Till Rippmann Lizarbeit Konstruktion des Boesen Finale Version

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Die Konstruktion des Bösen Eine Diskursanalytische Auseinandersetzung mit der medialen Feindbildkonstruktion in der Schweiz Eingereicht von: Till Rippmann Mattackerstrasse 3 8052 Zürich [email protected] [email protected] Matrikel-Nr: 02-736-056 Tel: 076 488 24 23 Student im 20. Semester Hauptfach: Politikwissenschaft 1. Nebenfach: Volkskunde 2. Nebenfach: Europäische Volksliteratur Diese Lizenziats Arbeit wurde betreut durch: Prof. Thomas Hengartner Universität Zürich Institut für Populäre Kulturen Affolternstrasse 56 CH-8050 Zürich Zürich, den 10.5.2013

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Die Konstruktion des Bösen Eine Diskursanalytische Auseinandersetzung mit der medialen

Feindbildkonstruktion in der Schweiz Eingereicht von:

Till Rippmann

Mattackerstrasse 3

8052 Zürich

[email protected]

[email protected]

Matrikel-Nr: 02-736-056

Tel: 076 488 24 23

Student im 20. Semester

Hauptfach: Politikwissenschaft

1. Nebenfach: Volkskunde

2. Nebenfach: Europäische Volksliteratur

Diese Lizenziats Arbeit wurde betreut durch:

Prof. Thomas Hengartner

Universität Zürich

Institut für Populäre Kulturen

Affolternstrasse 56

CH-8050 Zürich

Zürich, den 10.5.2013

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung S.3

2. Theoretischer Rahmen S.7

2.1. Diskurs S.7

2.2. Dispositiv S.8

2.3. Das Dispositiv im Verhältnis zum Diskurs S.9

2.4. Diskursanalyse S.10

2.5. Diskursanalyse S.14

3. Vorgehen S.14

4. Definitionen des Bösen S.17

4.1. Keine Verteidigung ohne Feinde S.18

4.2. Das Böse, Recht und Gewalt S.19

4.3. Feind oder Rivale S.20

4.4. Das Territorium des Bösen: Von der Kategorie zur Wirklichkeit S.23

4.5. Der Feind und das Fremde S.29

4.6. Die Abwertung des Feindes S.31

4.7. Feindbilder, Schwäche und die Komödie S.32

5. Die geistige Landesverteidigung S.33

5.1. Das geistige Schlachtfeld S.36

6. Dispositivanalyse an den relevanten Punkten S.39

6.1. „Geistige Landesverteidigung“: Von der Selbstfindung zur Abgrenzung S.41

6.2. Kriegsende , der „Sonderfall Kleinstaat“ und das neue Dispositiv S.45

7. Diskurse um das Schweizer Selbstbild S.46

7.1. Prag 1948: Der Vorhang fällt (Dispositiv) S.50

7.2. Der Positionsbezug nach Innen (Diskurs) S.51

7.3. Stalin als rhetorische Figur S.60

7.4. Ungarn 1956 (Dispositiv) S.61

7.5. Ungarn 1956 (Diskurs) S.63

2

8. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970 S.64

8.1. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970 (Dispositiv) S.65

8.2. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970 (Diskurs) S.67

8.3. Die Sempacher Rede (Diskurs) S.71

9. Kim Jong Il: Vom Luzifer zum Pinocchio S.76

9.1. Die Verteidigung unter Anklage S.76

9.2. Der Zerfall der Sowjetunion S.78

9.3. Neuordnung des „Ostens“ S.80

9.4. Der gescheiterte Putsch von Moskau S.81

10. Die Dekonstruktion des Bösen: Looking at Kim Jong Il S.84

10.1. Die Schweiz und Nordkorea um 1994 (Dispositiv) S.85

10.2. Die Machtübernahme Kim Jong Ils S.88

10.2.1. Die Vermächtnisherrschaft S.88

10.3. Die Achse des Bösen S.90

10.4. Die Dekonstruktion eines Mythos S.93

11. Die Schreckliche Macht des Diskurses S.99

12. Quellenverzeichnis S.100

12.1. Primärquellen S.100

12.2. Sekundärliteratur S.103

12.3. Bildlegende S.104

13.Lebenslauf S.105

3

1. Einleitung

Basis dieser Arbeit ist die Idee der Frage nach dem Bösen, ganz für sich. Es ist nun mal

auffällig, dass das Böse, wie es uns in Märchen beispielsweise präsentiert wird recht

eindimensional dasteht. So ist oftmals „Böses zu tun“ Motivationsgrund genug für die Feinde

unserer populären Helden wie Hänsel und Gretel, Aschenputtel oder Frodo. Dicht gefolgt von

Rache, Gier und genereller Bitterkeit. Meist steht der Held einem Feind gegenüber, der im

Gegensatz zum Helden, nicht die Normen unserer Gesellschaft vertritt, nicht lauter und

tugendhaft ist und es auch nicht zu sein versucht, sondern aus einem meist recht irrational und

grob gehaltenen, gierigen Machtanspruch heraus, die Lebenswelt unserer Helden bedroht. Der

Feind im Märchen ist normalerweise übermächtig, dem Helden überlegen und macht diesem

sein Leben schwer oder vermeintlich ganz unmöglich. Wir sitzen dann als Kinder gebannt am

Herdfeuer und lauschen den Geschichten unserer Helden, wie sie eben dieses Böse am Ende

dann doch besiegen, also unsere Moral, unsere Normen, die uns mit diesen Geschichten

gelehrt werden, gegen dieses große Böse verteidigen. Nicht selten sind es diese Tugenden, die

gar den unmöglich scheinenden Sieg bringen.

Aus der relativierenden Überlegung, dass jede Kultur und jedes Land über ihre eigenen

Herdfeuer und Geschichten verfügt, darf angenommen werden, dass nicht alle Geschichten

von dem oder denselben Bösen berichten. Die narrative Konstruktion solcher Geschichten

dürfte heutzutage in vielen Kulturen ähnlich sein.

Jedenfalls ergibt sich aus dieser Perspektive die Annahme, dass auch jeweils dieselbe

Geschichte zwei Seiten hat: Also ist es vorstellbar, dass die alte, vom Leben und der

Dorfbevölkerung gepeinigte und in den Wald exilierte Lebkuchenbäckerin, sich lediglich

gegen einen dreisten Raub zu verteidigen versuchte, schließlich aber von den beiden

kriminellen Jugendlichen übermannt und auf unmenschlichste Art und Weise getötet wurde.

Das mag in dieser zugespitzten Form lustig klingen, birgt doch letztlich eine einfache

Vermutung: Das was böse ist, ist perspektivenabhängig. Es ist eine Wertung, eine

Bezeichnung, eine Kategorie. Die Anwendung dieser Kategorie ist wiederum

situationsabhängig. Wir benutzen die rhetorischen Figuren des Bösen dann, wenn sie

gebraucht werden, um etwas zu bezeichnen, als Warnung beispielsweise: „Achtung den Hund

nicht streicheln, er ist böse.“

Im Gegensatz zu einem Baum, der zwar etliche verschiedene Namen trägt und andere Rollen

in unterschiedlichen Kulturen spielt, aber eben ein Baum bleibt: Eine greif- und berührbare

4

Pflanze die mehr oder weniger weltweit aufgrund derselben Bedingungen wächst und gedeiht.

Er ist nicht erst dann da, wenn wir seinen Namen ausgesprochen haben, das Böse hingegen

schon.

Gemäß Knut Hickethier ist die Quelle des Bösen gerade in der Narration zu verorten, sie ist

das kulturelle Vermittlungsorgan für die „Ordnung erhaltende Differenz zwischen dem

Erlaubten und dem Nichterlaubten“.1 So ist es nach Hickethier genau die Geschichte am

Herdfeuer, die uns die „Vorstellungen, Ordnungssysteme“ und (für diese Untersuchung

besonders relevant) „Grenzziehungen vermittelt, mit denen wir die Welt wahrnehmen“2

So ist nicht jeder politische Aktivist, jede alte Kräuterhexe oder jeder Wolf böse. Nicht einmal

das Töten anderer Menschen kann als universell böse bezeichnet werden; zwar ist Mord in

den meisten Gesellschaften ein Kapitalverbrechen, wird doch (und ja gerade wegen der

Schwere des Verbrechens) auch in einer Reihe von (auch westlicher) Gesellschaften noch mit

dem Tod (Also einer legitimierten Tötung) bestraft. In dieselbe Kerbe schlägt natürlich auch

die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, an diesem Beispiel sogar

mehrdimensional: Einerseits kämpft eine moderne demokratische Gesellschaft nur in einem

Krieg der (wenigstens weitgehend) gerechtfertigt ist (respektive als gerechtfertigt akzeptiert

wird) und andererseits würde in heutigen Verhältnissen ein „ungerechter“ Krieg wiederum

von anderen Nationen auf diplomatischem oder physischem Weg bekämpft werden. Wie z.B.

der Bürgerkrieg in Libyen oder in Syrien.

Also ist selbst das Töten eines anderen Menschen weit davon entfernt als „das Böse

schlechthin“ gelten zu können. Daher gibt es das reine, materielle, wirkliche Böse vermutlich

nicht. Es existiert aber durchaus in unseren Diskursen und unseren Vorstellungen.

Das Böse ist erst in seinem Ausdruck, seinem Träger, seiner physischen Manifestation

greifbar: Dem Feind. Erst wenn wir einen Feind haben, der das Böse im wahrsten Sinne

verkörpert, erst dann ist es angreifbar. Dementsprechend stellt diese Untersuchung die Frage

nach der Konstruktion des Bösen und davon abgeleitet, der Konstruktion und Dekonstruktion

entsprechender Feindbilder.

Im ersten Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen als auch die Definitionen des

Bösen, dessen Genese als auch jene der Feindbilder dargelegt. Im Zweiten Teil wird die

1 Hickethier, Knut in: Werner Faulstich (Hrsg) 2008, S.228

2 Hickethier, Knut in: Werner Faulstich (Hrsg) 2008, S.229

5

Konstruktion von Feindbildern während der geistigen Landesverteidigung der Schweiz der

Nachkriegszeit untersucht. Da der Diskursstrang der geistigen Landesverteidigung über

Jahrzehnte hinweg in der einen oder anderen Art den Begriff des Bösen für die Schweizer

Gesellschaft und dessen Ausprägungen mitbestimmen soll, ist er für diese Untersuchung

unabdingbar.

Die ausgesuchten historischen Momente, an welchen die Diskurs- und Dispositivanalysen im

zweiten Teil durchgeführt werden, ziehen ihre Relevanz aus der Stärke und Sichtbarkeit der

Wechselwirkungen zwischen internationalen Geschehnissen, deren medialen Verarbeitungen

in der Schweiz und der entsprechenden Beiträge zur Konstruktion eines „Bösen“ und der

daraus folgenden Feindbilder. Die geistige Landesverteidigung wird über vier solche

historische, ideologiegeschichtliche Punkte hinweg, bis hin zu ihrer vermeintlichen Auflösung

in den frühen Neunzigerjahren untersucht werden. Diese Momente der Schweizer Geschichte

werden in chronologischer Reihenfolge sowohl einer Dispositiv- als auch Diskursanalyse mit

Bezug auf den Untersuchungsgegenstand unterzogen.

Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Wirkung internationaler politischer Diskurse als

Dispositive für den Schweizer Diskurs: So wird etwa neben den sowjetischen

Putschversuchen in der Tschechei und Ungarn, die Überfremdungsinitiative von James

Schwarzenbach betrachtet werden. Anschließend wird der Zerfall der Sowjetunion in seiner

Wirkung auf die bis dahin untersuchten Diskursstränge hin untersucht.

Die Konstruktion eines vermeintlich Bösen in den Schweizer Medien, wird auf Basis des

Diskursstrangs „geistige Landesverteidigung“ veranschaulicht. Der Zerfall dieses

Diskursstranges und dessen Auswirkungen werden am Beispiel Kim Jong Il im zweiten

Hauptteil dargelegt. Im Zuge dieses Prozesses wird der entsprechende Diskurs im Kontext

des Dispositivs veranschaulicht und so die Definition und der Verlauf einer Konstruktion des

Bösen anhand rhetorischer Figuren über knapp Siebzig Jahre hinweg analysiert.

Nach der Herleitung einer Konstruktion des Bösen im Rahmen der jeweiligen, zuweilen sehr

stark international beeinflussten, Selbstdeutungs- Diskurse innerhalb der Schweizer

Gesellschaft, wird die Dekonstruktion eines Feindbildes betrachtet. Gegenstand der

Dekonstruktionsanalyse ist der frühere nordkoreanische Diktator: Kim Jong Il.

6

2. Theoretischer Rahmen

Die theoretische Grundlage zu dieser Arbeit bilden Michel Foucaults Arbeiten zur

Diskursanalyse und im Weiteren der Dispositivanalyse. Insbesondere seiner, im Rahmen der

Antrittsvorlesung anlässlich seiner Berufung ans Collège de France am 2. Dezember 1970,

geäußerten Überlegungen. 3

Es wird mit den von Foucault zur Verfügung gestellten analytischen Werkzeugen die

Konstruktion von Feindbildern und in deren Konsequenz die Konstruktion „des Bösen“ in den

Schweizer Medien untersucht. Der Untersuchungszeitraum wird durch den elementaren

Diskursstrang: „Geistige Landesverteidigung“ im Wesentlichen festgelegt und erstreckt sich

insofern von 1945 bis in das frühe 21. Jahrhundert. Um Übersichtlichkeit bemüht, werden im

Folgenden die wichtigsten beiden Analyseelemente „Dispositiv“ und „Diskurs“ erläutert und

jeweils an den ausgesuchten Punkten einzeln analysiert. Diese Arbeit wurde unter dem

Leitsatz: „Jeder Diskurs verläuft nach der Logik seiner Bedingungen“ verfasst, diese

Bedingungen sind jeweils durch das sog. Dispositiv beschrieben. Ausgehend von den

jeweiligen Dispositiven wird der Diskurs in seinen Bedingungskontext gesetzt, wobei die

Logik seines Verlaufs, die Beziehung zwischen Dispositiv und Diskurs ein Haupt-

Forschungsinteresse darstellt.

2.1. Diskurs

Um eine grundsätzliche Vorstellung des Diskursbegriffes zu geben, wird hier Foucaults

Definition übernommen: „Das über etwas sprechen“, umfasst laut Foucault den Begriff des

Diskurses in seiner Fülle. Michel Foucault bezieht sich hauptsächlich auf die Worte als die

Zeichen des Diskurses,4 meiner Auffassung nach können aber auch andere Formen dem

Diskursinhalt gleichermaßen Ausdruck verleihen, wie Bilder, Filme, Gewaltanwendung oder

gar Gerüche. Auch ergonomisches Wachstum oder Gruppenverhalten können als Bestandteile

eines Diskurses betrachtet werden. Die Definition muss also erweitert werden um die

eigentliche Tragweite des Foucaultschen Diskursbegriffes zu berühren. „Sprechen“ wird

demzufolge mit an sich jeder Form der Kommunikation gleichgesetzt werden. Diese

Erweiterung der Definition ist für diese Untersuchung nicht als definitorische, sondern

vielmehr als Verständniserweiterung aufzunehmen. Es ist eine Besonderheit des Bösen und

3 Foucault, 1970 , S.7 – S.49

4 Foucault, 1970 , S.10

7

des Feindes sich eben, wie wir noch verstehen werden, „nur“ in der begrifflichen Welt

abzuspielen. Aber es muss auch diese begriffliche Welt in ihrer Auswirkung und Macht

begriffen sein.

Da die mediale Wirkung auch von den genannten „nicht verbalen“ Diskurselementen,

wiederum mit verbalen Mitteln geführt wird, also im Endeffekt in eine sprachliche Form

gebracht wird und somit wieder auf Foucaults Ursprungsdefinition zurückführt, wird sich

diese Untersuchung ausschließlich mit Worten auseinandersetzen.

Anders formuliert: Da sich diese Untersuchung mit einer Analyse der Schweizer Medien

beschäftigen wird, wird sich der Diskursbegriff hier auf die mediale Kommunikation

beschränken. Es werden Bilder und Texte aus den (Deutsch-) Schweizer und in der Schweiz

konsumierten Medien untersucht, insofern stehen mediale Diskurse im Fokus der

Untersuchung. Im Weiteren wird so auf den Begriff „Diskurs“ Bezug genommen. Dass

dementsprechend ein jeweiliger Diskurs eine Vielzahl von Ebenen und Wirkungsräumen

haben kann, die sich so dem Blick dieser Untersuchung entziehen, ist bedauerlich, aber

gemessen an dem relativ großen Untersuchungsfeld kaum zu vermeiden.

Diskurse in und um das nationale Selbstverständnis sind konstant vorhanden und nehmen eine

dominante Rolle in der medialen Kommunikation während der Zeit des kalten Krieges ein.

Sie sind vorhanden solange die Schweiz als Nation existiert, verändern sich aber in ihrer

Erscheinung, Ausprägung und dementsprechend Auswirkung. Der einheitliche, geordnete

Diskurs existiert im Felde der Massenmedien gerade wegen ihrer „Massenhaftigkeit“

wahrscheinlich nicht,5es sei denn sie wären gleichgeschaltet. Die Diskurse werden gemäss

Foucault geregelt und kontrolliert von Abgrenzungsprozessen respektive

Ausschliessungsmechanismen die das „sagbare“ von dem „unsagbaren“ trennen. Diskurse

entstehen derweil im Rahmen eines spezifischen Dispositivs und wirken wiederum auf dieses

respektive das nächste Dispositiv zurück.

2.2. Dispositiv

Michel Ruoff definiert/interpretiert das Dispositiv nach Foucault als heterogene Gesamtheit,

bestehend aus Diskursen, Institutionen, architektonischen Einrichtungen, reglementierenden

Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Massnahmen, materiellen Umständen,

wissenschaftlichen Aussagen, philosophischen, moralischen und philanthropischen

5 Behauptung nach: Foucault 1970, S.42

8

Lehrsätzen, kurz: Gesagtes ebenso wie ungesagtes sind seiner Meinung nach die Elemente des

Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz das man zwischen diesen Elementen herstellen

kann.6

Nach dieser Definition, ist ein Dispositiv eine Gesamtheit von Institutionen, Diskursen und

(diskursiven als auch Nicht-diskursiven) Praktiken. Seine strategische Seite deutet auf seine

Verwendung im Zusammenhang von Macht und Wissen, respektive Macht/Wissen Strukturen

hin. Diese strategische Seite des Dispositivs wird für diese Untersuchung von Bedeutung sein.

Das Dispositiv verbindet Machtstrategien und Wissenstypen. Die Verbindungen und

Funktionen des Netzes „Dispositiv“ müssen nicht stabil oder in einer bestimmten Art

festgelegt sein. Die Funktionen innerhalb der Gesamtheit „Dispositiv“ können wechseln.

Beispielsweise kann das Element „Diskurs“ als „Programm einer „Institution“ oder als

Rechtfertigungsgrund einer Praktik erscheinen. Schließlich verbindet Foucault mit dem

Dispositiv noch eine weitere Auffassung, die sich als dessen integraler und übergeordneter

Zweck in einer historischen Anordnung verstehen lässt. Das Dispositiv ist nicht einfach

gegeben, sondern es entwickelt sich erst unter Vorgabe seiner Funktion. Michael Ruoff führt

folgendes Beispiel an:

Foucault illustriert diesen Gedanken anhand des Beispiels des Merkantilismus, der zu

einer verstärkten Disziplinierungsforderung gegenüber der Bevölkerung führt, die sich

nach ökonomischen Kriterien völlig unzuverlässig erwiesen hat. Dieser Impuls generiert

schliesslich unterschiedliche Dispositive für die Konstruktion/das Geschehen von Macht,

wobei die Entstehung an die Vorgabe eines Ziels gebunden ist und in diesem Punkt mit

dem strategischen Macht Typ übereinstimmt.7

2.3. Das Dispositiv im Verhältnis zum Diskurs

Zumal diese Arbeit im Kern eine Diskursanalyse anstrebt, wird hier kurz die Bedeutung des

Dispositivs für den Diskurs erläutert. Das Dispositiv stellt ein Netz aus der Summe an

Umständen her, diese Umstände erstrecken sich von administrativen Praktiken über Gesetze

jeder Art, Sprachverteilungen bis hin (wie in diesem Fall) zu geopolitischen Geschehnissen

und Gegebenheiten.

Das Dispositiv bildet also die Bedingungen nach deren „Logik“ der Diskurs verläuft. Es

besteht aus den Verbindungen seiner Elemente, dieser „Logik“ und ist insofern die

6 Ruoff, 2007, S. 392

7 Zitat aus: Ruoff, 2007, S. 392

9

augenblickliche Situation, die sich dem Diskurs stellt. Das Dispositiv ist niemals statisch,

gerade weil es aus einer richtiggehenden Masse an variablen Faktoren konstruiert ist.

2.4. Dispositiv -Analyse

Dispositive bilden so den (mehrdimensionalen) Rahmen, in welchem der Diskurs als Element

desselben stattfindet. Für diese Untersuchung ist es vornehmlich relevant, wie „Macht-

Wissen“ Positionen generiert werden. Nicht unbedingt individuelle, akteursbezogene Macht,

sondern „Diskursmacht“, die Macht den Diskurs zu regeln und gewisse Machtpositionen

erfolgreich zu beanspruchen. „Diskursmacht“ bestimmt, wer inwiefern ermächtigt ist den

Diskurs in eine Richtung zu lenken, also insofern die Ausschliessungsmechanismen

kurzweilig nahezu „befehligt“ oder zumindest in einem strategischen Sinne Nutzen kann.

Das Dispositiv ist weitgehend ausschlaggebend für die Möglichkeit des Machterhalts, resp.

der „Ermächtigung“ für einzelne Aussagen und damit verbundenen Positionen innerhalb des

Diskurses. Gemäß Jäger:

„Diese Voraussetzungen, der Macht-Dispositive – und das macht ihre Bedeutung aus –

konstruieren durch ihre kulturell integrative Funktion soziokulturelle Gegenstände,

‚Themen’ und Problematiken. Sie definieren Subjektpositionen und Kompetenzen, sie

konstruieren Wahrnehmungsweisen und Handlungsoptionen innerhalb des von ihnen

begrenzten Feldes.“8

Dispositive zeichnen sich mitunter dadurch aus, dass sie durch eine Verkopplung von nicht-

diskursiven und diskursiven Elementen „Machtbündel“ ermöglichen, die wiederum innerhalb

eines bestimmten, begrenzten Feldes Subjektivitäten und deren (Macht-)Fähigkeiten

bestimmen.9

In dieser Untersuchung werden die internationalen politischen Bedingungen dementsprechend

nicht als nichtdiskursiv, sondern als Teil des Dispositivs verstanden. Weil sie in der Schweiz

Diskursmacht begünstigen, respektive entziehen. Zur Darstellung dieses Prozesses werden die

historischen Punkte der Schweizer Geschichte so ausgewählt, dass diese Wechselwirkung

offensichtlich wird.

Das Dispositiv bildet den „Rahmen“ um den Diskurs. Dieser Rahmen wirkt auf den Diskurs

mitunter durch die Abgrenzungslinien, die Unterscheidungen zwischen „Sagbarem“ und

8 Zitiert aus: Jäger/Jäger, 2000

9 Gem. Jäger/Jäger,2000

10

„Unsagbarem“, „Wahrem und Falschem“ oder eben umfassend „Gutem und Bösem“

herstellen.

Der Diskurs kann also nur in dem spezifischen Dispositiv seine spezifische Form und Macht

erhalten, in einem beliebigen anderen Dispositiv, würde er eine entsprechend andere Gestalt

annehmen und dementsprechend andere Wirkungen zu Tage fördern. Der Diskurs wirkt auf

das (nächste) Dispositiv indem er dessen Grenzen zu verschieben vermag. Je nachdem wie

der Diskurs verläuft vermag er neue „Sagbarkeiten“ und „Unsagbarkeiten“ zu produzieren

respektive die Abgrenzungslinien die diese umgeben zu verschieben. Um ein Beispiel aus der

Popkultur zu nennen: Darth Vader war Jahrzehnte lang der „Böse“ der Star Wars Trilogie, bis

die „neuen“ drei Filme erschienen, welche seine Vorgeschichte erzählen und Darth Vader so

zum tragischen Helden der Filmreihe erhoben.

Das Dispositiv zu Beginn der „Episode 4“ ist also nach Erscheinen der neuen Filme ein ganz

anderes als 1979, als „Episode 4“ in der Form von „Star Wars 1“ erschien. Somit ist auch der

Diskurs, der dann beim (im und unter den) Betrachter(n) stattfindet, um Anakin Skywalker

(Darth Vader) ein ganz anderer. Dieses vielleicht etwas gewagte Beispiel illustriert die Macht

des Dispositivs deshalb sehr schön da sich die „alten“ drei Filme ja inhaltlich kaum verändert

haben aber komplett neu kontextualisiert sind.

Diese Untersuchung beschäftigt sich mit einem relativ weiten historischen Horizont von

knapp Sechzig Jahren. Dieser Zeitraum ist bewusst so weit gewählt, da es beim

Untersuchungsgegenstand um einen Diskurs (oder eine inhaltlich/thematisch

zusammengehörige Summe an Diskursen) handelt, der sich über diese Zeit hinweg entwickelt

hat und gerade diese Entwicklung der Konstruktion, steht im Fokus der Analyse. Um eine

Repräsentation herstellen zu können wird daher der Untersuchungsgegenstand an einigen

relevanten Punkten betrachtet werden, welche sich wiederum an diskursbezogenen medialen

Ereignissen orientieren. Anders formuliert; werden Veränderungen im Dispositiv untersucht,

die wiederum den Diskurs in eine der Untersuchung ausgesetzte Richtung lenken.

Das Dispositiv selbst unterliegt mitunter dem Einfluss, der durch (vorläufige) Diskurse

gewirkt wurde. So fand beispielsweise der Diskurs um die Drogenszene in Zürich während

der Neunzigerjahre innerhalb des Dispositivs einer offenen Drogenszene statt. Die

Auswirkung des Diskurses veränderte das nächste Dispositiv insofern, dass Methadon-

Abgabestellen entstanden und so der Diskurs um die Drogenszene im neuen Jahrhundert aus

einem Dispositiv ohne offene Drogenszene am Platzspitz stattfindet.

11

Im untersuchten Fall der Genese und Transformation eines medialen Feindbildes in der

Schweiz wird ein an den relevanten Punkten ein spezifisches Dispositiv, welches für die

entsprechenden Diskurse rund um das Schweizer Selbst- und Feindbild besteht, untersucht.

Als relevant qualifizieren sich jene historischen Punkte, in und an welchen diese

Abgrenzungsmechanismen als auch die Konstruktionsprozesse des Feindes ersichtlich

werden, also sich und ihre Auswirkungen zeigen. Die ausgesuchten historischen Momente,

an welchen die Diskurs- und Dispositivanalysen durchgeführt werden, qualifizieren sich

durch die Stärke und Sichtbarkeit der Wechselwirkungen zwischen internationalen

Geschehnissen, deren medialen Verarbeitungen in der Schweiz und der entsprechenden

Konstruktion eines „Bösen“ und daraus folgender entsprechender Feindbilder. Die Beziehung

zu internationalen Geschehnissen, die ihren Weg in den Schweizer Diskurs vornehmlich über

die Medien finden, ist als Kriterium von Bedeutung, da diese Informationsflussstruktur eine

Konstante der Untersuchung sein wird um die Logik einer Konstruktion des Bösen im

Hinblick auf die angestrebte Dekonstruktion aufzuzeigen.

Folglich werden historische „Orte“ (der Begriff soll Zeitpunkte und Ebenen einschließen)

ausgewählt, die eben dieses „Böse“ oder entsprechend „den Feind“ zeigen. Theoretisch wären

auch andere Punkte geeignet diese Konstruktionsweise des Bösen zu demonstrieren, da das

Endziel der betriebenen Analyse sich jedoch in der Untersuchung der Dekonstruktion des

Feindbildes Kim Jong Il findet, ist es vonnöten die Basis dieses spezifischen Feindbildes zu

analysieren. Kim Jong Il ist einer der letzten „stalinistischen“ Herrscher, der die Welt

(teilweise und sporadisch) mit Atomraketen bedrohte. Ähnlich wie sein Vater vor und sein

Sohn nach ihm.

Bei der Auswahl der Zeitpunkte werden daher Diskurse ausgesucht die den heutigen Diskurs

bezüglich Kim Jong Il respektive den Diskurs um das Feindbild vor oder über Kim Jong Il

betreffen. Kim Jong Il ist in der Schweiz nur über die Medien präsent, also muss der Diskurs

dort wo er stattfindet, in den Medien, untersucht werden. Kim Jong Il befindet sich in seiner

Funktion als erklärt „kommunistischer“ Diktator, in einem spezifischen Kontext: Dem (post-)

sowjetischen Kommunismus, also werden die Berichte und Diskurse um den Kommunismus

in der Schweiz untersucht werden müssen. Es werden aus denselben Gründen die dem

spezifischen Feindbild entsprechenden, gesellschaftlichen Abgrenzungslinien identifiziert

werden.

12

Da Kim Jong Il keine direkte Bedrohung respektive keinen direkten Bezug zur Schweiz hat,

ist der Diskurs in der Schweiz einem globalen insofern unterworfen, als dass dieser mit

dispositivem Charakter auf den Schweizer Diskurs wirkt. In dieser Beziehung ist er mit dem

Diskursstrang der geistigen Landesverteidigung vergleichbar.

Es werden in einem ersten Schritt die Bedingungen und die Mechanik einer, wenn man so

will „politischen“ und durch den globalen Diskurs bedingte Feindbildkonstruktion, wie sie im

Falle Kim Jong Ils erfolgt, untersucht, dort wo sie zu finden sind.

Die ersten beiden untersuchten Punkte zeigen diese Wechselwirkung in sehr direkter Variante

auf: Die Aufstände in Tschechien und Ungarn. Tschechien bietet sich unter anderem an, da

die Rhetorik des Bösen an diesem Punkt Eingang in den Diskurs fand. Weiter wird durch die

mediale Verarbeitung des Tschechien- als auch den Ungarnaufstands das Bild der

„Unterworfenen“ gezeichnet, mit welchem sich die Schweizer auch Jahrzehnte später im

Kontext des Putsches gegen Gorbatschow solidarisieren sollen, nachdem sie sich

Jahrzehntelang selbst in dieser Rolle wähnten.

Diese Solidarisierung ist eine relevante Reaktion, die als Indiz der ideologischen

Zugehörigkeit in jeder der drei untersuchten Putschsituationen dient. Besonders interessant

wird sich dieses Indiz als historisch jüngste Situation von den dreien ausnehmen: Dem

Putschversuch gegen Gorbatschow. An diesem Punkt wird gezeigt werden können, wie die

Solidarisierung zum Träger der Abspaltung vom Feindbild und dessen Ausprägungen wird.

Die Untersuchung der Überfremdungsinitiative qualifiziert sich durch die Rückbezugnahme

auf den Diskursstrang, welcher um die Geschehnisse in Tschechien und Ungarn entstanden

war. Insofern ist die Schwarzenbach-Initiative die Kehrseite derselben Medaille. Es werden

dieselben, auf der geistigen Landesverteidigung basierenden, Macht/wissen Strukturen

aktiviert, nur ist das den Diskurs um das Böse rahmende Dispositiv neu „inländisch“. Dieser

Transformation wird allerdings Rechnung getragen werden.

Das Dispositiv definiert die „Sagbarkeit“ insofern die Bahnen, in denen der Diskurs um die

Definition des Selbst und entsprechend des Feindes verläuft. Das Dispositiv um das

„Schweizerische Selbst“ liefert Grenzen der Zugehörigkeit an ein „geistiges Selbst“ der

Schweizer Bevölkerung resp. Gesellschaft. Auch aus diesem Grund wird die geistige

Landesverteidigung in ihrer Transformation und Zugehörigkeit (im Sinne der Beanspruchung

durch Akteure oder Bewegungen) bei jedem der untersuchten Punkte relevant sein. Die

13

„Nichtzugehörigkeit“ ist, anbei bemerkt, von notwendigem definitorischem Charakter für das

„Böse“.

Das Dispositiv umrahmt Situationen oder vielmehr ist es selbst die gewachsene, durch den

Diskursverlauf, Geschichte und aktuelle Geschehnisse konstruierte Situation, aus welcher

heraus Machtkonstruktionen stattfinden können, respektive generiert werden.

Das jeweilige Dispositiv wird also bei jedem der untersuchten historischen Momente in erster

Instanz analysiert, um seine begünstigende Wirkung für Machtkonstruktionen eines gewissen

Diskurses verstehen zu können. Die Vorgehensweise wird sich ferner an dem folgenden, von

Margarete und Siegfried Jäger aufgestellten, Postulat orientieren:

“Wenn die Analyse die Elemente des Dispositivs berücksichtigen soll, dann heißt dies,

dass Beschreibung und Bewertung der Sichtbarkeiten (oder Institutionen) und Praktiken

in die Analyse einfließen müssen. Schließlich soll gerade das Netz, die Logik der

Wirkung auf den Diskursverlauf erfasst werden, es sollen die jeweiligen Beziehungen

und Funktionen der Elemente zueinander in einem untersuchten historischen Moment

ermittelt werden.

Diese Vorgehensweise soll Auskunft auf die Frage generieren, wie dieses Dispositiv

reproduziert, verändert oder eben nicht mehr reproduziert wird, und dementsprechend mit

welchen Eigenheiten es ausgestattet ist.“10

2.5. Diskursanalyse

Es müssen die wichtigsten Diskurse des Untersuchungszusammenhangs analysiert werden.

Sie geben Aufschluss darüber, ob und wie diese Verflechtungen von Diskurssträngen und -

ebenen Teil des Diskurses um das „Schweizerische Selbstverständnis“ und der Konstruktion

von Feindbildern sind.

In einem weiteren Schritt werden die durch diese Analyse ermittelten, wichtigsten Praktiken

und Sichtbarkeiten des Dispositivs rekonstruiert. Diese Rekonstruktion erschliesst sich aus der

Analyse der relevanten Diskurse. Eine Erfassung der gesamten vielfältigen Praktiken und

Sichtbarkeiten ist nicht nur undurchführbar, sondern wäre auch falsch.

3. Vorgehen

Es wurde eine heuristische Vorgehensweise gewählt, anhand medialer Stoffe aus

diskursmächtigen Kanälen der jeweiligen Zeitpunkte, wird ein thematisches, aufgrund der

10

Zitiert aus: Jäger / Jäger, 2000

14

verwendeten rhetorischen Figuren und diskursiven Positionen ausgewähltes Sample

entnommen. Es wurde dabei auf Stoffe fokussiert, welche sich vornehmlich mit dem

Kommunismus und der Beschreibung kommunistischer Staaten, Führer oder Völker

beschäftigten und einen sichtbaren Effekt auf den Schweizer Diskurs beschrieben oder einem

solchen entsprechen. Begrifflich wurde nach rhetorischen Formen gesucht, die das „Böse“

oder den Feind bezeichnen oder behandeln, verarbeiten, deklarieren, sowie nach Orten und

Momenten der ausnehmenden diskursiven Reaktion auf die postulierten Dispositive;

vornehmlich in Form von Abgrenzung und Verdammung.

Diese Auswahl wurde mit Blick auf die Genese eines antizipierten Feindbildes Kim Jong Il

getroffen. Es wurde bereits im Vorfeld aufgrund der Lektüre der Schweizer Geschichte, der

Hinterfragung einiger Institutionen (wie beispielsweise dem Réduit oder der P27) eine

gewisse Charakteristika des (politischen) Bösen vermutet, die dann in die Auswahl

eingeflossen ist. Kim Jong Il ist eine politische Figur, die gerne in einem Atemzug mit den

„Feinden“ der westlichen Gesellschaft genannt und bezeichnet wird. Die Schweiz versteht

sich, wie hergeleitet werden wird, als Teil der westlichen Gesellschaft.

Natürlich hatte diese Auswahl in ihren ersten Gehversuchen einen gewissen post ex facto

Charakter: Es wurden politische Medienberichte ausgewählt, weil sich das Feindbild Kim

Jong Il mitunter durch seine politisch-ideologische Abgrenzung zur heutigen und wohl auch

damaligen Schweiz hervortut und sich der Diskurs um Kim in einer medialen Sphäre abspielt

die eben als „global-politisch“ bezeichnet werden kann. Es wurde ferner nach Institutionen

und Zeitzeugnissen gesucht, die eben eine Basis vermuten lassen oder Verständnisbeiträge

liefern, für das was die Schweizer Gesellschaft auch heute noch als Feind betrachtet. Auch

befindet sich die Schweiz nicht in einer isolierten Seifenblase, sondern ist eben Teil einer

Welt, die wiederum (wie dargelegt werden wird) Teil der Schweiz ist. Von der Mode über die

Popkultur bis hin zur politischen, wirtschaftlichen und im Endeffekt normativen

Positionierung ist die Schweiz beeinflusst durch eine stetig (zumindest diskursiv) enger

zusammenrückende Welt.

Diejenigen Medienberichte, die sich auf Geschehnisse im “Ausland“ beziehen, wurden

aufgrund ihres für die Untersuchung des Diskurses um das Selbst- und Feindbild der Schweiz

interessanten „Dispositiven Charakters“ ausgewählt. Im konkreten Fall handelt es sich um

jene Medienberichte, die globalpolitisches Geschehen um den ideologischen West-Ost

Antagonismus multiplizieren, in die Schweizer Gesellschaft einarbeiten oder umreißen.

15

Wie erwähnt, wird an jedem untersuchten historischen Punkt erst das relevante Dispositiv

analysiert und in einem Folgeschritt der jeweilig relevante Diskurs. Diese Einschränkung ist

notwendig, da das umfassende Dispositiv aus einer schier unendlichen Anzahl an Facetten

konstruiert ist. Insofern wird eine Schwierigkeit darin bestehen, das Dispositiv von dem

spezifischen Diskurs abzugrenzen, zumal die internationalen politischen Geschehnisse

beispielsweise als Teil des Dispositivs begriffen werden, allerdings gleich dem Diskurs

medial kommuniziert werden. Sie spielen sich also zumindest in der Wirkung auf den

untersuchten Raum in der diskursiven Ebene ab, sind gleichzeitig dem untersuchten Diskurs

aber in keiner Weise unterworfen und haben in diesem Sinne „rein“ dispositiven Charakter.

Spezialfälle, wenn man so will, bilden Momente in welchen die Schweiz als Staat Teil des

globalpolitischen Diskurses wird.

So ist die Überwachung des Friedensprozesses in Nordkorea theoretisch eine solche Situation.

Allerdings würden sich auch in einem solchen Fall (entsprechend der vorliegenden

Interpretation) Dispositiv und Diskurs erst überschneiden, wenn beispielsweise diese

Friedensmission aufgrund globalpolitischer Geschehnisse Gegenstand des Diskurses in der

Schweiz würde. Mit anderen Worten, wenn man im Nationalrat den Abzug der

Friedensmission aufgrund nordkoreanischer Truppenmobilisierung fordern würde. In einem

solchen Szenario würden Bestandteile des untersuchten Diskurses, Teil des für die

Untersuchung relevanten Dispositivs. Würde der Schweizerische Diskurs etwa zu einem

effektiven Abzug der Friedenstruppen führen, was wiederum eine Eskalation begünstigen

würde, was wiederum dazu führen würde, dass sich das Dispositiv von „angespannte

globalpolitische Situation“ zu „eskalierte politische Situation“ veränderte. Das ist natürlich

rein hypothetisch gesprochen und nur herangezogen zur Illustration. Es befinden sich

übrigens immer noch Schweizer Truppen an der Nord-/Südkoreanischen Grenze und eskaliert

ist die Situation trotz Sechzig Jahren Säbelrasseln immer noch nicht.

Ein drohender Krieg zwischen Kuba und Amerika etwa, ist ein Diskursgegenstand in der

Schweiz, aber gleichzeitig Teil des Dispositivs, da der schweizerische Diskurs im Sinne der

theoretischen Struktur der Untersuchung post ex facto darauf reagiert. Zudem ist die

Kubakrise an und für sich ein Diskurs der sich zwischen den beteiligten Akteuren und

Institutionen in einem spezifischen Dispositiv abspielt, aber für die mediale Verarbeitung in

der Schweiz sind diese Diskurse Teil des Dispositivs.

16

Die zentralen Aspekte der diskursanalytischen Betrachtungsweise werden durch folgende

Fragen aufgegriffen:

Akteure: Wer agiert mit welchem Anspruch, wie werden Akteure aggregiert. Wie verändern

sich diese Interessen?

Wen ermächtigt der Diskurs?

Wen schließt der Diskurs aus?

Wer besitzt, weshalb Diskursmacht?

Aus der punktuellen Beantwortung dieser Fragen wird die Konstruktion von „Selbst“, dem

„Bösen“ und dementsprechend „des Feindes“ in der Schweizer Gesellschaft nachgezeichnet

werden.

4. Definitionen des Bösen

Die Konstruktion des Bösen verlangt nach einem Begriff des Bösen, einer grundsätzlichen

Entstehungsstruktur und einer Definition.

Zu eben dieser Definition und theoretischen Genese des Bösen insbesondere des kollektiv

getragenen Feindbildes werden mitunter die Arbeiten von Simone Wagener herangezogen.

Sie beschreibt die Geburt der Feindschaft als von einer Art „Schwarzmagischem Charakter“:

„Es ist eine Art schwarzer Magie, wenn ein Begriff, der einen Traditionsverein

bezeichnet, dazu verwendet wird, eine Personengruppe zu stigmatisieren, die mit der

Entstehung dieser Feindschaft nicht das Geringste zu tun hat. Da dieses Feindbild nicht

nur dazu dient, den – scheinbaren – Feind zu bezeichnen, sondern vor allem, seine

Verfolgung zu legitimieren, muss es eine Eigenschaft aufweisen, die das Gewissen des

Täters entlastet: Die Identifizierung des Fremden mit dem Bösen.

(..) Er (Der Feind) ist von mir ausgegrenzt, ausserhalb meiner Normen und jenen meiner

Gesellschaft. Die Tatsache, dass ich das böse in ihm bekämpfe, beweist, dass ich keinen

Teil daran habe.“ 11

Was Wagener hier als schwarze Magie bezeichnet, ist mitunter Gegenstand dieser Untersuchung.

Um etwas vorzugreifen: Es bedarf keiner Hexen und schwarzer Katzen, um „Böses“ zu

konstruieren, obwohl sie, wie die heilige Inquisition bewiesen hat, dabei hilfreich sein können. Die

Genese des Bösen ist ein diskursiver Prozess, der als solcher, vor einem bestimmten Dispositiv,

bestimmte Diskurse und innerhalb dieser Diskurse verschiedene „Machtpositionen“ zu Tage

11

Zitiert aus: Wagener, 1999, Seite 35

17

fördert, die „das Böse“ für eine Gesellschaft bestimmen. Aufgrund „des Bösen“, lassen sich erst die

Feinde bestimmen.

In vorliegender Arbeit wird die Konstruktion des Bösen in den Medien untersucht. Die Medien, die

mit andauernd wachsender Reichweite dazu dienen „Orientierungen über Kultur, Gesellschaft - die

Welt insgesamt zu vermitteln“12

, sind dazu besonders geeignet. Da das Böse sich in der Welt der

Begrifflichkeit findet und nicht in der materiellen, wie dargelegt wird, durchaus eine

„Materialisierung“ zu einem Feindbild durchaus stattfindet.

Die Untersuchung findet also in einem Bereich der begrifflichen Konstruktion statt und nicht im

Bereich der materiellen. Also würde auch ein real existierender Ressourcenkampf beispielsweise

nicht auf seine ideologische Ausrichtung hin betrachtet, auch wenn dieser Kampf einen zumindest

zeitweiligen „Feind“ oder wohl eher „Rivalen“ mit sich bringen dürfte.

4.1. Keine Verteidigung ohne Feinde

Die geistige Landesverteidigung bietet sich für eine solche Untersuchung an, zumal sie eine

Kategorie ist, auf deren Existenz und Berechtigung die Schweizer Gesellschaft weitgehend einigte,

w.h. sie war ein politisches, intellektuelles und gesellschaftliches Programm, das sich eben

weitgehend im Geiste abspielte und dann auf die Lebenswelt auswirkte.

Das Grundprinzip der geistigen Landesverteidigung war es, sich (als Schweizer und in dessen

Konsequenz als Schweizer Gesellschaft) ideologisch zu definieren oder, je nach Auslegung, diese

Ideologie, die Schweizer Eigenheit zu erhalten. Die antizipierte Notwendigkeit dazu entsprang

einem neuartigen Weltpolitischen Dispositiv, welches durch seine bipolare Konstruktion eine

ideologische Positionierung nach außen und dementsprechend auch nach innen forderte. Die

geistige Landesverteidigung war sowohl institutionell getragen als auch von diversen

gesellschaftlichen Gruppen multipliziert.

Der Diskursstrang veränderte sich im Verlauf der letzten 70 Jahre stark. So wird die geistige

Landesverteidigung zu Beginn sehr breit getragen, mit der „Verengung“13

derselben, entsteht eine

zunehmend schärfere Charakterisierung des Bösen und dementsprechend des Feindbildes. Diese

„Verengung“ der geistigen Landesverteidigung folgte aus der Vereinnahmung durch konservative,

bürgerliche Kreise, die sich gegen jegliche Form progressiver Haltungen zu wehren begannen.

12

Zitat aus: Hickethier, 2008, in: Faulstich (Hrsg.),S.228

13 Gem. Mäusli 1995, S.35

18

Diese Protagonisten und Träger der (späten) geistigen Landesverteidigung griffen für ihre

Weltbildkonstruktion im Wesentlichen auf Werte zurück, die sie als althergebracht und urtümlich

ausflaggten: In konstanter Rückbezogenheit auf die Ursprünglichkeit der Schweiz, eine

Idealisierung des Bauernstandes, volkstümlicher Kunst und Musik und die entsprechenden Normen.

Die Feindbildkonstruktion, wie sie in der späten geistigen Landesverteidigung auftrat, weist also

gewisse fundamentalistische Grundzüge auf. Dementsprechend wird hier der Beschreib

fundamentalistischer Strukturen und ihrem Verhältnis zum Bösen von Carola Meier-Seethaler

herangezogen:

„Bis heute besteht das Wesen und die Tragik des Fundamentalismus jeglicher Provenienz

im Versuch, was moralisch Böse zu substantialisieren oder auf eine bestimmte

Personengruppe zu projizieren. Nur so kann von einer roten Gefahr oder einer Achse des

Bösen die Rede sein. Es werden bestimmte Religionen, Kulturen oder

Gesellschaftssysteme im Kontrast zu der eigenen, althergebrachten, negativ stigmatisiert.

Dabei scheint die trügerische Überzeugung, das schlechthin Gute zu vertreten, ein

Feindbild dringend zu benötigen, um den Kampf des Guten gegen das Böse

aufrechtzuerhalten.“ 14

Diese Definition ist auf den Diskurs um die Selbstfindung der Schweiz des späten kalten

Krieges durchaus anwendbar. Eine Rhetorik des Guten gegen das Böse fand schon innerhalb

der ersten drei Jahre der Nachkriegszeit Eingang in den Diskurs um das Schweizer Selbstbild.

Um sich in ein derart dichotomes Weltbild, wie es sich durch die globalpolitischen

Geschehnisse herauszukristallisieren begann, einzugliedern ist die Festlegung auf ein Böses

offenbar unabdingbar, zumal das Böse ein notwendiger Baustein für die Konstruktion

spezifischer Selbst- als auch Feindbilder darstellt. Ohne einen Feind, so scheint es, weiss ich

nicht wer oder was ich selbst zu sein habe. Ob diese Konstruktionsweise eine nur dem

Fundamentalismus zuzuordnende ist, sei dahingestellt, es ist für die Untersuchung auch nicht

nötig den fundamentalistischen Charakter der späten geistigen Landesverteidigung zu

beweisen. Doch ist die Wechselwirkung zwischen einem eigenem, bekannten „Guten“ und

dem fremden „Bösen“ durchaus wichtig, zumal sich daraus die Wechselwirkung zwischen

Selbst- und Feindbild abzeichnet.

Der von Meier-Seethaler postulierte Zusammenhang zwischen einer fundamentalistischen

Haltung (die im Kontext der geistigen Landesverteidigung einer gemäss Theo Mäusli

„engeren“ Auffassung derselben durchaus entspricht), die sich durch Enge und

Rückbezogenheit kennzeichnet und derweil ebenfalls ein engeres, stärkeres Feindbild

14

Zitiert aus: Meier-Seethaler, 2008, In: Faulstich (Hrsg.), S.48

19

konstruiert, wird im Kontext der späten geistigen Landesverteidigung zu beobachten sein und

veranschaulicht den Prozess der Feindbildkonstruktion dankbar.

Dieser Prozess der Feindkonstruktion versteckt sich bereits hinter dem Begriff der

„Verteidigung“ an sich. „Verteidigung“ impliziert die Abwehr gegen einen Feind, die geistige

Landesverteidigung ist also mit ihrem Entstehen gleich die verlangende Basis für die

Konstruktion eines neuen Bösen. Mit anderen Worten die geistige Landesverteidigung kann

nicht ohne Feindbild existieren. Keine Verteidigung kann das.

Es ist das Wesen jeder Verteidigung, dass sie nachdem der urtümliche Feind, gegen den sie

in ihrer Ursprungsform gerichtet ist, besiegt oder verschwunden ist, als „Verteidigung“

entweder obsolet (wie mittelalterliche Stadtmauern) oder mit einem neuen „Bösen/Feind“

betraut wird, gegen das es sich zu verteidigen gilt. Dieses „Böse“ wird sich in einer weiteren

Entwicklung in konkreten Feindbildern äussern und ist so die Grundlage derselben.

4.2. Das Böse, Recht und Gewalt

Im Folgenden wird die Konstruktion von Feinbildern auf Basis des Bösen hergeleitet. Es wird

das Böse definiert und sein Verhältnis zu Feindbildern und den daraus folgenden

Konsequenzen dargelegt. Wagener nähert sich dem Thema des Bösen über den Versuch einer

Erklärung kollektiver Gewaltanwendung:

„Wenn wir nach den Ursachen von kollektiver Gewaltanwendung fragen, ob Kriege oder

Gruppenterror, stossen wir regelmässig auf das Phänomen Feindbild. Eine Nation, eine

Gruppe verständigt sich darauf, in einer anderen Nation, einer anderen Gruppe von

Menschen den Feind zu sehen. Ein solches Feindbild - der Begriff entstand übrigens erst

in den achtziger Jahren, obwohl das Phänomen so alt ist wie die Menschheit - ist ein

bisher kaum untersuchtes kollektives Phantasma ,,ein wahnhaftes Gruppen-Vorurteil, das

in seiner Substanz keinen anderen Zweck hat, als aggressive (physisch oder psychische)

Handlungen zu rechtfertigen.“15

Nach Wagener handelt es sich also bei einem Feindbild vornehmlich um eine Kategorie die

eine daraus folgende Handlung rechtfertigt. Eine Legtitimationsstruktur, die den Mörder von

dem tapferen Soldaten oder dem texanischen Staatsanwalt zu unterscheiden vermag.

Besonders relevant für diese Untersuchung ist der Umstand, dass Feindbilder sich gemäss

Wagener nur in der Sprache ausdrücken, also wie einleitend betont keine Kategorie, Wesen

15

Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 20

20

oder Gegenstände von Natur aus sind. Es ist nicht jeder Wolf ein böser Wolf sondern nur

derjenige der das Dorf bedroht. Ganz ähnlich ist die Bezeichnung des Feindes auf den

Menschen anzuwenden: Nur derjenige Mensch der dem Bösen entspricht, es verkörpert, ist

ein Feind. „Feind“ zu sein ist also ein Titel, eine Bezeichnung und demzufolge eine

Begriffliche Kategorie. 16

4.3. Feind oder Rivale

Sehr wichtig bei dieser Betrachtung ist die Trennung von Feind, Rivalen/Kontrahent und

Kampf zumal die Situation des Kampfes allein den Feind noch nicht definiert. Nehmen wir

nach Wagener an, zwei Bewaffnete treffen zufällig aufeinander und wollen sich nicht aus dem

Weg gehen, sondern beginnen zu kämpfen.

““In einem solchen Szenario wird ein Feindbild nur insofern wirksam, als derjenige, der

einem ans Leben will, in diesem Moment der Todfeind ist.““17

Er ist der momentane Todfeind, weil er eben den anderen töten möchte, aus welchen Gründen

auch immer. Doch sind es eben diese Gründe die den „bösen Feind“ vom an sich „neutralen

Rivalen“ unterscheiden. In einem Fall von schierer Rivalität erübrigt sich eine ideologische

oder überhaupt abstrakte Konstruktion, da dieser Feind „nur“ eine augenblickliche physische

Lebensbedrohung ist, gleich einer natürlichen Lebensbedrohung, die sich ausschliesslich

konkret, in der materiellen Realität abspielt. Beide Bewaffneten kämpfen also um ihr Leben,

gleich wie sie gegen eine Lawine ankämpfen würden, nicht um die Lawine zu besiegen,

sondern um ihr eigenes Leben zu retten.

Diese Situation ist allerdings noch kein Kampf gegen „das Böse“. Es wird nicht um Ideologie

sondern vielleicht um Gegenstände oder Wegrechte gekämpft. Der Feind als abstrakte

Konstruktion „Feindbild“ ist aber eben das: Ein Bild, eine Vorstellung, eine Konstruktion.

Das Feindbild ist so weitaus komplexer als die schiere Bedrohung für Leib und Leben. Es

wird auf anderen Ebenen und im Wesentlichen aus anderen Gründen bekämpft und aus diesen

„anderen“ Gründen bezieht die Vernichtung des Feindes auch seine Legitimität. Nicht weil er

meiner Physis oder Ansprüchen an den Hals will, sondern weil das wofür er steht mit dem

wofür ich stehe unvereinbar ist und deshalb ausgelöscht werden soll und zuweilen auch darf.

16

Gem. Wagener, 1999, S.20

17 Zitat aus: Wagener, 1999, S.20

21

Es handelt sich also bei dieser Beispielsituation um eine „situative Feindschaft aus

„Notwendigkeit“. 18

Wagener unterscheidet das Feindbild von dem beschriebenen Zustand durch seine

Eigenschaft:

„“(..) der stufenweisen Vorbereitung zum Handeln (dienend). Zum einen soll es als ein

Albträume hervorrufendes Phantom die Ruhe der Bürger stören. Zum anderen ist es eine

Wegfanfare, ein Angriffssignal, eine Lizenz zum Töten.““

““Der Kampf, die Auseinandersetzung an und für sich bildet also nicht die Grundlage für

ein Feindbild. Zu Feindbildern werden Menschen gemacht, die eine Position vertreten,

welche als Böse identifiziert wurde, anders formuliert ist mein Feind jener der das

Gegenteil meiner Auffassungen des Guten vertritt.““19

Aus diesem Beziehungsgeflecht heraus, wird die „feindgenerierende“ Rolle des Schweizer

Selbstverständnisses via geistige Landesverteidigung untersucht. Gerade die Feindbild

generierende Funktion der geistigen Landesverteidigung ist wiederkennbar in Wageners

Beschreibung des Fremden in seiner Beziehung zum Feind:

„Ein Feindbild setzt Distanz und Anonymität der Begegnung voraus, es ist eine

Begleiterscheinung kollektiver, nicht privater Feindschaft. Diese Untersuchung handelt

von einem sprachlichen Phänomen, um einen durch Übereinkunft entstandenen Begriff

mit relativ harten Rändern, ähnlich dem Stereotyp, aber vielschichtiger, mit tiefen

etymologischen Wurzeln und Jahrtausendringen variierender Bedeutung, zuweilen

aufladbar mit tödlicher Aggression. Jederzeit können diffuse Ressentiments und

gestaltlose Ängste ein "ruhendes" kaum mehr gebrauchtes Feindbild aktivieren.“20

Ein Prozess, den die Überfremdungsinitiative illustrieren wird. So Wagener weiter:

„„Die Verflechtung eines Feindbildes mit der Wirklichkeit ist unterschiedlich dicht; einen

Kern historischer Erfahrung enthält es immer. In das Barbarenbild der Griechen floss die

Begegnung mit den Persern ein. Selbst auf dem Grund der Antichrist-Projektion findet

sich die Erinnerung an die iranischen Herrscher des Altertums.““21

Der Erinnerung an die persischen Herrscher ist, am Rande bemerkt, auch in der

gegenwärtigen weltpolitischen Lage eine gewisse Aktualität nur schwer abzusprechen.

Entscheidend für diese Untersuchung ist nicht unbedingt die die Kulturen historisch

übergreifende Erinnerung, so mag unsere Kultur zu großen Teilen auf jener der alten

Griechen basieren, doch wird im Zuge dieser Untersuchung, die Erinnerung, die

18

Wagener, 1999, S.21

19 Zitat aus: Wagener, 1999, S.35

20 Zitat aus: Wagener, 1999, S.21

21 Zitat aus: Wagener 1999, S.21

22

Reaktivierung über weitaus kürzere Zeiträume festgestellt und analysiert werden. Kurzum;

dieselbe Kultur vermag sich mindestens so gut an sich selbst zu erinnern wie an vergangene

Kulturen.

Diese Prozesse des Erinnerns werden besonders nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und

später im Kontext des Zusammenbruchs der Sowjetunion ersichtlich.

Wie im Verlauf der Untersuchung aufgezeigt wird, sind diese konkreten Ausprägungen ohne

weiteres von der abstrakten Größe „Feindbild“ trennbar. Der Putsch gegen Gorbatschow

illustriert diesen Prozess. Begründeter Weise wird sich an jenem Punkt die Trennung

zwischen „den Russen“ und dem „Feindbild“ „Sowjets“ vollziehen. Ganz besonders

augenscheinlich wird dieser Vorgang am Beispiel der Roten Armee, die bis zu jenem

Zeitpunkt konkreteste Form „kommunistischer Bedrohung“, die durch Berichte von

desertierenden Soldaten, ganz ähnlich dem russischen Volk, zwar als Feindbild bestehen

bleibt, aber von ihren „menschlichen Ausprägungen“ getrennt wird. Also sobald der Soldat

desertiert, sich so unter Inkaufnahme einiger persönlicher Risiken von der Roten Armee

abgrenzt, ist er kein Feind mehr, sondern fast ein Verbündeter im Kampf gegen das Feindbild

„Rote Armee“, da er mindestens in gleichem Ausmaß Bedrohung von diesem Feindbild

erfährt, wie es die Schweizer Bevölkerung tut.

“Abgelöst von seinem konkreten historischen Bezug, wird das Feindbild laut Wagener

zur Form ohne Inhalt.“22

Diese Analyse wird demonstrieren wie das Feindbild als (je nach Dispositiv aktivierbare)

Form bestehen bleibt, aber wieder mit neuem Inhalt aus dem Fundus des erinnerbaren Bösen

gefüllt werden kann. Wagener versteht das als Model das verfügbar bleibt um

„“..die Personengruppen, welche hineinpassen der kollektiven Aggression auszuliefern.

Diese Aggression erfährt ihre Legitimation durch das Feindbild.““ 23

Auf dieser Basis funktioniert beispielsweise der Krieg gegen den „Terror“: „Terror“ ist das

„Böse“, wer glaubhaft zum Assistenten des Terrors oder gar zu einem Terroristen stilisiert

wird, ist ein Feind und daher legitimer Weise bekämpfbar. Diese „Reaktivierungsprozesse“

produzieren jeweils eine Vielzahl an Diskursen, die eben diese Kategorisierung betreffen.

Wo beginnt das „Böse“? Wo trifft es nicht zu? Wann werden wir selbst „böse“? Es ist

nämlich nicht nur der „Terror“ sondern auch der „Rassist“ oder der „Folterer“ in dem

22

Zitat aus: Wagener, 1999, S. 21

23 Zitat aus: Wagener, 1999 S. 21

23

Feindbild der westlichen Gesellschaft enthalten. Man bezieht sich beispielsweise gerne auf

Folter um gewisse „fremde“ Regierungen in die Kritik zu ziehen. Ferner sind unter Folter

erwirkte Geständnisse vor Schweizer Gerichten als Beweismittel nicht verwertbar.

Dementsprechend entstehen auch Diskurse die den Unterschied zwischen einem potenziellen

Terroristen und einem unbescholtenen Muslim betreffen. Oder andere die den Unterschied

zwischen einem „guten“ Polizisten und einem rücksichtslosen Folterer thematisieren. Es gilt

in diesem Beispiel den Terroristen als Feindbild zu charakterisieren und derweil nicht selbst

zum Rassisten (der jeden Muslim undifferenziert als Feind versteht), einem anderen Feindbild

zu werden respektive rassistische Handlungsmuster zu übernehmen, da die legitime

Feindschaft auf den eigenen als „gut“ verstandenen Werten basiert, die jenen des Rassisten

widersprechen.

Es versteht sich von selbst, dass diese beiden, sich in gewisser Weise gegenüberstehenden

Aus- oder Abgrenzungslinien von unterschiedlichen Gruppierungen resp. Diskursteilnehmern

unterschiedlich betont und genutzt werden.

4.4. Das Territorium des Bösen: Von der Kategorie zur Wirklichkeit

Wagener verweist die Feindbilder also in die Welt der Begrifflichkeit:

„„Feindbilder sind Erfindungen der Sprache, Bezeichnungen, die unabhängig von ihrer

Wirklichkeit, Verweise im literarischen Kontext entwickelt, abgewandelt, definiert und

interpretiert werden. In unserer Kultur der Schriftlichkeit, die sich in virtuellen Territorien

reproduziert . Da das Feindbild nur in diesem virtuellen Territorium existiert und nicht

naturgegeben ist, übernehmen folglich auch die Begriffe das Kommando über

Wahrnehmung: Wir begreifen nur, wofür wir Wörter haben. Folglich können Werte sich

vor die Wirklichkeit schieben, bis nichts mehr von ihr zu erkennen ist.““24

Dies ist die Voraussetzung für das, was Wagener als Wort-Magie bezeichnet, die in der

propagandistischen Verwendung eines Feindbildes steckt „Es verzerrt das Gesicht des

Gegners und entzieht ihm so seine Menschlichkeit“.25

Auch Knut Hickethier qualifiziert das Böse als reine „Kategorie der Zuordnung“.26

Er

unterscheidet weiter das Böse vom Schlechten. Dem Schlechten hafte eine Passivität an, die

24

Zitat aus: Wagener Sybil, 1999, Seite 21

25 Wagener, 1999, Seite 22

26 Hickethier in: Faulstich (Hrsg.), 2008, S.228

24

es vom wirklich Bösen unterscheidet. Das Böse ist aktiv, dringt in unser Leben ein und

bedroht es.27

Unter Zuhilfenahme Wageners lässt sich so ein Zusammenhang herstellen zwischen dem

Bösen als Kategorie des aktiven Schlechten, das in seiner Ausprägung, dem Feindbild real

wird.

“Feindschaft ist etwas Reales. Der Begriff "Feindbild" kommt in älteren Etymologischen

Wörterbüchern nicht vor, wohl aber der "Feind". Grimms "deutsches Wörterbuch

"entnimmt sein Beispiel der Tierwelt: "Katze ist der Mäusefeind." Gemeint ist der

"natürliche Feind " der im Gleichgewicht der Natur dafür sorgt, dass eine bestimmte Art

nicht überhandnimmt. Die Jäger-Beute-Konstellation hat jedoch einen ganz anderen

Status als das, was wir unter Feindschaft verstehen, denn sie ist einerseits asymmetrisch

und andererseits naturgegeben. Ein Lebewesen greift an, während das andere,

unterlegene, zu entkommen versucht. Als Jäger tritt der Mensch auf, wenn er andere

Arten verfolgt.“ 28

Dieses tierische Charakteristikum als rhetorische Figur im Diskurs um das Gute, findet sich

anders beleuchtet auch in Diskursen um die Revier- und Treibjagd. Dort wird umgedreht, statt

tierisch verzerrt, das tierische vermenschlicht. Gegner der Jagd betonen den Jäger als Täter

und stellen das Tier als dessen (in diesem Sinn vermenschlichtes) Opfer dar, während die

Jäger selbst ihren Sport als Hege (sich und ihre Rolle also auf einen natürlichen Prozess

beziehen) bezeichnen, das erlegte Tier im Idealfall zur Nahrung nutzen und sich so auf

Jahrtausende alte, legitimationsstiftende Tradition rückbeziehen.

Wer also weiterhin gerne Tiere jagen möchte betont deren „Tierisches“ und zieht daraus die

(traditionelle) Legitimation (zum Selbsterhalt beispielsweise) zu töten. Die Argumentation der

„Hege“ führt den Jäger als natürlichen Feind zu Felde, während jene die dies gerne verhindert

sähen, dem Tier menschliche Attribute verleihen und so die Legitimation zu töten in Frage

stellen. Relevant sind hier die Beziehungen Täter-Opfer im Kontrast zu Jäger-Beute. Ein

Jäger ist ein hungriges Tier, Beute ist naturgegeben. Ein Opfer ist eine Person, welcher Leid

(also aktiv Schlechtes), angetan wurde. Ein Täter ist jemand der absichtlich schlechtes tat und

deshalb böse ist.

In der untersuchten Feindbild Konstruktion läuft dieser beispielhaft angeführte Prozess in die

andere Richtung, der (menschliche) Feind ist die entmenschlichte Manifestation des „Bösen“

insofern er aktiv „das Schlechte“ betreibt. Der Feind wird tendenziell entmenschlicht.

27

Hickethier in: Faulstich (Hrsg.), 2008, S.228

28 Zitat aus: Wagener, 1999, S. 22

25

„„Denn, basierend auf dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen setzen wir erst wenn sich

die Aggression gegen schwächere der eigenen Art richtet, die asymmetrische Beziehung "Täter-

Opfer" dafür ein.““29

Das Tier kann also erst durch seine Vermenschlichung zum Opfer werden, der Mensch erst durch

seine Entmenschlichung zum Feind. „Das aktiv Schlechte“ ist dieses Opfer als Täter zu jagen, was

im angeführten Beispiel den Jäger, als aktiven Betreiber dieses „Schlechten“ in eine Täter- und

deshalb Feindposition rückt.

Diese Kategorie des tierischen als diskursive Figur um das „schlechtere“ existiert schon seit

den Anfängen unserer Kultur:

“…schon mit der Unterscheidung, die nicht nur in der Antike, sondern auch im

ausgehenden Mittelalter das Denken prägte, zwischen zivilisierten Menschen und halb

wilden Barbaren, die "Sklaven von Natur" seien und besser wie Tiere gejagt werden

dürften.“30

Aristoteles kategorisierte bereits in seiner Politeia, ein Werk das heute zu den Grundsteinen

unserer politischen Kultur gezählt wird, gewisse Menschen als Sklaven von Natur aus und

legitimierte so seine Gesellschaftsordnung, in welcher Sklaven kaum mehr als sprechender

Besitz waren.

Wagener zieht nun, die dem in der westlichen Kultur als Norm verbreiteten dem Konzept der

Gleichheit entsprungene Institutionen wie die Menschenrechte heran um den Feind einer Definition

„als vergleichbar stark“ zu unterwerfen:

“Wenn es sich um eine als symmetrisch antizipierte Konstellation von gleichstarken bzw.

gleichermassen bewaffneten handelt, sprechen wir von Feindschaft. Gegner, Kontrahent,

Rivale, Widersacher – die Synonyme setzen Vergleichbarkeit voraus.“

Es handelt sich also bei Wageners Feind um eine Rivalität unter Gegnern einer ähnlichen

„Gewichtsklasse“, wenn man so will. Der Rivale ist in dieser Untersuchung allerdings, wie

eingangs dargelegt, nicht zwingend die Verkörperung eines Bösen und so nicht zwingend die

Manifestation eines Feindbildes und daher nicht unbedingt ein Feind. Genauer ist der Feind

in seiner Funktion als Bedrohung, als aktive Kraft „des Schlechten“ auch ohne weiteres als

mächtiger, gar übermächtig vorstellbar. Gerade aus dieser Asymmetrie, in der der Schwächere

unter Verachtung aller Risiken das „Gute“ gegen „die böse“ Bedrohung erfolgreich verteidigt,

ziehen die meisten Geschichten ihren Reiz und vor allem das identifikationsstiftende

29

Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 22

30Zitat aus Wagener, 1999, Seite 22

26

Heldentum. Zudem ist die „Übermacht“ eine Vorraussetzung für die Opferkonstruktion,

welche wiederum Adressat des „aktiv schlechten“ ist.

Weniger vorstellbar ist ein schwächerer, an und für sich sowieso unterlegener Feind.

Natürlich verstehen Neonazis den einen Immigranten den sie gerade zu fünft durch die

Gassen jagen als Manifestation des von ihnen antizipierten Bösen und dementsprechend als

Feind. Auch wenn sie zahlenmäßig überlegen sind, fürchten sie sich vor dem Komplex des

„Bösen“ für welchen der Immigrant steht: Arbeitslosigkeit beispielsweise, einen drohenden

Schatten dem sie ohnmächtig (weil oftmals schlecht ausgebildet) gegenüberstehen.

Der Feind bleibt also nur solange Feind, wie er ein „Böses“ verkörpert und so eine aktive

Bedrohung des Schlechten darstellt. Ein Immigrant tut dies in den Augen der Neonazis schon

alleine durch sein Dasein. Der Feind unterscheidet sich also in der vorliegenden Untersuchung

von einem Kontrahenten oder einem Rivalen durch die abstrakte begriffliche Konstruktion,

die hinter oder über ihm steht. So sind wie erwähnt Selbstverteidigung oder Nahrungs- und

Territoriums Konflikte als instinktive Handlungen zu begreifen, die aus Selbstschutz oder

Notwendigkeit heraus geschehen und meistens dann vorüber sind wenn (unter der Annahme

eines neutralen Raums) die antizipierten Kosten der weiteren Konfrontation, den

vermeintlichen Gewinn zu übersteigen beginnen.31

Gemessen an der Härte der Strafen, die in den meisten Staaten auf Fahnenflucht stehen, darf

man davon ausgehen, dass die Mehrheit der Soldaten das Kämpfen an einem gewissen Punkt

einstellen würde, wenn man sie ließe.

Soldaten kämpfen aber in erster Instanz gegen Feindbilder, nicht gegen Rivalen. Also im

Wesentlichen gegen ein abstraktes „Böses“, das sich in den gegnerischen Soldaten

manifestiert. So sind sie bereit, obwohl sie wahrscheinlich im Normalfall lieber vermeiden

möchten jemanden zu töten, es doch zu tun und mit ihren Waffenbrüdern in einem Konvoi

genau dahin zu reisen, wo die Chance am grössten ist, dass sie selbst getötet werden. Sie töten

also nicht den Menschen Alexej Ibramowitsch (Name frei erfunden) sondern den

sowjetischen Soldaten vorne links, der im Namen des Kommunismus die Demokratie bedroht.

Das hier untersuchte Böse findet sich also in der symbolisch vermittelten Welt, in der wir uns

mithilfe der Sprache eingerichtet haben, statt. Diese Welt bezeichnet Wagener als virtuelles

31

Gemäß: Wagener, 1999, S.23

27

Territorium. Diese Welt, der durch „Werte hervorgerufenen Vorstellung“32

schiebt sich

gemäß Wagener in unserer Wahrnehmung neben und über die reale Welt.33

“..(..)ein Begriff wie "Feindbild" trägt der Tatsache Rechnung, dass wir auch die Realität

der Feindschaft durch den Filter unseres Bewusstseins wahrnehmen.“34

Die Quelle dieses virtuellen Territoriums verortet Wagener ähnlich wie Hickethier in sozialer

Konditionierung (Wageners „Lebensschule“ und die Erprobung der gelernten Strategien und

Hickethiers Orientierungskriterien).35

Dies unterstreicht die Diskursabhängigkeit insofern das

„Böse“ nur als Diskursfigur existiert:

Jeder soziale Verband vertritt eine mehr weniger geschlossene ideologische

"Lebensschule". Falls sich die dort gelernten Strategien in der erweiterten Umgebung

bewähren, wird der junge Mensch dabei bleiben. Würden diese Strategien ihn jedoch mit

der Realität, im Sinne einer Realität einer sozialen Um- und Aussenwelt in Konflikt

bringen, wird er sie entweder korrigieren, oder in eine Aussenseiterposition geraten. In

der Tat erfolgt die Korrektur einer solchen „falschen“ Vorstellung durch die Realität nicht

zwangsläufig. So fest gefügt kann die innere Plattform, das virtuelle Territorium sein,

dass es jeder Anpassung an die Tatsachen widersteht.

Durch internen Konsens bei systematischer Abschottung gegen die Aussenwelt werden

die wildesten Realitätsverzerrungen möglich. 36

Es muss hier logischerweise von der durch den Begriff „Verzerrung“ implizierten

Deutungshoheit abgesehen werden, zumal jede kulturelle Konditionierungsstruktur, (um

Wageners Begriff der „ideologischen Lebensschule“ mit dessen intragesellschaftlichen

Erprobungsprozessen zusammenzufassen) zu der nächsten per Definition in einem gewissen

Maß verzerrt ist. Wagener attestiert dieses Potenzial zur Verzerrung insbesondere

geschlossenen Sozialsystemen. Je geschlossener das System ist, auf das sich eine Gruppe in

ihrem Selbstverständnis einigt, desto höher pflegt nach Wagener das Potenzial an interner

Realitätskonstruktion zu sein, der gegenüber die von allfälligen Außenwelten getragene

Realitätsvorstellungen als Korrektiv nicht immer willkommen sind.37

Jede radikal-politische Gruppe, jede exklusive Sekte hat, je „realitätsferner“ ihre

ideologische Plattform ist, je leichter würden Tatsachen sie zum Einsturz bringen können,

desto nötiger, sich gegen die Aussenwelt aggressiv und möglichst konsequent

32

Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 24

33 Wagener, 1999, Seite 24

34 Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 24

35 Hickethier, 2008 in: Faulstich (Hrsg.) , S. 228

36 Zitat aus: Wagener 1999 Seite 26

37 Gem. Wagener 1999 Seite 26

28

abzuschirmen. Es handelt sich um ein sich selbst verstärkendes System von Abschottung,

Erfahrung eigener Ausgrenzung und vertiefter Abschottung. Wenn sich die Binnenwerte

auf die man sich geeinigt hat destabilisieren und so die Integrität der Gruppe in Gefahr

gerät, hilft es, einen gemeinsamen Feind an die Wand zu malen, der den Binnenwerten

neue Verbindlichkeiten attestiert.38

Um dieser Untersuchung dienlich zu sein, muss dieser Aspekt allerdings anders beleuchtet

werden: Es ist hernach nicht zwingend die Differenz zwischen Realität und ideologischer

Kategorisierung, welche die Abschottung der Konditionierung stiftenden Gruppe von der

„Außenwelt“ verstärkt, vielmehr entsteht diese intensivierte Notwendigkeit aufgrund

antizipierter asymmetrischer Konstellation. Eben der Furcht vor einem ideologischen Täter,

der die eigene bedroht. Wageners „Realitätsbegriff“ scheint einem Mehrheitsglauben zu

unterliegen. In etwa nach der Logik: Je mehr Menschen jenen Vogel als blau bezeichnen

umso realer ist dieses Blau. Umso schwieriger wird es für eine kleine eingeschworene Gruppe

weiterhin die Überzeugung aufrecht zu erhalten, dass derselbe Vogel gelb sei. Diese

Schwierigkeiten bestehen natürlich intern wie extern. Dies jedoch nicht weil der Vogel

effektiv gelb oder blau ist, sondern deshalb weil der Diskurs um den Vogel von etlichen

Multiplikatoren blau gesprochen wird. Je zahlreicher und „diskursmächtiger“ diese

Multiplikatoren, diese Träger der Idee „der Vogel ist blau“ sind umso „blauer“ ist der Vogel

in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung. Würde plötzlich mit genügend

„Diskursmacht“ (aufbauend auf einem breiten Konsens beispielsweise) verkündet der Vogel

sei rot, so würde er rot sein. Es versteht sich, dass der Vogel nicht seine Farbe ändern würde,

denn die effektive Farbe des Vogels ist wohl Realität, der Begriff für die Farbe allerdings ist

Definitions- und somit Diskursabhängig. Ferner ist die Farbe eines Vogels als

Diskursgegenstand nicht besonders interessant, zumal die Bezeichnungen von Farben sich

einer gewissen allgemeinen Akzeptanz erfreuen. Anders verhält es sich mit Ideologien. Wenn

sich also eine kleine Gruppe, Gemeinschaft oder eben Kleinstaat einer ideologischen

Umgebung ausgesetzt sieht, die eine andere Auffassung der Wahrheit vertritt als sie selbst,

erlebt sie (oder er) dasselbe wie das Individuum:

Jeder soziale Verband vertritt eine mehr weniger geschlossene ideologische

"Lebensschule". Falls sich die dort gelernten Strategien in der erweiterten Umgebung

bewähren, wird der junge Mensch dabei bleiben. Würden diese Strategien ihn jedoch mit

der Realität, im Sinne einer Realität einer sozialen Um- und Aussenwelt in Konflikt

bringen, wird er sie entweder korrigieren, oder in eine Aussenseiterposition oder gar

Feindposition geraten.39

38

Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 26

39 Zitat aus: Wagener, 1999, Seite 26

29

Hier bietet sich ein Erklärungsansatz für das starke Bestreben der Schweizer Politik an, nicht

international isoliert zu werden, was mitunter ein starker außenpolitischer Motivator für die

Schweizer Regierungsinstitutionen zu sein scheint, heute wie damals.

4.5. Der Feind und das Fremde

Der Feind ist per se fremd, die Unterschiedlichkeit zur eigenen Kulturprägung definiert ihn

weitgehend. Nicht jeder Fremde ist aber ein Feind, jede Begegnung mit einem Fremden mag

kritisch sein, gerade weil sich hinter ihr bereits das Potenzial der Feindschaft verbirgt, man denke

an den Ausspruch: „Freund oder Feind“, den die mittelalterliche Torwache den nicht identifizierten

Neuankömmlingen entgegenzuschleudern pflegte. Der Fremde ist uns allein durch seine Gegenwart,

sein Dasein als „fremd“ bewusst, dass unsere Sprache, unsere Sitten, unsere äussere Erscheinung,

nicht universelle Geltung haben – was wir sind wird automatisch implizit relativiert. 40

Der Fremde ausserhalb unserer Grenzen rückt nur dann in unser Blickfeld, wenn wir in sein

Leben reisen oder Krieg mit dem „anderen“ beginnen. Der Fremde unter uns bringt daher stets

ein gewisses Konfliktpotenzial mit sich. Der Umgang mit den Fremden ist traditionell durch das

Gastrecht geregelt. "Fremder" und "Gast "sind im griechischen dasselbe Wort (xenos). Was den

Gast, zunächst schützt, ist die Tatsache, dass er entblösst erscheint: Er kennt sich nicht aus.

Jeder Einheimische kann sich ihm allein aus diesem Grund überlegen fühlen. Dieses

Überlegenheitsgefühl verhindert solange es besteht Konflikte, erst wenn Geltungsansprüche

formuliert werden und so etabliertes in Zweifel gezogen wird oder etabliertes im Zweifel

gesehen wird, beginnen die Konflikte.41

Diese Entwicklung ist im Diskurs um die Überfremdungsinitiative zu beobachten. Die

Italiener wurden geduldet, als Arbeiter, Teilnehmer der nationalen Wirtschaft bis zu jenem

Punkt an welchem sie ihre Kultur innerhalb der Schweizer Kultur zu leben und ihre

Unterlegenheit abzustreifen begannen. So wurde das „den Schweizer Frauen Komplimente

machen“, die hitzigere Herangehensweise an so ziemlich jede soziale Interaktion als auch das

lauthalse „herausbrüllen“ der eigenen Kultur den Italienern zum Vorwurf gemacht.42

Wagener definiert das Fremde über seine potenzielle Nicht-Zugehörigkeit im eigenen

virtuellen Territorium. Gemäss der hergeleiteten Begrifflichkeit des Guten sowohl als auch

des Bösen ist uns im „virtuellen Territorium“ ein Freund wer Teil hat an unserem

Wertesystem. „Er ist unser Mitbewohner auf dem Boden des Christentums, der

40

Zitat : Wagener, 1999 Seite 33

41 Zitat: Wagener, 1999 Seite 33

42 SRF, „mySchool“ vom 07.06.2012, «Zeitreise: Die Schwarzenbach-Initiative»

30

Menschenrechte, des Sozialismus“43

, der Landi. Der Vorgang der Zuordnung ist allerdings,

wenn nicht durch äußere Merkmale vereinfacht, analytisch komplex.44

Der Feind, der sich nicht äußerlich zu erkennen gibt, kann konsequenterweise erst aufgrund

des Vergleichs mit dem eigenen virtuellen Territorium identifiziert werden. Ein Diskurs ist

hier unabdingbar. Es ergeben sich aus diesem Umstand umgekehrt eine Reihe an

Missverständnissen, wenn ein potenzieller Feind eben nicht nach seinem „virtuellen

Territorium“45

gefragt sondern aufgrund seiner Äußerlichkeit kategorisiert wird. So wird das

Symbol der Feindschaft bewusst benannt: Uniformen, Knasttätowierungen oder Trikots,

während die eigene Kennzeichnung ebenfalls erfolgt aber aus der eigenen Perspektive mit

dem „Guten“ im Kontrast zum „Bösen“ beladen ist. So erfolgt die materielle Kennzeichnung

eines „virtuellen Territoriums“ als Zugehörigkeit und Abgrenzung gleichermassen. Doch

existiert auch ein „Innerhalb“ verfeindeter Gruppierungen insofern sich die „verfeindete“

Gruppe bereit erklärt, die Form in welcher die andere Gruppe ihre Zugehörigkeit demonstriert

als Symbol des Feindlichen zu kategorisieren und sich in gleicher Form kategorisierbar zu

gestalten.

So entscheiden beide der verfeindeten Armeen die Uniform zu tragen, sie zu verstehen und sie

so in ihrer Funktion zu akzeptieren. Gleichfalls ist die unabsichtliche Kennzeichnung

möglich. So ist ein schwarzer Schweizer eher der Anfeindung durch Fremdenfeinde

ausgesetzt, ganz egal seit wie vielen Generationen er sein Schweizersein nachweisen könnte

und obwohl er seine Hautfarbe kaum selbst gewählt hat.

Erfolgt die materielle Kennzeichnung jedoch nicht, bleibt uns nichts als die Sprache, um

Freund von Feind zu unterscheiden. Es existieren rhetorische Figuren, die eine Zuordnung

extrem einfach machen. „Kein Fußbreit den Faschisten“ ist beispielsweise ein Satz, der sich

recht klar einem politisch linken Spektrum zuordnen lässt. Doch kann eine solche

Abgrenzung beziehungsweise Kategorisierung weitaus komplexer ausfallen, wenn der

vermeintliche Feind sich weder materiell noch diskursiv einer Kategorisierung zuordnet. Mit

anderen Worten erst dann wenn er oder sie meine Abgrenzungslinien durchkreuzt, meine

Ausschliessungsmechanismen „aktiviert“ kann ich wissen, ob es sich um einen Feind handelt.

Diese Schwierigkeiten sind im politischen Prozess der Schweiz heute noch zu beobachten:

43

Wagener, 1999, Seite 27

44 Fussend auf: Wagener, 1999, Seite 27

45 Vergl. Wagener Sybil, 1999, Seite 26 ff.

31

Oskar Freysinger ist solange als demokratisch gewählter Volksvertreter legitim, wie ihm

keine Nationalsozialistische Gesinnung nachgewiesen werden kann. Entsteht jedoch der

Verdacht (wie es aufgrund einer deutschen Reichsflagge in seinem Hobbyraum der Fall war),

beginnt sich der Diskurs um seine Person einer gesellschaftlichen Abgrenzungslinie zu

nähern.46

Konkret verlangte man von ihm, die Fahne, ein Symbol des „Bösen“, abzuhängen.

Diese Zusammenhänge werden im Kontext der Verarbeitung des „Kommunistischen“ in der

Schweiz ersichtlich werden.

4.6. Die Abwertung des Feindes

Die Abwertung eines Feindbildes ist insofern Teil der Konditionierung zum Angriff, als dass

sie moralisch entlastet. Einen brutalen Diktator, der sein Volk hungern lässt als Feind zu

betrachten ist einiges einfacher, als einen Herrscher dessen Volk besser lebt als wir selbst.

Diese Mechanismen sind über den gesamten „Kommunismus-Diskurs“ zu beobachten.

Wichtig ist hier zwischen einem, beispielsweise statistischen Hochrechnen der Kulturen, zu

unterscheiden zu dem was hier untersucht wird: Einer rein diskursiven, insofern

metaphysischen, abstrakten Auseinandersetzung. Es ist für diese Untersuchung irrelevant wie

sich die sozialökonomischen Verhältnisse „in der Wirklichkeit“ äußern. Die Untersuchung

fokussiert einzig auf die mediale Verarbeitung in den Schweizer Medien, es wäre also

möglich, dass es den Untertanen von Stalin hervorragend ging, sie in Luxus schwelgten und

allesamt glücklich waren. Der mediale Diskurs mag sich je nachdem auf mehr oder weniger

solide Indizien und Beweise stützen, relevant ist hier aber nicht die inhaltliche Begründung

des Diskurses, sondern die Logik seines Verlaufs.

Das „Böse“ ist in seiner Begründung metaphysischer, abstrakter Natur, es überwindet nur

deshalb Verbindlichkeiten aller Art, unter anderen das Verbot zu töten.

Dazu Wagener:

„Soweit die Welt ein (Momentanes) Gewissen hat, werden gerechte Kriege nicht explizit gegen

andere Menschen geführt sondern gegen das „Böse“, das sich mit dem Umweg über das

Feindbild in ihnen verkörpert. Das Bild ist jedoch nur eine Formel, genau wie das Gute, in

dessen Namen die Vernichtung von Menschen betrieben wird.“47

Dementsprechend beschreibt sie die Funktion des Feindbilds:

46

Tages Anzeiger Online am 28.03.2013: „Freysinger soll die Fahne abhängen“,

47 Zitat: Wagener,1999 Seite 30

32

„Das Feindbild entbindet von Totschlagshemmungen, indem es dem Gegner das

menschliche Gesicht nimmt. Instinktiv schützt sich der Totschläger vor dem erkennen des

Mitmenschen in seinem Opfer. Das Bild ist eine abstrakte Kategorie; es muss schon der

Teufel persönlich sein, um für die Maske zu taugen. Doch der Teufel erscheint, wie alles

böse, in der menschlichen Fantasie als Zwitter aus Mensch und Tier. So lange das

Christentum die Mythen des Bösen liefert, wird der Gegner vorzugsweise mit

Teufelsattributen ausgestattet, doch letztlich entstammen Pferdefuss, Schweif und Hörner

einer anderen, nicht-menschlichen Kategorie: der Tierwelt.“48

Das Böse als Kategorie setzt sich allerdings schon aus einem Anteil an Abwertung zusammen. So

ist die Verdammung dieser und jener Norm bereits als Abwertung zu verstehen, da die Norm,

Politik, Moral etc. des Bösen (dessen Manifestation das Feindbild ja erst ist) als schlechter

gegenüber der eigenen zu stehen hat, um überhaupt als böse verstanden zu werden. Das Feindbild

als Ausprägung des Bösen wird dementsprechend über die Charakteristika des bestimmten,

definierten Bösen verlaufen: „Der Kommunismus unterdrückt die Menschen, ergo ist Stalin ein

Unterdrücker“. Das Feindbild erfährt diese Abwertung, weil sie in den meisten Fällen notwendig

ist, um überhaupt ein Feindbild zu kreieren. Der Soldat der das Böse verkörpert, muss ein schlechter

nahezu tierischer Mensch sein, denn ein guter (menschlicher) Mensch ist man ja, insbesondere

gegenüber dem Bösen selbst.

4.7. Feindbilder, Schwäche und die Komödie

Feindsatiren verzerren das Bild des Feindes ins Tierische. Auf der bildlichen Ebene findet

dies Ausdruck, via verliehener Attribute wie ein Vampirgebiss, rotglühende Augen, spitze

Ohren, Krallenhände, heruntergezogene Mundwinkel und dergleichen. Die Vergleiche mit

Tieren werden traditionell gerne herbeigezogen.49

.

Diese Herabwürdigung zum Tier hat verschiedene teilweise bereits dargelegte Funktionen wie

die „Entmenschlichung“, welche das Töten oder Bekämpfen legitimiert. So ist das Tier weiter

dem Menschen unterlegen und dieser darf gerechtfertigt über das Leben desselben verfügen.

Diese Verzerrung ins Tierische als „schlechter“ oder „weniger wert“ war besonders

augenscheinlich als sich die geistige Landesverteidigung ab Ende der Sechzigerjahre

neuerdings gegen kulturell Fremde und nicht mehr gegen politische Feinde richtete. Als

Beispiel sei der die Ausländerinitiative prägende Satz: „Für Hunde und Italiener verboten! “

herangezogen. Doch liefert das Tierische auch andere Dimensionen der Abwertung, wie den

Mangel an Vernunft, Intelligenz oder eben der lächerlichen Unterlegenheit.

48

Zitat aus: Wagener, 1999 Seite 31 unten und 32 oben

49 Wagener, 1999 Seite 32 unten und Seite 33 oben

33

Erst wenn das Tier wiederum vermenschlicht wird (wir erinnern uns an das Beispiel des Jagd-

Diskurses) wird diese Struktur der Legitimität neu diskutiert. Auch ist das Tier dumm und

nicht fähig, so wie der Mensch, zu verstehen. Eine hilfreiche, zuweilen hinreichende

Charakterisierung für jemanden der Dinge denkt, die so falsch sind, dass sie ihn zum Feind

machen.

Der Bezug zielt jedoch nicht nur auf Raubtiere oder Schreckgestalten. Affen beispielsweise

stehen eher im Ruf lustig und dämlich zu sein. Die „Herabsetzung“ sowohl ins Tierische als

auch generell, muss mehrdimensional verstanden werden, da sie nicht nur der Überstilisierung

als schlechter und deshalb böse dient, sondern den „Feind“ in verschiedenen Aspekten

herabsetzt. So kann er mit diesem als auch mit anderen Stilmitteln der Lächerlichkeit

preisgegeben werden. Es versteht sich derweil, dass sich der Humor einer Gesellschaft auch in

seinen konkreten Ausformulierungen verändert. Die „Verzerrung ins Tierische“ ist zwar

zuhauf zu beobachten, doch soll die Herabsetzung des Feindbildes in dieser Untersuchung

sich nicht auf diese Form beschränken. Es geht generell um eine Verzerrung der Züge von

einem hochstilisieren zum Fürsten der Dunkelheit bis hin zum Lächerlich machen. Der Feind

wird an sich nur über die Dissonanz mit unserem „Virtuellen Territorium“ definiert, dieses

wiederum ist durch die Abgrenzungslinien und Sagbarkeiten unserer Prägung bestimmt. So

ist für den echten Feind kein Platz darin. An welcher Stelle er herausfällt, ob er sich wegen

seiner Pädophilie oder wegen seiner wahnsinnigen Weltherrschaftsplänen an unserem

Selbstbild stößt, bestimmt im Endeffekt der Diskurs. Der Feind muss nicht unbedingt

ausschließlich bedrohlich sein, er kann auch beispielsweise die Gestalt eines lügenden Irren

mit einer Atombombe annehmen. Der ist auch noch recht gefährlich aber gelichzeitig nicht

nur gefährlich.

Hier öffnet sich das Tor für die schleichende Dekonstruktion eines Feindbildes; wenn es in

seinem Charakter, respektive wenn der Diskurs um das Feindbild facettenreicher wird, als

„nur“ die Manifestation des Bösen.

5. Die Geistige Landesverteidigung

Die geistige Landesverteidigung ist für die Untersuchung von Feindbildern in der Schweizer

Nachkriegskultur unabdingbar. Während der gesamten Nachkriegszeit dominierte sie auf sozial-

politischer Ebene durch diverse Ausprägungen den Diskurs um das Schweizer Selbst und die

jeweils aktuellen Feindbilder. Ferner ist sie dank ihrer offenen Bezeichnung, institutionellen

34

Planung, medial allgegenwärtigen Form und mannigfaltiger Umsetzung, ein wohldokumentierter

Forschungsgegenstand.

Theo Mäusli positioniert das Aufkommen des Begriffs der geistigen Landesverteidigung in die

Mitte der dreißiger Jahre. Er definiert sie als eben jene Orientierung, die der Schweiz zur

Krisenbewältigung diente. Obwohl die geistige Landesverteidigung als Programm zu jenem

Zeitpunkt nicht konkret existierte, identifiziert Mäusli die „geistige Landesverteidigung“ bereits als

Mittel des Umgangs mit den Wetterleuchten der drohenden internationalen Konflikte.50

Der Kampf

um eine solide „Gesamtidentität“ der Schweiz geht allerdings in deren Gründungszeit, Mitte des 19.

Jahrhunderts zurück. So wurde die „Helvetik“ als Konzept, das der Relevanz der Kantone

entgegenstand, nicht ganz so ohne Weiteres von der Schweizer Bevölkerung akzeptiert sondern in

seinen ersten Gehversuchen tendenziell abgelehnt.51

Mäusli konstatiert der Schweiz zu diesem Zeitpunkt „eine erfolgreiche Ideologie“52

, welche in einer

Zeit ideologischer Orientierungsnot, schon für wichtige Entscheidungen bewusst zu Hilfe gezogen

und in zahlreichem Schrifttum nahezu Gesetzes Kraft anmutend multipliziert wurde, (siehe dazu

insbesondere die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Organisation und

die Aufgaben der schweizerischen Kulturwahrung und Kulturwerbung vom 9.12.193853

) und

schnell verinnerlicht wurde: Geistige Landesverteidigung wurde zur Mentalität. Ihr Erfolg lag

anfangs, also bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem darin begründet, dass es sich um ein

sehr offenes Konstrukt handelte, dessen Inhalt sich auf die Einsicht in die Notwendigkeit der Pflege

des von außen bedrohten Schweizerischen, beschränkte, ohne dass derweil dieses „schweizerische“

abschließend und allgemeingültig definiert worden wäre.

Geistige Landesverteidigung war, gemäß Mäusli, an jenem Zeitpunkt somit variabel: Je nach

sozialer Herkunft und Bildungsstand, je nach persönlichen Interessen und Sympathien konnte diese

Bedrohung im Faschismus, in Hitler-Deutschland, im Bolschewismus oder schlechthin in allem,

was nicht als vermeintlich schweizerische Eigenart erschien, erkannt werden.54

50

Mäusli ,1995, Seite 33

51 Audrey 1986, in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer, Seite 601

52 Mäusli 1995 Seite 33

53 Bundesblatt Jg. 90, Bd.2, nr.50, 14.12. 1938

54 Stirnimann, 1988 S.182 ff.

35

Von solcher geistiger Landesverteidigung konnte der städtische Weltenbürger geleitet sein,

der seine schweizerische Bewegungsfreiheit durch das Aufrüsten des nationalsozialistischen

Deutschland bedroht sah, ebenso wie mit der Naziideologie sympathisierende Frontisten sich

danach orientieren konnten, um das „Schweizerische“ jeglichem Wandel entgegensetzen. Die

geistige Landesverteidigung bot zu jenem Zeitpunkt also eine gewisse „ideologische Heimat

für Jedermann“.55

Es handelt sich bei der geistigen Landesverteidigung um einen abgeschlossenen, institutionell

und medial getragenen Diskursstrang, welcher mindestens bis und mit dem Zusammenbruch

der Sowjetunion existierte. Erst die Veränderung respektive das Wegfallen der

Existenzgrundlage der geistigen Landesverteidigung (des geistigen Feindes) soll die

Dekonstruktion der durch sie entstandenen Feindbilder ermöglichen. Doch dazu später.

Die Schweiz hat den ersten als auch den zweiten Weltkrieg, zumindest ökonomisch betrachtet

relativ schadlos überstanden. Die Ideologischen Aspekte der Weltkriege hingegen, stellten die

Schweizer Gesellschaft vor ein Problem, was ihre inhaltliche, ideologische und politische

Orientierung betraf. Die Schweizer Neutralität mag als politisches Utensil umsetzbar sein,

insofern sie einen Nichteintritt in die Kriege ermöglichte beispielsweise. Die durch den

Wiener Kongress (1814/15) aufoktroyierte Neutralität machte damals die politische Schweiz,

wie sie weitgehend noch heute besteht, erst möglich.56

Die außenpolitische Neutralität ist gewissermaßen in die Grundstrukturen der Schweiz in

einem internationalen Kontext gewoben. Sie mag situative Fragen aufwerfen, wie jene nach

der Legitimation von Waffenhandel beispielsweise, ist aber ein relativ klar definierter,

national als auch international ratifizierter Verhaltenskodex was die internationalen

Beziehungen der Schweiz betrifft.

Ideologische Neutralität zu wahren, ist hingegen eine Aufgabe, die (so wage ich zu

behaupten) Menschen ganz allgemein gesprochen nicht besonders leicht fällt, selbst wenn sie

es versuchen. In einer globalen Kriegssituation, die nebst territorial konkurrierenden

Weltmächten, konkurrierende Ideologien zum Inhalt hat, steht eine gewahrte außenpolitische

Neutralität also ganz automatisch in einem Kontrast zu innenpolitischen Ideologiediskursen.

55

Mäusli Theo, 1995 Seite 33

56 Historisches Lexikon der Schweiz Online

36

Die geopolitische Situation wie sie sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs präsentierte,

war in ihrer abstrakten Dimension noch nie dagewesen.

5.1. Das geistige Schlachtfeld

Zwar waren die Jahrhunderte zuvor ebenfalls von kriegerischen Auseinandersetzungen

zwischen Großmächten geprägt, neu war allerdings der daran gekoppelte, die Gesellschaften

durchdringende ideologische Konflikt. Die Schweiz war, wie andere europäische Staaten

auch, während des 19 Jahrhunderts von einer Reihe an Widersprüchen und daraus

entstandenen Konflikten gebeutelt. Bestimmt ein Hauptproblem fand sich in dem

Widerspruch zwischen den Liberal- Radikalen und den katholisch-Konservativen. Später in

einer Zeit die Tobias Kästli als „Zeit des Kulturkampfs“57

bezeichnet, dann der ideologische

Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, gefolgt von dem Widerspruch zwischen

Bürgertum und Arbeiterschaft, der große Teile der zivilisierten Welt bis heute zu prägen

vermag. 58

Als „vereinend“ bezeichnet Kaestli Faktoren wie die national organisierte Armee oder die

„helvetische“ Geschichtsschreibung.59

Ferner existierte als „Erbe des Helvetismus des 18

Jahrhunderts“60

ein ausgeprägter Patriotismus im Sinne eines „Nationalgeistes“61

. Dieser

wurde mitunter durch die öffentlichen Debatten über Bundespolitische Fragen bestärkt, da

diese das politisch-nationale „gemeinsame“ rein durch ihre Existenz in Erinnerung riefen. Zu

dieser Bundespolitik gehörte auch schon damals eine aktive Kulturpolitik. Es bietet sich an in

dieser den eigentlichen konzeptionellen Beginn der geistigen Landesverteidigung zu

verstehen, die ihren ersten konkreten Ausdruck mit den Bundesbeschlüssen zur Wahrung der

vaterländischen Altertümer und zur Förderung der Kunst von 1886 und 1887 fand.62

Ein weiterer bedeutungsschwangerer Schritt war natürlich das Erstellen einer einheitlichen

Gesetzgebung für den Schweizer Staat. Das von Eugen Huber verfasste und 1907 durch die

Bundesversammlung ratifizierte Zivilgesetzbuch, wurde gemäß Kaestli, in Bezugnahme auf

57

Kaestli, 2005, S. 37

58 Kaestli, 2005, S. 37

59 Kaestli, 2005, S. 37

60 Audrey 1986, in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer, S. 601

61 Audrey 1986, in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer, S. 601

62 Kaestli, 2005, S. 37

37

den Rechtshistoriker Hans Fehr gelobt für seine Eigenschaft ein volkstümliches Recht zu sein,

dass in dieser Eigenschaft „Staat und Volk“63

zur Einheit zu verbinden vermag. Obwohl der

Begriff der geistigen Landesverteidigung an dieser Stelle noch nicht zum Programm erhoben

worden war, wird bereits hier ersichtlich wie die Schweiz schon mit ihrer Gründung um ein

Selbstbild wird zu ringen hatte. Der „Aufbruch“ der Kantone in die „Schweizer Nation“

konnte nur von einer Handvoll verbindender, identitätsstiftender Konstrukte aufgefangen

werden; Die „Helvetische Geschichte“ mit dem entsprechenden Heldenmythos und die

bundesübergreifenden Institutionen waren dabei zentral. Das Schweizer Selbstverständnis war

dementsprechend schon zu Beginn ein diskutiertes, institutionell benanntes und getragenes,

kulturelles Programm. Dieses Bewusstsein um die Notwendigkeit eines Selbstbildes äußert

sich beispielsweise in der Eröffnung des Landesmuseums 1898 und 1900 der

Nationalbibliothek in Bern.64

Dieses ein „Schweizer Selbstbild“ generierende Maßnahmenprogramm stand den genannten

ideologisch geprägten, innerstaatlichen Konflikten gegenüber. Die daraus entstandenen

Diskurse entluden sich während und in den Weltkriegen, in Korrespondenz zu deren Verlauf

zu einer neuen Situation. Also bereits vor den Kriegen stand die Schweiz einer

Selbstfindungsfrage gegenüber, diese wurde verstärkt durch die globalen Umwälzungen, die

ebenfalls von ideologischen Konflikten geprägt waren. Ob Nationalsozialismus,

Bolschewismus oder Monarchie, die „Art“ und der Charakter der neugeordneten Welt,

würden erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges etabliert sein. Dass die Welt derweil

neugeordnet würde, stand aber außer Frage.65

Auf globaler Ebene Vollzog sich, basierend auf den Thesen Karl Marx und Friedrich Engels,

eine Trennung zwischen dem Besitzbürger (Bourgeois) und dem arbeitenden Bürger

(Citoyen) aus der im Weiteren die globale proletarische Bewegung entstehen sollte. Die rein

bürgerliche Gründungsstruktur, die zwar von Konflikten zwischen Liberalen und

Konservativen geprägt, fand sich, insgesamt aber doch als bürgerlich im Sinne der

französischen Revolution zu bezeichnen bleibt, als Ganzes also einer neuen Antithese

gegenüber gestellt,66

die sich zudem als international organsiert verstand.

63

Fehr Zitiert in: Kaestli Tobias, 2005, S. 38

64 Kaestli Tobias, 2005, S. 37

65 Kaestli Tobias, 2005 S. 34

66 Kaestli Tobias, 2005, S.36

38

So führten diese globalen Umwälzungen durch die Weltkriege, zu neuen globalen

Dispositiven für den Schweizer Diskurs um das Schweizer Selbst. Die Schweiz, noch nicht

fertig mit der „Selbstfindung“ hatte sich neu auch gegen aussen zu definieren, was wiederum

innerstaatliche Diskurse mit sich brachte unter einer Orientierung und dem Einfluss globaler

Geschehen.

Die den beiden Weltriegen entsprungene, besondere Komposition aus einigermassen

ausgewogenen geopolitischen Machtblöcken, welche in diesem Sinne „herkömmlich“ um

territoriale und wirtschaftliche Dominanz konkurrieren, gekoppelt mit einer polit-

philosophischen Unvereinbarkeit, die die essentiellen Grundstrukturen der

Selbstwahrnehmung und existentielle Möglichkeitsspektren als Mitglied einer Gesellschaft

betrifft, war für die westliche Kultur bisher beispiellos und erst durch die (Transport,

Produktions- und Informations-) Technik überhaupt erst ermöglicht.

So stellten sich schon vor aber intensiviert mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs den

Einwohnern der Schweiz Ideologisch-gesellschaftliche Fragen.67

Die Schweiz verstand sich

alsbald als neutraler Kleinstaat zwischen dem sprichwörtlichen Hammer und Amboss der

ideologisch gefärbten Weltpolitik. Es ist daher naheliegend, der geistigen Landesverteidigung

einen gewissermaßen „akuten“ Charakter zu unterstellen.

Im Folgenden werden die Diskurse in und um die geistige Landesverteidigung in der Schweiz

untersucht. Hierbei stehen vornehmlich die Quellen des Selbstverständnisses, die Nachfrage

nach demselben als auch die Beanspruchung dieses Selbstverständnisses durch

unterschiedliche Strömungen der Schweizer Gesellschaft im Vordergrund.

Ferner soll in diesem Teil der Untersuchung hergeleitet werden, wie es in der Schweiz zu

einer Stilisierung und Übernahme des ideologischen Konflikts zwischen den beiden

Weltmächten U.S.A und U.D.S.S.R als „Kampf zwischen Gut und Böse“ kam und wie die

beiden Positionen, weshalb besetzt wurden.

6. Dispositivanalyse an den relevanten Punkten

Es wurde bisher hergeleitet wo sich die Wurzeln der geistigen Landesverteidigung finden,

respektive wie sich diese zu was für einem gesellschaftsumfassenden Programm mauserte.

Relevant für die Analyse des Diskurses als auch des Dispositivs sind folgende Aspekte:

67

Dürrenmatt, 1979, S.192

39

Die geistige Landesverteidigung war bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nach aussen

gerichtet, was zur Folge hatte, dass sich fast jede/r Schweizerin mehr oder minder mit einer

(eben unangefochtenen individuellen) Selbstwahrnehmung als Schweizer identifizieren

konnte. Wie aus Meilis Ausführungen zur Landi68

klar hervorgeht, galt es zumindest 1939

noch eine Schweiz zu entwerfen, die sich selbst als tolerante Beispieldemokratie versteht und

sich in dieser Rolle auch gefällt. Auch wurde eine humanistische Tradition, im Rahmen der

Neutralität, gross geschrieben. Der schweizerische Begriff der Freiheit war so nicht alleine

aus politischem Wachstum (alle Gründungsväter der politischen Schweiz waren Mitglieder

des Freisinns) heraus, ein liberaler. Zur Illustration dieser Grundwerte seien Zwei Zeilen aus

dem Landespsalm69

herbeigezogen:

„Betet, freie Schweizer, betet!“ (1. Strophe)

Und

Aus der zweiten Strophe: „Dich, du Menschenfreundlicher, Liebender!“

Diese beiden Zeilen gehören zu den wenigen, die implizit ein Bild des Schweizers von sich

selbst abgeben, da der Rest des Psalms weitgehend eine Lobpreisung auf den christlichen Gott

zu sein scheint. Gott wiederum wird in den Kontext zu Land und Natur gesetzt, was dem

Selbstverständnis hier einen rural-ländlichen Charakter verleiht.

Basierend auf diesen Grundwerten hat Armin Meili mit der Landi 1939 eine ideologische

Blaupause der Schweiz erstellt. Das kreierte Selbstbild sollte primär die Schweiz nach aussen

zu definieren wissen, dass dieses Bild auch nach aussen abzugrenzen vermögen würde, war

Meili wohl kaum bewusst.

Peter Gilg und Peter Hablützel teilen die Nachkriegszeit in der Schweiz in vier Phasen auf70

:

1. Die Periode von 1945 bis in die frühen 50er Jahre (Rückkehr zur liberalen

Wirtschaftspolitik)

2. Die Periode bis in die erste Hälfte der 60er Jahre (starker wirtschaftlicher

Aufschwung)

68

Bieler Tagblatt (08.05.1999) : „Die Expo.01 als Antwort auf die Landi“

69 Vgl. Schweizer Landeshymne (Schweizerpsalm)

70 Gilg Peter/Hablützel Peter 1986, in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer S. 834

40

3. Neue Krisen (Wirtschaftlicher Aufschwung gerät ins Stocken)

4. Seit 1974; beginnt mit der Wirtschaftlichen Rezension, Wachstum wird unterbrochen

und der Fortbestand des Wachstums wird als ungewiss betrachtet.

Die Untersuchung wird an spezifischen Punkten der Schweizer Geschichte auf jeweilig

relevante Diskurse fokussieren, diese angeführte Unterteilung Auflistung bringt daher

bestenfalls einen Eindruck der zu erwartenden Diskursumstände.

Als relevant qualifizieren sich diese für die Untersuchung ausgewählten Zeitpunkte wie

eingangs erläutert, da in ihnen die Abgrenzungsmechanismen ersichtlich werden und sich

und deren regulierende Auswirkungen auf den Diskurs zum Schweizerischen Selbstbild

zeigen. Ferner korrespondieren sie grob mit den von Peter Gilg und Peter Hablützel

etablierten Zeitetappen.

Konkret sind die ersten beiden Punkte Tschechien und Ungarn interessant, da das Dispositiv

„Weltpolitik“ respektive „Weltpolitische Situation“ den Diskurs um das Böse in der Schweiz

hier einrahmt und bestimmt. Die Wechselwirkung zwischen dem spezifischen Dispositiv und

dem spezifischen Diskurs sind im Fokus der Untersuchung, dementsprechend werden auch

jene historischen Punkte untersucht, welche diese Wechselwirkung und deren Logik

veranschaulichen. Die ersten beiden untersuchten Punkte zeigen diese Wechselwirkung in

sehr direkter Variante auf. Die Untersuchung des Putschversuches gegen Gorbatschow und

des Zerfalls der Sowjetunion ist relevant, da er das Böse respektive das Feindbild von seinen

materiellen oder wenn man so will „realen“ Ausprägungen zu trennen vermag. Der Putsch in

der Sowjetunion gegen die russische Bevölkerung, isoliert das Feindbild „Kommunismus“

gegenüber „den Russen“.

Die Untersuchung der Überfremdungsinitiative qualifiziert sich durch die Rückbezugnahme

auf das Dispositiv und die rhetorischen Figuren, welche den Diskurs um Tschechien und

Ungarn einrahmten respektive begleiteten. Insofern ist die Schwarzenbach-Initiative die

Kehrseite derselben Medaille. Derselbe Diskurstrang unter einem veränderten Dispositiv.

Es werden dieselben Macht/Wissen Strukturen aktiviert, wie zuvor, nur ist das den Diskurs

um das Böse rahmende Dispositiv neu „inländisch“. Dieser Transformation wird allerdings

Rechnung getragen werden.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist sehr wichtig für diese Analyse, da sich durch diesen

politischen Wandel das bis dato global konstruierte Dispositiv für den Schweizer Diskurs

41

vollkommen verändert. Ganz abgesehen von der totalen Transformation der politischen

Machtverhältnisse auf dem Planeten und dem Ende des Ost-West Konflikts, ist der

Zusammenbruch der Sowjetunion zur Beobachtung der Dekonstruktion der Feindbilder von

entscheidender Bedeutung. Dieser Punkt wird die Trennung von Feindbildern, deren

Ausprägungen (z.B. Menschen) und vor allem Wirkungen (Bedrohung zerfällt durch

Dekonstruktion) aufzeigen.

6.1. „Geistige Landesverteidigung“: Von der Selbstfindung zur Abgrenzung

Die Integrationskraft der Bauern- und Landidealisierung für die Schweizer Gesellschaft darf

allerdings, gemäss Theo Mäusli, nicht überschätzt werden.71

Vielmehr lag seiner Meinung

nach im realen Stadt-Land-Konflikt die grösste Zerreissprobe für die Schweiz, aus der sie

vielleicht nur dank dem Bewusstsein einer Bedrohung von außen einigermaßen geschlossen

herausgegangen ist,72

meint Mäusli.

So wurde gemäss Mäusli die Bedeutung von „Landi“ und Anbauschlacht retrospektiv vor

allem in ihrer den Stadt-Land-Gegensatz überbrückenden Wirkung gesehen. Besonders

kritische Punkte im Verhältnis zwischen Stadt und Land waren die Lebensmittelpreise und

der Militärdienst "das Fleisch war zu teuer für den Arbeiter- aber nicht genug teuer für den

Bauern."73

Die geistige Landesverteidigung, als Weiterführung, Intensivierung einer Selbstsuche durch

Abgrenzung scheint also hier erste nachvollziehbare Wirkungen angesichts entstandener

Notwendigkeiten zu zeigen. Auffälligerweise wurden auch die Sowjetischen Bauern in einem

ideologischen Kontext dazu aufgefordert die Stadtbevölkerung in gewissem Sinne

„Mitzutragen“ respektive wurde die Selbstvorstellung als kommunistisches Volk als

Begründung für etwaige Enteignungen angeführt.74

Doch stand die Grundfrage der geistigen Landesverteidigung nach der Begründung der

„gemeinsamen“ Verantwortung in Konsequenz eines Einheitsgefühls deutlich stärker im

Raum als es für die sowjetischen Bauern der Fall war. Während die Sowjetischen Bauern

71

Maurer Peter,1985 S.160

72 Mäusli Theo, 1995 S. 30

73 Mäusli Theo 1995 S. 31

74 Dekret des 2. Allrußländischen Sowjetkongesses über den Grund und Boden, 26. Oktober (8. November) 1917

42

selbst die Kollektivierung des Bodens vorantrieben,75

standen sich die Schweizer Land- und

Stadtbevölkerung deutlich kritischer gegenüber, da sie einerseits mit jeweils anderen, fast

komplementären Aspekten des soweit etablierten Selbstverständnisses haderten.

Viele Städter sahen beispielsweise ihre berufliche Karriere durch die militärische

Abwesenheit gefährdet, während Bauerndiensterleichterungen zur Bestellung der Felder

gewährt wurden.76

Hier wird ersichtlich wie die identitätsstiftende Funktion der national

organisierten Armee in Frage gestellt wird. Die beiden Gruppen waren so ganz

unterschiedlichen Erlebniswelten in der Schweiz ausgesetzt und bezogen ihr Selbstbild

konsequenterweise aus anderen, teils widersprüchlichen Quellen.

Der Stadt begegneten ländlich verwurzelte Menschen mit Misstrauen, weil sie davon getrennt

waren, weil sie dort so etwas wie ein Infektionsherd mit Fremdem befürchteten. Das Fremde

ist, wie bereits hergeleitet, eine mögliche Grundstruktur für die Genese eines Feindbildes. So

identifiziert Mäusli eine Situation in der:

““Argwohn gegenüber Unbekannten zu einer geistigen Flucht ins ländlich-einfache führt,

kann sie auch zu einer vermeintlichen Flucht nach vorne in Fremdenhass, Rassismus und

Antisemitismus verleiten.““ 77

Auf dem Land selbst wurde so eine zunehmend generelle Ablehnung gegen alles „Fremde“

stark. Das Fremde liefert, wie hergeleitet bereits das Potenzial für das „Feindliche“ muss aber

nicht zwingend in diesem resultieren, solange das Fremde als Gast der Gast, eben Gast

bleibt.78

Da die Kategorie „Gast“ allerdings in dieser Situation kaum von Wirkung gewesen

sein dürfte, entspricht die Transformation vom Fremden ins feindliche der Logik der

Situation.

So entstand ein aber der Konflikt zwischen Stadt und Land auf Basis des antizipierten

Fremden. Die Stadt war (und ist bisweilen heute noch) aus Sicht der Bauern ein Hort des

Fremden und auch als Sozialverband anders, abgrenzend, eine klare Alternative und

dementsprechend eine Relation ihres eigenen „virtuellen Territoriums“. Es waren zudem

andere Probleme, die die Menschen in Stadt und Land unterschiedlich betrafen. Die Bauern

fühlten sich durch das Fremde aus den Städten bedroht und in ihrer Lebensqualität

75

Dekret des 2. Allrußländischen Sowjetkongesses über den Grund und Boden, 26. Oktober (8. November) 1917

76 Mäusli 1995, Seite 31

77 Zitat aus: Mäusli, 1995, Seite 31

78 Vgl. Wagener, 1999, Seite 33

43

eingeschränkt. So wurde das „andere, Fremde und Neue“ zum Feindbild der Bauern.

Besonders aussagekräftig wird dieser Prozess durch das von Mäulsi angeführte Schicksal des

jüdischen Viehhändlers Arthur Bloch illustriert.

Mäusli illustriert diesen Vorgang folgendermassen:

„“Verschuldete Bauern ganzer Talschaften sollen ihre desolate Lage bisweilen auf die

traditionellerweise jüdischen Viehhändler zurückgeführt haben. Vor diesen Hintergrund

jedenfalls stellt ein Beobachter jener Zeit das Verbrechen an Arthur Bloch in der Nähe

von Payerne, der ermordet wurde, "weil er Jude war"79

.““80

Interessant für den Nachvollzug der Wirkung einer „geistigen Verteidigung“ dass der jüdische

Viehhändler trotz der eigentlich traditionell hergebrachten Beschäftigung und Funktion

plötzlich als fremd, als Feind wahrgenommen wird, gar soweit dass er ermordet wurde. Auch

hier wird die Wirkung des Feindbildes im Gegensatz zum Konkurrenten evident und die

verständnisbestimmende Macht der Diskurse auf schreckliche Weise demonstriert, da der

besagte Viehhändler Jahre zuvor kein fremder und besonders kein Feind war, es aufgrund des

Diskurses aber wurde, in einem Ausmass, das ihn als neue Verkörperung des Bösen, gar das

Leben kostete.

So zogen auch die seit dem frühen 20. Jahrhundert aufgekommenen Heimatwehren ihre

Daseinsberechtigung aus der Verteidigung der ländlichen Werte in der Schweiz. Sie standen

so durch ihren markanten Antisemitismus der an und für sich eher städtischen

Frontistenbewegung nahe.81

Gemäss ihren deutschen und italienischen Vorbildern brachten

die Frontisten alle Probleme auf die einfache Formel der verschworenen dunklen Mächte des

internationalen Judentums, des Bolschewismus und des Freimaurertums.82

Anders formuliert: Die anderen, das Ausland und die verschworenen Intellektuellen, das

Fremde. Doch dürften im Lichte des Hergeleiteten die Bauern aus anderen spezifischen

Gründen, als die Frontisten zu Antisemiten geworden sein. Insofern sich unterschiedliches

„Böses“ auch in denselben Feindbildern zu manifestieren vermag.

Auffälliger Weise hat sich diese Ablehnung des Fremden in den ländlichen Gebieten bis heute

gehalten. Im Kontext des Abstimmungsverhalten in Demokratien bezüglich der Nutzung der

79

Rings, 1990, S. 113

80 Zitat aus: Mäusli 1995 S. 31

81 Vgl. Mäusli 1995 Seite 31

82 Vgl. Mäusli 1995 Seite 31

44

Bürgerrechte stellen Bruno Frey et. al. fest, dass obwohl ländliche Gebiete von der

Immigration-Problematik deutlich weniger betroffen sind als städtische Gebiete,

dementsprechend kaum von den mit den Immigranten in Verbindung gebrachten, steigenden

Verbrechensstatistiken betroffen sind, aber in überproportionalem Mass gegen jeglichen

Ausbau der Bürgerrechte von Minderheiten stimmen. Im Speziellen stimmen sie gegen jeden

Ausbau der Bürgerrechte von Immigranten und religiösen Minderheiten.83

Zusammenfassend kann bereits hier zwischen Stadt und Land eine gesellschaftsinterne

„Bruchstelle“ der geistigen Landesverteidigung identifiziert werden. Obwohl die

Verteidigung im Gros noch der Bedrohung durch die faschistischen deutschen Nachbarn gilt,

findet auf dem Land bereits eine „Anfeindung des Fremden“ statt und in deren Konsequenz,

eine Abgrenzung nach Innen. Die wenigen im ausgehenden 19. Jahrhundert etablierten

„Rückbezugsinstanzen“ des Schweizer Selbstbildes (wie das Militär oder der „Helvetische

Mythos“) wurden so einer neuen Diskussion ausgesetzt. Der Diskurs um die Verteidigung von

was gegen wen, erwacht zum Leben.

Die Geistige Landesverteidigung der Schweizer war in ihrem Effekt also nicht so feindbildfrei

wie Armin Meili sie sich in der Planung der Landi 1939 vorgestellt hatte. Vielmehr wurden

alsbald von diversen Gruppen eine ganze Reihe an Menschen, Politiken und Dingen gefunden

vor denen man sich „geistig“ zu verteidigen suchte und die folglich dem Diskurstrang

ausgesetzt wurden.

Während die Schweiz als Ganzes sich bestimmt ideologisch von der Nationalsozialistischen

Macht Deutschlands abgrenzte, war dennoch eine latente Deutschfreundlichkeit, vor allem in

der Deutschschweiz zu beobachten, welche natürlich im fortschreitenden Kriegsverlauf

zunehmend kleineren Gruppen an Extremisten überlassen wurde. Mäusli betont in Bezug auf

Georg Kries Aufsatz zum Stellenwert des Rassendenkens in der Schweiz der frühen

Dreißigerjahre, dass dieses „Denken in Rassenkategorien“ sich zwar in weiten Teilen mit dem

Nationalsozialistischen Denken deckte, doch eben nicht Resultat einer Übernahme eines

ausländischen Ideologieangebots war. 84

So verknüpfte der führende Bauern-Politiker Ernst Laur die traditionalistische und

nationalistische Mentalität mit einem anscheinend ganz besonderen, ländlich-bäuerlichen

83

Frey/Goette, 1988, S.1343-1348

84 Ruffieux 1974 S. 363

45

Inhalt. Dies ist allerdings keine typisch schweizerische Erscheinung, wenn auch diese

Strategie in der Schweiz vor und während des Zweiten Weltkriegs ziemlich erfolgreich war.85

6.2. Kriegsende , der „Sonderfall Kleinstaat“ und das neue Dispositiv

Mit 1945 begann das, was Peter Dürrenmatt die “offene Situation“86

nennt. Sie schien

zunächst, etwa wie in den ersten zehn Jahren der Nachkriegszeit, seiner Auffassung nach

„keine Probleme zu stellen“.87

„Die Schweiz hält durch“ lautete die Parole. Das schien

Dürrenmatts Interpretation zufolge zu genügen, und er sieht die Haltung in den damaligen

außenpolitischen Verhältnissen bestätigt.88

Aus heutiger Perspektive ist diese Einschätzung als Trugschluss zu kategorisieren. Wie

hergeleitet werden wird, war die Schweiz nicht in ihrem Selbst definiert, nur war diese

Selbstdefinition noch nicht abgeschlossen und sich selbst genug, sondern lediglich noch (um

Mäuslis Begriff zu bemühen) „offen“. Insofern die Abgrenzungs- und entsprechenden

Konfliktlinien eher „schwammig“ und noch nicht stark umrissen waren.

Durch das Ende des Zweiten Weltkrieges und die weitgehende Auslöschung der

nationalsozialistischen Strukturen in der ganzen westlichen Welt, löste sich die Struktur des

Dispositivs um den Diskursstrang der geistigen Landesverteidigung teilweise auf und wurde

neu gebildet. Wir beobachten also einen Moment der „ideologischen Freiheit, der sich aus der

notwendigen „Neudefinition“ und der daraus folgenden Neuorientierung der geistigen

Landesverteidigung ergibt, gleichzeitig aber den Diskurs in Richtung der „Enge“ auslösen

soll.

7. Diskurse um das Schweizer Selbstbild

Nach dem sich das Dispositiv der Zwischenkriegszeit und des Kriegszustandes, insofern

verändert hatte, als dass der Krieg vorbei und der Feind besiegt war, entstanden nun neue,

ich wage zu behaupten „offenere“ Diskurse. Das Feindbild „Nationalsozialisten“ war besiegt,

die entsprechende Ideologie als „Wahnsinn“ definitiv aus dem politischen und

gesellschaftlichen Spektrum ausgeschlossen. Am 1. Mai 1945, als die Kriegslage klar auf eine

85

Mäusli 1995 Seite 29

86 Dürrenmatt, 1979, Seite 191

87 Dürrenmatt, 1979, Seite 191

88 Dürrenmatt, 1979, Seite 191

46

vollständige Eliminierung des dritten Reichs hindeutete, befahl der Bundesrat die Auflösung

der NSDAP-Landesgruppe Schweiz und ihrer angegliederten Organisationen. Die Polizei

wurde innerhalb einer Woche darauf angesetzt eine groß angelegte Fahndungsaktion

durchzuführen um etwaige belastende Materialien bei Diplomaten als auch Sympathisanten

des dritten Reiches sicherzustellen. Da zwischen bundesrätlicher Proklamation und

Durchführung eine gute Woche verstrich, hielten sich die Funde und entsprechenden

Verhaftungen in Grenzen.

Relevant ist hier die Transformation des Dispositivs; während die politische als auch die

Gesellschaftliche Schweiz während des Krieges sich mit dem nationalsozialistischen

Gedankengut und den entsprechenden Expansionsbestrebungen, außenpolitisch als auch

innenpolitisch zu arrangieren wusste, wurde mit der Kriegsniederlage die geistige

Landesverteidigung zu einem vorläufigen und totalen Sieg im Innern geführt; der geistige

Feind wurde richtiggehend aus der Schweiz radiert. Dieser Umstand generierte wohl die

Illusion eines erfolgreich verteidigten „geistigen Selbst“. Diese Wahrnehmung kontrastierte

natürlich sehr stark mit dem Schweizerischen aussenpolitischen Verhalten während des

Krieges. So hatte die Schweiz noch 1943 die Einreisebedingungen für Flüchtlinge jeglicher

Couleur verschärft, obwohl der Bundesrat bereits 1942 über die Judenverfolgung informiert

war.89

Auch das abbilden eines Judensterns im Reisepass, geschah mitunter auf Drängen der

Schweizer Grenzbehörden hin.

Nun war die geistige Landesverteidigung ihres Gegenstücks beraubt und man hatte sich neu

zu „idealisieren“. Wir erinnern uns an die im Zuge der Definition angeführten

Konzeptionellen Problematik einer Verteidigung, deren Feind nicht mehr existiert.

Dieser neue Diskurs bezog sich mitunter auf die Rolle der Schweiz während des Zweiten

Weltkriegs: In den drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit entstanden laut Dürrenmatt von der

Folgegeneration her kritische Fragen bezüglich des Standhaltens in der Kriegszeit:

“Hatte das Standhalten allein genügt? Ist das, was die Hochkonjunktur brachte, als Segen

zu bewerten, oder deuten bestimmte Fehlentwicklungen nicht auch ein Schweizer

Versagen an? Geht man den Zweifeln nach, wie sie in zahlreichen Publikationen ihren

Niederschlag fanden, so ergibt sich, dass die Zweifel vornehmlich denjenigen

bestehenden Institutionen galten, von denen die ältere Generation überzeugt waren, dass

sie zu den Grundlagen und damit zur Eigenart des selbständigen nationalen Existenz der

Schweiz zählten. Zweifelnde Fragen galten etwa der Kleinheit des Landes. Ob diese

89

Jost, am Mittwoch 30. Januar 2013, politblog24heures.ch

47

Begrenztheit nicht bedinge, dass auch der beste aufbauende Wille Schiffbruch erleiden

müsse, ob sie genüge, mit der breiten Problematik, die über die Landesgrenzen hinaus

reicht, fertig zu werden. Die Zweifel galten mitunter der Frage, ob der föderalistische

Aufbau des Landes und die eher mühsam und umständlich arbeitende direkte Demokratie

dem Tempo des Zeitalters noch angemessen, ja überhaupt noch zeitgemäß sei.“90

Diese Fragen waren natürlich mitbedingt durch die allseits spürbare Abhängigkeit von

Vorgängen im Ausland. Eine Abhängigkeit, die das Selbstverständnis der Schweizer auf

andauernde Proben stellte und stetig neue, situative Positionsbezüge forderte. Mit dem Beginn

der Rückschläge auf dem wirtschaftlichen Gebiet bekam gerade dieser Aspekt der

Abhängigkeit besonders Aktualität.91

Im Hinblick auf solche Fragen hieß „Besinnung“ sich in Bezug auf das schweizerische

„Selbst“ zu erhellen, die Eigenart der schweizerischen politischen Existenzform abzuklären,

diese näher zu umschreiben und auf ihre Fähigkeit, sich in dieser Zeit zu bewähren, zu

untersuchen. Was natürlich unter den zuweilen als fragwürdig begriffenen, herkömmlichen

Referenzinstanzen des Schweizer Selbstbildes, neue komplexere Diskurse zutage förderte.

Die außen- und innenpolitischen Probleme des Schweizer Staates waren also in Wirklichkeit

mit dem Kriegsende 1945 alles andere als erledigt. Die außenpolitische Problematik äußerte

sich unter anderem in den Neuordnungsplänen Siegermächte, in welchen die Neutralität der

Schweiz nicht in Stein gemeißelt war.

Die Schweiz stand sogar im Ruf, aufgrund dieser im Inneren identitätsstiftenden Neutralität

indirekt den Nazis wesentliche Dienste geleistet zu haben. Hier stand also bereits mit

Kriegsende auch auf internationaler, außenpolitischer Ebene, eine implizite Loyalitätsfrage im

Raum, die direkt die außenpolitischen Verhältnisse betraf und aus diesem Sektor entsprang,

indirekt aber Konsequenzen für den Diskurs um die Selbstfindung der Schweizer als

Schweizer haben sollte. Es war zudem völlig klar, dass der europäische Kontinent mit dem

Verschwinden Frankreichs und Deutschland als potente Grossmächte, dem Druck der

siegreich vorrückenden Russen und Amerikaner mehr oder minder ohnmächtig gegenüber

stand. Insbesondere ein Kleinstaat wie die Schweiz, würde sich in diesem globalen Kontext

keine Illusionen über die dominanten geopolitischen Machtverhältnisse machen.

Entsprechend ist die von der bereits 1914, also zum Ende des ersten Weltkrieges gegründete

„Neue Helvetische Gesellschaft“ (NHG) veranstaltete am 15./16. April 1944 eine öffentliche

90

Zitat aus: Dürrenmatt 1979, Seite 191

91 Dürrenmatt 1979, Seite 191

48

Tagung zu "Neutralität in unserer zukünftigen Politik" zu kontextualisieren: Hier analysierte

der Basler Privatdozent Adolf Gasser, ein Heer-und-Haus-Referent, die Internationale Lage

nach einem Sieg der Alliierten:

„"In diesem Fall wird die Welt und damit ein künftiger Völkerbund von einer Hegemonie

der vier führenden Weltmächte beherrscht werden. In die Machtsphäre dieser Staaten

werden die Kleinstaaten gezogen werden. Sie werden geradezu zur Reibungsfläche

werden. Ferner wird die Zerrissenheit Europas diese Entwicklung fördern. Ein vollständig

in kleinen und Mitgliedstaaten aufgelöstes Europa neigt dazu wegen seiner Schwäche der

Kampfplatz für die zu erwartenden Auseinandersetzungen der Hegemonie anvisierenden

Grossmächte zu werden. "“92

Man verstand sich also schon direkt nach dem Zweiten Weltkrieg als „Sonderfall Kleinstaat“

und implizierte spezifische politische Schwierigkeiten in diese Kategorisierung. Die

Bedeutung des „globalen Dispositivs“ wurde also bereits mit Kriegsende thematisiert.

Das „Lebensrecht des Kleinstaates“ wurde zu einem Grundthema des untersuchten Diskurses.

Im Oktober 1944 einigten sich Churchill und Stalin über die Einflusssphären in Balkan, und

im Februar 1945 regelte die Konferenz von Jalta die Abgrenzung des amerikanischen vom

russischen Einflussbereich. Diesen globalen Transformationen wurde in erster Instanz mit

Abschottung begegnet. Der Zürcher Staatsrechtler Werner Kägi äusserte in seinen "Bericht

der Nachkriegspolitik" zu Händen der NHG (Neue Helvetische Gesellschaft)1945 Skepsis

gegenüber der geplanten "Vereinten Nationen":

"Es bestehe wirklich keine Eile, einem "Bunde" beizutreten, der nichts anderes ist als ein

Machtsystem in der Hand der "drei". Das Projekt von Dumbarton Oaks ist für die

Kleinstaaten wenig einladend. Auch in Jalta hat man sich bestimmt nicht mit ihren

Sorgen befasst. "93

Als exemplarisch für die Differenzen zwischen der „außenpolitischen Schweiz“ zur

„Innenpolitischen Schweiz“ mag die Beziehung zu der im Anschluss an den Zweiten

Weltkrieg gegründeten UNO herangezogen werden. Peter Dürrenmatt beschreibt die

Beziehung der Schweiz zu den Vereinten Nationen etappenweise. So zeigte sich seiner

Ausführung nach die Schweiz schnell bereit, sich auf Feldern zu betätigen, die über das Ziel

der Sicherheitspolitik hinausreichten, trat aber bis in die 90er Jahre dem Bund nicht bei.94

92

Zitat nach: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987 Seite 56

93 Zitat aus: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987 Seite 56

94 Dürrenmatt, 1979 Seite 228 ff.

49

Durch den Krieg entstand in den betroffenen Regionen unter Anderem großes Kinderelend,

die UNO gründete dem begegnend ein Umfang- und segensreiches Kinderhilfswerk. Auch

um den Hunger zu bezwingen traf die UNO weitreichende Maßnahmen. Auch gegenüber dem

Flüchtlingselend wurde die Uno aktiv, andere UNO-Suborganisationen galten der Förderung

des Bildungswesens und dem Kampf gegen das Analphabetentum (UNESCO), bei deren

Bemühungen sich die Schweiz ebenfalls aktiv beteiligte. Es sind damit nur einige der vielen

UNO-Aktionen erwähnt, zu denen die Schweiz zur Teilhabe eingeladen wurde. Die Schweiz

half (entsprechend ihres humanistischen Selbstverständnisses) mit, diese Werke zu

finanzieren und in einigen Fällen wurden Schweizer gar in verantwortliche Posten berufen.

Hier wird die „Humanitäre Tradition“ der Schweiz herauskristallisiert, auf welche im Laufe

der folgenden Jahrzehnte vornehmlich aus Linken politischen Kreisen Referenz gezogen

werden soll. An dieser Stelle bleibt allerdings fraglich, ob es sich um eine moral-

philosophische Tradition oder um einen „schlichten“ außenpolitischen Positionsbezug

handelte.

Zusammenfassend sah sich die Schweiz als erfolgreich „verteidigt“, respektive als erfolgreich

„durchgehalten“ an, eine Wahrnehmung die in Bezug auf ihre Selbstverständnis-Quellen unter

dem Schatten des Zweifels stehen sollte und so den Anstoß zu neuen Diskursen liefern würde.

Das „Durchhalten“ war in vielerlei Beziehung eine Grundelement der Schweizer Armee- und

„Kriegskultur“: Auf militärischer Ebene wurden Pläne geschmiedet, die nicht etwa eine

Expansion der Schweiz oder eine effektive Verteidigung der Schweizer Grenzen zum Inhalt

hatten, sondern eine Invasion als bereits gegeben annahmen. So wurde durch strategische

Konzepte wie dem Réduit, welches im Wesentlichen daraus bestand sich in einer gigantischen

Bunkeranlage einzuigeln bis allfällige Aggressoren durch Guerillataktiken zur Aufgabe

zermürbt würden, die Durchhalteparole auf Regierungsebene verstärkt. Man sah sich also

schon zu Zeiten des zweiten Weltkriegs, gemessen an der geopolitischen Situation, als

potenzielles Opfer, das sich im Ernstfall gegen einen übermächtigen Täter zu verteidigen

haben werde.

Im Inneren, also auf gesellschaftlicher Ebene, galt die geistige Landesverteidigung dem

Widerstand gegen andere Ideologien, die ähnlich eines potentiellen Invasors, ausgehalten

werden sollten, bis sie verschwinden. Die globalpolitischen Geschehnisse verlangten nach

einem erneuten Positionsbezug, im Inneren wie auch im Äußeren. Insofern einer neuen

ideologischen Strategie, man konnte nicht mehr einfach Schweiz sein und abwarten. Weil

dieses „einfach Schweiz sein“ zum Einen neuen definitorischen Diskursen ausgesetzt war und

50

zum anderen durch die Rhetorik der Siegermächte ideologische außenpolitische

Positionsbezüge verlangt wurden, die gerade im Kontext der Reflexion der Rolle der Schweiz

im Zweiten Weltkrieg eine Stringenz zur innenpolitischen Ideologie aufweisen mussten.

Diese Positionsbezüge sollten durch äußere Katalysatoren beschleunigt werden, wie sich im

Folgenden zeigen wird.

7.1. Prag 1948: Der Vorhang fällt (Dispositiv)

Die Kombination realistischer außenpolitischer Befürchtungen und innenpolitischer

Reibungen, von denen die meisten westlichen Gesellschaften zu jenem Zeitpunkt betroffen

waren, insbesondere die Nichtkriegsparteien, stellte einen fruchtbaren Boden dar, für die

Bemühungen der USA, ihre Kriegsvereinbarungen mit der Sowjetunion zu ihren Gunsten zu

revidieren und als Kampf für die Freiheit der Welt propagandistisch zu verankern. Die neue

Policy des Präsidenten Truman steuerte, gemäß Frischknecht, Hafner, Haldimann und Niggli,

seit März 1945 einen klaren Kurs auf eine Revision der Jalta und anderer

Weltaufteilungsabkommen an.95

Der nach dem Krieg nicht wieder gewählte britische Premier Churchill wird von den

genannten Autoren als „Propagandisten der neuen Truman Politik auf dem europäischen

Kontinent“ kategorisiert. Churchill intonierte schliesslich den kommenden kalten Krieg in

seiner berühmten Rede in Fulton (Missouri) am 5. März 194696

:

„"von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat sich ein "eiserner Vorhang" über

den Kontinent herab gesenkt." Es war wohl seinerzeit nur wenigen bekannt, dass der

Nazi-Propagandaminister Goebbels diesen Begriff in einer Rede am 23. Februar 1945 als

erster geprägt hatte, als er die Jalta-Abkommen, die Churchill mitunterzeichnete,

öffentlich verurteilte: "das Zugeständnis, die Russen Ost und Südeuropa besetzen zu

lassen, führt dazu, dass sich ein eiserner Vorhang über diese Gebiete herab senkt. Hinter

diesem Vorhang wird dann eine Massenabschlachtung von Völkern beginnen,

wahrscheinlich unter dem Beifall der Judenpresse in New York."“ 97

Für die schweizerische Öffentlichkeit bestand spätestens mit Verkündung der Truman-

Doktrin am 12. März 1947 ein zumindest implizites Ultimatum nach einer „Für uns oder

gegen uns“ Rhetorik. Truman bekundete damals, dass sich jedes Land und jedes Volk

zwischen zwei verschiedenen Wegen zu Leben („Way of Life“) zu entscheiden habe, diese

95

Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 56

96 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 56

97 Zitiert aus: John Lukacs 1955, „decline and rise of Europe“ in: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987,

Seite 56

51

Proklamation fiel mitten in die Moskauer Konferenz zur Regelung der deutschen Frage und

brachte diese so faktisch zum Scheitern. So begann der keimende Ost-West-Antagonismus

rasant seine ersten Blüten zu treiben.

Während die Amerikaner also in Griechenland einmarschierten, um die bankrotten Briten im

Kampf gegen die kommunistische Aufstandsbewegung abzulösen, griffen die Sowjets in

Ungarn durch und liessen die Führer der bürgerlichen Parteien verhaften. Im Mai 1947, also 3

Monate nach Verlautbarung der Truman-Doktrin, wurde der Marschall-Plan als

"Gegenoffensive" zu den russischen Massnahmen in Osteuropa gestartet, worauf die

Sowjetunion im Sommer mit einer ganzen Reihe von Wirtschaftsabkommen mit den von

ihnen besetzten Ländern antwortete. Das globale Dispositiv zeichnete sich also zusehends

schärfer aus.98

Im November 1947 rief Stalin, gewissermaßen als Vollendung der Antwort auf den

Transatlantischen Zusammenschluss ein neues internationales Kollektiv einzelner

kommunistischer Parteien ins Leben, die „Kominform“, die in der Gründungserklärung

faktisch die Truman-Doktrin für den Ostblock kopierte.

7.2. Der Positionsbezug nach Innen (Diskurs)

Am 28. Februar 1948 titelt der Spiegel: „Der Vorhang fiel-tragische Chöre in Prag.“99

Seinen

Anfang fand der „Februar-Putsch“, mit den zwölf antikommunistischen Ministern des seit 19

Monaten bestehenden Sechs-Parteien-Kabinetts des Kommunisten Gottwald, die aus Protest

zurückgetreten waren. Laut dem Spiegel waren die Minister zurückgetreten weil sie „die

Alarmglocken hörten“100

, als Gottwalds kommunistischer Innenminister Vaclav Nosek die

Schlüsselstellungen der tschechischen Polizei mit seinen Leuten besetzen ließ.

Dementsprechend begann die vom kommunistischen Innenminister abhängige Polizei mit

Hausdurchsuchungen und Verhaftungen am laufenden Band, die "reaktionäre Staatsstreichpläne"

der Oppositionsparteien zutage förderten. Neben Geheimpolizisten, die erstmalig ein rotes Band im

98

Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, S.57

99 Zitiert aus: Der Spiegel 9/1948

100 Zitiert aus: http: Der Spiegel 9/1948

52

Knopfloch als Erkennungszeichen trugen, tauchten auch neugebildete Arbeitermilizen mit roten

Armbinden auf, "um den souveränen Willen des Volkes zu sichern."101

Der Umstand, dass die kommunistischen Gewerkschaften eine relevante Rolle bei der

Machtübernahme einnahmen, hat in der Schweiz das Misstrauen gegenüber inländischen

kommunistisch beeinflussten Gruppierungen geschürt. Die Tschechischen kommunistischen

Gruppen verhinderten in Prag beispielsweise das Erscheinen rechtsgerichteter

Oppositionszeitungen, ferner drohten sie relativ unverblümt mit einem Generalstreik. Kurzum; die

tschechoslowakischen Gewerkschaften konnten offenbar ohne Weiteres zu Putschaktionen gegen

die Demokratischen Strukturen „aktiviert“ werden und waren so eine ideologische Bedrohung für

die liberalen Grundverständnis der Schweizer Interessant für diese Untersuchung ist natürlich der

vom New Yorker Herald Tribune gezogene und vom deutschen Spiegel übernommene Vergleich

zwischen den Bolschewisten und den Nationalsozialisten:

„"Die gleiche Rolle, wie sie Hindenburg gegenüber Hitler spielte, mußte Benesch jetzt

gegenüber Gottwald spielen", kommentierte die "New York Herald Tribune". Sie fügte hinzu:

"Trotz des unerhörten Drucks war der Augenblick gekommen, wo Kompromisse und

Zugeständnisse nicht mehr recht und ehrenhaft waren."“102

Wie im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erklärt, befand sich der

„Nationalsozialismus“ als Konstrukt und Symbol bereits weit außerhalb der gesellschaftlichen

Abgrenzungslinien. Als Bedrohung und als Wahnsinn, war der Nationalsozialismus auf

politischer, sozialer und ideologischer Ebene „verdammt“. Der Vergleich zwischen

kommunistischen und nationalsozialistischen Elementen, kommt also einer Kategorisierung

als „böse“ und einer entsprechenden Reaktivierung gleich.

Staatspräsident Dr. Eduard Benesch erkannte die Demission der zwölf Minister und die neue

Regierung Gottwalds an und legalisierte sie so. Dieser hatte alle entscheidenden Posten mit

Parteigenossen oder prokommunistischen Sozialdemokraten besetzt. In den

Oppositionsparteien fand er vier Minister, die ihm halfen, den Anschein der nationalen Front

aufrechtzuerhalten. Sie wurden postwendend aus ihren Parteien ausgeschlossen.

Die kommunistische Machtergreifung in der Tschechoslowakei im Februar 1948 machte es

den Schweizern, wohl aufgrund ihrer staatsaushöhlenden Heftigkeit, unmöglich einen

wirklich neutralen ideologischen Standpunkt zwischen den beiden antagonistischen,

101

Zitiert aus: Der Spiegel 9/1948

102 Zitiert in: Der Spiegel 9/1948

53

systematischen Positionen zu halten. Zu vieles wurde mit diesem Putsch in Zweifel gezogen,

das auch für die Schweiz verbreitet zur Basis der Selbstwahrnehmung gehörte. Wie bereits

dargelegt war diese Basis zu diesem Zeitpunkt bereits angeschlagen. Die Schweiz trat also im

Rahmen dieser weltpolitischen Situation innerlich in den kalten Krieg ein indem sie

gegenüber den globalen Geschehnissen Position bezog.

Der gewaltsame Regierungsputsch in Prag weckte eine Empörungswelle an den

schweizerischen Hochschulen: Es folgten sich Kundgebungen in Freiburg, Zürich, Bern

Lausanne und Genf. Die Kundgebung an der Berner Universität war durch die freisinnige

Hochschulgruppe organisiert worden, Hauptredner der 23 -jährige Politikstudent Peter Sager,

späterer Leiter des schweizerischen Ostinstitutes, der das Leitmotiv des künftigen

Antikommunismus recht prägnant formulierte und so bereits die Kategorisierung des

Kommunismus als „Böse“ vornahm:

"Heute ist nicht mehr die Auseinandersetzung zwischen zwei Systemen, sondern es ist ein

Kampf des Bösen gegen das Gute."103

Peter Sager fungierte hier als Stimme des Liberalismus und vermochte in dieser Rolle einen

Grossteil der Studenten zu mobilisieren. Ferner ist der Begriff des „Bösen“, hier bereits in den

Diskurs eingeführt, es handelte sich ab diesem Punkt nicht mehr um alternative politische Systeme

oder Weltauffassungen sondern, wie Sager es formuliert, um einen Kampf des Guten gegen das

Böse.

Dieser klaren Verdammung der Geschehnisse in der Tschechoslowakei entsprechend, lehnten eine

Woche später alle Schweizer Hochschulen geschlossen die Einladung ab, an der

Sechshundertjahrfeier der Universität Prag teilzunehmen.104

Gleichsam verurteilten alle Parteien bis hin zur SPS und die gerade tagende Kantons-

Gemeindeparlamente den Umsturz in Prag aufs schärfste und gemäß der internationalen politischen

Lage, oft in apokalyptischer Form. Beispielsweise schrieb die NZZ in ihrem Leitartikel am 7.3.

1948:

„Wie man auf Leben und Tod den „Dämonen des Hitlertums“ widerstanden habe, werde

man die teuflische Methodik, der erweiterten Strategie, mit der freiheitlichen Staaten

103

Zitiert in: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987 , Seite 57, zitiert aus: NZZ 3.3. 48 nr.460

104 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 57

54

von innen heraus erobert und für die Einordnung in das Hegemoniesystem eine

Grossmacht gewonnen werden ,"zu durchkreuzen wissen.“105

Auch hier wird ersichtlich, dass in der medialen, als auch in der politischen Verarbeitung der

Geschehnisse eine Grenzziehungs-Rhetorik des „Guten gegen das Böse“ bereits ihren

Eingang in den Diskurs der geistigen Landesverteidigung gefunden hatte. Durch die

Gleichsetzung der Sowjetunion mit dem Dritten Reich wurde eine bereits erfolgte und vor

allem stark etablierte Ausschließung reaktiviert, die Kommunisten mussten nicht mehr

differenziert betrachtet werden, es war nicht nötig sich erneut einem Positionsbezug und den

entsprechenden Reflexionen auszusetzen, da diese an sich ja durch die Kriegszeit bereits

stattgefunden hatten, man hatte „schon mal widerstanden“ also würde man es wieder tun, egal

wer der neue Feind sein würde. So wurde der Prager „Februar-Putsch“, zum Scheidepunkt für

die Schweizer Gesellschaft und die ideologische Ausrichtung der geistigen

Landesverteidigung.

Das Verhalten der Partei der Arbeit (PdA) in Reaktion auf den Umsturz durch die von der

Sowjetunion angeleiteten kommunistische Partei, brachte die Verhandlung im direkten

Anschluss auf ein sehr konkretes innenpolitisches Niveau und beschleunigte den bürgerlichen

Anspruch auf die „Geistige Landesverteidigung“.

Die Schweizerische Partei der Arbeit (PdA) beging eine öffentliche Siegesfeier am 27.

Februar 1948, an welcher sie den Tschechischen Kommunistenführer Gottwald per

Telegramm zu seinem Triumph beglückwünschte und die Vorgänge als erfolgreiche

Revolution bezeichnete. Jedermann (also jedem Schweizer) war nach den Geschehnissen in

Prag klar, dass die Politik der PdA, welche sie ja selbst durch diese Beglückwünschung mit

der internationalen kommunistischen Norm gleichgesetzt hatte, nur über wesentliche

Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse und Strukturen zu ihrem politischen Ziel

kommen könnte.106

Diese befürwortende Haltung stieß in der Schweizer Politik und Bevölkerung auf breite

Verurteilung. Alsbald wurde die PdA als "Partei des Auslandes" und potentielle fünfte

Kolonne geschmäht und verlor so innerhalb weniger Wochen ihren politischen Einfluss, der

105

Zitiert aus NZZ 7.3.1948 Nr. 463

106 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 57

55

in den eidgenössischen Wahlen 1947 mit 50'000 Wählerstimmen respektive 5 % ihren

bisherigen Höchstwert erreicht hatte.107

So schreibt die NZZ vom 11. 3. 1948 bezeichnend:

„Prag gestaltete sich so zu der eigentlichen innenpolitischen "Rechnung" – nicht die

aussenpolitische Bedrohung, sondern die Existenz einer kommunistischen Partei in der

Schweiz wurde so zum Prüfstein nationaler Gesinnung gemacht.“108

Es ist kein Zufall, wenn die Demokratische Partei (die seit den dreißiger Jahren mit der SPS lose

verhängt) in ihrer Verurteilung der Ereignisse in der Tschechoslowakei als probates Abwehrmittel

gegen allfällige Umsturzgefahren in der Schweiz die Vollendung des "sozialen

Verständigungswerks zwischen allen Kreisen des Volkes"109

verlauten liess.110

Die Abgrenzung

scheint hier nach beiden Seiten zu funktionieren, der Moment der Differenzierung, der

Unterscheidung liefert auch Anlass, wie im Fall der demokratischen Partei „Inklusionen“

herzustellen oder zu betonen.

Auch die die Erklärung der sozialdemokratischen Partei fiel Tenorkonform aus, die SP forderte bin

der Staatsschutzdebatte im Nationalrat die..„

"Handhabung dieser Bestimmungen (…) gegen alle Feinde der Demokratie und des

wahren sozialen Fortschritts ", eine leere Hoffnung, wie sich in den folgenden Jahren

erwies.“111

Auch hier ist die Abgrenzung ersichtlich; es wird gefordert gegen die Feinde der Demokratie

vorzugehen und der „wahre soziale Weg“ vom Kommunismus abgegrenzt. Die

Nuancierungen wurden laut Frischknecht, Hafner, Haldimann und Niggli in der bürgerlichen

Presse scharf registriert und dort an den Pranger gestellt, wo eine explizite Verurteilung der

PdAs durch die SPS, wie es in Zürich der Fall war, fehlte.112

Auffallend ist, wie die PdA zum „Feind“ und gleichzeitig die kommunistische Gesinnung

zum „Bösen“ ernannt wird. Genauer den vorangegangenen Überlegungen entsprechend

107

Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 57

108 NZZ, 11. 3. 1948

109 NZZ, 3.3.1948, Nummer 453

110 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

111 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

112 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

56

formuliert; wird die Kommunistische Gesinnung in diesem Kontext zum Bösen, die

Sowjetunion zum Feindbild und die PdA zum Feind der Schweizer Gesellschaft.

Das Dispositiv, das um den Schweizer Diskurs zur „Selbstdefinition“ einrahmte hatte durch

die Geschehnisse in Prag schlagartig eine neue Form angenommen. Die Sowjetunion tat sich

als Unterdrücker eines demokratischen, kleineren Staates hervor. Mit dieser Handlung

attackierte der Kommunismus, einige der wenigen „Grundbausteine“ des soweit noch

vorhandenen „Schweizer Selbst“, wie die Demokratie, die Freiheit (im Sinne einer liberalen

Tradition der Schweiz) und das Lebensrecht als Kleinstaat.

Die kommunistische Haltung wurde postwendend über diese Ausschliessungsmechanismen

zum „Bösen“ stilisiert und mit ihr fand diese „Abrechnung nach Innen“ statt. Welche

strategischen Überlegungen die PdA dazu bewegten, sich derart klar auf die Seite des

sowjetischen Putschisten in Tschechien zu stellen, kann hier nicht beantwortet werden,

vielleicht hatte man schlicht die politische Zustimmung dahingehend überschätzt, als dass

eine klare Solidarisierung mit dem internationalen Kommunismus zu einer Blockbildung

innerhalb der Schweizer Gesellschaft führen würde und man sich so dem Zulauf aller

anderen durch die bürgerliche Beanspruchung der Schweiz ausgeschlossen erfreuen würde.

Das Gegenteil war der Fall.

Der nationale Freisinn fand sich bald ermächtigt, auch die staatlichen Organe zu einer

Verurteilung und Aktivwerdung gegen die kommunistischen Elemente im eigenen Land zu

bewegen. Der Nebelspalter stellt den „Ausschluss“ in Form eines überkochenden Glases

Marmelade dar, das nicht in den Schrank zu den anderen passt:

57

113

An der Berner Kundgebung wurde schon "unnachsichtigere Überwachung aller

kommunistischen Elemente in der Schweiz" gefordert und die vereinigten bürgerlichen

Parteien verlangten am 8. März 1948 vom Zürcher Regierungsrat, "allen ihm zu Gebote

stehenden Mitteln ersetzenden Umtrieben rechtzeitig und kompromisslos entgegenzutreten",

ein Refrain, der von den meisten, vor allem freisinnigen Parteierklärung durchs ganze Land

hindurch aufgegriffen wurde.114

In jenen Monaten wurde die Staatsschutzgesetzgebung, neuerdings einer Überprüfung durch

die eidgenössischen Kammern unterzogen. Diese Debatte stand nun unweigerlich unter dem

Schatten der Geschehnisse in Prag, die den Diskurs als neues Dispositiv einrahmten. Es war

nun nicht mehr möglich eine neutrale Position zu halten, da sich die Sowjetunion klar zu

113

„Helvetas Hausfrauensorgen“, Nebelspalter 1948 Vgl. Bildverzeichnis Abbildung A

114 Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58 ff.

58

erkennen gegeben hatte. Vornehmlich diese neuen Umstände motivierten die Räte sich für

eine Verstärkung des „Staatsschutzes“ einzusetzen.

Am 4. März 1948 warnte die Kommission unter Leitung des katholisch-konservativen

Oberwallisers Escher, dementsprechend

"“keine Lockerung der Stadtschutzbestimmungen eintreten zu lassen, sondern

gegebenenfalls dieselben zu verschärfen und in die ordentliche Gesetzgebung über

zuführen".““115

Die Abwehr staatsgefährdender Umtriebe beschäftigte auch die darauf folgende Sitzung der

Landesverteidigungskommission vom 24. März 1948, an welcher der EMD (Eidg. Militär

Departement) -Vorsteher Bundesrat Karl Kobelt formulierte: „

"Unter den zu treffenden Massnahmen müsste vor allem die Vorbereitung gegen

kommunistische Agitation und allfällige Umsturzversuch im eigenen Land gepflegt

werden. In erster Linie ist die geistige Landesverteidigung zu fördern durch eine

entsprechende Aufklärung der Bevölkerung mittels Presse, Konferenzen und

gegebenenfalls durch eine Wiederbelebung der Tätigkeit der Sektion "Heer und

Haus“.“116

An dieser Stelle wird klar welche Tragweite der geistigen Landesverteidigung im Schweizer

Diskurs haben sollte. Sie ist ein von höchster politischer Instanz empfohlenes bis hin zu einem

befohlenen Konzept, das der Bevölkerung durch die Medien, Anlässe und daraus folgend

durch die Wiederbelebung der Sektion „Heer und Haus“ nähergebracht werden soll. Die

Sektion „Heer und Haus“ war ursprünglich im Nov. 1939 aufgrund eines Armeebefehls des

Schweizer Volkshelden und Gallionsfigur des „Durchhaltens“ General Henri Guisan aus der

Gruppe Armee der Pro Helvetia gegründet. Ursprünglich war die Sektion beauftragt, die

Soldaten zu belehren und zu unterhalten und so den Wehrwillen der Truppe auch während

längerer Einsätze aufrechtzuerhalten. Die Sektion war schon 1941 reorganisiert worden, als

Guisan der Generaladjutantur den Befehl erteilte, eine Kampagne zur "Aufklärung der

Zivilbevölkerung" vorzubereiten.

Nach der Demobilmachung 1945 entstanden aus der Sektion Haus und Heer zwei zivile

Aufklärungsdienste: Aus der welschen Abteilung des "Aufklärungsdienstes Zivil" gingen die

eher sozialpolitischen und wirtschaftlichen Zielen verpflichteten „Rencontres Suisses (RS)“

hervor, aus der Deutschschweizer Abteilung entsprang Ende 1947 mit entscheidenden

Impulsen durch die Neue Helvetische Gesellschaft, der Schweizerische Aufklärungsdienst

115

Zitiert in: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 57

116 Zitat aus: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

59

(SAD), der sich im Sinne der Geistigen Landesverteidigung dem Kampf gegen den

(kommunistischen) Totalitarismus widmete. 117

Bundesrat von Steigers interne Äußerungen lassen erkennen, dass private

"Staatsschutzbemühungen" behördlich abgedeckt, wenn nicht gefördert werden sollten.118

Die

Reaktivierung der Sektion Heer und Haus zeigt den Rückbezug auf Strategien des Zweiten

Weltkriegs deutlich auf. Dieser Rückbezug vermittelt die Sichtweise auf die neue Situation

aus Perspektive der Landesregierung.

Die geistige Landesverteidigung wurde also behördlich benannt und bewusst gefördert.

Weiter wurde sie aufbauend auf den Geschehnissen in Prag zu einer sehr konkret installierten,

abstrakten Basis des Staatsschutzes. Die geistige Landesverteidigung war nun politisches,

mediales und militärisches Programm.

An der Eröffnung der Nationalratssession vom 11. März 1948 wurde die PdA nicht nur als

die "Partei des Auslandes" exorziert, sondern wurde zusätzlich durch alle Parteien einer

Verschärfung des Staatsschutzes gehuldigt. Der zuständige Bundesrat Eduard von Steiger gab

in seiner Intervention den Ball an das "Volk" weiter:

"“Zum Schweizer Volk möchte ich sagen, dass es mit den Staatsschutzbestimmungen nicht

getan ist, sondern dass Wachsamkeit überall erforderlich ist."“ 119

Die globalpolitischen Geschehnisse wirkten also offensichtlich und mit durchdringender,

mobilisierender Kraft, als Dispositiv auf die Diskurse der Schweizer Gesellschaft ein. Nicht

nur vermochten diese Geschehnisse einen Popularitätsabsturz der PdA, wie er in

demokratischen Gesellschaften vorkommt, zu provozieren, sondern diese als

„gesinnungsfeindlich“ aus der demokratischen Gesellschaft der Schweiz auszuschliessen.

Politische Zensur und mediale Manipulation fanden sich plötzlich auf der Agenda des

demokratischen Kleinstaats Schweiz.

Als 1950 der Koreakrieg ausbrach, galt die Vorstellung eines neuen allgemeinen Krieges auf

einmal nicht mehr als unmöglich. Bezeichnend für die Beurteilung der inneren Lage war, dass

der Bundesrat die seit Kriegsende stillgelegte Sektion "Heer und Haus" im Armeestab wieder

117

Historisches Lexikon der Schweiz Online 29.11.2007: „Heer und Haus“

118 Zitat aus: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

119 Zitiert aus: Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

60

aktivierte. Also zusätzlich zum bereits aus dieser Sektion neu gebildeten SAD

(Schweizerischer Aufklärungsdienst).

Die politische geistige Abwehr der kommunistischen Subversion, als Nachfolgerin der

nationalsozialistischen, wurde vorbereitet. Die Weltgeschichte wiederholte sich scheinbar

unter neuen Vorzeichen.

Ab dem Jahr 1951 gab der Bundesrat Weisungen bezüglich "der Entlassung unzuverlässiger

Elemente aus dem Bundesdienst" heraus und am 5. Januar 1951 traten neue

Staatsschutzbestimmungen, die in das schweizerische Strafrecht integriert wurden, in Kraft.120

1953 begann das friedenssichernde Schweizer Engagement an der Grenze zwischen Nord-

und Südkorea: Eine Beobachterfunktion zur Sicherung des Waffenstillstandes. Die NNSC

(Neutral Nations Supervisory Commission in Korea) wurde so die älteste

Friedensförderungsmission der Schweizer Armee. Am 7. Juli 1953 hatte der Bundesrat

beschlossen das Militärdepartement zu ermächtigen, die Entsendung einer Kommission für

die Neutral Nations Supervisory Commission in Korea vorzubereiten. Im Laufe der folgenden

Monate reisten etappenweise insgesamt 146 Schweizer nach Korea, um den Waffenstillstand

zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, der vor allem eine Wiederaufrüstung

verhindern sollte. Diese Truppe ist auch heute noch aktiv. 121

Die Schweiz war zu jenem Zweck von Seiten der westlichen Mächte ausgewählt worden, die

östlichen Mächte stellten ebenfalls zwei Beobachtermissionen auf Nordkoreanischer Seite der

Grenze. Die Schweiz war also an diesem Punkt außenpolitisch bereits aktiv in die

Verhinderung einer kommunistischen Weltrevolution eingebunden.

7.3. Stalin als rhetorische Figur

Stalin sollte sich während dieser Zeit zum totalitären Diktator schlechthin stilisieren lassen.

Eine Wahrnehmung die sich durch die Karikatur seiner politischen Programmlehre

Nebelspalter illustrieren lässt:

120

Frischknecht/Hafner/Haldimann/Niggli, 1987, Seite 58

121 Homepage der Schweizer Eidgenossenschaft (08.02.2013): NNSC (Korea)

61

Auf dem Bild ist zu sehen wie der Teufel selbst dem Sowjetischen Dikator erklärt, wie er sich

zu verhalten habe. Gradliniger könnte eine Assoziation zum Bösen in einer christlich

geprägten Gesellschaft kaum verlaufen. Dieser kleine Einschub ist relevant da „Stalin“

respektive „Stalinistsich“ sich selbst (vergleichbar mit dem Teufel) zur rhetorsichen Figur des

Bösen qualifizieren soll. „Stalinistsich“ wird in den kommenden Jahrzehnten gleichgesetzt

werden mit einer Regierungsform die auf „Unterdrückung, Zensur, Massenmord,

Willkürherrschaft und Propaganda“ basiert. Es waren Ereignisse wie jene in Prag oder in

Tschechien, die in der Schweiz zu dieser Assoziation führten.122

7.4. Ungarn 1956 (Dispositiv)

Das Jahr 1956 war auf die globalpolitische Situation bezogen, nicht unbedingt ein

entspanntes. Britische und französische Truppen besetzten den von den Ägyptern

verstaatlichten Suezkanal. Die USA, mitten in der Präsidentenwahl stehend, protestierten

gegen das eigenmächtige militärische Vorgehen ihrer europäischen Verbündeten. Der

122

Abbildung B: Nebelspalter Nr. 14 , 1948;

62

Kremlherrscher Chruschtschow doppelte nach und drohte mit Raketenangriffen auf London

und Paris.123

Am 23. Oktober 1956 wird die Welt erneut Zeuge des kommunistischen

Durchsetzungswillens, diesmal in Ungarn. Allerdings ist die Struktur des Vorfalls dieses Mal

eine andere: Im Unterschied zu Tschechien wird der „Angriff“ nicht von Innen sondern von

aussen geführt. Der Kommunistische Ministerpräsident des Landes Imre Nargy wehrte sich,

wie aus heutiger, historischer Perspektive ausser Zweifel steht aktiv gegen die russische

Invasion.

Die militärische Niederwerfung des ungarischen Volksaufstandes gegen die sowjetische

Vormachtstellung brachte in der Schweiz den vorläufigen Höhepunkt der

antikommunistischen Gefühlswelle. Massendemonstrationen, an denen sich auch die Jugend

beteiligte, bekundeten die Solidarität mit den Unterdrückten. Begeisterung für die ungarische

Erhebung hatte freilich nicht nur einen antikommunistischen Aspekt. Wie 17 Jahre zuvor

beim Angriff der Sowjetunion auf Finnland identifizierte man sich in der Schweiz weithin mit

dem um seine Selbstständigkeit ringenden Kleinstaat.124

Anders als im Fall der Tschechoslowakei vor knapp 8 Jahren, findet dieser „Putsch“ nicht

durch, sondern gegen die kommunistische Landesregierung statt. Es handelt sich also im

Wesentlichen um eine sowjetische Invasion gegen eine, durch die Kommunistische Regierung

geführte Verteidigung.

Der Kapitalismus trat während der ersten Phase der Nachkriegszeit in seine wahrhaft globale

Entwicklungsphase ein. Zwar waren durch die kommunistische Machtübernahme in China

und Osteuropa große Teile vom Weltmarkt ausgeschlossen, allerdings erlaubte dieser

Umstand der kapitalistischen Systematik einen durchdringenderen Erfolg in der „westlichen“

Welt respektive den von Kapitalismus geprägten Ländern. In der Schweiz wurde das

(Neo)liberale Gedankengut willkommen geheißen und auch multipliziert, da es seit der

Gründung der politischen Schweiz zu den Grundpfeilern des Schweizer Selbstverständnisses

zählte.

123

Cattani, NZZ Folio, August1991

124 Gilg /Habützel 1986, in: Die Geschichte der Schweiz und der Schweizer S. 889/890

63

7.5. Ungarn 1956 (Diskurs)

Diese Vermengung von „Selbst“ als Kleinstaat und „Selbst“ als liberale Demokratie ist

exemplarisch für diesen Diskurs. So mag sich auch die Wahrnehmung von Imre Nagy in den

Medien einordnen lassen. „Das liberale“ stand gegen „das faschistische“ der Kleinstaat den

„Globalen Blöcken“ gegenüber. So war Imre Nagy ein Kommunist (also ein Feind) der einen

Kleinstaat (also einen Freund) gegen den kommunistischen grossen Bruder (also einen

grösserer Feind) verteidigte. Der Schweizer Diskurs reagierte, indem er die Bevölkerung als

Menschen einerseits von ihrer kommunistischen Regierung trennte und als Opfer verhandelte.

Ein ähnlicher Prozess wird im Kontext des Militärputsches gegen Gorbatschow zu beobachten

sein. Der Spiegel fasste die Situation für die deutschsprachige Bevölkerung zusammen:

„“..(..)in Waffen, Parteidoktrinen und barbarischen Normen erstarrten Oberfläche der

politischen Ordnung, die der titanische Tyrann Stalin in Osteuropa errichtete, ein

glühendes Lavameer der Verzweiflung, des Hasses und des Sehnens nach einem besseren

Leben angesammelt haben muß. Anders ist nicht zu erklären, was in den letzten Wochen

in Ungarn geschah. Die ungarische Revolution war bis gegen Mitte voriger Woche ein

Naturereignis - nicht weniger und nicht mehr.““ 125

Der Spiegel macht mit einer selbstverständlichen Logik klar, dass ein Widerstand gegen das

sowjetische System nichts anderes als menschlich ist, gar das Menschsein in seiner Natur

definiert. Ganz im Gegensatz zu der klar unmenschlichen, weil barbarischen Sowjetunion

unter ihrem „titanischen Herrscher“ Stalin. Wir erkennen hier Wageners „Entmenschlichung“

des Feindes wieder. Auch wird die Asymmetrie einer Täter-Opfer- Situation betont; Stalin ist

nicht nur ein böser (kaum noch) Mensch sondern eine überirdische Gottheit, so die Referenz.

Der gegenteilige Effekt wird beobachtbar sein, wenn Kim Jong Il erkrankt und so als eben

nicht über- sondern „untermächtig“ verstanden werden wird. Die Sowjetunion ist nun fernab

jeglicher Moral, fernab jeder Norm zu verorten, der „titanische Tyrann Stalin“, sein Einfluss,

seine Moral, seine Norm, sind das Böse, seine Person das Feindbild. Dementsprechend

reagiert die Schweizer Öffentlichkeit mit stärkster Unterstützung für die Bevölkerung.

Am 20. November fand in der Folge eine umfassende öffentliche Solidaritätsbekundung statt;

um punkt 11 Uhr 30, stand das Leben in der ganzen Schweiz für drei Minuten still. In den

Städten halten die Strassenbahnen an, die privaten Fahrzeuge zirkulieren nicht mehr, in den

Betrieben wurde die Arbeit eingestellt, die Menschen verharrten in ergriffenem Schweigen.

Die drei Schweigeminuten des 20. Novembers demonstrieren die durchgreifende

125

Der Spiegel 45/1956

64

Solidarisierung mit den Aufständischen/Unterdrückten in Ungarn. Jede Gesellschaftsschicht

schienen von tiefen empfinden betroffen.

Entsprechendes gilt für das Verhältnis zu Israel. Der ägyptische Staatschef Nasser erschien,

in seiner Nichtduldung des neuen Kleinstaates, als neuer Hitler. Waren auch antisemitische

Empfindungen manchem Schweizer seinerzeit nicht fremd gewesen, so gewährte man dem

fernen Judenstaat nun umso mehr volle Solidarität. Eine dem Diskursverlauf entsprechende,

verständliche Distanzierung, da „dem Faschismus die Stirn bieten“ gerade diskursbestimmend

ist. Es versteht sich bei dieser Interpretation, dass die „Faschistischen Elemente“ von den

eigentlichen Inhalten getrennt sind, also dass der Kampf gegen den Faschismus im Kampf

gegen den Kommunismus mitunter aufgrund dessen faschistischer Ideologie geführt wird.

Das faschistische Element ist also ein wichtiger Bestandteil des Bösen.

Dass der israelisch-arabische Konflikt in erster Linie in das allgemeine Verhältnis zwischen

Industrie-und Entwicklungsländern einzuordnen sei, begann man erst in den siebziger Jahren

zu erkennen. Und diese Erkenntnis trug eher dazu bei, das Verständnis für die

Entwicklungsländer zu erschweren als die Sympathien für Israel zu beeinträchtigen.126

Die Geschehnisse in Ungarn führten zu einer Verschärfung der Rhetorik, dieser diskursiven

Verschärfung folgend trieb die Furcht vor dem Feind neue Blüten.

So galt in der Schweiz beispielsweise seit Mitte der 50er Jahre, neu eine Bestimmung zum

Bau von Luftschutzkellern in jedem Wohngebäude, die in der Zwischenzeit zwar wieder

aufgehoben worden ist, allerdings bis und über das Ende des kalten Krieges hinaus, gelten

sollte. Das Schreckgespenst „Invasion“, schwebte also umso bedrohlicher über den Schweizer

Köpfen und fand darum an diversen Stellen Eingang in die Gesetzgebung. Die geistige

Landesverteidigung wird ab diesem Punkt also noch verstärkter institutionell getragen.

8. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970

Im Folgenden wird die Überfremdungsinitiative im Lichte der geistigen Landesverteidigung

untersucht. Besonders bemerkenswert ist diese Angelegenheit weil das bisher aus einem

globalen Diskurs konstruierte Dispositiv eine Adaption erfährt. Die zunehmend abstrakter

werdende Bedrohung von Seiten der Sowjetunion schwindet aus dem alltäglichen

Bewusstsein und macht einem neuen, gegenwärtigeren Feind Platz: den Einwanderern.

126

Gilg /Habützel, 1986, in: Die Geschichte der Schweiz und der Schweizer S. 890

65

8.1. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970 (Dispositiv)

Die Schweiz war in der Zwischenzeit noch vier weitere Male aufgefordert worden Teil der

UNO-Aktionen zu werden. Die Frage des Beitritts der Schweiz wurde erst Ende der sechziger

und Anfang der siebziger Jahre wieder ernstlich erwogen und zwar in zwei Berichten, die der

Bundesrat über die Beziehung der Schweizer zu den Vereinten Nationen der

Bundesversammlung vorlegte (1969 und 1971). Es war der Zeitpunkt, an welchem sich

Entspannung durch die globale Politik zwischen den vereinigten Staaten und der Sowjetunion

abzuzeichnen begann, da mittlerweile auch die Volksrepublik China und die Bundesrepublik

Deutschland und sogar die Deutsche Demokratische Republik die Mitgliedschaft der UNO

erlangten. Der kalte Krieg wurde in einem gewissen Sinne in seiner „Kälte“ institutionalisiert,

indem statt vollständig getrennten antagonistischen Blöcken nun doch eine umspannende

Institution bestand. Bei dieser Institution waren auch fast alle Staaten Mitglied, außer der

Schweiz. Der heute so gefürchtete Iran war übrigens Gründungsmitglied der UNO.

Die Zahl jener Staaten der Welt, die den vereinten Nationen nicht angehörten, war zu diesem

Zeitpunkt schon minim und es handelte sich bei den Nichtmitgliedern vornehmlich um

Staaten von geringer Bedeutung. Angesichts dieser Lage empfahl der Bundesrat in beiden

Berichten die Schweiz müsse möglichst bald unter Wahrung ihrer Neutralität den Vereinten

Nationen beitreten. Wir beobachten in diesem Bestreben, sofern denn Dürrenmatts

Interpretation der, den Bundesrat motivierenden, Beweggründe stimmt eine gewisse

Isolationsfurcht auf Seiten der Landesregierung. Die auch die Bemerkungen in den jeweiligen

Berichten, die ein weiteres Abseitsstehen als Gefahr verstanden, die Schweiz könne sich

durch ihr Verhalten international isolieren.127

Der Bundesrat setzte eine Studienkommission

ein, die 1975 in einem ausführlichen Bericht in ihrer mit Mehrheit zu ähnlichen Einsichten

kam. Beide Berichte enthielten keinen spezifischen Termin, auf welchen der Eintritt geplant

war. Damit wurde der Zwiespalt sichtbar, in den die schweizerische Politik geraten war: Die

nüchterne Vernunft und unsentimentale Überlegungen der politischen Nützlichkeit mussten

der Bundesrat Recht geben, wenn er die Meinung vertrat, der Zeitpunkt zum Beitritt sei

gekommen. 128

Auf allen Gebieten zeigte sich in jenem Moment, in wie hohem Umfang der Schweiz, in das

was sich in der Welt abspielte bereits integriert war. So auch am 17. Oktober 1973 als die

127

Dürrenmatt 1975, S.229

128 Dürrenmatt 1975, S.229

66

Organisation der Erdölexportierenden Staaten (OPEC) beschloss, in Reaktion auf den als

Yom-Kippur-Krieg bezeichneten Konflikt eine Reduktion des Ölangebots um 5 Prozent

gegenüber dem Niveau vom September 1973 umzusetzen. Dies war möglich, da die

arabischen Länder schon damals einen großen Teil des Ölmarkts unter ihrer Kontrolle

hatten.129

Auf der anderen Seite aber verstand die Schweizer Öffentlichkeit das Verhalten der

UNO als einseitig in der Stellungnahme zu weltpolitischen Konflikten.130

In der zentralen Frage der Vorgänge im Nahen Osten und der Beziehungen Israel zu seinen

arabischen Nachbarn bekannte sich die Mehrheit der UNO demonstrativ und eindeutig zu den

Auffassungen der Araber. Also diametral der in der Schweizer Gesellschaft verbreiteten

Auffassung entgegengesetzt, die sich ja aus ideologiegeschichtlichen Gründen eher einem

Staate Israel verpflichtet fühlten.

Solche Entwicklungen förderten das Misstrauen in großen Teilen der schweizerischen

Stimmberechtigten gegenüber der der politischen Mission der UNO. Für den Beitritt wäre das

„Ja“ von Volk und Ständen nötig gewesen. An dieses Ja glaubte auf Regierungsebene

niemand. Jedermann fürchtete die Folgen eines Neins für das internationale Ansehen der

Schweiz. So blieb es bei der beobachteten Verbindung. Es gibt auf dem Gebiet der Schweizer

Befreiungsmythologie kaum eine andere Haltung, die gleich populär ist wie jene Stelle im

ersten Bundesbrief, wo erklärt wird dass sie "keine fremden Richter" über sich dulden.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen außenpolitischer Strategie und dementsprechender

Expertenempfehlung durch den Bundesrat und des innenpolitischen Ratifikationspotenzial

derselben, zeigt die bestimmende (oder überstimmende) Kraft dieser Schweizerischen

„Vorstellung des Selbst“ auf: Obwohl es strategisch Sinn machen würde und der Bundesrat

mehr oder minder geschlossen hinter der Idee steht, ist es zu diesem Zeitpunkt nahezu

unmöglich einen UNO Beitritt an der Urne zu erreichen

Seit den 50er Jahren war die Welt noch einige Male an den Rand eines Atomkriegs gerutscht,

am nahesten wahrscheinlich während der Kubakrise. Seither wurde es von den beiden

antagonistischen Blöcken auf das Dinglichste vermieden in eine direkte, vergleichbare

Konfrontation verwickelt zu werden. Der Stellvertreter Krieg wurde zur globalen Normalität.

Die Gefahr eines allumfassenden zerstörerischen dritten Weltkriegs ist so schrittweise aus

dem Spektrum der Alltagssorgen der Schweizer Bevölkerung gewichen. Der ideologische

129

Zeitenwende.de (1.7.2002): “Die Ölkrise 1973“

130 Fußend auf: Dürrenmatt, 1975, S.230

67

Konflikt wurde in eine stärker abstrakte Ebene verschoben, es ging neuerdings um Kategorien

wie: Technischer Fortschritt, Umstürze in Schwellen- und Drittweltländern und natürlich

Aufrüstung.

Der globale ideologische Wettbewerb und somit einer der Grundpfeiler der relevanten

Dispositive, gewann eine völlig neue und eben entferntere, abstraktere Gestalt indem er eben

durch neue Kategorien bewertet wurde. Das Schlachtfeld war so in eine abstraktere Sphäre

gerückt.

Um die Mitte der Sechzigerjahre befand sich die Schweizerische Vorstellungswelt noch in

einer Art labilem Gleichgewicht. Die Landesausstellung von 1964, die "Expo" von Lausanne,

versuchte den Zwiespalt zwischen Bindung an die Vergangenheit und Ausblick auf die

Zukunft mit Charme, aber ohne eigentliche Analyse der Probleme zu überbrücken.

Gleichzeitig stellte der Basler Staatsrechtslehrer Max Imboden eine schleichende Krise, die

"helvetische Malaise", fest. Er erfasste damit den Beginn einer Periode allgemeine

Ungewissheit infolge der Entkräftung von Wertvorstellungen, die bis anhin das

gesellschaftliche Dasein geprägt hatten. In dieser allmählich um sich greifenden

Orientierungskrise wurden nun auch in der Schweiz Bewegungen wirksam, die sich durch die

vom Wachstum veränderten Industrieländer verbreiteten und das Leben nach neuen Inhalten

auszurichten strebten.131

8.2. Die Überfremdungsinitiative 1968-1970 (Diskurs)

Im Jahre 1968 kam es in der Schweiz wie in anderen Gesellschaften auch, zu einer

Auflehnung gegen die gesellschaftlichen Ordnungen, die von einem großen Teil der jungen

Generation getragen wurde. Wenn sich das Gros der heranwachsenden der Fünfzigerjahre,

skeptisch gegenüber großen Zielsetzungen und auf die Wahrnehmung der beruflichen

Chancen konzentriert hatte, brach in der Jugend der späten Sechzigerjahre der Überdruss an

einer Gesellschaft durch, deren bestimmende Werte mehr und mehr Leistung und Konsum

geworden waren.

Die von der Elterngeneration und Schule vertretenen Traditionen und Vorstellungen, Sitten

und Ordnungen, wirkten unglaubwürdig und wurden als Fessel empfunden, von denen man

sich zu emanzipieren strebte. Man rief nach Freiräumen und sprengte in „schockierender

131

Gilg/Hablützel (1986) in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer Seite 893

68

Unbekümmertheit“ die überkommenen äusseren Formen: in Kleidung und Haartracht, im

zwischenmenschlichen Verkehr, im Umgang mit dem anderen Geschlecht.132

Diese Bewegung und die entsprechenden Diskurse waren von ausländischen Universitäten

ausgegangen und wurden auch in der Schweiz hauptsächlich von Studenten aufgenommen

und betrieben. Das gab der Bewegung einen Intellektuellen, darüber hinaus aber auch ein

missionarisch-revolutionären Charakter man griff auf die marxistische Analyse des

Kapitalismus zurück, ergänzte sie jedoch durch die von Sigmund Freud beeinflusste neuere

Sozialpsychologie.133

Was sich laut Dürrenmatt im schriftstellerischen Werk der Sechzigerjahre abzeichnete, war

die Darstellung persönlicher Identitätskrisen, oft in Zusammenhang gebracht mit dem

politischen Zustand des Landes. Es zeigte sich aber, dass mehr als ein literarisches Problem

hinter der Krise des schweizerischen Selbstverständnisses verborgen war. Für zahlreiche

Schweizer, die sich über die Lage der Schweiz Gedanken machen, stimmte das aus den

ideologischen Rückbezügen übernommene Bild mit der Realität nicht mehr überein.

Aus verschiedenen Ursachen entstand eine Lage, die mit dem französischen Wort "Malaise"

umschrieben wurde. Der Basler Rechtsprofessor Max Imboden verwendete den Ausdruck als

Titel eines kleinen Werkes. Darin fällte er ein hartes Urteil über die Schweiz, indem er

schrieb:

" Im 19. Jahrhundert waren wir eine revolutionäre Nation, heute sind wir eine der

konservativsten der Welt. Wir selbst verspüren diesen Wandel wenig, aber jeder

ausländische Betrachter verspürt ihn umso mehr."134

Diese, so rundum prägnant aufgestellten Behauptung wurde in jenem Moment von vielen

Schweizern, vor allem in den Kreisen der jungen Generation, zugestimmt.135

Es äußerte sich hier auch die Beanspruchung der geistigen Landesverteidigung durch

konservative bürgerliche Kreise. Theo Mäsuli benennt wie bereits erwähnt zwei verschiedene

Konzeptionen der geistigen Landesverteidigung, welche sich aus den unterschiedlichen

Wahrnehmungen und dem Ringen um den Begriff ergeben haben.

132

Gilg/Hablützel in: Geschichte der Schweiz und der Schweizer Seite 893

133 Gilg/Hablützel in: Die Geschichte der Schweiz und der Schweizer Seite 893

134 Zitiert in: Dürrenmatt, 1979, Seite 198

135 Zitiert aus: Dürrenmatt, 1979, Seite 198

69

Er anerkennt gewissermaßen die Aneignung des Begriffs durch die konservativen Kreise. Die

geistige Landesverteidigung bezieht ihre Kernwerte aus einer bäuerlichen, urtümlichen

„Schweiz als Dorf“. Spätestens seit dem Positionsbezug der PdA bezüglich des tschechischen

„Februar-Putsches“, der allgemeinen Verurteilung der PdA und v.a. der Expliziten

Beobachtung durch den SAD (Schweizerischer Aufklärungsdienst) aller möglichen

Kommunistischen Elemente, ist ersichtlich dass die Verteidigung seit den späten

Vierzigerjahren einem Feind von Links gilt.

„Alternative“, also nicht bürgerliche Kreise aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsteilen,

verstanden sich aus diesen Gründen nicht unbedingt weniger als Schweizer, respektive

nahmen trotzdem die geistige Landesverteidigung als „ihre Verteidigung“ wahr, standen aber

ihren bürgerlichen Trägern gegenüber und dementsprechend den mittlerweile etablierten

Standpunkten der geistigen Landesverteidigung kritisch im Sinne einer Ausgeschlossenheit

aus der eigenen Selbstwahrnehmung als Schweizer gegenüber.

Mäusli nennt diese beiden Auslegungsweisen „Pole“ und unterscheidet die beiden möglichen

Auffassungen von geistiger Landesverteidigung in die Kategorien in einerseits "eng"

gegenüber andererseits "offen". Eng wäre eine Geistige Landesverteidigung, in der

Mentalitäten wie Nationalismus, Rassismus Traditionalismus eine überragende Rolle

einnehmen, eine gemäss Meier-Seethaler fundamentalistisch anmutende Konzeption136

, die

Mäusli als" Blut und Boden"-Ideologie bezeichnet.137

Offen zeigte sich zum Vergleich das Konzept etwa eines jungen Max Frisch, der im Radio

1937 sein Buch "Wort aus der Stille", in Schweizer Dialekt, so vorstellte:

„"Die Geschichte handelt im Wallis, aber es kommen keine Alpen vor, kein Jodeln und

nicht einmal ein Verein. Und trotzdem hoffe ich dann dort auf einen stillen Leser, der

vielleicht findet, dass es etwas von einem Schweizer geschriebenes, dass sein Land und

seine Berge gern hat, wie kaum etwas anderes, auch wenn er Schriftdeutsch schreibt."“138

Schweizer sein musste für Frisch nichts mit Folklore zu tun haben, dafür mit stiller, spürbarer

Liebe zum eigenen Land. Und auch ein schriftdeutscher (nicht hochdeutscher) Text vermag

sich von der aktuellen deutschen Kultur zu distanzieren. Mäusli hält es für wenig

erkenntnisreich, die damals leitende und bis heute nachwirkenden Mentalität pauschal als

136

Meier Seethaler, 2008, in: Faulstich (Hrsg.) S.48

137 Vgl. Mäusli 1995, S.30

138 Zitiert aus: Zeitzeichen, 50 Jahre Radio in der deutschen Schweiz, zitiert in: Mäusli 1995, S.34 (Fussnote 69)

70

"rassistisch" oder "Blut und Boden" zu richten, vielmehr ist aufzuzeigen wie dieses durch die

geistige Landesverteidigung bestimmte Denkmuster je nach Interesse oder je nach tiefer

verankerter Mentalität zu ganz unterschiedlichen Urteils- und Verhaltensweisen gegenüber

denselben Sachverhalten für konnte.

Für diesen Zusammenhang ist wichtig, dass die Identitätskrise der Romanfigur Stiller nicht

nur jene des Menschen an und für sich, sondern auch jene Stillers als Schweizer und jene des

Schweizer Bürgers war. Es zeigte sich, dass die in der Gestalt Stillers dargestellte Krise

zugleich Max Frisch eigene war. Auch er opponierte gegen die offizielle Schweiz. Es wurde

bedeutsam, dass nun eine ganze Generation von Schriftstellern zu Worte kam, die aus den

verschiedensten Richtungen ihre Fragezeichen zum schweizerischen Selbstverständnis

setzten.

„Selbstverständnis“ das Wort an sich war für die Literaten schon verdächtig.

Selbstverständnis wies nach ihrem Empfinden bereits auf eine neue, beginnende

Selbstgerechtigkeit hin. Im überwiegenden Urteil dieser Schriftsteller bot die offizielle

Schweiz im besten Falle Fragezeichen. In vielen Fällen nur noch negative Aspekte.

Das plötzliche Aufbrechen dieser Selbstverständnis- Krise war letzten Endes die Reaktion auf

die "geschlossene" Lage der Kriegszeit. Diese hat, aufgrund ihrer nahezu

fundamentalistischen Rückbezogenheit auf traditionelle Werte, ein Bild der Schweiz

hinterlassen, dass sich in die neue, in die "offene" Lage nicht einfügen wollte. Gegen den

Ausdruck "Landesverteidigung" war schon Ende der fünfziger Jahre opponiert worden. Er

klang in den Ohren der neu in die Politik eintretenden jungen, liberalen Schweizer zu sehr

nach bloßer Abwehr, nach Furcht vor dem Wettbewerb und nach der Ablehnung, sich im

internationalen Zusammenhang durchsetzen zu wollen. Die Terroraktionen am Ende der

sechziger Jahre relativierten allerdings diese Offenheitsbestrebungen der jungen

Generation.139

Das Unglück rührte daher, zunächst zumindest, dass in dem schweizerischen politischen

Empfinden der Unterschied zwischen dem idealen und dem wirklichen Land nicht

überwunden war. Es gab feste Vorstellungen über das Wesen der Schweiz, die mit der

Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Es sind Vorstellungen, die in der Vorkriegszeit während

des Krieges entstanden sind. Das Bild der Schweiz, welches die Landesausstellung von 1939

139

Dürrenmatt, 1979, Seite 198

71

veranschaulicht hatte und das zu einem der Leitbilder der geistigen Landesverteidigung

geworden war.140

Natürlich ist der Begriff der Realität/Wirklichkeit immer ein besonders schwieriger wenn die

Diskussion von metphysischen Gegenständen handelt. Ideologie und so auch die geistige

Landesverteidigung ist ein metaphysischer Gegenstand. Der Kontrast zwischen

Selbstwahrnehmung und „Schweizer Wirklichkeit“ ist also schon rein durch die Konstruktion

Dürrenmatts der Fragestellung gegeben.

Laut Dürrenmatt war dieser Situation eine Entwicklung vorangegangen, die zunächst bloß

literarisch in Erscheinung trat, die aber die Krise des Schweizer Selbstverständnisses bereits

andeutete. Dürrenmatt meint den krassen Gegensatz, der sich plötzlich zwischen der

politischen Auffassung der offiziellen Schweiz, eben des (mittlerweile vielzitierten)

Establishments (oder um moderne rhetorischen Formen der SVP heranzuziehen: Der „classe

politique“) und einem großen Teil der schweizerischen Schriftsteller zeigte. Das war etwas

Neues. Die kritische Haltung der Literatur gegenüber den Inhalten der geistigen

Landesverteidigung, destabilisierten diese in ihrer Funktion der Schweiz ein „einheitliches“

insofern von allen Schweizern getragenes Selbstbild zu verleihen. Nebenher begannen sich

die Ausrichtungen der „Verteidigungswahrnehmung“ von Volk und Regierung zu trennen.

Während das Volk den West-Ost Konflikt nicht als zentrale oder gegenwärtige Problematik

wahrnahm, da dieser Konflikt in zunehmende „Abstraktheit“ rückte, verstärkten derweil die

staatlichen Institutionen ihre Abwehr gegen den „Kommunistischen“ Feind weiter. So wurden

geheime Organisationen wie die P27 (Projekt 27) und die P26 (Projekt 26) gegründet,

Geheimorganisationen die vollkommen der Kontrolle und auch dem Bewusstsein der

Schweizer Bevölkerung entzogen blieben.141

8.3. Die Sempacher Rede (Diskurs)

In diesen Diskurs der andauernd neu verhandelten Identität der Schweizer als Schweizer, als

auch des zunehmend abstrakter werdenden West-Ost Antagonismus, fällt James

Schwarzenbachs Überfremdungs-Initiative. James Schwarzenbach, geboren 1911 in

Rüeschlikon, entstammte einer Textilindustriellenfamilie aus dem Kanton Zürich. Er war

Verleger und betätigte sich auch als Autor. Die in seinem eigenen damaligen Thomas-Verlag

140

Dürrenmatt, 1979, Seite 198

141 SRF Reporter vom 16.12.2009, 22:31 Uhr: „In geheimer Mission - Mitglieder von P-26 brechen ihr

Schweigen“

72

erschienen Publikationen gelten teilweise als faschistisch, völkisch und antisemitisch, als

Beispiel sei seine wohl berühmteste Publikation „Dolch und Degen“ genannt. In seiner

Jugend war Schwarzenbach Mitglied der Nationalen Front, später wurde er Parteichef der

Nationalen Aktion. Von den Wahlen 1967 bis 1979 gehörte er dem Nationalrat an und war

1971 bis 1974 Fraktionspräsident.142

Im Jahr 1971 gründete er die Republikanische Partei der Schweiz. James Schwarzenbach

stand also Theo Mäuslis Definition folgend, politisch im Zentrum der „engen“ Auffassung

von geistiger Landesverteidigung. Die Schweiz hatte an dieser Grenze zwischen „enger“ und

„offener“ Auslegung von geistiger Landesverteidigung eine Spaltung erfahren. Die

konservativen, von Nationalismus geprägten und bürgerlichen Kreise hatten aufbauend auf

der Landidealisierung der Expo 39 ihr Bild der traditionellen als die „richtige“ Schweiz

verfestigen können.

Diese Verfestigung steht im Kontext zur Abwehr gegenüber dem Kommunismus insofern, als

dass die bürgerlichen Kreise durch ihren politischen Inhalt sich als Speerspitze des

Antikommunismus etablieren konnten. In Zuge dieses Prozesses wurde die geistige

Landesverteidigung durch die bürgerlichen Kreise weitgehend erfolgreich beansprucht. Aus

denselben Kreisen wurden auch staatliche Maßnahmen zur Abwehr des Kommunismus

gefördert. Diese Kreise waren im Kontext des Diskurses gesprochen „ermächtigt zu

verteidigen“. Durch die Mobilisierung der Studentenschaften auf der anderen Seite, die sich in

einem international kontextualisierten „linken“ Ansinnen begriffen, wurde diese Spaltung der

Schweizer Gesellschaft umso augenscheinlicher.

James Schwarzenbach konnte also auf einen Hintergrund zurückblicken, der ihn in eine

„diskursmächtige“ Position setzte: er entsprang einem bürgerlichen Geschlecht und war selbst

dem „Fronten“-Kontext zuzuordnen, was ihn zur „Nutzung“ der engsten Form des Begriffs

der geistigen Landesverteidigung ermächtigte, gleichzeitig aber breit abstütze. Dieser

Hintergrund war eben der bürgerliche, dessen Auffassung der Schweizer Identität von den

staatlichen Institutionen reproduziert wurde. So nutze Schwarzenbach diesen Hintergrund um

sich als „Verteidiger“ der Schweiz zu etablieren. Da der Kommunismus, respektive die

Sowjetunion als konkreter Feind, wie eingehend dargelegt, erheblich an Bedrohungsmacht

eingebüßt hatte, war Raum für einen näheren, sichtbareren Feind der Geistigen

Landesverteidigung geschaffen.

142

Webseite des Schweizer Parlaments: „Bundesversammlung - Fraktionspräsidenten seit 1917“

73

Dieser Feind bedrohte durch „Überfremdung“, die von den bürgerlichen Kreisen erst als Kern

der Geistigen Landesverteidigung definierten und dann für sich beanspruchte „Blaupause der

Schweiz“ insofern es sich um eine „kulturelle Überfremdung“ handelte.

Die gesellschaftliche Relevanz der Überfremdungsinitiative wird besonders durch die bis zu

jenem Zeitpunkt nie dagewesene Wahlbeteiligung von 74% illustriert. Es sei an dieser Stelle

angemerkt, dass sich diese Wahlbeteiligung noch ausschließlich aus der männlichen

Bevölkerung zusammensetzte, zumal das Frauenwahlrecht erst ein Jahr später eingeführt

werden sollte. Die Wahlbeteiligung zeigt die Relevanz der Inititaive für den Diksurs um das

„Schweizer Selbst“. Im Anschluss an die (sehr knapp verlorene) Abstimmung vom 7. Juni

1970 hielt James Schwarzenbach auf dem Schlachtfeld von Sempach eine 1. August-Rede:

Liebe Mitbürger, liebe Mitbürgerinnen! Nach dem denkwürdigen 7. Juni war es unser

Wunsch, einmal mit der grossen Familie, die unserm Volksbegehren gegen die Überfrem-

dung zugestimmt hat, zusammen zu kommen und ihr unsern Dank abzustatten. Gibt es

dafür einen schöneren Tag als den Geburtstag unseres Vaterlandes und einen würdigeren

Ort als Sempach, wo doch jedes Kind weiss, was hier vor bald sechshundert Jahren

geschehen ist?143

Bereits in der Eröffnungssequenz aktiviert Schwarzenbach Elemente der Schweizerischen

„Ur-einheit“ indem er die wählenden Befürworter seiner Initiative als Familie bezeichnet, die

auch schon die Grundeinheit des „Dörfli“ an der blaupausengebenden Expo 39 bildete. Ferner

wurden sowohl der Ort als auch der Zeitpunkt der Rede dem Schweizerischen

Entstehungsmythos entsprechend gewählt. Mit der Betonung auf „jedes Kind weiss“ verstärkt

er die Selbstverständlichkeit seines Anspruchs. Dieser Anspruch auf die Schweiz findet

Ausdruck im Folgenden Abschnitt, in welchem er sich bei den Unterstützern der Initiative mit

folgenden Worten bedankt:

Ein besonderer Dank gebührt den annehmenden Ständen, zunächst der Innerschweiz, den

Kantonen Uri, Schwyz, Unterwalden und Luzern. Ein weiterer herzlicher Dank gebührt

Freiburg und Solothurn. Und überdies hat es uns besonders gefreut, dass auch der Kanton

Bern, in dessen Hauptstadt unser Parlament seinen Sitz hat, angenommen hat. Sehr

herzlich danken wir auch den Bürgern und Arbeitnehmern der Industriekantone, denn wir

wissen, welch ungeheurem, geradezu totalitären Druck sie von Seiten der Industrie

ausgesetzt waren. Wärmster Dank auch unseren Tessiner Freunden. Volle

fünfzehntausend haben Ja gestimmt. Das ganze Bleniotal war für uns. Ebenso herzlicher

Dank gebührt der welschen Schweiz. Es hat sich kein Graben gebildet, wie die

gegnerische Propaganda immer prophezeit hat. Das Gegenteil ist der Fall: Zwischen Stadt

und Land, zwischen Welsch und Deutsch, zwischen den Konfessionen, zwischen Bauern,

Gewerbetreibenden und Arbeitern hat sich ein Band der Solidarität neu geknüpft,

zwischen all denen, die in der Liebe zur Heimat verbunden sind. Wir können sagen, der

143

Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

74

alte, unverwüstliche Kern der Eidgenossenschaft hat dieser heimtückischen Nein-Parole

getrotzt.144

Durch die Betonung der Stände unterstreicht Schwarzenbach wiederum eine Schweizerische

Eigenheit, hier im politischen System selbst, ferner zieht er aus den Standesannahmen die

Berechtigung ganze Städte und Gebiete für seine ideologisch/politische Position zu

beanspruchen. Dieses „Übergreifen“ über die Regionen und Städte hinweg wird ebenfalls mit

starkem Bezug auf die Schweizerische Selbstwahrnehmung als föderalistischer,

mehrsprachiger Staat getätigt.

So wechselt Schwarzenbach die Kategorien von ganzen Ständen zu Städten bis zur Auflistung

einzelner Tausendschaften, die für seine Initiative gestimmt haben. In diesem Kontext ist die

spezielle Heraushebung der Tessiner augenfällig. Schwarzenbach schlägt so viele Brücken

wie es anhand der vorhandenen Daten überhaupt möglich scheint.

Über Sprach-, Einkommens- und religiöse Grenzen hinweg vereint er die Schweiz rhetorisch

unter dem „Dach“ der Überfremdungsinitiative. Ebenfalls als zentral ist die konsequente,

wenn auch teilweise der Logik entbehrende Verteidigungsrhetorik zu beobachten.

Schwarzenbach spricht von einem der „Nein-Parole trotzen“ als wäre diese Parole aktiv und

seiner Initiative vorrangig, als sei die Initiative gegen einen Feind verteidigt worden.

Der 7. Juni ist ein Markstein in unserer Geschichte, wenn nicht ein Wendepunkt! Es hat

sich politisch dort ereignet, was am 9. Juli 1386 hier militärisch geschehen ist: Antreten

geschlossen gegen eine gefährliche Übermacht – und dann der Ruf: «Eidgenossen, ich

will Euch eine Gasse machen!» Unsere Nationale Aktion mit ihren vielen Verbündeten

und Sympathisanten haben diese Bresche geschlagen. Aber eine Bresche wird sinnlos,

wenn nicht nachgestossen wird. Und der Einbruch in diese Phalanx der anonymen

Wirtschaftsdiktatur, die unsere Freiheit bedroht, der muss jetzt ausgeweitet werden.145

An dieser Stelle verortet Schwarzenbach seine eigene Initiative erneut in die Schweizer

Geschichte hinein, als Kampf gegen die Fremdbestimmung zum einen, doch noch viel

wichtiger für den Spross einer Textilindustriellenfamilie ist es, sich von dieser Klasse der

Besserverdiener abzugrenzen, einer vom Volk zu werden/sein. Auch die Begriffe „totalitär“

und „Diktatur“ können hier als reaktiviert aus der mittlerweile Jahrzehnte andauernden

Geistigen Landesverteidigung verstanden werden. So war es seit Kriegsende politisches

Hauptthema sich eben gegen solche Diktaturen und das „Totalitäre“ in und an diesen

(mindestens geistig) zu verteidigen.

144

Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

145 Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

75

Wir sind eine Eid-Genossenschaft. Und auf diesen beiden Grundpfeilern beruhen unsere

Freiheiten. Erstens auf dem Eid – unser Staat, jeder Einzelne von uns steht unter dem

Machtschutz des Herrgottes. Und der Christenglaube ist unser Fundament. Und aus dem

Glauben werden abgeleitet: Freiheit, Recht, Moral und soziale Verpflichtungen.146

In weiterer Instanz wird nun der vereinende Christenglaube zitiert, der natürlich ein weiteres

vereinendes Element in der Schweiz ist, zumal die Konfessionen regional unterschiedlich sein

mögen, die Basisreligion Christentum ist allerdings in der ganzen Schweiz vorherrschend. Im

Folgenden lässt es sich der Redner nicht nehmen denjenigen Eid zu zitieren, der von jedem

Bundesrat, Ständerat und Nationalrat bei Amtsantritt abgelegt wird:

«Ich schwöre vor Gott, dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze des Bundes

treu und wahr zu halten; die Einheit, Kraft und Ehre der schweizerischen Nation zu

wahren; die Unabhängigkeit des Vaterlandes, die Freiheit und die Rechte des Volkes und

seiner Bürger zu schützen und zu schirmen und überhaupt alle mir übertragenen Pflichten

gewissenhaft zu erfüllen, so wahr mir Gott helfe.» Wenn unsere Parlamentarier wirklich

diesem Eid nachleben würden, wenn sie Volksvertreter und nicht Interessenvertreter

wären, dann würde es mit uns besser bestellt sein. Dieser Eid sei unser Programm!147

Diese Selbst- Positionierung verbindet das urtümlich Schweizerische mit einem relativ

unverhohlenen Herrschaftsanspruch, zumal er den Eid der Regierungsbeauftragten zum

Programm seiner Partei ernennt. Dieser Gleichsetzung entsprechend ist jedes Parteimitglied

der Nationalen Aktion per Definition der geeignetste Volksvertreter für die Schweiz.

Wir schämen uns nicht, zu sagen, dass wir unsere Heimat über alles lieben. Wir wollen

für die kommende Generation, für unsere Kinder, unsere Heimat sichern. In den

beschränkten Raum, den wir haben, können wir nicht unbeschränkt Ausländer

hineinnehmen und deshalb haben wir den Kampf gegen die Überfremdung geführt und

werden ihn weiterführen. Man hat uns vorgeworfen, unsere Initiative habe dem Ansehen

der Schweiz im Ausland geschadet. Wer schadet wohl mehr unserm Ansehen: Unsere

Banken, die ausländische Fluchtgelder und hinterzogene Steuergelder horten und mit

ihren so genannten «Gangster-Konti» bis über den Atlantik zu einem Skandal werden,

oder unsere Nationale Aktion?148

Der Einbezug der Perspektive aus dem „Ausland“ wird von Schwarzenbach genutzt um jenen,

die die Überfremdungsinitiative als rufschädigend bezeichnen, mangelnden Nationalstolz

vorzuwerfen. Wiederum betont Schwarzenbach seine Distanz zur „Geld-Elite“ und den

Banken, die er durch Verwendung des Begriffs «Gangster-Konti» klar in Richtung der

Illegalität abgrenzt.

146

Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

147 Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

148 Zitat aus: Schwarzenbach, 1970

76

Im Folgenden wird Schwarzenbach zwischen nationalen und sozialen Elementen seiner Rede

hin und herschwenken und somit jegliche politische Couleur außer den spezifisch

abgegrenzten einschließen.

Diese Rede zeigt die Kernmechanismen der Überfremdungsinitiative, wie sie an den

etablierten Positionen der geistigen Landesverteidigung anschließen. Basierend auf dem

Abstimmungsresultat, das eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zeigt, hat James

Schwarzenbach die Möglichkeit sich selbst in eine Position zu setzen, die das Schweizer

Selbstverständnis, die Schweizer Kultur im Kontrast zu den eingewanderten Menschen und

Kulturen beansprucht. Ferner nutzte Schwarzenbach dieses abstrakt-geworden-sein des

ursprünglichen Gegenstands der geistigen Landesverteidigung, um einen nationalen

Überfremdungs-Diskurs zu befeuern. In diesem untersuchten Beispiel wurde dargelegt wie

Schwarzenbach den „globalen“ Diskurs auf eine nationale Ebene brachte, das Schweizer

Selbst in einem gewissen Rahmen zu beanspruchen vermochte und so die italienischen

Einwanderer ausgrenzte.

9. Kim Jong Il: Vom Luzifer zum Pinocchio

Im Folgenden soll unter Zuhilfenahme der bisher etablierten Mechanik der Konstruktion eines

Feindbildes, die mediale Wahrnehmung eines der letzten „stalinistischen“ Herrscher des

Planeten untersucht werden. Im vermeintlichen Gegen- oder vielleicht besser Zusatz zu dem

bisherigen Vorgehen, wird hier nicht lediglich die Konstruktion des Feindbildes Kim Jong Il

analysiert, sondern sie soll auf die Dekonstruktion desselben ausgeweitet werden. Die bisher

Hergeleiteten Konstruktionsmechanismen eines Feindbildes, wie sie im Kontext der geistigen

Landesverteidigung und der Bedrohung „Kommunismus auftraten“, liefern die notwendigen

Kategorien und Werkzeuge das Böse hinter dem vermeintlichen Feindbild Kim Jong Il in

seiner diskursiven Konstruktion zu verstehen und davon abgeleitet dessen Dekonstruktion.

Allerdings fällt dieser Diskurs um das Feindbild Kim Jong Il in ein vollständig verändertes

Dispositiv.

9.1. Die Verteidigung unter Anklage

Das den zu untersuchenden Diskurs umrahmende Dispositiv muss wiederum auf Zwei Ebenen

verstanden werden. Der Nationalen und der globalen. Die globale Dimension wird den

Diskurs im Rahmen der ideologischen sowie faktischen Neuordnung der Welt betreffen,

während das nationale Dispositiv ebenfalls gewissen Transformationen unterzogen wird,

natürlich in Wechselwirkung zum globalen aber besonders in der Reflexion des Vergangenen

77

in Reaktion auf die neue Situation. Kim Jong Il kommt 1994 an die Macht, eines

kommunistischen (stalinistischen) Staates. An diesem Zeitpunkt ist die Sowjetunion

Geschichte und die geistige Landesverteidigung ohne einen (existenzbedingenden) Feind.

Um diesen Moment richtig zu kontextualisieren sind eben die beiden „dispositiven“

Diskursverläufe respektive deren relevante Neuordnungen zu betrachten.

Der Zerfall der Sowjetunion und die sich daraus ergebende vollständige Neuordnung der

weltpolitischen Determinanten, ist wohl die relevanteste Veränderung auf globalpolitischer Ebene.

Die Welt ist nicht mehr bipolar sondern multipolar unter den wachsamen Schwingen der, bis an die

Zähne bewaffneten, USA. So sind auch die Atomstaaten in ihrer Zahl gewachsen resp. zumindest in

ihrer strategisch relevanten Anzahl. Ins Weiße Haus zog 1993 der für einen amerikanischen

Präsidenten relativ friedliebende, diplomatisch bemühte Demokrat Bill Clinton ein, der auch die

nächsten 8 Jahre dort verweilen sollte. Clintons Regierungszeit soll durch seine diplomatischen

Aktivitäten eher den globalen Pluralismus beleuchten als einen neuen Feindbild- Diskurs ins Leben

zu rufen. Von einer „globalisierten Welt“ wird erstmals geprochen. Somit versiegt auch eine

wichtige Quelle für einen “globalgespeisten“ Feindbild-Diskurs.

Dieses veränderte „globale Dispositiv“ hat auch seinen Einfluss auf den Diskurs um die Schweizer

Selbst- und Feindbilder. Es ist erneut ein ideologischer Feind besiegt worden, und an sich kein

neuer in Sicht, außer jenen im eigenen Land. Die ideologische Ausrichtung der Schweiz, wurde

durch einen erneuten Wirtschaftsaufschwung in einer an und für sich traditionellen liberaleren

Haltung verfestigt. Der Wegfall eines „ideologischen“ Feindes durch das „selbstverschuldete

Scheitern“ desselben, stellte die Maßnahmen und Denkweisen der geistigen Landesverteidigung

automatisch in Frage.

Eine geistige Landesverteidigung hatte per Definition erst einmal ausgedient. Will heißen, dass sie

sich zumindest in einem ähnlichen „Schwebezustand„ befand wie im Anschluss an den Zweiten

Weltkrieg, zumal der oder das gegen welches verteidigt wurde so nicht mehr existierte. So wurde

die Verteidigung gleichzeitig einer Hinterfragung auf mehreren Ebenen ausgesetzt.

Die Affäre Kopp führte zur Aufdeckung der Fichenaffäre eines der bestimmenden Themen der

ausgehenden Achtzigerjahre.149

Subversive staatliche Institutionen wie die P 26 werden teilweise

enttarnt und aufgelöst. Ende der Neunzigerjahre wird eine Sonderkommission beauftragt die Rolle

149

SRF DRS (24. November 1989): „PUK zur Affäre Kopp deckt Fichenskandal auf“

78

der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu untersuchen.150

Alles in allem eine Situation die an die drei

Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Prager Putsch erinnert, als sich Feind-und

Selbstverständnis in einer gewissen Offenheit befanden und sich noch neu zu positionieren hatten.

Was von der Sowjetunion medial und gewissen Beziehungen politisch übrig bleibt, sind also

einzelne, ihrer Feindbildfunktion entrückte (weil nicht mehr zwingend durch das “Böse“

vereinnahmte), Staaten, welche ihre neue Position im Rahmen des neuen multipolaren

Weltkonstrukts in der Schweizer Wahrnehmung einnehmen.

In diesen Kontext, des weitgehenden Wegfallens eines global determinierten Feindbildes und der

Hinterfragung des über Jahrzehnte hinweg durch den Diskursstrang der geistigen

Landesverteidigung etablierten Werte und Ideen, fällt die Machtübernahme Kim Jong Ils.

9.2. Der Zerfall der Sowjetunion

Am 3. Dezember 1989 lässt das Schweizer Radio DRS verlauten: Auf Kriegsschiffen vor der Insel

Malta halten Bush und Gorbatschow ihr erstes gemeinsames Gipfeltreffen ab. Zwar haben die

Gespräche lediglich inoffiziellen Charakter, sie läuten jedoch eine neue Ära der Beziehungen

zwischen den USA und der Sowjetunion ein. So sichert Bush Gorbatschow und dessen Politik von

Glasnost und Perestroika die Unterstützung der USA zu. Die Abrüstung soll zügig vorangetrieben

werden. Eine Zusammenarbeit der beiden Supermächte scheint möglich zu werden.151

Vorausgegangen sind der zweitägigen Begegnung die umwälzenden Ereignisse des Herbsts 1989 in

Osteuropa, welche mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November ihren Höhepunkt erreicht

haben. Das Ende des Kalten Krieges ist gegenwärtig.

Sowohl der neue Frieden zwischen West und Ost als auch der direkt anschliessende Zerfall der

mächtigen Sowjetunion sind von zentraler Bedeutung für den Feindbild- Diskurs in der Schweiz.

Das Konzept des großen bedrohlichen Invasors zerfällt mit der Sowjetunion. Durch diesen Zerfall

werden einzelne Staaten wie die Tschechei oder Ungarn aus der Perspektive der Schweiz „befreit“

während andere wie beispielsweise, China Kuba oder Nord Korea stärker, weil erneut isoliert

werden. Im Folgenden wird der Zusammenbruch der Sowjetunion gemäss der NZZ chronologisch

betrachtet.152

150

Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (UEK)

151 SRF DRS (3.12.1989): 3. Dezember 1989: Treffen Bush und Gorbatschow vor Malta

152 Neue Zürcher Zeitung 18.8.2011: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion“

79

1988: Kremlchef Michail Gorbatschow hebt die sogenannte Breschnew- Doktrin auf, die der

Sowjetunion die Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ostblock-Staaten erlaubt.

1989/90: Kommunistische Regime in den osteuropäischen Staaten stürzen durch zumeist friedliche

Demonstrationen - in der Tschechoslowakei, in Ungarn, der DDR, Bulgarien, Polen und Rumänien.

11. März 1990: Litauen erklärt als erste Sowjetrepublik seine Unabhängigkeit.

15. März 1990: Wahl Gorbatschows zum ersten Sowjetpräsidenten

29. Mai 1990: Der Radikalreformer und Gorbatschow-Kritiker Boris Jelzin wird zum Präsidenten

der Russischen Föderation gewählt.

12. Juni 1990: Mit überwältigender Mehrheit stimmt der russische Volksdeputiertenkongress für die

Souveränität Russlands innerhalb der Sowjetunion. Fortan haben russische Gesetze Vorrang vor

sowjetischen. Andere Sowjetrepubliken folgen diesem Beispiel.

15. Oktober 1990: Wegen seiner Rolle im Friedensprozess zwischen West und Ost erhält

Gorbatschow den Friedensnobelpreis.

11. Januar 1991: Sowjetische Truppen besetzen strategische Punkte in Litauen, am 13. sterben beim

«Blutsonntag» von Vilnius 14 Menschen.

1. Juli 1991: Auflösung des Verteidigungsbündnisses Warschauer Pakt

19.-21. August 1991: Putsch kommunistischer Hardliner gegen Gorbatschow scheitert am

Widerstand von Jelzin und der Bevölkerung.

5. September 1991: Der Kongress der sowjetischen Volksdeputierten beschliesst das Ende der alten

Sowjetunion und die Umwandlung in eine demokratisch-bürgerliche Gesellschaft.

8. Dezember 1991: Russland, Weissrussland und die Ukraine gründen die Gemeinschaft

Unabhängiger Staaten (GUS) und beschliessen die Auflösung der Sowjetunion.

21. Dezember 1991: Acht Sowjetrepubliken treten der Gemeinschaft bei. Gorbatschow wird für

abgesetzt erklärt.

25. Dezember 1991: Gorbatschow tritt zurück und übergibt die Kontrolle über die sowjetischen

Atomwaffen an Jelzin. Um 19 Uhr 38 Moskauer Zeit wird die sowjetische Fahne über dem Kreml

eingeholt und die russische Flagge gehisst.

80

31. Dezember 1991: Die Sowjetunion hört formell auf zu existieren.

Dieser chronologische Abriss soll ein Spektrum für die mediale Reaktion in der Schweiz herstellen.

Der Zerfall der UdSSR ist für die Schweiz vor allem von ideologischer Bedeutung. Diese

ideologische Bedeutung fand sich in der gescheiterten „Alternative“, dem besiegten Feindbild und

der eigenen wohletablierten Ideologie.

9.3. Neuordnung des „Ostens“

Durch den Zerfall des „Ostblocks“ wurden einige neue Positionierungen notwendig. Da man als

Staat nicht schlichtweg eine Position gegenüber allem jenseits der Grenze „Stettin bis Triest“

beibehalten konnte. Dieser große Transformationsprozess forderte Umwandlungen der

außenpolitischen Haltungen der Schweiz und dementsprechend auch innenpolitische, kurzum durfte

die Haltung gegenüber den Bestandteilen des ehemaligen Ostens totalrevidiert werden.

Dementsprechend lautet die erste Zeile des Vorworts zum Bericht 90 des Bundesrats an die

Bundesversammlung zur sicherheitspolitischen Lage der Schweiz:

„Die Jüngsten Umwälzungen in Europa machen es notwendig, die sicherheitspolitische

Lage neu zu beurteilen und den Verantwortungsbereich der Sicherheitspolitik und ihrer

Mittel neu festzulegen.“153

Später heisst es im selben Dokument:

„Der Ost-West-Konflikt hatte den Globus zweigeteilt. Mit der allmählichen Überwindung

dieses grundlegenden Systemkonflikts unseres Jahrhunderts treten in der multipolar gewordenen

Welt alte Spannungsfelder neu hervor. Dies gilt für das vielgliedrige Osteuropa, den Balkan und

den asiatischen Teil der Sowjetunion.“154

Daraus schliesst der Bundesrat:

„„Namentlich können die osteuropäischen Staaten nicht mehr als militärisches Vorfeld

der Sowjetunion gelten.““155

Insbesondere werden die Fernöstlichen Überbleibsel des Sowjetischen Grossreiches als

problematisch betrachtet so heißt es auf Seite 864 desselben Berichts:

„Nach wie vor bestehen ungelöste Probleme in Ost- und Südostasien, insbesondere auch

in Korea. Nach Rückschlägen im Öffnungsprozess hat sich China auf sich selbst

153

Zitat aus: Bericht 90 des Bundesrats an die Bundesversammlung zur Sicherheitspolitischen Lage der Schweiz

Seite 848

154 Bericht 90 des Bundesrats an die Bundesversammlung zur Sicherheitspolitischen Lage der Schweiz Seite 857

155 Zitat aus: Bericht 90 des Bundesrats an die Bundesversammlung zur Sicherheitspolitischen Lage der Schweiz

Seite 863

81

zurückgezogen, es bleibt aber nicht nur im südostasiatischen Raum, sondern auch global

ein machtpolitisch bedeutender Faktor.“156

Besonders augenscheinlich wird dieser Prozess an der Rolle des Sowjetischen Vorsitzenden

Michael Gorbatschow, der durch Glasnost als auch die Perestroika zum einen ein Stück

demokratische politische Kultur in die Sowjetunion bringt und zum anderen sich aktiv an die

westlichen Staaten annähert.

Gorbatschow erhält vom Westen Ansehen und positive Presse in diesem Kontext, freilich

gipfelt diese Anerkennung Gorbatschows in der Verleihung des Friedensnobelpreises am 15.

Oktober 1990.157

Spätestens durch diese Verleihung gewinnt Gorbatschow den Status eines

ausnehmend „vernünftigen“ Staatspräsidenten der vom Westen akzeptiert ja gar honoriert

wird. Ab diesem Punkt verändert sich die unbestimmte „Drohung“, das Monster im Dunkeln

zu einem Menschen respektive einem Volk, mit dem man, gleich wie mit allen anderen,

Gespräche führen kann. Gorbatschow ist nicht mehr Barbare sondern ein integrierter,

vernunftbegabter Staatsmann und insofern als Verkörperung des Bösen weniger geeignet, das

Feindbild bröckelt.

Die politischen Massnahmen, die Gorbatschow diese Ehrung einbrachten sprachen für sich

selbst und dieselbe Sprache: Von mehr Demokratie, weniger Einflussnahme auf

Satellitenstaaten und mehr Transparenz ist die Rede. Gorbatschow wird aus westlicher

perspektive gesprochen gewissermassen „einer von uns“.

9.4. Der gescheiterte Putsch von Moskau

Der Zerfall der UdSSR wurde im Westen mit Genugtuung aufgenommen. Nicht nur

verschwindet mit der Sowjetunion die einzige wahrnehmbare militärische Bedrohung sondern

auch der ideologische Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus, der Demokratie über

den Despotismus, Freiheit gegenüber dem Überwachungsstaat wird kommuniziert. Auch

trennt sich das Feindbild Kommunismus von der russischen Bevölkerung. Ferner ist letztere

auch „nur aus Menschen“ zusammengesetzt.

Am 21. August 1991 wird diese Wahrnehmung besonders deutlich anhand des versuchten

Militärputsches durch konservative sowjetische Kräfte in der Armeeführung. Dieses

156

Vgl. Bericht 90 des Bundesrats an die Bundesversammlung zur Sicherheitspolitischen Lage der Schweiz Seite

864

157 Focus.de, 1990: „Friedensnobelpreis: Michael Gorbatschow“

82

Putschmoment ist aus vielerlei Hinsicht ein Kristallisationspunkt der neuen Wahrnehmung

der „Russen“ durch die Schweizer. Erstmals ist Russland von der sowjetischen Politik

getrennt zu betrachten, es ist die russische Bevölkerung und der mittlerweile allseits beliebte

Gorbatschow, die nun Opfer eines Putsches im eigenen Land zu werden drohen. Das

Feindbild ist also in dem Moment von seinen ursprünglichen Trägern getrennt zu betrachten,

indem die russische Bevölkerung ihre Menschlichkeit in der Schweizer Wahrnehmung

zurückerhält.

Im Dezember 1990 warnte der KGB-Chef Krjutschkow im Fernsehen vor dem Kollaps der

Sowjetunion und drohte mit dem Einsatz der KGB-eigenen Truppen. Am 19. August 1991,

einen Tag bevor Gorbatschow und eine Gruppe der Staatenführer der Sowjetrepubliken einen

neuen Unionsvertrag unterzeichnen wollten, versuchte Krjutschkow zusammen mit einer

Gruppe hoher Funktionäre die Macht in Moskau zu ergreifen und putschten gegen

Gorbatschow. Doch sie scheiterten am Widerstand der Bevölkerung und der Opposition unter

der Führung Jelzins.

Der Putsch scheitert, Krjutschkow flüchtet. Somit ist der Weg zu einem demokratischen Russland,

einem Ende der Schreckensherrschaft des Kommunismus frei. Die Berichterstattung im Schweizer

Fernsehen präsentiert sich entsprechend: Man betont die Wichtigkeit des Widerstands durch die

russische Bevölkerung, Mann der Stunde neben Michail Gorbatschow ist Boris Jelzin der den

Putschisten „die Stirn geboten habe“158

.

So wird der neue nichtkommunistische Präsident Russlands bereits als Held gefeiert. Die drei Toten

die dem Putschversuch zum Opfer fielen werden von der Bevölkerung betrauert, laut Schweizer

Fernsehen sind sie der Grund, dass „die Freude über den verhinderten Putsch nicht überschwänglich

sei“.

Wolfgang Leonhard kommentiert auf SRF1 den gescheiterten Militärputsch in Moskau159

:

„Hohes Demokratisches Bewusstsein der Bevölkerung“ (nicht nur Moskau sondern sehr vielen

anderen Städten) habe zum Wandel und vor allem dem Widerstand gegen die konservativen Kräfte

geführt. In diesem Kontext kritisiert er die offenbar vorherrschende Meinung, dass „Demokratie nur

etwas für Intellektuelle sei“ als falsch. Offenbar findet er seinen Verdacht, dass „auch

„nichtintellektuelle„ Völker demokratiefähig sind, bestätigt. Auch diese Äusserung kann in die

158

Zitat aus: SRF WISSEN vom 21.08.1991, 00:00 Uhr: „Putsch gegen Gorbatschow ist gescheitert“

159 SRF Rundschau News-Clip vom 19.08.2011, 10:29 Uhr: „Einschätzungen zum Ende des Putschs“

83

Vermenschlichungsprozesse der russischen Bevölkerung durch die Deutschschweizer Medien

eingerechnet werden. Oder sie veranschaulichen die immer noch nachhallenden, vom Feind als

Barbare geprägten Grundmuster. Anders ist die Überraschung über das gleich intellektuell sein wie

die demokratischen Völker des Politologen kaum nachvollziehbar160

Dann wird der Zerfall der Roten Armee relativ detailliert geschildert. Dies ist von Bedeutung zumal

die rote Armee jene Instanz ist, die im Endeffekt die realste, verstehbarste Bedrohung darstellte.

Der Kommunismus kann als Idee gefährlich sein und das Land bedrohen, eine Invasion wäre aber

in jedem Fall von der Roten Armee durchgeführt worden. Sie verkörperte also förmlich die reale

Gefahr, die physische Auswirkung des metaphysischen Feindes, und dementsprechend die Angst

vor dem kommunistischen Weltreich UdSSR. Der Zerfall der Bedrohung wird vom Schweizer

Fernsehen also in zwei Dimensionen dargestellt:

1. Dimension: Die Bevölkerung, geleitet von Demokratiebedürfnis, Freiheitswillen,

Menschlichkeit und Verstand, setzt sich gegen die Oppression durch.

2. Dimension: Die Exekutivkraft der Bedrohung: Die Rote Armee zerbricht zusehends.

Von zentraler Bedeutung ist wiederum Gorbatschows Rolle in diesem Prozess. Gorbatschow wurde

durch den Nobelpreis, der ihm aufgrund seiner friedensstiftenden Leistungen verliehen wurde in die

gewissermaßen in die vernunftgeleitete (westliche) Weltpolitik integriert. Im Rahmen des Putsches

wurde Gorbatschow von radikalen Elementen in der Sowjetunion festgehalten und der Putsch

richtete sich im Wesentlichen gegen ihn, der eben die Öffnung Russlands und demokratische

Wahlen erst möglich gemacht hatte.

Dieser Prozess ist von grosser Bedeutung für den Bedrohungsverlust der Sowjetunion. Seit diesem

Augenblick zerbricht die Sowjetunion bereits in verschiedene Aspekte: Es gibt auf der einen Seite

den Kommunismus und seine Manifestationen: Rote Armee, sein KGB und sein Totalitarismus, der

das Böse verkörpert und auf physischer und ideologischer Ebene vorderhand eine Bedrohung

bleibt.

Wie insbesondere im Kontext zur Überfremdungsinitiative sind diesen Grössen schrittweise, schon

seit den späten Sechzigerjahren, die konkreten Manifestationen genommen. Die Gefahr eines

weltenverschlingenden Atomkrieges wurde Schritt für Schritt durch den „Stellvertreterkrieg“

ersetzt, d.h. basierend auf dem „Gleichgewicht des Schreckens“ wurde seit den Sechzigerjahren,

160

Vgl. SRF WISSEN vom 21.08.1991, 00:00 Uhr: „Putsch gegen Gorbatschow ist gescheitert“

84

spätestens nach dem Schweinebucht-Zwischenfall, von beiden Weltmächten peinlich genau darauf

geachtet keine direkte Konfrontation zwischen den U.S.A und der Sowjetunion zu provozieren.

Somit war die Gefahr eines „Atomaren Weltkriegs“ schon einige Jahrzehnte aus der Palette der

„wahrscheinlichen Bedrohungen“ für die Welt und die Schweiz ausgeschieden.

Die „Stellvertreterkriege“ fanden zudem hauptsächlich in instabilen, putschgefährdeten Schwellen-

und Drittweltländern statt, wozu sich die Schweiz beim besten Willen nicht zählen würde.

Das Schweizer Fernsehen zeigt nun Bilder vom neuen russischen Präsidenten Boris Jelzin, der auf

einem Panzer der roten Armee stehend, unter dem Jubel der russischen Bevölkerung, sich für

Gorbatschow und gegen die „alte“, „totalitäre“ Sowjetunion ausspricht. Durch die Solidarisierung

des „vernünftigen“, „demokratischen“ Gorbatschow und dem demokratisch gewählten, also

legitimen Boris Jelzin, mit dem jubelnden russischen Volk, entsteht medial ein Russland, das sich

erfolgreich gegen das „Böse“ also den repressiven Kommunismus wehrt und stante pede davon

abgegrenzt wird.

So wird nicht nur Russland neu wahrgenommen, sondern die Bedrohung wird vor allem von seinen

konkreten Trägern getrennt. Der Kommunismus mag als Idee weiter bestehen, doch gibt es keine

Rote Armee mehr, die ihn verbreitet, keine Sowjetunion mehr, die seine bedrohliche Heimat an

Europas Grenzen ist. Was bleibt sind die Residuen, die Rudimente dieser dereinst die halbe Welt

umfassenden Bedrohung. Diese Reste müssen nun neu eingeordnet werden in ein Schweizer

Verständnis des selbst und der Welt als Ganzes.

10. Die Dekonstruktion des Bösen: Looking at Kim Jong Il

Vor dem Hintergrund der geführten Analyse konstruierter Feindbilder und dementsprechender

Analyse der Konstruktion von Feindbildern wird im Folgenden die Analyse einer Dekonstruktion

eines Feindbildes angestrebt. Kim Jong Il eignet sich für dieses Vorhaben besonders, zumal er im

relativ direkten Anschluss an den Zerfall der Sowjetunion die Macht im nordkoreanischen Staat

übernimmt, der nach wie vor kommunistisch, nach stalinistischem Vorbild geführt bleibt. Er

übernimmt die Herrschaft von seinem Vater.

So führt (oder wiederbelebt) er einen mindestens 50 Jahre alten Diskurs weiter, dies jedoch in

einem vollständig veränderten Dispositiv. Es wird daher von Bedeutung sein, wie sich dieselben

Figuren und Reaktivierungen des alten Dispositivs, welches durch den Zusammenbruch der

Sowjetunion markante Veränderungen erfuhr, im Diskurs um Kim Jong Il verhalten. Nordkorea

gehört nun nicht mehr zu einem Block der, der westlichen Welt und allem wofür sie steht feindlich

85

und bedrohlich gegenübersteht, sondern ist ein kleines Schwellen- bis Drittweltland das mit den

Symbolen des alten Feindes übersäht ist.

Hinzu kommt, dass dieser Kommunistische Kleinstaat doch vom neuen amerikanischen Präsidenten

mit zwei weiteren zu den größten Feinden Amerikas (und so der westlichen Welt) gezählt wurde.

Wiederum wirkt der globalpolitische Diskurs als Dispositiv auf den Schweizerischen.

Ferner wird die Abschottung gegenüber dem Westen von Nordkoreanischer Seite her (umso)

intensiv (er) betrieben. Der neue Herrscher ist, im diametralen Gegensatz zu Gorbatschow gegen

Ende dessen Amtszeit, nicht in die globale Politik integriert. Selbst rudimentärste Informationen

über die persönlichen Daten des neuen „großen“ Führers sind schwer zu erhalten, was ein grosses

Feld für Spekulation und selektive Informationsverwertung eröffnete.

Schon die Machtübernahme Kim Jong Ils als Vermächtnisherrschaft stösst sich in nahezu jeder

Hinsicht am westlichen Politikverständnis. Hinzu kommen die konstante Bedrohung anliegender

Staaten durch das Nordkoreanische Atomprogramm und dessen weit über alle Verhältnisse

aufgerüstete Armee.

Dementsprechend wird im ersten Schritt das Dispositiv für die diskursive Wahrnehmung

Nordkoreas in der Schweiz und der westlichen Welt betrachtet. Danach wird die Konstruktion um

Kim Jong Il als Feindbild analysiert und abschließend, dessen Dekonstruktion zum lächerlichen

Sonderling.

10.1. Die Schweiz und Nord Korea um 1994 (Dispositiv)

Nordkorea ist für die Schweiz kein unbeschriebenes Blatt. Bereits während der Spaltung des

Landes, also dem Koreakrieg von 1951 bis 1953, hat die Schweiz im Kontext ihrer eigenen

diplomatischen Positionierung eine Haltung gegenüber dem kommunistischen Kleinstaat generiert.

Am 7. Juli 1953 hatte der Bundesrat beschlossen das Militärdepartement zu ermächtigen, die

Entsendung einer Kommission für die Neutral Nations Supervisory Commission in Korea (NNSC)

vorzubereiten. Im Laufe der folgenden Monate reisten etappenweise, insgesamt 146 Schweizer nach

Korea, um den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, der vor allem eine

Wiederaufrüstung verhindern sollte. Die Schweizer Delegation war gemeinsam mit einer

Schwedischen von Seiten der westlichen Mächte als Beobachter aufgestellt worden. Ihr gegenüber

standen auf Wunsch der Nordkoreaner Kontrollkommissionen aus der UdSSR .

Das zwischen den Kriegsparteien ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen wies der NNSC

ursprünglich Kontroll-, Beobachtungs-, Inspektions- und Untersuchungsfunktion zu. Diese weit

86

reichenden Funktionen wurden jedoch bereits zu Beginn der Mission darauf reduziert, mit

Inspektionsteams an zehn im Waffenstillstandsabkommen festgelegten Umschlagplätzen (ports of

entry) in Nord- und Südkorea den Austausch von Militärpersonal und Kriegsmaterial zu

überwachen. Diese Inspektionen wurden 1956 wieder eingestellt, worauf die Personalbestände in

allen vier NNSC-Delegationen massiv reduziert wurden.161

Mit dem seit 1991 bestehenden nordkoreanischen Boykott der Waffenstillstandskommission hat

Nordkorea schrittweise begonnen, allmählich auch den Kontakt zur NNSC abzubrechen. Durch die

Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 wurde deren Delegation aus der NNSC ausgewiesen

und nicht ersetzt. Am 28. April 1994 hat die KPA (nord-koreanische Volksarmee) in einem

Memorandum erklärt, dass sie die NNSC als inexistent betrachtet und verlangte auch den Abzug

der Polen. Die polnische Delegation blieb jedoch auch nach Verlassen ihres Hauptquartiers formell

Mitglied in der NNSC, aber ohne permanente Präsenz auf der koreanischen Halbinsel. Zwei bis drei

Mal jährlich reist die polnische Delegation nach Korea, um an den NNSC-Sitzungen

teilzunehmen.162

Die verbleibende Schweizer Delegation befindet sich also obwohl Nordkorea die „diplomatischen“

Beziehungen zu ihr abgebrochen hat (indem Nordkorea sie „inexistent“ deklariert hat) an der

sprichwörtlichen Grenze der westlichen Welt. Die Mission ist in ihrer Herkunft als auch

Konstruktion ein Überbleibsel des kalten Krieges, so wie Nordkorea ein solches ist.

Seither gilt Nordkorea in der Schweiz als Agressor. Dies aus einer Reihe an Gründen: Allen

anderen voran ist Nordkorea ein mittlerweile als exotisch zu bezeichnendes Überbleibsel

stalinistisch geprägter politischer Kultur. „Stalinistisch“ hat seine Eigenschaft als bezeihcnung des

Bösen nach wie vor nicht eingebüsst. Diese Wahrnehmung wird bedient von der massiven

Propaganda, welcher die Bevölkerung ausgesetzt wird bis hin zu einem periodischen Androhen von

Atomschlägen gegen umliegende Staaten. Der Herrscher Nordkoreas wird als Despot

wahrgenommen, der in Saus und Braus lebt während sein Volk verhungert. Die spezifische Rolle

der Schweiz in dieser friedenssichernden Mission, steht ebenfalls unter den Vorzeichen des kalten

Kriegs, zumal die Schweizer Delegation mit Schweden gemeinsam die westlichen Mächte vertritt,

gegenüber die von nordkoreanischer Seite gewünschten Beobachter aus sowjetisch beeinflussten

Staaten. Man versteht sich in der Schweiz also eher als jemand der Nordkorea auf die Finger schaut,

als als jemand der Südkorea unter Kontrolle halten muss.

161

Homepage der Schweizer Eidgenossenschaft (08.02.2013): NNSC (Korea)

162 Homepage der Schweizer Eidgenossenschaft (08.02.2013): NNSC (Korea)

87

Die Schweiz nahm im Rahmen des Zusammenbruchs der Sowjetunion, neue Positionen gegenüber

den einzelnen, jetzt „freien“ Staaten ein. Diese Positionen kamen aber nicht von ungefähr, zumal

der grosse Feind im Osten zwar besiegt war, ergab sich zwingend eine Vielzahl „neuer“

internationaler Beziehungsgeflechte. Somit war die direkte Bedrohung invasiver Natur noch weiter

in eine abstrakte, surreale Sphäre gerückt, da eine Bedrohung durch eine organisierte

kommunistische Armee schlichtweg und rein technisch nicht mehr realistisch war. Selbst das

Konzept des „Stellvertreterkrieges“ hatte ausgedient, da ja die beiden antagonistischen Blöcke als

solche nicht mehr existierten und deshalb auch keine Stellvertreter mehr brauchten. Der globale

ideologische Konflikt war mit dem Ende der Sowjetunion ebenfalls beendet und gewonnen.

Was bleibt, sind aktivierbare Erinnerungen und die Rudimente eines zerfallenen Bösen. Besonders

diese aktivierbaren Erinnerungen werden das Bild Nordkoreas in der Schweiz geprägt haben,

obwohl die Trennung von Volk und Feindbild oder gar Staat und Feindbild hier teilweise (durch die

Betonung der Differenz zwischen in Saus und Braus lebendem Herrscher und hungerndem,

versklavtem Volk) vollzogen wurde. Besonders intensiviert ist der Diskurs um den

Nordkoreanischen Herrscher durch die digitale Informationsrevolution. Während der Herrschaft

Kims hat sich die Nutzung des Internets weltweit extrem ausgebreitet und verstärkt. Mit jedem Jahr

wurde die Informationsmasse grösser und leichter zugänglich.

So sind Deutungsansprüche schwieriger zu bestimmen und auch weniger relevant, zumal die Presse

eine gewisse Internationalisierung bei gleichzeitiger Demokratisierung erfuhr. Die Wendung

„Demokratisierung der Presse“ bezieht sich hier auf den Umstand, dass Information durch die

technische Entwicklung weitaus billiger verbreitbar ist. Blogs werden relevant, die kaum

Produktionskosten (von der Arbeit mal angesehen) schlucken. So ist es (aus Perspektive der

Untersuchung) „neuerdings“ jedermann möglich, sein Scherflein zu jedem Thema beizutragen und

dieses global zugänglich zu machen.

Ferner wird die Referenzziehung unter den Medien verschiedener Länder intensiviert. Man bedient

sich weitaus öfter und einfacher Berichten, die beispielsweise aus Amerika stammen, was den

Effekt des globalen Dispositivs auf den Diskurs in der Schweiz insofern intensiviert, als dass der

globale Diskurs, der für die Schweiz Teil des Dispositivs ist, viel direkter in den Schweizer Diskurs

einfliessen kann und das auch tut.

Auch der Humor, der für die Dekonstruktion eines Feindbildes mitunter wichtig ist, wurde in

diesem Sinne „internationalisiert“. Die Welt hat sich in dieser Zeit natürlich in etlichen Aspekten

massiv verändert, doch ist sie in Fragen der Diskurse deutlich näher zusammengerückt. So ist auch

88

die Teilhabe an einem Schweizerischen Diskurs nicht durch die Landesgrenzen bestimmt. Nach

einem ähnlichen Prinzip wie die amerikanische Präsidentschaftswahl sich zu einem globalen

Medienereignis gemausert hat. Die englische Sprache hat sich durch die Verbreitung des Internets

noch mehr als „Landessprache“ der Welt durchgesetzt. So wird heute nicht mehr unbedingt auf die

deutsche Version einer Serie gewartet, sondern bereits die originale Version im Internet konsumiert,

so wird auch der Humor transportiert und globalisiert.

Es wird daher im Folgenden zwar auf die Deutsch-Schweizer Medienlandschaft fokussiert, doch

werden zuweilen auch relevante global diskursmächtige Medien der westlichen Welt zur Erklärung

herangezogen, respektive werden das sample auch in Bezug auf den Schweizer Diskurs erweitern.

Dieses Vorgehen wird besonders im Fall der Dekonstruktion vonnöten sein.

10.2. Machtübernahme Kim Jong Ils

Mehr noch als Nazi-Deutschland, die Russen, die eingewanderten Italiener, ist Kim Jong Il, seine

Kultur, als der Fremde, der potenzielle Feind physisch als auch ideologisch weit von derjenigen der

Schweiz entfernt. So nimmt durch die geografische Entfernung ein ähnlicher Effekt, wie jener der

Stellvertreterkriege Form an: Nordkorea ist zu weit entfernt um einen direkten Militärschlag gegen

die Schweiz anvisieren zu können. Nicht einmal die Atomraketen würden über eine solche

Reichweite verfügen. Jeder krieg der gegen Nordkorea gefochten würde, ist aus Schweizer

perspektive ein Stellvertreterkrieg, davon ausgehend dass die Schweizer Gesellschaft den Staat als

Feind betrachtete. Obwohl das Dasein als Kleinstaat relevant zu sein scheint für das Schweizer

Selbstbild und auch auf Nordkorea zutrifft, erfährt Nordkorea medial keine politische Freundschaft,

die Assoziation fehlt wie jeder andere Direktvergleich nahezu gänzlich, wohl mitunter weil die

Identität der Schweiz als Kleinstaat an die Neutralität und die Demokratie gekoppelt ist, Werte die

dem Bild Nordkoreas widersprechen.

In den Schweizer Medien wird Nordkorea als Drittweltland beschrieben. Gerne wird der Vergleich

zum (in diesem Kontext ideologischen vorbildlichen) südlichen Nachbarn herangezogen, der sich

zu einer kapitalistischen Industrienation entwickelt hat.163

Dieser Vergleich wirkt auf verschiedenen

Ebenen: Einerseits kommt entspricht der Darstellung als „böse“ das Bild vom „Volk, welches vor

den Augen seiner „bösen“ Herrscher verhungert“, andererseits wirkt der Vergleich zwischen Nord

und Südkorea wie ein Vergleich zwischen Kapitalismus und Kommunismus unter gleichen

Vorzeichen (obwohl diese Implikation einem gewissen Zynismus natürlich nicht entbehrt).

163

DER SPIEGEL 24/1994: „Atombombe im Armenhaus“

89

Noch im Juni 1994, also einen Monat vor dem Tod Kim Il Sungs und der Machtübernahme durch

Kim Jong Il, bringt der mittlerweile 80-jährige Kim Il Sung sein Land an den Rand eines atomaren

Konflikts. Er ist voll der Drohgebärden und weigert sich auf die Forderungen der internationalen

Gemeinschaft einzugehen. Der Spiegel beschreibt dies als ein Verhalten zu welchem „gescheiterte

Diktatoren tendieren“. Der Vergleich erinnert wohl am ehesten an Adolf Hitler, der angesichts der

drohenden Niederlage gegen die Russen, Kinder mit Gewehren auf die Strassen schickt um „bis auf

den letzten Mann“ ihre Heimat zu verteidigen und sich selbst als auch seine Familie in der

Zwischenzeit umbrachte. Dann stirbt Kim Il Sung relativ plötzlich.

Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Berichterstattung über die Beerdigung

des Alleinherrschers, sie wird in den Nachrichten des Schweizer Fernsehens mit den Worten:

„Was Sie hier zu sehen bekommen, wird sie aller Voraussicht nach befremden“164

eingeleitet.

2 Millionen Nordkoreaner nehmen teil an den Beerdigungsfeierlichkeiten. Die

Fernsehsprecherin bezeichnet die Abläufe als „mit unbeschreiblichem Pathos betriebene

politische Machtdemonstration.“165

Es werden Bilder von den weinenden Massen gezeigt, ein

Vierzig Kilometer langer Zug zutiefst trauernder, förmlich am Boden zerstörter Nordkoreaner

aller Altersgruppen. „Szenen der ohnmächtigen Trauer und Verzweiflung“ beschreibt der

Kommentator. Während dem Bericht wird von der Off-Stimme betont, dass es sich bei dem

gezeigten um nordkoreanische Propaganda handelt. Der Zweck sei die Hingabe zu zeigen mit

welcher das nordkoreanische Volk seinen Führer liebe, was auch noch den Rest der Woche so

weiter gehen würde. Der Sprecher streicht weiter heraus wie das Volk in bitterer Armut lebe

und Hunger leide und diese Tränen das Resultat von Gehirnwäsche und angedrohter

Repression seien.

Gegen Mitte des Berichts betritt Sohn und Nachfolger Kim Jong Il die Bühne. Er wird

gezeigt, wie er an das Grab seines Vaters herantritt und in einigem Abstand davon seine

Ehrerbietung demonstriert. Er ist flankiert von Zwei nordkoreanischen Funktionären in

dunklen Anzügen, er selbst trägt ein traditionelles Hemd und die entsprechenden Hosen,

beides aus schwarzer Seide.

Aus dem Auftritt Kims begleitet von zwei Leuten, die der Kommentator als „die mächtigsten

Personen Nordkoreas“ bezeichnet, der Marshall und der Premierminister, schliesst der

Kommentator, dass Kim zweifelsohne seine Machtübernahme sichern konnte. Aus diesem

164

Zitat aus: SRF WISSEN vom 19.07.1994, 00:00 Uhr: „Trauer um Kim Il Sung“

165 Zitat aus: SRF WISSEN vom 19.07.1994, 00:00 Uhr: „Trauer um Kim Il Sung“

90

Bild ergibt sich für den Kommentator ebenfalls dass Kim Jong Il…“seine vermeintlichen

Konkurrenten, spezifisch seine Stiefmutter und seinen Halbbruder..(..)166

schon kaltgestellt

habe“. Die Formulierung „kalt stellen“ verleiht der Furcht und dem Misstrauen Ausdruck, mit

welcher Kim Jong Il von Seiten der Schweizer Presse begegnet wird, da Kim Jong Il seine

Verwandten nicht umgebracht, wie die Bemerkung impliziert, sondern sie lediglich

ausmanövriert hat.

Es werden alles in allem die antidemokratischen Züge des Nordkoreanischen Staatwesens

betont und Kim wird bereits hier als „Klon“ seines Vaters betrachtet, der womöglich mit

unlauteren Mitteln an die Macht gelangt ist.

10.2.1. Die „Vermächtnisherrschaft“

Während man Kim Jong-Ils Machtübernahme schnell als gegeben und selbstverständlich

ansah, war mit diesem Prozess ein gewisses Maß an Ungewissheit verbunden, denn bis zu

jenem Zeitpunkt war eine Vater-Sohn-Machtnachfolge in keinem kommunistischen Land

geglückt. Auf der persönlichen Ebene bedeutete Kim Il-Sungs Tod eine politische Bedrohung

für Kim Jong-Il. Auf der nationalen Ebene hätte Kim Il-Sungs Tod das Regime in eine Krise

stürzen können. Kim Jong-Il meisterte die Situation mittelsder „Vermächtnisherrschaft“.

Indem Kim Jong-Il hierdurch die fast schon göttlich verklärte Erscheinungsform von Kim Il-

Sungs Herrschaft bewahrte und diese mit der traditionellen ostasiatischen Tugend des

Gehorsams gegenüber den Eltern verband, war es Kim Jong-Il möglich, seine Macht zu

festigen, während er gleichzeitig das Regime in seiner Form bewahrte.167

Dieses innenpolitische Dispositiv, welchem sich Kim Jong Il ausgesetzt sieht, mag die

massive Propaganda und Mystifizierung um seine Person erklären, dies ist aber für diese

Untersuchung von nicht allzu grosser Bedeutung, da ja die Wahrnehmung durch die

Schweizer in der Schweiz relevant ist. Bedeutsam wird sie allerdings als Bestandteil der

Wahrnehmung durch die Schweizer Medien, zumal eine bewusste Missinformation respektive

mediale Mystifizierung durch die Nordkoreanischen Organe an und für sich bereits

Diskursgegenstand für die Schweizer Berichterstattung ist.168

166

Zitat aus: SRF WISSEN vom 19.07.1994, 00:00 Uhr: „Trauer um Kim Il Sung“

167 KBS World: Die „Drei-Revolution-Mannschaft-Bewegung“

168 Spiegel Online (13.10.2010): „Nordkorea: Kim-Jong-Un-Anhänger sollen Anschlag auf dessen Halbbruder

geplant haben“

91

Auch die Vermächtnisherrschaft ist Gegenstand von Kritik, da sie den antidemokratischen

und anachronistischen Charakter des Nordkoreanischen Regimes unterstreicht. Besonders die

Schweiz legt Wert auf Demokratie, ein Element des Schweizer Selbstbildes, das sich die

Letzten Jahrzehnte hindurch wacker gehalten hat. Basierend auf einem demokratischen

Politikverständnis stellt sich natürlich die Frage nach den Fähigkeiten des neuen Herrschers,

zumal das Vorhandensein von Fähigkeiten in demokratischen Gesellschaften alleine durch die

Wahl selbst implizit beantwortet.

Kim Jong Il bewegt sich also auf einem Grat zwischen dem Bösen Herrscher der Dunkelheit

und einem simplen Wahnsinnigen.

10.3. Die Achse des Bösen

Während der ersten 14 Herrschaftsjahre wurde Kim Jong Il als „Feind“ stilisiert. Es

existierten auch zu dieser Zeit Karikaturen und erste Anzeichen einer Dekonstruktion, das

steht außer Frage, den Gnadenstoß wird die Schreckgestalt Kim jedoch erst um das Jahr 2008

erhalten.

Die Basis für diesen feindbildkonstruierenden diskursiven Prozess bildete der Rückbezug auf

„traditionelle“ sowjetische Strukturen, vor allem der referentielle Bezug auf Stalin wurde

gerne und oft bemüht Die Frankfurter Allgemeine Zeitung liefert am Tag nach George W.

Bushs Rede, die Nordkorea diskursiv zurück in den kalten Krieg katapultieren sollte, eine

Analyse derselben.169

Der republikanische Präsident George W. Bush konzentrierte sich in seiner Rede an die

Nation im Januar 2002 auf drei Schwerpunkte: die Fortsetzung des Antiterrorkrieges, die

innere Sicherheit und die Überwindung der Wirtschaftskrise. Bushs Rede war auch ein

Auftakt für das Wahljahr, in welchem er aus seiner „Kriegsherren“ Rolle politisches Kapital

zu schlagen hoffte. Relevant ist hier allerdings nicht die politische Strategie der

Republikanischen Partei Amerikas, sondern vielmehr wie eines der mächtigsten politischen

Diskurs-Foren der westlichen Welt; die Rede an die Nation des amerikanischen Präsidenten,

dem Feindbild- Diskurs um Nordkorea neues Leben einhaucht.

Bushs Ausblick auf den weiteren Verlauf der Antiterror-Kampagne verzichtete auf

diplomatische Umschweife: Irak, Iran und Nordkorea benannte er als „Achse des Bösen“, von

169

Frankfurter Allgemeine (30.1. 2002): Vereinigte Staaten: Bush droht der Achse des Bösen“

92

der Terrorismus und die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen ausgingen. Doch

konkrete Aktionen gegen die drei Länder kündigte der Präsident nicht an – laut der FAZ

handelte es sich nur um verschärfte Drohgebärden. Was wir ein gutes Jahrzehnt später nur

teilweise bestätigen können.

Die Achse des Bösen, ist eine rhetorische Figur, die ihre erste Verwendung im

Zusammenhang des Zweiten Weltkriegs in Form der „Achsenmächte“ erhielt, damals betitelte

die militärische Führung der Alliierten Japan, Deutschland und Italien als „die

Achsenmächte“. Damals mögen reale politische Faktoren bei der Namensgebung eine Rolle

gespielt haben, in Bushs Rede handelt es sich bei ihrer Verwendung um eine Reaktivierung

alter rhetorischer Figuren.

Grundsätzlich wäre das Prädikat „des Bösen“ nicht mal nötig gewesen um die Zuordnung

zum Bösen augenscheinlich zu machen- man wollte wohl keine Zweifel im Raum stehen

lassen.

Ebenfalls zentral ist die Assoziation mit dem neuen Feindbild der westlichen Welt

insbesondere Amerikas: Dem Terrorismus. Es ist für diese Untersuchung zwar grundsätzlich

nicht relevant aber es ist auch klar, dass im Gegensatz zu den Achsenmächten im Zweiten

Weltkrieg, die neue „Achse des Bösen“ keine gemeinsame, offizielle Kriegspartei ist. Iran

und Nordkorea mögen sich durch ihre geteilte Verteufelung durch Amerika diplomatisch

näherkommen- oder nicht- Bushs Aussage zielt nicht auf die Erklärung internationaler

Beziehungen, sondern positioniert. Erst die Bösen als solche und danach sich selbst als der

Befreier, Bekämpfer des Bösen, als potentieller Bezwinger der Feinde. Falls er widergewählt

würde, versteht sich. Diese Bezeichnung als Achse des Bösen, wird Bush während seiner

gesamten zweiten Amtszeit (bis und mit 2008) aufrechterhalten. Er erhebt sie zur Kategorie

170 der es für Nordkorea zu entfliehen (indem es sich als „gut“ bewährt) gilt. Genau das ist es

auch, eine Kategorie des Feindlichen, solange sich Nordkorea in dieser Kategorie befindet, ist

auch das Bekämpfen bis zum Tod legitimiert. Als Staat möchte man natürlich lieber nicht der

Feind von Amerika sein.

Entsprechend dem Spiegel unterliegen die Diskurse zwischen den beiden Koreas einer

ähnlichen Situation, wie die Diskurse in der Schweiz.

170

Die Presse.com (6.8.2008): „Bush: Nordkorea weiterhin Teil der "Achse des Bösen"“

93

Bushs Rede wirkt auch auf die Verhandlungen zwischen Nord- und Südkorea als Dispositiv.

Die Rede dezimiert die Erfolgschance von Friedensverhandlungen, da Nordkorea von einem

der mächtigsten Menschen der westlichen Welt aus derselben ausgeschlossen, ja gar zum

Feind erhoben wurde. Die Verhandlungen zur Annäherung der beiden Teilstaaten liegen so

unter dem Schatten dieser Kategorisierung: Kim Jong Il ist bereits Feind des Westens, jede

Annäherung an Südkorea ist aus seiner Perspektive, jetzt nicht mehr glaubwürdig. Die

Verdammung durch die Uno erfolgt abschliessend und zementiert das Bild Nordkoreas als

„Feind der Welt“.171

10.4. Dekonstruktion eines Mythos

Die „Dekonstruktion“ im Rahmen von Humor und Lächerlichkeit, findet Hand in Hand mit

dieser „ultimativen Schwäche“ der Sowjetunion ihren Anfang. Nicht dass der Westen seit

dem Mauerfall über Kim Jong Il (resp. Kim Il Sung) lachen würde, doch ist der Wegfall der

mitunter überlegenen Bedrohung, der „bösen“ Sowjetunion eine notwendige Bedingung für

die Dekonstruktion des Feindbilds Kim Jong Il.

Die offiziellen Nordkoreanischen Kanäle multiplizieren den Mythos um ihren „geliebten

Führer“ der als allmächtige Vaterfigur dargestellt wird, dessen überragende Fähigkeiten alles

Menschliche überbieten. Der fein ausgeklügelte Personenkult um die Führerfigur reicht von

einem göttlichen Golftalent bis hin zu einem Pop Hit mit dem Titel: "No Motherland Without

You", der Kims Führung anpreist. So zumindest dringt die Propaganda zum Westen durch. In

diesem Aspekt wird der Diskurs durch den Umstand befeuert, dass es sich bei vielen der

vermeintlichen Behauptungen der nordkoreanischen Propagandakanäle eben um Lügen

handle. So wird also durch diese Kommunikation seitens Nordkoreas eine Abgrenzungslinie

in der Schweizer (und wohl auch dem Rest der westlichen) Gesellschaft gekreuzt, da diese

Gesellschaften, diese Informationen als gelogen empfinden. Im Weiteren wird zu beobachten

sein, dass eben diese „Fehlinformationen“ mitunter Stoff für die Dekonstruktion Kims vom

Feind zum amüsanten Trottel liefert. Ferner wird durch die Abwesenheit des „grossen

Bruders“ Sowjetunion als auch die relative Entfernung, ist die Schweiz keineswegs direkt

bedroht durch den Nordkoreanischen Führer.

Das willl heissen, dass die materielle Lebenswelt in keiner antizipierbaren Weise beeinflusst

wird durch Nordkorea oder eben dessen Präsidenten. Die Auseinandersetzung mit der Figur

171

Spiegel Online (23.10.2009): „Nordkorea: Uno prangert Kim Jong Ils Grausamkeiten an“

94

verläuft rein medial und mitunter deshalb; abstrakt. Bei der Beschaffung von schlichten Daten

über den „geliebten Führer“ wird dieser Personenkult bereits ersichtlich, der seitens der

nordkoreanischen Medien um den Machthaber generiert wird. So ist bereits sein

Geburtsdatum Gegenstand von Mythen. Laut koreanischer Medien wurde Kim Jong Il unter

einem doppelten Regenbogen auf der Spitze eines heiligen Berges zur Welt gebracht.

Tatsache nach westlichem Verständnis ist, dass er unter dem Namen Yuri Irsenovich Kim in

einem kommunistischen Arbeitslager das Licht der Welt erblickte. Gleich wie sein Sohn (Kim

Jong Un) nach ihm, sollte auch Kim Jong Il mit dem Tod und unter dem weiten Schatten

seines Vaters an die Macht gelangen, was einer automatischen Reaktivierung alter Figuren

des Feindlichen gleichkommt. In diesem Kontext wird die Dimension „Glaubwürdigkeit“

relevant und insofern Foucaults Abgrenzungskategorie von „Wahrem“ zu „Falschem“

So wurde der Mensch hinter der Maske des Diktators in den Fokus der Medienberichte

genommen. Wir beobachten eine Bewegung der Thematik Kim Jong Il weg von den

politischen Berichten hin zu einer eher als „gesellschaftlich“ zu beschreibenden

Themengruppe. Seine Liebe zum südkoreanischen und amerikanischen Kino, respektive Kino

überhaupt wurde thematisiert. Seine Freizeit, der Pferdesport den er betreibt. Bald geriet sein

Kleidungsstil in den Fokus der Online-Öffentlichkeit. Auffällig ist der „Spiegel“ dessen

Wirtschaftsteil sich mit Kim zu beschäftigen beginnt.172

Als einer der letzten

kommunistischen Herrscher, befindet sich Kim Jong Il aus kapitalistisch geprägter

Perspektive der Weltwirtschaft bereits implizit jenseits aller Vernunft. So erhalten Kims Ideen

das Prädikat „absurd“.

Wir erinnern uns: Der Kommunismus ist als globale Alternative gescheitert. Würde aus

Wirtschaftsperspektive ein Feindbild aufrechterhalten würde das eine Alternative implizieren,

eine Eigenschaft die man dem Kommunismus und insbesondere Kim Jong Il nicht zugesteht.

Das Kapital ein geeigneter Feind zu sein, wird ihm so abgesprochen.

Kim wird erst als Verbrecher diskutiert später werden seine Ideen und Fortschrittspläne

zerpflückt.173

Der Spiegel fragt woher denn Kim Jong Il sein Geld habe und bietet als

Erklärung Versicherungsbetrug an. Er stützt sich dabei auf Aussagen der Washington Post,

also auf ein amerikanisches Medium.

172

Wagner, Wieland (18.05.2010):“Absurde Expo-Pavillons: Strom sparen wie Kim Jong Il“ in: Spiegel Online

173 Wagner, Wieland (18.05.2010):“Absurde Expo-Pavillons: Strom sparen wie Kim Jong Il“ in: Spiegel Online

95

Dabei entstand nicht jeder Gesprächsstoff der zur Dekonstruktion beitragen sollte durch die

westlichen Medien.174

Die thematische Quelle scheint auch von den Nordkoreanischen

Medien mitbestimmt. So stammt beispielweise der Inhalt Kim Jong Il sei eine Modeikone aus

dem Nordkoreanischen Propagandaapparat. Im Westen wurde sie dann der Lächerlichkeit

preisgegeben.

In ihrer ersten Ausgabe im Jahr 2003 beginnt die Weltwoche zu dekonstruieren. Sanft und relativ

vorsichtig wird der Mann Kim Jong Il gegenüber der weltpolitischen Lage respektive der

diplomatischen Situation diskutiert. Der Autor zeichnet einerseits eine Situation die dem leicht

sonderbaren Herrscher über den Kopf gewachsen sei, andererseits treten bereits einige Eigenheiten

auf, die später Bestandteil des „Lächerlichen“ sein werden.

So z.B. die Gewohnheit des „geliebten Führers“ sich alle möglichen Fabriken und

Produktionsstätten anzuschauen und „wertvolle“ Inputs abzugeben. Diese Gewohnheit wird sich

Jahre später in einem der erfolgreichsten „Kim Jong Il Dekonstruktion“-Blogs175

„Kim Jong Il

Looking at things“, der auch eine der Inspirationsquellen für diese Untersuchung ist, wiederfinden.

Die Weltwoche zitiert im weiteren Gerüchte, die den Staatschef als versoffenen, Orgien feiernden

Fremdgeher qualifizieren. Er sei einer der stärksten Einzelkunden einer amerikanischen

Whiskeymarke und habe seine Frau erst ins Exil gezwungen und danach alleine in Moskau sterben

lassen.

„Er liebt schnelle Autos, soll in jeder Provinz Nordkoreas eine luxuriöse Residenz

unterhalten, eine private Videothek mit 22`000 Filmen besitzen, ein James-Bond-Fan sein,

sich überhaupt mehr um Filme kümmern als um die Staatsgeschäfte. In seinem Büro sollen

stets auf zwanzig Bildschirmen Fernsehprogramme laufen, drei davon südkoreanische.“176

In diesem Artikel wird Kim über eine ganze Reihe an Ausgrenzungslinien geschoben, die ihn

nicht mehr als rein böse, sondern vornehmlich als inkompetent und in der Konsequenz als

mehr oder minder geistig umnachtet dastehen lassen. Wiederum wird zusammenfassend

Referenz auf die „Weltpresse“ gezogen, die Kim Jong Il als „Spinner, Playboy und Irren

verhöhnt.“177

Interessanterweise wird in demselben Artikel relativiert: Der Autor bezieht sich

174

Welt.de (7.9.2010): „Kim Jong-il: Die schlimmsten Nachrichten“

175 Kim Jong Il Looking at Things (tumblr.com)

176 Neidhart, Christoph (13.5.2013): „Vater ist schuld“. Weltwoche Online.

177 Neidhart, Christoph (13.5.2013): „Vater ist schuld“. Weltwoche Online

96

auf einen Südkoreanischen Filmemacher und den Südkoreanischen Präsidenten, die Kim als

intelligente, humorvolle Person darstellen, dies wird der offenbar immer noch

diskursbestimmenden Aussage George W. Bushs gegenübergestellt der Kim als „launischen

Tyrann, Pirat, Rüpel und Schurke“ darstelle. Die Frage bleibt aber abgesehen von den Zitaten

unbeantwortet. Es muss allerdings erwähnt sein, dass George W. Bush zu jenem Zeitpunkt

zwar enorm „diskursmächtig“ ist, wie jeder amerikanische Präsident, sich im Schweizerischen

Diskurs selbst aber auch starker Kritik ausgesetzt sieht.

Ein Jahr später, 2004 Titelt die Welt: „Kim Jong Il - der Pygmäe von der Achse des Bösen“

und zitiert so erneut den amerikanischen Präsidenten.178

Hier wird wiederum betont wie

wenig man eigentlich über den Staatsführer wisse, Spekulationen über seine Vorlieben

bezüglich Filme und Nahrung werden als solche zu erkennen gegeben, auch habe er sich

bisher noch keinen Fragen von westlichen Medien gestellt. Der Mythos bleibt bestehen, doch

wirkt er Misstrauenserregend und lädt weiter zur Spekulationen ein. So wird in diesem Artikel

die Biografie Kims besprochen. Ein Drogenhändler mit künstlerischer Ader soll er sein. Hier

wird, anders als über andere Präsidenten sehr persönlich der Mensch Kim Jong Il in den

Fokus der Berichterstattung genommen. Er wird so als Mensch dargestellt, als schlechter

Mensch vielleicht, aber als Mensch. Insofern wird er von der Feindbildkonstruktion

abgetrennt, diese Tendenz zeigt sich beim Berichten über „geheime kapitalistische

Machenschaften“, so soll er nebst den Drogen auch mit Waffen und Edelmetallen handeln.

Die Abtrennung von Volk und Herrscher findet parallel statt:

„Vor dem Hintergrund, dass angeblich über 200`000 seiner Untergebenen unter

grausamsten Bedingungen in Lagern gefangen gehalten werden und geschätzte zehn

Prozent der Bevölkerung Nordkoreas Ende der neunziger Jahre schlicht verhungerten,

zeigt sich hier die wahre Arroganz der Macht: Kim Jong Il ist der einzige Dicke in

Nordkorea.“179

Wie schon beim Moskauer Putsch zu beobachten war, wird Kim gleich wie die Rote Armee

oder der KGB von der Nordkoreanischen Bevölkerung getrennt betrachtet. Er ist die Geissel

seines Volkes, nicht dessen Vertreter. Wir befinden uns an diesem Punkt immer noch

innnerhalb eines Feidnbildes. Kim Jong Ils Person wird betont auf illegale Machenschaften

hin präsentiert. Gelichsam stellen wir hier bereits den Beginn der Dekonstruktion fest.

178

Küchen Marina, (13.9.04): „Kim Jong Il; der Pygmäe der Achse des Bösen-Mythen umranken den

Machthaber von Pjong Jang“ Welt.de

179 Zitiert aus: Küchen Marina, (13.9.04): „Kim Jong Il; der Pygmäe der Achse des Bösen-Mythen umranken den

Machthaber von Pjong Jang“ Welt.de

97

Letztere äussert sich durch die Verwendung von Attributen wie „absurd“. Der Artikel fasst

zusammen und positioniert Kim und Nordkorea folgendermaßen in das politische

Weltgeschehen:

„Alles in allem hat Kim Jong Il großen politischen Überlebenswillen bewiesen. Sein Land

ist isoliert und pleite, aber durch seinen absurden Stolz, die omnipräsente Furcht vor

einen Kollaps des Landes und die rücksichtslose Unterdrückung der Bevölkerung und

nicht zuletzt die stringente Nicht-Informationspolitik kann er sich jedoch an der Macht

halten.“180

Die Bezeichnung „Pygmäe“ spricht derweil für sich. Ein kleingewachsener Eingeborener aus

einem fernen, fremden Land. Auffällig ist, dass Bush Kim einerseits als Pygmäen bezeichnet

aber andererseits in einem Atemzug mit den gefährlichsten Feinden der USA nennt. Dieser

Widerspruch macht nur im Kontext einer Dekonstruktion Sinn, da ein Feindbild, wie eingangs

hergeleitet generell eher aufgebaut, entmenschlicht und zur anonymen, kompromisslosen

Bedrohung stilisiert wird. Kim hingegen wird eher vermenschlicht und als tendenziell

machtfrei dargestellt.

So werden Kims Drohungen mit Atomraketen als diplomatische Tricks bezeichnet, sie

werden nicht als konkrete Bedrohung verstanden. Dies unterscheidet ihn von den „Bösen

Herrschern“ des kalten Krieges.

Die Prozesse der Trennung von diesem anonymisierten Bild, die starke Relativierung der

Bedrohung, welche von Kim ausgeht gekoppelt mit einer Vermenschlichung und der

Distanzierung vom eigentlichen Feindbild „Kommunismus“ bildet eine Vorstufe zur

Dekonstruktion des Feindbildes Kim Jong Il.

Das Prädikat „absurd“ kann als Vorstufe des Wahnsinns verstanden werden. Der vom Spiegel

im Kontext der Weltausstellung auf Kims Ideen zur Stromgenerierung gemünzte Begriff soll

auch später noch Verwendung finden.

Im Jahr 2008 erlitt Kim Jong Il einen Hirnschlag oder ein vergleichbares Trauma, die Berichte

variieren stark. In diesem Kontext wurde die Geheimniskrämerei des Nordkoranischen

Propgandaapparats wieder augenscheinlich. Auffällig ist der Spiegel, der sich bei seiner

Berichterstattung auf einen französischen Arzt beruft, die Referenzziehung zeigt wie wenig

man aller Information aus Nordkorea noch vertraut. Der Französische Arzt soll einer von

vielen sein, der wichtige Mitglieder der Nordkoreansichn Führungsriege behandeln soll. Der

180

Küchen Marina, (13.9.04): „Kim Jong Il; der Pygmäe der Achse des Bösen-Mythen umranken den

Machthaber von Pjong Jang“ Welt.de

98

Spiegel bezieht sich auf die französische Zeitung „le figaro“ ein weiteres Indiz für die

angeführte „Internationalisierung“ des Diskurses.181

Diese Zweifel, die implizite Annahme der Lüge geht gar soweit, dass 20 Minuten die schiere

Existenz des Diktators zeitweise bezweifelt. An diesem Punkt kann davon ausgegangen

werden dass alle Kommunikation seitens Nordkoreas per se als „falsch oder unwahr“

kategorisiert wird und erst die interpretierte Information durch die westlichen Medien

Gültigkeit haben kann.182

Indiz liefert u.a. die thematische Zuordnung in die Sparte „Kreuz

und Quer“. Dieser Bruch mit den Abgrenzungslinien der Schweizer Gesellschaft dürfte ein

entscheidender Schritt weg von der Wahrnehmung Kims als Gefahr oder Feind hin zu einer

Wahrnehmung als Hampelmann gewesen sein. Kim ist als Person schon ein alter halbtoter der

in keinster Weise gefährlich werden kann. Die ideologische Qulle für das Böse in Kim Jong

Il, George W. Bush wurde, im Kontext der eben nicht vorhandenen

Massenvernichtungswaffen im Irak in diesem Jahr, selbst unglaubwürdig. Zusätzlich endet im

Jahr 2008 die Regierungszeit von George W. Bushs, der Kim Jong Il in den Status eines

internationalen Feindes erhob, die Quelle der Kategorisierung als „böse“, wird den Diskurs zu

seiner Person also aus einer Reihe an Gründen nicht weiter bestimmen können.

So ist mit seiner Krankheit eine chronologische Grenze zu ziehen, nach welcher, der später

zurückgekehrte Präsident stetig und definitiv in die Region des wahnsinnigen, mit

Atomwaffen bestückten Harlekins abrutscht. Ebenfalls Entscheidend ist die Abwesenheit

eines Feindbildgenerierenden Bösen, das in Kim Jong Il einen Träger finden kann. Durch die

Hinterfragung und „überflüssig“-werdung der geistigen Landesverteidigung sind diese

Abgrenzungsmechanismen zur Selbstdefinition nicht mehr aktiv. So ist der „Feind“ einer

obsoleten Verteidigung ebenfalls obsolet geworden und daher keine Bedrohung.

Das Resultat dieses neuen Dispositivs um einen höchstwahrscheinlich schrecklichen Diktator,

ist ein Diskurs der diesen schrittweise in die Lächerlichkeit zieht. Dieser Prozess geschieht

über den Verlust der ideologischen Bedrohung, der physischen Bedrohung, dem Potenzial in

irgendeiner Form als Täter des Bösen zu fungieren und über den schieren Umstand, dass ein

solcher Feind nicht mehr gebraucht wird, um der Schweiz ein „Selbst“ zu verleihen.

181

Spiegel Online (11.12.2008): “Französischer Arzt bestätigt Gerüchte über Kim Jong Ils Schlaganfall“

182 20 Minuten Online (11.11.2008): „Existiert Kim Jong Il nur noch auf Bildern?“

99

11. Die Schreckliche Macht des Diskurses

Die Untersuchung der medialen Konstruktion des Bösen hat einen Einblick in die

Funktionsweisen der immer noch enger werdenden Beziehungen zwischen internationalen

Diskursen und nationalen Diskursen geschaffen. Die Schweiz ist seit dem Ende des Zweiten

Weltkriegs Teil einer sich diskursiv verdichtenden Welt. Der Begriff der Neutralität, mag

bezogen auf kriegerische Handlungen nach wie vor seine Gültigkeit haben, ideologisch

gesehen existiert sie nicht und kann es je länger umso weniger. Das Selbstverständnis der

Schweiz scheint eines internationalen Kontextes zu bedürfen, man gehört zu der einen oder

anderen globalen Idee. Weiterführend könnte mittels der hergestellten analytischen Basis auch

die politische Entwicklung in der Schweiz, der Aufschwung des Rechtspopulismus

beispielsweise, untersucht werden. Die Konstruktion eines „Bösen“ ist ein sehr breit genutztes

Medium der Politik, gäbe es sie nicht, gäbe es wohl unter anderem keine Krieg.

Die Analyse ergibt auch, dass der Begriff des „Bösen“ eben nichts weiter ist als ein Begriff.

Eine Jahrtausende alte, mit rhetorischen Figuren assoziierte „ideologische Quelle“ der durch

Reaktivierung jeweils neues Leben eingehaucht wird. Natürlich verändern sich die „Zeichen

des Bösen“ die eine solche Kategorisierung stattfinden lassen mit der Kultur und der

Geschichte. Das Böse ist also in keiner Weise real sondern existiert nur abstrakt und wird

vom Diskurs gemäß dem entsprechenden Dispositiv bestimmt. Eine begriffliche Kategorie,

die nicht als Ausprägung in der Realität vorkommt. Die „realen“ Ausprägungen werden erst

mit der Kategorisierung definiert. Das Böse ist der Boden aus dem ideologische Feindbilder

erwachsen und und von einer enormen, die Gesellschaftsschichten und Kulturen

durchdringenden Mobilisierungskraft. Diese Erkenntnis ist aus der Konstruktionsstruktur des

Bösen und dessen Auswirkungen zu ziehen und enthüllt eine durchaus schreckliche Macht

des Diskurses.

100

12. Quellenverzeichnis

12.1. Primärquellen

20 Minuten Online (11.11.2008): „Existiert Kim Jong Il nur noch auf Bildern?“

http://www.20min.ch/news/kreuz_und_quer/story/10330590

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Neue Zürcher Zeitung (7.3.1948). Nr. 463

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dessen Halbbruder geplant haben“ http://www.spiegel.de/politik/ausland/nordkorea-kim-jong-

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102

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(Rundschau, 21.08.1991)“ http://www.srf.ch/player/tv/news-clip/video/einschaetzungen-zum-

ende-des-putschs-rundschau-21-08-1991?id=1a843d0a-4a1d-4430-9475-423a6fdf4c97

SRF Reporter vom 16.12.2009, 22:31 Uhr:In geheimer Mission - Mitglieder von P-26

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mitglieder-von-p-26-brechen-ihr-schweigen?id=136127bb-65ef-4278-8618-93fb2800d5a3

SRF WISSEN vom 19.07.1994, 00:00 Uhr: „Trauer um Kim Il Sung“

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b67a-7de4958c11f6)

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Tages Anzeiger Online am 28.03.2013: „Freysinger soll die Fahne abhängen“.

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Freysinger-soll-die-Fahne-

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103

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Wagner, Wieland (18.05.2010):“Absurde Expo-Pavillons: Strom sparen wie Kim Jong Il“ in:

Spiegel Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/absurde-expo-pavillons-strom-

sparen-wie-kim-jong-il-a-695084.html

Welt.de (7.9.2010): „Kim Jong-il: Die schlimmsten Nachrichten“

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12.2. Sekundärliteratur

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Rings, Werner (1990): Schweiz im Krieg 1933-1945-Ein Bericht mit 400 Bilddokumenten.

Erweiterte Neuauflage.zürich

Stirnimann Charles (1988): Das rote Basel 1935-1938. Basel

Wagener Sybil (1999): Feindbilder, wie kollektiver Hass entsteht. Quadriga Verlag. Berlin

12.3. Bildlegende

Abbildung A: Nebelspalter Nr. 14 vom 1. 4. 1948 ;74. Jahrgang

Abbildung B: Nebelspalter Nr. 14 vom 1. 4. 1948; 74. Jahrgang

105

13. Lebenslauf

Name: Rippmann

Vorname: Till

Adresse: Mattackerstr.3

Wohnort: 8052 Zürich

Tel: 076`488`24`23

E –mail: [email protected]

Geburtsdatum: 8.7.1982

Nationalität: CH / EU

Zivilstand: Ledig

Schulische Laufbahn

Primarschule: 1-6 Klasse im Primarschulhaus Itschnach in Küsnacht bei Zürich

Sekundarschule: 1-3 Klasse an der Sekundarschule Küsnacht dann Wechsel ins

Gymnasium: 1998-2002 Kantonsschule in Küsnacht, neusprachliches Profil

Universität Zürich: Seit Sommersemester 2003 immatrikuliert

Studiengang

Hauptfach: Politikwissenschaften

1.Nebenfach: Volkskunde

2.Nebenfach: Europäische Volksliteratur

Aktuelle Beschäftigungen:

Chefredakteur VICE Media Schweiz (www.vice.com/alps)

Veranstalter Plaza Zürich