Kasuistischer Beitrag zur operativen Behandlung ... - Zenodo

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Kasuistischer Beitrag zur operativen Behandlung der Trigeminusneuralgie nach Krause'). Von Dr. Eugen Bircher in Aarau. (Mit 4 Abbildungen.) Die intrakranielle Exstirpation des Ganglion Gasseri ist noch nicht eine so alltSgliche Operation geworden, als dab es sich nicht verlohnen diirfte, auch hier noch kurze kasuistische Beitr~ige niederzulegen, bei uns in der Schweiz scheint die Operation nicht besonders groBen Anklang gefunden zu haben, -- was bei der Schwere des Angriffs wohl zu begreifen ist --. undes sind, so viei wir erfahren konnten, erst ca. ein Dutzend FStle operiert worden, so dab auch unsere geiibtesten Operateure nicht in der Lage sind, fiber 5hnliche Reihen von Operationen zu verfiigen, wie z.B. Krause mit 64, Dollinger mit 22 F~illen. Immerhin wird der neurologisch t/itige Arzt hie und da in die Lage kommen, sein Urteil fiber den Eingriff abgeben zu m/issen, und es erscheint uns daher nicht iiberfliissig, drei F~ille zu be- sprechen, die wir kurz hintereinander zu operieren Gelegenheit hatten, und die alle gfinstigen und ungiinstigen Folgen des Ein- griffes deutlich illustrieren, und auf diese Weise eine objektive Beurteilung des Krauseschen Eingriffes gestatten. Jedem Arzte, der FSlle von beginnender oder ausgesprochener Trigeminusneuralgie zu behandeln Gelegenheit gehabt hat, weig, wie hartn~ickig die Affektion der medikament~iren Behandlung trotzt, und die grol3e Menge der zur Heilung angegebenen Mittel beweist zur Gentige, wie unsicher sie in ihrem Enderfolge sind. Auch die neuerdings so warm empfohlenen Alkoholinjektionen nach S ch 1 6s s er, oder indifferenter Fliissigkeiten nach i) Nach einer klinischen Demonstration der Schweiz. neurolog. Gesell- schaft zu Basel, i2. Nov. 191o.

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Kasuistischer Beitrag zur operativen Behandlung der Trigeminusneuralgie nach Krause').

Von Dr. E u g e n B i rche r in Aarau.

(Mit 4 Abbildungen.)

Die intrakranielle Exstirpation des Ganglion Gasseri ist noch nicht eine so alltSgliche Operation geworden, als dab es sich nicht verlohnen diirfte, auch hier noch kurze kasuistische Beitr~ige niederzulegen, bei uns in der Schweiz scheint die Operation nicht besonders groBen Anklang gefunden zu haben, - - was bei der Schwere des Angriffs wohl zu begreifen ist -- . u n d e s sind, so viei wir erfahren konnten, erst ca. ein Dutzend FStle operiert worden, so dab auch unsere geiibtesten Operateure nicht in der Lage sind, fiber 5hnliche Reihen von Operationen zu verfiigen, wie z.B. K r a u s e mit 64, D o l l i n g e r mit 22 F~illen.

Immerhin wird der neurologisch t/itige Arzt hie und da in die Lage kommen, sein Urteil fiber den Eingriff abgeben zu m/issen, und es erscheint uns daher nicht iiberfliissig, drei F~ille zu be- sprechen, die wir kurz hintereinander zu operieren Gelegenheit hatten, und die alle gfinstigen und ungiinstigen Folgen des Ein- griffes deutlich illustrieren, und auf diese Weise eine objektive Beurteilung des Krauseschen Eingriffes gestatten.

Jedem Arzte, der FSlle von beginnender oder ausgesprochener Trigeminusneuralgie zu behandeln Gelegenheit gehabt hat, weig, wie hartn~ickig die Affektion der medikament~iren Behandlung trotzt, und die grol3e Menge der zur Heilung angegebenen Mittel beweist zur Gentige, wie unsicher sie in ihrem Enderfolge sind. Auch die neuerdings so warm empfohlenen Alkoholinjektionen nach S c h 1 6s s e r , oder indifferenter Fliissigkeiten nach

i) Nach einer klinischen Demonstrat ion der Schweiz. neurolog. Gesell- schaft zu Basel, i2. Nov. 191o.

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L a n g e, scheint auch nicht das zu leisten, was nach dem ersten Bekanntwerden der gtinstigen Erfolge davon erwartet wurde.

So f~illt denn eine ganze grol3e Zahl der an Trigeminusneuralgie Erkrankten der Chirurgie zur Behandlung anheim. Aber auch die Chirurgie war lange Zeit nicht in der Lage, hier glSnzende Erfolge aufzuweisen. Es wiirde zu weir fiihren, alle die chirurgischen Mal3nahmen zu besprechen, die im Laufe der Zeit zur BekSmpfung der Trigeminusneuralgie angewandt wurden. Es sei nur erwShnt, dal3 die yon A l b i n empfohlene, von S c h l i c h t i n g 1748 zum erstenmale ausgefiihrte Neurotomie des Trigeminus, ebenso diejenige des Facialis (K 1 e i n), die Nervendehnung von K 1 e i n und N u [3 b a u m v611ig absolet geworden sind. Auch die eine Zeitlang in Aufschwung gekommene Carotisligatur wird kaum

mehr ausgeftihrt. In Anwendung befinden sich heutzutage nur noch drei Ver-

fahren: I. Die Nervenextraktion nach T h i e r s c h , bei der die peripheren Trigeminus~iste (supra- und infraorbitalis und mandibularis) freigelegt und ausgerissen werden. W~ihrend T h i e r s c h selber mit dieser Methode recht ordentliche Re- sultate erzielte, indem 3o Proz. Dauerheilungen und 3o Proz. wesentliche Besserungen nachgewiesen werden konnten, so er- zielten andere Autoren wenige giinstige Resultate. B u s c h konnte aus der v. B e r g m a n n schen Klinik nur tiber 29,2 Proz. Heilungen berichten, K r a u s e sah 7 ~ Proz. Rezidive. l~ber ganz schlechte Resultate berichtet H u 1 1 e s aus der v. Eisels- bergschen Klinik, der bei 2I FSllen gar keine Dauerresultate kon- statieren konnte, und durchschnittlich nacb 6--12 Monaten Rezidive auftreten sah. Etwas bessere Resultate erhielt A n g e - r e r s. Im allgemeinen scheint jedoch das Urteil T r e n d e 1 e n - b u r g s zuzutreffen, wonach mit der Thierschen O p e r a t i o n in ca. ein Drittel der F~ille Heilung oder Besserung zu erzielen ist. (Diese Zahl dtirfte das Maximum darstellen.)

Die Rezidive mtissen vor allem auf die gro[3e Regenerations- fiihigkeit der Nerven zurtickgefiihrt werden, so dab man hSufig bei einem zweiten und dritten Eingriff nach ktirzester Frist einen v611ig nachgewachsenen Nervenast antreffen kann. Andrerseits d t i r f t ed i evon T h i e r s c h undneue rd ingsvon H u l l e s aus- gesprochene Ansicht in zahlreichen F~illen G01tigkeit haben, da[3

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der Sitz der Affektion weniger in den peripheren Asten zu suchen ist, als mehr zentralw~rts im Ganglion Gasseri oder in einer ab- normen Erregbarkeit sensorischer Zentren im Gehirne selbst, welche mit der Eigentiimlichkeit verbunden ist, empfangene Reize anzusammeln und die angesammelte Energie in einer pl6tzlichen Entladung wieder abzugeben, ~ihnlich wie man sich bei tier Epi- lepsie die Vorg~nge an motorischen Zentren denken kann.

Auch rein anatomische zentrale Ver~nderungen k6nnen als Ursache der Neuralgie angesprochen werden. So fand L e x e r einen Tumor der hintern Seh~.delgrube, tier den Trigeminusstamm umwachsen hatte, nach K r a u s e land S c h u h ein Chole- steatom, das den Trigeminus umfal3te. H a g e 1 s t a m sah ein Endotheliom der mittleren Sch~delgrube, G fi s b e r g einen krebsartigen Tumor, und M a r c h a n d ein pigmentiertes Alveolar- sarkom, die ganz gut als Ursache der Neuralgie angesprochen werden k6nnen. Ahnliche Beobachtungen stammen von H a u s c h , S m i t h , D e r c u m u n d K e e n , P e t r i n a r und K l e b s . Es k6nnen jetzt schon nach der Zusammenstellung von T r e n - d e 1 e nb u r g eine ganze Anzahl pathologisch-anatomische Befunde, im Ganglion selbst oder dessen Umgebung nachgewiesen werden, die als Ursache der Neuralgie angesprochen werden mtissen.

DaB die Neuraixerese in diesen F~llen iiberflfissig und nutzlos ist, ist ohne weiteres klar, abet auch die eingreifendere Resektion der Trigeminus~ste II und III an der Sch~delbasis, wie sie von L t i k e , C a m o c h a n , v. B r u n s , P a n c o a s t , vor allem von K r 6 n l e i n ausgeffihrt worden ist, kann die ge- wtinschte Hilfe nicht bringen.

Bei diesem sehr diffizilen und an die Technik hohe Anforde- rungen stellenden Verfahren sieht man relativ h~ufig schwere Rezidive auftreten. Leider l~Bt uns gerade hier die Literatur im Stich, wir entnehmen einer kteineren, jedoch einwandsfreien Statistik yon H u l l e s fiber 13 in der E i s e l s b e r g s c h e n Klinik operierte F~lle, dab nur 3 F~lle geheilt blieben, w~hrend 5 schwere Rezidive und 5 real kurz nach der Operation schon wieder Schmerzen auftraten. Die Rezidive folgten zwischen 6 und 24 Monaten. Unter den von T f i r c k 2Ol F~.llen von Ganglion- exstirpation war vorher schon I7mal an der Sch~delbasis operiert worden.

Kasuistischer ]3eitrag zur operat. Behandlung der Trigcminusneuralgie usw. 77

An der Sch~idelbasis ist es manchmal gar nicht immer m6glich, sicher den 2. und 3. Ast zu resezieren. Die Blutung wird manch- real eine so erhebliche, dab man die Operation ffiihzeitig beenden mnB. R a s t l m o w s k y weist neuerdings darauf hin, dab die extrakranielle Resektion keineswegs leicht und ungef~ihrlicher sei, indem der erfahrene K r a 1l s e 8, 7 Proz. Mortalit~t hatte. Nach R a s u m o w s k y gelingt es extrakraniell nicht immer, bei der Tiefe der Operationswunde und der h~iufig sehr starken ven6sen Blutung siimtliche sensible St~imme yon Ast 2 und 3 zu fassen; er selbst erlebte einen solchen Fall, bei dem die Operation unterbrochen werden muBte. Das therapeutische Resultat ist dann kein besonders giinstiges.

Als einzig in seinem Erfolge sicheres Heilmittel in der ope- rativen Behandlung der Trigeminusneuralgie bleibt die Entfernung des Ganglion Gasseri, wie sie 1884 yon E w i n g M e a r s vor- geschlagen, yon W i l l i a I n R o s e 189o zum ersten Male aus- gefiihrt, yon H a r t l e y - K r a u s e zu einem methodischen Eingriff erhoben worden ist, das heute das am meisten angewandte Verfahren ist, und die sichersten Resultate gibt: Bis zum Jahre 19o2 konnte T ii r c k 2Ol F~ille yon Ganglionexstirpationen zu- sammenstellen, und so ann~ihernde ein Bild von den Operations- erfolgen geben, wenn auch konstatiert werden muB, dab meist nur gfinstig verlaufende F~ille bekanntgegeben worden sind, und diejenigen F~ille, welche neben dem giinstigen Erfolge ander- weitige schwere Sch~digungen erlitten, nicht immer bekannt werden.

T i i r c k berechnet eine Mortalit~it von 17 Proz., w~hrend 93,6 Proz. der I~berlebenden dauernd geheilt blieben. Echte Rezidive konnte T i i r c k nur in 4 F~illen nachweisen, w~hrend P r a t 5,6 Proz., C u s h i n g 5 Proz. fand. Eine kurze f)bersicht aus der neuern Literatur seit T i i r c k ergab, dab die K r a u s e s c h e Ope- ration seither noch 39mal zur Ausfiihrung gekommen ist (P o p - p e r t , v a n H o o k , y o n E i s e l s b e r g , H e l f e r i c h , S c h l o f f e r , A b b 6 , S c h w a r z , K 6 r t e u . a . ) . Dahei ergab sich eine Mortalit~it von 15 Proz., w~ihrend die iibrigen 33 F/ille alle geheilt worden sind. K r a u s e selbst, der die gr6gte Erfahrung in diesen Fragen besitzt, hatte auf 51 Operationen 7 Todesf/ille, nicht ganz 14 Proz. Rezidive konnte er selbst keine

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beobachten, und verffigt er doch fiber Ftille, bei denen fiber IO Jahre seit der Opera t ion verflossen.

Die beschriebenen F~ille sollen unser Vorgehen bei der Ope-

ra t ion erl~iutern, an die wir einige Er6r te rungen kntipfen m6chten.

I. 76j~ihr. Patientin, geb. 1833, erster Eintri t t 3. XII. 1894, stammt aus sonst gesunder Familie, war selber nie krank. Die jetzige Erkrankung begann vor 7 Jahren (1887) mit anfallsweise auftretenden brennenden und stechenden Schmerzen, die in der rechten Infraorbitalgegend begannen. Die geringste Bewegung, besonders das Essen, 16ste heftige Sehmerzanf~ille aus. Die Sehmerzen verbreiteten sich in die Stirn und die linke Gesichtsh~ilfte. Besonders w~ihrend der Nacht waren die Schmerzen ~iuBerst intensiv, w~ihrend in der w~irmeren Jahreszeit die Sehmerzanf~ille zuriickgingen.

Ausreigen aller Ziihne und medikament6se Behandlung blieben ohne Erfolge.

S t a t u s: Magere Frau, mit schmerzhaft ~Terzogenem Gesicht. Doppelseitige Konjunctivitis. Druck auf den Infraorbitalis 16st einen heftigen Schmerzanfall aus: supraorbital weniger.

D i a g n o s e: Neuralgia nerv. hegemi dextra. T h e r a p i e: Neuraixerese des Nerv. infra- und supraorbitalis.

Die Schmerzen h6ren rechterseits prompt auf, deutliehe An~isthesie, setzen dagegen nach einigen Tagen um so heftiger links ein, so dab am 12. XII. linkerseits die Nervendehnung des Infra- und supraorbi- talis ausgefiihrt wird, worauf die Anf~ille bis zum 15. XII. 1896 sistieren, wo sie von neuem ~iuBerst heftig in der rechten Gesichtsh~ilfte auftreten, besonders intensiv im N. infraorbitalis, der aus dem Foramen infra- orbitale ausgemeiBelt und der Nerv in vollsttindigem Zusammenhang auf 5 cm L~inge ausgerissen werden kann, so dab Patientin an: 14. III. geheilt entlassen wurde.

Im Januar 1897 t:eten im Infraorbitalis links von neuem ~iul3erst heftige Schmerzen auf, worauf am 16. 1. 1897 der Nerv, der friiher nur gedehnt worden war, auf eine gr6Bere Strecke in toto ausgerissen wird.

Patientin konnte nach 8 Tagen schmerzfrei entlassen werden. Seit dem Nov. 19oo treten wiederum neue Sehmerzattacken im

linken Supraorbitalis, Supramaxillaris und mandibularis auf, so daft NoB durch Morphium ein ertr~iglicher Zustand geschaffen werden kann.

Am II . XII. werden die Nerv. mandibularis und Supraorbitalis excidiert, worauf die Schmerzanf~ille nachlassen und An~isthesie in den betreffenden Gebieten einsetzt.

Nach :/4 Jahr treten die Schmerzen im ersten und zweiten Ast neuerdings auf, so dal3 das Dach der Orbita aufgemeiBelt und der Nerv tief innen ausgedreht wird.

Nun war bis zum Mai 19o 4 ein ertr~iglicher Zustand geschaffen, als die Schmerzen am N. supra- und infraorbitalis von neuem ein-

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setzten. Es ist eine Hyper~isthesie in den Partien dieses Nerven vor- handen und die Operation zeigt auch, dab beide Nerven nachgewachsen sind und von neuem entfernt werden mtissen. Patientin kann wiederum v611ig schmerzfrei entlassen werden. Jetzt ist ein deutliches Ektropium und ein starktdinendes Auge vorhanden.

Im Jahre 19o 7 war Patientin einer Humerusfraktur wegen in der Anstalt. Sie hatte niemals Anf~ille, die ganze linke Gesichtsh~ilfte war anS~sthetisch und zeigte eine beginnende Atrophie. Bis zum Winter 19o9--191o ging es der Patientin recht ordentlich, bis im Dezember 19o 9 die Schmerzen mit bis dahin nie dagewesener Heftigkeit ein- setzten, auf kein Mittel, selbst auf groBe Dosen Morphium nicht sistierten, so dab Patientin lebensiiberdriissig geworden ist und auch schon einen Suizidversuch gemacht hat, und nun verlangt, in ihrem 77. Altersjahre endgtiltig yon ihren Schmerzen befreit zu werden und lieber sterben wolle, als auf diese Weise ihr Dasein fristen.

Die Schmerzen sind nun konstant in der ganzen linken Gesichts* und Kopfh~ilfte vorhanden und sistieren auf kaum 5 Min.

S t a t u s: Alte kr~iftige Frau. Herz und Lungen ohne Befund. Die Gegend des Supra- und Infraorbitalis zeigt eine deutliche Knochen- atrophie und ist auf Druck kolossal schmerzempfindlich, ebenso der Ramus mandibularis. Die Sensibilit~it ist in diesem ganzen Gebiete vorhanden. Der Masseterenreflex fehlt. Der Gaumen ist ger6tet, etwas hyper~isthetisch, der Alveolarrand kolossal druckempfindlich.

Das linke Auge tr~int stark, die Conjunctiva ist ger6tet. Deutliche Keratitis. Patientin will schon lange auf diesem Auge schlecht gesehen haben. Hochgradiges Ektropium ist vorhanden. Der Sch~idel ist auf Klopfen und Druck ziemlich stark empfindlich und es k6nnen dadurch die Schmerzanf~ille ausgel6st werden.

Am 3o. III. 191o Operation nach K r a u s e in halb sitzender Lage (Operateur: Sek.-Arzt Dr. E 11 g e n B i r c h e r). i. Prophylaktische Unterbindung der Carotis externa am Vorderrande des Sternocleido mastoideus. 2. Bildung eines Krauseschen Hautperiostlappens, der Jochbogen wird tempor~ir reseziert; mit der Fr~ise und die Tem- poralgegend er6ffnet und tier Knochen bis an die Umschlagsstelle in die Basis in Ftinffrankstiickgr6ge entfernt. Die Dura l~iBt sich leicht vom Knochen abschieben und das atrophische Gehirn mit einem gyn~i- kologischen Spatel in die H6he heben. Die Meningea media werden durchtrennt und rasch und leicht gelangt man an Ramus III, dann II, zuletzt an das (~anglion, dab sich leicht frei pdiparieren l~il3t und mit Kornzange saint Ramus I ausgerissen wird. Die m~il3ige, haupts~ichlich ven6se Blutung wird durch Adrenalintampons zur Stillung gebracht. Die Hautwunde wird exakt vern~iht und eine feine M~che eingef~hrt.

Am I. IV. wird die M&he, am 8. VI. die N~ihte entfernt. Die Schmerzanf~ille sind vollkommen verschwunden. Im Bereich des Trige- minus ist vollstgndige An~isthesie vorhanden, und auch die Geschmacks-

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und Geruchsempfindung ist aufgehoben. Vor allem zeigt abet das linke Auge schwere Ver~inderungen, so dab Patientin in die Augen- klinik transportiert werden mull.

Dort wird konstatiert: Grotles Korneainfiltrat, Hypopyon der vorderen Kammer, Iritis hohen Grades, Kornea und iibriger Bulbus ohne Sensibilitiit. Parese des Orbicularis. Keratitis lagophtalmo et neuroparalytica. Es tritt ein Prolaps der Iris nach Perforation des Ulcus ein und Patientin wird nach 6 Wochen gegen ~,irztlichen Rat mit Phthisis bulbi incipiens entlassen.

Nach 2 Monaten neuerdings Eintritt. Staphyloma, totale Corneae, stark vorgetrieben. Bul- bus auf Beriihrung v611ig unemp- findlich. T.---~ + I. Glaucoma secun- darium. Rechts Cataracta senilis incipiens. Am 18. Juli 191o ohne jede Empfindung verlaufend Enucleatio bulbi, Catgutnaht. Reizloser Verlauf. Am 29. August entlassen (Fig. I).

R. J., 3ojShrige Jungfrau yon Staretschwil. Erster Eintritt 14. IV. 19o8. Mutter starb an unbekannter Krankheit. Vater ]ebt, 78 Jahre alt, und ist gesund. Eine Schwester starb vor 25 Jahren an Tuberkulose, eine Schwester ist unterleibsleidend. Als Kind ist Patientin schwer krank gewesen

Fig. I. '(Ohrenschmerzen und AusfluB) und hat schon in der Schule an

Schwindelanffillen gelitten, die im 13.--17. Lebensjahre fast w6chent- lich auftraten,

Zur Zeit der Periode, die mit 2o Jahren einsetzte, sind die Schwin- delanfiille selten. Die Periode war stets unregelm~iBig mit 6--8 Wochen Intervall, schwach 2 Tage dauernd. Bevor die Periode einsetzte, sollen sich die Schwindelanfiille geh~iuft haben. Nit 23 Jahren litt Patientin an Magenschmerzen krampfartiger Namr, bei denen Brechen vorhanden war, doch war kein Blur im Erbrochenen vorhanden. Mit 26 Jahren h6rte das Erbrechen langsam auf. ist jedoch jetzt noch zeitweise vor- handen.

Im Jahre 19o 3 sollen pl6tzlich ohne eine Ursache heftige Schmerzen unter und fiber dem rechten Auge autgetreten sein, die sich dann auch auf den rechten Gaumen und die rechte Nase erstreckten. Seit dieser

K a s u i s t i s c h e r Be i t rag zur opera t . B e h a n d l u n g der T r igeminusneu ra lg i e usw. 8 [

Zeit treten diese Anf~ille intermittierend auf, so dab pro Tag 4 - - I o An- f~ille von lO--2o Minuten Dauer vorhanden sind. Im Herbste und Winter sollen die Anf~ille st~irker als im Sommer sein.

S t a t u s: Ordentlich gen~ihrte Person. Herz und Lungen ohne Be- sonderheit. Die Austr i t tspunkte des rechten Supra- und Infraorbitalis sind druckempfindlich. Das Gebiet dieser Nerven zeigt eine deutliche Hyperiisthesie. Das rechte Lid etwas 5dema.t6s und leicht ger6tet. Die Lidspalte ist reehts kleiner , als links. Die Pupillen sind beiderseits gleichweit. Facialis o. B. intakt. W~ihrend des Schmerzanfalles ist rechts eine lebhafte Tr/inenabsonderung vorhanden. Die rechte H~ilfte der Gaumenbogen und der Uvula sind deutlich gerStet. Die RStung ist w~ihrend des Anfalles intensiver und in der Mittellinie scharf abgesetzt. Nach dem Anfalle geht die RS- tung sukzessive zurtick und ist nicht mehr so scharf und deut- lich abzugrenzen. Die Schmer- zen erstrecken sich bis in die Gebiete des weichen und har- ten Gaumens.

Urin: ohne Befund. D i a - g n o s e: Neuralgie Trigemi- nus I und II.

T h e r a p i e : Elektrisieren mit Salusapparat, erfolglos.

3o. IV. Operation in ru- higer MoCl3-Narkose (Dir. Dr. Fig. 2.

H. B i r c h e r ) . Neuraxeresie nach T h i e r s c h, des Nerv. supra- und infraorbitalis, was gut gelingt.

31. IV. Die Gebiete des Nv. infra- und supraorbitalis werden an- ~isthetisch. Die Anf~ille vermindern sich an Zahl und IntensitSt, so dab Patientin am 24. V. 19o8 gebessert entlassen werden konnte. In der Folgezeit litt Patientin etwas weniger unter den heftigen Schmerzen, die aber im Winter i9o9- - i91o an Intensit~it und Zahl zunahmen und im M~irz 191o laut Aussagen des einweisenden Arztes, D r. S u 1 s e r in Mellingen, folgendes qualvolle Bild machten: Die Schmerzen treten am heftigsten in der reehten H~lfte der Nase auf, beherrschen fast die

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ganze Gesichtsh~ilffe und z. T. den Hinterkopf, die Z~ihne. Sie werden /iul3erst heftig, durch Kau- und Schluckbewegungen ausgel6st. Patientin ist in letzter Zeit etwas schwermiitig geworden und das angestrengte Arbeiten fiel ihr sehr schwer.

S t a t u s (Priv.-Doz. Dr. B i n g und Dr. E n g e n B i r c h e r ) . Sehr gut gen~ihrte kr~iftige Person (Fig. 2 und 3). Deutlich mon-

goloider Gesichtstypus. Die Lippen sind gewulstet, der Nasenriichen eingezogen. Eine Schwellung der rechten Gesichtsh~ilffe ist sehr auf-

fallend, die bis zu den ! . i Augenbrauen hinaufreicht.

~.. I Fingerabdriicke k6nr.en ;J nicht hervorgerufen wer-

den. Die Temperatur der rechten Wange scheint et-

i: : was erh6ht zu sein. Von ~, Asymmetrien beim Schwi-

tzen weiB Patientin nichts .: anzugeben.

~; ' i ~ : - - . Im Gebiete des Sch~i- deldaches ist eine dent- liche Assymmetrie wahr- zunehmen, indem rechter- seits am Scheitelbein eine deutliche Abflachung nach- zuweisen ist.

Die Haare sind diinn, irocken, zeigen keine Rich- tungsanomalien.

Die rechte Lidspalte ist gegeniiber der linken verengt, so dab das Ober- lid beim Bliek geradeaus

Fig. 3. die Pupille halbiert. Eine deutliche Parese im Leva-

tor palpebrae ist objektiv nicht festzustellen. Rechts ist ein deut- licher Enophtalmus, w~ihrend links m~il3iger Exophtalmus vorhanden ist.

A u g e n b e f u n d : Oberarzt Dr. V o g t : Pupillarreaktion auf Licht und Koncergenz sehr gut. Ophtalmoskopisch: Papillen und Ge- f~il3e des Augenhintergrundes ohne Besonderheiten. Leichte Hyper- Rs} metropie Ls 6/s H o,75.

Gesichtsfelder v611ig ohne Besonderheiten. Augenbewegungen sind intakt. Die rechte Conjunetiva ist wesentlich deutlicher injiziert als links. Patientin gibt an, daB, wenn sie jemand l~ingerbeobachtend fixiere, Doppeltsehen auftreten k6nne.

Kasuistischer 13eitrag zur operat. Behandlung der Trigeminusneuralgie usw. 8 3

Die auf den Vertex aufgesetzte Stimmgabel wird konstant rechts lateralisiert, R i n n e beiderseits positiv, I,uftleitung beiderseits gr613er als Knochenleitung.

Die Zunge kann gerade vorgestreckt werden, ist leicht belegt, etwas zitternd, sicher nicht hypertrophisch. Der Masseterenreflex zeigt sich entschieden gesteigert.

G e s c h m a c k s p r i i f u n g : Tinct. Gentianae bitter. Glzyerin siiB. Alum. acetic, sauer. Kal. bromat, salzig.

O 1 f a c t o r i u s. Aus dem Liquor. Ammoni assisal wird das Anis herausgerochen, Ammoniak wird kaum gerochen. Essigsiiure wird sSiuerlich angegeben, rechts deutlicher empfunden. Die Gaumenmo- tilit~it zeigt keine Besonderheiten. Auf der rechten Stirnseite ist eine deutliche K~iltehyper~isthesie vorhanden. Pinselberiihrung ist im ganzen Bereiche des Gesichts positiv, im zweiten Aste deutlich schwiicher. Nadelspitze wird iiberall'gleichm~iBig empfunden. Uber dem Proc. styloideus 16 ~A rechts, 17 ,1,.', links.

Die Sehnenreflexe sind in den rechten oberen Extremit~iten sehr leicht, links fast gar nicht auszul6sen. Beriihrungs-, Vibriat ions-und Schmerzempfindung sind an den oberen Extremifiiten vollst~indig g!eich, der Spannungszustand ebenfalls. An der unteren Extremifiit sind die Reflexe lebhafter als links.

Die rechte Hand und der rechte Vorderarm sind etwas geschwollen, so dab Fingerabdriicke bestehen bleiben. Die Schwellung geht hie und da jedoch sehr selten zurtick. Im rechten Arme wie im rechten Beine leide sie hie und da an Sehwellungen. Die Hand im dulabu groB.

Der Hals ist kurz. Die Venen sind stark geschwollen. In der Mitte ist eine rundliche Struma von Borsdorferapfelgr/SBe nachweisbar. 38 cm Umfang. Stuhl und Urin ohne Bescnderheiten. R6ntgenaufnahmen des Sch~idels und der Extremit~iten zeigen keine Besonderheiten.

W~ihrend der Aufnahme des Status sind einige Schmerzanfiille eingetreten. Zuckungen im rechten Orbicularis oculi sind w~ihrend des Anfalles deutlich vorhanden. Der Puls ist klein, 92, w~ihrend er aul3erhalb des Anfalles wesentlich kr~iftiger ist. Die Dauer des Anfalles betr~igt 2 ~ Minuten. Die Anfiille folgen sich in Intervallen von ca. IO Minuten.

3. IV. 191o. Halbsitzende Stellung. Mo. CHCla-Narkose R o t h - D r a e g e r . G a n g l i o n e x s t i r p a t i o n nach K r a u s e - L e e r (Operateur: Sekund~irarzt D r. E u g e n B i r c h e r).

I. Schnitt am Vorderrande des Sternocleidomastoideus, die Carotis externa wird in typischer Weise freigelegt und unterbunden.

2. Lappenschnitt nach K r a u s e am Ohr beginnend, im Bogen nach vorne bis zum Jochbeinansatz ziehend. Das Jochbein wird tem- por~ir durchtrennt, die Temporalmuskulatur stumpf weggeschoben,

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das Periost ge]6st und nun mit der Doyenschen Fr~se die Temporal- gegend er6ffnet und ein ca. 5 franksttickgroBes Knochenst~ck mit der Fr~ise herausgesSgt. Das Gehirn, insbesondere die Dura, ist kr~iftig ge- spannt, und es ist ausgeschlossen, von dieser 0ffnung aus an das Gang- lion Gasseri zu gelangen, und unter Opferung des Knochens wird die 0ffnung nach oben sowie nach unten bis an die Umbiegungsstelle zur Sch~idelbasis erweitert, bis eine kleinhandtellergroBe 0ffnung vorhan- den ist.

Die Dura wird langsam yon der Knochenbasis stumpf abprSpariert und dabei ohne weiteres die Meningea media durchtrennt. Hie und da miissen dabei Verwachsungen der Dura mit der Sch~idelbasis gel6st werden. Es gelingt nun mit groger Mtihe, das Gehirn empor zu heben und auf einer flachen, mit Gaze umgebenen gynae kologischen Spatel zu halten, da es sehr stark gespannt ist. Bei der auBerordentlichen Breite des Sch~idels macht es ebenfalls Schwierigkeiten, bis in die Tiefe zu gelangen was, nur mit Miihe gelingt. Nach langer Pr:,iparierarbeit, die regelm~iBig durch Tamponade mit Adrenalintampon unterbrochen wird, gelingt es endlich, den dritten Ast am Foramen ovale frei zu be- kommen, yon diesem aus gelangt man rasch an das Ganglion, von hier zum zweiten Ast. Zweiter und dritter Ast werden am Foramen ovale bzw. rotundum scharf durchtrennt: beide L6cher durchstopft und das freipr/iparierte Ganglion mit einer Kornzange samt dem ersten Ast ausgerissen. Im Moment des AusreiBens tritt eine ganz erhebliche Blutung auf, die aus dem vorletzten Sinus cavernosus stammt, auf Adrenalintamponade jedoch steht, und auch bei der Revision des Wundgebietes, ob das ganze Ganglion entfernt sei, nur m~il3ig stark auftritt. Das stark und mit ziemlich groBer Gewalt emporgehobene Gehirn wird in sein altes Bett zuriickgelegt, eine feine M~che eingelegt und exakte Wundnaht ausgefiihrt,

Der Puls war wShrend des ganzen Eingriffes kr~iftig, 60--800 pro Minute.

Nach der Operation Kochsalzinfusion. Digalen, Rektaleinl~iufe. V e r 1 a u f: 4. IV. Die Anfiille haben prompt aufgeh6rt, hingegen

werden heftige Schmerzen im Hinterhaupt angegeben. Die M~che wird entfernt, wobei sich etwas ser6se, r6t]ich dingierte Fliissigkeit entleert. Geschmackssensibilit/t ist auf der Zunge verschwunden, im Gaumen erhalten.

9. IV. Immer noch Schmerzen im Hinterhaupt, suspeckte Occipital- neuralgie, Entfernung der N~ihte, Heilung p. p.

12. IV. Es zeigt, sich, dab Patientin seit der Operation im psy- chischen Verhalten vollkommen ver~indert ist. Verweigert zeitweise jegliche Auskunft, wird dann wieder sehr gesprSchig, lacht ohne Grund laut auf, singt unmotiviert, teilweise obsk6ne Lieder Spricht wirres Zeug: Jetzt kommt meine Schwester mit einem Kiibel Milch. Ich gehe morgen nach Baden in die Kur. Sie klagt iiber Zahnschmerzen, Schmer-

Kasuistischer Beitrag zur operat. 13ehandlung der Trigeminusneuralgie usw. 8

zen in den Gliedern, im Ges~il3 usw., sie weigert sich, sich verbinden zu lassen.

26. IV. klagt sie wieder tiber heftige Occipitalschmerzen, die aber bald wieder verschwinden.

27. IV. Klagen fiber Magenschmerzen, die wieder verschwinden. Patientin wird unklar, betet eine Stunde lang tiir alle Stinden derWelt und betont, dab sie auch den siindigen Arzt in ihr Gebet einschlieBe.

3 o. IV. Patientin ist wiederum vollkommen klar, klagt etwas fiber seine Kr/impfe, die sofort verschwinden.

IV. P16tzlich Tempe- ~ ratursteigerung auf 39~ ~ ; ' ~ - '

ohne dab daftir ein Grund gefunden werden kann. Pa- tientin ohne Beschwerden, wird klar.

20. V. Temperatur ab- gefallen.

io. V. Entlassung. 3. IX. S t a t u s : Lo-

kal usw. geheilte lappen- fdrmige Narbe in der rech- ten Temporatgegend, die eine m~iBige Eindellung zeigt. Auf Druck m~tBig empfindlich, geringe Pulsa- tion. Am 31. X. ist die Narbe fest, etwas einge- w6lbt, doch hat sie yore Periost aus ein teilweise kndcherner Verschlug ge- bildet. (Fig. 4).

Die Schwellung auf der Fig. 4. rechten Seite ist zuriick- gegangen, so dab keine Fingerabdriicke mehr vorhanden sind, der Lider- spalt ist beiderseits gleichweit. Temperatur beiderseits dieselbe. Die Zunge weieht etwas nach rechts ab, ist etwas belegt. Der Gaumen zeigt keine besondere Rdtung mehr. Der Masseterenreflex ist erloschen. Die Korneal- und Palpebralreflexe fehlen rechts. Die Funktion des Levatorpalpebrae ist erhalten. Im ganzen Bereich der Trigeminus

Die Pupillenresektion beiderseits ist eine vollkommene An~isthesie. prompt vorhanden.

Geschmackspriifung: Zunge: sauer - - negativ salzig - - ,, siiB bitter ~J

86 BI~CHE~

Geruch: Kampfer stark herabgesetzt Ammoniak stark herabgesetzt. Links sehr deutlich vorhanden.

A u g e: AuBere Augenmuskeln intakt. L~ihmung des Abducens rechts, wodurch Doppelbilder entstehen. Papillarreaktion auf Akko- modation und Konvergenz prompt, ebenso auf Licht. Pupillen mittelweit.

Beidseits leichte Hypermetropie, sonst ohne Besonderheiten. Patientin hat keine Anf~ille mehr gehabt, kann arbeiten, nur dab

das Auge hie und da etwas Beschwerden macht. Seit der Operation treten die Menses regul~ir alle 4 Wochen auf,

sind etwas schwach und zeigen das Auffallende eines vikarisierenden Einsetzens, indem sich zur Zeit der Menses an beiden Oberschenketn an der Innenseite blutunterlaufene Stellen bis zu HandtellergriSBe bilden, die blau, griin, dann gelb werden und bis zur n~ichsten Menses v611ig verschwinden.

Beide F~ille sind durch die Operation v o n d e r Trigeminus- neuralgie v611ig geheilt. Dieses Resultat war zu erwarten, immerhin mug darauf hingewiesen werden, dab es sich nach unsern Kennt- nissen der chirurgischen Teehnik um einen der technisch aller- schwierigsten Eingriffe handelt, an den mehrere namhafte Chirurgen nicht ohne Scheu gegangen sind, andere ihn nicht zu unternehmen wagten. Wir halten es ftir absolut notwendig, wie auch schon K o c h e r u. a. darauf hingewiesen haben, dab der Eingriff an der Leiehe geiibt werden muB, so dab man iiber die topographisch-chirurgische Anatomie des ganzen Gebietes genau orientiert ist. Dann tut man gut daran, den Rat K r a u s e s zu befolgen, und w~ihrend der Operation ein gutes Sch~idelnerven- pr/iparat zur Hand zu haben, an dem man sich jederzeit fiber die Lage der Organe klar werden kann.

DaB man auf das Alter der Patienten keine Riicksicht zu nehmen braucht, beweist unsere erste Beobachtung, die nach dem Falle yon T i f f a n y (79 Jahre), mit 77 Jahren die 5Ateste operierte Patientin darstellt. W~ihrend der zweite der yon mir operierten F~ille neben den 24 Jahre alten Patienten von G u t i e r r e z eine der jiingsten Beobachtungen darstellt.

DaB man einen derartigen schweren Eingriff nur bei ganz strengen Indikationen vornehmen darf, mul3 als selbstverst~ind- lich erachtet werden. In der ersten Beobachtung war die Indikation zum intrakraniellen Eingriff gegeben. Nachdem im Verlaufe yon

Kasuistischer Beitrag zur operat. Behandlung der Trigeminusneuralgie usw. 87

14 Jahren 7mat peripher operiert worden war, und sozusagen jedes- mal ein Erfolg ftir gewisse Zeit zu erzielen war, so w~ire es von vorn- herein nutzlos gewesen; die Zeit mit einem extrakraniellen Eingriff an der Basis zu vergeuden. Die Regenerationsf~ihigkeit der Nerven nach 70pera t ionen hatte sich zur Geniige erwiesen, so dab auch nach einer Resektion des 2. und 3. Astes an der Basis sicher mit einer Rezidive zu rechnen gewesen w~ire. Um so eher wurde man aber zu dem intrakraniellen Eingriffe gezwungen, da auch der I. Ast v o n d e r Neuralgie befallen war. Wer 7mat die Nerven- ausreil3ung mitgemacht hat, wobei mehrmals l~ingere Nervenstticke entfernt worden sind, den sollte man nicht l~inger mit den peri- pheren Operationen qu~ilen. Es ist gewig nicht n6tig, noch h~iufiger peripher zu operieren, wie in dem Falle yon B u s c h - T r e n - d e 1 e n b u r g, der von 1879--1892 23 periphere Operationen durchmachte und nach 92 noch wiederholt operiert worden sei.

In der zweiten jiingeren Beobachtung war es schon schwie- tiger, die Indikation zu stellen, ob man sofort zur intrakraniellen Operation schreiten solle. Vor allem war fiir uns mal3gebend~ dab alle drei Trigeminus~iste, speziell der erste, am heftigsten v o n d e r Neuralgie befallen waren. Im weitern sprach der ganze Verlauf der Affektion, der Typus der Schmerzanfiille, ftir einen intra- kraniellen Sitz der Affektion. Auch H u 11 e s empfiehlt neuer- dings beim Ergriffensein aller drei Aste sofort intrakraniell vor- zugehen. Schon beim ersten Spitalaufenthalte zeigten sich alle drei Aste yon der Affektion erfagt, die starke Thr~inensekretion spontaner Natur wies auf die Beteiligung des Lakrimalanteil des I. Astes hin, wahrscheinlich diirfte auch der Facialisanteil der Glandulalacrimalis dabei beteiligt gewesen sein, was ebenfalls auf eine zentrale L~ision in der Gegend des Ganglion hindeuten wiirde; die intensive Thr~inenabsonderung w~ihrend der Schmerz- attacken l~13t auf eine starke Reizung der Supraorbitalis schliegen.

Ebenso wichtig schien uns in diesem Falle die Beteiligung vasomotorischer Nerven des sympathischen Nervensystems zn sein, die sich durch R6tung der Gaumenbogen und Uvula, dutch Lid6dem, durch Schwellung und Temperaturerh6hung der ganzen rechten Gesichtsh~ilfte kennzeichnete. Der ausgesprochene rechtsseitige Enophtalmus diirfte ebenfalls damit in Verbindung zu bringen sein.

88 B1acasR

Diese Tatsache weist den Sitz de1 Erkrankung yon vorn- herein zentralw~irts, und zwar entweder in das Ganglion ciliare, sphenopalatium und oticum oder wetter zentralw~irts ill das Ganglion Gasseri. Die nachgewiesene Lidspaltenverengerung und der Enophtalmus deuteten darauf hin, dab die dutch die oben- bezeichneten Ganglien verlaufenden sympathischen Fasern ad musculum tarsalem superiorem, ad musculum orbitalem ad vasa sanguinea eine Ver~inderung in 15dierendem Sinne erlitten hatten, und diese L~ision muBte zentralw~irts gesucht werden.

Aber nicht nut die die Trigeminus~iste begleitenden Sym- pathicusfasern weise~ auf dessen Mitbeteiligung, sondern wir sehen auch in diesem Falle, dab vasomotorische St6rungen sich im Bereiche des rechten Armes Reflexerh6hungen in den Ex- tremit~iten der rechten Seite geltend machten. Ebenso un- zweifelhaft war w~hrend der Anfiille eine deutliche Verengerung der Pulsqualit~it und Zunahme der Frequenz, also eine vasomo- torische St6rung nachweisbar. Alle diese Punkte deuten auf eine mehr zentralw~irts gelegene Erkrankung hin, und es ist nicht ausgeschlossen, dab die vasomotorischen Erscheinungen im rechten Arme direkt von Erkrankung des Ganglion Gasseri auf sym- pathischem Wege weitergefiihrt herrtthrem

DaB sympathische Fasern bei der Trigeminusneuralgie be- teiligt sein miissen, darauf weisen auch die trophischen St6rungen an den Gesichtsknochen bin, die nach der peripheren AusreiBung der Nervenstitmme aufgetreten sind.

Das radikalere intrakranielle Vorgehen war in diesem Falle ebenso unzweifelhaft gegeben wie in der ersten Beobachtung.

Bet der Operation hielten wit uns im allgemeinen an das K r a u s e sche Verfahren; machten uns aber auch die technischen Ratschl~ige zunutze, die yon L e x e r und F r i d r i c h gegeben worden sind.

In beiden F~illen nahmen wit die pfiilimin~ire Unterbindung der Carotis externa vor, wie sie yon F r i d r i c h empfohlen worden ist. Diese Unterbindung erleichtert das weitere operative Vorgehen auBerordentlich, indem ether der schwierigsten Akte des Eingriffes, die Unterbindung der A. meningea media, dadurch umgangen wird. Von der tempofiiren Unterbindung der Carotis externa, wie sie z. B. von G r a v e s empfohlen wurde, glauben wit

Kasuistischer Beitrag zur operat. 13ehandlung der Trigeminusneuralgie usw. 89

absehen zn k6nnen, da sie die Schwierigkeiten der Meningea- unterbindung nur wenig erleichtert, aber nicht vollkommen umgeht.

Sch~idlichkeiten yon seiten der Unterbindung der Externa glauben wir keine gesehen zu haben, es sei denn, man wolle die einsetzende postoperative Psychose des zweiten Falles ihr zur Last legen. Die Psychose kann jedoch viel eher als von dem recht er- heblichen Spateldruck herriihrend betrachtet werden.

Der Unterbindung der Carotis externa mug in heilendem Sinne eine entschiedene Wirkung zugesprochen werden. Nicht wenig F~ille von Trigeminusneuralgien sind ffiiher durch Kom- pression der Carotis communis in giinstigem Sinne beeinflul3t worden. H u t c h i n s o n und F o w l e r konnten in ihren Zusammenstellungen fiber eine ganze Anzahl yon Beobachtungen berichten, bei denen die Carotisunterbindung, wie sie von N u B - b a u m 1862 zum ersten Male ausgefiihrt wurde, gute Erfolge teilweise dauernder Natur zeitigte. R o s e r hat die Carotis externa bei Gesichtsneuralgien mit gtinstigem Erfolge unterbunden. Den Einflul3 der Unterbindung der Carotis auf eine L~ision der in der N~ihe verlaufenden sympathischen Fasern zuriickzufiihren, dtirfte naheliegend sein.

Den Hautmuskelschnit t haben wir nach der Angabe K r a u s e s ausgefiihrt; die Gefahr einer Verletzung der Stirnfacialis~iste ist bei diesem Schnitte unbedingt vorhanden, und in einem Falle haben wir die L~ihmung des Stirnfacialis auch auftreten sehen. Wir m6chten daher fiir die Zukunft den K o c h e r schen nach unten konvexen Schnitt vorziehen, der uns bei der Operation eines retrobulNiren Tumors mit Sicherheit die Facialis~iste ver- meiden liel3.

Eine wesentliche Erleichterung des sp~iteren Vorgehens ist der tempor~iren Keilbeinresektion zuzuerkennen, die sich mit einigen Meil3elschl~igen leicht vornehmen l~il3t. Ebenso ist dem yon L e x e r empfohlenen und von K o c h e r best~itigten Vor- schlag, ,,sich bei der Trepanation nicht auf ein osteoplastisches Verfahren zu versteifen", sondern den Knochen wegzunehmen bis zur Crista und auch v o n d e r Basis den Knochen nach L6sung des Periostes zu entfernen, zuzustimmen. DaB man gerade bis an das Foramen spinosum mit der Entfernung des Knochens gehen

9 0 BIRCHER

miisse, halten wir fiir iiberfliissig. Die Entfernung von Knochen- partien an der Basis schafft sowohl fiir die Orientierung als auch fiir die Hebung des Gehirns mit dem Spatel wesentlich giinstigere Verh~iltnisse.

Ist die Carotis externa unterbunden, so l~il3t sich das Gehirn mit der Dura leicht und rasch abschieben, und man gelangt sicher zu dem ins Foramen ovale veflaufenden 3. Ast. Ist dieser auf- gefunden, so gelangt man dnrch vorsichtiges Pr~iparieren leicht an das Ganglion, das soweit als die Blutnng es gestattet, .vonder Unterlage und der Dura abzupriparieren ist. Mit einer gut fassen- den Zange kann es nach Durchschneidung des 2. und 3. Astes extrahiert werden. Die Foramina ovale und rotundum werden mit einer Sonde am sichersten noch ausgestopft.

Der letzte Moment, die Entfernung des Ganglions, ist an Zu- f~illen der reichste, gew6hnlich wird der Sinus cavernosus verletzt, was zu einer recht erheblichen Blutung fiihrt, wie sie in unserer zweiten Beobachtung auftrat. Die Blutung l ig t sich durch Tam- ponade, ich glaube in unserem Falle hat das Adrenalin gute Dienste geleistet, rasch zur Stillung bewegen. Bei der Ausdrehung, wenn man mit der Zange etwas medial gelangt, liegt die Gefahr einer Abduzensverletzung ebenfalls nahe, wie sie in unserer zweiten Beobachtung passiert ist. Die Blutung aus den kleinen Venen verlangt eine feste Tamponade und auch dabei kann der Abducens verletzt werden. Die Blutung kann so grog werden, daB, wie T i i r k angibt, in IO Fil len die Operation v611ig unterbrochen werden mugte. Auch beim Freipr~iparieren des Ganglions ist eine Verletzung nicht ausgeschlossen. L e x e r berichtet unter seinen 15 Fillen, dab 5 mal Abducensl~ihmung eingetreten sei, die teil- weise im Laufe der Zeit zuriickging, auch in unserer Beobachtung ist eine Besserung der Abduzensl~ihmung zu konstatieren gewesen. Neben diesen Gefahren drohen bei der Operation von seiten des Spateldruckes auf das Gehirn ungiinstige Einfliisse. K r a u s e �9 beobachtete infolge des Spateldruckes aphasische Stauungen in drei Fil len, G u t i e r r e z halbseitige L~ihmung, P o p p e r t sogar einen Todesfall durch Hemiplegie. Von B e c k, G e r s t e r u .a . konnten Erweichungsherde und Abszesse sp~iter im Temporal- lappen festgestellt werden, und auch L e x e r berichtet von ihn- lichen Zustinden.

K asuistischer Beitrag zur operat. Behandiung der Trigeminusneuralgie usw. 91

W~ihrend in unserer ersten Beobachtung das durch das Alter schon etwas atrophisch gewordene Gehirn sich leicht emporheben lieB, so war dies in der zweiten Beobachtung mit grogen Schwierigkeiten verkniipft. Gerade bei mehr jugendlichen Per- sonen, bei denen das Gehirn einen gr6Beren Turgot aufweist, ist der Spateldruck sehr zu fiirchten. Die yon uns beobachtete post- operative Psychose m6chten wir unbedingt auf den Spateldruck zurtickfiihren. Die St6rungen k6nnen spontan sich vollst~indig zuriickbilden.

Neben diesen bald nach der Operation auftretenden St6rungen ist kurz der spiiter einsetzenden Affektionen zu gedenken. Von fast allen Operateuren, die fiber mehrere F~ille von Ganglion- exstirpationen berichten konnten, wird am meisten fiber Augen- st6rungen berichtet. In 3o F~llen ist nach T t i r k Conjunctivitis Ulcus corneae, Keratitis oder Hypopyon aufgetreten; in 2 F~illen trat Erblindung ein, w~ihrend in 4 F~illen wegen Phthisis bulbi die Enukleation vorgenommen werden mul3te. Diesen 4 F~illen reiht sich unsere Beobachtung als fiinfte an. W~ihrend in unsern beiden F~illen ganz dieselbe Nachbehandlung mit Uhrglas tiber das Auge nach den Vorschriften yon K r a u s e statthatte, so traten in dem alten der beiden F~ille diese tiblen Nachwirkungen auf. Wir glauben nicht, dab in unserem Falle die Enukleation des Auges allein auf die Ganglionentfernung zurtickgefiihrt werden darf, denn die zahlreichen peripheren infra- und supraorbitalen Nerven- resektionen hatten zu einem schweren Ektropium gefiihrt, das einen Lagophthalmus nach sich zog, der zu Keratitis und dem -Hypopyon fiihrte. Die Entfernung des Ganglions diirfte die Phthisis bulbi nur beschleunigt haben.

Sind die Resultate der Ganglionexstirpationen, da sic regel- m~il3ig mit unerwiinschten Ausfallserscheinungen verbunden sind, keine idealen, so sind sic unzweifelhaft in der Heitung des schweren Trigeminusleidens die zuverl~issigsten.

Durch v a n G e h u c h t e n , S p i l l e r und F r a z i e r , neuerdings durch R a s u m o w s k y, ist versucht worden, eine Besserung der Resultate dadurch zu erzielen, dal3 sic yon der Exstirpation des Ganglions absahen und sich damit begniigten, die zentrale Wurzel des Ganglions zu durchtrennen. Die Gefahr der Btutung wird auf diese Weise auf ein Minimum reduziert;

9 2 BIRCHER

ebenso die Nebenverletzungen des Oculomotorius, Trochlearis und Abducens kSnnen leicht vermieden werden.

Am wichtigsten erscheint es jedoch, dab keine trophischen StSrungen speziell yon seiten des Auges auftreten, indem die dem I. Trigeminus sich beimischenden Sympathikusfasern nicht l~idiert werden. Sp i l l e r und F r a z i e r , wie auch D o l l i n g e r und R a s u - m o w s k y haben mit dieser sogenannten ,phynologischen Exstir- pation des G a n g l i o n G a s s e r i nach v a n G e h u c h t e n in einer Reihe yon F~illen (ca. 4 o) gute Erfolge aufzuweisen, hin- gegen ist fiber die Dauerresultate nur wenig bekannt geworden. Und nur F r a z i e r verfiigt fiber Dauerheilungen bis zu 7 Jahren.

Bevor eine grSl3ere Anzahl von Dauerheilungen mit dieser Methode erzielt worden, tut man gut, vorl~iufig das ffir die Dauer- heilung sichere Verfahren von H a r t 1 e y - K r a u s e zu w~ihlen.

In nnsern beiden Beobachtungen kann die Operation quoad sanationem als gelungen bezeichnet werden. Es ist neurologisch interessant zu konstatieren, dab alle die auf die Sympathikus- beteiligung zuriickffihrenden Symptome (Exophthalmus, Asym- metrie der Lidspalte, vasomotorische Stauungen) durch die Opera- tion vollst~indig behoben werden sind. Die ganze Trigeminuspartie vom I. , 2. und 3. Ast ist vollst~ndig anSsthetisch, der Nies- reflex konnte nicht mehr anf der operierten Seite ausgelSst werden ; die stechenden Sensationen yon Ammoniak nnd Essigs~iure konnten nicht mehr geffihlt werden.

Ebenso zeigten sich die vom Ganglion sphenopalatinum durch den Ramus II im Ganglion Gasseri ffihrenden Geschmacksfasern, welche via nervus petrosus superficialis major zum Ganglion geni- culi und dem Facialis und von da durch die Chorda tympani zum Lingualis und den vordem zwei Dritteln der Zunge gelangen, ffir alle Geschmackssensationen bis zur Stunde vollkommen an~isthetisch. Eine Monoplegia masticatoria ist ebenfalls vorhanden. Die Salivation ist nur gering verSndert, was zu erwarten war.

Die Ausfallserscheinungen nach der Operation sind die beste Kontrolle, wie radikal man in der Entfernung des Ganglion und Gasseri und seiner Aste gegangen ist.

Wird die Operation nach genauer Untersuchung und strenger Indikation ausgeffihrt, so ist sie imstande, grol3es zu leisten und Schwerleidenden die einzig sichere Hilfe zu bringen.

IZasuistischer Beitrag zur operat. Behandlung der Trigeminusneuralgie usw. 93

N a c h t r a g .

Nachdem vorliegende Arbeit schon in Druck gegangen war, ha t ten wir Gelegenheit, einen weitern Fall vonTrigeminusneuralgie nach dem K r a u s e - H a r t 1 e y schen Verfahren zu operieren. Wir m6chten nicht vers~iumen, diesen Fall den beiden iibrigen beizuftigen, obschon er nicht so gliicklich verlaufen ist. Aber gerade wegen des dabei erhobenen Sektionsbefundes kann er auf ein gewisses Interesse Anspruch erheben.

3. Der im Jahre I84o geborene Knecht B. N. erkrankte lm Jahre 19o6 an heftigen Schmerzen im linken Unterkiefer, die sich besonders bei Nahrungsaufnahme zu einer solchen H6he steigerten, dab er Niufig das Essen aussetzen muf3te. Er will schon friiher an ~ihnlichen Schmerzen gelitten haben. Aus der Familienannamnese ist zu entnehmen, dab der Patient dem Alkohol und dem ~berm~il3igen Tabakgenut3 ergeben war.

Patient wird am 13. IX. 19o 7 der Anstalt zugewiesen. S t a t u s: Kfiiftiger alter Mann, Herz und Lunge ohne Besonderheiten. Der linke Unterkiefer wie auch die ist auf geringe Beriihrung heftig druck- empfindlich. Das Infraorbitalis ist wenig druckempfindlich, der Supra- orbitatis schmerzfrei. Medikament6se und elektrische Therapie in verschiedenster Applikationsweise bleibt erfolglos.

Am 3o. IX. werden der N. infraorbitalis an seinem Austritte und der Mandibularis am Kopfwinkel ausgerissen. Es tritt Wundheilung ein. Patient wird am 2o. X. 19o 7 geheilt entlassen.

Nach ca. 6 Monaten Heilungsdauer setzt die Neuralgie von neuem mit grol3er Heftigkeit ein und Patient 1513t sich verschiedentlich auch mit Schl6sserschen Alkoholinjektionen behandeln, ohne dab dadurch eine Besserung eingetreten w~ire. Daher am 3 !. X. 191o neuerdings Spitaleintritt.

S t a t u s : KrSftiger, alter Mann. MSf3ige Tortdicollis nach rechts. Die ganze linke Gesichtsh~ilfte ist schr~ig verzogen, die Muskulatur, speziell die Kaumuskulatur, ist atrophisch. Ebenso scheint Knochen- atrophie vorhanden zu sein. Die Reflexe sind etwas erh6ht. Pupillar- und Kornealreflexe normal. Im Bereiche des zweiten und dritten Trige- minusast ist eine deutliche Hyper~isthesie und Hyperthermie nachweis- bar. Die Tr~inensekretion links ist etwas vermehrt. Auf Druck wird der zweite und dritte Trigeminusast heftig druckempfindlich. Es k6nnen auf dieseWeise sogar einmal neuralgiforme Anf~lle ausgel6st werden. Die Schleimhaut der linken Mundh~lfte zeigt eine auffallende R6tung gegeniiber rechts und ist sehr empfindlich auf Beriihrung. SSmtliche Geschmacksqualit/iten auf den vorderen zwei Dritteln der Zunge sind sozusagen fast aufgehoben, wenigstens hochgradig herab- gesetzt, ebenso zeigen sich die Geruchsqualit~iten fiir Anis und Ammoniak vermindert.

94 B~Rc~rR

W~hrend die Anf~lle in der ersten Zeit des Krankenhausaufenthaltes sich alle Stunden 2--3 real folgten, wobei das Gesicht auf der linken Seite krampfhaft zusammengezogen wurden, traten sie in den letzten Wochen fast yon 3 zu 3 Minuten auf und wurden immer heffiger, so dab Patient nach erfolgloser Elektro- und Medikotherapie selbst die Opera- tion vorschlug.

Herz nach links verbreitert. Die Temporalarterie geschl~inge!t, kaum comprimierbar: Puls 70; kr~tftig.

Operation am 14. XII. i91o. (Operateur: Sekund~trarzt Dr. E. B i r e h e r) in ruhiger Mo. - CHCI a - Narkose mit Roth - Draeger- Apparat.

Praelimin~ire Unterbindun gder Carotis intera, welche kleinfinger- dick, stark arteriosklerotisch ver~ndert ist.

Hautschnitt nach K o c h e r am vorderen des Proc. zygomaticus beginnend, am hinteren Ende gegen die Schl~ife schr~ig aufsteigend.

Der Processus zygomaticus wird osteoplastisch reseziert, der Musc. temporalis yore Knochen nach vorne abgeschoben, mit der Doyen- und SudeckschenFr~se tier gut 4ram dicke Sch~idelknochen auf 4 : 4 cm er6ffnet und das Knotenstiick entfernt. Mit der Knochenzange wird ein Tell des Bodens der mittleren Sch~idelgrube entfernt. Bei der L6sung der Dura vom Knochen entsteht ein 2 cm langer Durarig, woraus sich etwas Liquor entleert, worauf sich das prall gespannte Gehirn etwa~ Ieichter in die I-{6he halten l~il3t. W~ihrend der L6sung der Dura tri t t eine gewaltige ven6se Blutung auf, die nur durch eine l~ngere Tamponade gestillt werden kann. Es zeigt sich, dab der Sinus petrosus superior bei der L6sung der Gehirnhaut verletzt wurde und dab die heftige Blutung aus dieser 0ffnung stammt. Beim Weiterarbeiten in die Tiefe muB immer wieder gegen hen auftretende ven6se Blutungen gek~impft wer- den, die auf eine/~ingere Tamponade stets eintreten, abet das Vorgehen wesentlich verz6gern. Auf diese Weise gelingt es nach langer miihevoller Arbeit, den dritten und zweitenAst freizulegen, zu durchtrennen, beide an ihrem Abgang vom Ganglion Gasseri zu fassen und das Ganze auszu- reiBen. Sofort wird der Gehirnspatel entfernt, das Blut ausgewischt. Ein Mgchedrain in den hinterenWundwinkel eingelegt und die Wunde gesehlossen. Dauer der Operation 1 Stunde 30 Minuten.

2 Stunden post op. setzt beim Patienten stertor6ses Atmen ein, der Puls steigt auf 12o. Patient ist aus der Narkose nicht erwacht.

6 Stunden post op. Temperatur 4o, 4. Puls kr~iftig, 12o. Atmung stertor6s 2o. Patient 1/igt unter sich gehen. Pupillen eng, reagieren nur wenig. Sensibilit~t nnd Motilit~it vollkommen aufgehoben. Patel- tarreflexe vorhanden. Der durchblutete Verband wird gewechselt.

io Stunden post op. Temperatur 4I,O. Puls krMtig, 14o. Liil3t unter sich gehen, sonst ostatus idem.

14 Stunden post. op. Puls 8o. Atmung 24, oberfl~ichlich. Pupillen-

Kasuistischer Beitrag zur operat. Behandlung der Trigeminusneuralgie usw. 95

reaktion v611ig aufgehoben, eng; Patellarreflexe schwach vorhanden. Sensibilit~it und Motilit~it vGllig verschwunden.

Da Gehirndruck vermutet wird, wird die Wunde revidiert und erGffnet. 5o g coagulierten Blutes, welches sich an den Sch~idelwiinden epidural befindet, werden entfernt, ein kleines, spritzendes Duragef~il3 unterbunden und ein breites Gummidrain angelegt. Tamponade der Hautwunde. Kochsalzinfusion.

Der Zustand erf~ihrt eine momentane Besserung; die Atmung wird ruhiger, der Puls schnellt jedoch wieder auf 14o---16o in die HGhe, wird zusehends unregelm~Big und schw~icher. Die Atmung wird stertor/Ss, Cheyne-Stockes tritt auf: Die Pupillen werden eng. Nach und nach tritt tiefes Coma ein, in dem Patient 31 Stunden post. op. stirbt.

S e k t i o n s b e f u n d : In der Operationswunde findet sich epidural wenig geronnenes Blut. Der linke Schl~ifenlappen ist von einer I mm dieken Schicht von geronnenem Blute bedeckt. Im Gyrus tem- poralis inferior und fusiformis fanden sich zahlreiche punktfGrmige Blutungen und ein ca. haselnuBgrol3er Erweichungsherd. Im Thalamus opticus sin. vornehmlich im Nucleus lateralis und in die Pars occipitalis der Capsula interna ist ein stark nuBgrof3er, frischer, durchbluteter Erweichungsherd vorhanden. Das linke Ganglion Gasseri fehlt mit Aus- nahme des Ramus primus, der vollkommen erhalten ist, ebenso des Abdu- ceus. Im Sinus petrosus superficialis findetsichein stark immlanger Ril3. Die Gehirnarterien sind alle stark erweicht, vergrGl3ert, geschl~ingelt und ihr Lumen ist mit atheromatGsen Massen angefiillt. Das iibrige Gehirn ohne Besonderheiten.

Das Herz myodegeneriert; Coronarsklerose, Sklerose der Aorta. Schrumpfniere. Linksseitige Pleuritis und Bronchopneun'lonie des linken Unter- und Mittellappens.

Vorliegende Beobachtung erg~inzt meine ersten beiden F~ille in interessanter Weise. Der 7oj~ihrige Patient hat nur eine peri- phere Operation durchgemacht, und dennoch entschlog man sich, sofort intrakraniell an die Ausrottung des Ganglions zu machen. Zu diesem Handeln ftihrten uns folgende 13berlegungen. Tech- nisch ist der intrakranielle Eingriff sicher nicht schwieriger als die Operation an der Basis, dann aber mul3ten wir bei dem Sym- ptomenbilde von vornherein ~berzeugt sein, dab w i r e s mit zen- tralen StGrungen zu tun hatten. Wir haben wieder eine Mitbe- teiligung sympathischer Fasern beobachten kGnnen, dazu kam die ganz erheblich auff~illige einseitige StGrung der Geschmacks- sensationen, auf den vorderen zwei Dritteln der linken Zungen- seite, die nur durch eine Affektion proximal vom Ganglion spheno- palatinum im Ramus secundus, im Ganglion Gasseri selbst, oder

9 6 B~RCHER

im gemeinsamen Trigeminusstamm gesucht werden konnte. Es zeigte sich aber auch der Ramus I, wenn auch nicht sensibel, so doch sensorisch von der Affektion betroffen, indem die Geschmacks- qualit~iten eine Anderung im Sinne einer Verminderung erfahren hatten. In diesem Falle w~re eine weitere periphere Operation yon vornherein aussichtslos gewesen.

So entschlol3 man sich, in Anbetracht des noch relativ guten Zustandes des Patienten zu dem eingreifenden radikalen intra- kraniellen Verfahren. Hierbei stellten sich solche Schwierigkeiten entgegen, dab kein Erfolg beschieden war.

Schon die Blutung aus der Diploe war eine eminente, kaum zu stillende, je mehr man jedoch an der Dura arbeiten muBte, desto betr~ichtlicher wurde die Blutung, so dab man nut mit Miihe und groBer Geduld ihrer Herr werden konnte. Wir sind geneigt, diese Gr613e der Blutung auf die Ver~inderungen der OeffiBe zurtick- zufiihren. Durch die Arteriosklerose waren die Gef~il3w~inde so stabil gemacht, dab weder ein Einrollen der Intima, noch eine Thrombusbildung m6glich war, und die Gef~iBw~nde der kleinen Duralgef~iBe 5.ul?erst briichig waren.

Diese Gef~il3ver~inderungen sind abet nicht nut an der Blutung, sondern auch an dem letalen Ende schuldig, die typische im Thalamus opticus und im occipitalen Teile der Capsula interna vorhandene innere Blutung mag wohl zum gr613ten Teil am Tode schuldig gewesen sein. Ob diese indirekt auf den Spateldruck zurtickzuftihren ist, oder ob durch das Hantieren am Gehirne durch die Unterbindung der Carotis interna Atheromstiicke losgel6st wurden und so zur Apoplexie Iiihrten, ist eine Frage, die unbeantwortet bleiben mul3.

Der durch den Spateldruck am Temporallappen erzeugte Erweichungsherd dtirfte kaum allein die Todesursache abgegeben haben. Wir sind gewohnt, bei komplizierten und unkomplizierten Sch~idelfrakturen viel schwerere L~isionen mit Wegfall ganzer grol3er Gehirnpartien zu sehen, ohne dab so schwere Symptome oder gar Exitus auftrat, wie im vorliegenden Falle.

Die zeitliche L~inge und die GrSl3e des Eingriffs, der starke Blutverlust, vor allem abet die Arteriosklerose haben in dieser Beobachtung, begiinstigt durch eine Pleuritis und Bronchopneu- monie, den Tod verursacht.

K a s u i s t i s c h e r B e i t r a g zu r o p e r a t , B e h a n d l u n g d e r T r i g e m i n u s n e u r a l g i e usw. 9 7

Wenn wir eine Lehre aus dem Falle ziehen mSchten, so ist es die, dal3 Arteriosklerose die Ganglionexstirpation kontra- indiziert. Sie vermehrt die Blutung, das Gehirn ist dem Spateldruck gegentiber wJderstandsloser; vor allem abet ist die Gefahr von apoplektischen Insulten eine sehr grol3e. Dies geht aus der von T i i r k gemachten Zusammenstellung hervor, in tier die meisten Todesf~ille nach der Ganglionexstirpation von apoplektischen In- sulten begleitet waren.

Literaturverzeichnis.

Die Literatur findet sich vollst~ndig zusammengestellt in:

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