Mit 66 ist noch lange nicht Schluss - Deutscher Musikrat

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Musik leben und erleben in Deutschland. m 7,40 DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN MUSIKRATS Gemeinsame Sache: Wie WDR 3 mit Kulturträgern eine Zweck-Partnerschaft eingeht 63280 juli–september 2005___3 3. jahrgang Bürgerschaftliche Sache: Wie Ehrenämter wieder neue Anerkennung finden sollen Mit 66 ist noch lange nicht Schluss Das Themenheft zum aktuellen Altenbericht der Bundes- regierung Musizieren im dritten Lebensalter

Transcript of Mit 66 ist noch lange nicht Schluss - Deutscher Musikrat

Probedruck

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Musik leben und erleben in Deutschland.

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Gemeinsame Sache:Wie WDR 3 mit Kulturträgerneine Zweck-Partnerschaft eingeht

63280

juli–september 2005___33. jahrgang

Bürgerschaftliche Sache:Wie Ehrenämter wieder neueAnerkennung finden sollen

Mit 66ist noch lange nicht Schluss

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Singen mit SpaßGerade für die vielen älteren Menschen hat das Singen eine besondere Bedeutung. Denn durch dieFreude am gemeinsamen Singen und die mit bestimmten Liedern verbundenen Erinnerungenkönnen Geist und Körper gefordert und gefördert werden. So wird die Singstunde nicht nur zueinem fröhlichen Gemeinschaftserlebnis, sondern zugleich auch zum Trainingsprogramm fürgeistige und körperliche Fitness.Alle, die Musikstunden mit Senioren veranstalten, können mit den Materialien aus der Reihe „Singen

mit Spaß“ ihre Singstunden einfach vorbereiten und durchfüh-ren. Durch die Playbacks auf der beiliegenden CD ist es möglich, alleLieder zu begleiten, ohne dass ein Instrument benötigt wird. Die CDenthält außerdem alle Titel in Vollversion. Das didaktische Hand-buch für die Gruppenleitung umfasst neben Liedtext, Noten undHarmonieangaben auch Informationen zur Geschichte des Liedes undAnregungen zu Gedächtnis- und Bewegungsübungen und leich-tem Instrumentalspiel. Das Liederbuch im handlichen Format ist ausge-stattet mit Noten und Texten in Großdruck und einem abwasch-baren Einband. Die Melodien sind der tieferen Stimmlage ältererMenschen angepasst.

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337_BSS_Singen_A4_4c 14.06.2005 12:01 Uhr Seite 1

MUSIK�ORUM 3

Christian HöppnerRedaktionsleitung

EDITORIAL

DIE EWIG JUNGEN nun auch beim Musizieren? Zwerchfell-Lifting für „musizierende Menschenim dritten Lebensalter“, egal, ob an der Bachtrompete oder im Chor? Wir nähern uns dem Themavon unterschiedlichen Seiten, machen damit deutlich: Keine Schublade ist groß genug, vorhandeneKlischees darin aufzunehmen. Dieses Thema wird nicht erst in einigen Jahren relevant, wenn derdemografische Wandel für jeden unübersehbar ist – es ist bereits jetzt aktuell. Die Alten sind da.Vitaler und anspruchsvoller denn je. Dabei ist eine eigenartige Melange zwischen Schwellenangst undSelbstbewusstsein zu beobachten, die die derzeitige Schieflage von Angebot und Nachfrage skizziert.Konzeptionell wie quantitativ.

Der 87-jährige Herr, der vor einigen Jahren, in meiner Zeit als Musikschulleiter, schüchtern das Bürobetrat, um sich verschämt nach einer Möglichkeit zu erkundigen, seine aus Jugendtagen verstaubteGeige unter Anleitung selber wieder zum Klingen zu bringen („Meine drei Enkel wollen im Quartettmit mir spielen“) – er ist vielleicht immer noch kennzeichnend für die gegenwärtige Situation.

Umso mehr geht es nun darum, neue und veränderte Formen des Zusammenlebens darzustellen.Wobei die Musik ein idealer Brückenbauer sein kann, indem sie verhindert, dass wir in weitere „Getto-fallen“ steuern. Wir brauchen keinen „musikalischen Seniorenteller“, sondern Angebote, die generationen-übergreifend wirken können. Denn: Musik bewegt unabhängig vom Alter. Warum also nicht zumBeispiel bei „Jugend musiziert“ eine neue Kategorie Familienmusizieren einführen? Warum nicht dieAltersbegrenzung in den Musikschulen aufheben, die noch das Präfix Jugend tragen?

Erfreulicherweise gibt es zukunftsweisende Einzelaktivitäten einiger Verbände und Institutionen.Gerade die Laienmusikszene bietet viele Beispiele generationenübergreifenden Musizierens. Dennoch:Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein für den Wert der Kreativität in unserer Gesellschaft. Wir ver-nachlässigen in sträflicher Weise die Kreativpotenziale – insbesondere in den Bereichen der musikali-schen Frühförderung und im generationenübergreifenden Musizieren. Dazu gilt es auch, Zusammen-hänge deutlich zu machen, die das Musizieren be- oder verhindern. Die Forderungen nach mehröffentlicher Wahrnehmung und Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements und Entbürokratisierungder Rahmenbedingungen sind ein zentraler Bestandteil dieser Bewusstseinsarbeit. Die Laienmusikszeneist nun einmal das Fundament des Musiklebens in Deutschland.

Übrigens: Dem oben erwähnten älteren Herrn konnte durch die Vermittlung eines hoch motiviertenMusikschullehres geholfen werden. Nur ein halbes Jahr später berichtete er schon von aufregendenund beglückenden Quartettproben mit seinen Enkeln. Was gibt es für eine schönere Aufgabe, als beidiesem Brückenbau mitzuwirken?

Ihr

Christian Höppner

MUSIK ALS

Brückenbauer

INHALT

IM FOKUS:MIT 66 ISTNOCH LANGENICHT SCHLUSS –MUSIZIERENIM DRITTENLEBENS-ALTER

10Potenziale des AltersAndreas Kruse kommentiert die Inhalte des 5. Altenberichts der Bundes-regierung, der die Stellung älterer Menschen in der Gesellschaft unterstreicht

„Frühförderung ist Grundstein…“Bundesministerin Schmidt: Musikalische Teilhabe älterer Menschen stärken!

Ausbildungsdisziplin MusikgeragogikWie Pädagogen, Musiker und Therapeuten musikalische Bildung in derAltenarbeit fördern, schildern Hans Hermann Wickel und Theo Hartogh

„Musizieren im Alter bewegt etwas!“Der Physiologe Eckart Altenmüller plädiert für mehr Musiktherapie

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MUSIK�ORUM4

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Create yourself –create your marketIn der Ausbildungskrise: Was ein Musik-studium eigentlich leisten müsste. 47

Für alle, deren Fantasienoch Flügel hatMuster für Musikerziehung: das Kinder-musical 3 Wünsche frei. 50

Zugang zu ZeitgenössischemZur erfolgreichen VdM-Initiative „NeueKammermusik für Musikschulen“. 60

b i ldung. forschungneuetönet i t e l themen

„Zuallererst Künstler“Manfred Trojahn, Präsident des Kompo-nistenverbands, zwischen Funktionärs-arbeit und künstlerischem Handeln. 36

Alt = gut, neu = schlecht? Über Rock- und Pop-Präferenzenjenseits des Jugendalters. 39

Vielfalt statt MainstreamFünf Acts im Meisterkurs für PopuläreMusik: PopCamp startet als Modell zurSpitzenförderung junger Bands. 41

Partnerschaft für mehr KulturWDR 3 entwirft Modell der Kooperationzwischen Rundfunksender und Kultur-trägern. Im Gespräch: ProgrammchefKarl Karst. 32

BürgerschaftlichesEngagement im MusiklebenGitta Connemann, Vorsitzende derEnquete-Kommission „Kultur in Deutsch-land“, plädiert für eine neue Kultur desEhrenamts. 34

fokus

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Rock’n’Roll durch die GleitsichtbrilleJürgen Terhag über musikalische Sozialisation im dritten Lebensalter

Praxisbeispiele:

Alter spielt hier keine RolleNeue Didaktik: die Hamburger Musik-Akademie für Senioren

„Schreibe die Partitur deines Lebens selbst!“Verein New Generation bringt ältere Menschen musikalisch „auf Trab“

Rock’n’Roll is here to stay…In einer Band spielen und jung bleiben

Damit das Alter eine Zukunft hatWerbung für neuen Umgang mit dem Alter: der Verein „Aging-alive“

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MUSIK�ORUMjuli – september 2005___3

MUSIK�ORUM 5

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por t rä tBrückenbauer am AkkordeonAuf ungewöhnlichem Weg zur zeitge-nössischen Musik: Teodoro Anzellottiim Interview. 44

präsent ier tProjekte im deutschen Musikleben:Das Beatles Museum Halle. 61

rubr ikenEditorial 3

Nachrichten 6

Rezensionen: CDs und Bücher 62

Echo: Replik und Leserbriefe 64

Finale, Impressum 66

Was ist „guterMusikunterricht“?Deutscher Musikrat legt Positionspapiermit sieben Thesen und weiteren Ausfüh-rungen zur „Musik in der Schule“ vor. 53

Mehr jugendorientierteAngebote nötigJugend-KulturBarometer nimmt Interessejüngerer Menschen an klassischer Musikaufs Korn. 56

dokumentat ion

wir trauern

Siegfried Palm †Der ehemalige Vizepräsident desDeutschen Musikrats, Siegfried Palm,starb im Alter von 78 Jahren in seinemHeimatort Frechen. MusikratspräsidentMartin Maria Krüger würdigte die Ver-dienste des Violoncellisten um dasdeutsche Musikleben. Als leidenschaft-licher Pädagoge und bedeutender In-terpret Neuer Musik habe sich Palmimmer wieder mit bewundernswertemEngagement für die Belange der Musikeingesetzt. Krüger: „Der Deutsche Mu-sikrat hat seiner Weitsicht und Tatkraftviel zu verdanken.“ Der Generalsekre-tär des Deutschen Musikrats, ChristianHöppner, vertrat den Musikrat bei derTrauerfeier und kondolierte den Ange-hörigen.

Der in Wuppertal geborene Palmstudierte bei Enrico Mainardi. NebenEngagements als Solocellist im Städti-schen Orchester Lübeck, im Radio-Sin-fonieorchester Hamburg und im WDR-Sinfonieorchester Köln war er u. a. Di-rektor der Staatlichen Hochschule fürMusik Rheinland, Generalintendant derDeutschen Oper Berlin, Präsident der„Internationalen Gesellschaft für NeueMusik“ und Präsident des Deutsch-Französischen Kulturrats. Seit 1962war Palm Dozent bei zahlreichen re-nommierten Meisterkursen wie demInternationalen Ferienkurs für NeueMusik in Darmstadt und unterrichteteam Königlichen Konservatorium inStockholm, am Dartmouth College(USA) in Rouen und Madrid. 2004wurde ihm das Große Bundesverdienst-kreuz verliehen.

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Kreile hält Plädoyer für Wert des geistigen Eigentums

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Hans-HerwigGeyer (Bild), Europa-Experte des DeutschenMusikrats und Bundes-vorsitzender derJeunesses MusicalesDeutschland, ist vonder Generalversamm-lung des EuropäischenMusikrats zum neuen

Vizepräsidenten gewählt worden. „Diegesetzlichen Vorgaben aus Brüssel für dieEU-Mitgliedsstaaten dürfen die kulturelleVielfalt Europas nicht bedrohen, sondernmüssen sie befördern“, betonte Geyer nachseiner Wahl. Er forderte eine neue Priori-tätensetzung auf Grund der kulturellen undökonomischen Bedeutung des europäischenMusiklebens. +++ Bremens BürgermeisterHenning Scherf ist neuer Präsident desDeutschen Chorverbandes. Bei der erstenVersammlung der Organisation, die durchVerschmelzung des Deutschen Sängerbunds(DSB) und des Deutschen AllgemeinenSängerbunds (DAS) entstanden und mitinsgesamt 1,85 Millionen Mitgliedern derweltgrößte Verband von Laienchören ist,wurde Scherf in Magdeburg mit überwälti-gender Mehrheit gewählt. +++ Der Direktordes Wiener Burgthea-ters, Klaus Bachler(Bild), wird im Septem-ber 2008 die Leitungder Bayerischen Staats-oper in München über-nehmen, nachdem derVertrag mit dem desig-nierten Intendanten,Christoph Albrecht,gelöst wurde. Bis dahin wird das Haus voneinem Interimsdirektorium – unter Vorsitz

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des neuen Generalmusikdirektors KentNagano – geleitet. +++ Hans Herdlein,seit 1972 Präsident der GenossenschaftDeutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA),bleibt weitere vier Jahre im Amt. Die Dele-gierten des Genossenschaftstags bestätigtenihn mit überwältigender Mehrheit. +++Aus Anlass des 60-jährigen Jubiläums desPolnischen Komponistenverbands wurdeder Präsident des Deutschen Musikrats,Martin Maria Krüger, in dessen Ehren-komitee berufen. Damit würdigte derVerband die Unterstützung des Musikrats,der sich immer wieder für die Förderungdes interkulturellen Dialogs zwischen denbeiden Ländern eingesetzt hat. +++Winfried Richter(Bild), Landesvorsitzen-der der Musikschulen inSchleswig-Holstein, wur-de in Essen zum neuenBundesvorsitzenden desVerbands deutscherMusikschulen (VdM)gewählt. Vor der Wahlwurden der langjährigeVorsitzende GerdEicker, der stellvertretende VorsitzendeKlaus-Jürgen Weber und Bundesge-schäftsführer Rainer Mehlig, der nach34 Jahren sein Amt an Matthias Pan-nes übergeben hat, feierlich verabschiedet.+++ Robert von Zahn ist neuer Gene-ralsekretär des Landesmusikrats NRW, dermit der Neubesetzung auf neue Impulsefür das Musikleben des bevölkerungsreichs-ten Bundeslandes hofft. +++ Der KölnerMusikwissenschaftler Dettloff Schwerdt-feger wurde zum 1. Januar 2006 in denVorstand der Stiftung und zum Geschäfts-führer des Bach-Archivs berufen.

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NACHRICHTEN

Reinhold Kreile, Vorstandsvorsitzender derGEMA und anlässlich der Jahreshauptver-sammlung Ende Juni in München zu ihremEhrenpräsidenten gewählt, nutzte seinenletzten Geschäftsbericht vor Ende seinerAmtszeit zu einer Grundsatzrede über Wertund Würde des geistigen Eigentums unddie Maximen des Urheberrechts.

Mit dem Hinweis auf den von der GEMAgewonnenen Streit mit der Tonträgerindustrieum die Höhe der Lizenzierung für Tonträgerstellte Kreile fest: „Wir haben hier nicht nureinen Prozess gewonnen, sondern eine Grund-

satzauseinandersetzung um die Respektierungdes geistigen Eigentums. Denn hier ging esnicht nur um Prozente, diese Prozente sindAusdruck von Wert und Würde des Schöpferi-schen.“

Der GEMA-Aufsichtsratsvorsitzende Chris-tian Bruhn bedankte sich im Namen aller Mit-glieder bei Kreile für dessen Verdienste umdie musikalisch Kreativen in Deutschland: „Siehaben sich als unermüdlicher Kämpfer für dieBelange der GEMA eingesetzt und sind welt-weit geschätzt als die Führungspersönlichkeitder musikalisch kreativen Menschen.“

Nationale Kultur-politik stärkenDer FDP-Vorsitzende Guido Wester-welle hat sich nachdrücklich für eineStärkung der nationalen Kulturpolitikausgesprochen. In einem Spitzenge-spräch mit dem Vorstand des Deut-schen Kulturrats ließ er aber offen, obdie bisherige Struktur gestärkt oderein Bundeskulturministerium einge-richtet werden sollte.

Mit Blick auf die Diskussionen umeine Mehrwertsteuererhöhung unter-strich Westerwelle, dass er eine struktu-relle Veränderung des Steuersystemsanstrebe und eine Mehrwertsteuerer-höhung generell ablehne. Weiter stellteder kultur- und medienpolitische Spre-cher der FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, klar, dass sich seine Par-tei für die Stärkung der Künstlersozial-versicherung einsetze. Die FDP werdedie Künstlersozialversicherung erhaltenund die Künstlersozialkasse wieder inOrdnung bringen. Ein wichtiger Schrittsei die tatsächliche Erfassung aller abga-bepflichtigen Verwerter.

Als wichtige kulturpolitische The-men für die nächste Legislaturperiodenannte Westerwelle ein Gesetz zur Er-leichterung der Gründung von Stiftun-gen sowie die Verbesserung ihrer steuer-lichen Rahmenbedingungen. Weitersprach er sich nachdrücklich dafür aus,im nächsten Deutschen Bundestagwieder eine Enquete-Kommission „Kul-tur in Deutschland“ einzusetzen.

Spitzengespräch in Sachen Kultur: Der kulturpolitische Sprecher der FDP-Bundestags-fraktion Hans-Joachim Otto, FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle, die stellvertretendenVorsitzenden des Kulturrats Christian Höppner und Claudia Schwalfenberg sowie OlafZimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats (von links). Foto: Hummelsiep

˜ Internationaler ARD-Musikwettbewerb gerettetAuch 53 Jahre nach seiner Gründung wird der Internationale Musikwettbewerb der ARDweiter bestehen. Darauf einigten sich die Intendanten der ARD auf ihrer Arbeitssitzung inBremen.

Der Wettbewerb stand als Gemeinschaftseinrichtung wegen ungeklärter Finanzierungs-fragen vor dem Aus. Die Hörfunkkommission der ARD hatte zuvor ein Sparpaket für denMusikwettbewerb vorgelegt, das nun von den Intendanten gebilligt wurde. Demnach wer-den die finanziellen Aufwändungen für den Klassik-Wettbewerb um rund ein Drittel redu-ziert. Der Bayerische Rundfunk trägt als federführende Anstalt die Kosten für die Leitungdes ARD-Musikwettbewerbs und die festen Personalkosten.

Staat soll Kultur schützenDie Enquete-Kommission „Kultur inDeutschland“ hat ihren Zwischenberichtvorgelegt. Darin fordern die Mitglieder,den Schutz und die Förderung von Kulturim Grundgesetz zu verankern.

Es fehle eine entsprechende Bestimmungüber die geistigen und ideellen Dimensionenmenschlichen Daseins, heißt es zur Begrün-dung. Daher solle das Grundgesetz um dieFormulierung ergänzt werden: „Der Staatschützt und fördert die Kultur.“ Bundestags-präsident Wolfgang Thierse sprach sich, wiedie Kommissionsmitglieder selbst, im Fallevon Neuwahlen dafür aus, dass auch dernächste Bundestag die Enquete-Kommissioneinsetzen solle, um die noch nicht abge-schlossene Arbeit fortzuführen.

MUSIK�ORUM 7

„Musikland Deutschland – Wie viel kulturel-len Dialog wollen wir?“, lautet der Titel einerFachtagung, die der Deutsche Musikrat am4. und 5. November in Berlin veranstaltet.

Einwanderung ist ein aktuelles Thema inDeutschland und wird es in den kommen-den Jahren noch mehr sein. Gerade Künst-ler und Kulturschaffende betonen gerne,dass sie den „interkulturellen Dialog“ als be-reichernd empfinden, dass sie offen sind fürin Deutschland lebende Migranten ebensowie für den künstlerischen Austausch mitanderen Ländern Europas und der Welt.Gleichzeitig aber gibt es auch Ängste undAbwehrmechanismen sowohl wirtschaftli-cher wie auch inhaltlicher Art. Egal, ob dieBedenken mit der Angst um Arbeitsplätzeund Dumping-Honorare für „Konkurren-ten“ aus dem Osten zu tun haben oder ganzeinfach mit einem Gefühl der Fremdheitgegenüber kulturell und musikalisch Unge-wohntem – wir müssen uns ihnen stellenund mit ihnen umgehen.

Die Fachtagung will sich mit der Fragebeschäftigen, wie Kultur und Musik, wie

speziell auch der Musikrat mit seinen Mit-gliedern und Projekten Integration und ge-genseitiges Verständnis befördern können.Auch geht es um die Frage, welche politi-schen Forderungen und – daraus folgend –Handlungsempfehlungen nötig sind, umdiese Integration voranzutreiben. Dabeirichtet sich das Augenmerk ebenso auf denkulturellen Dialog, der in Deutschland statt-findet, wie auch auf die Beziehungen zwi-schen „Deutschland und der Welt“.

Ziel der Tagung ist es, das Bewusstseinfür die Bedeutung und den Zusammenhangvon kultureller Identität und interkulturel-lem Dialog zu stärken, diese in das Zentrum(gesellschafts-)politischer Wahrnehmung zurücken und konkrete Forderungen wie Hand-lungsempfehlungen an politische Institutio-nen zu formulieren. Daneben sollen BestPractice-Beispiele erfolgreiche Modelle desmusikalischen Dialogs in der Praxis zeigen.Zur Teilnahme eingeladen sind Pädagogenund Multiplikatoren, Kulturmanager aus derPraxis sowie Verbandsvertreter und Kultur-politiker.

˜ Fachtagung: Kultureller Dialog und Integration

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Als Botschafter in Japan:Bundesjugendorchesterbeim DeutschlandjahrIm Rahmen des Deutschlandjahres inJapan stellt sich das Bundesjugend-orchester des Deutschen Musikratsim Juli mit vier Konzerten dem japa-nischen Publikum vor.

Mit der Tournee folgt Deutschlandsjüngstes Spitzenensemble (im Bild oben)einer Einladung des Auswärtigen Amts,das in Zusammenarbeit mit dem Goe-the-Institut die Koordination des Kultur-austauschs übernommen hat. Staats-ministerin Kerstin Müller zeigte sich überdie Entscheidung, das Nachwuchsorches-ter in Fernost konzertieren zu lassen, er-freut: „Die jungen Musiker zeichnen sichdurch eine wunderbare Mischung aushöchster Qualität, mitreißender Begeis-terungsfähigkeit und Aufgeschlossenheitaus. Einen besseren Vertreter in Japankann Deutschland sich kaum wünschen.“

Neben einer Uraufführung des Leip-ziger Komponisten Bernd Franke ste-hen Werke von Karl Amadeus Hartmannund Gustav Mahler auf dem Programm.Die musikalische Leitung übernimmtDirigent Gerd Albrecht.

Pure Musizierfreude: Die „Jumu“-Preisträger zogen das Publikum in ihren Bann. Foto: Malter

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NACHRICHTEN

ausgezeichnetMichael Hirsch(Bild) erhielt im Juniden Busoni-Komposi-tionspreis der BerlinerAkademie der Künstefür seine grenzüber-schreitenden Genresmit Elementen vonHörspiel, Musiktheaterund Oper. +++ Dermit 10000 Euro

dotierte Händel-Preis der Stadt Halle gehtposthum an den Musikwissenschaftler undKritiker StanleySadie, der sich seitAnfang der sechzigerJahre in besondererWeise mit HändelsGeburtsstadt verbun-den fühlte. +++ Dierussisch-amerikanischeKomponistin undPianistin Lera Auer-bach (Bild) wurde mit Fo

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dem Paul Hindemith-Preis ausgezeichnet,einem mit 20 000 Euro dotierten Kompo-nistenpreis. +++ Preisträger des mit13 000 Euro dotierten Schneider-Schott-Musikpreises 2005 ist der 35-jährigeKomponist, Dirigent und Pianist EnnoPoppe, Stipendiat an der Cité Internatio-nale des Arts in Paris. +++ Die 1975 inHamburg geboreneSopranistin MojcaErdmann (Bild) er-hält den NDR-Musik-preis 2005. Mit derAuszeichnung, dieam 13. August beimSchleswig-Holstein-MusikFestival vergebenwird und mit 10 000Euro dotiert ist, werde– so die Begründung – eine Künstleringeehrt, die extrem vielseitig sei und einbreit gefächertes Repertoire von der Musikdes Barock bis zu zeitgenössischen Werkenmeistere.

Rekord: 2000 Teilnehmerbeim Bundesfinale „Jugendmusiziert“ in NürnbergMit dem traditionellen Abschlusskonzertging in Nürnberg der 42. Bundeswettbe-werb „Jugend musiziert“ zu Ende. NeunTage lang wetteiferten rund 2000 jungeMusiker aus Deutschland und deutschenSchulen im Ausland um Punkte, Preiseund Stipendien.

Sie bilden die Spitze von über 20000hoch engagierten jungen Leuten, die sichbundesweit qualifiziert hatten. Mit dieserhohen Teilnehmerzahl meldete der Deut-sche Musikrat erneut eine Rekordmarke.

Erstmalig haben die Veranstalter in die-sem Jahr den Sonderpreis der Stadt Schwen-

ningen ausgeschlagen – als Signal gegen diedrohende Abwicklung ihrer Musikschule.Spontan erklärte sich Bundesministerin Re-nate Schmidt bereit, die Finanzierung fürdieses Jahr zu sichern.

„Jugend jazzt“-Preisträger gekürtBei der 5. Bundesbegegnung „Jugend

jazzt“ in Koblenz vergab eine Jury renom-mierter Musikprofessoren 22 Preise imWert von rund 60000 Euro. Erster Preisträ-ger wurde die sechsköpfige Band „Tee mitSahne“ aus Niedersachsen, die sich durch Ei-genkompositionen und ungewöhnliche Stil-mischungen hervorhob. Sie erhielt den Stu-dio-Preis mit Aufnahmen und Anschluss-produktionen beim Deutschlandfunk.

MUSIK�ORUM 9

Unbekanntes Vokalwerk von Bach entdecktUnter den Beständen der Herzogin Anna

Amalia-Bibliothek in Weimar wurde einebislang unbekannte Komposition JohannSebastian Bachs entdeckt. Bei der eigenhän-digen Partitur (Abb. unten) handelt es sichum eine Strophenarie mit Ritornell für Sop-ran, Streicher und Basso continuo, die Bach

im Oktober 1713 anlässlich des 52. Geburts-tags des Herzogs Wilhelm Ernst von Sach-sen-Weimar komponierte. Eine Erst- undFaksimileausgabe wird im Herbst 2005 imBärenreiter-Verlag Kassel erscheinen. Aucheine Ersteinspielung unter der Leitung vonSir John Eliot Gardiner wird vorbereitet.

© Bach-Archiv Leipzig

Das MIZ hilft bei der Suche nach dem richtigen Kurs

„Mein Kind möchte trommeln – aber wo?“Wie finde ich Meisterkurse für Pianisten, wie Trommelworkshops für Kinder? Wen kontak-tiere ich, wenn ich an einem Seminar zum Thema Musikmanagement, einem musikwissen-schaftlichen Kongress oder einer Fortbildung für Musiklehrer teilnehmen möchte?

˜ Bach-Biografie auf der BühneIn einer szenischen Biografie mit Bach’scherOriginalmusik, Kammerorchester und Chorbringt das Berliner Atze Theater- undKonzerthaus im September das Leben vonJohann Sebastian Bach auf die Bühne.

Das umfassende Künstlerporträt unterdem Titel „Bach – Das Leben eines Musi-kers in 33 Bildern“ zeigt den Komponistenauch als Menschen seiner Zeit, dessen Kon-flikte mit weltlichen und kirchlichen Institu-tionen bis heute faszinieren. Auf Grundlageder wichtigsten Bach-Biografien und zahlrei-chen weiteren Quellen wirft Theaterleiterund Autor Thomas Sutter seinen Blick ne-ben der kompositorischen und musikhisto-rischen Leistung Bachs besonders auch aufdessen Persönlichkeit und gesellschaftlich-politischen Verstrickungen. Insgesamt wer-den 35 Musikstücke aus der Feder des gro-ßen Komponisten in theatralisch angemes-sener Form präsentiert.

Zu den Besonderheiten der Aufführung– Premiere ist am 23. September – gehört,dass einige Musiker des Kammerorchesters(das als Hoforchester ins Bühnengescheheneingreift) auch als Sänger des Thomaner-Chores und Schauspieler in kleinen Neben-rollen aktiv werden.U www.atzeberlin.de

˜ Bundesmusikwoche „50plus“für ältere Musikfreunde

Der Bundesverband Deutscher Lieb-haberorchester (BDLO) veranstaltetvom 7. bis 16. November in derBayerischen Musikakademie Markt-oberdorf eine Bundesmusikwocheunter dem Motto „50plus“.

Teilnehmer sind 80 Musikfreunde über50 Jahre, die Freude am Singen haben, einklassisches Orchesterinstrument (Streich-oder Blasinstrument) oder Blockflöte spie-len. Als Angebote stehen zur Auswahl: Sin-fonieorchester (Leitung: Jürgen Bruns, Ber-lin), Kammerorchester (Irina Schulika,Nürnberg), Kammermusik, Blockflötenchor(Bernd Fröhlich, Berlin) und Kammerchor(Thomas Hofereiter, Nordhausen). Es gilt,Musikstücke in ihrer Grundstruktur zu erfas-sen und auszuleuchten, was die Bereitschaftzur aktiven Auseinandersetzung mit demWerk erfordert. Mit der Musikwoche rea-giert der BDLO auf den Trend, dass immermehr Senioren Kraft und Lebensfreude ausdem aktiven Musizieren ziehen und Musi-zieren als Herausforderung verstehen.U www.bdlo.de

Die Zahl und der Facettenreichtum der Kurse,Fortbildungen und Kongresse im deutschenMusikbereich sind so groß, dass es unmöglicherscheint, Pfade durch den Weiterbildungs-dschungel zu finden. Eine Hilfe bietet dasDeutsche Musikinformationszentrum (MIZ):Offen ausgeschriebene Kurse, Seminare, Kon-gresse sowie weitere Fortbildungsangebote

sind im Kursinformationssystem auf der Home-page des MIZ abrufbar. Dort finden sich Kurs-angebote von Bundes- und Landesakademienfür musisch-kulturelle Bildung ebenso wieMeisterkurse von Musikhochschulen und Work-shops von Verbänden und Vereinen. Zurzeitvermittelt das System ein Spektrum von über1500 Veranstaltungen. U www.miz.org

MUSIK�ORUM10

FOKUS

Höhere Lebenserwartung und immer frühzeitigeres Ausscheiden ausdem Erwerbsleben haben eine neue Lebensphase herausgebildet,

in der die Menschen weitgehend von Verpflichtungen in Beruf und Familiefrei sind, gleichzeitig aber leistungsfähig und leistungsbereit bleiben.„Dieser Lebensabschnitt sollte nicht nur individuell, sondern auch für dieGesellschaft genutzt werden“, so die Prämisse des Fünften Altenberichts,den die Bundesregierung Ende August vorlegen wird. Das Know-how, dieKompetenz und die Lebenserfahrung Älterer dürften weder in der Wirt-schaft noch in der Gesellschaft weiter ungenutzt bleiben.

Der Altenbericht, für dessen ErarbeitungBundesministerin Renate Schmidt im Mai2003 eine Sachverständigenkommission ein-setzte, will einerseits die Potenziale ältererMenschen in Wirtschaft und Gesellschaftaufzeigen und die gesellschaftlichen undstrukturellen Barrieren zur Nutzung dieserPotenziale aufdecken, zum anderen geht esdarum, praxisnahe Handlungsempfehlun-gen und Umsetzungsstrategien für Politik,Wirtschaft und Gesellschaft zu geben undZukunftsprognosen zu stellen.

Der Heidelberger Gerontologe AndreasKruse, Vorsitzender der Sachverständigen-kommission, hatte bereits im Vorfeld der

Veröffentlichung einen Perspektivenwech-sel angekündigt. Der Bericht werde Ent-wicklungsmöglichkeiten und Chancen älte-rer Menschen in und für die Gesellschaft inden Mittelpunkt stellen und mit überholtenVorstellungen vom älteren Menschen auf-räumen. Kruse: „Es kommt vor allem daraufan, ältere Menschen ein selbstverantworte-tes Leben führen zu lassen. Dazu sind Bil-

dungsangebote das ganze Leben lang nötig,vor allem für bildungsfernere Schichten.“

Für das MUSIKFORUM gibt Kruse einenEinblick in die Inhalte des Fünften Alten-berichts, wobei er Überlegungen daraus aufdie Bedeutung der Musik für das Leben imAlter umsetzt.

Für das Verständnis des Alters ist dasSchaffen von Johann Sebastian Bach (1685-1750) in hohem Maße aufschlussreich. Dergroße Komponist litt am Ende seines Lebensan einem schweren Diabetes und verlor fastvollständig sein Augenlicht. Die erfolgloseAugenoperation durch einen englischen„Meisterstecher“ (der auch Georg FriedrichHändel behandelt hatte) verursachte eineschwere Virusinfektion, die ihrerseits dieAnpassungsfähigkeit des Organismus zu-

Andreas Kruse über den Beitrag von Senioren

zum Zusammenhalt der Generationen

1. Ein Beispiel für Potenziale des Alters in einer Grenzsituationdes Alters: das Schaffen von Johann Sebastian Bach

POTENZIALE DES

Aktueller Altenbericht unterstreicht die Stellung

älterer Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft

sätzlich verringerte und damit zu einer wei-teren allgemeinen Schwäche beitrug.Schließlich erlitt der Komponist einenSchlaganfall, der letztlich zum Tode führte.Doch diese hohen körperlichen Belastun-gen stehen im Gegensatz zur geistigenSchaffensfreude des Komponisten zumEnde seines Lebens, ja sogar noch im letz-ten Lebensjahr1: Bach brachte vor seinemTode unter anderem die Kunst der Fugezum Abschluss, die aus musikwissenschaft-

MUSIK�ORUM 11

Alters

licher Sicht als ein „experimentelles Werk“,aus kognitions- und wissenspsychologischerSicht als Ausdruck von Kreativität verstan-den werden kann.

Warum als Ausdruck von Kreativität ?Kreativität beruht auf einer kommunizier-baren Originalität, die sowohl auf den Über-blick über die prinzipiell verfügbaren Optio-nen als auch auf eine fundierte Entschei-dung für eine im konkreten Fall gerade nichtnahe liegende, eher untypische, selten ge-wählte Option zurückgeht. Die Kunst derFuge kann verstanden werden als eine Folgevon Fugen (und Fugentechniken), die als inhohem Maße innovativ und damit als un-typisch anzusehen sind – dieses Werk zeugtvon hoher Experimentierkunst und Experi-mentierfreude.

Freiheit älterer Menschenfördert Kreativitätspotenzial

Kreativität kann sich auf sehr unter-schiedliche Akte und Produkte beziehen undsich in sehr unterschiedlichen Bereichen ent-wickeln: Menschen können Kreativität im Um-gang mit Dilemmata in zwischenmensch-lichen Beziehungen ebenso entfalten wie inkünstlerisch gestaltenden oder technologi-schen Bereichen. Unabhängig davon bewäh-ren sich kreative Lösungen häufig in breite-ren sozialen und kulturellen Kontexten, so-dass Personen durch die Entfaltung von Krea-tivität auch zum sozialen und kulturellenWandel und damit zur weiteren Entwick-lung der Gesellschaft beitragen.

Wenn ältere Menschen ein hohes Maßan Freiheit von bestimmten Leistungserwar-tungen und von Leistungsdruck empfinden,so kann sich ein hohes Kreativitätspotenzial

entfalten. Damit ein derartiges Potenzialüberhaupt entstehen kann, müssen mehre-re Bedingungen erfüllt sein. Zu nennen sindhier neben der anregenden, fordernden undfördernden Umwelt biografische Vorläufer,so vor allem: Offenheit für Neues, reflektier-te Auseinandersetzung mit neuen Erfahrun-gen, Entwicklung komplexer Problemlöse-strategien. Der Hinweis auf die Biografie istwichtig. Denn er verdeutlicht, dass die krea-tive Leistung nicht als ein einmaliger, außer-gewöhnlicher „Treffer“ zu verstehen ist („aone-shot affair“), sondern vielmehr als dasErgebnis einer lange anhaltenden, kontinu-ierlichen Beschäftigung mit einem Gebiet.

Warum nun ist dieses Beispiel für dasVerständnis des Alters hilfreich? Es zeigt,dass Menschen auch dann geistige (wieauch seelische) Potenziale zeigen können,wenn sie körperlich erkennbar geschwächtund eingeschränkt sind. Oder allgemeinerausgedrückt: Die körperliche Entwicklungunterliegt anderen Entwicklungsgesetzenals die seelisch-geistige Entwicklung. !

! Aus diesem Grund wäre es in hohemMaße problematisch, wollte man von denkörperlichen Prozessen im Alter unmittel-bar auf seelisch-geistige Prozesse schließen.In einer stark „körperorientierten“, die Ju-gendlichkeit des Menschen betonendenKultur wie der unseren ist die Gefahr groß,dass wir die seelisch-geistige Dimension desMenschen – speziell im Alter – übersehenund damit an einer wichtigen Qualität desLebens vorbeigehen.

2. Zur „Geschichte“der Altenberichte inDeutschland

Die Altenberichte wenden sich primäran die Bundesregierung und den DeutschenBundestag; sie sind jedoch gleichzeitig mitBlick auf die breite Fachöffentlichkeit ge-schrieben. In jeder Legislaturperiode desBundestags wird eine Expertenkommissionaus zehn bis 15 Personen berufen, die zueinem vom Deutschen Bundestag aufgege-benen Thema einen nationalen Bericht er-stellen und in diesem politische Empfehlun-gen geben soll. Bislang wurden vier Alten-

halt der Generationen“ gewidmet; er wirdEnde August 2005 der Bundesministerin fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend über-geben und nach einer Abstimmung inner-halb der Bundesregierung Anfang 2006dem Deutschen Bundestag zugeleitet. DieAltenberichte sollen zum einen wissen-schaftliche Befunde zum Thema „Alternund Alter“ zusammenfassend darstellen unddiskutieren, sie sollen zum anderen darle-gen, in welcher Hinsicht Lebensbedingun-gen und gesellschaftliche Altersbilder verän-dert werden müssen, um damit zu einemerfüllten, kompetenten und produktivenLeben im Alter beizutragen.

3. Inhalte des FünftenAltenberichts

Der Fünfte Altenbericht befasst sich mitsieben Themenbereichen: Neben der Ar-beitswelt, der Bildung, materiellen Siche-rung und Einkommensverwendung im Al-ter stellt er die Wirtschaftskraft Alter und dieThemenkreise Familie und außerfamiliäreNetzwerke, Engagement und Teilhabe so-wie Migration dar. Für jeden dieser sieben

mit einem Anstieg des Anteils 60-jährigerund älterer Menschen von heute 23 Prozentauf geschätzte 36 bis 40 Prozent im Jahr2050 – gewinnt die Frage, wie unsere Ge-sellschaft mit dem Humanvermögen desAlters (hier verstanden als das Gesamt destheoretischen und praktischen Wissens, derErfahrungen, der materiellen Ressourcen,des Hilfe- und Unterstützungspotenzials äl-terer Menschen) umgeht, zunehmend anGewicht. Dabei kommt die Kommission zueiner für unsere Gesellschaft kritischen Be-wertung: Das Humanvermögen des Alterswird, so wird dargelegt, viel zu wenig er-kannt, anerkannt und sozial und kulturellgenutzt. Ein Beispiel dafür ist der mit 60 Pro-zent sehr hohe Anteil an Unternehmen undBetrieben, die keinen Menschen über 50Jahren mehr beschäftigen.

Es ist eine intensive gesellschaftliche –und dies heißt: politische, kulturelle und so-ziale – Beschäftigung mit Fragen des Altersnotwendig, um zu differenzierteren Alters-bildern zu gelangen, die sowohl möglicheRisiken des Alters (im Bereich der Gesund-heit und Selbstständigkeit) als auch mögli-che Stärken und Kräfte des Alters berück-sichtigen. Diese differenzierte Sicht auf dasAlter ist derzeit nicht erkennbar: Alte Men-schen werden nicht in ihrem Humanvermö-gen für die Gesellschaft wahrgenommen,sondern vielmehr nur als eine „Belastung“des sozialen Sicherungssystems. Zudem, sozeigt die Kommission auf, ist die einseitigeOrientierung an körperlichen Alternsprozes-sen aufzugeben und durch ein umfassendesMenschbild – welches in gleicher Weise diekörperliche, die seelisch-geistige, die sozialeund die existenzielle Dimension des Men-schen berücksichtigt – zu ersetzen. Dennerst unter der Bedingung eines umfassendenMenschenbildes werden die Potenziale desAlters offenbar.

Ferner ist es notwendig, die Heterogenitätder Gruppe älterer Menschen zu betonen.Die Unterschiede zwischen den Menschenin den physiologischen, psychologischen undsoziologisch-ökonomischen Parametern neh-men mit wachsendem Alter nicht ab, son-dern eher zu. Aus diesem Grunde ist sowohlin der Theorie als auch in der gesellschaft-lichen und politischen Praxis eine Orientie-rung an dem Prinzip hoher Individualität der

FOKUS

MUSIK�ORUM12

berichte erstellt.2 Der erste behandelte dasThema „Alter und Gesellschaft“, der zweitedas Thema „Wohnen“, der dritte beschrieb„Ressourcen des Alters“, der vierte rückte„Die Lebenssituation hoch betagter Men-schen mit spezieller Berücksichtigung derVersorgung demenzkranker Menschen“ inden Vordergrund.

Der Fünfte nunmehr erscheinende Al-tenbericht ist dem Thema „Potenziale desAlters für Wirtschaft und Gesellschaft – derBeitrag älterer Menschen zum Zusammen-

Ältere werden nicht inihrem Humanvermögen

für die Gesellschaftwahrgenommen, sondern

nur als Belastung desSozialsystems

Themenbereiche werden zentrale wissen-schaftliche Befunde wie auch die aktuellegesellschaftliche Praxis diskutiert. Weiterhinwird aufgezeigt, wo mögliche Stärken desAlters liegen (Beispiel: Expertenwissen älte-rer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Po-tenzial für die Arbeitswelt oder für das En-gagement und die Teilhabe) und inwieweitunsere Gesellschaft diese Stärken nutzt oderungenutzt lässt.

Angesichts des tief greifenden demogra-fischen Wandels in unserer Gesellschaft –

Längst keinePyramide mehr:

Wo immer weniger Kin-der geboren und die Men-schen immer älter wer-den, läuft die Bevölke-rungsentwicklung nachoben nicht mehr spitz zu.In Deutschland lag imJahr 2003 das Verhältnisder Menschen im er-werbsfähigen Alter (zwi-schen 20 und 64 Jahren)zu den Älteren (ab 65Jahren) bei Dreieinhalb zuEins. Im Jahr 2030 wird esZwei zu Eins betragen.

Quelle: Statistisches Bundesamt

Kompetenzprofile wie auch der Lebens-lagen sehr bedeutsam.

Lebenslanges Lernen –Recht und Pflicht

Die Kommission geht von Leitbildern imHinblick auf die Entwicklung, die Aufrecht-erhaltung und die gesellschaftliche Nutzungvon Potenzialen im Alter aus. Das erste Leit-bild lässt sich umschreiben mit „Recht auflebenslanges Lernen und Pflicht zum lebens-langen Lernen“. Das geforderte Recht auflebenslanges Lernen wird sofort Konsens inunserer Gesellschaft finden, hingegen weni-ger die Pflicht zum lebenslangen Lernen.Die Pflicht zum lebenslangen Lernen ergibtsich aus der Tatsache des sozialen, des kul-turellen und des technischen Fortschritts, andem ältere Menschen – im Hinblick auf dieErhaltung von Selbstständigkeit und Selbst-verantwortung wie im Hinblick auf erhalte-ne soziale Teilhabe – in gleichem Maße parti-zipieren sollten wie jüngere Menschen. Dieserfordert Bildungsinteressen und Bildungs-aktivitäten auf Seiten des älteren Menschensowie entsprechende Angebote der ver-schiedenen Einrichtungen der Erwachsenen-bildung.

Das zweite Leitbild lässt sich umschrei-ben mit Prävention in allen Phasen des Le-benslaufs, wobei der Präventionsbegriffnicht nur medizinisch, sondern auch sozio-logisch und psychologisch verstanden wird.Es geht zum einen um die Vermeidung vonKrankheiten und funktionellen Einschrän-kungen, zum anderen um die Verringerun-gen bestehender sozialer Ungleichheiten imHinblick auf materielle Ressourcen, Bil-dungsressourcen, gesundheitliche Versor-gung, Wohnsituation etc. Eine zentraleKomponente der Prävention ist die Vermitt-lung von Kompetenzen, die für die selbst-ständige und selbstverantwortliche Lebens-führung wie auch für die soziale Integrationund Kommunikation im Alter bedeutsamsind. Im Hinblick auf dieses Leitbild – wieauch des Leitbilds des lebenslangen Lernens– sind empirische Befunde von Bedeutung,die auf die neuronale Plastizität (die Anpas-sungsfähigkeit der Nervenzellen) und damitauf die Lern- und Veränderungskapazitätdes Menschen über den gesamten Lebens-lauf hindeuten. Aus diesem Grunde sindGenerationen übergreifende Bildungsange-bote wichtig, die ausdrücklich auch die Bil-dungsinteressen älterer Menschen anspre-chen.

Das dritte Leitbild betont die Generatio-nengerechtigkeit: Die Förderung der Le-bensbedingungen älterer Menschen darf die

Entwicklungschancen nachfolgender Gene-rationen nicht beeinträchtigen. Aus diesemGrunde werden Fragen des Alters grund-sätzlich in Generationen übergreifendenKontexten behandelt.

Aus dem Leitbild der Generationenge-rechtigkeit geht jenes des mitverantwort-lichen Lebens älterer Menschen hervor:Ältere Menschen verfügen über kognitive,lebenspraktische, sozialkommunikative Kom-petenzen, die sie befähigen, innerhalb unse-rer Gesellschaft ein mitverantwortliches Le-ben zu führen – zum Beispiel im Sinne desEngagements in Kommune, Verein, in derNachbarschaft. Damit die Kompetenzen fürmitverantwortliches Handeln genutzt wer-den, ist es notwendig, dass unsere Gesell-schaft ältere Menschen in viel stärkeremMaße als mitverantwortlich handelndeStaatsbürgerinnen und Staatsbürger an-spricht. Dabei ist zu bedenken, dass – wiebereits die altgriechische Philosophie desAristoteles sehr klar beschreibt – derMensch im Kern ein zoon politikon, dasheißt: ein politisch denkendes und handeln-des Wesen ist. In der Sprache der von Han-nah Arendt verfassten Schrift Vita activa odervom tätigen Leben3 lässt sich dieser Sachver-halt wie folgt ausdrücken: Es geht darum,dass wir das Alter in die Mitte der Gesell-schaft (Polis) holen und nicht an den Randder Gesellschaft drängen.

4. Zur Bedeutung der Musikfür das Leben im Alter –Umsetzung einiger Über-legungen des Altenberichts

Die Musik gibt uns zunächst die Möglich-keit, seelische und geistige Prozesse auszu-drücken und auf dem Weg dieses Aus-drucks zu reflektieren. Durch die Reflexionwerden erst Erlebnisse in Erfahrungen undErkenntnisse transformiert. Sie bildetweiterhin eine bedeutende Grundlage fürdas Werden zu sich selbst – eine Entwick-lungsaufgabe, die angesichts der Verände-rungen, mit denen sich ältere Menschen inihrer Lebenssituation konfrontiert sehen (zunennen sind hier Veränderungen in den so-zialen Rollen, der Verlust nahe stehenderMenschen, die an Intensität gewinnende Er-fahrung der eigenen Begrenztheit – und diessowohl in Begriffen der Zeit als auch in Be-griffen der Gesundheit), von hervorgehobe-ner Bedeutung ist.

Die Musik kann durch ihre Harmonieden Menschen dabei unterstützen, auch in

einer Situation, die von zahlreichen Verän-derungen bestimmt ist, im Einklang mit sichselbst zu stehen. Zugleich trägt sie durch diePolyfonie dazu bei, die zahlreichen Facettender Persönlichkeit – ihres Denkens, Fühlensund Wollens – in Schwingung zu versetzenund damit die Reichhaltigkeit des Lebensauch in der subjektiven Wahrnehmung zuerhalten. Sodann darf die Musik nicht in ih-rer Bedeutung für die kognitive Entwicklungim hohen Alter unterschätzt werden: Das„reflektierte Hören“ bereits vertrauter Musikwie auch das „Einhören“ in neue Musik sindLernprozesse, die sich positiv auf die kogni-tive Entwicklung auch im hohen Alter aus-wirken. Schließlich hat das Hören von Mu-sik eine wichtige „Erinnerungsfunktion“: Esweckt die Erinnerung an frühere Ereignisseund Erlebnisse und kann auf diese Weisezur Aufrechterhaltung von Identität beitra-gen. Diese Erinnerungsfunktion der Musiklässt sich – darauf weisen zum Beispiel Un-tersuchungen des Instituts für Gerontologieder Heidelberger Ruprecht-Karls-Universitäthin – auch bei jenen Menschen nachweisen,deren seelische und geistige Situation auf-grund einer schweren Demenzerkrankungtief greifend verändert ist.

Doch ist die Musik nicht allein aufgrundihrer Bildungsfunktion wichtig für das Alterund für die Darlegung von Folgerungen ausdem Fünften Altenbericht. Genauso wichtigist hier die Tatsache, dass hoch betagte Mu-sikerinnen und Musiker vielfach über theo-retische und praktische Expertise verfügen,die sie in die Lage versetzen, zu kreativen –im Sinne von innovativen, originellen – For-men der Werkinterpretation zu gelangen.Mit diesem Kreaivitätspotenzial könnten sienachwachsenden Musikergenerationen vie-le wertvolle Anregungen geben.

Expertise ermöglichtInteraktion mit Jüngeren

Wenn im Fünften Altenbericht von derStärkung des bürgerschaftlichen Engage-ments älterer Menschen – als einer Formdes mitverantwortlichen Lebens – gespro-chen wird, so besitzt diese Aussage für dieMusik besondere Relevanz. Denn hier istder Alternsprozess – trotz möglicher Einbu-ßen in der Technik – in aller Regel mit ei-

MUSIK�ORUM 13

Wichtig für den älterenMenschen: Musik versetzt

Denken, Fühlen undWollen in Schwingung

und erhält die Reich-haltigkeit des Lebens

nem kontinuierlichen Zuwachs an Expertiseverbunden, die den älteren Musiker in be-sonderer Weise in die Lage versetzt, in einefruchtbare – von Geben und Nehmen be-stimmte – Interaktion mit jüngeren Musi-kern zu treten.

5. Die Lebenseinstellungdes Cellisten Pablo Casalsals Beispiel für Offenheitund mitverantwortlichesLeben im Alter

Der Cellist und Dirigent Pablo Casals –er verstarb 96-jährig im Jahr 1973 – hat mit90 Jahren seine Erinnerungen aufgezeich-net, die unter dem Titel Licht und Schattenauf einem langen Weg 4 erschienen sind. Die-se Erinnerungen beginnen mit einer Refle-xion über das Alter:

„Alter ist überhaupt etwas Relatives.Wenn man weiter arbeitet und empfänglichbleibt für die Schönheit der Welt, die unsumgibt, dann entdeckt man, daß Alter nichtnotwendigerweise Altern bedeutet, wenigs-tens nicht Altern im landläufigen Sinne. Ichempfinde heute viele Dinge intensiver als jezuvor, und das Leben fasziniert mich immermehr.“ Dieses Zitat ist ein Beispiel für dieOffenheit im Alter.

Seine Erinnerungen enden mit seinempersönlichen Beitrag zur Demokratie in Spa-nien sowie mit Gedanken an seine HeimatKatalonien, aus der er 1939 emigrierte(zunächst nach Frankreich, dann nach Puer-to Rico), um dem Faschismus der Franco-Diktatur zu entkommen. In diesem Beitragspiegelt sich das Moment des mitverant-

„Alter bedeutetnicht notwendi-

gerweise Altern“:Pablo Casals.

wortlichen Lebens im Alter wider: „DerKampf gegen die Diktatur hat ganz Spanienergriffen – Studenten, Arbeiter, Intellektuel-le, Angehörige des Klerus –, und sie habendas Regime gezwungen, gewisse Konzessio-nen zu machen. Die einzigen Waffen, dieich hatte, waren mein Cello und mein Takt-stock, und ich habe sie, so gut ich konnte,eingesetzt, um die Sache zu unterstützen, andie ich glaube – die Sache der Freiheit undDemokratie.“ … „Vielleicht werde ich Kata-lonien nie wieder sehen. Jahrelang hatte ichgeglaubt, die Freiheit werde in mein gelieb-tes Vaterland zurückkehren, ehe ich sterbe.Nun bin ich nicht mehr so sicher. Der Tagwird kommen, das weiß ich, und dieses Wis-sen erfüllt mich mit Freude.“

1 vgl. Andreas Kruse: Das letzte Lebensjahr, Stuttgart2005.

2 Die Altenberichte wurden in der Schriftenreihe des Bun-desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend veröffentlicht.

3 Hannah Arendt: Vita activa oder vom tätigen Leben,Stuttgart 1960.

4 Pablo Casals: Licht und Schatten auf einem langen Weg,Frankfurt 1971.

Der Autor:

Prof. Dr. Andreas Kruse hält als Direk-

tor des Instituts für Gerontologie der

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

einen Lehrstuhl für Gerontologie. Er ist

Mitglied des 15-köpfigen Technischen

Komitees der Vereinten Nationen zur

Erstellung des International Plan of

Action on Ageing und Vorsitzender der

Dritten und der Fünften Altenberichts-

kommission der Bundesregierung.

FOKUS

MUSIK�ORUM14

Es passt nicht in die Land-schaft, Musikschulen zu

schließen.“ Mit diesen Wortenkommentiert die Bundesministe-rin für Familie, Senioren, Frauenund Jugend, Renate Schmidt,die Tatsache, dass immer mehr– gerade auch ältere – Menschensich musikalisch betätigenwollen. Vielmehr müssten die„entsprechenden Rahmenbe-dingungen“ geschaffen werden,die das Musizieren in Schulen,Musikschulen und Vereinenermöglichten.

Anlässlich des Bundesfinales desWettbewerbs „Jugend musiziert“ in Fürthbedauerte es Renate Schmidt, dass unse-re Gesellschaft die Kompetenzen und Er-fahrungen der älteren Menschen nichtadäquat nutze. Im Gespräch mit Chris-tian Höppner unterstützte sie die Idee,„Jugend musiziert“ um die Kategorie„Familienmusizieren“ zu erweitern und so-mit das generationenübergreifende Musi-zieren zu fördern.

Es gibt immer mehr ältere Men-schen in unserer Gesellschaft. Wie lässtsich die kulturelle Teilhabe auch für dieBürgerinnen und Bürger im dritten Lebens-alter sicherstellen?

Renate Schmidt: Der Wunsch,Kultur zu erleben, wird sich weiter ver-stärken, und zwar für Menschen jedenAlters. Da bin ich ganz zuversichtlich.Es gibt ein breites Bedürfnis, Kultur aktivzu erleben, das heißt: nicht nur zu hören,sondern selbst zu singen oder ein Instru-ment zu spielen. Das ist eine frohe Bot-schaft, der wir alle Rechnung tragensollten, indem wir für die entsprechen-den Rahmenbedingungen sorgen, diedas Musizieren in Schulen, Musikschulenund Vereinen ermöglichen. Da passt esnicht in die Landschaft, Musikschulenzu schließen.

Was ich hier bei „Jugend musiziert“zum wiederholten Male erlebe, fasziniertmich in seiner Unverwechselbarkeit,Qualität und Unvoreingenommenheit.Der Bundeswettbewerb ist aber nur dieSpitze des Eisbergs. Ohne die bestmög-liche Qualifizierung in der Breite – undzwar möglichst früh! – ist es später

MUSIK�ORUM 15

schwer, Defizite aufzuholen. Kinder oderJugendliche, die selbst Musik machen, wer-den dieses Bedürfnis auch im Alter haben.All die positiven Auswirkungen auf diePersönlichkeitsentwicklung, der Erwerbvon so genannten Schlüsselkompetenzenprägen ja den Menschen ein Leben lang.Die Frühförderung ist also der Grundsteinfür eine kulturelle Teilhabe älterer Men-schen. Allerdings ist es nie zu spät, zumBeispiel mit dem Singen zu beginnen.

Eines der Schwerpunktthemen desDeutschen Musikrats wird das Thema „Musi-zieren im dritten Lebensalter“ sein. Der Ver-band deutscher Musikschulen hat an über50 VdM-Musikschulen sein praxisorientiertesModellprojekt „Musikalische Erwachsenen-bildung“ erfolgreich durchgeführt. Im Bereichdes Laienmusizierens gibt es schon seit Jahrenvielfältige Zugangsmöglichkeiten für ältereMenschen.

Doch angesichts der zu erwartendenimmensen Nachfragesteigerung von älterenBürgerinnen und Bürgern nach Angebotenzum aktiven Musizieren sind wir heute längstnoch nicht gut vorbereitet auf das, was unsmorgen erwartet. Gibt es in Ihrem Ministeriumkonkrete Überlegungen, das Thema zu beför-dern und etwa durch Pilotprojekte stärkereImpulse für eine gesellschaftliche Realisierungzu setzen?

Es gehört zu den Absurditäten in unse-rer Gesellschaft, dass die Kompetenzenund Erfahrungen der älteren Menschen

nicht adäquat genutzt werden. Deshalbengagieren wir uns in der Frage, wie diePotenziale des Alters nutzbar gemachtwerden können und wie wir im Rahmender generationenübergreifenden Freiwilli-gendienste – zum Beispiel durch die Er-probung lokaler Freiwilligendienste durchSeniorenkompetenzteams – diese Poten-ziale besser ausschöpfen können. Derdemografische Wandel ist ja dann eineChance, wenn wir genau diese Kompe-tenzen älterer Menschen mit einbeziehen.Denn wer die Zukunft sichern will, dermuss die Zivilgesellschaft stärken.

Das generationenübergreifendeMusizieren gewinnt angesichts der soziokul-turellen Entwicklungen zunehmend anBedeutung. Würden Sie ideell wie tatkräftigeine Ausweitung des Wettbewerbs „Jugendmusiziert“ mit der Kategorie „Familienmusi-zieren“ fördern?

Diese Idee findet meine volle Unter-stützung, denn das Familienmusizieren istganz wichtig für das Verstehen und Mitei-nander verschiedener Generationen, wennman Familie im weiten Sinne über dieGenerationen hinweg betrachtet. DieserAufgabe müssen wir uns alle stellen, undda haben der Musikrat und seine Mitglie-der im Bereich der musikalischen Bildungeine besondere Verantwortung.

Dass Sie als Ministerin keine Zeitfür eine eigene musikalische Betätigung

finden, kann sich jeder vorstellen. Gibt eseinen musikalischen Traum, den Sie sichirgendwann gerne erfüllen würden?

Leider bin ich zu wenig begabt. Wennich singen möchte, schickt mich meineFamilie immer in das Badezimmer undsagt, dass ich die Tür von innen schließensoll. Dabei finde ich meine Stimme ganzschön. So werde ich mich an dem erfreuen,was meine Kinder und Enkelkinder musi-kalisch auf die Beine stellen und sicher nochdie eine oder andere schöne Veranstaltungdes Deutschen Musikrats besuchen – dashat sich bisher immer gelohnt!

KULTURELLE TEILHABE ÄLTERER MENSCHEN«

IST GRUNDSTEIN FÜR»FrühförderungBundesministerin Renate Schmidt:

Lieblingstermin: BundesfamilienministerinRenate Schmidt beim 42. Bundeswettbe-werb „Jugend musiziert“ in Fürth, flankiertvon Repräsentanten der gastgebendenStadt und des Deutschen Musikrats.

Foto: Malter

„Es gibt ein breites Bedürfnis, Kulturaktiv zu erleben“: Bundesministerin RenateSchmidt im Gespräch mit Christian Höppner.

MUSIK�ORUM16

FOKUS

Im Schnittfeld von Musikpädagogik und Geragogik (Altenbildung)beschäftigt sich Musikgeragogik mit den didaktisch-methodischen

Aspekten musikalischer Bildungsprozesse im Alter. Sie umfasst allemusikpädagogischen Bemühungen und Interventionen im Bereich derAltenarbeit, die nicht erzieherisch oder therapeutisch intendiert sind,und zielt auf die Unterstützung musikalischer Bildung und musikbezo-gener Erfahrungen im Alter.1

Das Spektrum der Arbeitsfelder ist breitund reicht von Seminarangeboten in Senio-ren-Universitäten über Musikschulen, Volks-hochschulen, Altenakademien bis zu Musik-aktivitäten in Alten- und Pflegeheimen so-wie in der offenen Altenarbeit.

Aufgrund der institutionellen Vielfaltkommen für eine musikgeragogische Tätig-keit neben Ehrenamtlichen mehrere Berufs-gruppen in Frage:

ˇ (Musik-)Pädagogen in der Erwach-senenbildung

ˇ Schulmusiker und Musiklehrer anden Musikschulen

ˇ Kirchenmusikerˇ Musiktherapeutenˇ Sozialpädagogen in Berufsfeldern

der Altenhilfe undˇ Pfleger.

Letztere stellen zahlenmäßig wohl diemaßgebliche Bezugsgruppe dar, die beruf-lich unmittelbar mit alten Menschen zu tunhat. Musik zählt natürlich nicht zu ihren ur-eigenen Aufgaben, gleichwohl kann gerade

das Pflegepersonal Musik in den Pflegealltageinbeziehen – sofern der zeitliche Druckhierfür Freiräume lässt. Bei der sonst über-wiegend körperlichen Betreuung bietet dasMusizieren und Musikhören die Möglich-keit, bei den sozialen und emotionalen Be-dürfnissen der Klientel anzusetzen und so-mit auch demenziell erkrankte Menscheneinzubeziehen.

Wegen der inhaltlichen Überschneidun-gen im methodischen Bereich ist Musikthe-rapie eine wichtige Bezugsdisziplin der Mu-sikgeragogik (vgl. Tüpker & Wickel 2001).Unterschiede – vor allem gegenüber densozialpädagogischen und altenpflegerischenZugriffsmöglichkeiten – sind besonders imSetting der Musiktherapie zu sehen, das aufklaren Absprachen, Regelmäßigkeit und aufeiner auf Anamnese und Diagnose aufbau-enden therapeutischen Beziehung beruht.Daher erfordert die musiktherapeutische In-tervention ein deutlich anderes Kompetenz-profil in der musikalischen, klinischen sowiepsychotherapeutischen Ausbildung.

Biografische Studien mit alten Menschenbelegen, dass Musizieren und MusikhörenSinnerfahrung ermöglichen und unmittelbarauf Wohlbefinden und Lebensbewältigungwirken (vgl. z. B. Hartogh 2005, Muthesius2002, Tüpker & Wickel 2001). Vor dem Hin-tergrund der biografischen Forschungen undzahlreichen Praxisstudien lassen sich als Zielemusikgeragogischer Arbeit formulieren:

ˇ musikalische Bildungˇ Kommunikationsförderung (Aus-

tausch von Meinungen, Erfahrun-gen, Gedanken, Gefühlen, Befind-lichkeiten, Stimmungen,Kontaktherstellung)

ˇ das Schaffen von Atmosphäreˇ Alltagsorientierung

Wie Pädagogen, Musiker und Therapeuten musikalische

Bildung in der Altenarbeit befördern.

Von Hans Hermann Wickel und Theo Hartogh

AUSBILDUNGSDISZIPLIN

Musikgeragogik

MUSIK�ORUM 17

ˇ Erinnerungsarbeitˇ Wahrnehmungsförderungˇ emotionale Aktivierungˇ Vermittlung von Freude und Spaߡ Gedächtnis-, Konzentrations- und

Koordinationstrainingˇ Trauerbegleitung, Trostsuche, Hilfen

zur Bewältigung von personellenund materiellen Verlusten

ˇ Gesundheitsförderung (Motorik,Stimme, Atem, Einflussnahme aufdas vegetative System, Bewältigunggeistiger und körperlicher Beein-trächtigungen)

ˇ Ausdrucksförderung und Reaktivie-rung von Ausdrucksfähigkeit

ˇ Vermittlung von Erfolgserlebnissenˇ Steigerung des Selbstwertgefühls.

Mit Musik Gefühle lebenund wiedererleben

Auch der Vierte Bericht zur Lage der äl-teren Generation des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend(2002) forderte, dass Patienten, denen kog-nitiv-verbale Wege der Kommunikationkrankheitsbedingt immer weniger zur Ver-fügung stehen (dazu zählen in erster Liniedemenziell Erkrankte, deren Zahl in dennächsten 30 Jahren um mindestens 60 Pro-zent zunehmen wird), Gelegenheit erhalten,in dem Erleben von Kunst und Musik oderauf dem Weg eigenen Gestaltens Gefühlezu leben und wiederzuerleben.

Konkret bieten sich für die musikgerago-gische Praxis vor allem folgende Handlungs-felder an:

ˇ Singen (Volkslieder, Kirchenlieder,Bewegungslieder, Schlager, Operetten-melodien etc.)

ˇ Themenzentrierte Musikarbeit(„Morgen“, „Frühling“ etc.)

ˇ Rhythmusarbeit, z. B. auch mit demkörpereigenem Instrumentarium

ˇ Sitztänzeˇ Wahrnehmungs-, Konzentrations-,

Stilleübungenˇ Traumreisen, Klangreisen, Fantasie-

reisenˇ Liedwerkstatt (Texte schreiben zu

bekannten Melodien)ˇ Musik hören und beschreiben,

Stellung nehmen zur gehörten Musik,Ratespiele

ˇ Anekdoten und Berichte aus derMusikgeschichte

ˇ Biografiearbeitˇ Aktives Musizieren (Orffsches Instru-

mentarium, ggf. Instrumente, die nochbeherrscht werden)

ˇ Verklanglichungen von Geschichten,Gedichten, Bildern, Erlebnissen,Alltagssituationen

ˇ Improvisationen nach musikalischenoder außermusikalischen Vorgaben

ˇ Malen nach Musikˇ Vorbereitung und Durchführung von

Konzertbesuchenˇ Textunterlegungen mit Musik

(Melodram).

Biografische Bezüge stellen in diesenmethodischen Zugängen einen wesentlichenAnsatzpunkt dar. Musik kann eine Brückezur Erinnerung an Personen und Ereignissedarstellen und Ressourcen für die Gegen-wartsbewältigung freilegen.

Musikalische Biografiearbeit verlangtvom Musikgeragogen neben musikalischemWissen vor allem Toleranz, Lernbereitschaft,Neugier und große Offenheit. SituativesAufgreifen der musikalischen Möglichkeitender Agierenden, ein feines Aufspüren derBedingungen und ein verständnisvolles Ein-beziehen der Bedürfnisse sowie ein Einge-hen auf individuelle Erfordernisse verlangennach einem Zugang, der sich nicht übermusikalische Zielvorgaben, sondern überverstehendes Handeln und den Aufbaueiner Beziehung durch Musik erschließt.2

Insofern spielen auch nichtmusikalischeSchlüsselkompetenzen, wie sie z. B. im Be-reich der Gesprächsführung (Rogers) gelten,

eine entscheidende Rolle für eine gelunge-ne musikgeragogische Begegnung.

Im Einzelnen umfasst musikgeragogischeAusbildung:

ˇ Schulung von Ehrenamtlichen: Ge-mäß Bundessozialhilfegesetz § 75 soll altenMenschen die Teilnahme am Leben in derGemeinschaft ermöglicht werden. Hierzugehören die Hilfe zum Besuch von Veran-staltungen oder Einrichtungen, die der Ge-selligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oderden kulturellen Bedürfnissen alter Men-schen dienen. Diese Forderung ist ohne dasEngagement von Ehrenamtlichen in der Al-tenhilfe nicht zu erfüllen.

ˇ Grundlagen musikgeragogischerArbeit für Musikstudenten: Die Musik-ausbildung ist naturgemäß sehr stark auf dieArbeit mit Kindern und Jugendlichen ausge-richtet. Erst allmählich finden sich in denCurricula der Hochschulen Ansätze des Inst-rumentalunterrichts mit erwachsenen odergar älteren Personen. Meist halten dieseKonzepte auf Umwegen – über Kurse, Vor-träge und Weiterbildungen – Einzug in dieMusikhochschulen. Da der Arbeitsmarktder Absolventen im Wandel begriffen istund der „Kundenkreis“ weit über das ge-wohnte Arbeitsfeld hinausgeht und mit zu-nehmender Tendenz hinausgehen wird (bei-spielsweise durch die Arbeit mit älteren

„Musikstunde“: Pädagogen und Studierendevon der Hochschule für Musik und TheaterLeipzig bringen im Rahmen des Lehr- undLernangebots „Musikalisch-künstlerischeArbeit mit Gruppen im späten Erwachsenen-alter“ Abwechslung und schöpferischeInitiative in ein Leipziger Altenheim. DasMUSIKFORUM berichtete über das Projektim Heft 3/2004.

Schülern oder mit Menschen mit Behinde-rungen), sollten (musik-)geragogische Inhal-te in den Ausbildungsplänen aufgenommenwerden – auch um zu verhindern, dass Mo-delle eines Anfangsunterrichts für Kinderbzw. Schulcurricula auf die pädagogischeArbeit mit älteren Menschen unreflektiertübertragen werden.

ˇ Integration in die pflegerische undsozialpädagogische Ausbildung: In dennächsten 25 Jahren wird der Anteil der über60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung vonca. 21 Prozent um die Jahrtausendwendeauf voraussichtlich 35 Prozent anwachsen.Dieser Trend erfordert einen enormen Be-rufsbedarf im Feld der Altenhilfe und nochviele Initiativen, um diesem Wandel gerechtzu werden. U. a. ist das Thema „ÄsthetischePraxis mit alten Menschen“ in Forschungund Lehre weiterzuentwickeln. Als einenSchritt in diese Richtung bietet z. B. der

MUSIK�ORUM18

FOKUS

Fachbereich Sozialwesen der Fachhoch-schule Münster in Kooperation mit demStudiengang Musiktherapie an der Univer-sität Münster regelmäßig Seminarangebotezum Thema „Musik mit alten Menschen/Musikgeragogik“ an. Im September 2005wird sich der Bundeskongress Soziale Arbeitin einer Arbeitsgruppe dieses Themas an-nehmen.

ˇ Weiterbildung von musikinteres-sierten und musikbefähigten Personenin der Altenhilfe: Da dem Umgang mitMusik in der Altenhilfe eine besondere Rol-le zukommt, sollten dort Tätige die Chancehaben, sich in musikgeragogischen Metho-den weiterbilden zu können: Die Fachhoch-schule Münster reagiert auf diesen Bedarfmit der bundesweit ersten Weiterbildungzum zertifizierten Musikgeragogen (www.fh-muenster.de).

Modelle erprobter praktischer Ansätzeexistieren schon seit geraumer Zeit.3 Auf-grund der demografischen Entwicklung und

des zu verzeichnenden zunehmenden Inte-resses an Bildungsangeboten in der Altenhil-fe sind allerdings weitere musikgeragogischeForschungen und Praxiserfahrungen not-wendig und wünschenswert.

1 vgl. Theo Hartogh: Musikgeragogik – ein bildungstheo-retischer Entwurf. Musikalische Altenbildung im Schnitt-feld von Musikpädagogik und Geragogik, Augsburg2005.

2 Theo Hartogh und Hans Hermann Wickel: „Biografie-arbeit“, in: Theo Hartogh und Hans Hermann Wickel(Hg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit, Weinheim2004, S. 445.

3 vgl. z. B. Füller 1994; Harms und Dreischulte 22001,Leidecker 2004, Muthesius 2002; Tüpker und Wickel2001.

Die Autoren:

Theo Hartogh studierte Schul-

musik, Klavier, Musikwissenschaft

und Biologie in Hannover und Ham-

burg und war von 1985 bis 1993 als

Gymnasiallehrer tätig. Nach Promo-

tion (TU Chemnitz) und Habilitation

(Universität Leipzig) hält er seit 1993

einen Lehrstuhl für Musik/Musikpädago-

gik an der Katholischen Fachhochschule

Norddeutschland; Arbeitsschwerpunkte:

Behinderten- und Altenarbeit.

Hans Hermann Wickel war nach

Musikstudium (Orgel, Klavier, Musik-

theorie) und Universitätsstudium

(Musikwissenschaft, Romanistik, Er-

ziehungswissenschaft) zunächst als

Lehrer und Erzieher, ab 1988 dann als

Dozent für Musiktheorie, Gehörbildung

und Analyse an der Musikhochschule

Münster tätig. Seit 1995 ist er Professor

für Musikpädagogik an der Fachhoch-

schule Münster mit den Arbeitsschwer-

punkten Musikgeragogik, Musicals,

Improvisation, Hörschäden und Musik.

Literatur:

• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend: Vierter Bericht zur Lage der älteren Generationin der Bundesrepublik Deutschland. Risiken, Lebensqua-lität und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Be-rücksichtigung demenzieller Erkrankungen, Berlin 2002.• Füller, Klaus: Musik mit Senioren: Theoretische Aspek-te und praktische Anregungen, Weinheim 1994.• Harms, Heidrun und Dreischulte, Gaby: Musik erlebenund gestalten mit alten Menschen, Stuttgart 22001.• Hartogh, Theo: Musikgeragogik – ein bildungstheore-tischer Entwurf. Musikalische Altenbildung im Schnittfeldvon Musikpädagogik und Geragogik, Augsburg 2005.• Leidecker, Klaus: Das Leben klingen lassen. Musikinter-vention in der Sozialpädagogik, Essen 2004.• Muthesius, Dorothea: Musikerfahrungen im Lebenslaufalter Menschen, Hannover 2002.• Tüpker, Rosemarie und Wickel, Hans Hermann (Hrsg.):Musik bis ins hohe Alter. Fortführung, Neubeginn, Thera-pie (Materialien zur Musiktherapie, Bd. 8), Münster 2001.

»WÄRE

WÜRDE ICH

MUSIK�ORUM 19

Altenmüller tritt energisch Positionenentgegen – wie etwa der seines KollegenManfred Spitzer –, wonach es „zu spät“ sei,wenn man mit 20 Jahren noch kein Instru-ment erlernt habe: „Das stimmt nicht, wievielfache Erfahrungen aus der Erwachsenen-pädagogik und jetzt auch die neuen Studienzeigen.“

Mit dem Hannoveraner Musikphysiolo-gen unterhielt sich Hans Bäßler.

Im Moment gibt es einen Run ältererMenschen hin zu Instrumentalgruppen undChören. Dagegen steht die landläufige Auf-fassung, Menschen im höheren Alter könnten

sich – wegen der Alterungsprozesse desGehirns – kaum noch musikalisch aktivbetätigen. Was passiert eigentlich, wennder Mensch und sein Hirn altern?Altenmüller: Wenn das Hirn altert,

dann lassen tatsächlich einige Funktionennach. Das sind vor allem Wahrnehmungs-funktionen, z. B. die Geschwindigkeit, mitder Bilder oder akustische Informationenerfasst werden. Dazu gehören auch dieKörperwahrnehmung, Hautsinne etc. DieSinnesorgane lassen in ihrer Leistungsfähig-keit nach. Ältere Menschen brauchen mehrZeit, um Dinge zu erfassen. Aber dieserNachteil wird durch die Erfahrung ausge-glichen. Erwachsene haben einen sehrbreiten Erfahrungsschatz und können ihreWahrnehmungen, auch wenn diese brüchi-ger und weniger deutlich sind, durch men-tale Repräsentationen, die sie durch Erfah-rung erworben haben, ergänzen.

Gibt es ein Absinken der Wahrneh-mung insgesamt?

Ohne Frage: Musizieren im dritten Lebensalter istsinnvoll und kann etwas bewegen“, sagt der Musik-

physiologe Eckart Altenmüller. Er verweist auf neue Studien,in deren Rahmen 60- bis 80-Jährigen erstmalig Klavierunter-richt erteilt wurde und die offenbarten, dass das Klavierspielbei Erwachsenen zu einer Verbesserung von Gedächtnis-funktionen und von gedanklicher Flexibilität führt.

Ja, das kann man sagen. Leider beginntdas Altern der Wahrnehmungsfunktionenschon ab 25 Jahren. Am Anfang geht eslangsamer, später ein bisschen schneller.Zur gleichen Zeit bilden wir aber neueund präzisere Konzepte über die Erschei-nungen der Welt, sodass sich dieser Nach-teil ausgleicht. Ab einem bestimmten Alterlassen auch zentrale Gedächtniskapazitätennach. Hier ist von Bedeutung, dass Gedächt-nis ein Leben lang geübt wird. Man weißheute, dass sich sogar noch im hohen Er-wachsenenalter neue Nervenzellen bilden.Vor allem dort, wo sie dem Gedächtniszu-griff dienen: in den Bereichen des unterenSchläfenlappens, im so genannten Hippo-kampus-Areal. Diese Neubildung von Ner-venzellen wird durch Übung des Gedächt-nisses angeregt. Auf der anderen Seite weißman von diesen Hirnstrukturen auch, dassdie Zellenneubildung ihre Funktion zumBeispiel bei Depressionen und anderenpsychiatrischen Erkrankungen einstellt.Das erklärt auch, warum Depressionenhäufig auch mit so genannten Pseudodemen-zen, also mit dem Verlust von Gedächtnis-funktionen, einhergehen können.

Heißt das, man bekäme depressiveStörungen in den Griff, würde man mit denPatienten musizieren?

Ja. Das Interessante dabei ist, dass sichdie Neurogenese wohl wieder einstellt,wenn man diese Patienten mit Antidepres-siva behandelt. Es gibt Depressionsmodellean Tieren, mit denen dies detailliert mit demModell der erlernten Hilflosigkeit erforschtwurde. Tiere wurden in eine Situation ge-bracht, in der sie hilflos waren, was zu einerArt Depression führte, wie bei uns Men-schen auch. Dabei konnte man genau nach-weisen, dass die Nervenzellenneubildungunter der Behandlung mit entsprechendenMedikamenten oder auch bei bestimmtenkörperlichen Aktivitäten, die ja auch anti-depressiv wirken, wieder zunimmt. !

ICH GESUNDHEITSMINISTER,

MEHR ANBIETEN!«

Interview mit Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie und Musikermedizin

an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover

Musiktherapie

Gegen Isolation undpsychische Erkrankungen,

für mehr Abwehrkraftund Wohlempfinden –

gerade im höherenLebensalter wirkt

Musizieren segensreich

MUSIK�ORUM20

FOKUS

Und kann an diesem Punkt auch dieMusik einwirken?

Es gibt mindestens drei große Bereiche,in denen Musizieren auch im höherenLebensalter segensreich wirkt: Zunächstkann das Musizieren in jedem Lebensalteremotional belohnend sein. Der zweitePunkt besteht darin, dass das Musizierenals Gruppenelement wahrscheinlich eineganze Reihe von komplexen sozialen Skills(Geschicklichkeiten) übt und dann einebessere soziale Integration und Akzeptanzschafft. Das Chorsingen ist da ein Muster-beispiel. Und drittens gibt es einen direktenkognitiven Transfer, was vor kurzem ineiner Studie aus Florida aufgezeigt wurde.Dort erhielten 60-Jährige erstmals Klavier-unterricht. Sie konnten nicht nur nachsechs Monaten beispielsweise leichte Prä-ludien von Bach spielen, sondern warenauch in Gedächtnisfunktionen, Aufmerksam-keitsspanne und Problemlösungen verbessertim Vergleich zu einer Kontrollgruppe, diediesen Klavierunterricht nicht bekommenhat.

Gibt es Erkenntnisse, ob Musik undBewegung in einem besonderen Zusammen-hang mit dem musikalischen Lernen im Alterstehen?

Dieser Punkt ist sehr wichtig. Erst kürz-lich ist gezeigt worden, dass Säuglinge, diein einem bestimmten Rhythmus geschaukeltwerden, diese Rhythmen auch auditiv re-präsentieren und sie besser und feiner unter-scheiden können. Es gibt also eine sehr engeVerbindung zwischen Hören und Bewegen.Heute wissen wir, dass es beim Musizierenund Musikhören durch die Verbindung vonauditiven Mustern und aktiver Bewegungzu einer Gehirnvernetzung kommt. So kannman zum Beispiel in der Musiktherapiewirkungsvoll die Musik dafür einsetzen,Menschen, deren Bewegungsfähigkeit sichreduziert hat, wieder motorisch zu aktivie-ren. Das gilt für die Parkinson’sche Krank-heit, die ja sehr stark auf auditive Reize an-spricht. Wenn man diese Patienten rhyth-misch stimuliert, dann können deren moto-rische Fertigkeiten gezielt geübt werden.

Ein anderer Punkt ist die Alzheimer’scheKrankheit. Man weiß heute, dass bei dieserKrankheit das Hörsystem am spätesten be-troffen wird. Das heißt, man kann dieBetroffenen mit musikalisch rhythmischenStimulationen motorisch aktivieren.

Wenn Sie Gesundheits- und Sozial-minister wären – welche Konsequenzen wür-den Sie aus diesem Ansatz für die Gesund-heits- und Sozialpolitik ziehen?

Ich würde eine enorme Förderung dermusikalischen Erziehung in der breitenBevölkerung befürworten und würde ent-sprechende Mittel zur Verfügung stellen.Zudem würde ich in den Krankenhäusernvermehrt Musiktherapien anbieten und dieAusbildung für Musiktherapeuten professio-nalisieren. Eines der Probleme in Deutsch-land ist, dass die Musiktherapie nicht in demMaße angesehen ist, wie sie es eigentlichverdient. Das beruht teilweise darauf, dasswenig empirische Untersuchungen vorliegen,die jetzt einfach durchgeführt werden müs-sen. Aus anderen Ländern, vor allem ausden USA, wissen wir, dass ein enormesPotenzial brachliegt.

Könnte man wesentliche Kosten, diesonst für die medizinische Versorgung ausge-geben werden, einsparen?

Davon bin ich fest überzeugt. Ich möchtehierzu einige Bereiche ansprechen: Dererste Punkt ist, dass ein entscheidenderAnteil der Erkrankungen gerade bei älteren

Leuten auf sozialen Erkrankungen beru-hen, etwa Isolation, mangelhafte Möglich-keiten sich auszutauschen, der gesamtepsychosomatische Komplex, die Gefühls-kälte, von denen viele Menschen umgebensind, die dann zu Schmerzproblemen unddirekten psychischen Erkrankungen führen.In diesem Bereich könnte durch eine sorg-fältige Musikalisierung der Erwachsenenein enormes Potenzial entwickelt werden.Pilotprojekte in Erwachsenenorchesternbeispielsweise zeigen, wie sich der Gesund-heitszustand und das Gesundheitsverhaltenverbessern. Wenn ein Musikinstrumenterlernt wird, dann bedeutet das nicht nurArbeit für den Körper, sondern auch Wahr-nehmen und Achten auf den Körper. Dassind letztlich auch Dinge, die präventivwirken.

Ein weiterer Punkt: Abgesehen vom all-gemeinen sozialen Aspekt werden geradebeim Chorsingen bestimmte Abwehrkräftedirekt stimuliert. Heute wissen wir, dassbeim Singen im Chor das Hormon Oxitoxinausgeschüttet wird, was vor allem der Ab-wehrkraft, dem Gedächtnis und dem Kör-perwohlbefinden dient. Aspekte, die auchantidepressiv wirken. Ich glaube, es wäreein wichtiger Punkt, hier eine stärkereAufklärungsarbeit zu betreiben und zudemden Menschen auch die Scheu vor demSingen oder Musizieren im Ensemble zunehmen.

Leben und Arbeit zwischenMedizin und MusikEckart Altenmüller studierte ab 1974 zunächstMedizin, ab 1979 zudem Musik an der Musikhoch-schule Freiburg (Hauptfach Querflöte); zwischen1983 und 1985 folgten eine neurophysiologischeAusbildung in Freiburg und erste Arbeiten über Groß-hirnaktivierung bei Musikverarbeitung; 1985 schlossAltenmüller sein Musikstudium mit der künstleri-schen Reifeprüfung ab, seither auch fortgesetzteKonzerttätigkeit als Querflötist; bis 1994 folgten Fach-arztausbildung, Habilitation und Oberarztpositionan der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen.Seit 1994 ist er Universitätsprofessor und Direktor desInstituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizinder Hochschule für Musik und Theater Hannover;er forschte vor allem auf dem Gebiet der zentralner-vösen Verarbeitung von Musik und der Sensomoto-rik des Musizierens.

Eckart Altenmüller:»Musik lässt sich

wirkungsvoll einsetzen,um Menschen, derenBewegungsfähigkeitreduziert ist, wieder

motorisch zu aktivieren.«

Populäre Musik manifestiert sich zwarauch in den unterschiedlichsten Jugendkul-turen, deren völlig entgegengesetzte musik-und lebensweltbezogene Wertungsmustersich nur dadurch verbinden lassen, dass sievon Menschen unter 25 stammen – hieraber endet dann bereits die „Gemeinsam-keit“ von Jugendkulturen. Populäre Musikumfasst längst nicht mehr nur jugendkultu-relle Stile, sondern bezeichnet generations-übergreifend eine der zentralen musikbezoge-nen Ausdrucksformen des 20. Jahrhunderts.Womit übrigens auch hier bereits die Gemein-samkeiten zwischen den verschiedenenStilbereichen der Populären Musik enden.

Vor 40 Jahren haben The Who in demSong My Generation das damalige jugend-kulturelle Lebensgefühl der Rockmusik pro-grammatisch in das Motto „Hope I die be-

Eine der Hymnen der Popmusik lautet „Forever young“. Dieser opti-mistische Song legt ebenso wie das James-Dean-Motto „Live fast,

die young“ oder der alte Sponti-Spruch „Traue keinem über 30“ dentrügerischen Schluss nahe, dass man durch Hören, Singen und Spielenvon Populärer Musik jung bleibe. Ja, er suggeriert sogar, dass Pop undJugend ein und dasselbe seien. Dieser Schluss ist falsch.

Programm und Konterkarierung: SangenThe Who vor 40 Jahren noch „Hope I diebefore I get old“, dreht Popstar RobbieWilliams das heutige Lebensgefühl um:„Hope I‘m old before I die.“

fore I get old“ gekleidet. Dieser Wunsch hatsich jedoch nicht erfüllt, denn die Geschicht-lichkeit auch der jüngeren Popstile hat in-zwischen dazu geführt, dass nicht nur dasPublikum immer älter wird, sondern auchdie Aktiven auf der Bühne trotz der erstenEnkelchen nicht ans Aufhören denken.Spätestens hier wird deutlich, dass PopuläreMusik keineswegs eine rein jugendkulturel-le Erscheinung ist. So unterscheidet SilkeRiemann-Al Batrouny bei ihrer Beschäfti-gung mit „alternden Rockstars“ zwischen„Jugend als Realphänomen und Jugend alsSymbol“, wobei der erste Einschnitt im „heilen“Generationsgefüge bereits entstanden war,„als die Rockstars selbst Eltern wurden“.1

Die Autorin untersucht anhand zahlreicherFallbeispiele aus der Rock- und Popszenedas im Jazz bereits bekannte Phänomen des

„Erwachsenwerdens“ einer jugendkulturel-len Musik. In Anlehnung an die viel zitiertePostman’sche These vom „Verschwindender Kindheit“ stellt sie die Frage nach demVerschwinden des Erwachsenseins und be-schreibt das Verschwimmen der „traditio-nellen Definitionen der biologischen undkulturellen Zeichenwelten“.2

Geradezu euphorisch beschwört ArnoFrank die Bedeutung in Ehren ergrauter Pop-stars: „Noch nie in der Geschichte der Pop-musik waren die Alten so präsent und sowichtig wie heute. Die Pioniere der Jugend-kultur sind ihre stolzen Greise.“3 Und er zi-tiert Robbie Williams, der die alten Mythenvon der jungen Popmusik mit dem Spruchkonterkarierte: „I hope I‘m old before I die.“4

Die heute noch lebenden Jazzfans derersten Stunde sind mittlerweile Groß- oder

Jürgen Terhag macht sich Gedanken zur musikalischen

Sozialisation im dritten Lebensalter

ROCK’N’ROLL DURCH DIE

Gleitsichtbrille

MUSIK�ORUM 21

Urgroßeltern und viele derjenigen, die dasRock’n’Roll-Fieber der 50er Jahre mitten inihrer Pubertät erlebt haben, sind inzwischenpensioniert. Sowohl unsere Alltagserfahrun-gen als auch wissenschaftliche Erkenntnisseder Musiksoziologie zeigen, dass diejenigeMusik, die wir im Alter von 20 bis 25 Jahrenhören, während des ganzen Lebens eineganz besondere Saite in uns zum Schwingenbringt, wobei es unwichtig ist, ob wir dieseMusik damals als Fans oder eher nebenbeigehört haben.5 Nach diesen Erkenntnissenliegt es nahe, dass sich eine sinnvolle musik-bezogene Altenarbeit heute auch mit Popu-lärer Musik befassen muss, denn beim Zu-rückrechnen wird deutlich, dass inzwischenneben Louis Armstrong und Bill Haleylängst auch Sgt. Pepper und Eleanor Rigbyin die Seniorenresidenz eingezogen sind.

Der Ausdruck „Senior/in“ ist in diesemZusammenhang äußerst ideologieverdäch-tig: Dass wir den ursprünglich positiv besetz-ten Begriff der „Alten“ hinter dieser ver-schämten Vokabel verbergen, ist nicht nurein negatives Resultat der „Sex-Drugs-and-Rock’n’Roll-Ideologie“ der 60er Jahre, son-dern vor allem unwürdig und peinlich. Des-halb habe ich für den Bereich der musik-bezogenen Altenarbeit bereits zu Beginn der90er Jahre darauf hingewiesen, dass dieseVokabel „sprachlich ausweichend, männlichfixiert und auf die Oberschicht bezogen ist.

Wir sollten den letzten Abschnitt des Lebensals Höhepunkt an Lebenserfahrung darstellen

MUSIK�ORUM22

FOKUS

Sgt. Pepper ist indie Seniorenresidenzeingezogen

Die gewünschten Assoziationen bewegensich auf Gutsherrenebene: In der ‚Senioren-residenz’ […] vermutet man keine Rentnerin,sondern braungebrannte männliche ‚Senior-chefs’ mit graumelierten Schläfen“.6

Hier geht es eindeutig um mehr als umBegriffe, denn lächerliche Formulierungenwie „Seniorentreff“ wirken nicht nur foreverold, sondern „machen sich subtil über alteMenschen lustig, ist doch jedem klar, dasswir mit ‚Senioren’ so sehr die Alten meinenwie mit der ‚Reinigungshilfe’ die Putzfrau“.7

Aus diesem Grund sollte man in der musik-bezogenen Altenarbeit das Kind beim Na-men nennen. Natürlich ist der Begriff der„Alten“ in unserer jugendfixierten Zeit imGegensatz zu früheren Zeiten negativ kon-notiert. Er könnte doch durch einen selbst-bewussteren Gebrauch aufgewertet werden– ähnlich wie der früher ausschließlich alsSchimpfwort benutzte Begriff „Schwuler“,

den inzwischen nicht nur Politiker, sondernauch Tagesschausprecher/innen selbstver-ständlich benutzen. Sprache bestimmt dasDenken, und so konnte auch der ebensoideologieverdächtige Ausdruck „Popular-musik“ im deutschen Sprachraum nur kurzdie Erkenntnis verschleiern, dass es hier umpopuläre Musikarten geht.

Häufig entstehen vermeidbare Problemezwischen verschiedenen Generationen,wenn Unterschiede im Lebensalter undeut-lich definiert oder geleugnet werden. So ha-ben wir als Pennäler den allzu „berufsju-gendlichen“ Rockpädagogen häufig vielnegativer betrachtet als die für uns eindeutigeinzuordnende Klassikverfechterin: Wäh-rend er mit seiner pädagogischen Taschen-lampe in „unseren“ subkulturellen Nischenherumleuchtete, lebte sie zwar auf einemanderen Stern, konnte jedoch von dort ausunserer Lebenswelt nicht gefährlich werden.

Hier wird deutlich, dass vor allem bei ge-nerationsbezogenen „Verhandlungen“ überPopuläre Musik eine ausgewogene Balancezwischen Distanz und Nähe wichtig ist. Für

die sich bei Jugendlichen anbiedernden Er-wachsenen habe ich in Abgrenzung zumBegriff „Jugendkulturen“ die Bezeichnung„erwachsene Jugendkulturen“ vorgeschlagen,deren Mitglieder sich im Zeitalter des Ju-gendkults nicht mit ihrer Erwachsenenrolleabfinden wollen oder können.8 Solche Er-wachsenen bieten Jugendlichen weder einAbgrenzungs- noch ein Identifikationsmodell.Vergleichbares gilt auch für die musikpäda-gogische Altenarbeit: Wenn wir das Erken-nen und das selbstbewusste Anerkennender eigenen Generationszugehörigkeit als einwesentliches Ziel der pädagogischen undbetreuenden Arbeit ansehen, sollten wirauch den letzten Abschnitt des Lebens alseinen Höhepunkt an Lebenserfahrung selbst-bewusst darstellen.9 Diese Forderung gilt vorallem im Bereich der zurzeit immer nochfälschlicherweise mit Jugendlichkeit verbun-denen Populären Musik.

Im Bereich der Altenarbeit ist also musik-pädagogisches Fingerspitzengefühl erforder-lich, nicht nur bei der Frage, wie und wasman mit alten Menschen spielen und singenund zu welcher Musik man tanzen soll.Einerseits ist der Umgang mit aktueller Po-pulärer Musik ein probates Mittel, um amPuls der Zeit zu bleiben, andererseits erfülltsie inzwischen von der nostalgischen Sehn-sucht bis zum musikhistorischen Weitblickeine Menge von Funktionen, die sich unterErinnerungsfähigkeit und Vergangenheits-bewältigung zusammenfassen lassen.

Nach dem bekannten Wort von GeorgeBernard Shaw sind alte Männer „gefährlich,denn ihnen ist die Zukunft gänzlich gleich“.Mit einer sinnvollen musikalischen Alten-arbeit haben wir eines der Mittel dazu in derHand, dass sowohl alte Männer als auch alteFrauen ohne pseudojugendliche Verleug-nung ihrer speziellen Generationszugehörig-keit in der musikalischen Gegenwart undZukunft verankert bleiben können.

1 Silke Riemann-Al Batrouny: „Forever Young, auch nochmit 50? Alternde Rockstars“, in: Jürgen Terhag: Popu-läre Musik und Pädagogik, Bd.1, Oldershausen 1994,S. 41 ff.

2 ebd., S. 49.3 Arno Frank: „Pop im Altertum“ in der TAZ vom 14.10.

2004, S. 13.4 ebd.5 vgl. Morris B. Holbrook und Robert M. Schindler: „Some

Exploratory Findings on the Development of MusicalTastes“, in: Journal of Consumer Research, June 1989.

6 Jürgen Terhag: „Sind Senioren jünger als Alte?“, in: nmz3/93, S. 13.

7 ebd.8 vgl. Jürgen Terhag: Populäre Musik und Jugendkultu-

ren, Regensburg 1989.9 vgl. Terhag: „Sind Senioren jünger als Alte?“, a. a. O.,

S. 13.

Der Autor:

Dr. Jürgen Terhag, Professor für Musik-

pädagogik und Dekan für Musikpädago-

gik/Musikwissenschaft an der Hochschule

für Musik Köln, ist Bundesvorsitzender

des Arbeitskreises für Schulmusik (AfS),

Vorsitzender des Kölner Regionalaus-

schusses beim Wettbewerb „Jugend

musiziert“ sowie Sprecher der Födera-

tion der musikpädagogischen Verbände

Deutschlands.

Alter

Jung bleiben durch aktives Musizieren, Überwindung von Sorgen undEinsamkeit durch Musik und Gemeinschaft, Anregung zur Hausmusik

und Überwindung von Generationsproblemen – das sind die Leitgedankender in Hamburg ansässigen Musik-Akademie für Senioren (MAS), einemgemeinnützigen Verein zur musikalischen Fortbildung, speziell ausgerichtetauf die Interessen älterer Menschen.

Die MAS will die Liebe zur Musik neuwecken oder erhalten – durch gemeinsamesMusizieren und Singen, Instrumentalsemi-nare für Orchester, Kammermusik und Kla-vier, durch Vorträge über Musikgeschichte,Komponistenporträts, Oper, Sinfonik, Kir-chenmusik, Kammermusik, Neue Musik,Unterhaltungsmusik, Tanz, Musiktherapie und-theorie.

Gegründet wurde die Musik-Akademie1992 vom Organisten, Komponisten, Diri-genten und Kantor Ernst-Ulrich von Kame-ke. Unter seiner Leitung finden jährlich biszu 40 Kurse als allgemeine Fortbildungs-und praktische Musikseminare statt. Von

Praxisbeispiel 1: Mit neuer Konzeption und Didaktik wendet sich die Hamburger Musik-Akademie

für Senioren an musikinteressierte ältere Menschen. Im Gespräch: Gründer Ernst-Ulrich von Kameke

Kameke war von 1959 bis 1991 Kirchen-musikdirektor an der Hauptkirche St. Petriin Hamburg, bis er nach seiner Pensionie-rung das ehrgeizige Seniorenprojekt ins Le-ben rief. Für das MUSIKFORUM sprachHans Bäßler mit dem 79-jährigen Akade-mieleiter.

Wie kamen Sie zu der Idee, eineMusikakademie für Senioren zu gründen?

Von Kameke: Bei meiner Abschiedsredean der Hauptkirche St. Petri hatte ich aufdie Frage nach der Weiterbeschäftigung an-gedeutet, dass meine Studien mich zu demErgebnis gebracht hätten, dass wir eine ganz

vorzügliche Betreuung und Ausbildung vomKleinkind bis zum Jugendalter haben. EineAusbildung, die danach von allen, die esmögen, in den Chören oder Kammermusik-kreisen fortgesetzt werden kann – mit derMöglichkeit, sich auch in den Konservato-rien fortzuentwickeln. Ich hatte den Ein-druck gewonnen, dass für alle Bevölkerungs-teile vorzüglich gesorgt wird. Mit einerAusnahme: der älteren Generation! Hierschien mir eine Marktlücke zu sein. Zwarkonnte man sich pädagogische Anregungenholen, aber es gab von keiner Seite einhalbwegs systematisches Lehrangebot imSinne von Weiterbeschäftigung auf demGebiet der Musik.

An sich gibt es ja verschiedene Ange-bote von Volkshochschulen. Warum reichendiese nicht aus?

Sie reichen deswegen nicht aus, weilandere Gesichtspunkte hinzukommen, diedie Volkshochschulen bis heute nicht ab-

MUSIK�ORUM 23

Endlich einmal das spielen,was man schon immer gernspielen wollte: Im Orchester-seminar der Musik-Akademiehaben die Teilnehmer dasGefühl, „richtige“ Kammer-musik zu machen.

SPIELT HIER KEINE ROLLE!

FOKUS

MUSIK�ORUM24

decken können. Die Atmosphäre etwa, inder die Angebote stattfinden. Mir war klar:Wenn ich die ältere Generation interessie-ren will, dann darf es nicht nur um Musikgehen, es muss eine gesellige Komponentehinzukommen. Dies zu berücksichtigen,heißt, nicht irgendein Vortragsthema don-nerstags von acht bis zehn im Hinterhauseines Konservatoriums oder einer Hoch-schule langweilig abzuhandeln, sondern esan einem landschaftlich schönen Ort zubündeln, es nicht nur an einem Abend,sondern an drei, vier Tagen anzubieten.Womit dreierlei erreicht wird: erstens, dieBegegnung mit einem akademischen Dozen-ten, den man so in dieser Form nie erlebt;zweitens, die Möglichkeit, ein Thema inkurzer Zeit intensiv zu behandeln; drittens,dabei im Kreis der Teilnehmer die Gelegen-heit zu eröffnen, freundschaftliche Kontaktezu knüpfen. Schließlich kommen Sie in derälteren Generation mit Problemen wieEinsamkeit, Verlust des Partners oderKrankheit in Berührung.

Gab es damals schon die Idee einerSeminarkonzeption?

Was wir von vornherein angestrebthaben, war nicht nur ein Angebot für all-gemeine Musiklehre oder Grundsätze desKlavierspiels oder des Singens, sondern diesystematische Aufgliederung eines Lehran-gebots im Sinne einer Hochschule. Mit demUnterschied, dass sich das Angebot an einvöllig neues Klientel richtet, nämlich dasder älteren Generation.

Worin bestehen die Inhalte?Mir kommt das Bild einer zweigleisigen

Eisenbahnstrecke in den Sinn. Genausofunktioniert auch die Musik-Akademie fürSenioren seit ihrem Start. Das erste Gleisist die „Begegnung mit Musik“ – es ist dieAngebotschiene für jedermann und enthältalle Fächer, die man allgemein interessier-ten, kulturell aufgeschlossenen Menschenanbieten kann. Das zweite Gleis ist das„Aktive Musizieren“ – es ist ein Angebotfür diejenigen aus der älteren Generation,die es fertig gebracht haben, sich die Musikals Wegbegleiter durch das Leben zu er-halten: der Arzt, der regelmäßig Quartettspielt, der Physiker, der in einem Chor singt.

Merkwürdigerweise trafen wir auf einennicht erwarteten stillen Gegner: die Ängst-lichkeit. Da waren Menschen, die sicheigentlich für alles, was wir anboten, inte-ressierten, die aber zu ängstlich waren, umsich bei uns zu melden, weil sie ihre Voraus-setzungen als nicht ausreichend betrachte-ten.

Wie viele ältere Menschen nahmenbeim ersten Seminar teil und wie ist deraktuelle Stand?

Das erste Seminar in Travemünde – eswar mit „Was ist Musik?“ überschrieben –besuchten immerhin 40 Leute. Danach wares nicht unbedingt Intention, eine ständigeZunahme der Teilnehmer bis hin zu einerunübersehbaren Zahl zu erreichen. Dennochhaben wir in den 13 Jahren unseres Beste-hens nicht in einem einzigen Jahr einenBesucherrückgang gehabt. Die Zahl ist eher,mit meiner inneren Zustimmung, langsamgestiegen. Wir sind heute bei knapp 1000Teilnehmern pro Jahr. Das Überraschendedaran: Es sind nicht absolut 1000 Men-schen, die da zu uns kommen, viele besu-chen bis zu acht Mal im Jahr eines unsererSeminare. Einfach, weil sie es für notwen-dig halten. Besonders erfreulich ist auch diegestiegene Zahl von Dozenten auf hohemNiveau: anfänglich noch zehn, sind esheute über 40. Dazu kam eine ständigeErweiterung des Lehrangebots. Haben wirim ersten Jahr noch acht bis zehn Seminareangeboten, sind es heute 40.

Finanziert sich die MAS vollkommenaus eigenen Mitteln?

Allmählich. Wir haben Unterstützungbekommen, etwa von der KlosterkammerHannover, die wichtige Beiträge geleistethat. Der damalige Präsident Professor vonCampenhausen hatte erkannt, welcherWert in der Betreuung der älteren Men-schen liegen kann und hat uns zum Beispiel

dabei geholfen, im Kloster Wennigsen bisheute eine pädagogische Heimat zu finden.

Aber ist nie daran gedacht worden,über die Initiativen der Bundesregierung unddes Ministeriums für Familie, Senioren, Frauenund Jugend Fördergelder zu erhalten?

Doch, aber leider ohne Erfolg. Es hat nureinen Teilerfolg gegeben in Zusammenar-beit mit der Ostseeakademie in Travemün-de. In diesem Fall gelang es uns mit Hilfeder Regierung, junge Musiker, Schüler undStudenten aus Polen einzuladen. Wir konn-ten ein Symphonieorchester zusammen-stellen, in dem 20 junge Polen zwischen14 und 18 Jahren mit 30 Senioren ausmeiner Akademie im Alter von 55 bis 85gemeinsam gespielt haben.

Worin besteht das Besondere einerSeniorendidaktik?

Das scheint ein absolutes Novum zu sein,denn es gibt nicht viel Literatur darüber.Ich persönlich halte die Seniorendidaktikfür ein ganz neues Feld, das man auch alssolches betrachten muss. Erstes Stichwort

in diesem Zusammenhang wäre nicht dasGegenüber von Lehrer und Schüler, son-dern die Partnerschaft. Viele der Chorsän-ger, die zu uns kommen, haben in ihrerPraxis in guten Chören bzw. von Chorlei-tern erfahren, dass sie die Altersgrenzeüberschritten hätten und nicht mehr ge-braucht würden – einer der schlimmstenSätze, die man einem älteren Menschen

Von Kameke im Kreis vonTeilnehmern der Klavierklasse.

»Wir wollen kein Gegenüber von Lehrer undSchüler, sondern Partnerschaft!«

MUSIK�ORUM 25

sagen kann und die zu einer allgemeinen Verunsicherung führen.Dies sind die Perspektiven aus der gesellschaftlichen Problematikheraus, die uns in der Musik-Akademie begegnen. Die Konzeption,die ich selbst für ein drei- bis viertägiges Chorseminar entwickelthabe, sah von vornherein vor, dass das Alter überhaupt keine Rollespielen darf. Es gibt keine Musik für ältere Menschen, die ichauszuwählen hätte. Es gibt nur schöne Musik, die Freude bereitenkann.

Zweites Stichwort: Die Menschen müssen sich willkommenfühlen! Und drittens: Sie müssen mit einem professionellen Am-biente konfrontiert werden. Das heißt, keines der Seminare wirdvon mir allein geleitet. Ich habe meistens drei Mitarbeiter dabei,sodass wir in der Lage sind, sofort in geteilte Chorarbeit zu gehenund Stücke zu erarbeiten, die im Plenum so schnell gar nicht zuschaffen wären. Viertens: das Programm wird den Teilnehmernvorher zugeschickt – mit der Erwartung, dass sie es gut vorbereiten.Fünftens: Wir beginnen nicht mit Viva la Musica und mit Froh zusein bedarf es wenig, um Stimmung zu machen, sondern mit einerStunde Stimmbildung auf professioneller Basis. Es wird nicht da-nach gefragt, was die Teilnehmer können, vielmehr werden sofortprofessionell die Atemtechnik, das Intervallgehör, die Intonationund die Frage nach dem Stimmumfang angegangen.

Gibt es eine Altersobergrenze?Nein, weder nach oben noch nach unten. Unsere Fragen nach

der Untergrenze und danach, wann man eigentlich ein Senior ist,provozieren oft eine Diskussion darüber, ob solche Begriffe nichtschädlich sind. Ich selbst kann aus meiner internationalen Erfahrungnur gegen solche Begriffsverirrungen protestieren. Gerade in Fernostoder in Russland werden Menschen der älteren Generation beson-ders geachtet und verehrt. Diese Verehrung straft die unsinnigenVerhältnisse in unserer Gesellschaft, wo wir anscheinend betonenmüssen, wie fantastisch jung wir doch alle sind und dass man trotzder 70 Jahre noch so fabelhaft aussieht. Wir in der Akademie be-kennen uns ernsthaft zum Alter, wir reden nicht davon, wie jungwir sind, sondern wir sind es einfach. Bei uns geht es darum, durchaktives Musizieren jung und gesund zu bleiben.

Die Mischung, die darin besteht, dass Musik eben auch Musik-therapie sein kann, spielt eine große Rolle. Wobei die BegriffeTherapie und Pädagogik bei uns in der Akademie nicht benutztwerden. Es wird einfach praktiziert. Das gehört auch zu der Fragenach der Alterspädagogik und -didaktik.

Wie sieht die Zukunft der Arbeit der Musik-Akademie fürSenioren aus?

Diese Frage ist einfach zu beantworten. Die Stichworte hierzusind: nicht nur hören, sondern auch weitergeben und weitersagen.Das führt hin zu der Perspektive, dass wir die Rolle des Großvatersund der Großmutter in der Familie stärken wollen, um die Freudeder Enkel an der Musik zu verstärken. Es geht darum, eine direkteVerbindung in das Familienleben hinein zu schaffen.

Zu guter Letzt: Welche Wünsche gibt es an die Politik?Unser Wunsch ist es, zur Kenntnis genommen zu werden und

nicht nur Komplimente zu bekommen. Was wir machen, ist poli-

»Die Menschen müssen sich willkommenfühlen und mit einem professionellenAmbiente konfrontiert werden!«

tisch. Wir brauchen, erstens, mehr Hilfe für Stipendien, die wir anUnbemittelte vergeben können. Ich wollte nie einen Verein fürreiche, alte Leute machen – entsprechend bescheiden sind unsereMitgliedsbeiträge. Zweiter Wunsch wäre, dass wir das Thema „Jungund Alt“ n den Vordergrund rücken, was freilich nur mit entspre-chenden Finanzmitteln zu schaffen ist. Vorstellbar wäre, ein bis zweiOrchesterkonzerte zu veranstalten und mit staatlicher Hilfe dabeiauch verschiedene Bundesländer und Städte besuchen zu können.Dabei könnte man sich Partner vorstellen wie das Projekt „Jugendmusiziert“ oder Konservatorien und Musikhochschulen.

Der dritte Wunsch betrifft den Chorgesang und das Orchester-spiel. Sie kosten viel Geld. Wir müssten – aus sozialpädagogischenErwägungen heraus – unsere Orchester- und Chorseminare deut-lich billiger anbieten – im Vergleich zu anderen Seminaren, diejedermann freistehen. Natürlich kommen die Teilnehmer auch trotzder Gebühren. Aber gerade das Orchesterseminar, wo so intensivgearbeitet wird, müsste preiswerter sein. Und dafür bräuchten wirZuschüsse.

U www.musik-akademie.de

Der pure Spaß am Musizieren:Neue Vereinsmitglieder präsentieren sich

auf dem New Generation-Sommerfest.

»SCHREIBE DIE PARTITURDEINES LEBENS

Fast 40 Prozent der Deutschensind über 50. Ab diesem Alter,

in dem dem Menschen zunehmendmehr Zeit zur Verfügung steht,nimmt die Rolle der Kultur undinsbesondere der Musik zu. Manhat die Muße, sich mit den „schö-nen Dingen“ zu beschäftigen.

Musik nimmt darüber hinaus aber aucheine soziale Funktion ein. Sie kann Menschenverbinden, wirkt der Vereinzelung entgegen,die in unserer Gesellschaft insgesamt, beson-ders aber in höherem Alter zunimmt.

Der in Hamburg ansässige gemeinnützi-ge Verein New Generation weist mit einemreichen Freizeit- und Kulturangebot Wege,die Zeit nach Abschluss des Berufslebensund familiärer Verpflichtungen für sich

Praxisbeispiel 2: Der Verein New Generation bringt ältere Menschen

musikalisch und kulturell„auf Trab“. Von Peter Rümenapp

selbst und für die Gesellschaft sinnvoll ein-zusetzen. Senioren sollen die eigenen Poten-ziale ausschöpfen und aktivieren können,sollen neue Interessen entwickeln, aktiv dasLeben gestalten, statt es passiv zu konsumie-ren – dies sind die Ziele von New Genera-tion. „Schreibe die Partitur deines Lebensselbst“, bringt es ein Info-Flyer treffend aufden Punkt.

New Generation, die „gemeinnützige Ein-richtung für Menschen ab 50“, hat inzwi-schen über 2000 Mitglieder. Sie wurde vorzehn Jahren von Hermann Rauhe und Hel-ge Adolphsen, Hauptpastor der HamburgerSt. Michaeliskirche, ins Leben gerufen undin enger Kooperation mit dem StudiengangKultur- und Medienmanagement der Hoch-schule für Musik und Theater Hamburg auf-gebaut. Rauhe war zwischen 1978 und2004 selbst Präsident der Hochschule.

selbst!«

MUSIK�ORUM26

FOKUS

Musik als ein Modell sinnerfüllter Le-bensgestaltung und lebendigen Austauschsund Miteinanders spielt im Angebot und inder Philosophie des Vereins eine wichtigeRolle. Das Veranstaltungsprogramm, dasNew Generation seinen Mitgliedern anbietet,zeigt, wie groß das Interesse an Musik in ih-ren verschiedensten Formen ist: Musikvor-träge zu Komponisten oder auch Notenkur-se und Konzerte vor allem in den BereichenKlassik und Jazz sind stets gut besucht.

Das neue Domizil, in dem New Genera-tion seit dem vergangenen Jahr seine Ge-schäftsstelle unterhält – das „New LivingHome“ zwischen dem Tagesschau-Fernseh-studio der ARD und Hagenbecks Tierpark,bietet für Konzertveranstaltungen optimaleVoraussetzungen. Es steht ein Musikzimmerfür kleinere Ensembles zur Verfügung sowieein amphitheatralisch angelegter Konzert-

saal, das „Atrium“, in dem 200 PersonenPlatz finden.

Eine zentrale Idee von New Generation istdie Eigeninitiative. Viele Veranstaltungenwerden von den Mitgliedern selbst konzi-piert und organisiert. Die Teilnehmer amTreff „Klassische Musik“ etwa kommen nichtnur zu gemeinsamen Konzertbesuchen zu-sammen, sondern tauschen sich auch überGehörtes oder noch zu Hörendes aus, hal-ten Kurzreferate zu Komponisten, setzensich mit der Musik auseinander. Es gibtTanzkurse und einen New Generation-Chor.Bereits seit ein paar Jahren gibt es auch denNew Generation-Song, komponiert von einerehemaligen Kirchenmusikerin, die Mitglieddes Vereins ist.

Sinnerfüllte Lebensgestaltung

Um die helfende und heilende Wirkungvon Musik geht es in der Veranstaltungsrei-he „Musik macht Mut“. Ihr Initiator Her-mann Rauhe rückt darin vom reinen Vor-tragsstil ab und erläutert musikalische Wir-kungen und therapeutische Funktionen mu-sikalischer Elemente, indem er die Erfahrun-gen der Teilnehmer mit einbezieht. Genera-tionsübergreifend ist die Reihe „Singen mitHermann Rauhe“, in der Kinder, Eltern undGroßeltern zum gemeinsamen Singen zu-sammenkommen.

Das besondere Profil, das New Genera-tion von anderen Anbietern von Veranstal-tungen unterscheidet, erhält der Vereindurch die Zielsetzung sinnerfüllter Lebens-gestaltung in der Gemeinschaft und durchden hohen Grad von aktiver Beteiligung, mitder Musik hier in ihren verschiedensten For-

men, sei es in aktiver Rezeption, im eigenenMusizieren, Chorsingen, im Tanz und refle-xiven Umgang mit Musik, betrieben wird.

Wie kam es zur Gründungvon New Generation?

Im Gespräch erzählt Hermann Rauhe, erhabe nach langjähriger Beschäftigung mitder Frage des Alterns und der Seniorenar-beit den Verein 1995 mit aus der Taufe ge-hoben und in den vergangenen zehn Jahrenals Präsident mit viel Freude geführt. Voran-gegangen seien schon 1980 erste intensiveGespräche mit Pastor Gerhard Engel, demGründer der Seniorenakademie LübeckerBucht, denen 1983 die Begegnung mit FrankH. Albrecht folgte, die Durchführung vonSeniorenseminaren in Stade sowie die Ent-wicklung der Konzeption einer neuartigenSeniorenwohnanlage in Buxtehude (Este-Wohnpark) mit einer integrativen, genera-tionsübergreifenden Kulturarbeit. Mit Ernst-Ulrich von Kameke habe er 1992 die Mu-sik-Akademie für Senioren (MAS) ins Lebengerufen, deren Vizepräsident und ständigerReferent er bis heute ist (siehe Artikel überdie MAS auf Seite 23).

„Ein wichtiges Ergebnis meiner vielfälti-gen fruchtbaren Zusammenarbeit mit Wer-ner Klose vor allem im Tonträger-Bereichwar die Entwicklung von New Generation alsPraxisprojekt für den Studiengang Kultur-management“, berichtet Rauhe. „Deshalbarbeiteten viele Studierende, unter ihnender heutige Leiter der Komödie im Winter-huder Fährhaus, Michael Lang, von Anfangan bei der Umsetzung und Weiterentwick-lung des Konzepts mit. Dadurch gewann

Generationsüber-greifendes Singen:

Hermann Rauhe singtmit Jung und Alt im

„New Living Home“.

MUSIK�ORUM 27

New Generation ein unverwechselbares, ge-nerationenübergreifendes Profil.“

Auf die Frage, welche Rolle die Musik inder Konzeption von New Generation spiele,betont Rauhe, dass der musikalische Aspektfür ihn persönlich besonders wichtig sei.„Für ein harmonisches Zusammenspiel un-serer körperlichen, seelischen und geistigenKräfte bietet die Musik als harmonischesGanzes verschiedener Stimmen ein hervor-ragendes Modell, geradezu das Paradigma.Gerade in der Situation des Älterwerdenskann Musik in ihrer positiven, ganzheitlichenWirkung ein wertvoller und sinngebenderBestandteil des Lebens sein.“ Deshalb spieleMusik im Veranstaltungsprogramm eine zent-rale Rolle, so Rauhe. Wobei es nicht nur umVorträge und Seminare zum Werk und Wir-ken großer Komponisten und zur helfendenund heilenden Wirkung von Musik gehe,sondern auch um das gemeinsame Singenoder das gemeinsame Musizieren von Groß-eltern und Enkeln. Rauhe: „Hier wird die ge-nerationenübergreifende Konzeption vonNew Generation deutlich.“ U www.new-generation-hh.de

Der Autor:

Dr. Peter Rümenapp studierte Musik-

wissenschaft sowie Kultur- und Medien-

management in Göttingen und Ham-

burg; danach Tätigkeiten in der Konzert-

organisation sowie Presse- und Öffent-

lichkeitsarbeit für verschiedene Organi-

sationen; derzeit Chefredakteur der

Zeitschrift NEW und Wissenschaftlicher

Mitarbeiter bei Prof. Dr. Hermann Rauhe.

FOKUS

MUSIK�ORUM28

Wir schreiben den 9. Juli 1955:Rock Around The Clock

von Bill Haley erreicht als ersteRock’n’Roll-Platte überhaupt Platz 1der amerikanischen Pop-Chartsund bleibt acht Wochen lang ander Spitze.

Hinterfragt man aber die Namen derKünstler, offenbart sich schnell: Der Rock’n’Roll hat sich gewandelt. Nach Mick JaggersÄußerung aus dem Jahr 1974 dürfte es ihnschon gar nicht mehr geben, denn: „Rock’n’Roll ist etwas für Jugendliche. Sobald mansich nicht mehr so fühlt, muss man aufhö-ren.“ Das Durchschnittsalter der oben wahl-los aufgezählten Stars liegt weit über 50,wobei die Bandbreite von 42 (Tori Amos)bis 60 (Lemmy von Motörhead) reicht.

Rock’n’Roll und seine Derivate sind wiekaum eine andere Musikrichtung mit demIdeal der Jugend verknüpft. Songtexte er-zählen in mannigfaltigen Ausprägungen vondieser Verquickung. Es gilt, „Forever Young“zu sein und bloß nicht „Too old to Rock’n’Roll, too young to die“. Und die Parole lau-

tet: „Live fast, love hard, dieyoung“ (Faron Young, 1955).

Inzwischen befindet sich dieerste Generation von Rock’n’Rollern und auch Mick Jaggerschon im Rentenalter – und mitihnen das Publikum. Zu vielenKonzerten pilgern Eltern – imZeitalter des Spätgebärens meintdas nicht nur Menschen in denZwanzigern – zusammen mitihren Kindern, um die (vielleicht)gemeinsamen Helden zu feiern.

Begünstigt wird diese Ent-wicklung durch die zunehmen-de Ästhetisierung und Mediali-sierung unserer Lebenswelten.So berichteten mittlerweile nichtnur Jugend- und Musikzeitschrif-ten vom Reunion-Konzert der

Gruppe Cream Anfang Mai, sondern bei-spielsweise auch die Financial Times.

Der marktstrategisch vorangetriebene Ju-gendlichkeitskult führt dazu, dass Erwachse-ne jugendliche Züge annehmen bzw. beim

Älterwerden nicht von ihnen lassen. Sie tra-gen Baseball-Caps genauso wie Turnschuheund natürlich Jeans. Selbst ein Körperkultwie Ohrringe gehören schon zum Reper-toire der Älteren. Allenfalls im Ausmaß derGestaltung des eigenen Körpers als Kunst-werk mag ein Unterschied in den Genera-tionen feststellbar sein. Angesichts solcherGrenzverschiebungen scheint es jedenfallsberechtigt, mit Pierre Bourdieu zu resümie-ren: „Jugend ist nur ein Wort“ – entschei-dend ist nicht mehr das biologische, sonderndas soziale Alter.

Von Bill Haley bisWesternhagen

Die Bilder auf diesen Seiten zeigen dieMünsteraner Band „Cadillac“ bei zwei Auf-tritten im Mai 2005, zum einen beim müns-terschen Eurocityfest, zum anderen beim50. Geburtstag des Keyboarders. „Cadillac“gibt es seit 1984 in der Besetzung Schlag-zeug, Bass, zwei Gitarren, Keyboards undTenorsaxofon. Den Gesang teilen sich dieGitarristen mit dem Keyboarder. Bei größe-ren Auftritten verstärkt sich die Band gele-gentlich durch die „Chevy Horns“ mit Po-saune, Trompete und Altsaxofon.

Ihr Repertoire besteht aus etwa 130Songs aus den Stilrichtungen Rock’n’Roll,Beat, Soul und Rock. Es umfasst Stücke vonBill Haley, Gene Vincent, Eddie Cochran,den Beatles, den Rolling Stones und ande-ren britischen Gruppen, von Wilson Pickett,James Brown, The Doors, Deep Purple,Westernhagen und vielen, vielen anderen.Das Repertoire, schon jetzt beachtlich groß,wird bei den wöchentlichen Proben ständigerweitert und verändert. Die Auswahl neuerStücke geschieht gemeinsam unter Berück-sichtigung von Kriterien wie Machbarkeitund Musikgeschmack sowie dem Bestreben,

50 Jahre später: Peter Maffay tourt durchDeutschland – genauso wie Tori Amos oderMeat Loaf, Black Sabbath oder Alice Cooper,Joe Jackson und Todd Rundgren, HelgeSchneider und die Toten Hosen. Die Auf-zählung ließe sich endlos fortführen: DasAngebot an Rockkonzerten und Open-Airsist größer denn je – Rock’n’Roll lebt und al-les, was sich aus ihm entwickelt hat.

IS HERE TO STAY…Rock’n’Roll Praxisbeispiel 3: In einer Band spielen und jung bleiben – das Rezept

von sechs quirligen Münsteranern, vorgestellt von Walter Lindenbaum

Gefühltes Alter: Die Alt-Rocker der Münste-raner Band „Cadillac“ sehen sich immer nochals „junge“ Band.

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nicht in einem lieblos heruntergespieltenProgramm zu erstarren.

Für bestimmte Aufgaben haben sich imLaufe der Zeit Zuständigkeiten in der Grup-pe herausgebildet, sodass sich Fragen wiediese gar nicht mehr stellen: Wer erhält dieGage und verteilt sie? Wer erstellt die Play-list für den Auftritt? Wer schreibt den Blä-sersatz? Wer kümmert sich um die Plakate?Wer macht die Verträge? Wer hört die Gi-tarrensounds heraus?

Geht man nach dem gefühlten Alter, ist„Cadillac“ eine junge Band – dies obgleichdie Band im Mai dieses Jahres ihr 20-jähri-ges Bühnenjubiläum feierte und das Durch-schnittsalter der Musiker bei 50 liegt. Wastreibt sie noch an, in einer Band zu spielen?„Es gibt so viele andere Dinge im Leben, dieman mit dem Kopf macht, wo man sich dis-ziplinieren muss“, sagt Gitarrist Stephan Sie-benkotten-Dalhoff. „Hier kann ich mich ent-falten, menschlich und musikalisch. ZumBeispiel spiele ich Stücke in der Band ganzanders als zu Hause.“ Worauf Bassist JürgenStehling ergänzt: „…was vermutlich daranliegt, dass sich hier jeder auf den andereneinstellt und sich einbringt. Voraussetzungdafür ist aber, dass es allen Spaß macht.“ Fürihn bedeutet das Spielen in der Band, „Mu-sik selber zu machen, sich die Musik, dieman liebt und gerne hört, beizubringen“.

Dass sich durch permanentes Üben undProben neuer (alter) Songs eine Perfektio-

nierung des eigenen Spiels einstellt, ist einerwünschter Nebeneffekt, ebenso wie dieErfahrung, dass dem auch Grenzen gesetztsind. So konnte beispielsweise trotz allerVorlieben nie ein Stück der Beach Boys insRepertoire gelangen, da mehrstimmiger Ge-sang nur bis zu einem bestimmten Qualitäts-level umgesetzt werden konnte.

Anders als bei vielen anderen Cover-Bands steht nicht ökonomisches Interesseim Vordergrund, sondern reine Spielfreudeauf möglichst hohem Niveau. Die allerdingswill nicht auf den Probenkeller beschränktsein, sondern sich dem Publikum mitteilen.So hat „Cadillac“ als regional bekannte Bandim Laufe der Jahre mehrere hundert Kon-zerte im Münsterland, aber auch im Auslandgespielt. Gagen werden dabei im Sinne ei-nes sich selbst tragenden Hobbys in allerRegel wieder in Equipment investiert, wiez. B. in einen Höfner-Beatles-Bass oder einOriginal-Leslie-Kabinett.

Musik und „Chemie“

Von Anfang an haben die Musiker dersozialen Komponente große Bedeutung bei-gemessen. So haben „Cadillac“-Termine Pri-orität vor anderen musikalischen Aktivitä-ten. Die Band tritt immer geschlossen auf,es gibt keine Ersatzspieler. Aus der Urbeset-zung sind noch immer drei Musiker dabei.Bei „Neueinstellungen“ werden die Fächer

Musik und „Chemie“ gleichwertig berück-sichtigt, denn Freundschaft untereinanderwird ebenso gepflegt wie die Einbeziehungder „Spielerfrauen“ und Familien. Alle zweiJahre veranstaltet die Band „Cadillac-Parties“ohne Eintritt für Freunde und Bekannte, zudenen regelmäßig knapp 1000 Menschenkommen.

Somit besteht auch kein Grund, das Pro-jekt „Cadillac“ freiwillig zu beenden. Viel-mehr hoffen die Musiker mit Bob Dylan:„May your hearts always be joyful, may yoursong always be sung, may you stay foreveryoung.“

Der Autor:

Dr. Walter Lindenbaum ist Dozent am

Institut für Musikwissenschaft und

Musikpädagogik der Westfälischen

Wilhelms-Universität in Münster sowie

Vorsitzender des VDS NRW, Vizepräsi-

dent des Landesmusikrats NRW und

Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats

des rock´n´popmuseums Gronau; dane-

ben seit 1984 Sänger und Keyboarder

der Münsteraner Band „Cadillac“.

Aufhören? Warum? Beim Eurocityfest imMai in Münster zeigten die „Jungs“ von„Cadillac“ einmal mehr, dass sie nicht zumalten Eisen gehören.

»May your song always be sung,may you stay forever young« Bob Dylan

Praxisbeispiel 4:

Wie ein Verein für

einen neuen Umgang

mit dem Alter wirbt

DAMIT DAS ALTER EINE

HATZukunft

Alter ist kein Mangel oder Makel, sondern ein Einklangmit der Zeit.“ Mit dieser Prämisse setzt sich der Verein

„aging-alive – natürlich älter werden e.V.“deutlich ab vomAnti-Aging und seinem Kampf gegen das Alter.

Der Verein, der im Oktober 2004 vondem Arzt und Psychotherapeuten DietmarHöhne sowie weiteren Fachleuten – Ärzten,Psychotherapeuten, einem Politologen so-wie einer Heilpädagogin – ins Leben geru-fen wurde, versteht sich in seinen Aktivitä-ten als gesellschafts-politische Initiative fürein neues, natürliches Altersbewusstsein.

MUSIK�ORUM30

FOKUS

„Altern“, so sehen es die Vereinsgründer,„ist ein natürlicher, lebenslänglicher Prozess,den es nicht zu bekämpfen gilt, sondern be-wusst, verantwortungsvoll, achtsam und mit-fühlend wahr- und anzunehmen, in seinengenussvollen wie auch in seinen schmerz-lichen und versagenden Anteilen, bis dass derTod uns scheidet.“ Diese Herangehensweise

soll durch individuelle Beratung, Fort- undWeiterbildungsseminare, Vorträge und Kur-se mit altersrelevanten Inhalten und Frage-stellungen, durch öffentlich wirksame Medien-arbeit sowie das Zusammenwirken mit Insti-tutionen, therapeutischen, psychosozialen undBildungseinrichtungen vermittelt werden.„Das Leben selbst ist älter werden“, so derVerein in seinem Plädoyer „für einen neuenUmgang mit dem Alter“.

Erstmals in der Weltgeschichte werdenbald mehr Alte als Junge die Welt bevölkern.Doch kaum einer nimmt sie wahr – es seidenn als Rentner, Pensionäre, Pflegefälleund Demenzkranke, behaftet mit Krankhei-ten und Ausfällen, stigmatisiert durch Defizit,Behinderung und Unzulänglichkeiten. Vonmachem als „gesellschaftliches Nutzlosig-keitspozential“ angesehen, werden alte Men-schen – über eine gestaffelte Entsorgung – dem„Gnadentod“ überlassen und dem „sanftenSterben“ preisgegeben, was gelegentlich sogarals „sozialverträgliches Frühableben“ mora-lisch und politisch sanktioniert wird.

Über die Medien, insbesondere die Wer-bung werden wir mit Botschaften bombar-diert: „Anti-Age-Gymnastik ab 25“, „das ers-te Peeling mit Ende 20“, „Testosteron ab30“, „mit 40 an der Rentenschwelle“, „mit50 das erste Facelifting“. So wird unsereIdentität zerstört, im Bereich der Leiblich-keit, der sozialen Beziehungen, der Arbeitund Leistungsbereitschaft, der materiellenSicherheit sowie der Normen und Werte.

Der Diskurs ist paradox: „Anti-Aging“,„50plus“, „Go Longlife“, „60plus“, „Mit 66fängt das Leben an“, „Silver Age“, „BestLife“, „Fit and fun for ever“, „Forever young“,„Morgen sind wir unsterblich“ (ein Buch-titel) – diese Formeln, als kapitalschlagendeMarketingstrategien, Beglückungsideologienund Heilsverheißungen gepriesen und un-

ters Volk gebracht, beschreiben gleichzeitigdas Alter als chronische Krankheit, die einganzes Leben lang behandelt werden muss.

Altsein ist negativ besetzt und steht fürall die Misslichkeiten, die in unserer Gesell-schaft für nicht erstrebenswert erachtet wer-den: Vereinsamung, Armut, Krankheit, Ein-schränkung von körperlicher und geistigerVitalität und Schönheit. Altern wird als per-sönlicher Verlust und gesellschaftliche Be-drohung verstanden und verschließt so stig-matisiert Räume und Rollen in unsererGesellschaft, in denen Alter sich entfaltenkönnte, als erfahrenes Leben, Begabung, Fä-higkeit und Wissen.

Neue Philosophie desÄlterwerdens erforderlich

Dietmar Höhne: „Wir brauchen ein ganzanderes, auf den gewandelten Bedingungenfundiertes Verstehen vom Alter und Älter-werden. Wir brauchen Strukturen, in denendie veränderte Realität, ein völlig neuer Le-benszyklus des bald größten Bevölkerungs-anteils Gestalt annehmen kann. Die neueAltersverteilung sowie eine um fast 30 Jahreverlängerte Lebensspanne nach dem Aus-scheiden aus dem Berufsleben, für die wirüberhaupt keine Modelle haben, erforderneine Betrachtung und Praxis des Sozialen,eine Philosophie des Lebens und des Älter-werdens, die dem Zugewinn, der Vielfaltund der Lebenserfahrung Rechnung trägt,

die Achtung und Wertschätzung, aktive ge-sellschaftliche Teilhabe in allen Bereichendes öffentlichen Lebens und der Arbeitsweltzur Notwendigkeit werden lässt. Alle Maß-nahmen, die aus den alten Alten die neuenAlten machen wollen, bleiben kosmetisch,sind kapitalgesteuert oder sollen Ratlosigkeitverschleiern.

Ohne einen neuen Umgang mit dem Al-ter, ohne einen öffentlichen Diskurs in allenBereichen unseres Gemeinwesens (das hatnichts mit der herkömmlichen Alterskulturvon Seniorenprogrammen und Verbastelungzu tun) werden alle gut gemeinten Vorschlä-ge einer Alterspolitik eher zu einer weiterenEntwertung des Alters, zu Diskriminierungund Gettoisierung älterer Menschen führen.Auch Mallorca ist ein Getto.“

Was eine wirklich neue kulturelle Neu-bewertung und Begriffserweiterung auf derpraktischen Seite für die Umgestaltung un-serer gesamten Lebensräume, von Verkehr,Wohnen, Produkten, Dienstleistungen, Fa-milienstrukturen und sozialen Umgangsfor-men in Gang setzen müsste, ist nur vorstell-bar, wenn jeder sich angesprochen fühlt, dasÄlterwerden wahrzunehmen, es anzuneh-men als ständigen Begleiter vom ersten biszum letzten Tag.

Der Verein „aging-alive“ bietet ein Forumfür Aktivitäten, dieses lebendige Altersbe-wusstsein in allen Bereichen des öffentli-chen und privaten Lebens wach zu rufen,zu fördern und zu begleiten. Höhne: „Wennwir uns vor dem Alter verbeugen, erweisenwir auch allen anderen Abschnitten des Le-bens, dem Anfang und dem Ende, der Ge-burt und dem Tod die Ehre.“

Die Internetpräsentation des Vereins bietet eine um-fangreiche Datenbank mit aktuellen Nachrichten, Texten,Literaturverzeichnis und Veranstaltungshinweisen:

U www.aging-alive.de

MUSIK�ORUM 31

Ziel der Initiative ist eine möglichst direk-te Zielgruppenwerbung für die Veranstal-tungen der Kulturpartner ohne Belastungihrer Etats. Beabsichtigter Nebeneffekt: einImagetransfer, der für beide Seiten von Ge-winn ist. Durch mögliche Auslastungssteige-rungen bei den Partnern führt sie in positi-ven Fällen auch zu wirtschaftlich spürbarenErgebnissen.

Über die Bedeutung und die Konzeptionder Zusammenarbeit sprach Katrin Pokahrmit dem WDR 3-Programmchef.

Welche Bedeutung hat das Systemder WDR 3-Kulturpartnerschaften in denersten vier Jahren seines Bestehens erlangt?

Karl Karst: Es hat sich in Nordrhein-Westfalen fest etabliert – und auch in ande-ren Ländern beginnen sich ähnliche Systemezu entwickeln. Der Gewinn für alle Seitenist offensichtlich: Die Kultur in NRW hatdeutlich profitiert und auch das Kulturradiohat seine Bekanntheit gesteigert. Allerdings:Wir sind an der Kapazitätsgrenze! Anfäng-lich sollten es 40, dann 60 Partner werden,jetzt haben wir bei 80 einen Aufnahme-stopp erteilt, um die Qualität zu sichern.

Wie funktioniert das Modell?Die Kulturpartnerschaften sind vertrag-

lich fixierte Partnerschaften, die auf Dauerangelegt sind. Sie gelten nicht nur zeitlichbegrenzt wie bei den punktuellen Präsen-tationen von Einzelveranstaltungen, die esin vielen Programmen seit langem gibt,sondern bestehen permanent. Das bedeutet,dass WDR 3 mit seinen Partnern in stetemAustausch ist. Wir erhalten Programminfor-mationen unserer Kulturpartner und wei-sen in festen Sendeplätzen auf redaktionellausgewählte Veranstaltungen hin. Wesent-

Unter dem Motto „Partnerschaft für mehr Kultur“ arbeitet das Kultur-Radio WDR 3 mit derzeit 80 Theatern, Konzerthäusern, Museen,

Kulturorganisationen, Festivals, Theater- und Museumsnächten in Nord-rhein-Westfalen eng zusammen. Kern des Konzepts ist „die dauerhafteoder zumindest auf eine längere Zusammenarbeit angelegte unentgeltlicheKooperation der Kulturträger des Landes“, so Programmchef Karl Karst.

TITELTHEMA

WDR 3 hat in Nordrhein-Westfalen ein beispielhaftes Modell der Gemeinsamkeit

unter Kulturträgern entworfen. Im Interview: Programmchef Karl Karst

RADIO-PARTNERSCHAFT

WDR 3-Programmchef Karst:„Ohne neue Kooperationen wird dasKulturangebot der Kommunen undLänder in der Zukunft nicht mehraufrecht zu erhalten sein.“

liches Auswahlkriterium sowohl für diePartnerschaft als auch für die Einbindung inWDR 3 ist die Kompatibilität mit unseremProgrammprofil WDR 3. Die Kulturpartnerdokumentieren ihre Partnerschaft durchLogopräsenz in Druckwerken, vor Ort, aufTransparenten, Fahnen und so weiter. Da-rüber hinaus können Einzelprojekte, zumBeispiel gemeinsame öffentliche Veranstal-tungen wie das „Kulturpolitische ForumWDR 3“, entstehen.

Welchen Vorteil bietet dieses Systemfür die Kulturpartner?

Vielen Kulturpartnern fehlt das Geld fürteure Kommunikationsmaßnahmen. Sieinvestieren ihren verbliebenen Etat vernünf-tigerweise lieber in das eigene Programm-angebot und in die Künstler als in Publika-tionen mit hohem Streuverlust. Die Part-nerschaft mit WDR 3 ermöglicht eine ziel-gruppengenaue Kommunikation, derenWirkung spürbar ist: Die Auslastungssteige-rung bei Veranstaltungen, auf die WDR 3hingewiesen hat, ist evident. So zielgruppen-gerecht und weitreichend (bei 350 000 bis420000 kulturinteressierten Hörern täglich)kann kein Medium in NRW für Kulturwerben.

Und welchen Nutzen hat WDR 3davon?

Für WDR 3 besteht der Gewinn in einerErweiterung seines Bekanntheitsgrads undeiner langfristigen Vergrößerung seinerHörerschaft. Auch dafür gibt es positiveZeichen. Für WDR 3 gilt auch, dass es kaumeinen direkteren Zielgruppenkontakt gebenkann als in den Räumen und Publikationender Kultureinrichtungen des Landes. Zielist es, die Kommunikation von Programm-

aktivitäten aller Kulturangebote in NRW zusteigern, um effektiv, aber Ressourcen spa-rend Kulturpublikum zu erreichen. In derSumme also Effizienz für alle Seiten – nichtzuletzt auch für das Publikum, das auf die-sem Wege ein Plus an Information undAngebot erhält.

Bezieht das Konzept auch die beson-dere polyzentrische Struktur des BundeslandesNordrhein-Westfalen mit ein?

Eine der zentralen Zielsetzungen war es,die Vielfalt der Kultur in NRW besser zuspiegeln und mit diesem Konzept auch wei-ter in das Land hinein zu gelangen – undnicht nur auf die Kulturzentren zu schauen.Deshalb unterstützt WDR 3 unter anderemdie mobilen Landestheater NRW, die be-sonders außerhalb der Kulturzentren desLandes unterwegs sind.

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mehr KulturFÜR

Hilft WDR 3 damit der Vernetzungvon Kultur im kulturell vielfältigen NRW?

Ich halte Vernetzung in unserer Zeit fürdas Gebot Nr.1. Ohne Zusammenhalt undErgänzung kann eine Kultur dieser Dichteauf Dauer nicht existieren. Hier sind wir abernoch lange nicht am Ziel. Kirchturmspolitikund Egozentrismen stehen noch an vielenStellen der Gemeinsamkeit entgegen. Vernet-zung ist in unserem Medium sozusagennaturgegeben. Wir strahlen nur einmal indas ganze Land – und jeder, der sich fürKultur in NRW interessiert, kann WDR 3 aufeinfachstem Wege, ohne zusätzliche Kosten,empfangen. Ich halte Vernetzung und Zu-sammenführung für eine Verpflichtung undfür eine zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – der dafür allerdingsdie nötige Unterstützung durch ausreichen-de Gebührenausstattung benötigt.

Warum ist dieses Erfolgsmodell inanderen Ländern noch nicht in der gleichenWeise umgesetzt worden?

Das Konzept wurde aus-drücklich mit der Aufforde-rung zur Nachahmung andie Öffentlichkeit getragen.Es wird in adaptierter Formdurchaus schon von ande-ren Kulturprogrammenübernommen, wenn auchnicht in dem Maß wie esin NRW und durch denWDR möglich ist. UnserSendegebiet hat durch sei-ne immense Kulturvielfaltund durch seine Bevölke-rungsgröße eine besondereStellung. In keinem ande-ren Sendegebiet der ARDgibt es eine vergleichbareBallung von Musik- undKultureinrichtungen. Keinanderes Bundesland ver-fügt über ähnlich vieleKonzert- und Opernhäuser,Theater und Museen wieNRW. Das Modell der

Kulturpartnerschaft hat für diese Vielfalteine Plattform geschaffen, die zuvor nichtvorhanden war. Auch der von uns gepräg-te Begriff „Kulturpartner“ hat sich sehrschnell verbreitet und findet intensivenGebrauch – leider auch für deutlich anderskonzipierte Partnerschaften. !

»Vernetzungist eine zentraleAufgabe desöffentlich-rechtlichenRundfunks«

Dokumentierte Kooperation:Die Kulturpartner des WDR 3

präsentieren das Logo desSenders in Werbedruck-

sachen, vor Ort, auf Trans-parenten und Fahnen.

WDR 3 hat in der jüngsten Media-Analyse sehr erfreulich abgeschnitten undbehauptet seinen Spitzenplatz unter den ARD-Kulturradios. Führen Sie dies auch auf diestärkere Präsenz durch die Kulturpartner-schaften zurück?

Es ist ein sehr positives Signal, das dieMedia-Analyse uns übermittelt hat. Das giltes weiterhin zu beobachten. Ein Zuwachsvon mehr als 40 000 Hörern ist im Kultur-bereich allerdings nicht allein mit guterWerbung oder über Partnerschaften erreich-bar. Sie brauchen dafür ein adäquates Pro-gramm. Wenn Profil und Image des Kultur-radios WDR 3 nicht stimmen würden,hätten wir auch keine Kulturpartner! Nebender Tageshörerzahl, über deren Zunahmewir uns sehr freuen, lässt sich aber die Stei-gerung des Bekanntheitsgrads von WDR 3zu einem guten Teil auf die verstärktePräsenz im Land zurückführen.

TITELTHEMA

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Welche weiteren Projekte entstehendurch die Kulturpartnerschaften?

In jedem Jahr treffen sich die Kulturpart-ner einmal zum gemeinsamen Austausch.Dabei entstehen immer wieder neue Ideenfür Kooperationen – auch untereinanderund ganz ohne Beteiligung von WDR 3.Ein Kooperationsmodell, das unmittelbarenProgrammbezug hat, ist das „Kulturpoliti-sche Forum WDR 3“, das seit Beginn 2004regelmäßig mit unseren Kulturpartnern anunterschiedlichen Orten in NRW stattfindetund auf dem Sendeplatz „Forum WDR 3“(sonntags um 19.05 Uhr) ausgestrahlt wird.Hier hat sich eine neue, eigene Linie ausden Kulturpartnerschaften entwickelt, diewiederum als Marke für die Kulturland-schaft NRW werben kann.

U www.wdr3.de

„Gemeinsam sind wir besser“: 80 Theater,Konzerthäuser, Festivals, Museen undKulturorganisationen sind Partner von WDR 3.

Die statistischen Daten zeigen: Ohnedas Engagement der Bürger gäbe es dasMusikleben nicht, um das Deutschland inder Welt beneidet wird. Leider werdendieses Engagement und die Bedeutungder Breitenkultur für die KulturlandschaftDeutschlands nicht so wahrgenommen wiees geboten wäre.

Umso wichtiger ist deshalb das Be-kenntnis unseres Bundespräsidenten HorstKöhler zur Laienmusik. Er hat diese alsunverzichtbar für die Pflege der Kultur inunserem Land, für den Erhalt und die Fort-entwicklung kultureller Werte bezeichnet.Dies ist ein Beginn, mehr Anerkennung fürden Stellenwert der Breitenkultur in derKulturlandschaft Deutschland zu gewinnen.Bislang fehlt es daran häufig – sei es ausUnkenntnis um das Vermögen der Brei-tenkultur oder aber wegen eines vereng-ten Kulturbegriffs, der sich auf die institu-tionalisierte, die professionelle Kultur, be-schränkt.

Eine verantwortungsvolle Kulturpolitik,die zur Sicherung der dichten Kulturland-schaft Deutschlands beitragen will, darfsich aber nicht auf die kulturellen Leucht-türme, die Opernhäuser und großen Or-chester, beschränken. Wir müssen diesezum Strahlen bringen. Dies darf aber nichtdazu führen, dass im Umland die Lichterausgeblasen werden. Wir brauchen geradedie vielen kleinen Kulturlichter, damit esfür die Kultur in Deutschland insgesamtheller wird. Hochkultur und Breitenkulturergänzen sich.

MdB Gitta Connemann,

Vorsitzende der Enquete-Kommission

„Kultur in Deutschland“:

»Bürgerschaftliches VORAUSSETZUNG FÜR EIN

Wir brauchen auch eine lebendige Brei-tenkultur, um unseren talentierten Nach-wuchs entdecken und fördern zu können.Wie viele Kinder, deren Eltern den Besucheiner Musikschule nicht finanzieren konn-ten, haben nicht in einem Musikverein, ineiner Kapelle ein Instrument erlernt unddamit den Zugang zur Musik gefunden.

Wir brauchen die Breitenkultur, um ge-rade junge Menschen für Kultur zu begeis-tern. Denn Breitenkultur ist der fruchtbareBoden, in dem Menschen in Zeiten perso-naler und sozialer Mobilität Wurzeln schla-gen, persönliche Werte entfalten und sozia-le Beziehungen aufbauen können. Kulturstiftet Identität – Breitenkultur aber sichertPluralität. Für eine Kulturpolitik mit Weit-

Noch ist das Engagementbeeindruckend. Doch:

Die Bereitschaft, sich ehren-amtlich zu betätigen, nimmt

besorgniserregend ab!

sicht muss daher der Grundsatz gelten:Wer „Kultur für alle“ fordert, der muss auch„Kultur von allen“ fördern!

Wir brauchen das bürgerschaftliche En-gagement, um das kulturelle Leben vorOrt zu gestalten. Das gilt besonders für den

Engagement – LEBENDIGES MUSIKLEBEN«

Die Zahlen sprechen für sich: 22 Millionen Menschen in Deutschlandsind ehrenamtlich tätig. Sie „investieren“ Jahr um Jahr 3,7 Milliar-

den Stunden Arbeit, ohne dafür einen Cent zu erhalten. Die Aktivitätenin den Bereichen Kultur und Musik sind dabei von besonderer Bedeu-tung. Alleine in der Laienmusik erbringen 1,4 Millionen Sängerinnenund Sänger in 45000 Chören und 30000 Instrumentalgruppen absoluteSpitzenleistungen.

ländlichen Raum. Bundesweit ist die Hälf-te aller Musikvereine in Orten unter 2 000Einwohnern ansässig. Ein Beispiel für dieBedeutung privater Initiativen aus meinerHeimat ist der Verein Junger Kaufleute inLeer. Er macht sich seit langem in der Or-ganisation von Konzerten klassischer Mu-sik um das kulturelle Angebot der Stadtverdient. Dank dieses ehrenamtlichen En-gagements gelingt es immer wieder, be-rühmte Musiker und Orchester nach Leerzu holen. Das Bedürfnis nach diesem An-gebot zeigt sich in der Nachfrage und derVergabe aller 800 Plätze an Abonnenten.

Wir dürfen uns von den beeindrucken-den Zahlen bürgerschaftlichen Engage-ments aber nicht blenden lassen. Denn dieBereitschaft, sich ehrenamtlich zu betäti-gen, nimmt besorgniserregend ab. Es drohtuns ein Generationenbruch als Folge dernachlassenden Förderung in Schulen, Mu-sikschulen, Chören, Vereinen und Freizeit-einrichtungen.

Die Gründe für die wachsende Zurück-haltung sind auch ganz praktischer Natur:Chorsänger, Amateurschauspieler, Musi-ker, sie alle zahlen Beiträge, sie finanzierenNoten, Instrumente, Kostüme, Konzerteselbst aus eigener Tasche. Ohne dass sieüber eine entsprechende fachliche Ausbil-dung verfügen, müssen Vereinsvorsitzen-de profunde Detailkenntnisse besitzen, seies im Bereich des Sozialversicherungs- undGemeinnützigkeitsrechts oder des Urhe-berrechts. Bei Verstößen haften sie mit ih-rem privaten Vermögen. Die Anmeldung

zur GEMA ebenso wie das Ausfüllen derSteuererklärung für den Verein kostenKraft und Zeit und lassen manchmal ver-zweifeln. Was ist also zu tun, damit die Ge-dichtzeile Wilhelm Buschs „Willst Du frohund glücklich leben, lass kein Ehrenamt dirgeben!“ nicht zu einem praktizierten Allge-meingut wird?

Für eine neue Kultur desEhrenamts brauchen wir den

Mut zu neuen Lösungen.

Noch immer haben wir es leider imBlick auf die Breitenkultur mit einer terraincognita zu tun. Die Antwort der Bundes-regierung auf die große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird hier hoffent-lich für mehr Klarheit sorgen. Und auch dieEnquete-Kommission „Kultur in Deutsch-land“ des Deutschen Bundestags hat sichin ihrer Bestandsaufnahme der Situationvon Kunst und Kultur intensiv mit Fragender Breitenkultur und des sie tragendenbürgerschaftlichen Engagements beschäf-tigt.

Die aufgeworfenen Fragen lauten: Wel-che Anreize und öffentliche Anerkennungmotivieren Bürgerinnen und Bürger dazu,sich in Chören, Orchestern, aber auch inMusikschulen zu engagieren? Wie lassen

TITELTHEMA

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sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen,das Gemeinnützigkeitsrecht, Zuwendungs-recht und Spendenrecht, verbessern? Wel-che Vereinfachungen sozialversicherungs-rechtlicher Vorschriften sind nötig? Wo kannBürokratie abgebaut werden? Welche Ver-einfachungen sind möglich – bei der Steuer-erklärung für den Verein bis hin zur Anmel-dung zur GEMA? Welche Angebote zurQualifizierung und Zertifizierung von ehren-amtlich Tätigen und welche Konzepte fürdie Kooperation zwischen Ehrenamtlichenund Hauptamtlichen brauchen wir?

Für eine neue Kultur des Ehrenamtsbrauchen wir den Mut zu neuen Lösungen.Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutsch-land“ hat die erste Hürde genommen unddie notwendige Bestandsaufnahme geleistet.Der eigentliche Sprung, die Formulierungvon Handlungsempfehlungen, steht dage-gen noch aus. Dazu bedarf es unbedingt derWiedereinsetzung der Enquete-Kommissionin der kommenden Legislaturperiode. Nurso lässt sich die begonnene Arbeit zu demerfolgreichen Ende bringen, das die vielenehrenamtlich in der Kultur tätigen Bürge-rinnen und Bürger zu Recht von ihr erwar-ten.

Gitta Connemann, Juristin aus Leer, ist Mitglied desDeutschen Bundestags für die CDU und Vorsitzendeder Enquete-Kommission Kultur in Deutschland sowieMitglied im Bundestagsausschuss für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft.

Kernfrage: Was motiviert Menschen dazu,sich in Orchestern und Chören zu engagieren?Mit dieser und anderen Fragen hat sich dieEnquete-Kommission „Kultur in Deutschland“intensiv beschäftigt.

Mit dem 55-jährigen studierten Flötisten,der seit 1991 eine Kompositionsklasse ander Robert-Schumann-Hochschule in Düs-seldorf leitet, unterhielt sich ChristianHöppner.

Nachträglich noch einmal herzlichenGlückwunsch zum Amt des Präsidenten desKomponistenverbands! Sind Sie Präsidentaller Komponisten oder nur des Verbands?

Manfred Trojahn: Verblüffende Frage!Die Minorität der Mitglieder des DeutschenKomponistenverbands, die bei der Wahlam Ort war, hat mich mit einer deutlichenMajorität vor den anderen Kandidaten indieses Amt bestellt. Ich bin der Präsidentder Mitglieder des DKV, auch wenn essich viele anders gewünscht hätten.

Was ist Grundlage Ihres Handelns:die lobbyistischen Ziele Ihres Verbands oderein Teil gesellschaftliche Verantwortung?

Der DKVsollte als Berufsverband dieBedürfnisse seiner Mitglieder vor der Ge-sellschaft vertreten. Damit ist er eine Lobby-Organisation. Nun haben wir dadurch,dass unsere Mitglieder sowohl U- als auchE-Musik komponieren, eine sensibleBalance zwischen den Gruppen zu halten,die es verhindert, dass eine Seite Forde-rungen stellt, die auf Kosten der anderenSeite umgesetzt würden. Zuweilen magdas so aussehen, als ob der Verband sich

Er ist einer der profiliertesten dirigierenden Komponisten mit breitemWerkspektrum zwischen orchestralem Bereich und experimenteller

Kammermusik – und seit einem Jahr ist er auch Präsident des DeutschenKomponistenverbands (DKV): Manfred Trojahn – ein Funktionär? „Ich binein Künstler und habe eine Verantwortung“, stellt er klar, „und die beziehtsich auf meine Arbeit.“

dadurch eine durchschlagende Handlungs-fähigkeit verbaute – und daher muss mandie Zielsetzung des Verbands so gestalten,dass die Forderungen von beiden Lagernals die ihren akzeptiert werden können.Eine Konzentration in der Themenvielfalt istsomit angesagt.

Die Alternative – eine Trennung derBereiche in Einzelverbände – scheint mirwesentlich weniger sinnvoll zu sein. Mitetwa 1300 Mitgliedern haben wir ohnehinkein wirklich großes Gewicht in einer Ge-sellschaft, in der Mehrheitsentscheidungen,also Quantitäten, auf jeden Fall vor denQualitäten zu bevorzugen sind. Interessan-terweise ist hier auch die heikelste Stellein Bezug auf meine gesellschaftliche Verant-wortung. Als Privatperson habe ich schonradikalere Vorstellungen eines Gesell-schaftsmodells als die, die ich in meinenFunktionen, sei es als Verbandspräsident,als Hochschulprofessor oder als freierUnternehmer – als solcher versteuert manja als Komponist –, durchzusetzen versuche.

Als Künstler muss ich meine Vorstel-lungen nicht diskutieren, ich muss sieumsetzen. Ein Verbandspräsident äußertVorstellungen, die im besten Falle konsens-fähig sind. Dieser zuweilen etwas anstren-gende Spagat prägt nun für einige Zeitmeinen Alltag, ganz sicher wird aber beimeinem Temperament eines Tages diekünstlerische Haltung wieder ihre Aus-

Manfred Trojahn, neuer Präsident des Komponistenverbands,

kann sich künstlerisches Handeln und politisches Denken nicht

getrennt vorstellen – doch:

»ICH BIN Künstler– ZUALLERERST«

schließlichkeit einklagen! Bis dahin habeich mir vorgenommen, meine Möglich-keiten als Vermittler zur Verfügung zustellen, der die Genres der heutigen Musikauf ihre Solidarität verpflichtet.

Die Türen sind also offen für alleGenres heutiger Musik?

Der DKV ist von seiner Konstruktionher immer offen gewesen für alle Genreszeitgenössischer Musik, die von Autorengeschaffen wird. Es liegt auf der Hand, dassder Verband nicht der Ort sein kann, andem ästhetische Vorstellungen debattiertwerden. Nicht einmal zwei Komponistensind in der Lage, in derartigen Problemfel-dern eine grundsätzliche gegenseitige Ak-zeptanz herbeizuführen. Schon die Zuge-hörigkeit z. B. zum Bereich der E-Musikerfordert eine Kompromissbereitschaft.Künstler empfinden sich nicht als zugehörig,sie sind keine Mitglieder oder gar Anhän-ger. Wenn sie es doch sind, der Formhalber, dann sind es aus der Notwendigkeitheraus, in einer Gesellschaft so zu funktio-nieren, wie es diese von ihren Mitbürgern– oft mit guten Grund – erwartet. Dieserdomestizierende Aspekt ist sozusagen derAngelpunkt unserer Solidargemeinschaft.Hier gilt es Themen zu entwickeln, die alleMitglieder des DKV bewegen. Zum Beispieldie Frage nach der rechtlichen Verankerungdes Autors in der Mediengesellschaft, dienach dem Anspruch auf soziale Absiche-rung in der Künstlersozialversicherung oderdie nach den Ansprüchen an einen öffent-lich-rechtlichen Rundfunk.

Nicht zuletzt muss man sich der Fragenach der Rolle der Komponisten in einemvereinigten Europa stellen. Wir sind daherbeteiligt an den Überlegungen zur Grün-

dung eines europäischen Dachverbandsder Komponisten.

Ist das, was Sie gerade skizziert haben,ein Ist-Zustand oder eine Zielbeschreibung?

Das ist eine Zielsetzung. Der DKV hatnatürlich schon seit langer Zeit solche Fra-gestellungen diskutiert, vielleicht ist es aberder Zeitpunkt gesellschaftlicher Umgestaltungheute, der uns verschiedene Haltungenabverlangt; und daher müssen sicher vieleAspekte, die den Verband neben den ge-nannten auch noch bewegen, in den Hinter-grund treten. Es gilt, die Mitglieder vonFragestellungen zu überzeugen, die vielenzu weit von ihren Alltagsproblemen entferntsind. Die Kollegen, die darauf sinnen, Kon-zepte und Projekte für ihre nächste Auffüh-rung zu entwickeln, damit sie überlebenkönnen, und dabei auf Verbandsunterstüt-zung hoffen, begreifen oft nicht, dass esdafür zu kämpfen gilt, dass es überhauptnoch honorierte Aufführungen gibt. DerVerband wird sich in vielen Aspekten ver-ändern müssen, um wahrgenommen zuwerden.

Sie sind ja nicht erst seit Ihrer Präsi-dentschaft ein sehr politisch denkender Mensch.Was wäre die erste Botschaft des Kulturpoliti-kers Trojahn für den Umbruch der Werte,von dem wir vorhin gesprochen haben?

Noch einmal: ich bin Künstler – zualler-erst! Wenn ich politisch denke, dann sichernicht kulturpolitisch. Diese Einteilung inSparten ist ja vornehmlich pragmatischenGesichtspunkten geschuldet, und wenn ichals Künstler politisch denke, dann sichernicht in solchen Tortenstückchen. Ich ge-höre einer Generation an, die sich künstle-risches Handeln und politisches Denken

nicht getrennt vorstellen kann. Diese heuteetwas altertümliche Auffassung vom Künst-lertum habe ich so begriffen, dass ich vonder Gesellschaft fordere, das „Künstlersein“als möglichst grenzenlose Individualität zuermöglichen. In einer Zeit, die inflationärmit dem Begriff der Individualität umgeht,ist es nicht einfach, die außerordentlichelitäre Auffassung von Individualität, wiesie nun mal zum Künstler gehört, zu kom-munizieren.

Politische Arbeit, oder wenn Sie so wol-len: kulturpolitische Arbeit, die sich mit undfür Kunst einsetzt, hat sich also zuallererstdamit auseinanderzusetzen, wie sich dieGesellschaft, die ja heute der Träger derKunst vermittelnden Institutionen ist, zudem stellt, was die entgrenzte Individualitätin diesen Institutionen veranstaltet. DieGesellschaft muss begreifen, dass sie mitden Institutionen auch die Rolle derjenigenübernommen hat, die einmal diese Institu-tionen geschaffen haben. Zu dieser Rollegehört die Fähigkeit zur Rezeption – mitanderen Worten: Bildung.

Demokratische Politik, die versucht zuagieren, ohne an den Möglichkeiten zuihrer Rezeption zu arbeiten, läuft in dieKatastrophe, unter der wir heute leiden.Die Mehrheit hat genug von den lächerlichenParolen, mit denen Wahlen gewonnen wer-den sollen, ist aber nicht darauf vorbereitet,die komplexeren Vorgänge zu verstehen.Das Resultat nennt man Demokratiemüdig-keit, wo doch das Wort „Dummheit“ völlighinreichend wäre.

Wenn jetzt nach Eliten geschrien wird,und in großer Eile unzureichende Förder-programme entwickelt werden, um solcheaus dem Nichts zu zaubern, wird man nichtmehr erreichen als die Abstände zu ver-

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Kompositorische Vielseitigkeit: Manfred Trojahn schrieb Sinfonien, Streichquartette, Sonaten für verschiedeneInstrumente, Lieder, Ballettstücke, den Zyklus Fünf Seebilder und die Oper Enrico.

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NEUE TÖNE

größern, die eine Demokratie zur Klassen-gesellschaft degenieren lassen. Zur Elite ge-hört die Bildungsschicht, die in der Lage ist,die Elite zu begreifen.

Steht die Zielsetzung als pragmatischeUmsetzung über der strategischen Ausrichtung?

Die Zielsetzung verdankt sich immerpragmatischem Denken. Im Falle des DKVund seiner heterogenen Mitgliedschaft istdas überlebenswichtig.

Sehen Sie die Chance, Ihre Positionals Gegengewicht zum Mainstream einzusetzenund dabei mehr Menschen „mitzunehmen“?

Zunächst interessiert es mich, mit denPositionen des Verbands noch mehr kom-ponierende Kollegen als Mitglieder zu ge-winnen. Künstler sind immer das Gegen-gewicht zum „Mainstream“, und so ist esdie Aufgabe, deutlich zu machen, dass dieMenschen in einer Gesellschaft sich fürdieses Gegengewicht interessieren sollten,wenn sie eine Kunst haben wollen. Wennwir davon ausgehen, dass die Zeugnissevergangener Kulturen und Gesellschaften,die uns heute auf verschiedenste Weisebewegen und erfreuen, nahezu immerkünstlerische Zeugnisse sind, werden wiruns fragen, ob wir ohne Kunst auskommenkönnen. Aber wie schon gesagt: Zu einerAntwort auf diese Frage gehört ein wenigmehr als die Fähigkeit, an der richtigenStelle ein Kreuzchen zu machen.

Die zunehmende Virtualisierungunserer Lebenswelten hat Auswirkungen aufdas Rezeptionsverhalten: Wird die gespeicherteMusik das Live-Erlebnis „erschlagen“?

Im Allgemeinen verlasse ich Schallplat-tenläden, ohne etwas gefunden zu haben,mit dem widerlichen Gefühl der Überfres-senheit. Aber natürlich habe ich schonunübersehbare Mengen von CDs – undich höre auch oft Musik zuhause. Als Kom-ponist wünsche ich meine Arbeiten durch-aus medial verbreitet. Also ein entschiede-nes… Entweder und Oder! Nun glaube ichan die Wirkung der Sinnlichkeit, und nahe-zu nichts wird je das Gefühl übertreffen,das mich überkommt, wenn ich eineSopranistin einatmen sehe, höre, spüre…und das kann die Konserve ja dann dochnur sehr unvollkommen vermitteln. Selbstder Surround-Technik traue ich da nichtviel zu. Ich bin davon überzeugt, dass die-ses Konglomerat aus Spannungen, Leich-tigkeit, Konzentration… eben Sinnlichkeit,das mich im Konzert und vielmehr in derOper noch zuweilen in die emotionaleAuflösung treibt und zu Tränen rührt –

dass dieses Gefühl durch nichts zu ersetzenist, ob es nun im Gewand von E oder Udaherkommen mag.

Ich wünsche mir, dass es allen so geht,bin aber bereit, einzugestehen, dass esgenügend Gründe gibt, diese Erlebnissenicht mit anderen teilen zu wollen – alsodie Konserve zu bevorzugen. Musik istschließlich so sinnlich aufgeladen, dassimmer noch eine Menge übrig bleibt.

Aber gerade bei Kindern und Jugend-lichen, die sich sehr viel in virtuellen Weltenaufhalten, gibt es ein steigendes Bedürfnis nachganz sinnlicher Betätigung. Nicht umsonststehen zurzeit 70000 Schüler bundesweit aufden Wartelisten der Musikschulen.

Ich bin kein Experte für Musikpädagogikund kann daher nur meiner Freude Aus-druck geben, wenn diese Zahlen stimmen.Natürlich gehört für mich das Körperlichesehr stark zur Musik, und das Selbstspielenist sicher eine wunderbare Voraussetzung,auch Rezipienten zu schulen. Trotzdemhaben wir eine Tendenz, das „Machen“gegenüber dem „Verstehen“ zu bevorzugen.Nicht nur bei Neuer Musik. Wenn dochbeides zusammenkäme! Dann wäre dieKonserve zum Kennenlernen, Wiederholt-hören und Analysieren richtig genutzt, unddas Selbstspielen hätte Perspektiven, andenen es doch oft bei denen mangelt, dieinstrumental gut vorbereitet an die Hoch-schulen gelangen und später im Orchestersitzen.

Die Hauptprägungsphase von Kindernund Jugendlichen ist im Alter zwischen elf und13 Jahren abgeschlossen. Kinder haben auchkeine Vorbehalte, wenn sie mit verschiedenenStilrichtungen konfrontiert werden. Was kanndie Neue Musik dazu beitragen, Kindern einebreite Palette an Hörerfahrungen zu ermög-lichen?

Die Neue Musik trägt doch ungeheuerviel zur breiten Palette bei, allein dadurch,dass sie da ist! Was nicht da ist, sind Ver-mittler, sprich: Pädagogen. Heute ist manviel eher damit beschäftigt, didaktische odermethodische Konzepte zu entwickeln alssich über Inhalte zu unterhalten. Immerwenn ich meine erhebliche Abneigunggegen Musikpädagogen artikuliere, stellensich allerdings hinterher die „Ausnahmen“vor – diejenigen, die schon jahrelang Vor-bildliches für die Neue Musik leisten. Den-noch ist diese Arbeit wohl nur vereinzelterfolgreich. Neue Musik gibt es seit über100 Jahren – und es fehlt noch immer ge-waltig am Verständnis. Da kann mir keinererzählen, es ginge in der Pädagogik vorbild-

lich zu. Kann auch nicht sein, denn es gehtletztlich nicht um isolierten Musikunter-richt, sondern zunächst um das Einbringenvon Kunst in ein gesellschaftliches Werte-konzept. Und da fehlt es auf der ganzenLinie.

Aber was Sie da als Frage ansprechen,ob nicht der Komponist intensiver an derVermittlung seiner Arbeit beteiligt sein soll,ist schon sehr zu differenzieren. Einerseitsbin ich sehr dafür, dass die Komponistenalles dafür tun müssen, um im Musiklebendie Präsenz wieder zu erlangen, die sie anRegisseure, Dirigenten und Produzentenverloren haben. Doch ist dies nicht zuverwechseln mit dem angloamerikanischenModell des „Komponisten-zum-Anfassen“,der sich als composer-in-residence selbst ver-mitteln muss. Ich denke, dass sich diesesModell einer materialistischen, unspirituel-len Gesellschaftskonzeption verdankt, in derder Künstler einer wie wir sein soll, einer,den man fragen kann und der nett ist.

Ich bin sehr in der Künstlervorstellungdes alten Europa befangen. Wenn ich eine16-jährige Tochter hätte, würde ich nichtruhig bleiben, wenn ihr eine „entgrenzteIndividualität“ den Zugang zur NeuenMusik vermitteln sollte.

Wie können Sie oder der Verband esschaffen, die Neugierde auf das Neue in derNeuen Musik noch stärker zu wecken? Oderist das gar nicht Ihr Anspruch?

Ein Komponistenverband ist eine Berufs-organisation und kein Unternehmen zurgeschäftlichen Beratung im Hinblick aufUmsatzsteigerung.

Manfred Trojahn hat viele Haupt-berufe. Ist das Springen zwischen den Welten,von Insel zu Insel, Lust oder mehr Last?

Ich habe sicher nur einen Hauptberuf,den ich ein wenig komplexer auffasse alsviele Kollegen das tun. Mich hat immerfasziniert, wie Hans Werner Henze imMusikleben gewirkt hat und wie er seineAnregungen fand. Ich denke, ich habe einähnliches Naturell. Dazu gehört das Aus-probieren neuer Aspekte – also zum Bei-spiel einmal für eine gewisse Zeit dem DKVvorzustehen. Es möge nur niemand vondieser Bereitschaft ableiten, ich hätte michals Komponist zur Ruhe gesetzt und seinun bereit, als Funktionär in „Würde“ zumachen, bis man mich mit dem Treppen-lift zur Ernennung zum Ehrenmitgliedschafft. Ich bin ein Künstler und habe eineVerantwortung – und die bezieht sich aufmeine Arbeit.

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Ende 2004 startete die Zeitschrift Stereoeine Umfrage, bei der die Leser ihre dreiLieblings-Popalben nennen durften. Das Er-gebnis der Auswertung: Rund 500 Teilneh-mer nannten etwa 400 verschiedene Titel,auf die 50 meistgenannten entfielen dabeimehr als die Hälfte der Stimmen. Und daswaren fast ausschließlich Platten der 60er,70er und 80er Jahre. Die Beatles, RollingStones, Dire Straits und Pink Floyd sind diebeliebtesten Bands. Pink Floyds melancho-

lisches Tongemälde The Dark Side Of TheMoon gewann schließlich vor Sgt. Pepper’sLonely Hearts Club Band der Beatles. Wenn’sans Eingemachte geht, setzen die Stereo-Leser also auf bewährte Größen der Rock-und Popgeschichte. Den Eindruck, dass eineMehrheit das Etablierte mag und stilistischNeues ablehnt, unterstreichen die Leserbrie-fe: „Mit Spannung und auch Genugtuunghabe ich die Ergebnisse der Pop-Bestenlistein Stereo 2/2005 gelesen. Für mich ist das

Früher war alles besser!“ Der abgedroschene Satz passt wie diePlattenspielernadel in die Plattenrille, nimmt man zur Kenntnis, was

Musikliebhaber im Alter zwischen 30 und 50 über Popmusik und ihreEntwicklung denken. „Handgemachte Rockmusik“ liegt in der Beurteilungeindeutig vorne, mit modernem Elektrosound können die meisten weniganfangen. Aber wird die aktuelle Musikszene überhaupt noch in ihrerBreite wahrgenommen?

ALT = gut,NEU = schlecht?

Andreas Kunz über Rock- und Poppräferenzen jenseits des Jugendalters

Betagte Helden: Pink Floyd gehören zu den beliebtesten Bands – ihr Album The Dark Side OfThe Moon liegt in der Gunst der 30- bis 50-Jährigen ganz vorne.

Warum und Wieso eigentlich klar: Die jün-geren Stars sind meist Eintagsfliegen oderderen Musik ist zu eintönig.“

Nun mag manch einer die Umfrage alsBesonderheit einer bestimmten Klientel ab-tun, sich vielleicht gar lustig machen übervermeintlich altmodische Leser. Dem mussman entgegnen, dass sich die Ergebnisse invielerlei Hinsicht mit einer Umfrage unterdeutschen Musikexperten (Journalisten,Musikern etc.) decken, die die ZeitschriftRolling Stone im November 2004 veröffent-lichte. Unter Musikliebhabern zwischen 30und 50 Jahren – die auch das Gros derStereo-Leser ausmachen – scheint Einigkeitzu herrschen: Neuere Popmusik wird mehr-heitlich weniger beachtet oder gegenüberden Klassikern des Genres abgewertet. DieGründe dafür scheinen vielfältig. So ärgertsich ein Leser über den Verriss einer neuen

CD der Oldie-Gruppe The Shadows: „DieLive-CD The Final Tour zeigt noch einmalsehr deutlich die große Klasse dieser briti-schen Instrumentalband… Welche Typenbeherrschen heutzutage noch so perfektund sauber die Gitarren wie Hank Martinund Bruce Welch? Doch der Pop-Kritiker inStereo 2/05 sieht alles ganz anders: Neueswar von den Shadows nicht zu erwarten –Fortschritt war nicht gerade ihr Ding… Un-glaublich!! Fortschritt kann auch Rückschrittsein: Unmusikalischer monotoner Computer-sound, Schlagzeugmaschinen etc.“

Unkenntnis über dieaktuelle Szene?

Eine gerne verwendete Argumentation:Früher wäre Popmusik noch „handgemacht,authentisch“ gewesen, heute herrsche einkünstlicher Elektroniksound vor. Abgesehendavon, dass in ähnlicher Weise vor einemhalben Jahrhundert von Klassik-Freundengegen Rockmusik-Fans gewettert wurde –natürliche Instrumente wie die Geige contraverzerrter Krach von elektrischen Gitarren –,zeigen diese Äußerungen eine Unkenntnisüber die gegenwärtige Musikszene. Der Sie-geszug der Dance-Musik etwa (Techno,House etc.) ist längst vorbei. Der Anteil vonDance am Gesamtumsatz der Tonträgerin-dustrie sinkt seit Mitte der 90er und lag 2004bei lediglich 5,6 Prozent. Das Gros des Um-satzes machen immer noch Rock und Popmit 57,3 Prozent aus – und das nicht alleinwegen Oldies wie Joe Cocker oder EltonJohn.

Gerade in jüngsten Jahren sind jedeMenge hochtalentierter junger Bands undKünstler auf der Bildfläche erschienen, diemusikalische Persönlichkeit ausstrahlen undgleichzeitig an Vorbilder der Vergangenheitanknüpfen, somit auch für „konservative“Pophörer akzeptabel wären. Hierzu gehörenneben erfolgreichen jungen deutschen Künst-lern (Wir sind Helden) etwa Adam Green,Travis, Coldplay, Ryan (nicht Bryan!) Adamsoder The Strokes. Ins Bewusstsein ältererHörer dringen sie aber nur selten ein. DerenEindruck ist eher: „Früher gab es die Beatlesund Rolling Stones, heute Deutschland suchtden Superstar.“ Ein Vergleich, bei dem „dasNeue“ zwangsläufig erbärmlich abschneidenmuss.

Sind wieder einmal die Medien schuld?Musikzeitschriften wie der Rolling Stone,Spex, Stereo, die Feuilletons renommierterTageszeitungen oder Spartensendungen imFernsehen und Radio versuchen wie eh undje, (auch) auf interessante Newcomer auf-merksam zu machen. Doch der Gesamtein-

druck wird vor allem durch Massenmedienwie die Bild-Zeitung, Servicewellen oderdavon geprägt, wer bei „Wetten das“ dasGeplänkel der Gäste überbrückt. Und dahaben Bohlen & Co die weitaus größerePräsenz. Aber reicht das als Erklärung aus?Im Freundes- und Bekanntenkreis haben javiele Äußerungen auch einen Beigeschmackvon Selbstbestätigung etwa nach dem Mot-to: „In meiner Generation waren die Rock-musiker noch echte Typen, das gibt’s heutenicht mehr.“

Musik im Jugendalter

Solche Äußerungen weisen darauf hin,wie nachhaltig das Musikfaible aus der Ju-gend den Geschmack im späteren Lebenprägt. Jugendliche hören Musik länger undhäufiger als Ältere und gehen öfter in Kon-zerte. Aufgrund der reifungsbedingten Hor-monausschüttung erleben sie Musik intensi-ver. Egal ob Gemeinschaftserlebnisse oderder erste Kuss – sehr oft ist auch Musik mitim Spiel. Bei der Akzeptanz des eigenen,sich explosionsartig verändernden Körpersist sinnliches Erleben vorrangig: Bei hoherLautstärke spürt man die Schallwellen leib-haftig, kann durch Tanzen den eigenen Kör-per erfahren. Tiefenpsychologen sprechenvon einer Vertreibung der „Urangst“ durcheinen gleichmäßigen Beat, der die Herzge-räusche der Mutter symbolisieren soll. Zudemsteht für die Konditionierungen mehr Zeitals im höheren Lebensalter zur Verfügung,wegen der Emotionalisierung finden effekti-vere Lernprozesse statt.

Die Jugendzeit ist auch die Phase, in dersich die Identität eines Menschen am nach-haltigsten entwickelt. Die Musik kann dabei

helfen, bietet sie doch neben emotionalenund körperlichen Funktionen wie dem Ab-reagieren von Gefühlen, Entspannen, Tan-zen, Träumen etc. auch Identifikationsmus-ter. Über Musik (Songtexte, Selbstdarstellungder Künstler in Videoclips etc.) werden Le-bensstile (Kleidung, Frisur, Vokabular, Ver-haltensrituale) inszeniert, die Orientierungs-muster bei der Suche nach Verhaltenssicher-heit geben. In der Kindheit noch geprägt vomElternhaus, ab der Pubertät dann Musik-Medien nutzend und sich stark an Gruppenvon Gleichaltrigen (Peergroups) im sozialenUmfeld (Schule, Nachbarschaft) orientie-rend, definieren sich Jugendliche über einenbestimmten Musikgeschmack und grenzensich zugleich von Eltern und anderen Ju-gendlichen durch Musik kollektiv ab. DieMusik der Jugend wird so zum Teil der eige-nen Identität. Und jede Generation hat„ihre“ Musik. Stereo-Leser bevorzugen nichtumsonst Rock und Pop der 60er bis 80erJahre. Dass dieser Befund durchaus auch ty-pisch für die Gesamtbevölkerung ist, belegtder Jahreswirtschaftsbericht 2004 der Fono-grafischen Wirtschaft: So ist in der Alters-gruppe bis 20 Dance am beliebtesten, beiden Mittdreißigern Pop und Rock, ab 50dann Volksmusik, Schlager und Klassik.

Musik im Erwachsenenalter

Nach älteren Studien schwindet nach derJugendzeit ab etwa 30 die Bedeutung vonMusik. Verschiedene Gründe werden ange-führt. Aufgrund des Alters spielten die Hor-mone nicht so schnell „verrückt“ wie früher,durch Familie und Beruf bliebe wenigerZeit, etwas Neues kennen zu lernen, manhätte inzwischen begriffen, dass Musik „dieWelt nicht verändert“ etc. Manches scheintaber darauf hinzudeuten, dass die Musik fürErwachsene weniger stark an Bedeutungverliert als früher angenommen. So kauften2004 – im Verhältnis zum Anteil an derBevölkerung – die 20- bis 49-Jährigen diemeisten Tonträger! Heißt das aber, dass

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NEUE TÖNE

Favoriten-Umfrage: Die Leser der ZeitschriftStereo entschieden sich bei der Wahl derbeliebtesten Popalben klar für „Oldies“ ausden 60er, 70er und 80er Jahren.

Man weiß, was „drinsteckt“:Markenzeichen Sting.

Musik für Pubertierende angesichts derKonkurrenz von Computer, Internet, Han-dy etc. unwichtiger geworden ist? Die Jün-geren brennen ja Unmengen von Musik, la-den sie von (illegalen) Internetplattformen,tauschen die gebrannten CDs massenweiseauf Schulhöfen aus. Und best agers jenseitsder Fünfzig kaufen vielleicht nur deshalb amwenigsten, weil sie bereits über eine großeZahl an Tonträgern verfügen – die sie weiter-hin gerne hören.

Qualitative wissenschaftliche Studien überdie Wertigkeit von Musik in unterschied-lichen Lebensphasen stehen noch aus; nichtzuletzt auch über die Frage, wie offen Älteregegenüber neuer, unbekannter Musik sind.Künstler wie Sting oder Eric Clapton habenes da einfach. Sie sind Markenzeichen ähn-lich wie Mercedes oder BMW, man kannsich auf die handwerkliche Qualität auchihrer neuen Produktionen verlassen, weiß,was „drinsteckt“.

Hat das Neue also per se keine Chancebei Älteren, und – wenn ja – woran kann dasliegen? Weil mit Neuem die eigene (musika-lische) Identität in Frage gestellt wird? In ei-ner alternden Gesellschaft, in der bereitsjetzt rund zwei Drittel der Tonträgerkäuferüber 30 Jahre alt sind, ist der Aufbau junger,am besten generationsübergreifender Idolefür Musikindustrie, Medien und letztlichauch öffentliche Institutionen (Musikschu-len etc.) lebenswichtig. Denn irgendwannsind selbst die Rolling Stones unter der Erde– und was kommt danach?

Literatur:

Behne, Klaus-Ernst: „Musikpräferenzen und Musikge-schmack“, in: Musikpsychologie, hg. v. Herbert Bruhn,Rolf Oerter, Helmut Rösing, Hamburg 1993, S. 339-353.

Gebesmair, Andreas: Grundzüge einer Soziologie desMusikgeschmacks, Wiesbaden 2001.

Kunz, Andreas: Aspekte der Entwicklung des persönli-chen Musikgeschmacks, Frankfurt am Main 1998.

Rösing, Helmut: „Musikalische Sozialisation“, in: Kompendiumder Musikpädagogik, hg. v. Siegmund Helms, ReinhardSchneider, Rudolf Weber, Regensburg 1995, S. 349-372.

Der Autor:

Andreas Kunz sammelte nach Studium

der Systematischen und Historischen

Musikwissenschaft und Psychologie in

Hamburg Erfahrungen als Klavierlehrer

und in der Erwachsenenbildung; er war

wissenschaftlicher Begleiter des HipHop-

Projekts „Straßenkrach“ im Auftrag des

Landesmusikrats Hamburg; Redakteurs

beim Fachblatt Musik Magazin, seit

1999 Redakteur bei Stereo.

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STATTVielfaltMAINSTREAM

„PopCamp“: Fünf Acts im Meisterkurs für Populäre Musik

Über das Kompetenzmodell zur Spitzenförderung junger

Bands berichten Michael Teilkemeier und Matthias Krebs

Populäre Musik aus Deutschland auf einNiveau zu hieven, das im internationalenVergleich endlich wieder für die Aufmerk-samkeit sorgt, die zu einer starken Markt-positionierung der Künstler und Bandsführt, ist erklärtes Ziel der staatlich getra-genen Popförderung.

Zum einen sorgen Einrichtungen wie dieMannheimer Popakademie und andere Aus-bildungsinstitutionen seit einigen Jahren fürdie kompetente Ausbildung des musikali-schen Nachwuchses im akademischen Rah-men. Zum anderen existieren in Deutschlandmusikalische Wettbewerbe auf Landes- undBundesebene, deren strenge Wertungskrite-rien einen gewissen Filtereffekt besitzen undtraditionell hochqualitativen Nachwuchs fürdie Branche generieren.

Dennoch muss man mit Blick auf dieLandschaft der Populären Musik in Deutsch-land über Mangelerscheinungen in jüngstenJahren klagen, verfügen doch die meistenderzeitigen Projekte längst nicht mehr überProfilstärke, die ihren Erfolg auf Jahre hinaussicherstellt. Vielmehr haben wir es mehr oderweniger mit hochgezüchteten Casting-Actszu tun, deren Lebenszyklus am Markt der musi-kalischen Eitelkeiten mehr als überschaubarist. In der Regel verschwinden die meistenFormationen nach ihrer totalen Vermarktungin einem kurzen Zeitraum von der Bildfläche.Bestenfalls werden ihre Protagonisten nochzur Resteverwertung durch die Mühlen derBoulevardmedien gejagt, weil sich das eineoder andere ehemalige Sternchen nach denobligatorischen Auftritten bei The Domeoder als Gaststar bei Big Brother nun imDschungelcamp oder in anderen Erlebnis-Formaten des von Harald Schmidt unlängstals „Unterschichten-TV“ bezeichneten Medi-ensegments verabschiedet.

Konstanz im Erfolg durch Substanz in derQualität könnte der Schlüssel zur neuenLangfristigkeit in der Musikwirtschaft sein.Davon ist Udo Dahmen, der PopCamp durchalle Phasen als Kurator begleitet, überzeugt.In Trägerschaft der Projektgesellschaft des

Deutschen Musikrats, in Begleitung durch ih-ren neuen künstlerischen GeschäftsführerTorsten Mosgraber und der finanziellen För-derung der Bundesbeauftragten für Kulturund Medien, soll PopCamp diese Substanzschaffen, indem das Profil vorhandener Ta-lente in intensiver Arbeit geschliffen wird, bisaus musikalischen Rohdiamanten möglichstfunkelnde Juwelen gewordensind. In gemeinsamer Kon-zeption der beteiligten In-stitutionen entstand derEntwurf für ein aufwändi-ges und innovatives Kompe-tenzmodell.

Visionär

„PopCamp versteht sichselbst als ein neuartigesCoaching-Projekt mit klarausgerichteter Zukunfts-vision für junge Bands aufdem Weg in die Professio-nalität“, beschreibt dieBundesbeauftragte fürKultur und Medien, Chris-tina Weiss, das Selbstver-ständnis von PopCamp. DieLeitung dieses anspruchsvol-len Projekts liegt bei MichaelTeilkemeier. AusgewähltePreisträger, teilweise schonin bestehenden Bandwett-bewerben gekürt, werdenim Rahmen des Projektsmit gezielten Fördermaß-nahmen durch alle wich-tigen Arbeitsfelder derhauptberuflichen Tätig-keit als Musiker beglei-tet. Erklärtes Ziel desModells ist eine Spitzen-förderung der Bestenihres Fachs.

„Experimentierfreudi-ge und innovative Bands

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sollen durch PopCamp auf hohem Niveau ge-fördert werden. Mit der ersten Jurysitzung hatder Deutsche Musikrat eine hervorragendeBasis für dieses ambitionierte Projekt geschaf-fen“, resümierte Udo Dahmen, künstlerischerLeiter der Popakademie Mannheim und Auf-sichtsratsmitglied des Deutschen Musikrats.Als Kurator hatte Dahmen die hochkarätig be-setzte Jury zu ihrer ersten Sitzung Ende Mainach Berlin geladen.

Unter der Maxime Vielfalt statt Mainstreamtrafen sich die Musikredakteure Daniel Baxvon der TAZ und Patrick Ressler von Radio Fritz(der Jugendwelle des RBB), die renommiertenMusiker Till Brönner, Katharina Franck, RolfStahlhofen und Guano Apes-Gitarrist HenningRümenapp, Four Artists-Macher Alex Richter,Gitarrendozent Peter Wölpl sowie Axel Erlervon Universal Music und Andreas Kiel von derEMI Music Publishing Germany. Die Zielset-zung des Tages bestand in der kompetentenAuswahl von fünf Bands aus einem Bewerber-pool, in dem sich zu Beginn der Sitzung 24Bands und Projekte befanden. Die schwierigeAufgabe der Jury bestand darin, aus dem vor-liegenden und größtenteils bereits auf hohemNiveau produzierten und arrangierten Materialdie fünf Bands auszuwählen, die als Teilneh-mer in den Genuss der Spitzenförderung vonPopCamp kommen sollen.

Hochwertige Produktionund jugendliche Frische

Nach verschiedenen Arbeitsphasen in Klein-gruppen und einer mehrstündigen intensivenDiskussion am Runden Tisch wählte die Jurydie fünf Teilnehmergruppen aus (siehe rechteSeite!). Die Acts dürfen sich nun auf eine ei-gens auf ihre Bedarfsfelder zugeschnittene

Betreuung auf höchstem Niveau freuen. Sogrundverschieden ihre musikalische Ausrich-tung auch sein mag, allen Teilnehmern ist einprofessionelles Verständnis von Musik alsemotionalem Medium zum einen und ver-marktbarem Produkt zum anderen gemein-sam. Die Hochwertigkeit von Produktion undArrangement der Songs verbunden mit ju-gendlicher Frische und dem nötigen MaßEigenständigkeit überzeugte in allen fünf Fäl-len die Jury vollends.

Bestes Beispiel: Cyminology aus Berlin. DieJazz-Formation um die deutsch-persische Sän-gerin Cymin Samawatie legte ihr Debutalbumper se vor, erschienen auf dem Label des Ma-gazins Jazzthing. Die für die Ohren der Jurynahezu perfekte Musik und das exzellen-te Artwork der Berliner erschienen allenJuroren als optimale Voraussetzung zur

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Teilnahme an PopCamp, da sich hier unter denförderspezifischen Aspekten herausragendemusikalische Begabung, ein homogener Ge-samtauftritt und die professionelle Form desDemo-Materials in Qualität und Vermarktbar-keit kanalisieren lassen.

Zwischenbilanz imNovember

Man darf gespannt sein auf die Ergebnissevon PopCamp. Spätestens am 25. November,wenn die fünf Teilnehmer ihre Performance imRahmen der Abschlussveranstaltung live onstage präsentieren, wird man eine erste Zwi-schenbilanz ziehen können. Dann stehen sichKünstler und Publikum in der Berliner Kultur-brauerei in Echtzeit gegenüber – und die Wir-kung eines Konzerterlebnisses beim Besucherist bekanntermaßen eine der prägendsten, wasden späteren Erfolg einer Band ausmacht. Na-türlich soll es nicht darum gehen, ähnlich einerpraktischen Prüfung die Lerninhalte der Coa-chings auf die Bühne des Abends zu transpor-tieren und sie hier abrufbar zu machen. DerLiveauftritt steht und fällt mit der Spontaneitätdes Künstlers auch mit unvorhergesehenen Si-tuationen geschickt umgehen und die Zuhörerbegeistern zu können. Dennoch haben dieBands hier Gelegenheit, erste neu erworbeneErfahrungen live umzusetzen.

Schicken junge Bandsauf den Weg in einemögliche Professionalität:Die PopCamp-Jury 2005mit Rolf Stahlhofen,Andreas Kiel, KatharinaFranck, Udo Dahmen(Juryleitung), TillBrönner, HenningRümenapp, PatrickRessler, Alex Richter(stehend von links nachrechts), Axel Erler, PeterWölpl, Daniel Bax undProjektleiter MichaelTeilkemeier (hockend).

Foto: Elisabeth Nihues

„Hip hopt Klassik“:Die Jungs von eins-hoch6 aus Mün-chen ziehenins PopCampein.

MUSIK�ORUM 43

Die Abschlussveranstaltung von PopCampwird auch ein gelungener Anlass sein, das Pro-jekt der Spitzenförderung erstmals einer brei-ten Öffentlichkeit erlebbar zu machen, wofürdie bunte Kulturszene der Hauptstadt sicher-lich den optimalen Rahmen bietet.

Regelmäßig aktualisierte Informationenzum Projekt PopCamp im Internet:

U www.musikrat.de/popcamp

Termine PopCamp 2005:18.–23. September _ 1. Arbeitsphase in der

Bundesmusikakademie Trossingen19.–25.November __ 2. Arbeitsphase in der

Landesmusikakademie Berlin25. November _____ Abschlusskonzert in

der Kulturbrauerei, BerlinRock-Pop-Ladies aus Frankfurt/Main

VELVET JUNE

Jazz-Quartett aus Berlin

CYMINOLOGY

Klassik-HipHopper aus München

einshoch6

Die Teilnehmer am PopCamp 2005Die Teilnehmer am PopCamp 2005

Punkrock aus Rheinland-Pfalz

JUPITER JONES

Alternative-Punk aus Köln

ENOLA

MUSIK�ORUM44

Er zählt zu den Erneuerern der Akkordeontech-nik, erschloss das „Schifferklavier“ der zeitgenössi-schen Musik und hat damit das Klangbild derAvantgarde entscheidend geprägt: Teodoro Anzel-lotti, gebürtiger Süditaliener und jetzt nahe Freiburglebend, setzte Impulse, die zur neu gewonnen Be-deutung seines Instruments beigetragen haben –und machte dabei Karriere.

Mit dem Künstler, der heute an der Hochschulefür Musik und Theater des Kantons Bern unterrich-tet und regelmäßig internationale Meisterkurse gibt(seit 1992 auch als Dozent bei den InternationalenFerienkursen für Neue Musik in Darmstadt) sprachAndreas Bausdorf.

Wie haben Sie zu Ihrem Instrument, demAkkordeon, gefunden?

Anzellotti: Das ist keine außergewöhnlicheGeschichte. Mein Vater hat in einer kleinen Gruppemit einem Geiger und einem Gitarristen Feste aufdem Akkordeon begleitet. Er konnte keine Notenlesen, war aber in der Lage, alles sehr schnell nachdem Gehör zu spielen. Das Akkordeon war daszentrale Instrument meiner Kindheit, und so habeich mich riesig gefreut, als ich zum ersten Mal dasInstrument meines Vaters spielen durfte.

Wie kam es zu der Entscheidung, ein Hoch-schulstudium in Deutschland zu beginnen?

Mein Vater kam in den 60er Jahren nachDeutschland. Die Familie zog nach; ich bin alsoein Immigrantenkind. Zunächst hatte ich Unter-richt bei einem Akkordeonlehrer, der ebenfalls ausItalien emigriert war und hier unterrichtete. In derRegel wurden auf dem Akkordeon nur sehr banaleStücke gespielt. Ich dagegen hatte Glück, dennmein Lehrer hatte an einer Akademie in Mailandstudiert und vermittelte seinen Schülern anspruchs-vollere Literatur. So spielte ich schon früh Etüdenoder Sonatinen und interessierte mich für immerschwierigere und komplexere Stücke für das Akkor-deon. Schnell war mir klar, dass ich auf diesemWeg weitergehen wollte. Nach einer Teilnahmebeim Wettbewerb „Jugend musiziert“ ermutigte ein

PORTRÄT

Nein, auf den ersten Blick und daserste Ohr hin mag dieses Instru-

ment gar nicht zur Avantgarde und zurNeuen Musik passen. Allzu leicht ver-knüpfte man das Akkordeon mit Heimat-klängen, argentinischem Tango oderPariser Musette. Wäre da nicht einer, deruns gründlich vom Gegenteil überzeugt:Teodoro Anzellotti.

MUSIK�ORUM 45

Hochschullehrer meine Eltern, indem erihnen riet, ich solle eine professionelleKarriere mit dem Instrument anstreben.Mir kam das recht und danach war dieHochschule in Karlsruhe nicht mehr weit.

Welche beruflichen Perspektivenhaben Sie tatsächlich mit dem Studiumverbunden?

Über meine Zukunft hatte ich mir keinegrößeren Gedanken gemacht. Zunächst warich extrem glücklich, meine Passion zumBeruf machen zu können, und als Akkor-deonlehrer gab es immer Möglichkeiten.

Wichtig war mir allerdings, das Akkor-deonspiel in den Mittelpunkt meiner Ar-beit zu stellen und von den besten Lehrernzu lernen. Außerdem wollte ich mir denjugendlichen Rausch, die Leidenschaft fürmein Instrument, erhalten und das tun,was ich wirklich liebe. Ein Modell eineskonzertierenden Akkordeonisten gab esdamals noch nicht – und das war vielleichtbesonders reizvoll.

Der Unterricht bei Wolfgang Rihmund Ihre Teilnahme an den DarmstädterFerienkursen haben Sie stark beeinflusst.Wann und wie entstand der Wunsch, sichum ein eigenständiges Repertoire für dasAkkordeon zu bemühen?

Der Wunsch entstand schon währendder Studienzeit. Man muss dazu wissen,dass man damals als Akkordeonist an derHochschule nicht sehr angesehen war.Kaum jemand nahm mich wahr, geschwei-ge denn ernst. Die Kompositionsstudentenwaren da anders. Sie waren neugierig, undnatürlich interessierte auch ich mich fürderen Welt. So habe ich früh Kontakte zurNeuen Musik geknüpft und enge Freund-schaften in dieser Gruppe gehabt.

Mir war auch klar, dass mein Instrumentnur wachsen kann, wenn interessante und

relevante originale Stückeentstehen. Die Auseinan-dersetzung mit dem Neuen,die auf der Höhe der Zeitstand, führte mich dannnach Darmstadt, Wittenund Donaueschingen.Damals gab es für dasAkkordeon fast keineAvantgarde-Literatur. Manmusste gemeinsam eineneue und auch fremdeKlangwelt entdecken, zuder es noch keine Brückenoder Wege gab.

Was empfindet man, wenn einemdieses Vorhaben gelungen ist und man seinemInstrument einen neuen Raum im Musiklebenverschafft hat?

Kunst ist primär etwas ganz Privates undeine Kommunikation mit sich selbst. Wennmir Dinge gelingen und ich ausdrückenkann, was ich möchte, wenn ich also mitmir selbst zufrieden bin, kann sich das auchauf andere übertragen und es entstehenvielleicht sogar neue Räume. Natürlich binich glücklich und fühle mich etwas privile-giert, daran mitgearbeitet zu haben.

Zahlreiche Komponisten wie z. B.Luciano Berio, Heinz Holliger, Mauricio Kagel,Wolfgang Rihm oder Hans Zender haben fürSie Werke geschaffen. Wo liegt in der Zusam-menarbeit mit den Komponisten für Sie diegrößte Herausforderung und was treibt Siean, sich immer neuen Aufgaben zu stellen?

Es ist natürlich ein gewisser Stolz, derErste gewesen zu sein. Und es ist immer einNeubeginn einer ästhetischen Erfahrung,deren Ausgang ein gewisses Risiko birgt.In der heutigen Zeit gibt es keine einheit-liche Stilform. Komponisten müssen tief insich hineinhorchen, um einen eigenen Ton

»Ich musste für dasAkkordeon eine neueund fremde Klangweltentdecken, zu der esnoch keine Brückenoder Wege gab«

AM AKKORDEONBrückenbauerDer ungewöhnliche Weg

des Teodoro Anzellotti zur

zeitgenössischen Musik

zu finden. Es ist spannend, ihre geistigenund kulturellen Leistungen aufzunehmen.Manchmal steht etwas Klang-Sinnlichesim Vordergrund, das andere Mal ist dasExperiment oder das Intellektuelle dasEntscheidende. Die Zusammenarbeit istbereichernd, denn es entstehen inspirieren-de Begegnungen mit sehr starken Persön-lichkeiten. Durch diesen Umgang muss ichmich immer wieder hinterfragen und kom-me durch einen kritischen Blick auf meineeigene Arbeit zu neuen Ideen und Ansich-ten. Ich erlebe das gerade in Köln, wo ichkomponierte Transkriptionen von Mozart,

MUSIK�ORUM46

PORTRÄT

Machaut und Scarlatti für Soloakkordeonmit dem WDR Sinfonie-Orchester auffüh-ren werde. Der Komponist Salvatore Sciar-rino hat eine völlig eigene Sicht der Inter-pretation, die für mich neu, sogar fremd,aber dennoch überzeugend ist. Ich konntemich auf seine Vorstellungen einlassen undmein Bild beiseite stellen. So zu arbeiten istselbstverständlich anstrengend, aber vorallem enorm anregend.

Hätten Sie Ihre Ziele und Ihre Ideenauch in einem anderen Land realisierenkönnen und warum haben Sie Deutschlandals Ihren Lebensmittelpunkt gewählt?

Ich habe mir nie die Frage gestellt, obich in einem anderen Land leben möchte,denn ich bin hier aufgewachsen und hattenach dem Studium hier meine Möglichkei-ten. Außerdem finde ich die deutscheMusikszene sehr spannend. Sie ist ernst,vielschichtig und hat eine große Tradition,was man sowohl bei Komponisten als auchbei Interpreten spürt. Hinzu kommt, dasswunderbare Menschen aus der ganzen Weltnach Deutschland kommen und dieseTradition ergänzen. Vieles spielt sich auf

zum Beispiel – momentan ja auch heftigeEinschnitte angekündigt werden und auchstattfinden?

Diese Kürzungen sind wahnsinnig traurig.Ich beobachte zum Beispiel, mit welch zyni-scher Offenheit beim SWR wichtige Struk-turen abgeschafft werden sollen und so dieNeue Musik in extremer Weise in Fragegestellt wird. Ohne ein gewisses Maß anHilfe kann sich die junge Kunst nicht ent-wickeln. Es ist ja nicht so, dass die Musikernicht arbeiten, bis sich ein lukrativer Jobanbietet. Das Gegenteil ist der Fall: Es wirdunglaublich viel Zeit investiert und extremerEinsatz erwartet – oft ohne konkrete Produk-tionsmöglichkeit. Ohne Förderung verküm-mert dieser Bereich. Es wäre verheerend fürdie Kunst, wenn inhaltliche Ziele dem Ren-tabilitätsdenken untergeordnet würden.

Sie unterrichten seit 1987 an derHochschule der Künste in Bern, jetzt an derMusikhochschule Freiburg und bei den Ferien-kursen in Darmstadt. Was möchten Sie an dienächste Generation von Musikern weitergeben?

Immer wieder werde ich gefragt, warumich überhaupt unterrichte, obwohl ich selbstviel konzertiere und daher viel studierenund reisen muss. Ich glaube, es ist für Stu-denten äußerst interessant, einem konzer-tierenden Musiker regelmäßig zu begegnenund zu erleben, wie er denkt, arbeitet undumsetzt. Gerade das Akkordeon hat in denvergangenen 20 Jahren eine rasante undunglaubliche Entwicklung erlebt. Literatur,Spielkultur, Technik, Klang, Pädagogik usw.haben sich enorm entwickelt. Durch die„kurze“ Tradition der E-Musik auf demAkkordeon sollten gerade auch die Musikerunterrichten, die regelmäßig auf den Büh-nen zu finden sind, um so ihre Erfahrun-gen direkt an die Jugend weiterzugeben.

Hätten Sie Wünsche oder Anregun-gen an den Deutschen Musikrat?

Es ist vielleicht einzigartig in der Welt,dass die europäische Kunstmusik solch einKontinuum darstellt, das sich von den An-fängen bis heute immer weiter entwickelthat, und dass wir alle, die mit Musik zu tunhaben, ein Teil dieses Kontinuums sind.Um das weiter lebendig zu halten, ist esbesonders notwendig, das Nichtkommer-zielle zu stützen.

Auch der Deutsche Musikrat spielt dabeieine verantwortungsvolle Rolle; er bietetPlattformen in diese Richtungen. Ich findees gut, dass er eine Reihe von Initiativenunternimmt, damit die Arbeiten auf diesemGebiet eine bessere Außendarstellung be-kommen.

TeodoroAnzellotti

wurde in Candela, Apulien, geboren und studierte

an der Musikhochschule in Karlsruhe; später ergän-

zende Akkordeonstudien an der Hochschule in Tros-

singen; mehrere 1. Preise bei internationalen Wett-

bewerben; rege Konzerttätigkeit in allen Zentren der

Neuen Musik Europas, den USA, Russland und bei

internationalen Festivals für Neue Musik. Zusam-

menarbeit und über 100 Uraufführungen u. a. von

Luciano Berio (Sequenza XIII), Vinko Globokar, Heinz

Holliger, Klaus Huber, Mauricio Kagel, Wolfgang

Rihm, Dieter Schnebel, Salvatore Sciarrino, Karl-

heinz Stockhausen und Hans Zender.

hohem Niveau ab, sodass ich bisher diehiesigen Umstände als förderlich bezeich-nen kann und froh bin, hier gelernt zuhaben, hier leben und arbeiten zu können.

Halten Sie die angekündigten Kür-zungen im kulturellen Bereich für berechtigt,wenn man gleichzeitig berücksichtigt, dass inanderen Bereichen – dem sozialen Bereich

Die Krise des Musikbetriebsist nicht nur eine der Kon-

zertveranstalter, der Orchesterund der Labels, sondern aucheine der Ausbildungsstätten.

Gerade letztere müssen sich die Fragestellen, ob die Art und Weise der Ausbil-dung ihrer Studierenden – angesichts dersich verändernden Bedingungen für dieAusübung des Musikerberufes – demAuftrag noch gerecht wird, junge Musi-kerinnen und Musiker optimal auf ihrenBeruf vorzubereiten.

Wie sieht der Arbeitsmarkt aus, inden die zukünftigen Absolventen ein-treten und was müsste ein Musikstu-dium heute leisten?

Zuerst die gute Nachricht: Seit 1996ist die Zahl der abgelegten Prüfungen inden Fächern Instrumental- und Orches-termusik an den deutschen Musikhoch-schulen um 132 Prozent gestiegen, imJahr 2004 gab es 1797 Absolventen. Diedeutschen Musikhochschulen erfreuensich also einer hohen Beliebtheit, was sienicht zuletzt ihrem hervorragenden Aus-bildungssystem verdanken.U www.themen.miz.org/bildungausbildung

Nicht ganz so erfreulich ist das Zah-lenmaterial, das den Arbeitsmarkt derMusikhochschulabsolventen beschreibt:Bewarben sich 1980 durchschnittlich 16Kandidaten um eine Orchesterstelle, wa-ren es im Jahr 1992 bereits 57 (Musikal-manach 1999/2000, S. 47-55). Seitdemhat sich die deutsche Orchesterlandschaftjedoch weiter verändert. Wurden damalsnoch 168 Orchester gezählt, so sind esheute 135. Die Planstellen sind zwischen1992 und 2005 um knapp 16 Prozentzurückgegangen (von 12 159 auf 10 240Stellen) und sie werden – wie die aktuel-le Diskussion zeigt – weiter schrumpfen.U www.dov.org/newssyst

Auf der anderen Seite des Markts –nämlich bei den Hörern klassischer Mu-sik – ist eine ähnliche Dynamik festzustel-

CREATE

MUSIK�ORUM 47

Es kriselt im Kulturbetrieb und in der Ausbildung. Martin Tröndle beschreibt,

was ein Musikstudium heute leisten müsste

len: Der Markt ist kleiner geworden. GroßeTeile der seit 1960 Geborenen haben nurmäßiges oder gar kein Verständnis für klas-sische Musik (siehe auch Artikel zum„Jugendkulturbarometer“ auf Seite 56). Dieshat mit einer musikalischen Sozialisation derheute unter 45-Jährigen zu tun, die haupt-sächlich von populärer Musik geprägt ist,deren Ästhetik eine vollkommen andere istals die der klassischen Musik. Die Musik-sprache vergangener Jahrhunderte und zuweiten Teilen auch die der Neuen Musik istjüngeren Hörern fremd. Leider belegennahezu alle empirischen Untersuchungen,dass mit steigendem Alter die Wahrschein-lichkeit einer musikalischen Präferenz fürklassische oder Neue Musik abnimmt. Dasheißt, es ist nicht davon auszugehen, dassman im Alter „von alleine“ auf den Ge-schmack der klassischen Musik kommt, wiemanche Musikschaffende und Konzertver-anstalter glauben.1

„Ernstes“ Musikpublikumist deutlich gealtert

Sollte das stimmen, bedeutete dies, dassdie heute unter 45-Jährigen in den nächstenJahren nicht von selbst ins Abonnement-segment der ernsten Musik hineinwachsenwerden. Vielmehr ist anzunehmen, dass sieKonzerte ihrer ebenfalls alternden Jugend-idole besuchen werden, um sich der „altenZeiten“ zu erinnern. Beobachten kann mandieses Ritual in den Konzerten der „Stars der60er, 70er und 80er“, in denen die alten Hitsmittlerweile auf eine gut situierte Hörer-schaft stoßen. Der bisher einzige empirischeLangzeitvergleich bestätigt ebenfalls dieseThese, mit einem überproportional schnel-len Anstieg des Durchschnittsalters beim E-Musik-Publikum. Karl-Heinz Reuband un-tersuchte die soziale Zusammensetzung desOpernpublikums in Köln zwischen 1980und 2004. Fazit der Untersuchung ist, dasssich das Durchschnittsalter des Opernpubli-kums in diesem Zeitraum um 17 Jahre er-höhte, während das der Gesamtbevölke-rung nur um zwei Jahre anstieg.2 Das ernste

yourself –CREATE YOUR market!

Musik-Publikum ist im Durch-schnitt weit über 50; bei ihmscheint sich die generelleÜberalterung in den westli-chen Industriekulturen beson-ders niederzuschlagen.

Auf breiter Front gilt, dassdas klassische Musikereignis –gleich ob Konzert-, Oper-oder Kammermusik – bei denunter 45-Jährigen an Relevanzverloren hat, und zwar als äs-thetische wie als soziale Insti-tution. Wie Frank Schneiderfesthält, funktioniert für diesesschon längst die Majorität bil-dende Publikumssegment dasEreignis des klassischen Kon-zerts bloß noch mit der Aurader historisch-festlichen Ver-gnügung (MUSIKFORUM 1/2005, S. 11). Festivals in histo-rischem Ambiente wie dasRheingau Musik Festival profi-tieren von dieser Verschie-bung der Rezeptionspräferen-zen, das Abonnementen- undLiebhaberkonzert hingegenverliert. Dies bekommen nichtnur die Orchester und Chörezu spüren – deren Miserevom Feuilleton begleitet unddamit sichtbar wird –, sondern in weit stär-kerem Maß gilt dies für die Kammermusik-konzerte, Liederabende und Rezitale. DieEnsembles, Pianisten, Gitarristen, Sänger etc.haben keine Lobby. Sie agieren als Einzel-personen auf einem hart umkämpftenMarkt, der einerseits schrumpft und aufdem andererseits die Konkurrenz wächst:Zwischen 1994 und 2004 verdoppelte sichnahezu die Anzahl der selbstständigen Mu-siker (von 20 198 auf knapp 37 000), dieUmsatzleistung hingegen schrumpfte.

U http://www.themen.miz.org/musikwirtschaft/soendermann. php

Dieses Zahlenmaterial gibt einen unver-stellten und leider wenig ermutigenden Aus-blick auf die zukünftige Entwicklung der Be-

rufschancen junger Musiker. Allerdings mussangemerkt werden, dass zum Beispiel andeutschen Musikhochschulen mehr als einDrittel der Studierenden aus dem Auslandstammt und die meisten von ihnen nach ih-rem Diplom wieder in ihr Heimatland zu-rückkehren. Solche differenzierenden Rela-tivierungen bei der Interpretation des Zah-lenmaterials entschärfen teilweise das gerngezeichnete düstere Zukunftsszenario derernsten Musik. Doch trotz des ebenfalls an-gebrachten Optimismus hinsichtlich einerherausragenden Musiklandschaft in Deutsch-land gilt, dass die Bedingungen, auf die dieAbsolventen nach dem Austritt aus derMusikhochschule treffen, sich in den vergan-genen 15 Jahren massiv verändert haben. !

BILDUNG.FORSCHUNG

Veränderte Rahmenbedingungen: Immer mehr Studentenan Musikhochschulen stehen vor der Frage, ob ihre Ausbil-dung noch optimal auf den Beruf vorbereitet.

Ausbildung und Beruf

Angesichts der veränderten beruflichenRahmenbedingungen der Musiker stellt sichdie Frage, wie die Musikhochschulen aufdiese Situation reagieren. Zwar wachsenderen Studentenzahlen kontinuierlich, abergerade sie müssen sich die Frage stellen, obdie Art und Weise der Ausbildung ihrer Stu-dierenden dem Auftrag noch gerecht wird,junge Musiker optimal auf ihren Beruf vor-zubereiten. Im Zentrum der Ausbildungstanden und stehen technisches Können,musikalisches Verständnis und künstleri-sches Einfühlungsvermögen. Der Blick desMusikers ist einzig auf das Werk und seineAusführung gerichtet, nicht auf das Publi-kum, dessen Einstellungen und Hörweisen,die sich im Gegensatz zum Repertoire er-heblich verändert haben. Diese ausschließ-lich an der Kunst orientierte Praxis schlugsich auch im Ausbildungssystem der Hoch-schulen nieder. Die Musikstudierenden wer-den einzig in ihrer Instrumental- oder Vo-kalkompetenz ausgebildet, wie und ob diesespäter zur Anwendung kommt, bleibt dabeiaußen vor.

Ein verändertes berufliches Umfeld erfor-dert auch eine veränderte Einstellung zumBeruf, ein verändertes Berufsbild. Viele derheute an den Hochschulen Lehrenden sindjedoch in der Tradition eines Berufsbildesaufgewachsen, das der heutigen Berufssitua-tion nicht mehr entspricht. Es fällt ihnen

spezialisierter Orchestermusiker. Letztererwird sicher weiter gebraucht, aber die neuzu besetzenden Orchesterplanstellen wer-den nur für einen geringen Prozentsatz derAbsolventen Arbeit und Brot bieten.

Mit Blick auf das vorangestellte Zahlen-material sind in den Ausbildungsstätten Fra-gen wie die folgenden zu stellen: Wie wirdein Musiker-Berufsleben in Zukunft aus-sehen? Welche Trends zeichnen sich ab?Welche zusätzlichen Qualifikationen müs-sen neben der instrumentalen oder vokalenerworben werden, um unter den veränder-ten Bedingungen den Beruf des Musikersausüben zu können?

Dazu sollen hier erste Antworten gege-ben werden:

ˇ Zum Ersten ist die Verdoppelung derAnzahl der wirtschaftlich selbstständigenMusiker zu nennen. Nimmt man diesenTrend wahr, so ergibt sich für die Berufsaus-bildung an den Musikhochschulen zwin-gend, dass Know-how im Musikmanagment(Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Finanzie-rung etc.) notwendiger Bestandteil des Cur-riculums sein sollte.

ˇ Zum Zweiten muss der angesprochenenveränderten Rezeptionskultur Rechnung ge-tragen werden. Die Musiker müssen auf he-terogene Publikumssegmente, die plurale Vor-stellungen vom Ereignis Konzert oder Musik-theater haben, eingehen können. AudienceDevelopment, Musikdramaturgie, Konzert-pädagogik, Zielgruppengenauigkeit etc. sindStichworte, die dieses Feld umreißen.

ˇ Zum Dritten wird die traditionelle Un-terscheidung zwischen Musikern, Produzen-ten und Vermittlern durch den erleichtertenZugang zu neuen Produktions- und Distri-butionsmitteln zunehmend aufgelöst. DieMusiker müssen in ihrer Ausbildung mitProduktions- und Distributionsmitteln ver-traut gemacht werden. Dass sich viele in ih-rem handwerklich-künstlerischen Selbstver-ständnis mit einer Mischung aus Stolz, Un-wissen und Technikfeindlichkeit immer nochdem Computer verweigern, befremdet.

Kernkompetenz: Musik –Ergänzungskompetenz:Musikvermittlung

Was bedeutet das für die Ausbildungs-situation an Musikhochschulen? Im Gegen-satz zur bisherigen Ausbildung, in der dieMusiker hauptsächlich zu interpretierendenSpezialisten erzogen wurden, müssten inZukunft vermehrt generalistische Aspekte indas Musikstudium einfließen. Der Bologna-Prozess bietet eine gute Möglichkeit, im In-teresse der Absolventen die Nachhaltigkeit

ihrer Ausbildung zu verbessern. Nachhaltig-keit bedeutet in diesem Kontext erstens, dasGelernte – die musikalische Kernkompetenzmit Hilfe der ergänzenden Kompetenzen –später zur Anwendung bringen zu könnenund zweitens, damit einhergehend, aktiveMaßnahmen zur Gewinnung und Bildungzukünftiger Hörer zu entwickeln. Diese er-gänzenden Kompetenzen können im Be-griff Musikvermittlung zusammengefasstwerden. Sie stellen das notwendig geworde-ne Handwerkszeug, um die Berufssituationzukünftiger Musiker zu verbessern. Folgtman Wahrigs Deutschem Wörterbuch, heißtvermitteln: „jemandem zu etwas zu verhel-fen“. Musikvermittlung kann somit heißen:

ˇ den Musikern zu helfen ein Publikumzu finden,

ˇ dem Publikum zur Musik zu verhel-fen.

Musikvermittlung allein auf Konzert-oder Musikpädagogik zu verkürzen, wirddem Wortsinn nicht gerecht.3 Musikvermitt-lung – in dem hier verstandenen ganzheit-lichen Sinn – umfasst beide Bedeutungen,nämlich die erste, die eher die ThemenMusikmanagement und Selbstmanagementintendiert, und die zweite, die eher die The-men Konzertpädagogik und Musikdrama-turgie beinhaltet. Musikvermittlung mussdramaturgische, künstlerische, historische,soziologische und manageriale Aspekte mit-einbeziehen. Dann rückt neben dem Werkdas Publikum und vor allem die überlebens-wichtige Frage Wie erreichen wir mit unsererMusik ein Publikum? wieder ins Blickfeld.

Eigeninitiativ handeln

Ein Blick in Nachbardisziplinen kann dabeifür den Musikbetrieb lehrreich sein, dennihm steht bevor, was in der freien Theater-szene und den bildenden Künsten längstRealität ist: Die Selbstverständlichkeit eigen-initiativ zu handeln. Der Betriebswirtschaft-ler spricht von Produktentwicklung undMarktpositionierung. Das lässt sich für Mu-siker oder Ensembles mit zwei Fragen einfa-cher formulieren: Was will ich und wie kannich es erreichen? „Was will ich?“ bedeutetcreate yourself, denn Musiker werben ja fürsich auf einem Markt, das heißt: sie sind ihrProdukt. Create your market bedeutet, sichauf einem Markt Gehör zu verschaffen.

Der Zuruf create your market bedeutetjedoch nicht, nur künstlerisch selbstständigzu agieren – beispielsweise als Ensemble –,sondern auch, sich seinen Markt zu schaf-fen, also eine künstlerische oder soziale Not-wendigkeit. Einen neuen Markt, seinen Marktzu erschließen, ist der Weg, der zukünftigen

MUSIK�ORUM48

BILDUNG.FORSCHUNG

Der Musiker der Zukunft –ein selbstständiger Generalist?

schwer, die Studenten auf die neue Situa-tion einzustellen. Damit soll nicht gesagt sein,dass an deutschen Musikhochschulen imkünstlerischen und pädagogischen Bereichnicht hervorragende Arbeit geleistet wird –das Ausbildungssystem an den Musikhoch-schulen hat hinsichtlich der individuellenBetreuung und Förderung der StudierendenModellcharakter für zukünftige Spitzen-Uni-versitäten. Doch: So wie sich die Berufsbil-der der meisten Berufe verändert habenund sich weiter verändern, ist auch das desMusikers in Bewegung. Die Tendenz gehtweg von einer linearen Karriere als Solistoder Orchestermusiker, hin zu einem mehr-schichtigen, patchwork-artigen Berufsbild. DerMusiker der nächsten Jahrzehnte wird mehrselbstständiger Generalist mit einer Kompe-tenzvielfalt sein als ein festangestellter, hoch-

Musikern bleibt, um sich neben anderenKultur- und Erlebnisanbietern zu behaupten.Sie müssen mit inhaltlich überzeugendenund sozial attraktiven Angeboten um ihrPublikum werben. Ob sie dies auf dem Feldder Konzertpädagogik, als spezialisiertes En-semble oder gar als Veranstalter tun, istvorerst zweitrangig.

Erfolgreiche Beispiele solcher Initiativensind die meisten Ensembles für Neue Mu-sik, Ensembles für Alte Musik, Festivalgrün-dungen wie beispielsweise das Kammermu-sikfestival Moritzburg, zahlreiche Initiativenim Bereich der Konzertpädagogik etc.; kurz:all das, was überall dort entstand, wo sichim bisherigen Betrieb Nischen auftaten.

Auch die Musiker, die einzig ihre Solis-tenkarriere im Auge haben, benötigen ne-ben ihrer musikalischen Kernkompetenz er-gänzende Kompetenzen, denn auch dieKarrieren der hoch begabten Solisten wer-den zukünftig seltener sein. Nicht, dass esan musikalischem Nachwuchs mangelte,ganz im Gegenteil, aber vor 25 Jahren ge-nügte es, wenn man einen renommiertenWettbewerb gewann. Das ist heute nichtmehr so. Auch jene Musiker müssen sichFragen wie diese stellen: Welches Reper-toire spiele ich – und warum? Ist es für ei-nen jungen Pianisten sinnvoll, eine weitereEinspielung der Chopin-Etüden als Debüt-album anzustreben? Und falls ja, was bedeu-tet das für seine Positionierung auf demMusikmarkt? Wo und wie kann er sich über-haupt auf einem Markt positionieren? Wasfür ein Kommunikationskonzept sollte erdafür erarbeiten? Was heißt es, zielgruppen-genau zu kommunizieren? Was kommt indie Präsentationsmappe? Wie verhandle ichmit einem Veranstalter? Worauf ist beimVertragsabschluss zu achten? Wie finde icheine Agentur? Was macht die Agentur fürmich? Wie kann ich meine eigene Lobby,mein Netzwerk, mein Publikum aufbauen?

Konzerte müssen neu„erdacht“ werden

Der Musiker der Zukunft darf sich nichtauf das Abspielen vorliegender Noten be-schränken. Er muss neu darüber nachden-ken, was Musik in einer völlig anderen Welt

als der des 19. Jahrhunderts bedeutet. Washeißt es heute, klassischer Musiker zu sein?Wofür steht das, was ich tue? Was kannoder muss das Konzert des 21. Jahrhundertsleisten? Wer ist mein Publikum? Welche Re-zeptionsgewohnheiten und Bedürfnisse hates? Welchen „Sinn“ transportiert das Ereig-nis Konzert? Das Konzert, seine Inhalte undRahmenbedingungen müssen auf professio-nelle Weise neu erdacht werden. Kreativitätbraucht es nicht nur bei der Verwandlungeines notierten Musiktextes in ein lebendi-ges Werk, sie ist vor allem nötig, um dieseseinem Publikum oder einem Veranstalternäher zu bringen. „Was will ich? Wie kannich es erreichen?“, sind die elementaren Fra-gen in einer Musikerkarriere – beide wer-den jedoch im Musikstudium kaum odergar nicht behandelt.

Berufsbildveränderungunterstützen

Die Musikhochschulen können den not-wendigen Prozess einer Berufsbildverän-derung auf dreifache Weise unterstützen:Erstens muss mit den Studierenden darübernachgedacht werden, was das Konzert heu-te sein kann. Zweitens müssen die Studie-renden das notwendige Know-how erwer-ben, um ihre Ideen für alternative Angebots-formen zu entwickeln und professionellumsetzen zu können. Drittens können dieHochschulen den Studierenden Raum bie-ten, in dem die Studierenden ihre Ideen undProjekte ausprobieren und somit wichtigeeigene Erfahrungen für ihr späteres Musiker-dasein machen können. In den Musikhoch-schulen werden die zukünftigen Akteuredes Musikbetriebs ausgebildet. Sie müssendazu befähigt werden, ihrer Musik wiedereinen angemessenen Platz zu erstreiten.Dem sollte das Fach Musikvermittlung die-nen. Wobei gilt: Nur wenn inhaltliche, äs-thetische, soziale und manageriale Über-legungen Hand in Hand gehen und sich ge-genseitig in einer integrativen Konzeptionüberzeugend stützen, werden erfolgreicheModelle für zukünftiges Konzertieren her-vorgebracht werden.

Musikvermittlung beginnt in den Köpfender Musiker. Sie müssen nicht nur wissen,

MUSIK�ORUM 49

Heutige Musiker müssen nicht nur wissen,was man wie anders machen soll,

sie müssen es auch anders machen wollen

was man wie anders machen soll, sondernsie müssen es auch anders machen wollen.Diese veränderte Berufseinstellung, um ei-nem veränderten Beruf nachgehen zu kön-nen, beginnt im Studium – wo sonst? Dassollte ein Musikstudium heute leisten. Mu-sikvermittlung eröffnete dann Perspektivenfür Musiker und das Publikum – und nichtzuletzt für die Musik.

1 Martin Tröndle: „Das Publikum“, in: Selbstmanagementim Musikbetrieb: Handbuch für Musikschaffende, hg. v.Petra Schneidewind und Martin Tröndle, Bielefeld 2003.

2 Karl-Heinz Reuband: „Sterben die Opernbesucher aus?Eine Untersuchung zur sozialen Zusammensetzung desOpernpublikums im Zeitvergleich“, in: Deutsches Jahr-buch für Kulturmanagement 2003/2004, hg. v. ArminKlein und Thomas Knubben, Baden-Baden 2005, S. 123-138.

3 siehe auch: Martin Tröndle: „Musikvermittlung: Varia-tion oder Invention?“, in: nmz, 6-7/8/05.

Der Autor:

Martin Tröndle erwarb neben dem

Musikstudium (Hauptfach Gitarre) einen

Magister in den Fächern Kulturwissen-

schaften und Kulturmanagement am

Institut für Kulturmanagement in Lud-

wigsburg. Er war in der Redaktion Neue

Musik des Südwestrundfunks tätig und

veranstaltete mit Hans-Peter Jahn die

Orchesterreihe Rückblick Moderne

(1998). Mit Stephan Schmidt gründete

er 2001 die Biennale Bern und war für

deren Management und teilweise auch

deren künstlerische Ausrichtung zustän-

dig. Nach weiteren praktischen Erfah-

rungen im Kulturbetrieb promovierte

Tröndle zum Thema Festivalmanage-

ment. Zwischen 2001 und 2003 war er

Dozent für Musikmanagement und

Musikvermittlung an der Hochschule

für Musik und Theater in Bern, danach

Dozent am Studienzentrum Kulturma-

nagement der Universität Basel und

Gastdozent am Institut für Kulturma-

nagement in Ludwigsburg; seit 2005

ebenfalls Dozent an der Hochschule

für Gestaltung und Kunst Basel.

MUSIK�ORUM50

BILDUNG.FORSCHUNG

Es ist ein musikalisches Plädoyerfür die Fantasie und eine fried-

fertige Kampfansage gegen dieGlotze in deutschen Kinderzimmern:Das Kindermusical 3 Wünsche freifand seit seiner Chemnitzer Urauf-führung 2001 in weit über 100Schul- und Theateraufführungen inDeutschland und Österreich einebegeisterte Resonanz. Höhepunkt:eine Benefizaufführung in derSemperoper Dresden.

Unter dem Motto „von Kindern für Kin-der“ sind alle Inhalte und Anforderungendes Musicals so angelegt, dass sie von Schul-kindern zu bewältigen sind und das Stückvon jeder Grund- und Mittelschule aufge-führt werden kann. Das Projekt ist vor allemvor dem Hintergrund einer nicht abreißen-den Diskussion um die musikalische Brei-tenarbeit bedeutend. Während nämlich em-sig darüber debattiert wird, ob wir dieseBreitenarbeit überhaupt noch brauchen undvielleicht nicht einige „Leuchttürme“ derHochkultur genügen, nehmen die kommu-nalen Musikschulen ebenso wie die allge-mein bildenden Schulen eine wichtige Rolleein, wenn es um die Frage der ästhetischenSelbstfindung von Kindern und Jugendli-chen geht.

Dabei sind auch die Leistungen der pri-vaten Musikschulen nicht zu vergessen. Wiewichtig die musikalische Breitenarbeit vonder Früherziehung bis zur Seniorenarbeitsein kann, beweist das Beispiel der Chem-nitzer YAMAHA Academy of Music. IhrLeiter Axel Schulze ist der Urheber desMusicals 3 Wünsche frei. Der erfahreneMusikpädagoge und Komponist hat täglichmit kindgerechter Musik zu tun. Er kompo-nierte und arrangierte einen großen Teil derMusik – sein Sohn Patrick steuerte einigeLieder hinzu, Wolfgang Goldstein erdachtedie Rahmengeschichte – und inszenierteschließlich das Musical.

Hans Bäßler traf Axel Schulze zu einemGespräch.

Wie kam es zu dem Projekt einesKindermusicals?

Axel Schulze: Ich habe früher in derMusikproduktion gearbeitet und mich zurWende dann auf das besonnen, was icheinmal gelernt habe, also auf mein Hoch-schulstudium als Klavierlehrer. Trotz Grün-dung einer privaten Musikschule kannman das Liederschreiben natürlich nichtlassen. Die von mir in Fortbildungsveran-

staltungen für Musiklehrer vorgestelltenKinderlieder fanden so große Resonanz anden Schulen, dass immer mehr abgefordertwurden. Irgendwann war genug Materialfür ein Musical da, es musste nur nochvom Textautor Wolfgang Goldstein dieverbindende Geschichte geschriebenwerden.

Sie haben einmal gesagt, dass nachden Vorstellungen in Chemnitz der eigentlicheErfolg des Musicals mit der Aufführung in derSemperoper kam. Warum sind Sie nachDresden gegangen?

Ein Anliegen des Musicals ist es, Kinderauch an humanistisches und soziales Den-ken heranzuführen. Wir wollen ihnen zei-gen, dass sie gemeinsam durch und mitMusik etwas bewegen können und habendafür ein Projekt mit dem Namen „Sächsi-sche Kinder singen für in Not gerateneKinder“ ins Leben gerufen. Ein Großteilder Aufführungserlöse wurde als Spendefür Sozialprojekte der Gattin des damaligenMinisterpräsidenten übermittelt. Ingrid

Biedenkopf hat ein Chemnitzer Konzertbesucht und gemeint: „Das müssen wirnach Dresden holen!“ Sie stellte 3 Wünschefrei in der Semperoper vor und die Ent-scheidung fiel positiv aus. Wir durften aufdieser international bekannten Bühne spie-len. Heute wissen wir, dass davon eindeutschlandweiter Impuls ausging. VieleSchulen und Musikschulen im gesamtendeutschsprachigen Raum führen 3 Wünschefrei mittlerweile auf. Und unser Projekt hatinsgesamt über 50 000 Euro für Kinder inNot eingespielt, vor allem Dank der Bene-fizaufführung in der Semperoper.

Wie viele Kinder erreichen Sie in derMusicalarbeit?

Im Musical gibt es 16 sprechende undsingende Solisten sowie einen Chor. Beiunseren Aufführungen wirken oft zweiChöre mit, ein Grundschulchor und einChor vom musischen Gymnasium. Anfangszählte der Chor der Gebrüder-Grimm-Grundschule 35 kleine Sänger, nach dreiJahren waren es 90! Viele Eltern haben uns

FÜR ALLE, DEREN

Ein Musterbeispiel für musikalische Breitenarbeit und Erziehung:

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erzählt, dass sie ihr Kind vor allem wegendes Musicalprojekts an dieser Schule ein-geschult haben. Im Raum Chemnitz kenntfast jedes Kind zwischen vier und elf Jahrendie Lieder des Musicals, da sie gern in denSchulen gesungen werden. Dank Internetnimmt die Popularität durch Verkauf vonNotenbüchern, Lieder-CDs mit zusätzlichenGrundbandversionen, DVDs, Kostümanlei-tung und auch kompletten Aufführungs-paketen inklusive Aufführungsrechtendeutschlandweit und nach Österreichständig zu.

Wovon handelt „3 Wünsche frei“?Oftmals reicht individuelle Stärke eines

Einzelnen nicht aus, um große Dinge zuvollbringen. In unserer Geschichte werdenTräume nur wahr, weil sich die einzelnenFiguren mit ihren ganz persönlichen Stär-ken zusammentun, um es gemeinsam zuschaffen. Das spüren die Kinder sowohlbei der Ausführung des Musicals wie auchim Sinn, den das Stück transportiert. Undes geht darum, dass Träume und Fantasie

Kinder an humanistisches und sozialesDenken heranführen: Axel Schulze möchteKindern zeigen, was sie gemeinsam mit Musikbewegen können.

bewahrt werden müssen. Wir greifen denoft zu großen passiven Medienkonsum an,der gerade Fantasie und Kreativität verküm-mern lässt.

Wenn Sie das Angebot an Musicalsfür Kinder und Jugendliche beurteilen: Gibt esaus Ihrer Sicht eigentlich genügend Stücke?

Angeboten werden viele Musicals. Auchbei uns in der Chemnitzer Stadthalle gibtes oft Gastspiele von Theaterunternehmen,in denen Erwachsene für Kinder Musicalsaufführen. Wir unterscheiden uns aber vondiesen Produktionen, indem bei uns Kinderfür Kinder spielen und singen und dasStück letztlich auch für die Aufführung anSchulen gedacht ist. Musiklehrer suchenständig neue Lieder, vor allem mit aktuellemZeitgeist. Nehmen sie nur mal die Weih-nachtslieder: Jeder Lehrer sucht vor demFest verzweifelt nach Material, um ein neuesWeihnachtskonzert zusammenzustellen.Deswegen haben wir im vergangenen Jahrdrei Lieder aus unserem neuen Weihnachts-musical Wundersame Weihnachtszeit in

FANTASIE NOCH HATFlügel das Kindermusical 3 Wünsche frei

Im Interview: Axel Schulze, Komponist und Leiter der Chemnitzer YAMAHA Academy of Music

Lehrerfortbildungen vorgestellt – mit demErgebnis von ca. 8 000 Kartenvorbestellun-gen für die erste Aufführungsserie. Insgesamthaben in 18 Veranstaltungen 11000 Be-sucher in der Adventszeit 2004 diesesMusical gesehen. Den Höhepunkt bildeteerneut eine Benefizaufführung in der Sem-peroper auf Einladung des Operndirektors.

Und hat sich das Ganze für Sie öko-nomisch gelohnt?

In den vier Jahren hat sich 3 Wünschefrei so etabliert, dass wir wöchentlich einAufführungspaket versenden. Gemeinsammit dem Verkauf der Notenbücher, CDsund DVDs schreiben wir für dieses Musicalinzwischen keine roten Zahlen mehr. BeiWundersame Weihnachtszeit werden wirsicher noch ein Jahr brauchen, zumal wirvöllig ohne Unterstützung durch öffentlicheMittel arbeiten.

Politisch wird ja häufig beklagt, dasssich Kinder und Jugendliche fernab der Musikorientieren. Bestätigen Sie diesen Eindruck?

Ich kann nur für die Kinder sprechen,die zu uns in die Musikschule kommen,und für jene, die an den Musicalprojektenteilnehmen. Für sie trifft diese Meinungnicht zu. Und wer sich mit Kindern musischbeschäftigt, kann diese Erfahrung wohl garnicht erst machen.

Sie selbst arbeiten nun seit 14 Jahrenals Leiter einer Musikschule in Chemnitz.Können Sie ihre Erfolgsstory – bezogen aufdie Musikschule – einmal beschreiben?

Angefangen habe ich mit 80 Schülern,zunächst beschränkt auf den Keyboard-und Klavierbereich. Aber Schüler- undauch Lehrerzahl sind schnell gewachsen,mittlerweile auf 900 Schüler mit 25 Leh-rern – Tendenz steigend. Das ist vor allemdarauf zurückzuführen, dass wir eine richtigeMusikschule mit vielen Instrumentalfächernund Gesangsausbildung geworden sind undnatürlich auf die gute Arbeit der Lehrkräfte.Allein ein Drittel unserer Schüler ist zwischenvier Monate und sieben Jahre alt und be-sucht die Abteilung Musikalische Früh-erziehung.

Außerdem haben Sie jetzt auch nochdie Seniorenarbeit mit einbezogen…

Ja, die Senioren fühlen sich einfachwohl hier in unserer Musikschule, lernenviele Gleichgesinnte kennen, die sich mitMusik beschäftigen. Es ist das soziale Umfeld,das ihnen gefällt, ihnen Freude und einenwunderbaren Sinn in ihrem Lebensabendgibt.

Nun gibt es aberauch die ganz normaleMusikschularbeit. Bei Ihnenzeichnet sie sich ja dadurchaus, dass die Gruppenarbeitim Vordergrund steht.Welche Vorteile sehen Sie darin?

Der größte Vorteil besteht in der gegen-seitigen Motivation der Schüler. Außerdemkann das kritische Zuhören und Beurteilenbeim Mitschüler hervorragend trainiertwerden – auch für den später zu fördern-den Einzelschüler eine wichtige Lernphase.Und in jeder Stunde gibt es Orchesterspielmit ständigem gemeinsamen, rhythmischenTraining – alles Gründe für den Erfolg desGruppenunterrichts. Natürlich braucht manauch ein gutes Unterrichtsprogramm undausgezeichnetes Unterrichtsmaterial.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dassgleichzeitig so viele staatliche Musikschulengeschlossen werden?

Ich kann es weder verstehen noch er-klären. Anscheinend fehlt bei den kommu-nalen Entscheidungsträgern oft die Erkennt-nis, dass Musikschulen einen äußerst wich-tigen Beitrag bei der gewaltfreien Erziehungund Bildung unserer Kinder und Jugendleisten.

MUSIK�ORUM52

BILDUNG.FORSCHUNG

Die Erfolgsstory geht weiter: Auch mit demNachfolgeprojekt zu 3 Wünsche frei, demWeihnachtsmusical Wundersame Weihnachts-zeit, fanden Komponist Axel Schulze undseine jungen Interpreten ein positives Echo.11000 Besucher sahen in der Adventszeit2004 das neue Stück.

Fühlen Sie sich eigentlich an Ihrerfreien Musikschule unabhängiger als es etwaan einer staatlichen Schule der Fall wäre?

Für mich war es sicherlich leichter, etwasvon Grund auf Neues mit eigenen Ideenverwirklichen zu können als sich in Bewähr-tes einordnen und vielleicht Veränderungenbewirken zu müssen. Und mit dem finan-ziellen Erfolgsdruck kann ich mittlerweileleben. Ich möchte eigentlich nicht tauschen.

Wie haben Sie nach der Wende dieSchule gegründet?

Mit der Auflösung der staatlichen Ton-studios des Rundfunks der DDR, in denenich schon vor der Wende freiberuflich alsArrangeur, Komponist und Studioleiter ge-arbeitet habe, war ich im Prinzip arbeitslos.Ein Inhaber eines Musikhauses wusste vonmeiner pädagogischen Ausbildung und hatmich auf das YAMAHA-Musikschulsystemaufmerksam gemacht. Ich habe mir gesagt:Chemnitz braucht so eine Schule! Zunächstbegann ich mit gutem Erfolg in der Klein-stadt Hohenstein-Ernstthal, bis ich schließlichauch in Chemnitz mein Vorhaben realisie-ren und eigene Erfahrungen mit dem Schul-system von YAMAHA kombinieren konnte.

Und inzwischen ist die Musikschuleschon fast so etwas wie ein „Familienbetrieb“…

Ja, meine Tochter hat inzwischen inunserer Musikschule den Bereich der Musi-kalischen Früherziehung sehr erfolgreichaufgebaut. Mein Sohn steht kurz vor demAbschluss des Klavierstudiums an derDresdener Musikhochschule. Und er bringtsich als Komponist und Studioleiter unver-zichtbar bei den Musicalprojekten ein.Außerdem unterrichtet er bereits Klavierund kümmert sich besonders um denKlaviergruppenunterricht, nicht nur, weil esauch das Thema seiner Diplomarbeit ist.

Das Neueste?Zurzeit produzieren wir Hörspiel- und

Lieder-CDs unseres Weihnachtsmusicalsund auch die DVD der Semperoperauffüh-rung. Zu haben sein wird hoffentlich allesab September 2005 – rechtzeitig für dasnächste Weihnachtsfest, denn es gibt bereits,bedingt durch die erfolgreichen Aufführun-gen, viele Vorbestellungen. U www.3wuenschefrei.de

»Bei den kommunalen Entscheidungs-trägern fehlt offenbar die Erkenntnis,dass Musikschulen einen äußerstwichtigen Beitrag bei der gewaltfreienErziehung unserer Kinder leisten«

»Bei den kommunalen Entscheidungs-trägern fehlt offenbar die Erkenntnis,dass Musikschulen einen äußerstwichtigen Beitrag bei der gewaltfreienErziehung unserer Kinder leisten«

MUSIK�ORUM 53

Worin bestehen die Essentials für einen gelungenenMusikunterricht? Diese Frage beschäftigte den Deut-schen Musikrat in den vergangenen Monaten. Resultatder intensiven Beschäftigung mit dem Thema – hier warder Bundesfachausschuss Musikpädagogik federfüh-rend tätig – ist nun ein Positionspapier, das die Auf-

gaben und Ziele des Musikunterrichts an deutschenSchulen so griffig wie möglich formuliert. In der April-Ausgabe des MUSIKFORUM bereits kurz vorgestellt,veröffentlichen wir hier noch einmal die Grundthesensowie die weiteren Ausführungen dieses Positions-papiers, das zum weiteren Diskurs anregen soll.

Sieben Thesen des Deutschen Musikrats zur „Musik in der Schule“:

Thesen

Musikunterricht muss

1. Freude an Musik wecken durch

ˇ eigene wie auch gemeinsame Musizierpraxis (Singen,Tanzen, Instrumentalspiel)

ˇ vielfältige Hörerlebnisse und Hörerfahrungenˇ eigenes musikalisches Gestalten und Erfinden;

2. die Sensibilisierung und Differenzierung des Ohres und deranderen Sinnesvermögen fördern;

3. im Zusammenhang mit der sinnlich konkreten Erfahrungvon Musik Wissen über deren Entstehung, Struktur undNutzung vermitteln;

4. anregen, außerunterrichtliche und außerschulische Beschäf-

tigung mit Musik zu erweitern und zu vertiefen;

5. die Vielgestaltigkeit der Musik, insbesondere in den Erschei-nungsformen der Neuen Musik, der Populären Musik wieauch der Musik außereuropäischer Kulturen, mit ihrenhistorischen Einschlüssen und in ihren aktuellen Gestaltungenerschließen;

6. die Vernetzung von Musik mit anderen Denk- und Tätig-keitsformen sichtbar machen;

7. die eigene Musikkultur in Geschichte und Gegenwartverstehen lernen.

DOKUMENTATION

Stellungnahmen zu Schule und Unterricht beinhalten, wennsie verantwortungsvoll gemacht werden, sowohl eine Beschrei-bung als auch eine Bewertung des gegenwärtigen Zustands so-wie Vorschläge für die Verbesserung gegenwärtig als defizitärempfundener Zustände. Der Deutsche Musikrat, als Gremiumaller musikbezogenen Verbände in Deutschland, fühlt sich zumgegenwärtigen Zeitpunkt in die Pflicht genommen, Entwicklun-gen des schulischen Musikunterrichts mit großer Aufmerksam-keit zu verfolgen und in vollem Bewusstsein des Gewichts seinerStellungnahmen, aber auch mit der gebotenen Vorsicht zu be-gleiten.

Aussagen über Musikunterricht haben sowohl in bestätigen-der als auch in kritischer Absicht immer ein Bild des „guten“ oder„gelingenden“ Musikunterrichts – für die Fassung von „Qualitätdes Unterrichts“ mag es viele Begriffe geben – vor Augen. Hieraber ist nicht nur der Deutsche Musikrat durchaus in einerSchwierigkeit; denn – soweit zu sehen – haben sich in der Vergan-genheit musikpädagogische, allgemeiner: erziehungswissenschaft-liche Versuche, „guten“ Unterricht über ein Ensemble von Indika-toren zu definieren, als nicht tragfähig erwiesen. Die Schwierig-rigkeiten, die dem Versuch einer derartigen Bestimmung zuGrunde liegen, können im Folgenden nur angedeutet werden.Sie müssen aber genannt werden, damit Fehldeutungen derzuvor formulierten Thesen gar nicht erst aufkommen:

Erläuterungen und Begründungen

1. Zur Qualität von Musikunterricht

Die Frage nach der Qualität von Musikunterricht, die in derFrage mündet „Was ist guter Musikunterricht?“, suggeriert, dasses so etwas wie einen objektiven Standard von Musikunterricht,eine Art archimedischen Punkt gibt, von dem aus Musikunter-richt beurteilt werden könnte, von dem aus sich Musikunterrichtzweifelsfrei als gut oder schlecht qualifizieren ließe – gleichgültig,an welchem Orte und zu welcher Zeit er realisiert würde. DieseVorstellung ist nicht unproblematisch. Zu vielschichtig ist dasPhänomen Musikunterricht, als dass eine hinreichende Anzahlnotwendiger Bestimmungsmerkmale für das Urteil „gut“ – unddieses auch noch zeitunabhängig – gegeben werden könnte.

Die Frage „Was ist guter Musikunterricht?“ suggeriert weiter-hin, dass es einen von allen subjektiven Interessen und Vorurtei-len freien Standort gibt, von dem Musikunterricht als gut oderunzureichend bewertet werden könnte. Aber: Wer stellt jeweilsfest, dass Musikunterricht gut oder schlecht ist? Ist dies der Leh-rer? Ist es der Schüler? Ist es „die Gesellschaft“, vertreten durchInteressensgruppen, die dieses Urteil im Hinblick auf musikpäda-gogischen, musikwissenschaftlichen, musikpraktischen Nach-wuchs o. ä. fällen? – An diesem Punkt wird die kaum lösbareAufgabe einer Antwort auf die gestellte Frage sichtbar, eine allge-mein verbindliche Aussage über die Qualität von Musikunterricht

WAS IST MUSIKUNTERRICHT?guter

MUSIK�ORUM54

DOKUMENTATION

zu treffen. Denn konsequenterweise könnte ein Musikunterrichtnur dann als „gut“ bewertet werden, wenn alle Beteiligten unddie Nutznießer von Musikunterricht übereinstimmend sagenkönnten: „Guter Musikunterricht sieht so und nicht anders aus.“

So macht bereits das bekannte und historisch viel bemühte,jedoch verkürzende „Didaktische Dreieck“ – Schüler/Lehrer/Gegenstand – darauf aufmerksam, dass es sich um einen Kom-plex von Faktoren handelt, die in sich und in ihrer Wechselwir-kung ganz entscheidend unterrichtsbedeutsam und wirksam sind;sie tragen jeweils in sich als auch in ihrem Zusammenspiel ganzunterschiedlich zum Gelingen oder Misslingen von Musikunter-richt bei.

Die Komplexität von Musikunterricht und dessen Abhängig-keit von einem vielschichtigen Geflecht von Einflussfaktoren wirderst recht deutlich, wenn man das zuvor angedeutete und so ge-nannte „Didaktische Dreieck“ um die auch für Musikunterrichtwesentlichen, darin noch nicht verorteten Faktoren erweitert:Situation – Institution – Gesellschaft.

Die Qualität pädagogischer Maßnahmen stellt sich – fast durch-gängig – erst viele Jahre später heraus. Im Hinblick auf Musik-unterricht heißt das: Für Schüler und Lehrer kann sich durchaus„im Augenblick“ das Gefühl, guten Musikunterricht erlebt bzw.gestaltet zu haben, einstellen. Aber ob es wirklich guter Musik-unterricht – im Sinne eines (in welcher Form auch immer) vo-rausgesetzten Güte-Kriteriums – war, das wird sich erst in (u. U.ferner) Zukunft zeigen. Daraus folgt allerdings keineswegs, dassman getrost die Hände in den Schoß legen und darauf wartenkann, dass sich der Erfolg von Musikunterricht schon „von selbst“einstellen wird.

Musikvorlieben, Nutzung von Musik, Kenntnisse von und überMusik, musikpraktische Erfahrungen usf. heutiger Jugendlicherunterliegen einem ständigen Wandel und können nicht auf zu-künftige Schülergenerationen hochgerechnet werden. Eine Be-antwortung der Frage muss folglich so erfolgen, dass dadurchkeine „unsinnigen“ Festschreibungen zum Gegenteil von „gutem“Musikunterricht in der Zukunft führen.

2. Bedingungsfelder von Musikunterricht

Ungeachtet der Unmöglichkeit, ein für alle Male festzulegen,was guter Musikunterricht sei, lassen sich jedoch Bedingungennennen, die – falls sie nicht bedacht und die sich daraus ergebendenFolgerungen (Forderungen?) eingelöst werden – einen guten, gelin-genden, für Schüler und Lehrer befriedigenden, gesellschaftlichnützlichen usf. Musikunterricht unmöglich machen. Es dürfte un-mittelbar einsichtig sein, dass die im Folgenden genannten Bedin-gungen nach dem zuvor Gesagten keinen Anspruch auf Vollstän-digkeit erheben können; ebenso wenig erheben sie einen Neuig-keitsanspruch.

2.1 Musikunterricht ist abhängig von einer jeweils spezifischenSchülerklientel. Das für jede Klasse, für jeden Kurs, für jedeGruppe spezifische Sozialverhalten – d. h. Umgangsformender Kinder und Jugendlichen untereinander, das Erwachse-ne-Jugendliche-Verhältnis, die Form(en) des Schüler-Lehrer-verhältnisses, generell: die Einstellung zu Schule und Lernenüberhaupt usf. – sowie das in jeder Klasse, jedem Kurs oderjeder Gruppe präsente spezifische musikbezogene Vorwis-

sen, musikpraktische Können, Formen des Umgehens mitMusik, sie beeinflussen grundlegend die Struktur und dieFormen von Musikunterricht, wie er sich in einer einzelnenKlasse einer bestimmten Schule an einem bestimmten Ortüberhaupt entfalten kann.

2.2 Musikunterricht ist abhängig von der je konkreten LehrerIn-nen-Persönlichkeit und deren je spezifischer Interpretationihrer Rolle als Musiklehrerin bzw. Musiklehrer. Verstehen siesich vorrangig als Vermittler von Sachverhalten oder primärals Anwälte der Kinder und Jugendlichen, denen bei der Ent-wicklung ihrer eigenen subjektiven musikalischen Welt unddem Hineinwachsen in die so vielfältige objektive Kultur ge-holfen werden muss? Richten sie ihr pädagogisches Augen-merk wesentlich auf die Zukunft des Kindes als zukünftigenmündigen und für die musikalisch-ästhetische Dimensionseiner Umwelt offenen Bürger oder leitet sie der Blick aufdie Gegenwart, in der bestimmte Standards eingeholt wer-den müssen?

2.3 Musikunterricht ist abhängig vom Aus- und Fortbildungsstandder MusiklehrerInnen. Haben diese während ihres Studiumsnicht nur die eigene Musikalisierung erweitern und vertiefenkönnen, sondern die zukünftige Rolle als Mittler zwischenjungen Menschen und Musik erlernen und sie als persön-liche Aufgabe für ihre eigene Zukunft annehmen können?Leben Musiklehrer und Musiklehrerin noch weitgehend vondem, was sie einmal gelernt haben, oder verstehen sie sichauch als immer noch Lernende in einem Aufgabenfeld, dasauf lebenslanges Lernen geradezu angewiesen ist?

2.4 Musikunterricht ist abhängig von dem geografischen und –häufig damit aufs engste verknüpft – vom sozialen Ort derjeweiligen Schule. Musikunterricht an Schulen mit einer„schul-nahen“ Elternschaft, einer „schul-offenen“ Verbands-landschaft und einer von der Bedeutung von schulischemLernen überzeugten politischen Vertretung (städtischen Ver-waltung) hat einen anderen Rückhalt im Vergleich mit Schu-len, denen all dieses abgeht.

2.5 Musikunterricht ist abhängig von der Selbstdefinition der je-weiligen Schule: Versteht sich die Schule als wesentlich na-turwissenschaftlich oder sprachlich oder ästhetisch orien-tiert? Gewinnt sie demzufolge ihre Präsenz und Reputationin der sie umgebenden Gesellschaft durch ihre naturwissen-schaftlichen, literarischen. oder durch ihre ästhetischen (undd. h. gerade auch: musikalischen) Aktivitäten? Hiervon hängtu. a. ganz wesentlich ab, ob und in welchem Ausmaß außer-schulische Aktivitätsträger ihre musikalischen und musikbe-zogenen Aktivitäten in die Schule einbringen können.

2.6 Musikunterricht ist abhängig von der allgemeinen Organisa-tion von Unterricht an der jeweiligen Schule: Ganztagsunter-richt, Halbtagsunterricht, Relation der Betreuung zu Unter-richt usf. zu Phasen geblockter Musikunterricht oder wöchent-liche, auseinander genommene Zweistündigkeit usf. Das heißt,ob eine sinnvolle Musizierpraxis an einer Schule überhauptmöglich ist und die in den Thesen formulierten Perspektiveneinzulösen sind, hängt nicht unwesentlich von einer auf mu-sizierende Schüler zugeschnittenen Organisation der Musikin der Schule ab.

MUSIK�ORUM 55

Sieben Thesen des Deutschen Musikrats zur „Musik in der Schule“

2.7 Musikunterricht ist abhängig von den materialen Bedingun-gen an der betreffenden Schule. In welchen Räumen wirdMusik in der Schule unterrichtet? Handelt es sich um Hör-saal ähnliche Gegebenheiten oder steht ein entsprechendausgestatteter Raum zur Verfügung? Gibt es „Kabinette“, indie Schülerinnen und Schüler sich zur Partner- oder Grup-penarbeit zurückziehen können? – Wie steht es mit der inst-rumentalen Ausstattung? Steht nur ein Klavier (Flügel) und– wenn es hoch kommt – ein Orff-Schlagwerk zur Verfü-gung oder bildet die instrumentale Ausstattung (inkl. neuerMedien) jenen Anreiz, der Schülerinnen und Schüler dazumotiviert, in der Schule selbst zu musizieren? Welche finanzi-ellen Mittel stehen für den Unterricht in Musik, für Musik inder Schule zur Verfügung? (Notenmaterial, Instrumenten-kauf, Wartung der Instrumente usf.)

2.8 Musikunterricht ist abhängig von der – über ganz unter-schiedliche Interessensgruppen artikulierten – Einstellung derGesellschaft zu Musik und insbesondere: zum musikalischenLernen im Rahmen der allgemein bildenden Schule.

2.9 Damit wird Musikunterricht abhängig von den personellenund materiellen Ressourcen, die unsere Gesellschaft für Mu-sikunterricht bereitstellt (d. h. einerseits überhaupt bereitstel-len kann, andererseits bereitstellen will).

Folgerungen und Forderungen

Die zuvor genannten Bedingungsfelder für einen Musikunter-richt, der für die daran beteiligten Personen zufrieden stellend,beglückend usw. sich erweist und der dabei zugleich den zukünf-tigen gesellschaftlichen Bedarf an kompetenten Nutzern von Mu-sik zu entwickeln in der Lage ist – Schüler, LehrerInnen, Schuleals Organisation und Institution, Gesellschaft –, verweisen auf ge-sellschaftliche und politische Rahmenbedingungen, deren Gege-benheit erst die in den o. g. Thesen formulierten Perspektivenermöglichen helfen.

1. Die durch die soziale und geografische Differenzierung be-dingte Unterschiedlichkeit der Schülerklientel macht eineDifferenzierung des Spektrums von zu erwerbenden mu-sikbezogenen Kompetenzen notwendig. Kompetenzensind – aus pädagogischer Perspektive, und nur diese kannfür eine Schule für alle (auch das meint der Begriff „allge-mein bildende Schule“) angelegt werden – keine Gegeben-heiten, die unabhängig von jenen Personen definiert wer-den können, die diese Kompetenzen erwerben sollen bzw.wollen. Das gilt vor allem in Bereichen, in denen ästheti-sche Praxis, hier also musikalische Praxis, zentrales Mo-ment von schulischem Unterricht werden soll bzw. ist. Sowenig die zu erwerbenden Kompetenzen einer 12. Klassemit denen einer 5. Klasse identisch sein können, ebensowenig können die zu erwerbenden Kompetenzen einer 8.Klasse einer Hauptschule in einem sozial schwachen Ge-biet mit den zu erwerbenden Kompetenzen einer 8. Gym-nasialklasse in dem begüterten Stadtteil einer Großstadt ineins gesetzt werden.

2. Der soziale Gebrauch von Musik, wie dieser nicht erst nurunsere gegenwärtige Gesellschaft charakterisiert, sonderneigentlich immer schon bestimmend gewesen ist, stellt be-sondere Anforderungen an Musiklehrerinnen und Musik-lehrer. Genauer müsste man sagen: an deren Aus- undWeiterbildung. Als Ziel ihrer Ausbildung an Hochschulenund Universitäten sowie der Fortbildungsmaßnahmen fürausgebildete Lehrerinnen und Lehrer – es ist schon so häu-fig formuliert worden – kann nicht die individuelle Höchst-qualifizierung im Bereich künstlerischer Praxis gesehenwerden, sondern in dem komplexen Feld der Befähigungzur Vermittlung, und das heißt der „Zusammenführung“von Menschen und Musik(en), nämlich der Qualifizierungfür die Anregung anderer, hier: junger Menschen, zumMusikhören, zum Musizieren, ja auch zum Genießen vonMusik. Diese Erfahrung des gemeinsam mit Kindern undJugendlichen lernenden Umgangs mit Musik sollte am An-fang des Studiums stehen, aber auch das ganze Studiumweiterhin bestimmen.

3. Schule als sozialer Ort verstanden, der institutionell gegrün-det und durch eine je spezifische Organisationsform undcurriculare Formation geprägt ist, bestimmt, wie oben an-gedeutet, Ort, Ausmaß und Gewicht von Musik in derSchule. Schule, als sozialer Ort verstanden, ist nicht herme-tisch gegenüber dem sie umgebenden sozialen Feld abge-schlossen. Für Musikunterricht heißt das: Begreift manMusik in der Schule – gerade auch in der Form von Mu-sikunterricht – als „substanziell nach außen offen“, dannfolgt daraus, dass alle musikbezogenen Aktivitäten des so-zialen Umfeldes, Musikschulen, Verbände, ortsspezifischemusikalische Gruppierungen und Aktivitäten usf. Beteili-gungen an Musik in der Schule in einer Weise wahrneh-men können und müssen, die vor nicht allzu langer Zeitnoch undenkbar waren. Diese Öffnung nicht nur prinzi-piell zu bejahen, sondern auch weiterführend zu betreibenund institutionell abzusichern, dürfte wesentliche Aufgabeder nächsten Jahre sein.

4. Eine Einwirkung auf die soziale, ökonomische und politi-sche Öffentlichkeit im Sinne einer Bewusstmachung derzuvor genannten Bedeutung von Musik und von Musikbezogenem Lernen in der allgemein bildenden Schule kannkaum intensiv genug erfolgen. Zwar gibt es viele Bekennt-nisse, die musikalische Bildung für unerlässlich halten. Gehtes jedoch um die Bereitstellung von Ressourcen, die zu de-ren Verwirklichung in schulischen Kontexten erforderlichsind, dann erscheint oft betretenes Schweigen. Ansätze ei-ner konstruktiven Aufnahme langjähriger und nachdrück-licher Hinweise nicht nur der Musikpädagogen, sondernweiter Kreise des gesellschaftlichen Lebens auf die Bedeu-tung von Musik und musikalischem Lernen für Kinder undJugendliche in der Schule sind jedoch in der letzten Zeitauch im politischen Raume anzuerkennen. Solche Perspek-tiven nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sondernimmer wieder zeit- und situationsspezifisch angepasst zuformulieren, dieses hat sich der Deutsche Musikrat für dienächsten Jahre zur ureigensten Aufgabe gemacht.

Junge Leute hören heute vor allem po-puläre Musik: HipHop, Techno, Dance Mu-sic, Pop etc. Nach dem Jugend-KulturBaro-meter geben nur neun Prozent an, dass siesich auch für Klassik interessieren. ZwölfProzent haben schon einmal ein klassischesKonzert besucht, acht Prozent mehrfach. Dassdie Zahl der jungen Leute, die bisher einklassisches Konzert aufsuchten, wesentlichhöher ist als die Zahl der Interessenten, lässtsich auf die vielfältigen Bemühungen vonSchule und Elternhaus zurückführen, jungeLeute an klassische Musik heranzuführen.

Die Oper schneidet noch schlechter ab:Der Interessentenanteil liegt bei drei Pro-zent. 13 Prozent habenschon einmal und sechsProzent mehrfach eineOpernaufführung be-sucht. Von einer allge-meinen Krise des Musik-theaters kann manjedoch nicht sprechen,denn das Musical erfreutsich relativ großer Be-liebtheit bei jungen Leu-ten. Zum Vergleich: Diejunge Interessentengrup-pe liegt hier bei 22 Pro-zent. Einmal ein Musicalbesuchten bisher 29 Pro-zent, mehrfach 18 Pro-zent. Man könnte daherden Eindruck gewinnen,die Krise der Oper steht

in Beziehung zur Krise der klassischen Mu-sik. Das Musical, das sich an populäre Mu-sikstrukturen anlehnt, hat keine Akzeptanz-probleme bei jungen Leuten. Vielleichtfunktionieren hier aber auch einfach nur dieMarkt- und Werbemechanismen der unter-haltenden Musikindustrie, die das Musicalim großen Stil populär machte.

Über den Einfluss vonSchule und Elternhaus

Für die Erkenntnis, dass klassische Musikbei jungen Leuten nicht sonderlich beliebtist und die Popbranche weitgehend alle ju-

gendlichen Ressourcen an sich bindet, hätteman kein Jugend-KulturBarometer durch-führen müssen. Helfen können die Ergeb-nisse jedoch bei der Ursachenforschung,den Gründen und Multiplikatoren, warumeinige wenige Jugendliche sich dennoch fürklassische Musik interessieren und warumso viele eben nicht. Es wurde schon erwähnt,dass es von verschiedenen Seiten Bemühun-gen gibt, junge Leute an klassische Musikheranzuführen. Welche Personen und Insti-tutionen begleiten also junge Leute bei Kul-turaktivitäten?

Zunächst nehmen das Elternhaus unddie Schule eine zentrale Schlüsselfunktionein (siehe Grafik 1). Eine wichtige Rolle spieltzudem allgemein das soziale Umfeld: Freun-de, Nachbarn, Bekannte etc. Überraschendkann man jedoch feststellen, dass es einenhohen Deckungsgrad gibt zwischen Schuleund Elternhaus. 74 Prozent derjenigen, dieschon einmal ein Kulturangebot mit derSchule besuchten, haben dies auch schonmit den Eltern getan. Nimmt man nun alsdritte Komponente die Schulbildung hinzu,

MUSIK�ORUM56

DOKUMENTATION

Bei der Neudefinition der künftigen Aufgabe von Orchestern wirdauch die Jugend im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen müssen,

denn sie ist das Publikum von morgen. Im Jugend-KulturBarometer 2004des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) wurde untersucht, warum diemeisten Jugendlichen sich nicht für klassische Musik interessieren.Aber nicht nur die Ursachen benennt die Studie. Sie zieht auch Schluss-folgerungen und macht Vorschläge, was konkret zu ändern wäre, umeine Verbesserung des Status quo zu erzielen.

Kein Interesse an „ernster“ Musik? – Susanne Keuchel regt mit Ergebnissen aus der

großen Kultur-Umfrage des ZfKf eine Ursachenforschung an

MACHEN KLASSIK WIEDER ATTRAKTIV

NUR ANGEBOTEmehr jugendorientierte„Jugend-KulturBarometer 2004“:

Grafik 1: Bisherige Personen oder Institutionen, die gemeinsam mit jungen Leuten Kulturangebote besuchten.

schließt sich der Kreis. Denn wie auch beider PISA-Studie korreliert die kulturelle Bil-dung der jungen Leute wie die Schulbildungsehr deutlich mit den Bemühungen und derBildung des Elternhauses. Nur 15 Prozentder Hauptschüler bzw. Hauptschulabsolven-ten geben an, schon einmal mit der weiter-führenden Schule mindestens ein Kultur-angebot besucht zu haben. Wobei hier derBesuch eines Kulturangebots breit gefasst

sche Orchestervereinigung hat mit dem„Netzwerk Orchester & Schulen“ und – in Ko-operation mit Jeunesses Musicales Deutsch-land – mit der Initiative „tutti pro“ schon ers-te richtungsweisende Projekte in die Wegegeleitet. Besondere Initiativen von Orches-tern wie den Berlinern Philharmonikern undihrem Education-Programm „Zukunft@BPhil“ unterstützen diese Bemühungen. Er-wähnenswert in diesem Kontext ist auch dieInitiative „Tusch“ (Theater und Schule), dieu. a. vom Berliner Senat gefördert wird, eineKooperation von 22 Berliner Bühnen, da-runter auch Musiktheater, und 33 Schulen.Realisiert wird „Tusch“ mittlerweile auch inHamburg.

Idole der Jugend:Popsänger und Filmstars

Bei den eben beschriebenen Initiativengeht es immer auch um die persönliche Be-gegnung der Künstler mit jungen Leuten.Diese Begegnungen sind wichtig, da sie erst-mals (wieder) in der klassischen Musik Vor-bilder schaffen für junge Leute. Dass diesdringend nötig ist, zeigen die Ergebnisse derJugendumfrage: Als künstlerische Idole oderVorbilder werden mehrheitlich vor allemKünstler aus der Pop- und Filmbranche ge-nannt wie Eminem, Britney Spears, RobbieWilliams etc. Daneben ist jedoch eine wei-tere Künstlergruppe vertreten: Mit an vor-derster Stelle rangieren bildende Künstlerwie Picasso, Dali und van Gogh. Dies spie-gelt das deutlich größere Interesse der jun-gen Leute an bildender Kunst wieder. In ei-

nem siebenjährigen Zeitvergleich haben sichallein die halbjährlichen Besuche von zeitge-nössischen Kunstausstellungen bei den jun-gen Leuten mehr als verdoppelt.1 Gemäßdes Jugend-KulturBarometers besuchten 52Prozent schon mehrfach Museen und Aus-stellungen.

Vielleicht trägt der Fankult, die Faszinati-on eines außergewöhnlichen Künstlerlebens,seinen Teil mit dazu bei, dass die visuellenKünste bei den jungen Leuten populärersind als die klassische und zeitgenössischeMusik. Man kann natürlich argumentieren,dies sei „Effekthascherei“ – die jungen Leutemüssten sich primär für die musikalischenInhalte interessieren und nicht für außerge-wöhnliche Künstlergeschichten. Oftmals kanndies jedoch als Mittel zum Zweck dienenund so indirekt Interesse wecken für musi-kalische Inhalte. Man denke an den FilmAmadeus oder die Begeisterung für klassi-sche Musik in der Fernsehwerbung à la Car-mina Burana, die zu einer Renaissance derAufführung dieses Werks führte.2 Um dieAufmerksamkeit junger Leute wird im Zeit-alter des Mediendschungels von so vielenunterschiedlichen Seiten gebuhlt, dass es oftschon ausreichen kann, wenn man es schafft,ein musikalisches Kunstwerk in den Alltags-medien, nicht in den Kultursendern zu prä-sentieren. Die Qualität spricht dann schonfür sich.

Ein anderes Problem, das die Akzeptanzklassischer und zeitgenössischer Musikhemmt, liegt in der immer noch gepflegtendeutschen Begrifflichkeit von „U-“ und „E-“Musik. Die jungen Leute wollen primär mit

MUSIK�ORUM 57

2625 junge Menschen befragtIm Jugend-KulturBarometer 2004 befragte dasZentrum für Kulturforschung 2625 Personen zwi-schen 14 und 24 Jahren bundesweit zu ihren kultu-rellen Interessen und Einstellungen. Es wurde ge-fördert vom Bundesministerium für Bildung undForschung, von der Kunststiftung NRW, der Stif-tung Niedersachsen und dem Sparkassen-Kultur-fonds des Deutschen Sparkassen- und Giroverban-des.

wurde, beispielsweise auch den Besuch ei-nes Technikmuseums beinhaltete. Bei denGymnasiasten bzw. Abiturienten liegt derAnteil vergleichsweise bei 50 Prozent. Dieschulische Selektion bei der kulturellen Bil-dung beginnt allerdings schon in der Grund-schule: 25 Prozent der Hauptschüler gebenan, früher schon einmal mit ihrer Grund-schule ein Kulturangebot wahrgenommenzu haben, bei den Gymnasiasten haben diesjedoch 46 Prozent getan. Offensichtlich ha-ben sich nicht nur die Hauptschulen, son-dern beispielsweise auch Grundschulen insozialen Brennpunkten von der Vermittlungkultureller Bildung weitgehend verabschie-det.

Professionelle Live-Erlebnissewecken Interesse

Man könnte daraus eine erste kulturpoli-tische Forderung ableiten: Auch die „Verlie-rer“ in unserem Bildungssystem sollten eineChance erhalten, klassische Kulturgüter ken-nen zu lernen, so auch klassische Musik.Was kann Schule für die kulturelle Bildungtun, insbesondere wenn das Elternhaus „ver-sagt“? In der Jugendumfrage konnte allge-mein beobachtet werden, dass die Art, wieder Musikunterricht und/oder der Musik-lehrer beurteilt wurden, nur geringfügig kor-reliert mit dem Kulturinteresse. Eine stärkereBeziehung zeigt sich jedoch, wenn die Schuleauswärtige Kulturbesuche unternimmt. Eineprofessionelle künstlerische Darbietung livezu erleben, kann also eher das Interesse jun-ger Leute wecken. Wichtig ist daher die Öff-nung der Schule in Form von Kooperationenmit lokalen Kultureinrichtungen. Die Deut-

Kulturelle Interessen werden schon im Kindesalter geprägt: Das Jugend-KulturBarometerstellt den wichtigen Stellenwert der Eltern heraus.

Kunst unterhalten werden und in Form desLive-Erlebnisses die Authentizität einesWerks genießen. Der Begriff „Ernste Musik“negiert jedoch das Bedürfnis der jungenLeute nach einem unterhaltenden Kunster-lebnis. Ein „Klassikliebhaber“ pflegt jedoch –neben allem analytischen Vermögen – immerauch ein emotionales Verhältnis zur Musik,sonst wäre er kein „Liebhaber“. Und nachSchiller stellt sich die Ästhetik eines Kunst-werks immer dann ein, wenn der Geist unddie Sinne gleichermaßen beteiligt sind.3 Esgibt also keinen Grund, an dieser Begrifflich-keit festzuhalten, insbesondere da man mitdem Statusbewusstsein des Bildungsbürger-tums die jungen Leute kaum mehr ködernkann. Dies gilt nach Umfragen des Zent-rums für Kulturforschung auch schon für diemittleren Bevölkerungsgruppen. Nur 18Prozent der jungen Leute meinen, dassKunst eine Wertanlage sei und der Kultur-besuch zum guten Stil gehöre. Die vielfälti-gen Lebensstile, mit denen man sich heutevon anderen gesellschaftlichen Gruppen ab-grenzt, sind vielschichtiger als früher, als manden Wert kultureller Bildung auf „eine Fragevon wahr und falsch“4 reduzieren konnte.

Klassik hat keinen Platzim Jugendalltag

Bei all dem darf nicht vergessen werden,dass klassische Musik im Jugendalltag kaummehr präsent ist. In den Umfragen des ZfKfwird immer deutlicher, dass auch bei denmittleren Bevölkerungsgruppen schon dasInteresse an Popularmusik dominiert. Das istinsofern zu bedauern, als das Ju-gend-KulturBarometer sehr deutlichden wichtigen Stellenwert der El-tern herausgestellt hat bei der Prä-gung kultureller Interessen. Eineprovokative Abgrenzung der jun-gen Leute von den Interessen undEinstellungen der Eltern, wie diesfrüher die Regel gewesen ist, kannheute nicht mehr in dieser extre-men Form beobachtet werden.Eher grenzen sich junge Leute mittraditionellen Werten von den ju-gendlichen Bestrebungen vielernicht alt werden wollender Alt-68erab.5 Da aber schon die Elterngene-ration heute vielfach nur noch Rockund Pop hört, wird eine weitereChance vertan, junge Leute mitklassischer Musik in Berührung zubringen.

Speziell die öffentlichen Mediensollte man stärker in die Pflicht neh-men, das Image der klassischen

Musik bei der Jugend zu verbessern. Ein po-sitives Beispiel für mehr Starkult und ein Ein-dringen in den Medienalltag der Jugend istder Film Rhythm is it! Man kann sich überden kurzfristigen Charakter solcher Projektestreiten, aber die Medienwirksamkeit diesesProjekts ist unbestritten. Jugendliche Rand-gruppen lernen die Faszination des Musik-werks Le sacre du printemps durch den en-gen Kontakt mit den Berliner Philharmoni-kern und Sir Simon Rattle kennen, der mitsolchen Aktionen nach und nach selbst zumJugendidol avanciert.

Weniger spektakulär, aber ebenso wich-tig sind Aktionen, die in das soziale Umfeldder jungen Leute wirken. Ein gelungenesBeispiel ist der Opernklub Rheingold e. V.in Düsseldorf. Dieser richtet sich nur an jun-ge Leute und wird in Eigenregie organisiert.Wenn die Mitglieder von Rheingold ein ge-wisses Alter überschreiten, müssen sieRheingold e. V. verlassen und können beiBedarf in den Förderverein der Oper wech-seln. Der Klub erfreut sich reger Beliebtheit,da man einen eigenen Treffpunkt mit Sitz-gelegenheit in der Oper hat, spontan undzudem sehr günstig Karten erhalten kann.Natürlich wird auch außerhalb der Oper eingeselliges Miteinander gepflegt. Eine weite-re Initiative der jeweiligen Kultusministerienund Musikverbände, die in dieselbe Rich-tung zielt, ist die Ausbildung zu „Musikmen-toren“ in Baden-Württemberg und im Saar-land. Junge Leute werden zu Fürsprechernder klassischen Musik, zu Musikmentoren,die versuchen, andere junge Leute für klas-sische Musik zu begeistern und die eigen-

ständig musikalische Aufgaben in Schuleund Musikvereinigungen übernehmen.

Betrachtet man in Grafik 2 die Anteilejunger klassischer Musikinteressierter in ein-zelnen Bundesländern, die über eine ausrei-chend große Fallzahl verfügen,6 könnte nichtzuletzt die eben beschriebene Ausbildungmit dazu beigetragen haben, dass sich diejungen Leute in Baden-Württemberg ten-denziell eher für klassische Musik interessie-ren. Besonders hoch ist zudem speziell derAnteil der klassisch Musikinteressierten (17Prozent) und der einfachen Besucher (19Prozent) in Berlin, was vielleicht ebenfallsauf die vielfältigen bereits skizzierten Aktio-nen dieser Großstadt zurückgeführt werdenkann.

Jugendgerechtes Ambientein Konzerthäusern

Junge Leute, die sich mittelmäßig, wenigbzw. überhaupt nicht für Kultur interessie-ren, wurden gefragt, was man ändern könn-te, damit sie sich mehr für Kultur interessie-ren. An erster Stelle wurde die Senkung vonEintrittspreisen (54 Prozent) gefordert. Zwarkam an späterer Stelle in der Umfrage he-raus, dass eben diese junge Zielgruppe oft-mals gar nicht weiß, wie teuer bzw. günstigdie Karten wirklich sind. In Gesprächenwurde jedoch deutlich, dass die jungen Leu-te, so lange sie den Wert eines solchen An-gebots nicht kennen oder schätzen gelernthaben, ihre oftmals knappen finanziellen Res-sourcen lieber anderweitig ausgeben. Mankann daher dringend anraten, die Eintritts-

MUSIK�ORUM58

DOKUMENTATION

Grafik 2: Interesse der jungen Leute an klassischer Musik und der Besuch entsprechender Konzerte ineinzelnen Bundesländern (mit genügend großer Fallzahl).7

preise für junge Leute besonders günstig zugestalten und dies entsprechend publik zumachen oder besser noch kostenfreie Zu-gänge zu ermöglichen, z. B. über Schulen.Dies ist eine Investition in die Zukunft, diesich viele Wirtschaftsunternehmen selbst-verständlich leisten. Beispiel: die kostenfreieBankkontoführung für junge Leute währendder Ausbildung – mit dem Wissen, dass viele,wenn sie Geld verdienen, das Konto ausGewohnheit behalten.

An zweiter Stelle wurde bei eingangsskizzierter Frage das fehlende jugendgerech-te Ambiente in vielen Kulturhäusern beklagt(37 Prozent). Diese Klage richtet sich vorallem an Theater und Konzerthäuser. Vielegrößere Kunstmuseen und Ausstellungshäu-ser haben hier schon sehr früh reagiert. Mandenke an viele sehr modern eingerichteteMuseumscafés. In hausinternen Museums-shops werden Merchandising-Artikel ange-boten und auch das Rahmenprogrammrichtet sich häufig an junge Leute, so bei-spielsweise, wenn DJs abends in der Kunst-und Ausstellungshalle der BundesrepublikDeutschland auflegen. Solche jugendgerech-ten Angebote fehlen vielfach noch bei Mu-siktheatern und Klassikkonzerten, wenn eshier auch schon positive Gegenbeispiele gibt,wie das neu eingerichtete Szenelokal imBonner Opernhaus.

Oft kann beobachtet werden, dass ältereBesucher Kinder und Jugendliche in Operund Konzert als Störfaktor empfinden. Auchdies kann dazu beitragen, dass junge Leutesich in solchen Häusern nicht wohlfühlen.Die frühe Begegnung mit klassischer Musikund vor allem der Oper ist jedoch beson-ders wichtig. Unter den befragten jungenLeuten, die schon im Kindergartenalter kul-turelle Veranstaltungen besuchten, liegt derAnteil der heute sehr stark bis stark Kultur-interessierten bei 43 Prozent. Bei den jun-gen Leuten, die mit 18 Jahren erstmals eineKulturveranstaltung besuchten, liegt dieserAnteil nur bei 22 Prozent. In diesem Sinnesollte man entweder spezielle Vorstellungenfür Familien etablieren, was vielerorts in denvergangenen Jahren schon geschehen ist, oderaber an das gängige Konzert- und Opern-publikum appellieren, dass es den jungenLeuten, die möglicherweise das Überlebender klassischen Musik und der Oper künftiggarantieren, mehr Verständnis entgegen-bringt.

Sehr wichtig ist zudem der spontane Zu-gang zu Veranstaltungen. Die jungen Leutetendieren immer stärker dazu, sich im Vor-feld nicht zu binden und oftmals erst amselben Abend zu entscheiden, was man un-ternehmen möchte. Günstige Platzkarten er-

fordern jedoch oft ein Zugreifen direkt zuBeginn des Vorverkaufs. Für eine optimierteNachwuchsarbeit sollte man öfter den Muthaben, günstige Karten bis zum Tag der Ver-anstaltung zurückzubehalten. Attraktiv wä-ren z. B. Internetbörsen für Last-Minute-An-gebote oder SMS-Nachrichten an die jungeStammkundschaft kurz vor Veranstaltungs-beginn mit dem Hinweis, dass noch Kartenzu erwerben sind.

Mehr musikalische Praxis fürKinder und Jugendliche

Um junge Leute stärker für klassischeMusik zu interessieren, wäre ein flächende-ckendes Angebot hilfreich, das allen Schul-kindern möglichst schon in der Grundschu-le ermöglicht, ein Musikinstrument zu erler-nen oder an einem guten Gesangsunterrichtteilzunehmen. Die Jugendumfrage zeigt sehrdeutlich, dass unter den jungen Leuten, dieselbst schon einmal in der Freizeit gesungenoder musiziert haben, der Anteil der klas-sisch Musikinteressierten deutlich höher ist,wie dies auch Grafik 3 verdeutlicht.

Im Zuge der verstärkten Bemühungenum Ganztagsschulen und der allgemeinenÖffnung von Schulen tun sich vermehrtChancen auf, zum Beispiel „Musikklassen“zu organisieren, die sich innerhalb ihresKlassenverbands im Rahmen ihrer Schulzeitverpflichten, Musikinstrumente zu erlernenund gemeinsam zu musizieren,8 was aller-dings oftmals einen verstärkten finanziellenEinsatz der Eltern erfordert, die hier jedochallgemein eine sehr offene Haltung einneh-men. Allein 62 Prozent der Eltern halten dasFördern künstlerischer Aktivitäten ihrer Kin-der für sehr wichtig bzw. wichtig.9

MUSIK�ORUM 59

Im Jugend-KulturBarometer finden sichviele Argumente für eine stärkere Förde-rung künstlerischer Aktivitäten bei Kindernund Jugendlichen. Die Studie zeigt vieleWechselwirkungen auf zwischen Kunst,Kultur und gesellschaftlichen wie Bildungs-interessen. Man kann diese Argumente nut-zen, um sich um eine stärkere praktischeMusikausbildung junger Menschen zu be-mühen. Man sollte sich jedoch darüber imKlaren sein, dass dies nur ein wichtigerSchritt von vielen ist für eine erfolgreicheNachwuchsarbeit der klassischen Konzert-häuser und Musiktheater. Ohne eine stärkerjugendorientierte Angebotsgestaltung wer-den die jungen Besucher auch weiterhinfernbleiben.

1 Daten des ZfKf aus dem 2. KulturBarometer (ZfKf/Ifak;1992) und 7. KulturBarometer (ZfKf/GfK; 1999).2 vgl. Susanne Keuchel: Das Auge hört mit, Bonn 2000, S. 9 f.3 vgl. Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehungdes Menschen, Stuttgart (1795) 1965.4 vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik dergesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/Main 1982, S. 518.5 siehe Gerhard Matzig: „Rollenspiele der All-Age-Ge-sellschaft“, in: Süddeutsche Zeitung, 28. Februar 2005, S. 15.6 Für eine Darstellung mussten mindestens etwa 200 Be-fragte pro Bundesland vorliegen. Die Fallzahl speziell inBerlin/Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurde im Vorfeld mit Blick auf eine erweiterteLänderauswertung erhöht und liegt jeweils zwischen 400und 600 Befragten.7 siehe Matzig, a. a. O.8 Im Rahmen der Initiative „Hauptsache: Musik“ des Lan-desmusikrats und des Landes Niedersachsen wurden anniedersächsischen Schulen schon etwa 70 Bläserklasseneingerichtet.9 bundesweite Sonderbefragung des ZfKf von Eltern inZusammenarbeit mit der GfK 2005 für das Jugend-Kultur-Barometer.

Artikel erschien erstmalig in „Das Orchester“ 6/2005,Schott Musik International.

Grafik 3: Beziehungzwischen künstlerischen

Musikaktivitäten inder Freizeit und dem

Interesse anklassischer Musik.

MUSIK�ORUM60

BILDUNG.FORSCHUNG

Die Erfolgsgeschichte der Fort-bildungen des Verbands

deutscher Musikschulen (VdM)verzeichnet ein Novum: Erstmalsstand im Zentrum eines berufsbe-gleitenden Lehrgangs die Unter-richtung in zeitgenössischer Musik.

Doris Froese, Mitglied im VdM-Vorstand,konnte im vergangenen Jahr bereits 15 Mu-sikpädagogen zum Bestehen des ersten Kur-ses „Ensembleleitung Neue Kammermusik“gratulieren. Die Initialzündung für diesesProjekt geht zurück auf den Musikschulkon-gress 1999 in München. Dort stand dieSituation der zeitgenössischen Musik an denMusikschulen im Mittelpunkt einer Podi-umsdiskussion, an der Komponisten, Verle-ger und Musikschulpädagogen teilnahmen.Musikschulen, so der damalige allgemeineTenor, müssten als verantwortliche Träger un-serer Musikkultur Schülern neben Altbe-währtem auch verstärkt den Zugang zu zeit-genössischer Musik öffnen. Eine einseitigeFestlegung auf Tradition, Jazz- und Popmu-sik oder sogar ein „Entweder-Oder“ von tra-dierter und zeitgenössischer Musik entsprä-

che nicht den Erziehungsidealen der Musik-schulen.

Im Rahmen der daraufhin im Jahr 2000vom VdM ins Leben gerufenen Initiative„Neue Kammermusik für Musikschulen“,die Praxiserprobungen zeitgenössischer Kom-positionen umfasst, beklagten Ensemblelei-ter einen Mangel an Weiterbildung zur mu-sikschulspezifischen Methodik und Didaktikder zeitgenössischen Musik. Dieses Interes-se verwundert kaum: Engagierte Pädagogenstehen bei der Vermittlung zeitgenössischerMusik im Ensemble vor einer Vielzahl vonAufgaben, für die sie meistens nicht explizitausgebildet wurden. Setzt die Vermittlungeines zeitgenössischen Werks im Einzelun-terricht schon ein spezialisiertes Wissen desLehrers voraus, so potenzieren sich die An-forderungen für die Einstudierung einer mo-dernen Kammermusik um ein Vielfaches.

Der VdM nahm sich des Problems anund entwarf mit Unterstützung des Bundes-ministeriums für Bildung und Forschungeine Konzeption für einen vierphasigen be-rufsbegleitenden Lehrgang zur „Ensemble-leitung Neue Kammermusik“. Als weiterePartner für diesen Modellversuch wurdendie Bundesakademie für musikalische Jugend-

bildung in Trossingen und die Robert Schu-mann Hochschule Düsseldorf gewonnen.

Unter der Federführung von WolfgangRüdiger (Robert Schumann Hochschule)und Reinhard Gagel (Rheinische Musik-schule Köln) starteten im April 2003 20Pädagogen in die erste Akademiephase. Dievier einwöchigen Akademieeinheiten inTrossingen erstreckten sich über 15 Monatemit jeweils drei dazwischenliegenden Praxis-phasen, in denen die Teilnehmer das Neu-erfahrene mit Schülerensembles daheim er-probten.

Neben den Grundlagen des Ensemble-spiels, elementaren Dirigiertechniken undTipps zur Aufführungspraxis wurden Nota-tionsformen und Spieltechniken anhandausgesuchter Werke breiter Raum gewährt.Aber auch die Hinführung von Schülern anzeitgenössische Musik mittels Improvisatio-nen erfuhr ein großes Interesse. Die Impro-visation wurde als musikalische Basisarbeitentdeckt, um die Klangwelt von Neuer Mu-sik spielerisch zu erfahren.

Gastdozenten wie die Komponisten Ma-thias Spahlinger und Charlotte Seither, Ar-min Köhler (Chef der Redaktion „Neue Mu-sik“ beim Südwestfunk und künstlerischerLeiter der Donaueschinger Musiktage) undMatthias Kaul (Mitglied des Ensembles„L’Art pour L’Art“) bereicherten die Lehr-gangsphasen. Fortgeführt wird der berufsbe-gleitende Lehrgang nach dem Projektendevon der Bundesakademie Trossingen.

Die Rückmeldungen der Pädagogen zei-gen, wie motivierend die Impulse eines sol-chen Lehrgangs für den Unterrichtsalltagsind. Interessierte können sich davon anste-cken lassen, wie spannend und belebendNeue Musik in der Musikschule sein kann.Im Rahmen einer Fachtagung zum Projekt-ende in der Musikhochschule Düsseldorfpräsentierte Doris Froese die VdM-Arbeits-hilfe „Ensembleleitung Neue Kammermu-sik“, die ausgewählte Konzepte der Kursteil-nehmer und der Auswahllisten der beidenPraxiserprobungen vorstellt. Die Werke ausdiesen Erprobungen wurden von insgesamt210 Ensembles an über 100 VdM-Musik-schulen auf ihre für das Umfeld geeignetePraxistauglichkeit überprüft.

U www.musikschulen.de

VdM-Initiative „Neue Kammermusik für Musikschulen“ erfolgreich:

ZUGANG ZU

Erfolg bestätigt: Die musikalischen Beiträge bei der Fachtagung „Neue Kammermusik für Musik-schulen“ stützten die Bedeutung der VdM-Initiative „Ensembleleitung Neue Kammermusik“.

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ERÖFFNETZeitgenössischem

PRÄSENTIERT

In der Rubrik „Präsentiert“ stellt das MUSIKFORUM kurz und bündigInitiativen aller Sparten im deutschen Musikleben vor:

˜ Das Beatles Museum Halle hält mit über 5000 Exponaten die Erinnerungan die berühmteste Popband aller Zeiten wach.

Beatles MuseumHalle

Im April 2000 wurde das neue BeatlesMuseum in Halle (Saale) eröffnet. Es doku-mentiert auf über 350 Quadratmetern aus-führlich das Thema „Beatles bis 1970“ unddie Nach-Beatles-Zeit. Das Museum ist eineprivate Einrichtung, die sich finanziell selbstträgt. Es zählt inzwischen zu einer der vielenSehenswürdigkeiten der Saalestadt. Die Be-sucherzahl hat sich bei knapp über 70 proÖffnungstag eingependelt. Um die jungenBesucher gezielt anzusprechen, werden spe-zielle Veranstaltungen für Familien, Kinder,Schüler und Schulklassen angeboten.

Ausgestellt werden über 5000 Exponate,darunter erste Konzertplakate aus Liver-pool, Fotos und Autogramme aus der Ham-burger Zeit, Schallplatten, Filmplakate undSchaukastenfotos, Souvenirs, Zeitungsbe-

richte und viele Raritäten. Alle Exponate (bisauf wenige Ausnahmen) sind Originale ausder entsprechenden Zeit, oft signiert von denBeatles selbst oder von Personen aus ihremdirekten Umfeld.

Das Museum unterstützt Recherchear-beiten von Journalisten und Studenten. Esbildet zur Zeit drei „Azubis“ aus den Berei-chen Einzelhandelskaufmann und Medien-gestalter aus und stellt Praktikumsplätze fürSchüler zur Verfügung, die einmal miterle-ben möchten, was sich im Beatles Museumtut. Für Fans der „Fab Four“ bringt das Mu-seum die Zeitschrift Things heraus.

Ursprünglich war das Beatles Museumvon dem im Jahr 2000 verstorbenen Mat-thias Bühring gegründet worden, dessenSammeltätigkeit in das Jahr 1964 zurück-reicht. Zwischen 1975 und 1984 wurde dasPhänomen Beatles in zahlreichen Ausstel-lungen in der Bundesrepublik Deutschland,in Österreich, in den Niederlanden und in

Ungarn präsentiert. 1989 folgte die Eröff-nung des nur 60 Quadratmeter großenBeatles Museums in Köln, das bereits imersten Jahr von 5000 Besuchern aus allerWelt genutzt wurde. Das Beatles Museumleistete – bis zu seinem Umzug nach Halle –auch in Hinblick auf die Städtepartnerschaftzwischen Liverpool und Köln einen bedeu-tenden Beitrag.

Geöffnet ist das Museum mittwochs bissonntags (auch feiertags) von 10 bis 20 Uhr(im September nur samstags und sonntags).

Kontakt: Rainer Moers, Beatles Museum,Alter Markt 12, 06 108 Halle (Saale),Fon 03 45 / 290 390 0, Fax 290 390 8,E-mail: [email protected]

U www.beatlesmuseum.net

61MUSIK�ORUM

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MUSIK�ORUM62

REZENSIONEN

Lukas Ligeti, Sohn von GyörgyLigeti, gehört in die Kategorie jungerKomponisten, die mit traditionellenMusiken der Welt ihren Stil zu hof-fen finden, sich aber auch nicht denMöglichkeiten neuster Elektronik ver-schließen. Ligeti, der in Wien Jazz-Schlagzeug und Komposition stu-dierte und heute in New York lebt,hat sich intensiv mit den vielfältigenMusizierpraktiken der unterschied-lichen Regionen Afrikas auseinander-gesetzt. Der Einfluss afrikanischerMusik scheint in Ligetis Werk überalldurch, nicht zuletzt durch die Domi-nanz perkussiver Elemente. SeineKompositionen kreisen um das Ge-heimnis repetitiver Muster und ihrerMöglichkeiten und erinnern dabeientfernt an Kevin Volans oder SteveReich.

Das Eröffnungsstück Pattern Trans-formation von 1988 basiert auf derPerkussionsmusik der Baganda imheutigen Uganda, wo rasante Patternineinandergreifen, dabei sich lau-fend verändern, um ein schillernd-komplexes Gebilde von Marimba-klängen zu ergeben. Dieser Ansatzwird in Independence vertieft. In die-ser Komposition, meisterhaft vonder ungarischen Amadinda Percus-sion Group präsentiert, schenkt Li-geti der Feinabstimmung disparaterKlangmuster größere Aufmerksam-keit, die sich wie von Zauberhand zueiner verblüffenden Einheit verbin-den. Stärker melodisch geprägt istdas Stück Moving Houses, das Ligeti1996 für das Kronos Quartetschrieb. Hier, wie in den anderenStücken auch, ist das Ganze immermehr als die Summe seiner Teile.Darin liegt die Magie der MysterySystems.

Christoph Wagner

Lukas Ligeti

Mystery System: Pattern Transformation/ Moving Houses / Independence / NewYork to Neptune / Delta Space

Amadinda Percussion Group, Ethel, Pro-cédé Rodesco-LetortTzadik TZ 7099.

Landauf, landab erfreut Deutsch-lands Konzertsäle zum Jahreswech-sel ein guter alter Brauch: die Auf-führung von Beethovens Neunter,die wahrscheinlich irgendwann denBeinamen Silvester- oder Neujahrs-sinfonie tragen wird. Zum Eintritt insneue Jahrtausend hatte Ingo Metz-macher jedoch anderes im Sinn. InAnlehnung an die Wiener Neujahrs-konzerte gedachte er einen „buntenStrauß aus kurzen Stücken“ zu spie-len, den der einstige Pianist und Di-rigent des Ensemble Modern jedochnicht mit Strauß und Lanner bestü-cken wollte, sondern mit Musik des20. Jahrhunderts. Die Angst des bür-gerlichen Konzertsaals vor neuenTönen und ungemütlichen Dissonan-zen entpuppte sich schnell als unbe-gründet, denn Metzmacher tischtenatürlich keinen Schönberg oderStockhausen auf, sondern Stücke in„blendender Stimmung“, die in punk-to Spaßfaktor die Erzeugnisse derWiener Walzerkönige oft noch über-trafen, zumal das PhilharmonischeStaatsorchester Hamburg sich mäch-tig ins Zeug legte. So wurde aus dem„Millennium-Konzert“ zu Silvester1999 ein Publikumsrenner, der all-jährlich als Live-Mitschnitt auf CDerschien. Nun finden sich alle bishe-rigen fünf Produktionen, erweitertdurch eine Bonus-CD mit einem kur-zen Interview und einigen Kostpro-ben von Metzmachers charmantenAnmoderationen, in vorliegenderSammelbox vereint – nicht nur sym-pathisches Dokument einer Silves-ter-Tradition der etwas anderen Artmit 60 Werken von nicht wenigerals 51 Komponisten, sondern auchReverenz an ihren charismatischenErfinder.

Wer allerdings glaubt, diese süffi-ge Melange aus U- und E-Musik hät-te außer kurzweiligen Orchesterpe-titessen nichts zu bieten, sieht sichangenehm getäuscht, denn Metzma-

cher wäre nicht Metzmacher, hätteer sein vergnügliches Unterhaltungs-potpourri nicht mit lyrischen Atem-pausen und kleinen Widerhakenversehen. So taucht zwischen all denleichtfüßigen bis schmissigen Polkas,Märschen, Walzern, Säbeltänzen undGalopps von Prokofjew, Schostako-witsch, Khatschaturjan und Kaba-lewski, den rhythmisch zündendenHommagen an Jazz und lateinameri-kanische Musik eines Antheil, Mar-tin °u, Gershwin, Schuller, Lieber-mann, HK Gruber, Ginastera undRevueltas auch gänzlich Unerwarte-tes, ja Verstörendes auf: z. B. BerndAlois Zimmermanns Stille und Um-kehr oder Dieter Schnebels zer-brechliches Mahler-Moment. Aberauch Lutos ⁄lawskis Interlude mit sei-nen fluoreszierenden Streicherfar-ben, Takemitsus schwindsüchtiges„Green“ aus November Steps, PärtsFratres und Cantus in memory of Ben-jamin Britten oder Klassiker der frü-hen Moderne wie Ives’ Central Parkin the Dark und The UnansweredQuestion brechen den unbeschwer-ten Divertimento-Charakter dieser„Tanz-Veranstaltung“ immer wiederauf. Und dass man den abgründigenMilitär-Musik-Reflektionen von Hei-ner Goebbels Notiz einer Fanfare(2003) genausowenig Intentionengemütlicher Konzert-Unterhaltungzuschreiben kann wie AlexanderMossolows unfassliche und mit ge-waltiger Orchesterwucht vorwärts-stampfende Maschinenmusik DieEisengießerei (1928) steht wohl au-ßer Frage.

Manchmal, wenn auch seltenhier, muss man eben doch Angsthaben vor dieser Musik – Gott seiDank!

Dirk Wieschollek

Who’s afraid of 20th century music?

Werke diverser KomponistenPhilharmonisches Staatsorchester Hamburg, Ltg. Ingo Metzmacher.Sony Music SXP 130098, 6 CDs.

TONTRÄGER

sinfonisches stilmix

Im Werk von John Coltranenimmt das Album Ascension eineSchlüsselstellung ein. Es markiert denÜbergang Coltranes vom modalenJazz zum frei improvisierten Spiel.Auf Einladung des Saxofonisten tra-fen sich am 28. Juni 1965 zehnMusiker im Studio und spielten eineKollektivimprovisation ein, die nurauf einer Grundmelodie beruhte undsich entlang den spärlich gestalteri-schen Vorgaben des Bandleaders be-wegte.

Das Rova Saxophone Quartetaus San Fransisco hat nun das Werkrekonstruiert und es mit einer erwei-terten Besetzung vor zwei Jahrenwieder aufgeführt. Gleichfalls wurdees in Electric Ascension umbenannt,um deutlich zu machen, dass es hierum keine historisierende Nachemp-findung geht, sondern um die Neu-interpretation des Stücks. Im En-sembleklang des „Orkestrova“ nimmtdie Elektronik einen hohen Stellen-wert ein. So kommen nicht nur elekt-rische Instrumente wie E-Gitarreund Bassgitarre zum Zuge, sondernauch aktuelle Soundquellen wieDrum-Maschinen, Sampler und Turn-tables. Sie tauchen das akustischeInstrumentarium von Saxofonen undViolinen in ein digitales Klangbad.Die mehr als einstündige Interpreta-tion bewegt sich in Wellen, schau-kelt sich gelegentlich zu ekstatischenVerdichtungen hoch, um dann wie-der in ruhigere Passagen abzuebben.Dazwischen haben diverse Solistendas Sagen, wobei besonders NelsCline mit schneidenden Gitarrenläu-fen und Larry Ochs mit röhrendemTenorsaxofonton brillieren. Der For-mation gelingt es, die Spannung überdie ganze Länge der Aufführung zuhalten.

Christoph Wagner

Rova/Orkestrova

Electric Ascension

Atavistic ALP159CD.

jazz

63MUSIK�ORUM

BUCH

Wechselbeziehungen zwischenunterschiedlichen Musikkulturen unddie Migration von Musikern sind kei-ne neuen Phänomene, doch warenihrer Erforschung bis zur politischenWende 1989 buchstäblich Grenzengesetzt. Nicht zuletzt auch deshalb,weil zur Zeit des Kalten Kriegs diemeisten Archive in den ehemaligensozialistischen Ländern für die west-lichen Musikforscher nicht zugäng-lich waren.

So konnten aufgrund der neuenQuellenlage erst bei der Tagung derKommission für Lied- und Tanzmu-sikforschung, die im September2000 im Oldenburger Bundesinsti-tut für Kultur und Geschichte derDeutschen im östlichen Europa statt-gefunden hat, die ersten Teilergeb-nisse der vielfältigen musikalischenMigrationsprozesse zwischen derdeutschen Musikkultur und derMusik der ostmitteleuropäischenNachbarländern präsentiert werden.Sie brachten eine bemerkenswerteFülle neuer Erkenntnisse, die in demvorliegen Band publiziert werden.

Die einzelnen Beiträge legen dievielfältigen politischen, sozialen undökonomischen Gründe für die Mig-ration dar und dokumentieren dieverschiedenen Formen der Migra-tion von Musikern, Musikinstrumen-ten, Repertoire, kompositorischenIdeen und infrastrukturellen Rah-menbedingungen (Opernhäuser,Lehreinrichtungen). So wurde bei-spielsweise das Musikverlagswesenin Russland von deutschen Spezialis-ten aufgebaut; der Mangel an Dru-ckereien im Baltikum führte zur Ver-wendung lutherischer Choralbücher;das Repräsentationsbedürfnis andeutschen und russischen Höfen zogböhmische und italienische Musikeran; die Aufnahme des slawischenLiedguts in Lieder der deutschenJugendbewegung bot die Möglich-keiten indirekten Widerstandes etc.

Die aufwändig und liebevoll aus-gestattete Publikation mit Beiträgenvon Teilnehmern aus West- undOstmitteleuropa (Polen, Lettland,Estland, Russland, Slowenien, Un-garn) enthält u. a. Artikel über dennoch unbearbeiteten Sammelbestanddes russischen Germanisten VictorSchirmunski in St. Petersburg sowieMoische Beregovskis Wachswalzenmit jüdischer Musik in Kiev. Insbe-sondere dem letzten Thema, dem inder bisherigen Forschung weitge-hend durch zahlreiche Unsicherhei-ten gekennzeichneten Umgang mitden jüdischen Volksmusikern bzw.„Musikanten“, wurde in diesem Bandbreiter Raum gewidmet.

Als Fazit bleibt festzuhalten, dassdie osteuropäische Musikkultur völ-liges Neuland darstellt und noch vie-le spannende Entdeckungen bereit-hält. Ferner muss der bislang vor-herrschende Eindruck, der Kultur-austausch habe sich vorwiegend imSinne einer Einbahnstraße von Westnach Ost vollzogen, revidiert wer-den: Eine Detailanalyse der komple-xen musikkulturellen Verflechtun-gen belegt den Transfer in beideRichtungen. Das heißt: Nicht nur dieMusikgeschichte Ostmitteleuropasmuss neu geschrieben werden, auchder „musikalische Westen“ soll sichseiner „östlichen“ Anteile besinnen.Aus diesem Grund dürfte das mit zahl-reichen Notenbeispielen, seltenemgrafischen Material und einem Ver-zeichnis deutscher Musiker in SanktPetersburg und Moskau verseheneBuch nicht nur für Musikwissen-schaftler und Musikethnologen, son-dern auch für Musikpädagogen, Ge-schichtslehrer und nicht zuletzt für„Musikpraktiker“ von Interesse sein,zumal aus der Lektüre Anregungenfür Kooperationsprojekte mit denneuen EU-Ländern geschöpft wer-den können.

Alenka Barber-Kersovan

Musik und Migration in Ostmitteleuropa

Heike Müns (Hg.), R. Oldenbourg Verlag, München 2005;Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichenEuropa, Band 23, 426 Seiten., 40 Abb., 39,80 Euro.

Ohne theatralische Momentekann sich Dieter Schnebel sein Kom-ponieren nicht denken. Das Energie-zentrum aller Theatralik wiederumist für Schnebel die Sprache. Sie um-hegt er, indem er sie akribisch undleidenschaftlich bisweilen bis zur Un-kenntlichkeit zerschreddert oderSprachebenen überlagert. Die seman-tische Mechanik bloßzulegen, umdaraus kompositorische Funken zuschlagen, ist stets Schnebels Ziel. Da-rüber geraten seine Kompositionenseit je in ekstatische Zustände dereinen oder anderen Art.

Mit Glossolalie (1959 bis 1961)begann Schnebel eine Reihe großangelegter Kompositionen, die insOffene, ins Ekstatische ausbrechen.Jene Ideen, die Schnebel hier erst-mals konzentriert formulierte, kul-minieren in Ekstasis, einem monu-mental angelegten musikalischenKatalog musik-sprachlicher Eksta-sen. Schnebel beschreibt das Werkals „ein Stück philosophischer Mu-sik“, als einen musikphilosophischenTraktat. Entstanden in den Jahren1995/97 und 2001/02 als Auftrags-werk des WDR Köln und der musicaviva des Bayerischen Rundfunks,kam die vollständige Fassung desvorläufigen Opus Magnum Schne-bels am 22. Juni 2002 im MünchnerHerkulessaal zu seiner Urauffüh-rung. Ausführende waren Chor undSymphonieorchester des Bayeri-schen Rundfunks, Isolde Siebert (Sop-ran), Isao Nakamura (Schlagzeug),Michael Hirsch (Sprecher) sowieKindersolisten. Die Leitung hatte Lo-thar Zagrosek. Der Komponist zeig-te sich nach der Uraufführung eben-so dankbar wie fasziniert. Weshalb,das erschließt sich eindrücklich aufder vorliegenden DVD. Mit ihr star-ten das Label Wergo und die NeueZeitschrift für Musik, ausgehend vonder Konzertreihe musica viva des

Dieter Schnebel: Ekstasis

Film von Peider A. DefillaBR-alpha-Sendung: 16 Min. / Konzertfilm – Musikfassung: 55 Min. / KommentierteFassung: 104 Min. / DVD-DatenteilWergo NZ 51.

DVD

Bayerischen Rundfunks und der be-gleitenden BR-alpha-TV-Sendereihe,die Edition „Forum der Gegenwarts-musik“, die von Peider A. Defillabetreut wird. So sind auf der DVDsowohl Defillas BR-Sendung zu se-hen, wie ein eigens am Tag der Ur-aufführung von Max Nyffeler mitSchnebel geführtes Interview überdie Beweggründe und Ideen, die sichin der Struktur von Ekstasis wieder-spiegeln.

Die Intention Defillas, die DVDsolle den Konzertsaal auf keinen Fallersetzen, sondern ergänzen, erfülltsich bei dieser Produktion quasi vonselbst. Kein Wiedergabesystem kanndie Abmessungen dieser Klang-Raum-Konzeption abbilden. Anhand vonSchnebels Erläuterungen begreift derZuschauer, dass sich die Faszinationfür ekstatische Phänomene nicht nurdurch sein gesamtes Œuvre zieht,sondern dass es hier explizit formu-liert ist. Klar wird, dass moderneMetropolen für Schnebel Ekstasenbaulicher Art darstellen. So gibt essechs so genannte Metropolis-Teile,die quasi leitmotivisch die Komposi-tion verklammern. Dazwischen wer-den ekstatische Zustände von Men-schen wie Beschwörung oder Trancemusikalisch beschrieben oder Aktio-nen, sowohl aggressiven wie kom-munikativen Charakters. Stets wirddeutlich, dass diese durchrhythmi-sierten Klanglandschaften sprachge-boren sind. Und Schnebel bleibt sichauch hier in seiner Abneigung, Bot-schaften zu überbringen, treu: „Wennetwas allzu geradlinig wird, muss ichdem etwas entgegen setzen.“ So istEkstasis ein kompliziert und kom-plex variiertes Klangsystem, eineNeuformulierung des Ritualbegriffs.Wer den Kosmos von SchnebelsMusik erfahren will, sollte zu dieserDVD greifen.

Annette Eckerle

MUSIK�ORUM64

ECHO

Franz Müntefering hat uns allen erklärt,warum der Aufschwung nicht kommt:Schuld haben ausländische Finanzjongleure,die Märkte und Marken wie Heuschreckenüberfallen und abgrasen. Wie Münteferingkennt auch die deutsche Musikkritik solcheschlichten Deutungsmuster seit Jahren, auchsie bellt und möchte so gerne beißen. DasErklärungsmuster ist uralt, leider falsch aberdennoch nicht tot zu kriegen: Die böse, böseMusikindustrie ist an allem schuld, die besteMusik ist unkommerziell. Authentisch ist es,wenn sich der Musikkritiker allein mit „sei-nen“ Künstlern im abgedunkelten Raum er-lebt.

Martin Büsser lebt in einer anderen Zeit,an einem anderen Ort. In seinem zwanzigs-ten Jahrhundert ist die Welt noch in Ord-nung. Denn wenn es irgendwo im Musik-markt krankt, dann erhebt sich der Kritikervon seinem pseudolinken Stammtisch, putztsich mit ernster Miene seine Brillengläser,um dann im nächsten Moment als Volkstri-bun eine flammende Rede wie einst Leninauf der Obstkiste zu halten. Die dabei ge-setzten Standards wiederholen sich stereo-typ. Die Fehler einer Branche werden dabeiwie folgt buchstabiert: Die guten musikali-schen Trends der Basis werden stets vonden Vermarktern vergewaltigt und danndem Mainstream als billige Kopie zum Fraßvorgeworfen; der Mainstream ist ein Grund-übel, dessen Verursacher ist wiederum die„Industrie“, die nur schlimmstes Mittelmaßallerorten produziert, während wahre Musi-ker doch stets nur Klasse anbieten; die gu-ten, guten „Independents“ retten unerschro-cken die Welt, an ihrer Seite die Musikkritik,die als strenge Geschmackspolizei Klängeund Klangerzeuger nach „gut“ und „böse“sortiert und die Weltenrettung derart beglei-tet.

Wenn Vadder Abraham mit „Techno-Schlümpfen“ auf den Markt kommt, wennder hundertausendste Elvis-Imitator den„Pelvis“-Hüftschwung beim Straßenfest inWanne-Eickel simuliert, wenn PunkrockerBierbäuche bekommen und dennoch eineneue „Comeback-CD“ veröffentlichen (manbetrachte mal die Innenseiten des Bookletsvon Billy Idols neuem Album!), dann habenwieder mal die Agenten der Majors die Sze-ne unterwandert. Ist die Wirklichkeit dennwirklich so schlicht?

Nein, Musiker kommen von ganz alleinin die grauen Jahre und müssen bzw. wollen

˜ Replik˜ Replik

In seinem Beitrag „Die Zukunftder Popmusik“ (MUSIKFORUM 2/2005) kritisierte Martin Büsser dieHaltung der Tonträgerindustrie,die den „Impuls von der Straße“,die progressiven Entwicklungen inden Nischen negiere und sich nurnoch dem belanglosen Mainstreamzuwende.

In Erwiderung dieses Artikels ortetMusikjournalist Jürgen Stark dieProblemzonen bundesdeutscherMusikproduktion an ganz anderenStellen.

Kritik an der Kritik: Stark contra Büsser

HEUSCHRECKEN IM HIRNauch dann noch ganz einfach Geld fürStrom und Miete verdienen. Deshalb bietenauch alternde Stars ihre künstlerischen Dienst-leistungen an – und verlieren irgendwannihre rebellische Substanz, die bei vielenschon vorher in pubertierender Blüte nichtsanderes als Pose war.

In den zwanziger Jahren, als wir kulturell-humanistisch noch nicht vom Rest der Weltabgeschnitten waren, wurden bereits dieComedian Harmonists „gecastet“; wer Mu-sikerkarriere machen wollte, der mussteu. a. auch schauspielern können. In diesenfrühen Jahren des vergangenen Jahrhun-derts entwickelte sich von Europa bis Ame-rika eine Form musikalischer Bühnenpräsen-tation, die wir schon lange Entertainmentnennen. An der Klasse des Auftritts erken-nen wir die Könner – und das ist auch gutso. Wer was kann, der kann auch einfachenDingen einen künstlerischen Ausdruck ver-leihen. Das Märchen vom genialen Dilletan-ten klingt in Wahrheit auch so, nämlichscheußlich.

Die Authentizitätsfalle

Viele erlernten ihr professionelles Hand-werk übrigens an Kunsthochschulen, wieDavid Bowie oder der Punk-Kreateur Mal-colm McLaren – „The Great Rock'n'RollSwindle"! Büsser & Co. verirren sich immerwieder in der Authentizitätsfalle, vor lauterGitterstäben erkennen sie den selbstgebau-ten Knast gar nicht mehr, in welchem sie sit-zen und grübeln. Musiker sind hoffentlichKünstler und keine Politiker. Wer mal diepolitischen Statements vergangener Jahr-zehnte aus der bundesrepublikanischen Rock-und Popszene auf ihren Gehalt untersucht,der wird nicht selten gruseligste Naivität an-treffen, Sprücheklopferei und wenig ernst-zunehmenden Diskurs. Lindenbergs „BunteRepublik Deutschland“ ist wie Grönemey-ers Forderung „Kinder an die Macht“ eherauch nur Politfolklore, mehr nicht.

Büsser attestiert der Musikindustrie eineAbkoppelung von einer einst „innigen Be-ziehung“ zwischen Avantgarde und Main-stream. Dabei wird verkannt, dass die Ge-staltung der Szenen und Ausdrucksformenniemals total manipulierbar war. Es ist wieder Lebenslauf von Joschka Fischer: irgend-wann ist Schluss mit Randale, und dann wirdman eben Außenminister. Aus Punks wur-den Stern-Redakteure wie Hollow Skai,

auch Tim Renner bekennt sich zu den neu-deutschen Umtrieben der frühen Achtziger– und wurde Konzernchef bei Universal. Inder Tat haben Trends ihre Strahlkraft verlo-ren, wurde Popmusik dank Vermarktungextrem ausdifferenziert und durch konven-tionelle Praxis normalisiert. Büssers Theseaber, dass „Grunge“ als einer der letzten ech-ten Trends am Schreibtisch eines A&R-Ma-nagers entstanden sei, ist grotesk. Nirvanaund Kurt Cobain hatten wirklich nichts, wasan Retorte erinnerte. Der Hauptvorwurf andie Adresse der etablierten Musikproduzen-ten lässt das Argumentationsgebäude vonBüsser schließlich zusammenkrachen: In-dustrie macht Mainstream und deshalb totalbeschissenen Rundfunk (und ebensolches„Wetten-dass-Fernsehen“). Wenn das sowäre, gäbe es keine Quotendiskussion. Wennman junge Künstler bei den TV-Machernernst genommen hätte, wäre nicht VIVAvon Major Labels in Notwehr als eigenerMusikkanal auf Sendung geschickt worden.Achtung, aufgepasst: Wir leben in einerMarktwirtschaft, jeder trägt seine Professionoder seine Waren zu Markt, um möglichsthohe Preise damit zu erzielen. Was auch fürJournalisten gilt. Es gibt nur große und klei-ne Plattenfirmen, die von ganz unterschied-lichen Menschen gemacht werden. Ex-EMI-Chef Heinz Canibol ist heute auch mitseiner Kleinfirma 105 Music erfolgreich, weiler u. a. viel von Musik versteht und mit sei-nen Künstlern gut und vertrauensvoll um-geht. Annett Louisan dankte ihm dieses beiihrer ECHO-Rede.

Jeder Blick in ein Rock- und Poplexikonzeigt, dass die kritisierten Label zu allen Zei-ten Bereiche mit progressiver, elektroni-scher, harter, unruhestiftender Musik ebensobedienten, wenn auch in eigens dafür ge-

MUSIK�ORUM 65

Unverschämt

Die Darstellung eines Tracht tragendenTrommlers unter der Überschrift „ZwischenSpielmannszug und Hausmusik am PC“ kannsich ja nur um den misslungenen Versuchhandeln, das Thema ironisch aufzumachen– typisch für die Vielzahl hochqualifizierterEnsembles in diesem Bereich ist sie sichernicht.

Das Motiv zieht sich durch das gesamteHeft – bei der ersten Darstellung auf einerInnenseite verbunden mit der Aussage „VomMusikmachen kriegt man einen schönenDurst!“. Unverschämt und geschmacklosnenne ich diesen Versuch, damit das Enga-gement von mehr als 1,3 Mio. Menschen inunserem Verband zusammenzufassen!

Leider verfestigt sich der erste Eindruckauch beim Lesen der „Fachbeiträge“. Rechtoberflächlich stellen sie im WesentlichenStatistikdaten und die Aktivitäten der Chor-verbände dar. Was die Mitglieder unsererOrchester angeht, so konzentriert sich dieBerichterstattung weiterhin auf den paus-bäckigen Tubisten und erhellende Sätze wie„Ich spiele im Orchester, weil das Fernseh-programm so schlecht ist“.

Neben der Tatsache, dass von der Inno-vationskraft, der Dynamik, der Vielseitigkeitin Repertoire und musikalischer Auffüh-rungsqualität in unseren Mitgliedsorchesternan keiner Stelle zu lesen ist, vermisse ich dieim Vorwort angerissene politische Dimen-sion des Themas: Wo sind die konkreten For-derungen des Deutschen Musikrats? Wa-rum berichtet die Redaktion in Abwesenheitsolcher Forderungen nicht über die „Stutt-garter Thesen“ der Bundesvereinigung? Dieim Vorwort erkannte Diskrepanz zwischenSonntagsreden und Montagshandeln scheintsich ideal auf das Engagement anwenden zulassen, mit dem der Deutsche Musikrat dieInteressen in den erstaunlicherweise immernoch so genannten „Laienmusikverbänden“vertritt. Freundlichen Ankündigungen undDiskussionen foIgen Taten, die mehr scha-den als nützen. Die Berichterstattung der Bild-Zeitung über die Veranstaltung in Markt-oberdorf zeigt mehr Sensibilität im Umgang

mit diesem Thema als das aktuelle Heft desMUSIKFORUM.

Es bleibt zu hoffen, dass politische Ent-scheidungsträger nicht zu den Lesern desMUSIKFORUM gehören oder zumindestbesser über uns Bescheid wissen als derDeutsche Musikrat – großer Schaden wäresonst kaum zu vermeiden.

Geradezu nebensächlich mutet in die-sem Kontext meine ergänzende Anregungan, statt einer Veranstaltung wie dem Chor-wettbewerb doch eher beispielhaft die mu-sikalische und organisatorische Innovations-kraft zahlreicher Orchester darzustellen, wiesie bereits seit Jahren von uns mit dem „In-novationspreis Ehrenamt“ ausgezeichnet wer-den. Neben dem „großen Durst“ entstehenbei diesem Engagement offenbar stärkeredynamische Prozesse als in der Redaktion,die für das aktuelle MUSIKFORUM verant-wortlich zeichnet.

Stefan LiebingGeneralsekretär der Bundesvereinigung

deutscher Musikverbände

Neuer Wind

Vielen Dank für das MUSIKFORUMzum Thema „Laienmusizieren“. Ich gratulie-re zur lebendigen, frischen Art im Inhalt wieim Kleid, zur Auswahl der Themen und wiediese kreativ angepackt und kompetent aus-gebreitet werden. Neuer Wind, wie er unse-rem Musikrat gut tut, ihm bestens ansteht,wie er sich vielseitig und konstruktiv insGespräch zu bringen weiß.

So weitermachen, nicht nachlassen, meint

Eckart RohlfsGeneralsekretär der European Union of

Music Competitions for Youth

˜ Leserbriefe˜ Leserbriefe

Das Schwerpunktthema des letzten MUSIKFORUM – „Hobby: Musik! –Laienmusizieren in Deutschland“ – hat ein gegensätzliches Echo gefunden.

Senden Sie Ihren Leserbrief an:Redaktion MUSIKFORUM,Oranienburger Straße 67/68, 10117 Berlin.Oder per E-Mail an: [email protected]

Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.

schaffenen Departments, gleich neben derVolksmusik. Natürlich entsteht das Produktfür Massen immer zuerst in den Nischen,welche sich heute – soziologisch gesehen –teilweise zu sektenähnlichen Gruppierun-gen entwickelt haben. Der Dogmatismusgewisser Fankulturen ist dabei oft eher un-demokratisch, intolerant und vor allemauch: unkünstlerisch!

Daher irrt Büsser mit seiner Definition dermusikalischen Welt vor allem auch im Kern.Was Künstler brauchen, ist Freiraum, Experi-mentierfläche, Zeit und gute Gelegenheiten.Was die oft eher einfältigen statt bösen Mu-sikfirmen dabei unterlassen, ist etwas ganzanderes. Künstler brauchen Beratung undein Umfeld, wie es ein Tony Visconti fürDavid Bowie schuf, oder das kreative Netz-werk der Beatles (von Astrid Kirchherr bisGeorge Martin) oder die Warhol’sche Facto-ry für Nico und Velvet Underground. Dasist das eigentliche Defizit. Der gewöhnlicheA&R-Manager der Plattenfirmen hat einekaufmännische Lehre absolviert – wie soll deretwas von Image- und Design-Fragen verste-hen? Deshalb wird einer singenden Nonnein den Charts ein Nonnenauflauf aller Labelhinterher geschickt, aus reiner Verzweiflung,simplem Kalkül und weit verbreiteter tiefs-ter Unkenntnis, was den langfristigen Auf-bau großartiger Künstler betrifft.

Unwürdige Pop-Infrastruktur

Die Deutschen brauchen Stars, die unsgut unterhalten, jeden nach seiner Fasson.Und auch ein Anti-Star ist ein Star. Das Geldder Labels wird für Investitionen in künstle-rische Projekte weiterhin gebraucht. Die Kri-tik der Beobachter sollte sich daher lieber derblamablen und unwürdigen Popinfrastrukturdes Landes zuwenden: den grandios schlech-ten Arbeitsbedingungen für junge Künstler(sowohl finanziell als auch insgesamt pers-pektivisch), der geringen Anzahl an Ausbil-dungsangeboten für populäre Musiker, demMangel an gelebter Musikkultur in Familie,Schule und zunehmend auch im Freizeitsek-tor, der oberflächlichen und vom Boulevard-Bazillus total verseuchten Medienlandschaft,dem oft zu akademisch-blasierten Musikjour-nalismus, der noch immer nicht an das Levelangelsächsischer Berichterstattung heran-reicht.

Jürgen Stark

Jürgen Stark gibt gemeinsam mit Dieter Gorny das Jahr-buch „Popkultur“ heraus, ist Mitglied im FachausschussPopularmusik beim Deutschen Musikrat, Projektleiter derSchoolTour im Auftrag der Deutschen Phono-Akademieund beim John Lennon Talent Award zuständig für Pro-jektentwicklung.

MUSIK�ORUM66

Das nächste MUSIKFORUMerscheint am 15. Oktober 2005

Die Zeit…in der ältere Menschen den Lebensabendzurückgezogen hinter den weißen Tages-gardinen ihrer Zweiraumwohnung friste-ten, ist vorbei. Galten Menschen bislangspätestens ab dem Renteralter als „out“ undabschiebefähig, so ist das dritte Lebensalterinzwischen geradezu „in“: Die Werbungentdeckt die Alten als aktive, erlebnisfreudigeMitbürger und Konsumenten. Der Buch-handel bestückt ganze Regale mit Ratgebernfür den vital erlebten Seniorenalltag. Selbstdie Bild-Zeitung, die in ihrer Serie „HappyFormel“ den „sicheren Weg ins Glück“ weist,lässt eine porträtierte Rentnerin das dritteLebensalter souverän zusammenfassen: „Ichbin gelassen und heiter. Das ist das wirklicheGeschenk des Alters.“ Schon handelt einehalbe Generation, deren Haare zwar dünner,deren Lebensgeister aber umso wacher ge-worden sind, nach dem Prinzip: Lieber einaktiver Alter als ein seniler Senior!

Posen, in denen sich Frauen und Männerablichten ließen. Ebenso forsch gehen viele„Silver Surfer“ mittlerweile mit dem Internetum, das – längst keine Domäne mehr nurfür die Jungen – mit unzähligen Portalen,Foren und Chats die neue, aktive Lebens-welt von Senioren einfängt.

Die Musik…bleibt da nicht außen vor. Schließlich sindes die 40- bis 60-Jährigen, die den Umsatz-einbruch der Fonoindustrie erheblich abmil-dern, in dem sie – in schwärmender Erinne-rung – das recycelte und verstärkt ins Sorti-ment aufgenommene Tonträgermaterial ausden 60ern und 70ern nach Hause tragenund auch für neue Klänge aller Genresaufgeschlossen sind.

Die Linien des Alters sind die Spurendes Lebens – warum nicht auch die musi-kalischen? Dass sich ältere Menschen mitdem Eintritt ins Rentenalter schon langenicht mehr vom öffentlichen und sozialenLeben lösen wollen, beweisen z. B. dieProjekte, die in diesem Heft beschriebenwurden: Da finden Senioren, die frühereinmal ein Instrument spielten, zurück zurMusik, da wird in Gruppen über Kompo-nisten und Werke diskutiert, da bildet mansich weiter in Notenkursen und Kammer-musikkreisen, da wird selbst noch im fort-geschrittenen Alter musiziert, gesungenund manchmal sogar gerockt.

Musik kennt eben kein Alter.

Die Kreativität…steht im Fokus der kommenden MUSIK-FORUM-Ausgabe. Wir klären, wie sich derBegriff historisch entwickelt hat, stellen neueVermittlungsformen im Hinblick auf dieästhetische Ebene der Kreativität vor undgehen der Frage nach, ob man Kreativitäterlernen kann. Zudem können Sie lesen,wie sich der Deutsche Musikrat in Zukunftzu diesem in unserer Gesellschaft immerwichtiger werdenden Begriff positioniert.

Dieses und vieles mehr…Kristin Bäßler

Die Kunst…widmet sich ebenfalls mit erhöhter Aufmerk-samkeit dem Thema des Älter- und Weiser-werdens. „Wie leben die Alten?“, fragteeine vor kurzem zu Ende gegangene Foto-Ausstellung im Hamburger Museum fürKunst und Gewerbe – und räumte gründ-lich mit den ambivalenten Klischees von„vereinsamten Alten“ und „dynamischenBest Agern“ auf. Zu sehen waren tausendArbeiten junger Fotokünstler zu den Erfah-rungswelten älterer Menschen. Dass dasAlter kein Versteckspiel mehr ist, bewiesendie selbstbewussten, teilweise offenherzigen

MUSIK�ORUMDAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN MUSIKRATS

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ISSN 0935–2562

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