Techniken der Verschwiegenheit. Esoterische Gesprächskommunikation nach 1945 bei Ernst und...

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DANIEL MORAT Techniken der Verschwiegenheit Esoterische Gesprächskommunikation nach 1945 bei Ernst und Friedrich Georg Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger 1 „Die Esoterik bleibt gewahrt – es handelt sich um Gespräche im engen Zirkel.“ 2 Mit diesen Worten versuchte Gerhard Nebel im Mai 1949 Friedrich Georg Jünger die Teilnahme an einer von ihm organisierten Tagung über „Dichtung und Meta- physik“ in Wuppertal schmackhaft zu machen, an der neben Friedrich Georg Jün- ger auch sein Bruder Ernst Jünger sowie Carl Schmitt, Martin Heidegger und eine Reihe weiterer Personen aus dem engeren Umfeld dieser Intellektuellen teilneh- men sollten. Nebel wollte zu dieser Tagung „nur Geister des ‘burgundischen Krei- ses’ hinzuziehen“ 3 , womit er wohl auf den „Burgundischen Reichskreis“ des 16. Jahrhunderts anspielte, in dessen Nachfolge Nebel die Reichsidee lebendig halten wollte. 4 Gleichzeitig sollte diese Tagung ein von Nebel betriebenes Zeitschriften- projekt flankieren, für das er Heidegger und die Brüder Jünger als Mitherausgeber gewinnen wollte und das den Titel „Pallas“ tragen sollte. So fügte er gegenüber Friedrich Georg Jünger hinzu: „Das Ganze kann zugleich als erste der Pallas-Kon- ferenzen betrachtet werden, zu denen wir möglichst alle Vierteljahre zusammen- treten wollen – auf Heideggers Wunsch und Vorschlag.“ 5 Die Pläne zu der gemeinsamen Zeitschrift zerschlugen sich allerdings in den folgenden Monaten, so dass aus den vierteljährlichen Pallas-Konferenzen nichts wurde und schon die Wuppertaler Tagung ohne die Beteiligung von Heidegger 1 Dieser Aufsatz präsentiert Teilergebnisse meiner Dissertation über „Nihilismus und Nationalsozialismus in der intellektuellen Beziehungsgeschichte von Martin Heidegger und den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger (1932-1959)“ und beruht unter anderem auf Recherchen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach (DLA). Ich danke den dortigen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern für ihre Unterstützung sowie Frau Dr. Liselotte Jünger, Herrn Vittorio E. Klostermann, Herrn Johannes von Reumont und Frau Dr. Barbara von Wulffen für die freundliche Erlaubnis, aus den unveröffentlichten Briefen von Ernst und Friedrich Georg Jünger, Vittorio Klostermann und Clemens Podewils zu zitieren. 2 Gerhard Nebel an Friedrich Georg Jünger, Wuppertal, 25.5.1949, in: Friedrich Georg Jünger, „Inmitten dieser Welt der Zerstörung.“ Briefwechsel mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel, hg. v. Ulrich Fröschle/Volker Haase, Stuttgart 2001, S. 192f. 3 Ebd., S. 192. 4 Vgl. den Kommentar in: ebd., S. 212. 5 Ebd., S. 193. Vgl. zu diesem Zeitschriftenprojekt und zum Wuppertaler „Bund“ um Gerhard Nebel die Einleitung zur Briefedition in: ebd., S. 157-172. Vgl. auch Armin Mohler, Gerhard Nebel und der Wuppertaler „Bund“, in: Neue Schweizer Rundschau 16 (1949), S. 692-695.

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DANIEL MORAT

Techniken der Verschwiegenheit

Esoterische Gesprächskommunikation nach 1945 bei Ernst und Friedrich Georg Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger1

„Die Esoterik bleibt gewahrt – es handelt sich um Gespräche im engen Zirkel.“2 Mit diesen Worten versuchte Gerhard Nebel im Mai 1949 Friedrich Georg Jünger die Teilnahme an einer von ihm organisierten Tagung über „Dichtung und Meta-physik“ in Wuppertal schmackhaft zu machen, an der neben Friedrich Georg Jün-ger auch sein Bruder Ernst Jünger sowie Carl Schmitt, Martin Heidegger und eine Reihe weiterer Personen aus dem engeren Umfeld dieser Intellektuellen teilneh-men sollten. Nebel wollte zu dieser Tagung „nur Geister des ‘burgundischen Krei-ses’ hinzuziehen“3, womit er wohl auf den „Burgundischen Reichskreis“ des 16. Jahrhunderts anspielte, in dessen Nachfolge Nebel die Reichsidee lebendig halten wollte.4 Gleichzeitig sollte diese Tagung ein von Nebel betriebenes Zeitschriften-projekt flankieren, für das er Heidegger und die Brüder Jünger als Mitherausgeber gewinnen wollte und das den Titel „Pallas“ tragen sollte. So fügte er gegenüber Friedrich Georg Jünger hinzu: „Das Ganze kann zugleich als erste der Pallas-Kon-ferenzen betrachtet werden, zu denen wir möglichst alle Vierteljahre zusammen-treten wollen – auf Heideggers Wunsch und Vorschlag.“5

Die Pläne zu der gemeinsamen Zeitschrift zerschlugen sich allerdings in den folgenden Monaten, so dass aus den vierteljährlichen Pallas-Konferenzen nichts wurde und schon die Wuppertaler Tagung ohne die Beteiligung von Heidegger

1 Dieser Aufsatz präsentiert Teilergebnisse meiner Dissertation über „Nihilismus und

Nationalsozialismus in der intellektuellen Beziehungsgeschichte von Martin Heidegger und den Brüdern Ernst und Friedrich Georg Jünger (1932-1959)“ und beruht unter anderem auf Recherchen im Deutschen Literaturarchiv in Marbach (DLA). Ich danke den dortigen Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern für ihre Unterstützung sowie Frau Dr. Liselotte Jünger, Herrn Vittorio E. Klostermann, Herrn Johannes von Reumont und Frau Dr. Barbara von Wulffen für die freundliche Erlaubnis, aus den unveröffentlichten Briefen von Ernst und Friedrich Georg Jünger, Vittorio Klostermann und Clemens Podewils zu zitieren.

2 Gerhard Nebel an Friedrich Georg Jünger, Wuppertal, 25.5.1949, in: Friedrich Georg Jünger, „Inmitten dieser Welt der Zerstörung.“ Briefwechsel mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel, hg. v. Ulrich Fröschle/Volker Haase, Stuttgart 2001, S. 192f.

3 Ebd., S. 192. 4 Vgl. den Kommentar in: ebd., S. 212. 5 Ebd., S. 193. Vgl. zu diesem Zeitschriftenprojekt und zum Wuppertaler „Bund“ um Gerhard

Nebel die Einleitung zur Briefedition in: ebd., S. 157-172. Vgl. auch Armin Mohler, Gerhard Nebel und der Wuppertaler „Bund“, in: Neue Schweizer Rundschau 16 (1949), S. 692-695.

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und den Brüdern Jünger statt fand. Die Esoterik des Unternehmens blieb also in einem noch höheren Maße gewahrt, als von Nebel selbst beabsichtigt. Doch trotz – oder gerade wegen – ihres partiellen Scheiterns werfen diese Organisationsbe-mühungen Gerhard Nebels ein Schlaglicht auf die Kommunikationssituation von Rechtsintellektuellen nach 1945. Denn die gemeinsame Zeitschrift „Pallas“ kam auch deshalb nicht zustande, weil Heidegger und die Brüder Jünger 1949 eine zu breite Öffentlichkeit noch scheuten. Die „Verbindung unserer Namen“, so gab Ernst Jünger im Juni 1949 seinem Bruder gegenüber die Ansicht Heideggers wie-der, stelle „ein Politikum ersten Ranges dar. Sie würde der Bösartigkeit Stoff ge-ben.“6 An Heidegger selbst schrieb er im Rückblick: „Wie richtig Ihr Zögern war, erkenne ich besonders in Anbetracht der neuen Presse-Campagne, die gegen mich im Gange ist...Zwar wäre ein solches Forum zur Klärung von Fragen wie der oben berührten gut gewesen, doch besser bleibt wohl das den Lemuren entzogene Ge-spräch.“7

Die in ihren eigenen Augen verfemten und verfolgten Rechtsintellektuellen, die sich in der Öffentlichkeit für ihre Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus rechtfertigen mussten und zeitweise wie Heidegger mit Lehr- oder wie Ernst Jün-ger mit Publikationsverbot belegt wurden, organisierten ihre Neuformierung nach dem Ende des ‘Dritten Reiches’ also lieber hinter verschlossenen Türen und ab-seits der politischen Zentren. Die klandestine Reisediplomatie zwischen Todtnau-berg, Überlingen, Kirchhorst und Plettenberg8 setzte daher auf nicht-öffentliche Formen der Netzwerkbildung. Die ‘burgundischen Kreise’, die zwischen diesen provinziellen Rückzugsorten gezogen wurden, bestanden hauptsächlich aus ge-genseitigen Besuchen und privaten Treffen wie dem von Nebel organisierten. Trotz der erschwerten Reisebedingungen der Nachkriegszeit herrschte ein reger Besuchsverkehr, der häufig besonders vom engagierten Nachwuchs betrieben wurde, welcher wie Nebel bemüht war, die ehemaligen Führungsfiguren der so genannten Konservativen Revolution als politische Akteure neu zu mobilisieren. So schreibt etwa Ernst Jünger an seinen Bruder Friedrich Georg im August 1948 über seinen Besucher Armin Mohler: „Wie ich höre, wird er Dich in diesen Tagen in Begleitung von Nebel aufsuchen. Auch mit Carl Schmitt und Speidel hatte er gesprochen, und so alle Denkhütten von Bedeutung berührt, die in dieser Trüm-merwelt geblieben sind.“9 Jünger selbst aber, so hatte er schon ein Jahr zuvor an seinen Bruder geschrieben, wolle „in Kirchhorst bleiben wie der Alte vom Berg in Alamut“.10

6 Ernst Jünger an Friedrich Georg Jünger, 25. Juni 1949, zitiert nach ebd., S. 169. 7 Ernst Jünger an Martin Heidegger, Ravensburg, 6. Januar 1950 (Nachlass E. Jünger, DLA

Marbach). 8 Dies sind die Nachkriegswohnorte von Heidegger (Freiburg und Todtnauberg), Ernst Jünger

(Kirchhorst, später Wilflingen), Friedrich Georg Jünger (Überlingen) und Carl Schmitt (Plet-tenberg).

9 Ernst Jünger an Friedrich Georg Jünger, Kirchhorst, 2. August 1948 (Nachlass F. G. Jünger, DLA Marbach).

10 Ernst Jünger an Friedrich Georg Jünger, Kirchhorst, 4. April 1947 (Nachlass F. G. Jünger, DLA Marbach).

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Zwar ist auch Ernst Jünger nicht immer in Kirchhorst geblieben. Vielmehr zog er Ende 1948 ebenfalls nach Süddeutschland, zunächst nach Ravensburg und dann nach Wilflingen, denn in der Französischen Besatzungszone ließ sich der Besuchsverkehr zwischen Todtnauberg und Überlingen leichter organisieren. Doch das Bild des „Alten vom Berg“ und das der in der Trümmerwelt verstreut erhaltenen „Denkhütten“ vermittelt einen guten Eindruck von den Pilgerfahrten, die in den Nachkriegsjahren ein Netzwerk zwischen den zurückgezogen lebenden „Eremiten“ entstehen ließen. Ihre Verlängerung und Ergänzung fanden diese per-sönlichen Begegnungen zumeist in Briefen, die durch die vielfältigen Überkreu-zungen und Verknüpfungen über das rein dialogische Gespräch hinausgingen und daher ebenfalls als „gruppenbildendes Kommunikationsmittel“11 gelten können. Nur zögerlich ergab sich darüber hinaus auch wieder eine Öffnung durch Publi-kationen und öffentliche Vorträge oder Tagungen. Das Modell des esoterischen Gesprächskreises blieb aber bis weit in die Bundesrepublik hinein das bevorzugte Kommunikationsideal auch der reetablierten Rechtsintellektuellen.

Diese „Gespräche in der Sicherheit des Schweigens“ hat Dirk van Laak schon 1993 als Titel für seine Untersuchung über „Carl Schmitt in der politischen Geis-tesgeschichte der frühen Bundesrepublik“ gewählt.12 Van Laak hat mit dieser Stu-die bereits gezeigt, wie die neokonservative Schul- und Kreisbildung unter den Bedingungen der politischen Defensive stattgefunden hat, nämlich als je lokale Ausformung von Diskussionsforen und -gruppen, in denen die Aneignung des diskreditierten Gedankenguts gesprächsweise und gleichwohl im Stillen stattge-funden hat. Sein Hauptaugenmerk galt der Wirkungsgeschichte Carl Schmitts in den 1950er Jahren und weniger dessen eigener Praxis des verschwiegenen Ge-sprächs in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im folgenden soll daher stärker auf die Kommunikationssituation der in Frage stehenden Rechtsintellektuellen selbst eingegangen werden. Dazu werden zunächst ein paar allgemeine Überlegungen über die Bedeutung der interpersonalen bzw. face-to-face-Kommunikation für die Nachkriegsgeschichte und für die intellectual history angestellt. Anschließend wird die spezifische Rolle erörtert, die die Nahkommunikation für Rechtsintel-lektuelle in der krisenhaften Situation nach dem Ende des ‘Dritten Reiches’ ge-spielt hat.

11 Jürgen Herres/Manfred Neuhaus, Vorwort der Herausgeber, in: dies. (Hg.), Politische Netz-

werke durch Briefkommunikation. Briefkultur der politischen Oppositionsbewegungen und frühen Arbeiterbewegungen im 19. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 7-25, hier S. 8.

12 Vgl. Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politi-schen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. Vgl. auch ders., „Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer ein...“ Rechtsintellektuelle Reaktionen auf das Ende des „Dritten Reiches“, in: Werkstatt Geschichte 17 (1997), S. 25-44; ders., Trotz und Nachurteil. Rechtsintellektuelle im Anschluß an das „Dritte Reich, in: Wilfried Loth/Bernd-A. Rusinek (Hg.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frank-furt/New York 1998, S. 55-77.

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I. Gesprächskommunikation in der Nachkriegszeit

Unter den Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit waren nicht nur Rechts-intellektuelle auf die interpersonale Kommunikation zurückgeworfen. Die unfrei-willig mobile Zusammenbruchsgesellschaft, in der Verkehrsmittel knapp und per-manent überfüllt waren, muss man sich wohl auch als eine beständig redende Ge-sellschaft vorstellen (entgegen dem Bild eines traumatisierten, verstummten Lan-des). Der partielle Zusammenbruch der Kommunikationssysteme und der vor-übergehende Abbruch persönlicher Beziehungen führte gleichzeitig zu einer Re-naissance der Oralität, da man auf die mündlich weitergegebenen Informationen angewiesen war. Zudem darf man annehmen, dass es trotz verdrängten Schuld-bewusstseins und neuen Misstrauens, trotz Entnazifizierung und alliierter Zensur für viele Menschen auch eine Befreiung war, nach dem Ende des nationalsozialis-tischen Regimes wieder offen sprechen zu können und den freien Meinungsaus-tausch zu pflegen.

Besonders in diesem letzten Sinn wurde das Gespräch in der Nachkriegszeit über die schiere Notwendigkeit der Informationsbeschaffung hinaus auch zu ei-nem politischen und gesellschaftlichen Ideal. Nach dem zwölfjährigen Monolog des Führers sollte die sittlich-politische Sammlung und Erneuerung der deutschen Gesellschaft im Dialog der verschiedenen Kräfte und Positionen stattfinden. Das galt sowohl für die politische Meinungsbildung als auch für die allgemein für notwendig befundene Wiederbelebung geistiger, humanistisch-christlicher Tradi-tionen, wie sie in ‘abendländischen’ oder kirchlichen Akademien betrieben wurde.13 Denn parallel zur Konjunktur der Kulturzeitschriften boomten auch die Gesprächs- und Vortragskreise, die zumeist an bildungsbürgerliche Traditionen des gelehrten Gesprächs anschlossen.14 So lebte etwa auch Friedrich Meineckes Idee der überall ins Leben zu rufenden Goethegemeinden nicht nur von dem Glauben an die sittliche Größe der Goethezeit, an die es wieder anzuknüpfen gelte, sondern auch von der Überzeugung, dass diese sittliche Größe erst durch den „lebendigen Klang des gehörten Wortes“ einem „empfänglich gestimmten Hörerkreise“ nahezubringen sei.15 Friedrich Sieburg konstatierte noch 1954 in seinen „Selbstgesprächen auf Bundesebene“ das allgemeine „Verlangen nach Meinungsaustausch“16 und bemerkte: „Mehr und mehr drängt...der Mensch von

13 Vgl. Axel Schildt, Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenge-

schichte der 50er Jahre, München 1999, S. 21-82 u. 111-165. 14 Vgl. Hubert Treiber, Salon-Geselligkeit und Vortragskultur im Nachkriegs-Heidelberg oder:

Über die Rückkehr der „letzten Bildungsbürger“, in: Jürgen C. Heß/Hartmut Lehmann/Volker Sellin (Hg.), Heidelberg 1945, Stuttgart 1996, S. 255-269.

15 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946, S. 174. Ebd., S. 175: „Den ‘Goethegemeinden’ würde die Aufgabe zufallen, die leben-digsten Zeugnisse des großen deutschen Geistes durch den Klang der Stimme den Hörern ins Herz zu tragen.“ Vgl. dazu auch Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1989, S. 50-58.

16 Friedrich Sieburg, Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene, Taschenbuch-ausgabe, Reinbek 1961, S. 172.

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heute zum Gespräch.“17 Sieburg führte das allerdings nicht auf den poetischen Wert des gesprochenen Wortes zurück, sondern auf den Überdruss an ex cathedra verkündeten Wahrheiten. Diesen setzte er die partizipatorisch-demokratischen Vorzüge des offenen Gesprächs von Gleich zu Gleich entgegen, etwa wenn er feststellte: „Ein Abgeordneter, der sich im kleinsten Kreis den Zuhörern zur Dis-kussion stellt, übt mehr Wirkung aus, als wenn er in drei Massenversammlungen sein Referat an den Mann bringt.“18 Tatsächlich etablierten sich ja in der frühen Bundesrepublik vielerorts solche offenen Gesprächsforen, in denen – wie zum Beispiel bei den Mittwochsgesprächen auf dem Kölner Bahnhof – neue und enthierarchisierte Formen der öffentlichen Meinungsbildung erprobt wurden.19

Allerdings muss zwischen dieser Art der offenen Gesprächsforen und stärker geschlossenen Kreisen und Zirkeln unterschieden werden, die in der Nachkriegs-zeit ebenfalls Hochkonjunktur besaßen. Denn nicht selten kamen nach 1945 Mit-glieder von selbst ernannten Eliten zusammen, um hinter verschlossenen Türen über die Zukunft Deutschlands zu beratschlagen. Einen solchen geschlossenen Gesprächskreis stellte etwa die „Gesellschaft Imshausen“ dar, die 1947 und 1948 drei Tagungen auf dem Rittergut Imshausen in Nordhessen veranstaltete.20 Von den Brüdern Werner und Heinrich von Trott (deren Stammsitz Imshausen war) zusammen mit Eugen Kogon und Walter Dirks ins Leben gerufen, sollten diese Tagungen die Tradition des Widerstands gegen Hitler mobilisieren und ein Forum bieten, ‘dritte Wege’ zur sittlichen und politischen Erneuerung Deutschlands zu diskutieren und zu initiieren. Man verstand sich als „demokratische Elite“ und wollte an einem „Ort der Begegnung“ jenseits der politischen Lager ins Gespräch kommen. Unter anderen waren auch die Brüder Jünger zur ersten Tagung eingela-den, konnten aber beide nicht kommen.

Diese Tagungen standen nicht nur geistig, sondern auch organisatorisch in der Tradition des (konservativen) Widerstands, denn viele ihrer Teilnehmer waren bereits erprobt in der Abhaltung von geheimen Treffen und vertraulichen Gesprä-chen. Daran wird zudem deutlich, dass die Bedeutung der mündlichen Kommuni-kation nicht erst mit dem Ende des ‘Dritten Reiches’ einsetzte. Besonders für In-tellektuelle als Deutungs- und Bedeutungseliten war der Echtzeitgedankenaus-tausch immer schon ein zentraler Bestandteil der ideellen Vergemeinschaftung. So konnte ja auch der geistige Widerstand während des ‘Dritten Reiches’ bereits auf eine Tradition der esoterischen Verständigung zurückgreifen. Das „geheime Deutschland“ ist bekanntlich nicht erst eine Erfindung des konservativen Wider-

17 Ebd., S. 173. 18 Ebd. 19 Vgl. Rainer Steinberg, „Rangierbahnhof des Geistes“. Die Kölner Mittwochsgespräche 1950-

1956, in: Geschichte im Westen 7 (1992), S. 186-201. Vgl. auch den von Jugendlichen ge-gründeten „Gespräche-Kreis“ in Hannover; Friedrich Boll, Von der Hitler-Jugend zur Kam-pagne „Kampf dem Atomtod“. Zur politischen Sozialisation einer niedersächsischen Studen-tengruppe, in: Bernd Weisbrod (Hg.), Von der Währungsunion zum Wirtschaftswunder. Wie-deraufbau in Niedersachsen, Hannover 1998, S. 97-114.

20 Vgl. Wolfgang Matthias Schwiedrzik, Träume der ersten Stunde. Die Gesellschaft Imshau-sen, Berlin 1991.

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stands, sondern eine des Kreises um Stefan George.21 Ein aufschlussreicher neue-rer Sammelband über „Kreise, Gruppen, Bünde“ untersucht neben dem George-Kreis noch eine Vielzahl weiterer solcher Gruppierungen, um so zu einer „Sozio-logie moderner Intellektuellenassoziation“ zu gelangen.22 Die relativ große Spannbreite der darin untersuchten Gruppen macht deutlich, dass trotz aller Un-terschiede im Grad der Institutionalisierung und der Offenheit oder Geschlossen-heit dieser Assoziationen praktisch immer das Gespräch, der Gedankenaustausch unter Anwesenden, im Zentrum der intellektuellen Vergemeinschaftung steht.

II. Interpersonale Kommunikation in der Intellektuellengeschichte

Dieser Tatsache tragen auch andere Ansätze der neueren Intellektuellenge-schichtsschreibung Rechnung, die sich insgesamt durch eine Verschiebung vom Text zum Kontext auszeichnen. Diese Kontextualisierung hat bei verschiedenen Formen der Diskursanalyse und bei der Fokussierung auf die apriorischen Entste-hungs- und Verbreitungsbedingungen von Ideen teilweise zu einer weitreichenden Relativierung der Autonomie des Autors oder gar zum Verschwinden des Sub-jekts im Text geführt.23 Bei anderen Ansätzen sind dagegen gerade die Intellektuellen als materielle Träger und Multiplikatoren der Ideen und damit als handelnde, sozial und historisch verortete Subjekte in den Blickpunkt gerückt. Diese Betonung der Intellektuellen als historische Akteure legt den Schwerpunkt auf die kommunikative Herstellung und Verbreitung von Ideen in intellektuellen Netzwerken. Sie findet sich zum Beispiel in der französischen Intellektuellenfor-schung der 1980er und 1990er Jahre, wie sie etwa von Pascal Ory, Jean-François Sirinelli oder Michel Winock betrieben wird. Hier besteht die Kontextforschung vor allem in der Rekonstruktion generationeller Lagerungen und intellektueller Netzwerkbildungen.24 Sirinelli etwa fordert den Dreischritt von „l’étude d’itinéraires, l’observation de structures de sociabilité et la mise en lumière de

21 Vgl. bes. Günter Baumann, Der George-Kreis, in: Richard Faber/Christine Holste (Hg.),

Kreise, Gruppen, Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziation, Würzburg 2000, S. 65-84. Außerdem Stefan Breuer, Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1993; Robert E. Norton, Secret Germany. Stefan George and His Circle, Ithaca 2002.

22 Vgl. Faber/Holste (Hg.), Kreise, Gruppen, Bünde. 23 Vgl. etwa den knappen Überblick über die deutsche Begriffsgeschichte nach Koselleck, die

französische Diskursgeschichte nach Foucault und die englische Kontextgeschichte nach Skinner und Pocock bei Günther Lottes, „The State of the Art“. Stand und Perspektiven der „intellectual history“, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Fest-schrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn u. a. 1996, S. 27-45.

24 Vgl. als knappen Überblick François Beilecke, „Der Intellektuelle ist tot, es lebe der Intellektuelle!“ Anmerkungen zur neueren französischen Intellektuellenforschung, in: vor-gänge 40 (2001) 4, S. 41-49. Als ein gelungenes Beispiel dieser Art der Ideen- als Intellektu-ellengeschichte vgl. Undine Ruge, Die Erfindung des „Europa der Regionen“. Eine kritische Ideengeschichte, Frankfurt/New York 2003.

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générations“25. Hinsichtlich der „structures de sociabilité“ unterscheidet er noch einmal zwischen „‘réseaux’ qui structurent et ‘microclimat’ qui caractérise un milieu intellectuel donné“.26 Als prototypische Beispiele solcher „sociabilités intellectuelles“ nennt er die Redaktionen von Kulturzeitschriften, die als Kristalli-sationskerne eines intellektuellen Milieus erscheinen.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man, wenn man zur Untersuchung von In-tellektuellen auf die Methoden der Wissenssoziologie zurückgreift. Ludwik Flecks in den letzten Jahre wiederentdeckte „Lehre vom Denkstil und Denkkol-lektiv“ aus den 1930er Jahren geht ebenfalls davon aus, dass Wissenssysteme kommunikativ hergestellt werden, und zwar durch Denkkollektive, die dann wie-derum je eigene Denkstile ausprägen. Fleck definiert ein Denkkollektiv zunächst ganz allgemein als „Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“.27 An einer Stelle, an der er ausführli-cher auf diese Denkkollektive eingeht, wird allerdings deutlich, dass er bei diesem Gedankenaustausch in erster Linie an die face-to-face-Kommunikation denkt:

„Ein Denkkollektiv ist immer dann vorhanden, wenn zwei oder mehrere Menschen Gedanken austauschen. Ein schlechter Beobachter, wer nicht bemerkt, wie [ein] an-regendes Gespräch zweier Personen bald den Zustand herbeiführt, daß jede von ih-nen Gedanken äußert, die sie allein oder in anderer Gesellschaft nicht zu produzieren imstande wäre. Eine besondere Stimmung stellt sich ein, der keiner der Teilnehmer sonst habhaft wird, die aber fast immer wiederkehrt, so oft beide Personen zusam-menkommen. Längere Dauer dieses Zustandes erzeugt aus gemeinsamem Verständ-nis und gegenseitigen Mißverständnissen ein Denkgebilde, das keinem der Zwei an-gehört, aber durchaus nicht sinnlos ist. Wer ist sein Träger oder Verfasser? Das kleine zweipersonale Kollektiv.“28

Solche Denkkollektive können unterschiedlich groß sein, können auch wach-sen oder wieder schrumpfen und unterschiedlich konsistent sein – Fleck spricht an anderer Stelle von „momentanen“ und „stabilen“ Denkkollektiven.29 Um als stabiles Denkkollektiv erkennbar und rekonstruierbar zu sein, muss es notwendi-gerweise auch eine Verlängerung in schriftlichen Quellen, in Briefwechseln und Publikationen hervorbringen. Als Historiker ist man auf diese Quellen angewie-sen, da das unprotokollierte Gespräch keine anderen Spuren hinterlässt und man nur aus überlieferten Texten das Denkkollektiv und den dafür konstitutiven Denk-

25 Jean-François Sirinelli, Conclusion, in: ders./Pascal Ory, Les Intellectuels en France, de

l’affaire Dreyfus à nos jours, Paris 1986, S. 239-244, hier: S. 239f. Vgl. auch ders., Les Intel-lectuels, in: René Rémond (Hg.), Pour une histoire politique, Paris 1988, S. 199-232; ders. (Hg.), Générations intellectuelles. Effets d’âge et phénomène de générations dans le milieu intellectuel français, Paris 1987.

26 Sirinelli, Conclusion, S. 240. 27 Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in

die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv (1935) Frankfurt 19994, S. 54. 28 Ebd., S. 60. 29 Ebd., S. 135.

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stil rekonstruieren kann. Im Zentrum des Denkkollektivs selbst aber steht die di-rekte interpersonale Kommunikation.

Darüber hinaus ist Flecks Ansatz vor allem wegen der Doppelung von „Denk-stil“ und „Denkkollektiv“ interessant, da er dadurch genau in dem angesproche-nen Spannungsfeld von Wiederentdeckung und Auflösung des handelnden Sub-jekts steht. Mit dem Begriff des Denkkollektivs legt er den Schwerpunkt kon-struktivistisch auf die kommunikative und soziale, das heißt aktive Herstellung von Wissen durch Personen. Mit dem Begriff des Denkstils betont er aber gleich-zeitig die überpersönliche, nicht intendierte Steuerung des Denkens durch dessen „verborgene Formationsprinzipien“.30 Wenn man den Denkstil in diesem Sinne allerdings nur als eine überpersönliche Strukturierungsagentur, die das Indivi-duum denken lässt, konzeptionalisiert, droht man aus den Augen zu verlieren, dass auch ein Denk- und Kommunikationsstil aktiv und intentional durch ein Denkkollektiv hergestellt und gepflegt werden kann. Denn das strategische Han-deln der historischen Akteure betrifft nicht nur die kommunikative Praxis eines Denkkollektivs, sondern auch die gezielte Formung eines Denkstils, wie sich nicht zuletzt am Beispiel der rechtsintellektuellen Techniken der Verschwiegenheit nach 1945 zeigen lässt.

III. Der Schutzraum der Verschwiegenheit

Um die spezifische Struktur dieser kommunikativen Verschwiegenheit analysie-ren zu können, muss zunächst noch einmal die Situation der hier angesprochenen Rechtsintellektuellen nach 1945 vergegenwärtigt werden. Diese wurde vor allen Dingen durch die gemeinsame politische Vergangenheit dieser Intellektuellen in den 1920er und frühen 1930er Jahren determiniert, in denen sie der sogenannten Konservativen Revolution zugerechnet wurden und sich durch eine erkennbare Nähe zum Nationalsozialismus auszeichneten. Das gilt unabhängig davon, ob sie sich wie Carl Schmitt und Martin Heidegger in den ersten Jahren dem NS-Regime aktiv zur Verfügung stellten, oder ob sie wie die Brüder Jünger schon frühzeitig auf Distanz zu diesem Regime gingen. Allen gemeinsam ist in jedem Fall, dass sie schon während des ‘Dritten Reiches’ von der nationalsozialistischen Elite margi-nalisiert wurden und ihren eigenen Anspruch, den ‘Führer führen’ zu wollen, auf-geben mussten. Das führte dazu, dass sie sich selbst am Ende des Zweiten Welt-krieges als innere Emigranten und geistige Widerständler wahrnahmen. Um so unverständlicher und ungerechter erschien es ihnen daher, dass sie nach der Be-freiung vom Nationalsozialismus nun von den alliierten Besatzungsbehörden und

30 Thomas Etzemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die

Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001, S. 7. Vgl. zu Etzemüllers Anwendung der Fleckschen Lehre auch ders., Kontinuität und Adaption eines Denkstils. Werner Conzes intellektueller Übertritt in die Nachkriegszeit, in: Bernd Weisbrod (Hg.), Akademische Vergangenheitspolitik. Beiträge zur Wissenschaftskultur der Nachkriegszeit, Göttingen 2002, S. 123-146.

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der wiedererstarkenden linken und liberalen Öffentlichkeit kritisch beäugt und nicht etwa als geistige Leitfiguren des Wiederaufbaus begrüßt wurden.

Konkret äußerte sich diese Kritik sowohl in publizistischen Kontroversen über ihre Rolle als geistige Wegbereiter und zeitweilige Vasallen des Nationalsozia-lismus, als auch in behördlichen Untersuchungen und vorübergehenden Restrikti-onen. So erhielt Ernst Jünger bis 1949 Publikationsverbot. Martin Heidegger wurde die Lehrbefugnis entzogen, und er konnte erst 1951 als Emeritus mit be-schränkten Rechten wieder Vorlesungen halten. Carl Schmitt wurde zeitweilig interniert, in Nürnberg mehrere Wochen lang verhört und erst 1947 entlassen, ohne je wieder an seine universitäre Karriere anknüpfen zu können.31 Friedrich Georg Jünger durchlief die Entnazifizierung als einziger der hier betrachteten Rechtsintellektuellen ohne Sanktionen und konnte schon unmittelbar nach Kriegs-ende wieder veröffentlichen, wurde zum Teil aber ebenfalls wegen seines natio-nalistischen Aktivismus in den 1920er Jahren publizistisch angegriffen.

Diese Situation führte bei diesen Rechtsintellektuellen allerdings nicht dazu, die eigene Position in Frage zu stellen oder sich öffentlich zu einer wie immer gearteten Mitschuld an den Verbrechen des Nazi-Regimes zu bekennen. Einen Gang nach Canossa lehnten sie vielmehr explizit ab, wie etwa Martin Heidegger, der 1948 an Herbert Marcuse schrieb: „Ein Bekenntnis nach 1945 war mir un-möglich, weil die Nazianhänger in der widerlichsten Weise ihren Gesinnungs-wechsel bekundeten, ich aber mit ihnen nichts gemein hatte.“32 Stattdessen kon-struierten sie eine Kontinuität der Unrechtsverhältnisse über 1945 hinweg und sahen sich selbst als die einzig Aufrechten, die nun konsequenterweise wieder zu den Verfolgten gehörten. So schrieb etwa Ernst Jünger am 1. Dezember 1945 an seinen Bruder: „Wie ich höre, stehe ich in der Russischen Zone auf dem Index, desgleichen im Amerikanischen Gebiet. Es ist kein neuer Zustand für mich, denn er bestand ja mehr oder minder deutlich unter allen Regierungen.“33 Im Vorwort zu den „Strahlungen“ von 1949 kehrt der gleiche Gedanke wieder: „Die Aufein-anderfolge der Autoritäten im modernen Staat ändert die Argumente, nicht aber die Praxis der Gewalt. Bei einiger Abweichung von der Norm wird man auf alle Fälle gefährdet sein. Die Verfolger lösen sich ab, allerdings nur auf den Treibjag-den.“34

Das Bild der Treibjagd war besonders bei Carl Schmitt beliebt, der in seinen unter dem Titel „Glossarium“ posthum veröffentlichten Tagebuchnotizen der Jahre 1947 bis 1951 vielfach über seine Entrechtung und „ungerechte Verfol-

31 Zu Ernst Jünger vgl. Elliot Y. Neaman, A Dubious Past. Ernst Jünger and the Politics of

Literature after Nazism, Berkeley 1999, S. 161-165; zu Martin Heidegger Hugo Ott, Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt/New York 19922, S. 279-343; zu Carl Schmitt ders., Antworten in Nürnberg, hg. und kommentiert von Helmut Quaritsch, Berlin 2000, S. 11-50.

32 Martin Heidegger, Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges, Gesamtausgabe Bd. 16, Frankfurt 2000, S. 431.

33 Ernst Jünger an Friedrich Georg Jünger, Kirchhorst, 1. Dezember 1945 (Nachlass F. G. Jün-ger, DLA Marbach).

34 Ernst Jünger, Strahlungen, München 1988, Bd. 1, S. 17f.

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gung“ klagte und sich in der „Rolle des Sündenbocks“ wähnte.35 Über sein Refu-gium in Plettenberg schrieb er im September 1947: „Hier möchte ich mich von der Jagd erholen, deren Wild ich seit Jahren bin.“36 An Schmitts Aufzeichnungen dieser Jahre wird zudem besonders deutlich, dass die Situation nach 1945 für ihn eine Art Fortsetzung der inneren Emigration darstellte. Damit ist auch die Kom-munikationssituation wieder angesprochen. Denn die esoterischen Gespräche sind für Schmitt vor allen Dingen ein Gegenmittel gegen die vermeintliche politische Repression. Das lässt sich sehr deutlich an einem Text zeigen, den er im Winter 1945/46 während seiner Internierung in Berlin-Wannsee geschrieben hat und der 1950 in seinem schmalen Sammelband „Ex Captivitate Salus“ erschienen ist.

Schmitt unternahm darin eine Verteidigung in eigener Sache. Er betonte zu-nächst, dass die Totalität des NS-Regimes nicht so lückenlos gewesen sei, wie dessen Propaganda es glauben machen wollte und dass auch „im Inneren, in den Fängen des Leviathan selbst“ die „unveräußerliche Freiheit“ des Geistes habe bewahrt werden können.37 Zum Beleg der eigenen inneren Emigration zitierte Schmitt sich selbst mit einem Satz aus seiner 1938 veröffentlichten Abhandlung „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“: „Wenn in einem Lande nur noch die von staatlicher Macht organisierte Öffentlichkeit gilt, dann begibt sich die Seele eines Volkes auf den geheimnisvollen Weg, der nach Innen führt; dann wächst die Gegenkraft des Schweigens und der Stille.“38 Für die Zeit nach 1945 reklamierte Schmitt nun einen fairen, vorurteilslosen Umgang mit seinen wissenschaftlichen Erzeugnissen aus der Zeit des ‘Dritten Reiches’, der ihm in einer „freie[n] Öffentlichkeit“ zustehe. Für den Fall aber, dass dieser faire Um-gang ausbleibe, kündigte Schmitt an, dass er nicht vergessen werde, „was wir in der Gefahr jener zwölf Jahre erfahren haben: den Unterschied von echter und fal-scher Öffentlichkeit und die Gegenkraft des Schweigens und der Stille“.39 Da in Schmitts Augen die faire Auseinandersetzung mit seinem Denken nach 1945 nicht statt fand und die neue Öffentlichkeit ihm verschlossen blieb, wird deutlich, dass er nun in Fortsetzung der inneren Emigration weiter auf die besagte Gegenkraft setzte. Sie bestand vor allen Dingen in einem Beharren auf dem Eigenen und Ei-gentlichen, das durch Angriffe von außen nicht zu beschädigen sei. Schmitt sprach im „Glossarium“ von seinem „Recht auf Riservata und Arcana“40, und in „Ex Captivitate Salus“ rechtfertigte er, dass er überhaupt zum Mittel der Publika-tion griff:

„Ich spreche, weil ich einigen verstorbenen Freunden ein Wort nachrufen will...; weil ich einigen lebenden Freunden, von denen ich getrennt bin, und treuen Schülern in

35 Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951, hg. v. Eberhard Freiherr von

Medem, Berlin 1991, S. 231 u. 137. 36 Ebd., S. 8. 37 Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950, S. 16. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 22f. 40 Schmitt, Glossarium, S. 16.

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allen Ländern ein Zeichen geben möchte... Mit ihnen zu sprechen, verletzt kein Ar-canum. Uns alle verbindet die Stille des Schweigens...“41

Analog dazu schrieb Ernst Jünger noch 1957 in einem Brief an Schmitt über ein nur für die „Vereinigung Oltner Bücherfreunde“ gedrucktes Werk von sich: „Es ist quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienen, und wenn ich es im-mer so halten könnte, täte ich es.“42 Das Zueinandersprechen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, eben das esoterische Gespräch, wird so als defensive Krisenbe-wältigungsstrategie erkennbar, die der Selbstbehauptung diente. Ähnliches gilt für den Rückzug in die Provinz, nach Plettenberg, Wilflingen und Todtnauberg.43 Jünger widmete ihm 1951 das Traktat über den „Waldgang“, der symbolisch für diesen Rückzug steht und über den er schreibt: „Der Waldgang folgte auf die Ächtung; durch ihn bekundete der Mann den Willen zur Behauptung aus eigener Kraft.“44

Die „Behauptung aus eigener Kraft“ stand also im Zentrum der rechtsintel-lektuellen Nahkommunikation und kommunikativen Netzwerkpflege der Nach-kriegszeit. Das „den Lemuren entzogene Gespräch“ bildete einen Schutzraum, der gegen Angriffe aus der Öffentlichkeit abgedichtet war und die gegenseitige Selbstvergewisserung erlaubte. Die kommunikative Selbstkonstitution dieser rechtsintellektuellen Denkkollektive als Kreise von Eingeweihten war dabei eng mit der gezielten Pflege eines spezifischen Denkstils verbunden. Denn die be-wusste Betonung der „Gegenkraft des Schweigens“ und der daraus resultierende hermetische Denkstil zielten, wie Horst Seferens unlängst am Beispiel Ernst Jün-gers gezeigt hat, im Sinne einer „kommunikativen Doppelstruktur“ auf die „Ent-faltung eines impliziten Diskurses“, welcher nur den Eingeweihten verständlich war und so wiederum die Zugehörigkeit zum Denkkollektiv regulierte.45

Gleiches gilt für Martin Heidegger, der schon in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ von 1927 dem Gerede des „Man“ das Schweigen als „wesenhafte Möglich-keit des Redens“46 entgegengesetzt hatte und der im Laufe der Jahre eine philoso-phische Privatsprache entwickelte, die nur Eingeweihten verständlich war und diese Verständigen dadurch zu Zugehörigen machte.47 Seine die Spätphilosophie kennzeichnende Suche nach der „lichtend-verbergende[n] Ankunft des Seins“48 in

41 Schmitt, Ex Captivitate Salus, S. 77f. 42 Ernst Jünger/Carl Schmitt, Briefe 1930-1983, hg. v. Helmuth Kiesel, Stuttgart 1999, S. 322. 43 Wobei Heidegger seine Hütte in Todtnauberg schon seit den 1920er Jahren besaß und die

Brüder Jünger bereits 1934 aus Berlin wegzogen und seitdem in verschiedenen ländlichen Gegenden lebten. Lediglich Carl Schmitt ist erst nach Kriegsende von Berlin nach Plettenberg gezogen. Vgl. Paul Noack, Carl Schmitt. Eine Biographie, Berlin 1993, S. 235ff.

44 Ernst Jünger, Der Waldgang, Frankfurt 1951, S. 59. 45 Vgl. Seferens, Horst: „Leute von übermorgen und von vorgestern“. Ernst Jüngers Iko-

nographie der Gegenaufklärung und die deutsche Rechte nach 1945, Bodenheim 1998. 46 Martin Heidegger, Sein und Zeit, Gesamtausgabe Bd. 2, Frankfurt 1977, S. 218. 47 Zu Heideggers Schweigen vgl. auch Aleida Assmann, Maske – Schweigen – Geheimnis, in:

Gisela Engel u. a. (Hg.), Das Geheimnis am Beginn der europäischen Moderne, Frankfurt 2002, S. 43-58.

48 Martin Heidegger, Brief über den „Humanismus“ (1946), in: ders., Wegmarken, Gesamtaus-

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der Sprache korrespondiert dabei mit der taktisch notwendigen Verschwiegenheit dieses Redens und Denkens. Sie verbindet Heidegger im übrigen mit Friedrich Georg Jünger, der in seinem 1948 erschienenen Band mit „Gesprächen“ den per-sischen Dichter Hafis die Aufforderung aussprechen lässt, in seinen Versen stets „den unsichtbaren Text, der zwischen den Worten steht“, mitzulesen.49 Allen Beteiligten gemeinsam ist dabei die Überzeugung, dass das Wesentliche gerade nicht Gegenstand von Gerede sein darf, sondern im Schweigen gehütet werden muss. So schrieb Ernst Jünger im Juni 1949 in der oben beschriebenen Zeit-schriftenangelegenheit noch einmal an Heidegger und stellte fest: „Im Laufe der letzten Jahre ist mir ganz deutlich geworden, daß Schweigen die stärkste Waffe ist, vorausgesetzt, daß sich dahinter etwas verbirgt, das das Verschweigen lohnt.“50

Die Kommunikationspraxis des esoterischen Gesprächs hatte also zunächst eine Schutzfunktion gegenüber der Öffentlichkeit und fand in der hermetischen Sprachphilosophie dieser Denker ihre inhaltliche Entsprechung. Wie aber schon Ernst Jüngers Bezeichnung des Schweigens als „stärkste Waffe“ deutlich macht, war diese Funktion nicht rein defensiver Natur. Die kommunikative Verschwie-genheit sollte den angeschlagenen Rechtsintellektuellen vielmehr auch dazu die-nen, eine klandestine Gegenöffentlichkeit zu organisieren, von der aus sich die Auseinandersetzung mit den intellektuellen Gegenspielern führen ließ. Diese Funktion lässt sich sehr gut am Beispiel der Kontroverse um Ernst Jüngers soge-nannte Friedensschrift erörtern.

IV. Die Gegenöffentlichkeit der Freunde

Ernst Jünger, der während des Zweiten Weltkriegs als Wehrmachtssoldat in Paris stationiert war und dort losen Kontakt zu den Widerstandskreisen um Karl Hein-rich von Stülpnagel hatte, verfasste noch während der letzten Kriegsjahre einen Aufruf „an die Jugend Europas“ mit dem Titel „Der Friede“.51 Er propagiert darin ein unter christlich-abendländischen Vorzeichen geeinigtes Europa, das die Nach-kriegsordnung bestimmen sollte. Der Text war – wie Jünger später schrieb – als „außenpolitische Mitgift“52 für den konservativen Widerstand gedacht und zirku-

gabe Bd. 9, Frankfurt 1976, S. 313-364, hier 326. 49 Friedrich Georg Jünger, Gespräche, Frankfurt 1948, S. 94. 50 Ernst Jünger an Martin Heidegger, Ravensburg, 25. Juni 1949 (Nachlass E. Jünger, DLA

Marbach). 51 Vgl. Ernst Jünger, Der Friede, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 7, Stuttgart 1980, S. 193-236.

Der in der Gesamtausgabe wiedergegebene Text entspricht der Ausgabe von 1949, an der Jünger noch einige Veränderungen vorgenommen hat. Zur verschlungenen Entstehungs- und Publikationsgeschichte vgl. Ursula Reinhold, Ernst Jünger: „Der Friede“ – ein Beitrag zum Frieden?, in: Sigrid Bock/Wolfgang Klein/Dietrich Scholze (Hg.), Die Waffen nieder! Schriftsteller in den Friedensbewegungen des 20. Jahrhunderts, Berlin 1989, S. 110-119. Zur Kontroverse in der Nachkriegszeit vgl. Neaman, A Dubious Past, S. 122-138.

52 Ernst Jünger, Zweiter Brief an die Freunde, Kirchhorst/Hannover, 8. August 1946. (Nachlass E. Jünger/Sammlung des Coudres: Ernst Jünger, Prosa, „An die Freunde“. Offene Briefe 1 bis

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lierte bereits während des Krieges in geheimen Abschriften. Nach dem Krieg wurde er nicht sofort veröffentlicht, machte aber in neuen Abschriften und ersten Drucken weiterhin die Runde. An ihm entzündete sich nun eine öffentliche De-batte, da Jünger die in seinem Aufruf betriebene entdifferenzierende Opfermystik vorgeworfen wurde, gemäß der der Weltkrieg als „allgemeine[s] Werk der Menschheit“ alle Beteiligten gleichermaßen getroffen habe und nun „für alle Frucht bringen“ müsse.53 Wolfgang Harich warf Jünger deshalb im Aufbau 1946 vor, „die deutsche Schuld in einer mystischen Weltschuld“ zu versenken.54

Auf diesen und andere Vorwürfe reagierte der noch immer unter Publikati-onsverbot stehende Jünger, indem er „An die Freunde“ gerichtete Rundbriefe zir-kulieren ließ. Dem ersten dieser Briefe vom 15. Juli 1946 stellte er folgende Be-merkung voran: „Den Inhalt meines Grußes bitte ich nur Freunden zu vermitteln – nicht etwa, weil es sich um Geheimnisse handelt, sondern weil er nur ihnen sinn-voll ist.“55 Schon Anfang August 1946 folgte ein „Zweiter Brief an die Freunde“, in dem Jünger auf den raschen Erfolg des ersten Briefes einging:

„Wie ich von vielen Seiten höre, hat der ‘Brief an die Freunde’ blitzartig die Runde gemacht. Das spricht für meine Ansicht, daß eine Feder in der rechten Hand der kombinierten Anstrengung der Rotationspresse und ihrer Funktionäre überlegen ist. Die wachsende Presse-Campagne, insbesondere gegen die unveröffentlichte Frie-densschrift, läßt es wünschenswert erscheinen, auf diesem Wege auch fernerhin die gröbsten Irrtümer zu berichtigen und jene Leser zu dokumentieren, die auf ein sach-liches Urteil Wert legen.“ 56

Aus diesen Worten wird ersichtlich, dass Jünger die Kommunikation unter Freunden gezielt als Gegeninstrument zur publizistischen Öffentlichkeit nutzte. An vielen weiteren Briefen ließe sich diese Strategie der internen Rezeptionssteu-erung weiter belegen. Vor allem aber zeigt sich an diesen Briefen, dass die inter-nen Kommunikationsbemühungen auch den eigenen Eliteanspruch weiter trans-portierten und dass das esoterische Gespräch als Keimzelle für spätere Führungs-aufgaben gedacht war. So schrieb Friedrich Georg Jünger schon im Oktober 1945 an seinen Bruder: „Deine Schrift über den Frieden habe ich in diesen Tagen stu-diert; ich werde sie in dieser Woche mit nach Salem nehmen und sie dort einem kleinen Kreise vorlesen. Wir können sie als ein Manifest betrachten, von dem aus sich weiter arbeiten lässt, selbst wenn, was mir wahrscheinlich ist, die Dinge zu-nächst einen anderen Gang nehmen sollten. Ich glaube, dass die darin ausgespro-

3, 1946, DLA Marbach)

53 Jünger, Der Friede, S. 195f. 54 Wolfgang Harich, Ernst Jünger und der Frieden, in: Aufbau 2 (1946), S. 556-570, hier:

S. 565. Vgl. dazu auch Horst Seferens, „Und hier gab es viel, was zu überspielen war“. Ernst Jüngers „Vergangenheitsbewältigung“, in: Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte 44 (1997), S. 548-553.

55 Ernst Jünger, An die Freunde, Kirchhorst/Hannover, 15. Juli 1946 (Nachlass E. Jünger/ Sammlung des Coudres: Ernst Jünger, Prosa, „An die Freunde“. Offene Briefe 1 bis 3, 1946, DLA Marbach).

56 Jünger, Zweiter Brief an die Freunde.

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chenen Gedanken weit reichen und dass sie präzis genug sind, um eine Arbeits-gemeinschaft zu begründen. Es kommt jetzt darauf an, die europäischen Eliten zu sammeln und zu vereinigen.“57

In seiner Erzählung „Besuch auf Godenholm“ von 1952 beschrieb Ernst Jün-ger noch selbstbewusster diese Idee einer Kleingruppe von Wissenden, die aus der Einsiedelei heraus und qua tieferer Einsicht den zukünftigen Gang der Dinge bestimmen würden:

„Der Plan, die Lage in kleinen Gruppen zu erwägen und in Versuchen ihre Grenzen anzutasten, war nicht so unsinnig. Das war nichts Neues, sondern immer während der großen Wenden der Fall gewesen – in Wüsten, in Klöstern, in Einsiedeleien, in stoi-schen und gnostischen Gemeinden, um Philosophen, Propheten und Wissende herum. Immer gab es ja ein Bewußtsein, eine Einsicht, die dem historischen Zwange überlegen war. Sie konnte anfangs nur in ganz Wenigen gedeihen, und doch war hier die Marke, von der aus dann das Pendel in neuer Richtung schwang.“58

Auch dass Friedrich Georg Jünger im selben Brief von 1945 seinem Bruder bereits den Plan einer gemeinsamen Zeitschrift unterbreitete, „die wir allein bestreiten und an der wir nach und nach einen sehr kleinen Kreis von Mitarbeitern beteiligen“59, zeugt von der Absicht, aus einer Keimzelle heraus in eine breitere Öffentlichkeit hineinzuwirken. Diese Zeitschrift kam zwar nicht zustande. Eigene Zeitschriften gaben die Brüder Jünger erst später heraus: in den 1960er Jahren 57 Friedrich Georg Jünger an Ernst Jünger, Überlingen, 6. Oktober 1945 (Nachlass F. G. Jünger,

Maschinenschriftliche Abschriften seiner Briefe an verschiedene Empfänger, 1912-1947, DLA Marbach). Hellmut Becker erinnert sich in einem Geburtstagsartikel für Alexander Mit-scherlich an dieses Treffen in Salem und beschreibt dabei sehr anschaulich eine derartige Zu-sammenkunft: „Im Herbst 1945 lernte ich Alexander Mitscherlich auf einer jener eigentümli-chen Veranstaltungen kennen, in der man sich damals mit Fahrrad oder Holzvergaserauto an schwer erreichbaren Plätzen zusammenfand, die sich im wesentlichen dadurch auszeichnen mußten, daß sie in der Lage waren, eine minimale gemeinsame Verpflegung herzustellen. Gastgeber war hier der Markgraf von Baden in Salem am Bodensee. Der Teilnehmerkreis reichte von Georg Friedrich Jünger [sic] bis zu Thorwald Risler, dem späteren Generalsekre-tär des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft, und von dem katholischen Psychologen Freiherrn von Gebsattel bis zu Alexander Mitscherlich; eine bunt gewürfelte Gesellschaft von Intellektuellen, Künstlern, aber auch von Wartenden aller Art und Güte. [...] Auf jener Ta-gung in Salem las Friedrich Georg Jünger die berühmte Schrift von Ernst Jünger über den Frieden vor. Diese Schrift war gegen Ende des Dritten Reiches geheim als antinationalsozia-listisches Pamphlet unter interessierten Intellektuellen verbreitet worden; ihr Wortlaut war noch vielen unbekannt und hatte unter damaligen Aspekten manches Verführerische an sich. Während der Verlesung saß Mitscherlich neben mir, und ich kann nur sagen, er explodierte. Der Jüngersche Duktus, der die neue Ordnung nicht von der Befreiung des Menschen her konzipierte, sondern durch eine Elite von oben festsetzen lassen wollte, empörte Mitscher-lich.“ Hellmut Becker, Freiheit, Sozialismus, Psychoanalyse. Anmerkungen zu Begegnungen mit Alexander Mitscherlich von einem Nichtanalysierten, in: Merkur 32 (1978), S. 923-937, hier S. 923f.

58 Ernst Jünger, Besuch auf Godenholm, Frankfurt 1952, S. 15f. 59 Friedrich Georg Jünger an Ernst Jünger, Überlingen, 6. Oktober 1945 (Nachlass F. G. Jünger,

Maschinenschriftliche Abschriften seiner Briefe an verschiedene Empfänger, 1912-1947, DLA Marbach).

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Ernst Jünger den Antaios (zusammen mit Mircea Eliade), in den 1970er Jahren Friedrich Georg Jünger die Scheidewege (zusammen mit Max Himmelheber). Der frühe Vorschlag von Friedrich Georg Jünger zeigt aber, dass trotz des Rückzugs aus der Öffentlichkeit von Anfang an der Anspruch auf Wirkung nicht aufgegeben wurde. Vor allem blieb auch das Bewusstsein erhalten, selbst zu den wenigen zu gehören, die überhaupt etwas von Bedeutung zu sagen hatten. So schrieb Martin Heidegger, der im Laufe seines Bereinigungsverfahrens mehrfach auf eine spätere Lösung seines Problems vertröstet wurde, im November 1945 einigermaßen trot-zig, dass er auf eine Erlaubnis zur Lehr- und Vortragstätigkeit von sich aus durch-aus noch warten könne, dass aber die Frage sei, „ob die Jugend und ob die heutige geistige Lage der Deutschen warten könne“60.

V. Wiedereintritt in die Öffentlichkeit

In diesem Spannungsverhältnis von defensivem Rückzug und offensivem An-spruch auf Wirkung bewegten sich auch die zu Beginn dargestellten Organisati-onsbemühungen Gerhard Nebels, die ja gleichermaßen auf die interne Verständi-gung und die Wirkung nach außen gerichtet waren. Durch diese Ambivalenz in den rechtsintellektuellen Kommunikationsverhältnissen ergaben sich auch gele-gentlich Spannungen zwischen den Beteiligten, da manche stärker als andere auf erneute politische und öffentliche Tätigkeit drängten. Aber auch die gescheiterten Zeitschriften- und Tagungsprojekte lassen sich als ein Austesten der kommunika-tiven Möglichkeiten verstehen, die ab den späten 1940er und frühen 1950er Jah-ren zu einem graduellen Wiedereintritt in die nun bundesrepublikanische Öffent-lichkeit führten. Hierbei waren wiederum die in den 1940er Jahren geknüpften kommunikativen Netzwerke von entscheidender Bedeutung, wie man etwa am Beispiel der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München sehen kann, die unter ihrem Generalsekretär Clemens Graf Podewils in den 1950er Jahren zu einem Forum für Martin Heidegger und die Brüder Jünger wurde.

Podewils kannte Ernst Jünger bereits aus der Besatzungszeit in Paris und knüpfte – zusammen mit seiner Frau Sophie Dorothee Podewils – in den frühen 1940er Jahren auch zu Friedrich Georg Jünger und Martin Heidegger erste Kon-takte. Nach dem Krieg bemühte er sich ähnlich wie Nebel um eine Sammlung der ‘schöpferischen Geister’ und schrieb etwa 1948 in diesem Sinn an Ernst Jünger: „Es sind Zeiten, in denen das Gespräch allein fähig ist, den Kreis der Gleichge-sinnten enger zu schliessen.“61 Als er 1949 Generalsekretär der neu gegründeten Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München wurde, wollte er diese Akademie zu einem Forum für derartige Gespräche von Gleichgesinnten machen. 1950 verlieh die Akademie ihren ersten Literaturpreis an Friedrich Georg Jünger und lud Martin Heidegger ein, seinen bereits im Club zu Bremen und auf der

60 Heidegger, Reden und andere Zeugnisse, S. 406. 61 Clemens Podewils an Ernst Jünger, Hirschberg, 25. April 1948 (Nachlass E. Jünger, DLA

Marbach).

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Bühlerhöhe gehaltenen Vortrag über „Das Ding“ in München zu wiederholen.62 Im Anschluss an diesen öffentlichen Vortrag im Juni 1950 fand eine private Zu-sammenkunft auf dem Gut der Podewils in Oberbayern statt, bei der Heidegger einen zweiten Vortrag hielt und Friedrich Georg Jünger aus seinen Gedichten las.63 Schon diese Doppelung zeugt von dem noch tastenden Vordringen in die neue bundesrepublikanische Öffentlichkeit, das auch nicht unangefochten blieb, wie eine kontroverse Aussprache über Heideggers Vortrag im Münchner Stadtrat zeigte.64

1953 und 1959 veranstaltete die Münchner Akademie dann zwei große und gut besuchte Tagungen, 1953 über „Die Künste im technischen Zeitalter“ und 1959 über „Die Sprache“, bei denen jeweils auch Martin Heidegger und Friedrich Georg Jünger Vorträge hielten.65 Diese Tagungen, die vor allem Heidegger konzeptionell mit vorantrieb, wurden ebenfalls von ausgiebigen privaten Treffen flankiert, bei denen das interne Gespräch den Schritt in die Öffentlichkeit vorbe-reiten und absichern sollte. Der Erfolg dieses Schritts wurde allerdings unter-schiedlich bewertet. So schrieb etwa Vittorio Klostermann, zu dieser Zeit gemein-samer Verleger Heideggers und der Brüder Jünger, im Anschluss an die Tagung 1953 an Ernst Jünger:

„Allerdings fand ich die Art der Veranstaltung in München nicht angemessen. Für eine Veranstaltung von Niveau ist eine gewisse Intimität der Atmosphäre notwendig, aber keine Massenveranstaltung, die doch stark an Veranstaltungen erinnert, wie wir sie aus anderen Sparten kennen. Die Sache wird sonst leicht zur Schaustellung, bei der jede echte Kommunikation fehlt. Dies hinterlässt beim Redner das Gefühl der Unbefriedigung, wie dies bei Ihrem Bruder der Fall war. Bei Heidegger wird wohl sein Machtwille befriedigt, den ein Redner haben kann, wenn er spürt, daß ihm die Bändigung einer solchen Masse gelingt.“66

62 Das Sanatorium „Bühlerhöhe“ bei Baden-Baden entwickelte sich unter seinem Leiter Gerhard

Stroomann in den 1950er Jahren ebenfalls zu einem (mehr oder weniger) esoterischen Gesprächsort, an dem bei Vortragsveranstaltungen und Gesprächsrunden Heidegger und die Brüder Jünger mehrfach zusammenkamen. Vgl. Gerhard Stroomann, Aus meinem roten No-tizbuch. Ein Leben als Arzt auf Bühlerhöhe, Frankfurt 1960, S. 206ff. Zum Club zu Bremen vgl. Heinrich Wiegand Petzet, Die Bremer Freunde, in: Günther Neske (Hg.), Erinnerung an Martin Heidegger, Pfullingen 1977, S. 179-190; ders., Auf einen Stern zugehen. Begegnun-gen und Gespräche mit Martin Heidegger 1929-1976, Frankfurt 1983, S. 59-83 (dort auch über Bühlerhöhe und die Münchner Akademie).

63 Vgl. Clemens Podewils, Die nachbarlichen Stämme, in: Neske (Hg.), Erinnerung, S. 207-213, hier S. 207ff.

64 Vgl. Hanfstaengl contra Heidegger, Süddeutsche Zeitung, 14. Juni 1950. 65 Vgl. Bayerische Akademie der schönen Künste (Hg.), Die Künste im technischen Zeitalter,

München 1956; dies. (Hg.), Die Sprache, München 1959. Ernst Jünger war bei beiden Ta-gungen anwesend, hielt selbst aber keine Vorträge. Vgl. auch Siegfried Melchinger, Das öf-fentliche Gespräch, in: Wort und Wahrheit 9 (1954), S. 76-78, der die Tagung von 1953 be-spricht und dabei allgemeine Überlegungen zum öffentlichen Gespräch als typischer „Ein-richtung, wenn nicht Erfindung unserer Nachkriegszeit“ (S. 76) anstellt.

66 Vittorio Klostermann an Ernst Jünger, Frankfurt, 7. Dezember 1953 (Verlagsarchiv Vittorio Klostermann, DLA Marbach). Zu Vittorio Klostermann, der einen weiteren Knotenpunkt im

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Diese Bemerkung über das Fehlen „echter Kommunikation“ zeugt auch von ha-bituellen Unterschieden zwischen Heidegger, der als Charismatiker die unmittel-bare Ansprache auch größerer Zuhörerkreise nicht scheute, und den Brüdern Jün-ger, die ihre Wirkung über enge Kreise hinaus lieber durch die Pflege einer em-phatisch verstandenen ‘Leserschaft’ organisierten.67 Letztere ließen sich daher zeitlebens von Podewils nicht zum Eintritt in die Akademie bewegen, während Heidegger von Beginn an reger an ihren Aktivitäten Anteil nahm und 1969 schließlich Mitglied wurde. Doch unabhängig von diesen Unterschieden dienten Veranstaltungen wie die der Akademie insgesamt dazu, den Radius der Ge-sprächskreise schrittweise zu vergrößern und die Kommunikation unter Einge-weihten in einer regulierten Öffentlichkeit stattfinden zu lassen.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die esoterische Gesprächs-kommunikation für die hier untersuchten Rechtsintellektuellen nach 1945 eine doppelte Funktion besaß. Zum einen diente sie ihnen als ein Refugium der Stille, das sie gegen Angriffe von außen schützte und in dem sie ungestört ihre Ideen-haushalte neu sortieren konnten. Zum anderen konnten sie in ihr die Rückkehr in die Öffentlichkeit erproben und gleichzeitig einen Kommunikations- und Denkstil ausprägen, der auch für ihr öffentliches Wirken in der Bundesrepublik konstitutiv blieb. Denn wie gezeigt wurde, erschienen die sprachhermetischen Vorträge vieler dieser Denker auch in den 1950er und 1960er Jahren noch als Fortsetzung jenes „Selbstgespräch[s] des wesentlichen Denkens mit sich selbst“68, von dem Martin Heidegger in bezug auf sein Philosophieren während des ‘Dritten Reiches’ ge-sprochen hatte. Die Nahkommunikation als Gespräch unter Eingeweihten blieb also auch dann noch das Kommunikationsideal dieser Rechtsintellektuellen, als die unmittelbare Krisensituation nach dem Ende des ‘Dritten Reiches’ bereits überwunden war und sie eine erneute öffentliche Wirkung in der geistigen und politischen Landschaft der Bundesrepublik entfalteten.

Kommunikationsnetzwerk um Heidegger und die Brüder Jünger bildete, vgl. Frank-Rutger Hausmann, Ein Verleger und seine Autoren. Vittorio Klostermann im Gespräch mit Martin Heidegger, Ernst und Friedrich Georg Jünger, Privatdruck, Frankfurt 2002.

67 Zu Ernst Jüngers Pflege seiner Leserschaft vgl. auch das von ihm 1959 initiierte Maximen-spiel „Mantrana“, bei dem die Leser aufgefordert wurden, den von Jünger vorgegebene Ma-ximen weitere hinzuzufügen und an ihn einzuschicken. (Ernst Jünger, „Mantrana“, Einladung zu einem Spiel, Stuttgart 1959.). Ein Rezensent schrieb dazu: „Ein heutiges Glasperlenspiel also, und der ‘Magister ludi’, der Glasperlenspiel-Meister, ruft seine Schüler, versammelt seine Gemeinde – jedoch nicht in einer willkürlich getroffenen Auslese, denn ‘jeder kann mitspielen’, sondern einer Auslese, für die jeder einzelne sich selbst bestimmt. Ein großer Versuch also, eine neue, aus der anonymen Passivität erweckte Gemeinde zu bilden, ein wichtiges Beginnen, auf zeitgemäßem Weg den idealen Zustand von Autor und Leser auch im Zivilisationsdschungel wiederherzustellen: nämlich das Gespräch.“ (Wolfgang Kraus, Modernes Glasperlenspiel? Ein origineller Versuch Ernst Jüngers, in: Remscheider General-anzeiger, 3. März 1959.)

68 Martin Heidegger, Das Rektorat 1933/34. Tatsachen und Gedanken, in: ders., Die Selbstbe-hauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/34. Tatsachen und Gedanken, Frank-furt 1983, S. 21-43, hier S. 38.

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Dass sie diese Wirkung in den 1950er Jahren entfalteten – wovon nicht zuletzt die große Zuhörerzahl und das mediale Echo der Münchner Tagungen zeugen – belegt umgekehrt die hohe Attraktivität dieser esoterischen Kommunikations- und Deutungsangebote für eine bildungsbürgerliche Öffentlichkeit, die im ersten Jahr-zehnt der Bundesrepublik noch weitgehend von einem „konservativen Zeitgeist“ geprägt war.69 Dieser Zeitgeist war vor allen Dingen durch Ängste und Vorbe-halte gegenüber der (angeblichen) „Vermassung“ der Gesellschaft charakterisiert, wie sie sich besonders im Aufstieg der Massenmedien spiegelte.70 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Hochkonjunktur der Gesprächskreise und Kulturzirkel nicht nur als ein diskursiver Aufbruch nach der Meinungsgleichschaltung der NS-Diktatur dar, sondern auch als ein bildungsbürgerliches Schutzpolster gegen Ten-denzen der Massenmedialisierung und gesellschaftlichen Pluralisierung. So gese-hen erscheinen die hier untersuchten Rechtsintellektuellen gerade wegen ihrer kommunikativen Esoterik und im Gegensatz zu ihrem Außenseiterselbstbild als exzentrische Repräsentanten einer kulturpessimistischen Öffentlichkeit, die sich erst in den 1960er Jahren (dann allerdings ohne die Brüder Jünger, Heidegger und Schmitt) mit ihrer massenmedialen Gestalt abzufinden begann und sich zu einer „kritischen Öffentlichkeit“ entwickelte.71

69 Vgl. neben Schildt, Zwischen Abendland und Amerika, auch ders., Moderne Zeiten. Freizeit,

Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 324-350.

70 Vgl. neben Schildt, Abendland, und ders., Moderne Zeiten, auch ders., Massenmedien im Umbruch der fünfziger Jahre, in: Jürgen Wilke (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1999, S. 633-648; Paul Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 273-318.

71 Vgl. dazu Christina von Hodenberg, Die Journalisten und der Aufbruch zur kritischen Öffent-lichkeit, in: Ulrich Herbert (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integ-ration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen 2002, S. 278-311; zum gesamtgesellschaftlichen Umbruch Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: ders. (Hg.), Wandlungsprozesse, S. 7-49.