Winkler, C., Schmölcke, U. (2005): Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins.

21
Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins LANU 2005

Transcript of Winkler, C., Schmölcke, U. (2005): Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins.

Landesamt fürNatur und Umwelt

des LandesSchleswig-Holstein

Atlas der Amphibien und ReptilienSchleswig-Holsteins

LANU 2005

Herausgeber:Landesamt für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-HolsteinHamburger Chaussee 2524220 FlintbekTel.: 0 43 47 / 704 – 0www.lanu-sh.de

Ansprechpartner:Arne Drews, Tel.: 0 43 47 / 704 - 360

in Zusammenarbeit mit dem:Arbeitskreis Wirbeltiere Schleswig-Holsteinin der Faunistisch-Ökologischen Arbeitsgemeinschaft e. V. Ökologie-Zentrum der UniversitätOlshausenstraße 4024098 Kiel

Bearbeiter:Andreas KlingeChristian Winkler

mit Beiträgen von:Arne Drews, Olaf Grell, Dieter Harbst, Dietmar Helle, Christoph Herden, Andreas Klinge, Dr. Helge Neumann,Dr. Ulrich Schmölcke, Dr. Klaus Voß, Christian Winkler, Ralf Wollesen

Titel: (Fotoautor)Die Zauneidechse, hier ein Weibchen (großes Foto,Frank Hecker) ist in SH stark gefährdet, die Kreuzkröte (Frank Hecker) kommt in Küstendünenlandschaften und Kiesgruben vor und gilt in SH als gefährdet.

Kartographie:Andreas Klinge

Zeichnungen:Kenneth-Vincent DaunichtDr. Winfried Daunicht

Herstellung:Pirwitz Druck & Design, Kiel

Dezember 2005

ISBN: 3-937937-01-3

Schriftenreihe: LANU SH – Natur; 11

Diese Broschüre wurde auf Recyclingpapier hergestellt.

Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der schleswig-holsteinischen Landesregierung heraus-gegeben. Sie darf weder von Parteiennoch von Personen, die Wahlwerbung oder Wahlhilfe betreiben, im Wahl-kampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Auch ohne zeit-lichen Bezug zu einer bevorstehendenWahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Partei-nahme der Landesregierung zu Gunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet,die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden.

Die Landesregierung im Internet:www.landesregierung.schleswig-holstein.de

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 177

CHRISTIAN WINKLER & ULRICH SCHMÖLCKE

8.1 Einführung

Für die meisten einheimischen Amphibien-und Reptilienarten ist die Arealgeschichte seitder letzten Eiszeit, d. h. für den Zeitabschnittdes Holozäns, nur sehr lückenhaft belegt. EinGroßteil der heutigen Kenntnisse basiert aufarchäozoologischen oder paläontologischenUntersuchungen (vgl. G. BÖHME 1996, 1999).Inzwischen liefern zudem molekulargeneti-sche Analysen von rezenten Populationenwichtige Rückschlüsse auf frühere Besied-lungsvorgänge (z. B. CARLSSON 2003, LENK etal. 1999, TABERLET et al. 1998, ZEISSET & BEEBEE

2001). Fundstätten mit zahlreichen nacheis-zeitlichen Amphibien- und Reptilienknochenfinden sich vor allem in den Sedimenten vonsubfossilen Säugetierbauten. Allerdings berei-tet die genaue Datierung dieses Fundmaterialsvielfach Probleme (G. BÖHME 1999). Das Grosder genauer datierten Skelettreste stammtaus archäologischen Untersuchungen. Dabeiwerden jedoch fast ausschließlich wirtschaft-lich bedeutende Wirbeltierarten nachgewie-sen, zu denen stellenweise auch die Europäi-sche Sumpfschildkröte gehörte (WILLMS 1986).Skelettreste der übrigen Amphibien- und Rep-tilienarten sind nur beim Einsatz feiner Gra-bungsmethoden und dann meist als zufälligeEinmischung im archäologischen Fundgutfeststellbar.

Für den hier betrachteten Bezugsraum –Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpom-mern, Nordniedersachsen und Südskandinavi-en – sind bislang 17 Amphibien- und 8 Reptili-enarten sicher für den Zeitabschnitt desHolozäns belegt (BENECKE 2000, G. BÖHME

1999, GÜNTHER 1996a). Anhand ihres heutigeneuropäischen Verbreitungsgebietes (vgl. GASC

et al. 1997) lassen sich diese Arten in Anleh-nung an ENGELMANN et al. (1993), FREITAG

(1962) und FRIEDRICH (1942) wie folgt gruppie-ren. Die dabei verwendeten Symbole werdenim weiteren Text erläutert.

GRUPPE 1:

Nordeuropäische Arten (boreale und sub-

boreale Faunenelemente)

Moorfrosch, Grasfrosch, Waldeidechse undKreuzotter

GRUPPE 2:

Mitteleuropäische Arten (inkl. paläarkti-

scher Arten der Laub-/Mischwaldzone)

Feuersalamander [?]**, Bergmolch*, (Nördli-cher) Kammmolch, Teichmolch, Erdkröte,Laubfrosch*, Teichfrosch**, Kleiner Wasser-frosch*, Blindschleiche und Ringelnatter

GRUPPE 3:

Westeuropäische Arten (atlantische und

subatlantische Faunenelemente)

Fadenmolch [†]** und Kreuzkröte**

GRUPPE 4:

Osteuropäische Arten (pontische und sub-

pontische Faunenelemente)

Rotbauchunke*, Knoblauchkröte**, Wechsel-kröte*, Seefrosch*, Europäische Sumpfschild-kröte [†]**, Zauneidechse** und Schlingnat-ter*

GRUPPE 5:

Südeuropäische Arten (submediterrane

Faunenelemente)

Springfrosch [?]** und Äskulapnatter [?]

Von Feuersalamander (Gruppe 2), Springfroschund Äskulapnatter (Gruppe 5) existieren ausSchleswig-Holstein bislang keine gesichertenrezenten oder subfossilen Belege (vgl. Kap.8.3). Sie sind daher in der Auflistung mit [?]gekennzeichnet. Zumindest Springfrosch undÄskulapnatter könnten jedoch ehemals inSchleswig-Holstein aufgetreten sein (vgl. auchKap. 7.1). So kam z. B. die Äskulapnatter bismindestens zum Jahr 1863 auf der dänischenInsel Seeland vor (HVASS 1942). Etwa 7.000Jahre alte Fundstücke dieser Art stammen zu-dem vom archäologischen Fundplatz LystrupEnge im Osten Jütlands, und auch aus Meck-

8 Arealgeschichte der Amphibien und ReptilienSchleswig-Holsteins

178 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

lenburg liegen holozäne Skelettreste von zweiFundorten vor (vgl. Kap. 8.3). Von Fadenmolch(Gruppe 3) und Europäischer Sumpfschildkröte(Gruppe 4) sind bis in das 20. Jahrhundert hin-ein Nachweise aus Schleswig- Holstein be-kannt. Aktuell gelten beide Arten allerdingsdort als „ausgestorben oder verschollen“(KLINGE 2003) und sind daher mit [†] markiert.Sieben der aufgeführten Arten erreichen heu-te innerhalb Schleswig-Holsteins ihren nördli-chen bzw. nordwestlichen Arealrand. Sie sinddurch * gekennzeichnet. Bei weiteren achtSpezies, die mit ** markiert sind, befindetsich der Arealrand heute innerhalb des o. g.Bezugsraumes. Zu den „Arealrandarten“gehören Vertreter der Gruppen 2, 3, 4 und 5.Ihr Verbreitungsgebiet umfasst in Schleswig-Holstein vielfach isolierte Teilareale bzw. Areal-vorposten (vgl. Kap. 11.1).

Die 22 aus Schleswig-Holstein bekannten Am-phibien- und Reptilienarten verteilen sich wiefolgt auf die fünf oben genannten Arealgrup-pen: Gruppe 1: ca. 18 %, Gruppe 2: ca. 41 %,Gruppe 3: ca. 9 %, Gruppe 4: ca. 32 % undGruppe 5: 0 %. Es dominieren somit eindeutigdie mittel- und osteuropäischen Vertreter. Dieartenarme Gruppe der nordeuropäischen Spe-zies ist in Schleswig-Holstein vollständig ver-treten. Die meisten Angehörigen der Gruppen1 und 2 sind im Land heute noch relativ weitverbreitet. Dennoch werden fünf dieser zu-sammen 13 Arten in der Roten Liste als „be-standsgefährdet“ geführt. In den Gruppen 3und 4 finden sich dagegen ausschließlich Ar-ten, die einen Gefährdungsstatus aufweisen(vgl. KLINGE 2003). Viele von ihnen erreichenheute in Schleswig-Holstein bzw. im Bezugs-raum ihren Arealrand.

8.2 Arealgeschichte im Spätglazial

und Holozän

Die meisten Vertreter der einheimischen Her-petofauna kommen in Europa seit mehr als2,5 Millionen Jahren vor (G. BÖHME 1996, HOL-MAN 1998). Sie existierten somit bereits vorBeginn der gegenwärtigen geologischen Epo-che, dem Quartär. Diese Epoche ist durch er-hebliche Klimaschwankungen gekennzeichnet,wobei mehrere ausgeprägte Kalt- und Warm-zeiten zu unterscheiden sind. Im Verlauf derjeweiligen Kaltzeiten kam es zu Gletschervor-stößen, die von Skandinavien aus weit nachSüden reichten. Unter diesen Bedingungenverlagerten sich auch die jeweiligen Klima-bzw. Vegetationszonen nach Süden. Die mei-sten Amphibien- und Reptilienarten fanden da-bei in Mitteleuropa keine geeigneten Lebens-bedingungen mehr vor. Einige Vertreter dertertiären Herpetofauna starben während der

Kaltzeiten in Europa aus (G. BÖHME 1996, HOL-MAN 1998). Ein Großteil der Arten überlebte je-doch in weiter südlich oder östlich gelegenenRefugialräumen. Von dort aus setzte in den je-weiligen Warmzeiten die WiederbesiedlungMitteleuropas ein. Die in Europa überwiegendin Ost-West-Richtung streichenden Gebirgszü-ge sowie das erhebliche Klimagefälle von Südnach Nord stellten vor allem für die Arten Hin-dernisse dar, deren Glazialrefugien in Südeuro-pa lagen (v. a. Gruppen 3 und 5). Ihre Ausbrei-tung nach Norden wurde auf diese Weisedeutlich erschwertet oder sogar gänzlich ver-hindert (vgl. ENGELMANN et al. 1993, FREITAG

1962, DE LATTIN 1967).

Weit nach Süden reichende Gletschervorstößetraten letztmalig in der Weichselkaltzeit (ca.115.000 bis 11.560 Jahre vor heute [Kalender-jahre], vgl. Tab. 21) auf. Die östlichen TeileSchleswig-Holsteins waren dabei von Eismas-sen bedeckt, die übrigen Landesteile wurdenvon offener Tundra eingenommen. Erst als vorca. 18.000 Jahren eine deutliche klimatischeMilderung einsetzte und die Gletscher allmäh-lich abtauten (ANHUF et al. 2003), könnte derGrasfrosch als erste Amphibienart in denschleswig-holsteinischen Bereich vorgedrun-gen sein. Im Harzvorland ist er sogar für dasHochglazial belegt (G. BÖHME 1999). Noch imSpätglazial werden auch die übrigen Arten derGruppe 1 (vgl. Kap. 8.1) hinzugekommen sein,also Moorfrosch, Waldeidechse und Kreuzot-ter (vgl. G. BÖHME 1996, 1999). Für den ent-sprechenden Zeitraum ist aus dem Bezugs-raum (vgl. Kap. 8.1) jedoch nur der Moorfroschsicher belegt, von dem ca. 12.000 Jahre alteFundstücke aus dem Norden Jütlands existie-ren (AARIS-SØRENSEN 1995).

Vor ca. 11.600 Jahren setzte in der Vorwär-

mezeit (Präboreal) ein dauerhafter Trend zurErwärmung ein. Die Sommertemperaturen er-reichten bereits ähnliche Werte wie heute,wobei die Winter noch deutlich kälter waren(SCHÖNWIESE 1995). Der ansteigende Wasser-spiegel von Nord- und Ostsee lag zunächsttief unter dem derzeitigen Niveau, so dass derKüstenverlauf ein völlig anderer war als heute(BEHRE 2002, KLIEWE & SCHWARZER 2002). Indiesem Zeitabschnitt wanderten vermutlich ei-nige Arten aus der Gruppe 2 in den Bezugs-raum ein, so z. B. Erdkröte, Blindschleiche undRingelnatter. Zum Ende dieses Zeitabschnittskamen sicherlich auch die ersten thermophilenArten wie Zauneidechse und Schlingnatter(Gruppe 4) hinzu (vgl. G. BÖHME 1996, 1999).Präboreale Amphibien- und Reptilienknochensind aus dem Bezugsraum allerdings bislangkaum bekannt (vgl. Kap. 8.3).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 179

Tabelle 21: Zeitabschnitte undausgewählte Kul-turepochen desHolozäns und derspäten Weichsel-kaltzeit in Schles-wig-Holstein(Quellen: ANHUF etal. 2003, BENECKE

2000; LÜNING et al.1997, SCHOTT

1956)

In der sich anschließenden Frühen Wärme-

zeit (Boreal: ca. 10.200 bis 9.000 vor heute)setzte sich zunehmend trocken-warmes Klimadurch. Dabei wurden bereits höhere Sommer-temperaturen als heute erreicht (SCHÖNWIESE

1995), so dass sich auch thermophile Arten inNordmitteleuropa ausbreiten konnten. Zu nen-nen sind insbesondere Laubfrosch (Gruppe 2),Rotbauchunke und Europäische Sumpfschild-kröte (Gruppe 4) sowie Springfrosch und Äs-kulapnatter (Gruppe 5) (vgl. G. BÖHME 1996,1999, FRITZ 2003, GOMILLE 2002). Anhand dessubfossilen Fundmaterials ist jedoch nur dieEinwanderung der Europäischen Sumpfschild-kröte umfangreicher belegt (vgl. Kap. 8.3).

In der Mittleren Wärmezeit (Atlantikum:9.000 bis 5.800 vor heute) wurde das postgla-ziale Klimaoptimum erreicht. Die sommerli-chen Temperaturen lagen durchschnittlich ca.1-2°C über den heutigen Werten, wobei esdurch den zunehmenden ozeanischen Klima-einfluss erheblich feuchter wurde (ANHUF et al.2003, SCHÖNWIESE 1995). Im Verlauf des Atlan-tikums setzte in Nordmitteleuropa einegroßflächige Moorbildung ein (vgl. Kap. 8.4.3).Die Zahl der archäologischen Fundplätze mitguter organischer Erhaltung - und somit auchdie Zahl aufgefundener Amphibien- und Repti-

lienknochen - ist im Vergleich zu früheren Zei-ten deutlich erhöht. Daher stammen mehreregenauer datierte holozäne Erstnachweise ausdiesem Zeitabschnitt. Im Bezugsraum gilt diesfür Grasfrosch (Schonen), Blindschleiche undRingelnatter (Nordjütland und Seeland), Äsku-lapnatter (Mitteljütland) und Kreuzotter (Scho-nen) (vgl. Kap. 8.3). Wie bereits dargestellt,wird die Einwanderung dieser Arten nachNordmitteleuropa jedoch mehrheitlich deutlichfrüher stattgefunden haben.

Spätestens im Atlantikum war der Großteil derheutigen Herpetofauna im Bezugsraum vertre-ten. Von dort sind für das Altholozän und früheMittelholozän 11 Arten belegt (vgl. Kap. 8.3).Von 14 der in Kap. 8.1 aufgeführten Speziesfehlen bislang entsprechende Fundstücke.Das rezente Vorkommen von 11 dieser 14 Ar-ten auf skandinavischen Ostseeinseln und inSüdschweden (vgl. FOG et al. 1997, GISLÉN &KAURI 1959, PFAFF 1943) legt jedoch denSchluss nahe, dass sie noch im Boreal - d. h.vor dem Meeresspiegelanstieg im Zuge derLitorina-Transgression (vgl. KLIEWE & SCHWAR-ZER 2002) - in den Bezugsraum eingewandertsind (vgl. Abb. 32, BENECKE 2000, FOG et al.1997, HECHT 1929, 1933). Die relativ salzwas-sertoleranten Arten Kreuz- und Wechselkröte

Zeit vor

heute[Kalenderjahre]

Stratigraphie Zeitabschnitt Kulturepoche

Neuzeit1.000 Mittelalter

2.000 VölkerwanderungszeitEisenzeit

3.000 Jung

holo

zän

Nachwärmezeit(Subatlantikum)

4.000Bronzezeit

5.000

6.000

Späte Wärmezeit(Subboreal)

Jungsteinzeit

7.000

8.000

9.000

Mitt

elho

lozä

nMittlere Wärmezeit

(Atlantikum)

10.000Frühe Wärmezeit

(Boreal)

11.000

Holozän

Alth

oloz

än

Vorwärmezeit(Präboreal)

Mittelsteinzeit

12.000 Jüngere TundrenzeitAlleröd InterstadialBölling-Interstadial

18.000

Spä

t-gl

azia

l

Älteste TundrenzeitWeichselkaltzeit Altsteinzeit

180 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

Abbildung 32: Mögliche Einwan-derungswege vonAmphibien undReptilien nachSüdskandinavienzur Zeit des Ancy-lussees unter An-gabe der rezentenbzw. subrezentenArtenzahl in ver-schiedenen Teilräu-men (Anmerkung:Zahlenangaben inKlammern bezie-hen auch inzwi-schen ausgestor-bene Arten mitein) (Quellen: FOG et al.1997, HECHT 1933)

(Gruppen 3 und 4) könnten allerdings auchspäter noch nach Dänemark und Südschwe-den vorgedrungen sein (vgl. G. BÖHME 1999,FOG et al. 1997). Zumindest Berg- und Faden-molch (Gruppen 2 und 3) waren im Atlantikumsicherlich noch nicht Bestandteil der einheimi-schen Fauna. Die geringe Ausdehnung ihresAreals im Bezugsraum kann als Indiz für einespäte Einwanderung gewertet werden. InSchleswig-Holstein sind dabei geeignete Laub-waldstandorte im Östlichen Hügelland weitge-hend unbesiedelt geblieben. Vermutlich habenbeide Molcharten das untere Elbetal erst nachBildung der Flussmarschen und -auen über-quert. Dem Feuersalamander (Gruppe 2) istdies auf natürliche Weise offenbar nicht gelun-gen (vgl. THIESMEIER 2004).

In der Späten Wärmezeit (Subboreal: 5.800bis 2.700 vor heute), an dessen Beginn dieMenschen auch in Schleswig-Holstein zu Ackerbau und Viehzucht übergingen (Jung-steinzeit), stellte sich zunächst wieder ein et-was niederschlagsärmeres Klima ein, wobeies in der Folgezeit verstärkt zu Klimaschwan-kungen kam (SCHÖNWIESE 1995). Von der imSubboreal langsam einsetzenden Rodung bzw.

Öffnung der Wälder durch den Menschen pro-fitierten mit Sicherheit eine Reihe typischerOffenlandarten wie z. B. Kreuzkröte (Gruppe3) sowie Wechsel- und Knoblauchkröte (Grup-pe 4) (vgl. Kap. 8.4.1).

Der Meeresspiegel der Nordsee lag zu Be-ginn des Subboreals nur noch wenige Meterunter dem derzeitigen Niveau (BEHRE 2002).Amphibien- und Reptilienarten, denen bis da-hin nicht die Einwanderung in den äußerstenWesten Schleswig-Holsteins gelungen war,wurde dies nun erheblich erschwert, denn indieser Phase entwickelte sich zwischen denheutigen nordfriesischen Geestinseln unddem Festland ein Wattenmeer. Später breite-ten sich dort ausgedehnte Brackwasser-Röh-richte aus, über denen einzelne Nieder-,schließlich auch Hochmoore aufwuchsen(BANTELMANN 1967, DITTMER 1952, KOHLUS

1998). Die meisten der heute auf den Nord-friesischen Inseln vorkommenden Amphibien-und Reptilienarten könnten die zunehmendisoliert gelegenen Geeststandorte noch überdiese Moor- bzw. Röhrichtflächen erreicht ha-ben. Seit der Mitte des ersten nachchristli-chen Jahrtausends, verstärkt ab dem Mittelal-

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 181

ter, drang die Nordsee erneut weit in diesenBereich vor (DITTMER 1952). Die Nordfriesi-schen Inseln befinden sich seitdem im Be-reich ausgedehnter Wattflächen (BEHRE 2002).Dadurch ist selbst für die Kreuzkröte, die dieSalzkonzentration des Nordseewassers etwaeine Stunde überleben kann (SINSCH 1998),eine weitere Ausbreitung in diesem Gebietnur noch eingeschränkt möglich. Die bereitsim frühen Atlantikum vom Festland getrennteInsel Helgoland und die entstehungsge-schichtlich gesehen relativ jungen Halligen(vgl. HOFFMANN 1998) weisen heute keinenatürlichen Amphibien- und Reptilienvorkom-men auf. Zumindest auf Helgoland sowie aufAmrum, Pellworm und Nordstrand sind Am-phibien und Reptilien gezielt ausgesetzt odermit Baumaterial eingeschleppt worden (vgl.DELFF 1975, DIERKING-WESTPHAL 1981, LUNAU

1933, MERTENS 1926, MOHR 1926a, QUEDENS

1983, ROßDEUTSCHER 2004, WARNECKE 1954).

Auch die Ostsee hatte im Subboreal annä-hernd ihren heutigen Meeresspiegel erreicht(KLIEWE & SCHWARZER 2002) und die Verbin-dung von der Insel Fehmarn zum Festlandüberflutet (SCHOTT 1956). Einzelne Amphibien-und Reptilienarten könnten Fehmarn späternoch durch die Ostsee erreicht haben, wobeider Salzgehalt des Wassers zunächst deutlichhöher war als heute. MOHR (1926a) berichtetvon einer Ringelnatter, die Fehmarn schwim-mend erreichte. Auch Wechsel- und Kreuzkrö-te ertragen die heutige Salzkonzentration desOstseewassers (BRIGGS 2003, SINSCH 1998).Die Wechselkröte wurde bereits von Fischernin der Kieler Bucht gefangen (LUNAU 1948).Blindschleiche und Waldeidechse sind erst inden letzten Jahrzehnten auf Fehmarn festge-stellt worden. Vermutlich handelt es sich umeingeschleppte oder entlang der späteren Ei-senbahnverbindung eingewanderte Einzeltie-re. Auch bei Rotbauchunke, Knoblauchkrötesowie den drei Wasserfrosch-Taxa ist nichtauszuschließen, dass sie im 19. Jahrhundertdurch die Teichwirtschaft bei Wallnau einge-schleppt worden sind (vgl. Kap. 8.4.4).

Mit Beginn der Nachwärmezeit (Subatlanti-kum) vor rund 2.700 Jahren wurde das Klimanicht nur feuchter, sondern zunächst auchmerklich kälter (BARBER et al. 2004, OVERBECK

1975). In die Anfangsphase dieses Zeitab-schnitts fällt das klimatische Hauptpessimumdes Holozäns (SCHÖNWIESE 1995). Die damali-gen klimatischen Bedingungen werden zumErlöschen vieler Arealrand-Populationen wär-meliebender Arten der Gruppen 4 und 5 (z. B.der Europäischen Sumpfschildkröte und der

Äskulapnatter) maßgeblich beigetragen haben(G. BÖHME 1999, FRITZ 2003, GOMILLE 2002). InSchleswig-Holstein sind allerdings einige Am-phibienarten erstmals für das Subatlantikumbelegt. Aufgrund der unzureichenden For-schungslage ist dies jedoch kein Beweis fürderen späte Einwanderung. Für die Zeit umChristi Geburt liegen von Föhr die ersten Ske-lettreste der Kreuzkröte vor (SCHMÖLCKE & BRE-EDE im Druck) und aus mittelalterlichen Fund-schichten in Giekau, Oldenburg/Holstein undSchleswig stammen die ältesten Knochen vonnicht näher bestimmten Wasserfröschen so-wie von Grasfrosch und Knoblauchkröte (vgl.Kap. 8.3).

In den vergangenen 1.000 Jahren traten wie-derholt Klimaschwankungen auf. In Mitteleu-ropa waren in dieser Zeit Veränderungen derJahresmitteltemperatur von ca. 1,5°C und derJahresniederschlagssumme von ca. 150 mmzu verzeichnen (GLASER 2001). KlimatischeGunstphasen bestanden z. B. im 13. und14. Jahrhundert („mittelalterliches Wärmeopti-mum“), während im 17. und 18. Jahrhundertsehr niedrige Temperaturen vorherrschten(„Kleine Eiszeit“) (GLASER 2001). Der aktuelle

Trend einer relativ schnellen Temperaturzu-nahme äußert sich in Mitteleuropa in mildenWintern bei überwiegend gemäßigten Som-mern (GLASER 2001, SCHÖNWIESE 1995). Dabeihat der ozeanische Klimaeinfluss in Schles-wig-Holstein merklich zugenommen. Dies ver-deutlichen folgende Angaben: KIRSCHNING et al.(1991) vergleichen die sommerlichen Sonnen-scheinstunden der Zeitabschnitte 1968-1977und 1978-1988. Sie ermitteln auf dieserGrundlage für Schleswig-Holstein eine mittlereAbnahme der Sonnenscheinstunden um 21 %.Ein Vergleich der sommerlichen Nieder-schlagssummen ergibt ihnen zufolge einemittlere Zunahme um 26 %. RAPP & SCHÖNWIE-SE (2003) geben für Schleswig-Holstein Verän-derungen der Niederschlagshöhe im Zeitraum1896-1995 an. Ihnen zufolge stieg im Winter-halbjahr die Niederschlagsmenge inzwischenlandesweit um 20-30 % an. Für das Sommer-halbjahr fiel die Zunahme mit bis zu 10 %deutlich schwächer aus. Die markantestenVeränderungen waren im Westen Schleswig-Holsteins zu verzeichnen. Im 20. Jahrhunderthat der kontinentale Klimaeinfluss offenbarnur im äußersten Südosten des Landes an Be-deutung gewonnen (vgl. GERSTENGARBE & WER-NER 2003). Es ist zu beachten, dass die aufge-führten Klimatrends auf Berechnungen mitMittelwerten basieren. Die zugrunde liegen-den Einzelwerte können stark variieren und er-heblich von den Mittelwerten abweichen.

182 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

Die Zusammensetzung der HerpetofaunaSchleswig-Holsteins ist seit mindestens 2.000Jahren weitgehend konstant. Auf die Klima-schwankungen in diesem Zeitraum werdendie meisten Amphibien- und Reptilienarten auflokaler oder regionaler Ebene reagiert haben,wo es sicherlich wiederholt zu Aussterbe- undWiederbesiedlungsprozessen kam (vgl. Kap.8.4). Auch die heutige Klimaentwicklung übteinen wesentlichen Einfluss auf die Verbrei-tung und Bestandsentwicklung einheimischerArten aus (vgl. LEUSCHNER & SCHIPKA 2004). Da-bei sind nicht nur mittel- bis langfristige Klima-trends von Bedeutung, sondern auch zeitlichbegrenzte Extremereignisse. Letzteres gilt vorallem für kleine, isolierte Vorkommen amArealrand. Auf Individuen bzw. Populationenkönnen sich Klimaveränderungen direkt (z. B.physiologischer Stress) als auch indirekt (z. B.Veränderung der Habitateignung) auswirken,wobei die einzelnen Entwicklungsstadien ei-ner Art häufig unterschiedlich empfindlich rea-gieren. Die Identifizierung klimatisch bedingterBestandsveränderungen wird dadurch er-schwert, dass sich die relevanten Klimaele-mente in ihrer Wirkung mit anderen Umwelt-faktoren überlagern und es sich meist umkomplexe Wirkungsketten handelt (BLAUSTEIN

et al. 2003, NETTMANN 1995). Bei den meisteneinheimischen Amphibien- und Reptilienartenist vereinfachend davon auszugehen, dass sieunter eher kontinentalen Klimaverhältnissen(d. h. sonnenscheinreiche, warme Sommerund relativ kalte, schneereiche Winter) physio-logisch betrachtet besonders günstigste Le-bensbedingungen vorfinden (vgl. BEEBEE &GRIFFITHS 2000).

Der zunehmende ozeanische Klimaeinflusswird sich in Schleswig-Holstein zumindest aufdie Arten der Gruppe 4 negativ auswirken.Von den Amphibien betrifft dies z. B. dieWechselkröte, die in den vergangenen 100Jahren bereits aus weiten Teilen ihres frühe-ren Verbreitungsgebietes verschwunden ist.WINKLER & DIERKING (2003) führen dies auchauf klimatische Veränderungen zurück. Vonden Reptilien ist in diesem Zusammenhangdie Zauneidechse zu nennen (vgl. W. BÖHME

1989, 2003). Im Westen des Landes ist dieseArt heute offenbar deutlich seltener als nochvor ca. 150 Jahren (vgl. BOIE 1840/41). Dabeiist ein negativer Klimaeinfluss auf Schlupf-oder Überwinterungserfolg durchaus möglich(vgl. Kap. 6.2). Inwieweit der aktuelle Klima-trend bei einzelnen Arten eine Bestandszunah-me begünstigt, ist ebenfalls nicht ausreichendgeklärt. Vermutlich tolerieren zumindest west-und nordeuropäische Arten der Gruppen 1 und3 die fortschreitende Ozeanisierung des Kli-mas. Möglicherweise profitieren auch einzelne

Arten von dieser Entwicklung. Denkbar wäreneine geringere Wintermortalität infolge aus-bleibender Kälteextreme und physiologischerAnpassung an milde Winter (z. B. bei derWaldeidechse, vgl. PATTERSON & DAVIES 1978 inBLANKE 2004) und speziell bei Amphibien einerhöhter Reproduktionserfolg aufgrund länge-rer Wasserführung und höherer Dichte tem-porärer Laichgewässer (z. B. bei der Kreuzkrö-te, vgl. SINSCH 1998). Von der regionalbegrenzten Zunahme des kontinentalen Klima-einflusses dürften vor allem thermophile Artenaus den Gruppen 2 und 4 profitiert haben.

Im Kontext mit dem Faktor Klima ist an dieserStelle auch auf die schädigende Wirkung derultravioletten Strahlung der Sonne hinzuwei-sen. Nach Angaben des UMWELTBUNDESAMTES

(2001) ist in Schleswig-Holstein im Zeitraum1980 bis 1997 eine Zunahme der UV-Dosis um9-13 % zu verzeichnen gewesen. Untersu-chungen aus verschiedenen Ländern zeigen,dass bei einer Zunahme des UV-B Anteils imSonnenlicht insbesondere der Schlupferfolgvon Amphibien deutlich sinken kann. Von deneinheimischen Arten sind negative Effekte bis-lang für den Grasfrosch belegt (BLAUSTEIN et al.2003, PAHKALA 2001, PAHKALA et al. 2000).

8.3 Holozäne Skelettreste von

Amphibien und Reptilien

Anhand von holozänen Skelettresten sind bis-lang 14 Amphibien- und 8 Reptilienarten ausdem nordmitteleuropäischen Raum belegt(Bezugsraum, vgl. Kap. 8.1). EntsprechendeNachweise fehlen noch für Feuersalamandersowie Berg- und Fadenmolch. Die subfossilbelegten Arten werden im Folgenden kurz be-sprochen, wobei Schleswig-Holstein im Mittel-punkt der Betrachtung steht.

Kamm- und Teichmolch (Triturus cristatus,

T. vulgaris)

Nicht näher datierte alt- bis mittelholozäneNachweise beider Arten liegen aus Mecklen-burg-Vorpommern vor. Sie stammen aus densubfossilen Säugetierbauten von Pisede beiMalchin und Neukloster nahe Wismar (dortohne Artzuordnung) (BENECKE 2000, G. BÖHME

1983a, b).

Rotbauchunke (Bombina bombina)

Die Rotbauchunke ist subfossil aus Pisede[MV] belegt, wobei eine genauere Datierungder vorliegenden Knochen bislang noch nichterfolgt ist (G. BÖHME 1983a, b).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 183

Knoblauchkröte (Pelobates fuscus)

Die Art gehört spätestens seit dem Subborealzur Fauna des Bezugsraumes. Dies belegenSkelettreste aus dem Norden der dänischenInsel Seeland (SKAARUP 1973). Für das Mittelal-ter liegen ein Beleg aus Oldenburg [SH](PRUMMEL 1993) sowie zwei weitgehend erhal-tene Teilskelette mit insgesamt 53 Knochenaus Groß Strömkendorf [MV] vor (SCHMÖLCKE

2004). Nicht näher datiert sind die aus Pisede[MV] stammenden Fundstücke (G. BÖHME

1983a, b). Aufgrund der grabenden Lebens-weise der Art sind bei allen genannten FundenEinmischungen aus jüngerer Zeit nicht auszu-schließen.

Erdkröte (Bufo bufo)

Der älteste Erdkrötenfund aus dem Bezugs-raum stammt von der Insel Gotland [S] undgeht auf das Boreal zurück (TERASMÄC 1952 inG. BÖHME 1983b). Für Schleswig-Holstein istdie Art seit dem Atlantikum belegt. Von dortliegen ca. 6.000 Jahre alte Skelettreste aus ei-ner archäologischen Grabung bei Wangels[SH] vor (HEINRICH 2000). Damals war die Artschon weit verbreitet, wie ungefähr zeitglei-che Funde von Seeland und aus Südschwe-den belegen (NOE-NYGAARD 1995, JONSSON

1988). Im Mittelalter ist die Erdkröte die amhäufigsten nachweisbare Amphibienart imsiedlungsnahen, frühstädtischen Kontext. AusSchleswig-Holstein liegen entsprechende Fun-de von Oldenburg und Schleswig (HEINRICH

1987, PRUMMEL 1993) vor. Aus Mecklenburg-Vorpommern existieren Nachweise von GroßStrömkendorf und Völschow (BREEDE in Vorb.,SCHMÖLCKE 2004). Nicht näher datiert sind diealt- bis mittelholozänen Skelettreste aus denSäugetierbauten von Pisede [MV] (G. BÖHME

1983a, b).

Kreuzkröte (Bufo calamita)

Die Kreuzkröte ist im Bezugsraum an dreiFundorten belegt. Zwei Nachweise stammenaus dem Nordseeküstengebiet der Jahrhun-derte um Christi Geburt. Neben Fundstückenvon der Feddersen Wierde an der Wesermün-dung [NI] (REICHSTEIN 1991) liegen 15 Knochenvon mindestens sieben Individuen aus einemMuschelhaufen bei Dunsum auf Föhr [SH] vor(SCHMÖLCKE & BREEDE im Druck). Dass dieKreuzkröte an der Nordseeküste früher nichtselten gewesen ist, unterstreichen die beein-druckenden Fundzahlen aus dem niederländi-schen Oosterbeintum. Dort wurden in mittelal-terlichen Fundschichten knapp 1.600 Knochendieser Art entdeckt (KNOL et al. 1996). Ohnegenaue Datierung sind die mittel- bis jungholo-zänen Knochen aus den Säugetierbauten vonPisede II [MV] (G. BÖHME 1983a, b).

Wechselkröte (Bufo viridis)

Von der Wechselkröte ist aus dem gesamtennordmitteleuropäischen Raum bislang lediglichein subfossiler Nachweis publiziert worden:Von REICHSTEIN (1991) werden vier Amphibien-knochen, die bei den archäologischen Ausgra-bungen auf der Feddersen Wierde [NI] gefun-den wurden, nicht der Kreuz- sondern derWechselkröte zugerechnet. Die FeddersenWierde ist eine an der Wesermündung gele-gene Warft, die in den ersten nachchristlichenJahrhunderten bewohnt war.

Laubfrosch (Hyla arborea)

Die holozäne Arealgeschichte des Laubfro-sches ist bislang kaum durch Knochenfundebelegt. Ein Nachweis stammt aus Hannover[NI] und datiert in das Mittelalter (MÜLLER

1959). Nicht näher datierte Knochen liegen zu-dem aus Pisede [MV] vor (G. BÖHME 1983a, b).Infolge ihrer geringen Größe sind Laubfrosch-knochen relativ schwierig aufzufinden (vgl.G. BÖHME 1977).

Moorfrosch (Rana arvalis)

Der Moorfrosch besiedelte bereits im Spätgla-zial den nordmitteleuropäischen Raum unddrang dabei nachweislich bis Nordjütland vor(AARIS-SØRENSEN 1995). Weitere Belege sinderst wieder aus jüngeren Zeiten bekannt: Zwi-schen dem 1.-5. Jahrhundert lebte die Artdemnach im Umfeld der Feddersen Wierde[NI] und von Völschow [MV], und in der Zeitum 1000 ist sie für die slawische Burganlagevon Oldenburg [SH] belegt (REICHSTEIN 1991,PRUMMEL 1993, BREEDE in Vorb.). Die alt- bismittelholozänen Fundstücke aus Pisede [MV]sind bisher nicht genauer datiert (G. BÖHME

1983a, b).

Grasfrosch (Rana temporaria)

Obwohl der Grasfrosch bereits bald nach demAbschmelzen der Gletscher nach Nordmittel-europa und Südskandinavien eingewandertsein wird (vgl. Kap. 8.2), liegen aus dem Be-zugsraum genauer datierte Skelettreste erstaus dem Atlantikum vor (JONSSON 1988). Ausdem Subatlantikum sind außer einem Belegvon der Nordseeküste bei Bremerhaven(REICHSTEIN 1991) mit Knochen aus Oldenburgund Schleswig auch Nachweise aus Schles-wig-Holstein bekannt (HEINRICH 1987, PRUMMEL

1993). Aus Pisede [MV] stammen nicht näherdatierte alt- bis mittelholozäne Fundstücke(G. BÖHME 1983a, b).

184 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

Springfrosch (Rana dalmatina)

PRUMMEL (1993) führt für das mittelalterlicheOldenburg [SH] neben Gras- und Moorfroschauch den Springfrosch an. Im Fall des Spring-frosches stützt sich ihre Artdiagnose auf dieBestimmung eines einzelnen Knochens, sodass weitere Belege abgewartet werden soll-ten, bevor diese Braunfroschart der schleswig-holsteinischen Fauna zugerechnet wird. AusMecklenburg-Vorpommern liegen nicht näherdatierte alt- bis mittelholozäne Knochen ausPisede vor (G. BÖHME 1983a, b).

„Wasserfrösche“ (Rana kl. esculenta, R.

lessonae, R. ridibunda)

Vom Teichfrosch existiert aus Schleswig-Hol-stein ein subfossiler Beleg. Er stammt aus derslawischen Burg Giekau am Selenter See(8.-10. Jahrhundert, REQUATE 1956). Zwei Kno-chen aus dem mittelalterlichen Oldenburg[SH] werden von PRUMMEL (1993) Teich- oderSeefrosch zugerechnet. Zudem liegen vonTeichfrosch, Kleinem Wasserfrosch und See-frosch nicht genauer datierte Fundstücke ausPisede [MV] vor (G. BÖHME 1983a, b).

Europäische Sumpfschildkröte

(Emys orbicularis)

Anhand subfossiler Fundstücke ist das frühereVorkommen der Europäischen Sumpfschild-kröte aus weiten Teilen Nord- und Mitteleuro-pas belegt (z. B. DEGERBØL & KROG 1951, FRITZ

2003, ISBERG 1929, KURCK 1917, STUART 1979).In den wärmeren Phasen des Holozäns wardie Art in Südskandinavien weit verbreitet. Soführen DEGERBØL & KROG (1951) 185 dänischeFundorte mit den Resten von mindestens 267Individuen auf und ISBERG konnte bereits 1929von 45 schwedischen Sumpfschildkrötenfun-den das ungefähre Alter angeben. Aus Schles-wig-Holstein sind demgegenüber bislang nur11 Fundorte bekannt geworden, die in der Ab-bildung 33 zusammengestellt sind. In Meck-lenburg-Vorpommern wurden subfossile Resteder Art inzwischen an sieben Fundorten fest-gestellt (BENECKE 2000). Die EuropäischeSumpfschildkröte wanderte spätestens imVerlauf des Boreals in den nordmitteleuropä-ischen Raum ein. Dies belegen eine Reihe vonsubfossilen Fundstücken aus Dänemark undSchweden (AARIS-SØRENSEN 1988, DEGERBØL &KROG 1951, PERSSON 1992 in FRITZ 2003). AusSchleswig-Holstein stammen die ältesten da-tierten Belegstücke aus dem Atlantikum. IhrFehlen in borealzeitlichen Tierknochenfundenist als Forschungsartefakt anzusehen. Die bis-lang aus Schleswig-Holstein bekannten Fund-orte befinden sich durchweg im Östlichen Hü-gelland (vgl. Abb. 33). Dies kann als Indiz füreine frühere Arealrestriktion gewertet werden.Als mögliche Ursache kommen hierfür der be-

sondere Gewässerreichtum dieses Naturrau-mes sowie klimatische Ursachen in Frage (vgl.Kap. 6.1). Das Fehlen von vorgeschichtlichenSkelettresten aus der Westhälfte des Landeskönnte jedoch auch damit zusammenhängen,dass die Erhaltungsbedingungen in vielen Geestböden relativ ungünstig sind. In denheutigen Marschen sind zudem die alt- undmittelholozänen Fundhorizonte längst erodiertoder von mächtigen Wattsedimenten über-deckt.

Zaun- und Waldeidechse (Lacerta agilis,

Zootoca vivipara)

Aus den Tierbautensystemen von Pisede [MV]sind subfossile Knochen von Zaun- und Wald-eidechse bekannt. Leider sind sie bislang nichtnäher datiert (PETERS 1977a, b).

Blindschleiche (Anguis fragilis)

Skelettreste der Blindschleiche, die aus einemmittelsteinzeitlichen Abfallhaufen in Nordjüt-land stammen, belegen die Präsenz dieser Artim Bezugsraum während des Atlantikums(ENGHOFF 1986). Zudem existieren aus Pisedeund Neukloster [MV] nicht näher datierte alt-bis mittelholozäne Fundstücke (PETERS

1977a, b).

Ringelnatter (Natrix natrix)

Während für ältere Zeiten Nachweise ausdem Bezugsraum fehlen, liegen für das Atlan-tikum vier Belege der Ringelnatter aus Jüt-land, Schonen und von Seeland vor (AARIS-SØRENSEN 1980, AARIS-SØRENSEN & NORD AN-DREASEN 1992/93, JONSSON 1988, NOE-NYGAARD

1995). Der älteste und bislang einzige Fund ei-nes subfossilen Ringelnatter-Knochens ausSchleswig-Holstein stammt aus Oldenburg/Holstein und datiert in das frühe Mittelalter(PRUMMEL 1993). Nicht näher datierte alt- bismittelholozäne Knochen stammen zudem ausPisede und Neukloster [MV] (PETERS 1977a, b).

Äskulapnatter (Elaphe longissima)

Die thermophile Äskulapnatter konnte ihrAreal während des Holozäns weit nach Nor-den ausdehnen, wie die aus dem Atlantikumstammenden Knochen aus Lystrup Enge inJütland [DK] belegen (AARIS-SØRENSEN & NORD

ANDREASEN 1992/93, LJUNGAR 1995). Aus Pise-de und Neukloster [MV] existieren nicht näherdatierte alt- bis mittelholozäne Knochen(BENECKE 2000, PETERS 1977a, b). Bei Pisedekam die Äskulapnatter offenbar noch im1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung vor (PE-TERS 1977b) und im Süden von Seeland [DK]trat sie nachweislich noch Ende des 19. Jahr-hunderts auf (HVASS 1942).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 185

Schlingnatter (Coronella austriaca)

Die vorliegenden Fundstücke der Schlingnat-ter lassen eine Rekonstruktion der holozänenArealveränderungen kaum zu. Lediglich aus Pi-sede und Neukloster [MV] existieren bislangnicht näher datierte subfossile Knochen derArt (PETERS 1977a, b).

Kreuzotter (Vipera berus)

Ihren ökologischen Ansprüchen gemäß wirddie Kreuzotter bereits Teil der ersten Einwan-derungswelle im Spätglazial oder frühen Post-glazial gewesen sein. Im Bezugsraum lässtsich die Art allerdings erst für das Atlantikum(vor ca. 7.000 Jahren) sicher nachweisen. Derbetreffende Fund stammt aus der schwedi-schen Provinz Schonen (JONSSON 1988). Wei-terhin existieren nicht näher datierte subfossi-le Skelettreste aus den Tierbautensystemenvon Pisede und Neukloster [MV] (PETERS

1977a, b).

Abbildung 33: Fundorte subfossiler Reste der Europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis in Schleswig-Hol-stein

In das Atlantikum datierte Funde aus archäologischen Grabungen:1 Ellerbek (KURCK 1917; LÜTTSCHWAGER 1954)2 Wangels (HEINRICH 1997/98)3 Rosenhof (NOBIS 1975; SCHMÖLCKE unpubliziert)4 Neustadt (KURCK 1917; SCHMÖLCKE unpubliziert)5 Seedorf (HEINRICH 2000)6 Hopfenbach (HERRE & REQUATE 1958)

Undatierte Zufallsfunde:

7 Kiel (MOHR 1926a)8 Fehmarn, Nordküste (HEUER 1960)9 Burg (SCHULZE 1921)10 Wensin (MOHR 1926a)11 Bad Segeberg (DAHL 1894a)

186 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

Foto 83: Naturnaher Erlen-bruchwald mitKleingewässer. Insolchen Gewäs-sern - wie hiernahe Ritzerau [RZ]- können sich u. a.Kamm- und Teich-molch sowie derGrasfrosch erfolg-reich fortpflanzen(Foto: C. Winkler).

8.4 Entwicklungsgeschichte

ausgewählter Amphibien- und

Reptilienlebensräume

In Schleswig-Holstein übt der Mensch seit derJungsteinzeit einen großen, seit dem Mittelal-ter den maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltder Landschaft aus. In Abhängigkeit vonFlächenausdehnung und räumlicher Verteilungbestimmter Lebensräume veränderten sich inder Vergangenheit auch immer wieder die Ver-breitungsgebiete von Amphibien- und Reptili-

enarten. Während die einzelnen Arten bei qua-litativer Verschlechterung, Fragmentierungoder vollständigem Verlust ihrer Habitate auflokaler bzw. regionaler Ebene selten wurdenoder ausstarben, konnten sie bei einer erneu-ten Ausdehnung der Habitatfläche entspre-chende Gebiete vielfach wiederbesiedeln (vgl.hierzu ERIKSSON et al. 2002). Die heutige Ver-breitung der einheimischen Amphibien undReptilien ist insofern auch eng mit der Land-nutzungsgeschichte verknüpft.

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 187

Foto 84: Pfeifengrasbe-stand im NSG Do-senmoor [NMS],der Waldeidechse,Blindschleiche undKreuzotter als Le-bensraum dient(Foto: C. Winkler).

Foto 85: Sandheide auf Bin-nendünen amFluss Sorge [RD],ein Habitat vonWaldeidechse undKreuzotter (Foto: C. Winkler).

Foto 86: Naturnahes Klein-gewässer im NSGDosenmoor[NMS]. Sofern sol-che Moorgewäs-ser keinen zu nied-rigen pH-Wertaufweisen, dienensie dem Moor-frosch und z. T.auch der Kreuzkrö-te als Laichhabitat(Foto: C. Winkler).

188 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

8.4.1 Wälder

Mit Ausnahme typischer Offenlandarten, dievor allem der Gruppe 4 angehören (vgl. Kap.8.1), werden Waldflächen von den übrigenAmphibien- und Reptilienarten regelmäßig alsHabitat bzw. Teilhabitat genutzt. Allerdings be-siedeln nur sehr wenige Vertreter (z. B. Berg-und Fadenmolch) großflächig beschattete Be-reiche mit feucht-kühlem Mikroklima. DasGros der Arten bevorzugt lichte Wälder sowieWaldlichtungen und -ränder (CLAUSNITZER 1999,GÜNTHER 1996a).

Pollenanalytische und archäozoologische Un-tersuchungen belegen, dass Norddeutschlandvon der endgültigen Wiedererwärmung imPräboreal (vgl. Kap. 8.2) bis zur beginnendenlandwirtschaftlichen Nutzung durch den Men-schen (am Übergang vom Atlantikum zumSubboreal (vgl. Tab. 21)) überwiegend waldbe-deckt war (z. B. LANG 1994, POTT 1997,SCHMÖLCKE 2001, WIETHOLD 1998). Zu Beginndes Holozäns dominierte dabei recht offenerBirkenwald das Landschaftsbild, der von Kie-fernwald mit zahlreichen Haselsträuchern ab-gelöst wurde. Später trat für mehrere Jahrtau-sende artenreicher Eichenmischwald an seineStelle. Die Buche wanderte spät nach Nord-deutschland ein und ist erst seit etwa der Zei-tenwende in weiten Teilen des Landes die vor-herrschende Baumart.

Während des ca. 3.000 Jahre andauernden At-lantikums wurden Flächen ohne beschatten-den Kronenschirm weitgehend auf Sonder-standorte zurückgedrängt (POTT 1997,WIETHOLD 1998). Darüber hinaus dürften offe-ne bzw. halboffene Bereiche zumindest klein-räumig an Äsungsflächen und Wechseln vonpflanzenfressenden Großsäugern bestandenhaben (vgl. BENECKE 2000, WIETHOLD 1998). Diemeisten Amphibien- und Reptilienarten wer-den zu dieser Zeit in erster Linie außerhalbdes Eichenmischwaldes aufgetreten sein. Ihre„Kern-“Habitate sind u. a. in Hoch- und Über-gangsmooren sowie in Überschwemmungs-,Bruch- und Auwaldarealen zu vermuten (vgl.KRATOCHWIL & SCHWABE 2002). An Fließ- undStillgewässern schufen mit Sicherheit auch Bi-ber geeignete Freiflächen. Weitere Habitate (z.B. von Arten der Gruppe 4) existierten entlangder Meeresküsten von Nord- und Ostsee, soz. B. an Steilküsten und in Küstendünen (vgl.DREWS & DENGLER 2004, KRATOCHWIL & SCHWABE 2002).

Im Bereich von Schleswig-Holstein kam eserst in der mittleren Jungsteinzeit (ca. 5.500Jahre vor heute) zu einer großflächigen Auf-lichtung der Wälder durch den Menschen(u. a. infolge Rodung, Waldweide und Laub-heugewinnung) (vgl. HÄRDTLE 1996, KÜSTER

1999, LÜNING et al. 1997, WIETHOLD 1998). Indieser Phase werden sich viele Amphibien-und Reptilienarten in siedlungsnahe Räumeausgebreitet haben. Dort boten aufgelasseneÄcker, Extensivweiden und das entstehendeWegenetz (z. B. bronzezeitliche Vorläufer des„Ochsenwegs“, vgl. ZICH 2002) neue, mitein-ander vernetzte Habitate. Dabei existiertenverschiedene Sukzessionsstadien bzw. ihreHabitate in räumlicher Nachbarschaft. Dies giltz. B. für alte, unbefestigte Wege, die häufigmehrere benachbarte Trassen aufwiesen, wel-che je nach Zustand des jeweiligen Wege-stücks abwechselnd genutzt wurden (DENECKE

1986).

In Abhängigkeit von der Siedlungsdichte undWirtschaftsweise des Menschen kam es biszur Neuzeit wiederholt zu Wiederbewaldungs-und Rodungsphasen. Nach den neolithischenRodungsaktivitäten stieg der Anteil des Of-fenlandes vor allem während der Eisenzeitund der römischen Kaiserzeit (550 v. Chr. bis375 n. Chr.) erneut deutlich an (HÄRDTLE 1996,WIETHOLD 1998). Hiervon waren weite TeileAngelns, Ostholsteins, der Heider und Itzeho-er Geest sowie des Stormarner Moränenge-bietes betroffen (HASE 1983, HÄRDTLE 1996).Während der Völkerwanderungszeit (375 bis714 n. Chr.) war das Land extrem dünn besie-delt (HÄRDTLE 1996, STEWIG 1982) und es setz-te eine großflächige Wiederbewaldung ein(HÄRDTLE 1996, WIETHOLD 1998). Aufgrund des-sen wurden typische Arten offener und halb-offener Landschaften wieder aus zwischen-zeitlich besiedelten Flächen verdrängt. InSchleswig-Holstein ist dies z. B. für Reliktpo-pulationen der Europäischen Sumpfschildkrötedenkbar. Deren gewässernahe Eiablageplätzewerden durch die natürliche Sukzession vieler-orts ihre frühere Eignung verloren haben (FRITZ

2003). Aus den inzwischen von Buchen domi-nierten Wäldern des Östlichen Hügellandeswurden sicherlich weitere Spezies verdrängt(vgl. CHRISTIANSEN 1936). Hierauf deuten die re-zenten Verbreitungsmuster einiger Amphibien-und Reptilienarten hin, deren Vorkommenweitgehend auf die Geest und den Ostseekü-stenbereich beschränkt sind. In Schleswig-Holstein betrifft dies z. B. die Kreuzkröte(Gruppe 3) und die Schlingnatter (Gruppe 4)(vgl. Kap. 5.8 und 6.6).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 189

Noch im 12. Jahrhundert dominierten Wälderin Schleswig-Holstein das Landschaftsbild(HASE 1983, HÄRDTLE 1996, MAGER 1930). Erstim Hochmittelalter (1143 bis 1350 n. Chr.) fan-den erneut großflächige Rodungen statt, wo-von erstmals auch viele uferbegleitendeBruch- und Auwälder betroffen waren (WIET-HOLD 1998). Seit Mitte des 14. Jahrhundertsnahm in der spätmittelalterlichen Wüstungs-periode der Waldanteil wieder vorübergehendzu (HASE 1983, HÄRDTLE 1996, WIETHOLD 1998).

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war dieSchweinemast in vielen Wäldern die wichtig-ste Nutzungsform (HASE 1983, HÄRDTLE 1996,MAGER 1930). In guten Mastjahren wurden imHerbst z. T. bis zu 30.000 Schweine in be-stimmte Waldstücke eingetrieben (MAGER

1930). Während bei geringen bis mittlerenViehdichten die Habitat- und Artenvielfalt si-cherlich erhöht wurde, bewirkten hohe bissehr hohe Viehdichten eher einen lokalen Be-standsrückgang von Amphibien- und Reptilien-arten. In diesem Fall wurden durch die Wühl-tätigkeit der Schweine nicht nur Habitate imgrößeren Umfang vernichtet, sondern mit Si-cherheit auch zahlreiche Amphibien und Repti-lien getötet (z. B. Kreuzottern, vgl. VÖLKL &THIESMEIER 2002).

Der größte Teil der schleswig-holsteinischenWälder wurde im Spätmittelalter und derfrühen Neuzeit innerhalb eines Zeitraumes vonca. 400 Jahren vernichtet (HÄRDTLE 1996, MA-GER 1930). Im Spätmittelalter existierten zu-mindest noch in den Räumen Flensburg, Süd-Angeln, Dänischer Wohld, Hüttener Bergesowie auf der Husumer Geest große Wald-flächen. Auf der Schleswiger Geest und ander Nordseeküste waren die Wälder zu dieserZeit bereits großflächig vernichtet (HÄRDTLE

1996, MAGER 1930). Der Zeitpunkt des landes-weit geringsten Waldanteils (ca. 4 % Flächen-anteil) wird von HÄRDTLE (1996) ungefähr fürdas Jahr 1870 angenommen. Seit Ende des19. Jahrhunderts werden in Schleswig-Hol-stein in größerem Umfang Aufforstungendurchgeführt. Vor allem in der Geest fandendabei vielfach standortfremde Nadelhölzer Ver-wendung (HASE 1983, HÄRDTLE 1996, WIETHOLD

1998). Die daraus entstandenen dichten, na-turfernen Nadelforste stellen heute i. d. R. kei-ne geeigneten Habitate für Amphibien undReptilien dar.

Noch in der frühen Neuzeit bestanden vielfachkontinuierliche Übergänge vom Wald zum Of-fenland (HASE 1983). Dies änderte sich durchdie Überführung des Gemeinschafts- in bäuer-lichen Privatbesitz („Verkoppelungsgesetze“

von 1766, 1770 und 1771) (HÄRDTLE 1996, MA-GER 1930, STEWIG 1982). Infolge der nun strik-teren Nutzungsgrenzen gingen strukturreicheHabitate an Waldrändern verloren (z. B. durchzunehmende Reglementierung der Bewei-dung, vgl. BRUUN & FRITZBØGER 2002). Im Ge-genzug wurden in der Agrarlandschaft diezahlreichen Wallhecken (Knicks) angelegt, dienoch heute für viele Amphibien- und Reptilien-arten (z. B. für den Laubfrosch) wichtige Habi-tate bzw. Teilhabitate darstellen.

Weitere Regelungen aus der Zeit der o. g.Agrarreformen betrafen die Nutzung beste-hender Wälder. Während die Bauern in den sogenannten „Bondenholzungen“ weiterhin eineungeregelte, parzellenweise Niederwald- undWeidenutzung betrieben, fand in den „Gehe-gen“, die im Besitz des Adels bzw. der Güterverblieben, eine geregelte Forstwirtschaftstatt. Die insbesondere im Bereich der HohenGeest vorhandenen „Gehege“ zeichnen sichheute vielfach durch geschlossene Buchen-Hochwälder aus (HÄRDTLE 1996). In Schleswig-Holstein und Süddänemark befindet sich derüberwiegende Teil der aktuellen Bergmolch-Fundorte in vergleichbaren alten Laubwäldern(vgl. Kap. 5.1, BRINGSØE 1993). Das weitgehen-de Fehlen der Art in den Buchenwäldern desÖstlichen Hügellandes hängt vermutlich mitder postglazialen Besiedlungsgeschichte derArt zusammen (vgl. Kap. 8.2).

In den „Bondenholzungen“ wurde die Rotbu-che nutzungsbedingt gegenüber der Eiche undder Hainbuche zurückgedrängt, und die viel-fach verstreuten Bestände degradierten zu-nehmend (HÄRDTLE 1996). Der Übergang vomEichen-Niederwald zur Zwergstrauchheide warvielerorts fließend. Diese als „Kratt“ bezeich-neten Wälder (DIERßEN & JENSEN 2001, CHRISTI-ANSEN 1955, MAGER 1930), die vielerorts be-reits vor der Verkoppelung entstanden,können eine hohe Vielfalt an Reptilienartenaufweisen (KÖNIG 1963, 1967). Einzelne Artenwie die Kreuzotter (Gruppe 1) waren dort be-sonders häufig (SCHOLZ 1890). Noch Anfangdes 20. Jahrhunderts existierten landesweitrund 50 Krattwälder mit zusammen ca. 350 ha(BREHM 1974). In Schleswig-Holstein ist dieserBiotoptyp inzwischen fast vollständig ver-schwunden.

Heute zählt Schleswig-Holstein zu denwaldärmsten Bundesländern. Der Waldanteilbeträgt aufgrund von Aufforstungsmaßnah-men inzwischen wieder ca. 10 % (MUNL2004). Davon entfallen etwa 53 % auf Laub-bäume, vor allem Buchen, und rund 47 % aufverschiedene Nadelbaumarten (MELFF 1995).

190 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

8.4.2 Zwergstrauchheiden

Trockene oder feuchte Zwergstrauchheiden,insbesondere strukturreiche Bestände der Be-senheide (Calluna vulgaris), werden von allenReptilien- sowie einigen Amphibienarten regel-mäßig als Habitat bzw. Teilhabitat genutzt(GÜNTHER 1996a). Charakteristische Vertretersind Kreuzotter (Gruppe 1), Blindschleiche(Gruppe 2), Zauneidechse und Schlingnatter(Gruppe 4). Von den Amphibien ist die Kreuz-kröte (Gruppe 3) zu nennen. KleinflächigeZwergstrauchheiden sind an verschiedenenStandorten Bestandteil der natürlichen Vegeta-tion. Dies gilt insbesondere für Dünen derNord- und Ostseeküste, Hochmoorränder so-wie verschiedene lichte Waldgesellschaften(BOHN et al. 2003).

Während bis zum Boreal im Land lichte Wald-gesellschaften vorherrschten, wies Schleswig-Holstein im Atlantikum eine nahezu geschlos-sene Bewaldung auf. Im Zuge derjungsteinzeitlichen Nutzung wurden die Wäl-der wieder zunehmend geöffnet (vgl. Kap.8.4.1). Eine großflächige anthropogen beding-te „Verheidung“ der Geest setzte allerdingserst in der Bronzezeit ein und erreichte in derRömischen Kaiserzeit das Östliche Hügelland(WIETHOLD 1998). Mit Beginn der vorrömischenEisenzeit führten die Raseneisenerzvorkom-men der Geest zu einer wirtschaftlichen Auf-wertung dieses Naturraumes (STEWIG 1982).Dabei ist von einer großflächigen Rodung derdortigen Wälder zur Eisenverhüttung und einerdamit einhergehenden Ausbreitung der Heide-flächen auszugehen (WIETHOLD 1998).

Nach einer vorübergehenden Wiederbewal-dungsphase während der Völkerwanderungs-zeit (vgl. Kap. 8.4.1) stieg der Heideflächenan-teil im Zuge der mittelalterlichen Landnutzungerneut deutlich an. Große Heideflächen exis-tierten damals auf der Schleswiger Geest so-wie bei Rendsburg, Neumünster, Bad Sege-berg und Itzehoe (BREHM 1974). In der Geestnahm die Heide im 18. Jahrhundert vielfachden größten Flächenanteil ein (MAGER 1930,1937). Während sie im Östlichen Hügellandnach der Verkoppelung weitestgehend ver-schwand, war die Landschaft der Geest auchim späten 19. Jahrhundert noch vielerortsdurch ausgedehnte Heideflächen geprägt (MA-GER 1930, 1937, WIETHOLD 1998). Vor rund 150Jahren umfassten sie ca. 17 % der heutigenLandesfläche (HEYDEMANN 1997).

In Schleswig-Holstein wurden die Heide-flächen von Rindern, Pferden und Schafen be-weidet (HASE 1983, MAGER 1930). Im benach-barten Dänemark standen dabei noch Mittedes 18. Jahrhunderts ca. 80 % der Landes-fläche unter regelmäßigem Weideeinfluss von

Pferden und Rindern (THOMSEN 2001). Zur Re-generation der Besenheide wurden in Schles-wig-Holstein viele Flächen in Abständen vonca. 8-10 Jahren abgebrannt (HASE 1983, MA-GER 1930). Sofern diese Feuer außer Kontrollegerieten, konnten sich z. T. große Heidebrän-de bilden, die in der Geest die Entstehung vonFlugsandgebieten begünstigten (HENNINGSEN

1999). Durch die anthropogene Nutzung derHeideflächen war für Reptilien- und Amphi-bienarten häufig eine langfristige Habitatkonti-nuität gegeben. Besonders struktur- und arten-reich werden die Übergangsbereiche vomWald zum Offenland gewesen sein (vgl. Kap.8.4.1).

Die nordischen Faunenelemente Waldeidech-se und Kreuzotter (Gruppe 1) waren sicherlichauch während der „Kleinen Eiszeit“ (vgl. Kap.8.2) in den ausgedehnten Heideflächen weitverbreitet und relativ häufig. Demgegenüberwurden die thermophilen Arten Zauneidechseund Schlingnatter (Gruppe 4) zu dieser Zeitvermutlich auf wärmebegünstigte Standorteverdrängt. Dabei handelt es sich insbesondereum lichte Eichenkratts sowie die süd- bzw.westexponierten Klevhänge. Von beiden Rep-tilienarten sind aus der Westhälfte des Landesheute nur noch wenige Fundorte bekannt. Ver-mutlich handelt es sich dort um Reliktvorkom-men aus der Phase des „mittelalterlichenWärmeoptimums“.

Ende des 18. Jahrhunderts wurden die „Ge-meinweiden“ im Zuge der Agrarreformen auf-gelöst und die Waldweide verboten (HASE

1983). Bereits im Jahr 1759 begann die däni-sche Regierung damit, die weiträumigen Hei-den im damaligen Herzogtum Schleswig zu er-schließen (IBS et al. 2004). Die großflächigeErschließung der Heiden setzte jedoch erstnach 1870 durch Genossenschaften ein (HASE

1983, MAGER 1937, MOMSEN et al. 2001). Zwi-schen 1872 und 1914 wurden ca. 26.000 ha„Ödland“ aufgeforstet, zwischen den Welt-kriegen weitere 4.000 ha (BREHM 1974). Des-sen Fläche verringerte sich von 54.000 ha imJahr 1913 auf 30.000 ha im Jahr 1965 (BREHM

1974). Weitere Heideflächen wurden in Ackeroder Grünland umgewandelt (MOMSEN et al.2001). Die Entstehung neuer Sandheiden,Sandtrockenrasen und trockener Ruderalflurenim Zuge des frühen Infrastrukturausbaus (z. B.Bau von Bahnlinien und Schifffahrtskanälen,vgl. MOMSEN et al. 2001) konnte diesen erheb-lichen Biotopverlust kaum kompensieren. Vonden Heideflächen, die noch Mitte des19. Jahrhunderts existierten, sind heute ca.0,2 % verblieben (HEYDEMANN 1997). Insofernist bei allen typischen Arten der Zwergstrauch-heiden von einem massiven Bestandsrück-gang auszugehen (vgl. Kap. 5 und 6).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 191

Foto 87: Eichen-Kratt beiWittenborn [SE];aus MÖLLER, T.1930, S. 66: DasGesicht der Hei-mat. – Karl Wach-holtz VerlagNeumünster; Ab-druck mit freundli-cher Genehmigungdes Verlags

Foto 88: Binnendünenland-schaft bei Sorg-wohld [RD]; ausMÖLLER, T. 1930,S. 67: Das Gesichtder Heimat. – KarlWachholtz VerlagNeumünster; Ab-druck mit freundli-cher Genehmigungdes Verlags

Foto 89: UmgebrocheneHeideflächen imKreis Segeberg;aus MÖLLER, T.1930, S. 102: DasGesicht der Hei-mat. – Karl Wach-holtz Verlag Neu-münster; Abdruckmit freundlicherGenehmigung desVerlags

192 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

8.4.3 Hoch- und Niedermoore

In Hoch- und Niedermooren finden sich vor al-lem die Amphibien- und Reptilienarten aus derGruppe 1. Als Vertreter der Gruppe 2 tretendort Blindschleiche und Ringelnatter regel-mäßig auf, mitunter auch die Schlingnatter(Gruppe 4). In Schleswig-Holstein gehörteehemals auch die Kreuzkröte (Gruppe 3) zuden typischen Bewohnern von (Heide-)Moo-ren (vgl. Kap. 5.8). Während von Reptilien dieoffenen und halboffenen, nicht zu feuchtenMoorbereiche präferiert werden, nutzen Am-phibien vielfach auch die nassen, z. T. auchstärker beschatteten Flächen. Sofern der pH-Wert von Moorgewässern nicht zu gering ist,kommen diese insbesondere für den Moor-frosch (Gruppe 1) als Laichhabitat in Frage(GÜNTHER 1996a).

Hoch- und Niedermoore treten natürlicherwei-se in fast allen Landesteilen auf. Hochmoorefehlen lediglich in den niederschlagsarmenKüstenbereichen des Östlichen Hügellandessowie auf Fehmarn (vgl. Abb. 2, BREHM 1974,CHRISTIANSEN 1955). Im feucht-warmen Klimades Atlantikums setzte in Norddeutschlandeine umfangreiche Moorbildung ein (DIERßEN

2001, POTT 1997). Durch den in dieser Zeitdeutlich ansteigenden Meeres- bzw. Grund-wasserspiegel entstanden vor allem in denNiederungen der Geest ausgedehnte Moor-landschaften, die das dortige Landschaftsbildbis in die Neuzeit hinein prägten (BREHM 1974,OVERBECK 1975, SCHOTT 1956). Im Bereich desheutigen nordfriesischen Wattenmeeres bilde-ten sich in erster Linie im Atlantikum und Sub-atlantikum größere Moore (vgl. Kap. 8.2). Dar-über hinaus fand in diesen Zeitabschnitten amGeestrand in Dithmarschen („Marschmoore“)sowie in glazialen Hohlformen des ÖstlichenHügellandes verstärkt Moorbildung statt(BREHM 1974, B.-H. RICKERT im Druck). Im Mit-telalter wurde die Entwicklung vieler Moorezudem durch anthropogene Eingriffe in denLandschaftswasserhaushalt gefördert (DIERßEN

2001, MAGER 1930).

Bis zum Ende des Mittelalters wurden diemeisten Moore durch den Menschen kaumverändert (BREHM 1974, MAGER 1930, 1937).Infolge der ersten kleinflächigen Eingriffe wieder Anlage von bäuerlichen Torfstichen oderder Beweidung von Teilflächen nahm die loka-le Habitatdiversität sicherlich zu. Noch Endedes 19. Jahrhunderts war der überwiegendeTeil der Hochmoore nicht kultiviert (MAGER

1937). Zu dieser Zeit bedeckten sie rund3,0 % der Landesfläche (BREHM 1974, HEYDE-MANN 1997). Der Flächenanteil der Niedermoo-re betrug einst über 8 % der Landesfläche(TREPEL & SCHRAUTZER 1998). Die großflächigeEntwässerung und Kultivierung der Moore

setzte erst nach 1880 ein (MOMSEN et al.2001). Von den damals vorhandenen Hoch-mooren waren in den 1950er Jahren nochrund 40 % vorhanden (BREHM 1974). Im Zu-sammenhang mit dem so genannten Pro-gramm Nord fielen seit 1953 im Westen desLandes weitere Moorflächen Entwässerungs-maßnahmen zum Opfer (BREHM 1974, LANGE

et al. 1999).

Inzwischen sind alle Moore des Landes mehroder weniger stark entwässert (vgl. DIERßEN

2001, TREPEL & SCHRAUTZER 1998). Sofern dieFlächen nicht land- oder forstwirtschaftlich ge-nutzt werden, sind sie jedoch vielfach bewal-det. Offene oder halboffene Hoch- und Nie-dermoorbereiche wie Pfeifengrasflächen undMoorheiden stellen heute nach wie vor wichti-ge Habitate für Amphibien und Reptilien dar.Dies gilt insbesondere für Moorfrosch, Waldei-dechse, Blindschleiche und Kreuzotter (vgl.H. RICKERT 1985, IRMLER 1998).

8.4.4 Stillgewässer

Alle schleswig-holsteinischen Amphibienartensind zur Reproduktion auf stehende oder lang-sam fließende Gewässer angewiesen. Man-che Arten nutzen diese auch als Sommerhabi-tat oder Winterquartier (GÜNTHER 1996a). Vonden einheimischen Reptilienarten treten Wald-eidechse (Gruppe 1), Ringelnatter (Gruppe 2)und Europäische Sumpfschildkröte (Gruppe 4)regelmäßig an Gewässern auf (GÜNTHER

1996a).

Natürliche Stillgewässer

Natürliche Seen und Kleingewässer existierenim Östlichen Hügelland in besonders großerZahl. Neben verschiedenen Seentypen, dieglazialen Ursprungs sind (z. B. Zungenbecken-und Rinnenseen, vgl. Kap. 2.2), handelt essich dabei vor allem um Hohlformen, die imPostglazial durch Abschmelzen von verschüt-tetem Toteis entstanden sind (KALETTKA 1996,MIERWALD 1988, SCHMIDTKE 1993). In vielendieser Hohlformen entwickelten sich zunächstkleine Weiher („Sölle“), die dann im Laufe desHolozäns verlandeten und vielfach zu Moorenwurden. Allein während des Atlantikums kannim Zuge fortschreitender Verlandung von ei-nem zahlenmäßigen Rückgang derartigerKleingewässer um ca. 80 % ausgegangenwerden (B.-H. RICKERT im Druck). In denHauptnaturräumen Geest und Marsch existie-ren demgegenüber seit jeher nur relativ weni-ge natürliche Stillgewässer. Diese waren in er-ster Linie an Fließgewässern und an der Nord-und Ostseeküste zu lokalisieren, so z. B. Alt-wässer und Überflutungsmulden (vgl. MIER-WALD 1988).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 193

Da sich die steinzeitlichen Menschen im Bin-nenland bevorzugt am Wasser ansiedelten, er-langte die dort seit dem Boreal vorkommendeEuropäische Sumpfschildkröte einen gewissennahrungswirtschaftlichen Stellenwert (LÜNING

et al. 1997, WILLMS 1986). Reste ihrer Panzerkonnten wiederholt auf mittel- und jungstein-zeitlichen Siedlungsplätzen nachgewiesenwerden (vgl. Abb. 33).

Während die Gewässer und ihre Uferzonenvom Menschen lange Zeit kaum beeinträchtigtwurden, kam es im Mittelalter erstmals zu ei-ner flächigen Rodung uferbegleitender Wälderan Seen und Flüssen (vgl. Kap. 8.4.1). Im Zugeder Ausweitung von Waldrodung und acker-baulicher Nutzung nahmen der Oberflächenab-fluss und die Bodenerosion zu, so dass inzahlreichen trockenen oder inzwischen ver-moorten Hohlformen neue Kleingewässer(„Pseudosölle“, vgl. KLAFS et al. 1973) entstan-den (HAMEL 1999, KALETTKA 1996, MAGER

1930). Speziell in den Hauptrodungsphasen(vgl. Kap. 8.4.1) stieg auf diese Weise die Zahlvon Amphibienlaichgewässern deutlich an. ImHochmittelalter bestand zusätzlich ein Wärme-optimum (vgl. Kap. 8.2), so dass zu dieser Zeitthermophile Amphibienarten des Offenlandes(z. B. die Wechselkröte, Gruppe 4) in derOsthälfte des Landes weit verbreitet und rela-tiv häufig gewesen sein werden.

Der anthropogen bedingte Rückgang von Still-gewässern setzte spätestens im 17. Jahrhun-dert ein. Damals wurden erstmals Seentrockengelegt, um weitere landwirtschaftlicheNutzflächen zu erhalten (MAGER 1930). Der zuverzeichnende neuzeitliche Rückgang annatürlichen und naturnahen Kleingewässernerreichte seinen Höhepunkt in den 1950er bis1980er Jahren. Diese Entwicklung ist bei-spielsweise für die Gemeinde Heikendorf(PLÖ) dokumentiert. In den 1880er Jahren exi-stierten dort 291 Tümpel, Teiche und Weiher,während es im Jahr 1976 nur noch 172 waren(RAABE 1979). Dabei war über die Hälfte dernoch existierenden Gewässer bereits partiellverfüllt. Bis Anfang der 1990er Jahre verrin-gerte sich die Anzahl der dortigen Kleingewäs-ser weiter auf 109 (GEMEINDE HEIKENDORF

1994). Dabei ist zu berücksichtigen, dassdurch die mittelalterliche und frühneuzeitlicheLandnutzung Kleingewässern in hohem MaßeNährstoffe entzogen worden sind, währenddie Nährstoffeinträge eher gering blieben. Erstseit der industriellen Agrarnutzung überwie-gen die Nährstoffeinträge meist deutlich, wo-durch der Verlandungs- bzw. Alterungsprozessvon kleineren Gewässern in der Agrarland-schaft deutlich beschleunigt wird (HAMEL

1999, KRONE 2002/2003, MIERWALD 1988).Heute unterliegen Gewässer und deren Ufer

kaum noch einer extensiven Nutzung (z. B.durch Abzäunung der Ufer und fehlende Be-weidung der Wechselwasserzone).

Künstliche Stillgewässer

Spätestens seit dem Mittelalter wurde dasGewässerangebot durch künstliche Teichanla-gen deutlich erweitert (BREHM 1974, MAGER

1930, 1937, MUUß et al.1973). Viele dieser Ge-wässer sind jedoch inzwischen wieder ver-nichtet worden (s. o.). Größere künstliche Still-gewässer wurden im Mittelalter vor allem fürden Betrieb von Wassermühlen sowie zurZucht von Karpfen angelegt. Ein Großteil die-ser Gewässer befindet sich in den stärkerreliefierten Bereichen des Östlichen Hügellan-des sowie der Hohen Geest.

Die Anlage von Mühlenteichen und Stauungenan Fließgewässern geht vielfach auf das 12.und 13. Jahrhundert zurück, so z. B. an derWakenitz bei Lübeck (GRIPP 1982). Diese be-standen häufig bis in die späte Neuzeit hinein.Noch um 1900 existierten im Einzugsbereichder Schwentine 20 Mühlen und 36 Stauungen(BREHM 1974). Karpfenteiche wurden von Klös-tern spätestens seit dem 12. oder 13. Jahr-hundert angelegt (RUST 1956). Diese Teichewurden später meist von umliegenden Güternübernommen. Die Blütezeit der Teichwirt-schaft reichte vom 15. bis 17. Jahrhundert.Ende des 19. Jahrhunderts erlebte sie eine„Renaissance“ (z. B. Gründung der landesweitgrößten Teichwirtschaft bei Wallnau aufFehmarn im Jahr 1880) (BREHM 1974, RUST

1956). In der frühen Neuzeit erreichte die ge-samte Teichfläche des Landes im Vergleichzum 20. Jahrhundert ungefähr die dreifacheAusdehnung (RUST 1956). In den 1970er Jah-ren umfasste sie landesweit ca. 2.200 ha,während es Anfang der 1990er Jahre nur nochetwa 1.400 ha waren (BREHM 1974, GARNIEL

1993).

Strukturell bieten traditionell genutzte Karpfen-teiche für Amphibien vielfach sehr günstigeHabitatbedingungen (z. B. DORN & BRANDL

1991). In Teichen mit ausgewachsenen Karp-fen ist eine erfolgreiche Reproduktion der mei-sten Amphibienarten allerdings nur bei gerin-ger Fischbesatzdichte und ausreichend großenFlachwasserzonen möglich (BREUER 1992). ImMittelalter waren diese Bedingungen bei dendamaligen Teichwirtschaften sicherlich gege-ben (vgl. RUST 1956). Im Zuge der Nutzungsin-tensivierung trennte man im 17. Jahrhundertden Fischbesatz in Brut-, Streck- und Ab-wachsteichen (RUST 1956). Da Jungkarpfen of-fenbar einen geringeren Prädationsdruck aufAmphibienlarven ausüben als adulte Karpfen(z. B. BREUER 1992, FILODA 1981), werden sich

194 Atlas der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins

die meisten Amphibienarten zumindest inBrut- und Streckteichen erfolgreich reproduzie-ren können. Allerdings hängt der Reprodukti-onserfolg auch dort maßgeblich von der Struk-tur des Teiches ab.

Künstlich angelegte Kleingewässer existierenin allen Teilen Schleswig-Holsteins, wie folgen-de Beispiele zeigen (vgl. Übersicht in MIER-WALD 1988): Ehemalige oder noch genutzteViehtränken sind heute noch ein typischer Be-standteil vieler agrarisch geprägter Regionen.Mit dem Aufkommen der Weidewirtschaftwurden sie spätestens im Mittelalter in derMarsch und Teilen der Geest in größerer Zahlangelegt. Im Östlichen Hügelland konntenhierfür häufig natürliche Senken genutzt wer-den (BREHM 1974). Im Zuge der AgrarreformenEnde des 18. Jahrhunderts („Verkoppelung“,vgl. Kap. 8.4.1) wurde das Netz an Trinkkuhlennochmals deutlich erweitert (MIERWALD 1988).Die vielfach Wasser führenden Mergelgrubenstammen etwa aus dem gleichen Zeitraum.Sie wurden verstärkt zu Beginn des 19. Jahr-hunderts im Östlichen Hügelland und auf derHohen Geest angelegt, als die Düngewirkungdieses Kalk-Ton-Gemenges erkannt wurde(HANSEN 1999, MIERWALD 1988). So entstandenauf Fehmarn die meisten der heutigen Klein-gewässer nach 1800 (BREHM 1974), wodurchdort sicherlich eine deutliche Bestandszunah-me vieler Amphibienarten begünstigt wurde.Dies gilt z. B. für die Rotbauchunke, die nochAnfang des 20. Jahrhunderts im Westen vonFehmarn in „ungezählten Mengen“(„Fehmarnsche Nachtigall“) auftrat (MOHR

1926a, b). An der Nordseeküste und auf denNordfriesischen Inseln wurde das Laichplatz-angebot für Amphibien (z. B. für Teichmolchund Erdkröte, Gruppe 2) durch die Anlage vonVogelkojenteichen erweitert (für Amrum vgl.QUEDENS 1983, ROßDEUTSCHER 2004). Diesestammen überwiegend aus dem 18. Jahrhun-dert (BREHM 1974). Von den künstlichen Ge-wässern neueren Ursprungs sind vor allem dieKleingewässer in Kies- und Sandabbaugrubenhervorzuheben. Diese stellen heute sehr be-deutende Laichhabitate für bestandsgefährde-te Amphibienarten wie Knoblauch-, Kreuz- undWechselkröte (Gruppen 3 und 4) dar. Im Sied-

lungsbereich sind in den letzten Jahrzehntendurch die Anlage von Gartenteichen zahlreicheneue Laichhabitate entstanden. Sofern dieseTeiche naturnah gestaltet sind und keinen zugroßen Fischbesatz aufweisen, werden siehäufig von Amphibienarten wie Teichmolch,Grasfrosch und Erdkröte (Gruppen 1 und 2)zur Fortpflanzung aufgesucht.

Wie bereits dargestellt, verbesserte sich durchdie Anlage von künstlichen Stillgewässern daslokale Habitatangebot für Amphibien. Zudemprofitierten auch einige Reptilienarten davon.Besonders bedeutsam waren Gewässerneu-anlagen außerhalb des Östlichen Hügellandes,also in Gebieten, in denen ansonsten nur rela-tiv wenige natürliche Stillgewässer existieren(in der Hohen Geest z. B. für Arten wieKammmolch und Laubfrosch, Gruppe 2). Dietraditionelle Teichwirtschaft - vor allem dieKarpfenzucht - könnte sich jedoch noch in an-derer Hinsicht auf die Verbreitung von Amphi-bienarten ausgewirkt haben. InsbesondereRotbauchunke, Knoblauchkröte und Seefrosch(Gruppe 4) können mit Satzfischtransportenunbeabsichtigt in Teichgebiete eingeschlepptwerden (ZÖPHEL & STEFFENS 2002, vgl. auchGISLÉN & KAURI 1959). So weist z. B. das heuti-ge Verbreitungsgebiet der Rotbauchunke inSchleswig-Holstein einige Parallelen zur Lagealter Teichwirtschaften auf. Im Bereich der Ho-hen Geest sowie in den Kreisen Plön und Ost-holstein betrifft dies einen großen Teil der bekannten Vorkommen (zur Lage der Teichge-biete vgl. RUST 1956). Ob und in welchem Um-fang in Schleswig-Holstein Rotbauchunken mitSatzfischen verfrachtet wurden, ist derzeitnicht zu beantworten. Im OstholsteinischenHügelland ist die Etablierung allochthoner Po-pulationen jedoch nicht völlig auszuschließen.Neben der unbeabsichtigten Verfrachtung vonArten werden Amphibien und Reptilien auchimmer wieder gezielt ausgesetzt (vgl. Kap. 5,6 und 7). Nur in wenigen Fällen handelt essich um genehmigte, genauer dokumentierteWiederansiedlungsprojekte, wie sie in denletzten Jahren im Fall von Laubfrosch und Rot-bauchunke durchgeführt worden sind (vgl.Kap. 5.5, 5.10 und 11.3).

Arealgeschichte der Amphibien und Reptilien Schleswig-Holsteins 195

Literatur (siehe auch Kap. 15)BENECKE, N. (2000); BÖHME, G. (1977, 1983a, b,1996, 1999); BREHM, K. (1974); BRUUN, H. H. &B. FRITZBØGER (2002); CLAUSNITZER, H.-J. (1999);DIERßEN, K. & K. JENSEN (2001); DREWS, H. & J.DENGLER (2004); ERIKSSON, O., COUSINS, S. A.O. & H. H. BRUUN (2002); FREITAG, H. (1962);FRIEDRICH, H. (1942); FRITZ, U. (2003); GLASER,R. (2001); HÄRDTLE, W. (1996); HECHT, G.(1929, 1933); HEYDEMANN, B. (1997); HOLMAN,J. A. (1998); IBS, J. H., DEGE, E. & H. UNVERHAU

(2004); KRATOCHWIL, A. & A. SCHWABE (2002);KÜSTER, H. (1999); LANG, G. (1994); LANGE, U.,MOMSEN, I. E., DEGE, E. & H. ACHENBACH

(1999); LATTIN, G. DE (1967); LEUSCHNER, C. & F.SCHIPKA (2004); LÜNING, J., JOCKENHÖVEL, A.,BENDER, H. & T. CAPELLE (1997); LÜTTSCHWAGER,J. (1954); MAGER, F. (1930, 1937); MIERWALD,U. (1988); MOMSEN, I. E., DEGE, E. & U. LANGE

(2001); MUUß, U, PETERSEN, M. & D. KÖNIG

(1973); NETTMANN, H.- K. (1995); OVERBECK, F.(1975); PETERS, G. (1977a, b); POTT, R. (1997);RAABE, E.-W. (1979); RAPP, J. & C.-D. SCHÖN-WIESE (2003); RUST, G (1956); SCHMIDTKE, K.-D.(1993, 1995); SCHMÖLCKE, U. (2001); SCHOTT, C.(1956); TABERLET, P., FUMAGALLI, L., WUST-SAUCY,A.-G. & J.-F. COSSON (1998); UMWELTBUNDESAMT

(2001); WIETHOLD, J. (1998)