Sicherheit in Freiheit

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1 Gert-Joachim Glaeßner Sicherheit in Freiheit (Technische Universität Dortmund 9. Dezember 2011) Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ist von einem zentralen Thema beherrscht: Sicherheit. Spätestens nach dem 11. September 2001 ist für alle sichtbar geworden, dass wir völlig neuen Gefährdungen unserer Sicherheit gegenüber stehen. Alte Gewissheiten sind dahin. Moderne Staaten und Gesellschaften werden nicht mehr allein im „klassischen“ Sinne von Außen, durch andere Staaten und von Innen, durch Gegner und Feinde der politischen und gesellschaftlichen Ordnung bedroht. Die tradierte Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit eines politischen Gemeinwesens ist überholt, so sie denn jemals im modernen Staatenleben gerechtfertigt war - man denke nur an die enge Verknüpfung von politischer Systemauseinandersetzung, „nationalen Befreiungsbewegungen“ und als Agenten einer revolutionären Weltzentrale agierenden Parteien in der Zwischenkriegszeit und im Kalten Krieg. Das dieser Art von Auseinandersetzungen innewohnende Freund-Feind-Denken hat, so scheint es, einen neuen Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Gert-Joachim Glaeßner

Sicherheit in Freiheit

(Technische Universität Dortmund 9. Dezember 2011)

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts ist von

einem zentralen Thema beherrscht: Sicherheit.

Spätestens nach dem 11. September 2001 ist für alle

sichtbar geworden, dass wir völlig neuen Gefährdungen

unserer Sicherheit gegenüber stehen. Alte Gewissheiten

sind dahin. Moderne Staaten und Gesellschaften werden

nicht mehr allein im „klassischen“ Sinne von Außen,

durch andere Staaten und von Innen, durch Gegner und

Feinde der politischen und gesellschaftlichen Ordnung

bedroht. Die tradierte Trennung zwischen äußerer und

innerer Sicherheit eines politischen Gemeinwesens ist

überholt, so sie denn jemals im modernen Staatenleben

gerechtfertigt war - man denke nur an die enge

Verknüpfung von politischer Systemauseinandersetzung,

„nationalen Befreiungsbewegungen“ und als Agenten

einer revolutionären Weltzentrale agierenden Parteien

in der Zwischenkriegszeit und im Kalten Krieg. Das

dieser Art von Auseinandersetzungen innewohnende

Freund-Feind-Denken hat, so scheint es, einen neuen

Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Gegenstand gefunden: den realen oder imaginierten

Islamismus.

Allen Grobschlächtigkeiten vieler Diskussionen zum

Trotz verweist die Debatte über das neue Feindbild

„Islamismus“ auf ein tiefer liegendes Problem. Mittels

eines Feindbildes, der Markierung des Anderen, kann

Gemeinschaft gestiftet und Sicherheit im Sinne einer

Zugehörigkeit zu einer gegen innere und äußere

Anfechtungen und Zumutungen verschworenen

„Gesinnungsgemeinschaft“ erzeugt werden. Es geht um

die Verteidigung des „Eigenen“ gegenüber dem

„Fremden“. Sicherheit, nicht Freiheit wird zur

Richtschnur des Handelns. Aus der Abwehr realer oder

vermeintlicher Sicherheitsrisiken erwächst ein

Freiheitsrisiko (Denninger 1977, Bd. 1:20; Braunthal

1990). In Zeiten wachsender Ungewissheiten ist diese

Gefahr der Vertauschung von Wertorientierungen von der

Freiheit zur Sicherheit evident und es wird deutlich,

welche Bedeutung der Bewahrung oder Wiederherstellung

von ”Sicherheit” im Wertehaushalt der Bevölkerung

zukommt.

Moderne Gesellschaften sind aber unsichere

Gesellschaften. Die Globalisierung der Wirtschaft, die

Informationsrevolution und durch sie hervorgerufene Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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tief greifende mentale und kulturelle Veränderungen,

die beschleunigte Ablösung industriegesellschaftlich

geprägter Sozialstrukturen und sozialer Milieus,

demographische Entwicklungen und Wanderungsbewegungen,

welche die Grundfesten der tradierten sozialen

Sicherungssysteme erodieren lassen, die Bedrohung

durch international agierende organisierte

Kriminalität, die wachsende Zahl von staatlichen

Gebilden, in denen private Gewalt statt Recht und

Ordnung das Leben der Menschen bestimmt, dramatische

Veränderungen im internationalen System, die zur

Auflösung bipolarer Sicherheitsstrukturen geführt

haben, das Entstehen einer multipolaren, kaum

steuerbaren internationalen Ordnung und nicht zuletzt

der internationale Terrorismus - all dies sind

Faktoren der Unsicherheit.

Sicherheit zu gewährleisten ist von Alters her Aufgabe

der staatlichen Ordnung. Mit Sicherheit, so hat es

schon 1651 Thomas Hobbes formuliert, sei nicht allein

die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, „sondern auch

alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich

jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder

Schaden für den Staat erwirbt“.

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Die Bürger erwarten vom Staat, dass er sie vor

Angriffen auf Leib und Leben, ihr Eigentum, ihre

Lebensweise und ihre persönlichen Freiheiten schützt,

gleichgültig ob sie aus der Gesellschaft heraus oder

von äußeren Feinden drohen. Dafür akzeptieren sie,

dass sie sich bestimmten Normen und Regeln unterwerfen

und dem Staat Kompetenzen übertragen müssen, die ihn

in die Lage versetzen, diesen Schutz zu gewährleisten.

Diese Aufgabe rechtfertigt die Ausstattung des Staates

mit besonderen Machtmitteln und sein Monopol auf

legitime Gewaltausübung.

Damit könnte es sein Bewenden haben, wäre da nicht ein

Problem, das uns allen in den letzten Jahren wieder

deutlich bewusst geworden ist: Sicherheit hat ihren

Preis.

In seiner 1929 entstandenen Schrift „Das Unbehagen in

der Kultur“ hat Sigmund Freud den Verzicht das

Einzelnen auf uneingeschränktes Ausleben der eigenen

Triebe und Freiheitsmöglichkeiten zugunsten von

Gemeinschaftsregeln, Recht und anderen normativen

Vorgaben und Regeln als wesentliches Merkmal moderner

Zivilisation dargestellt. Was der Einzelne dafür

gewinnt, ist Sicherheit.

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„Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit

ein Stück Sicherheit eingetauscht.“ (Freud, Das

Unbehagen 243)

Wir geben ein erhebliches Maß an individueller

Freiheit her und unterwerfen uns - mehr oder weniger

freiwillig - allen möglichen Regeln, Vorschriften und

Einschränkungen, in der Hoffnung und Erwartung, dafür

Sicherheit zu gewinnen.

Was aber bedeutet Sicherheit in modernen politischen

Gemeinwesen und in der modernen Staatenordnung? Welche

Bedeutung haben Sicherheit, Unsicherheit und Vertrauen

(in Sicherheit) in modernen Gesellschaften und welche

Rolle kommt ihnen bei der Gestaltung der

gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu, nachdem

überkommene Normen und Regeln, die tradierten,

Sicherheit gewährenden oder zumindest versprechenden

Konzepte versagen und die alten

Ordnungskonfigurationen ihre Bindekraft verlieren?

Was kann Sicherheit in einer multipolaren, durch

wachsende Unübersichtlichkeit bestimmten

internationalen Ordnung bedeuten?

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Welche Rolle fällt der staatlichen Ordnung bei der

Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit zu und

was kann sie noch „souverän“ bearbeiten?

Und schließlich: wie steht es um das

Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit?

Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich eine

Betrachtung des Sicherheitsproblems konfrontiert

sieht.

Im folgenden werde ich

1.zuerst dem Bedeutungsgehalt der in der

öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte

häufig pejorativ besetzten oder normativ

überlasteten Begriffs ”Sicherheit nachgehen, um

danach

2. der Sicherheit als zentraler Wertorientierung in

den verschiedenen Sphären der Gesellschaft und im

politischen Raum nachzuspüren.

3.In einem weiteren Schritt wird die Rolle des

Staates bei der Gewährleistung von Sicherheit und

Ordnung beleuchtet, um dann abschließend

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4.auf einige politische Implikationen eines

umfassenden Sicherheitsverständnisses

hingewiesen.

1. Soziologische und politische Dimensionen des

Sicherheitsbegriffs

Sicherheit in Freiheit, nicht Sicherheit versus

Freiheit lautet der Titel dieses Beitrags. Beide

stehen unzweifelhaft in einem Spannungsverhältnis,

schließen einander aber nicht aus. Die verkürzte

Gegenüberstellung von Sicherheit und Freiheit ist

falsch.

Problematisch ist auch eine häufig beobachtbare

Verkürzung des Freiheits- ebenso wie des

Sicherheitsbegriffs.

Auch wenn unstreitig sein sollte, dass das Recht auf

die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die

Entfaltung individueller Freiheit in den Grenzen des

Rechts eine conditio sine qua non für jede liberale und

demokratische Ordnung darstellen, bleibt doch die

immer wieder neu zu beantwortende Frage nach den

Voraussetzungen und Bedingungen unter denen Individuen

oder soziale Gruppen real in der Lage sind, diese

Freiheiten wahrzunehmen. Dies verweist auf die Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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rechtlichen, institutionellen, sozialen und

demokratisch-politischen Dimensionen eines modernen

Freiheitsbegriffs. Wie müssen Normen und Verfahren

ausgestaltet sein, dass sie dem Einzelnen und sozialen

Gruppen Schutz vor Willkür Anderer, Mächtigerer

gewährleisten, welche institutionellen Bedingungen

müssen zu diesem Ziel erfüllt sein und stets neu

justiert werden, welcher sozialökonomischen

Voraussetzungen bedarf es, um die volle Entfaltung und

Wahrnehmung von Rechten und Freiheiten zu ermöglichen

und schließlich: wie muss eine rechtliche und

politische Ordnung ausgestaltet sein, die es allen

Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, individuell oder

gemeinschaftlich ihre staatsbürgerlichen Freiheiten

wahrnehmen zu können. Dazu bedarf es bestimmter,

elementarer „Sicherheiten“: der des Rechts,

institutioneller Arrangements und sozialökonomischer

Bedingungen.

Sicherheit und Sicherheitsgewährleistung kann in

modernen Gesellschaften nicht auf den Schutz von Leib

und Leben vor physischer Gewalt und die Garantie des

Eigentums reduziert werden, wie dies im klassischen

liberalen Staats- und Gesellschaftsverständnis der

Fall war, sondern erstreckt sich auch auf die

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wirtschaftliche und soziale Existenz der Menschen und

die politische Gemeinschaft, in der sie leben.

Dabei wird aber häufig übersehen, dass im Zentrum

allen staatlichen Handelns nach wie vor der Schutz der

Bürger vor Gewalt, die Bewahrung des inneren und

äußeren Friedens und die Sicherung der

gesellschaftlichen und politischen Ordnung vor inneren

und äußeren Feinden stehen. Die Gegenüberstellung von

Sicherheit und Freiheit als unvereinbare kollektive

Güter und eine Prioritätensetzung zu Gunsten des einen

und zu Lasten des anderen führt also nicht weiter. Es

kommt vielmehr darauf an, dem widersprüchlichen

Verhältnis beider „Staatsaufgaben“ nachzugehen.

Was ist Sicherheit?

Sicherheit ist ein soziales Konstrukt, weil sie sich

nicht auf unverrückbare soziale Gegebenheiten (z.B.

klare Aussagen über ökonomische Risiken oder die

Kriminalitätsentwicklung) bezieht, sondern auf

bestimmte unterstellte soziale Gewissheiten. Als

sozialwissenschaftlicher Begriff ist Sicherheit kaum

präzise zu definieren, allenfalls in seinem

Bedeutungsgehalt einzugrenzen. Zudem ist Sicherheit

(ebenso wie ”Unsicherheit”) normativ hoch aufgeladen

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und dadurch zum ”Wortsymbol einer gesellschaftlichen

Wertidee” geworden, wie es Franz Xaver Kaufmann

ausgedrückt hat.

Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die

Feststellung, dass Sicherheit angesichts des rasanten

sozialen und politischen Wandels eine elementare

Kategorie moderner Gesellschaften ist.

Vier Bedeutungsebenen des Begriffs Sicherheit lassen

sich ausmachen:

1.Sicherheit bedeutet: Gewissheit, Verlässlichkeit,

Vermeiden von Risiken. Abwesenheit von bzw.

Schutz vor Gefahren werden mit diesem Begriff

assoziiert.

2.Sicherheit meint aber auch Statussicherheit,

Gewährleistung des erreichten Lebensniveaus und

der Lebensumstände einzelner Menschen und/oder

sozialer Gruppen und Bewahrung der

gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse,

in denen Menschen leben und sich eingerichtet

haben.

3.Mit dem Begriff wird weiterhin ein bestimmtes

institutionelles Arrangement assoziiert, das als

geeignet erscheint, innere oder äußere Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Bedrohungen einer sozialen und politischen

Ordnung abzuwehren.

4.Und schließlich wird Sicherheit im juristische

Sinne als ”Unversehrtheit von Rechtsgütern”

verstanden, die zu schützen und bei Verletzung

wieder herzustellen Aufgabe der Rechtsordnung und

des Staates ist. Einige Autoren sprechen sogar

von einem Grundrecht oder Menschenrecht auf

Sicherheit (Josef Isensee 1983, Gerhard Robbers

1987). Rechtssicherheit bedeutet Schutz vor

willkürlicher Gewaltausübung und Beachtung von

anerkannten Regeln des gesellschaftlichen

Zusammenlebens und der individuellen

Lebensführung (Beetham 1991: 138 ff.).

Ein wesentlicher subjektiver Faktor von Sicherheit ist

das Faktum, dass moderne Gesellschaften aus der Sicht

des Einzelnen überkomplex geworden und als

Gesamtordnung nicht mehr durchschaubar sind. Die

Wahrnehmung der Wirklichkeit stößt an Grenzen. Die

wachsende Komplexität aller Lebensbereiche macht ein

sachliches Urteil, eine rationale Entscheidung und

eine begründbare sichere Zukunftserwartung immer

schwieriger.

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Das Verhältnis des Einzelnen zu seiner komplexen

Umwelt kann wahlweise als Überforderung, vergebliche

oder gelungene Anpassung oder aber als Chance für

individuelle oder kollektive Gestaltung wahrgenommen

werden. Die Überkomplexität moderner Gesellschaften

und die nicht präzise prognostizierbaren zukünftigen

Entwicklungen produzieren eher Unsicherheit als dass

sie das Gefühl von Sicherheit aufkommen lassen (Diese

Zusammenhänge hat Niklas Luhmann ausführlich

beschrieben).

Unsicherheit im gesellschaftlichen und politischen

Raum hat verschiedene Dimensionen: sie kann als

ökonomische, soziale und politische Unsicherheit

erscheinen und sie hat jeweils eine Binnen- und eine

Außendimension.

Sicherheit nach Außen und im Inneren eines

Gemeinwesens zu garantieren und Unsicherheit zu

vermeiden, ist Aufgabe staatlicher Instanzen.

Angesichts neuer ”Bedrohungslagen” - seien es die

Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten,

sei es der internationale Terrorismus oder die

grenzüberschreitende organisierte Kriminalität - zeigt

sich immer deutlicher, dass das politische

Institutionengefüge nur noch bedingt in der Lage ist, Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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angemessene und wirksame Gegenstrategien zu entwerfen

und umzusetzen. Das Beharrungsvermögen von

Institutionen und ihr Bestehen auf (sich

verflüchtigender) Problemlösungskompetenz korreliert

nicht mit der beschleunigten Produktion von neuen

Problemlagen. Tendenzen der Internationalisierung und

Privatisierung gefährden das Regelungs- und

Gewaltmonopol der Nationalstaaten, ohne dass in jedem

Falle erkennbar wäre, was an seine Stelle tritt.

2. Gesellschaftliche und politische Dimensionen von

Sicherheit

Damit aber ist das zentrale Problem benannt: Seit

Thomas Hobbes und John Locke standen öffentliche

Sicherheit und Ordnung im Zentrum staatlicher

Aufgabenzuweisung. Beide Aspekte, der Schutz der

Bürger vor dem Staat und der Bürger voreinander durch

den Staat sind zentrale Themen, die sich wie ein rotes

Band durch die moderne Staats- und

Verfassungsgeschichte ziehen.

In Art. 5 der Europäischen Menschenrechtscharta von

1950 und erneut in der Charta der Grundrechte der

Europäischen Union, die auf der Ratstagung in Nizza im

Dezember 2000 verabschiedet und in den Vertrag von

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Nizza integriert wurde, ist diese Aufgabe

hervorgehoben und auf die europäische Ebene

transponiert worden:

”Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit” (Art. 6

Grundrechtscharta).

Politik findet aber immer mehr unter Bedingungen von

Unsicherheit statt: Die Globalisierung der Wirtschaft,

die Informationsrevolution und durch sie

hervorgerufene tief greifende mentale und kulturelle

Veränderungen, die beschleunigte Ablösung

industriegesellschaftlich geprägter Sozialstrukturen

und sozialer Milieus, demographische Entwicklungen und

Wanderungsbewegungen, welche die Grundfesten der

tradierten sozialen Sicherungssysteme erodieren

lassen, die Bedrohung der demokratischen Ordnungen

durch international agierende, z. T. staatlich

organisierte oder doch zumindest geduldete

organisierte Kriminalität, dramatische Veränderungen

im internationalen System und nicht zuletzt der

international agierende und vernetzte Terrorismus, all

das hat das Koordinatensystem der Politik fundamental

verändert.

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All dies sind Faktoren der Unsicherheit, auf die

Politik Antworten finden muss, obwohl zukünftige

Entwicklungen kaum vorhersehbar sind und der Glaube an

die Fähigkeiten vorausschauender Politik sich

weitgehend verflüchtigt hat.

Unter diesen Rahmenbedingungen kann es - und dies ist

die zentrale These - nicht mehr um Garantie von

Sicherheit, sondern bestenfalls um die Reduktion von

Unsicherheit. Gehen.

Welches ist die politische Konsequenz dieser Aussage?

Reduktion von Unsicherheit impliziert, will Politik

sich „ehrlich machen“, ein eingeschränktes

Sicherheitsversprechen. ”Absolute Sicherheit”, ist

angesichts sich rasant verändernder Umweltbedingungen

nicht herstellbar, sie würde im übrigen Stillstand

oder gar Regression bedeuten. Schon dies verbietet

eine Status quo-Politik, auch wenn sie angesichts

aktueller politischer Auseinandersetzungen mit

machtvollen Gruppeninteressen und eingeschliffenen

Haltungen und Erwartungen der Wähler gelegentlich

attraktiv erscheinen mag.

Der Staat muss nicht nur seine protektive Rolle neu

definieren, sondern eine Antwort darauf finden, welche

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Strategien eingeschlagen werden können, um eine

Dissoziation der sozialen Ordnung und des politischen

Gemeinwesens zu verhindern.

Diese Gewährleistungspflicht des Staates umfasst nicht

nur den unmittelbar politischen Bereich - hier

beinhaltet sie die Formulierung von Staatszielen und

die konkrete Staatstätigkeit - sondern erstreckt sich

auch auf die soziale, die wirtschaftliche, und die

Wertesphäre.

1.So sind in der sozialen Sphäre der post-industriellen

Gesellschaften Desintegrationstendenzen und die

Auflösung traditioneller Sozialmilieus Faktoren

potenzieller gesellschaftlicher Konflikte und

Unsicherheit. Sie werfen daher die Frage nach den

Bedingungen sozialer Integration unter

veränderten gesellschaftlichen

Konstitutionsbeziehungen auf, wenn denn soziale

Integration als Faktor der Stabilisierung und

Sicherung von Sozialbeziehungen angesehen wird.

2.In der wirtschaftlichen Sphäre haben veränderte

weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen,

Internationalisierung und Globalisierung, die

sich in den Staaten der Europäischen Union

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wesentlich als Europäisierung darstellen, sicher

geglaubte wirtschaftliche Rahmenbedingungen in

Frage gestellt und ehemals wirkungsvolle

wirtschaftspolitische Instrumente unwirksam

werden lassen.

Wirtschafts- und Finanzpolitik können das

Staatsziel wirtschaftlicher Prosperität bei

stetigem Wachstum, Geldwertstabilität,

Vollbeschäftigung und außenwirtschaftlichem

Gleichgewicht seit mehr als zwei Jahrzehnten

nicht mehr gewährleisten. Die Vorstellung, es

könne der Politik gelingen, die Wirtschaft „im

Gleichgewicht“ zu halten, hat sich als Illusion

erwiesen, das Sicherheitsversprechen ist nicht

mehr zu erfüllen.

3.Der dritte Bereich ist der klassischer

Sicherheitspolitik im Inneren als Gewährleistung

der inneren Sicherheit und Ordnung und der Außen-

und Sicherheitspolitik. Dass in diesem Bereich

Innen und Außen nicht mehr eindeutig

unterscheidbar sind ist offenkundig. Grund

hierfür sind nicht nur völlig neue

Bedrohungsszenarien, sondern auch die immer

engere internationale Verflechtung und, in

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unserem Falle, die Konsequenzen der Europäischen

Intergration.

4.Gesellschaften und politische Ordnungen bedürfen

schließlich bestimmter Mindestübereinkünfte über

gemeinsam akzeptierte Werte und Normen. Auf welche

Werte sich eine gesellschaftliche und politische

Ordnung einigen muss, um das Zusammenleben der

Individuen und gesellschaftlichen Gruppen zu

organisieren ist stets strittig. Die Antworten

reichen von einer minimalistischen liberalen

Position, die sich auf die Normierung von

Abwehrrechten der Individuen gegenüber

staatlichen Machtansprüchen beschränken will,

über kommunitaristische Konzepte einer ”guten

Ordnung” bis zur traditionell konservativen

Auffassung, dass es Aufgabe der

gesellschaftlichen und politischen Ordnung sei,

tradierte Werte zu sichern, allgemein verbindlich

zu machen und durchzusetzen.

3. Sicherheit und Ordnung - Zur Rolle des Staates

Am Beginn des modernen Staatsdenkens stand die

Vorstellung, dass es Aufgabe des Leviathan sei, im

Inneren Sicherheit zu gewährleisten, um den

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Bürgerkrieg zu verhindern sowie Vorkehrungen gegen

Angriffe äußerer Feinde zu treffen.

Seit Thomas Hobbes’ „Leviathan“ von 1651 wird es als

Aufgabe der staatlichen Gewalt angesehen, die

Bedingungen eines Lebens in Sicherheit und die

Befriedigung der individuellen Lebensbedürfnisse zu

garantieren.

"Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder

Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit

der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge

für die Sicherheit des Volkes... Mit ‘Sicherheit’ ist

hier aber nicht die bloße Erhaltung des Lebens

gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten

des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige

Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt

(Hobbes 1984: 255).

Dieses Zieles wegen wird der Staat begründet und mit

dem summum imperium, der höchsten, zur

Letztentscheidung berufenen und damit souveränen

Herrschaftsgewalt ausgestattet, weil nur durch eine

solche souveräne, letztentscheidende Instanz Frieden

und Sicherheit gewährleistet und zwischen Recht und

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Unrecht sicher unterschieden werden kann (Böckenförde

1991: 106).

Der Leviathan beschrieb das Prinzip der politischen

Einheit. Ihm gelang es, die konfessionellen

Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts, die von den

jeweiligen Kombattanten als "gerechte Kriege" geführt

wurden, zu beenden und sich als oberster Hüter von

Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu etablieren und zu

rechtfertigen. Das Ergebnis war eine Konzentration und

Bündelung der Gewaltmittel in den Händen des aus den

Wirren der Bürgerkriege hervorgehenden Fürstenstaates.

Die Herausbildung des modernen staatlichen

Gewaltmonopols, die "Verstaatlichung der Gewalt"

(Wolfgang Reinhard 1999: 351 ff), legitimiert sich

prima vista mit der Schutz und Sicherheit gewährenden

Funktion des Staates.

Die Konzentration der Machtmittel in der Hand des

Staates bedeutete jedoch nicht, dass eine Verminderung

von Gewalt bewirkt worden wäre. Sie konnte zweierlei

bedeuten: Dass der Inhaber der Staatsgewalt, der

absolute Herrscher, darüber entscheiden konnte, ob er

seine Stellung zur Schlichtung von Konflikten und zur

Beendigung des Bürgerkrieges nutzte oder selbst, wie

im Frankreich der Hugenottenkriege, BürgerkriegsparteiSicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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wurde. Die Theorie der Souveränität, welche die

Grundlage des Friedensmodells absoluter Herrschaft

bildete, erwies sich als ambivalent, weil sie keine

Vorkehrungen und Sicherungen bereithielt, um eine

solche Situation zu verhindern.

Eine zweite, fortwirkende Folge der Entwicklung des

Souveränitätsgedankens war, dass es zur Konzentration

der physischen Machtmittel in den Händen weniger

Akteure, nämlich in die "professioneller

Gewaltspezialisten“ kam. Die Armee und die Polizei auf

der einen Seite, Berufsverbrecher auf der anderen. Der

große Rest der Bevölkerung wurde entwaffnet (Reinhard

1999: 354).

Die bislang unbekannte Konzentration von Macht und

Monopolisierung von Gewalt in den Händen des Staates

konnte sich mit der Behauptung legitimieren, Ruhe und

Ordnung zu gewährleisten. Insoweit war auch "absolute"

Herrschaft rechtlich gebunden. Ihre

Rechtfertigungsgrundlage war ein materielles

"Staatsziel", die Gewährung von Sicherheit und die

Reduzierung von Unsicherheit. Werden diese Ziele nicht

erreicht, entfällt die Legitimitätsgrundlage

staatlicher Macht.

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Bereits hier ist ein weiter Sicherheitsbegriff

verwendet worden - modern übersetzt: Sicherheit ist

ein politischer und gesellschaftlicher Begriff. Nur

wenn das Sicherheitsversprechen des liberalen

Verfassungsstaat und seiner Institutionen und die

Garantie von Freiheit bei der individuellen und

kollektiven Lebensgestaltung in eins gehen, kann

beides verlässlich und dauerhaft, also sicher

gewährleistet werden.

Erst die modernen demokratischen Verfassungsstaaten

haben Regeln und Mechanismen entwickelt und Schranken

errichtet, die ein Ausufern und einen Missbrauch

staatlicher Gewalt im Zeichen von Sicherheit mehr oder

weniger wirksam verhindern.

Der moderne Verfassungsstaates gründet auf der

Einsicht, dass es damit nicht getan ist - seit

Montesquieu beschäftigt die Frage nach der Einhegung

staatlicher Macht, nach Sicherheit vor Übergriffen des

Staates in die Sphäre der zivilen Gesellschaft und das

Privatleben der Bürger Philosophen, Staatstheoretiker

und Sozialwissenschaftler.

Schutz vor dem Staat und Schutz durch den Staat bilden

eine untrennbare, wenngleich auch konfliktreiche

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Einheit. Nach den Erfahrungen mit autoritären und

totalitären Regimen im 20. Jahrhundert ist dieses

Problem aktuell wie eh und je.

Aber damit ist die alte Hobbes’sche Frage nach der

Sicherheit gewährleistenden Funktion des Staates nicht

obsolet. Der Zerfall staatlicher Ordnungen nach dem

Ende der Kolonialreiche und des sowjetischen Imperiums

haben sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

In diesem Kontext bekommt die Frage nach dem Schutz

einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung erneut

eine Bedeutung, wie sie vor über 60 Jahren den

Schöpfern des Grundgesetzes äußerst präsent war: Die

Freiheit als Kollektivgut einer offenen Gesellschaft

bedarf des Schutzes, bedarf starker Institutionen, die

ihn gewährleisten und ebenso starker Institutionen,

die eine wirksame Kontrolle gegen Machtmissbrauch

sicherstellen.

Die modernen Wohlfahrtsdemokratien verstehen

Sicherheit aber noch in einem anderen Sinne als dem

des Schutzes der etablierten gesellschaftlichen

Ordnung, des politischen Gemeinwesens und der

staatlichen Institutionen. Mit der Sicherung vor

Übergriffen des Staates in die Sphäre der zivilen

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Gesellschaft und das Privatleben der Bürger auf der

einen und der Abwehr äußerer Feinde als zentralem

Staatsziel auf der anderen Seite ist es nicht getan.

Das politische Gemeinwesen hat auch darüber zu wachen,

dass die Beziehungen der Bürger untereinander so

gestaltet werden, dass die grundlegenden

Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde, die

allgemeine Handlungsfreiheit und die Freiheit der

Person weder von staatlicher noch von privater Seite

oder durch unkontrollierte Machtansprüche aus der

Gesellschaft gefährdet oder in Frage gestellt werden –

bei Hobbes war dies der bellum omnium in omnes, den es

mittels staatlicher Gewalt einzuhegen galt.

Neben den Schutz der physischen Sicherheit der Bürger,

neben die Freiheit vor staatlichen Eingriffen und

Übergriffen tritt seit dem späten 19. Jahrhundert die

Gewährung "sozialer Sicherheit". Staatlicher Schutz

gegen die Risiken des wirtschaftlichen Lebens und

soziale Gefährdungen wird nicht nur Staatsaufgabe,

sondern entwickelt sich - neben der Sicherung von Ruhe

und Ordnung - zu einem zentralen Feld staatlichen

Handelns. Die Gewährleistung von sozialer Sicherheit

wird als eine neben anderen Bedingungen individueller

und kollektiver Freiheit erkannt und zu einer

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wichtigen Legitimationsquelle der politischen Ordnung.

Diese Einsicht konnte sich in Deutschland erst im

Grundgesetz volle Geltung verschaffen

Die hier nur skizzenhaft angedeutete Entwicklung ist

freilich nicht ohne Folgen und Probleme, da

Erwartungshaltungen produziert werden, die auf einen

dauerhaften, einen als "sicher" erfahrenen Schutz vor

ökonomischen Veränderungen gerichtet sind und bei

Enttäuschung Legitimationsprobleme erzeugen. Nach dem

Ende des wirtschaftlich „goldenen Zeitalters“ (Eric

Hobsbawm) und der Enttäuschung der keynesianischen

Utopie eines gesicherten, dauerhaften ökonomischen

(und damit auch sozialen) Aufstiegs in den 1970er-

Jahren ist diese Enttäuschung eine der wesentlichen

Ursachen sowohl für Unsicherheit als auch für das

allseits erkennbare Legitimationsproblem moderner

Demokratien.

Ein weiterer Aspekt ist zu nennen: individuelle

Freiheit verliert an Bedeutung zu Gunsten normativ

befrachteter Begriffe wie ”Gerechtigkeit" oder

”Solidarität”.

Der Versuch, „Sicherheit“, „Solidarität“ und

„Kooperation“ (oder, altertümlich gesprochen:

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Genossenschaft) neu und zusammen zu definieren, wie

dies in der europäischen Sozialdemokratie immer wieder

einmal geschieht, ist ein Indiz dafür, dass diese

Gegenüberstellung sich als nicht mehr tragfähig

erwiesen hat.

Als Zwischenresümee lässt sich festhalten, dass die

Gefährdung von Freiheit und Sicherheit des Menschen

ihren Ursprung nicht mehr ausschließlich im Staat hat.

Der demokratische Staat fungiert vielmehr auch als

Schutzinstanz gegenüber privater Macht, übernimmt also

auf neue Weise Funktionen, die am Beginn der modernen

Staatsentwicklung nach der Erfahrung der religiösen

Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts standen.

Vor diesem Hintergrund sind alle rechtlichen und

institutionellen Vorkehrungen um so bedeutsamer, durch

die relative Sicherheit in wirtschaftlichen, sozialen

und politischen Angelegenheiten erreicht werden soll.

Die Gewährung von Sicherheit als gesellschaftliche und

als ”Staatsaufgabe” kann verschiedene Formen annehmen,

Kompetenzzuweisungen, Kompetenzabgrenzungen und

Handlungsmuster erfordern. Im Zentrum der Tätigkeit

öffentlicher Institutionen stehen nach wie vor und mit

erneuter Dringlichkeit die klassischen Aufgaben jeder

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politischen Ordnung: Gewährleistung des inneren und

äußeren Friedens, von Freiheit und sozialer Wohlfahrt

der Bürger.

Als ebenso ”sicher” kann aber auch gelten, dass weder

die bisherigen Instrumente noch die territorialen

Begrenzungen von Macht auf Dauer wirksam sind: Die

wachsende Komplexität und Undurchschaubarkeit von

Entscheidungen, vor allem aber Internationalisierungs-

und Globalisierungsprozesse, d.h. die ”Entgrenzung”

von Produktions-, Distributions- und

Entscheidungsprozessen, ja, die immer weiter gehende

Verlagerung des Politischen aus den staatlichen

Grenzen heraus auf überstaatlich agierende Akteure

machen sicher geglaubte Arrangements der Einhegung von

Unsicherheit obsolet und produzieren neue

Unsicherheit.

4. Sicherheit und Ordnung Politische Implikationen

Am Beispiel der ”inneren Sicherheit” sollen diese

Zusammenhänge abschließend exemplarisch aufgezeigt

werden. Der Begriff innere Sicherheit hat den alten

Begriff der „öffentlichen Ruhe und Ordnung“ abgelöst.

Ich definiere ihn als Minimum an Risiken im

öffentlichen Raum eines nach außen begrenzten

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Gemeinwesens, ohne dabei das Phänomen zunehmender

„Entgrenzung“ aus dem Auge zu verlieren.

Schon die simple Frage nach der Sicherheit „wessen vor

wem“ führt in vermintes Gelände. Ein ausschließlicher

Verweis auf klassische Abwehrrechte der Bürger

gegenüber staatlichen Übergriffen, die im Zentrum des

Grundrechtskataloges moderner Verfassungen stehen,

greift erkennbar zu kurz. Dem Grundgesetz liegt

vielmehr eine weiter gefasste Vorstellung von

„Sicherheitsgewährleistung“ zugrunde.

Sicherheitsgewährleistung im Sinne des Grundgesetzes

heißt Schutz privater und öffentlicher Güter vor

Angriffen und Eingriffen dritter, mit Macht

ausgestatteter politischer, ökonomischer oder sozialer

Akteure.

Aufgabe des politischen Gemeinwesens ist es, seinen

Bürgern die Chance zu geben, frei und unangefochten

leben zu können. Die grundlegenden Veränderungen der

wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen und die

ungleiche Zuteilung von Ressourcen in modernen

Gesellschaften behindern sie aber in vielerlei

Hinsicht an der freien Entfaltung ihrer Fähigkeiten

und der Wahrnehmung sozialer Chancen.

Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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In wachsendem Maße sind sie durch gesellschaftliche

Kräfte, international agierende wirtschaftliche

Interessen oder sich organisierende kriminelle

Aktivitäten gefährdet. Bedrohung der Sicherheit und

Freiheit der Bürger durch nicht-staatliche Herrschaft

wird zunehmend zum Problem. Joseph Isensee konstruiert

angesichts dieser Gefährdungslage ein ”Grundrecht auf

Sicherheit” und entwickelt daraus - in der Tradition

des Staatsdenkens seit Hobbes und Locke - die

Vorstellung eines demokratischen Verfassungsstaates,

dessen primäres Ziel es ist, Hüter von Sicherheit und

Ordnung zu sein (Isensee 1983).

Hier kehrt sich in gewisser Weise die alte

Frontstellung um: der Staat bildet ein Korrektiv

gegenüber diesen Machtansprüchen, die aus der

Gesellschaft formuliert werden. Da viele Individuen

und soziale Gruppen zu schwach sind, ihre Rechte und

Freiheitenwirksam zu schützen muss der Staat in

bestimmten Fällen als Garant und Beschützer der

Grundrechte Einzelner gegenüber Anderen auftreten.

Diese Vorstellung, wie sie von Isensee vertreten wird,

geht über das klassische Verständnis der Grundrechte

als Abwehrrechte gegenüber staatlicher Willkür hinaus.

Die Grundrechte erschöpfen sich nicht im status Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

30

negativus. Neben dem Schutz vor der Staatsgewalt,

welche die Abwehrrechte moderner Verfassungen wie des

Grundgesetzes bereithalten, bedarf es auch eines

verfassungsrechtlichen ”Schutzes vor dem Bürger”

(Isensee 1983: 2) Ähnlich argumentiert Roman Herzog!

(Herzog 1971).

Auch wenn man die hier vorgestellte Position, zumal

seine auf einen starken Staat zielenden

Schlussfolgerungen nicht teilt, kann man doch nicht

umhin einzugestehen, dass sie einen wunden Punkt

treffen: Der Topos ”Sicherheit und Ordnung” wurde,

wenn überhaupt, in den Politik- und

Sozialwissenschaften wie in der liberalen

Staatsrechtslehre als konservative Reaktion auf die

Emanzipation der zivilen Gesellschaft gegenüber dem

Staat verstanden. Wenn man jedoch ”innere Sicherheit”

im klassischen Sinne als Schaffung der Voraussetzungen

für ein friedliches Zusammenleben der Bürger begreift,

bleibt sie die zentrale Aufgabe des Staates.

Freilich lässt sich eine solche Auffassung nach den

Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr

”naiv” vortragen, wie in den Anfängen modernen

politischen Denkens. Tendenzen der Entwicklung eines

allumfassenden Sicherheitsstaates in modernem Gewand Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

31

waren auch schon vor dem September 2001 zu

diagnostizieren. Die Warnung, dass angesichts der

Entwicklung der Sicherheitspolitik die

parlamentarischen Demokratien immer weniger in der

Lage sind, die notwendige demokratische Steuerung und

Kontrolle zu gewährleisten, ist nicht von der Hand zu

weisen. Hinzu kommt, dass erfolgreiche

Sicherheitspolitik nicht nur daran gemessen wird, ob

es ihr gelingt, Störungen der öffentlichen Sicherheit

und Ordnung zu ahnden, nachdem sie eingetreten sind,

sondern an ihrer Fähigkeit, Unsicherheit und

Ordnungsverstöße zu verhindern.

Angesichts moderner Gefährdungslagen von der

organisierten Kriminalität bis hin zum Terrorismus

erweist sich die Kompetenz des Staates, Sicherheit zu

gewährleisten nicht mehr nur an der Fähigkeit

angemessen zu reagieren, sondern in wachsendem Maße

daran, ob es ihm gelingt, erfolgreich präventiv tätig

zu werden.

Die Janusköpfigkeit der Prävention

Prävention bedeutet mehr als das Verfolgen eines je

konkreten Verdachts. Methoden wie die Rasterfahndung,

die bereits in den 1970er Jahren erprobt wurden,

Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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werfen ein präventives Netz über die ganze

Gesellschaft ohne dass es eines konkreten Verdachts

bedarf. Sie werfen erneut die Frage auf, wie weit der

Staat bei der Gewährung von Sicherheit gehen und

welcher Mittel staatliche Behörden und Einrichtungen

sich bedienen dürfen, um diese Ziel zu erreichen.

Begriffe wie ”Präventionsstaat”, ”Sicherheitsstaat”,

”Überwachungsstaat” markieren die Dimensionen des

Problems und haben nach dem 11. September 2001 eine

bedrückende Aktualität erlangt.

Was aber, so lässt sich fragen, ist schlecht an dem

Versuch präventiver Verhinderung schwerer Straftaten?

Während das traditionelle Ordnungsrecht darauf

gerichtet war, eine konkrete, unmittelbar drohende

Gefahr rechts- und gesetzwidrigen Verhaltens zu

verhindern und zu ahnden, wenn es geschehen war, wenn,

ausgehend von Erfahrungswerten, Regeln zu schaffen

waren, die Gesetzesübertretungen erschwerten oder

verhinderten, so geht es in einer neuen Ordnungs- und

Sicherheitspolitik um die rechtzeitige Erkennung

potenzieller Risiken und Gefahren und um die

Entwicklung von präventiven Maßnahmen und Verfahren zu

ihrer Vermeidung.

Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Freilich ist nicht immer klar, wer eigentlich

Ansprechpartner des Staates bei der Prävention von

Risiken ist. Sicherheitsgefährdende Gefahrenquellen

und Störungsherde sind in allen Bereichen des

wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens zu

finden, ohne dass in jedem Fall die Verursacher klar

zu benennen sind. Die Frage der Zurechenbarkeit

(Luhmann 1991: 34) ist häufig, selbst bei vielen

terroristischen Aktivitäten, nicht eindeutig zu

beantworten.

Prävention war schon immer ein Aspekt der Tätigkeit

des Ordnungsstaates. Sie zielt auf die Früherkennung

möglicher Störungsherde und Gefahrenquellen. Wie sich

insbesondere im Kontext der Terrorismusbekämpfung in

den 1970er-Jahren erwiesen hat, wächst durch eine

solche Verschiebung der Schwergewichte in

Angelegenheiten der inneren Sicherheit der staatliche

Informationsbedarf außerordentlich an, weil die Zahl

potenzieller Gefahrenquellen stets ungleich größer ist

als die akuten Gefahren.

”Die Prävention löst sich auf diese Weise”, warnt

Dieter Grimm, ”aus ihrem Bezug auf gesetzlich

definiertes Unrecht und wird zur Vermeidung

unerwünschter Lagen aller Art eingesetzt. Der EinzelneSicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

34

kann den Staat nicht mehr durch legales Betragen auf

Distanz halten” (1994: 283).

Die Gründe, die gleichwohl für einen solchen

Paradigmenwechsel in der Sicherheits- und

Kriminalitätspolitik angeführt werden können, liegen

in der wieder entdeckten Erkenntnis, dass Prävention

im Bereich der Sicherheit eine gesamtgesellschaftliche

Aufgabe ist und zu den Kernaufgaben der staatlichen

Ordnung gehört.

Wenn man diese Argumentation zu Ende führt, bleibt

Prävention nicht auf den Bereich der Politik der

inneren Sicherheit beschränkt, sondern greift

tendenziell auch auf andere ”sicherheitsrelevante”

Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus. Gefahr

wird nicht mehr ausschließlich in den Kategorien des

Strafrechts definiert und damit in gewisser Weise auch

eingehegt, sondern wird bestimmend für die Wahrnehmung

gesellschaftlicher Probleme. Gefahr wird ebenso

allgegenwärtig wie Technische Instrumente wie das CCTV

und Kategorien wie „anti social behaviour“. Sie

grenzen aus – diesseits des Strafrechts.

Die Antwort ist eine Erweiterung der staatlichen

Instrumentarien zur Wahrung und Herstellung von

Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Sicherheit und Ordnung, ohne dass gesichert erscheint,

ob diese auch greifen können. Reaktives wie

präventives staatliches Handeln ist in vielerlei

Hinsicht konditioniert: durch eingegangene rechtliche

Verpflichtungen, supranationales und vor allem und in

erster Linie europäisches Recht. Die Bedrohung von

Sicherheit und Ordnung hat, wie die hilflose Debatte

über die Bekämpfung organisierter Kriminalität belegt,

längst die Grenzen überschritten - und dies gilt auch

für die meisten anderen Bedrohungslagen - seien es

Umweltprobleme, Entwicklungen der Biogenetik, neue

Technologien, unkontrollierte Proliferation von

Massenvernichtungswaffen, sezessionistische oder

irredentistische Bewegungen und Bürgerkriege oder der

internationale Terrorismus.

Fünf Thesen

Ist Sicherheit eine Illusion? Sicher nicht. Wohl aber

der Wunsch nach absoluter Sicherheit und das

Versprechen eines solchen idyllischen Zustandes.

Dies führt unweigerlich zum entscheidenden Problem:

Wer wird und mit welchen Mitteln in Zukunft das teure

Kollektivgut Sicherheit gewährleisten können, wenn die

dafür eingesetzte Macht, wenn der Staat, dazu nicht

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mehr in vollem Umfange in der Lage ist oder auf Grund

der Funktionsmechanismen demokratischer Politik und

Legitimation nur bedingt problem- und sachorientiert

reagieren kann?

Eine sicherheitstheoretische und -politische

Neuorientierung erscheint unabdingbar. Dazu vier

kurze, unsystematische abschließende Anmerkungen:

1.Sicherheit als Wertidee bedeutet keine auf „ewig“

angelegte verbindliche und allgemein akzeptierte

Übereinkunft darüber, was dieser Begriff

beinhaltet, sie ist nichts ein für alle Male

Festgeschriebenes, bedarf angesichts veränderter

Umstände und neuer Entwicklungen einer steten

Neujustierung. In-Frage-Stellen von sicher

Geglaubtem produziert aber ebenso Unsicherheit

wie Furcht vor Neuem, Unbekanntem.

2.Sicherheit und Ordnung lassen sich, wie

dargelegt, nicht auf den engeren Bereich der

„inneren Sicherheit“ reduzieren, sondern berühren

in vielerlei Hinsicht die verschiedenen Sphären

des gesellschaftlichen und politischen Ordnung.

Im klassischen Bereich der „inneren Sicherheit“

zeigt sich eine zwiespältige Tendenz. Es wachsen

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die Bedrohungen für die soziale und politische

Ordnung durch gesellschaftliche Kräfte, die in

zunehmendem Maße auch transnational agieren.

Organisierte Kriminalität (Drogen- und

Menschenhandel, Geldwäsche), Korruption,

international agierender Terrorismus. Sie heben

die Grenzen zwischen innerer und äußerer

Bedrohung auf, infiltrieren demokratische und

rechtsstaatliche Verfahren und drängen

Regierungen und Parlamente zu einer „Entgrenzung“

und Ausweitung staatlicher Sicherungsaufgaben.

Die Sicherheit gewährleistenden Institutionen des

Staates werden ausgebaut, zwischenstaatliche

Einrichtungen im Rahmen der intergouvernementalen

Zusammenarbeit im europäischen Raum neu

geschaffen und ihre Eingriffsrechte in die

Freiheitssphäre der Bürger ausgeweitet. Der

Primat der Sicherheit gefährdet auf neue Weise

die Freiheitsräume der Bürger.

3.Auf der anderen Seite wird das Gewaltmonopol des

Staates ausgehebelt. Es ist nicht zu übersehen,

dass das Kollektivgut Sicherheit immer mehr zum

Aufgabengebiet nicht-staatlicher Experten wird.

Private Sicherheitsdienstleistungen,

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Sicherheitsgewährleistung durch räumliche

Segregation (z.B. gated cities) u.a.m. sind

Tendenzen, die auf eine Aushöhlung des

staatlichen Gewaltmonopols und eine

Entstaatlichung von Sicherheit hinauslaufen und

damit eine wesentliche Errungenschaft moderner

Staatlichkeit in Frage stellen.

Selbst kriegerische Handlungen werden, wie im

Irak zu studieren war, partiell privatisiert

Münkler 2001).

Freilich gibt es auch gegenläufige Tendenzen. So

wurden nach dem eklatanten Scheitern der privaten

Sicherheitsfirmen an den amerikanischen Flughäfen

nach dem 11. September 2001 private

Sicherheitskontrollen durch staatliche die neu

geschaffene Transportation Security

Administration ersetzt.

4.Damit bekommt der klassische Konflikt zwischen

staatlichem Sicherheitsversprechen und

Abwehrrechten der Bürger eine neue Dimension. Im

Konfliktfeld zwischen der Sicherheitsaufgabe des

Staates (heute auch zwischenstaatlicher

Einrichtungen) und der Freiheitssphäre der Bürger

gewinnen Prinzipien der Gerechtigkeit und

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Fairness, der Responsivität von Sicherheit

gewährleistenden Institutionen und der

Einbeziehung zivilgesellschaftlicher

Organisationen gegenüber den klassischen

repressiven Funktionen von

Sicherheitsspezialisten an Bedeutung.

(Allerdings sind neue Formen der

„Vergemeinschaftung“ von Sicherheit wie etwa das

community-policing, bislang kaum über Anfänge

hinausgekommen und zeitigen dort, wo sie

praktiziert werden, durchaus widersprüchliche

Ergebnisse).

Fazit

Ein erweiterter Begriff von Sicherheit und Ordnung,

der die Frage nach einem friedlichen Zusammenleben der

Bürger und ihren Schutz vor inneren und äußeren

Bedrohungen nicht auf die Aspekte staatlicher

Machtentfaltung gegenüber Störungen jedweder Art

reduziert, sondern die sozialen, ökonomischen,

politischen und normativen Bedingungsfaktoren in die

Analyse einbezieht, kommt nicht umhin, einzugestehen,

dass der Staat allein die neuen Probleme nicht

bewältigen kann und dass es auch zweifelhaft ist, ob

dies zu wünschen wäre. Es bedarf vielmehr einer neuen Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Zusammenarbeit des Staates mit gesellschaftlichen

Akteuren, einer neuen Verbindung von

gesellschaftlicher Selbstregelung und politischer

Steuerung.

Angesichts diffuser und unvorhersehbarer Bedrohungen

und Gefahren sind Staaten geneigt, alle Machtmittel,

die ihnen zur Verfügung stehen, einzusetzen, um diesen

Gefahren entgegenzutreten - auch auf Kosten der

Freiheitsrechte der Bürger. Demokratische Staaten

sind, wie an verschiedenen Beispielen gezeigt wurde,

vor einer solchen Überreaktion nicht gefeit.

Der Staat ist Garant von Rechtsgütern, die in einem

natürlichen Spannungsverhältnis zueinander stehen:

Sicherheit, Recht und Ordnung auf der einen,

individuelle Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen

und Freiheiten der Bürger auf der anderen Seite. Im

demokratischen Rechtsstaat ist diese Aufgabe nur in

einem von bürgerschaftlicher Verantwortung geprägten

Kooperationsverhältnis von staatlichen Institutionen

und Bürgern realisierbar. Es begrenzt das Monopol

legitimer Gewaltanwendung auf die dazu legitimierten

staatlichen Institutionen, macht diese aber den

Bürgern gegenüber verantwortlich und

rechenschaftspflichtig. Sicherheit in Freiheit Dortmund 9. Dezember 2011

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Gleichwohl bleibt die Furcht vor einem Missbrauch der

dem Staat übertragenen Gewalt auch in demokratischen

Systemen lebendig. Bei akuten Gefährdungen der

öffentlichen Sicherheit und in Zeiten aufgewühlter

Emotionen ist die feine Linie zwischen Sicherheit als

Bedingung für Freiheit und der Gefährdung von Freiheit

durch ein überzogenes Sicherheitsdenken nur schwer

auszumachen und es kann der Eindruck entstehen, dass

es seitens der staatlichen Behörden eine Art

Generalverdacht gegen die Bürger oder zumindest eine

nach bestimmten Kriterien “gerasterte” Gruppe von

Bürgern gibt, dass die kriminalistische Methode der

Eingrenzung von potenziell Verdächtigen zur generellen

Wahrnehmungsfolie wird.

Andererseits ist der Staat als alleiniger und als

einzig demokratisch autorisierter Garant von

Sicherheit und Ordnung angesichts der neuen

Sicherheitsgefährdungen in Frage gestellt. Er hat sein

Monopol bereits in wichtigen Bereichen aufgeben müssen

oder freiwillig geräumt. Seine neue Rolle im

Widerstreit gesellschaftlicher Gruppen und Interessen,

internationaler Regime, supranationaler Institutionen

und intergouvernementaler Zusammenarbeit, aber auch

der Desintegration und des Zerfalls von Staatlichkeit

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und der ”Reprivatisierung des Krieges” und des

international agierenden Terrorismus ist noch nicht

gefunden.

Das einzige was sicher ist, ist, dass am Ende eines

langen und schmerzhaften Prozesses eine neue Form von

Staatlichkeit stehen wird. Wie diese aussehen wird,

ist offen. Dass der Staat aber, wenn er seine

regulierende Rolle und sein Monopol auf legitimierte

Gewaltausübung nicht endgültig an private Mächte

abgeben will, ein im neuen Sinne „starker Staat“ sein

muss, scheint unausweichlich.

Um mit einem Zitat von Thomas Hobbes zu schließen:

”Denn wo es keinen Staat gibt, da herrscht... ständig

Krieg eines jeden gegen seinen Nachbarn, und deshalb

ist alles sein, was er mit Gewalt erlangt und behält.

Dies ist weder Eigentum noch Gemeinschaft, sondern

Unsicherheit.”(Hobbes 1984: 190 f.).

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