Massenentlassungen – Rechtsvergleichende Analyse der Bedingungen in Europa und den USA

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STICHWORT Zusammenfassung: Internationale Konzerne sprechen Massenentlassungen vorzugsweise in Ländern aus, in denen das Kündigungsrecht für sie am vorteilhaftesten ist und ihnen die we- nigsten Pflichten auferlegt. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll eine rechtsvergleichende Analyse für die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien durchgeführt werden, um die Rechtssysteme der Länder bezüglich des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen miteinan- der zu vergleichen. Dabei wird gezeigt, dass in den USA zwar eine deutlich höhere Vertragsfrei- heit besteht, die weit verbreitete Meinung, der Schutz vor Massenentlassungen sei in den USA schwächer als in den europäischen Ländern, ist so jedoch nicht haltbar. Schlüsselwörter: Massenentlassungen · Kündigungsschutz · Betriebsbedingte Kündigungen JEL Classification: K00 · M12 Z Manag (2010) 5:409–429 DOI 10.1007/s12354-010-0133-x Massenentlassungen – Rechtsvergleichende Analyse der Bedingungen in Europa und den USA Eingegangen: 22.10.2010 / Online publiziert: 23.11.2010 © Gabler-Verlag 2010 Prof. Dr. L. Schweizer () · Dipl-Kffr. E. Koscher UBS-Stiftungsprofessur für Management, Johann Wolfgang Goethe Universität-Frankfurt am Main, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] Dipl-Kffr. E. Koscher E-Mail: [email protected] R. Stutz, B.A. European Economics Mercer Consulting Middle East Limited, Dubai International Financial Centre, Office 01B, Level 5, Gate Precinct Building 2, P.O. Box 215306 Dubai, Vereinigte Arabische Emirate E-Mail: [email protected] Lars Schweizer · Eva Koscher · Raffaela Stutz

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Stichwort

Zusammenfassung:  internationale  Konzerne  sprechen  Massenentlassungen  vorzugsweise  in Ländern  aus,  in  denen  das  Kündigungsrecht  für  sie  am  vorteilhaftesten  ist  und  ihnen  die  we-nigsten Pflichten auferlegt. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll eine rechtsvergleichende Analyse für die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien durchgeführt werden, um die rechtssysteme der Länder bezüglich des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen miteinan-der zu vergleichen. Dabei wird gezeigt, dass in den USA zwar eine deutlich höhere Vertragsfrei-heit  besteht,  die weit  verbreitete Meinung,  der Schutz  vor Massenentlassungen  sei  in  den USA schwächer als in den europäischen Ländern, ist so jedoch nicht haltbar.

Schlüsselwörter:  Massenentlassungen · Kündigungsschutz · Betriebsbedingte Kündigungen

JEL Classification: K00 · M12

Z Manag (2010) 5:409–429DOI 10.1007/s12354-010-0133-x

Massenentlassungen – Rechtsvergleichende Analyse der Bedingungen in Europa und den USA

Eingegangen: 22.10.2010 / Online publiziert: 23.11.2010© Gabler-Verlag 2010

Prof. Dr. L. Schweizer () · Dipl-Kffr. E. KoscherUBS-Stiftungsprofessur für Management, Johann Wolfgang Goethe Universität-Frankfurt am Main, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Dipl-Kffr. E. KoscherE-Mail: [email protected]

R. Stutz, B.A. European EconomicsMercer Consulting Middle East Limited, Dubai International Financial Centre,  Office 01B, Level 5, Gate Precinct Building 2,P.O. Box 215306 Dubai, Vereinigte Arabische EmirateE-Mail: [email protected]

Lars Schweizer · Eva Koscher · Raffaela Stutz

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1   Einleitung

„in  Deutschland  beginnt  die  Zeit  des  Stellenabbaus“  verkündete  „Die welt“  im April 2009 und prognostizierte, dass die durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Flaute an Auf-trägen bei vielen Unternehmen durch Kurzarbeit allein nicht kompensiert werden könne1. Unzählige Unternehmen setzten im Zuge der Krise auf Kostensenkungen im Personalbe-reich und initiierten einen mehr oder weniger radikalen Stellenabbau2. Weltweit standen hunderttausende von Jobs auf der Kippe, die OECD erwartete als Folge der Wirtschafts-krise sowohl für 2009 als auch für 2010 einen Anstieg der Arbeitslosenquote3 und zahlrei-che große Unternehmen kündigten krisenbedingte Massenentlassungen an. Die neuesten Arbeitsmarktzahlen zeigen jedoch, dass sich die Krise in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – weit weniger stark auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt hat als befürchtet (s. Abb. 1). Dies lag zum einen daran, dass in der Krise pragmatisch die Möglichkeiten für Kurzarbeit ausgeweitet wurden, und zum andern daran, dass die wirtschaftskrise schnel-ler als erwartet überwunden werden konnte.

Doch obwohl die wirtschaftsprognosen positiv  sind und der Aufschwung  steiler  und nachhaltiger  ist  als  noch  vor  wenigen  Monaten  gedacht,  kündigen  auch  in  Deutschland weiterhin zahlreiche große Firmen Entlassungen an (s. Tab. 1).Als Gründe für geplante Per-sonalreduktionen werden zumeist reorganisation, stärkerer wettbewerb, Unternehmenszu-sammenschlüsse (Mergers & Acquisitions) oder der technologische Fortschritt angeführt4. Zudem hat die Maxime des Shareholder Value in den letzten Jahren gerade für den Aktien-markt weiter an Bedeutung gewonnen. Anteilseigner haben immer mehr Einfluss auf die Strategie und die Führung von Unternehmen gewonnen, wodurch die Unternehmenswert- bzw. Rentabilitätssteigerung sehr häufig das oberste Ziel der Unternehmensführung ist. Dies kann zum einen durch Umsatzsteigerung und zum anderen durch Kosteneinsparung realisiert werden. Letzteres scheint die häufigere Methode geworden zu sein, da Umsatzstei-gerungen bei weitgehender Marktsättigung immer schwieriger umzusetzen sind. Der ein-fachste Weg, Kosten zu sparen und höhere Renditen zu erzielen, ist oft die Reduzierung des Personalbestandes. Dies hat insbesondere der technologische Fortschritt vereinfacht. Auch hierin könnte einer der Gründe für die steigende Zahl von Massenentlassungen liegen.

„Eine Ehe kann in diesem Land leichter geschieden werden als ein Arbeitsverhältnis beendet“, kritisierte der damalige Unionsfraktionsvize Friedrich Merz im Jahre 2003 das deutsche Arbeitsrecht5. Und trotz der Reform des Kündigungsschutzes Ende 2003, deren

Abb. 1:  Arbeitslosenquote im Ländervergleich. (Quelle: Eige-ne Darstellung in Anlehnung an EUROSTAT 2010)

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Arbeitslosenquoten (in Prozent)

DeutschlandFrankreichUnited KingdomUnited States

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Ziel  eine  Lockerung  des  bestehenden  Kündigungsschutzes  war,  beklagen Arbeitgeber auch heute noch, dass es nirgendwo schwerer sei, Leute zu entlassen, als in Deutschland. Doch gerade in Krisenzeiten stellen viele Arbeitnehmer fest, dass sie das Kündigungs-schreiben viel schneller in der hand haben als gedacht6.

traditionell gilt der deutsche Kündigungsschutz als einer der strengsten und arbeitneh-merfreundlichsten der welt, da er willkürliche Kündigungen von Seiten des Arbeitgebers verbietet – ein „Hire and Fire“ wie in den USA ist in Deutschland nicht möglich7. Dies verleitet zu dem Schluss, Entlassungen von mehreren Mitarbeitern aus nicht in der Person liegenden Gründen seien in den USA leichter umzusetzen. Doch sind die Rahmenbedin-gungen  in den USA bei krisenbedingten Massenentlassungen wirklich  lockerer?  inter-nationale Konzerne sprechen solche Entlassungen vorzugsweise in Ländern aus, in denen das Kündigungsrecht für sie am vorteilhaftesten ist und ihnen die wenigsten Pflichten auferlegt8. Und auch bei der Standortwahl neuer oder expandierender Unternehmen kann das jeweilige Kündigungsrecht eine ausschlaggebende Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein Land spielen9. Im Zuge der Globalisierung und der immer weiter fort-schreitenden internationalisierung von Unternehmen gewinnt die Kenntnis der jeweiligen landesspezifischen Kündigungsschutzvorschriften daher stetig an Bedeutung.

Der vorliegende Stichwortbeitrag stellt eine rechtsvergleichende Analyse für die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien dar. Ziel des Beitrages ist es, die Rechtssys-teme der Länder bezüglich des Kündigungsschutzes bei Massenentlassungen miteinander zu vergleichen und einen Überblick über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Rechtssysteme zu vermitteln. Hierbei soll auch der Frage nachgegangen werden, ob Massenentlassungen in den USA tatsächlich einfacher umzusetzen sind.

2 Entstehung der Normen

2.1 Entstehung arbeitsrechtlicher Normen in Europa

In der Vergangenheit ist der Schutz der Arbeitnehmer vor einer Kündigung in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft stetig verbessert worden, so dass es

Tab. 1: Stellenabbau in Deutschland. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an FAZ 2010)Unternehmen Anzahl Jahr BrancheSiemens 4000 ElektrotechnikVattenfall Europe 1500 2012 Energieheidelberger Druck 850 2010 Maschinenbauhomag 800 2010 MaschinenbauVilleroy & Boch 480 2010 KeramikDelta Lloyd 400 2010 VersicherungenLufthansa cargo 300 2010 FluggesellschaftBosch Siemens Hausgeräte 230 2012 hausgeräteSanofi-Aventis 180 2010 PharmaAnkündigungen im 1. Quartal 2010 von mehr als 1000 Stellenstreichungen

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in den meisten Ländern mittlerweile detaillierte Regelungen gibt. Da sich die Systeme aber nebeneinander entwickelt haben, weisen sie viele nationale Eigenheiten auf, die in diesem Beitrag für die EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien heraus-gearbeitet werden sollen.

Bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 hatten sich die Mitgliedsstaaten das Ziel gesetzt, die nationalen wirtschaften durch die Schaf-fung  eines  gemeinsamen  europäischen  Marktes  und  eine  sukzessive  Annäherung  der Wirtschaftspolitiken zu fördern und so eine Harmonisierung des Wirtschaftslebens und eine beständige wirtschaftsausweitung zu erreichen10. Ganz im Sinne des damals vor-herrschenden Neoliberalismus beschränkten sich die Angleichungsbemühungen anfangs auf die wirtschaftspolitik, hinsichtlich des Arbeits- und Sozialrechts bestanden zunächst keine  harmonisierungsbestrebungen,  da  die Ansicht  vertreten  wurde,  dass  sozialpoli-tische Eingriffe in die Marktprozesse schädlich seien11. Es wurde davon ausgegangen, dass  eine Angleichung  der  wirtschafts-  und  wettbewerbspolitik  automatisch  zu  einer Angleichung und Optimierung der mitgliedsstaatlichen Verhältnisse auf dem Arbeits- und  Sozialsektor  führen  würde12. Erst in den sechziger Jahren, als zahlreiche Unter-nehmen aus sog. „Hochlohnländern“ in „Billiglohnländer“ innerhalb der Europäischen Gemeinschaft  abwanderten,  wurde  den  Staaten  bewusst,  dass  starke  Divergenzen  im Sozial-  und  Arbeitsrechtniveau  zu  ungewollten  Strukturvorteilen  für  Mitgliedsstaaten mit vergleichsweise arbeitgeberfreundlichen regelungen führen13. Nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass Fortschritte bei der europäischen Integration nur erreicht werden können, wenn der Sozialpolitik eine größere Bedeutung beigemessen wird. Auf der Pariser Gipfelkonferenz im Oktober 1972 verkündeten die Staats- und Regierungs-chefs daher in einer sozialpolitischen Erklärung, dass einem energischen Vorgehen im sozialpolitischen Bereich die gleiche Bedeutung zukomme wie der Verwirklichung der wirtschafts- und währungsunion14.

Anfang der 70er Jahre kam es durch die sich verschärfende Weltwirtschaftskrise, die  zunehmende  internationalisierung  von  Unternehmen  und  den  fortschreitenden technologischen  wandel  bei  Unternehmen  verstärkt  zu  Umstrukturierungen,  Unter-nehmenszusammenschlüssen, Übernahmen oder Insolvenzen, die häufig zu Massen-entlassungen führten15. So beschloss beispielsweise der multinationale Konzern AKZO 1973, aufgrund von Restrukturierungsmaßnahmen 5.000 Mitarbeiter zu entlassen. Da der AKZO-Konzern Tochterunternehmen in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft besaß, verglich die Unternehmensleitung vor Ausspruch der Kündigun-gen die damit verbundenen Kosten in den einzelnen Staaten16. Ursprünglich war geplant, zwei Werke in den Niederlanden und in Deutschland zu schließen, da diese eine unge-nügende Kapazitätsauslastung aufwiesen. Nachdem man jedoch die Kündigungs- bzw. Massenentlassungsvorschriften der  einzelnen Mitgliedstaaten und die zu erwartenden Kosten einer Betriebsstilllegung im Zusammenhang mit den einzuhaltenden Wartefris-ten, Sozialplänen und Abfindungen verglichen hatte, wurde stattdessen ein bis dahin profitables Werk in Belgien stillgelegt und die dortigen Arbeitnehmer entlassen, da hier die gesetzlichen Kosten von Kündigungen bzw. deren Folgekosten im Vergleich am geringsten ausfielen17. Die Vorgehensweise des AKZO-Konzerns zeigte deutlich, dass unterschiedliche kündigungsrechtliche Rahmenbedingungen innerhalb der Europäi-schen Gemeinschaft die Entscheidungen eines multinationalen Konzerns maßgeblich

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beeinflussen können, und löste innerhalb der Gemeinschaft einen Sturm der Entrüs-tung aus18. Der Fall machte deutlich, dass das nationale Problem der Massenentlassung durch die fortschreitende internationalisierung der Konzerne zu einem supranationalen Problem geworden war, das nach einer entsprechenden rechtlichen Lösung auf Gemein-schaftsebene verlangte19.

Unter dem Eindruck des AKZO-Falles wurde ein Angleichungsbedarf für das Recht der  Massenentlassungen  als  dringend  notwendig  angesehen20. In einem ersten Schritt wurde daher am 17.02.1975 eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten  über  Massenentlassungen  (kurz:  Massenentlassungsrichtlinie)  heraus-gegeben21. Da der Arbeitnehmerschutz jedoch immer noch als unzulänglich angesehen wurde, erließ die Europäische Gemeinschaft 1992 Richtlinie 92/56/EWG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 245/26 1992),  die  unter  anderem  den Anwendungs-bereich  der  alten  richtlinie  erweiterte22. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Klarheit23  wurde  die  Massenentlassungsrichtlinie  1998  nochmals  überarbeitet,  so  dass heute Richtlinie 98/59/EG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 225/16 1998) maßgeblich ist. Sie vereint die Normen der beiden vorangegangenen Richtlinien in sich und enthält neben einem Teil mit Begriffsbestimmungen und der Festlegung des Anwen-dungsbereiches der Richtlinie Regelungen zur Konsultationspflicht der Arbeitnehmerver-treter, zur Entwicklung eines Sozialplanes sowie Vorschriften zur Informationspflicht der zuständigen Behörden24.

Gemäß Art. 10 RL/59/EG gilt die Richtlinie für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft („räumlicher Geltungsbereich“). Da ein Beitritt zur Europäischen Gemein-schaft die Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten der bisherigen Mitgliedsstaaten zur Folge hat, müssen auch diejenigen Staaten die Richtlinie umsetzen, die der Europä-ischen Gemeinschaft evtl. erst nach dem Erlass der Richtlinie beitreten25. Die Richtlinie nimmt einige Arbeitssparten wie öffentliche Verwaltungen oder die Seeschifffahrt von ihrer Anwendung aus („sachlicher Geltungsbereich“)26. Darüber hinaus findet die Richtli-nie gem. Art. 1 Abs. 2 a keine Anwendung bei befristeten Arbeitsverhältnissen. Insgesamt gibt die Massenentlassungsrichtlinie Mindeststandards zum Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen vor. Den Mitgliedsstaaten wird jedoch freigestellt, für die Arbeit-nehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu erlassen27.

2.2 Massenentlassungsvorschriften im deutschen Recht

Das historisch auf die Zeit nach dem ersten weltkrieg zurückgehende deutsche Mas-senentlassungsrecht  gilt  als  besonders  arbeitnehmerfreundlich  und  erfuhr  durch  die Massenentlassungsrichtlinie der EG nur marginale Änderungen28. Die vorerst letzte Änderung der Vorschriften wurde 2004 vorgenommen. Hierbei wurden insbesondere die Vorschriften zur Sozialauswahl überarbeitet und ein gesetzlicher Abfindungsanspruch eingeführt29.

2.3 Massenentlassungsvorschriften im französischen Recht

Auch Frankreich besitzt bereits seit der Zeit nach dem zweiten weltkrieg Gesetze zum Schutz vor Massenentlassungen. In Frankreich heißen diese „licenciement collectif“

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und werden ähnlich streng wie in Deutschland reglementiert. Nach Erlass der Richtlinie 75/129/EWG im Jahr 1975 wurde das französische Recht dahingehend geändert, dass die Kontroll- und ordnungsfunktion der staatlichen Arbeitsverwaltung eingeschränkt und mehr Gewicht auf die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter in Form von umfassenden Konsultationspflichten gelegt wurde30.

2.4 Massenentlassungsvorschriften im Recht von Großbritannien

In Großbritannien existiert kein einheitliches Rechtssystem. Es gelten drei unterschied-liche Systeme, wobei England und Wales ein und dasselbe haben, und Schottland und Nordirland jeweils ein eigenes führen. Deswegen soll hier nur das gemeinsame System von England und Wales betrachtet werden, welches vereinfachend „Britisches Recht“ genannt wird. Nachdem vor 1975 kaum Regelungen für Massenentlassungen im Briti-schen Recht vorgesehen waren, reagierte Großbritannien rasch auf den Erlass der Mas-senentlassungsrichtlinie 75/129/EWG und erließ bereits gegen Ende desselben Jahres ein Gesetz zur Sicherung von Arbeitsplätzen, den „Employment Protection Act“. Da diese regelungen aber nicht in dem vorgegeben Maße den Massenentlassungsrichtlinien ent-sprachen, wurde Großbritannien 1994 viermal gerügt. Die zweite, dritte und vierte Rüge akzeptierte die Regierung Großbritanniens bereits während des Verfahrens und leitete die erforderlichen Gesetzesänderungen ein. Auf die erste Rüge ging Großbritannien erst 1995 ein und ergänzte die Vorschriften.31

2.5 Massenentlassungsvorschriften in den USA

In den USA gibt es kein einheitliches Kündigungsschutzgesetz. Das amerikanische Arbeitsrecht stellt ein Flickwerk aus Gesetzen auf gesamt- und bundesstaatlicher Ebene sowie „Common-Law“-Doktrinen der Rechtsprechung dar. Grundsätzlich ist die ame-rikanische rechtslage jedoch so, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis jederzeit von beiden Vertragsparteien gekündigt werden kann – aus „gutem Grund“, aber auch ohne Grund32. Die klassische Formulierung des „at will“-Grundsatzes erfolgte 1884 durch den Supreme court  des Staates tennessee,  der  feststellte,  dass  sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis frei kündigen können33. Mittlerweile haben jedoch  auch  die  USA  regelungen  zum  Schutze  der Arbeitnehmer  in  ihren  Gesetzen verankert und weiter ausgebaut. Seit Mitte der 70er Jahre schränken US-amerikani-sche Zivilgerichte die Kündigungsfreiheit auf der Basis von drei neuen Rechtstheorien („wrongful termination“-Doktrinen) ein. Allerdings haben diese Doktrinen noch längst nicht die Bedeutung eines allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes. 1989 trat der „Wor-ker Adjustment and Retaining Notification Act (WARN)“ in Kraft. Er sollte Arbeitneh-mer, deren Familien und die Gesellschaft vor den Folgen des plötzlichen Verlustes des Arbeitsplatzes bewahren, indem Meldepflichten bei Massenentlassungen eingeführt wurden.

Außerdem verbietet Title VII des Civil Right Acts von 1964 die Diskriminierung sei-tens eines Arbeitgebers aufgrund von rasse, hautfarbe, religion, Geschlecht oder natio-naler Herkunft. Diese Antidiskriminierungsgesetze werden oft genutzt, um gerichtlich gegen eine Kündigung vorzugehen34.

415Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

3 Vergleichende Darstellung der Normen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA

3.1 Was sind Massenentlassungen?

Die Definitionen für Massenentlassungen beziehen sich bei den betrachteten Ländern meist auf einen Zeitraum von 30 Tagen. Ausnahme ist hier Großbritannien, das die Ent-lassungen, die in einem Zeitraum von 90 Tagen stattfinden, als relevant ansieht. In Europa gelten Entlassungen bereits ab einer deutlich geringeren Arbeitnehmerzahl als Massen-entlassungen als in den USA, die erst bei 50 entlassenen Arbeitnehmern die Schutzvor-schriften für Massenentlassungen greifen lassen. Bevor explizit auf die Definitionen der einzelnen Länder eingegangen wird, vermittelt Tab. 2 einen kurzen Überblick.

Deutschland: In Deutschland gelten Entlassungen nach heutigem Recht dann als Massen-entlassung („anzeigepflichtige Entlassung“), wenn ein Unternehmen entscheidet, dass ein Personalabbau in dem vorgesehen Umfang nicht zu umgehen ist und innerhalb von 30 Kalendertagen0 in Betrieben mit 21–59 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmern oder0 in Betrieben mit 60–499 Arbeitnehmern mindestens 10 % der Belegschaft oder mehr

als 25 Arbeitnehmern oder0 in Betrieben mit 500–599 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmern oder0 in Betrieben mit 600 und mehr Arbeitnehmern mindestens 5 % der Belegschaft

aus nicht in der Person liegenden Gründen gekündigt werden soll35.

Tab. 2: Vergleich der Definitionen von Massenentlassungen. (Eigene Darstellung in Anlehnung an OECD 2003, S. 19–21)

Definition einer MassenentlassungDeutschland Innerhalb von 30 Tagen werden

•   mehr als 5 Arbeitnehmer in Unternehmen mit 21–59 Arbeitnehmern entlassen;

• 10 % oder mehr als 25 Arbeitnehmer in Unternehmen mit 60–499 Arbeit-nehmern entlassen;

• mehr als 30 Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitneh-mern entlassen

Frankreich Innerhalb von 30 Tagen werden 10 oder mehr Arbeitnehmer entlassen;(ähnliche Regelungen auch bei Entlassungen von 2–9 Arbeitnehmern)

Großbritannien innerhalb von 90 tagen werden 20 oder mehr Arbeitnehmer entlassenUSA Innerhalb von 30 Tagen werden

•   in einem Unternehmen mit mindestens 100 Arbeitnehmern aufgrund einer Betriebsstilllegung 50 oder mehr Arbeitnehmer entlassen;

•   500 oder mehr Arbeitnehmer entlassen;•   50–499 Arbeitnehmer entlassen, was mindestens einem Drittel der Arbeit-

nehmerschaft entspricht

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Frankreich: Im heute geltenden französischen Arbeitsrecht gibt es hinsichtlich der Massenentlassungen eine Einteilung in zwei verschiedene Gruppen: Von kleinen Mas-senentlassungen spricht man, wenn zwei bis zehn Arbeitnehmer, von einer großen Mas-senentlassung, wenn zehn oder mehr Arbeitnehmer36 entlassen werden37. Diese Größen beziehen sich auf einen Zeitraum von 30 Tagen. Die Entlassungen müssen dabei aus dem gleichen wirtschaftlichen Grund vorgenommen werden38. Zusätzlich gilt die Regelung, dass Entlassungen ebenfalls als große Massenentlassungen gelten, wenn ein Unterneh-men mit mindesten 50 Beschäftigten in drei aufeinander folgenden Monaten mehr als zehn Arbeitnehmer entlässt39.

Großbritannien: Rechtsnormen zum Kündigungsschutz sind im Wesentlichen im Emp-loyment Rights Act (ERA) von 1996 (insbesondere die Art. 86 f. und 94 ff.40), im Employ-ment Protection Consolidation Act (EPCA) von 1978 und im Trade Union and Labour Relations Consolidation Act (TULRCA) von 1992 zu finden. Als Massenentlassung gilt, wenn innerhalb von 90 tagen mehr als 20 Arbeitnehmer entlassen werden41.

USA: in den USA werden Massenentlassungen „Downsizing“, „rightsizing“ oder auch „restructuring“ genannt42. Sie werden genau dann als solche anerkannt, wenn aufgrund einer Betriebsschließung in einem Unternehmen mit 100 und mehr Arbeitnehmern inner-halb eines Zeitraums von 30 Tagen 50 Arbeitnehmer oder mehr entlassen werden sollen. Als Massenentlassung gilt auch, wenn im Falle eines „Layoff“ 500 und mehr Personen entlassen werden oder wenn zwischen 50 und 499 Arbeitnehmer entlassen werden sol-len  und  diese  mindestens  ein  Drittel  der Arbeitnehmer  des  betroffenen  Unternehmens ausmachen.43

3.2 Informationspflichten

Mittlerweile besteht in allen betrachteten Ländern die Pflicht, staatliche Organe über die geplanten Entlassungen zu informieren, damit diese eventuell Maßnahmen ergreifen können, um den betroffenen Arbeitnehmern eine möglichst schnelle Integration in den Arbeitsmarkt in Form von weiterbildungsmaßnahmen, Umschulungen oder Stellenange-boten bieten zu können. Lediglich in den USA kann, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen, auf eine Konsultation der Arbeitnehmervertreter, d. h. in diesem Fall der Gewerkschaf-ten, verzichtet werden. Existiert keine Gewerkschaft, besteht keine Pflicht, angemessene Arbeitnehmervertreter zu wählen und diese zu unterrichten. Tabelle 3 bietet einen Über-blick über die Informationspflichten der einzelnen Länder.

Deutschland: Handelt es sich bei den Entlassungen um eine Massenentlassung, muss in einem nächsten Schritt der Betriebsrat unterrichtet werden, da es sich laut § 111 BetrVG bei Massenentlassungen um eine Betriebsänderung handelt. Eine Unterrichtung des Betriebsrates wird in der dortigen Vorschrift verlangt. Gemäß § 17 Abs. 2 KSchG muss die Benachrichtigung rechtzeitig, in schriftlicher Form und mit dem geforderten Inhalt erfolgen. Gleichzeitig muss die Agentur für Arbeit eine Abschrift dieser Unterrichtung erhalten44.

417Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

Nach § 17 KSchG muss im weiteren Verlauf der Entlassungen bei der Agentur für Arbeit eine Anzeige der geplanten Betriebsänderung mit einer Stellungnahme des Betriebsrates sowie einer Übersendung der Anzeige an den Betriebsrat eingehen45. Mindestangaben sind der Name des Arbeitgebers, Sitz und Art des Betriebes, Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer. Des Weiteren können auch Angaben über Alter, Beruf, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer gemacht wer-den. Diese Anzeige ist vor dem Wirksamwerden der Entlassung der gewählten Personen vorzunehmen, wobei unerheblich ist, ob diese vor oder nach Ausspruch der Kündigung erfolgt46.

Frankreich: in beiden Fällen von Massenentlassung, also sowohl der kleinen als auch der großen, sind  je nach Ausgestaltung die  jeweiligen Personalbeauftragten („Délégués du Personnel“) oder der Unternehmensausschuss („Comité d’Entreprise“) zu Rate zu ziehen. Ein „Comité d’Entreprise“, welches lediglich Unterrichtungs- und Beratungsrechte, aber keine Mitbestimmungsrechte hat, muss in jedem Unternehmen mit mindestens 50 Arbeit-nehmern vorhanden sein, in kleineren Unternehmen ist deren Existenz nicht obligatorisch. Die „Délégués du Personnel“ müssen in allen Betrieben mit mindestens 11 Arbeitneh-mern gewählt werden, unabhängig vom Bestehen eines „Comité d’Entreprise“. In klei-neren Betrieben übernehmen deren Aufgabe die Personalbeauftragten47. Der Umfang der Informationen ist genau geregelt. Es ist vorgeschrieben, dass die jeweiligen wirtschaft-lichen, finanziellen oder auch technischen Gründe für die geplanten Entlassungen, Zahl und Berufsgruppen der betroffenen Arbeitnehmer sowie deren Auswahlkriterien und die rangfolge, die Zahl der ständig und nicht ständig beschäftigten Arbeitnehmer, der Zeit-plan der Entlassungen wie auch die Maßnahmen zur Vermeidung oder Einschränkung der Kündigungen festgehalten werden müssen.48 Diese information muss den Arbeitneh-mervertretern mindestens drei Tage vor dem geplanten ersten Treffen mitgeteilt werden. Die Arbeitsbehörde des zuständigen Départments muss ebenfalls informiert und auf dem jeweils aktuellen Stand gehalten werden49.

Großbritannien: Die schriftliche information der Arbeitnehmervertreter muss die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Anzahl der wahrscheinlich betroffenen Arbeitnehmer,

Tab. 3: Vergleich der Informationspflichten im Falle einer Massenentlassung. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an OECD 2003, S. 19–21)

InformationspflichtenArbeitnehmer/Gewerkschaften Staatliche Einrichtungen

Deutschland Information und Beratung mit der Gewerkschaft

information des jeweiligen lokalen Arbeitsamtes

Frankreich Information und Beratung mit den Personal-beauftragten oder der Gewerkschaft

Information der jeweiligen Be-hörde des Départments

Großbritannien Information und Beratung mit einer an-erkannten Gewerkschaft oder anderen ge-wählten Personalvertretern

information des „Department of trade and industry“

USA information der betroffenen Arbeitnehmer oder der Gewerkschaft (falls existent)

Information von staatl. und lokalen Behörden

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die Gesamtzahl der  in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer, die Auswahlkri-terien für die Entlassungen, die Art und Weise und den Zeitraum des Ausspruchs der Kündigung sowie die vorgesehene Berechnungsmethode der Entschädigungszahlungen, sofern abweichend von der gesetzlichen Berechnungsmethode, enthalten.

Im weiteren Ablauf des Verfahrens muss der Arbeitgeber die geplanten Entlassungen anhand eines eigens dafür vorgesehenen Formblattes („hr1“) bei einer staatlichen Stelle anzeigen, und zwar in folgendem Zeitrahmen:0 bei geplanten Entlassungen von 20 bis 99 Arbeitnehmern innerhalb von 90 Tagen

müssen diese spätestens 30 Tage vor Wirksamwerden der ersten Kündigung dem wirtschaftsministerium, dem „Dti“, gemeldet werden

0 bei geplanten Entlassungen von 100 und mehr Arbeitnehmern muss die Anzeige spätestens  90 tage  vor wirksamwerden  der  ersten  Kündigung  dem  Dti  gemeldet werden.

Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wird als Straftat geahndet, die mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 £ belegt werden kann. Normalerweise wird aber vor Ausspruch der Geld-buße eine Warnung ausgesprochen und dem Unternehmen die Möglichkeit gegeben, die Anzeige nachzuholen50.

USA: Es besteht für die Arbeitgeber die Pflicht, lokale und staatliche Einrichtungen über die geplanten Entlassungen zu informieren. Dem WARN Act entsprechend muss diese information genaue Angaben zu dem betroffenen Unternehmen, der erwartete Zeitraum der Entlassungsaktion und ähnliches enthalten. Die Informationspflichten gegenüber der Gewerkschaft sind abhängig von den jeweils ausgehandelten Verträgen, hierzu gibt es keine allgemeinen Vorschriften.

3.3 Fristen

Die Fristen für eine rechtzeitige information der jeweiligen Parteien unterscheiden sich in den betrachteten Ländern signifikant. Während in den USA und in Großbritannien keine Kündigungsfristen für die Arbeitnehmer bestehen bzw. diese abhängig sind von den jeweils ausgehandelten Arbeitsverträgen, müssen die Arbeitnehmer in Deutschland mindestens einen Monat vor Kündigung eine schriftliche Benachrichtigung erhalten. Die Behörden müssen in allen hier betrachteten Ländern über die geplanten Entlassungen informiert werden. Die Zeitspannen ist hier 30 bis maximal 90 Tage vor Wirksamwerden der Kündigungen.

Deutschland:  in  Deutschland  muss  bei  Massenentlassungen  auch  auf  die  jeweiligen Kündigungsfristen der betroffene Arbeitnehmer geachtet werden, da diese von mehreren Faktoren wie z. B. Alter, Länge der Betriebszugehörigkeit, Art der Anstellung abhängig sind. Abschließend sollte noch der allgemeine und besondere Kündigungsschutz ermittelt werden51.

wirksam werden die Kündigungen nach Ablauf eines Monats, nachdem die Anzeige bei der Bundesagentur für Arbeit eingegangen ist. Dieser auch „Sperrfrist“ genannte Zeit-raum läuft nur dann an, falls die eingegangene Anzeige vollständig und wirksam war. Das

419Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

Arbeitsamt kann eine Verlängerung der Sperrfrist auf bis zu zwei Monate genehmigen. Während der Sperrfrist getätigte Entlassungen sind unwirksam. Das Unternehmen muss die Entlassungen spätestens innerhalb der nächsten 90 Tage durchführen, welche auf die Sperrfrist folgen. Dieser Zeitraum wird auch Freifrist genannt52. Dies soll aufgrund der besseren Planungsmöglichkeiten für die zuständige Agentur für Arbeit geschehen, die sich ebenfalls mit den Vermittlungsmaßnahmen für die nun freigesetzten Arbeitskräfte auseinandersetzen muss. Sollten geplante Entlassungen erst nach der Freifrist erfolgen, so sind diese erneut bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen53. Während des ganzen Prozes-ses trägt die Seite der Arbeitgeber volle Darlegungs- und Beweislast54.

was die Fristen anbelangt, dauert eine Massenentlassung also mindestens einen Monat, ist aber ebenso beschränkt auf einen Monat und 90 Tage nach Anzeige beim Arbeitsamt.

Frankreich: Bei einer kleinen Massenentlassung ist eine Sitzung mit den „Délégués du Personnel“ oder dem „Comité d’Entreprise“ Pflicht. Im Anschluss daran kann der Arbeitgeber nach sieben tagen den betroffenen Arbeitnehmern die formelle Kündigung überreichen. Innerhalb von acht Tagen nach der Sitzung ist die Arbeitsbehörde zu unter-richten55. Bei einer großen Massenentlassung sind zwei Sitzungen im Abstand von zwei bis vier Wochen mit den entsprechenden Gremien bzw. Instanzen abzuhalten. Für den Fall, dass ein Sachverständiger eingeschaltet wird, können auch drei Sitzungen abgehal-ten werden. Die Arbeitsbehörde ist während des gesamten Beratungsprozesses zeitgleich mit den Arbeitnehmervertretern auf dem neuesten Stand der Dinge zu halten. Dabei muss die Arbeitsbehörde die Einhaltung des Konsultationsverfahrens überwachen und sicher-stellen, dass die geforderten Mindeststandards für die Umschulungspläne bzw. für den Sozialplan eingehalten werden. Eine offizielle Anzeige der Massenentlassungen darf frü-hestens nach der ersten Sitzung erfolgen. Bei großen Massenentlassungen darf den betrof-fenen  Arbeitnehmern  erst  dann  gekündigt  werden,  wenn  alle  Konsultationsverfahren und die Verfahren gegenüber der Arbeitsbehörde abgeschlossen sind, wobei bestimmte Mindestfristen ab dem Zeitpunkt der Anzeige der Massenentlassungen eingehalten wer-den müssen (s. Tab. 4)56. Generell gilt für Arbeitnehmer, die bereits sechs Monate in dem betroffenen Unternehmen beschäftigt sind, eine Kündigungsfrist von einem Monat. Bei Arbeitnehmern, die bereits zwei Jahre in dem Unternehmen tätig sind, steigt diese Frist auf zwei Monate und bei Angestellten in leitender Funktion auf drei Monate57.

Großbritannien: Die Beratungen mit den Arbeitnehmervertretern müssen mindestens 30 tage vor der ersten geplanten Kündigung erfolgen,  sofern weniger als 100 Arbeitneh-mer entlassen werden. Bei 100 und mehr geplanten Entlassungen beträgt die Mindest-beratungsfrist 90 Tage. Die Berechnung der relevanten Frist ist abhängig davon, wann die erste Kündigung wirksam werden soll. Die Arbeitnehmervertreter können sowohl

Anzahl geplanter Entlassungen Zeitraumweniger als 100 Innerhalb von 30 Tagen100 bis weniger als 250 innerhalb von 45 tagen250 und mehr innerhalb von 60 tagen

Tab. 4:  Mindestfristen für Massenentlassungen in Deutschland. (Quelle: Eige-ne Darstellung)

420 L. Schweizer et al.

Vertreter einer unabhängigen Gewerkschaft sein, sofern die Gewerkschaft vom Arbeit-geber anerkannt ist, als auch eigens zu diesem Zweck aus den reihen der Arbeitnehmer gewählte Vertreter58.

USA: Es besteht die Pflicht der Einhaltung einer sog. „notice period“ gegenüber den Behörden, die 60 Tage dauert. Allerdings können die Arbeitgeber bei einem Bankrott, unvorhergesehenen Umständen oder einer zeitlich befristeten Geschäftstätigkeit davon befreit werden. Fristen gegenüber Arbeitnehmern gibt es in den USA nicht. Hier gilt nach wie vor „hire and fire“, sprich, einem Arbeitnehmer kann jederzeit ohne Einhaltung von Fristen gekündigt werden, es sei denn, dieser hat vertraglich Fristen vereinbart.

3.4 Auswahlkriterien bei der Massenentlassung

Auch bei den Auswahlkriterien bei Massenentlassungen lassen sich in den betrachteten Ländern starke Unterschiede feststellen. Während in den USA und in Großbritannien durch das Gesetz keine bestimmten Auswahlkriterien vorgegeben sind, ist in Deutschland und Frankreich genau festgelegt, welche Kriterien bei der Auswahl der zu entlassenden Personen berücksichtigt werden müssen59.

Deutschland: Bei der Sozialauswahl im Rahmen des Sozialplanes ist besonders darauf zu achten, dass seit 1999 die Auswahl nur noch „arbeitsplatzbezogen“ sein darf60. Soziale Gesichtspunkte sollen lediglich „ausreichend“ in Erwägung gezogen werden, damit letzt-endlich nur die besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, diese Auswahl mit Erfolg anzufechten. Sollte die Sozialauswahl allerdings fehlerhaft statt-finden, kann dies besonders schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Sobald einem Arbeitnehmer nicht gekündigt wird, der weniger hart von der Kündigung betroffen wäre als der, dem gekündigt wurde, so können laut einem Urteil des BAGs vom 18. Oktober 1984 alle schutzbedürftigeren entlassenen Arbeitnehmer diesen Fehler geltend machen. Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt wurde mit Wirkung zum 01.01.2004 das KSchG geändert, um die Sozialauswahl zu erleichtern. Gemäß § 1 Abs. 3 KSchG muss der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl lediglich die vier Kriterien Dauer der Betriebszu-gehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten sowie eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers berücksichtigen. Über die Gewichtung dieser Kriterien sagt das Gesetz jedoch nichts. Unklar ist auch, inwieweit der Arbeitgeber freiwillig weitere Gesichts-punkte  in  die  Sozialauswahl  einbeziehen  darf61. Arbeitgeber, Betriebsrat wie auch die Tarifparteien haben die Möglichkeit, eine Liste aufzustellen, welche die Grunddaten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten sowie Schwerbehin-derung der zu entlassenen Arbeitnehmer in einer Punktetabelle zusammenfasst und somit eine Vergleichsmöglichkeit bietet. Vom Gericht kann diese Liste nur nach groben Ver-stößen untersucht werden, die dann zu einer Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kün-digung führen würde62.

Seit der Überarbeitung des Kündigungsschutzgesetzes 2004 sind in die Sozialauswahl solche  Arbeitnehmer  nicht  einzubeziehen,  „deren  weiterbeschäftigung,  insbesondere wegen  ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten oder Leistungen oder zur Sicherung einer ausge-wogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt“

421Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

(§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Hierin wird im Allgemeinen eine Stärkung der Belange des Arbeitgebers gesehen, da  einzelne Arbeitnehmer  aus der Sozialauswahl herausgenom-men werden können63.

Frankreich: Laut französischem Arbeitsrecht sind bei der Auswahl der Mitarbeiter, die entlassen  werden  sollen,  Kriterien  wie  Familienumstände, Alter,  Dauer  der  Unterneh-menszugehörigkeit, mögliche Behinderung sowie die professionelle Qualifikation mit einzubeziehen64.

Großbritannien:  in  Großbritannien  sind  keine  speziellen  rechtlichen  regelungen  bei Massenentlassungen vorgesehen, die die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeiter bestim-men. Einzig darf hier kein Mitarbeiter diskriminiert werden und auf Grund von beispiels-weise Hautfarbe oder Geschlecht ausgewählt werden. Häufig wird aber eine Auswahl aufgrund der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und der Leistung im Unternehmen getroffen65.

USA: Die Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer wird je nach ausgehandelten tarifver-trägen oder den jeweiligen „company Manuals“, zu Deutsch Unternehmenshandbüchern, vorgenommen. Normalerweise findet diese Auswahl auf Grund des Zeitraums, während dessen die jeweiligen Arbeitnehmer im Unternehmen tätig waren, statt. Die Arbeitnehmer mit der längsten Unternehmenszugehörigkeit werden dabei zuletzt entlassen.

3.5 Entschädigungszahlungen

Bezüglich der rechtlichen Vorschriften zu Entschädigungszahlungen scheint es zunächst keine großen Unterschiede zu geben, in der Realität existieren jedoch deutliche Diffe-renzen. In Deutschland existieren zwar keine gesetzlichen Vorschriften für Entschädi-gungszahlungen, im Rahmen eines Sozialplanes werden solche Zahlungen jedoch häufig festgelegt. Zu erwähnen ist auch, dass durch den gesetzlichen Rahmen in den USA die Möglichkeit zur Klage gegeben ist und hier in der Regel im Rahmen von Verletzungen der gesetzlichen Vorschriften hohe Entschädigungssummen erzielt werden können.

Deutschland: In deutschen Gesetzestexten finden sich keine Vorschriften, die Unter-nehmen im Fall von Massenentlassungen zu Abfindungszahlungen verpflichten. Nach § 1 a KSchG hat der gekündigte Arbeitnehmer jedoch einen Abfindungsanspruch in Höhe eines halben Bruttomonatsgehaltes pro Beschäftigungsjahr, wenn der Arbeitnehmer in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und dass der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Somit kann der Abfindungsanspruch nicht ohne den Willen des Arbeitgebers entstehen. Dieser wird bei der Entscheidung darüber, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, insbesondere etwaige nachteilige Auswirkungen auf Vergleichsverhandlungen im Rahmen eines möglichen Kündigungsschutzprozesses berücksichtigen66.

Der Sozialplan entspricht in seiner Wirkung einer Betriebsvereinbarung67, das heißt, zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat entsteht ein Vertrag, der aber nicht nur Rechte und

422 L. Schweizer et al.

Pflichten dieser Betriebsparteien begründet, sondern auch (wie ein Gesetz oder Tarifver-trag) verbindliche Normen für alle Arbeitnehmer eines Betriebes formuliert68. Der Sozial-plan enthält Maßnahmen zum Ausgleich oder zur Milderung der Folgen der geplanten Entlassungen, unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen bezüglich des Interessen-ausgleiches69. Tabelle 5 zeigt eine Übersicht der Zahlen und Prozentsätze, laut der nach § 112 BetrVG Sozialplanpflicht besteht. Die Sozialplanpflicht entfällt in neu gegründeten Unternehmen, die noch jünger als vier Jahre sind. Über einen Sozialplan regelbar sind u. a. Ausgleichszahlungen wegen Arbeitsplatzwechsel, Zahlung von Lohn- und Gehalts-ausgleich, Beihilfen für Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen, Umzugsbeihilfen, Mietbeihilfen und Zuschüsse zum Arbeitslosengeld. Bei ungerechtfertigten Entlassungen ergibt sich für die Arbeitnehmer ein Anspruch auf Wiedereinstellung. Diese wird aller-dings nur sehr selten von den betroffenen Arbeitnehmern gefordert70 (Tab. 6).

Frankreich: Die Arbeitgeber von Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern sind bei beiden Formen der Massenentlassung dazu verpflichtet, den betroffenen Arbeitneh-mern Umschulungsverträge anzubieten, die vorher mit den Arbeitnehmervertretern bera-ten wurden. Umschulungsverträge müssen Umschulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahmen über  einen  Zeitraum  von  sechs  Monaten  enthalten  und  hilfe  für  die Auswertung  des Arbeitsmarktes  und  für  die  Kontaktaufnahme  mit Arbeitnehmer  suchenden  Unterneh-men enthalten. Diesen Vertrag kann der einzelne Arbeitnehmer innerhalb von 21 Tagen annehmen, wodurch  rückwirkend der Arbeitsvertrag einvernehmlich beendet wird und 

Tab. 5: Auswahlkriterien bei Massenentlassungen. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an OECD 2003, S. 22–25)

Auswahlkriterien der betroffenen ArbeitnehmerDeutschland Das Recht schreibt eine Einbeziehung der Betriebszugehörigkeitsdauer, des

Alters, der Unterhaltspflichten und einer möglichen Behinderung vorFrankreich Das Recht schreibt eine Einbeziehung der Familienumstände, des Alters, der

Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, einer möglichen Behinderung und der professionellen Qualifikation vor

Großbritannien Keine speziellen rechtlichen Regelungen vorgesehen, bis auf Verbot einer Diskriminierung; häufig angewandte Mischung aus Unternehmenszugehörig-keit und Leistung im Unternehmen

USA Je nach Betriebsvereinbarung oder Unternehmenshandbuch; normalerweise basierend auf Dauer der Unternehmenszugehörigkeit

Tab. 6: Erzwingbarkeit eines Sozialplans in Deutschland. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Kunisch 2004, S. 83)Arbeitnehmer im Betrieb Erzwingbarkeit eines Sozialplanes nach Arbeitnehmeranzahl1–20 Nicht vorhanden21–59 20 % der Arbeitnehmer, mind. 660–249 20 % der Arbeitnehmer, mind. 37251–499 15 % der Arbeitnehmer, mind. 60500–599 Mind. 60Ab 600 10 % der Arbeitnehmer

423Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

der Arbeitnehmer während der ersten zwei Monate der Maßnahme ein sog. Wartegeld erhält, das 84,4 % des durchschnittlichen Bruttomonatslohnes der letzten 12 Monate ent-spricht. Danach erhält er für weitere vier Monate 70,4 % des Bruttomonatslohnes.

Für Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern besteht die Verpflichtung, einen Plan zur Erhaltung des Arbeitsplatzes („plan de sauvegarde de l’emploi“ oder „PSE“. Der frühere Sozialplan („plan social“) wurde umbenannt, um zu verdeutlichen, dass oberste Priorität des Plans die Verhinderung oder die Reduktion von Kündigungen ist71) aufzu-stellen und diesen mit der Arbeitnehmervertretung zu diskutieren. Dieser Plan muss, ähnlich  dem  inhalt  des  deutschen  interessenausgleiches  und  des  deutschen  Sozialpla-nes, Regelungen zur Verhinderung bzw. Begrenzung der Entlassungen, Vorschläge zur Verbesserung der beruflichen Situation der betroffenen Arbeitnehmer und Ausgleichs-zahlungen für wirtschaftliche Nachteile enthalten72. Die Ausgestaltung des Sozialplanes ist das zentrale Element bei den Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern73. 1997 traf der „Cour de Cassation“ – oberstes französisches Gericht in Zivil- und Strafsachen, in Deutschland vergleichbar mit dem Bundesgerichtshof – die Entscheidung, dass im Falle eines Verstoßes gegen die Vorschriften auch alle nachfolgenden Handlungen nichtig werden, so dass die jeweiligen Arbeitnehmer ihre weiterbeschäftigung sowie entgangene Löhne und Gehälter einfordern können74.

Großbritannien: Entsprechend britischen Rechts können von der Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer den sog. „Proctective Award“ verlangen, eine Entschädigung, die an jeden betroffenen Arbeitnehmer zu zahlen ist und deren Höhe im Einzelfall vom Arbeitsgericht festgelegt wird. Höchstgrenze ist dabei ein Gehalt von 90 Tagen. Die Berechnung der jeweiligen Entschädigungszahlungen basiert auf mehreren Teilzahlun-gen: einer Art Grundentschädigung von bis zu 6.600 £, einem Ersatz des tatsächlichen Schadens von bis zu 12.000 £ und sog. „Spezial Awards“, Sonderzahlungen. Der Scha-densersatz  ist  unbegrenzt  bei  Diskriminierung  auf  Grund  von  Geschlecht,  rasse  oder Behinderung. Es kann allerdings nicht auf Wiedereinstellung geklagt werden.

USA: Es gibt keine rechtliche Regelung zu möglichen Schadensersatzzahlungen75. Zu den bereits erwähnten Bundesgesetzen gibt es staatliche Gesetze, die aber meist weniger Schutz als die Bundesgesetze bieten, weswegen Arbeitnehmer sich weitgehend an die Bundesgesetze halten76. Auf Wiedereinstellung kann nur dann geklagt werden, wenn die Entlassung gegen den „National Labor Relations Act“ (NLRA – Nationales Gesetz über Arbeitsbeziehungen) oder den „Equal Rights Act“ (Allgemeines Gleichbehandlungsge-setz) verstößt. Bei befristeten Arbeitsverträgen können die Arbeitnehmer Schadensersatz fordern, der den Zahlungen entspricht, die sie erhalten hätten, wenn sie gemäß dem Ver-trag weiterhin  im Unternehmen beschäftigt gewesen wären,  abzüglich der  eventuellen Zahlungen eines neuen Arbeitgebers. Arbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag hat-ten, können Schadensersatz entsprechend vergangener und zukünftiger finanzieller Ver-luste einfordern, inklusive Schadensersatz für psychische Schäden.

Laut Kirstein et al. (2000) können die erwarteten Abfindungszahlungen im Falle einer Entlassung in den betrachteten Ländern durchaus gleich hoch sein. (Kirstein et al. (2000) beziehen sich in ihrer Untersuchung zwar nur auf Deutschland im Vergleich zu den USA, aber im Laufe der Arbeit wurde bereits herausgearbeitet, dass sich mittlerweile die Unter-

424 L. Schweizer et al.

schiede zwischen den einzelnen Ländern durch verschiedene EU-Richtlinien deutlich verringert haben.) Ein Unterschied besteht prinzipiell dahingehend, dass z. B. in Deutsch-land die Wahrscheinlichkeit einer Abfindungszahlung höher ist als in den USA, wohin-gegen in den USA die Entschädigungszahlungen deutlicher höher ausfallen. Während in Deutschland und Frankreich ca. 25 % der Kündigungen zu einem Gerichtsverfahren führen, ist dieser Prozentsatz in Großbritannien und den USA deutlich geringer (s. Tab. 7), da hier zumeist eine außergerichtliche Einigung angestrebt wird77.

4 Schlussfolgerungen

wie aus den Ausführungen ersichtlich wird, haben alle betrachteten Länder  in  jeweils unterschiedlichen Ausprägungen  einen  Satz  an  Kündigungsschutzregelungen,  die  sich jedoch in der Schwerpunktsetzung unterscheiden. In den USA besteht zwar eine deutlich höhere Vertragsfreiheit, die weit verbreitete Meinung, der Schutz vor Massenentlassungen sei in den USA schwächer als in den europäischen Ländern, ist so jedoch nicht haltbar. In allen betrachteten Ländern ist es dem Arbeitgeber ohne weiteres möglich, den Perso-nalbestand an das Personalsoll, das er für zweckmäßig hält, anzupassen. Weder kann, so Kirstein et al. (2000), behauptet werden, dass „die USA das Land des einfachen ‚hire und fire‘“ sind, noch dass „in Deutschland [und den restlichen betrachteten europäischen Ländern] ein Kündigungsschutz [besteht], der es einem Arbeitgeber nahezu unmöglich macht, sich von Arbeitnehmern gegen deren Willen zu trennen“. Der in dem erwähn-ten Artikel zitierte Satz von Zweigert/Kötz, dass „rechtsvergleichende Grunderfahrung [sei], dass zwar jede Gesellschaft ihrem Recht im wesentlichen die gleichen Probleme aufgibt, dass aber die verschiedenen rechtsordnungen diese Probleme, selbst wenn am 

Tab. 7: Gerichtsverfahren zu Kündigungen in den betrachteten Ländern. (Eigene Darstellung in Anlehnung an den OECD Employment Outlook 2004, S. 68 f.)

Zuständiges Gericht Beweislast Prozentsatz der Kün-digungen, für die es zu einem Verfahren kommt

Deutschland Arbeitsgericht Arbeitgeber 22,6Frankreich Arbeitsgericht Arbeitgeber und 

Arbeitnehmer25,3

Großbritannien Advisory concilation and Arbitration Service (ACAS). Employment tribunals (ET)

Arbeitgeber (meistens) 7,1

USA Equal Employment opportunity commission (EEOC). Federal Mediation and conciliation Service (FMCS). Private Arbit-ration. National Labour Relations Board (NLRB). Federal tribunals

Arbeitgeber (Arbeitneh-mer: prima facie)

0,03

425Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

Ende die Ergebnisse gleich sind, auf sehr unterschiedliche Weise lösen“, ist passend für den abschließenden Vergleich, da sich die Regelungen in Bezug auf die prozeduralen Gegebenheiten, die geforderten Fristen und Informationspflichten durchaus beträchtlich unterscheiden.

Eine Untersuchung der OECD ergab, dass Deutschland und Frankreich zu den Län-dern mit den strengsten Kündigungsvorschriften gehören, wohingegen die USA den am wenigsten regulierten Arbeitsmarkt haben. Dies bezieht sich jedoch vor allem auf den allgemeinen Kündigungsschutz, in Bezug auf die Vorschriften zu Massenentlassungen ist der Unterschied deutlich geringer, da diese in allen betrachteten Ländern stark regle-mentiert sind78. Auch in Zukunft werden die Regelungen in den jeweiligen Ländern wohl eher strenger als lockerer gehandhabt werden, was man an der Entwicklung in den USA während der letzten Jahre sehen kann. Dies ist gegen die Empfehlung der OECD, die vor-schlägt, arbeitsrechtliche regelungen durchaus etwas zu lockern, damit die Unternehmen sich bei verschlechternder Situation durch eine reduktion der Lohnkosten besser an die Marktbedingungen anpassen können.

Von den Unternehmen wird der Kündigungsschutz leider nach wie vor einseitig als hemmnis  für  kurzfristige  Personalanpassungen  gesehen  –  die  positiven  Aspekte  des Kündigungsschutzes werden zumeist übersehen. Denn indem der Kündigungsschutz „die Identifikation der Arbeitnehmer mit den Betriebszielen fördert, die Investitionen in betriebsspezifisches Humankapital und die Weitergabe von Kenntnissen und Fähigkeiten anregt, die betriebsinterne Mobilität sowie die Akzeptanz des technischen Fortschritts ver-bessert, stehen den Kostenwirkungen nämlich auch – mitunter schwer quantifizierbare –  Produktivitätseffekte gegenüber“79.

Anmerkungen

1 Vgl. Hartmann und Hildebrand (2009). 2 Vgl. Handelsblatt (2009a). 3 Vgl. OECD (2009). 4 Vgl. Hallock (2003, S. 43). 5 Vgl. Reiermann und Steingart (2003, S. 30). 6 Vgl. Schneyink (2009). 7 Vgl. Schneyink (2009). 8 Vgl. Wetzel (2004, S. 12). 9 Vgl. Wetzel (2004, S. 12).10 Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957,

Erster Teil, Art. 2 (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957).11 Vgl. Hinrichs (2001, S. 22).12 Vgl. Wetzel (2004, S. 21).13 Vgl. Krimphove (1996, S. 33).14 Vgl. Hinrichs (2001, S. 23); Wetzel (2004, S. 22).15 Vgl. Wetzel (2004, S. 23 f.).

426 L. Schweizer et al.

16 Vgl. Mauthner (2004, S. 29).17 Vgl. Krimphove (1996, S. 240); Hinrichs (2001, S. 23).18 Vgl. Hinrichs (2001, S. 23) und Balze (1994, S. 55).19 Vgl. Wetzel (2004, S. 24).20 Vgl. Mauthner (2004, S. 29).21 Vgl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 48/29 (1975).22 Vgl. RL 92/56/EWG.23 Vgl. Begründungserwägung 1 der RL 98/59/EG.24 Vgl. RL 98/59/EG.25 Vgl. Wetzel (2004, S. 29).26 Vgl. Art. 1 Abs. 2 RL 98/59/EG; zur Begründung siehe Wetzel (2004, S. 29 f.).27 Vgl. RL 98/59/EG Art. 4.28 Vgl. Wetzel (2004, S. 170).29 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2004, S. 1).30 Vgl. Mauthner (2004, S. 51).31 Vgl. Hinrichs (2001, S. 76 f.).32 Vgl. Kirstein et al. (2000, S. 6 f.).33 Vgl. Kirstein et al. (2000, S. 7).34 Vgl. Kirstein et al. (2000, S. 9 f.).35 Vgl. § 17 Abs. 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz 1951).36 Vgl. Art. L. 321-2 1 °C. trav.37 Vgl. Art. L. 321-2 2 °C. trav.38 Vgl. Art. L. 321-2 Abs. 1 1°, 2°; Art. L. 321-3; Art. L. 321-4; Art. L 321-4-1 C. trav.39 Vgl. Wetzel (2004, S. 90 f.).40 Vgl. Zachert (2004, S. 12).41 Vgl. OECD (2003, S. 21).42 Vgl. Grimshaw und Kleiner (2002, S. 128).43 Vgl. OECD (2003, S. 21).44 Vgl. Ascheid et al. (2004, S. 809); Schaub und Schindele (2005, S. 55).45 Vgl. Schaub und Schindele (2005, S. 55).46 Vgl. Henssler und Moll (2000, S. 165).47 Vgl. Wetzel (2004, S. 99–101).48 Vgl. Art. L. 321-4 Abs. 1 C. trav.; Wetzel (2004, S. 102 f.).49 Vgl. OECD (2003, S. 19).50 Vgl. TULR(C)A (1992).51 Vgl. Welslau (2000, S. 58).52 Vgl. Henssler und Moll (2000, S. 167).53 Vgl. Ascheid et al. (2004, S. 861).54 Vgl. Kunisch (2004, S. 59).55 Vgl. Hinrichs (2001, S. 54).56 Vgl. Hinrichs (2001, S. 53–55).

427Massenentlassungen – rechtsvergleichende Analyse …

57 Vgl. Zachert (2004, S. 43); Freshfields Bruckhaus Deringer (2005, S. 12).58 Vgl. TULR(C)A, Abs. 188.59 Vgl. OECD (2003, S. 22–25).60 Vgl. Stadie (2001, S. 19).61 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2004, S. 1).62 Vgl. § 1 Abs. 4 KSchG.63 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2004, S. 1).64 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2005, S. 11).65 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2005, S. 35 f.).66 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2004, S. 2).67 Vgl. Stadie (2001, S. 69).68 Vgl. Becker (2002, S. 122).69 Vgl. Kunisch (2004, S. 83).70 Vgl. Kunisch (2004, S. 83).71 Vgl. Wetzel (2004, S. 115).72 Vgl. Wetzel (2004, S. 115–118).73 Vgl. Freshfields Bruckhaus Deringer (2005, S. 9 f.).74 Vgl. Hinrichs (2001, S. 52); Wetzel (2004, S. 82).75 Vgl. OECD Employment Outlook (2004, S. 114).76 Vgl. Grimshaw und Kleiner (2002, S. 130).77 Vgl. OECD Employment Outlook (2004, S. 68).78 Vgl. OECD Employment Outlook (2004, Kap. 2, S. 61–125).79 Vgl. IAB (2002, S. 23).

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Comparative law analysis of employment protection regulation regimes  in Europe and the US

Abstract: international corporations do mass layoffs preferably in countries with rather low em-ployment protection regulations. This paper analyses and compares the different employment protection  regulation  regimes  in  the US, Germany, France, and UK with  regard  to  their  regula-tions of mass layoffs. Our study concludes that there is a larger degree of freedom of contract in the US, however, our analyses does not confirm the usual assumption that employees in the US are legally less protected from mass layoffs than in Europe.

Keywords: Mass layoffs · Downsizing · Employment protection regulation (EPL)