier an sächsischen Verhältnissen aufgezeigteEmanzipation der deutschen Tonpfeifenforschung betrifftsomit archäologische, historische, technologische, typolo-gische und methodische Bereiche. Statt der reinen Fund-

vorlage und pauschalen Zuweisung der Fragmente ist esheute möglich, die Fundstücke differenziert und im regio-nalen wie auch im übergeordneten Kontext zu betrachten.Die nunmehr ftir Sachsen grundsätzlich zu revidierende

Forschungsmeinung von der Dominanz der niederländi-

schen Tonpfeifenbäckerei und vom "Versorgungsmonopol"

ist auch für andere Bundesländer in Frage zu stellen. Im

Hinblick auf die eigenständigen Entwicklungen bei Tech-

nologie und Modellen im r7. Jahrhundert in Sachsen seivergleichend nur auf die bisherige Vorlage von Funden aus

Bayern oder Baden-Württemberg verwiesen." Ahnliche

Ergebnisse sind auch für Niedersachsen und Nordhessen

zu postulieren, doch fehlen hier noch Funde aus frühen

Produktionsorten des r7. Jahrhunderts wie Braunschweig

oder Großalmerode.'u Die Relativierung der angenomme-

nen Dominanz goudischer Pfeifen auf deutschen Märktenim r7. wie auch im 18. Jahrhundert zeigt sich mittlerweile

allenthalben, wie z.B. Andreas Heege eindrucksvoll fürEi nbeck nachweisen kann.'-

Natürlich kann und soll diese Emanzipation der sächsi-

schen wie generell der regionalen deutschen Tonpfeifen-

forschung, die in den nächsten Jahren sicher weitere

Schritte machen wird, keine "Abnabelung" von der nieder-ländischen wie der internationalen Pfeifenlandschaft

bedeuten. Gerade wenn man eine stärkere Rolle der regio-

nalen deutschen Produktion anerkennt, muss man sich der

35 Vg]. Szill: Tonpfeifenfunde; und den Beitrag vondecke: Pfeifen, in diesem Band.

36 vs]. Seeliger: Pfeifenmacher, S. z9 ff.

37 YCl. Heege: Tonpfeifen, in diesem Band.

engen historischen Abhängigkeit von Gouda, was Modelle

und Verzierungen zumindest im r7. und 18. Jahrhundertangeht, belmsst bleiben. Mit nur wenigen Jahren Yerzö-gerung haben die sächsischen Produzenten, die ihre Kun-

den mit Goudaer Qualität zufrieden stellen wollten, stilis-

tische Anderungen von dort aufgegriffen. Die Dominanz

Goudas ist in qualitativer Hinsicht.unangefochten und

bleibt unbestritten, wenn auch weniger absolut zu sehenals bisher. In quantitativer Hinsicht ist siejedoch grundle-

gend zu revidieren. Der zunehmende internationale Aus-

tausch von Forschungsergebnissen zeigt, dass deutsche

und niederländische Produkte nicht nur in Deutschland,

sondern auch auf anderen europäischen Märkten undsogar in Übersee miteinander konkurrierlen.

Abbildungsnachweis:Alle Zeichnungen und Fotos: Ralf Kluttig-Altmann;Maßstab ca. 1:1.

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