1999 Salvini, Die Einwirkung des Reiches Urartu auf die politischen Verhältnisse auf dem Iranischen...

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Migration und Kulturtransfer Der Wandel vorder- und zentralasiatischer Kulturen im Umbruch vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend Akten des Internationalen Kolloquiums Berlin, 23. bis 26. November 1999 herausgegeben von Ricardo Eichmann und Hermann Parzinger Sonderdruck aus Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte Band 6 ISBN 3-7749-3068-6 Dr. Rudolf Habelt GmbH· Bonn 2001

Transcript of 1999 Salvini, Die Einwirkung des Reiches Urartu auf die politischen Verhältnisse auf dem Iranischen...

Migration und Kulturtransfer

Der Wandel vorder- und zentralasiatischer Kulturen

im Umbruch vom 2. zum 1. vorchristlichen Jahrtausend

Akten des Internationalen Kolloquiums

Berlin, 23. bis 26. November 1999

herausgegeben von

Ricardo Eichmann und Hermann Parzinger

Sonderdruck aus

Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte

Band 6

ISBN 3-7749-3068-6

Dr. Rudolf Habelt GmbH· Bonn 2001

Inhalt

Ricardo Eichmann / Hermann Parzinger Vorwort

Dieter Jäkel Zur Landschaftsentwicklung Vorder- und Zentral­asiens im Spätholozän

WuEn Zu verschiedenen Problemen der Bronzezeitkulturen entlang der Großen Mauer

Mayke Wagner Kayue - ein Fundkomplex des 2. Jahrtausends v.Chr. am Nordwestrand des chinesischen Zentralreiches

Corinne Debaine-Francfort Xinjiang and Northwestern China around 1000 BC: Cultural Contacts and Transmissions

Hermann Parzinger Südsibirien in der Spätbronze- und Früheisenzeit

Vjaceslav Molodin Westsibirien, der Altaj und Nordkazachstan in der entwickelten und späten Bronzezeit

Natalija Polos'mak Zur Kleidung der Pazyryk-Bevölkerung aus Ukok, Südaltaj

Thomas Götzelt Mobilität und Ressourcen in frühen Sozialsystemen des Mittleren Ostens

Valerij Ol'chovskij The Aral-Caspian Sub region in the Late Bronze and Early Iron Age: Migrations and Cultural Exchange

Sergej Baratov Fergana und das Syr-Dar'ja-Gebiet im späten 2. und frühen 1. J ahrta usend v. Chr.

Dietrich Huff Bronzezeitliche Monumentalarchitektur in Zentral­asien

Natalija Vinogradova Süd-Tadzikistan in der Spätbronze- und Früheisenzeit

Henri-Paul Francfort The cultures with painted cera mies of south Central Asia and their relations with the northeastern steppe zone (late 2nd-early 1st millennium BC)

Giorgio Stacul The Swat Valley in the Late 2nd and Early 1st Millen­niumBC

Ute Franke-Vogt The Southern Indus Valley during the later 2nd and 1st

millennia BC: The Dark Age

Reinhard Dittmann Kontinuitäten und Diskontinuitäten im archäologi­schen Befund: Reflexionen von Migrationen?

Ulrike Löw Nordiran - ein kulturelles Niemandsland?

Philip Kohl Migrations and Cultural Diffusions in the Later Pre­history of the Caucasus

Askold lvantchik Die archäologischen Spuren der Kimmerier im Vor­deren Orient und das Problem der Datierung der vor- und frühskythischen Kulturen

Miroslav Salvini Die Einwirkung des Reiches Urartu auf die politi­schen Verhältnisse auf dem Iranischen Plateau

Michael Roaf Continuity and Change from the Middle to the Late Assyrian Period

Altan ~ilingiroglu Migration in the Lake Van Basin: East Anatolia in the late 2nd Millenium BC and the foundation of a kingdom

Karin Bartl Eastern Anatolia in the Early lron Age

Gunnar Lehmann The "Sea-People Phenomenon": Migration and Trans­mission of Culture in the Levant at the End of the Late Bronze Age

Norbert Nebes Die Genese der altsüdarabischen Kultur: Eine Ar­beitshypothese

Vittoria Buffa / Burkhard Vogt Sabir - Cultural identity between Saba and Africa

Jean-Claude Margueron Salles a piliers dans l'architecture mesopotamienne, anatolienne et iranienne (fin 2e et debut 1 er millenaires)

Ricardo Eichmann Musik und Migration

Friedhelm Pedde Development and Expansion of Near Eastern Fibulae in the lron Age

Hermann Parzinger / Ricardo Eichmann Schlußwort

Miroslav Salvini

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf die politischen Verhältnisse auf dem Iranischen Plateau

Der historisch-archäologische Raum, der in moder­ner Zeit der iranischen Provinz von Azerbajdjan entspricht, tritt in das Licht der Geschichte dank der schriftlichen Quellen des Reiches Urartu, dessen Hauptstadt am östlichen Ufer des Van-Sees lag (Abb.1). Es handelt sich dabei sowohl um Keil­inschriften innerhalb des Zentralgebietes des Rei­ches, welche von Eroberungen fernliegender Län­der berichteten, als auch um Prunkstelen, Fels- und Steininschriften, die direkt an den Orten der Kriegs­handlungen aufgestellt oder angebracht wurden!.

Die urartäische schriftliche Überlieferung setzt fast gleichzeitig im letzten Viertel des 9. Jahrhun­derts v. Chr. auf beiden Seiten der Zagroskette ein, d.h. im Van-Gebiet, dem Kern des Reiches, und in Azerbajdjan (Abb. 2). Auf iranischem Gebiet haben uns die Urartäer mehrere Schriftdenkmäler hinter­lassen, die vom Ende des 9. bis zur Mitte des 7. Jahr­hunderts datieren. Die ältesten stammen aus der Zeit der sogenannten "Mitregentschaft" von ISpuini und seinem Erbsohn Minua, d.h. um 820-810 v.Chr.2 Ich werde mich hier hauptsächlich mit Pro­blemen dieser ersten Phase befassen. Am weitesten im Osten liegen die Felsinschrift Sarduris II. bei Se­qendel (NO von Tabriz)3 und die bei den Beinahe­Duplikattexte Argistis 11. in Razliq und Nasteban, am Fuße des Berges Sabalan. Erfreulicherweise kann man feststellen, daß die Periode der Entdeckungen nicht vorbei ist; einige der auf der Karte verzeichne­ten Inschriften sind erst in den letzten Jahrzehnten gefunden worden, und fast alle sind Gegenstand aufschlußreicher Kollationen gewesen4

Der Urmia-See war bereits vor der urartäischen Eroberung aus assyrischen Quellen der Zeit Salma­nassars III. (858-824 v. Chr.) als das ,,(untere) Meer von Nairi" bekannt'. Die fruchtbaren Ebenen west­lich und südlich des Sees wurden sehr früh dem ur­artäischen Reich einverleibt. Dies läßt sich aus den in dieser Gegend in den letzten 150 Jahren meist zufällig gefundenen Inschriften rekonstruieren. Am östlichen Fuße der Zagros-Kette dehnen sich die verhältnismäßig breiten Ebenen und Täler von Xoy, Salmas / Shahpur, Urumiyeh (Urmia) und das Tal des Godar cay bei Nagadeh-Solduz.

Die Zagrospässe sind zahlreich, auch wenn nicht immer leicht passierbar. Sie wurden aber regelmä­ßig von den assyrischen Armeen, die in das irani­sche Plateau zu Plünderungen und Eroberungen eindrangen, überquert. Im Norden haben wir einen direkteren und leichteren Durchbruch in dem Paß von Qotur, der das Van-Gebiet mit der Ebene von Xoy (Khoy) verbindet. Hier liegt die Festungsstadt Bastam6• In der Region von Urmia folgt die moder­ne Straße zwischen der Türkei und dem Iran einem uralten Weg. Südöstlich von Usnaviyeh (Usnu) liegt der Kelisin-Paß, dort wo die urartäisch-assyrische Bilinguen-Stele7 die Existenz eines Verbindungs­weges nach Rowanduz im heutigen Irakisch-Kurdi­stan bezeugt. Weiter südlich führt der obere Lauf des Kleinen Zab zu den Gebieten Obermesopotamiens.

Die Wirtschaft dieser Gegenden basiert, heute wie im Altertum, auf Ackerbau und Viehzucht: Wir finden vor allem Schafe und Ziegen, aber auch Großvieh und die für Transport und Krieg wichti­gen Pferde, die eine der Ursachen des frühen Inter­esses sowohl der Assyrer als auch der Urartäer für diese Täler gewesen sind.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf die poli­tischen Verhältnisse von Azerbajdjan und Kurdi­stan hat sich in verschiedenen Phasen vollzogen. Das Bild, das sich in den urartäischen und assyri­schen Quellen abzeichnet, ist natürlich sehr unvoll­kommen. Die wenigen verfügbaren Schriftzeugnis­se erhellen nur wenige geschichtliche Phasen. In den letzten 30 Jahren sind allerdings wesentliche Schritte zum Verständnis der archäologischen Ver-

1 Die urartäischen Inschriften sind im Corpus von König 1955/1957 zugänglich. Verf. bereitet eine neue erweiterte Textsammlung vor: Urartian Cuneiform Texts.

2 Über die urartäische Geschichte im Allgemeinen: Sal­vini 1995.

3 Salvini 1982. 4 Neubearbeitung der Felsinschriften von Razliq und

Nashteban in Folge von Kollation bei Andn~- Salvini 1 Salvini 1999.

5 Über die Landschaft Nairi: Salvini 1998. 6 Kleiss 1979; ders. 1988. 7 Über den Paß und die Stele von Kelisin: Belck 1904;

Salvini 1976/80b.

344 Miroslav Salvini

Abb. 1. Van Kalesi, Nordseite. Die Zitadelle der urartäischen Hauptstadt Tuspa.

hältnisse getan worden, vor allem dank der Tätig­keit des Deutschen Archäologischen Instituts in den 60er und 70er Jahren8 und der darauf basierenden historisch-geographischen Überlegungen9•

Ausgehend von meinen früheren Forschungen werde ich mich auf einige Gesichtspunkte konzen­trieren, und vor allem auf die noch offenen Proble­me hinweisen.

Chronologisch setzt die urartäische Anwesen­heit in Azerbajdjan mit der Zeit der Mitregentschaft von ISpuini und Minua ein. Die Dokumente werden nun in chronologischer und geographischer Reihen­folge vorgeführt und die historischen Zusammen­hänge erörtert.

Es sei vorausgeschickt, daß der Denkmaltyp, der in Urartu am häufigsten vorkommt, die Stele ist. Kein anderer altorientalischer Staat hat sein Territo­rium so systematisch mit visuellen Zeichen seiner Macht markiert wie Urartu. Nach der "Geschichte Grossarmeniens" des Moses von Chorene hatte die sagenhafte Semiramis (Samiram) "an vielen Orten des armenischen Gebietes Säulen errichtet und mit derselben Schrift - von der im Text schon die Rede war - passende Worte zur Erinnerung darauf schrei­ben" lassen1o• Es fällt nicht schwer, in diesen "Säu­len" die uns bekannten Stelen zu erkennen, die zur

Zeit der Bagratiden noch sehr oft in situ zu sehen waren. Die Urartäer widmeten normalerweise die­se Stelen ihrem Nationalgott Haldi, aber auch ande­re Gottheiten wurden durch solche Denkmäler ver­ehrt. Nach jeder Eroberung eines Gebietes galt es als erstes, für den Gott Haldi eine Stele (ich würde fast sagen, eine Siegessäule) aufzustellen. Aus diesen, wie auch aus den Felsinschriften, entnehmen wir die wichtigsten Informationen für die historische Geographie.

Die Kelisin-Stele von ISpuini und Minua (um 820-810 v. Chr.) befand sich bis vor kurzer Zeit noch in situ auf dem gleichnamigen Paß der Zagros-Kette (heute ist sie im Museum von Urumiyeh unterge­bracht; Abb. 3). Sie trägt eine urartäisch-assyrische Bilingue strategisch-kultischen Inhalts, nämlich die Beschreibung einer Kultreise zum Hauptheiligtum des Nationalgottes Haldi in Mu~a~ir mit den dazu­gehörigen reichen Weihgaben und Opferverrich­tungenlI. Diese Tempelstadt, die bekanntlich von Sargon am Ende seiner achten Kampagne im Jahre

8 Kleiss 1979; ders. 1988. 9 Salvini 1984a. 10 Moses von Chorene 1869, 34. 11 Die beste Übersetzung ist bis heute die von Benedict

1961.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf dem Iranischen Plateau 345

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Abb. 2. Die urartäischen Provinzen in Iranisch-Azerbajdjan (Zeichnung A. Mancini).

714 geplündert wurde12, muß in der Region von

Rowanduz in Irakisch-Kurdistan gelegen haben. R. M. Boehmer und H. Fenner hatten Anfang der 70er Jahre eine Geländebegehung unternommen und die Identifizierung von MUl?al?ir mit Ruinen beim modernen Dorf Mudjesir vorgeschlagen13.

Die Lage der Kelisin-Stele bezeichnet den höch­sten Punkt einer alten via sacra der Urartäer, die hauptsächlich dazu diente, das urartäische Protek­torat über das internationale Heiligtum jener bergi­gen Region zu markieren und das Herrscherhaus des ISpuini unter den Schutz von Haldi zu stellen. Entgegen der herkömmlichen Vorstellung gehörte das Heiligtum von MUl?al?ir anfänglich nicht zum unmittelbaren Machtbereich Urartus, und auch Haldi stand zunächst außerhalb des urartäischen Pantheons. Die mittelassyrischen Namen mit dem theophoren Bestandteil "Haldi"14 bezeugen ledig­lich die Ausstrahlung seines Kultes nach Obermeso­potamien. Obwohl das ein argumentum e silentio ist, möchte ich darauf hinweisen, daß im allerersten Schriftdenkmal der urartäischen Dynastie - in der Inschrift Sarduris I. (Abb. 4) in der sog. "Sardurs-

burg" in Van - der Nationalgott Haldi nicht er­wähnt wirdIs. Dasselbe läßt sich für einen weiteren assyrisch verfaßten Opfertext auf Van Kalesi beob­achten, der denselben Duktus wie die Sarduri-In­schrift aufweist und der von der Forschung lange vernachlässigt wurde16.

Das Verhältnis zwischen dem Gott Haldi und der urartäischen Nation ist m. E. eine sekundäre Entwicklung. Wir haben keinen Beweis, daß Haldi von Anfang an ein urartäischer Gott war: Im Gegen­teil, die hurritisch-urartäische Kulturgemeinschaft kennt den Wettergott (Tessup und Teiseba) und den Sonnengott (Simigi und Siuini), nicht den Gott Haldi.

Die wichtigste politische Tat ISpuinis17, des Soh­nes und Nachfolgers Sarduris 1., ist m. E. die Einfüh­rung des Staatskultes des Haldi in Urartu. Eine sol-

12 Vgl. den Bericht der Achten Kampagne Sargons: Thu-reau-Dangin 1912; Mayer 1983.

13 Boehmer/Fenner 1973. 14 Saporetti 1970, 224; 283. 15 Letzte Bearbeitung bei Wilhelm 1986. 16 Salvini 1982; Dinc;ollDinc;ol 1986. 17 Salvini 1976/80a.

346 Miroslav Salvini

Abb. 3. Die Kelisin-Stele im Museum Urumiyeh.

che religiös-politische Reform hatte wohl den Sinn, die unter der neuen Dynastie vereinigten Berg­stämme ideologisch zusammenzuschrnieden. Haldi wurde somit zum religiösen Bollwerk gegen die an­wachsende assyrische Bedrohung, da sein Kult eine ähnliche Funktion wie der des Gottes Assur hatte. Seit ISpuinis Regierungszeit maßen die Urartäer dem Haldi-Kult in Mu~a~ir eine ungeheuere Bedeu­tung bei. Einem Exkurs in dem Bericht der achten Kampagne Sargons entnehmen wir, daß Mu~a~ir der Krönungsort der urartäischen Könige war: " ... ohne die Mitwirkung von Haldi werden Szepter und Krone nicht getragen"18. Die Kultreise von ISpuini und Minua, die auf der Kelisin-Stele ver­herrlicht wird, steht offensichtlich mit diesem Brauch in Verbindung.

Aber vor allem im Zentralgebiet des neugegrün­deten Reiches sind heute noch die sichtbaren Zei­chen dieser kulturellen Wende zu sehen. Man den­ke nur - neben den vielen anderen Denkmälern - an das Freiluftheiligtum von Meher Kapisi bei der Hauptstadt Tuspa, das mit seiner Kultnische und dem langen Opfertext eine SystematisierW'lg des Staatspantheons darstellt19

Die Existenz der Kelisin-Stele und der urartä­ischen via sacra zum Heiligtum des Haldi in Mu~a~ir setzt voraus, daß das System der Täler westlich und südlich des Urmia-Sees damals bereits fest in urar­täischer Hand war. Es muß hier eine alte Vorstel­lung korrigiert werden, die auf die Pionierarbeit von Lehmann-Haupt und Belck zurückgeht, wonach die Kelisin-Stele die Ostgrenze des urartäischen Staa­tes markierte. Heute noch wird oft behauptet, daß das Tal von Usnaviyeh und allgemein das azerbajd­janische Territorium jenseits der Grenze lagen, und daß es erst später, unter Minua, erobert wurde. Al­lein die Orientierung der Stele mit der urartäischen Version auf der Ostseite und der assyrischen auf der westlichen gibt zu denken. Übrigens hat auch die andere Bilinguenstele von Topzawa, die sich noch in situ bei Sidekan befinden soll, dieselbe Orientie­rung der beiden Fassungen2o. Sie stammt aus der Zeit Rusas I. und wurde ein oder zwei Jahre vor der achten Kampagne Sargons errichtet21 .

ISpuini zog als erster nach Mu~a~ir, und nach ihm wohl seine Nachfolger auf dem urartäischen Thron, mindestens bis Rusa 1., jedoch nicht auf dem direkten Weg von Norden her durch die gewaltigen Berge, die das Gebiet des Van-Sees vom Lauf des Oberen Zab trennen, sondern vielmehr über einen längeren, aber leichteren und sichereren Umweg durch Azerbajdjan: zunächst nach Osten über einen leichten Zagrospaß, dann nach Süden dem Movana­Zeiveh-Tal entlang bis zur Ebene von Usnaviyeh. Dort folgte man dem Lauf des Godar cay aufwärts bis zum Kelisin-Paß (Abb. 5) und hinunter in das heutige irakische Gebiet.

Aus derselben Periode der Koregenz stammt eine Steininschrift, die bei einem Survey der ameri­kanischen Expedition von Hasanlu 1968 am Fuße des befestigten Hügels von Qalatgah im Tal des Go­dar cay gefunden wurde. Der Text, der in der Bear­beitung von M. van Loon vorliegt22, ist stark beschä­digt, weil der Stein in einem kleinen Damm wieder­verwendet worden war. Es handelt sich dabei um eine Bauinschrift, in der von einem [sus]i-Tempel und von Bäumen (GISHI.A) die Rede ist. Ferner wird in unklarem Zusammenhang eine Stadt UiSe er­wähnt, die van Loon mit dem Uaiais der assyrischen Berichte aus der Zeit Sargons gleichsetzte. O. W. Muscarella wiederum möchte aus allgemeinen hi-

18 Thureau-Dangm 1912; Mayer 1983,338. 19 Salvini 1993/97. 20 Salvini 1984d. 21 Salvini 1984a, 36-38. 22 van Loon 1975.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf dem Iranischen Plateau 347

Abb. 4. Eine der sechs Duplikat-Inschriften Sarduris I.

Abb. 5. Tal des Godar cay bei Usnaviyeh mit der Zagros-Kette im Hintergrund.

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Abb. 6. "Burned Building" in Hasanlu (Zustand 1997).

storisch-geographischen Erwägungen die Festung Qalatgah mit dem berühmten Ulhu Rusas 1. identi­fizieren23, das mit wunderbaren Pflanzungen, Gär­ten und Bewässerungsanlagen ausgestattet war und das während der achten Kampagne Sargons verwü­stet wurde. Der Duktus dieser Inschrift ist besonders archaisch, sie kann damit sogar älter als die vom Kelisin sein. Jedenfalls zeigt dieses Schriftdenkmal, daß zur Zeit der Koregenz von ISpuini und Minua das Tal von Usnaviyeh-Nagadeh, daher der Zugang zum Kelisin, unter urartäischer Kontrolle stand.

Der bisher erörterte Tatbestand soll nun mit dem archäologisch-historischen Zeugnis der Ausgra­bung von Hasanlu, das etwa 20 km östlich von Qa­latgah liegt, in Verbindung gebracht werden. Wie kann man die urartäische Anwesenheit im Tal des Godar cay am Ende des 9. Jahrhunderts mit dem Be­stehen eines so wichtigen Zentrums wie Hasanlu, dessen Existenzgrundlage sicherlich die Kontrolle dieser Region war, miteinander vereinbaren?

Nur dadurch, daß sie in eine direkte Verbindung mit dem gewaltsamen Ende der Periode IV in Ha­sanlu (1000-800 v. Chr.) gebracht wird (Abb. 6). Tat­sächlich ist die Zerstörung der Stadt mit der 14C­Methode um 800 datiert24 und den Urartäern, Minua (so Dyson und Kleiss)25 oder Argisti 1. (nach

Burney)26 zugeschrieben worden. Wenn wir anneh­men, daß die urartäische Eroberung etwas früher, in der Koregenz-Zeit zwischen 820 und 810, stattge­funden hat, dann ist die urartäische Präsenz in Qa­latgah leichter zu erklären. Die Festung wäre dann ungestört als Besiegelung der Inbesitznahme der Godar ray-Ebene errichtet worden.

Worauf stützt sich aber diese Annahme? Die Felsinschrift von Tastepe (Abb. 7) in der Alluvial­ebene von Sol duz, ca. 40 km östlich von Hasanlu, ist der Beweis, daß die Urartäer unter Minua, d. h. Ende des 9. bis Anfang des 8. Jahrhunderts, auch die Region zwischen Mahabad und Miyandoab inne­hatten. Die Fragmente dieser Felsinschrift, die von dem berüchtigten Pastor Faber aus dem Felsen ge­sprengt wurden, befinden sich im British Museum. Minua berichtet über die Errichtung einer kleinen Festung (des Tastepe selbst) in dem Gebiet der Stadt Mesta, die Schaffung eines Militärpostens und, von dort ausgehend, die Eroberung des Landes Mana,

23 Muscarella 1986. 24 Dyson 1965. 25 Dyson 1969, 44; Kleiss 1969/1970, 129. 26 Burney in: Burney / Lang 1971, 134 ist unentschieden

zwischen Minua und Argisti.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf dem Iranischen Plateau 349

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Abb. 7. Die Inschrift Minuas aus Tastepe (Autographie M. Salvini) .

des Mannea der assyrischen Quellen, das südlich oder südöstlich des Urmia-Sees lag27 . Die urartä­ische Macht war damals im ganzen Urmia-Becken fest etabliert, vor allem in den Tälern und Ebenen westlich und südlich des Sees, die früher von Din­kha Tappeh und Hasanlu her dominiert waren. Si­cherlich war die an Pferden reiche Landschaft Gilzanu28, die wir aus Dokumenten Salmanassars III. kennen, unter urartäische Herrschaft geraten. Allein, dieses Land findet sich nicht, oder wenig­stens nicht unter diesem Namen, in den urartä­ischen Berichten.

Hier gewinnt ein Schriftdenkmal besondere Be­deutung, das m. E. das wichtigste für die Erklärung der Anwesenheit der Urartäer in Nordwest-Iran und ihre Einwirkung auf die politischen Verhältnis­se jenes Kulturraumes ist: die Stele von Karagündüz, die im Museum Van aufbewahrt wird29

• Sie stammt aus der Nähe des En;ek Göl, an welchem entlang ein

wichtiger Verbindungsweg nach dem Iran verläuft. Es ist ein weiteres Dokument aus der Koregenzzeit von ISpuini und Minua. Es heißt dort in Auszügen: "Haldi zog aus mit seiner Waffe, er besiegte die Stadt Mesta, er besiegte das Land Parsua. An der Seite von Haldi, an der Seite von Haldis Waffe, durch die Macht von Haldi zogen gegen Mesta IS­puini, Sohn des Sarduri, und Minua, Sohn des ISpu­ini ... " . Es werden dann die Streitkräfte aufgezählt: 106 Kampfwagen, über 6000 Reiter sowie eine grö­ßere Anzahl Fußvolk. Drei weitere Städte werden namentlich erwähnt, nämlich Qua, Saritu und Nigi­bi, die nur hier vorkommen. Aber das Hauptziel der Expedition ist die Eroberung der Stadt Mesta. Die­ser Name stellt also die Verbindung zur Ebene von

27 Neue Edition durch Salvini 1984c. 28 Röllig 1957/71. 29 Salvini 1984b.

350 Miroslav Salvini

Solduz her, wo Tastepe liegt. Die in Karagündüz ge­nannten Städte müssen daher in dieser Gegend ge­legen haben. Aus diesem Grunde habe ich die Iden­tifizierung von Mesta mit Hasanlu vorgeschlagen3o

und die Zerstörung der Stadt mit dieser Kriegs­episode in Verbindung gebracht, weil sie das wich­tigste Zentrum der ganzen Region am Ende des 9. Jahrhunderts war. Die anderen Städte, die im Be­richt genannt werden, können mit anderen kleine­ren Zentren derselben Region in Verbindung ge­setzt werden. In Frage kommen auch andere TeIls, die durch die Surveys der Amerikaner und des Deutschen Archäologischen Instituts ausfindig ge­macht wurden31 . Einer von ihnen ist z . B. der Tell von Nagadeh, der unter der modernen Stadt liegt.

Ich möchte hier nicht auf die Theorie von I. Med­vedskaja eingehen, die für ein viel späteres Datum der Zerstörung von Hasanlu plädiert32 - nämlich 714 -, ohne aber die stratigraphischen Daten, die 14C-Analysen und die historischen Dokumente in Betracht zu ziehen. Ich glaube, daß Dyson und Mus­carella diesem Standpunkt mit überzeugenden Ar­gumenten begegnet sind33.

Tatsache ist, daß von Minua ab diese Region Ausgangspunkt wiederholter Feldzüge in südlicher Richtung in das mannäische Territorium gewesen ist, wo bald der Zusammenstoß mit den Assyrern stattfand. Diese Auseinandersetzung um die Ober­herrschaft in Mana / Mannea34 ist uns am besten in der letzten Phase bekannt, dank der ausführlichen Berichte der Annalen und der achten Kampagne Sargons.

Ein recht interessantes Detail ist die Erwähnung von Parsua in diesem historischen und geographi­schen Kontext. Seine Assoziation mit Mesta / Ha­sanlu führt zur der Annahme, daß Parsua um 815 unweit der Südküste des Urmia gelegen habe. Das widerspricht aber den Daten, die wir den assyri­schen Kriegsberichten entnehmen, die uns Parsua viel südlicher lokalisieren lassen35. Auch die Anna­len Argistis 1.36

- im Bericht über die Ereignisse des dritten Regierungsjahres (also um 784±5) - spre­chen von einem Feldzug nach Parsua und verbin­den es mit Regionen, die am oberen Lauf des Diyala lokalisiert werden37. Dieser scheinbare Widerspruch kann wohl nur mit der Theorie der langsamen Mi­gration der persischen Stämme erklärt werden38•

Vom iranischen Plateau kommend, fanden diese Nomadenstämme die Barriere der Zagroskette und wanderten in südlicher Richtung bis zu ihrem histo­rischen Sitz im Fars. Es könnte sich also um eine zurückgebliebene Schar von Persern gehandelt ha­ben. Wir erfahren ja aus den Annalen Salmanassars

III. von der Existenz vieler Könige von Parsua39, also von einer Stammesgesellschaft. Wir haben somit ei­nen klaren Hinweis darauf, daß die Urartäer - wie die Assyrer - in Berührung mit dem Volk der Per­ser gekommen sind.

Ein weiteres Problem ist die von der amerikani­schen Schule immer wieder behauptete ethnische Identifizierung der Zivilisation von Hasanlu und dessen reichhaltiger künstlerischer Produktion mit der des Volkes der Mannäer40

• Hasanlu sei die Hauptstadt oder eines der wichtigsten Zentren der Mannäer gewesen. Dies fußt aber auf keiner soliden Basis41, weil die beiden Dokumente, die zum Beweis der mannäischen Anwesenheit am Süd ufer des Ur­mia-Sees oder in der Solduz-Ebene herangezogen werden, m. E. falsch interpretiert worden sind. Der assyrische Brief ABL 38142 spricht nicht etwa von dem Aufstand der Mannäer in den Städten unter ur­artäischer Kontrolle am "Ufer des Meeres", sondern vielmehr von einem Angriff der Mannäer auf diese Städte43. Und die Felsinschrift von Tastepe zeigt nur den Ausgangspunkt eines Feldzuges in das man­näische Gebiet, das südlich oder südöstlich lag. Aber auch die Tatsache, daß die Stele von Karagün­düz das Land Mana nicht erwähnt, scheint mir unter der Voraussetzung, daß Hasanlu und Mesta iden­tisch sind, ein weiteres negatives Indiz zu liefern.

Das vorläufige Resultat kann also in dieser Fra­ge nur negativ sein: Die Zivilisation von Hasanlu44

hat vorerst sozusagen keine "ethnisch-nationale" Identität. Aufgrund des Wortlauts der Karagündüz­Inschrift könnte man jedoch behaupten, daß der Aufenthaltsort eines zurückgebliebenen Perser­Stammes um 815 in den Ebenen südlich des Urmia-

30 Salvini 1979, 177; ders. 1984a, 20. 31 Vgl. die urartäischen Plätze im Iranisch Azerbaidjan

mit Bibliographie, bei Kleiss/Hauptmann 1976, 29-33. 32 Medvedskaya 1988. 33 Dyson 1 Muscarella 1989. 34 Levine 1977, 113-116. 35 Levine 1977, 106-112. 36 Kollationen bei Andre-Salvini 1 Salvini 1992. 37 König 1955/57 Text Nr. 805 V; Salvini 1995, 61. 38 1. M. Diakonoff war aber skeptisch und wies auf die

weite Verbreitung dieses Ethnonyms im indo-iranischen Sprachgebiet, vgl. Diakonoff/Kashkai 1981,62 f.

39 Michel 1955, 156 ("Schwarzer Obelisk" Z. 119-120); ders. 1956, 228 ("Schwarzes Obelisk" Z. 172-179).

40 z. B. Dyson 1960; Porada 1964, 110. 41 Salvini 1984a, 21 . 42 Lanfranchi/Parpola 1990 Text Nr. 84. 43 Deller 1984 Text Nr. 6.2. 44 Eine Übersicht der erzielten Resultate in der Zeitschrift

Expedition 31/2-3, 1989: East of Assyria. The Highland Settlement of Hasanlu.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf dem Iranischen Plateau 351

Abb. 8. Die Felsnische von Ye~ilali<;:, 60 km östlich von Van.

Sees zu suchen ist, nämlich zwischen den modernen Orten Nagadeh, Mahabad und Miandoab, und daß wahrscheinlich die materielle Kultur von Hasanlu IV eher mit ihnen als mit den Mannäern in Zusam­menhang zu bringen ist. Das geht vielleicht zu weit, doch hängt alles von der Interpretation dieses Schriftdenkmals ab.

Es bleibt immer noch fraglich, ob die Stadtna­men Mesta und die drei anderen mit dem Landes­namen Parsua asyndetisch gereiht sind oder ob es sich um eine Genitivkonstruktion handelt, wonach die genannten Zentren zum Lande Parsua gehören würden.

Hier wäre nun eine weitere Quelle hinzuzufü­gen, die zwar kein Kriegsbericht ist, aber m. E. wich­tige Hinweise für die Rekonstruktion der politi­schen Karte West-Azerbajdjans im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts enthält. Das Freiluftheiligtum von Meher Kapisi45 bei Van bezeugt die gelungene Einführung des Haldi-Kultes in Urartu und fixiert die Liturgie des Staatskultes. In dem langen Opfer­text sind alle Götter des urartäischen Pantheons ih­rer Rangordnung nach aufgelistet. An der Spitze der etwa 80 Götter, Hypostasen und vergöttlichten Eigenschaften des Haldi steht die oberste Trias, Haldi, TeiSeba (Wettergott) und Siuini (Sonnen-

gott). Die Namen der anderen Götter und die Stät­ten ihrer Verehrung legen den Schluß nahe, daß sich in dieser Liste die territorialen Eroberungen der Urartäer widerspiegeln.

So finden wir z. B. zwei Gottheiten, Sebitu und Artu'arasau, die sich dank eines epigraphischen Fundes der 70er Jahre, der Inschrift von Mahmud­Abad46, als Lokalgottheiten der Gegend von Urmia herausgestellt haben. Das ist ein indirekter Beweis, daß diese Gegend bereits zu ISpuinis Zeiten Be­standteil des urartäischen Reiches war. Als Beispiel für einen Negativbeweis ließe sich der Fall des Got­tes Iubsa zitieren, eines Gottes der Ararat-Ebene, dem Argisti I. zwei Generationen später einen Tem­pel in seiner neuen transkaukasischen Residenz von Erebuni, bei Jerewan, widmete. Sein Name fehlt in der Inschrift von Meher Kapisi, und in der Tat war zur Zeit ISpuinis diese Region noch nicht von den Urartäern besetzt worden.

Die beschriftete Nische von Ye~ilalic;47 (Abb. 8) , die ebenfalls von ISpuini und Minua angelegt wur-

45 Salvini 1993/97. 46 Salvini 1984d. 47 Früher Aschrut-Darga oder Asotakert genannt. Vgl.

König 1955/57 Text Nr. 8. Über das Denkmal : Tarhan / Sevin 1975.

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de, weist mit ihrer Lage (60 km östlich von Van) den Weg nach dem Iran. Wie rasch die Expansion nach Osten im letzten Viertel des 9. Jahrhunderts stattge­funden hat, zeigt auch eine weitere Felsinschrift, die vor kurzer Zeit bekannt wurde. Sie liegt in der Re­gion von Nachicevan, nördlich des Araxes, und stammt ebenfalls aus der Koregenzzeit des ISpuini und Minua48.

Anhand aller heute verfügbaren Dokumente las­sen sich folgende Phasen der urartäischen Ausdeh­nung nach Osten rekonstruieren, die in die Regie­rungszeit ISpuinis und in die Koregenzzeit mit sei­nem Erbsohn Minua, d. h. zwischen 820 und 810 v.Chr. fallen: 1. Besetzung der Provinz Koy und der Westküste des Urmia-Sees (die Schicht III auf Haftavan-Tap­peh ist urartäisch); Vorstoß nach Nachicevan; be­zeugt durch die kürzlich gefundene Felsinschrift von Odzasar. 2. Eroberung von Mesta / Hasanlu und erste Berüh­rung mit dem Volk der Perser (Parsua). 3. Kolonisation der Gebiete südlich des Urmia-Sees; Errichtung von Festungen wie Qalatgah. 4. Feierliche Eröffnung der via sacra zwischen dem Tal von Usnaviyeh und MU$a$ir; urartäisches Pro­tektorat über MU$a$ir.

Natürlich bleibt eine gewisse Unsicherheit bei der Festlegung dieser Reihenfolge, vor allem weil wir über keine absolute Datierung unserer Quellen verfügen. Die meisten Texte sind ja von ISpuini und Minua verfaßt worden, aber es gibt kein inhaltliches Kriterium, die Reihenfolge ihrer Entstehung festzu­legen.

Während des 8. Jahrhunderts blieb Azerbajdjan fest in urartäischem Besitz, und die Ebenen im Ge­biet des Godar cay und von Sol duz bildeten eine si­chere Ausgangsbasis für weitere Expeditionen (wir wissen z. B., daß der "fortification wall II" in Hasanlu von den Urartäern im 8. Jahrhundert er­richtet wurde; so Kleiss und Dyson)49. Die Annalen von ArgiSti I. und Sarduri II. berichten von häufigen Feldzügen nach Süden, in die heutige iranische Pro­vinz von Kurdistan. Die heimgesuchten Länder sind vor allem Bustu und Mana, d. h . das Land der MannäerSO. Aus den assyrischen Berichten erfahren wir, daß unter der Regierung Rusas I. (ca. 730-714 v. Chr.) die Kontakte zwischen Urartäern und Man­näern intensiver werden.

Die Annalen Sargons und sein Bericht über die achte Kampagne, aber auch die Briefe des assyri­schen Nachrichtendienstes, die aus Qujundjik stam­men, geben uns eine Fülle von Informationen, die ­verbunden mit den urartäischen Quellen - ein de-

tailliertes Bild der Ereignisse rekonstruieren lassen, aber auch viele Einzelfragen der historischen Geo­graphie aufwerfen, auf die hier nicht mehr einge­gangen werden kann. Ich weise nur in Stichworten auf die beiden Hauptfragen hin: - Identifizierungsvorschläge von urartäischen Städ­ten, die während der achten Kampagne eine wichti­ge Rolle gespielt haben. - Der Kimmeriereinfall: genaue Datierung und Lokalisierungsfrage.

Ich möchte aber, bevor ich zum Schluß komme, zwei neue Dokumente vorstellen, die für die Rekon­struktion der urartäischen Anwesenheit im irani­schen Raum von Wichtigkeit sind:

Die Stele von Movana, die 1995 20 km westlich von Urmia gefunden wurde51 (Abb. 9) und die ich zur Zeit bearbeite. Es handelt sich um eine urartä­isch-assyrische Bilingue, von Rusa I. verfaßt, die ei­nen quasi Duplikattext zu den Stelen von Topzawa und Mergeh Karvan enthält. Ihre Lage bestätigt meine Rekonstruktion des Hauptweges von Van nach MU$a$ir seit ISpuinis Zeiten, der gleichzeitig eine Heeresstraße und eine via sacra war.

Unter einem anderen Gesichtspunkt noch inter­essanter ist die Stele von Bukan mit ihrem aramä­ischen Text. Es handelt sich um die untere Hälfte einer Stele, die 1985 bei den Ausgrabungen von Tappeh Qalayci bei Bukan gefunden wurde52. Das Fragment ist 1,50 m hoch und 80 cm breit; die 13 er­haltenen Zeilen - der untere Teil einer längeren In­schrift - bilden eine Fluchformel. Wir haben einen völlig unerwarteten Fund vor uns, weil die aramä­ische Schrift in diesem Raum und in einer so archai­schen Epoche (8./7. Jahrhundert) bisher nicht be­zeugt war. Der archäologische Zusammenhang ist nicht näher bekannt, aber man geht von einer man­näischen Siedlung aus. Tatsache ist, daß der Text den Namen Haldi nennt. Voriges Jahr sind zwei se­mitistische Bearbeitungen erschienen53, denen ich die folgenden Informationen entnehme.

Der Duktus und die benutzten Wendungen wei­sen auf eine Datierung in das ausgehende 8. oder in den Anfang des 7. Jahrhunderts. Das Formular - so die Autoren - erinnere an die Fluchformeln der In­schriften auf der Statue des Hadad Isi aus Tell Fek-

48 Erstveröffentlichung durch Hmayakyan et a1. 1996; vgl. auch die Bearbeitung von Salvini 1998b.

49 Dyson 1969,44; Kleiss 1969/70, 129. 50 Postgate 1987/90. 51 Erstveröffentlichung: Khanzaq 1996a. 52 Erstveröffentlichung: Khanzaq 1996b. 53 Teixidor 1997/98; Lemaire 1998.

Die Einwirkung des Reiches Urartu auf dem Iranischen Plateau 353

Abb. 9. Das Tal von Movana mit dem Fundort der Stele Rusas I.

heriye und auf der Stele von Sfire54 • Der verlorenge­gangene Text könne daher eine Gedenkinschrift oder aber ein Staatsvertrag gewesen sein.

Der Text lautet, in der Übersetzung von Teixi­dor: "Wer diese Stele entfernt, im Krieg oder in Frie­den, die ganze Pest, die auf der Erde ist, sollen die Götter in das Königreich selbst stellen55• Er hat die Götter geschmäht, er hat Haldi (!:ILDY), der in Mw?a::;ir (MTfR) ist, geschmäht".

Lemaire, dem ersten iranischen Bearbeiter B. Khanzaq folgend, versteht hier anders, und zwar " .. . Haldi, der in Zirta / Izirtu (Z'TR) ist ... ", d. h . in der Hauptstadt der Mannäer, die wir aus Sargons Annalen kennen. Am Ende der Verwünschungen kommt Haldi noch einmal vor, zusammen mit Ha­dad: "Der König, der [wohl: seinen Namen auf] die­se Stele [schreibt], Hadad und Haldi mögen seinen Thron umwerfen ... ".

Wir haben somit zwei abweichende Interpreta­tionen; nach der ersten werden Haldi und Mu::;a::;ir erwähnt, nach der zweiten Haldi und Izirtu. Lemaire will ferner den Grabungsort mit Izirtu und den Verfasser der Inschrift höchstwahrscheinlich mit dem mannäischen König Ullusunu identifizie­ren56, obwohl kein Name auf dem erhaltenen Teil der Stele vorkommt. Lemaire scheint mir indes zu

weit zu gehen, wenn er auf dieser unsicheren Grundlage von einem großen Tempel des Haldi in der mannäischen Hauptstadt Izirtu57 spricht.

Wenn wir aber von allen unsicheren Spekulatio­nen absehen und die Schwierigkeit der Textinter­pretation in Kauf nehmen, so bleibt dies doch ein bedeutendes neues Dokument für die Geschichte Iranisch-Azerbajdjans in urartäischer Zeit. Zum er­sten Mal wird der Name des Gottes Haldi in einem nicht-keilschriftlichen Text genannt, und in einem Zusammenhang, der nicht mit Urartu in Verbin­dung steht. Aus historischen Gründen gebe ich der Lesung Mu::;a::;ir den Vorzug. Es könnte sich um die Fluchformel eines Staatsvertrags handeln, wo die Hauptgottheiten der Vertragspartner, nämlich Haldi für Urartu und der Wettergott Hadad für eine lokale Macht (die Mannäer?), herbeigerufen werden.

Natürlich wirft ein solches Dokument mehr Fra­gen auf, als es sie lösen hilft, vor allem über den Ge­brauch der aramäischen Sprache und Schrift in die-

54 Assaf et al. 1982. 55 Abweichend Lemaire: "Que les dieux detruisent la

maison de ce roi-Ia . .. ". 56 Lie 1929, 86 mit Verweis auf die TextsteIlen. 57 Levine 1976/80.

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sem unerwarteten geographisch-politischen Kon­text und zu einem so frühen Zeitpunkt, nämlich 200 Jahre früher als die Verbreitung des Aramäischen im achämenidischen Reich. Wer war der lokale Ver­tragspartner? War der Ort eine mannäische Sied­lung, ganz gleich, ob wir wirklich Izirtu zu lesen haben? Soll man ferner daraus schließen, daß die Mannäer aramäisch gesprochen haben, wobei bis­her über ihre Sprache nichts bekannt ist?

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