Der Einfluss des arabischen Kulturraumes auf die Medizin des lateinischen Mittelalters

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070230 SE Medizin in Mittelalter und Früher Neuzeit Mag. DDr. Sonia Horn WiSe 2013/14 Der Einfluss des arabischen Kulturraumes auf die Medizin des lateinischen Mittelalters Bayer Susanne, BA Matr. Nr. 0904762 [email protected] 066 803 MA Geschichte, SE Vertiefung 1 Abgabedatum: 27.02.2014

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070230 SE Medizin in Mittelalter und Früher Neuzeit

Mag. DDr. Sonia Horn

WiSe 2013/14

Der Einfluss des arabischen Kulturraumes auf die Medizin

des lateinischen Mittelalters

Bayer Susanne, BA

Matr. Nr. 0904762

[email protected]

066 803 MA Geschichte, SE Vertiefung 1

Abgabedatum: 27.02.2014

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung ................................................................................................................................... 3

1. Ausgangspunkt ....................................................................................................................... 5

1.1. Medizin im mittelalterlichen Europa vor dem Einfluss aus dem arabischen Raum ....... 5

1.2. Entwicklung im arabischen Kulturraum ......................................................................... 8

2. Einflüsse aus dem Osten ...................................................................................................... 12

2.1. Italien ............................................................................................................................. 13

2.2. Spanien .......................................................................................................................... 14

2.3. Der Osten – Byzantinisches Reich und Heiliges Land ................................................. 16

Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................................. 19

Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 21

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EINLEITUNG

Die allgemeine Vorstellung, dass es im europäischen Mittelalter nur eine schlechte

bzw. keine medizinische Versorgung gegeben hat, ist noch fest im Denken der Menschen

verankert. Die neuere Forschung hat zu diesem Thema schon einige Arbeit geleistet, doch

muss sich der Gedanke an eine für damalige Verhältnisse relativ gute Krankenpflege erst

etablieren.

Ausgehend von den medizinischen Erkenntnissen des antiken griechischen

Kulturraumes lässt sich auch nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im

5. Jahrhundert eine Fortführung der bisher angewandten Heilmethoden nachweisen, die vor

allem in der so genannten „Volksmedizin“ zur Verwendung kamen. Der magische Aspekt

anhand von Amuletten und Beschwörungsformeln darf in diesem Zusammenhang aber nicht

unbeachtet bleiben. Auch die Klostermedizin, die sich nach wie vor auf Schriften des

griechischen Kulturraumes stützte, bewahrte die antiken Erkenntnisse vor dem völligen

Vergessen. In Verbindung mit dem Christentum ist hier der Aspekt der Nächstenliebe und

Fürsorge ebenfalls ein wichtiger Punkt in der Versorgung von Kranken.

Während im Westen dennoch ein gewisser Niedergang der Krankenpflege im

Gegensatz zu den bis dahin verwendeten Methoden, die dem griechischen Kulturraum

zuzuordnen sind, zu beobachten ist, fand im Osten vor allem durch die Verbreitung des Islams

ein reger Kulturaustausch statt. Beeinflusst wurde dieser nicht nur durch das byzantinische

Reich, sondern auch durch Persien und Indien. Die Gelehrten des arabischen Raumes

beschäftigten sich aber nicht nur mit der Tradierung der antiken Texte, sondern gingen auch

dazu über, selbst neue Erkenntnisse zu gewinnen. Im Zuge der Handelsbeziehungen vor allem

mit Italien und der Eroberung Spaniens gelangten diese auch nach Europa, wodurch eine

regelrechte Reformierung der bis dahin angewandten Heilmethoden stattfinden sollte.

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Diese Arbeit versucht die Frage zu beantworten, wo und auf welche Weise die

Medizin des arabischen Kulturraumes das europäische Mittelalter beeinflussen konnte.

Zunächst wird ein kurzer Abriss über die Entwicklung im Westen sowie im Osten gegeben,

dem im zweiten Kapitel eine genauere Beschreibung der Knotenpunkte des Austausches folgt.

Der Blick wird zuerst auf Italien gerichtet werden und hier vor allem auf Salerno und seine

Universität. Dem folgt Spanien, das durch die arabische Expansion als perfektes Beispiel für

den Einfluss gelten kann. Den dritten Knotenpunkt stellt der Bereich des heutigen Palästinas

dar, der im Mittelalter als das Heilige Land bezeichnet wurde, da insbesondere Jerusalem wie

auch Konstantinopel als Zentren des Kulturaustausches zwischen West und Ost gelten

können. Gemeinsam mit der Zusammenfassung wird ein kurzer Ausblick auf die weitere

Entwicklung der Medizin wiedergegeben werden.

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1. AUSGANGSPUNKT1

Die Medizin im antiken griechischen Kulturraum umfasste eine Vielzahl von Schulen,

doch setzten sich vor allem die Schriften des Hippokrates (ca. 460 bis 370 v.Chr.) durch, die

in der Schule von Kos gelehrt wurden. Man findet hier Beobachtungen zu

Krankheitsverläufen, sowie Behandlungsmethoden, die auf Diäten, Therapien und

Verabreichung von Medikamenten basierten. Die bisher angewandten, traditionellen

Heilmethoden standen meist in Verbindung mit Magie und Mystik, was im Corpus

Hippocraticum kritisiert wurde, doch existierten beide Formen nebeneinander weiter. Mit

Galen (ca. 130 bis 210 n. Chr.), dessen Schriften ein umfassendes Werk zur antiken Medizin

darstellten und neben der Philosophie des Aristoteles (ca. 384 bis 322 v. Chr.) auch Anatomie

und Pathologie mit einbanden, entstand ein Korpus von Texten, der bis in die Neuzeit als

Standardwerk für medizinische Behandlungen im Westen wie auch im Osten gelten sollte.

1.1. Medizin im mittelalterlichen Europa vor dem Einfluss aus dem

arabischen Raum

Europa war zunächst geprägt von ebenjener Medizin des griechischen Kulturraumes,

wie Nancy Siraisi in ihrer Arbeit zur mittelalterlichen und frühen Renaissance-Medizin

aufzeigt.2 Die Übersetzung einiger weniger Schriften in das Lateinische fand vorwiegend im

5. und 6. Jahrhundert statt, doch durch den Zusammenbruch des Römischen Reiches und dem

anschließenden kulturellen Niedergang dieser Zeit wurde dieses medizinische Wissen in den

Klöstern gesammelt und verwahrt, aus Angst, dass es endgültig verloren gehen könnte.

Bedingt durch den weitgehenden Verlust der Kenntnis der Sprache des griechischen 1 Vgl. Nancy G. Siraisi, Medieval & Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice (Chicago 1990) 1f. 2 Vgl. ebd. 6.

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Kulturraumes gerieten viele bis dahin gewonnene Erkenntnisse dennoch in Vergessenheit. In

gewissem Maße lebten diese aber in der so genannten Volksmedizin weiter, wo das Wissen

von dem ausübenden Heilkundigen auf den Schüler überging. Sie entstand aus den

herkömmlichen Behandlungsmethoden des jeweiligen Gebietes, die die Bewohner schon seit

Jahrhunderten angewandt hatten.3 Richard Kieckhefer merkt in seinem Buch über die Magie

des Mittelalters an: „Offenbar zogen manche von ihnen [die Heiler, Anm. der Autorin] im

Land umher. Sie hatten eine Art von Ausbildung genossen, die wohl einer Handwerkerlehre

ähnelte und mehr praktischen als theoretischen Charakters war. Möglicherweise waren

diesen Leuten Kenntnisse der antiken Medizin nicht ganz fremd […] In der Hauptsache

gründete sich ihre Kunst wohl auf Traditionen der Volksmedizin und auf eigene Beobachtung

und Erfahrung.“4 Diese Art von Heilkunde beinhaltete auch eine Vielzahl von magischen

Aspekten, die sich etwa bei der Verwendung von Beschwörungsformeln und Amuletten

zeigte. Sie war trotz der Ausbreitung des Christentums weiterhin in Gebrauch. So wurden

etwa einige Praktiken mit christlichem Inhalt versehen, sodass man von einer

„Kulturverschmelzung“ sprechen kann.5 Gerade in Bezug auf Gebete, die während der

Behandlung durch Mönche und Nonnen vorgetragen wurden, lässt sich ein fließender

Übergang zu gesprochenen Heilformeln erkennen, wie sie in der Volksmedizin verwendet

wurden.

Die Klostermedizin, die von gerade erwähnten Ordensbrüdern und -schwestern

angewandt wurde, hatte sich aus der weiter oben beschriebenen Sammlung und Verwahrung

antiker Schriften entwickelt. Unter Verwendung der Texte aus dem griechischen Kulturraum,

sowie der Schaffung von Kräuterbüchern und Rezeptsammlungen entwickelten sich

Behandlungsmethoden, die mit christlicher Fürsorge und Gebeten kombiniert wurden. Für

den mittelalterlichen Menschen war der Gottesglaube ein wichtiges Element im Prozess der

3 Vgl. Charles Lichtenthaeler, Geschichte der Medizin, Bd. 1, Vorgeschichte, Antike und Mittelalter (Köln 41987) 284f. 4 Richard Kieckhefer, Magie im Mittelalter (München 1992) 72. 5 Vgl. ebd. 57f.

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Heilung. Man sah die Krankheit als Bestrafung Gottes für Sünden an.6 Die Mönche und

Nonnen, die die Kranken, welche auch aus der ansässigen Bevölkerung kamen, auf diese

Weise behandelten, lernten von den Kloster- und Kathedralschulen, die dem Orden anhängig

waren, doch waren diese nicht der Öffentlichkeit zugängig.7

Die Klöster spielten nicht nur für die Sammlung und Verwahrung der antiken

Schriften eine bedeutende Rolle, sondern auch für die Übersetzung in das Lateinische,

wodurch sie für weitere Kreise zugängig gemacht wurden. Die Behandlung und Versorgung

der Kranken, die im Christentum eine wichtige Rolle spielen, konnte durch das so erworbene

Wissen und in den bei Klöstern errichteten Hospitälern angewandt werden.8

Eine besonders wichtige Vertreterin dieser Medizinform ist die Äbtissin Hildegard von

Bingen (1098 bis 1179), die nicht nur bis heute bekannt ist für ihre naturheilkundlichen

Schriften, sondern etwa auch die Mineralogie in Beziehung zur Heilung der Kranken setzt.

Sie stammte ursprünglich aus Bermesheim bei Alzey und trat mit etwa 15 Jahren ins Kloster

ein. Hildegard übernahm 1136 die Leitung, verlegte es nach Bingen und verschaffte den

Schwestern materielle Unabhängigkeit. Sie war schon früh literarisch tätig und fungierte auch

als Ärztin. Ihre Werke umfassen nicht nur den Bereich der Medizin, sondern beschäftigen

sich auch mit Theologie, Tieren und Lyrik.9

Beachtet man nun alle Aspekte, begonnen bei der Volksmedizin bis hin zur

Behandlung durch Klosterbrüder und -schwestern, kann man davon ausgehen, dass es schon

im frühmittelalterlichen Europa ein reges System von Behandlungsmethoden gegeben hat und

nicht, wie oft angenommen, nur eine schlechte oder überhaupt keine medizinische

Versorgung.

6 Vgl. Kay Peter Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter (Darmstadt 2005) 22f. 7 Vgl. 'Arzt, I. Der Arzt im frühen Mittelalter', in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 1, col. 1098, in Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online). 8 Vgl. Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie, 30f. 9 Vgl. Otto Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft des Mittelalters, Bd. II (Graz 2006) 209, 368f.

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1.2. Entwicklung im arabischen Kulturraum

Die Ausbreitung des Islams, die direkt nach dem Ableben des Religionsbegründers

und Propheten Mohammeds Anfang des 7. Jahrhunderts begonnen hatte, ging mit der

Übernahme der eroberten Kulturen einher. Mit dem Instrument der Übersetzung gelangten die

medizinischen Schriften des griechischen und byzantinischen Raumes in die Gedankenwelt

der Eroberer und schon um 900 waren die wichtigsten Werke, wie etwa von Hippokrates oder

Galen, übersetzt und standen fortan zur Verfügung. Besonders Damaskus, Antiochia und

Bagdad entwickelten sich rasch zu Übersetzungszentren.10 Die Medizin der muslimischen

Kultur beinhaltete dennoch nicht nur Elemente des griechisch-byzantinischen Brauchtums, zu

denen die Gelehrten größeren Zugang hatten als jene im Westen, sondern erhielt auch von der

indischen und persischen Kultur Eindrücke, die Eingang in die Gedankenwelt des arabischen

Raumes fanden.11 So war etwa die Stadt Gundischapur in Ostpersien von enormer

Wichtigkeit, da „während des 6. und 7. Jahrhunderts […] nestorianische Christen […] einen

bedeutenden Teil der griechischsprachigen Wissenschaftsliteratur, besonders aus den

Bereichen der Medizin und Logik, ins Altsyrische [übertrugen].“12 Diese Sprache war in der

damaligen Zeit die der alltäglichen Kommunikation, die in weiten Teilen des Ostens

verwendet wurde. Mit Ausbreitung des Islams wurde sie ersetzt durch jene aus dem

arabischen Raum, was eine Tradierung der Schriften nach sich zog.

Die Besonderheit des Islams – die Voraussetzung der Kenntnis der arabischen Schrift

für das Beten mit dem Koran – führte dazu, dass in den Gebieten, in denen die islamische

Religion vorherrschte, jeder Gläubige die Werke der Gelehrten lesen und verstehen konnte.

Ebenso übernehmen in dieser Glaubenswelt Hygiene und eine gesunde Lebensweise eine

übergeordnete Rolle; so sollen muslimische Anhänger etwa auf Alkohol und Schweinefleisch

10 Vgl. Lichtenthaeler, Geschichte der Medizin, 253. 11 Vgl. Danielle Jacquart, Françoise Micheau, La médecine arabe et l’Occident médiéval (Paris 1996), 44. 12 Kay Peter Jankrift, Europa und der Orient im Mittelalter (Darmstadt 2007) 94.

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verzichten und sich zu den Gebetszeiten waschen. Auf diese Weise konnte sich ein gewisses

Gesundheitswesen entwickeln.13

Besonders hervorzuheben sind die rege Forschungstätigkeit in Bezug auf neuartige

Behandlungsmethoden, sowie die Sammlung der antiken Texte und die Erstellung neuer

Werke, die auf diesen Schriften beruhen, von den arabischen Gelehrten aber nach ihren

Maßstäben angepasst wurden und so eine bis dahin nicht gekannte, für damalige Verhältnisse

moderne Medizin schufen. Wie Nancy Siraisi anmerkt, verfassten die Gelehrten des

arabischen Kulturraumes vor allem auf dem Gebiet der Chirurgie neue, gute Lehrbücher, die

im Westen großen Anklang fanden.14

In Bezug auf Hospitäler des Ostens ist etwa jenes in Bagdad oder Kairo zu erwähnen.

Plinio Prioreschi beschäftigt sich mit der Frage, ob jene ersten Einrichtungen denen des

griechisch-byzantinischen Raumes nachempfunden waren, die sich schon für die ersten

Jahrhunderte nach Christus nachweisen lassen. Er stellt fest, dass es mit Sicherheit eine

gewisse Beeinflussung gegeben hat, aber „ […] they were inspired by the Christian ones in

the sense that the caliphs appreciated the charitable function of the western institutions and

decided to improve on them.”.15 Anders als Hospitäler in Europa, die von Mönchen und

Nonnen geführt wurden, wurde in denen des Ostens eine rege Lehrtätigkeit betrieben, die

auch jedem zur Verfügung stand, der eine medizinische Ausbildung genießen wollte.

Um nun einen besseren Überblick davon zu erhalten, warum sich die Schriften aus

dem Osten in Europa so großer Beliebtheit erfreuten, sei hier nun kurz ein Einblick in das

Leben zwei der bekanntesten arabischen Gelehrten gegeben:

Abū Bakr Muhammad ibn Zakariyyā´ ar-Rāzī, in Europa kurz „Rhazes“ genannt,

dessen Schriften auch im Westen große Bekanntheit erlangten, kam ursprünglich aus Persien.

Er lebte Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts. Seine Bildung umfasste neben

13 Vgl. Jacquart, Micheau, La médecine arabe, 31. 14 Vgl. Siraisi, Medieval & Early Renaissance medicine, 161. 15 Plinio Prioreschi (Hg.), Byzantine and Islamic Medicine, Bd. 4, in: A History of Medicine (Omaha 2001) 382.

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Philosophie auch Mathematik, Astronomie und Musik. Als er in Bagdad das Hospital

besuchte, kam er in Berührung mit der Wissenschaft der Medizin und beschäftigte sich von da

an mit deren Erforschung.16 Otto Mazal fasst in seinem Buch über die abendländische

Wissenschaft des Mittelalters zusammen: „Sein Ziel war eine auf die Beobachtung des

Krankheitsverlaufes gestützte und individualisierende Behandlung; auch legte er auf

hygienisch-diätetische Maßnahmen neben einfachen Arzneien besonderes Gewicht.“17 Als

einer der ersten befasste sich Rhazes mit Blattern und Masern, doch sein Interesse galt etwa

auch der Entstehung von Blasen- und Nierensteinen, sowie simplen Gelenksschmerzen. Seine

Texte waren bis in die Neuzeit in Verwendung, da sie sich mit sämtlichen Bereichen der

Medizin befassten; so hatte er eine Enzyklopädie erstellt, die neben Symptomen von

Krankheiten auch die Diagnose und Therapie behandelt.

Nach Rhazes war Abū ‘Ali al-Husain ibn ‘Abdallāh ibn Sīnā der bekannteste Gelehrte

des arabischen Raumes. Auch er kam aus Persien und lebte Ende des 10. und Anfang des

11. Jahrhunderts. Im Westen wurde er unter dem Namen „Avicenna“ bekannt. Seine Studien

beschäftigten sich mit Philosophie und Medizin, doch lassen seine mehr als 100 Titel

umfassenden Schriften auch Einflüsse aus Mathematik, Physik, Dialektik und weiteren

Richtungen feststellen. Der „Canon“, der sowohl theoretische Medizin, Arzneimittel,

Therapien, als auch äußere Einflüsse wie das Klima behandelt und somit eines der

umfassendsten Bücher in Bezug auf die Medizin der damaligen Zeit darstellt, gilt wohl als

Avicennas Hauptwerk.18

Im lateinischen Westen fanden noch viele weitere Gelehrte aus dem arabischen Raum

ihre Anerkennung, doch würde deren Aufzählung den Rahmen dieser Arbeit sprengen,

weshalb hier nur zwei der bedeutendsten Männer beschrieben wurden, deren Werke bis in die

Neuzeit hinein in Verwendung waren. Dennoch sei an dieser Stelle erwähnt, dass die

16 Vgl. Jacquart, Micheau, La médecine arabe, 57f. 17 Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft, Bd. II, 347. 18 Vgl. ebd. 352f.

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Erkenntnisse, die im Osten gewonnen wurden, von enormer Bedeutung waren. Die Gelehrten

konnten durch ihre Forschungen verschiedene Krankheiten und deren Verbreitung

identifizieren, die zuvor als Gottes Strafe angesehen worden waren. So wurde etwa

festgestellt, dass Lepra durch Übertragung weitergegeben wird. „Die Erkenntnis der

Infektiosität der Volkskrankheiten war eine der bedeutendsten Fortschritte arabischer

Mediziner.“19 Neue Methoden in der Chirurgie, sowie vor allem in der Augenheilkunde und

Verwendung von Narkose bei Operationen hatten einen neuen Standard der Medizin

entstehen lassen, ohne den sich die heutige Wissenschaft in der uns bekannten Form

vermutlich so hätte nicht entwickeln können.

19 Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft, Bd. II, 358.

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2. EINFLÜSSE AUS DEM OSTEN

Durch das Entstehen der ersten Universitäten im 12. Jahrhundert, wie etwa in Paris

und Bologna, begann die Etablierung der so genannten „Scholaren“, die nun als ausgebildete

Ärzte die Behandlung der Kranken vornahmen. Das bedeutete für die Klostermedizin einen

gravierenden Einschnitt, da deren Wichtigkeit und Nützlichkeit nun rückläufig wurde.20 Das

Verbot von 1130 auf der Synode von Clermont, welches Geistlichen untersagte, ein

Medizinstudium zu besuchen, führte ebenfalls zum Rückgang der Behandlung durch

Ordensbrüder und -schwestern.21

Die Universitäten ließen bereits den Einfluss aus dem arabischen Kulturraum spürbar

werden, da in den Lehrplänen nicht nur die Schriften der Gelehrten aus dem griechischen

Kulturraum, wie etwa Hippokrates und Galen, standen, sondern auch Werke von Rhazes und

Avicenna, die im vorigen Kapitel vorgestellt wurden. Voraussetzung für das Verstehen dieser

Texte war die Tradierung in die lateinische Sprache. Als Vorreiter gelten hier die

Übersetzungszentren von Salerno und später Toledo.22 Doch auch die Mediziner des

Johanniterordens, der im Gebiet um Jerusalem wirkte und in Spanien und dem Deutschen

Reich großen Einfluss hatte, brachten die medizinischen Erkenntnisse, die sie vor Ort

gewonnen hatten, nach Europa.

Nicht zu vergessen ist der Einfluss von Krankheiten, die etwa durch

Handelsbeziehungen ihren Weg in den Westen fanden. So wurde die Lepra, die zunächst nur

im Osten bekannt war, eine der Krankheiten des lateinischen Mittelalters, mit der Menschen

heutzutage diese Epoche identifizieren.

20 Vgl. 'Medizin, 3. Das Zeitalter der Klostermedizin', in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 6, cols 453-454, in Brepolis Medieval Encyclopaedias, Stand 06.01.2014. 21 Vgl. Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie, 42. 22 Vgl. 'Medizin, 1. Die Heilkunst im Lehrgut der »Articella«', in Lexikon des Mittelalters, vol. 6, cols 454-455, Stand 06.01.2014.

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2.1. Italien

Durch seine gute Lage am Mittelmeer und den regen Handelsbeziehungen mit dem

Osten war Italien schon früh den Einflüssen, die aus den Ländern des arabischen Raumes

kamen, ausgesetzt. Die Universität von Salerno, die schon in Quellen des 10. und

11. Jahrhunderts zu finden ist, wobei jedoch die Frage gestellt werden muss, ob sie schon als

„Universität“ bezeichnet werden kann, war für ihre enorme Übersetzertätigkeit von Texten

aus dem griechischen und arabischen Raum in das Lateinische bekannt.23 Vor allem die

Tradierungen von Constantinus Africanus (ca. 1020 bis 1087 n. Chr.) stellten einen wichtigen

Beitrag dar. Geboren in Nordafrika, studierte er Medizin an den Universitäten im Osten. Bei

seiner Heimkehr besuchte er Salerno und musste feststellen, dass keine medizinischen

Schriften, wie er es gewohnt war, vorhanden waren. Constantinus Africanus reiste zurück

nach Afrika, um ebendiese Texte zu besorgen und fing an, sie in Salerno zu übersetzen,

nachdem er zum Christentum konvertiert und in das Kloster von Monte Cassino eingetreten

war. Diese Information seines Lebens kann aber nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Als

studierter Gelehrter aus dem Osten und Kenner der orientalischen sowie der lateinischen

Kultur war er in der Lage, seine Übersetzungen dem westlichen Gebrauch anzupassen. Diese

Werke wurden maßgebend für die Entstehung einer neuartigen Medizin, die die bis dahin im

Westen verwendeten Heilmethoden mehr als nur modifizierten.24

Constantinus Africanus hatte Zeit seines Lebens einen großen Teil der wichtigsten

Werke übersetzt, die im Osten von enormer Bedeutung waren, sodass man nun in der Lage

war, diese in die jeweilige Landessprache tradieren, sowie eigene Lehrbücher für Studenten

der Medizin erstellen zu können. Diese orientalisch beeinflusste Arbeit von Salerno regte

wiederum andere Zentren des Wissens an, die in dieser Zeit entstanden waren. So nahmen

23 Vgl. G. Vitolo, 'Salerno, I. Historische Entwicklung', in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 7, cols 1297-1298, in Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online, Stand 03.01.2014. 24 Vgl. Jacquart, Micheau, La médecine arabe, 98f.

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etwa die Universitäten von Paris und Montpellier, die sich im 12. Jahrhundert entwickelt

hatten, große Teile der Werke in ihren Lehrplan der Medizin auf.25

Auch nach der Zeit von Constantinus Africanus wurden weitere Tradierungen

angefertigt. Erst mit der Zerstörung von Salerno 1193 durch Kaiser Heinrich VI. wurde die

wertvolle Arbeit unterbrochen, doch konnte sich die dortige Universität wieder erholen und so

stand sie Medizinstudenten erneut zur Verfügung.26

2.2. Spanien

Ab dem 8. Jahrhundert stand ein Großteil von Spanien unter Herrschaft der

muslimischen Eroberer, doch erst im 10. Jahrhundert begann die Anpassung bzw. Übernahme

der arabischen Kultur, die sich tief in der Bevölkerung verankern sollte.27 Selbst Teil des

islamischen Reiches war es für die Gelehrten in Spanien ein Leichtes, Zugang zu den

Schriften des arabischen Raumes zu erhalten und diese für den Gebrauch im Westen

anzupassen.28 Wichtig für das Verständnis sei hier zu erwähnen, dass nicht eine lateinische

Übersetzung von einem Muslim erstellt wurde, sondern Christen mit Hilfe von Mozarabern29,

sofern sie die Sprache der arabischen Kultur nicht selbst konnten, diese Arbeiten

durchführten.30 Im Zuge der christlichen Reconquista vom 11. bis 15. Jahrhundert fand man

diese Texte vor allem am ehemaligen Kalifenhof in Córdoba. Einige Historiker sind der

25 Vgl. 'Salerno, 2. Hochsalerno (1087-1175)', in Lexikon des Mittelalters, vol. 7, col. 1299, sowie G. Keil, 'Salerno, 3. Spätsalerno (1175-1250)', ebd. cols 1299-1300 in Brepolis Medieval Encyclopaedias, Stand 03.01.2014. 26 Vgl. Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft, Bd. II, 364. 27 Vgl. 'Toledo, II. Im Emirat/Kalifat von Córdoba und in den Taifenreichen', in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 8, cols 843-844, in Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online, Stand 06.01.2014. 28 Vgl. H. Schipperges, 'Marcus, Domherr der Kathedralschule v. Toledo', in Lexikon des Mittelalters, vol. 6, cols 228-229, in Brepolis Medieval Encyclopaedias, Stand 06.01.2014. 29 Ein Mozaraber ist ein Christ unter islamischer Herrschaft, der sich an die dortige Kultur angepasst hat, wie es etwa in Spanien der Fall war. 30 Vgl. Andreas Speer (Hg.), Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter, in: Miscellanea Mediaevalia, Bd. 33 (Berlin 2006) 71f.

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Ansicht, dass daraufhin eine Übersetzerschule gegründet wurde, doch Jankrift stellt in seinem

Buch über Europa und den Orient im Mittelalter fest: „Die massive Präsenz von Übersetzern

in Toledo hat dabei den Eindruck entstehen lassen, dort existiere eine ‚Übersetzerschule‘.

Tatsächlich finden sich aber für die Existenz einer solchen Institution keine Belege.“31

Nichtsdestotrotz sei vor allem der Übersetzer Gerhard von Cremona (ca. 1114 bis 1187)

erwähnt, der viele Werke der orientalischen Gelehrten, nicht nur aus dem Bereich der

Medizin, in das Lateinische übersetzte. Er stammte ursprünglich aus der Lombardei. Sein

Wissensdurst führte ihn nach Toledo, als er erfahren hatte, dass dort viele wissenschaftliche

Werke vorhanden waren. Vor Ort erkannte er, dass diese vorwiegend in der Sprache der

früheren arabischen Besatzer geschrieben waren, daher eignete er sich Kenntnisse darüber an

und begann mit zahlreichen Übersetzungen. Zeit seines Lebens tradierte er viele Werke, doch

auch nach seinem Tod wurde seine Arbeit fortgeführt.32 Die Übersetzung von Avicennas

„Canon“ zählt wohl zu seinen bekanntesten Arbeiten.33

Wie bereits weiter oben erwähnt wurde, hatte sich im arabischen Raum durch den

islamischen Glauben ein Gesundheitswesen entwickelt, welches durch die Eroberung

Spaniens auch in diesen Teil der Welt kommen sollte. So verwundert es nicht, dass bald erste

Hospitäler in diesem Land entstanden, die den bisher bekannten Standard im Westen

anhoben. Das erste dürfte jenes in Córdoba gewesen sein, welches auch eine Medizinschule

beherbergte.34

Des Weiteren war der Johanniterorden, bekannt für seine anfangs rein aus der

Versorgung von Pilgern bestehenden Aufgaben und erst in späteren Jahren auch militärisch

tätig, von großer Bedeutung, da er sich nach seiner Bestätigung als Orden durch Papst

Paschalis II. im Jahre 1113 auf der Iberischen Halbinsel sowie im Deutschen Reich

31 Jankrift, Europa und der Orient (Darmstadt 2007) 90. 32 Vgl. ebd. 91f. 33 Vgl. Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft, Bd. II, 353, 364. 34 Vgl. Dieter Jetter (Hg.), Spanien von den Anfängen bis um 1500, in: Geschichte des Hospitals, Bd. 4 (Wiesbaden 1980) 31.

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ausbreitete. Gegründet im Heiligen Land, wurden die Ordensbrüder, die sich mit der

Versorgung der Kranken beschäftigten, inspiriert durch die dortigen Heilmethoden, doch

waren ihnen auch die westlichen geläufig, sodass bald erste Hospitäler entstanden, die von

diesem Ritterorden geführt und verwaltet wurden. Sie entwickelten sich vor allem im

13. Jahrhundert und da der Johanniterorden viele Grundstücksschenkungen in besagten

Ländern erhalten hatte, breiteten sie sich auch in Europa aus. 35 Auf diese Weise wurde unter

anderem dazu beigetragen, dass im Westen neuartige Heilmethoden entstehen konnten.

2.3. Der Osten – Byzantinisches Reich und Heiliges Land

Die Herrscher des byzantinischen Reiches konnten auf griechische Vorfahren

verweisen, weshalb es nicht verwundert, dass sie über antikes Wissen der Medizin verfügten.

Miller merkt in seinem Buch über das Hospital im Byzantinischen Reich an, dass zwischen

dem 4. und 6. Jahrhundert schon eine starke Tendenz zur Heilkunde des griechischen Raumes

nachweisbar ist.36 Nahe an den arabischen Ländern gelegen, lassen sich spätestens im

11. Jahrhundert auch Einflüsse des dort vorhandenen Wissens nachweisen, doch ist

anzumerken, dass die Anhänger der islamischen Religion bei ihren Eroberungen die Kulturen

und auch deren Wissen übernahmen und vor allem im Bereich der Medizin großartige

Neuerungen schufen. Hingegen war „die Entwicklung der Medizin in Byzanz […] im

Allgemeinen [durch] konservative Tradierung der älteren Quellen und die systematisierende

Ordnung des Stoffes gekennzeichnet.“37 Durch Constantinus Africanus, der bereits erwähnt

wurde, entstand eine gewisse wechselseitige Beeinflussung mit der Medizinschule in Salerno,

denn er übersetzte die Werke des arabischen Raumes nicht nur in das Lateinische, sondern

ebenfalls zurück in die Sprache der griechischen Kultur, womit die Arbeiten auch in Byzanz 35 Vgl. Jetter, Spanien, 220f. 36 Vgl. Timothy S. Miller, The Birth of the Hospital in the Byzantine Empire (Baltimore/London 1985) 35. 37 Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft, Bd. II, 329.

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große Verwendung fanden.38 Die orthodox-christliche Religion, die in diesem Teil der Welt

vorherrschte, übernahm wie ihr Pendant im Westen die Ausübung der Krankenpflege und

Barmherzigkeit in ihren Glauben auf.39

Die Kreuzzüge, die vorwiegend im 12. und 13. Jahrhundert stattfanden, hatten

ebenfalls eine enorme Bedeutung für den Kultur- und Wissenstransfer zwischen West und

Ost. Obwohl grundsätzlich eine Feindschaft zwischen den katholischen Rittern aus dem

Westen und den Anhängern des Islams im Osten nicht geleugnet werden kann, entstanden

teilweise auch enge Kontakte mit der im heutigen Palästina lebenden Bevölkerung. Die dort

ansässigen Christen hatten sich mit den Bewohnern, die der arabischen Kultur zugeneigt

waren, arrangiert, um ein friedliches Zusammenleben in den Städten zu ermöglichen, sodass

die katholischen Kreuzfahrer feststellen mussten, dass sich eine neue Kultur entwickelt hatte,

die Elemente der christlichen sowie der muslimischen und jüdischen beinhaltete.

Vor allem die Ritterorden, die sich nach dem Ersten Kreuzzug (1095 bis 1099)

etabliert hatten, nutzten dieses Wissen. Thomas Gregor Wagner beschreibt in seinem Buch

über die Seuchen der Kreuzzüge, dass die Johanniter aus den kulturellen Einflüssen, die die

Umgebung in und um Jerusalem aufwies, einen regen Sanitätsdienst auf den Feldzügen der

Kreuzritter schufen.40 Schon am Beginn ihres Bestehens betrieben sie ein Hospital in

Jerusalem, welches sich zwar nicht ganzheitlich mit denen der islamischen Gelehrten messen,

dennoch für damalige Verhältnisse einen guten Standard aufweisen konnte. Das genaue

Gründungsdatum ist aber nicht mehr verifizierbar. Es wurde sogar bis in das Alte Testament

verlegt, um die Wichtigkeit der Johanniter zu betonen. Um 1300 stellte ein Gelehrter des

Ordens fest, dass dieser vermutlich in der sarazenischen Zeit gegründet worden war, daher

38 Vgl. 'Medizin, II. Schrifttum', in Lexikon des Mittelalters, vol. 6, cols 460-462, in Brepolis Medieval Encyclopaedias, Stand 05.01.2014. 39 Miller, Hospital in the Byzantine Empire, 61. 40 Vgl. Thomas Gregor Wagner, Die Seuchen der Kreuzzüge. Krankheit und Krankenpflege auf den bewaffneten Pilgerfahrten ins Heilige Land (Würzburg 2009) 59f.

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wahrscheinlich vor dem Ersten Kreuzzug im 11. Jahrhundert.41 Mit ihren zahlreichen

Besitzungen im Westen konnten sie das gesammelte Wissen um die Krankenpflege nach

Europa transferieren, sodass der Orden für die Herausbildung eines effizienteren

Hospitalwesens, als es bisher in Europa bekannt war, vor allem in Spanien und dem

Deutschen Reich, maßgebend sein sollte.42

Mit der Rückkehr der Kreuzritter kamen aber nicht nur neue Eindrücke nach Europa,

sondern auch bis dahin nicht gekannte Krankheiten wie etwa die Lepra, die sich in den

folgenden Jahrhunderten stark ausbreiten sollte. Wie Wagner anmerkt, gab das wiederum

frische Impulse für die Erforschung dieses Leidens und die Entwicklung von

Behandlungsmöglichkeiten, sodass nun auch in Europa medizinische Forschungen

durchgeführt wurden.43

41 Vgl. Jürgen Sarnowsky, Die Johanniter. Ein geistlicher Ritterorden in Mittelalter und Neuzeit (München 2011) 10f. 42 Vgl. ebd. 13f sowie Anthony Luttrell, The Hospitallers‘ medical tradition: 1291-1530, in: Malcolm Barber (Hg.), The Military Orders. Fighting for the Faith and Caring for the Sick (Hampshire/Vermont 1994) 65f. 43 Vgl. Wagner, Die Seuchen der Kreuzzüge, 163.

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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Diese Arbeit hat nun versucht, die Wichtigkeit des Einflusses aus dem arabischen

Kulturraum in Bezug zur Medizin in Europa darzustellen. Es hat sich herausgestellt, dass

beide Seiten, West wie Ost, zunächst von den Schriften der griechischen Antike beeinflusst

waren. Während in Europa nach dem Ende des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert ein

gewisser Verfall zu beobachten ist, lässt sich im Osten durch die Eroberungen, die mit der

Ausbreitung des Islams einhergingen, einen regelrechten Aufschwung in der Tradierung von

Texten und eigenständigen Forschungen feststellen.

Im lateinischen Westen lebten die bisher angewandten Heilmethoden dennoch in

gewisser Weise in der Klostermedizin weiter, die von den Mönchen und Nonnen, die im

Orden Zugang zu den dort verwahrten antiken Schriften hatten, studiert wurden und

anschließend in den anhängigen Klosterhospitälern die Kranken versorgten. Auch die

Volksmedizin stellte einen wichtigen Aspekt dar, in der die ansässige Bevölkerung ihre

Heilverfahren, die sie bisher angewandt hatten, weiterführten. Die magische Perspektive darf

in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden.

Die Gelehrten des arabischen Kulturraumes fanden Inspiration für ihre

Forschungstätigkeiten nicht nur in den Schriften des griechisch-byzantinischen Brauchtums,

sondern auch in Indien und Persien. Durch die Handelsbeziehungen mit Europa, vor allem

über Italien, gelangten die Erkenntnisse auch in den Westen; insbesondere die

Übersetzungstätigkeiten von Salerno sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Das

islamisch geprägte Spanien konnte mit Toledo ebenfalls ein Zentrum für Tradierungen in das

Lateinische vorweisen. Der Osten selbst spielte darüber hinaus eine wichtige Rolle; so lässt

sich ein gewisser Kulturaustausch zwischen Kreuzrittern, Pilgern und den dortigen

Bewohnern nicht verleugnen. Als Bindeglied fungierte hier vor allem der Johanniterorden,

der für die Versorgung der Pilger zuständig war und von den Erkenntnissen der ansässigen

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Bevölkerung profitierte. Da er auch in Europa Besitzungen hatte, konnte ein Wissenstransfer

erfolgen.

Mit den ersten Universitäten, die im 12. Jahrhundert entstanden waren, wurden in

Europa die bisher angewandten Medizinformen zurückgedrängt. Nun wurden Ärzte

ausgebildet, die mit den Schriften des griechischen und arabischen Kulturraumes vertraut und

in dem für damalige Verhältnisse besten Standard unterwiesen waren.

Mit der Zeit der ersten Universitäten entstanden auch die ersten Gesetze, die die

medizinische Ausbildung und ihre Ausübung regelten. König Roger II. von Sizilien

(gestorben 1154) ließ etwa festlegen, dass vor der Ausübung des Arztberufes eine staatliche

Prüfung abzulegen sei. Auch Kaiser Friedrich II. erschuf 1231 einen Codex, der unter

anderem regelte, dass man sich einer staatlichen Begutachtung zu unterziehen habe, bevor

man sein Wissen öffentlich anwenden dürfe. Wer diese Regelungen nicht befolgte, dem

drohten Haftstrafen sowie Konfiszierung des gesamten Besitzes.44

Im Laufe des 14. Jahrhunderts zeigte sich ein Rückgang der Tradierungen aus dem

arabischen Raum, doch die Schriften aus der griechischen Antike erfreuten sich weiterhin

reger Übersetzungstätigkeit.45 Die Zeit der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert führte zu

einer Loslösung der Verfahren, die bis dahin verwendet wurden. Man suchte nach neuen

Vorgehensweisen, um die Kranken zu heilen und neue Erkenntnisse zu gewinnen, so wurden

auch die bisher verwendeten Methoden in Frage gestellt. Mit dem Aufkommen der Syphilis,

die aus der Neuen Welt stammte, mussten ebenfalls neue Heilmethoden entwickelt werden.46

Schlussendlich kann festgehalten werden, dass die Erkenntnisse aus der arabischen

Kulturwelt für den lateinischen Westen eine große Bedeutung hatten, dieser Transfer dennoch

nicht auf die wenigen hier behandelten Jahrhunderte beschränkt werden kann, sondern immer

schon ein Austausch zwischen beiden Seiten stattgefunden hat.

44 Vgl. Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaften, Bd. II, 372f. 45 Vgl. ebd. 391. 46 Vgl. ebd. 410f.

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LITERATURVERZEICHNIS

Jankrift, Kay Peter , Europa und der Orient im Mittelalter (Darmstadt 2007).

Jankrift, Kay Peter, Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter (Darmstadt 2005).

Jacquart, Danielle, Micheau, Françoise, La médecine arabe et l’Occident médiéval (Paris 1996).

Jetter, Dieter (Hg.), Spanien von den Anfängen bis um 1500, in: Geschichte des Hospitals, Bd. 4 (Wiesbaden 1980).

Kieckhefer, Richard, Magie im Mittelalter (München 1992).

Lichtenthaeler, Charles, Geschichte der Medizin, Bd. 1, Vorgeschichte, Antike und Mittelalter (Köln 41987).

Luttrell, Anthony, The Hospitallers‘ medical tradition: 1291-1530, in: Malcolm Barber (Hg.), The Military Orders. Fighting for the Faith and Caring for the Sick (Hampshire/Vermont 1994).

Mazal, Otto, Geschichte der abendländischen Wissenschaft des Mittelalters, Bd. II (Graz 2006).

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Prioreschi, Plinio (Hg.), Byzantine and Islamic Medicine, Bd. 4, in: A History of Medicine (Omaha 2001).

Sarnowsky, Jürgen, Die Johanniter. Ein geistlicher Ritterorden in Mittelalter und Neuzeit (München 2011).

Siraisi, Nancy G., Medieval & Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice (Chicago 1990).

Speer, Andreas (Hg.), Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter, in: Miscellanea Mediaevalia, Bd. 33 (Berlin 2006).

Wagner, Thomas Gregor, Die Seuchen der Kreuzzüge. Krankheit und Krankenpflege auf den bewaffneten Pilgerfahrten ins Heilige Land (Würzburg 2009).

Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online: www.brepolis.net