Saint Benoît in Galata. Der byzantinische Ursprungsbau

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JAHRBUCH DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS erscheint seit 1886 JdI 125, 2010 · IV, 284 Seiten mit 224 Abbildungen und 1 Faltplan HERAUSGEBER Ortwin Dally und Ulrike Wulf-Rheidt Deutsches Archäologisches Institut Zentrale Podbielskiallee 69–71 14195 Berlin Deutschland www.dainst.org WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT Marianne Bergmann, Berlin Adolf H. Borbein, Berlin Angelos Delivorrias, Athen Luca Giuliani, Berlin Pierre Gros, Aix-en-Provence Lothar Haselberger, Philadelphia Henner von Hesberg, Rom Tonio Hölscher, Heidelberg Eugenio La Rocca, Rom Anthony Snodgrass, Cambridge Umschlagphoto: P. Tsigkoulis Umschlaggestaltung: C. Gerlach, Deutsches Archäologisches Institut, Zentrale Berlin Verantwortliche Redakteurin: Daniela Pohl, Deutsches Archäologisches Institut, Zentrale Berlin Redaktion: Wissenschaftslektorat Löwe/Schulte-Beckhausen, Berlin Herstellung der digitalen Bildvorlagen: C. Gerlach, Deutsches Archäologisches Institut, Zentrale Berlin ISBN 978-3-11-023668-2 ISSN 0070-4415 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Produktion: NEUNPLUS1 GmbH, Berlin Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

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JAHRBUCH DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTSerscheint seit 1886

JdI 125, 2010 · IV, 284 Seiten mit 224 Abbildungen und 1 Faltplan

HERAUSGEBEROrtwin Dally und Ulrike Wulf-Rheidt

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SAINT BENOÎT IN GALATA. DER BYZANTINISCHE URSPRUNGSBAU

von P h i l i p p N i e w ö h n e r

1 EINLEITUNG

1.1 Forschungsgeschichte

Der byzantinische Ursprungsbau von St. Benoît hat bislang wenig Beachtung gefunden.Vielleicht hat das damit zu tun, daß die Kirche nicht im Stadtkern von Konstantinopel aufder historischen Halbinsel steht, sondern im Vorort Galata nördlich des Goldenen Horns. Dorthat sich von der ursprünglichen byzantinischen Bebauung sonst kaum etwas erhalten. DasViertel ist vielmehr von den Genuesen geprägt, die hier im 13. Jh. außerhalb der byzantini-schen Stadtmauer angesiedelt wurden. Seitdem paßte eine byzantinische Kirche in Pera, wie

D a n k s a g u n g : Meine Bekanntschaft mit St. Benoît verdanke ich der unersättlichen Neugierde anderer, die aneinem der ersten warmen Sonntage im Frühjahr 2007 an Stelle des allfälligen Ausflugs ins Grüne darauf bestan-den, Père Emile Toulemonde CM mit der Besichtigung seiner normalerweise verschlossenen und unzugänglichenKirche zu belästigen. Danach war klar, daß wir eine Entdeckung gemacht hatten, deren Aufarbeitung mit Arbeitverbunden sein würde, mit der Toulemonde und ich uns dann allerdings allein und ungestört wiederfanden. Er hatmir an zahlreichen weiteren Sonntagen Einblick in alle Winkel und Ecken von St. Benoît verschafft, Uran Badureine Bauaufnahme zur Verfügung gestellt, Père Paul Henzmann CM mit Auskünften aus dem Ordensarchiv imPariser Mutterhaus der Lazaristen gedient, Pater Claudio Monge OP bei Recherchen in der Bibliothek des Istan-buler Dominikanerklosters und Ali Akkaya bei solchen in den Beständen des DAI Istanbul geholfen. Elke Nie-wöhner und Urs Peschlow haben das Manuskript gelesen und zu seiner Verbesserung beigetragen. Weitere Hin-weise verdanke ich Otto Feld (Abb. 88) und David Knipp sowie den Gutachtern, dem Herausgeber und derRedaktion des JdI.

G l i e d e r u n g : 1 Einleitung – 1.1 Forschungsgeschichte – 1.2 Fragestellung – 1.3 Methodisches zu Baube-schreibung und Baugeschichte – 2 Historische Topographie – 3 St. Benoît heute. Aktuelle Baubeschreibung – 3.1Hauptgeschoß – 3.1.1 Freitreppe und Loggia – 3.1.2 Glockenturm – 3.1.3 Basilika – 3.1.4 SO-Kapelle – 3.1.5 NO-Annex – 3.2 Untergeschoß – 3.2.1 Freitreppe und Loggia – 3.2.2 Glockenturm – 3.2.3 Basilika – 3.2.4 SO-Ka-pelle – 3.2.5 NO-Annex – 4 Baugeschichte. Historische Baubeschreibungen, Bilder und Pläne – 4.1 Nach 1996.Bauaufnahme. Restaurierung und Neuverfugung – 4.2 1958. Abriß des Hoftors. Einbau der Ladenlokale – 4.31929. Restaurierung von Glockenturm und Loggia. Neubau des N-Schiffs. Romanisierung der S-Schiff-Fenster.Abriß der polygonalen Kapellenapsis. Vermauerung der W-Tür des S-Schiffs. Umbau der Freitreppe – 4.4 Um1900. Bau eines N-Schiffs – 4.5 1732. Neubau von Mittel-, S-Schiff, Kuppelbema, Anna-Kapelle und Sakristei– 4.6 1697. Neubau der Loggia – 4.7 1687. Neubau der Kellergewölbe. Terminus post quem für den Khalili Por-tolan Atlas – 4.8 Vor 1686. Relikte des byzantinischen Ursprungsbaus: griechische Christus-Mosaiken und Syn-thronon – 4.9 Vor 1427. Griechisch-orthodoxe Marienkirche – 4.10 Zusammenfassung in chronologischer Rei-henfolge – 5 Rekonstruktion des Ursprungsbaus – 6 Kunsthistorische Einordnung und Datierung desUrsprungsbaus – 6.1 Kreuzkuppel- oder Umgangskirche – 6.2 Synthronon – 6.3 Mosaiken – 6.4 Glockenturm –6.5 Vorhalle – 6.6 Hoftor – 6.7 SO-Kapelle – 6.8 Datierung – 7 St. Benoît und die palaiologische Architektur vonKonstantinopel – 8 St. Benoît und die genuesische Okkupation von Galata – 9 Resümee.

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die Italiener ihre Siedlung nannten1, nicht ins Bild. Zunächst erhielt die Kirche ein lateinischesPatrozinium, später, nach einem Brand, dem der größte Teil des Ursprungsbaus zum Opferfiel, dann auch ein westliches Aussehen. So gerieten die byzantinischen Anfänge allmählichin Vergessenheit.

Die heutige Basilika ist das Ergebnis zahlreicher Bauphasen in unterschiedlichen Epo-chenstilen (Abb. 1). Lediglich der Glockenturm und eine Kapelle im Südosten der Basilikaerinnern noch daran, daß es sich ursprünglich um eine byzantinische Kirche handelte. R. Ou-sterhout geht deshalb zuletzt davon aus, daß die genuesische Benediktinerabtei St. Benoît vongriechischen Bauleuten im byzantinischen Stil errichtet wurde. Das Benediktinerklosterwurde 1427 gegründet, woraus Ousterhout eine gewisse Rückständigkeit des spätpalaiologi-schen Kirchenbaus erschließt, denn Bogenfries und keramoplastischer Dekor des Glocken-turms von St. Benoît kommen im bulgarischen Nessebar/Mesembria bereits ein Jahrhundertfrüher vor (vgl. Abb. 21. 22. 100. 101)2. Diese Einschätzung ist folgenreich, denn sie führt Ou-sterhout dazu, in Anlehnung an St. Benoît auch das Tekfur Sarayı spätpalaiologisch zu datie-ren. Dadurch wird die traditionelle Identifizierung dieses letzten erhaltenen Palastbaus vonKonstantinopel mit dem Haus des Porphyrogenetos Konstantin, des dritten Sohns von Mi-chael VIII. (1259–1282), hinfällig3.

1 Balard 1978, I 182. Zur Etymologie s. auch Nomidis – Schneider 1944, 2; Janin 1964, 457 f. (Galata). 464 (Pera);A. Berger, Untersuchungen zu den Patria Konstantinupoleos, Poikilia byzantina 8 (Bonn 1988) 694 f. (Galata).

2 Ousterhout 1991, 78. 84. 91. Vgl. S. Curcic, Architecture in the Balkans (New Haven 2010) 543.3 A. van Millingen, Byzantine Constantinople. The Walls of the City and Adjoining Historical Sites (London 1899)

109–114; B. Meyer-Plath – A. M. Schneider, Die Landmauer von Konstantinopel 2, Denkmäler antiker Architek-tur 8 (Berlin 1943) 96–98; C. Mango, Constantinopolitana, JdI 80, 1965, 305–336, 334–336; M. Ahunbay, Tek-

Abb. 1. St. Benoît von S

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Ousterhout läßt allerdings außer Acht, daß der Ursprungsbau von St. Benoît älter seinkönnte als das lateinische Patrozinium von 1427. Dabei zitiert er W. Müller-Wiener, der dieseMöglichkeit für wahrscheinlich hält und das mit der »an byzantinische Kirchen erinnerndenForm« der SO-Kapelle begründet4.

Auch die ältere Forschung der ersten Hälfte des 20. Jhs. nimmt einen früheren Ursprungs-bau vor 1427 an, bringt dafür aber unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Argu-mente vor: C. Gurlitt und danach J. Sauvaget sowie unabhängig davon E. Dalleggio D’Ales-sio und N. I. Nomidis mit A. M. Schneider sind überzeugt, daß der Glockenturm und ein 1958abgerissenes Hoftor mit dem gleichen keramoplastischen Dekor (Abb. 60–62) westliche Bau-werke der Genuesen darstellen. Die Basilika lassen sie hingegen als älteren byzantinischen Ur-sprungsbau gelten5. L. de Beylié ist sich dagegen sicher, daß Glockenturm und Tor die ein-zigen älteren Gebäudeteile und »franchement« byzantinisch seien6. Andere, auch ältereErwähnungen tragen nichts zum Forschungsstand bei7.

fur Saray, in: S. Curcic – E. Hadjitryphonos (Hrsg.), Secular Medieval Architecture in the Balkans (Thessaloniki1997) 248–251; Curcic a. O. (Anm. 2) 528–530.

4 Müller-Wiener 1977, 100 f.5 Gurlitt 1912, 42; Sauvaget 1934, 260 f.; Dalleggio D’Alessio 1925, 61 Anm. 1; Dalleggio D’Alessio 1926, 33;

Dalleggio D’Alessio 1934, 64; Nomidis – Schneider 1944, 23.6 Beylié 1903, 18.7 V. Rugieri, Constantinopoli vista da P. Giulio Mancinelli S. J. (1583–1585), REByz 60, 2002, 113–131, 123; Tur-

cograeciae libri octo a Martino Crusio … utraque lingua edita (Basel 1584) 205 Anm. 67; C. du Fresne sieur duCange, Historia Byzantina Duplici Commentario Illustrata. Prior Familias Ac Stemmata Imperatorum Constanti-nopolitanorum, cum eorundem Augustorum Nomismatibus, & aliquot Iconibus; Præterea Familias Dalmaticas &Turcicas complectitur. Alter Descriptionem Urbis Constantinopolitanæ, qualis extitit sub Imperatoribus Christia-nis (Paris 1680. Reprint Brüssel 1964) Teil 2 Buch 3 S. 120 Kat. 14; J. Gottwald, Die Stadtmauern von Galata, Bo-sporus N. F. 4, 1907, 5–72, 49–52; Janin 1969, 586; Balard 1978, I 196; L. Mitler, The Genoese in Galata. 1453–1682, International Journal of Middle East Studies 10, 1979, 71–91, 87.

Abb. 2. St. Benoît von S (De Carbognano 1794)

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Im 19. Jh. hat M. A. Belin jedoch einen ersten grundlegenden Versuch unternommen, diekomplizierte Geschichte von St. Benoît anhand der schriftlichen Überlieferung nachzu-zeichnen. Demnach wurde die Kirche während des Pontifikats von Urban V. (1362–1370) ge-gründet, worin Belin sich durch den Stil des Glockenturms bestätigt sieht, den er offenbar fürein genuesisches Bauwerk des 14. Jhs. hält8. Allerdings beruht Belins frühes Gründungsda-tum wohl auf einer fehlerhaften Lesung einer Gründungsinschrift von 1427.

Diese Inschrift ist heute verloren, aber zwei voneinander unabhängige Abschriften des17. Jhs. stimmen im Wortlaut überein, so daß die Überlieferung als gesichert gelten kann. DieGründungsinschrift lautete9:

AD HONOREM DEI ET SANTISSIMAE VISITATIONIS VIRGINIS MARIAE ET BE-ATISSIMI PATRIS NOSTRI BENEDICTI HOC MONASTERIUM FUNDATUM FUITM. CCCC XXVII DIE 12 MAII TEMPORE BEATISSIMI DOMINI NOSTRI PAPAE M. V. †

Belin weiß davon jedoch nichts, sondern verläßt sich auf einen Brief des Rektors von SaintePulchérie, einer Istanbuler Schule, die 1846 als Filiation von St. Benoît gegründet wordenwar, wo es bereits seit dem 18. Jh. eine Schule gab. Der Rektor zitierte aus einem Wiener Rei-sebericht des Jesuitenpriesters P. Tafferner über die Gesandtschaft Walter Leslies, der als Bot-schafter Kaiser Leopolds I. 1665 an die Hohe Pforte kam. In dem Bericht steht10:

Sacello Patrum Societatis JESU sumptibus Reip. Genuensis erecto sedente URBANO V. &honori Divae Virginis Matris, & S. Benedicti consecrato, anno millesimo, quadringente-simo, vigesimo septimo, ac denique sacrae Benedictinorum familiae quondam commisso.

Belin versteht dieses Zitat so, daß St. Benoît bereits unter Papst Urban V. (1362–1370) er-richtet und dann 1427 zunächst den Benediktinern zur Verfügung gestellt worden sei, bevordie Kirche im 17. Jh. von den Jesuiten übernommen wurde. Eine Möglichkeit, seine Lesungzu überprüfen, hatte Belin nicht, denn ihm war verborgen geblieben, daß Tafferner seinenReisebericht sowohl lateinisch als auch deutsch publiziert hat. Belin hatte den Rektor vonSainte Pulchérie so verstanden, daß es sich bei dem Zitat um unpublizierte Istanbuler »do-cuments« handele und bringt sie irrtümlich mit Kaiser Leopold II. (1790–1792) in Zu-sammenhang11.

Hätte Belin Tafferners deutschsprachigen Text konsultiert, wäre ihm wohl klar geworden,daß es sich hier um keine zuverlässige Quelle handelt. Das deutsche Pendant zu dem lateini-schen Zitat lautet nämlich12:

»Ein kleines Capelerl der Jesuiter, welches auff Kosten der Genuensischen Respublic auf-ferbauet, und unter Urbano dem V. Römischen Pabst im Jahr 1427 zu Ehrn der H. H. Muet-ter Gottes, und dem H. Benedicto gewidtmet, und letzlich dem Benedictiner-Orden einge-raummet worden.«

08 Belin 1894, 233. Auf S. 431 heißt es dann allerdings: »Elle paraît dater du 13e siècle«.09 Hier ist der Text so wiedergegeben wie bei Dalleggio D’Alessio 1925, 61 (die maßgebliche Abschrift aus dem

17. Jh.). Vgl. abweichend G. B. Cervellini (Hrsg.), Relazioni da Costantinopoli del vicario patriarcale Angelo Pe-tricca (1636–1639), Bessarione 119 = Serie 3 Bd. 9, 1912, 15–53, 40 f. (Paraphrase); Hasluck 1904–1905, 58 (diezweite Abschrift aus dem 17. Jh.; zu Dr. Covel s. u. Anm. 87); Nomidis – Schneider 1944, 22; Biskupski 1959,87; Müller-Wiener 1977, 100.

10 Tafferner 1672, III 141.11 Belin 1894, 233.12 Tafferner nach 1672, 212.

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Offenbar ist Tafferner im Glauben, das Pontifikat Urbans V. sei mit der Gründung im Jahr1427 zusammengefallen. Wahrscheinlich kam es zu diesem Irrtum, weil Tafferner sich beider Lesung der Gründungsinschrift, der er auch die übrigen Informationen entnommen habendürfte, vertat. Die Inschrift gab die Initialen »M. V.« des 1427 amtierenden Papsts Martin V.wieder. Daß Tafferner statt dessen offenbar Urban V. las, ist leicht durch eine Verwechslungvon »M. V.« und »V. V.« zu erklären.

Tafferners Irrtum wäre weiter nicht der Rede wert, wenn er nicht bis heute kolportiertwürde. In der semiwissenschaftlichen Ordens- und Istanbul-Literatur hat er inzwischen ei-nen festen Platz13, und der Gründungsmythos der St. Benoît-Schule beginnt mit dem Ponti-fikat Urbans V.: »En 1362, une humble école pour les enfants du quartier se rattache à un mo-nastère bénédictin«14.

Tatsächlich wurde die Benediktinerabtei wie gesagt 1427 gegründet, aber die Ansichtendarüber, ob und gegebenenfalls welche Teile der Kirche älter sind, gehen ebenso auseinanderwie darüber, was als byzantinisch und was als genuesisch zu gelten hat. Die verschiedenenMeinungen ergeben sich aus unterschiedlichen Urteilen über die Bau- und Kunstgeschichte,die aber nur in zwei Fällen auch begründet werden: Gurlitt belegt seine Einschätzung mit derbislang einzigen Bauaufnahme (Abb. 68) sowie einer partiellen Rekonstruktion der Kirche(Abb. 67) und unterscheidet dabei zwischen der vermeintlich byzantinischen Basilika unddem angeblich genuesischen Glockenturm. Ousterhout benennt als einziger Vergleichsbei-spiele für den seiner Ansicht nach byzantinischen Dekor des Glockenturms15.

1.2 Fragestellung

Nach Ousterhouts Studie gibt es wohl keinen Grund mehr, daran zu zweifeln, daß der Ur-sprungsbau von St. Benoît byzantinischen Charakter hatte. Offen bleibt jedoch, ob dies, wieOusterhout meint, dadurch zustande kam, daß die Benediktiner 1427 byzantinische Bauleuteanstellten, um eine lateinische Abteikirche zu errichten16. Alternativ könnte es sich bei demUrsprungsbau um eine ältere byzantinische Kirche handeln, die vor 1427 für den griechi-schen Ritus errichtet worden war, wie Müller-Wiener vermutet17.

Um in dieser Sache Klarheit zu gewinnen, soll untersucht werden, um welchen Gebäude-typ es sich bei dem Ursprungsbau handelte, und ob er dem lateinischen oder dem griechi-

13 P. Schmitz, Histoire de l’ordre de Saint-Benoît 1. Origines, diffusion et constitution jusqu’au 12e siècle (Mared-sous 1942) 246; 2(Maredsous 1948) 267; Eremya Çelebi Kömürciyan, Istanbul Tarihi XVII. Asırda Istanbul, hrsg.und übersetzt v. H. D. Andreasyan (Istanbul 1952) 236; L. Biskupski, L’origine et l’historique de la représenta-tion officielle de Saint-Siège en Turquie (1204–1967) (Istanbul 1968) 45 f.; Polonio 1979, 404 f. Anm. 10; R. Mar-mara, Précis historique de la communauté de Constantinople et de son église. De l’Empire byzantin à la Répu-blique de Turquie (Istanbul 2003) 35; S. S. Darnault, Latin Catholic Buildings in Istanbul. A Historical Perspective(1839–1923) (Istanbul 2004) 160; R. Marmara, Bizans’tan Günümüze Istanbul Latin Cemaati ve Kilisesi, KitapYayınevi 132 = Insan ve Tomplumdizisi 29 (Istanbul 2006) 34; J. Ract, Lieux chrétiens d’Istanbul, Analecta Isi-siana 88 (Istanbul 2006) 153. Vgl. Beylié 1903, 18.

14 A. Droulez, Histoire du Collège Saint-Benoît. Travail dactylographié. Préfacé par Mgr Joseph Roncalli, alors délégué apostolique en Turquie et qui deviendra le Pape Jean XXIII (Istanbul 1941) 7 f. (Exemplar im Archiv der Maison-Mère des Lazaristes, 95 Rue de Sèvres, 75006 Paris. Droulez war Mitglied jenes Ordens, der St. Be-noît im späten 18. Jh. übernahm); Y. Danjou, Histoire du Lycée Saint-Benoît (Istanbul 2008) 11 f.;<http://www.sb.k12.tr/spip.php?article2>.

15 Ousterhout 1991, 78. 84. 91.16 Ousterhout 1991, 78.17 Müller-Wiener 1977, 100.

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schen Ritus entsprach. Zu diesem Zweck ist zunächst zu fragen, welche Teile der heutigenKirche auf den Ursprungsbau zurückgehen und wie dieser zu rekonstruieren ist. Es gilt also,die Baugeschichte von St. Benoît zu klären. Gurlitts Bauaufnahme genügt dem nicht, denn erstellt die Basilika als einheitlichen Bau dar (Abb. 68)18. Dabei ist der asymmetrische Grund -riß offensichtlich historisch gewachsen, und die Ansicht läßt deutliche Unterschiede in denProportionen, im Mauerwerk und in den Fensterformen sowie entsprechende Baufugen er-kennen. Das geht bereits aus der alten Ansicht des Istanbuler Kupferstechers C. C. de Car-bognano von 1794 deutlich hervor (Abb. 2)19.

Tatsächlich läßt sich anhand von historischen Baubeschreibungen, Bildern und Plänen zei-gen, daß der Ursprungsbau eine orthodoxe Kirche war, die vor der benediktinischen Gründungvon 1427 entstanden sein muß und mit einer griechischen Marienkirche zu identifizieren seinkönnte. Folglich kann der Ursprungsbau als byzantinische Kirche rekonstruiert werden. Einekunsthistorische Einordnung in das Spannungsfeld zwischen lateinischem Westen und sel -dschukischem Osten, das für St. Benoît prägend gewesen zu sein scheint, führt zu einer Da-tierung in die Blütezeit der palaiologischen Baukunst um 1300.

Daraus ergeben sich schließlich noch zwei Fragen, die über St. Benoît hinaus von allge-meinem Interesse sind. Zum einen geht es darum, Ousterhouts Darstellung vom Ende der pa-laiologischen Architektur in Konstantinopel zu überprüfen. Bei einer früheren Datierung desbyzantinischen Ursprungsbaus von St. Benoît vor 1427 erscheint dieser nicht mehr als epi-gonale Imitation von in der Provinz längst etablierten Formen, sondern kommt im Gegenteilals hauptstädtisches Vorbild des provinziellen Bauwesens in Frage. Das gleiche gilt in Ana-logie auch für das Tekfur Sarayı, und dessen traditionelle Identifizierung mit dem Haus desPorphyrogenetos Konstantin, des dritten Sohns von Michael VIII. (1259–1282)20, wird da-durch bestätigt.

Zum anderen soll danach gefragt werden, welches Licht der byzantinische Ursprungsbauvon St. Benoît auf die genuesische Okkupation von Galata wirft. Die Genuesen befestigtendas Viertel wider das ausdrückliche Verbot des byzantinischen Kaisers und dehnten diese Be-festigung im Lauf der Zeit immer weiter aus, wobei um die Wende zum 15. Jh. schließlichauch die Gegend von St. Benoît mit einer Mauer umgeben wurde (Abb. 3)21. Dieser Vorgangerscheint in einem anderen Licht, je nachdem, ob die Byzantiner gleichzeitig mit dem Neu-bau der Benediktinerabtei betraut wurden oder vielmehr aus ihrer eigenen, älteren Kirchevertrieben worden waren, bevor diese 1427 dem lateinischen Ritus geweiht wurde.

1.3 Methodisches zur Baubeschreibung und Baugeschichte

Baubeschreibung und Baugeschichte zielen gemäß der Fragestellung auf die Rekonstruk-tion des byzantinischen Ursprungsbaus ab. Zu diesem Zweck ist es einerseits erforderlich,auch auf jüngere Bauphasen einzugehen, um sie vom byzantinischen Ursprungsbau zu schei-den und ihnen diverse Informationen über heute nicht mehr erhaltene Teile des Ursprungsbausabzugewinnen. Andererseits sind diese jüngeren Bau- und Ausstattungsphasen selbst nicht

18 Gurlitt 1912, 42 Taf. 62.19 De Carbognano 1794, Taf. 19. Zur Vita des Kupferstechers s. das Vorwort des Hrsg. V. Ruggieri. Eine Reproduk-

tion des Kupferstiches auch bei Dalleggio D’Alessio 1925, Abb. vor S. 61.20 s. o. Anm. 3.21 Nomidis – Schneider 1944, 2–18; Müller-Wiener 1977, 320–322; Balard 1978, I 182–191.

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das primäre Anliegen dieser Arbeit und werden deshalb, wo sie für die Rekonstruktion des by-zantinischen Ursprungsbaus nicht von Belang sind, vernachlässigt.

Die Baubeschreibung basiert auf diversen Begehungen in den Jahren 2007 bis 2009 undwird durch dabei aufgenommene Fotos sowie durch Baupläne illustriert (Abb. 6–59). DenPlänen liegt eine Bauaufnahme im Maßstab 1 : 50 zugrunde, die 1996 vor der letzten Reno-vierung durch das damit betraute Architekturbüro angefertigt wurde22. Die schematische Ein-tragung der unterschiedlichen Arten von Mauerwerk (Abb. 10. 30) sowie der Bauphasen(Abb. 6. 7) waren in der Bauaufnahme noch nicht enthalten, sondern wurden vom Verf. vor-genommen. Die Trennung der Bauphasen ergibt sich aus der Baubeschreibung, ihre chrono-logische Abfolge aus der Baugeschichte.

Die Baugeschichte berücksichtigt zusätzlich zu dem heutigen Baubefund auch diverse Pu-blikationen zu früheren Bauzuständen und Bauphasen. Weitere, bislang unpublizierte Infor-mationen zur postbyzantinischen Baugeschichte von St. Benoît könnten in verschiedenen Ar-chiven zu finden sein, in erster Linie in den genuesischen, osmanischen und französischenStaatsarchiven – die Benediktiner gaben St. Benoît Mitte des 16. Jhs. auf, und der Bau gingin die Verantwortung des französischen Botschafters über –, im Archiv der vatikanischenCongregatio de Propaganda Fide, insbesondere für das 17. und 18. Jh., als Jesuiten in St. Be-noît ansässig waren, und in demjenigen der Lazaristen in Paris für das 19. und 20. Jh., als dasKloster von jenem Orden geführt wurde23. Diese Archive sind derzeit jedoch noch nicht ge-nau genug erschlossen, um gezielt auf Informationen zur Baugeschichte von St. Benoît zu-greifen zu können. Ohne diese Voraussetzung erscheint eine systematische Auswertung derArchive praktisch unmöglich, dafür ist das dabei zu berücksichtigende Material zu umfang-reich. Von dieser Seite sind in Zukunft also weitere Aufschlüsse über die postbyzantinischeBaugeschichte von St. Benoît zu erwarten. Daß sich daraus auch neue Erkenntnisse zum by-zantinischen Ursprungsbau ergeben, ist möglich, aber nicht abzusehen. In jedem Fall magweitere Erkenntnis durch die bislang möglichen Einsichten befördert werden.

2 HISTORISCHE TOPOGRAPHIE

Die Kirche von St. Benoît ist Teil eines Klosters, das heute in erster Linie von einer gleich-namigen französischen Schule genutzt wird24. Es liegt in Karaköy, wie dieser Teil von Galatajetzt heißt (Abb. 4). Die Schule ist heute weltlich, aber den größten Teil ihrer Geschichtewurde sie von verschiedenen in St. Benoît ansässigen Orden betrieben, zuletzt von Lazari-sten und Barmherzigen Schwestern, die noch immer einen Teil der Anlage bewohnen.

St. Benoît liegt auf der ersten Terrasse, die sich am Fuß des Galatahügels über das Niveaudes Bosporus-Ufers erhebt. Das Gefälle ist an dieser Stelle gering und die Terrasse entspre-chend tief. Sie wird vollständig von der umfangreichen Klosteranlage eingenommen. Die zu-gehörigen Gebäude bilden – von unregelmäßigen Nebengebäuden im Süden und Westen ab-gesehen – einen querrechteckigen Häuserblock, der auf allen Seiten von Straßen gesäumt ist,im Süden von der Kemeraltı, im Norden von der Lüleci Hendek, im Westen von der Alageyik(vormals Patrik) und im Osten von der Revani (vormals Marie) (Abb. 4. 5).

22 Es handelt sich um das Architekturbüro von Dipl.-Ing. Ibrahim Uran Badur, Mesrutiyet Caddesi, Kordova Apart-ment No. 64/2, Beyoglu, 34430 Istanbul, der die Bauaufnahme freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

23 R. Marmara bereitet eine Publikation zu Briefen vor, die Lazaristen aus St. Benoît nach Paris schrieben.24 Saint-Benoît Fransız Lisesi, Kemeraltı Caddesi Nr. 35, 34425 Istanbul. Koordinaten: 41! ’’01’30 N 28’’58’36 O.

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Abb. 3. Galata, Phasenplan der genuesischen Befestigungen (V: Lagirio)

Abb. 4. Galata/Karaköy, Satellitenbild (Pfeil: St. Benoît)

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Der Häuserblock ist am Gefälle ausgerichtet, hat eine rund 120 m lange S-Fassade und istnach Norden zu ungefähr 80 m tief. Im Inneren liegt ein weitläufiger Hof, der durch einennordsüdlich orientierten Querriegel in zwei Hälften geteilt wird. Die westliche Hälfte dientetraditionell einer von den Lazaristen betriebenen Jungenschule, während die östliche denBarmherzigen Schwestern und ihrer Mädchenschule vorbehalten war. Seit 1987 werden dieGeschlechter gemeinsam unterrichtet.

Die Kirche liegt im Zentrum der zweigeschossigen S-Fassade. Ihr Untergeschoß ist im Nor-den gegen den Hang gebaut und dient zur Terrassierung des Geländes. Das Hauptgeschoß dar-über wird einst vom Bosporus aus zu sehen gewesen sein, bevor diese Sicht im Lauf der letz-ten 150 Jahre durch eine neue, mehrgeschossige Uferbebauung verstellt wurde. DerHaupteingang liegt unterhalb der S-Fassade an der Kemeraltı Caddesi. Von der Straße aus ge-langt man durch ein Tor zunächst in einen kleinen Hof und Garten (Abb. 1). Von dort führteine Freitreppe zu dem eine Terrasse darüber gelegenen Eingang ins Hauptgeschoß von Kir-che und Schule.

Diese Situation war bereits 1794 gegeben, das zeigt der Stich von De Carbognano (Abb. 2),der das Hoftor als »principal ingresso« bezeichnet25. Schon damals knickte die Freitreppe inihrem unteren Drittel ab, und links oder westlich des Hoftors gab es bereits ein niedrigesNebengebäude, das sich direkt auf die Straße öffnete. Ende des 18. Jhs. diente der gesamteGebäudekomplex den Lazaristen, die Barmherzigen Schwestern kamen erst 1839 dazu26. Einälterer Stich im Londoner Khalili Portolan Atlas, einer Edition des Seekartenwerks von Piri

25 De Carbognano 1794, 60 Taf. 19.26 Belin 1894, 428–436; M. Roche, Éducation, assistance et culture françaises dans l’Empire Ottoman, Les cahiers

du Bosphore 1 (Istanbul 1989) 13 f. 99–101. 105–109. 171–174. 177–180.

Abb. 5. St. Benoît, Satellitenbild

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Reis aus der Zeit nach einem Wiederaufbau von St. Benoît in Folge einer Brandkatastrophevon 1686 (s. u.), gibt die Kirche isoliert stehend ohne die Klostergebäude wieder, enthält aberbereits die Freitreppe sowie das Hoftor (Abb. 74)27.

Der Stich im Khalili Portolan Atlas läßt erkennen, daß St. Benoît im östlichsten, Lagiriogenannten Stadtteil von Pera liegt, der von einem eigenen Mauerring umgeben war (Abb. 3).Die Mauer bildete die N-Grenze des Kloster- bzw. Schulgeländes (vgl. Abb. 70), bis sie inder zweiten Hälfte des 19. Jhs. abgerissen und durch weitere Schulgebäude überbaut wurde.Lediglich ein Turm nahe der NO-Ecke des Schulgeländes zeugt bis heute von diesem Ab-schnitt der genuesischen Stadtbefestigung28.

Dabei handelte es sich um den jüngsten Mauerabschnitt von Pera, der erst während desspäten 14. und frühen 15. Jhs. errichtet wurde29, also unmittelbar vor der benediktinischenGründung von 1427. Zuvor war Lagirio ein unbefestigter Vorort und gehörte nicht zu demAreal, das den Genuesen vom byzantinischen Kaiser zur Ansiedlung zugestanden wordenwar30. Schriftlichen Quellen zufolge war in Lagirio während des 14. Jhs. noch eine größereAnzahl byzantinischer Griechen ansässig31.

Auf diese ältere Siedlungstradition weist nach P. Gyllius auch eine Zisterne hin, von der je-ner im 16. Jh. bei St. Benoît berichtet32. Sie diente damals als Klostergarten. Ihr Gewölbe seizerstört und dreihundert Säulen, die es ehemals getragen hätten, geraubt, heißt es weiter beiGyllius. P. Giulio Mancinelli S. J. berichtet von der Jesuitenmission, die sich 1583 in St. Be-noît niederließ, über denselben großen Garten, in dem in der Antike die bekannte Zisternegelegen habe, und von deren sehr dicken Mauern (s. u.). Noch 1794 weiß De Carbognano,die Kirche erhebe sich über einer 18 Fuß hohen und 12 Fuß dicken Mauer, von der manglaube, es handele sich um die Mauer einer antiken Zisterne33.

Heute ist davon nichts mehr zu sehen, und R. Janin hält es für wahrscheinlich, daß die Zisternenie gewölbt, sondern von vornherein als offenes Reservoir konzipiert war wie verschiedene an-dere Wasserreservoirs in Konstantinopel34. Ebensogut ließe sich jedoch auch auf zwei ge-schlossene Zisternen der Stadt verweisen, die Binbirdirek mit 224 und die Yerebatan mit 336Säulen35. Die von De Carbognano beschriebene große Mauerstärke ist sowohl für Zisternen alsauch für Reservoirs gleichermaßen typisch und diente dazu, dem Wasserdruck standzuhalten.

Diese großen Zisternen und Reservoirs haben in der Regel einen rechteckigen Grundriß:Binbirdirek ist annähernd quadratisch mit rund 60 m Seitenlänge, Yerebatan querrechteckigmit ungefähr 60 m Breite und 140 m Länge, die offenen Reservoirs sind noch größer. DieseDimensionen kommen auch an dem 80 m! 120 m großen Hauptgebäudekomplex von St. Be-

27 Soucek 1996, Taf. Zur Datierung s. u.28 Balard 1978, I Taf. 4. Im 19. Jh. konnte der vor Mauer und Turm gelegene Graben von den Lazaristen erworben,

dem Schulgelände zugeschlagen und überbaut werden: Danjou a. O. (Anm. 14) 11. 73.29 Nomidis – Schneider 1944, 6; Müller-Wiener 1977, 320–322; Balard 1978, I 188–190.30 Sauvaget 1934, 255 f. Abb. 2. Anders irrtümlich Dalleggio D’Alessio 1934, 64.31 Nomidis – Schneider 1944, 6; Balard 1978, I 271; M. Balard, La société pérote aux 14e–15e siècles. Autour des

Demerode et des Draperio, in: N. Necipoglu (Hrsg.), Byzantine Constantinople. Monuments, Topography andEveryday Life, The Medieval Mediterranean 33 (Leiden 2001) 299–311, 303.

32 Gyllius 1561, 228.33 De Carbognano 1794, 60.34 Janin 1969, 586, der Gyllius irrtümlich mit 200 anstatt mit 300 Säulen zitiert. Zu den anderen Reservoirs in Kon-

stantinopel vgl. Müller-Wiener 1977, 278 f. s. v. Aetios-Zisterne. Aspar-Zisterne; J. Bardill – R. Bayliss – J. Crow,The Water Supply of Byzantine Constantinople, JRS Monograph 11 (London 2008) 128–137.

35 Müller-Wiener 1977, 280. 283–285 s. v. Binbirdirek-Zisterne (224 Säulen). Yerebatan Sarayı (336 Säulen); Bardill –Bayliss – Crow a. O. (Anm. 34) 137–142.

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noît vor und könnten ebenfalls auf die alte Zisterne zurückgehen. Möglicherweise okkupiertedas Kloster die gesamte Zisterne. Das würde erklären, warum St. Benoît ein so großes, zu-sammenhängendes und rechteckiges Areal einnimmt, während Lagirio und ganz Pera anson-sten zumeist kleinteilig und verwinkelt bebaut sind (Abb. 4).

Jedenfalls stammen alle anderen großen Zisternen und Reservoirs in Konstantinopel ausfrühbyzantinischer Zeit, und das dürfte deshalb auch für die Anlage bei St. Benoît gelten. Infrühbyzantinischer Zeit hieß Galata noch Sykai und galt als 13. Region von Konstantinopel.Sykai verfügte über eine eigene städtische Infrastruktur, Thermen, Theater, Kirchen und ei-nen Mauerring, den Justinian, nach dem der Ort zeitweilig Justinianai genannt wurde, er-neuern ließ36. Die Befestigungen wurden geschleift, bevor sich die Genuesen im 13. Jh. inGalata ansiedeln durften37.

3 ST. BENOÎT HEUTE. AKTUELLE BAUBESCHREIBUNG

St. Benoît präsentiert sich heute in einem merkwürdigen Zwischenstadium zwischen Kir-che und Museum. Einerseits ist der Bau im Unterschied zu den meisten anderen Kirchen vonIstanbul weder in eine Moschee umgewandelt noch säkularisiert worden, sondern nach wievor dem Gottesdienst vorbehalten. Andererseits finden kaum mehr Gottesdienste statt, dennSt. Benoît ist Teil der gleichnamigen Schule, und innerhalb von Schulen ist Religionsausübungentsprechend der laizistischen Verfassung der türkischen Republik verboten.

Ausnahmen sind während der Schulferien möglich, aber sowohl die Lazaristengemein-schaft als auch diejenige der Barmherzigen Schwestern sind in Auflösung begriffen, so daßsich Gottesdienst weitgehend erübrigt. Wer dennoch Einlaß begehrt und das Glück hat, einender letzten Brüder oder Schwestern anzutreffen, bekommt einen makellos instand gehaltenenKirchenraum aufgeschlossen, in dem die Standbilder der Namenspatrone Benedikt und Ma-ria in einem Dornröschenschlaf erstarrt zu sein scheinen.

Im folgenden wird der Bau beschrieben, wie er sich heute darstellt. Man erreicht ihn übli-cherweise von Westen über eine Freitreppe und eine Loggia (Abb. 1). Es folgen ein Glok-kenturm und eine Basilika mit zwei den Altarraum flankierenden Kapellen sowie einer se-paraten Sakristei im Nordosten. Schließlich wird, wiederum von Westen, das Untergeschoßbeschrieben, in dem sich die Raumaufteilung des Hauptgeschosses nur unter der Basilikanicht wiederholt (Abb. 6–9).

3.1 Hauptgeschoß

3.1.1 Freitreppe und Loggia

Vom Haupteingang an der Kemeraltı Caddesi aus gelangt man über eine gewinkelte Frei-treppe zum ein Stockwerk höher gelegenen Hauptgeschoß der Kirche (Abb. 1). Die Treppe istverputzt, ziegelrot gefaßt und mit modernen Betonstufen und einem Metallgeländer verse-hen. Sie endet an einem Podest im Zwickel vor einem historistischen Portal der Schule imNorden und dem NW-Joch einer älteren Loggia im Osten.

36 Nomidis – Schneider 1944, 1; Janin 1964, 466 f. s. v. Sykae; Berger a. O. (Anm. 1) 694.37 Nomidis – Schneider 1944, 2; Müller-Wiener 1977, 320.

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Abb. 6. St. Benoît, Untergeschoß

Abb. 7. St. Benoît, Hauptgeschoß

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Abb. 8. St. Benoît, Emporengeschoß

Abb. 9. St. Benoît, Glockenstube

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Abb. 10. St. Benoît, W-Ansicht

Abb. 11. St. Benoît von SW

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Die Loggia ist nach Süden zu drei Joche breit und nach Osten hin zwei Joche tief (Abb. 11).Alle sechs Joche sind kreuzgratgewölbt und ruhen auf neun Säulen bzw. auf der S-Wand desGlockenturms. An den W- und S-Fassaden ist das Gewölbe verputzt und über einer abge-setzten, breiten weißen Konturlinie ziegelrot gefaßt. Am Absatz zu der weißen Konturliniereihen sich Nägel im Abstand von etwa einer Handbreit aneinander wie Perlen an einer Kette.An manchen Nagelköpfen sind noch Ösen aus Kunststoff erhalten, die wahrscheinlich einmaldazu dienten, eine Leuchtschnur zu fixieren.

Die Unteransicht des Loggia-Gewölbes ist steinsichtig belassen (Abb. 12). Das Gewölbebesteht aus Ziegeln unterschiedlichen Formats, bei denen es sich um Spolien handeln dürfte.Die Fugen sind offensichtlich jüngst mit ziegelrotem Mörtel neu verstrichen worden. Insbesondere die beiden südlichen Joche sind von weißen, wohl salzigen Ausfällungen be-troffen.

Die neun Säulen sind aus verschiedenartigen Spolien zusammengesetzt. Basen fehlen oderbestehen aus unspezifischen Marmorblöcken unterschiedlicher Größe. Nur der südwestlichenEcksäule dient ein umgekehrtes byzantinisches Kämpferkapitell mit Kreuzdekor als Basis(H 25, Dm 30, B o. 50 cm; Abb. 13). Die verhältnismäßig schlanken Schäfte unterscheidensich im Durchmesser und sind zum Teil gestückelt.

Bei den fünf Kapitellen der W- und S-Fassade sowie bei demjenigen der nordöstlichenSäule handelt es sich um grob gespitzte Kämpferblöcke mit runden unteren Ansätzen, die denSäulen im Durchmesser entsprechen und offenbar für die Verwendung in der Loggia zuge-richtet worden sind. Die drei übrigen Säulen sind jeweils von einer Kombination aus Spo-lienkapitell und Kämpfer bekrönt. Die zentrale Mittelsäule verwendet eine umgekehrte atti-sche Basis mit angearbeitetem, kanelliertem Schaftansatz als Kapitell (H 20, B u. 32, Dm 20 cm;

Abb. 12. St. Benoît, Loggia nach O: Portal zum Mittelschiff

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Abb. 13. Loggia, SW-Ecksäule, Basis: byzantinisches Kämpferkapitell

Abb. 14. Loggia, östliche Mittelsäule, Kapitell: byzantinisches Kämpferkapitell

Abb. 15. Loggia, nördliche Mittelsäule, Kapitell: gerahmtes byzantinisches

Kämpferkapitell

Abb. 16. Loggia, NW-Ecke, Gewölbekämpfer über dem Portal zum Mittelschiff: byzantinischer Kämpfer

Abb. 17. Loggia, S-Balustrade, Baluster-Basis: kleinformatiges byzantinisches Kämpferkapitell

Abb. 18. Loggia, zentrale Mittelsäule, Kapitell: attische Basis mit kanelliertem

Schaftansatz

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Abb. 18). Das Kapitell der östlichen Mittelsäule hat Kämpferform (H erh. 13, B u. 25, B o.34 cm; Abb. 14). Zwei Seiten sind mit einem Kreuz bzw. einer Zirkelblume dekoriert.

Bei dem Kapitell der nördlichen Mittelsäule handelt es sich um ein gerahmtes Kämpfer-kapitell (H 30, Dm erh. 25, B o. 34 cm; Abb. 15). Der Kapitellfuß ist schräg abgearbeitet unddem geringeren Durchmesser des Säulenschafts angepaßt. Zwei gegenüberliegende Kapi-tellseiten weisen das übliche trapezförmige Rahmenfeld auf. Gestreckte Proportionen undein ungewöhnlicher Dekor aus konzentrischen Kreisen legen eine späte Zeitstellung nachdem Auslaufen der frühbyzantinischen Produktion nahe38. Auf den beiden anderen Kapitell-seiten ist zwischen je drei senkrechten Stegen nur mehr Platz für zwei schmale, hochrecht-eckige Rahmenfelder ohne Binnendekor. Gewöhnlich kommt nur ein zentraler Steg pro Ka-pitellseite vor und diente zum Anschluß eines Fensters (vgl. Abb. 23). Welchen Zweck diebeiden zusätzlichen seitlichen Stege hatten, ist mir nicht klar. Die Stege weisen im unterenDrittel eine senkrechte Nut auf.

Ein weiterer Kämpfer ragt in der NW-Ecke der Loggia über einem Portal aus der Wandund dient als Konsole, auf der das Gewölbe fußt (H 22 [Abdeckplatte 5], B u. erh. 20, B o.erh. 30 cm; Abb. 16). Eine markante graue Äderung läßt auf prokonnesischen Marmor schlie-ßen. Über einer abgesetzten Standfläche trägt die vordere Schräge ein lateinisches Kreuz mitgeschweiften Hastenenden, wie das bei frühbyzantinischen Kämpfern häufig vorkommt39.Die obere Abdeckplatte weist eine Inschrift auf: .!". .#…

Die südlichen vier Joche werden auf der W- und S-Seite von einer Balustrade eingefaßt, diezwischen den Säulen eingespannt ist (Abb. 11). Es handelt sich um einen niedrigen Hand-lauf, der pro Interkolumnium auf drei Säulchen mit kubischen Basen ruht. Bei einer der süd-lichen Basen handelt es sich um ein kleines Kämpferkapitell, das auf einer Seite mit einemBlattkreuz (crux florida) dekoriert ist (H 12, Dm 14, B o. 20 cm; Abb. 17). Solche Blattkreuzewaren seit frühbyzantinischer Zeit als Kämpferdekor beliebt, aber der vereinfachte Blatt-schnitt und das teigige Relief lassen eher an eine spätere Zeitstellung denken40. Neben denSäulchen verstärken vier senkrechte Metallstäbe pro Interkolumnium die Konstruktion.Außerdem sind die Säulen der Loggia zwei Handbreit über der Balustrade durch waagerechteMetallstäbe verbunden. Auf Kämpferniveau sorgen metallene Zuganker für eine Versteifungdes Loggia-Gewölbes (Abb. 12).

Die N-Wand der Loggia wird von der S-Wand des Glockenturms gebildet (Abb. 19). Siebesteht aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk, ist steinsichtig belassen und offensicht-lich rezent mit rötlichem Mörtel neu verfugt worden. Sie enthält nebeneinander ein Fenster,das sich in das nordwestliche Joch der Loggia öffnet, und eine Tür, die mit dem NO-Joch kor-respondiert. Die Fensterlaibungen und ein flacher Bogen darüber bestehen aus dicken undregelmäßigen Ziegeln, die sich von den dünneren und unregelmäßigen des Loggiagewölbesunterscheiden. Die seitlichen Laibungen setzen sich unterhalb der Fensterbank fort und las-sen darauf schließen, daß die Wandöffnung einmal weiter hinabreichte. Die ursprünglicheFensterbank scheint rund einen halben Meter über Bodenniveau gelegen zu haben, denn dar-unter setzen die Baunähte aus und die Steinlagen laufen durch, insbesondere ein antiker Mä-

38 Vgl. M. Dennert, Mittelbyzantinische Kapitelle. Studien zur Typologie und Chronologie, AMS 25 (Bonn 1997)190; 213 Kat. 92; 288 Taf. 16. 52.

39 Vgl. T. Zollt, Kapitellplastik Konstantinopels vom 4. bis 6. Jahrhundert n. Chr. Mit einem Beitrag zur Untersu-chung des ionischen Kämpferkapitells, AMS 14 (Bonn 1994) Taf. 14–23.

40 Vgl. J. Flemming, Kreuz und Pflanzenornament, Byzantinoslavica 30, 1969, 88–115; Zollt a. O. (Anm. 39) 59 f.66–68; 78 f. Kat. 133. 134. 136. 156. 160. 188 Taf. 28–32; 50 c. d; 51 e; Dennert a. O. (Anm. 38) 190 Kat. 98 f.Taf. 17.

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anderfries, der länger ist als die Wandöffnung breit (H 10, L 115, Relieftiefe 0,5 cm; Abb. 20).Die Tür hat eine moderne Marmorlaibung.

Die O-Wand der Loggia enthält in ihrem nördlichen Joch ein breites Portal, das in dasMittelschiff der östlich anschließenden Basilika führt (Abb. 12). Dieser Haupteingang istdurch faszierte seitliche Laibungen aus großen Quadern und einen antiken Marmorsturz aus-gezeichnet (H 20, L 177 cm). Im Bogenfeld darüber sitzen zwei Marmortafeln mit dem Em-blem der Jesuiten (oben) und einer Bauinschrift (s. u. und Abb. 73).

Die beiden anderen, südlich anschließenden O-Wandjoche der Loggia grenzen an das S-Schiff, und Baunähte lassen erkennen, daß auch hier einmal ein Durchgang bestand (Abb. 12):Er saß im Mitteljoch unter einem Ziegelbogen mit einer weiteren marmornen Bauinschriftim Bogenfeld (s. u. und Abb. 72). Die Wand darunter ist mit ähnlichem Schichtmauerwerkverschlossen wie im S-Joch, aber es unterscheidet sich durch verschieden große Bruchsteineim Wechsel mit ein bis vier Lagen dünner Ziegel, während das S-Joch kleinere, regelmäßi-gere Steinlagen und dazwischen immer genau zwei Ziegellagen aufweist (Abb. 12). Die Bau-naht, an der die Schichten verspringen, verläuft unter dem südlichen Fuß des Ziegelbogensund wird durch die davorstehende Säule verdeckt. Die andere, nördliche Laibung des vor-

Abb. 19. St. Benoît, Loggia nach N: Tür zum Glockenturm

Abb. 20. Loggia, N-Wand, Mäanderfries unter dem Fenster des Glockenturms

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maligen Durchgangs unter dem nördlichen Bogenfuß ist aus Quadern aufgemauert und zeich-net sich deutlich ab.

Das südliche O-Wandjoch der Loggia enthält in seinem Bogenfeld eine dritte marmorneBauinschrift (s. u. und Abb. 64). Sie ist allerdings nicht in die Wand eingelassen, sondern le-diglich davor aufgehängt. Alle drei Inschriften werden unten im Rahmen der Baugeschichtebesprochen.

3.1.2 Glockenturm

Der Glockenturm bildet die N-Wand der Loggia und gab offenbar deren Tiefe vor. Er hatteursprünglich ein höheres Hauptgeschoß, aber eine nachträglich eingezogene Quertonne be-schließt es heute auf dem niedrigeren Niveau des Loggia-Gewölbes. Das auf diese Weise ent-standene Zwischengeschoß dient als Empore und öffnet sich auch auf das Flachdach der Log-gia (Abb. 8). Die obere Hälfte des Turms wird von einer hohen Glockenstube gebildet(Abb. 9). Sie weist auf allen vier Seiten die gleichen Schallöffnungen und das gleiche deko-rative Sichtmauerwerk auf, wird deshalb ursprünglich frei gestanden haben und erst spätervon der Basilika im Osten, einem Treppenhaus im Norden und der Schule im Westen einge-schlossen worden sein (Abb. 24. 25).

Das Hauptgeschoß des Glockenturms besteht aus unregelmäßigem Bruchsteinmauerwerk,wie das an der steinsichtig belassenen N-Wand der Loggia abzulesen ist (Abb. 19). Die Türim NO-Joch der Loggia führt in einen Korridor, der aus der östlichen Hälfte des Turms be-steht und unmittelbar in einen nördlich anschließenden Flur übergeht (Abb. 7). Die westlicheTurmhälfte, die von dem Fenster belichtet wird, dient als Portierloge der Schule. Sie ist nachWesten zu in einen Flur geöffnet, in den von Süden das historistische Portal hineinführt.

Das Zwischen- oder Emporengeschoß des Glockenturms erreicht man von Norden über einemoderne Wendeltreppe aus Metall. Sie ist an die nordwestliche Turmecke angelehnt und nimmtdie südwestliche Ecke des dort gelegenen Flurs ein (Abb. 8). Man kann die Wendeltreppe so-wohl vom Flur aus als auch ein Stockwerk höher vom Obergeschoß des westlich anschließen-den Schul- bzw. Klostergebäudes aus betreten. Sie erreicht das niedrige Emporengeschoß desGlockenturms durch eine Tür im westlichen Abschnitt seiner N-Wand. Schräg gegenüber imZentrum der S-Wand führt eine weitere Tür auf das Flachdach der Loggia, das von einer um-laufenden Sockelmauer eingefaßt wird und als Terrasse dienen kann (Abb. 1).

Die O-Wand des Emporengeschosses öffnet sich in ihrer ganzen Breite auf das Mittelschiffder Basilika bzw. einen dort wie ein Wespennest frei hängenden, verglasten Holzbalkon(Abb. 31. 33). Bei der Öffnung handelt es sich um einen Rundbogen, der aufgrund seiner be-trächtlichen Spannweite ebenso hoch ist wie das gesamte Emporengeschoß; seine Kämpfer-punkte liegen auf Bodenniveau, sein Scheitelpunkt in Höhe der Flachdecke. Nur dort im Zen-trum ist der Bogen aufrecht zu passieren, zu den Seiten schneiden seine Zwickelfelder denBlick ins Mittelschiff dagegen ab. Offensichtlich handelt es sich bei dem Bogen um den obe-ren Abschluß einer höheren Öffnung, die ursprünglich das gesamte Hauptgeschoß des Glok-kenturms mit der Kirche verbunden haben wird, bevor die Empore eingebaut und darunterder untere Teil der Öffnung abgemauert wurde.

Die hohe Glockenstube besteht im Gegensatz zur unteren Hälfte des Turms aus feinemQuadermauerwerk (Abb. 21). Vier umlaufende Gesimse markieren die untere Geschoßgrenze,die Kämpferpunkte der Schallöffnungen, die obere Grenze der Fensterzone sowie die Trauf -linie. Auf allen vier Seiten öffnet sich die Glockenstube in schlanken Zweibogenfenstern, denen Spoliensäulen als Mittelstützen dienen. Im Westen, Norden und Osten werden diese

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Abb. 21. Glockenturm, Emporengeschoß, Glockenstube und Zinnenkranz von S

Abb. 22. Glockenturm, S-Schallöffnung und Bogenfries

Abb. 23. Wie Abb. 22 (Detail): frühbyzantinisches Kämpferkapitell

Schallöffnungen heute allerdings zu zwei Dritteln durch angrenzende Bauten blockiert undsind deshalb bis auf die Kapitell- und Bogenzone vermauert (Abb. 24. 25).

S- und W-Fenster sind durch besonders schöne Kapitelle ausgezeichnet. Im Süden handeltes sich um ein byzantinisches Kämpferkapitell mit Mittelmedaillon, flankierenden Füllhör-nern und hinterarbeitetem Blattwerk, das ins 6. Jh. datiert werden kann41 (Abb. 23). Senk-rechte Stege in der Mitte der Schmalseiten werden ursprünglich zum Anschluß von Fenster-rahmen gedient haben. Im W-Fenster sitzt ein korinthisches Kapitell mit zwei Kränzen ausjeweils vier großgezackten Akanthusblättern, wie sie im 5./6. Jh. üblich waren (H 35, Dm 35,B Abakus 60 cm; Abb. 26)42.

N- und O-Seite der Glockenstube weisen einfachere Kapitelle auf: Im Osten hat man eingerahmtes Kämpferkapitell mit zentralem Kreuzmedaillon wiederverwendet, das am ehestenaus mittelbyzantinischer Zeit stammen dürfte (Abb. 28)43. Im Norden dient eine verkehrte

41 C. Barsanti – A. Guiglia Guidobaldi – J.-P. Sodini, La sculpture architecturale en marbre au 6e siècle à Constan-tinople et dans les régions sous influence constantinopolitaine, in: Acta 13 Congressus internationalis Archaeo-logiae christianae, Vjesnik za arheologiju i historiju dalmatinsku Ergbd. 87–89 = Studi di antichità Cristiana 54(Split 1998) II 301–376, 330 f.

42 RAC XX (2004) 93 f. s. v. Der großgezackte Akanthus (U. Peschlow).43 Vgl. Dennert a. O. (Anm. 38) 48 Kat. 103 Taf. 18.

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Säulenbasis als Kapitell (H 27, B u. 70, Dm 40 cm; Abb. 27). Das Profil ist nach byzantini-scher Manier in Bosse belassen44.

Auf den Kapitellen liegen flache Abdeckplatten, die mit dem zweiten umlaufenden Ge-sims korrespondieren. Zusammen markieren sie die Kämpferpunkte der gestelzten Fenster-bögen (Abb. 21). An der W- und an der S-Fassade werden die radial gesetzten Bogensteine je-weils von einem doppelten Band aus keramoplastischem Dekor in der Art vierblättrigerKrugmünder (Fialostomia) konturiert. Heute ist die Keramik weitgehend durch Nachgüsseaus rot gefaßtem Beton ersetzt (Abb. 22. 25), aber alte Aufnahmen aus der Zeit vor der Re-staurierung belegen die Ursprünglichkeit des Dekorationsschemas (Abb. 2. 66. 67). An der O-Fassade ist der Zwickel zwischen den beiden Fensterbögen in dekorativer Weise mit fächer-förmig aufgestellten Ziegeln ausgestickt (Abb. 24).

An allen vier Turmseiten sind die Konturen der Schallöffnungen und Bogenfriese sowieder südlichen Bogenöffnung auf das Flachdach der Loggia mit den gleichen Nägeln und Pla-stikösen besetzt, wie sie auch an der Fassade der Loggia vorkommen (Abb. 22. 24. 25). Wahr-scheinlich waren beide Gebäudeteile einmal auf dieselbe Weise mit Leuchtschnüren deko-riert.

Die östliche Schallöffnung wird zu zwei Dritteln durch das östlich anschließende Gewölbedes Mittelschiffs der Basilika blockiert. Südlich ihrer Mittelsäule befindet sich jedoch eineschmale und niedrige Tür, die zum Teil in die Sockelmauer unterhalb der Schallöffnung ein-gebrochen worden ist (Abb. 9. 28). Diese Tür führt auf einen zweiten, niedrigen Holzbalkonmit Metallgeländer, der über dem verglasten Balkon auf Fensterhöhe in der Gewölbezone desMittelschiffs gelegen ist (Abb. 31. 33).

44 J. Kramer, Attische Säulenbasen des 5. und 6. Jahrhunderts n. Chr. und ihre Rohform, BJb 70, 1970, 271–278;N. Asgari, Observations on Two Types of Quarry-Items from Proconnesus: Column-Shafts and Column Bases, in:N. Herz – L. Moens – M. Waelkens (Hrsg.), Ancient Stones. Quarrying, Trade and Provenance. InterdisciplinaryStudies on Stones and Stone Technology in Europe and Near East from the Prehistoric to the Early Christian Pe-riod, ActaALovMono 4 (Leuven 1992) 73–80.

Abb. 24. Glockenturm, O-Fassade Abb. 25. Glockenturm, W- und N-Fassaden oberhalb des Kloster- bzw. Schulgebäudes

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Das dritte umlaufende Gesims der Glockenstube schließt die Fensterzone ab und unter-fängt einen Bogenfries (Abb. 22). Auf jeder Turmseite tragen neun Konsolen acht spitze Klee-blattbögen. Jeder Bogen setzt sich aus zwei einander an der Spitze berührenden Halbbogen-steinen zusammen. Zum Teil handelt es sich dabei um alte Originale mit Brandspuren, zumTeil um neue Reparaturstücke. Der Bogenfries wurde ursprünglich durch eine Doppelreihevon Krugmündern überfangen (Abb. 66. 67), die heute allerdings vollständig durch rot ge-faßten Beton ersetzt sind (Abb. 22. 24. 25). Der keramoplastische bzw. Beton-Dekor wirdseinerseits von einer vorspringenden Ziegellippe bekrönt.

Über dem Bogenfries markiert das vierte umlaufende Gesims die Trauflinie eines Flach-dachs, das von einer niedrigen Sockelmauer eingefaßt wird (Abb. 1). Vier zinnenförmige Eck -pfeiler geben dem Turm ein wehrhaftes Gepräge. Zu beiden Seiten eines jeden Eckpfeilersdienen je fünf Öffnungen im Fuß der Sockelmauer als Austritte für Regenwasser (Abb. 21.24. 25). Durch ihre regelmäßige Anordnung, rhomboide Querschnitte sowie keramische Fas-sung mit überhängenden Ziegellippen entfalten die Öffnungen außerdem eine dekorativeWirkung.

Das Geläut besteht aus drei einander ähnlichen Glocken des 19. Jhs. (Abb. 28). Eine trägtdas Datum 1839 und den Firmennamen »Givanni Bozzoli F. Genova«, eine andere ist in-schriftlich 1856 datiert. Die Aufhängung ist aus Holz und in labilem Zustand.

3.1.3 Basilika

Östlich von Loggia und Glockenturm schließt eine Pfeilerbasilika an. Sie hat drei Schiffe,von denen ein jedes im Osten von einem Kuppeljoch beschlossen wird (Abb. 7). Im ein-

Abb. 26. Glockenturm, Kapitell der W-Schallöffnung: frühbyzantinisches großgezacktes

korinthisches Kapitell

Abb. 27. Glockenturm, Kapitell der N-Schallöffnung: byzantinische Bossenbasis

Abb. 28. Glockenstube nach O: Tür zur oberen Mittelschiffsempore

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zelnen sind die Schiffe und Kuppeln nach Plan und Bauweise jedoch verschieden, was sich aufunterschiedliche Bauphasen zurückführen läßt. Das Mittelschiff muß außerdem jünger sein alsder Glockenturm, denn es blockiert die untere Hälfte der östlichen Schallöffnung (Abb. 29. 30).

Das Mittelschiff schließt östlich an den Glockenturm und das nördliche Joch der Loggiaan, in dem sich das Portal befindet. Letzteres führt dezentral in einen tonnengewölbten Längs-raum, der durch je einen Pfeiler und zwei weite Bögen von den Seitenschiffen abgeteilt ist(Abb. 31. 32). Über jedem Bogen schneidet eine Stichkappe ein großes Thermenfenster ausdem tief herabgezogenen Tonnengewölbe aus.

Am Außenbau tritt die Fensterzone als Lichtgaden in Erscheinung und ist unter Einschlußweniger Bruchsteine aus regelmäßigem Ziegelmauerwerk mit dünnen Ziegeln errichtet(Abb. 29). Der segmenttonnenförmige Gewölbescheitel darüber ist mit Blei gedeckt. Er bleibteinem ebenerdigen Betrachter verborgen, weil die Lichtgadenwände über die Trauflinie hin-aus bis auf ein einheitliches Niveau oberhalb der Stichkappen mit den Thermenfenstern hoch-gezogen sind (Abb. 34). Die Entwässerung des Bleidachs muß deshalb durch runde Öffnun-gen im oberen Drittel der Lichtgadenwand erfolgen.

Weiteres Licht erhält das Mittelschiff durch ein W-Fenster über dem W-Portal oberhalb derLoggia und südlich des Glockenturms (Abb. 31). Vor diesem Fenster setzt sich der verglasteHolzbalkon fort, der vor dem Emporengeschoß des Glockenturms angebracht ist. Darüberkragt der zweite, lediglich mit einem Geländer beschlossene Balkon in die Stickkappen desLichtgadens hinein.

Im Osten endet das Mittelschiff an einem verhältnismäßig niedrigen Triumphbogen, dernur wenig breiter und kaum höher ist als die Arkadenbögen (Abb. 32). Über dem Triumph-bogen wird das Tonnengewölbe von einer blinden Schildwand beschlossen.

Östlich von Triumphbogen und Schildwand liegen ein quadratischer Altarraum bzw. einegedrungene Tambourkuppel. Eine flache Nische in der O-Wand des Altarraums tritt amAußenbau hervor (Abb. 43. 45). Vier Bögen tragen einen weiten Tambour von nahezu glei-chem Durchmesser wie der Altarraum, aber verhältnismäßig geringer Höhe, woraus der ge-drungene Gesamteindruck resultiert. Der Tambour ist innen rund und außen oktogonal, mitsieben Rundbogenfenstern und einer fensterlosen W-Seite, die mit der blinden östlichenSchildwand des Mittelschiffsgewölbes verschmilzt (Abb. 8. 33).

Das Mauerwerk des Altarraums besteht aus unregelmäßigen Lagen verschieden großerBruchsteine im Wechsel mit zwei bis vier Lagen dünner Ziegel (Abb. 43. 45). Am Tambourdarüber kommen Bruchsteine nur vereinzelt vor, und das Ziegelmauerwerk gleicht demjeni-gen am Lichtgaden des Mittelschiffs. Ein hohes, mehrfach abgetrepptes Traufgesims mit Sä-gezahnfries bildet einen geraden oberen Wandabschluß, der nur geringfügig von einem fla-chen, bleigedeckten Kuppelsegment überragt wird. Die Bleikuppel ist für einen ebenerdigenBetrachter deshalb nicht wahrnehmbar.

Das S-Schiff schließt östlich an die beiden südlichen Joche der Loggia an, ist jedoch brei-ter als diese, und seine S-Wand greift über die O-Wand der Loggia hinaus nach Süden aus(Abb. 11). Das Schiff wird durch drei Rundbogenfenster in seiner S-Wand belichtet, ist ton-nengewölbt, bleigedeckt und endet im Osten an einem verhältnismäßig engen, exzentrischenDurchgang zu einer Kapelle (Abb. 36), die als SO-Kapelle in einem eigenen Abschnitt be-schrieben wird.

Die S-Fassade besteht aus bemerkenswert regelmäßigem Schichtmauerwerk mit einheit-lich hohen Hausteinlagen und jeweils zwei Lagen dünner Ziegel dazwischen (Abb. 29). DieEcken im Westen und Osten sind durch besonders große Quader verstärkt und die resultie-renden Versprünge mit bis zu vier Lagen Ziegeln ausgeglichen.

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Abb. 29. St. Benoît von S

Abb. 30. St. Benoît, S-Ansicht

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Abb. 33. St. Benoît, Längsschnitt durch Loggia, Mittelschiff, Altarraum und NO-Annex

Abb. 31. Mittelschiff nach W: Portal zur Loggia, Emporen

Abb. 32. Mittelschiff nach O: Triumphbogen und Altarraum

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Abb. 34. St. Benoît, N-Schiff, NO-Kapelle und Mittelschiff von NW

Die Fenster haben steinerne Laibungen, deren obere Enden jeweils gestückelt sind. Siewerden von eselsrückenförmigen Ziegelbögen mit vorstehenden Konturziegeln überfangen.Die Zwickelfelder zwischen den rundbogigen Fensteröffnungen und den Eselsrücken sindmit ziegelrotem Mörtel ausgefüllt. Die unsinnigen Eigenarten dieser Konstruktion gehen of-fensichtlich darauf zurück, daß die Fenster ursprünglich flache steinerne Stürze hatten, wiesie bis heute ein Stockwerk tiefer im Untergeschoß derselben Fassade erhalten sind. Als dieflachen Stürze zugunsten von Rundbögen aufgegeben wurden, blieben die gestückelten obe-ren Enden der heutigen Laibungen zurück. Die Eselsrücken dienten ehemals lediglich derEntlastung der Sturzbalken.

Das N-Schiff ist von dem Flur im Norden des Glockenturms durch ein eigenes W-Portalzu betreten (Abb. 7. 35). Das Schiff wird wie das S-Schiff durch drei Rundbogenfenster in derN-Wand belichtet und von einer niedrigen, bleigedeckten Segmenttonne überfangen(Abb. 44). An seinem östlichen Ende teilt eine eingezogene Bogenöffnung die Anna-Kapelleab. Bei letzterer handelt es sich um ein quadratisches Kuppeljoch, das dem Altarraum ähneltund mit diesem durch einen weiten Bogen verbunden ist (Abb. 38). Die dem Altarraum gegen-überliegende N-Wand der Anna-Kapelle enthält ein Rundbogenfenster, das denjenigen im N-Schiff nach Form und Größe gleicht (Abb. 44). In der O-Wand der Kapelle stellt eine nie-drige Tür Verbindung zu einem NO-Annex her (Abb. 37), der weiter unten in einem eigenenAbschnitt beschrieben wird.

Die Kuppel der Anna-Kapelle ruht wie diejenige des Altarraums auf einem Tambour. Er istallerdings von geringerem Durchmesser und weist lediglich fünf Polygonseiten mit je einemRundbogenfenster auf, drei gen Osten und zwei gen Westen (Abb. 8). Sein Bleidach reicht inbyzantinischer Manier bis auf die Kämpferpunkte der Fensterbögen herab (Abb. 34), aber eindünnes Mauerwerk aus modernen Hohlziegeln in Kombination mit Stahlbetonträgern wei-

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sen den Flur im Norden des Glockenturms, das N-Schiff und die Anna-Kapelle als moderneKonstruktionen aus45.

3.1.4 SO-Kapelle

Die Kapelle im Osten des S-Schiffs ist der Gottesmutter geweiht und läßt sich als spiegel-verkehrtes Pendant zur Anna-Kapelle im Norden beschreiben, allerdings bei kleinerer Grund-fläche und steileren Proportionen (Abb. 37. 39). Wie bei Anna-Kapelle und Altarraum han-delt es sich um einen quadratischen Raum mit Tambourkuppel. Wie bei der Anna-Kapellebestehen eine weite Bogenöffnung zum Altarraum und ein Rundbogenfenster in der gegen-überliegenden S-Wand. Der Tambour hat einen noch geringeren Durchmesser als in der Anna-Kapelle und lediglich vier Fenster, ist jedoch ebenso hoch und trägt eine Schirmkuppel(Abb. 41).

In der Außenansicht stellt sich die SO-Kapelle als eigener Baukörper dar, der sich auf ver-schiedenerlei Weise von den anderen Teilen der Basilika unterscheidet (Abb. 1). Die Unter-schiede beginnen beim Mauerwerk, das im unteren Teil nahezu ohne Ziegel auskommt, amTambour hingegen ausschließlich aus solchen besteht, wobei es sich um dickere Ziegel mitdünneren Fugen handelt als sonst (Abb. 42).

Die S-Wand besteht ähnlich dem Glockenturm zuunterst aus regelmäßigen Lagen grobenBruchsteinmauerwerks, ab der Fensterzone jedoch aus feinem Hausteinmauerwerk (Abb. 40).Ein abgesetzter, über einem Sägezahnfries mit Blei gedeckter Bogen schließt die Fassadehalbrund ab, bevor das Gemäuer auf den geringeren Durchmesser des Kuppelquadrats zu-rückspringt.

Abb. 35. St. Benoît, N-Schiff nach W: W-Tür Abb. 36. St. Benoît, S-Schiff nach O: SO-Kapelle

45 Im Juli 2008 wurde die N-Fassade neu verputzt und zuvor der alte Putz abgeschlagen, wobei das Hohlziegel-mauerwerk ans Licht kam.

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Die O-Wand ist im Gegensatz zur S-Wand vollständig aus unregelmäßigen Bruchsteinenaufgemauert (Abb. 43). Lediglich der halbrunde obere Abschluß besteht wie auf der S-Seiteaus einem abgesetzten Hausteinbogen mit Sägezahnfries und Bleidach. Auf diesen Bögenruht ein quadratischer Bruchsteinsockel, über dem sich als filigraner oberer Abschluß der ok-togonale Ziegel-Tambour erhebt. In jede Oktogonseite ist eine Fensternische mit rundem Bo-gen und gestufter Laibung eingeschnitten, aber nur die Hauptachsen sind auch tatsächlichdurchlichtet, die Diagonalen hingegen blind. Als Bekrönung dient ein halbkugelförmiges

Abb. 37. St. Benoît, Querschnitt QQ durch NO-Kapelle, Altarraum und SO-Kapelle

Abb. 38. NO-Kapelle nach O Abb. 39. SO-Kapelle nach O

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Bleidach, dessen markante Trauflinie samt Sägezahnfries der Kontur der Fensterbögen folgtund zwischen ihnen bis auf die Kämpferpunkte herabgeführt ist.

3.1.5 NO-Annex

Eine schmale und niedrige Tür in der O-Wand der Anna-Kapelle (Abb. 37) führt in einenöstlich anschließenden Annex, der als Sakristei dient. Es handelt sich um einen längsrecht-eckigen Raum, der im Süden bis in den Bereich östlich des Altarraums reicht (Abb. 7). Erwird durch je ein hoch gelegenes, rechteckiges Fenster in der N- und S-Wand belichtet und

Abb. 40. SO-Kapelle, S-Wand von S

Abb. 42. SO-Kapelle, Tambour von S

Abb. 41. SO-Kapelle, Tambourkuppel nach SO

Abb. 43. SO-Kapelle und Altarraum von SO

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von einer Spitztonne überfangen (Abb. 44–46). Ein Gurtbogen teilt das Gewölbe in einen grö-ßeren nördlichen und einen kleineren südlichen Abschnitt, weil er nicht in der Mitte, sondernso gelegen ist, daß er mit dem westlich anschließenden nördlichen Gurtbogen des Altarraumskor respondiert.

Die steinsichtig belassene N-Fassade läßt erkennen, daß die Bauweise derjenigen des S-Schiffs gleicht (Abb. 44): Das Mauerwerk besteht im Wechsel aus einer Lage Hausteinen undzwei Lagen dünner Ziegel. Das Fenster hat einen steinernen Rahmen und darüber einen esels-rückenförmigen Entlastungsbogen, der von vorstehenden Konturziegeln überfangen wird.Hinter einer geschwungenen Firstlinie verbirgt sich ein Satteldach (Abb. 1).

Abb. 44. NO-Annex, NO-Kapelle und N-Schiff von NO

Abb. 45. NO-Annex von S Abb. 46. NO-Annex nach S

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3.2 Untergeschoß

3.2.1 Freitreppe und Loggia

Das Untergeschoß der Freitreppe enthält zwei Räume, einen westlichen und einen öst-lichen. Der westliche ist von Süden durch eine niedrige Tür zu betreten und zusammen mitdem unteren Teil der Treppe neu aus modernen Hohlziegeln aufgesetzt (Abb. 47)46. Seine

46 Die Ziegel sind im unverputzten Inneren zu sehen. 2010 wurde die Freitreppe renoviert. Der hier beschriebeneZustand ist jedoch noch der ältere aus der Zeit vor der Renovierung.

Abb. 47. St. Benoît, Freitreppe, Untergeschoß von S Abb. 48. Freitreppe, östlicher Untergeschoßraum nach O: SW-Ecke

des Glockenturms

Abb. 49. Loggia-Untergeschoß nach N: Treppensockel

Abb. 50. Loggia-Untergeschoß, mittleres und NO-Joch nach N

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Decke wird von den Treppenstufen gebildet, die ihn wie Steinbalken überbrücken. Der östli-che Teil des Treppensockels besteht aus Bruchsteinmauerwerk und reicht bis unter das NW-Joch der Loggia, wo es eine zweite, niedrige S-Tür gibt (Abb. 49). Der Untergeschoßraumwird von einer nach Osten zu ansteigenden Halbtonne überfangen (Abb. 48), die sich an dersüdlichen Außenwand abzeichnet (Abb. 33). Zwischen Tür und Gewölbe bleibt Platz für einkleines Fenster, das auf allen vier Seiten von je einem großen Quaderstein gerahmt wird(Abb. 49).

Das Untergeschoß der Freitreppe ist durchweg breiter als die Treppenstufen darüber. In-folgedessen gibt es einen Versprung, der horizontal geführt ist und stufenweise ansteigt, je-doch mit geringerer Steigung als die Treppenstufen (Abb. 47). Er könnte von einer breiterenund flacheren Treppe herrühren und auch erklären, warum sich der alte Treppensockel bisunter das nordwestliche Loggia-Joch fortsetzt, obwohl die Treppe bereits vor dem historisti-schen Schulportal endet. Eine flachere Treppe muß länger gewesen sein, um trotz ihrer ge-ringeren Steigung das Niveau des Hauptgeschosses zu erreichen.

An der N-Wand des östlichen Raums unter Treppe und Loggia zeichnet sich eine deutli-che Baufuge zwischen der SW-Ecke des Glockenturms im Osten und der S-Wand des Klo-ster- und Schulgebäudes im Westen ab (Abb. 48). Das Untergeschoß des Glockenturms be-steht aus verhältnismäßig großen und unregelmäßigen Bruchsteinen, die kürzlich mitziegelrotem Mörtel neu verfugt wurden. So zeichnet es sich auch an der N-Wand des nord-östlichen Untergeschoßjochs der Loggia ab (Abb. 50).

Abb. 51. Loggia-Untergeschoß, SO-Joch nach O: Tür zum Korridor

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Abgesehen von dem Unterbau der Treppe und einem daraus resultierenden Tonnengewölbeüber dem nordöstlichen Joch gleicht das Untergeschoß der Loggia weitgehend ihrem Ober-geschoß. Unterschiede betreffen die größere Höhe und Stärke der Säulen und einen Verzichtauf Säulen vor der O-Wand, wo das Kreuzgratgewölbe über einfachen Kämpfersteinen un-mittelbar auf der Mauer aufliegt (Abb. 50. 51). Nach Westen zu ist das Untergeschoß über ei-ner niedrigen Sockelmauer modern verglast worden. Die S-Seite wird bis in halbe Höhe durcheinen niedrigeren Anbau verschlossen, der die Kette der Ladenlokale an der Kemeraltı Cad-desi nach Westen fortsetzt (Abb. 1).

Die Marmorsäulen bestehen wie im Obergeschoß aus gestückelten Spolien, darunter eineattische Basis und zwei Bossenbasen byzantinischer Zeit, die als Basen bzw. Kapitell der bei-den westlichen und der Mittelsäule dienen (Abb. 52. 53 links)47. Bei der Basis der viertenSäule könnte es sich um ein schmuckloses byzantinisches Kämpferkapitell handeln (Abb. 53rechts)48.

Die O-Wand besteht im Bereich der beiden nördlichen Joche aus regelmäßigen Bruch-steinlagen (Abb. 50). Nur in der unteren Hälfte des Bogenfelds im Mitteljoch werden sie durcheine dicke Ziegelschicht abgelöst (Abb. 10). Außerdem fassen radial gestellte Ziegel einenzentralen Oculus ein, der in der Mitte zwischen den beiden nördlichen Jochen an hochgele-gener Stelle unterhalb des Gewölbekämpfers gelegen ist.

Die O-Wand des südlichen Jochs enthält eine Tür in einen östlich anschließenden Korri-dor (Abb. 51). Die Tür hat eine moderne steinerne Laibung. Ein Entlastungsbogen darüber,das Bogenfeld sowie die Zwickelfelder seitlich oberhalb des Bogens bestehen ebenfalls ausZiegeln. Der obere Wandabschnitt ist dagegen aus Bruchsteinen aufgemauert worden. Er spartein rechteckiges Fenster mit einer schmalen, ebenfalls modernen Laibung aus. Die Mauer-stärke ist gering, wird jedoch auf Höhe des Gewölbes von einem breiten Ziegelbogen über-fangen, der auf der O-Seite im Inneren des Korridors übersteht (Abb. 54). Der Bogen und diegesamte O-Wand des südöstlichen Loggia-Jochs laufen im Norden mit einer Baunaht gegendie anschließende Wandpartie an.

3.2.2 Glockenturm

Das Untergeschoß des Glockenturms ist nicht zugänglich. Im Westen und Norden gren-zen Räume an, die von der Schule genutzt werden und modern verputzt sind. Im Osten liegt

47 Vgl. o. Anm. 44.48 Vgl. Dennert a. O. (Anm. 38) 35 f. Kat. 55 Taf. 11.

Abb. 52. Loggia-Untergeschoß,Mittelsäule, Kapitell:

byzantinische Bossenbasis

Abb. 53. Loggia-Untergeschoß, SW- und mittlere S-Säule, Basen: byzantinische Spolien

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das unzugängliche Untergeschoß des Mittelschiffs der Basilika (Abb. 6). Lediglich auf derS-Seite, wo der Glockenturm die N-Wand der Loggia bzw. des zur Freitreppe gehörigen Sub-struktionsraums bildet, ist das Mauerwerk zu sehen und besteht aus verhältnismäßig großenund unregelmäßigen Bruchsteinen, die kürzlich mit ziegelrotem Mörtel neu verfugt wurden(Abb. 49. 50).

3.2.3 Basilika

Das Untergeschoß der Basilika stellt sich komplizierter dar als das Hauptgeschoß, denn esschließt Substruktionen eines älteren Vorgängerbaus mit einer anderen Raumaufteilung ein.Bei den älteren Substruktionen handelt es sich um zwei quadratische Kuppeljoche im Ostender beiden nördlichen Loggia-Joche (Abb. 6).

Die lange gemeinsame S-Wand der beiden Kuppeljoche verläuft unter dem S-Schiff und istvon einem Korridor aus zu sehen, der östlich an das südliche Loggia-Joch anschließt (Abb. 55).Die S-Wand der beiden Kuppeljoche ist überwiegend aus Bruchsteinlagen errichtet, die in grö-ßeren, unregelmäßigen Abständen mit doppelten Ziegellagen abwechseln. Dieses horizontaleSchichtmauerwerk wird durch zwei weite Entlastungsbögen aus radial angeordneten Ziegelnunterbrochen. Unter den spitzigen Bogenscheiteln liegen jeweils in der Jochmitte übereinan-der eine niedrige Tür und ein vergittertes Fenster mit steinernen Laibungen.

Im Inneren erweist sich, daß die Entlastungsbögen der S-Wand durchgängig sind, sich anden anderen Wänden wiederholen und Hängekuppeln aus kreisförmig angeordneten Ziegelntragen (Abb. 59). Der Ziegelbogen zwischen den Kuppeln steht frei, und die weite Bogen-öffnung darunter verbindet die beiden quadratischen Joche zu einem rechteckigen Längs-raum. Dessen südliches Drittel wird durch zwei weitere Ziegelbögen abgeteilt, die jeweilseine Kuppel unterfangen und in der Mitte auf demselben Pfeiler zusammentreffen (Abb. 58).Diese Bögen und ihr Mittelpfeiler gehören offensichtlich nicht ursprünglich zu den Hänge-kuppeln, sondern korrespondieren mit der S-Arkade der Basilika darüber (vgl. Abb. 6. 7). Siewerden bei deren Bau eingezogen worden sein, um das Gewicht der exzentrisch auf den bei-den Kuppeln aufsitzenden Arkade zu tragen.

Der Bereich nördlich des jüngeren Mittelpfeilers wird vollständig von fest installierten Os-suarien eingenommen. Sie lassen nur einen schmalen Gang entlang der S-Wand der beidenKuppeljoche frei, wo sich ihre mit Marmorplatten verschlossenen Öffnungen befinden(Abb. 58). Entlang der S-Wand sowie an beiden Enden des Gangs vor der W- und O-Wandsind außerdem hölzerne Knochenkisten gestapelt.

Der Korridor südlich der beiden Kuppeljoche unter dem südlichen Teil des S-Schiffs istvon Westen durch die Tür im südöstlichen Untergeschoß-Joch der Loggia zu betreten(Abb. 54). Die Tür und das darübergelegene Fenster sitzen in einer dünnen Vorhangwand, dievon einem breiten Ziegelbogen überfangen wird. Der südliche Bogenfuß ruht auf einemWandpfeiler aus großen Quadern im Wechsel mit zwei bis vier Lagen dünner Ziegel.

Südlich dieses Wandpfeilers schließt ein weiterer Wandabschnitt an, um den das S-Schiffbzw. der daruntergelegene Korridor weiter nach Süden reichen als die Loggia. Bei diesemWandabschnitt, der S-Wand des Korridors sowie dem südlich der SO-Kapelle gelegenen Ab-schnitt seiner O-Wand (Abb. 56), handelt es sich um eine einzige, im Verband errichteteMauer, die nach oben hin auch bruchlos in die S-Wand des S-Schiffs übergeht (Abb. 11). Dasregelmäßige Schichtmauerwerk besteht aus Hausteinen im Wechsel mit zwei Lagen Ziegeln.An den Ecken ist es durch größere Quader verstärkt, was zu Versprüngen und im Ausgleichzu bis zu vier Ziegellagen führen kann.

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Abb. 54. St. Benoît, Basilika-Untergeschoß,Korridor nach W: Tür zur Loggia

Abb. 55. Basilika-Untergeschoß, Korridor nach O

Abb. 56. Basilika-Untergeschoß, Korridor nach O: SO-Kapelle

Abb. 57. Basilika-Untergeschoß, Korridor nach N: SO-Ecke der

Kuppeljoche

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Die S-Wand des Korridors enthält zwei Fenster, von denen das westliche in der Achse deswestlichen S-Schiff-Fensters liegt, das östliche hingegen zwischen den beiden östlichen S-Schiff-Fenstern (Abb. 30). Die Fenster haben rechteckige Laibungen aus Stein und darüber ei-nen eselsrückenförmigen Entlastungsbogen mit vorstehenden Konturziegeln. Die Decke desKorridors ist flach und besteht aus Holz (Abb. 54. 55). Der Fußboden ist im östlichen Drittelum rund eineinhalb Meter in den vorspringenden Fundamentbereich der S-Wand abgetieft(Abb. 56). Eine rezent zugesetzte Türöffnung verband den abgetieften Bereich mit dem süd-lich benachbarten Ladenlokal an der Kemeraltı Caddesi. Wahrscheinlich hatte man abgetieftund die heute wieder vermauerte Tür eingebrochen, um das östliche Korridorende als rück -wärtige Erweiterung des Ladenlokals benutzen zu können.

Im Osten endet der Korridor am Untergeschoß der SO-Kapelle bzw. an dessen Funda-mentsockel, dessen Mauerwerk eine dunklere Färbung hat (Abb. 56). Am O-Ende der Korri-dor-Nordwand klafft eine Lücke, weil die beiden älteren Kuppeljoche nicht bis an das Unter-geschoß der SO-Kapelle heranreichen (Abb. 57). Die Lücke wird zuunterst durch eine runddrei Meter hohe Sockelmauer geschlossen, welche die nordöstliche Korridorecke schräg ab-schneidet. Die Mauer besteht aus Bruchsteinen, ist zuoberst durch eine Lage Ziegel abge-deckt und schließt jeweils mit einer Baunaht an die SO-Ecke der beiden Kuppeljoche sowiean die südliche Laibung einer vermauerten Bogenöffnung im Untergeschoß der SO-Kapellean. Die Mauer ist massiv und/oder der Zwickelraum dahinter verfüllt. Wahrscheinlich wurdesie im Zusammenhang mit der Abtiefung des östlichen Korridorendes errichtet, um den un-befestigten Fundamentbereich zwischen den beiden Kuppeljochen und dem Untergeschoßder SO-Kapelle abzustützen.

Abb. 58. St. Benoît, Basilika-Unter geschoß,Kuppeljoche, Gang nach W

Abb. 59. St. Benoît, Basilika-Unter-geschoß, W-Kuppeljoch, Pendantiv-

kuppel südlich des Entlastungs bogens

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Über der Sockelmauer steht die Lücke zwischen den beiden Kuppeljochen und dem Kapellen-Untergeschoß offen und bildet eine unregelmäßige Nische mit einer schrägen Rück -wand. Bei letzterer handelt es sich um zwei Strebebögen übereinander, die von der O-Wandder beiden Kuppeljoche aufsteigend gegen die NO-Ecke des Kapellen-Untergeschosses an-laufen. Die Strebebögen bestehen aus Ziegeln, und die Zwickelfelder dazwischen und dar übersind mit Bruchsteinen zugesetzt.

Der verbleibende Teil der Substruktionen nördlich der beiden Kuppeljoche und östlich desGlockenturms sowie unter dem Altarraum ist unzugänglich (Abb. 6). Unter dem Flur nörd-lich des Glockenturms, dem N-Schiff und der Anna-Kapelle liegen drei unregelmäßig be-grenzte, niedrige Räume (Abb. 37). Ihre geringe Höhe geht auf ein hohes Bodenniveau zu-rück, das nur wenig unter dem des nördlich benachbarten Hofs liegt und sich aus Hanglageund Gefälle ergeben dürfte. Die Räume haben jeweils eine Hoftür, werden von der Schulegenutzt und sind innen und außen vollständig modern verputzt (Abb. 44).

3.2.4 SO-Kapelle

Das Untergeschoß der SO-Kapelle besteht vollständig aus Bruchsteinmauerwerk. Auf dreiSeiten, im Westen, Norden und Süden, sind Bogenöffnungen angelegt. Die westliche und dienördliche sind heute mit Ziegelmauerwerk zugesetzt (Abb. 6). Die westliche Bogenöffnungkönnte auch nach dem Bau der beiden Kuppeljoche zunächst passierbar geblieben sein, ihrenördliche Hälfte ist seitdem jedoch verstellt (Abb. 56). Das deutet darauf hin, daß das Ka-pellen-Untergeschoß mit der Bogenöffnung ursprünglich ohne die beiden Kuppeljoche kon-zipiert worden war und älter ist. Infolgedessen muß es auch älter sein als die später über denKuppeljochen errichtete Basilika.

Die südliche Bogenöffnung des Kapellen-Untergeschosses ist heute durch einen niedrigenAnbau in der östlichen Verlängerung der Ladenzeile an der Kemeraltı Caddesi bis zum Bo-genansatz verstellt (Abb. 1). Auf diesem Niveau ist eine flache Betondecke eingezogen, undder daruntergelegene Teil des Untergeschosses und der Anbau haben die gleiche Höhe. Überder Betondecke verbleibt der Bereich des Bogenfeldes als ein niedriges Zwischengeschoß,das von Süden aus über das Flachdach des Anbaus hinweg zu betreten ist und belichtet wird(Abb. 43). Zu diesem Zweck hat das ursprünglich halbrunde Bogenfeld eine neue Betonlai-bung erhalten, die im Scheitel spitz zuläuft.

3.2.5 NO-Annex

Der NO-Annex weist im Untergeschoß die gleiche Raumaufteilung und das gleiche Mau-erwerk auf wie darüber (vgl. Abb. 6. 7). An dem steinsichtig belassenen Abschnitt der N-Fas-sade ist allerdings zu erkennen, daß offenbar eher größere Steine verwendet wurden (Abb. 44).Dort scheint ursprünglich auch ein Fenster in derselben Achse und von der gleichen Art be-standen zu haben wie im Hauptgeschoß darüber, nämlich mit einem eselsrückenförmigenEntlastungsbogen und vorstehenden Konturziegeln. Die Fensteröffnung darunter wurde aller-dings später verbreitert und dieser Bereich der Fassade neu verputzt.

Im Vergleich mit den westlich benachbarten Substruktionen von N-Schiff und Anna-Ka-pelle fällt auf, daß das Bodenniveau im Untergeschoß des NO-Annex niedriger liegt, was zueiner entsprechend größeren Raumhöhe führt.

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4 BAUGESCHICHTE.HISTORISCHE BAUBESCHREIBUNGEN, BILDER UND PLÄNE

Die Quellen zur Baugeschichte von St. Benoît fließen spärlich und beschränken sich aufvier Bauinschriften, sporadische Erwähnungen, die meisten in Briefen und Reiseberichtendes 17. und 18. Jhs., sowie seltene Abbildungen. Kaum eine Information reicht vor das 17. Jh.zurück. Der Ursprungsbau muß deshalb in einem Annäherungsverfahren erschlossen wer-den, bei dem zunächst diverse Eingriffe des 20. Jhs. sowie Erneuerungen auszuschließen sind,die 1732, 1697 und 1687 jeweils auf eine Brandzerstörung folgten. Die ältere Bausubstanz ausder Zeit vor 1686, die entweder heute noch erhalten ist oder während des 17. Jhs. beschrie-ben wurde, scheint dagegen auf den Ursprungsbau zurückzugehen. Er war griechisch-ortho-dox, demnach älter als die benediktinische Gründung von 1427, und ist möglicherweise miteiner 1402 erwähnten byzantinischen Marienkirche identisch.

4.1 Nach 1996. Bauaufnahme. Restaurierung und Neuverfugung

1996 waren bei einem Erdbeben Risse im Tonnengewölbe des Mittelschiffs entstanden undinfolgedessen eine Restaurierung veranlaßt worden49. Im Zuge dieser Restaurierung wurdendie steinsichtigen Innenräume der Loggia sowie unter dem S-Schiff neu verfugt. Das Innereder Kirche war bereits 1985 durch Oktay Anilanmert neu ausgemalt worden.

4.2 1958. Abriß des Hoftors. Einbau der Ladenlokale

1958 wurde die Kemeraltı Caddesi südlich unterhalb von St. Benoît verbreitert, um dem zu-nehmenden Verkehr entlang dem Bosporus gerecht zu werden. Zu diesem Zweck beschnittman den Vorhof von St. Benoît, riß das alte Hoftor ab und setzte das neue so weit nach Nor-den zurück, daß es nun etwa in der Flucht des S-Schiffs liegt. Ein ehemals innerhalb der Hof-begrenzung gelegener Streifen südlich des S-Schiffs (Abb. 63) wird seitdem vom Bürgersteigbzw. von neu errichteten Ladenlokalen eingenommen, die sich direkt auf die Kemeraltı Cad-desi öffnen (Abb. 1).

Der Hof beschränkt sich seit 1958 auf den Bereich westlich der Loggia und ist von derStraße nur mehr durch ein Gitter abgeteilt. Früher war St. Benoît dagegen von einer Mauerumgeben (Abb. 65), und das Hoftor war aufwendig als Propylon gestaltet. Es wurde in der er-sten Hälfte des 20. Jhs. verschiedentlich photographiert, gezeichnet und beschrieben(Abb. 60–62)50, ist um 1905 im Goadschen Feuerversicherungsplan (Abb. 63), 1794 auf demStich von De Carbognano (Abb. 2), und nach 1686 (s. u.) im Kahlili Portolan Atlas verzeichnet(Abb. 74).

Die Bauaufnahme von Gurlitt läßt erkennen, daß das Tor hinter die Mauerflucht zurück -sprang und der dadurch gewonnene Vorraum von einem Bogen überfangen wurde (Abb. 62).Der leicht gespitzte Bogen fußt zu jeder Seite des Tors auf einem Säulenpaar und trägt an sei-ner Stirnseite keramoplastischen Dekor. Die auf die Außenfassade beschränkte Aufnahme

49 s. o. Anm. 22.50 Beylié 1903, Taf. 11; Gottwald a. O. (Anm. 7) 50; Gurlitt 1912, 42 Taf. 62; Sauvaget 1934, 260 f. Taf. 28 Abb. 4.

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von Gurlitt ergänzend berichtet Sauvaget, daß sich das gleiche Arrangement mit dem glei-chen Dekor, aber mit Pfeilern an Stelle von Säulen, auf der Innenseite wiederholte:

»La face intérieure du portail reproduit la même décor, si ce n’est que les colonnettes ysont remplacées par des piédroits«51.

Der Goadsche Feuerversicherungsplan gibt zwar den äußeren, säulengetragenen Vorraumwieder, stellt die Innenfassade aber flach dar (Abb. 63). Vielleicht handelte es sich bei denvon Sauvaget beschriebenen Pfeilern auf der Innenseite des Tors also lediglich um Pilasteroder Wandvorlagen. Der darüberliegende Bogen könnte dennoch den gleichen Dekor getra-gen haben wie an der Außenfassade.

Sauvaget beschreibt den keramoplastischen Dekor mit den gleichen Worten wie denjeni-gen des Glockenturms als »pointes de diamant«52. Es wird sich also um die gleichen fries-förmig angeordneten Krugmünder gehandelt haben. Darüber hinaus stimmen Tor und Turmin der Verwendung von frühbyzantinischen Spolien überein: Gurlitt und Sauvaget weisen dasmarmorne Türgewände (Abb. 62) mit weit ausladender Supraporte übereinstimmend dem6. Jh. bzw. der byzantinischen Epoche zu53. Die Supraporte scheint ungewöhnlich viel längergewesen zu sein als das Türgewände breit und stammt deshalb wahrscheinlich aus einem an-deren Zusammenhang.

Für die beiden westlichen Säulen wurden umgekehrte Kämpferkapitelle als Basen ver-wendet. Das westlichere ist mit einem Kreuz dekoriert (Abb. 62), das andere war der Be-schreibung von Gurlitt zufolge vom ionischen Typ54. Die beiden östlichen Säulen weisen at-tische Basen auf55, die östliche mit einem angearbeiteten, oktogonalen Postament (Abb. 62).Letzteres kam in frühbyzantinischer Zeit häufiger vor und kann wohl auch deshalb als nach-

51 Sauvaget 1934, 261.52 Sauvaget 1934, 261.53 Gurlitt 1912, 42; Sauvaget 1934, 261. Zu byzantinischen Türgewänden vgl. z. B. W. Salzenberg, Alt-christliche

Baudenkmale von Constantinopel vom 5. bis 12. Jahrhundert (Berlin 1854–1855; Reprint Leipzig 2001) Abb. 14.16; A. van Millingen, Byzantine Churches in Constantinople. Their History and Architecture (London 1912; Re-print 1974) 18 f. (Studios-Kirche); 99 (Chora-Kloster); R. Demangel – E. Mamboury, Le quartier des Manganeset la première région de Constantinople, Recherches françaises en Turquie 2 (Paris 1939) 78 Abb. 84; A. M. Schnei-der, Die Grabung im Westhof der Sophienkirche zu Istanbul, IstForsch 12 (Berlin 1941) 16 Abb. 6; D. T. Rice, TheGreat Palace of the Byzantine Emperors. Second Report (Edinburgh 1958) 187 f. Abb. 42. 43; T. Macridy, The Mo-nastery of Lips and the Burials of Palaeologi, DOP 18, 1964, 253–278, Abb. 14; E. Russo, La scultura a Efeso inetà paleocristiana e bizantina. Primi lineamenti, in: O. Kresten u. a. (Hrsg.), Efeso paleocristiana e bizantina –Frühchristliches und byzantinisches Ephesos, Archäologische Forschungen 3 = Denkschr Wien 282 (Wien 1999)26–53, 44 f. Taf. 19, 46 (Johanneskirche, ›Sekretonportal‹ des Baptisteriums); A. Thiel, Die Johanneskirche inEphesos. Spätantike – frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B. Studien und Per-spektiven 16 (Wiesbaden 2005) Taf. 32, 96 (›Sekretonportal‹ des Baptisteriums); E. Barsanti, La scultura medio-bizantina fra tradizione e innovazione, in: F. Conca – G. Ficcadori (Hrsg.), Bisanzio nell’età die Macedoni. Formedella produzione letteraria e artistica, Quaderni di Acme 87 (Mailand 2007) 5–49, 24 f. Abb. 16 (Supraporte derTheotokoskirche des Konstantin Lips-Klosters in Konstantinopel); A. Ozügül, The Doorframes in Late AntiquePeriod Buildings in Istanbul and its Hinterland, in: D. Burcu Erciyas (Hrsg.), Marmara Studies Symposium Pro-ceedings, Settlement Archaeology Series 2 (Istanbul 2008) 105–114.

54 Gurlitt 1912, 42. Zu diesen Kapitelltypen, die erst in byzantinischer Zeit aufkamen, s. zusammenfassend RAC XX(2004) 103–111 s. v. Das ionische Kämpferkapitell. Kämpferkapitell (U. Peschlow) (Literatur).

55 Gurlitt 1912, Taf. 62, gibt die ionischen Basen sowohl in der Ansicht als auch in der Aufsicht wieder. Sauvaget1934, 61, schreibt allerdings von drei Kapitellen, die als Basen dienten, was hieße, auch bei der zweiten Basisvon Osten müßte es sich entgegen Gurlitts Darstellung um ein verkehrt herum wiederverwendetes Kapitell han-deln.

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Abb. 60. St. Benoît, Hoftor von SW (Beylié 1903)

Abb. 61. St. Benoît, Hoftor von SO (Sauvaget 1934)

Abb. 62. St. Benoît, Hoftor, S-Ansicht, Plan und Profile der Laibung sowie der attischen Basis der zweiten Säule von O (Gurlitt 1912)

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antik gelten, weil es sich nach Sauvaget um eine grobe Arbeit handelte56. Die Säulenkapi-telle waren alle vier vom korinthischen Typ. Einzig das zweite von Osten ist auf der Photo-graphie von Sauvaget deutlich genug zu erkennen, um es als frühbyzantinisches ›Leier-Ka-pitell‹ zu identifizieren (Abb. 61)57.

4.3 1929. Restaurierung von Glockenturm und Loggia. Neubau des N-Schiffs. Romanisierung der S-Schiff-Fenster. Abriß der polygonalen Kapellenapsis.

Vermauerung der W-Tür des S-Schiffs. Umbau der Freitreppe

Vor 1996 war die Kirche zuletzt 1929 einer tiefgreifenden Renovierung unterzogen undaus diesem Anlaß die jüngste Bauinschrift angefertigt worden, die heute im südöstlichen Bo-genfeld der Loggia angebracht ist (Abb. 64)58:

56 Sauvaget 1934, 261, der das Postament infolgedessen allerdings für eine genuesische Arbeit hält. Zur Verwendungvon oktogonalen Postamenten in byzantinischer Zeit vgl. U. Peschlow – A. Peschlow-Bindokat, Die SammlungTuran Beler in Kumbaba bei Sile. Antike und byzantinische Denkmäler von der bithynischen Schwarzmeerküste,IstMitt 27/28, 1977/78, 309–362, 330 (Literatur); P. Niewöhner, Aizanoi, Dokimion und Anatolien. Stadt undLand, Siedlungs- und Steinmetzwesen vom späteren 4. bis ins 6. Jh. n. Chr., Aizanoi 1 = AF 23 (Wiesbaden 2007)172 Anm. 917 (Literatur) Kat. 2. 5. 10. 28. 29. 32.

57 Sauvaget 1934, Taf. 30, 1. Zu ›Leier-Kapitellen‹ s. grundlegend R. Kautzsch, Kapitellstudien. Beiträge zu einerGeschichte des spätantiken Kapitells im Osten vom 4. bis ins 7. Jh., Studien zur spätantiken Kunstgeschichte 9(Berlin Leipzig 1936) 59 f. sowie die jüngere Literatur zusammenfassend RAC XX (2004) 94 s. v. Der großge-zackte Akanthus (U. Peschlow).

58 Hier ist der genaue Wortlaut der Inschrift wiedergegeben. Abweichend Biskupski 1959, 102.

Abb. 63. Goadscher Feuerversicherungsplan (1904–1906; Pfeil: Hoftor)

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S. V. | EVANGELIZARE PAUPERIBUS MISIT ME | † | PRESBYTERIS CONGREGA-TIONIS MISSIONIS | DOMUM SANCTI BENEDICTI RECENTIBUS. | TURRI INFORMAM PRISTINAM RESTITUTA | PROSTYLO IMPEDIMENTIS EXPURCATO. |SSMI CORDIS JESU SACELLO FUNDITUS | AD ALAS AEQUANDAS REFECTO AE-DES SACRA RENOVATA EST. | ANNO DOMINI MCMXXIX

Das Ergebnis dieser Renovierung entsprach im Wesentlichen dem heutigen Kirchenbau, dasbezeugt die Publikation Sauvagets von 1934. Seine Photographie zeigt Glockenturm und Log-gia bereits annähernd im heutigen Zustand (Abb. 65). Die älteren Aufnahmen von Beylié(Abb. 66) und Gurlitt (Abb. 67. 68) aus der Zeit um 1900 geben den Glockenturm hingegennoch mit vermauerten Schallöffnungen, Dachgeschoß und Pyramidendach wieder. Letzterewaren offenbar im 19. Jh. aufgesetzt worden, denn der Stich von De Carbognano aus dem spä-ten 18. Jh. zeigt den Glockenturm wie heute ohne Dachgeschoß und Pyramidendach (Abb. 2).Die Schallöffnungen waren hingegen auch zu De Carbognanos Zeiten bereits vermauert.

Ähnliches gilt für die Loggia: Auch sie war um 1900 durch einen Einbau entstellt, der ihrevier südlichen Joche zu einem westlichen Annexraum des S-Schiffs machte (Abb. 66. 68).Dabei handelte es sich gleichfalls um eine Zutat des 19. Jhs., denn De Carbognano gibt dieLoggia wie heute ohne Einbau wieder (Abb. 2).

Das Untergeschoß des Glockenturms, der SO-Kapelle sowie von Teilen der Basilika sindmindestens seit einem halben Jahrhundert unzugänglich. Daran erinnert sich der ArchitektI. U. Badur, der in St. Benoît zur Schule gegangen ist, dort 1964 die Reifeprüfung abgelegt undspäter auch gearbeitet hat, unter anderem als Leiter der Restaurierungsarbeiten nach dem Erd-beben von 199659. Die Kellerräume müssen demnach während der ersten Hälfte des 20. Jhs.

59 s. o. Anm. 22.

Abb. 64. St. Benoît, Loggia, SO-Joch, Bauinschrift im O-Bogenfeld (vgl. Abb. 17)

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vermauert worden sein. Das könnte anläßlich der Renovierung von 1929 geschehen sein. Da-vor scheint Gurlitt zumindest das Untergeschoß des Glockenturms noch gesehen zu haben,denn er verzeichnet es in seinem 1912 erschienen Schnitt mit einem Gewölbe (Abb. 68).

Auch die im Vergleich zu den übrigen Mauern merkwürdig geringe Stärke der Kirchen-nordwand (Abb. 7) geht offenbar auf die Renovierung von 1929 zurück. Die älteren Plänezeigen noch eine größere Mauerstärke und eine andere Verteilung der Fenster (Abb. 68. 69).Außerdem heißt es bei Gurlitt, das N-Schiff sei »nur mit einer Muldendecke in Holz … über-deckt«60, während es heute von einer Tonne bzw. die Anna-Kapelle an ihrem östlichen Endevon einer Kuppel überfangen wird. Auch wenn die Kuppel 1929 kaum »en une nuit« errich-tet worden sein dürfte, wie Biskupski dramatisierend formuliert61, ist damals offenbar dasgesamte N-Schiff einschließlich seiner Gewölbe neu entstanden. Das gleiche gilt für die Wen-deltreppe, über die man heute auf die Empore im Zwischengeschoß des Glockenturms ge-langt (Abb. 7–9).

Die Fenster des S-Schiffs hatten Anfang des 20. Jhs. noch gerade Stürze (Abb. 66. 67) undwerden so auch bereits 1794 von De Carbognano wiedergegeben (Abb. 2). Zusammen mitden eselsrückenförmigen Entlastungsbögen darüber erweckte das einen osmanischen Ein-druck und ging wahrscheinlich auf türkische Bauleute zurück62. Inzwischen sind die steiner-nen Stürze jedoch herausgebrochen und durch Rundbögen ersetzt worden. Sicherlich war damit eine Romanisierung sowohl der Fassade als auch des Innenraums intendiert. Wahr -scheinlich geschah das ebenfalls 1929 zusammen mit dem Neubau des N-Schiffs, das damalsvon vornherein mit Rundbogenfenstern versehen wurde.

Die Obergadenfenster scheinen schon vor einem Jahrhundert die heutige Form von gro-ßen Thermenfenstern gehabt zu haben. Darin stimmen die Photographie von Beylié und derLängsschnitt von Gurlitt überein (Abb. 66. 68). De Carbognano gibt diesen Zustand bereits1794 wieder (Abb. 2). Darüber, daß die Thermenfenster einmal in mehrere kleinere Rundbo-genfenster unterteilt gewesen wären, wie Gurlitt das in seiner zeichnerischen Restaurierungannimmt (Abb. 67), ist nichts bekannt.

Vergleicht man den Plan von Gurlitt (Abb. 68) mit dem heutigen Zustand von St. Benoît(Abb. 7), wird klar, daß auch der gerade O-Abschluß der SO-Kapelle jüngeren Datums seinmuß. Schon bei der Baubeschreibung ist aufgefallen, daß die O-Wand der SO-Kapelle ausminderwertigem Bruchsteinmauerwerk besteht (Abb. 43), während an der S-Wand feine Qua-dersteine verwendet sind (Abb. 42). Das minderwertige Bruchsteinmauerwerk geht offenbarauf einen rezenten Umbau zurück, bei dem die polygonale Apsis der Kapelle abgerissen unddurch eine gerade Wand ersetzt wurde. Das mag ebenfalls bereits 1929 geschehen sein. Zwarist die Apsis in dem von Sauvaget 1934 publizierten Grundriß noch verzeichnet (Abb. 69),aber das muß nichts heißen, denn Sauvaget reproduziert im wesentlichen den älteren Planvon Gurlitt (Abb. 68) und hat z. B. auch das 1929 neu errichtete Gewölbe des N-Schiffs nichteingetragen.

Gleiches gilt für die Tür, die Gurlitt und Sauvaget im Westen des S-Schiffs wiedergeben.Sie stellte eine Verbindung zum mittleren Joch der Loggia her und kann die Position der Bau-inschrift von 1732 in dessen Bogenfeld erklären. Bei der heute geschlossenen Schildwanddarunter handelt es sich um die vermauerte Türöffnung (Abb. 12). Deshalb weichen die Stein-

60 Gurlitt 1912, 42. Vgl. auch die N-Ansicht bei Gottwald a. O. (Anm. 7) 52.61 Biskupski 1959, 102.62 Vgl. u. Anm. 149. 150.

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Abb. 65. St. Benoît, Loggia und Glockenturm von S (Sauvaget 1934)

Abb. 66. St. Benoît, Glockenturm von SO (Beylié 1903)

Abb. 67. St. Benoît, Loggia und Glockenturm, S-Ansicht (Gurlitt 1912)

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Abb. 68. St. Benoît, Plan und Längsschnitt durch Glockenturm, Mittelschiff, Altarraum und NO-Annex (Gurlitt 1912)

Abb. 69. St. Benoît, Hauptgeschoß (Sauvaget 1934)

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lagen dort von denjenigen im südlichen Nachbarjoch ab. Während die Anbringung der Bau-inschrift im Bogenfeld einer leeren Schildwand nicht einleuchtet, ergab sie Sinn, als die Türdarunter noch bestand. Das Tympanon war nicht nur ein beliebter Platz für Bauinschriften,sondern spiegelte auch die Position der älteren Bauinschrift von 1687 über dem Hauptportalim nördlichen Nachbarjoch63.

Schließlich könnte auch die Freitreppe bereits 1929 umgebaut worden sein. Früher endetesie ausweislich der Bauaufnahme von Gurlitt (Abb. 67. 68) und der S-Ansicht von De Car-bognano (Abb. 2) am NW-Joch der Loggia. Das heute westlich davorgelegene Podest mit demPortal der Schule muß also jüngeren Datums sein (Abb. 1. 47). Auch in Sauvagets Plan ist esnoch nicht eingetragen (Abb. 69). Allerdings könnte das Podest damals schon bestanden undvon Sauvaget ebenso vernachlässigt worden sein wie andere Details der Renovierung von1929. Die ältere Treppe hatte jedenfalls eine geringere Steigung und wird über den breiterenRücksprüngen im Substruktionsgeschoß verlaufen sein.

4.4 Um 1900. Bau eines N-Schiffs

Im späten 19. Jh. beschreibt Belin die Lage des Glockenturms von St. Benoît »adossée sur l’avant, au flanc droit de l’église«64. Aus heutiger Sicht erscheint das verwunderlich, denn derGlockenturm steht vor dem Mittelschiff der Basilika und ist um die Breite des N-Schiffs von dernördlichen »Flanke der Kirche« getrennt (Abb. 7). Die Erklärung für Belins Formulierung istoffenbar darin zu suchen, daß das N-Schiff zu seiner Zeit noch nicht bestand. Das bestätigt DeCarbognano, der St. Benoît 1794 als zweischiffig beschreibt: »Essa è di forma quadrata, e con-tiene due navate, con cupole ricoperte di piombo«65. Folglich kann das N-Schiff erst im späten19. oder frühen 20. Jh. errichtet worden sein. Das zeigt auch das Istanbul-Panorama, das HenryAston Barker um 1800 vom Galata-Turm aus anfertigte66. Es enthält eine N-Ansicht von St. Be-noît, die einen zweischiffigen Kirchenbau mit den Kuppeln von Bema-Joch und SO-Kapellesowie den NO-Annex erkennen lässt (Abb. 70. 71). An der Stelle des späteren N-Schiffs liegtein zweigeschossiger Trakt mit zwei Reihen kleiner Fenster übereinander, die am ehesten zuMönchszellen gehört haben werden. Solche lagen bereits vor 1686 an dieser Stelle (s. u.).

Ein weiterer Unterschied zwischen der Darstellung von De Carbognano und dem heutigenKirchenbau betrifft die Fenster der SO-Kapelle, der Sakristei sowie des Korridors unter demS-Schiff. Auf dem Stich von 1794 sind in jedem Fall mehr Fenster angegeben als heute vor-handen (Abb. 2). Im Untergeschoß-Korridor verzeichnet De Carbognano drei Fenster, dieaxial an denjenigen im darübergelegenen S-Schiff ausgerichtet sind. Heute enthält der Kor-ridor jedoch nur zwei Fenster, und das östliche liegt nicht in der Achse eines Seitenschiff-Fensters, sondern versetzt (Abb. 29). Der Befund gibt jedoch keinen Anlaß, an der Origina-

63 Letztere lokalisieren schon Belin 1894, 261 f., und davor bereits De Carbognano 1794, 61, über dem Hauptpor-tal. Die jüngere Bauinschrift von 1732 befand sich Belin 1894, 268, zufolge »rechts« davon, also möglicherweisean derselben Stelle wie heute, während sie De Carbognano 1794, 61, »links« der älteren Inschrift lokalisiert.

64 Belin 1894, 431.65 De Carbognano 1794, 60.66 R. Schiffer, Oriental Panorama. British Travellers in 19th Century Turkey (Amsterdam 1999) 146. Die in Abb. 70.

71 wiedergegebenen Exemplare sind im Schiffahrtsmuseum von Istanbul-Besiktas ausgestellt. Vgl. das Istanbul-Panorama, das De Combes 1686 wohl ebenfalls vom Galata-Turm aus zeichnete und das den Glockenturm so-wie den großen nördlichen Klostergarten innerhalb der ehemaligen Zisterne erkennen läßt (Bibliothèque natio-nale de France, Inv. GE SH18E PF98BIS DIV7 P. 1): Le voyage à Constantinople du chavlier de Clairac.Archéo logie et architecture en Méditerrannée orientale (1724–1727) (Antibes 2009) 37 Abb. 20.

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lität der heutigen Situation zu zweifeln. Offenbar hat De Carbognano sie in seinem Stich be-schönigt, die ansonsten leere Wand durch ein weiteres Fenster zusätzlich belebt und einenAchsenbezug zwischen den Geschossen hergestellt.

Wahrscheinlich gilt das auch für die beiden Fensterpaare, die De Carbognano in den S-Wänden von SO-Kapelle und Sakristei eingetragen hat. Heute weist die Sakristei lediglich einS-Fenster auf, das mittig unter dem Scheitel des Tonnengewölbes liegt (Abb. 45). Ein ent-sprechendes Fenster in der N-Wand ist sicherlich original, denn an der steinsichtigen N-Fas-sade weist es den gleichen steinernen Rahmen und eselsrückenförmigen Entlastungsbogen

Abb. 70. St. Benoît, Klosterhof von NW (Henry Aston Barker um 1800)

Abb. 71. St. Benoît von NW (Henry Aston Barker um 1800)

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auf wie die osmanischen Fenster im S-Schiff und dem daruntergelegenen Korridor (Abb. 44).Ein zweites S-Fenster hätte dagegen die Symmetrie des Sakristei-Innenraums gestört undauch schlecht in das enge Bogenfeld gepaßt.

In der SO-Kapelle stellt sich die Situation ähnlich dar: Auch hier ist das heutige Rundbo-genfenster allem Anschein nach original. Das umgebende Quadermauerwerk läßt keinerleiSpuren eines späteren Eingriffs erkennen (Abb. 42). Wollte man De Carbognanos Darstel-lung zweier rechteckiger Fenster glauben, müßte man annehmen, daß im Lauf des 19. Jhs.die gesamte S-Wand neu aufgesetzt worden ist, denn Gurlitt gibt sie Anfang des 20. Jhs. be-reits mit einem einzigen, zentralen Fenster wieder (Abb. 68).

Erschwerend kommt hinzu, daß die beiden rechteckigen Kapellen-Fenster bei De Carbog-nano nicht als ursprünglich gelten können. Nur ein Rundbogenfenster wird dem halbrundenoberen Abschluß der S-Wand und dem byzantinischen Charakter der SO-Kapelle gerecht67.Der Stich von De Carbognano machte also eine weitere Umbauphase vor 1784 erforderlich,bei der ein byzantinisches Rundbogenfenster durch die beiden rechteckigen Wandöffnungenersetzt wurde.

Wahrscheinlicher als diese Vielzahl von zusätzlichen, sonst nicht bezeugten Umbauten istes, daß der Kupferstecher Sakristei und SO-Kapelle auf ähnliche Weise mit zusätzlichen Fen-stern versehen hat wie den Korridor unter dem S-Schiff. Demnach können die heutigen Fen-ster und die gesamte S-Wand der SO-Kapelle trotz De Carbognano durchaus als original undursprünglich gelten.

4.5 1732. Neubau von Mittel-, S-Schiff, Kuppelbema, Anna-Kapelle und Sakristei

Bevor die Lazaristen St. Benoît Ende des 18. Jhs. übernahmen, waren Kirche und Klosteretwa zwei Jahrhunderte von Jesuiten geführt worden, vom späteren 16. Jh. bis zur Auflösungjenes Ordens im Jahr 177368. Die Bauinschrift von 1732 im mittleren O-Joch der Loggia, wosich ehemals die Tür zum S-Schiff befand, stammt also aus jesuitischer Zeit und berichtetüber einen »gänzlichen und geräumigen« Wiederaufbau nach einer Brandkatastrophe, diesich ein Jahr zuvor 1731 ereignet hatte (Abb. 72)69:

D. O. M. | REGNANTE FELICITER LUD XV. | STRENUE ADNITENTE EXCEL. MD

D.D. | MARCH. DE VILLENEUVE EXTR. EJUS LEGATO | HOC SACELLUM IN NU-PERA CONFLAGRATIONE GALATAE | PENITUS COMBUSTUM | SIMUL ET RE-LIQUA HUJUS RELIGIOSAE DOMUS AEDIFICIA | EAD. PESTE 4° COLLAPSA | TU-TIUS ET LAXIUS RESTITUTA SUNT | M. DCC. XXXII.

Wahrscheinlich gehen das heutige Mittel- und S-Schiff sowie das Kuppelbema auf diesenWiederaufbau zurück70. Dafür gibt es zwar keine direkte Evidenz, aber bis 1794 ist auch keine

67 Vgl. R. Krautheimer, Early Christian and Byzantine Architecture. 4. Aufl., durchgesehen von R. Krautheimer undS. Curcic (London 1986) passim; Ousterhout 1999, passim.

68 A. Gottlob, Die lateinischen Kirchengemeinden in der Türkei und ihre Visitation durch Petrus Cedulini, Bischofvon Nona, 1580–81, Görres-Gesellschaft. Historisches Jahrbuch 6, 1885, 42–72, 64 f.; Belin 1894, 237–270; Dal-leggio D’Alessio 1934, 94; S. Yerasimos, Galata à travers les récits de voyage (1453–1600), in: Première ren-contre internationale sur l’Empire ottoman et la Turquie moderne, Varia Turcica 13 (Istanbul 1991) 117–129, 121.

69 Hier ist der genaue Wortlaut der Inschrift wiedergegeben. Abweichend De Carbognano 1794, 61 (ohne Zeile 6);Belin 1894, 269; Biskupski 1959, 91.

70 Belin 1894, 431, stellt das als Faktum dar, was er zwar nicht belegt, was aber wenige Generationen nach dem Er-eignis noch bekannt gewesen sein könnte.

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andere Bauphase bekannt, die in Frage käme. 1794 hatte St. Benoît ausweislich des Stichsvon De Carbognano im großen und ganzen bereits die heutige Form (Abb. 2).

Die nächstfrühere Bauphase von 1697, von der noch die Rede sein wird, galt dagegen ei-ner kleineren Kirche in der Breite der Loggia. Die Loggia ist älter und stammt aus der Zeitvor dem Brand von 1731 (s. u.), das belegt die Baunaht zwischen ihrer SO-Ecke und der wohl1732 neu errichteten S-Wand des S-Schiffs (Abb. 54). Das gleiche gilt für die SO-Kapelle, vonder die S-Wand ebenfalls durch eine Baunaht geschieden ist (Abb. 56).

Loggia und SO-Kapelle bestanden also bereits, als die S-Wand gebaut wurde, und hättendurch eine gerade Wand so verbunden werden können, daß eine einheitliche S-Fassade ent-standen wäre. Daß die S-Wand statt dessen winkelförmig über die gemeinsame Flucht vonLoggia und SO-Kapelle hinaus nach Süden ausgreift, muß einen besonderen Grund gehabthaben. Offenbar nahm man Mehraufwand und störende Versprünge in Kauf, weil das S-Schiffbesonders breit sein sollte. Darauf weist auch die Inschrift hin, wenn sie die Geräumigkeitdes Neubaus eigens hervorhebt.

Das Kuppelbema geht in seiner heutigen Form wohl ebenfalls auf die Bauphase von 1732zurück. In einem Brief von 1714, in dem der Jesuit Tarillon die damalige Kirche beschreibt,ist noch von einer einzigen »coupole« die Rede71, bei der es sich um die ältere Kuppel der SO-Kapelle handeln muß (s. u.).

Das Mittelschiff, ursprünglich das nördliche von lediglich zwei Schiffen, wird gleichfallsnicht vor 1732 errichtet worden sein. Die vorhergegangene Erneuerung von 1697 nahm we-niger als zwei Monate in Anspruch72 und wird deshalb kaum mehr als eine Reparatur derkleineren Kirche von 1687 dargestellt haben (s. u.). Das neue und größere Mittelschiff erfor-derte dagegen zusätzlichen Aufwand: Seine Pfeiler gründen nicht auf den bis heute beste-henden Kellergeschoßmauern des Vorgängerbaus, sondern auf dazwischen neu eingezogenStützen (Abb. 6. 58).

Schließlich wird berichtet, die Sakristei und eine der hl. Anna gewidmete Kapelle, zweihölzerne Anbauten, seien bei dem Feuer vollständig zerstört und aus Stein mit Ziegeldächernwiedererrichtet worden73. Bei der Sakristei wird es sich um die heute noch existierende han-

71 Tarillon 1714, 35.72 Belin 1894, 264, zitiert einen Bericht des Jesuiten Père Braconnier aus den »Annales de la résidence des PP. Jé-

suites«.73 Biskupski 1959, 91, zitiert einen Bericht von R. P. Duban.

Abb. 72. St. Benoît, Loggia, mittleres O-Joch, Bauinschrift von 1732 im O-Bogenfeld über dem zugesetzten Durchgang zum S-Schiff (vgl. Abb. 17)

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deln, die De Carbognano 1794 bereits als steinern und mit einem Satteldach abbildet (Abb. 2).Die Kapelle der hl. Anna könnte sich im Zwickel zwischen Kirche und Sakristei befunden ha-ben, also an derselben Stelle wie das heutige Kuppeljoch, fehlt allerdings auf Gurlitts Plan von1912 (Abb. 68).

Das umfangreiche Bauvolumen läßt die vollmundige Inschrift »totius et laxius restitutasunt« nahezu gerechtfertigt erscheinen. Dennoch oder gerade deshalb wird sich ein unvor-eingenommener Betrachter fragen, warum kein vollständiger Neubau durchgeführt wurde,womit sich das unbefriedigende Flickwerk aus verschiedenartigen, weder im Format noch imStil zueinander passenden Räumlichkeiten hätte vermeiden lassen. Die Erklärung mag darinzu suchen sein, daß Baugenehmigungen von den osmanischen Behörden nicht leicht zu er-halten waren74.

Kirchenneubauten waren in Pera seit Anbeginn der osmanischen Herrschaft 1453 grund-sätzlich verboten75, und über den vorangegangenen Wiederaufbau von 1697 wird berichtet,daß die Baugenehmigung, als sie schließlich erteilt wurde, die Dimensionen vorschrieb (s. u.).Vorher hatte man die Ruine notdürftig wiederhergestellt, um weiterhin Gottesdienste abhal-ten und »aller Welt«, aber wohl vor allem den osmanischen Behörden, demonstrieren zu kön-nen, daß die Kirche Bestand hatte. Der Wiederaufbau wurde nicht zuletzt mit ihrer »anti-quité« gerechtfertigt. Solche Erwägungen spielten wahrscheinlich auch nach derBrandzerstörung von 1731 eine Rolle und mögen für den Erhalt von Loggia und SO-Kapellegesprochen haben, weil sie Bestand, Alter und Dimensionen von St. Benoît bezeugten.

4.6 1697. Neubau der Loggia

Die bereits erwähnte Bauphase von 1697 erfolgte ebenfalls aufgrund einer Brandkatastro-phe im Vorjahr, wie die heute verlorene Bauinschrift berichtet76:

AD PERPETUAM REI MEMORIAM. | LUDOVICI MAGNI NOMINE | REM CATHO-LICAM | OCTAVUM IAM ANNUM | APUD OTHOMANOS PROCURANTE | PETROANTONIO A CASTAGNERE | BARONI A CHATEAUNEUF | PARISIENSIS CURIAE| SENATORE | TEMPLUM HOC | IMMANI VASTATUM INCENDIO | QUO TOTAPROPE URBS GALATA | III. NON. MAI. MDCXCVI. | CONFLAGRAVIT | PIA MAS-SILIENSIUM MERCATORUM | MUNIFICENTIA | ANNO PROXIME SEQUENTI | IN-STAURATUM EST | AD MAIOREM DEI GLORIAM.

Was den Bauvorgang angeht, heißt es in der Inschrift relativ zurückhaltend, die Kirche seiinstand gesetzt worden. Ein Augenzeugenbericht eines der damals in St. Benoît ansässigen Je-suiten bestätigt, daß die Arbeiten keine zwei Monate in Anspruch nahmen, nachdem der Got-tesdienst bereits zuvor in der ausgebrannten, aber offenbar nicht zerstörten Kirche wiederaufgenommen worden war (s. u.). Demnach dürfte der Bau von 1697 nicht viel anders aus-

74 Mantran 1962, 562; C. A. Frazee, Catholics and Sultans. The Church and the Ottoman Empire 1453–1923 (Lon-don 1983) 100, zu Geldgeschenken, mit denen die Dominikaner nach dem Brand von 1660 die Genehmigungzum Wiederaufbau erkaufen mußten.

75 Das besagt der zwischen Mehmed II., dem Eroberer, und den Genuesen geschlossene Vertrag: Frazee a. O.(Anm. 74) 6 f. Zu den verschiedenen Überlieferungen des Vertragstextes s. E. Dalleggio D’Alessio, Tratto tra iGenovesi di Galata e Maometto II, Il Veltro 23, 1979, 103–114; H. Inalcik, Ottoman Galata, 1453–1553, in: Pre-mière rencontre internationale sur l’Empire ottoman et la Turquie moderne, Varia Turcica 13 (Istanbul 1991) 17–116, 17–27.

76 De Carbognano 1794, 61. Vgl. Belin 1894, 262; Biskupski 1959, 90.

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gesehen haben als derjenige von 1687, der wahrscheinlich im Khalili Portolan Atlas abge-bildet ist (s. u. und Abb. 74).

Ein Unterschied bestand jedoch in der Loggia, die Tarillon 1714 bereits als die von einerBalustrade begrenzte Säulenhalle schildert, als die wir sie heute kennen77:

»Notre église passe pour la plus belle et la plus singulière de toutes les églises chrétiennesde la Turquie. Les colonnes que soutiennent son vestibule, la balustrade que le termine, etqui règne le long de l’escalier qui y conduit, tout cela est de marbre blanc.«

Eine solche offene Loggia mit der gleichen Balustrade, wie sie damals offenbar auch alsTreppengeländer diente, scheint es erst seit 1697 zu geben, denn im Khalili Portolan Atlas istzwar die Freitreppe dargestellt, sie endet aber an einem Portal in einer geschlossenen W-Fas-sade (Abb. 74).

Tarillon fährt in seiner Beschreibung etwas unbeholfen fort78:

»Le corps de l’église est voûté, avec sa coupole et sa couverture de plomb, qui est le pri-vilège des seules mosquées. La nef est décorée des sépultures de quelques ambassadeursde France, et de celle de la jeune princesse Tékéli. La sépulture de madame la princesse Ra-gotzki, sa mère, mariée en secondes noces au feu prince Tékéli, est dans une chapelle sé-parée. … Les hommes occupent la nef; les femmes sont dans une tribune séparé et entouréede hautes jalousies.«

Das bleigedeckte Gewölbe geht auf die Bauphase von 1687 zurück (s. u.). Es war offenbarauf einen Teil des Gebäudes beschränkt, »le corps de l’église«. Daneben muß es also auchnoch einen anderen, holzgedeckten Teil gegeben haben. Das Gewölbe erhob sich wahr-scheinlich über den beiden bis heute bestehenden und wohl 1687 errichteten Kellergewölben(Abb. 6). Sie wurden sicherlich von einem S-Schiff flankiert, darauf weist die Breite der Log-gia hin, die mit der SO-Kapelle fluchtet und darauf schließen läßt, daß dazwischen eine Ver-bindung bestand und die Kirche damals eine gerade S-Fassade hatte. Das S-Schiff könnteholzgedeckt gewesen sein.

Bei der separaten Kapelle, die Tarillon noch erwähnt, handelt es sich wahrscheinlich umdie SO-Kapelle. Ihr Untergeschoß und die beiden Kuppeljoche sind durch eine Lücke von-einander abgesetzt (Abb. 6. 57), und das wird auch bei dem über den beiden Kuppeljochenzu rekonstruierenden Hauptgeschoß der Fall gewesen sein.

Die Beschreibung einer separaten und vergitterten Tribüne für Frauen läßt an die Emporeim Glockenturm denken, aber dem Kahlili Portolan Atlas zufolge lag der Neubau von 1687,der 1697 lediglich wieder instand gesetzt worden zu sein scheint, südlich des Glockenturms,so daß dessen Nutzung als Empore nicht in Frage kam (Abb. 74). Denkbar wäre hingegen einhölzerner Emporeneinbau wie in vielen anderen Kirchen und Moscheen der Stadt.

77 Tarillon 1714, 35.78 Tarillon 1714, 35 f. Der letzte Satz ist in jenem Auszug nicht enthalten, aber bei Belin 1894, 265, zitiert.

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4.7 1687. Neubau der Kellergewölbe.Terminus post quem für den Khalili Portolan Atlas

Die älteste heute noch erhaltene Bauinschrift über dem Hauptportal zum Mittelschiff kom-memoriert die »Restaurierung« der Kirche im Jahr 1687, die nach einer Brandkatastrophe imVorjahr nötig geworden war (Abb. 73)79:

AD MAIOREM DEI GLORIAM | ET S. BENEDICTI PATRONI GLORIOSI PRISTI-NUM DECUS | ATQUE IMMORTALEM HONOREM | TEMPLUM HOC RESTAURA-TUM FUIT | ANNO DNI. 1687. | LUDOVICI MAGNI FELICIBUS AUSPICIIS AC RE-GIA MUNIFICENTIA

Des weiteren wird berichtet, daß dank guter persönlicher Beziehungen zum Mufti Gewölbeerrichtet und Blei zur Eindeckung verwendet werden durften, was sonst den Moscheen vor-behalten gewesen sei. Außerdem habe der Mufti noch Marmorsäulen für das Vestibül gestif-tet80.

Weitere Hinweise auf die Gestalt des Kirchenbaus von 1687 liefert der Augenzeugenberichtüber seinen Brand im Jahr 1696: Es heißt, das Feuer sei in einem Vorort ausgebrochen undhabe sich zunächst dort ausgebreitet, so daß den in St. Benoît ansässigen Jesuiten Zeit blieb,die Sakramente und das liturgische Gerät »in einen der beiden kleinen Keller unter der Kir-che« in Sicherheit zu bringen. Die Kirche selbst brannte aus, scheint dabei aber keinen sub-stantiellen Schaden genommen zu haben, denn der Gottesdienst wurde noch am selben Tagwieder aufgenommen, und die Renovierung im Folgejahr dauerte keine zwei Monate81:

»Nous fîmes tous nos efforts pour sauver les restes de la chapelle de N.-D., qui sert d’ailedroite à notre église; nous fûmes assez heureux pour en conserver une partie, ce qui nousa donné moyen de pouvoir ouvrir et fermer notre église de ce côté-là, la porte de commu-nication qu’a cette chapelle avec le chœur de l’église n’ayant pu brûler parce qu’elle est enfer. Sans cela nous n’aurions pu que difficilement continuer à desservir notre église, commenous avons fait, par la grace de Dieu, depuis ce temps-là. Nous y dîmes la messe dès lelendemain de l’incendie qui était un dimanche, après avoir muré nous-mêmes la grandeporte, d’une muraille sèche… et nous avons continué depuis à dire la messe, en nous reti-rant pendant la nuit dans les deux petits réduits voûtés qui sont sous l’église.Pour convaincre tout le monde que notre église est encore en état, nous y avons fait lesfonctions du carême, c’est-à-dire, qu’après avoir fait faire une chaire et des bancs, par unmenuisier français, et avoir fermé les fenêtres avec de grands rideaux en attendant que nouspuissions le faire autrement, nous y avons prêché et donné la bénédiction du St Sacrementaux jours ordinaires; on peut même dire que le concours a été plus grand que de coutume,chacun se faisant un point de religion de concourir à la conservation d’une église qui estla seule qui reste de l’antiquité …Enfin un firman fut rendu … ordonnant de laisser rebatir notre église dans les proportionsindiquées par le dit firman. Malgré de nombreuses avanies l’église fut rebatie en moins dedeux mois.«

79 Hier ist der genaue Wortlaut der Inschrift wiedergegeben. Abweichend De Carbognano 1794, 61; Belin 1894,262; Biskupski 1959, 88.

80 Belin 1894, 261, zitiert aus den »Annales de la Résidence«.81 Belin 1894, 263 f., zitiert aus den »Annales de la Résidence«. Biskupsi 1959, 89 f. paraphrasiert denselben Be-

richt in sinnentstellender Verkürzung.

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Die beiden gewölbten Untergeschoßräume bilden offenbar eine Einheit, denn sie werdenin dem Text auch dann zusammen erwähnt, als es darum geht, das liturgische Gerät in einemvon ihnen in Sicherheit zu bringen. Wahrscheinlich handelt es sich um die beiden bis heutebestehenden Kuppelräume (Abb. 6). Das Untergeschoß der SO-Kapelle war wegen seinerwestlichen Bogenöffnung nicht als Schutz- und Wohnraum geeignet und hätte sich außerdemeindeutiger bezeichnen lassen.

Was das Obergeschoß der Kirche betrifft, geht aus dem Text hervor, daß es ein S-Schiffgab, das von der SO-Kapelle beschlossen wurde. Die Kapelle war schon damals der Gottes-mutter geweiht. Eine eiserne Tür verband sie mit dem Chor und blieb auch nach dem Brandverschließbar, während das Hauptportal hatte vermauert werden müssen. Offenbar war des-sen Tür aus Holz gewesen und verbrannt.

Diese Beschreibung läßt sich mit einer Abbildung von St. Benoît in Zusammenhang brin-gen, die in einer Kopie des Portolan von Piri Reis enthalten ist (Abb. 74). Dessen Beschrei-bung der osmanischen Seewege stammt zwar schon aus dem 15. Jh., aber die Illustrationender Kopie geben die Situation im späten 17. Jh. wieder. Heute ist die Kopie Teil der Londo-ner Khalili-Sammlung und deshalb als Khalili Portolan Atlas bekannt82.

Der Atlas wird bislang zwischen 1669 und 1715 datiert. Diese Zeitspanne ergibt sich zumeinen daraus, daß die Yeni Camii im Zustand nach Abschluß der Bauarbeiten 1663 darge-stellt und der 1669 eroberte Hafen von Kandia auf Kreta nicht als venezianisch gekenn-zeichnet sind. Zum anderen ist die Arkadios-Säule wiedergegeben, die 1715 niedergelegtwurde83.

Pera ist in dem Atlas auf einer eigenen Miniatur und von Süden abgebildet84. Das kompli-zierte Befestigungsnetz vereinfachend sind lediglich drei tortenstückförmige Stadtteile

82 Nasser D. Khalili Collection, Ms. 718.83 Soucek 1996, 109 f.84 Folio 4 r. Vgl. C. Barsanti, Costantinopoli e l’Egeo nei primi decenni del 15 secolo. La testimonianza di Cristo-

foro Buondelmonti, Rivista dell’Istituto Nazionale d’Archeologia e Storia dell’Arte 56 = 3. Serie 24, 2001, 83–254, 246 f. Abb. 107; Soucek 1996, Taf.

Abb. 73. St. Benoît, Loggia, NO-Joch, Bauinschrift von 1697 im O-Bogenfeld über dem Portal zum Mittelschiff (vgl. Abb. 17)

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wiedergegeben, deren Mauern am alles überragenden Galata-Turm zusammentreffen. DasInnere des Mauerrings ist mit einem schematischen Häusermeer angefüllt, aus dem ver-schiedene, detailliert dargestellte Einzelgebäude herausragen: Im Zentrum des mittleren Stadt-teils ist die Arap Camii und vormalige Paulskirche als größtes Gotteshaus mit dem höchstenGlockenturm auszumachen. Letzterer ist isoliert stehend wiedergegeben, obwohl er tatsäch-lich in die O-Partie des Kirchengebäudes integriert ist85. Das zeigt, daß auch bei der Dar-stellung von herausragenden Einzelgebäuden recht frei mit den Details umgegangen werdenkonnte.

Im östlichen Stadtteil Lagirio erhält St. Benoît durch umgebende Freiflächen besondereProminenz. Die Freiflächen könnten zwei Gärten entsprechen, von denen E. Ç. Kömürciyan1689 aus der Umgebung von St. Benoît berichtet86. Der Komplex wird von einer Mauer ein-gefaßt, die das 1958 abgerissene Tor enthält. Die Kirche ist an der Freitreppe und dem eck -zinnenbewehrten Glockenturm sowie an der Kuppel der SO-Kapelle wiederzuerkennen. Eshandelt sich um ein kleines Gebäude, das sich auf den Bereich südlich des Glockenturms undwestlich der Kapelle beschränkt.

85 Zur Arap Camii vgl. Müller-Wiener 1977, 79 f.; H. Cetinkaya – T. Radt – S. Westphalen, Pittori greci nella chiesadomenicana dei Genovesi a Pera (Arap Camii). Per la genesi di una cultura figurativa levantina nel Trecento, in:A. R. Calderoni Masetti – C. Dufour Bozzo – G. Wolf (Hrsg.), Intorno al sacro Volto. Genova, Bisanzio e il Me-diterraneo (secoli XI–XIV) (Venedig 2007) 51–62; S. Westphalen, Die Dominikanerkirche der Genuesen vonPera (Arap Camii). Griechische Maler – Lateinische Auftraggeber, in: U. Wulff-Rheidt – F. Pirson (Hrsg.), Aus-tausch und Inspiration. Kulturkontakt als Impuls architektonischer Innovation, DiskAB 9 (Mainz 2008) 276–291;H. Cetinkaya, Arap Camii in Istanbul. Its Architecture and Frescoes, Anatolia Antiqua 18, 2010, 169–188.

86 Eremya Çelebi Kömürciyan, Istanbul Tarihi XVII. Asırda Istanbul, hrsg. und übersetzt v. H. D. Andreasyan (Istan-bul 1952) 40; neu hrsg. v. K. Pamukciyan (Istanbul 1988) 36.

Abb. 74. Pera von S, nach 1686 (Piri Re‘is, Kitab-i Bahriye)

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Das paßt zu den beiden tonnengewölbten Kellerräumen, über denen sich ein Hauptschiffgleicher Dimension erhoben haben wird (Abb. 6). Die Substruktionen enden zwar westlich derKapelle, aber der Chor könnte noch weiter nach Osten gereicht haben, wodurch die besagte,durch eine Eisentür verschließbare Verbindung zur Kapelle entstanden sein könnte.

Der Miniatur zufolge waren Haupt- und S-Schiff sowie das Vestibül unter einem gemein-samen Satteldach vereinigt. Das Vestibül war demnach zunächst geschlossen, hatte aber schondie gleichen Dimensionen wie die spätere Loggia und nahm den Raum südlich des Glok-kenturms ein, vor dem die Kellergewölbe enden.

Dieser Rekonstruktion zufolge beschränkte sich die berichtete Bleidecke auf die Kapelleund vielleicht den Glockenturm. Die neuen Gewölbe wurden wahrscheinlich über dem Haupt-schiff errichtet, darauf weisen die Gewölbe der Substruktionen ebenso hin wie der Umstand,daß die Kirche 1696 zwar ausbrannte, aber nicht einstürzte, wie das von einem offenen höl-zernen Dachstuhl zu erwarten gewesen wäre. Allerdings ist damit zu rechnen, daß der Kha-lili Portolan Atlas die Dachlandschaft von St. Benoît vereinfacht wiedergibt, weshalb detail-lierte Schlußfolgerungen mit Unsicherheit behaftet sind.

Als unzweifelhaft kann dagegen wohl gelten, daß die Miniatur vor 1697 entstanden ist, alsdas Vestibül die Form einer offenen Loggia erhielt. Deren charakteristisches Bogenmotiv istan verschiedenen anderen Gebäuden von Pera dargestellt, und es ist unwahrscheinlich, daß derdetailverliebte Zeichner dieses besondere Merkmal von St. Benoît übergangen haben sollte.

In umgekehrter zeitlicher Richtung werden weder die Miniatur noch die beiden tonnenge-wölbten Kellerräume älter sein als der Neubau von 1687, denn bei der ein Jahr zuvor zer-störten Kirche handelte es sich um den byzantinischen Ursprungsbau, der anders zu rekon-struieren ist. Das soll im Folgenden gezeigt werden.

4.8 Vor 1686. Relikte des byzantinischen Ursprungsbaus.Griechische Christus-Mosaiken und Synthronon

Aus der Zeit vor dem Brand von 1686 fehlen Nachrichten über Baumaßnahmen. BeiläufigeErwähnungen sind nun die wichtigsten Quellen zum Aussehen der Kirche. Sie deuten daraufhin, daß St. Benoît damals im Wesentlichen aus dem byzantinischen Ursprungsbau bestand.

Dr. Covel, der sich 1671 und 1672 als Pfarrer des Englischen Botschafters an der HohenPforte in Istanbul aufhielt87, berichtet von St. Benoît, die Kirche sei bei den Griechen als $%&'()*+,-,&. bekannt88, die aus Gold gemachte Heilige. Wahrscheinlich ist das auf das Ma-rienpatrozinium zu beziehen, das die Gründungsinschrift von 1427 neben dem benediktini-schen bezeugt, und es gab in der Kirche ein vergoldetes Marienbild. Der griechische Bei-name deutet jedenfalls auf einen byzantinisch-orthodoxen Ursprung hin.

Anläßlich eines Stadtbrands von 1660, dem alle anderen lateinischen Kirchen von Perazum Opfer fielen, wird St. Benoît als einzig unversehrter Bau folgendermaßen beschrieben89:

»L’église avec les deux galeries latérales, ainsi que la chapelle de Notre Dame, la sacristieet ses dépendances.«

87 Dr John Covel. Voyages en Turquie 1675–1677. Texte établi, annoté et traduit par J.-P. Grélois, Réalités byzanti-nes 6 (Paris 1998) 8.

88 Hasluck 1904–1905, 58.89 Belin 1894, 258, zitiert aus den »Annales de la Résidence«.

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Mit »galeries latérales« sind Seitenschiffe gemeint, das geht aus einer anderen Quelle des17. Jhs., die nachfolgend noch zitiert wird, zweifelsfrei hervor (s. u.). Bei der Marienkapellewird es sich um die SO-Kapelle handeln, denn sie wird sowohl nach dem Brand von 1696(s. o.) als auch bereits früher im 17. Jh. so bezeichnet (s. u.).

In den 1650er Jahren kam Makarios, Patriarch von Antiochia, nach Istanbul und wurde da-bei von einem Erzdiakon Paulos aus Aleppo begleitet, der einen arabischen Reisebericht ver-faßt hat und St. Benoît folgendermaßen beschreibt90:

»A very large church, which was one of the most magnificent churches belonging to theOrthodox religion in the Grecian empire, and is at present in the hands of the Frank Jesu-its. It is very ancient and lofty, and is painted all over, in mosaic, with the festivals of OurLord, explained in Greek characters. The belfry is high, and of ancient structure.«

Ohne daß Paulos ein Patrozinium nennt, ist klar, daß es sich um St. Benoît handelt, denndort und nur dort waren damals Jesuiten ansässig91. Die Christus-Mosaiken werden auch indrei italienischen und französischen Quellen des 17. Jhs. übereinstimmend beschrieben (s. u.),aber nur der orthodoxe Kleriker erwähnt auch die griechischen Beischriften. Der byzantini-sche Ursprung spielt für ihn eine wichtige Rolle, denn nur mit solchen östlichen Kirchen be-faßt sich sein Reisebericht. Von allen anderen Kirchen stellt er lediglich mit Bedauern fest,daß sie fränkisch waren.

Italienische Relatione und französischen Relations stellen die nächst früheren Quellen dar, in denen St. Benoît beschrieben wird: Relatione dello stato della Cristianità di Pera eCostantinopoli obediente al sommo pontefice romano müssen zwischen 1623 und 1633 abgefaßt worden sein92 und berichten aus St. Benoît ebenfalls über christologische Mosai-ken93:

»La chiesa non è molto grande, ma però assai bella, essendo tutta incrostata di mosaicocon figure della vita di Nostro Signore, quale benché per l’antichità in molte parti fosseguasta, con molta accuratezza è stata per opera di detti padri restaurata.«

Die Relations inédites des missions de la Compagnie de Jésus à Constantinople sind guteine Dekade früher verfasst worden, als sich die Jesuiten 1610 eben erst in St. Benoît einge-richtet hatten94:

»La Saint Benoist, qui escheut en ce saint temps, fut sollennellement festée avec un belappareil, entr’autres d’un théatre, en demy rond de degrés sur l’autel, garny de lampes, surle milieu duquel estoit le Saint Sacrement. …

90 The Travels of Macarius, Patriarch of Antioch. Written by his Attendant Archdeacon, Paul of Aleppo, in Arabic.Translated by F. C. Belfour (London 1829–1834. 21836) I 27. Vgl. Voyage du patriarche Macaire d’Antioche [parPaul d’Alep]. Texte arabe et trad. française par Basile Radu, Patrologia orientalis 22, 1 = 107; 24, 4 = 119; 26, 5= 129 (Paris 1930–1945) I 105; M. Stoy – G. Seewann, Historische Bücherkunde Südosteuropa (Oldenburg 2002)152 f. Kat. 423.

91 Belin 1894, 257; Dalleggio d’Alessio 1934, 61.92 Dalleggio D’Alessio 1926, 22.93 Dalleggio D’Alessio 1925, 62, ersetzt die unvollständige Edition von G. B. Cervellini (Hrsg.), Relazioni da Co -

stantinopoli del vicario patriarcale Angelo Petricca (1636–1639), Bessarione 119 = Serie 3 Bd. 9, 1912, 15–53,40 f.

94 A. Carayon, Relations inédites des missions de la Compagnie de Jésus à Constantinople et dans le Levant auXVIIe siècle, Documents inédits concernant la Compagnie de Jésus 11 (Poitiers 1864) 42 f. Non vidi, zitiert nachDe Gontaut-Biron 1888, 85–90 Anm. 2, und Belin 1894, 245.

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Ceste église vénérable pour son antiquité, berare pour son assiette, belle pour ses mosaï-ques, qui, naïfvement et richement, représentent, en espaliers, sur les pans de murailles,les principaux mystères de la vie et passion de Notre Seigneure, demeura serrée toute l’année, excepté le jour du saint, se ruinant sensiblement, en danger de s’ensevelir en brief,dans ses propres ruines …Ceste église … est posée sur un gros mur qui serroit, dit on, un grand clos …Le monastère est entouré de jardinage à plein pied du reste de la ville, d’où l’on monte unbeau et large escalier à repos, jusques à une belle galerie de bonne largeur, qui sert commede porche à l’église, toute ouverte du costé de la mer, de laquelle on void vis à vis du Se-rail du Grand Seigneur, et près d’icely la fameuse Sainte Sophie …Cette gallerie en son flanc gauche, a deux maistresses portes pour entrer en l’église, l’unepour les hommes et l’autre pour les femmes, qui ont leur lieu distingué par treillis de bois,avec une tribune au dessus pour les vierges …Le bout de ces dictes galeries s’abboutit à un treillis de fer qui serre une gentille chapellevoutée et desdiée à l’Annonciation de la Vierge, où les congrégations s’assemblent; la-quelle feu monseigneur l’ambassadeur a faict magnifiquement peindre par un peintre grecavec les armes du Roy très chrestien et les siennes, et a décoré d’un beau parement blanc,ouvragé à la persienne avec la chasuble de damas blanc aussy.«

Der erste hier wiedergegebene Absatz beschreibt als halbrundes, auf den Altar ausgerich-tetes »Theater« offenbar ein Synthronon, die Priesterbank in der Apsis der byzantinischenKirche. Das ist ein weiterer, unzweideutiger Beleg für einen griechisch-orthodoxen Ursprungdes Kirchenbaus95. Im zweiten Absatz wird einmal mehr der christologische Zyklus erwähntund dabei bemerkt, daß die Szenen an den Wänden in Registern angeordnet waren. Aus demdritten Absatz geht hervor, daß die Umfassungsmauer des Klosters damals bereits bestand. Siesoll auf das Wasserreservoir zurückgehen, das St. Benoît okkupiert, wie das oben bereitswegen des großen, rechteckigen Umfangs des Komplexes angenommen worden ist.

Der vierte Absatz nennt Garten, Freitreppe und eine offene Vorhalle mit Blick auf Bospo-rus, Topkapı Sarayı und Sophienkirche. Demnach gehen diese Elemente bereits auf den Ur-sprungsbau zurück bzw. wurden nach dessen Vorbild neu errichtet, als der Mufti nach demBrand von 1686 Marmorsäulen für das Vestibül stiftete.

Absatz fünf berichtet, daß es von der Vorhalle aus zwei Eingänge in die Kirche gegebenhabe, einen für Männer und einen anderen für Frauen, deren Platz durch hölzerne Gitter ab-geteilt war, mit einer Empore für Unverheiratete. Vielleicht handelt es sich bei den separatenEingängen bereits um das gleiche Arrangement, das noch heute an der O-Wand der Loggiaabzulesen ist, wo es neben dem Portal zum Mittelschiff noch einen Durchgang zum S-Schiffgab, der den Frauen vorbehalten gewesen sein könnte (Abb. 12).

Der sechste Absatz handelt schließlich etwas ungrammatisch von (zwei) Seitenschiffen,von denen eines (das südliche) durch ein Eisengitter beschlossen wird, hinter dem die ge-wölbte Marienkapelle liegt. Offenbar gab es sonst keine Gewölbe, sonst wären diese wohlnicht unerwähnt geblieben.

Bei dem Botschafter, der die Kapelle ausmalen ließ, handelt es sich um Jean de GontautBiron, Baron de Salignac, der Frankreich von 1605 bis 1610 an der Hohen Pforte vertrat und

95 Vgl. Bouras 2001, 247: »The arrangement of the sanctuary area … permits us to make a clear distinction betweenthese two groups [Latin and Greek churches]«.

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sich verschiedentlich für Saint Benoît einsetzte. Nach dem Abzug der Benediktiner war dasleere Kloster der französischen Gesandtschaft unterstellt worden (s. u.)96. Im Gesandt-schaftsbericht von De Gontaut Biron heißt es zu der Kirche97:

»L’église de Staint-Benoist ne se puis assez louanger, pour estre de toutes celles de Galata,la plus magnifique, pour ce qu’elle contient remplie, par le dedans, haut et bas des paroisou murailles, d’excellantes pintures ou figures de mosaïque, si dextremant et artifi -cieusemant élabourées, que toutes celles de Sainte-Sophie n’a aucun avantage sur celle-cy. Où se voit naifvement représentées l’entrée de Notre Seigneure en Hiérusalem, la ré-surrection de Lazare, la guérison du paralitique et tant d’autres signalés miracles duSeigneur en sa Passion, que la diversité de l’ouvrage et beauté des figures et couleurs, sybien et naturellement raportées, raporte aussy à la veue des spectateurs plesir et dévotionensemble.A costé de ceste église, à costé de la Marine, est une chapelle de l’Annonciation de la SainteVierge, laquelle avoit esté longuement délaissée et finablement restaurée de pintures et or-nemants d’église par feu monseigneuer le baron de Salignac, qui y fit venir les Jésuites. Del’autre costé de l’église qui regarde le septentrion, est une assez longue gallerie, qui anti-cipe sur le jardin, dont le parois de la muraille, qui faict la clôture du corps de l’église, esttout remply de gentilles figures et pintures, représentant la sainte vie et miracles de saintBenoist: et le longt de la gallerie, sont les chambrettes des religieux, du temps qu’il y enavoit. Mais, lorsque nous arivasmes à Constantinople (qui fut 1605), tout de lieu estoit des-labré, et n’y avoit en yceluy que deux ou trois prestres grecs …Cette église Saint Benoist ayant esté sy grand temps en mains des quelques pauvres pre-stres grecs, l’avoint tellement laissé décheaoir, qu’elle estoit presque deslaissée de catho-liques romains …A quoy monseigneur l’ambassadeur travailla sans intermition à la restauration de tout delieu, où il se plesoit merveilleusement, tant pour la bonne conversation des bons Pères Jé-suites sont il estoit grandement esdifié, que d’une certaine particulière dévotion qu’il avoiten de lieu. A raison de quoy, il fist refaire, come a esté dit, la chapelle de l’Annonciation,et la fit orner au dedans se pintures et de tout ce qui estoit besoing pour le service divin, àses frais: les Père Jésuites n’ayant esté oyseux à la restauration de l’église et de tous leslieux du couvent, où ils ont esté occupés plus d’une année, tant …«

Der Gesandtschaftsbericht zeichnet sich durch seine Ausführlichkeit aus. Im ersten Absatzwerden einzelne Szenen der christologischen Mosaiken benannt, der Einzug in Jerusalem,die Auferweckung des Lazarus und die Heilung des Gichtbrüchigen. Der zweite Absatz han-delt zunächst von der Marienkapelle auf der dem Anleger am Bosporus zugewandten S-Seiteder Kirche, die der Botschafter renovieren ließ. Danach geht es um eine Galerie auf der an-deren, nördlichen Seite der Kirche. Sie war mit den Mönchszellen verbunden und auf denGarten ausgerichtet, der sich an der Stelle des heutigen Schulhofs befand. Die Situation mußin etwa derjenigen entsprochen haben, die Henry Aston Barker um 1800 in seinem Istanbul-Panorama dargestellt hat (s. o. und Abb. 70. 71).

Bei der Rückwand der Galerie handelte es sich um die nördliche Außenwand der Kirche,und sie war mit Szenen aus dem Leben Benedikts bemalt. Demnach dürfte die Bemalung und

96 De Gontaut-Biron 1989, 344.97 De Gontaut-Biron 1888, 83 f. Vgl. Biskupski 1959, 88.

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möglicherweise auch die gesamte Galerie auf eine benediktinische Bauphase zurückgehen.Als der Botschafter 1605 noch vor den Jesuiten in Konstantinopel eintraf, war der Komplexin zerrüttetem Zustand und nur von wenigen griechischen Popen bewohnt. In Absatz drei wirdnoch einmal der verfallene Zustand von St. Benoît hervorgehoben, um dann in Absatz vier er-neut auf die Renovierung einzugehen, die De Gontaut-Biron veranlaßte.

In einem Brief an den König von Frankreich berichtet derselbe Botschafter am 6. Mai 1610sinngemäß über die Jesuiten98:

»Ilz sont en bon lieu qui est Sainct Benoist que jadis quelqu’un de ces empereurs donna àun ambassadeur de France; qui fait que justement l’on doibt voulloir que ce lieu soit servyde religieux françois: c’estoit auparavant un lieu presque abandonné et tellement en dé-sordre que l’on ne pouvoit croire qu’ilz peussent demeurer là.«

Ebenfalls im Jahr 1610 informiert die fränkische Stadtverwaltung von Pera ihren Gesand-ten in Rom99:

»À St-Benoît, les Jésuites ont établi la Congrégation de la très-sainte Vierge, dans la cha-pelle du dehors, voisine de l’église; l’ambassadeur de France et nombre d’autres person-nes vont, chaque samedi, pratiquer cette sainte dévotion.«

In dem Brief geht es offensichtlich ebenfalls um die SO-Kapelle, deren Marienpatrozi-nium sowie Renovierung durch den französischen Botschafter aus den anderen Quellen hin-länglich bekannt sind. Es gibt deshalb wohl keinen Grund, aus der brieflichen Ortsangabe»dehors, voisine de l’église« auf die Existenz einer zweiten, separaten Marienkirche zuschließen100. Der Verfasser des Briefs setzt voraus, daß sein Adressat mit den Gegebenhei-ten vertraut war, und wird sich deshalb nicht überlegt haben, daß seine Ortsbeschreibungmißverständlich ist.

1587 bis 1589 hielt sich R. Lubenau in Istanbul auf und schrieb darüber einen Bericht, indem er die Kirchen von Pera aufzählt und zu St. Benoît anmerkt, »darein seindt auch Mön-che«101. Dazu heißt es 1587, als Kapuziner, die von Lubenau genannten Mönche, sich St. Be-noît kurzzeitig zu eigen machten102:

»Les Capucins eurent pour habitation en lieu à demi ruiné, qui avait été aux religieux deSt-Benoît, l’église, petite, étant encore en état de servir.«

Eine andere Quelle berichtet sinngemäß103:

»Le convent, qui avait appartenu aux Bénédictins, était en très mauvais état, mais heureu-sement l’église était en des conditions plus satisfaisantes.«

098 De Gontaut-Biron 1889, 344.099 Belin 1894, 235. 245 Anm. 3.100 Belin 1894, 234 f., geht von zwei Kirchen aus. Dem ist bereits widersprochen worden: Dalleggio D’Alessio

1934, 60 Anm. 1; Polonio 1979, 405 Anm. 13.101 Beschreibung der Reisen des Reinhold Lubenau, hrsg. v. W. Sahm, Mitteilungen aus der Stadtbibliothek zu Kö-

nigsberg i. Pr. 4 (Königsberg i. Pr. 1912) I 211.102 Belin 1894, 240, zitiert aus den »Archives des Capucins de Péra. Palmier Séraphique, 4 févr.«.103 Carayon a. O. (Anm. 94), 51. Non vidi, zitiert nach Belin 1894, 241.

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Zuvor war 1583 eine erste kleine Gruppe von Jesuiten in St. Benoît eingezogen, aber inner-halb von drei Jahren an Seuchen gestorben. Von dieser ersten Jesuitenmission berichtet ihrLeiter P. Giulio Mancinelli S. J. über St. Benoît104:

Sancti Benedicti monasterium, quod iam sub tutela atque imperio regis Galliae tenebatur,vel a sacellario dicti oratoris, vel ab aliquo religioso monasteriorum dictae civitatis, neomnino destitutum relinqueretur. …Monasterium Divi Benedicti, quod a multis annis a monachis dicti ordinis derelictum at-que destitutum fuerat, nobis pro domicilio, ex Pontificis auctoritate consignaverunt; quodcum Turcae voluissent illud in meschitam vertere, sicut et aliis multis praestiterant eccle-siis; orator Galliarum accessit at imperatorem Turcarum exponens illam ecclesiam esseregis Galliae, id est ad usum oratorium eius, et propterea rogabat ut dimitteretur illi, cuiimperator consensit et concessit illi in scriptis privilegium ut in futurum nihil aliquid similetentaretur a Turcis, sed libere secundum pristinum modum relinqueretur et inde mox fac-tum est ut eius ecclesia dicatur.Est ibi pulcherrimum templum mediocris magnitudinis depictum totum opere musivo anti-quo ex lapillis deauratis et plumbo tectum, similiter et turris, sunt novem cubicula apta adhabitandum, sunt tres horti, quorum unus est valde amplius, in quo antiquitus erat celebrispiscina, cuius adhuc crassissima moenia: in circuitu eius sund quaedam loca eminentia insuperioribus partibus domus valde commoda, in quibus solemus comedere.

104 V. Ruggieri, Constantinopoli vista da P. Giulio Mancinelli S. J. (1583–1585), REByz 60, 2002, 113–131, 123–125.

Abb. 75. Pera von S (Cristoforo Buondelmonti, Liber insularum archipelagi)

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Demnach kam der Anspruch der französischen Botschaft auf St. Benoît dadurch zustande,daß der Bau von den Benediktinern (um die Mitte des 16. Jhs.105) verlassen worden war undzu einer Moschee umgewandelt zu werden drohte, was Dank des Einschreitens des Botschaf-ters verhindert werden konnte. Ansonsten bestätigt die Beschreibung Mancinellis die Existenzvon Goldmosaiken, Bleidach, Turm, neun Mönchszellen und mehreren Gärten, insbesonderedes großen innerhalb der antiken Zisterne, deren besondere Mauerstärke eigens erwähnt wird.

Aus benediktinischer Zeit gibt es kaum Informationen über den baulichen Zustand von St. Be-noît. Lediglich im Pera-Bild von Cristoforo Buondelmontis Liber insularum archipelagi, vondem im 15. und 16. Jh. diverse Varianten angefertigt wurden, ist die Kirche wohl regelmäßig dar-gestellt. Im Exemplar der Düsseldorfer Universitäts- und Landesbibliothek aus dem späten15. Jh. ist sie durch eine Namensbeischrift gekennzeichnet (Abb. 75)106. In unbeschrifteten Aus-gaben mag sie an ihrer Lage in Lagirio und am westlichen Glockenturm zu identifizieren sein107.Das gleiche mag für die O-Ansicht von Istanbul und Pera gelten, die im 16. Jh. zunächst vonGiovanni Andrea Vavassore vorgelegt und dann unter anderen von Sebastian Münster und FranzHogenberg interpretiert wurde (Abb. 76)108. Im Anschluß an den Glockenturm ist in allen Fäl-len ein großes Satteldach dargestellt, das den gesamten Kirchenraum überfängt.

105 Belin 1894, 235; Dalleggio D’Alessio 1934; Polonio 1979. – Inalcik a. O. (Anm. 75) 42 f. Tab. 1, entnimmt derosmanischen Volkszählung von 1455, daß St. Benoît damals armenisch gewesen sei. Vgl. die Bemerkung von Dr.Covel, St. Benoît sei einst in der Hand des Patriarchen von Jerusalem gewesen, aber der habe dort keinen Got-tesdienst abgehalten, um den Türken keinen Vorwand für den Abriß der Kirche zu geben: Hasluck 1904–1905, 58.

106 Plassmann – Siebert 2005, 56 Abb. 32 Faksimile 54.107 z. B. Bibliothèque Nationale, Paris, Ms. Lat. 4825 folio 37, um 1466: Barsanti a. O. (Anm. 84) 182 Abb. 60 (Li teratur).108 z. B. Giovanni Andrea Vavassore: Staatsbibliothek Bamberg Sign. IV C 44, um 1530; Sebastian Münster, Cos-

mographia (Basel 1550): Staatsbibliothek Bamberg Sign. J. H. Geogr. folio 2: Barsanti a. O. (Anm. 84) 180Abb. 58 (Literatur); Plassmann – Siebert 2005, Abb. 5. 6.

Abb. 76. Pera von O: Blaues Dach = St. Benoît? (G. Braun – F. Hogenberg, Civitas Orbis Terrarum (Köln 1572–1618)

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4.9 Vor 1427. Griechisch-orthodoxe Marienkirche

Die heute verschollene benediktinische Gründungsinschrift vom 12. Mai 1427 ist einlei-tend bereits zitiert worden. Sie stellt den frühesten Beleg für das lateinische Patrozinium darund markiert die Gründung der Benediktinerabtei. Ein Jahr zuvor war man davon noch weitentfernt. Am 9. Januar 1426 befand sich ein gewisser Benediktinermönch Gregorius de Cor -sanego noch in Venedig und schrieb einen Brief an den genuesischen Podestat von Pera. Indiesem Brief ersucht De Corsanego darum, sich mit seinen Ordensbrüdern in einem bereitsbestehenden oder noch zu bauenden Kloster in Pera niederlassen zu dürfen109:

in Pera vivere intra monasterium aliquod iam constructum vel forsan divino suffragio co-struendo, aut ecclesiam aliquam

Gregorius de Corsanego, später als Bischof von Trapezunt bezeugt110, stammte selbst ausPera und wußte möglicherweise, daß dort ein Kloster frei geworden war und zur Verfügungstand. Dessen Übernahme durch die Benediktiner kann erklären, warum in der Gründungs-inschrift 1427 keinerlei Bauarbeiten und kein Stifter erwähnt werden. Außerdem geht viel-leicht auch das Marienpatrozinium auf das ältere Kloster zurück. In den frühen benediktini-schen Quellen des 15. und 16. Jhs. wird St. Benoît regelmäßig als Marienkloster bezeichnet111.Das deutet darauf hin, daß es sich bei Maria um das ältere, etablierte Patrozinium handelteund Benedikt erst nachträglich hinzukam, als das Kloster 1427 an die Benediktiner über-ging112.

Tatsächlich kommt im Rechnungsbuch der genuesischen Stadtverwaltung von Pera 1402der Pope einer griechisch-orthodoxen Marienkirche in Lagirio vor, der den Italienern als Über-setzer diente113. Diese orthodoxe Marienkirche ist nicht mit derjenigen zu verwechseln, diein dem Testament einer 1297 in Genua verstorbenen »Maria aus Pera« mit Geld für Messen

109 L. T. Belgrano, Prima serie di documenti riguardanti la colonia di Pera, Atti della Società ligure di Storia patria13, 1877–1884, 97–336. Reprint in: L. T. Belgrano, Documenti riguardanti la colonia genovese di Pera (Genua1888) 97–336, 189. Vgl. Dalleggio d’Alessio 1934, 62 f.; G. Airaldi, Libri e cultura di un vescovo di Trebisonda,in: G. Airaldi, Studi e documenti su Genova e l’Oltremare, Collana storica di fonti e studi 19 (Genua 1974) 155–179.

110 Araldi a. O. (Anm. 109); Polonio 1979, 406–408.111 Dalleggio D’Alessio 1934; Polonio 1979.112 Dalleggio D’Alessio 1934, 64. – Polonio 1979, 404 f. Anm. 110, geht irrtümlich davon aus, die Benediktiner-

kirche sei älter als das Marienpatrozinium und schon im 14. Jh. bezeugt. Dazu verweist Polonio auf P. Schmitz,Histoire de l’ordre de Saint-Benoît 1. Origines, diffusion et constitution jusqu’au 12e siècle (Maredsous 1942)246; 2(Maredsous 1948) 267. Bei Schmitz ist lediglich zu lesen: «Au XIVe les bénédictins s’établirent à Saint-Benoît de Galata; au XVe, à Sainte-Marie de Péra», wozu auf Belin 1894 verwiesen wird. Belins Informationüber eine benediktinische Gründung während des Pontifikats von Urban V. (1362–1370) beruht jedoch auf Taf-ferners fehlerhafter Überlieferung der Gründungsinschrift von 1427, wie einleitend bereits dargelegt worden ist.

113 Balard 1978, I 196 Anm. 103 mit Verweis auf das genuesische Staatsarchiv in San Giorgio, Saal 34/45, PeireMassaria 1402, folio 72 recto. Zu dieser Quelle s. auch M. Balard, Bilan des publications sur Péra-Galata à l’époque génoise, in: Première rencontre internationale sur l’empire ottoman et la Turquie moderne, Varia Tur-cica 13 (Istanbul 1991) 5–15, 7 f. – Im orthodoxen Patriarchat wußte man im 19. Jh. auch noch von einer Ma-rienkirche in Sykai, wie Galata in frühbyzantinischer Zeit hieß: M. I. Gedeon, /*0'12&131 4,)2,53%&,1: 61.6'&271 '-3 2,* 89 6:;)& 6:+71 2,* <"9'&=1,> 4,)2'0,6:171 '%?71 41 @71+2'12&1,*-354& (Konstantinopel 1899) 210Kat. 66 s. v. #'3> 2A> B4,23C,* 41 2'&> DEC'&>. Gedeon belegt seine Katalogeinträge zwar nicht, aber sie geltentrotzdem als glaubwürdig: Janin 1968, 231 Kat. 117 s. v. Theotokos en Sykais.

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bedacht wird114. Bei letzterer muß es sich um eine katholische Kirche gehandelt haben, diewahrscheinlich in einem der bis 1297 befestigten Stadtteile lag.

Lagirio hatte dagegen im 14. Jh. noch viele griechische Einwohner115 und wurde erst umdie Wende zum 15. Jh. von den Genuesen in Besitz genommen und befestigt116. Bei dieser Ge-legenheit könnte auch die orthodoxe Marienkirche in katholische Hände übergegangen sein,denn später wird sie nicht mehr erwähnt. In diesem Sinn ist vielleicht auch ein Dokumentdes 16. Jhs. zu verstehen, das sich im 19. Jh. in Monte Cassino befand und von Belin nach ei-nem Brief von »R. P. Quandel, bibliothècaire de l’abbaye du Mont-Cassin«, zitiert wird117:Das Dokument, in dem es um eine andere Angelegenheit des 16. Jhs. geht, beginnt mit einerZusammenfassung dessen, was man damals auf Monte Cassino über St. Benoît bzw. das Ma-rienkloster wußte:

Monasterium S. Mariae Misericordiae in Pera, prope Constantinopolim, unitur congrega-tioni a Nicolao V, anno 1449, sed possessio capta est anno 1450, cum monasterio S. Be-nedicti, ibidem illi unito.

Die Benediktinerabtei in Pera war Mitte des 15. Jhs. unter Papst Nikolaus V. (1447–1455)mit der Congregatio Cassinensis uniert worden, nachdem sie selbst aus der Verbindung miteinem Marienkloster hervorgegangen war.

4.10 Zusammenfassung in chronologischer Reihenfolge

Der Ursprungsbau von St. Benoît war sicher griechisch-orthodox und wurde wahr-scheinlich vor 1402 als Marienkirche errichtet. Ihm sind das Hoftor, die Freitreppe, eine of-fene Vorhalle, der Glockenturm, die SO-Kapelle, ein Synthronon und christologische Mo-saiken mit griechischen Beischriften zuzurechnen. 1427 wurde er benediktinisch und einedie Kirche im Norden flankierende Galerie gebaut oder doch zumindest mit Szenen aus demLeben Benedikts ausgemalt. Ein Jahrhundert später verließen die Benediktiner Pera wieder,und St. Benoît war für ein halbes Jahrhundert vakant bzw. kurzzeitig dominikanisch unddann von ein paar griechischen Popen bewohnt, bevor die Jesuiten den Bau für zwei Jahr-hunderte übernahmen. 1686 brannte er ab, und im Folgejahr entstanden die beiden über-kuppelten Kellerjoche als Untergeschoß eines Neubaus (Abb. 6), der wahrscheinlich im Kha-lili Portolan Atlas abgebildet ist (Abb. 74). 1696 brannte der Neubau aus und wurde ein Jahrspäter wiederhergestellt, wobei die Vorhalle jetzt wieder die Form einer offenen Loggia er-hielt.

Eine weitere Brandkatastrophe führte 1732 zu einem weitgehenden Neubau, der im we-sentlichen die Form der heutigen Kirche festlegte. Damals entstanden das Mittelschiff, dieBemakuppel, das breite S-Schiff sowie die Sakristei. Im späten 19. oder frühen 20. Jh. kamein N-Schiff hinzu. Seine heutige Form erhielt es jedoch erst 1929 anläßlich einer Renovie-

114 L. T. Belgrano, Seconda serie di documenti riguardanti la colonia di Pera, Atti della Società ligure di Storia pa-tria 13, 1884, 932–1003, 933. Reprint in: L. T. Belgrano, Documenti riguardanti la colonia genovese di Pera (Ge-nua 1888) 337–409. Vgl. Janin 1969, 589 s. v. Marie (Sainte); Balard 1978, I 183. 196. 278.

115 Nomidis – Schneider 1944, 6; Balard 1978, I 271; Balard a. O. (Anm. 31) 303. Vgl. auch die Situation zur Zeitder osmanischen Volkszählung 1455 sowie im 16. Jh.: Inalcik a. O. (Anm. 75) 41–43 Plan 1; Yerasimos a. O.(Anm. 68) 118.

116 Nomidis – Schneider 1944, 6; Müller-Wiener 1977, 320–322; Balard 1978, I 188–190.117 Belin 1894, 234.

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rung, auf die auch das Gewölbe der Anna-Kapelle, die Romanisierung der S-Schiff-Fenster,der Abriß der polygonalen Apsis der SO-Kapelle, die Vermauerung der W-Tür des S-Schiffssowie wahrscheinlich auch der Umbau der Freitreppe zurückgehen. 1958 fiel das Hoftor derVerbreiterung der Kemeraltı Caddesi zum Opfer.

5 REKONSTRUKTION DES URSPRUNGSBAUS

Aus der Baugeschichte geht hervor, daß der Ursprungsbau griechisch-orthodox war. Bei der1686 abgebrannten Kirche handelte es sich um einen byzantinischen Bau. Der Glockenturmund die SO-Kapelle gehen auf die Zeit vor dem Brand von 1686 zurück und gehören wahr-scheinlich zum Ursprungsbau. Der weite Bogen, mit dem sich das Hauptgeschoß des Glok-kenturms ursprünglich nach Osten öffnete, läßt darauf schließen, daß hier der Naos anschloß.Der Glockenturm könnte wie bei vielen anderen byzantinischen Kirchen die Mittelachse mar-kiert haben118. Spiegelt man die SO-Kapelle an dieser Achse, ergibt sich eine dreiteilige O-Partie mit einem gut sieben Meter breiten Bema im Zentrum (Abb. 77), die nur geringfügigbreiter ist als die heutige. Da die Apsis der SO-Kapelle außen polygonal ummantelt war, istdas mit Sicherheit auch für die Hauptapsis anzunehmen. Im Inneren enthielt diese der Über-lieferung zufolge ein Synthronon.

Geht man weiter davon aus, daß es sich bei dem Bema um den O-Arm einer Kreuzkup-pelkirche handelt, lassen sich drei weitere Kreuzarme gleicher Breite sowie zwei westlicheZwickelräume von der Größe der SO-Kapelle rekonstruieren, die den Platz zwischen Kapelleund Glockenturm exakt ausfüllen. Letzteres dürfte kein Zufall sein, sondern ist das aus-schlaggebende Argument für die vorgeschlagene Grundrißrekonstruktion.

Was den Aufriß angeht, ist über dem gleichen Grundriß alternativ zu einer Kreuzkuppel-auch eine Umgangskirche denkbar. Der Umgang hätte an Stelle der drei westlichen Kreuz-arme um die zentrale Hauptkuppel herumgeführt und könnte von dieser durch eingestellteSäulen abgeteilt worden sein. Für diese Alternative spricht die Nachricht der Relations in-édites von 1610, daß schon die älteste bekannte und wahrscheinlich ursprüngliche Vorhalledie Form einer offenen Loggia hatte, von der aus man den Bosporus, das Topkapı Sarayı unddie Sophienkirche sehen konnte. Solche offenen Vorhallen kommen typischerweise in Kom-bination mit einem Esonarthex oder Umgang vor119, nicht jedoch als alleiniges Vestibül, wiedas der Fall gewesen wäre, wenn es sich bei St. Benoît um eine Kreuzkuppelkirche gehandelthätte.

Die ursprüngliche Existenz einer wie auch immer gearteten Vorhalle wird dadurch bestä-tigt, daß der Glockenturm nur von der Glockenstube an aufwärts feines Quadermauerwerkaufweist und zur Ansicht vorgesehen war (Abb. 21). Das grobe und unregelmäßige Bruch-steinmauerwerk im Hauptgeschoß darunter läßt darauf schließen, daß hier weitere Räume an-schlossen. Dabei wird es sich um die Vorhalle gehandelt haben, mit der der Glockenturm auchbei vielen anderen byzantinischen Kirchen verbunden war120.

Im Zentrum der Kirche dürfte ursprünglich eine größere Kuppel gesessen haben, und es istauffällig, daß eine solche von den verhältnismäßig zahlreichen und ausführlichen Beschrei-

118 Ousterhout 1987, 108.119 Ousterhout 1987, 101–106; RBK VI (2005) 897–901. 913–920 s. v. Narthex (L. Theis).120 Ousterhout 1987, 108; RBK VI (2005) 923 f. s. v. Narthex (L. Theis).

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bungen des 17. Jhs. nicht erwähnt wird. Vielleicht ist das damit zu erklären, daß die Haupt-kuppel damals bereits zerstört und durch das Satteldach ersetzt war, das alle frühen Stichezeigen (Abb. 75. 76). Die Situation könnte ähnlich gewesen sein wie bei der Manastır Mescidi,einer anderen byzantinischen Kirche von Konstantinopel, die in osmanischer Zeit ein breitesSatteldach erhielt, nachdem sie ihre ursprüngliche Dachlandschaft offenbar verloren hatte121.Im Fall von St. Benoît nahm das Gewölbe möglicherweise bereits Schaden, bevor das Bene-diktinerkloster gegründet wurde, denn die ältesten Stiche mit Satteldach stammen noch ausbenediktinischer Zeit. Vielleicht hatte der Bau vor 1427 eine Weile leer gestanden, wie dasdie Anfrage von Gregorius de Corsanego nahelegt.

6 KUNSTHISTORISCHE EINORDNUNG UND DATIERUNG DES URSPRUNGSBAUS

6.1 Kreuzkuppel- oder Umgangskirche

Nachdem Baugeschichte und Rekonstruktion den Ursprungsbau als griechisch-orthodoxbzw. byzantinisch erwiesen haben, soll er nun anhand einer kunsthistorischen Einordnungnoch genauer innerhalb der byzantinischen Architekturgeschichte verortet und datiert wer-den. Sowohl die Rekonstruktion als Kreuzkuppelkirche als auch diejenige als Umgangskir-che haben Parallelen im hauptstädtischen Kirchenbau. Erstere gleicht der Atik Mustafa PasaCamii, einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche unbestimmten Patroziniums und Zeitstel-lung, die der mittelbyzantinischen Periode zugeschrieben wird (Abb. 78)122. Letztere läßt sichmit der Koca Mustafa Pasa Camii vergleichen, einer Umgangskirche, die mit dem Katholi-kon des Andreas-Klosters 41 2A C)?+4& identifiziert wird (Abb. 79)123. Das Katholikon wurdevon Theodora Raoulaina († 1300) gestiftet, die 1284 in das Kloster eintrat.

Alle drei Grundrisse haben ähnliche Dimensionen und Proportionen und stimmen darinüberein, daß es vor den drei Apsiden keine zusätzlichen Bema-Joche gibt, wie das in Kon-stantinopel sonst zumeist der Fall ist124. Im Aufriß unterscheidet sich die Atik Mustafa PasaCamii zusammen mit den meisten anderen Kirchen der Hauptstadt allerdings durch steilereProportionen und eine komplexere, zweigeschossige Fassadengestaltung, wahrscheinlich auchdurch zusätzliche, heute nicht mehr erhaltene Umgänge125, von der verhältnismäßig niedri-gen und einfachen SO-Kapelle St. Benoîts.

121 A. Pasadaios, "-? FE, G*0'12&1=1 61A64?71 2A> @71+2'12&1,*-3547> '%1=+2,* ,1,6'+?'> (Athen 1965) 56–101;Müller-Wiener 1977, 184 f.

122 van Millingen a. O. (Anm. 53) 191–195; J. Ebersolt – A. Thiers, Les Églises de Constantinople, Monuments del’art byzantin 3 (Paris 1913. Reprint London 1979) 131–136; Müller-Wiener 1977, 82 f. (11./12. Jh.); T. F. Ma-thews – E. W. Hawkins, Notes on the Atik Mustafa Pasa Camii in Istanbul and its Frescoes, DOP 39, 1985,125–134 (9. Jh.); Ousterhout 1999, 33 (9. Jh.); L. Theis, Flankenräume im mittelbyzantinischen Kirchenbau. ZurBefundsicherung, Rekonstruktion und Bedeutung einer verschwundenen architektonischen Form in Konstanti-nopel, Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B. Studien und Perspek-tiven 18 (Wiesbaden 2005) 40–55 (9. Jh.); Curcic a. O. (Anm. 2) 272 f.

123 van Millingen a. O. (Anm. 53) 106–121; Ebersolt – Thiers a. O. (Anm. 122) 75–89; S. Eyice, Remarques surdeux anciennes églises byzantines d’Istanbul. Koca Mustafa Pasa camii et l’église du Yusa tepesi, in: !4-)'%-6:1' 2,* 8&4H1,E> /*0'12&1,5,%&C,E D*14F)?,* 9, 1, Hellenika Beih. 7 (Athen 1955) 184–195, 184–190.

124 RBK IV (1990) 480–580 s. v. Konstantinopel (M. Restle); Ousterhout 1999, 19. 27 und öfter.125 Theis a. O. (Anm. 122) 40–55.

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Abb. 77. St. Benoît, Rekonstruktion des byzantinischen Ursprungsbaus

Abb. 78. Istanbul, Atik Mustafa Pasa Camii Abb. 79. Istanbul, Koca Mustafa Pasa Camii

Abb. 80. Pherai, Theotokos Kosmosoteira Abb. 81. Wie Abb. 80: Ansicht von SO

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In dieser Hinsicht liegen Vergleiche mit provinziellen Kirchen näher, z. B. mit der Theo-tokos Kosmosoteira in Pherai, der Grabeskirche von Isaak Komnenos, dem zweiten Sohn vonAlexios I. (1081–1118) und jüngerem Bruder von Johannes II (1118–1143). Diese Kreuz-kuppelkirche hat nicht nur ähnliche Dimensionen und Proportionen, sondern auch relativ nie-drige Eckkompartimente mit achtseitigen Tambourkuppeln (Abb. 80. 81)126.

6.2 Synthronon

Halbrunde Sitzbänke für den Klerus sind in mittel- und spätbyzantinischen Apsiden selte-ner bezeugt als in frühbyzantinischen. Das mag verschiedene Gründe haben und nicht zuletztauch mit der geringen Größe vieler mittel- und spätbyzantinischer Apsiden zusammenhängen,in denen Synthrona zu drangvoller Enge führen würden. In größeren Apsiden wie der fürSt. Benoît rekonstruierten blieben Sitzbänke jedoch weiterhin gebräuchlich127.

6.3 Mosaiken

Christologische Szenen wie die für St. Benoît überlieferten gehörten zum Standardreper-toire der byzantinischen Ikonographie und kommen unabhängig vom Patrozinium in den mei-sten byzantinischen Kirchen vor. Als ›Festbilder‹ lassen sie sich mit den zwölf wichtigstenFesttagen der orthodoxen Kirche in Zusammenhang bringen128.

126 S. Sinos, Die Klosterkirche der Kosmosoteira in Bera (Vira), Byzantinisches Archiv 16 (München 1985); Ousterhout 1999, 122–125; Ch. Bakirtzis, Vera (Pherai) and its Monuments, in: Ch. Bakirtzis – R. Ousterhout, TheByzantine Monuments of the Evros/Meric River Valley (Thessaloniki 2007) 48–85; Curcic a. O. (Anm. 2) 408 f.

127 M. Altripp, Beobachtungen zu Synthronoi und Kathedren in byzantinischen Kirchen Griechenlands, BCH 124,2000, 377–412, 385; 393 Abb. 19 a. b; S. 405. Konstantin VII Porphyrogenetos beschreibt in seiner Ekphrasis derNea Ekklesia, die um 880 im Großen Palast von Konstantinopel gebaut wurde, das Bema mit Sitzen und Stufendavor: Vita Basilii (= Theophanes Continuatus, Chronographia, Buch 5), Kap. 83–85, hrsg. v. I. Bekker (Bonn1838) 325–327. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesen Sitzen und Stufen um ein Synthronon: P. M. Mylo-nas, Bildlexikon des Heiligen Berges Athos 1. Atlas des Athos 1. Topographie und historische Architektur derKlöster (Tübingen 2000) Faltplan 101, 4 (zweistufiges Synthronon im Katholikon der Megiste Laura); D. Tal-bot Rice (Hrsg.), The Church of Haghia Sophia at Trebizond (Edinburgh 1968) 18 Taf. 5 a. V. M. Tekinalp, Re-modelling the Monastery of Hagios Ioannes in Prusa at Olympum, in: Architecture of Byzantium and Kievan Rusfrom the 9th to the 12th Centuries, Transactions of the State Hermitage Museum 53 (Sankt Petersburg 2010) 162–177, 169. 174 Abb. 14; A. O. Alp, The Newly Discovered Middle Byzantine Churches from Phrygia, in: ebd. 9–20, 18 f. Abb. 11; N. Arslan – B. Böhlendorf-Arslan, Living in the Rocks – Assos. An Archaeological Guide(Istanbul 2010) 149 f. Vgl. auch Synthrona in Apsisnebenräumen: H. Hallensleben – R. Hamann Mac Lean, DieMonumentalmalerei in Serbien und Makedonien vom 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert. Bildband (Gießen1963) Abb. 5; R. Hamann Mac Lean, Grundlegung zu einer Geschichte der mittelalterlichen Monumentalmale-rei in Serbien und Makedonien (Gießen 1976) 224; N. Asutay, Byzantinische Apsisnebenräume. Untersuchungzur Funktion der Apsisnebenräume in den Höhlenkirchen Kappadokiens und in den mittelbyzantinischen Kir-chen Konstantinopels (Weimar 1998) 18. 39.

128 Grundlegend zu byzantinischen Mosaiken: O. Demus, Byzantine Mosaic Decoration (London 1948) 14–16; zubyzantinischen Quellen, in denen ausdrücklich von »Festbildern« die Rede ist: H. Maguire, The Mosaics of NeaMoni. An Imperial Reading, DOP 46, 1992, 205–214; dazu, daß die Auswahl der Festbilder variieren konnte: T. F.Mathews, The Sequel to Nicaea II in Byzantine Church Decoration, Perkins Journal 41, 1988, III 11–23.

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6.4 Glockenturm

Glockentürme waren im früh- und mittelbyzantinischen Kirchenbau nicht üblich und schei-nen erst während der lateinischen Besetzung von Konstantinopel (1204–1261) eingeführtworden zu sein. Während der spätbyzantinischen Epoche wurden dann nicht nur zahlreicheNeubauten von vornherein, sondern auch viele ältere Kirchen nachträglich mit Glockentür-men versehen129. Derjenige von St. Benoît dürfte zusammen mit der Kirche errichtet wordensein, darauf weist die übereinstimmende Bauweise hin, insbesondere das reine Quadermauer -werk ohne Ziegelanteil, das die Glockenstube mit der S-Wand der SO-Kapelle verbindet(Abb. 21. 42).

Die byzantinischen Glockentürme saßen häufig mittig über dem W-Portal bzw. der Vor-halle130, so wie das die Rekonstruktion für St. Benoît vorsieht. In ihre Gestaltung konnten ih-rer Herkunft entsprechend Elemente des lateinischen Kirchenbaus im westlichen Mittel-meerraum einfließen. Das gilt etwa für das Pyramidendach des Glockenturms der

129 C. N. Mparla, I,)J. C'& 4K:5&K&> 271 G*0'12&1=1 C7F71,+2L+471, /&G5&,H.CA 2A> 41 MH.1'&> M);'&,5,%&C.>"2'&)4?'> 45 (Athen 1959); H. Hallensleben, Byzantinische Kirchtürme, Kunstchronik 10, 1966, 309–311; Ousterhout 1987, 106–110; A. Berger, Der Glockenturm der Hagia Sophia, Sanat Tarihi Defterleri 8 = MetinAhunbay’a Armagan. Bizans Mimarisi Üzerine Yazılar, 2004, 59–73; R. Ousterhout, The Pantokrator Monas teryand Architectural Interchanges in the Thirteenth Century, in: G. Ortalli – G. Ravegnani – P. Schreiner (Hrsg.),Quarta Crociata. Venezia – Bisanzio – Impero Latino (Venedig 2006) II 749–770, 751 f. 762. Andere ziehen eineältere Tradition byzantinischer Glockentürme in der Zeit vor dem vierten Kreuzzug in Erwägung: S. Curcic, Byzantine Legacy in Ecclesiastical Architecture of the Balkans after 1453, in: L. Clucas (Hrsg.), The ByzantineLegacy in Eastern Europe, East European Monographs 230 (New York 1988) 59–81, 68–73; Bouras 2001, 257;Curcic a. O. (Anm. 2) 831–833.

130 Ousterhout 1987, 108.

Abb. 82. Istanbul, Pammakristos-Kloster von S (Schweigger 1608)

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Pammakaristos-Kirche, wie es Stephan Gerlach und Salomon Schweigger auf ihren früh-neuzeitlichen Kupferstichen wiedergeben (Abb. 82)131. Erhalten hat sich eine größere Anzahlbyzantinischer Glockentürme in Mistras auf der Peloponnes, wo etwa derjenige der H. Sophiaeine ähnliche Geschoßgliederung mit Gesimsen und Bogenfries aufweist wie der von St. Be-noît (Abb. 85)132.

Die Glockenstube von St. Benoît aus reinem Quadermauerwerk, mit zweibogigen Schall-öffnungen, darüber umlaufendem Bogenfries und abschließendem Kranz aus vier zinnenför-migen Eckpfeilern folgt einem ähnlichen Konzept wie z. B. die Campanile der Abteikirchevon Pomposa (um 1063; Abb. 83)133 oder der Martorana in Palermo (vor 1184; Abb. 84)134.

131 S. Gerlachs deß Aelteren Tage-Buch (Frankfurt 1674); S. Schweigger, Ein newe Reyssbeschreibung auß Teutsch-land nach Constantinopel und Jerusalem (Nürnberg 1608; Reprint Frankfurt 1995 = Publications of the Institutefor the History of Arabic-Islamic Science. The Islamic World in Foreign Travel Accounts 28) 118. Vgl. H. Hal-lensleben, Untersuchungen zur Baugeschichte der ehemaligen Pammakaristoskirche, heute Fethiye camii inIstanbul, IstMitt 13/14, 1963/1964, 128–193, 183–191.

132 RBK VI (2005) 445–450 s. v. Mistras A.II.b Glockentürme (S. Sinos).133 H. Fillitz, Das Mittelalter I, Propyläen Kunstgeschichte 5 (Berlin 1969) Taf. 208.134 S. Curcic, The Architecture, in: E. Kitzinger, The Mosaics of St. Mary’s of the Admiral in Palermo, Dumbarton

Oaks Studies 27 (Washington, DC 1990) 27–104, 52–62. 65 f.

Abb. 83. Pomposa, Abteikirche

Abb. 85. Mistras, Agia Sophia

Abb. 84. Palermo, La Martorana

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Letzterer gilt als Produkt lokaler Bauleute unter östlichem, byzantinischem und islamischemEinfluß, der am normannischen Hof auf Sizilien omnipräsent war.

Der Glockenturm von St. Benoît steht umgekehrt für die Kombination eines westlichenKonzepts mit traditionellen byzantinischen Schmuckformen wie Ziegel- und keramoplasti-schem Dekor. Die Ausschmückung von Bogenzwickeln mit Ziegeln wie an der O-Fassadedes Glockenturms (Abb. 24) war seit mittelbyzantinischer Zeit allgemein und in vielen Va -rianten üblich135. Die Einfassung der W- und S-Bögen mit einem oder mehreren Friesen ausKrugmündern (Abb. 21. 22. 25) scheint in laskaridischer Zeit weitere Verbreitung gefundenzu haben136. In Konstantinopel sind sie außer für den Glockenturm und das Hoftor von St. Be-noît nur noch am Tekfur Sarayı bezeugt (Abb. 103), aber zahlreiche Beispiele an so weitver-streuten Orten wie Chios, Nessebar/Mesembria (Abb. 100), Sardis und Mistras belegen eineallgemeine Verbreitung137.

135 A. Pasadaios, N C4)'6,-5'+2&C3> F&LC,+6,> 271 G*0'12&1=1 C2A)?71 2A> @71+2'12&1,*-3547> (Athen 1973)Taf. 16–18 a; G. M. Velenes, ")6A14?' 2,* 4K724)&C,E F&'C3+6,* +2A G*0'12&1. ');&24C2,1&C., M)&+2,2:54&, !'1 -4-&+2.6&, B4++'5,1?CA>. "-&+2A6,1&C. 4-42A)?F' 2A> !,5*24;1&C.> D;,5.> !')L)2A6' 10 (Thessaloniki 1984);Ousterhout 1999, 194–200.

136 H. Buchwald, Lascarid Architecture, JbÖByz 28, 1979, 261–296, 287 f. Zu vereinzelten früheren Beispielen s.A. H. S. Megaw, Byzantine Reticulate Revetments, in: (')&+2.)&,1 4&> M1'+2L+&,1 @. N)5L1F,1 3, B&G5&oH.CA 2A>41 AH.1'&> A);'&o5o%&C.> E2'&)4?'> 54, 3 (Athen 1966) 10–24, 12 Anm. 11; zu einer bulgarischen Herkunft s. D.Sasalov, Problèmes sur l’origine de la décoration de façade ceramoplastique, Bulletin de l’Institut d’Archéolo-gie Bulgare 35, 1979, 92–110.

137 s. o. Anm. 135. 136 und S. Eyice, Quatre édifices inédits ou malconnus, CArch 10, 1959, 245–258, 252–256; Pa-sadaios a. O. (Anm. 135) Taf. 35 b; 37 a; 43 e; H. Buchwald, Sardis Church E – A Preliminary Report, JbÖByz26, 1977, 265–299, 268; Ousterhout 1991, 84.

Abb. 86. Van, Altstadt, seldschukische Türbe Abb. 87. Usta Sakird Kümbeti bei Ahlat am Van-See

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Abb. 88. Konya, Sırçalı Medrese, Portal Abb. 89. Râdkân Ost (Iran), Grabturm Mîl-i-Râdkân

Die spitzen Kleeblattbögen, aus denen sich der Bogenfries zwischen Glockenstube undEckzinnen zusammensetzt, kamen in West und Ost gleichermaßen häufig vor, und es ist nichtklar, ob sie auf einen lateinischen oder einen seldschukischen Einfluß zurückgehen. SpitzeKleeblattbögen kommen etwa an der Porta dei Fiori von San Marco in Venedig oder an AgiosNikolaos bei Bitoulas auf Kythira vor, haben aber auch in der seldschukischen Architektureine lange Tradition138, sei es als monumentale Einzelmotive, z. B. über den Türen einer Türbein Van (Abb. 86)139, oder als Bogenfriese, z. B. an der Stirn bzw. im Tympanon des Portalsder 1242 gestifteten Sırçalı Medrese in Konya (Abb. 88)140. Die seldschukischen Bogenfriesefanden auch häufig an Traufgesimsen Gebrauch (Abb. 89)141, nicht selten als Teil von Mu-qarnas-Friesen (Abb. 87)142.

138 I. Bitha – M. Chatzidakis, Corpus of the Byzantine Wall-Paintings of Greece 1. The Island of Kythera (Athen1997) 239–241 Abb. 5. 9; M. H. Burgoyne, The Development of the Trefoil Arch, in: R. Hillenbrand (Hrsg.),The Art of the Saljuqs in Iran and Anatolia, Islamic Art and Architecture 4 (Costa Mesa, CA 1994) 226–232.

139 O. Grabar – D. Hill, Islamic Architecture and its Decoration A. D. 800–1500 (London 1964) Abb. 375 (Van, »un -identified thirteenth century tomb in the old city, now destroyed«). – Vgl. außerdem z. B. Grabar – Hill a. O. 386(Hosab, Burgtor, »probably thirteenth century«); 397 (Mardin, Sultan Isa Madrasah, 1385); S. Blair – J. Bloom,Die Freitagsmoschee in Isfahan, in: P. Delius – M. Hattstein (Hrsg.), Islam. Kunst und Architektur (Köln 2000)368 f.

140 Grabar – Hill a. O. (Anm. 139) Abb. 426. – Vgl. außerdem z. B. Grabar – Hill a. O. Abb. 349 (Pozar, Hatun Hanı,1238/1239); 381 (Ak Hanı, 1253/1254); 429 (Konya, Sa’d al-din Hanı, 1235/1236); 462 (Aksaray, Sultan Hanı,1229–1279); 469 (Agzıkara Hanı, 1236–1246); 490 (Karatay Hanı, 1240); D. Brandenburg – K. Brüsehoff, DieSeldschuken. Baukunst des Islam in Persien und Turkmenien (Graz 1980) Taf. 64–66 (Radkan Ost, 1281/1282);H. Acun (Hrsg.), Anadolu Selçuk Dönemi Kervansarayları, Kültür ve Turizm Bakanlıgı Yayınları 3101 = SanatEserleri Dizisi 466 (Ankara 2007) 147 Abb. 7. 8 (Aksaray, Sultan Hanı, 1268/1269); 333 Abb. 10 (Agzıkara Hanı,1236–1246); 376 Abb. 14 (Karatay Hanı, 1240).

141 z. B. Radkan Ost (Iran), Grabturm Mîl-i-Radkan (1281/82): Brandenburg – Brüsehoff a. O. (Anm. 140) 50 f.Abb. 17 Taf. 66.

142 z. B. Grabar – Hill a. O. (Anm. 139) Abb. 395 (Usta Sakird Kümbeti bei Ahlat am Van-See, 1273–1281). Vgl. auchGrabar – Hill a. O. (Anm. 139) Abb. 479 (Huand Hatun Türbesi in Kayseri, 1237/1238); J. Gierlichs, Architek-

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In der byzantinischen Architektur kommt das Motiv noch einmal am südlichen Traufgesimsder Lala Sahin Pasa Türbesi im bithynischen Mustafa Kemalpasa vor. Die S-Wand ist älter alsdie Türbe und gehörte wahrscheinlich ehemals zu einer palaiologischen Kirche (Abb. 90). IhrTraufgesims ruht auf einem Fries aus wechselweise halbrunden und spitzen Kleeblattbögen(Abb. 91)143. Die zugehörigen Konsolen legen einen seldschukischen Einfluß nahe, denn sieverjüngen sich nach unten auf die gleiche Weise wie bei Muqarnas-Friesen, wo sich das ausdem Anschluß weiterer Muqarnas-Nischen ergibt (vgl. Abb. 87).

Ähnliche, sich nach unten verjüngende Konsolen kommen auch bei zwei konstantinopoli-tanischen Kirchen vor: An der O-Fassade der palaiologischen S-Kirche des Lipsklosters, diezwischen 1282 und 1304 von der Kaiserinwitwe Theodora gestiftet wurde, bildet ein solcherKonsolenfries das Traufgesims der Hauptapsis und wird etwas niedriger an der südlichenNebenapsis wiederholt (Abb. 92)144. An der O-Fassade des Parekklesion, das Maria um 1315im Andenken an ihren verstorbenen Gatten Michael Glabas Tacherneiotes im Süden der Pam-makaristos-Kirche errichten ließ, läuft der spitzige Konsolenfries unter der Traufe aller dreiApsiden um (Abb. 93)145.

Bei den konstantinopolitanischen Beispielen bestehen die Konsolen nicht wie in MustafaKemalpasa aus Stein, sondern jeweils aus mehreren, nach unten in der Breite abnehmenden

tur der anatolischen Seldschuken, in: P. Delius – M. Hattstein (Hrsg.), Islam. Kunst und Architektur (Köln 2000)371–381, 375 (Hüdavent Hatun Türbesi in Nigde, 1312); S. Blair – J. Bloom – S. Chmelnizkij, Architektur derGroß-Seldschuken, in: Delius – Hattstein a. O. (Anm. 139) 354–369, 366 (sog. Mausoleum des Khwarazm-ShahsTekesh in Kuna Urgench, um 1200); U. Vogt-Göknil, Geometrie, Tektonik und Licht in der islamischen Archi-tektur (Tübingen 2003) 64 (Grabturm von Toghrul Bey in Rey, 1139).

143 Ousterhout 1991, 88 f. Abb. 28. 29.144 T. Macridy, The Monastery of Lips (Fenari Isa Camii) at Istanbul, DOP 18, 1964, 249–315, 265 Abb. 4; Curcic

a. O. (Anm. 2) 533–535.145 A. G. Paspates, /*0'12&1'? 645:2'& (Konstantinopel 1877; Reprint Athen 1986) Taf. nach S. 298; S. Eyice, Son

Devir Bizans Mimarisi. Istanbul’da Palaiologos’lar Devri Anıtları, Istanbul Üniversitesi Edebiyat Fakültesi Yay-ınları 999 = Türkiyede Ortaçag Sanatı Arastırmaları 1 (Istanbul 1963) 24 Taf. 24, 39; 34, 53; 36, 56; 39, 62; Cur-cic a. O. (Anm. 2) 535–537.

Abb. 90. Mustafa Kemalpasa, Lala Sahin Pasa Türbesi, S-Fassade Abb. 91. Wie Abb. 90: Detail des Bogenfrieses

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Abb. 92. Istanbul, Lips-Kloster, O-Fassade der S-Kirche von SO

Abb. 93. Istanbul, Pammakaristos-Kloster, O-Fassade des Parekklesions

Abb. 94. Bursa, Eski Kaplıca, Traufgesimse

Ziegeln. Das hat eine Parallele am Traufgesims des frühosmanischen Thermalbads von EskiKaplıca in Bursa (Abb. 94)146 und erinnert an die Stalaktiten-Struktur von Muqarnas (vgl.

146 H. Wilde, Brussa. Eine Entwicklungsstätte türkischer Architektur in Kleinasien unter den ersten Osmanen, Bei-träge zur Bauwissenschaft 13 (Berlin 1909) 92–94 Fig. 116. Der heutige Zustand des Traufgesimses geht auf

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Abb. 95. Istanbul, Pammakaristos-Kloster, Parekklesion: Steinverband der Wandverkleidung

Abb. 96. Istanbul, Pammakaristos-Kloster, Parekklesion: Obergeschoß der S-Fassade

Abb. 97. Istanbul, Chora-Kloster, S-Fassade des Parekklesions

Abb. 98. Wie Abb. 97: S-Fassade des Glockenturms

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Abb. 87). Daß an dem Parekklesion des Pammakaristos-Klosters ein östlicher Einfluß zumTragen kam, wird auch am Steinverband der Wandverkleidung (Abb. 95; vgl. Abb. 88)147 so-wie an der S-Fassade ersichtlich, wo eine zentrale Blendnische von einem eselsrückenförmi-gen, getreppten Ziegelbogen überfangen ist (Abb. 96)148. Dieses charakteristische Motiv istwohl ohne Zweifel auf die islamische Architektur zurückzuführen149.

Andere byzantinische Eselsrücken haben sich am Parekklesion des Chora-Klosters erhal-ten150, das von Theodoros Metochites nahezu gleichzeitig mit demjenigen der Pammakaristos-Kirche errichtet worden sein muß (Abb. 97). Neben getreppten Ziegelbögen kommen amGlockenturm des Choraklosters auch kleinere Eselsrücken aus Stein vor (Abb. 98), die dasMonogramm des Stifters überfangen und den spitzen Kleeblattbögen am Glockenturm vonSt. Benoît nahestehen.

6.5 Vorhalle

Offene Vorhallen in Loggia-Form, wie sie wegen den Relations inédites von 1610 viel-leicht bereits für den Ursprungsbau von St. Benoît anzunehmen ist, sind erst seit spätbyzan-tinischer Zeit bezeugt. Ousterhout zieht jedoch mittelbyzantinische Vorläufer in der Art leich-ter Holzkonstruktionen mit Pultdach in Erwägung151. L. Theis legt dar, daß seitlicheFlankenräume im Norden und/oder Süden der Kirchen, mit denen die Vorhallen häufig zu ei-nem u-förmigen Umgang verbunden sind, bereits auf die mittelbyzantinische Epoche zurück -gehen152. Dies mag also auch für die Vorhallen gelten. Da es im Fall von St. Benoît jedoch kei-nen Hinweis auf eine frühere Zeitstellung gibt, wird man für das offene, Loggia-artige Vestibülam ehesten eine spätbyzantinische Datierung annehmen.

6.6 Hoftor

Hoftore wie dasjenige von St. Benoît kommen bei spätbyzantinischen Klöstern häufigervor. Sie bestehen typischerweise aus einem hohen Bogen, der einen Vorraum überfängt, an densich rückwärtig ein niedrigeres Portal anschließt (Abb. 99)153. Möglicherweise können der-artige Tore als ein charakteristisches Merkmal monastischer Architektur gelten und signali-sierten nach außen hin, daß es sich bei dem ummauerten Komplex um ein Kloster handelte.

Das Hoftor von St. Benoît war mit dem gleichen keramoplastischen Dekor versehen wieder Glockenturm und deshalb wahrscheinlich zusammen mit Turm und Kirche errichtet wor-den. Gegebenenfalls deutet das darauf hin, daß die Kirche von vornherein als Katholikon ei-nes Klosters vorgesehen war. Die leichte Spitze des Torborgens (Abb. 60. 61) unterscheidetsich von den stärker ausgeprägten gotischen Spitzbögen der benachbarten Dominikaner -

eine Restaurierung zurück, aber die Abbildung von Wilde sowie ein Detailfoto im Archiv des DAI Istanbul (D-DAI-IST-R10371) belegen, daß die Ziegel-Konsolen älter sind. Vgl. C. Barsanti, L’antico bagno (Eski Kaplıcadi Bursa. Ieri e oggi, in: A. Armati – M. Cerasoli – C. Lucani (Hrsg.), »Alle gentili arti ammaestra«. Studi in onoredi Alkistis Proiou, Testi e studi bizantino-neoellenici 18 (Rom 2010) 125–161.

147 Vgl. auch Wilde a. O. (Anm. 146) 3 Abb. 3.148 Eyice a. O. (Anm. 145) Taf. 38, 59.149 Vgl. Grabar – Hill a. O. (Anm. 139) Abb. 354 (Amasya, Grab des 13. Jhs.). 363 (Niksar, Kirk Kızlar Türbesi,

frühes 13. Jh.). 374 (Sivas, Krankenhaus von Kai-Kavus, Herrschergrab, 1217) und passim.150 Ousterhout 1987, 135 f. mit Verweis auf »a common source – Islamic architecture«.151 Ousterhout 1987, 101–104.152 Theis a. O. (Anm. 122).153 A. K. Orlandos, I,1'+2A)&'C. ');&24C2,1&C. (Athen 1958) 17–26.

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kirche154, und wie bei den Kleeblattbögen am Glockenturm kommt neben der lateinischenauch eine seldschukische Herkunft in Frage155. Dafür kann einmal mehr das Portal der Sirç-alı Medrese in Konya als exemplarisches Beispiel dienen (Abb. 88; vgl. auch Abb. 102)156: Esgleicht dem Hoftor von St. Benoît auch darin, daß der leicht spitze Bogen auf Säulen ruhtund eine tiefe Nische bildet, an deren Rückseite das Portal liegt.

6.7 SO-Kapelle

Die ursprüngliche, polygonal ummantelte Apsis, der Tambour und die Schirmkuppel derKapelle können als typisch byzantinisch gelten157. Ungewöhnlich ist hingegen das reine Qua-dermauerwerk der S-Wand (Abb. 42). Im byzantinischen Kirchenbau wurden Quader zumeistmit Ziegeln kombiniert, z. B in Form von Schicht- oder Kästelmauerwerk. Das reine Qua-dermauerwerk verbindet die SO-Kapelle mit dem Glockenturm und muß innerhalb Kon-

154 J. Cramer – S. Düll, Baubeobachtungen an der Arap Camii in Istanbul, IstMitt 35, 1985, 295–321, Taf. 61. 62;Westphalen a. O. (Anm. 85) 280 f. Abb. 4. 5.

155 Bouras 2001, 258 mit Anm. 94. 95 verweist für derartige leicht spitzige Bögen außerdem auf mittelbyzantinischeBeispiele aus der Zeit vor der Lateinerherrschaft.

156 s. o. Anm. 130. Vgl. z. B. auch Brandenburg – Brüsehoff a. O. (Anm. 140) passim.157 Ousterhout 1991, 78; Müller-Wiener 1977, 100 f.

Abb. 99. Thessaloniki, Agios Nikolaos Orphanos-Kloster: Hoftor

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stantinopels als eine Besonderheit von St. Benoît gelten158. Möglicherweise geht es auf den-selben westlichen Einfluß zurück, der sich in dem Konzept des Glockenturms manifestiert.Alternativ könnte die Steinbauweise zusammen mit den Spitzbögen an Glockenturm und Hof-tor auch auf seldschukische Bautradition zurückzuführen sein, in der reines Quadermauer-werk verbreitet war (vgl. Abb. 86–88)159.

6.8 Datierung

Bei der Datierung des byzantinischen Ursprungsbaus von St. Benoît stellt sich zunächstdie Frage, ob er auch vor der lateinischen Eroberung Konstantinopels (1204) während dermittelbyzantinischen Epoche entstanden sein könnte. Für den Glockenturm ist das mit Si-cherheit auszuschließen, denn er setzt den lateinischen Einfluß voraus. Möglicherweise giltdas auch für das reine Quadermauerwerk an der S-Wand der SO-Kapelle, die deshalb zu-sammen mit dem Glockenturm erst in spätbyzantinischer Zeit errichtet worden sein dürfte.Das Hoftor ist wegen des übereinstimmenden keramoplastischen Dekors wahrscheinlich eben-falls zugleich mit dem Glockenturm und demzufolge unter palaiologischer Herrschaft gebautworden.

Demnach handelt es sich bei St. Benoît um eine spätbyzantinische Klostergründung. Mög-licherweise okkupierte sie von vornherein das gesamte Zisternenareal, und das ist deshalbbis heute als einheitlicher Besitz erhalten geblieben. Der wahrscheinlichste Zeitraum für einesolche Neugründung ist der palaiologische Bauboom nach der Wiedereinnahme Konstanti-nopels (1261). Damals wurden zahlreiche Klöster gestiftet und ein umfangreiches Baupro-gramm initiiert160. In Galata wird dafür reichlich Platz zur Verfügung gestanden haben; derAbriß der frühbyzantinischen Befestigungen und die Ansiedlung der Genuesen deuten dar-auf hin, daß der vormalige Stadtteil allenfalls noch lose bewohnt war. Es ist auch möglich, daßbereits ein älteres Kloster bestand und lediglich mit einer neuen Kirche und einem neuen Hof-tor ausgestattet wurde.

Falls die Identifizierung mit dem 1402 erwähnten Popen bzw. seiner Marienkirche stimmt,ergibt sich daraus ein Terminus ante quem für den Kirchenbau. Eine spätere Bauzeit erscheintohnehin nicht wahrscheinlich. Zum einen ging das Bauvolumen in spätpalaiologischer Zeitinsgesamt zurück161. Zum anderen lag das Zisternenareal nun im Vorfeld der gewachsenenund weiter wachsenden Genuesen-Stadt und ihrer Befestigungen, sicherlich kein opportuner

158 Bouras 2001, 258 verweist für die Peloponnes darauf, daß derartiger Steinschnitt dort bereits eine längere mittel-byzantinische Tradition hatte.

159 Vgl. o. Anm. 140.160 Ousterhout 1991, 75; V. Kidonopoulos, Bauten in Konstantinopel 1204–1328. Verfall, Zerstörung, Restaurie-

rung, Umbau und Neubau von Profan- und Sakralbauten, Mainzer Veröffentlichungen zur Byzantinistik 1 (Wies-baden 1994) 239–242; K.-P. Matschke, Builders and Buildings in Late Byzantine Constantinople, in: N. Neci-poglu (Hrsg.), Byzantine Constantinople. Monuments, Topography and Everyday Life, The MedievalMediterranean. Peoples, Economies and Cultures, 400–1453 33 (Leiden 2001) 315–328, 315–317; A.-M. Tal-bot, Building Activity in Constantinople Under Andronikos II. The Role of Women Patrons in the Constructionand Restoration of Monasteries, in: N. Necipoglu (Hrsg.), Byzantine Constantinople. Monuments, Topographyand Everyday Life, The Medieval Mediterranean. Peoples, Economies and Cultures, 400–1453 33 (Leiden 2001)329–343; V. Kidonopoulos, The Urban Physiognomy of Constantinople from the Latin Conquest through the Pa-laiologan Era, in: S. T. Brooks (Hrsg.), Byzantium. Faith and Power (1261–1557). Perspectives on Late Byzan-tine Art and Culture (New Haven 2006) 98–117.

161 Ousterhout 1991, 75 f.

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Platz für ein griechisch-orthodoxes Kloster (s. u.). Alles spricht also dafür, daß es sich beidem byzantinischen Ursprungsbau von St. Benoît um eine frühpalaiologenzeitliche Kloster-gründung aus dem späten 13. oder frühen 14. Jh. handelt.

7 ST. BENOÎT UND DIE PALAIOLOGISCHE ARCHITEKTUR VON KONSTANTINOPEL

Im Hinblick auf die palaiologische Architektur von Konstantinopel ergeben sich aus derkunsthistorischen Einordnung und Datierung des byzantinischen Ursprungsbaus von St. Be-noît insbesondere zwei neue Aspekte. Der eine betrifft fremde Einflüsse auf die byzantini-sche Architektur der Hauptstadt, der andere ihr Verhältnis zur Provinz. Was die fremden Ein-flüsse angeht, treten sie am Glockenturm von St. Benoît so deutlich und unverblümt hervorwie sonst nur in den Balkanstaaten, die unabhängig von Byzanz eigene, engere Beziehungenzum Westen pflegten. Auf dem Balkan übernahm man häufiger westliche Konzepte in denorthodoxen Kirchenbau162.

Im Unterschied zu manchen Balkanstaaten spielt der westliche Einfluß bei St. Benoît je-doch keine insgesamt dominierende Rolle. Die SO-Kapelle erhält durch ihre Tambourkuppeleinen dezidiert byzantinischen Charakter, und das gleiche galt wahrscheinlich für den heuteverlorenen Rest der Kreuzkuppel- oder Umgangskirche. Das Hoftor war gleichfalls typischbyzantinisch, und selbst am Glockenturm wird das westliche Konzept durch den keramopla-stischen Dekor byzantinisch verfremdet. Für die leichte Spitze des Torbogens und den Bo-genfries des Glockenturms kommt außerdem auch eine Entlehnung aus der seldschukischenArchitektur in Frage. Das macht deutlich, daß man sich bei diversen Traditionen bedient ha-ben und die westliche nur eine unter vielen Einflußgrößen gewesen sein könnte163.

Ein Blick auf das Gesamtbild der palaiologischen Architektur von Konstantinopel bestä-tigt das. Die zahlreichen Glockentürme haben dem byzantinischen Kirchenbau insgesamt kei-nen westlichen Stempel aufgedrückt, und das Spitzbogenmotiv wurde so stark abgewandelt,daß es an Chora- und Pammakaristoskloster in genuin byzantinischem Kontext nicht mehrals Fremdkörper erscheint. Dadurch bewahrt sich die hauptstädtische Architektur trotz derverschiedenen äußeren Einflüsse bis zuletzt Eigenständigkeit164.

Im Verhältnis zu den byzantinischen Provinzen, die sich während der palaiologischen Herr-schaft immer mehr zu selbständigen politischen Einheiten entwickelten165, erkennt Ousterhouthingegen eine zunehmende Abhängigkeit Konstantinopels. Allerdings geht er dabei davonaus, daß St. Benoît erst 1427 gebaut wurde, und kommt deshalb zu dem Schluß, daß man inder Hauptstadt damals Motive aufgriff, die im bulgarischen Nessebar/Mesembria bereits im

162 Vgl. z. B. die Raska-Architektur in Serbien: C. Mango, Architettura Bizantina (Venedig 1974) 312–314 Abb. 339–341; Krautheimer a. O. (Anm. 67) 433 Abb. 391; Curcic a. O. (Anm. 2) 487–505. 652–682.

163 Vgl. W. Müller-Wiener, Byzanz und die angrenzenden Kulturkreise, in: 16. Internationaler Byzantinistenkongreß.Akten 1 = JöB 31 (Wien 1981) II 575–609; N. Asutay-Effenberger, Spuren seldschukischen Lebensstils in derimperialen Architektur Konstantinopels im 12. Jh., in: U. Koenen – M. Müller-Wiener (Hrsg.), Grenzgänge imöstlichen Mittelmeerraum. Byzanz und die islamische Welt vom 9. bis 13. Jahrhundert (Wiesbaden 2008) 169–187.

164 Bouras 2001, 258 kommt für die Peloponnes zum gleichen Ergebnis.165 D. M. Nicol, The Last Centuries of Byzantium. 1261–1453 (Cambridge 1993); P. Schreiner, Neue höfische Zen-

tren im byzantinischen Reich. Die Kultur des trapezontinischen Kaiserhofes und der Despotatenhöfe, in:R. Lauer – H. G. Majer (Hrsg.), Höfische Kultur in Südosteuropa (Göttingen 1994) 42–55.

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14. Jh. eingeführt worden waren. Insbesondere vergleicht Ousterhout den Bogenfries amGlockenturm von St. Benoît mit solchen am Glockenturm der Pantokratorkirche von Me-sembria (Abb. 100) sowie an der O-Fassade der Johannes-Aleiturgitos-Kirche ebendort(Abb. 101)166.

166 Ousterhout 1991, 89. Zu Nessebar/Mesembria siehe jüngst Curcic a. O. (Anm. 2) 619–624.

Abb. 101. Nessebar/Mesembria, Johannes Aliturgitos-Kirche, O-Fassade von SO

Abb. 100. Nessebar/Mesembria, Pantokrator-Kirche von SW

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Die hier vertretene frühere Datierung des byzantinischen Ursprungsbaus von St. Benoît er-öffnet die Möglichkeit, daß der Bogenfries in Konstantinopel bereits eingeführt war, bevor erMesembria erreichte. Das gleiche gilt für das Verhältnis von Konstantinopel und Bursa, wodie offensichtlich byzantinisch beeinflußte Vorhalle der Moschee-Medrese Murats I. (Termi-nus ante quem 1385; Abb. 102) sowie das benachbarte und möglicherweise gleichzeitige Ther-malbad Eski Kaplıca an den Traufgesimsen ebenfalls umlaufende Bogenfriese aufweisen(Abb. 94)167. Im übrigen handelt es sich in Mesembria und Bursa um Rundbögen, die auchaus den stark westlich beeinflußten Balkanstaaten weiter im Norden importiert worden seinkönnten168.

Die frühe Datierung von St. Benoît und die daraus resultierende Möglichkeit, daß man inder Hauptstadt nicht von Mesembria abhängig war, könnte auch auf das Tekfur Sarayı zuübertragen sein (Abb. 103). Dieser letzte bekannte Palastbau von Konstantinopel wird tra-ditionell mit dem Haus des Porphyrogenetos Konstantin, des dritten Sohns von Michael VIII(1259–1282)169, identifiziert. G. Velenis zweifelt jedoch an dieser Zuschreibung und trittstatt dessen für eine spätpalaiologische Datierung ein, weil der reiche keramoplastische De-kor an datierten Bauten zum ersten Mal im 14. Jh. an den besagten Kirchen von Mesembriabezeugt ist (Abb. 100. 101)170. Ousterhout schließt sich dem an und verweist ergänzend auf

Abb. 102. Bursa, Moschee-Medrese Murats I. von NW

167 Wilde a. O. (Anm. 146) 12–16 Abb. 7. 15 (Moschee Murads I.); S. 92–94 Abb. 116 (Eski Kaplıca); J. Hoag, Is-lamische Architektur (Stuttgart 1976) 309 f. Abb. 404 (Moschee Murads I.).

168 Vgl. die Raska-Architektur in Serbien: Mango a. O. (Anm. 162) 312–314 Abb. 339–341; Krautheimer a. O.(Anm. 67) 433 Abb. 391; Curcic a. O. (Anm. 2) 487–505. 652–682.

169 s. o. Anm. 3.170 Velenes a. O. (Anm. 135) 102 f. 163–165.

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Abb. 103. Istanbul, Tekfur Sarayı, Detail der S-Fassade

Glockenturm und Hoftor von St. Benoît (Abb. 21–25. 60–62), vermeintlich aus dem Jahr1427171.

Deren Umdatierung auf die Zeit um 1300 erlaubt es nun, zu der traditionellen Einordnungdes Tekfur Sarayı ins späte 13. Jh. zurückzukehren und diese mit den stilistischen Beobachtun-gen von Velenis und Ousterhout übereinzubringen. Demnach setzte sich der keramoplastischeDekor zunächst in der Hauptstadt durch, bevor er von dort aus in die Provinz gelangte. Die kul-turelle Vorbildrolle von Konstantinopel überdauerte den Machtverlust der Zentralregierung.

8 ST. BENOÎT UND DIE GENUESISCHE OKKUPATION VON GALATA

Das Verhältnis zwischen den im byzantinischen Reich ansässigen Lateinern und der grie-chischen Bevölkerung war gespannt. Vor dem vierten Kreuzzug waren die Genuesen, Vene-zianer und Pisaner auf der anderen, südlichen Seite des Goldenen Horns innerhalb der by-zantinischen Stadt ansässig172. 1182 wurden sie dort von der griechischen Bevölkerungmassakriert. Auslöser war die Usurpation von Andronikos Komnenos, nachdem sich die Par-tei des minderjährigen, legitimen Thronfolgers Alexios II. in besonderem Maß auf die Latei-ner gestützt hatte173. Für die Genuesen bedeutete dieses Ereignis das vorläufige Ende ihrerGesandtschaft in Konstantinopel.

Als sie dann nach dem Ende des venezianisch dominierten Lateinerreichs doch wieder unddiesmal in Galata Fuß fassen sollten, ordnete Michael VIII. an, daß alle Griechen die genue-sische Konzession verließen und ins byzantinische Konstantinopel umzogen, bevor sich dieLateiner ansiedeln durften174.

171 Ousterhout 1991, 79.172 Balard 1978, I 107; P. Schreiner, Konstantinopel. Geschichte und Archäologie (München 2007) 94–97 Abb. 7.173 C. M. Brand, Byzantium Confronts the West 1180–1204 (Cambridge, Mass. 1968; Reprint Aldershot 1992)

41–43; Balard 1978, I 32.174 Georgios Pachymeres, Michael Palaiologos, hrsg. v. I. Bekker, Corpus scriptorum historiae Byzantinae 21 f.

(Bonn 1835) I 163; Balard 1978, I 182.

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Diese Segregation scheint Bestand gehabt zu haben. So führen die Akten der Massaria vonPera zwar zahlreiche Griechen aus den zuletzt befestigten ehemaligen Vororten Lagirio undSpira (im Westen von Pera) auf, aber nur wenige aus dem Bereich der ursprünglichen Kon-zession und deren älteren Erweiterungen. Umgekehrt gab kein Lateiner Lagirio oder Spiraals Wohnsitz an175. Dementsprechend selten waren Ehen zwischen den verschiedenen Grup-pen. In wenigen Fällen heiratete ein Genuese zwar eine Griechin, was aber wohl zur Folgehatte, daß die Kinder im genuesischen Milieu sozialisiert wurden, ohne daß eine Mischkul-tur entstanden wäre176.

Ähnlich verhielt es sich auch in den beiden anderen großen genuesischen Niederlassun-gen im byzantinischen Reich, auf Chios und in Kaffa auf der Krim177. Dort kam es 1347 bzw.1386 zu Aufständen gegen die genuesische Herrschaft, was Balard auf Steuern und Dienst-leistungen zurückführt, die von den Genuesen in ihrem Machtbereich erhoben wurden178. InPera war die Macht der Genuesen über die Griechen zunächst dadurch eingeschränkt, daß dieGriechen nicht der genuesischen, sondern der byzantinischen Rechtsprechung unterstellt wa-ren. Dieses Prinzip wurde jedoch sukzessive ausgehöhlt, und noch vor der Mitte des 14. Jhs.,als die Byzantiner einen Handelskrieg gegen die Genuesen begannen und verloren179, warenin Pera ansässige Griechen vollständig der genuesischen Gerichtsbarkeit unterworfen180.

Dennoch blieben etliche Griechen allen Widrigkeiten zum Trotz in Lagirio und Spira, auchnachdem die ehemaligen Vororte von den genuesischen Befestigungen eingeschlossen wor-den waren181. Balard führt das auf den genuesischen Handel zurück, an dem zu partizipierenoffenbar ein so bedeutender Vorteil war, daß der Nachteil der genuesischen Fremdherrschaftaufgewogen wurde182. Das galt natürlich nicht für Klöster. Der chronologische Zusammen-hang zwischen der Erwähnung des Popen der Marienkirche von Lagirio 1402, der Fertig-stellung der genuesischen Umfriedung in den Folgejahren und dem Brief von 1426, in demDe Corsanego um die Überlassung eines bereits bestehenden Klosters bittet, legt nahe, daßdieses zuvor aus Anlaß des genuesischen Mauerbaus verlassen worden war.

Die Aufgabe einer orthodoxen Institution in Lagirio ist von besonderem Gewicht, weil esdort die meisten Griechen gab und keine andere orthodoxe Kirche bekannt ist. Demnachdürfte die genuesische Herrschaft nicht nur in rechtlicher, sondern auch in kultureller Hinsichteinschneidende Beschränkungen für die davon betroffenen Griechen zur Folge gehabt haben.Alexios Makrembolites schrieb Mitte des 14. Jhs. unter dem Eindruck des byzantinisch-ge-nuesischen Handelskrieges183:

ToO -)=2,* !'5'&,53%,* 2P1 +C.-2)71 2Q> G'+&54?'> R-4&5A66:1,* C'S 2T UUUUUVW76'?71 F&:--,12,> -)L%6'2', R-4&+:J)A+41 4X> 2A1 Y642:)'1 RK Z<2'5?'> %:1,> X2'6[1 C'S \64?5&C2,1C'S -)[> 2,]> ,XC4?,*> 4^4)%:2'> J,1&C[1 C'S \;L)&+2,1, _ -'2)S> 6`1 a1 Y b411,E', 6c55,1

175 Balard 1978, I 271.176 Balard 1978, I 320–322.177 Balard 1978, I 204 (Kaffa); 215–218 (Chios); 273 (Kaffa); 274–277 (Chios); 321 f. (Kaffa und Chios).178 Balard 1978, I 352–354.179 M. Balard, A propos de la bataille du Bosphore. L’expédition génoise de Paganino Doria à Constantinople,

TravMem 4, 1970, 431–469; Balard 1978, I 78–83.180 Balard 1978, I 332 f.181 Balard 1978, I 270 f.182 Balard 1978, I 353 f.183 d3%,> &+2,)&C3> 1: A. Papadopoulos-Kerameus, A1L54C2' <4),+,5*6&2&C.> +2';*,5,%?'>, A, +*55,%. '14CF3271

C'& +-'1?71 455A1&C=1 +*%%)'J=1 -4)? 271 C'2L 2A1 "='1 ,)H,F3K71 4CC5A+&=1 C'& 6L5&+2' 2A> 271 !'5'&+2&-1=1 (St. Petersburg 1891) 144–159, 144.

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Möglicherweise kommt diese byzantinische Polemik dem Verhältnis der verschiedenenKulturen, die einander am Goldenen Horn gegenüberstanden, näher als die pittoresk verklä-renden Kupferstiche der westlichen Besucher184.

9 RESÜMEE

Die Klosterkirche von St. Benoît stellt sich als ein Pasticcio unterschiedlicher Bauab-schnitte dar und ist das Resultat zahlreicher Reparaturen, die den byzantinischen Ursprungs-bau bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Die letzte grundlegende Neugestaltung erfolgte 1732nach einer vorangegangenen Brandkatastrophe. Ein älterer Zustand ist im Khalili PortolanAtlas abgebildet und geht auf 1686/1687 zurück, als St. Benoît das erste Mal abbrannte bzw.wiederaufgebaut wurde. Daraus ergibt sich ein Terminus post quem für den Atlas, der inner-halb der folgenden zehn Jahre vor 1697 entstanden sein muß.

Bis 1686/1687 bewahrte die Kirche im Wesentlichen die Gestalt des byzantinischen Ur-sprungsbaus. Er enthielt Wandmosaiken, in denen Szenen des Festbildzyklus dargestellt undauf Griechisch beschriftet waren. In der polygonal ummantelten Apsis stand ein Synthronon.Glockenturm und SO-Kapelle haben sich bis heute erhalten, ein Hoftor wurde 1958 abgeris-sen. Anhand dieser Elemente läßt sich der Ursprungsbau in Form einer byzantinischen Kreuz-kuppel- oder Umgangskirche rekonstruieren. Wahrscheinlich wurde sie als Katholikon einesKlosters errichtet, welches das Areal einer frühbyzantinischen Zisterne einnahm. So erklärtsich auch, warum St. Benoît bis heute eine große, rechteckige und ebene Insula besetzt, wäh-rend Pera ansonsten kleinräumig und verwinkelt bebaut sowie von Gefälle gekennzeichnet ist.

Der byzantinische Ursprungsbau wird am ehesten während des palaiologischen Bauboomsnach der Wiederinbesitznahme Konstantinopels 1261 entstanden sein. Wahrscheinlich han-delt es sich um dieselbe griechisch-orthodoxe Marienkirche, deren Pope 1402 belegt ist. Siebefand sich zunächst außerhalb der genuesischen Konzession und wurde erst um die Wendezum 15. Jh. bei der letzten Erweiterung der genuesischen Befestigung von deren Mauerringeingeschlossen. Die genuesische Landnahme könnte die Griechen veranlaßt haben, die Kir-che aufzugeben, denn 1426 stand sie offenbar leer und deshalb für die Neugründung einerBenediktinerabtei zur Verfügung. Diese erfolgte 1427, wobei man zusätzlich zu dem Ma-rienpatrozinium ein weiteres benediktinisches einführte.

Die Aufgabe der orthodoxen Kirche und ihre anschließende lateinische Umwidmung wirftein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Byzantinern und Genuesen, das von Segregationgeprägt gewesen zu sein scheint. Die frühe Datierung des byzantinischen Ursprungsbaus vor1400 bezeugt die Fortschrittlichkeit der palaiologischen Architektur von Konstantinopel. Bo-genfries und keramoplastischer Dekor von Glockenturm und Hoftor könnten zunächst in derHauptstadt aufgekommen und erst danach in die Provinz übernommen worden sein, wo sieseit dem 14. Jh. bezeugt sind. Dies eröffnet auch die Möglichkeit, daß das Tekfur Sarayı unddie Lala Sahin Pasa Türbesi in Mustafa Kemalpasa mit ähnlichen Bogenfriesen und keramo-plastischem Dekor ebenfalls bereits vor 1400 entstanden.

184 Bouras 2001, 260 f., kommt für die Peloponnes zu einem ähnlichen Ergebnis.

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Schließlich veranschaulicht das Beispiel von St. Benoît, wie sehr man auch im Zentrum desbyzantinischen Reichs für äußere Einflüsse insbesondere aus dem lateinischen Westen, aberwohl auch aus dem islamischen Osten empfänglich war. Dabei zeichnen sich St. Benoît sowiedie palaiologische Architektur der Hauptstadt insgesamt dadurch aus, daß die äußeren Ein-flüsse verarbeitet werden und das Resultat einen eigenständigen byzantinischen Charakter hat.

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Sauvaget 1934, 261 Abb. 5. – Abb. 70. 71: Schiffahrtsmuseum Istanbul. – Abb. 74: Soucek 1996, Taf.(London, Nasser D. Khalili Collection, Ms. 718 fol. 4 b). – Abb. 75: Plassmann – Siebert 2005, Faksi-mile S. 54 (Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, Ms. G 13 fol. 54 r). – Abb. 76: A. Y. Kubi-lay, Maps of Istanbul 1422–1922 (Istanbul 2010) 47, Detail. – Abb. 78: Ebersolt – Thiers a. O.(Anm. 122) Taf. 30. – Abb. 79: Eyice a. O. (Anm. 123) Taf. 2 Abb. 2. – Abb. 80: Ousterhout 1999, 123Abb. 92 mit Änderungen. – Abb. 81: R. Ousterhout. – Abb. 82: Schweigger a. O. (Anm. 131) 118. –Abb. 83–85. 100. 101: Wikimedia Commons. – Abb. 86: D-DAI-IST-R3931. – Abb. 87: D-DAI-IST-Inv.142.079. – Abb. 88: O. Feld. – Abb. 89: Brandenburg – Brüsehoff a. O. (Anm. 140) Taf. 66. – Abb. 90:Ousterhout 1991, Abb. 28. – Abb. 91: D-DAI-IST-Perg.90-282.6. – Abb. 93: D-DAI-IST-R8486. –Abb. 99: Orlandos a. O. (Anm. 153) 21 Abb. 17 mit Änderungen. – Abb. 102: D-DAI-IST-R10.369. –Alle übrigen Abb.: Verf.

Dr. Philipp Niewöhner, Deutsches Archäologisches Institut Istanbul, Inönü Caddesi 10, 34 437 Istanbul, Türkei, E-Mail: [email protected]

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Zusammenfassung:Philipp Niewöhner, Saint Benoît in Galata. Der byzantinische Ursprungsbau

Die Klosterkirche von St. Benoît stellt sich als ein Pasticcio unterschiedlicher Bauabschnittedar und ist das Resultat zahlreicher Reparaturen. Die letzte grundlegende Neugestaltung er-folgte 1732. Ein älterer Zustand ist im Khalili Portolan Atlas abgebildet und geht auf1686/1687 zurück, woraus sich ein Terminus post quem für den Atlas ergibt, der innerhalb derfolgenden zehn Jahre vor 1697 entstanden sein muß.Bis 1686/1687 hatte die Kirche eine polygonal ummantelte Apsis mit Synthronon sowieWandmosaiken mit Festbildszenen und griechischen Beischriften. Glockenturm und SO-Ka-pelle haben sich bis heute erhalten, ein Hoftor wurde 1958 abgerissen. Anhand dieser Ele-mente läßt sich der Ursprungsbau in Form einer byzantinischen Kreuzkuppel- oder Um-gangskirche rekonstruieren. Sie könnte mit einer 1402 belegten griechisch-orthodoxenMarienkirche identisch sein, denn als 1427 die Benediktinerabtei gegründet wurde, scheintbereits ein älteres Marienpatrozinium bestanden zu haben.Die frühe Datierung des byzantinischen Ursprungsbaus vor 1400 bezeugt die Fortschritt-lichkeit der palaiologischen Architektur von Konstantinopel. Bogenfries und keramoplasti-scher Dekor von Glockenturm und Hoftor könnten zunächst in der Hauptstadt aufgekommenund erst danach in die Provinz übertragen worden sein, wo sie seit dem 14. Jh. bezeugt sind.Dies eröffnet auch die Möglichkeit, daß das Tekfur Sarayı und die Lala Sahin Pasa Türbesi inMustafa Kemalpasa mit ähnlichen Bogenfriesen und keramoplastischem Dekor ebenfalls be-reits vor 1400 entstanden.

Schlagwörter: Istanbul/Konstantinopel – Palaiologische Architektur – Lateiner – Neuzeit

Abstract:Philipp Niewöhner, Saint Benoît in Galata. The Original Byzantine Building

The monastery church of St. Benoît is the hotchpotch product of various construction phases andnumerous repairs. The last substantial remodelling took place in 1732. An earlier state is docu-mented in the Khalili Portolan Atlas and dates back to 1686/1687, which provides a terminuspost quem for the atlas that must habe been illustrated within the following ten years before 1697.Until 1686/1687, the church possessed a polygonal apse with synthronon as well as wall mo-saics with festival scenes and Greek inscriptions. The bell tower and south-east chapel survive;a courtyard gateway was demolished in 1958. On the basis of these elements it is possible toreconstruct the original structure in the form of a Byzantine cross-in-square church or a churchwith a deambulatorium. The edifice could be identical with a Greek Orthodox church of StMary attested for 1402, because when the Benedictine abbey was founded in 1427, an olderMarian patrocinium appears to have been already in existence.The early, pre-1400 dating of the original Byzantine building is evidence of the progressivenessof the Palaiologan architecture of Constantinople. The corbel table and ceramic ornamentationof the bell tower and courtyard gateway could have originated in the capital and then been trans-mitted to the provinces, where they are attested from the 14th century. This gives rise to the pos-sibility that the Tekfur Sarayı and the Lala Sahin Pasa Türbesi in Mustafa Kemalpasa, whichdis play similar corbel tables and ceramic ornamentation, were also erected before 1400.

Keywords: Istanbul/Constantinople – Palaiologan Architecture – Latins – Modern Era

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INHALTSeite

Douzoug l i , A. – Papadopoulos , J. K., Liatovouni: A Molossian Cemeteryand Settlement in Epirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Zusammenfassung S. 87

Hür müz lü , B., Die früheste Gruppe Klazomenischer Sarkophage aus Klazomenai . . 89Zusammenfassung S. 153

Niewöhne r, Ph., Saint Benoît in Galata. Der byzantinische Ursprungsbau . . . . . . . 155Zusammenfassung S. 241

ZUR GESCHICHTE UND ENTWICKLUNG DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS

Ma ie r A l l ende , J., Vorgeschichte und Gründung der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243Zusammenfassung S. 275

Hinweise für Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

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CONTENTSPage

Douzoug l i , A. – Papado p o u l o s , J. K., Liatovouni: A Molossian Cemeteryand Settlement in Epirus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Abstract p. 87

Hür müz lü , B., The Earliest Group of Clazomenian Sarcophagi from Clazomenae . . 89Abstract p. 153

Niewöhne r, Ph., Saint Benoît in Galata. The Original Byzantine Building . . . . . . . 155Abstract p. 241

ON THE HISTORY AND DEVELOPMENT OF THE GERMAN ARCHAEOLOGICAL INSTITUTE

Ma ie r A l l ende , J., The Prehistory and Establishment of the Madrid Department of the German Archaeological Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243Abstract p. 275

Information for Authors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

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