Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der völkischreligiösen Bewegung [2012]

20
64 Winjried Mogge Schon nach einer ersten Recherche zeichnet sich jedoch ab, dass diese Männer (und in der zweiten Reihe auch Frauen) keine Sammlung skurriler Wandervögel darstellten, sondern eine extrem rassistische, "rassenaristokratische", menschen- verachtende und in der Konsequenz menschenvernichtende Bewegung reprä- sentierten und ungeachtet aller Bemühungen um den Erhalt der eigenen Orga- nisationen in den Nationalsozialismus führten. Die Älteren, die Gründerväter und Propheten, wurden im "Dritten Reich" zwar noch halbherzig geehrt, aber doch nicht mehr gebraucht. 107 Die Jüngeren hingegen stützten zielstrebig ihre beruflichen Karrieren durch Beitritte zur NSDAP; einige betätigten sich in füh- renden Positionen in der SS und setzten hier ihre in den völkisch-religiösen Bün- den entwickelten Rassetheorien in die politische Praxis um. 108 107 VgJ. die Klagen Ludwig Fahrenkrogs über sein "Lebendigbegrabenwerden" nach 1933 (GNM, NL Fahrenkrog, IA 2,1 C 31, I C 304). 108 Beispiele, sofern mit Personalakten aus dem Bundesarehiv/ Berlin Ooeument Center (NSOAP-Mitgliedskartei, NSLB-Kartei, PK, RK, RS, OS, SSO) zu belegen: Kurt Hol- ler (NSOAP-Mitglied Nr. 2290322 vom 1.5.1933), Professor, Lektor im Rassenpoliti- schen Amt der NSOAP, Oberscharführer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS. Bern- hard Kummer (MitgJ. Nr. 87841 vom 1. 5.1928, dann Nr. 1927141 vom 1. 5. 1933), Professor, Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSOAP. Arthur Lahn (MitgI. Nr. 1441153 vom 1. 2. 1933), Stadtoberinspektor. Wilhelm Sehloz (Mitgl. 1923-1926, dann Nr. 3222086 vom 1. 5.1933), Gewerbeschulrat. Rudolf Taek (Mitgl. Nr. 95979 vom 1. 8.1928), Hauptsturmführer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS, Untersturm- führer in der Leibstandarte SS "Adolf Hitler ". Paul Zapp (Mitgl. Nr. 4583288 vom 1.5.1937), SS-Sturmbannführer, Abteilungsleiter und Stabsführer im Sicherheitsdienst des Reichsführers SS, Führer des Sonderkommandos 11 ader Einsatzgruppe O. {)we.. PWU!fl& UYvJ ClelYll.,S Voll V]l,ldr /Ja I n J ., j)ie i..., 2.. 0 >12., J. 6r- - 102. Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der völkisch-religiösen Bewegung Horst /unginger 1. Definitionsprobleme und die Kategorie des Völkischen als Gattungsbegriff Die an Pfingsten 1934 ins Leben gerufene Deutsche Glaubensbewegung war die bedeutendste Religionsgründung des "Dritten Reiches". Ihre Führer sahen in ihr die Speerspitze eines neuen paganen Glaubens, von dem sie sich erhoff- ten, dass er in nicht allzu ferner Zukunft das Christentum ablösen und an sei- ner Stelle zur weltanschaulichen Grundlage des nationalsozialistischen Staates werden würde. Weil sie sich dabei aber durchaus der Tatsache bewusst waren, nicht das gesamte völkisch-religiöse Lager zu repräsentieren, musste ihnen als erstes daran gelegen sein, die religiöse Meinungsführerschaft in diesem Bereich zu erlangen, um im nächsten Schritt den christlichen Kirchen auf gleicher Augenhöhe entgegentreten zu können . Nur wenn es gelang, der neuen Religion eine inhaltliche und organisatorische Kohärenz zu verleihen, konnte die Deut- sche Glaubensbewegung überhaupt darauf hoffen, vom Staat als eigenständige "dritte" Konfession anerkannt zu werden und dadurch Anspruch auf die glei- chen Rechte und Privilegien wie die beiden christlichen Kirchen zu haben. Die angestrebte Vereinheitlichung des deutschgläubigen Aufbruchs gestaltete sich jedoch außerordentlich schwierig und längst nicht alle Religionsgemeinschaften mit einem wie auch immer definierten heidnischen Programm schlossen sich der Deutschen Glaubensbewegung an. So verweigerte sich mit den Ludendorf- fern die zahlenmäßig stärkste pagane Gruppierung des "Dritten Reiches" von Beginn an.! Andere, wie die 1934 in Deutsche Volkskirche umbenannte Geist- l:hristliche Religionsgemeinschaft Artur Dinters oder die Nordisch-religiöse Arbeitsgemeinschaft von Norbert Seibertz, zogen sich rasch wieder zurück, als sic feststellen mussten, dass sie sich mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen konnten. Ungeachtet der inhaltlichen Differenzen unter den paganen Religionsführern, die mit variierender Schwerpunktsetzung Adjektive wie deutschgläubig, germa- IIcngläubig, gottgläubig, nordisch, arisch oder indogermanisch für sich rekla- Siehe zu den Ludendorffern besonders den Beitrag von Bettina Amm in diesem Band.

Transcript of Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der völkischreligiösen Bewegung [2012]

64 Winjried Mogge

Schon nach einer ersten Recherche zeichnet sich jedoch ab dass diese Maumlnner (und in der zweiten Reihe auch Frauen) keine Sammlung skurriler Wandervoumlgel darstellten sondern eine extrem rassistische rassenaristokratische menschenshyverachtende und in der Konsequenz menschenvernichtende Bewegung repraumlshysentierten und ungeachtet aller Bemuumlhungen um den Erhalt der eigenen Orgashynisationen in den Nationalsozialismus fuumlhrten Die Aumllteren die Gruumlndervaumlter und Propheten wurden im Dritten Reich zwar noch halbherzig geehrt aber doch nicht mehr gebraucht 107 Die Juumlngeren hingegen stuumltzten zielstrebig ihre beruflichen Karrieren durch Beitritte zur NSDAP einige betaumltigten sich in fuumlhshyrenden Positionen in der SS und setzten hier ihre in den voumllkisch-religioumlsen Buumlnshyden entwickelten Rassetheorien in die politische Praxis um 108

107 VgJ die Klagen Ludwig Fahrenkrogs uumlber sein Lebendigbegrabenwerden nach 1933 (GNM NL Fahrenkrog IA 21 C 31 I C 304)

108 Beispiele sofern mit Personalakten aus dem Bundesarehiv Berlin Ooeument Center (NSOAP-Mitgliedskartei NSLB-Kartei PK RK RS OS SSO) zu belegen Kurt Holshyler (NSOAP-Mitglied Nr 2290322 vom 151933) Professor Lektor im Rassenpolitishyschen Amt der NSOAP Oberscharfuumlhrer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS Bernshyhard Kummer (MitgJ Nr 87841 vom 1 51928 dann Nr 1927141 vom 1 5 1933) Professor Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSOAP Arthur Lahn (MitgI Nr 1441153 vom 1 2 1933) Stadtoberinspektor Wilhelm Sehloz (Mitgl 1923-1926 dann Nr 3222086 vom 1 51933) Gewerbeschulrat Rudolf Taek (Mitgl Nr 95979 vom 1 81928) Hauptsturmfuumlhrer im Rasse- und Siedlungshauptamt SS Untersturmshyfuumlhrer in der Leibstandarte SS Adolf Hitler Paul Zapp (Mitgl Nr 4583288 vom 151937) SS-Sturmbannfuumlhrer Abteilungsleiter und Stabsfuumlhrer im Sicherheitsdienst des Reichsfuumlhrers SS Fuumlhrer des Sonderkommandos 11 ader Einsatzgruppe O

)we PWUflamp UYvJ ClelYllS Voll V]lldr JaI n J

j)ie voumlIKJcJJ~rtl5ioumlje- -3t~9 i NqoVJll)lJtIQli~t(51

G~HiI)SV 20 gt12 J 6r- - 102

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der voumllkisch-religioumlsen Bewegung

Horst unginger

1 Definitionsprobleme und die Kategorie des Voumllkischen als Gattungsbegriff

Die an Pfingsten 1934 ins Leben gerufene Deutsche Glaubensbewegung war die bedeutendste Religionsgruumlndung des Dritten Reiches Ihre Fuumlhrer sahen in ihr die Speerspitze eines neuen paganen Glaubens von dem sie sich erhoffshyten dass er in nicht allzu ferner Zukunft das Christentum abloumlsen und an seishyner Stelle zur weltanschaulichen Grundlage des nationalsozialistischen Staates werden wuumlrde Weil sie sich dabei aber durchaus der Tatsache bewusst waren nicht das gesamte voumllkisch-religioumlse Lager zu repraumlsentieren musste ihnen als erstes daran gelegen sein die religioumlse Meinungsfuumlhrerschaft in diesem Bereich zu erlangen um im naumlchsten Schritt den christlichen Kirchen auf gleicher Augenhoumlhe entgegentreten zu koumlnnen Nur wenn es gelang der neuen Religion eine inhaltliche und organisatorische Kohaumlrenz zu verleihen konnte die Deutshysche Glaubensbewegung uumlberhaupt darauf hoffen vom Staat als eigenstaumlndige dritte Konfession anerkannt zu werden und dadurch Anspruch auf die gleishychen Rechte und Privilegien wie die beiden christlichen Kirchen zu haben Die angestrebte Vereinheitlichung des deutschglaumlubigen Aufbruchs gestaltete sich jedoch auszligerordentlich schwierig und laumlngst nicht alle Religionsgemeinschaften mit einem wie auch immer definierten heidnischen Programm schlossen sich der Deutschen Glaubensbewegung an So verweigerte sich mit den Ludendorfshyfern die zahlenmaumlszligig staumlrkste pagane Gruppierung des Dritten Reiches von Beginn an Andere wie die 1934 in Deutsche Volkskirche umbenannte Geistshylhristliche Religionsgemeinschaft Artur Dinters oder die Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft von Norbert Seibertz zogen sich rasch wieder zuruumlck als sic feststellen mussten dass sie sich mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen konnten

Ungeachtet der inhaltlichen Differenzen unter den paganen Religionsfuumlhrern die mit variierender Schwerpunktsetzung Adjektive wie deutschglaumlubig germashyIIcnglaumlubig gottglaumlubig nordisch arisch oder indogermanisch fuumlr sich rekla-

Siehe zu den Ludendorffern besonders den Beitrag von Bettina Amm in diesem Band

67 66 Horst lunginger

mierten oder auch nur als Epitheton ornans im Namen fuumlhrten lassen sich drei weltanschauliche Gemeinsamkeiten einer voumllkisch-religioumlsen Programmatik erkennen erstens die Gegnerschaft zu den christlichen Kirchen zweitens die positive Berufung auf eine vor- oder auszligerchristliche religioumlse Tradition die vorshyzugsweise mit den Germanen oder Indogermanen in Verbindung gebracht wurshyde und drittens die Bezugnahme auf den Rassegedanken Die Verbindung von Rasse und Religion suggerierte nicht nur eine besondere Verankerung in der deutschen Geschichte sondern auch die Uumlbereinstimmung mit den Prinzipien der modernen Wissenschaft deren Fehlen dem christlichen uumlffenbarungs- und Wunderglauben als entscheidendes Manko angekreidet wurde Zudem konnte man das Christentum mit rassischen Argumenten als juumldisch und fremdvoumllkisch denunzieren und sich so auf Kosten der Kirchen profilieren Eine allgemeine Bestimmung voumllkisch-paganer Religiositaumlt uumlber die inhaltlichen Stellungnahmen ihrer Fuumlhrer erweist sich aber wegen der groszligen Heterogenitaumlt ihrer religioumlsen Bekenntnisse als uumlberaus vertrackt Real- oder Wesensdefinitionen bewegen sich in der Religionsgeschichte generell auf schwankendem Grund weil ihr Definishyendum weit davon entfernt ist eine feststehende oder auch nur klar umrissene Groumlszlige zu sein Es unterliegt einer Vielzahl religioumlser und nichtreligioumlser Einshyflussfaktoren und verfestigt sich auch bei den sogenannten uumlffenbarungsreligioshynen erst im Laufe heftiger weltanschaulicher Auseinandersetzungen deren Resultate selbst wiederum angezweifelt und modifiziert werden Glaubensausshysagen stehen deshalb zwar im Mittelpunkt jeder theologischen Systematik taushygen jedoch nur sehr bedingt dazu als Kriterium einer religionswissenschaftshylichen Kategorienbildung zu dienen Wie sollen neue Religionen wie die Deutsche Glaubensbewegung anhand der religioumlsen Inhalte beurteilt und klasshysifiziert werden wenn selbst ihre Anhaumlnger nur sehr verschwommene und haumlushyfig disparate Vorstellungen daruumlber hatten worin ihr eigener Glaube bestand

Aber auch Nominaldefinitionen sind wegen der uumlber viele Jahrhunderte hinweg ausgebildeten Dominanz einer christlich gepraumlgten Sprache schwer anwendbar So eignet sich beispielsweise weder der christliche Gottesbegriff zum allgemeinen Muster des religionsgeschichtlichen Vergleichs noch lassen sich die fuumlr das Christentum essentiellen Suumlnden- und Erloumlsungsvorstellungen ohne Weiteres auf andere religioumlse Traditionen uumlbertragen2 Religioumlse Begriffe und Zuschreibungen folgen nicht per se dem Kriterium der wissenschaftlichen Angemessenheit Im Allgemeinen ist es eine Frage der politischen Macht welshyche Religion und religioumlse Terminologie sich durchsetzt Religionsauffassungen abseits eines christlichen Weltbildes als gottlos und heidnisch zu kennzeichnen war in der Geschichte des Abendlandes lange die Regel und einer der wichtigsshyten Gruumlnde fuumlr die Entstehung eines sich selbst bewusst werdenden Paganenshytums Subjektive Glaubensaumluszligerungen uumlber die Wahrheit oder Falschheit einer

2 Die Frage der Verallgemeinerbarkeit einer religio nswissenschaftlichen im Unterschied zu einer religioumlsen Terminologie bildet den Ausgangspunkt des fuumlntbaumlndigen Handshybuchs religionswissenschaftJicher Grundbegriffe Hg von Hubert Cancik Burkhard Gladigow Matthias Laubscher Karl-Heinz Kohl Stuttgart 1988- 2001

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Religion sind als Grundlage der religionswissenschaftlichen Systematik prinzishypiell ungeeignet Die religionshistorische Einordnung der voumllkisch-religioumlsen Bewegung wird zusaumltzlich dadurch erschwert dass sich diese sehr stark uumlber die Abgrenzung vom Christentum definierte aber noch in der Negation erkennen laumlsst wie sehr ihre Programmatik durch christliche oder parachristliche Elemenshyte gepraumlgt wurde Jede neue Religion ist zu Beginn darauf angewiesen Anleihen bei bereits bestehenden Religionsformen zu machen mit dem Ergebnis schwer zu differenzierender Mischbildungen und Synkretismen Abgesehen von dem subjektiven Wahrheitsbegriff aller Religionen beruhte die voumllkische Instrumenshytalisierung der germanischen oder indogermanischen Religionsgeschichte aber auch in starkem Maszlige auf objektiven Irrtuumlmern und Missdeutungen die weder die taciteische Interpretatio Romana noch den Mangel an paganer Authentizitaumlt einer durch christliche Moumlnche gepraumlgten Quellenuumlberlieferung zur Kenntnis nehmen wollte 3 Insofern laumlsst sich die nur wenige Jahre bestehende Deutsche Glaubensbewegung als Paradebeispiel einer invented tradition bezeichnen 4

Die Religionsgeschichte des Dritten Reiches stellt keinen Sonderfall des allshygemeinen Musters hegemonialer Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit uumlber religioumlse Begriffe und Konzepte dar Der Streit uumlber den neu auszutarieshyrenden Status der christlichen Kirchen im nationalsozialistischen Staat wurde nur zum Teil entlang der religioumlsen Konfliktlinien zwischen Christen- und Heishydentum gefuumlhrt Er betraf auch innerkirchliche Problemstellungen und den alles andere als neuen Anspruch des Staates den Einfluss der Kirchen auf den Bereich des Religioumlsen zu begrenzen Eine fundierte Analyse dieser Kaumlmpfe um die fuumlr das nationalsozialistische Deutschland am besten geeignete Religion steht vor allem deswegen noch aus weil es bislang weder der Geschichts- noch der Religionswissenschaft gelungen ist das Phaumlnomen der voumllkischen Religiositaumlt in seiner Bedeutung fuumlr den Nationalsozialismus angemessen zu beurteilen Zwar hat sich mittlerweile eine differenziertere Betrachtung der katholischen und evangelischen Kirche Geltung verschaffen koumlnnen Doch im Hinblick auf die nichtchristliche Religionsgeschichte wird das Bild noch weithin durch die simpshylifizierende und die fruumlheren Auseinandersetzungen mehr fortschreibende als analysierende Darstellung des sogenannten Kirchenkampfes bestimmt Verwenshydet man die Kategorie des Voumllkischen als uumlber- oder Gattungsbegriff fuumlr die paganen Religionsgemeinschaften des Dritten Reiches bedarf es einer genaushyen Darlegung dessen was unter dem Ausdruck voumllkisch zu verstehen ist und wie man in diesem Kontext die Deutschen Christen zu beurteilen hat die ebenshy

3 Vgl hi erzu den informativen Sammelband von Heinrich Beck u a (Hg) Zur Geschichte der Gleichung germanisch-deutsch Sprache und Namen Geschichte und Institutionen Berlin 2004

4 Bei dem vo n Eric Hobsbawm und Terence Ranger in die Diskussion eingefuumlhrten Konshyzept der Erfindung einer Tradition ist zu beriicksichtigen dass der englische Ausshydruck invention weniger den Aspekt der betruumlgerischen Absicht sondern den der kreativen Imagination betont Es geht hier um das phantasiebegabte Finden oder Aufshyfinden neuer Religionsformen und nicht um eine bewusste Erfindung im Sinne der alten Priestertrugstheorie

69 68 Horst lunginger

falls eine rassische Verabsolutierung des deutschen Volkes unter religioumlsen Vorshyzeichen anstrebten Wird das Gewicht dabei zu sehr auf den Gesichtspunkt konshytroverstheologischer Inhalte gelegt laumlsst sich die voumllkische Dimension der Glaushybensbewegung Deutsche Christen und der Deutschen Glaubensbewegung nicht auf der gleichen Strukturebene abhandeln Es kommt deswegen entscheidend darauf an von allen religioumlsen Wesensaussagen Abstand zu nehmen und einen empirisch gehaltvolleren Religionsbegriff zur Anwendung zu bringen der sowohl substantielle als auch funktionale Aspekte beruumlcksichtigt 5 Wirklich inteshyressant und anspruchsvoll wird die wissenschaftliche Erforschung der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung an ihren Raumlndern und in den Grenzbereichen hin zu libeshyralen freireligioumlsen oder wertkonservativen Milieus Das gilt besonders fuumlr die Schnittstelle zwischen einer voumllkischen und freigeistigen Weitsicht auf die am Beispiel Ernst Bergmanns im folgenden Abschnitt naumlher eingegangen wird Solshyche Uumlberlappungen und die zum Teil flieszligenden Uumlbergaumlnge sollten Ansporn dazu sein die Problematik einer sachgerechten Klassifikation nicht aus den Augen zu verlieren und die Stringenz der vorgenommenen Einteilung im Licht des jeweils neuesten Forschungsstandes kritisch zu hinterfragen Das hohe Niveau das mittlerweile in der Diskussion uumlber die Angemessenheit des Konshyzepts der Konservativen Revolution erreicht wurde ist ein gutes Beispiel fuumlr den Erkenntnisgewinn den eine fakten- und diskursorientierte Vorgehensweise jenseits ideologischer Voreingenommenheit bietet Auch die voumllkische Beweshygung stellt eine besondere Herausforderung fuumlr die wissenschaftliche Typenbilshydung dar die nicht zuletzt aus Mangel an einer zuverlaumlssigen Materialgrundshylage fuumlr die Zeit nach 1933 bislang nur in ersten Ansaumltzen in Angriff genommen wurde

Jeder der sich intensiver mit der voumllkischen Bewegung beschaumlftigt weiszlig um die Schwierigkeit die Spezifik des Wortes voumllkisch genau zu erfassen6 Es handelt sich bei dem Ausdruck voumllkisch nicht lediglich um ein neutrales Bezieshyhungswort oder um ein Adjektiv von Volk im Sinne vonvolkhaft odervolkshylich sondern um ein hochgradig aufgeladenes Mythologem dessen Aufkomshymen eng mit der politischen Entwicklung Deutschlands in Zusammenhang steht Die fuumlr das voumllkische Denken charakteristische Uumlberhoumlhung der Volksidee hatte nicht zuletzt die Funktion die im Vergleich zu anderen europaumlischen Staaten erst sehr spaumlt erfolgte Nationalstaatsbildung Deutschlands ideologisch zu komshypensieren Das deutsche Volk wurde dabei als eine den politischen Macht- und Vertragsgedanken transzendierende Einheit aufgefasst deren ideelle Ziele angeblich im Gegensatz zu den niederen lediglich materiellen Interessen stanshyden von denen sich andere Nationen leiten lieszligen Im Gefolge des Deutschshy

5 Zum Problem einer angemessenen Religionsbestimmung vgl Guumlnter Kehrer Religion Definition der In Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Band 4 Stuttshygart 1998 S 418-425

6 Ich schlieszlige im Folgenden an meine Ausfuumlhrungen in dem Artikel Voumllkische Religionsshywissenschaft in Ingo Haar Michael Fahlbusch (Hg) Handbuch der voumllkischen Wisshysenschaften Muumlnchen 2008 S 204-213 an

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Franzoumlsischen Krieges erhielt die voumllkische Ideologie ihre spezifische Auspraumlshygung eines geistigen Hypernationalismus dessen Zusammengehoumlrigkeitsgefuumlhl sich zunehmend auf rassische Vorstellungen stuumltzte die am Ende des 19 Jahrshyhunderts an Einfluss gewannen Der das voumllkische Denken kennzeichnende ideologische Uumlberschuss speiste sich aus der Vorstellung einer Volksgemeinshyschaft gleichen Blutes Er laumlsst sich mit den Kategorien eines gewoumlhnlichen Nationalismus nur ungenau beschreiben Das ist auch der Grund dafuumlr warum das Wort voumllkisch nicht adaumlquat ins Englische Franzoumlsische oder eine andeshyre europaumlische Sprache uumlbersetzt werden kann Gleiches gilt fuumlr viele andere Begriffe aus dem Wortfeld des Voumllkischen fuumlr die es ebenfalls keine angemesshysenen fremdsprachlichen Aumlquivalente gibt Zu denken ist hier an die Volksshybuumlcherei die Volksdeutschen den Volksfeind die Volksgemeinschaft den Volksshygenossen den Volksgerichtshof die Volkskirche die Volksschule das Volkstum oder die Volkswohlfahrt Die sich dafuumlr etwa im Englischen oder Franzoumlsischen anbietenden Umschreibungen mit ethnic ethnic national national oder peoshyple peuple geben das vom Wort voumllkisch Gemeinte nur unzureichend wider Residuen voumllkischen Denkens haben sich in der deutschen Sprache bis heute l~rhalten So suggeriert die Automarke Volkswagen noch immer eine volkliche Einheit jenseits der Grenzen von Stand und KJassenzugehoumlrigkeit 7

Obwohl die voumllkische Ideologie in der kriegerischen Auseinandersetzung ihre eigentliche Erfuumlllung findet und das friedliche Nebeneinander mehrerer voumllkishyscher Einheiten ein Widerspruch in sich waumlre darf nicht vergessen werden dass der um 1800 zu einem politischen Schluumlsselbegriff werdende Ausdruck Volk 11m Anfang eine deutlich demokratische Komponente enthielt und auf eine staumlrshykere Einbeziehung des sogenannten niederen Volkes abzielte Die urspruumlngliche Nobilitierung des Volksbegriffs wie sie etwa bei Herder zu finden ist verlieh einem politischen Freiheitsideal Ausdruck in dem die Kollektivpersoumlnlichkeit ues Volkes als eine Einheit von Gleichberechtigten gedacht wurde Noch frei von einem voumllkischen Chauvinismus und der Abwertung anderer Nationen hcinhaltete das fruumlhe Volksdenken die Inklusion des gemeinen Volkes und konstituierte sich in der Abgrenzung gegen den sich durch Dekadenz und Vershychwendungssucht auszeichnenden deutschen Adel Noch gestern Bruumlder wart

Ih r nur ein Haufen ein Volk 0 Bruumlder seid ihr heut heiszligt es etwa 1858 bei Fcrdinand Freiligrath8 Die freiheitliche Ausrichtung einer ehedem staumlndestaat-

Dass sich der Oberklassewagen Phaeton der hierauf keinen Bezug nimmt oder sogar hewusst dagegen verstoumlszligt nur schlecht verkaufen laumlsst ist deswegen nicht verwundershylich Die Parallelisierung zwischen Volks- und Wolfswagen bzw Wolfsburg (Hitler~ Spitzname war Wolf) beduumlrfte einer fundierteren Darstellung als bei Hans-Joumlrg WohlshyrrommGisela Wohlfromm Deckname Wolf Hitlers letzter Sieg Berlin 2001 Der Kuumlbelwagen oder VW Typ 82 als militaumlrische Variante des Volkswagens der wie ein Wolf laumluft und laumluft und seine Opfer durch die Weiten Russlands jagt ist augenfaumllliges Symbol einer sich im Krieg erfuumlllenden voumllkischen Volksidee

11 Zitiert nach dem umfangreichen Artikel von Reinhart Koselleck Volk Nation Massc In Otto Brunner Werner ConzeReinhart Koselleck (Hg) Geschichtliche Grundbc ~riffc Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Band 7 Sluttgart 1992 S 141-431 hier 147

71 70 Horst Junginger

Iilhen Volksidee und die Politisierung eines vorstaatlichen Nationsbegriffs lrhielten nach der gescheiterten Revolution von 1848 freilich eine antidemokrashytische und nach dem Krieg gegen Frankreich eine stark nationalistische Einfaumlrshybung9 Kurz nach Kriegsbeginn verfasste Freiligrath ehemaliges Mitglied im Bund der Kommunisten im patriotischen Uumlberschwang sein bekanntes Gedicht Hurra Germania und wurde so zum Wortgeber fuumlr den deutschen Hurrashypatriotismus 10 Die Kaiserproklamation in Versailles und der fuumlnf Wochen spaumlshyter am 26 Februar 1871 ebenfalls in Versailles geschlossene Praumlliminarfriede sind die entscheidenden politischen Ereignisse die den Uumlbergang der demokrashytischen Volksidee zur antiegalitaumlren und antiparlamentarischen Ideologie der voumllkischen Bewegung markieren

Mit dem Aufkommen der modernen Rassentheorie bot sich dem voumllkischen Denken am Ende des 19 Jahrhunderts die Moumlglichkeit die fehlende Teilhabe des Volkes an der politischen Macht durch die Zugehoumlrigkeit zu einer virtuelshylen Machtelite der Rasse ideologisch zu kompensieren Uumlber den Gedanken der ideellen Gleichheit aller Angehoumlrigen gleicher Rasse konnte die auf politischer Ungleichheit beruhende kaiserliche Monarchie kritisiert und gewissermaszligen demokratisiert werden indem die Elitekonzeption des Blutadels popularisiert und von den deutschen Fuumlrstenhaumlusern auf das gesamte deutsche Volk uumlbertrashygen wurde Das von der voumllkischen Ideologie nicht erfundene sondern nur vershybreiterte Konzept einer Herrschaftslegitimation durch Geburt und Abstammung ermoumlglichte es allen Mitgliedern der gleichen Rasse sich unabhaumlngig vom tatshysaumlchlichen gesellschaftlichen Stand als Teil einer gemeinsamen Werte- und Machtelite zu verstehen Die Propagierung eines besonderen Adels der Rasse bedeutete deshalb keine Kritik am Modell der politischen Ungleichheit sondern die Uumlbertragung traditioneller Adelsvorstellungen auf die Neoaristokratie der Volksgemeinschaft gleichen Blutes 11 Der politische Impuls der voumllkischen Beweshygung richtete sich aus diesem Grund nicht primaumlr gegen die alten Eliten Vielshymehr teilte er mit ihnen die gleichen Feindbilder wie das internationale Judenshytum oder den volkszerstoumlrerischen Bolschewismus und manifestierte sich im Kampf gegen alles Un- oder Auszligervoumllkische Die meisten Voumllkischen wollten sich von den Niederungen der Parteipolitik fernhalten und sahen ihre Aufgabe in erster Linie auf weltanschaulichem Gebiet Von daher wird verstaumlndlich warum in der voumllkischen Bewegung die Begruumlndung fuumlr eine rassische Houmlhershywertigkeit des deutschen Volkes mit zahlreichen Entwuumlrfen zur Aufartung

9 Ich folge hier Kosellecks Ausfuumlhrungen ebd S 388 f 10 Schwaben und Preuszligen Hand in Hand Der Nord der Suumld ein Heer Was ist des Deutshy

schen Vaterland - Wir fragens heut nicht mehr [ ] Fuumlr deutsche Sitt und Art - Fuumlr jeden heilgen Hort Hurra Zur Kriegsfahrt Hurra hurra hurra Hurra Germania Ferdinand Freiligrath Hurra Germania (2571870) In Paul ~aunert (Hg) Freilishygraths Werke Band 2 Leipzig 1912 S 146-148

11 Zur Vorstellung des Rassenadels vgl besonders Alexandra Gerstner Rassenadel und Sozialaristokratie Adelsvorstellungen in der voumllkischen Bewegung 1890-19142 korr Auflage Berlin 2006 dies Neuer Adel Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus Darmstadt 2008

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Aufnordung oder Aufrassung einherging die sich je nach Geschmack und Neigung diesen oder jenen Lebensbereich zum Aktionsfeld erkoren

Dem voumllkischen Denken war das deutsche Volk weniger politisches Subjekt und das Resultat profaner geschichtlicher Entwicklungen als der nur aumluszligerliche Ausdruck eines im Metaphysischen wurzelnden Volksgeistes dem es entweder gelang in der Welt Gestalt anzunehmen oder der von boumlsen Maumlchten an seimiddot ner Entfaltung gehindert wurde So wie von einem voumllkischen Blickwinkel aus das Vorhandensein dieser mythischen Tiefendimension das Wesen des deutshyschen Volkes charakterisierte so ihr Fehlen das der anderen Voumllker Aus voumllkishyscher Sicht bestand die Mission der Deutschen darin das Banner wirklicher Ideale gegen die Vergoumltzung des Materiellen und Oumlkonomischen aufzupflanzen um auf diese Weise seiner ihm vom Schicksal zugewiesenen Rolle in Europa gerecht zu werden Die voumllkische Vorstellung von Deutschland als dem ausershywaumlhlten Volk der Geschichte loumlste die Idee des christlichen Volksstaates ab die dem Deutschen Reich davor die Aufgabe zugesprochen hatte als populus electi und neues Israel eine besondere geschichtliche Bestimmung zu erfuumlllen Doch im 19 Jahrhundert hatten sich die aumluszligeren Bedingungen fuumlr eine religioumls imashyginierte politische Heilsgeschichte so gravierend veraumlndert dass die christliche Grundlage des Deutschtums und seiner Mission in der Welt zunehmend in Frashyge gestellt wurde Von einer stetig wachsenden Zahl an Menschen wurde der religioumlse Alleinvertretungsanspruch der etablierten Kirchen nicht mehr so ohne Weiteres hingenommen Viele erachteten das Angebot christlicher Sekten oder neu in Erscheinung tretender Glaubensgemeinschaften gaumlnzlich ohne Bezug zum Christentum als attraktive Alternative zu traditionellen Formen der Kirchshylichkeit die nicht mehr mit den Anforderungen einer modernen Lebensfuumlhrung in Uumlbereinstimmung gebracht werden konnten Vor allem in der Arbeiterschaft und unter buumlrgerlichen Intellektuellen nahm der Anteil derjenigen dramatisch zu die sich ganz vom Christentum abkehrten Parallel zu einer staumlrkeren Plurashylisierung der religioumlsen Verhaumlltnisse gewann die Anschauung Oberhand dass die christliche Religion keine Antwort auf die draumlngenden Probleme der Zeit zu geben vermochte ja dass diese vielleicht sogar auf ihr Schuldkonto zu setzen seien Die voumllkische Bewegung nahm deshalb bereits im Kaiserreich eine antishykirchliche und zum Teil auch fundamental antichristliche Form an Ihr Kampf musste sich zwangslaumlufig gegen eine Staatskirche richten die als Teil der politishyschen Reaktion und des gesellschaftlichen Establishments galt und von der keishyne zukunftsweisenden Impulse fuumlr eine Erneuerung Deutschlands zu erwarten waren

Daruumlber darf nicht vergessen werden dass der voumllkische Impuls auch innershyhalb des Christentums eine besondere Dynamik entfaltete Indem das Volk als eigenstaumlndige Groumlszlige in den Vordergrund der theologischen Diskussionen trat erhielten diese einen voumllkischen Einschlag der uumlber volksmissionarische oder sozialethische Fragestellungen weit hinausging und der nicht selten auch eine hiologistische Komponente beinhaltete Volk und Volkstum wurden dabei zu Traumlgern des Geschichtswillens Gottes und zu einem natuumlrlichen Bestandteil der

73 72 Horst Junginger

goumlttlichen Schoumlpfungsordnung erklaumlrt Beispielsweise entwickelte der voumllkische Publizist Wilhelm Stapel im Anschluss an Houston Stewart Chamberlain eine spezielle Volksnomostheologie deren Volksnomos er als religioumlses Artgesetz bezeichnete dem man sich nicht ohne gravierende Folgen entziehen konnte Den herkoumlmmlichen Nationalismus der kaiserlichen Monarchie und die ihn chashyrakterisierende Verbindung von Deutschtum und Christentum hinter sich lasshysend veroumlffentlichte Stapel in der liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt waumlhrend des Ersten Weltkriegs einen Aufsatz mit dem bezeichshynenden Titel Warum ich nicht zu Gott sondern zum deutschen Gott bete in dem er die von ihm unter betont antiuniversalistischen Gesichtspunkten entwishyckelten Begriffe der Volkheit des Volkswillens und der Volksseele in den Rang goumlttlicher Gesetze erhob 12 Diese Aufwertung des deutschen Volk zu einer zenshytralen Instanz im Heilsplan Gottes musste auch eine neue Interpretation des gekreuzigten Messias nach sich ziehen Konsequenterweise wandelte sich die Vorstellung vom leidenden Erloumlser dabei in eine des heldenhaften Kaumlmpfers und kulminierte in einem Teil der voumllkischen Bewegung zur Gestalt des arischen Krist13 So mit dem germanischen Erbgut des deutschen Volkes in Verbindung gebracht verkoumlrperte der christliche Gottessohn die sieghafte Uumlberwindung des Boumlsen wie es durch die Juden einem Volk aus dem Orient in die Welt gebracht wurde Selbst viele Neuheiden hielten an einem auf diese Weise germanisiershyten Christusbild fest und hatten Muumlhe sich mit solchen Vertretern der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung zu verstaumlndigen die eine aggressivantichristliche Haltung vertraten und die in ihrem Kampf gegen das juumldische Christentum seinen Stifshyter keinesfalls ausnehmen wollten

Ungeachtet aller religioumlsen Gegensaumltze konnte der voumllkische Aufbruch sowohl eine christliche wie eine antichristliche Form annehmen In beiden Faumllshylen stand die Bezugnahme auf den Rassegedanken im Zentrum der Uumlberlegunshygen und in beiden Faumlllen bezog die Verknuumlpfung von religioumlser und politischer Heilsgeschichte ihre imaginative Kraft aus der Vorstellung der gemeinsamen Abstammung und des gemeinsamen Blutes Ob die Verbindung von Rasse und Religion unter christlichen oder unter paganen Vorzeichen gedacht wurde war dabei zweitrangig Mochten sich die religioumlsen Anspruumlche der Deutsch- und Gershymanischglaumlubigen und der Deutschen Christen auch fundamental widerspreshychen so wurde die Idee der Rasse doch in beiden Lagern zum Dreh- und Angelshypunkt fuumlr all diejenigen die an eine religioumlse Erneuerung auf voumllkischer Grundlage glaubten In beiden Varianten voumllkisch-religioumlsen Denkens kam dem volks- und rassefremden Judentum die Funktion eines ideologischen Gegenshymodells zu an dem sich die eigene Position eines arischen Christentums bzw arischen Paganentums entwickeln lieszlig Dabei gilt es aber zu beachten dass sich der Antisemitismus der Deutschen Christen durch eine heilsgeschichtliche

12 Vgl Thomas Martin Schneider Volksnomostheologie In Haar Fahlbusch (Hg) Handshybuch voumllkischer Wissenschaften S 721-729 hier 724 f

13 Siehe hierzu besonders den Beitrag von Martin Leutzsch in diesem Band

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Dimension auszeichnete die bei den Deutschglaumlubigen fehlte Diese sahen in den Juden in erster Linie ein politisches und kein religioumlses Problem das etwa dazu angetan gewesen waumlre ihr eigenes Seelenheil zu gefaumlhrden Aus Sicht der Deutschen Christen hatte das juumldische Volk den Messias und Erloumlser der Welt ermordet und mit dem Deizid das schwerstmoumlgliche aller nur denkbaren Vershybrechen begangen Seit annaumlhernd 2000 Jahren verkoumlrperten die Juden das negative Prinzip und schlechthin Boumlse im christlichen Heilsgeschehen Bei den lgteutschglaumlubigen war das nicht der Fall Ihren religioumlsen Zielen und politischen Anspruumlchen an den Staat stand die christliche Kirche im Weg nicht das juumldishyliche Volk Was die Deutsche Glaubensbewegung und die Glaubensbewegung Deutsche Christen hingegen miteinander verband war ein sich religioumls artikushylierendes Auserwaumlhltheitsdenken das auf der Annahme einer gemeinsamen Bluts- und Abstammungsgemeinschaft basierte Der Glaube an Deutschland als dem von der Geschichte und den goumlttlichen Maumlchten fuumlr besondere Aufgaben vorgesehenen Volk sprach dem Blut eine magische Kraft zu die es dem Deutshylehen Reich ermoumlglichen wuumlrde einen Platz an der Spitze der europaumlischen Nationen einzunehmen

Ernst Bergmann als fuumlhrender Theoretiker und Ideologe der deutschglaumlubigen Bewegung

Der seit 1916 an der Universitaumlt Leipzig als auszligerplanmaumlszligiger Philosophieproshyfessor lehrende Ernst Bergmann ist in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der deutschglaumlubigen Bewegung Aufgrund seines weltanschaulichen Schrifttums und wegen seiner Mitgliedschaft im Fuumlhrerrat der im Juli 1933 gegruumlndeten Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung (ADG) galt er als einer der II nuptintellektuellen des voumllkischen Paganentums Am 7 Februar 1934 wurde ein Buch Die deutsche Nationalkirche von der katholischen Kirche auf den

Index gesetzt Der genauere Blick auf seine weltanschauliche Entwicklung und Iluf seine nicht unproblematische Beziehung zur Deutschen Glaubensbewegung l ii~s t erkennen mit welchen ideologischen und organisatorischen Schwierigkeishytl n die wichtigste Religionsgemeinschaft aus dem Spektrum des Neuheidenshytums waumlhrend des Dritten Reiches konfrontiert war

Als Sohn eines promovierten evangelischen Pfarrers wuchs Bergmann im rfurrhaus zu Groszligroumlhrsdorf in der Naumlhe Dresdens auf und machte nach dem Shulbesuch in der Meiszligener Fuumlrstenschule St Afra am humanistischen Gymshy11IIbium in Dresden-Neustadt das Abitur Urspruumlnglich wollte er wie sein Vater d ll0 kirchliche Laufbahn einschlagen und Pfarrer werden Doch dann begann

I an der Universitaumlt Leipzig zu studieren wo er 1905 promoviert wurde und 19 10 habilitierte Waumlhrend des Ersten Weltkriegs meldete sich Bergmann freishyWillig zum Kriegseinsatz 1916 verletzte er sich jedoch bei einem Unfall in der Militaumlrfljegerschule Leipzig-Mockau so schwer dass er als frontuntauglich einshy

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

67 66 Horst lunginger

mierten oder auch nur als Epitheton ornans im Namen fuumlhrten lassen sich drei weltanschauliche Gemeinsamkeiten einer voumllkisch-religioumlsen Programmatik erkennen erstens die Gegnerschaft zu den christlichen Kirchen zweitens die positive Berufung auf eine vor- oder auszligerchristliche religioumlse Tradition die vorshyzugsweise mit den Germanen oder Indogermanen in Verbindung gebracht wurshyde und drittens die Bezugnahme auf den Rassegedanken Die Verbindung von Rasse und Religion suggerierte nicht nur eine besondere Verankerung in der deutschen Geschichte sondern auch die Uumlbereinstimmung mit den Prinzipien der modernen Wissenschaft deren Fehlen dem christlichen uumlffenbarungs- und Wunderglauben als entscheidendes Manko angekreidet wurde Zudem konnte man das Christentum mit rassischen Argumenten als juumldisch und fremdvoumllkisch denunzieren und sich so auf Kosten der Kirchen profilieren Eine allgemeine Bestimmung voumllkisch-paganer Religiositaumlt uumlber die inhaltlichen Stellungnahmen ihrer Fuumlhrer erweist sich aber wegen der groszligen Heterogenitaumlt ihrer religioumlsen Bekenntnisse als uumlberaus vertrackt Real- oder Wesensdefinitionen bewegen sich in der Religionsgeschichte generell auf schwankendem Grund weil ihr Definishyendum weit davon entfernt ist eine feststehende oder auch nur klar umrissene Groumlszlige zu sein Es unterliegt einer Vielzahl religioumlser und nichtreligioumlser Einshyflussfaktoren und verfestigt sich auch bei den sogenannten uumlffenbarungsreligioshynen erst im Laufe heftiger weltanschaulicher Auseinandersetzungen deren Resultate selbst wiederum angezweifelt und modifiziert werden Glaubensausshysagen stehen deshalb zwar im Mittelpunkt jeder theologischen Systematik taushygen jedoch nur sehr bedingt dazu als Kriterium einer religionswissenschaftshylichen Kategorienbildung zu dienen Wie sollen neue Religionen wie die Deutsche Glaubensbewegung anhand der religioumlsen Inhalte beurteilt und klasshysifiziert werden wenn selbst ihre Anhaumlnger nur sehr verschwommene und haumlushyfig disparate Vorstellungen daruumlber hatten worin ihr eigener Glaube bestand

Aber auch Nominaldefinitionen sind wegen der uumlber viele Jahrhunderte hinweg ausgebildeten Dominanz einer christlich gepraumlgten Sprache schwer anwendbar So eignet sich beispielsweise weder der christliche Gottesbegriff zum allgemeinen Muster des religionsgeschichtlichen Vergleichs noch lassen sich die fuumlr das Christentum essentiellen Suumlnden- und Erloumlsungsvorstellungen ohne Weiteres auf andere religioumlse Traditionen uumlbertragen2 Religioumlse Begriffe und Zuschreibungen folgen nicht per se dem Kriterium der wissenschaftlichen Angemessenheit Im Allgemeinen ist es eine Frage der politischen Macht welshyche Religion und religioumlse Terminologie sich durchsetzt Religionsauffassungen abseits eines christlichen Weltbildes als gottlos und heidnisch zu kennzeichnen war in der Geschichte des Abendlandes lange die Regel und einer der wichtigsshyten Gruumlnde fuumlr die Entstehung eines sich selbst bewusst werdenden Paganenshytums Subjektive Glaubensaumluszligerungen uumlber die Wahrheit oder Falschheit einer

2 Die Frage der Verallgemeinerbarkeit einer religio nswissenschaftlichen im Unterschied zu einer religioumlsen Terminologie bildet den Ausgangspunkt des fuumlntbaumlndigen Handshybuchs religionswissenschaftJicher Grundbegriffe Hg von Hubert Cancik Burkhard Gladigow Matthias Laubscher Karl-Heinz Kohl Stuttgart 1988- 2001

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Religion sind als Grundlage der religionswissenschaftlichen Systematik prinzishypiell ungeeignet Die religionshistorische Einordnung der voumllkisch-religioumlsen Bewegung wird zusaumltzlich dadurch erschwert dass sich diese sehr stark uumlber die Abgrenzung vom Christentum definierte aber noch in der Negation erkennen laumlsst wie sehr ihre Programmatik durch christliche oder parachristliche Elemenshyte gepraumlgt wurde Jede neue Religion ist zu Beginn darauf angewiesen Anleihen bei bereits bestehenden Religionsformen zu machen mit dem Ergebnis schwer zu differenzierender Mischbildungen und Synkretismen Abgesehen von dem subjektiven Wahrheitsbegriff aller Religionen beruhte die voumllkische Instrumenshytalisierung der germanischen oder indogermanischen Religionsgeschichte aber auch in starkem Maszlige auf objektiven Irrtuumlmern und Missdeutungen die weder die taciteische Interpretatio Romana noch den Mangel an paganer Authentizitaumlt einer durch christliche Moumlnche gepraumlgten Quellenuumlberlieferung zur Kenntnis nehmen wollte 3 Insofern laumlsst sich die nur wenige Jahre bestehende Deutsche Glaubensbewegung als Paradebeispiel einer invented tradition bezeichnen 4

Die Religionsgeschichte des Dritten Reiches stellt keinen Sonderfall des allshygemeinen Musters hegemonialer Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit uumlber religioumlse Begriffe und Konzepte dar Der Streit uumlber den neu auszutarieshyrenden Status der christlichen Kirchen im nationalsozialistischen Staat wurde nur zum Teil entlang der religioumlsen Konfliktlinien zwischen Christen- und Heishydentum gefuumlhrt Er betraf auch innerkirchliche Problemstellungen und den alles andere als neuen Anspruch des Staates den Einfluss der Kirchen auf den Bereich des Religioumlsen zu begrenzen Eine fundierte Analyse dieser Kaumlmpfe um die fuumlr das nationalsozialistische Deutschland am besten geeignete Religion steht vor allem deswegen noch aus weil es bislang weder der Geschichts- noch der Religionswissenschaft gelungen ist das Phaumlnomen der voumllkischen Religiositaumlt in seiner Bedeutung fuumlr den Nationalsozialismus angemessen zu beurteilen Zwar hat sich mittlerweile eine differenziertere Betrachtung der katholischen und evangelischen Kirche Geltung verschaffen koumlnnen Doch im Hinblick auf die nichtchristliche Religionsgeschichte wird das Bild noch weithin durch die simpshylifizierende und die fruumlheren Auseinandersetzungen mehr fortschreibende als analysierende Darstellung des sogenannten Kirchenkampfes bestimmt Verwenshydet man die Kategorie des Voumllkischen als uumlber- oder Gattungsbegriff fuumlr die paganen Religionsgemeinschaften des Dritten Reiches bedarf es einer genaushyen Darlegung dessen was unter dem Ausdruck voumllkisch zu verstehen ist und wie man in diesem Kontext die Deutschen Christen zu beurteilen hat die ebenshy

3 Vgl hi erzu den informativen Sammelband von Heinrich Beck u a (Hg) Zur Geschichte der Gleichung germanisch-deutsch Sprache und Namen Geschichte und Institutionen Berlin 2004

4 Bei dem vo n Eric Hobsbawm und Terence Ranger in die Diskussion eingefuumlhrten Konshyzept der Erfindung einer Tradition ist zu beriicksichtigen dass der englische Ausshydruck invention weniger den Aspekt der betruumlgerischen Absicht sondern den der kreativen Imagination betont Es geht hier um das phantasiebegabte Finden oder Aufshyfinden neuer Religionsformen und nicht um eine bewusste Erfindung im Sinne der alten Priestertrugstheorie

69 68 Horst lunginger

falls eine rassische Verabsolutierung des deutschen Volkes unter religioumlsen Vorshyzeichen anstrebten Wird das Gewicht dabei zu sehr auf den Gesichtspunkt konshytroverstheologischer Inhalte gelegt laumlsst sich die voumllkische Dimension der Glaushybensbewegung Deutsche Christen und der Deutschen Glaubensbewegung nicht auf der gleichen Strukturebene abhandeln Es kommt deswegen entscheidend darauf an von allen religioumlsen Wesensaussagen Abstand zu nehmen und einen empirisch gehaltvolleren Religionsbegriff zur Anwendung zu bringen der sowohl substantielle als auch funktionale Aspekte beruumlcksichtigt 5 Wirklich inteshyressant und anspruchsvoll wird die wissenschaftliche Erforschung der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung an ihren Raumlndern und in den Grenzbereichen hin zu libeshyralen freireligioumlsen oder wertkonservativen Milieus Das gilt besonders fuumlr die Schnittstelle zwischen einer voumllkischen und freigeistigen Weitsicht auf die am Beispiel Ernst Bergmanns im folgenden Abschnitt naumlher eingegangen wird Solshyche Uumlberlappungen und die zum Teil flieszligenden Uumlbergaumlnge sollten Ansporn dazu sein die Problematik einer sachgerechten Klassifikation nicht aus den Augen zu verlieren und die Stringenz der vorgenommenen Einteilung im Licht des jeweils neuesten Forschungsstandes kritisch zu hinterfragen Das hohe Niveau das mittlerweile in der Diskussion uumlber die Angemessenheit des Konshyzepts der Konservativen Revolution erreicht wurde ist ein gutes Beispiel fuumlr den Erkenntnisgewinn den eine fakten- und diskursorientierte Vorgehensweise jenseits ideologischer Voreingenommenheit bietet Auch die voumllkische Beweshygung stellt eine besondere Herausforderung fuumlr die wissenschaftliche Typenbilshydung dar die nicht zuletzt aus Mangel an einer zuverlaumlssigen Materialgrundshylage fuumlr die Zeit nach 1933 bislang nur in ersten Ansaumltzen in Angriff genommen wurde

Jeder der sich intensiver mit der voumllkischen Bewegung beschaumlftigt weiszlig um die Schwierigkeit die Spezifik des Wortes voumllkisch genau zu erfassen6 Es handelt sich bei dem Ausdruck voumllkisch nicht lediglich um ein neutrales Bezieshyhungswort oder um ein Adjektiv von Volk im Sinne vonvolkhaft odervolkshylich sondern um ein hochgradig aufgeladenes Mythologem dessen Aufkomshymen eng mit der politischen Entwicklung Deutschlands in Zusammenhang steht Die fuumlr das voumllkische Denken charakteristische Uumlberhoumlhung der Volksidee hatte nicht zuletzt die Funktion die im Vergleich zu anderen europaumlischen Staaten erst sehr spaumlt erfolgte Nationalstaatsbildung Deutschlands ideologisch zu komshypensieren Das deutsche Volk wurde dabei als eine den politischen Macht- und Vertragsgedanken transzendierende Einheit aufgefasst deren ideelle Ziele angeblich im Gegensatz zu den niederen lediglich materiellen Interessen stanshyden von denen sich andere Nationen leiten lieszligen Im Gefolge des Deutschshy

5 Zum Problem einer angemessenen Religionsbestimmung vgl Guumlnter Kehrer Religion Definition der In Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Band 4 Stuttshygart 1998 S 418-425

6 Ich schlieszlige im Folgenden an meine Ausfuumlhrungen in dem Artikel Voumllkische Religionsshywissenschaft in Ingo Haar Michael Fahlbusch (Hg) Handbuch der voumllkischen Wisshysenschaften Muumlnchen 2008 S 204-213 an

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Franzoumlsischen Krieges erhielt die voumllkische Ideologie ihre spezifische Auspraumlshygung eines geistigen Hypernationalismus dessen Zusammengehoumlrigkeitsgefuumlhl sich zunehmend auf rassische Vorstellungen stuumltzte die am Ende des 19 Jahrshyhunderts an Einfluss gewannen Der das voumllkische Denken kennzeichnende ideologische Uumlberschuss speiste sich aus der Vorstellung einer Volksgemeinshyschaft gleichen Blutes Er laumlsst sich mit den Kategorien eines gewoumlhnlichen Nationalismus nur ungenau beschreiben Das ist auch der Grund dafuumlr warum das Wort voumllkisch nicht adaumlquat ins Englische Franzoumlsische oder eine andeshyre europaumlische Sprache uumlbersetzt werden kann Gleiches gilt fuumlr viele andere Begriffe aus dem Wortfeld des Voumllkischen fuumlr die es ebenfalls keine angemesshysenen fremdsprachlichen Aumlquivalente gibt Zu denken ist hier an die Volksshybuumlcherei die Volksdeutschen den Volksfeind die Volksgemeinschaft den Volksshygenossen den Volksgerichtshof die Volkskirche die Volksschule das Volkstum oder die Volkswohlfahrt Die sich dafuumlr etwa im Englischen oder Franzoumlsischen anbietenden Umschreibungen mit ethnic ethnic national national oder peoshyple peuple geben das vom Wort voumllkisch Gemeinte nur unzureichend wider Residuen voumllkischen Denkens haben sich in der deutschen Sprache bis heute l~rhalten So suggeriert die Automarke Volkswagen noch immer eine volkliche Einheit jenseits der Grenzen von Stand und KJassenzugehoumlrigkeit 7

Obwohl die voumllkische Ideologie in der kriegerischen Auseinandersetzung ihre eigentliche Erfuumlllung findet und das friedliche Nebeneinander mehrerer voumllkishyscher Einheiten ein Widerspruch in sich waumlre darf nicht vergessen werden dass der um 1800 zu einem politischen Schluumlsselbegriff werdende Ausdruck Volk 11m Anfang eine deutlich demokratische Komponente enthielt und auf eine staumlrshykere Einbeziehung des sogenannten niederen Volkes abzielte Die urspruumlngliche Nobilitierung des Volksbegriffs wie sie etwa bei Herder zu finden ist verlieh einem politischen Freiheitsideal Ausdruck in dem die Kollektivpersoumlnlichkeit ues Volkes als eine Einheit von Gleichberechtigten gedacht wurde Noch frei von einem voumllkischen Chauvinismus und der Abwertung anderer Nationen hcinhaltete das fruumlhe Volksdenken die Inklusion des gemeinen Volkes und konstituierte sich in der Abgrenzung gegen den sich durch Dekadenz und Vershychwendungssucht auszeichnenden deutschen Adel Noch gestern Bruumlder wart

Ih r nur ein Haufen ein Volk 0 Bruumlder seid ihr heut heiszligt es etwa 1858 bei Fcrdinand Freiligrath8 Die freiheitliche Ausrichtung einer ehedem staumlndestaat-

Dass sich der Oberklassewagen Phaeton der hierauf keinen Bezug nimmt oder sogar hewusst dagegen verstoumlszligt nur schlecht verkaufen laumlsst ist deswegen nicht verwundershylich Die Parallelisierung zwischen Volks- und Wolfswagen bzw Wolfsburg (Hitler~ Spitzname war Wolf) beduumlrfte einer fundierteren Darstellung als bei Hans-Joumlrg WohlshyrrommGisela Wohlfromm Deckname Wolf Hitlers letzter Sieg Berlin 2001 Der Kuumlbelwagen oder VW Typ 82 als militaumlrische Variante des Volkswagens der wie ein Wolf laumluft und laumluft und seine Opfer durch die Weiten Russlands jagt ist augenfaumllliges Symbol einer sich im Krieg erfuumlllenden voumllkischen Volksidee

11 Zitiert nach dem umfangreichen Artikel von Reinhart Koselleck Volk Nation Massc In Otto Brunner Werner ConzeReinhart Koselleck (Hg) Geschichtliche Grundbc ~riffc Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Band 7 Sluttgart 1992 S 141-431 hier 147

71 70 Horst Junginger

Iilhen Volksidee und die Politisierung eines vorstaatlichen Nationsbegriffs lrhielten nach der gescheiterten Revolution von 1848 freilich eine antidemokrashytische und nach dem Krieg gegen Frankreich eine stark nationalistische Einfaumlrshybung9 Kurz nach Kriegsbeginn verfasste Freiligrath ehemaliges Mitglied im Bund der Kommunisten im patriotischen Uumlberschwang sein bekanntes Gedicht Hurra Germania und wurde so zum Wortgeber fuumlr den deutschen Hurrashypatriotismus 10 Die Kaiserproklamation in Versailles und der fuumlnf Wochen spaumlshyter am 26 Februar 1871 ebenfalls in Versailles geschlossene Praumlliminarfriede sind die entscheidenden politischen Ereignisse die den Uumlbergang der demokrashytischen Volksidee zur antiegalitaumlren und antiparlamentarischen Ideologie der voumllkischen Bewegung markieren

Mit dem Aufkommen der modernen Rassentheorie bot sich dem voumllkischen Denken am Ende des 19 Jahrhunderts die Moumlglichkeit die fehlende Teilhabe des Volkes an der politischen Macht durch die Zugehoumlrigkeit zu einer virtuelshylen Machtelite der Rasse ideologisch zu kompensieren Uumlber den Gedanken der ideellen Gleichheit aller Angehoumlrigen gleicher Rasse konnte die auf politischer Ungleichheit beruhende kaiserliche Monarchie kritisiert und gewissermaszligen demokratisiert werden indem die Elitekonzeption des Blutadels popularisiert und von den deutschen Fuumlrstenhaumlusern auf das gesamte deutsche Volk uumlbertrashygen wurde Das von der voumllkischen Ideologie nicht erfundene sondern nur vershybreiterte Konzept einer Herrschaftslegitimation durch Geburt und Abstammung ermoumlglichte es allen Mitgliedern der gleichen Rasse sich unabhaumlngig vom tatshysaumlchlichen gesellschaftlichen Stand als Teil einer gemeinsamen Werte- und Machtelite zu verstehen Die Propagierung eines besonderen Adels der Rasse bedeutete deshalb keine Kritik am Modell der politischen Ungleichheit sondern die Uumlbertragung traditioneller Adelsvorstellungen auf die Neoaristokratie der Volksgemeinschaft gleichen Blutes 11 Der politische Impuls der voumllkischen Beweshygung richtete sich aus diesem Grund nicht primaumlr gegen die alten Eliten Vielshymehr teilte er mit ihnen die gleichen Feindbilder wie das internationale Judenshytum oder den volkszerstoumlrerischen Bolschewismus und manifestierte sich im Kampf gegen alles Un- oder Auszligervoumllkische Die meisten Voumllkischen wollten sich von den Niederungen der Parteipolitik fernhalten und sahen ihre Aufgabe in erster Linie auf weltanschaulichem Gebiet Von daher wird verstaumlndlich warum in der voumllkischen Bewegung die Begruumlndung fuumlr eine rassische Houmlhershywertigkeit des deutschen Volkes mit zahlreichen Entwuumlrfen zur Aufartung

9 Ich folge hier Kosellecks Ausfuumlhrungen ebd S 388 f 10 Schwaben und Preuszligen Hand in Hand Der Nord der Suumld ein Heer Was ist des Deutshy

schen Vaterland - Wir fragens heut nicht mehr [ ] Fuumlr deutsche Sitt und Art - Fuumlr jeden heilgen Hort Hurra Zur Kriegsfahrt Hurra hurra hurra Hurra Germania Ferdinand Freiligrath Hurra Germania (2571870) In Paul ~aunert (Hg) Freilishygraths Werke Band 2 Leipzig 1912 S 146-148

11 Zur Vorstellung des Rassenadels vgl besonders Alexandra Gerstner Rassenadel und Sozialaristokratie Adelsvorstellungen in der voumllkischen Bewegung 1890-19142 korr Auflage Berlin 2006 dies Neuer Adel Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus Darmstadt 2008

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Aufnordung oder Aufrassung einherging die sich je nach Geschmack und Neigung diesen oder jenen Lebensbereich zum Aktionsfeld erkoren

Dem voumllkischen Denken war das deutsche Volk weniger politisches Subjekt und das Resultat profaner geschichtlicher Entwicklungen als der nur aumluszligerliche Ausdruck eines im Metaphysischen wurzelnden Volksgeistes dem es entweder gelang in der Welt Gestalt anzunehmen oder der von boumlsen Maumlchten an seimiddot ner Entfaltung gehindert wurde So wie von einem voumllkischen Blickwinkel aus das Vorhandensein dieser mythischen Tiefendimension das Wesen des deutshyschen Volkes charakterisierte so ihr Fehlen das der anderen Voumllker Aus voumllkishyscher Sicht bestand die Mission der Deutschen darin das Banner wirklicher Ideale gegen die Vergoumltzung des Materiellen und Oumlkonomischen aufzupflanzen um auf diese Weise seiner ihm vom Schicksal zugewiesenen Rolle in Europa gerecht zu werden Die voumllkische Vorstellung von Deutschland als dem ausershywaumlhlten Volk der Geschichte loumlste die Idee des christlichen Volksstaates ab die dem Deutschen Reich davor die Aufgabe zugesprochen hatte als populus electi und neues Israel eine besondere geschichtliche Bestimmung zu erfuumlllen Doch im 19 Jahrhundert hatten sich die aumluszligeren Bedingungen fuumlr eine religioumls imashyginierte politische Heilsgeschichte so gravierend veraumlndert dass die christliche Grundlage des Deutschtums und seiner Mission in der Welt zunehmend in Frashyge gestellt wurde Von einer stetig wachsenden Zahl an Menschen wurde der religioumlse Alleinvertretungsanspruch der etablierten Kirchen nicht mehr so ohne Weiteres hingenommen Viele erachteten das Angebot christlicher Sekten oder neu in Erscheinung tretender Glaubensgemeinschaften gaumlnzlich ohne Bezug zum Christentum als attraktive Alternative zu traditionellen Formen der Kirchshylichkeit die nicht mehr mit den Anforderungen einer modernen Lebensfuumlhrung in Uumlbereinstimmung gebracht werden konnten Vor allem in der Arbeiterschaft und unter buumlrgerlichen Intellektuellen nahm der Anteil derjenigen dramatisch zu die sich ganz vom Christentum abkehrten Parallel zu einer staumlrkeren Plurashylisierung der religioumlsen Verhaumlltnisse gewann die Anschauung Oberhand dass die christliche Religion keine Antwort auf die draumlngenden Probleme der Zeit zu geben vermochte ja dass diese vielleicht sogar auf ihr Schuldkonto zu setzen seien Die voumllkische Bewegung nahm deshalb bereits im Kaiserreich eine antishykirchliche und zum Teil auch fundamental antichristliche Form an Ihr Kampf musste sich zwangslaumlufig gegen eine Staatskirche richten die als Teil der politishyschen Reaktion und des gesellschaftlichen Establishments galt und von der keishyne zukunftsweisenden Impulse fuumlr eine Erneuerung Deutschlands zu erwarten waren

Daruumlber darf nicht vergessen werden dass der voumllkische Impuls auch innershyhalb des Christentums eine besondere Dynamik entfaltete Indem das Volk als eigenstaumlndige Groumlszlige in den Vordergrund der theologischen Diskussionen trat erhielten diese einen voumllkischen Einschlag der uumlber volksmissionarische oder sozialethische Fragestellungen weit hinausging und der nicht selten auch eine hiologistische Komponente beinhaltete Volk und Volkstum wurden dabei zu Traumlgern des Geschichtswillens Gottes und zu einem natuumlrlichen Bestandteil der

73 72 Horst Junginger

goumlttlichen Schoumlpfungsordnung erklaumlrt Beispielsweise entwickelte der voumllkische Publizist Wilhelm Stapel im Anschluss an Houston Stewart Chamberlain eine spezielle Volksnomostheologie deren Volksnomos er als religioumlses Artgesetz bezeichnete dem man sich nicht ohne gravierende Folgen entziehen konnte Den herkoumlmmlichen Nationalismus der kaiserlichen Monarchie und die ihn chashyrakterisierende Verbindung von Deutschtum und Christentum hinter sich lasshysend veroumlffentlichte Stapel in der liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt waumlhrend des Ersten Weltkriegs einen Aufsatz mit dem bezeichshynenden Titel Warum ich nicht zu Gott sondern zum deutschen Gott bete in dem er die von ihm unter betont antiuniversalistischen Gesichtspunkten entwishyckelten Begriffe der Volkheit des Volkswillens und der Volksseele in den Rang goumlttlicher Gesetze erhob 12 Diese Aufwertung des deutschen Volk zu einer zenshytralen Instanz im Heilsplan Gottes musste auch eine neue Interpretation des gekreuzigten Messias nach sich ziehen Konsequenterweise wandelte sich die Vorstellung vom leidenden Erloumlser dabei in eine des heldenhaften Kaumlmpfers und kulminierte in einem Teil der voumllkischen Bewegung zur Gestalt des arischen Krist13 So mit dem germanischen Erbgut des deutschen Volkes in Verbindung gebracht verkoumlrperte der christliche Gottessohn die sieghafte Uumlberwindung des Boumlsen wie es durch die Juden einem Volk aus dem Orient in die Welt gebracht wurde Selbst viele Neuheiden hielten an einem auf diese Weise germanisiershyten Christusbild fest und hatten Muumlhe sich mit solchen Vertretern der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung zu verstaumlndigen die eine aggressivantichristliche Haltung vertraten und die in ihrem Kampf gegen das juumldische Christentum seinen Stifshyter keinesfalls ausnehmen wollten

Ungeachtet aller religioumlsen Gegensaumltze konnte der voumllkische Aufbruch sowohl eine christliche wie eine antichristliche Form annehmen In beiden Faumllshylen stand die Bezugnahme auf den Rassegedanken im Zentrum der Uumlberlegunshygen und in beiden Faumlllen bezog die Verknuumlpfung von religioumlser und politischer Heilsgeschichte ihre imaginative Kraft aus der Vorstellung der gemeinsamen Abstammung und des gemeinsamen Blutes Ob die Verbindung von Rasse und Religion unter christlichen oder unter paganen Vorzeichen gedacht wurde war dabei zweitrangig Mochten sich die religioumlsen Anspruumlche der Deutsch- und Gershymanischglaumlubigen und der Deutschen Christen auch fundamental widerspreshychen so wurde die Idee der Rasse doch in beiden Lagern zum Dreh- und Angelshypunkt fuumlr all diejenigen die an eine religioumlse Erneuerung auf voumllkischer Grundlage glaubten In beiden Varianten voumllkisch-religioumlsen Denkens kam dem volks- und rassefremden Judentum die Funktion eines ideologischen Gegenshymodells zu an dem sich die eigene Position eines arischen Christentums bzw arischen Paganentums entwickeln lieszlig Dabei gilt es aber zu beachten dass sich der Antisemitismus der Deutschen Christen durch eine heilsgeschichtliche

12 Vgl Thomas Martin Schneider Volksnomostheologie In Haar Fahlbusch (Hg) Handshybuch voumllkischer Wissenschaften S 721-729 hier 724 f

13 Siehe hierzu besonders den Beitrag von Martin Leutzsch in diesem Band

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Dimension auszeichnete die bei den Deutschglaumlubigen fehlte Diese sahen in den Juden in erster Linie ein politisches und kein religioumlses Problem das etwa dazu angetan gewesen waumlre ihr eigenes Seelenheil zu gefaumlhrden Aus Sicht der Deutschen Christen hatte das juumldische Volk den Messias und Erloumlser der Welt ermordet und mit dem Deizid das schwerstmoumlgliche aller nur denkbaren Vershybrechen begangen Seit annaumlhernd 2000 Jahren verkoumlrperten die Juden das negative Prinzip und schlechthin Boumlse im christlichen Heilsgeschehen Bei den lgteutschglaumlubigen war das nicht der Fall Ihren religioumlsen Zielen und politischen Anspruumlchen an den Staat stand die christliche Kirche im Weg nicht das juumldishyliche Volk Was die Deutsche Glaubensbewegung und die Glaubensbewegung Deutsche Christen hingegen miteinander verband war ein sich religioumls artikushylierendes Auserwaumlhltheitsdenken das auf der Annahme einer gemeinsamen Bluts- und Abstammungsgemeinschaft basierte Der Glaube an Deutschland als dem von der Geschichte und den goumlttlichen Maumlchten fuumlr besondere Aufgaben vorgesehenen Volk sprach dem Blut eine magische Kraft zu die es dem Deutshylehen Reich ermoumlglichen wuumlrde einen Platz an der Spitze der europaumlischen Nationen einzunehmen

Ernst Bergmann als fuumlhrender Theoretiker und Ideologe der deutschglaumlubigen Bewegung

Der seit 1916 an der Universitaumlt Leipzig als auszligerplanmaumlszligiger Philosophieproshyfessor lehrende Ernst Bergmann ist in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der deutschglaumlubigen Bewegung Aufgrund seines weltanschaulichen Schrifttums und wegen seiner Mitgliedschaft im Fuumlhrerrat der im Juli 1933 gegruumlndeten Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung (ADG) galt er als einer der II nuptintellektuellen des voumllkischen Paganentums Am 7 Februar 1934 wurde ein Buch Die deutsche Nationalkirche von der katholischen Kirche auf den

Index gesetzt Der genauere Blick auf seine weltanschauliche Entwicklung und Iluf seine nicht unproblematische Beziehung zur Deutschen Glaubensbewegung l ii~s t erkennen mit welchen ideologischen und organisatorischen Schwierigkeishytl n die wichtigste Religionsgemeinschaft aus dem Spektrum des Neuheidenshytums waumlhrend des Dritten Reiches konfrontiert war

Als Sohn eines promovierten evangelischen Pfarrers wuchs Bergmann im rfurrhaus zu Groszligroumlhrsdorf in der Naumlhe Dresdens auf und machte nach dem Shulbesuch in der Meiszligener Fuumlrstenschule St Afra am humanistischen Gymshy11IIbium in Dresden-Neustadt das Abitur Urspruumlnglich wollte er wie sein Vater d ll0 kirchliche Laufbahn einschlagen und Pfarrer werden Doch dann begann

I an der Universitaumlt Leipzig zu studieren wo er 1905 promoviert wurde und 19 10 habilitierte Waumlhrend des Ersten Weltkriegs meldete sich Bergmann freishyWillig zum Kriegseinsatz 1916 verletzte er sich jedoch bei einem Unfall in der Militaumlrfljegerschule Leipzig-Mockau so schwer dass er als frontuntauglich einshy

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

69 68 Horst lunginger

falls eine rassische Verabsolutierung des deutschen Volkes unter religioumlsen Vorshyzeichen anstrebten Wird das Gewicht dabei zu sehr auf den Gesichtspunkt konshytroverstheologischer Inhalte gelegt laumlsst sich die voumllkische Dimension der Glaushybensbewegung Deutsche Christen und der Deutschen Glaubensbewegung nicht auf der gleichen Strukturebene abhandeln Es kommt deswegen entscheidend darauf an von allen religioumlsen Wesensaussagen Abstand zu nehmen und einen empirisch gehaltvolleren Religionsbegriff zur Anwendung zu bringen der sowohl substantielle als auch funktionale Aspekte beruumlcksichtigt 5 Wirklich inteshyressant und anspruchsvoll wird die wissenschaftliche Erforschung der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung an ihren Raumlndern und in den Grenzbereichen hin zu libeshyralen freireligioumlsen oder wertkonservativen Milieus Das gilt besonders fuumlr die Schnittstelle zwischen einer voumllkischen und freigeistigen Weitsicht auf die am Beispiel Ernst Bergmanns im folgenden Abschnitt naumlher eingegangen wird Solshyche Uumlberlappungen und die zum Teil flieszligenden Uumlbergaumlnge sollten Ansporn dazu sein die Problematik einer sachgerechten Klassifikation nicht aus den Augen zu verlieren und die Stringenz der vorgenommenen Einteilung im Licht des jeweils neuesten Forschungsstandes kritisch zu hinterfragen Das hohe Niveau das mittlerweile in der Diskussion uumlber die Angemessenheit des Konshyzepts der Konservativen Revolution erreicht wurde ist ein gutes Beispiel fuumlr den Erkenntnisgewinn den eine fakten- und diskursorientierte Vorgehensweise jenseits ideologischer Voreingenommenheit bietet Auch die voumllkische Beweshygung stellt eine besondere Herausforderung fuumlr die wissenschaftliche Typenbilshydung dar die nicht zuletzt aus Mangel an einer zuverlaumlssigen Materialgrundshylage fuumlr die Zeit nach 1933 bislang nur in ersten Ansaumltzen in Angriff genommen wurde

Jeder der sich intensiver mit der voumllkischen Bewegung beschaumlftigt weiszlig um die Schwierigkeit die Spezifik des Wortes voumllkisch genau zu erfassen6 Es handelt sich bei dem Ausdruck voumllkisch nicht lediglich um ein neutrales Bezieshyhungswort oder um ein Adjektiv von Volk im Sinne vonvolkhaft odervolkshylich sondern um ein hochgradig aufgeladenes Mythologem dessen Aufkomshymen eng mit der politischen Entwicklung Deutschlands in Zusammenhang steht Die fuumlr das voumllkische Denken charakteristische Uumlberhoumlhung der Volksidee hatte nicht zuletzt die Funktion die im Vergleich zu anderen europaumlischen Staaten erst sehr spaumlt erfolgte Nationalstaatsbildung Deutschlands ideologisch zu komshypensieren Das deutsche Volk wurde dabei als eine den politischen Macht- und Vertragsgedanken transzendierende Einheit aufgefasst deren ideelle Ziele angeblich im Gegensatz zu den niederen lediglich materiellen Interessen stanshyden von denen sich andere Nationen leiten lieszligen Im Gefolge des Deutschshy

5 Zum Problem einer angemessenen Religionsbestimmung vgl Guumlnter Kehrer Religion Definition der In Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Band 4 Stuttshygart 1998 S 418-425

6 Ich schlieszlige im Folgenden an meine Ausfuumlhrungen in dem Artikel Voumllkische Religionsshywissenschaft in Ingo Haar Michael Fahlbusch (Hg) Handbuch der voumllkischen Wisshysenschaften Muumlnchen 2008 S 204-213 an

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Franzoumlsischen Krieges erhielt die voumllkische Ideologie ihre spezifische Auspraumlshygung eines geistigen Hypernationalismus dessen Zusammengehoumlrigkeitsgefuumlhl sich zunehmend auf rassische Vorstellungen stuumltzte die am Ende des 19 Jahrshyhunderts an Einfluss gewannen Der das voumllkische Denken kennzeichnende ideologische Uumlberschuss speiste sich aus der Vorstellung einer Volksgemeinshyschaft gleichen Blutes Er laumlsst sich mit den Kategorien eines gewoumlhnlichen Nationalismus nur ungenau beschreiben Das ist auch der Grund dafuumlr warum das Wort voumllkisch nicht adaumlquat ins Englische Franzoumlsische oder eine andeshyre europaumlische Sprache uumlbersetzt werden kann Gleiches gilt fuumlr viele andere Begriffe aus dem Wortfeld des Voumllkischen fuumlr die es ebenfalls keine angemesshysenen fremdsprachlichen Aumlquivalente gibt Zu denken ist hier an die Volksshybuumlcherei die Volksdeutschen den Volksfeind die Volksgemeinschaft den Volksshygenossen den Volksgerichtshof die Volkskirche die Volksschule das Volkstum oder die Volkswohlfahrt Die sich dafuumlr etwa im Englischen oder Franzoumlsischen anbietenden Umschreibungen mit ethnic ethnic national national oder peoshyple peuple geben das vom Wort voumllkisch Gemeinte nur unzureichend wider Residuen voumllkischen Denkens haben sich in der deutschen Sprache bis heute l~rhalten So suggeriert die Automarke Volkswagen noch immer eine volkliche Einheit jenseits der Grenzen von Stand und KJassenzugehoumlrigkeit 7

Obwohl die voumllkische Ideologie in der kriegerischen Auseinandersetzung ihre eigentliche Erfuumlllung findet und das friedliche Nebeneinander mehrerer voumllkishyscher Einheiten ein Widerspruch in sich waumlre darf nicht vergessen werden dass der um 1800 zu einem politischen Schluumlsselbegriff werdende Ausdruck Volk 11m Anfang eine deutlich demokratische Komponente enthielt und auf eine staumlrshykere Einbeziehung des sogenannten niederen Volkes abzielte Die urspruumlngliche Nobilitierung des Volksbegriffs wie sie etwa bei Herder zu finden ist verlieh einem politischen Freiheitsideal Ausdruck in dem die Kollektivpersoumlnlichkeit ues Volkes als eine Einheit von Gleichberechtigten gedacht wurde Noch frei von einem voumllkischen Chauvinismus und der Abwertung anderer Nationen hcinhaltete das fruumlhe Volksdenken die Inklusion des gemeinen Volkes und konstituierte sich in der Abgrenzung gegen den sich durch Dekadenz und Vershychwendungssucht auszeichnenden deutschen Adel Noch gestern Bruumlder wart

Ih r nur ein Haufen ein Volk 0 Bruumlder seid ihr heut heiszligt es etwa 1858 bei Fcrdinand Freiligrath8 Die freiheitliche Ausrichtung einer ehedem staumlndestaat-

Dass sich der Oberklassewagen Phaeton der hierauf keinen Bezug nimmt oder sogar hewusst dagegen verstoumlszligt nur schlecht verkaufen laumlsst ist deswegen nicht verwundershylich Die Parallelisierung zwischen Volks- und Wolfswagen bzw Wolfsburg (Hitler~ Spitzname war Wolf) beduumlrfte einer fundierteren Darstellung als bei Hans-Joumlrg WohlshyrrommGisela Wohlfromm Deckname Wolf Hitlers letzter Sieg Berlin 2001 Der Kuumlbelwagen oder VW Typ 82 als militaumlrische Variante des Volkswagens der wie ein Wolf laumluft und laumluft und seine Opfer durch die Weiten Russlands jagt ist augenfaumllliges Symbol einer sich im Krieg erfuumlllenden voumllkischen Volksidee

11 Zitiert nach dem umfangreichen Artikel von Reinhart Koselleck Volk Nation Massc In Otto Brunner Werner ConzeReinhart Koselleck (Hg) Geschichtliche Grundbc ~riffc Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland Band 7 Sluttgart 1992 S 141-431 hier 147

71 70 Horst Junginger

Iilhen Volksidee und die Politisierung eines vorstaatlichen Nationsbegriffs lrhielten nach der gescheiterten Revolution von 1848 freilich eine antidemokrashytische und nach dem Krieg gegen Frankreich eine stark nationalistische Einfaumlrshybung9 Kurz nach Kriegsbeginn verfasste Freiligrath ehemaliges Mitglied im Bund der Kommunisten im patriotischen Uumlberschwang sein bekanntes Gedicht Hurra Germania und wurde so zum Wortgeber fuumlr den deutschen Hurrashypatriotismus 10 Die Kaiserproklamation in Versailles und der fuumlnf Wochen spaumlshyter am 26 Februar 1871 ebenfalls in Versailles geschlossene Praumlliminarfriede sind die entscheidenden politischen Ereignisse die den Uumlbergang der demokrashytischen Volksidee zur antiegalitaumlren und antiparlamentarischen Ideologie der voumllkischen Bewegung markieren

Mit dem Aufkommen der modernen Rassentheorie bot sich dem voumllkischen Denken am Ende des 19 Jahrhunderts die Moumlglichkeit die fehlende Teilhabe des Volkes an der politischen Macht durch die Zugehoumlrigkeit zu einer virtuelshylen Machtelite der Rasse ideologisch zu kompensieren Uumlber den Gedanken der ideellen Gleichheit aller Angehoumlrigen gleicher Rasse konnte die auf politischer Ungleichheit beruhende kaiserliche Monarchie kritisiert und gewissermaszligen demokratisiert werden indem die Elitekonzeption des Blutadels popularisiert und von den deutschen Fuumlrstenhaumlusern auf das gesamte deutsche Volk uumlbertrashygen wurde Das von der voumllkischen Ideologie nicht erfundene sondern nur vershybreiterte Konzept einer Herrschaftslegitimation durch Geburt und Abstammung ermoumlglichte es allen Mitgliedern der gleichen Rasse sich unabhaumlngig vom tatshysaumlchlichen gesellschaftlichen Stand als Teil einer gemeinsamen Werte- und Machtelite zu verstehen Die Propagierung eines besonderen Adels der Rasse bedeutete deshalb keine Kritik am Modell der politischen Ungleichheit sondern die Uumlbertragung traditioneller Adelsvorstellungen auf die Neoaristokratie der Volksgemeinschaft gleichen Blutes 11 Der politische Impuls der voumllkischen Beweshygung richtete sich aus diesem Grund nicht primaumlr gegen die alten Eliten Vielshymehr teilte er mit ihnen die gleichen Feindbilder wie das internationale Judenshytum oder den volkszerstoumlrerischen Bolschewismus und manifestierte sich im Kampf gegen alles Un- oder Auszligervoumllkische Die meisten Voumllkischen wollten sich von den Niederungen der Parteipolitik fernhalten und sahen ihre Aufgabe in erster Linie auf weltanschaulichem Gebiet Von daher wird verstaumlndlich warum in der voumllkischen Bewegung die Begruumlndung fuumlr eine rassische Houmlhershywertigkeit des deutschen Volkes mit zahlreichen Entwuumlrfen zur Aufartung

9 Ich folge hier Kosellecks Ausfuumlhrungen ebd S 388 f 10 Schwaben und Preuszligen Hand in Hand Der Nord der Suumld ein Heer Was ist des Deutshy

schen Vaterland - Wir fragens heut nicht mehr [ ] Fuumlr deutsche Sitt und Art - Fuumlr jeden heilgen Hort Hurra Zur Kriegsfahrt Hurra hurra hurra Hurra Germania Ferdinand Freiligrath Hurra Germania (2571870) In Paul ~aunert (Hg) Freilishygraths Werke Band 2 Leipzig 1912 S 146-148

11 Zur Vorstellung des Rassenadels vgl besonders Alexandra Gerstner Rassenadel und Sozialaristokratie Adelsvorstellungen in der voumllkischen Bewegung 1890-19142 korr Auflage Berlin 2006 dies Neuer Adel Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus Darmstadt 2008

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Aufnordung oder Aufrassung einherging die sich je nach Geschmack und Neigung diesen oder jenen Lebensbereich zum Aktionsfeld erkoren

Dem voumllkischen Denken war das deutsche Volk weniger politisches Subjekt und das Resultat profaner geschichtlicher Entwicklungen als der nur aumluszligerliche Ausdruck eines im Metaphysischen wurzelnden Volksgeistes dem es entweder gelang in der Welt Gestalt anzunehmen oder der von boumlsen Maumlchten an seimiddot ner Entfaltung gehindert wurde So wie von einem voumllkischen Blickwinkel aus das Vorhandensein dieser mythischen Tiefendimension das Wesen des deutshyschen Volkes charakterisierte so ihr Fehlen das der anderen Voumllker Aus voumllkishyscher Sicht bestand die Mission der Deutschen darin das Banner wirklicher Ideale gegen die Vergoumltzung des Materiellen und Oumlkonomischen aufzupflanzen um auf diese Weise seiner ihm vom Schicksal zugewiesenen Rolle in Europa gerecht zu werden Die voumllkische Vorstellung von Deutschland als dem ausershywaumlhlten Volk der Geschichte loumlste die Idee des christlichen Volksstaates ab die dem Deutschen Reich davor die Aufgabe zugesprochen hatte als populus electi und neues Israel eine besondere geschichtliche Bestimmung zu erfuumlllen Doch im 19 Jahrhundert hatten sich die aumluszligeren Bedingungen fuumlr eine religioumls imashyginierte politische Heilsgeschichte so gravierend veraumlndert dass die christliche Grundlage des Deutschtums und seiner Mission in der Welt zunehmend in Frashyge gestellt wurde Von einer stetig wachsenden Zahl an Menschen wurde der religioumlse Alleinvertretungsanspruch der etablierten Kirchen nicht mehr so ohne Weiteres hingenommen Viele erachteten das Angebot christlicher Sekten oder neu in Erscheinung tretender Glaubensgemeinschaften gaumlnzlich ohne Bezug zum Christentum als attraktive Alternative zu traditionellen Formen der Kirchshylichkeit die nicht mehr mit den Anforderungen einer modernen Lebensfuumlhrung in Uumlbereinstimmung gebracht werden konnten Vor allem in der Arbeiterschaft und unter buumlrgerlichen Intellektuellen nahm der Anteil derjenigen dramatisch zu die sich ganz vom Christentum abkehrten Parallel zu einer staumlrkeren Plurashylisierung der religioumlsen Verhaumlltnisse gewann die Anschauung Oberhand dass die christliche Religion keine Antwort auf die draumlngenden Probleme der Zeit zu geben vermochte ja dass diese vielleicht sogar auf ihr Schuldkonto zu setzen seien Die voumllkische Bewegung nahm deshalb bereits im Kaiserreich eine antishykirchliche und zum Teil auch fundamental antichristliche Form an Ihr Kampf musste sich zwangslaumlufig gegen eine Staatskirche richten die als Teil der politishyschen Reaktion und des gesellschaftlichen Establishments galt und von der keishyne zukunftsweisenden Impulse fuumlr eine Erneuerung Deutschlands zu erwarten waren

Daruumlber darf nicht vergessen werden dass der voumllkische Impuls auch innershyhalb des Christentums eine besondere Dynamik entfaltete Indem das Volk als eigenstaumlndige Groumlszlige in den Vordergrund der theologischen Diskussionen trat erhielten diese einen voumllkischen Einschlag der uumlber volksmissionarische oder sozialethische Fragestellungen weit hinausging und der nicht selten auch eine hiologistische Komponente beinhaltete Volk und Volkstum wurden dabei zu Traumlgern des Geschichtswillens Gottes und zu einem natuumlrlichen Bestandteil der

73 72 Horst Junginger

goumlttlichen Schoumlpfungsordnung erklaumlrt Beispielsweise entwickelte der voumllkische Publizist Wilhelm Stapel im Anschluss an Houston Stewart Chamberlain eine spezielle Volksnomostheologie deren Volksnomos er als religioumlses Artgesetz bezeichnete dem man sich nicht ohne gravierende Folgen entziehen konnte Den herkoumlmmlichen Nationalismus der kaiserlichen Monarchie und die ihn chashyrakterisierende Verbindung von Deutschtum und Christentum hinter sich lasshysend veroumlffentlichte Stapel in der liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt waumlhrend des Ersten Weltkriegs einen Aufsatz mit dem bezeichshynenden Titel Warum ich nicht zu Gott sondern zum deutschen Gott bete in dem er die von ihm unter betont antiuniversalistischen Gesichtspunkten entwishyckelten Begriffe der Volkheit des Volkswillens und der Volksseele in den Rang goumlttlicher Gesetze erhob 12 Diese Aufwertung des deutschen Volk zu einer zenshytralen Instanz im Heilsplan Gottes musste auch eine neue Interpretation des gekreuzigten Messias nach sich ziehen Konsequenterweise wandelte sich die Vorstellung vom leidenden Erloumlser dabei in eine des heldenhaften Kaumlmpfers und kulminierte in einem Teil der voumllkischen Bewegung zur Gestalt des arischen Krist13 So mit dem germanischen Erbgut des deutschen Volkes in Verbindung gebracht verkoumlrperte der christliche Gottessohn die sieghafte Uumlberwindung des Boumlsen wie es durch die Juden einem Volk aus dem Orient in die Welt gebracht wurde Selbst viele Neuheiden hielten an einem auf diese Weise germanisiershyten Christusbild fest und hatten Muumlhe sich mit solchen Vertretern der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung zu verstaumlndigen die eine aggressivantichristliche Haltung vertraten und die in ihrem Kampf gegen das juumldische Christentum seinen Stifshyter keinesfalls ausnehmen wollten

Ungeachtet aller religioumlsen Gegensaumltze konnte der voumllkische Aufbruch sowohl eine christliche wie eine antichristliche Form annehmen In beiden Faumllshylen stand die Bezugnahme auf den Rassegedanken im Zentrum der Uumlberlegunshygen und in beiden Faumlllen bezog die Verknuumlpfung von religioumlser und politischer Heilsgeschichte ihre imaginative Kraft aus der Vorstellung der gemeinsamen Abstammung und des gemeinsamen Blutes Ob die Verbindung von Rasse und Religion unter christlichen oder unter paganen Vorzeichen gedacht wurde war dabei zweitrangig Mochten sich die religioumlsen Anspruumlche der Deutsch- und Gershymanischglaumlubigen und der Deutschen Christen auch fundamental widerspreshychen so wurde die Idee der Rasse doch in beiden Lagern zum Dreh- und Angelshypunkt fuumlr all diejenigen die an eine religioumlse Erneuerung auf voumllkischer Grundlage glaubten In beiden Varianten voumllkisch-religioumlsen Denkens kam dem volks- und rassefremden Judentum die Funktion eines ideologischen Gegenshymodells zu an dem sich die eigene Position eines arischen Christentums bzw arischen Paganentums entwickeln lieszlig Dabei gilt es aber zu beachten dass sich der Antisemitismus der Deutschen Christen durch eine heilsgeschichtliche

12 Vgl Thomas Martin Schneider Volksnomostheologie In Haar Fahlbusch (Hg) Handshybuch voumllkischer Wissenschaften S 721-729 hier 724 f

13 Siehe hierzu besonders den Beitrag von Martin Leutzsch in diesem Band

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Dimension auszeichnete die bei den Deutschglaumlubigen fehlte Diese sahen in den Juden in erster Linie ein politisches und kein religioumlses Problem das etwa dazu angetan gewesen waumlre ihr eigenes Seelenheil zu gefaumlhrden Aus Sicht der Deutschen Christen hatte das juumldische Volk den Messias und Erloumlser der Welt ermordet und mit dem Deizid das schwerstmoumlgliche aller nur denkbaren Vershybrechen begangen Seit annaumlhernd 2000 Jahren verkoumlrperten die Juden das negative Prinzip und schlechthin Boumlse im christlichen Heilsgeschehen Bei den lgteutschglaumlubigen war das nicht der Fall Ihren religioumlsen Zielen und politischen Anspruumlchen an den Staat stand die christliche Kirche im Weg nicht das juumldishyliche Volk Was die Deutsche Glaubensbewegung und die Glaubensbewegung Deutsche Christen hingegen miteinander verband war ein sich religioumls artikushylierendes Auserwaumlhltheitsdenken das auf der Annahme einer gemeinsamen Bluts- und Abstammungsgemeinschaft basierte Der Glaube an Deutschland als dem von der Geschichte und den goumlttlichen Maumlchten fuumlr besondere Aufgaben vorgesehenen Volk sprach dem Blut eine magische Kraft zu die es dem Deutshylehen Reich ermoumlglichen wuumlrde einen Platz an der Spitze der europaumlischen Nationen einzunehmen

Ernst Bergmann als fuumlhrender Theoretiker und Ideologe der deutschglaumlubigen Bewegung

Der seit 1916 an der Universitaumlt Leipzig als auszligerplanmaumlszligiger Philosophieproshyfessor lehrende Ernst Bergmann ist in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der deutschglaumlubigen Bewegung Aufgrund seines weltanschaulichen Schrifttums und wegen seiner Mitgliedschaft im Fuumlhrerrat der im Juli 1933 gegruumlndeten Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung (ADG) galt er als einer der II nuptintellektuellen des voumllkischen Paganentums Am 7 Februar 1934 wurde ein Buch Die deutsche Nationalkirche von der katholischen Kirche auf den

Index gesetzt Der genauere Blick auf seine weltanschauliche Entwicklung und Iluf seine nicht unproblematische Beziehung zur Deutschen Glaubensbewegung l ii~s t erkennen mit welchen ideologischen und organisatorischen Schwierigkeishytl n die wichtigste Religionsgemeinschaft aus dem Spektrum des Neuheidenshytums waumlhrend des Dritten Reiches konfrontiert war

Als Sohn eines promovierten evangelischen Pfarrers wuchs Bergmann im rfurrhaus zu Groszligroumlhrsdorf in der Naumlhe Dresdens auf und machte nach dem Shulbesuch in der Meiszligener Fuumlrstenschule St Afra am humanistischen Gymshy11IIbium in Dresden-Neustadt das Abitur Urspruumlnglich wollte er wie sein Vater d ll0 kirchliche Laufbahn einschlagen und Pfarrer werden Doch dann begann

I an der Universitaumlt Leipzig zu studieren wo er 1905 promoviert wurde und 19 10 habilitierte Waumlhrend des Ersten Weltkriegs meldete sich Bergmann freishyWillig zum Kriegseinsatz 1916 verletzte er sich jedoch bei einem Unfall in der Militaumlrfljegerschule Leipzig-Mockau so schwer dass er als frontuntauglich einshy

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

71 70 Horst Junginger

Iilhen Volksidee und die Politisierung eines vorstaatlichen Nationsbegriffs lrhielten nach der gescheiterten Revolution von 1848 freilich eine antidemokrashytische und nach dem Krieg gegen Frankreich eine stark nationalistische Einfaumlrshybung9 Kurz nach Kriegsbeginn verfasste Freiligrath ehemaliges Mitglied im Bund der Kommunisten im patriotischen Uumlberschwang sein bekanntes Gedicht Hurra Germania und wurde so zum Wortgeber fuumlr den deutschen Hurrashypatriotismus 10 Die Kaiserproklamation in Versailles und der fuumlnf Wochen spaumlshyter am 26 Februar 1871 ebenfalls in Versailles geschlossene Praumlliminarfriede sind die entscheidenden politischen Ereignisse die den Uumlbergang der demokrashytischen Volksidee zur antiegalitaumlren und antiparlamentarischen Ideologie der voumllkischen Bewegung markieren

Mit dem Aufkommen der modernen Rassentheorie bot sich dem voumllkischen Denken am Ende des 19 Jahrhunderts die Moumlglichkeit die fehlende Teilhabe des Volkes an der politischen Macht durch die Zugehoumlrigkeit zu einer virtuelshylen Machtelite der Rasse ideologisch zu kompensieren Uumlber den Gedanken der ideellen Gleichheit aller Angehoumlrigen gleicher Rasse konnte die auf politischer Ungleichheit beruhende kaiserliche Monarchie kritisiert und gewissermaszligen demokratisiert werden indem die Elitekonzeption des Blutadels popularisiert und von den deutschen Fuumlrstenhaumlusern auf das gesamte deutsche Volk uumlbertrashygen wurde Das von der voumllkischen Ideologie nicht erfundene sondern nur vershybreiterte Konzept einer Herrschaftslegitimation durch Geburt und Abstammung ermoumlglichte es allen Mitgliedern der gleichen Rasse sich unabhaumlngig vom tatshysaumlchlichen gesellschaftlichen Stand als Teil einer gemeinsamen Werte- und Machtelite zu verstehen Die Propagierung eines besonderen Adels der Rasse bedeutete deshalb keine Kritik am Modell der politischen Ungleichheit sondern die Uumlbertragung traditioneller Adelsvorstellungen auf die Neoaristokratie der Volksgemeinschaft gleichen Blutes 11 Der politische Impuls der voumllkischen Beweshygung richtete sich aus diesem Grund nicht primaumlr gegen die alten Eliten Vielshymehr teilte er mit ihnen die gleichen Feindbilder wie das internationale Judenshytum oder den volkszerstoumlrerischen Bolschewismus und manifestierte sich im Kampf gegen alles Un- oder Auszligervoumllkische Die meisten Voumllkischen wollten sich von den Niederungen der Parteipolitik fernhalten und sahen ihre Aufgabe in erster Linie auf weltanschaulichem Gebiet Von daher wird verstaumlndlich warum in der voumllkischen Bewegung die Begruumlndung fuumlr eine rassische Houmlhershywertigkeit des deutschen Volkes mit zahlreichen Entwuumlrfen zur Aufartung

9 Ich folge hier Kosellecks Ausfuumlhrungen ebd S 388 f 10 Schwaben und Preuszligen Hand in Hand Der Nord der Suumld ein Heer Was ist des Deutshy

schen Vaterland - Wir fragens heut nicht mehr [ ] Fuumlr deutsche Sitt und Art - Fuumlr jeden heilgen Hort Hurra Zur Kriegsfahrt Hurra hurra hurra Hurra Germania Ferdinand Freiligrath Hurra Germania (2571870) In Paul ~aunert (Hg) Freilishygraths Werke Band 2 Leipzig 1912 S 146-148

11 Zur Vorstellung des Rassenadels vgl besonders Alexandra Gerstner Rassenadel und Sozialaristokratie Adelsvorstellungen in der voumllkischen Bewegung 1890-19142 korr Auflage Berlin 2006 dies Neuer Adel Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus Darmstadt 2008

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Aufnordung oder Aufrassung einherging die sich je nach Geschmack und Neigung diesen oder jenen Lebensbereich zum Aktionsfeld erkoren

Dem voumllkischen Denken war das deutsche Volk weniger politisches Subjekt und das Resultat profaner geschichtlicher Entwicklungen als der nur aumluszligerliche Ausdruck eines im Metaphysischen wurzelnden Volksgeistes dem es entweder gelang in der Welt Gestalt anzunehmen oder der von boumlsen Maumlchten an seimiddot ner Entfaltung gehindert wurde So wie von einem voumllkischen Blickwinkel aus das Vorhandensein dieser mythischen Tiefendimension das Wesen des deutshyschen Volkes charakterisierte so ihr Fehlen das der anderen Voumllker Aus voumllkishyscher Sicht bestand die Mission der Deutschen darin das Banner wirklicher Ideale gegen die Vergoumltzung des Materiellen und Oumlkonomischen aufzupflanzen um auf diese Weise seiner ihm vom Schicksal zugewiesenen Rolle in Europa gerecht zu werden Die voumllkische Vorstellung von Deutschland als dem ausershywaumlhlten Volk der Geschichte loumlste die Idee des christlichen Volksstaates ab die dem Deutschen Reich davor die Aufgabe zugesprochen hatte als populus electi und neues Israel eine besondere geschichtliche Bestimmung zu erfuumlllen Doch im 19 Jahrhundert hatten sich die aumluszligeren Bedingungen fuumlr eine religioumls imashyginierte politische Heilsgeschichte so gravierend veraumlndert dass die christliche Grundlage des Deutschtums und seiner Mission in der Welt zunehmend in Frashyge gestellt wurde Von einer stetig wachsenden Zahl an Menschen wurde der religioumlse Alleinvertretungsanspruch der etablierten Kirchen nicht mehr so ohne Weiteres hingenommen Viele erachteten das Angebot christlicher Sekten oder neu in Erscheinung tretender Glaubensgemeinschaften gaumlnzlich ohne Bezug zum Christentum als attraktive Alternative zu traditionellen Formen der Kirchshylichkeit die nicht mehr mit den Anforderungen einer modernen Lebensfuumlhrung in Uumlbereinstimmung gebracht werden konnten Vor allem in der Arbeiterschaft und unter buumlrgerlichen Intellektuellen nahm der Anteil derjenigen dramatisch zu die sich ganz vom Christentum abkehrten Parallel zu einer staumlrkeren Plurashylisierung der religioumlsen Verhaumlltnisse gewann die Anschauung Oberhand dass die christliche Religion keine Antwort auf die draumlngenden Probleme der Zeit zu geben vermochte ja dass diese vielleicht sogar auf ihr Schuldkonto zu setzen seien Die voumllkische Bewegung nahm deshalb bereits im Kaiserreich eine antishykirchliche und zum Teil auch fundamental antichristliche Form an Ihr Kampf musste sich zwangslaumlufig gegen eine Staatskirche richten die als Teil der politishyschen Reaktion und des gesellschaftlichen Establishments galt und von der keishyne zukunftsweisenden Impulse fuumlr eine Erneuerung Deutschlands zu erwarten waren

Daruumlber darf nicht vergessen werden dass der voumllkische Impuls auch innershyhalb des Christentums eine besondere Dynamik entfaltete Indem das Volk als eigenstaumlndige Groumlszlige in den Vordergrund der theologischen Diskussionen trat erhielten diese einen voumllkischen Einschlag der uumlber volksmissionarische oder sozialethische Fragestellungen weit hinausging und der nicht selten auch eine hiologistische Komponente beinhaltete Volk und Volkstum wurden dabei zu Traumlgern des Geschichtswillens Gottes und zu einem natuumlrlichen Bestandteil der

73 72 Horst Junginger

goumlttlichen Schoumlpfungsordnung erklaumlrt Beispielsweise entwickelte der voumllkische Publizist Wilhelm Stapel im Anschluss an Houston Stewart Chamberlain eine spezielle Volksnomostheologie deren Volksnomos er als religioumlses Artgesetz bezeichnete dem man sich nicht ohne gravierende Folgen entziehen konnte Den herkoumlmmlichen Nationalismus der kaiserlichen Monarchie und die ihn chashyrakterisierende Verbindung von Deutschtum und Christentum hinter sich lasshysend veroumlffentlichte Stapel in der liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt waumlhrend des Ersten Weltkriegs einen Aufsatz mit dem bezeichshynenden Titel Warum ich nicht zu Gott sondern zum deutschen Gott bete in dem er die von ihm unter betont antiuniversalistischen Gesichtspunkten entwishyckelten Begriffe der Volkheit des Volkswillens und der Volksseele in den Rang goumlttlicher Gesetze erhob 12 Diese Aufwertung des deutschen Volk zu einer zenshytralen Instanz im Heilsplan Gottes musste auch eine neue Interpretation des gekreuzigten Messias nach sich ziehen Konsequenterweise wandelte sich die Vorstellung vom leidenden Erloumlser dabei in eine des heldenhaften Kaumlmpfers und kulminierte in einem Teil der voumllkischen Bewegung zur Gestalt des arischen Krist13 So mit dem germanischen Erbgut des deutschen Volkes in Verbindung gebracht verkoumlrperte der christliche Gottessohn die sieghafte Uumlberwindung des Boumlsen wie es durch die Juden einem Volk aus dem Orient in die Welt gebracht wurde Selbst viele Neuheiden hielten an einem auf diese Weise germanisiershyten Christusbild fest und hatten Muumlhe sich mit solchen Vertretern der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung zu verstaumlndigen die eine aggressivantichristliche Haltung vertraten und die in ihrem Kampf gegen das juumldische Christentum seinen Stifshyter keinesfalls ausnehmen wollten

Ungeachtet aller religioumlsen Gegensaumltze konnte der voumllkische Aufbruch sowohl eine christliche wie eine antichristliche Form annehmen In beiden Faumllshylen stand die Bezugnahme auf den Rassegedanken im Zentrum der Uumlberlegunshygen und in beiden Faumlllen bezog die Verknuumlpfung von religioumlser und politischer Heilsgeschichte ihre imaginative Kraft aus der Vorstellung der gemeinsamen Abstammung und des gemeinsamen Blutes Ob die Verbindung von Rasse und Religion unter christlichen oder unter paganen Vorzeichen gedacht wurde war dabei zweitrangig Mochten sich die religioumlsen Anspruumlche der Deutsch- und Gershymanischglaumlubigen und der Deutschen Christen auch fundamental widerspreshychen so wurde die Idee der Rasse doch in beiden Lagern zum Dreh- und Angelshypunkt fuumlr all diejenigen die an eine religioumlse Erneuerung auf voumllkischer Grundlage glaubten In beiden Varianten voumllkisch-religioumlsen Denkens kam dem volks- und rassefremden Judentum die Funktion eines ideologischen Gegenshymodells zu an dem sich die eigene Position eines arischen Christentums bzw arischen Paganentums entwickeln lieszlig Dabei gilt es aber zu beachten dass sich der Antisemitismus der Deutschen Christen durch eine heilsgeschichtliche

12 Vgl Thomas Martin Schneider Volksnomostheologie In Haar Fahlbusch (Hg) Handshybuch voumllkischer Wissenschaften S 721-729 hier 724 f

13 Siehe hierzu besonders den Beitrag von Martin Leutzsch in diesem Band

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Dimension auszeichnete die bei den Deutschglaumlubigen fehlte Diese sahen in den Juden in erster Linie ein politisches und kein religioumlses Problem das etwa dazu angetan gewesen waumlre ihr eigenes Seelenheil zu gefaumlhrden Aus Sicht der Deutschen Christen hatte das juumldische Volk den Messias und Erloumlser der Welt ermordet und mit dem Deizid das schwerstmoumlgliche aller nur denkbaren Vershybrechen begangen Seit annaumlhernd 2000 Jahren verkoumlrperten die Juden das negative Prinzip und schlechthin Boumlse im christlichen Heilsgeschehen Bei den lgteutschglaumlubigen war das nicht der Fall Ihren religioumlsen Zielen und politischen Anspruumlchen an den Staat stand die christliche Kirche im Weg nicht das juumldishyliche Volk Was die Deutsche Glaubensbewegung und die Glaubensbewegung Deutsche Christen hingegen miteinander verband war ein sich religioumls artikushylierendes Auserwaumlhltheitsdenken das auf der Annahme einer gemeinsamen Bluts- und Abstammungsgemeinschaft basierte Der Glaube an Deutschland als dem von der Geschichte und den goumlttlichen Maumlchten fuumlr besondere Aufgaben vorgesehenen Volk sprach dem Blut eine magische Kraft zu die es dem Deutshylehen Reich ermoumlglichen wuumlrde einen Platz an der Spitze der europaumlischen Nationen einzunehmen

Ernst Bergmann als fuumlhrender Theoretiker und Ideologe der deutschglaumlubigen Bewegung

Der seit 1916 an der Universitaumlt Leipzig als auszligerplanmaumlszligiger Philosophieproshyfessor lehrende Ernst Bergmann ist in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der deutschglaumlubigen Bewegung Aufgrund seines weltanschaulichen Schrifttums und wegen seiner Mitgliedschaft im Fuumlhrerrat der im Juli 1933 gegruumlndeten Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung (ADG) galt er als einer der II nuptintellektuellen des voumllkischen Paganentums Am 7 Februar 1934 wurde ein Buch Die deutsche Nationalkirche von der katholischen Kirche auf den

Index gesetzt Der genauere Blick auf seine weltanschauliche Entwicklung und Iluf seine nicht unproblematische Beziehung zur Deutschen Glaubensbewegung l ii~s t erkennen mit welchen ideologischen und organisatorischen Schwierigkeishytl n die wichtigste Religionsgemeinschaft aus dem Spektrum des Neuheidenshytums waumlhrend des Dritten Reiches konfrontiert war

Als Sohn eines promovierten evangelischen Pfarrers wuchs Bergmann im rfurrhaus zu Groszligroumlhrsdorf in der Naumlhe Dresdens auf und machte nach dem Shulbesuch in der Meiszligener Fuumlrstenschule St Afra am humanistischen Gymshy11IIbium in Dresden-Neustadt das Abitur Urspruumlnglich wollte er wie sein Vater d ll0 kirchliche Laufbahn einschlagen und Pfarrer werden Doch dann begann

I an der Universitaumlt Leipzig zu studieren wo er 1905 promoviert wurde und 19 10 habilitierte Waumlhrend des Ersten Weltkriegs meldete sich Bergmann freishyWillig zum Kriegseinsatz 1916 verletzte er sich jedoch bei einem Unfall in der Militaumlrfljegerschule Leipzig-Mockau so schwer dass er als frontuntauglich einshy

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

73 72 Horst Junginger

goumlttlichen Schoumlpfungsordnung erklaumlrt Beispielsweise entwickelte der voumllkische Publizist Wilhelm Stapel im Anschluss an Houston Stewart Chamberlain eine spezielle Volksnomostheologie deren Volksnomos er als religioumlses Artgesetz bezeichnete dem man sich nicht ohne gravierende Folgen entziehen konnte Den herkoumlmmlichen Nationalismus der kaiserlichen Monarchie und die ihn chashyrakterisierende Verbindung von Deutschtum und Christentum hinter sich lasshysend veroumlffentlichte Stapel in der liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt waumlhrend des Ersten Weltkriegs einen Aufsatz mit dem bezeichshynenden Titel Warum ich nicht zu Gott sondern zum deutschen Gott bete in dem er die von ihm unter betont antiuniversalistischen Gesichtspunkten entwishyckelten Begriffe der Volkheit des Volkswillens und der Volksseele in den Rang goumlttlicher Gesetze erhob 12 Diese Aufwertung des deutschen Volk zu einer zenshytralen Instanz im Heilsplan Gottes musste auch eine neue Interpretation des gekreuzigten Messias nach sich ziehen Konsequenterweise wandelte sich die Vorstellung vom leidenden Erloumlser dabei in eine des heldenhaften Kaumlmpfers und kulminierte in einem Teil der voumllkischen Bewegung zur Gestalt des arischen Krist13 So mit dem germanischen Erbgut des deutschen Volkes in Verbindung gebracht verkoumlrperte der christliche Gottessohn die sieghafte Uumlberwindung des Boumlsen wie es durch die Juden einem Volk aus dem Orient in die Welt gebracht wurde Selbst viele Neuheiden hielten an einem auf diese Weise germanisiershyten Christusbild fest und hatten Muumlhe sich mit solchen Vertretern der voumllkischshyreligioumlsen Bewegung zu verstaumlndigen die eine aggressivantichristliche Haltung vertraten und die in ihrem Kampf gegen das juumldische Christentum seinen Stifshyter keinesfalls ausnehmen wollten

Ungeachtet aller religioumlsen Gegensaumltze konnte der voumllkische Aufbruch sowohl eine christliche wie eine antichristliche Form annehmen In beiden Faumllshylen stand die Bezugnahme auf den Rassegedanken im Zentrum der Uumlberlegunshygen und in beiden Faumlllen bezog die Verknuumlpfung von religioumlser und politischer Heilsgeschichte ihre imaginative Kraft aus der Vorstellung der gemeinsamen Abstammung und des gemeinsamen Blutes Ob die Verbindung von Rasse und Religion unter christlichen oder unter paganen Vorzeichen gedacht wurde war dabei zweitrangig Mochten sich die religioumlsen Anspruumlche der Deutsch- und Gershymanischglaumlubigen und der Deutschen Christen auch fundamental widerspreshychen so wurde die Idee der Rasse doch in beiden Lagern zum Dreh- und Angelshypunkt fuumlr all diejenigen die an eine religioumlse Erneuerung auf voumllkischer Grundlage glaubten In beiden Varianten voumllkisch-religioumlsen Denkens kam dem volks- und rassefremden Judentum die Funktion eines ideologischen Gegenshymodells zu an dem sich die eigene Position eines arischen Christentums bzw arischen Paganentums entwickeln lieszlig Dabei gilt es aber zu beachten dass sich der Antisemitismus der Deutschen Christen durch eine heilsgeschichtliche

12 Vgl Thomas Martin Schneider Volksnomostheologie In Haar Fahlbusch (Hg) Handshybuch voumllkischer Wissenschaften S 721-729 hier 724 f

13 Siehe hierzu besonders den Beitrag von Martin Leutzsch in diesem Band

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Dimension auszeichnete die bei den Deutschglaumlubigen fehlte Diese sahen in den Juden in erster Linie ein politisches und kein religioumlses Problem das etwa dazu angetan gewesen waumlre ihr eigenes Seelenheil zu gefaumlhrden Aus Sicht der Deutschen Christen hatte das juumldische Volk den Messias und Erloumlser der Welt ermordet und mit dem Deizid das schwerstmoumlgliche aller nur denkbaren Vershybrechen begangen Seit annaumlhernd 2000 Jahren verkoumlrperten die Juden das negative Prinzip und schlechthin Boumlse im christlichen Heilsgeschehen Bei den lgteutschglaumlubigen war das nicht der Fall Ihren religioumlsen Zielen und politischen Anspruumlchen an den Staat stand die christliche Kirche im Weg nicht das juumldishyliche Volk Was die Deutsche Glaubensbewegung und die Glaubensbewegung Deutsche Christen hingegen miteinander verband war ein sich religioumls artikushylierendes Auserwaumlhltheitsdenken das auf der Annahme einer gemeinsamen Bluts- und Abstammungsgemeinschaft basierte Der Glaube an Deutschland als dem von der Geschichte und den goumlttlichen Maumlchten fuumlr besondere Aufgaben vorgesehenen Volk sprach dem Blut eine magische Kraft zu die es dem Deutshylehen Reich ermoumlglichen wuumlrde einen Platz an der Spitze der europaumlischen Nationen einzunehmen

Ernst Bergmann als fuumlhrender Theoretiker und Ideologe der deutschglaumlubigen Bewegung

Der seit 1916 an der Universitaumlt Leipzig als auszligerplanmaumlszligiger Philosophieproshyfessor lehrende Ernst Bergmann ist in vieler Hinsicht ein typischer Vertreter der deutschglaumlubigen Bewegung Aufgrund seines weltanschaulichen Schrifttums und wegen seiner Mitgliedschaft im Fuumlhrerrat der im Juli 1933 gegruumlndeten Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung (ADG) galt er als einer der II nuptintellektuellen des voumllkischen Paganentums Am 7 Februar 1934 wurde ein Buch Die deutsche Nationalkirche von der katholischen Kirche auf den

Index gesetzt Der genauere Blick auf seine weltanschauliche Entwicklung und Iluf seine nicht unproblematische Beziehung zur Deutschen Glaubensbewegung l ii~s t erkennen mit welchen ideologischen und organisatorischen Schwierigkeishytl n die wichtigste Religionsgemeinschaft aus dem Spektrum des Neuheidenshytums waumlhrend des Dritten Reiches konfrontiert war

Als Sohn eines promovierten evangelischen Pfarrers wuchs Bergmann im rfurrhaus zu Groszligroumlhrsdorf in der Naumlhe Dresdens auf und machte nach dem Shulbesuch in der Meiszligener Fuumlrstenschule St Afra am humanistischen Gymshy11IIbium in Dresden-Neustadt das Abitur Urspruumlnglich wollte er wie sein Vater d ll0 kirchliche Laufbahn einschlagen und Pfarrer werden Doch dann begann

I an der Universitaumlt Leipzig zu studieren wo er 1905 promoviert wurde und 19 10 habilitierte Waumlhrend des Ersten Weltkriegs meldete sich Bergmann freishyWillig zum Kriegseinsatz 1916 verletzte er sich jedoch bei einem Unfall in der Militaumlrfljegerschule Leipzig-Mockau so schwer dass er als frontuntauglich einshy

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

75 74 Horst lunginger

gestuft wurde 14 Noch im selben Jahr erhielt er an der Philosophischen Fakultaumlt der Universitaumlt Leipzig eine Stelle als nicht beamteter auszligerplanmaumlszligiger Proshyfessor fuumlr die Geschichte der neueren Philosophie Von 1917 bis 1921 war Bergshymann mit der Tochter eines angesehenen juumldischen Anwalts verheiratet Die sich uumlber einen laumlngeren Zeitraum hinziehende Scheidung hinterlieszlig tiefe Spuren bei ihm und verstaumlrkte seine bereits bestehenden antisemitischen Ressentiments noch weiter 1S Aus der Ehe gingen zwei Soumlhne hervor die in der Obhut Bergshymanns blieben und bis zu seiner Wiederverheiratung im Juni 1927 von einer Hausdame betreut wurden Seine zweite Frau die Tochter eines Leipziger Vershylagsbuchhaumlndlers hatte Bergmann 1926 in seinem Kolleg an der Universitaumlt Leipzig kennengelernt Ein gemeinsamer Sohn starb bereits nach einem Jahr

Wie extrem Bergmanns Antisemitismus schon in den zwanziger Jahren war macht ein Brief deutlich mit dem er sich am 29 Oktober 1923 an den Fuumlhrer der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung wandte Bergmann ermahnte Hitler dringend an der antisemitischen Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinem Abwehrkampf gegen das Judentum festzuhalten Auch er selbst habe seit der Revolution Uumlbermenschliches zu leiden gehabt unter der Herrschaft des Judaismus Ein Aufschwung Deutschlands sei unter den gegebenen Umstaumlnden nur schwer moumlglich und beduumlrfe einschneidender Maszlignahmen Voraussetzung dafuumlr sei die voumlllige Ausrottung des Judentums in Deutschland mit Feuer und Schwert Ja verehrter Fuumlhrer wenn Sie hier eine Konzession machen auch nur die leiseste meine Gefolgschaft so unbedeutend sie sein mag haumltten Sie fuumlr immer verloren 16 Alle juumldischen Zeitungen sollten verboten und das gesamte juumldische Eigentum beschlagnahmt werden Bergmann verlangte uumlberdies dass die schlimmsten juumldischen Verbrecher durch ein Volksgericht an den Galgen zu bringen seien Wenn Hitler wolle koumlnne er ihm gleich eine Liste der Schuldigen zusenden Das Uumlberleben Deutschlands haumlnge davon ab ob es

14 Vgl Christian Tilitzki Die Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Berlin 2002 S 74 Uumlber Bergmanns Leben finden sich Informashytionen bei Louise Bergmann Ernst Bergmann Schicksal und Charakter In Carl Peter (Hg) Ernst Bergmann und seine Lehre Leipzig 1941 S 67 -89 Karl-Heinrich Hunshysche Ernst Bergmann sein Leben und sein Werk Breslau 1936 Peter Bahn Ernst Bergshymann Von der deutschen Philosophie zur Deutschen Volksreligion In Jahrbuch zur Konservativen Revolution Koumlln 1994 S 231-250 sowie in seiner Personalakte im Unishyversitaumltsarchiv Leipzig (Nr 306 bzw Film Nr 1339)

15 Waumlhrend des Eheprozesses sei sein Antisemitismus von der Gegenseite sogar als Scheishydungsgrund angefuumlhrt worden schrieb Bergmann am 2451937 in seiner Antwort auf ein Rundschreiben des Reichserziehungsministeriums vom 194 1937 bei dem es um die Frage der juumldischen Versippung von Beamten ging ( HStA Dresden 102833 fol 15 in Abschrift) Ein Ehrengericht der NSDAP hatte am 991934 entschieden dass Bergmann weiter in der Partei der er seit dem 3081930 angehoumlrte bleiben konnte (ebd)

16 Bergmann an Hiter vom 29 10 1923 (Institut fuumlr Zeitgeschichte MA 731 sowie auch in BArch NS 26) Unterstreichung im Original Bergmann benuumltzte die Gelegenheit auch um Hitler einen in der Zeitschrift Der Tag (Nr 259 Berlin 1919) von ihm erschienenen Artikel uumlber das KJoster Meinleben beizulegen

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gelinge sich der Juden zu entledigen Er selbst sei bereit alles fuumlr die Wiedershyaufrichtung Deutschlands zu opfern seine Professur und auch sein Hab und Gut So schreibt Ihnen einer den die Juden auch ans Kreuz geschlagen haben wie unser ganzes Volk der durch vier Jahre namenlose Martern erduldet Alles Naumlhere ist fuumlr Sie jetzt unwichtig Leben Sie wohl und kommen Sie nach Burg Saaleck 17

Hitlers Reaktion auf Bergmanns Appell ist nicht bekannt Er befand sich in der unmittelbaren Vorbereitung des Muumlnchener Putsches und konnte sich dadurch nur bestaumltigt fuumlhlen Bei dem Schreiben an Hitler handelte sich nicht lediglich um die Wichtigtuerei eines uumlberspannten Professors Bergmann meinshyte es durchaus ernst als er schrieb Hitler solle an die Graumlber von Saal eck komshymen und mit uns Verbindung aufnehmen auch wenn er nicht erlaumluterte wer sich hinter dem uns verbarg Auf dem Saalecker Friedhof lagen die beiden Attentaumlter Erwin Kern und Hermann Fischer begraben die am 24 Juni 1922 in Berlin den deutschen Auszligen minister Walther Rathenau ermordet hatten [)anach waren beide auf die Burg Saaleck gefluumlchtet und dort am 17 Juli 1922 von der Polizei gestellt worden Kern kam bei dem dabei gefuumlhrten Schusswechshy~cl ums Leben Fischer beging Selbstmord Beide Attentaumlter gehoumlrten der rechtsshyterroristischen Organisation Consul an die schon etliche Morde begangen hatte um die Weimarer Republik zu destabilisieren 18 Es scheint nicht unwahrscheinshyIith dass Bergmann dem Umfeld angehoumlrte das es Kern und Fischer ermoumlgshylichte sich auf der Saalecker Burg zu verstecken Sein Wohnort lag nur wenige Kilometer von der suumldwestlich von Bad Koumlsen gelegenen Burg Saaleck entfernt Schon 1917 hatte er sich in einem Weinberg im Naumburger Saaletal gegenuumlber der Fuumlrstenschule Schulpforta in der Friedrich Nietzsche von 1858 bis 1864 S~huumller gewesen war ein Haus gekauft Ob Bergmann auch in konkrete Aktioshylien involviert war muumlsste noch eruiert werden Allem Anschein nach gehoumlrte r zum Umfeld des Architekten Paul Schultze-Naumburg der seit 1901 in Saalshyeck lebte und der 1904 zusammen mit Fritz Koegel die lebensreformerisch ausshycrichteten und bis 1930 bestehenden Saalecker Werkstaumltten gegruumlndet hatte

Dus rasch prosperierende Unternehmen plante und uumlbernahm den Bau von lliiusern Gaumlrten Parkanlagen und architektonischen Inneneinrichtungen im konservativen Heimatstil 19 1929 gruumlndete Schultze-Naumburg einen nationalshy~07ialistischen Freundeskreis den Saalecker Kreis der Kontakte mit fuumlhrenden Politikern der NS-Bewegung pflegte Sowohl Hitler als auch Himmler und liQcbbels kamen mehrfach zu Besuch nach Saaleck Der spaumltere ReichsbauernshyHI hrer Richard Walther Darre verfasste auf Schultze-Naumburgs herrschaft

17 Ebd 111 Vgl Martin Sabrow Die verdraumlngte Verschwoumlrung Der Rathenau-Mord und die deut

sehe Gegenrevolution Frankfurt a M 1999 Spaumlter wurden Kern und Fischer als Vorshykiimpfer der nationalen Erhebung gefeiert Der auf dem Saalecker Friedhof im Okro her 1933 fuumlr sie errichtete Gedenkstein wurde im Jahr 2000 entfernt nachdem Rechtsextreme aus dem Friedhof einen Wallfahrtsort gemacht hatten

III Vgl wwwsaaleck-werkstaumlttende (letzter Aufruf am 3172010)

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

76 77 Horst Junginger

lichcm Anwesen sein agrarideologisches Hauptwerk Neuadel aus Blut und Boden2o

Infolge einer schweren Augenkrankheit konnte Bergmann seiner wissenshyschaftlichen Arbeit an der Universitaumlt Leipzig nur noch eingeschraumlnkt nachshygehen Wie Louise Bergmann schrieb sei er 1930 erst in dem Augenblick in die NSDAP eingetreten als sich herausstellte dass seine bei einem Zuumlricher Arzt erlangte Genesung von Dauer sein wuumlrde Dabei habe er das Geluumlbde abgelegt das neu gewonnene Geschenk seines Lebens und seiner Gesundheit am Altar der Reichsidee darzubringen21 Bergmanns Gattin sprach der Abgeschiedenshyheit seiner geliebten Einsiedelei auf dem Houmlllenberg einen besonderen Einfluss zu dass sich das Wunder seiner Auferstehung vollziehen konnte 22 Hier empshyfing Bergmann zahlreiche Besucher die sich einerseits von der Schoumlnheit der Aussicht uumlber das Saaletal und andererseits von der Persoumlnlichkeit Bergmanns beeindrucken lieszligen Zu den Besuchern gehoumlrte unter anderem die voumllkische Schriftstellerin Sophie Rogge-Boumlrner und der antisemitische Publizist Johann von Leers der sich am 31 Juli 1933 am Tag nach der Gruumlndung der Arbeitsshygemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung in Eisenach mit einem eher peinshylichen als poetischen Gedicht in das Hausbuch eintrug23 Dort verfasste Bergshymann auch seine Hauptwerke Die Entsinkung in Weiselose Seelengeschichte eines modernen Mystikers (Breslau 1932) Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter (Breslau 1932) Deutschland das Bildungsshyland der neuen Menschheit Eine nationalsozialistische Kulturphilosophie (Breslau 1933) Die deutsche Nationalkirche (Breslau 1933) Die 25 Thesen der Deutschreligion Ein Katechismus (Breslau 1934) und Die natuumlrliche Geistlehre System einer deutsch-nordischen Weltsinndeutung (Stuttgart 1937)24

20 Darre ehelichte 1931 Schultze-Naumburgs Sekretaumlrin Dessen Frau heiratete nach der Scheidung 1934 den Reichsinnenminister Wilhelm Frick Zu den regelmaumlszligigen Gaumlsten Schultze-Naumburgs zaumlhlten u a die Rassentheoretiker Hans F K Guumlnther und Alfred Ploetz sowie der Gruumlnder des Nordischen Rings und Schriftleiter der Monatszeitschrift fuumlr nordische Weltanschauung und Lebensgestaltung Die Sonne Hanno KonopackishyKonopath Im Juli 1933 nahm Konopacki-Konopath fuumlr die Nordische Glaubensgemeinshyschaft an der Eisenacher Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbeweshygung teil

21 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 73 22 Ebd S 78 23 Wer nah an Wolken Winden Himmelslicht Das glitzernd sich in tausend Bluumlten

bricht Wer uumlber weitem Lande wohnt Wer auf dem Houmlllenberg so nah am Himmel thront Wie sollte der im hellen Sonnenschein Nicht auch der Himmelswelten Bergshymann seinUnd finden in des Geistes tiefem SchachtDas Neue Wort das Suchens Ende macht fUnd bauen aufwaumlrts zu den SonnehoumlhnDer delltschen Seele Dom zu dem wir gehen Hunsche Ernst Bergmann S 22

24 Bergmanns vollstaumlndiges Schriftenverzeichnis findet sich am Ende des Buches von Rudolf Neuwinger Die Philosophie Ernst Bergmanns Stuttgart 1938 und wurde von Peter Bahn daraus in seinen bereits erwaumlhnten gleichermaszligen affirmativen Beitrag uumlbernommen (ebd S 341-358)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

In dem 1932 veroumlffentlichten Buch Erkenntnisgeist und Muttergeist vertrat Bergmann Ansichten die ihn in ganz Deutschland bekannt machten wenn auch in negativer Weise Anstoszlig erregte Bergmann weniger wegen seiner religioumlsen Ideen Weitaus staumlrker stieszlig seine Kritik an der buumlrgerlichen Ehemoral und seine Propagierung einer angeblich von der Natur selbst verlangten Promiskuishytaumlt auf allgemeinen Widerspruch Durch seine Beobachtung der Natur und die Uumlbertragung der von ihm dort entdeckten Lehren der Tiersoziologie auf den Bereich des menschlichen Zusammenlebens folgerte Bergmann die Widernatuumlrshylichkeit und Artschaumldlichkeit der monogamen Einehe 25 Die im Tierreich herrshyschende natuumlrliche Promiskuitaumlt sei auf das Fortpflanzungsverhalten des Menshyschen zu uumlbertragen Nur dadurch werde seine biologische Houmlherentwicklung gewaumlhrleistet Die Tierehe sei nun einmal eine Saisonehe und die Polyginie die natuumlrliche Form des geschlechtlichen Beisammenlebens die den Samen des jeweils staumlrksten Vertreters seiner Art zur Fortpflanzung bringe Die Natur wolle die Vielehe die zudem dem maumlnnlichen Such- Wander- und Abwechslungsshytrieb am besten entspreche 26 Das Nuumltzliche mit dem Angenehmen verbindend bezeichnete Bergmann den Mann als ein sexuelles Erkenntnistier als ein anishymal sexualis cognoscientiae der durch die Erhoumlhung seiner Sexual kontakte eine Steigerung seiner Erkenntnis erzielen koumlnne27 Der fuumlnfzigjaumlhrige Leipzishyger Philosophieprofessor sprach deshalb vielleicht auch pro domo als er den Geschlechtsakt zur houmlheren Form der Erkenntnis erklaumlrte und die Monogamie als das dem maumlnnlichen Universalwillen am staumlrksten zuwiderlaufende Prinzip brandmarkte Auf den Wildesel Nubiens mit seinen zahlreichen Stuten Bezug nehmend kulminierten Bergmanns Ansichten in dem seinerzeit bekanntesten und wohl auch am oumlftesten zitierten Satz von jenem flotten Burschen der proshyblemlos zehn bis zwanzig Maumldchen zu begatten in der Lage sei28

Den Gegenpart in dieser von maumlnnlichen Phantasien allzu deutlich gepraumlgshyten Sexualtheorie spielte die Mutter als Gebaumlrerin und Volkserhalterin die Bergshymann in den Mittelpunkt einer voumllkischen Matriarchatslehre stellte Selbstvershystaumlndlich ging es ihm dabei nicht um die politische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau Vielmehr findet sich bei Bergmann die zeittypische Verklaumlrung eines fuumlr urdeutsch gehaltenen Weiblichkeitsideals das zu einem guten Teil auf die taciteische Germania zuruumlckging und das auch von anderen voumllkischen

25 Ernst Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist Eine Soziosophie der Geschlechter Breslau 1932 S 387 Zum Hintergrund vgl Gregor Hufenreuter Zwischen Liebe Zweck und Zucht Voumllkische EhemiddotVorstellungen am Anfang des 20 Jahrhunderts In Ariadne Forum fuumlr Frauen- und Geschlechtergeschichte 2005 H 48 S 16-25

26 Bergmann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 381-383 Die moumlglichst breite Ausshystreuung des Samens ist ja der Naturzweck des maumlnnlichen Prinzips (ebd S 388)

27 Ebd S 389 28 Zur Begattung der vorhandenen Frauen und Maumldchen finden sich willige und fleiszligige

Maumlnner und Juumlnglinge genug und gluumlcklicherweise genuumlgt ein flotter Bursch fuumlr 10shy20 Maumldchen die - gibt es noch solche - den Willen zum Kinde noch nicht in sich ertoumlshytet haben bestuumlnde nur nicht der naturwidrige Kulturunsinn der monogamen Dauershyehe (ebd S 406)

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

79 78 Horst lunginger

Theoretikern wie Bernhard Kummer und Herman Wirth propagiert wurde29

Auch Bergmann ging es darum die vom Christentum und seiner lebensfeindshylichen Suumlndenmoral zerstoumlrte natuumlrliche Ordnung wiederherzustellen in der Mann und Frau den ihnen entsprechenden Platz einnehmen wuumlrden Dass sich sogar einzelne Frauen wie Sophie Rogge-Boumlrner darauf einlieszligen3o konnte indes nicht daruumlber hinwegtaumluschen dass sich die Vertreter eines germanischen Frauenrechts auch in der voumllkischen Bewegung nicht durchsetzen konnten weil ihre Ansichten im Gegensatz zu traditionellen Moral- und Weiblichkeitsvorshystellungen standen Bergmann sprach aber nicht nur vom Recht sondern auch von der Pflicht der deutschen Frau zum Mutterturn Notfalls muumlssten die Fraushyen dazu gezwungen werden ihren Mutterpflichten fuumlr das Wohl des Volksganshyzen nachzukommen Am allerschlimmsten waren fuumlr ihn solche Frauen die sich ihrer natuumlrlichen Bestimmung verweigerten und zu Feministinnen wurden 31 In Bergmanns Theorie einer voumllkischen Gynaikokratie hatte die verbale Uumlbershyhoumlhung der Frau zur Muttergoumlttin die Funktion der politischen Gleichbeshyrechtigung der Geschlechter ein religioumlses Gegenmodell entgegenzustellen das vorgab den Status der Frau in einer ihrem Wesen entsprechenden Weise aufzushywerten Daraus entwickelte Bergmann einen heidnisch pansophistischen Marienshykult den er in das religioumlse Zentrum einer freilich erst noch zu verwirklichenshyden deutschen Nationalkirche stellte

Bergmanns mutterreligioumlse Vorstellungen einschlieszliglich seiner voumllkischen Sexuallehre bezogen ihre Kraft und Dynamik aus dem Gedanken der biologishyschen Auslese und der rassischen Aufartung des Menschen Die von ihm auf das menschliche Zusammenleben uumlbertragene und religioumls ausgedeutete Interpreshytation der natuumlrlichen Ordnung fuumlhrte ihn zum Postulat der kuumlnstlichen Zuchtwahl das gewissermaszligen die Idee der Freiheit in ein von der Natur vorshy

29 Eine Kritik an diesem Frauenbild findet sich bei Julia Zernack Germanin im Hausshykleid Bemerkungen zu einem Frauenideal deutscher Gelehrter In Richard Faber Susanne Lanwerd (Hg) Kybele - Prophetin - Hexe Religioumlse Frauenbilder und WeibshyIichkeitskonzeptionen Wuumlrzburg 1997 S 213-232 und Irmgard Weyrather Die deutshysche Frau als Priesterin des Lebens Muttermystifizierung und Nationalsozialismus In ebd S 233-247 Vgl zum allgemeinen Kontext Uwe Puschner Voumllkische Diskurshyse zum Ideologem Frau In Walter Schmitz Clemens Vollnhals (Hg) Voumllkische Bewegung - Konservative Revolution - Nationalsozialismus Dresden 2005 S 45-75

30 Vgl Eva-Maria Ziege Sophie RoggemiddotBoumlrner Wegbereiterin der Nazi-Dikatur und voumllmiddot kische Sektiererin im Abseits In Kirsten HeinsohnBarbara Vogel Ulrike Weckel (Hg) Zwischen Karriere und Verfolgung Handlungsraumlume von Frauen in der nationalshysozialistischen Diktatur Frankfurt a M 1997 S 44-77 I1se Korotin Barbara Serloth (Hg) Gebrochene Kontinuitaumlten Zur Rolle und Bedeutung des Geschlechterverhaumlltshynisses in der Entwicklung des Nationalsozialismus Innsbruck 2000 S 15 und 163 ff

31 Sie bezeichnete Bergmann als unnatuumlrliche Zwitterwesen in denen die gesunde Lebenskraft deren wir zur Gruumlndung des dritten Reiches der Menschheit beduumlrfen erloschen ist Sie sind was bei den Maumlnnern die Homosexuellen sind Entartete und Kranke ja schlimmer noch als diese denn ihre Triebverirrung ist meist bewusst und gewollt Das beste waumlre sie zwangsweise zu begatten um sie zu kurieren muumlsste man nicht fuumlrchten dass sie ihre Entartung auf die Nachkommenschaft vererben Bergshymann Erkenntnisgeist und Muttergeist S 404

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

gegebenes Entwicklungsschema einfuumlgte Doch sowohl die positiven wie die negativen Aspekte dieser Theorie einer rassenbiologisch steuerbaren Houmlherentshywicklung des Menschen unterlagen einem mechanistischen Weltbild das dem Philosophen auch von sonst wohlmeinender Seite den Vorwurf einbrachte noch dem Rationalismus des 19 Jahrhunderts verhaftet zu sein Die positiven Eleshymente in Bergmanns Aufartungsmodell betrafen vor allem erzieherische Maszligshynahmen eines seinem rassischen Erbe verpflichteten Staatswesens Der negashytive Part konzentrierte sich hingegen auf die Ausmerze artverschlechternder Faktoren das heiszligt besonders auf die Unfruchtbarmachung schlechter Erbtraumlshyger aus arthygienischen und sozialen Gruumlnden 32 Es sei falsch lebensunwertes Leben zu dulden wo doch im Ersten Weltkrieg mit zehn Millionen Toten das edelste maumlnnliche Zuchtmaterial der jungen Voumllker geopfert wurde Erst diese form der negativen Auslese habe das Untermenschentum bei den Voumllkern Europas hervorgebracht Wenn der europaumlische Mensch nicht die Kraft zu einem Weltkrieg gegen die Idioten Kretins Schwachsinnigen Gewohnheitsvershybrecher und sonst wie Degenerierten und Verseuchten gegen den Menschenshykehricht der Groszligstaumldte habe von dem getrost eine Million beiseitegeschaushyfelt werden koumlnnte sei mit einer Besserung der Lage nicht zu rechnen 33 Der extreme Sozialdarwinismus Bergmanns richtete sich in erster Linie gegen das politische System von Weimar das sich in naturwidriger Weise anmaszlige alle Menschen auf die gleiche Stufe zu stellen Ein solches Gleichheitsdenken und Jie mit ihm verbundene Missachtung jeder natuumlrlichen Ordnung mit ihren fest glfuumlgten Hierarchieverhaumlltnissen musste aus Bergmanns Sicht zum Nieder- und chlieszliglich Untergang des Deutschen Reiches fuumlhren 34

Anfang 1933 erschien Bergmanns religioumlse Programmschrift Die deutsche Nationalkirche die seinem Anspruch als intellektuelle Fuumlhrergestalt der tlcutschglaumlubigen Bewegung wahrgenommen zu werden Nachdruck verlieh Dass sie im Jahr darauf zusammen mit Rosenbergs Mythus des 20 Jahrhunshyderts auf den Index gesetzt wurde adelte ihren Verfasser als aufrechten Kaumlmpshykl gegen die katholische Papstkirche Auch dieses Buch ist in dem Bergmann d~cnen weitschweifigen Stil geschrieben der wissenschaftlicher Fuszlignoten nicht Iwuurfte dafuumlr aber jeden Aspekt eines Themas beliebig ausmalen konnte Es wii re eine lohnende Untersuchung die weltanschauliche Ausrichtung und soziashyk Schichtung derjenigen zu untersuchen die sich mit seinen Publikationen zu Identifizieren vermochten Seine groumlszligten Erfolge erzielte Bergmann nicht in IIUlionalsozialistischen Kreisen sondern in einem bestimmten Segment der freishyrdigioumlsen Bewegung in dem seine Publikationen als Offenbarung tiefer GeheimshyII I~sc aufgefasst wurden Die deutsche Nationalkirche lebte uumlberwiegend von d~ r Kritik an den bekannten Defiziten des Kirchenchristentums Originaumlre Ideshy

n oder Ansaumltze fuumlr ein innovatives Modell paganer Religiositaumlt finden sich dageshy

~1 middothd S 429 H Ehd S 43 I Wortsperrung im Original Ebd S 447

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

81 80 Horst Junginger

gen nur sporadisch Das von Bergmann als Confessio germanica ausgegebene deutsch religioumlse Credo lautete schlicht Ich glaube an den Gott der Deutschrelishygion Es gibt fuumlr einen rechten Deutschen kein anderes Bekenntnis Und das Bekenntnis bedarf auch nicht der vielen Worte es genuumlgt eine Zeile Denn wir haben zu handeln und nicht zu reden 35 Dem fuumlgte er die programmatisch gemeinten Saumltze hinzu

Ich glaube an den Gott der Deutschreligion der in der Natur im hohen Menschengeist und in der Kraft meines Volkes wirkt Die Deutschreligion ist eine Naturreligion im Goeshytheschen Sinne (kein Supranaturalismus) Sie ist ferner Hohe-Geist-Religion im KantshyFichtesehen Sinne (kein Geistabsolutismus) Und sie ist endlich Erlebnisreligion im Eckshyhart-Lutherischen Sinne (kein Jenseits- und Erloumlsungsdogmatismus) Damit zugleich ist sie Volksreligion Will man die Bekenntnisformel der Deutschreligion noch weiter und im Sinne eines Deutschchristentums wie die Deutschkirchler fordern vervollstaumlndigen so kann man hinzufuumlgen Ich glaube an den Nothelfer Krist der um die Edelkeit der Menschenseele kaumlmpft36

Ein solches Wirrwarr philosophischer und religioumlser Gedankengaumlnge in eine pagane Religion uumlberzuleiten die dem Christentum Konkurrenz machen sollte konnten selbst die treuesten Anhaumlnger Bergmanns nicht erwarten Auffallend ist bei Bergmann auch die enge Anlehnung an christliche Themen und Motive die von ihm einfach einem deutschkirchlichen Denkschema unterworfen wershyden Genuin Heidnisches ist in der Deutschreligion nicht viel enthalten Die von Bergmann zu einem authentischen deutschkirchlichen Erkenntnisakt stilisierte religioumlse Erfahrung lehnte sich eng an die Theologie Friedrich Schleiermachers anY So wie Bergmanns heidnisches Kirchenjahr lediglich die Abfolge der christshylichen Feiertage widerspiegelte so entsprach das Verhaumlltnis von Staat und Deutschreligion dem Staatskirchenmodell der Zeit vor der Weimarer Reichsvershyfassung Selbst die Moumlglichkeit des Kirchenaustritts wollte Bergmann wieder ruumlckgaumlngig machen38 Wie Bergmann im Mai 1933 an den kurz darauf zum Fuumlhshyrer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung ernannten Jakob Wilshyhelm Hauer schrieb sei er von den Lesern der Deutschen Nationalkirche dazu gedraumlngt worden sich in religioumlser Hinsicht staumlrker zu betaumltigen und den Kontakt zur deutschglaumlubigen Bewegung zu suchen39 Dem Wunsch seiner Anhaumlnger nach einem staumlrkeren oumlffentlichen Engagement gab Bergmann umso lieber nach als er im nationalsozialistischen Deutschland eine Staatsform zur Macht kommen sah die seinen politischen Zielvorstellungen entsprach

35 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 266 f 36 Ebd Ein weiterer Glaubensartikel - Ich glaube an Deutschland das Bildungsland der

neuen Menschheit - entstammte der gleichnamigen Schrift Bergmanns die 1933 ebenshyfalls bei Hirt in Breslau erschien

37 Bergmann Die deutsche Nationalkirche S 221 f 38 Die Deutschreligion ist Staatsreligion Private Religionsgesellschaften und religioumlse

Vereine sowie deren Verbaumlnde bestehen nicht Der Austritt aus der deutschen Staatsshykirche ist fuumlr einen deutschen Staatsbuumlrger unmoumlglich (ebd S 275)

39 So Bergmann an Hauer vom 751933 (BAreh NL Hauer Band 52 fol 25) Zit nach Ulrich Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung Eine historische und soziologische Untersuchung Marburg 1993 S 73 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

3 Die Geburt und der fruumlhe Tod einer neuen Religion die Deutsche Glaubensbewegung

Je nachdem ob man die Schaffung eines deutschglaumlubigen Dachverbands im Juli 1933 in Eisenach oder das Scharzfelder Gruumlndungstreffen vom Mai 1934 als Ausgangspunkt nimmt belaumluft sich die Lebensdauer der bis zum Fruumlhjahr 1936 bestehenden Deutschen Glaubensbewegung auf zwei oder auf drei Jahre Das ist kein Zeitraum in dem es einer neuen Religion haumltte gelingen koumlnnen sich zu stabilisieren und eine groumlszligere Auszligenwirkung zu entfalten Zwei Monate vor dem Eisenacher Treffen schrieb Hauer am 2 Juni 1933 an Bergmann dass es houmlchste Zeit sei mit der Sammlung einer deutschglaumlubigen Gemeinschaft zu beginnen um ein Gegengewicht gegen die Annaumlherung zwischen Staat und Kirche zu schaffen wie sie im Maumlrz 1933 am Tag von Potsdam und dann im Konkordat mit der katholischen Kirche bzw der nationalsozialistischen Untershystuumltzung fuumlr die Deutschen Christen deutlichen Ausdruck gefunden hatte Hauer hoffte bis zur letzten Minute dass sich der von ihm angestrebten religioumlsen Volksgemeinschaft deutscher Nation auch die Vertreter eines freien Protestanshytismus anschlieszligen wuumlrden Ich weiszlig aber nicht ob sie innerlich und aumluszligerlich kraumlftig dazu sind Wir die wir nicht kirchlich dogmatisch an das Christentum gebunden sind muumlssen jedenfalls jetzt versuchen eine gemeinsame Front zu bilden 40 An fruumlhere Kontakte mit Vertretern der junggermanischen Beweshygung anknuumlpfend verschickte Hauer am 17 Juni 1933 an etwa vierzig Persoshynen die Bitte ihren Namen fuumlr den Aufruf zur Abhaltung einer germanischshydeutschen Tagung zur Verfuumlgung zu stellen41 Dem schlieszliglich am 15 Juli vershysandten Einladungsschreiben folgten ca 200 Personen die sich am Monatsende auf der Eisenacher Wartburg einfanden Unter ihnen befanden sich die Deleshygierten von etwa zehn religioumlsen Gemeinschaften darunter die Nordisch Relishygioumlse Arbeitsgemeinschaft (Wilhelm Kusserow Norbert Seibertz) die Gershymanische Glaubensgemeinschaft (Ludwig Fahrenkrog) die Deutschglaumlubige Gemeinschaft (Otto Siegfried Reuter) die Nordische Glaubensgemeinschaft (Hanno Konopath) die Nordungen (Hildulf Flurschuumltz) der Freundeskreis der Kommenden Gemeinde (Herrmann Buddensieg Herbert Grabert Fritz von Graevenitz Jakob Wilhelm Hauer Werner Huumllle Paul Zapp) die Freireligioumlsen (Georg Elling Ludwig Keibel Georg Kramer Carl Peter Georg Pick Clemens Taesler Erich Tschirn RudolfWalbaum) die Adler und Falken (Lothar Stengel von Rutkowski Matthes Ziegler) die Stille Front (Margarete Muumlller-Senftenshyberg) und die Edda Gesellschaft (Karl Maria Wiligut) 42 Mit Ausnahme der Freishy

40 Hauer an Bergmann vom 2 6 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 24) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 128

41 Hauer schrieb dabei u a auch an AJfred Rosenberg der jedoch dankend ablehnte Vgl Nanko Glaubensbewegung S 132 f

42 Nach der von Nanko zusammengestellten Anwesenheitsliste (ebd S 332-342) Allershydings fehlen in ihr einige der tatsaumlchlich Anwesenden wie z B Artur Dinter und Fricushyrich Muck Lamberty

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

H2 Horst lunginger

religioumlsen handelte es sich dabei um Gruppierungen deren Mitgliedszahlen im zwei- bis dreisteIligen Bereich lagen Viele Teilnehmer der Eisenacher Tagung gehoumlrten uumlberhaupt keiner Gemeinschaft an sondern waren als geistige Fuumlhrershypersoumlnlichkeiten eingeladen worden neben Ernst Bergmann etwa noch der Rasshysenseelenkundler Ludwig Ferdinand Clauszlig der Verleger Niels Diederichs der antisemitische Autor Johann von Leers Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe der Historiker Kleo Pleyer der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow die evangelischen Theologen Kurt Leese Hermann Mandel und Friedrich Solger der Schriftsteller Wilhelm Schloz der Philosophieshyprofessor Wolfgang Schmied-Kowarzik der Architekt Kunsttheoretiker und NS-Politiker Paul Schultze-Naumburg der Dichter Georg Stammler und Hershyman Wirth der Leiter des Forschungsinstituts fuumlr Geistesurgeschichte in

43Bad Doberan Der vom 29 bis 30 Juli auf der Eisenacher Wartburg zusammengekommene

Personenkreis stellte alles andere als eine deutschglaumlubige Einheit dar Bei der zahlenmaumlszligig zweitstaumlrksten Gruppe dem Freundeskreis der Kommenden Gemeinde war das protestantische Element unuumlbersehbar und dass die sie an Teilnehmern noch uumlbertreffenden Freireligioumlsen eine voumllkisch pagane Entwickshylung nehmen wuumlrden stand ebenfalls nicht in Aussicht Da man sich noch ganz im Prozess des tastenden Suchens befand wurde zunaumlchst versucht sich auf einige wenige Minimalziele zu konzentrieren die einen staumlrkeren organisatorishyschen Zusammenschluss und die Klaumlrung des Verhaumlltnisses zum Staat und seishynem Fuumlhrer zum Gegenstand hatten Dass sich an den inhaltlichen und organishysatorischen Knackpunkten heftige Kontroversen entzuumlndeten lieszlig sich freilich nicht vermeiden Vor allem die Frage eines obligatorischen Kirchenaustritts erhitzte die Gemuumlter Die prononcierten Neuheiden wollten eine Doppelmitshygliedschaft ganz ausschlieszligen Allein der Gedanke dass Theologieprofessoren und kirchliche Amtstraumlger in einer deutschglaumlubigen Religionsgemeinschaft eine besondere Funktion uumlbernehmen koumlnnten war ihnen unertraumlglich Genauso wenig konnte eine am Nationalsozialismus ausgerichtete Religionsgemeinschaft Mitglieder in ihren Reihen dulden die - wie nicht wenige Freireligioumlse - ein Parteibuch der SPD besaszligen und staatlicherseits verfolgt wurden Was dieses heterogene Konglomerat unterschiedlicher Interessen einte war die gemeinshysame Ablehnung des religioumlsen Alleinvertretungsanspruchs durch ein Staatskirshychenturn evangelischer oder katholischer Provenienz und der Wunsch nach einer neuen wie auch immer gearteten religioumlsen Gemeinschaftsbildung

Ungeachtet aller ideologischen Meinungsverschiedenheiten entwickelte die Tagung in Eisenach eine psychologische Eigendynamik von der die Teilnehmer mitgerissen wurden und die alle Gegensaumltze fuumlr den Augenblick in den Hintershygrund treten lieszlig Man einigte sich schlieszliglich darauf eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben zu rufen um mit dieser relativ lockeren Organisationsform weiteren Einigungsbemuumlhungen den Weg zu ebnen In Analogie zum nationalsozialistishy

43 Ebd

83Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

schen Fuumlhrerstaat wurde ein Fuumlhrerrat mit Hauer an der Spitze gebildet Ihm gehoumlrten Ernst Bergmann (ohne Gemeinschaft) Arthur Drews (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschlands) Wolfgang Elbert (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Georg Elling (Verband der Freireligioumlsen Gemeinden Deutschshylands) Ludwig Fahrenkrog (Germanische Glaubensgemeinschaft) Hans F K Guumlnther (ohne Gemeinschaft) Werner Kulz (Artamanen) Friedrich Wilhelm Prinz zur Lippe (Jungnordischer Bund) Margarete Muumlller-Senftenberg (Stille Front) Franziska von Porembski (NS-Rednerin) Otto Siegfried Reuter (Deutschglaumlubige Gemeinschaft) Graf Ernst zu Reventlow (ohne Gemeinshyschaft) Friedbert Schultze (Nordische Glaubensgemeinschaft) Norbert Seishybertz (Nordisch-religioumlse Arbeitsgemeinschaft) Lothar Stengel von Rutkowski (Adler und Falken) Matthes Ziegler (Adler und Falken) sowie Herman Wirth (ohne Gemeinschaft) an44 Hans F K Guumlnter und Johann von Leers seien es gewesen die unter Hinweis auf die Ablehnung durch Minister Darre die Aufshynahme von Sophie Rogge-Boumlrner in den Fuumlhrerrat verhindert haumltten

45 Wie der

aumluszligere bestand auch der dreikoumlpfige innere Fuumlhrerrat (Hauer Bergmann Reventlow) zu zwei Dritteln aus NSDAP-Mitgliedern Hauer selbst trat erst 1937 in die Partei ein weil er sich mit deren ausdruumlcklicher Bezugnahme auf ein positives Christentum nicht einverstanden erklaumlren konnte

46 Jener

beruumlhmte Paragraph 24 des NSDAP-Parteiprogramms - Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sich konfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden - lief dem Anliegen der Deutschglaumlushybigen diametral zuwider Dem ersten ADG-Rundschreiben vom 1 August 1933 zufolge bestand die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung am Anfang aus der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft dem Freundeskreis der Komshymenden Gemeinde der Nordisch-Religioumlse Arbeitsgemeinschaft der Nordishyschen Glaubensgemeinschaft und der Volkschaft der Nordungen Einige kleishynere Gruppierungen betrachteten sich als in einem Arbeitsverhaumlltnis zur ADG stehend ohne einen korporativen Beitritt in Erwaumlgung zu ziehen

47 Diese waren

aber zum Teil so klein dass sie selbst innerhalb der ADG kaum jemand kannte

44 Nanko Glaubensbewegung S 147 Heinz Bartsch Die Wirklichkeitsmacht der allgeshymeinen Deutschen Glaubensbewegung Breslau 1938 S 47

45 Nanko Glaubensbewegung S 147 46 Zu Hauers Verhaumlltnis zum Nationalsozialismus vgl Horst Junginger Von der philoloshy

gischen zur voumllkischen Religionswissenschaft Das Fach Religionswissenschaft an der Universitaumlt Tuumlbingen von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reichs Stuttgart 1999 S 124-144

47 Bartsch nennt den Arbeitskreis fuumlr biozentrische Forschung (der sich den Ideen von Ludwig Klages verpflichtet fuumlhlte) die Braunen Falken (Opfergruppe der Bundesshyschwestern der Sturmsoldaten) die Deutschkatholisch-freireligioumlse Gemeinde den Deutschreligioumlsen Bund (0 Michel Berlin) die Gefaumlhrten im Dritten Reich (H Klaus Kirchheimj Teckl die Gemeinschaft Deutscher Erkenntnis (K F Lemcke Gauting bei Muumlnchen) den Germanischen Gottesglauben (J Michel Hamburg) sowie den Bund Runa fuumlr germanischen Urglauben (S A Kummer Dresden) So Bartsch Wirklichshykeitsmacht S 47 f Den Rig-Kreis Georg Krohs zaumlhlte Bartsch zu den korporativ Beishygetretenen (ebd)

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

85 84 Horst lunginger

Uumlber eine moumlgliche Aufnahme der Freireligioumlsen sollte erst noch entschieden werden Andere Gemeinschaften wie die Adler und Falken die Artamanen die Edda-Gesellschaft der Deutsche Bund oder die Stille Front waren durch Einshyzclmitglieder vertreten Fuumlr diejenigen die sich noch der Kirche zugehoumlrig fuumlhlshyten richtete man einen Freundeskreis der ADG ein der unter der Leitung von Hermann Mandel stand der in Kiel den Lehrstuhl fuumlr Systematische Theologie innehatte

Die Gruumlndung der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung bedeushytete einen wichtigen Schritt in Richtung auf eine staumlrkere Konsolidierung des voumllkisch paganen Lagers Im Weiteren musste es darum gehen die auf der Wartshyburg-Tagung gefundene Struktur zu verfestigen und mit religioumlsem Inhalt zu fuumllshylen Erst danach konnte daran gedacht werden sich mit entsprechenden Anspruumlshychen an den Staat zu wenden Hauer war in Eisenach beauftragt worden mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten um die staatliche Anerkennung voranzutreiben Zwischen Reventlow und Rudolf Heszlig dem Stellvertreter des Fuumlhrers gab es schon seit laumlngerem Kontakte die man weiter ausbauen wollshyte 48 Dass sich eine Aumlnderung des Verhaumlltnisses zwischen Staat und Kirche andeutete schien sich besonders im sogenannten Heszlig-Erlass vom 13 Oktober 1933 zu bestaumltigen der die religioumlse Gleichbehandlung aller Deutschen verlangshyte Kein Nationalsozialist duumlrfe benachteiligt werden weil er sich nicht zu einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu uumlberhaupt keiner Konfession bekennt49 Verstaumlndlicherweise suchte die ADG den Kirshychenstreit fuumlr sich auszunutzen und intensivierte ihre Oumlffentlichkeitsarbeit Uumlber den Leipziger Radiosender der von dem Schriftsteller und ADG-Mitglied Kurt Eggers geleitet wurde konnte Hauer Ende Januar 1934 zum ersten Mal im Rundfunk sprechen Neben Reventlows Reichswart in dem der ADG eine eigene Beilage eingeraumlumt wurde schuf Hauer mit der Zeitschrift Deutscher Glaube Anfang 1934 ein eigenes Organ das eine wichtige Funktion bei der internen Kommunikation erfuumlllte Zur Klaumlrung der inhaltlichen und organisatoshyrischen Fragen wurden zehn thematische Arbeitskreise gebildet Ein parallel dazu eingerichtetes Werbe- und Presseamt diente dazu die Aktivitaumlten der EinshyzeIgerneinden besser in der Oumlffentlichkeit darzustellen Mit dem von Herbert Grabert geleiteten Hochschulamt suchte man groumlszligeren Einfluss auf die Univershysitaumlten und die studentische Jugend zu gewinnen Hauers Mitarbeiter Paul Zapp

48 Heszlig seit dem 214 1933 Stellvertreter des Fuumlhrers wurde am 2 12 1933 zum Reichsshyminister ohne Geschaumlftsbereich ernannt Im Vorfeld der Eisenach-Tagung hatte Reventshylowam 14 71933 ein laumlngeres Gespraumlch mit ihm gefuumlhrt Vgl Nanko Glaubensbeweshygung S 136

49 Der Erlass ist u a abgedruckt bei Wilhelm Hauer Was will die deutsche Glaubensbeshywegung (Flugschriften zum geistigen und religioumlsen Durchbrtlch der Deutschen Revoshylution H 5) 2 Auflage Stuttgart 1935 S 14 und 57 Welch enthusiastische Reaktioshynen der Erlass bei den Voumllkisch-Religioumlsen ausloumlste zeigen die von Klaus Scholder aus dem Reichswart wiedergegebenen Zitate Die Kirchen und das Dritte Reich Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934 Frankfurt a M 1986 (1 Auflage 1977) S 669 f

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

wurde die Leitung der Tuumlbinger Geschaumlftsstelle uumlbertragen die den Aufbau einer groumlszliger werdenden Zahl an Orts- Kreis- und Landesgemeinden koordinieshyren sollte Im Fruumlhjahr 1934 existierten ca 200 Ortsgemeinden von denen allershydings mehr als 150 den Freireligioumlsen angehoumlrten Im Maumlrz gleichen Jahres konnte man dem Reichsinnenministerium sogar einen Lehrplanentwurf fuumlr cinen deutschglaumlubigen Religionsunterricht vorlegen 50

Das Wachstum der ADG konnte allerdings nur aumluszligerlich daruumlber hinwegtaumlushyschen dass zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Personen zum Teil noch immer gravierende Spannungen herrschten und dass elementare Proshybleme im Hinblick auf die Organisationsstruktur die religioumlsen Inhalte oder die zu entwickelnden Rituale noch ungeklaumlrt waren Wer entschied uumlber die aumluszligere Form der religioumlsen Kulthandlungen und wer zeigte sich imstande diesen oder jenen fuumlr deutschglaumlubig gehaltenen Text als normativ durchzusetzen Wie sollte mit Eintrittswilligen verfahren werden die sich zwar der ADG nicht aber einer der Einzelgemeinschaften anschlieszligen wollten Wie viel Eigenstaumlndigkeit waren die Einzelgemeinden bereit auf- und an eine sich verselbstaumlndigende Reichsgeschaumlftsleitung abzugeben Um das weitere Vorgehen zu besprechen und solchen fuumlr die Entstehung neuer Religionen oft lebensbedrohlichen Schwieshyrigkeiten zu begegnen wurde zu Pfingsten 1934 eine allgemeine Arbeitswoche anberaumt Als sich zu diesem Zweck etwa 500 Mitglieder und Freunde der ADG vom 18 bis 21 Mai in Scharzfeld im Suumldharz versammelten ahnte kaum einer der Teilnehmer dass diese Zusammenkunft zur Geburtsstunde einer leuen Religion werden wuumlrde Die Scharzfeld-Tagung entwickelte eine aumlhnlishyche Eigendynamik wie das Vorjahrestreffen in Eisenach Alles Trennende wurshyde ausgeblendet und durch das Gemeinschaftserlebnis beiseite gedraumlngt Am letzten Tag ging Ludwig Fahrenkrog so weit die Selbstaufloumlsung der von ihm 191213 gegruumlndeten Germanischen Glaubensgemeinschaft zu erklaumlren Damit gab er das Startsignal zur Schaffung einer neuen deutschglaumlubigen Religion Nach Fahrenkrog sprach Hauer uumlber die Grundhaltung eines indogermanischen Glaubens was in einer emotional aufgeladenen Stimmung zu spontanen Aumluszligeshyrungen fuumlhrte die darin gipfelten ihn zum Fuumlhrer der Deutschen Glaubensshybewegung auszurufen5i Hauer legte daraufhin die Versammlungsleitung nieder und verkuumlndete die Aufloumlsung des Fuumlhrerrats und der die ADG konstituierenshyden Buumlnde52 Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch ein bereits religioumlse Zuumlge tragendes Weihespiel das am Pfingstsonntag vor einer bei Scharzfeld geleshygenen Houmlhle dem Hauptheiligtum der Gemeinschaft der Nordungen stattgeshy

funden hatte Die Mitglieder der Deutschen Glaubensbewegung hatten eine eidesstattliche

Versicherung abzugeben dass sie a) frei von juumldischem und farbigem Bluteinshy

50 Nanko Glaubensbewegung S 224 I Die Dramatik der Situation wird gut geschildert bei Nanko Glaubensbewegung S 239 2 Die einzelnen Gemeinschaften haben sich aufgeloumlst Es gibt nur noch Die Deutsche

Glaubensbewegung unter meiner Fuumlhrung Der Fuumlhrerrat ist aufgeloumlst Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 60

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

86 Horst lunginger

schlag waren b) weder dem Jesuitenorden einer Freimaurerloge oder einem Geheimbund und c) auch keiner anderen Glaubensgemeinschaft angehoumlrten Die noch nicht aus der Kirche Ausgetretenen erhielten lediglich den Status von foumlrdernden Mitgliedern und durften sich nicht als Deutschglaumlubige bezeichshynen 53 Als Symbol der neuen Religion wurde das goldene Sonnenrad auf blaushyem Grund gewaumlhlt Nicht aus Zufall handelte es sich dabei um ein in Drehung befindliches Hakenkreuz denn der Nationalsozialismus bildete den entscheishydenden politischen und weltanschaulichen Bezugspunkt an dem sich die Deutshysche Glaubensbewegung orientierte Als eine Art Glaubensbekenntnis dienten drei von der Deutschglaumlubigen Gemeinschaft formulierten Leitsaumltze

1 Die Deutsche Glaubensbewegung will die religioumlse Erneuerung des Volkes aus dem Erbgrund der deutschen Art

2 die deutsche Art ist in ihrem goumlttlichen Auftrag aus dem Ewigen dem wir gehorsam sind

3 in diesen Auftrag allein sind Wort und Brauchtum gebunden Ihm gehorshychen heiszligt sein Leben deutsch fuumlhren54

Hauer war sich im Klaren daruumlber dass derart allgemeine Glaubensgrundsaumltze unterschiedlichsten Interpretationen Tuumlr und Tor oumlffneten und dass es zu den ersten Aufgaben der Deutschen Glaubensbewegung gehoumlren musste ihr religioumlshyses Programm genauer zu fassen und die divergierenden Kraumlfte auf einen gemeinsamen inhaltlichen Fokus hin auszurichten Unter Hintanstellung seiner akademischen Pflichten konzentrierte er seine Arbeitskraft deshalb auf die zielshygerichtete Ausgestaltung der Zeitschrift Deutscher Glaube und die Ausarbeishytung einer deutschglaumlubigen Programmschrift die noch 1934 im Stuttgarter Gutbrod Verlag unter dem Titel Deutsche Gottschau Grundzuumlge eines deutshyschen Glaubens erschien Im Anschluss an die Scharzfeld-Tagung wurde zudem ein eigenes Jugendwerk gegruumlndet das in Abgrenzung zu den christlich konfessionellen Jugendverbaumlnden seine Zustaumlndigkeit allein auf die Glaubensshyunterweisung und das religioumlse Brauchtum beschraumlnken und die nationalpolitishysche Erziehung der Jugend ganz den staatlichen Organen uumlberlassen wollte 55

Zum unbestrittenen Houmlhepunkt in der Entwicklung der Deutschen Glaubensshybewegung wurde eine am Freitagabend des 26 April 1935 mit etwa 20000 Teilshynehmern im Berliner Sportpalast abgehaltene Kundgebung In dem bis auf den letzten Platz gefuumlllten Sportpalast hielt Hauer einen Vortrag zum Thema Fremshyder Glaube oder deutsche Art und Reventlow sprach uumlber die Entwicklung der

53 Ebd S 61 54 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 61 55 Das von Paul Zapp gefuumlhrte Jugendwerk hieszlig Deutsche Glaubensbewegung Jungmitshy

glieder und verfuumlgte von November 1934 bis zum Maumlrz 1935 in der Zeitschrift Wilshyle zum Reich uumlber eine regelmaumlszligige Beilage (ebd S 62) Die Mitglieder des Jugendshywerks mussttn zugleich der Hitler -Iugend angehoumlren

87Die Deutsche GLaubensbewegung aLs ideoLogisches Zentrum

Deutschen Glaubensbewegung in den vorausgegangenen zwanzig Monaten56

Die Veranstaltung im Sportpalast wurde zu einem Riesenerfolg und machte die Deutsche Glaubensbewegung weithin bekannt Darauf aufbauend setzte Hauer seine Rednertaumltigkeit in unverminderter Intensitaumlt fort und scheute sich nicht in den Hochburgen des Katholizismus zu sprechen wo es wie in Muumlnster zu heftigen Protesten von katholischer Seite kam

Wie bei den meisten neuen Religionen uumlblich uumlbertrieb auch die Deutsche Glaubensbewegung die Zahl ihrer Mitglieder und den Grad ihrer Verbreitung ~o stark als moumlglich Heszlig gegenuumlber hatte Reventlow im Oktober 1933 von 200000 Hauer beim Reichsinnenministerium im Januar 1934 sogar von 500000 Mitgliedern gesprochenY Indem man zwischen wirklichen und potenshytiellen Mitgliedern keinen Unterschied mehr machte lieszligen sich die Zahlen noch weiter in die Houmlhe treiben So bezifferte Reventlow die erklaumlrten Anhaumlnshyger der Deutschen Glaubensbewegung auf zweieinhalb Millionen58 Dem lag die Vorstellung zugrunde dass deren tatsaumlchlicher Eintritt unmittelbar bevorshystehe und nur durch den noch immer uumlbermaumlszligigen Einfluss der Kirchen verhinshylIert werde Und natuumlrlich hatte auch die kirchliche Gegenseite ein besonderes Interesse daran die Deutsche Glaubensbewegung moumlglichst groszlig erscheinen zu lassen um die von ihr fuumlr das Christentum ausgehende Bedrohung so dramashytisch als moumlglich schildern zu koumlnnen Dieser Trend zur Uumlberzeichnung setzte sich in der Kirchenkampfgeschichtsschreibung fort und verwandelte die Deul sche Glaubensbewegung trotz ihrer relativ bescheidenen Groumlszlige in eine die Fun damente der christlichen Staatsordnung unterminierende Schreckgestalt Nuumlch tern betrachtet hatte die Deutsche Glaubensbewegung aber nie mehr als Hinfmiddot maximal zehntausend Mitglieder59 Die im engeren Sinn Nordischen kamen viel leicht auf zweitausend Personen Allerdings hatten Hauer und Reventlow kein Skrupel auch die etwa 60-90 000 Freireligioumlsen der Deutschen Glaubcnshcw Rung zuzuschlagen Doch serioumlser Weise koumlnnen diese selbst bei grolzuumlgillcr Auslegung eines deutschen Glaubens nicht zur ihren Mitgliedern Odl Anh crn gerechnet werden Aufgrund vielfaumlltiger Querverbindungen zu den

hmkern und Sozialdemokraten geriet der Versuch ihrer Eingliederun u Farce

Sogar im engeren Kreis der Deutschen Glaubensbewegung kam dlOell zu einem Auseinanderdriften der einzelnen Gemeinschafte

Fi nigungsbemuumlhungen ins Leere laufen lieszlig Nach der Deutschen Volk1dfIIII und der Nordisch-religioumlsen Arbeitsgemeinschaft zogen sich im Febru die Adler und Falken und im Februar 1935 die Deutschglaumlubige Gcmoln

b Btide Vortraumlge sind wiedergegeben in der Zeitschrift Durchhruch Knnplbl deutschen Glauben Rasse und Volkstum vom 8 51935 (S 1-6) Auch der Rel berichtete am 551935 ausfuumlhrlich daruumlber

7 Nltlnko Glaubensbewegung S 179 II Bartseh Wirklichkeitsmacht S 71 1I Nanko Glaubensbewegung S 179 f

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

89 88 Horst Junginger

wieder zuruumlck Noch gravierendere Folgen hatte der ideologische Streit uumlber eine mehr oder weniger offensive Abgrenzung vom Christentum der sich dahinshygehend zuspitzte dass Ende 1935 eine Riege jugendlicher Frondeure gegen die alte Fuumlhrung aufbegehrte Hauer und Reventlow sahen sich gezwungen Ende 1936 ihre Aumlmter niederzulegen da sie die von den jungen Kraumlften um Herbert Grabert Hans Kurth und Paul Orlowsky verlangte Verlagerung des Kampfes vom Metaphysischen ins Politische nicht mittragen wollten Ein am 5 April 1936 in Berlin abgehaltenes Krisentreffen aller Landesringleiter endete mit einer Erklaumlrung der neuen Fuumlhrung die versprach alle Lauheit in der Auseinandershysetzung mit dem Christentum abzulegen6o Mit der gleichzeitigen Verlautbashyrung dass die Deutsche Glaubensbewegung in der nationalsozialistischen Beweshygung aufgehen solle weil das Dritte Reich keiner eigenstaumlndigen religioumlse Sphaumlre mehr beduumlrfe wurde das eigene Ende bereits vorweggenommen In dem anschlieszligenden Streit um die Neuausrichtung der Deutschen Glaubensbeweshygung ging zunaumlchst Walther von Lingelsheim als Fuumlhrer hervor Er wurde im Februar 1937 von dem Rechtsanwalt Bernd Wiedenhoumlft abgeloumlst wobei in den reichlich verworrenen Interimsverhaumlltnissen zwischenzeitlich beide als Fuumlhrer auftraten Der als Ketzer von Magdeburg bekannte Paul Orlowsky war nach internen Streitigkeiten ausgebootet worden Andere wie Herbert Grabert und der von den Ludendorffern kommende Hans Kurth zogen sich freiwillig zuruumlck 61 Uumlbrig blieben letztlich nur einige Splittergruppen die vom SD argshywoumlhnisch beobachtet wurden Der voumllkische Totalitaumltsanspruch des Nationalshysozialismus hatte das Anliegen der Deutschen Glaubensbewegung mitsamt ihren Mitgliedern in sich aufgesogen

4 Der fehlgeschlagene Versuch die Freireligioumlsen in die Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern

Die Geschichte der Freireligioumlsen in der Zeit des Dritten Reiches erscheint nicht nur fuumlr Auszligenstehende unuumlbersichtlich und schwer zu durchschauen Von jeher hatten die vielen unterschiedlichen Zufluumlsse aus denen sich der breite Strom der freireligioumlsen Bewegung speiste das Zustandekommen einer einheitshylichen Organisationsstruktur verhindert Dass die atheistischen Freidenker 1933 sofort verboten wurden lag auf der Hand Doch bei den Freireligioumlsen die Freishyheit nicht von sondern in der Religion anstrebten fuumlhrte der nationalsozialistishy

60 Unterzeichnet wurde die Erklaumlrung von Walther von Lingelsheim dem Landesringleishyter Mecklenburgs von Paul Orlowsky dem Landesringleiter Groszlig-Berlins und vom Leishyter des Haupt- Organisations- Werbe- und Presseamts Wilnelm Heszligberg Vgl Bartsch Wirklichkeitsmacht S 74

61 Kurth stand der Ludendorftbewegung nahe und hatte Anfang 1936 die Schriftleitung des Durchbruch von Ernst Precht uumlbernommen Ihm gelang es die Auflagenhoumlhe des Durchbruch von 7000 Exemplaren auf 17000 zu steigern (ebd S 72 f) In der von Januar 1934 bis Mai 1938 erscheinenden Zeitschrift spielten religioumlse Inhalte jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielte

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

sehe Machtwechsel zu einem Verhalten das einerseits durch die Angst vor der Verfolgung andererseits aber auch von dem Wunsch gepraumlgt wurde sich in das lieue politische System einzufuumlgen Bereits vor 1914 hatte sich schon eine gershymanophile Sonderform der Freidenkerei angedeutet die allerdings keinen hcstimmenden Einfluss in der freireligioumlsen Bewegung entfalten konnte 62 Eine Erneuerung des religioumlsen Lebens durch die Bezugnahme auf die alten Germashynen oder Arier blieb ein Randphaumlnomen und trat nur bei Einzelnen in Erscheishynung 63 Als Hauer im Sommer 1933 den Versuch unternahm die Freireligioumlsen in die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung einzugliedern untershysehaumltzte er nicht nur die inhaltlichen Unterschiede sondern auch die fuumlr die freishyreligioumlse Bewegung charakteristische Selbstaumlndigkeit der einzelnen Gemeinden neides zusammengenommen lieszlig ihre Gleichschaltung zu einem aussichtlosen Unterfangen werden Dessen ungeachtet hegten auch einige Freireligioumlse den Wunsch sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren oder sogar zu seiner religioumlsen Ausgestaltung beizutragen Fundierte Urteile uumlber ein solches AnpasshyMtngsverhalten sind beim derzeitigen Forschungsstand allerdings ebenso wenig moumlglich wie eine Darstellung der freireligioumlsen Bewegung im Dritten Reich insgesamt Erst in juumlngster Zeit hat man bei den Freireligioumlsen vorsichtige und ill vielem noch ungenuumlgende Schritte eingeleitet sich dieses Themas anzunehshymen und die eigene Geschichte nicht laumlnger nur unter dem Aspekt der Untershyuruumlckung durch den Nationalsozialismus zu sehen 64

Allem Anschein nach ging die Initiative fuumlr eine Kontaktaufnahme zwischen uen Freireligioumlsen und Hauer von Rudolf Walbaum dem Prediger der Freirelishy~ioumlsen Gemeinde Worms und von Georg Pick dem freireligioumlsen Pfarrer in Mainz und Vorstand des Verbandes freireligioumlser Gemeinden Deutschland II l1S 65 Pick lud Hauer zu einer Ende Mai 1933 stattfindenden Verbandstagung

)2 So Horst Groschopp Dissidenten Freidenkerei und Kultur in Deutschland Berlin 1997 S 407 Vgl zum allgemeinen Kontext auszligerdem Jochen-Christoph Kaiser Arbeishyterbewegung und organisierte Religionskritik Proletarische Freidenkerverbaumlnde in Kaishyserreich und Weimarer Republik Stuttgart 1981 Frank Simon-Ritz Die Organisation einer Weltanschauung Die freigeistigen Bewegungen im Wilhelminischen Deutschland Guumltersloh 1997

11 Etwa bei dem freireligioumlsen Prediger Erich Schramm der im August 1933 die freirelishygioumlse Bewegung als eine Weiterentwicklung alter germanischer Religion auf der Grundshylage der Blutsverbundenheit deutete Vgl Matthias Pilger-Stroh I Eine deutsche Religishyon Die freireligioumlse Bewegung - Aspekte ihrer Beziehung zum voumllkischen Milieu In Stefanie von SchnurbeinIJustus H Ulbricht (Hg) Voumllkische Religion und Krisen der Moderne Enrwuumlrfe arteigener Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende WUumlIIshyburg 2001 S 342-366 hier 350 f

Hier ist in erster Linie die vom Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands in Auf trag gegebene Magisterarbeit von Christian Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozia lismus Die Selbstdarstellung freireligioumlser Organisationen in Deutschland 1933 hi~ 1945 Marburg 2008 zu nennen Dass in einem die Ergebnisse der Arbeit relativierclI den Vorwort Kritikpunkte aus dem i-nternen Universitaumltsgutachten zitiert werden Zei(l aber wie weit man noch von einer serioumlsen wissenschaftlichen Aufarbeitung entfernt ist

bI Zu Walbaum und Pick vgl Eckhart Pilick (Hg) Lexikon freireligioumlser Personen Rohr bach Pfalz 1997 S 172 und 122-125

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

90 Horst Junginger

nach Ruumldesheim ein um die Frage eines Zusammenschlusses aller religioumlsen Bestrebungen die sich nicht an das Christentum binden wollen zu sondieshyren 66 Die Freireligioumlsen machten sich groszlige Sorgen wegen der kirchenfreundshylichen Politik des NS-Regimes und weil gegen etliche ihrer Mitglieder Verfolshygungsmaszlignahmen in die Wege geleitet worden waren Dass Hauer unter diesen Umstaumlnden wie er wenige Wochen spaumlter an Paul Zapp schrieb tatsaumlchlich daran dachte sich selbst den Freireligioumlsen anzuschlieszligen ist ziemlich unwahrshyscheinlich67 Doch zweifellos beabsichtigte er eine verstaumlrkte Zusammenarbeit mit den Freireligioumlsen die von ihm deswegen auch zu der Tagung Ende Juli nach Eisenach eingeladen wurden Mit ihnen haumltte die Deutsche Glaubensbewegung noch ganz anders auftreten koumlnnen Die zahlen maumlszligig groumlszligte Organisation der Freireligioumlsen bildete der 1924 gegruumlndete Volksbund fuumlr Geistesfreiheit (VfG) dem etwa 60000 Mitglieder in 150 Gemeinden angehoumlrten68 Um dem drohenshyden Verbot zu entgehen nahm der Volksbund fuumlr Geistesfreiheit mehrere Umbenennungen vor jedoch ohne Erfolg Unter dem am 4 Juni 1933 angenomshymenen Namen Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands (BFGD) wurde er anderthalb Jahre spaumlter am 20 November 1934 durch einen Erlass Goumlrings in Preuszligen aufgeloumlst

Carl Peter der Leipziger Geschaumlftsfuumlhrer des nunmehrigen BFGD wandte sich am 13 Juli 1933 ebenfalls an Hauer um ein Zusammengehen aller kirchshylich nicht gebundenen religioumlsen Kraumlfte zu sondieren 69 Verstaumlrkte Repressalien gegen Freireligioumlse veranlassten Peter sich nach moumlglichen Verbuumlndeten umzushysehen Nur wenige Wochen vorher hatte die saumlchsische Regierung unter Martin Mutschmann den obligatorischen Religionsunterricht wieder eingefuumlhrt den auch die nichtchristlichen Kinder sogenannter Dissidenten besuchen mussten Bei der Eisenacher Tagung der ADG nahmen sowohl Carl Peter vom BFGD als auch Georg Pick vom Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands teil Die Freireligioumlsen stellten mit zwanzig Personen sogar die groumlszligte Gruppe auf der Wartburg gefolgt vom Freundeskreis der Kommenden Gemeinde mit fuumlnfzehn

66 Pick an Hauer vom 155 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 295) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 119

67 Hauer an Zapp vom 261933 (BArch NL Hauer Band 16 fol 236) zitiert nach Nanko Die Deutsche Glaubensbewegung S 121

68 Der VfG entstand 1924 aus dem Zusammenschluss des Bundes Freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands (BFGD) mit dem Deutschen Freidenkerbund Mehrere freireligioumlse Gemeinden in Suumldwestdeutschland um Georg Pick lehnten die Verbindung jedoch wegen der atheistischen Neigungen der Freidenker ab und schieden aus dem BFGD aus bzw schlossen sich mit der Landesgemeinde Baden zum Verband freireligioumlser Gemeinshyden Deutschlands zusammen Die Zahl der Mitglieder aes vor allem die Gemeinden in Frankfurt Offenbach Mainz und Muumlnchen umfassenden Verbandes betrug etwa 20000 Personen Eine dritte Hauptstroumlmung neben Verband und Volksbund bildete die Freireligioumlse Landesgemeinde in Baden der die Gemeinden in Mannheim Heidelshyberg Karlsruhe Pforzheim Freiburg und Konstanz angehoumlrten Vgl Langenbach Freishyreligioumlse im Nationalsozialismus S 27 f

69 Petcr an Hauer vom 13 7 1933 (BArch NL Hauer Band 52 fol 276-278) Zit nach Nanko Glaubtnsbewegung S 122

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 91

Teilnehmern7o Der Verband freireligioumlser Gemeinden Deutschlands der sich noch in Eisenach der ADG angeschlossen hatte widerrief seine Entscheidung jedoch wenige Tage spaumlter am 4 August 1933 71 Obwohl Hauer noch einige Monate mit dem Verband verhandelte blieb dieser bei seiner Ablehnung Mit dem Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands kam es dagegen zu einer naumlheren Beziehung zwischen Deutschglaumlubigen und Freireligioumlsen Unter dem unmittelbaren Eindruck der Eisenachtagung hatte Carl Peter Hauer am 31 Juli 1933 seine Bereitschaft signalisiert aktiv am nationalsozialistischen Staatsaufshybau mitzuwirken Wie Hauer dachte auch Peter aumlhnlich positiv uumlber einen strikt nationalen Sozialismus und verstand sich wie dieser als ein gegen marxistische Dogmen eingestellter Sozialist Im Dritten Reich sah Peter die sozialistische

72Idee zu neuem Leben erwachen Hauer teilte dem BFGD-Vorsitzenden und fruumlheren SPD-Mitglied Georg Kramer am 7 September 1933 mit dass er sich den Kampf gegen die marxistischen Elemente bei den Freireligioumlsen zum Ziel gesetzte habe73 Drei Tage spaumlter uumlbernahm Hauer auf der BFGD-Tagung in Leipzig selbst den Vorsitz des Bundes der sich nun aber in Bund der Gemeinshyden deutschen Glaubens umbenannte

Der ideologische Schwenk des fruumlheren Volksbundes fuumlr Geistesfreiheit wurshyde von einer gewissen Dramatik begleitet weil ein von Kramers Sohn in Leipshyzig verteiltes Flugblatt Ermittlungen der Gestapo nach sich zog Carl Peter und spaumlter auch Georg Kramer wurden verhaftet und die Bundeskasse beschlagshynahmt Sogar bei Hauer in Tuumlbingen wurde waumlhrend seiner Abwesenheit eine Hausdurchsuchung vorgenommen Hauer setzte sich daraufhin mit dem Leipshyziger Polizeipraumlsidium und mit der Berliner Gestapo ins Benehmen um die Freishylassung der Inhaftierten zu erreichen Das Flugblatt bezeichnete er als Missvershystaumlndnis und als Einzelaktion eines Auszligenseiters Er werde alles unternehmen 11m die Freireligioumlsen dem Nationalsozialismus zuzufuumlhren und es zu verhinshydern wissen dass staatsfeindliche Elemente bei den Freireligioumlsen Unter-eh lupf faumlnden Besonderes Augenmerk werde er auf die Uumlberpruumlfung ihrer

~taatstreuen Gesinnung und ihr Bekenntnis zum Dritten Reich legen74

Am

7U An dritter Stelle rangierten die Adler und Falken mit neun und an vierter Stelle die Norshydungen und die Edda-Gesellschaft die jeweils acht Vertreter nach Eisenach entsandt hatten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 342

71 Der Eintritt in die ADG war am 2 8 1933 auf einer Verbandstagung in Mainz heftig kritisiert worden Bemaumlngelt wurde nicht nur die Anwendung des Arierparagrafen sonshydern insbesondere auch dass die Freireligioumlsen unter Wert behandelt worden seien und keinen Vertreter in den Fuumlhrerrat delegieren konnten Vgl Nanko Glaubensbewegung S 185 f Bartsch Wirklichkeitsmacht S 52 Peter an Hauer vom 31 71933 (BArch NL Hauer Band 53 fol 367 f) Junginger Religionswissenschaft S 134

n Ich stehe auf dem Standpunkt dass der materialistische und im zerstoumlrerischen Sinne atheistische Marxismus undeutsch ist und darum vom Standpunkt des deutschen Rei middot ches und des Volkes aus bekaumlmpft werden muss So Hauer an Kramer vom 79 1933 (ebd Band 54 fol 242) Zit nach Junginger Religionswissenschaft S 134

4 Hauer an das Polizeipraumlsidium in Leipzig vom 279 1933 und an die Gestapo in Berlin vom 7111933 (ebd Band 54 fol 195 und Band 55 fol 1-3) Zit nach ebd S 134

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

92 Horst Junginger

3 Oktober 1933 vertraute er Reventlow an Wer sich von den Marxisten nicht einfuumlgen kann der soll fallen man soll ihn meinetwegen aufhaumlngen Aber die andern darf man nicht so in die Fremde von Volk und Gemeinschaft treiben75

Sechs Wochen spaumlter erhielt Hauer am 19 November ein Schreiben von Wershyner Best dem Leiter des SD-Oberabschnitts Suumld-West in dem dieser um Inforshymationen uumlber die ADG und die Freireligioumlsen bat 76 Daraus entwickelte sich eine enge Arbeitsbeziehung zwischen Hauer und dem Sicherheitsdienst der SS die Hauer zum Denunzianten und Zutraumlger von Informationen werden lieszlig die der polizeilichen Unterdruumlckung des fuumlr nichtintegrierbar gehaltenen Teils der Freireligioumlsen Vorschub leisteten oder diese vielleicht sogar erst ermoumlglichten Am 29 Januar 1934 wurde Best in den Fuumlhrerrat der ADG aufgenommen und am 17 April 1934 fand eine erste Begegnung zwischen Himmler Heydrich und Hauer in Muumlnchen statt Hauer der im Juni 1934 in die SS und den SD eintrat teilte Himmler am 7 Mai mit dass er sich diesem persoumlnlich fuumlr die Gleichschalshytung der Freireligioumlsen und fuumlr die Durchdringung dieser Gemeinden mit natier nalsozialistischem Geiste verantwortlich fuumlhle 77 Am 9 Mai folgte die Zusage dass er Georg Kramer ersetzen werde falls Himmler dies wuumlnsche 78 Wenig spaumlter begann am 18 Mai die Tagung in Scharzfeld auf der Freireligioumlse aber schon nicht mehr in Erscheinung traten Am 17 Juni 1934 legte Hauer den Vorshysitz des Bundes der Gemeinden deutschen Glaubens nieder der daraufhin komshymissarisch von earl Peter uumlbernommen wurde 79 Fuumlnf Monate spaumlter folgte der Verbotserlass durch den preuszligischen Ministerpraumlsidenten Hermann Goumlring an den sich weitere staatliche Maszlignahmen anschlossen so die Aufloumlsung des Bunshydes fuumlr Geistesfreiheit in Nuumlrnberg und der Freireligioumlsen Landesgemeinde in Bayern im Dezember 1934

Auf der anderen Seite laumlsst sich nicht uumlbersehen dass Teile der freireligioumlsen Bewegung mit dem voumllkischen Gedanken oder sogar mit dem Nationalsozialisshymus sympathisierten Die am 13 Mai 1934 aus dem Zusammenschluss des Vershybandes Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands und der Freireligioumlsen Landesshygemeinde Baden hervorgegangene Freie Religionsgemeinschaft Deutschlands (FRD) legte sich schon am 21 Juli 1935 darauf fest dass Gemeindebeamten

8ound Mitglieder des Gemeindevorstandes arischer Abstammung zu sein hatten

75 Hauer an Reventlow vom 3 10 1933 (ebd Band 94 fol 162) Zit nach ebd S 135 76 Best an Hauer vom 191 11933 (ebd Band 55 fol 66) Zit nach ebd S 135 77 Hauer an Himmler vom 751934 (ebd Band 82 fol 143 f ) Zit nach ebd S 135

Bereits am 264 1933 hatte Hauer Himmler gegenuumlber seine Kooperationsbereitschaft bekundet (ebd S 135 und NL Hauer Band 82 fol 150)

78 Hauer an Himmler vom 95 1934 (BArch NL Hauer Band 82 fol 142) Zit nach junshyginger Religionswissenschaft S 134

79 Vgl Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 38 f Als neuen Namen waumlhlte man nun Bund Freireligioumlser Gemeinden Deutschlands

80 Vgl ebd S 65 f Die Badener Landesgemeinde (mit Ausnahme der Gemeinde in Karlsshyruhe) verlieszlig die FRD 1935 wieder Dagegen schlossen sich uumlber die suumldwestdeutschen Gemeinden hinaus aueh noch die Freireligioumlsen Gemeinden in Nordhausen und in lIamburg sowie die Freiprotestanten in Rheinhessen der FRD an (ebd S 39-41)

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum 93

In Anlehnung an die Nuumlrnberger Gesetze wurde auf einer Gemeinschaftstagung mn 21 Mai 1939 in Offenbach uumlberdies entschieden dass auch normale Mitshyglieder den Anforderungen des Reichsbuumlrgerrechts genuumlgen das heiszligt deutshyehen oder artverwandten Blutes sein mussten Dieser Beschluss bedeutete omit nichts weniger als dass saumlmtliche Mitglieder juumldischer Abstammung aus

den Gemeinden der FRD ausgeschlossen wurden 81 Noch deutlicher kam der voumllkische Impuls in der am 29 August 1937 gegruumlndeten Gemeinschaft Deutshysche Volksreligion (GDV) der Nachfolgeorganisation des Bundes fuumlr Geistesshyfreiheit zum Ausdruck Zum GDV-Vorsitzenden wurde Ernst Bergmann ernannt die Geschaumlftsfuumlhrung uumlbernahm wieder einmal earl Peter Die neue Gemeinschaft uumlber die noch wenig geforscht wurde verfuumlgte 1942 bereits wieshyder uumlber vierzig Gemeinden82 1944 besaszlig sie etwa 18000 Mitglieder und uumlbershyIruf die Groumlszlige der fruumlheren Deutschen Glaubensbewegung bei weitem

Dass nun ausgerechnet Bergmann die Fuumlhrung der Gemeinschaft Deutsche Volkskirche uumlbernahm ist ein nachdruumlcklicher Beleg fuumlr das ideologische Durcheinander bei den Voumllkisch-Religioumlsen Offenbar hatte die Deutsche Glaushybensbewegung hier nur sehr bedingt und nur fuumlr kurze Zeit stabilisierend wirshyke n koumlnnen Obwohl Bergmann als einer der maszliggeblichen intellektuellen f-uumlhrergestalten der Deutschglaumlubigen in Erscheinung trat war er bereits am

4 Januar 1934 aus dem inneren Fuumlhrerrat der ADG wieder ausgeschieden83

Der eigentliche Grund fuumlr dieses Verhalten blieb der Oumlffentlichkeit unbekannt S(l gut wie niemand wusste dass Hauer Bergmann zum Verlassen gedraumlngt halte weil er in erster Ehe mit einer Juumldin verheiratet gewesen war Wahrscheinshylich wurde Hauer im Anschluss an die Eisenach-Tagung vom SO uumlber diesen Suchverhalt in Kenntnis gesetzt Hauers Dilemma bestand darin dass er schlecht dh vorbehaltlose Anerkennung der staatlichen Ariergesetzgebung propagieren und gleichzeitig einen juumldisch versippten Intellektuellen in fuumlhrender Position belassen konnte Es entbehrte dabei nicht der Komik - aus der Sicht Hauers und Blrgmanns der Tragik - dass ein notorischer Antisemit unter dem Arierpara-

rufen zu leiden hatte Bergmanns zweite Ehefrau beschwerte sich am 7 Juni 14H in bitteren Worten bei Hauer auch wenn sie selbst die Ausscheidung der ImllJ1 grundsaumltzlich befuumlrwortete Im Falle ihres Mannes sei es jedoch absurd ci lllm reinen Arier seine Arierschaft abzusprechen Ein an sich richtiger uanke schlage in sein Gegenteil um 84 Hauer antwortete eine Woche spaumlter

85 Ultl sein Bedauern auszusprechen Indes die Maszlignahme sei unumgaumlnglich

In einer von earl Peter 1941 zu Bergmanns 60 Geburtstag herausgegebenen h~N lchrift lieszlig Louise Bergmann ihrer Empoumlrung uumlber den schmaumlhlichsten

MI Ebd S 65 Ebd S 39 Vlll Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 Louise Bergmann an Hauer vom 76 1934 (BArch NL Hauer Band 60 fol 65) Zit nllch junginger Religionswissenschaft S 184

M lIuuer an Louise Bergmann vom 14 61934 (ebd Band 60 fol 64) Zit nach ebd

184

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

95 94 Horst junginger

Verrat an einem Volksgenossen der tapfer und in treuer Gefolgschaft zum Fuumlhshyrer am geistigen Aufbau Germaniens mitarbeitete freien Lauf86 Augenscheinshylich habe man es in der ADG nicht ertragen dass sich ihr Mann im Kampf gegen Rom und den Fremdglauben eigene Meriten erworben habe Weil er sich an dem beschaumlmenden Schauspiel des Bruderzwists und der Selbstzerfleishyschung im Angesicht der christlichen Einheitsfront nicht laumlnger beteiligen wollshyte sei ihm nichts anderes uumlbrig geblieben als sich zuruumlckzuziehen87 Angewishydert durch die Vorgaumlnge innerhalb der verschiedenen voumllkisch-religioumlsen Kampfgruppen hatte er sich schlieszliglich seine eigene Religionsgemeinschaft gegruumlndet die Gemeinschaft Deutsche Volksreligion die heute uumlber ganz Deutschland verbreitet ist und wohl als die am meisten innerlich gefestigte und von der klarsten Zielsetzung erfuumlllte voumllkische Religionsgemeinschaft gelten kann die es zur Zeit in Deutschland gibt Dem fuumlgte Louise Bergmann noch die Bemerkung hinzu dass die Gruumlndung der Gemeinschaft Deutsche Volksshyreligion unter ausdruumlcklicher Billigung der Geheimen Staatspolizei erfolgt sei und dass sich die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Carl Peter als auszligerordentlich fruchtbar erwiesen habe88

Eine geistige Naumlhe zum Werk Bergmanns war von manchen Freireligioumlsen schon sehr fruumlh entdeckt worden In einer Nummer der Zeitschrift Geistesfreishyheit stand zu lesen dass Bergmann der freireligioumlsen Weltanschauung ganz nahe stehe89 Als Hauer am 10 September 1933 in Leipzig den Vorsitz des Bundes der Gemeinden Deutschen Glaubens uumlbernahm wurde Bergmann das Amt eines allerdings nicht naumlher definierten geistigen Beraters uumlbertragen9o

Im Anschluss an seinen Ruumlcktritt aus dem Fuumlhrerrat der ADG unternahm Bergshymann ausgedehnte Vortragsreisen bei freireligioumlsen Gemeinden in Deutschland die ihn besonders nach Sachsen Schlesien und in das Rheinland fuumlhrten Fuumlr die ehemalige Zeitschrift Geistesfreiheit die jetzt Deutsche Glaubenswarte hieszlig verfasste der Leipziger Philosoph die maszliggeblichen Artikel programmatishyschen Inhalts Als die Deutsche Glaubenswarte im Vollzug des Goumlring-Erlasshyses ihr Erscheinen einstellte sprang die Zeitschrift Deutsches Werden der Gesellschaft fuumlr nordische Kultur ab Juli 1935 Zeitschrift fuumlr Deutsche Volksshyreligion und den nordischen Gedanken ein In der jetzt vom Fahrenkrog-Vershylag herausgegebenen Zeitschrift fungierte Bergmann als Schriftleiter Die enge Beziehung zwischen Bergmann Fahrenkrog und Peter zeigt sich schon daran dass der Verlag der Fahrenkrog-Gesellschaft im November 1934 seinen Dienstshysitz nach Leipzig verlegte und Carl Peter neuer Inhaber wurde9

86 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 86 87 Ebd S 86 Auch Bergmann selbst kritisierte in einer Zeitschrift der Freireligioumlsen dass

die Deutsche Glaubensbewegung durch ihre Fuumlhrer in ein Truumlmmerfeld verwandelt worden sei Deutsches Werden Nr 11 1936 S 3 Zit nach Langenbach Freireligioumlse im Nationalsozialismus S 111 f

88 Ebd S 87 f 89 Die Geistesfreiheit 8 1933 Zit nach Bartsch Wirklichkeitsmacht S 88 90 Ebd S 53 und 89 gl Ebd S 89

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Einerseits betrachtete Hauer das Ausscheiden Bergmanns als einen herben Verlust fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung Andererseits bedeutete sein RuumlckshyIug eine spuumlrbare Entlastung denn Bergmanns Veroumlffentlichungen die selbst in NS-Kreisen hochgradig umstritten waren boten den kirchlichen Gegnern eine ideale Angriffsflaumlche So gut wie alle kirchlichen Verlautbarungen uumlber das Neuheidentum nahmen Anstoszlig an Bergmanns voumllkischer Sexuallehre die in der Tat dazu angetan war die Deutsche Glaubensbewegung dem Gespoumltt preisshyzugeben Man brauchte keine Zeile von Bergmann gelesen zu haben um jene r~lssagen seiner Buumlcher zu kennen die vom nubischen Wildesel mit seinen zwanzig Stuten oder dem fleiszligigen germanischen Juumlngling handelten der allein mit der Kraft seiner Lenden die Sache der arischen Rasse voranbringen konnte Der Kieler Theologe Helmuth Schreiner nannte Bergmann denn auch einen bullGestuumltsdirektor fuumlr Volksaufzucht 92 Die Deutschen Christen nahmen ebenshytuumllls Anstoszlig an Bergmann und ruumlckten ihn mitsamt der Deutschen Glaubensbeshywegung in die Naumlhe des Materialismus und des freidenkerischen Gottlosentums Neu ist nur dass dies Freidenkerturn nun auch im Braunhemd auftritt dass es vom Blut und von der Rasse aus projiziert und sich radikal voumllkisch gebaumlrdet93 In Reventlows Reichswart erschien im Februar 1933 eine kritische Stellungshynahme zu Bergmann die ihm vorwarf weltanschaulicher Materialist zu scin94 Und im Januar 1934 wandte sich Reventlow an Hauer wie wichtig es sei ttenuumlgend Abstand zu Bergmann zu wahren um den Ruf der Deutschen Glaushyhcnsbewegung nicht zu gefaumlhrden95

Wenn sich schon die voumllkische Konkurrenz derart missbilligend auslieszlig war es nicht verwunderlich dass Bergmann im akademischen Umfeld einen noch lichwereren Stand hatte

Der bekannte Leipziger Philosoph und Paumldagoge Theodor Litt bezeichnete ihn als einen philosophischen Denker ohne Bedeutung96 Er sei eine fuumlr die Unishy

12 Louise Bergmann Ernst Bergmann S 84 I) Walter Grundmann Totale Kirche im totalen Staat Dresden 1934 S 6 zu Bergmann

bes S 42-77 ltl4 Bartsch Wirklichkeitsmacht S 59 In die gleiche Kerbe hieb auch der deutschglaumlubishy

ge Religionsphilosoph und Leiter des philosophisch-religioumlsen Arbeitskreises der ADG Hermann Schwarz (ebd)

jj Reventlow an Hauer vom 3111934 (BArch NL Hauer Band 115 fol 119) Zit nach Nanko Glaubensbewegung S 326 Noch deutlicher wurde Reventlow am 1231934 Leider muss ich immer wieder auf Bergmann zuruumlckkommen der uns in Wort und Schrift staumlndig schadet Ich denke Sie werden heute mit mir einer Ansicht darin sein dass er sich nicht aumlndert auch nicht den Willen zur Zuruumlckhaltung im Sinne der A D G hat im Gegenteil Ich verkenne natuumlrlich nicht dass ein Krach wenn nicht notwendig vermieden werden muss Aber es ist doch eine bedenkliche Sache dass die christlichen Blaumltter an Bergmanns Reden exemplifizieren dass die A D G nur eine neue Auflage des alten Freidenkerturns sei und gleichzeitig dabei auf die intensive Betaumltigung Bergshymanns in den freireligioumlsen Organisationen hinweisen Zit nach ebd S 328 (BArch NL Hauer Band 115 fol 82 f)

Ib So Litt in einem handschriftlichen Gutachten das einen Eingangsstempel der Philososhyphischen Fakultaumlt vom 16 10 1933 traumlgt (Universitaumltsarchiv Leipzig Phil Fak 39 fol 95) [n seiner Eigenschaft als Fachberater fuumlr Hochschulfragen des Nationalsoziashy

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

97 Horst Junginger

versitaumlt Leipzig beschaumlmende Figur urteilte Litts Kollege Felix Krueger97 Selbst ein dezidierter Nationalsozialist wie der Dekan der Philosophischen Fakultaumlt Helmut Berve aumluszligerte sich ausgesprochen negativ uumlber Bergmann dessen liteshyrarische Produktion die Grenzen des guten Geschmacks des Oumlfteren verletze Man frage sich wie ein Mann von so geringem wissenschaftlichen Verantworshytungsgefuumlhl an der Universitaumlt Leipzig Vorlesungen halten koumlnne 98 Rosenbergs Hausphilosoph Afred Baeumler nannte Bergmann einen Wirrkopf und lehnte seine Aufnahme in die deutsche Delegation fuumlr den Internationalen Philososhyphenkongress in Paris 1937 strikt ab99

Auch im Sicherheitsdienst der SS machte man sich Gedanken uumlber Bergshymann In einem Philosophen-Dossier des SD heiszligt es dass der Reichsfuumlhrer SS zwar etwas positiver als Rosenberg zu Bergmann stehe IOO Doch seien trotz gewisser Beruumlhrungspunkte wesentliche Abweichungen zwischen der Philososhyphie Bergmanns und der Weltanschauung des Nationalsozialismus festzustellen Insbesondere sei eine Distanzierung von Bergmanns deutschglaumlubigen Theoshyrien angebracht um dem politischen Gegner nicht in die Haumlnde zu spielen IOI

Heydrich schrieb am 3 Juni 1937 an Himmler dass man Bergmann zwar nicht unbedingt wie einen Gegner und Staatsfeind behandeln solle Seine Ansichshyten seien jedoch mit aufklaumlrerischen und freidenkerischen Gedankengaumlngen in einer Weise durchsetzt dass man nicht umhin koumlnne sich von ihm zu distanshy

zieren 102

listischen Deutschen Lehrerbundes hatte Bergmann am 11 7 1933 an die Stabsleitung des NSLB geschrieben dass er sich daruumlber wundere warum ein Gegner des Nationalmiddot sozialismus wie Litt noch immer nicht beurlaubt sei (HStA Dresden 10210 8 fol 38)

97 Bergmanns Fichtebuch sei nationaler Kitsch So Kruumlger in einem Schreiben an den Dekan der Philosophischen Fakultaumlt am 123 1934 Zit nach Christian Tilitzki Die deutsche Universitaumltsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Teil 1 Berlin 2002 S 695

98 Dass Prof Bergmanns Wirken in Vortraumlgen und literarischen Veroumlffentlichungen die Grenzen uumlberschreitet welche das wissenschaftliche Verantwortungsgefuumlhl einem Unishyversitaumlts-Professor setzen muss wird von Herrn Kruumlger hervorgehoben ist mir auch von zahlreichen anderen Kollegen bestaumltigt worden und wird selbst bei einer fluumlchtigen Lektuumlre der letzen Buumlcher Prof Bergmanns jedem wissenschaftlichen Leser rasch ersichtlich Dass dabei auch die Grenzen des moralisch Ertraumlglichen uumlberschritten und sittliche Dinge in einem Geiste behandelt werden der den Bestrebungen des neuen Staashytes wie ich glaube krass widerspricht sei an einem Beispiel dargetan auf das in der Goumlttinger Zeitung vom 1121933 hingewiesen wurde So Berve an das Saumlchsische Volksbildungsministerium vom 23 3 1934 (Universitaumltsarchiv Leipzig Personalakte Bergmann Nr 306 fol 79-81 bzw Film Nr 1339 fol 5580 Das Zitat ist auch abgeshydruckt bei Carsten Heinze Die Paumldagogik an der Universitaumlt Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 Bad Heilbrunn 2001 S 159

99 Vgl Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 695 shy100 Das undatierte SD-Dossier findet sich im REM-Bestand des Bundesarchivs (4901

124444) bzw daraus wiedergegeben httphomepagesuni-tuebingendegerdsimon philosophendossierspdf

101 Ebd 102 Zit nach Tilitzki Universitaumltsphilosophie S 766

Die Deutsche Glaubensbewegung uls ideologisches Zentrum

Die Deutsche Glaubensbewegung und das Dritte Reich

AII~h ohne die Uumlbernahme der Freireligioumlsen stellte die Deutsche Glaubensbeshywegung den bei weitem erfolgreichsten Versuch dar das heterogene Spektrum voumllkisch-religioumlser Ideen staumlrker zu vereinheitlichen Den Charakter einer bloshyszlige n Bewegung und den Bereich eines disparaten kultischen Milieus rasch hinshyleI sich lassend gelang es der Deutschen Glaubensbewegung nicht nur die Vielshywhl vagierender Vorstellungen hinsichtlich einer paganen Alternative zum Christentum besser zu strukturieren sondern auch ein Stuumlck weit zu institutioshynalisieren Das theologische Konstrukt eines deutschen Glaubens entfaltete eine In der voumllkischen Bewegung bis dato unbekannte Attraktionskraft und zog wie ein Magnet die Wuumlnsche und Phantasien vieler religioumls Suchender an um sie durcheinanderliegenden Eisenspaumlnen gleich auf einen gemeinsamen Zielpunkt hin auszurichten Von daher kann man durchaus sagen dass die Deutsche Glaushybensbewegung zumindest fuumlr kurze Zeit das ideologische Zentrum der voumllshykisch-religioumlsen Bewegung bildete Haumltte Deutschland den Krieg gewonnen und waumlren ihr statt zwei oder drei zwanzig oder 200 Lebensjahre beschieden geweshysen haumltte sich das pagane Milieu weiter konsolidiert Moumlglicherweise waumlren dann auch die Teile der freireligioumlsen Bewegung hinzugekommen die sich einer voumllkischen Neuausrichtung bislang noch verweigerten Dieser unbestreitbare Erfolg bei der ideologischen Gleichrichtung des voumllkisch-religioumlsen Lagers sollte aber nicht zu dem Missverstaumlndnis verleiten dass die Deutsche Glaubensbeweshygung oder irgendeine andere pagane Religionsgemeinschaft der ins Religioumlse verlaumlngerte Arm des Nationalsozialismus gewesen waumlre So wenig es der Deutshyschen Glaubensbewegung gelang auch nur die Mehrheit der Voumllkisch-Religioumlshysen hinter sich zu scharen so aussichtslos blieb ihr Bemuumlhen in die inneren Strukturen und Institutionen des Staates einzudringen Obwohl sich die NSshyFuumlhrung die Chance nicht entgehen lieszlig das Neuheidentum als Druckmittel gegenuumlber den Kirchen einzusetzen achtete sie sehr darauf seine Anfuumlhrer und Organisationen von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten Hitlers Missbilshyligung aller Versuche die germanischen Goumltter wiederauferstehen zu lassen ist bekannt Eine besondere Sympathie fuumlr das deutschglaumlubige Anliegen war weder bei ihm noch bei der uumlberwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Fuumlhrer zu erkennen Geradezu abfaumlllig aumluszligerte sich Joseph Goebbels uumlber die Deutsche Glaubensbewegung Kurz nach dem Ruumlcktritt von Hauer und Reventshylow notierte er am 25 April 1936 in sein Tagebuch Reventlow erzaumlhlt mir von den neuen Religionsgruumlndern Hauer etc Ein Konglomerat aus Schwaumltzern Intriganten boumlswilligen Gesinnungsschiebern Nein so entstehen keine Religioshynen Und so stuumlrzt man auch nicht das Christentum103

Alle Anstrengungen Hauers Einfluss auf die SS die NSDAP und andere Parshyteiinstanzen zu nehmen oder in eine naumlhere Beziehung zu Himmler und ande-

103 Elke Froumlhlich (Hg) Die Tagebuumlcher von Joseph Goebbels Saumlmtliche Fragmente T 1 Band 2 Muumlnchen 1987 S 605

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

98 99 Horst funginger

ren hochrangigen NS-Funktionaumlren zu kommen waren vergeblich gewesen Gerne bediente man sich seiner als V-Mann und Gutachter bei der weltanschaushylichen Gegnerbekaumlmpfung etwa bei der Verfolgung der Anthroposophie oder anderer Okkultgruppen doch gleichzeitig hielt man ausreichend Abstand zu ihm und seinen mit prophetischem Eifer verfolgten religioumlsen Zielen In einem Aktenvermerk des SS-Anthropologen Bruno Beger fuumlr seinen Vorgesetzten Ernst Schaumlfer den Leiter des Sven- Hedin-Instituts fuumlr Innerasienforschung heiszligt es im September 1942 uumlber ein Gespraumlch das Beger mit Hauers Schuumller Hans Endres fuumlhrte Den Namen Hauer hat Endres klugerweise nicht erwaumlhnt denn der Reichsfuumlhrer-SS sowohl als auch Standartenfuumlhrer Wuumlst stehen gegen denselben 104

Im Vergleich mit den beiden Kirchen hatte die deutschglaumlubige Bewegung viel zuwenig Mitglieder um als politischer Faktor nennenswert ins Gewicht zu faHen Wie extrem niedrig die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbeweshygung waren zeigt sich besonders dann wenn man sie dem organisierten Chrisshytentum gegenuumlbersteHt dem am Anfang so gut wie am Ende der nationalsoziashylistischen Herrschaft 95 Prozent aHer Deutschen angehoumlrten Die am 17 Mai 1939 durchgefuumlhrte Volkszaumlhlung bestaumltigt dieses Zahlenverhaumlltnis in einshydrucksvoller Weise Bedauerlicherweise hat es die historische Forschung bislang versaumlumt auf das hierbei erhobene statistische Material naumlher einzugehen bezieshyhungsweise es uumlberhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen Wahrscheinlich wurde das Ergebnis der Volkszaumlhlung auch deswegen uumlbersehen weil es das Argushymentationsschema des Kirchenkampfes gesprengt haumltte Auszligerdem trug der wenige Monate nach der Volkszaumlhlung begonnene Krieg seinen Teil dazu bei dass eine genaue Analyse ihrer Resultate unterblieb Viele der mit der Volkszaumlhshylung befassten Mitarbeiter wurden eingezogen und standen fuumlr eine Auswertung nicht mehr zur Verfuumlgung Im Juli 1941 fiel zudem die Zentralstelle fuumlr kirchshyliche Statistik der katholischen Kirche in Koumlln einem Brand zum Opfer wobei wichtige Unterlagen verloren gingen Auf einen kurzen Nenner gebracht laumlsst sich das religionsstatistische Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 wie in TabeHe 1 darsteHen

Bei einer Gesamtbevoumllkerung von 794 Millionen ergab die Volkszaumlhlung vom Mai 1939 dass mit 754 MiHionen exakt 95 Prozent aHer zu diesem Zeitshypunkt auf dem Gebiet des Deutschen Reiches lebender Deutscher einer der beishyden christlichen Kirchen angehoumlrte 105 Von den restlichen vier Mi1ionen oder

104 Aktenvermerk Bruno Begers vom 239 1942 (BArch R 13 5 Band 48 fol 164012) Zu Endres vgl Junginger Religionswissenschaft S 268-288 zu Wuumlst ders From Buddha to Adolf Hitler Walther Wuumlst and the Aryan Tradition In Horst Junginger (Hg) The Study of Religion under the Impact of Fascism Leiden 2008 S 107 -177

105 Im Unterschied zur Volkszaumlhlung des Jahres 1933 wurden 1939 die Freikirchen mit der evangelischen Kirche zusammengefasst Die Angehoumlrigen der uumlbrigen christlichen Religionsgemeinschaften - etwa die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche - wurshyden jetzt der Rubrik andere Christen zugeordnet Vgl Wissenschaft und Statistik 1 Mai-Heft 1939 S 174 Zahlenmiiszligig fallen die Christen auszligerhalb der beiden Hauptshykonfessionen jedoch nicht ins Gewicht

Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

Tabelle 1 Die Religionsgliederung des Deutschen Reiches nach der Volkszaumlhlung vom 1751939

Personen insgesamt in Zahlen in Prozent

Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanschaulichen Gemeinschaft

75393799 950

und zwar

Angehoumlrige der evangelischen Landesshyund Freikirchen

42636218 537

Angehoumlrige der roumlmisch-katholischen Kirche

31943932 403

Ubrige Christen 419612 05

Glaubensjuden 307614 04

Angehoumlrige sonstiger nichtchristlicher Religionsgesellschaften und religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaften

86423 01

Gottglaumlubige 2745893 35

Gla u benslose 1208005 15

Ohne Angabe 27 584 00

Summe insgesamt 79375281 1000

Quelle Statistisches Reichsamt (Hg) Wissenschaft und Statistik Nr 9 1 Mai-Heft 1939 S 173 Berechnungsgrundlage ist die Wohnbevoumllkerung des Reichsgebiets Mitte 1939 ohne das Memelland

fuumlnf Prozent der Reichsbuumlrger bezeichneten sich 275 Millionen oder 35 Proshyzent als gottglaumlubig Etwa 12 Millionen das heiszligt 15 Prozent der Deutschen waren glaubenslos und nur 01 Prozent (86423 Personen) rechnete sich der Gruppe Angehoumlrige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religioumls-weltanshyschaulichen Gemeinschaft zu Hierunter fielen auch die Mitglieder der Deutshyschen Glaubensbewegung Selbst wenn die Deutschglaumlubigen in dieser Gruppe die Mehrheit gesteHt haumltten waumlre ihr Anteil an der Gesamtbevoumllkerung noch immer weit unter einem Tausendstel gelegen Das heiszligt die Deutsche Glaubensshybewegung war im Mai 1939 auf eine Groumlszlige bar jeder statistischen Relevanz geschrumpft Eine genauere Aufschluumlsselung des nichtchristlichen Bevoumllkeshyrungsteils ergibt dass sich dieser vor aHem auf die groszligen Staumldte und die bereits vor 1933 einschlaumlgig bekannten Verwaltungszentren verteilte 106 In allen andemiddot

106 Nur in Staumldten wie Berlin Braunschweig Dresden Hamburg Leipzig oder Wien ging er uumlber fuumlnf Prozent hinaus Vgl die Sonderbeilage der Zeitschrift Wirtschaft und Sta tistik Die Bevoumllkerung des Reichs der Reichsteile der groumlszligeren und kleineren Vershywaltungsbezirke der Gaue der NSDAP sowie der Groszligstaumldte nach der ReJigionszugl houmlrigkeit auf Grund der Volkszaumlhlung vom 17 Mai 1939 (ebd 21 Jg 1941 Nr H S 3-15)

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

100 Horst junginger

ren Landesteilen erreichten Deutsch- und Gottglaumlubige nicht einmal zusammenshygenommen die Fuumlnfprozentmarke

Die noch waumlhrend des Krieges einsetzende Auswertung der Volkszaumlhlung von katholischen und evangelischen Stellen unterstreicht diesen Befund auch wenn bei beiden Kirchen die Tendenz unuumlbersehbar ist die eigene Konfession durch einen spezifischen Blickwinkel oder die Modifizierung der Bezugsgroumlszlige in einem guumlnstigeren Licht erscheinen zu lassen Beispielsweise wurde auf katholischer Seite geltend gemacht dass sich die Religionsverteilung nach Kriegsausbruch erheblich zu den eigenen Gunsten entwickelt habe weil in den dem Deutschen Reich nach und nach einverleibten Gebieten uumlberproportional viele Katholiken lebten Dem Kirchlichen Handbuch fuumlr das katholische Deutschland aus dem Jahr 1943 zufolge waren von den nunmehr 96 Millionen Einwohnern Groszlig-Deutschlands jetzt uumlber fuumlnfzig Prozent katholisch Bei Einrechnung der neun Millionen Katholiken des Generalgouvernements sowie der katholischen Bevoumllkerung Elsaszlig-Lothringens und Luxemburgs haumltte sich die Verteilung noch deutlicher zugunsten der katholischen Kirche verschoben 07

Ziehe man bei den Neuheiden die groszligen Staumldte ab sei die von ihnen ausgeshyhende Gefahr weitaus geringer einzuschaumltzen Mit Genugtuung stellte man abschlieszligend fest dass die Deutschglaumlubigen nicht einmal in den Groszligstaumldten einen nennenswerten Erfolg erzielen und nirgends auch nur ein Prozent der Bevoumllkerung fuumlr sich gewinnen konnten Das erleichterte Fazit lautete deshalb Um die Professoren-Bekenntnisse hat sich also das deutsche Volk sehr wenig gekuumlmmert 108

Betrachtet man die evangelische Kirchenstatistik springt als erstes die nach dem nationalsozialistischen Machtwechsel einsetzende Ruumlckkehrwelle ins Auge 109 Ein evangelischer Autor nannte die Zahl von 230000 Personen die sich aus dem Gottlosen- und Freidenkerlager wieder der Kirche zugewandt haumltshyten Allein in Berlin seien es 60000 gewesen 110 Somit uumlberstieg allein die Zahl derjenigen die zu Beginn des Dritten Reiches in den Schoszlig der evangelischen Kirche zuruumlckkehrten die Mitgliedszahlen der Deutschen Glaubensbewegung um ein Vielfaches Um die Jahreswende 193536 kam es allerdings zu einer Trendwende die bis zum Jahr 1939 zu einer Umkehrung der Ein- und Austrittsshy

107 So viel ist aber schon jetzt sicher dass im groszligdeutschen Raum die Katholiken stark uumlberwiegen und dass sich das im Altreich vor den Angliederungen bestehende zahlenshymaumlszligige Verhaumlltnis der Konfessionen von Grund aus geaumlndert hat Kirchliches Handshybuch fuumlr das katholische Deutschland 22 (1943) Koumlln 1943 S 159

08 Ebd S 305 09 Eine Auswertung der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 findet sich besonders in dem von

Joachim Beckmann herausgegebenen Kirchlichen Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949-1951 Guumltersloh 1950 S 530-573 1951 S 425-468 und 1952 S 335-362

10 Ernst Ebcrhard Die Kirchlichkeit im Dritten Reich im Spiegel der Statistik In Deutshysches Pfarrerblatt 52 (1952) S 690-692 hier 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahrbuch 1950 S 464

101Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum

zahlen fuumlhrte J1l Inwieweit es sich bei der Zunahme der Austritte um eine neue dem Nationalsozialismus geschuldete Entwicklung handelte oder ob sich hier nicht auch ein schon vor 1933 bestehender Trend fortsetzte muumlsste erst noch uumlberpruumlft werden Nimmt man die relevanten Parameter aktiver Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch Taufziffer Trauungen Teilnahme am Abendmahl) als Maszligstab gewinnt die Annahme einer longue duree weiter an Plausibilitaumlt Beim Abendmahl bedeutete der Teilnahmeruumlckgang von 25 Prozent im Jahr 1932 1933 auf 15 Prozent im Jahr 19391940 die Fortsetzung einer Entwickshylung die bereits im 19 Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte und die wie Ernst Eberhard selbstkritisch anmerkte auch dem im Bereich der Kirche stattgegebenen Einfluss von Aufklaumlrung und Rationalismus zugerechnet werden muumlssell2 Mit dem Krieg habe sich die Lage fuumlr die Kirchen aber wieder stabishylisiert Eberhard ist deshalb in seiner Folgerung zustimmen dass es dem Natioshynalsozialismus trotz aller Anstrengungen nicht gelungen sei den Bestand wie die Lebensaumluszligerungen der Kirche in ihrer Gesamtheit ernsthaft zu gefaumlhrden Auch nicht der Charakter der Volkskirche ist ihr verlorengegangen 113 Im Kirchshylichen Jahrbuch von 1949 hatte es schon geheiszligen dass sich der Protestantisshymus trotz aller Schlaumlge von denen die evangelische Kirche getroffen wurde seishy

114 ne uumlberragende Vorherrschaft im ganzen deutschen Gebiet bewahrt habe

Das Postulat einer vom Neuheidentum fuumlr die Kirche ausgehenden Exisshytcnzbedrohung kann angesichts der Volkszaumlhlungsergebnisse des Jahres 1939 nicht aufrechterhalten werden Bei der Deutschen Glaubensbewegung als dem hcdeutendsten Zusammenschluss paganer Religionsgemeinschaften handelte lS sich um eine so kleine Groumlszlige dass sie weder religionsstatistisch noch relishy~ionspolitisch nennenswert zu Buche schlaumlgt Die Uumlberzeichnung des Neuheishydentums beruht denn auch nicht auf objektiven Zahlen sondern geht auf die hohe Wellen schlagenden weltanschaulichen Kontroversen zuruumlck die das Aufshytreten von Gruppen wie der Deutschen Glaubensbewegung in der Oumlffentlichshykeit ausloumlste Nur unter Missachtung der tatsaumlchlichen Verhaumlltnisse ist es moumlgshyIkh aus dem Neuheidentum eine den Bestand der Kirchen in Frage stellende Erscheinung zu machen Auch der von Hauer im ersten Uumlberschwang an den Tag gelegte Optimismus mit der Deutschen Glaubensbewegung uumlber kurz oder lung die etablierten Kirchen abzuloumlsen kann kaum anders als eine maszliglose Ilhantasie angesehen werden der jeder Realitaumltsbezug abhanden gekommen war Leider haben auch viele geschichtswissenschaftliche Studien die Vorstelshylung eines finalen Endkampfes zwischen Christentum und Neuheidentum iibernommen oder zumindest als uneingestandene Voraussetzung akzeptiert

111 Die Kurve der Eintritte sank von 320000 auf 21 000 ab dafuumlr stieg die der Austritte von 29000 auf 380 000 an Vgl Eberhard Kirchlichkeit S 691

112 Ebd S 691 ders Statistik der kirchlichen Lebensaumluszligerungen In Kirchliches Jahr buch 1950 Guumltersloh 1951 S 450

11 Ebcrhard Kirchlichkeit S 692 I H Kirchliches Jahrbuch fuumlr die Evangelische Kirche in Deutschland 1949 S 532

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3

102 Horst Junginger

und so dazu beigetragen die Deutsche Glaubensbewegung zu einem Popanz zu machen der noch in der nachtraumlglichen Betrachtung Schauder ausloumlst Mit der tatsaumlchlichen religionsgeschichtlichen Situation laumlsst sich eine solche Sicht der Dinge nicht in Einklang bringen Mit Blick auf die allgemeine Religionsgeschichshyte kann man generell sagen dass die Uumlberbewertung des ideologischen Faktors gerade beim Auftreten neuer religioumlser Bewegungen so gut wie immer zu einem Zerrbild der Wirklichkeit fuumlhrt

Je nachdem von welcher Perspektive aus man die Deutsche Glaubensbeweshygung betrachtet laumlsst sich ihr Auftreten als grandioser Erfolg oder als klaumlgliches Scheitern interpretieren Tatsaumlchlich war sie die wichtigste heidnische Organishysation des Dritten Reiches der es erstmals in der Geschichte gelang groumlszligere Teile des paganen Religionsspektrums zu vereinheitlichen Doch bezogen auf die Gesamtbevoumllkerung und die allgemeine politische Entwicklung Deutschshylands handelte es sich bei der deutschglaumlubigen Religionsbildung des Jahres 193334 um einen von viel ideologischem Getoumlse begleiteten Sturm im Wassershyglas Eine auch nur minimale Aumlnderung der Religionsverhaumlltnisse im Deutschen Reich hat sich daraus nicht ergeben Das eigentlich relevante Ergebnis der Volkszaumlhlung vom Mai 1939 sind nicht die organisierten Neuheiden sondern die nichtorganisierten Gottglaumlubigen die es auf immerhin 35 Prozent oder 276 Millionen Anhaumlnger brachten Sie sind Ausdruck eines signifikanten relishygioumlsen Wandels auch wenn sich dieser weit unterhalb der Fuumlnfprozentmarke ereignete Die Moumlglichkeit sich gottglaumlubig zu nennen bestand erst seit einem Erlass des Reichsinnenministeriums vom 26 November 1936 wonach in den Personalpapieren und in den Melde- und Personalboumlgen der Einwohnermeldeshyaumlmter von nun an der Begriff gottglaumlubig eingetragen werden konnte Der Tershyminus gottglaumlubig avancierte rasch zur Standardbezeichnung fuumlr alle diejenishygen die sich nicht laumlnger der Kirche zugehoumlrig fuumlhlten sich aber auch keiner anderen religioumlsen Gemeinschaft anschlieszligen wollten Da zu dem Themenkomshyplex der Gottglaumlubigkeit noch keine Forschung betrieben wurde muss einstshyweilen offen bleiben welches die Motive und Umstaumlnde waren die eine zunehshymende Zahl an Menschen veranlasste bei der Volkszaumlhlung im Mai 1939 die Rubrik gottglaumlubig zu waumlhlen Insbesondere waumlre es interessant zu sehen ob sich in dieser Zunahme nichtorganisierter Religiositaumlt bereits ein modernes Relishygionsverstaumlndnis des believing without belonging abzeichnete und inwieweit sich mit ihr eine Pluralisierung der Religionsverhaumlltnisse in Deutschland vershyband Dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder von 964 Prozent im Jahr 1950 ohne irgendeinen Einfluss der Deutschglaumlubigen oder des Nationalsozialismus um uumlber 35 Prozent auf heute unter 60 Prozent verringerte deutet darauf hin

Vom Deutschen Glauben der Sammlungsbewegung zur Arischen Weltanschauung

Ulrich Nanko

Stcfan Breuer laumlsst in seinem Buch Die Voumllkischen in Deutschland die voumllkishyIIche Bewegung mit der Ludendorff-Bewegung und der Deutschen Glaubensshyhewegung ausklingen Der Ludendorff-Bewegung gesteht er zu dass sie durch die am 19 Juni 1937 erfolgte Anerkennung des Bundes fuumlr Deutsche Gottshyerkenntnis als Religionsgemeinschaft als einer der wenigen Auslaumlufer der voumllshykischen Bewegung die nationalsozialistische Herrschaft uumlberlebt hat2 Fuumlr die Deutsche Glaubensbewegung (DG) haumllt er den Maumlrz 1936 als entscheidend weil zu diesem Zeitpunkt die Isolation von ihren Fuumlhrern Jakob Wilhelm I lauer und Ernst von Reventlow soweit gediehen sei dass Hauer und Reventshylow keine Chance zur Durchsetzung ihrer Ideen in der DG mehr sehen und ihre Aumlmter niederlegen Wenngleich die DG noch bis zum Ende des Dritten Reiches existiert ist damit ihre Geschichte als Teil der voumllkischen Bewegung abgeschlos-

I n3 Diese Einschaumltzung steht im Widerspruch zu seiner Kapiteluumlberschrift wonach die Ludendorff-Bewegung wie die DG Auslaumlufer der voumllkischen Beweshyll llg seien Breuer folgt hier dem Phasenmodell von Hubert Cancik

Cancik unterteilt die voumllkisch-religioumlse Bewegung in drei Phasen In der altshyvillkischen Phase vor 1933 laufen nationalliberal protestantische Stroumlmungen neben den isolierten un- und antichristlichen Gruppen Die zweite die voumllkischshyrvolutionaumlre Phase von 1933 bis 1936 nennt er die Sammlungsbewegung von nlcht- und antichristlichen Gruppen Die dritte Phase bezeichnet Cancik als die nILionalsozialistische Phase die er mit den Ruumlcktritten der voumllkisch-religioumlsen Hihrer 1936 ansetzt Sie ist durch Zerfall der Sammlungsbewegung in Voumllkishyd IC Freireligioumlse Liberale etc charakterisiert Die organisierte Deutsche

Glaubensbewegung wird durch die nationalsozialistische Bewegung aufgesaugt4

r ll ncik spricht hier aber vom Ende der Weimarer Republik sieht das Ende

Stcfan Breuer Die Voumllkischen in Deutschland Kaiserreich und Weimarer Republik Darmstadt 2008 Kapitel 10 lautet Ausklang der voumllkischen Bewegung LudendorffshyBewegung und Deutsche Glaubensbewegung S 252-264 Ebd S 259

Ebd S 264 Hubert Cancik Neuheiden und totaler Staat Voumllkische Religion am Ende der Wci marer Republik In ders (Hg) Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Rcpu hlik Duumlsseldorf 1982 S 176-212 hier 207 f

  • 1
  • 2
  • 3