GMi236Haili, Wenpeng

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GöttinGer Miszellen Beiträge zur ägyptologischen Diskussion Göttingen 2013 Heft 236

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GöttinGer MiszellenBeiträge zur ägyptologischen Diskussion

Göttingen 2013

Heft 236

Göttinger Miszellen is a refereed journal

ISSN 0344-385X

Advisory Board:

Mohamed Sherif Ali, KairoHeike Behlmer, Göttingen

Ola El-Aguizi, KairoFayza Haikal, Kairo

Boyo Ockinga, SydneyWolfgang Schenkel, Tübingen

Wolfhart Westendorf, Göttingen

recommended abbreviation: GM

Herausgegeben von Mitarbeitern des Seminars für Ägyptologie und Koptologie der Georg-August-Universität GöttingenV.i.S.d.P.: Heike Sternberg-El Hotabi Satz und Layout: Orell Witthuhn Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., GöttingenDie veröffentlichten Artikel geben nicht immer die Meinung der Redaktion wieder.Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, CD-ROM, DVD, Internet oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Herausgeber reprodu-ziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.Unverbindlicher Einzelverkaufspreis dieses Heftes im Direktbezug: € 5.00 zuzüglich Versandkosten

INHALTSVERZEICHNIS

TECHNISCHE HINWEISE ..........................................................................................4

KURZBEMERKUNGEN

Ritner, Robert K.: Some Errors in a Publication of the Petrie Collection ..................... 5

MISZELLEN

Aston, David A.: TT 320 and the QAy of Queen Inhapi – A Reconsideration Based on

Ceramic Evidence .......................................................................................... 7

Haili, Wang: Liu Wenpeng und die chinesische Ägyptologie .................................... 21

Jenni, Hanna: Totenbuch- und andere Sprüche auf dem Deckel des Sarkophages

Sethos’ I. ...................................................................................................... 31

Klotz, David: The Mortuary Texts on Statue JE 38001 (K. 603) ............................... 43

Kurth, Dieter: Kriegsverluste – Zwei Stelen der ägyptischen Sammlung Kestner-

Museums Hannover ..................................................................................... 51

Monnier, Franck: Les „narines au-dessus de leurs murs“ (l. 9 de la stèle II de

Kamosé) ....................................................................................................... 59

Morenz, Ludwig D.: Spuren besonderer Bild-Schriftlichkeit auf dem Hochplateau von

Serabit el-Chadim ......................................................................................... 65

Roeten, L.H.: Some remarks about the development of the pyramids of the 3rd and 4th

dynasty and the initial orientation of the pyramid complex of Maidum. Part II

..................................................................................................................... 75

Schenkel, Wolfgang: Ugarit – Agurit. Warum der Ägypter die Silbenfolge Cu – Ca als

unangenehm empfand ................................................................................. 87

Theis, Christoffer: Varia Philologica: Papyrus Wien Aeg 8426, x+I,18–23 ............... 91

Vittmann, Günter: Noch einmal der große Priesterstammbaum in Karnak ............... 97

NOTIZEN ZUR LITERATUR

Quack, Joachim Friedrich: Zur Verteidigung eines angeblichen Ghostwords ......... 109

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Liu Wenpeng und die chinesische Ägyptologie1

Wang Haili

Beijing Normal University

Bevor 1949 die Volksrepublik China gegründet wurde, lag die wissen-schaftliche Forschung hinter dem Rest der Welt zurück, und im Land gab es keine Ägyptologie. Nach der Gründung der VR China wurden aber von der Regierung einige Bemühungen unternommen, um das Gebiet zu entwickeln. Im Jahr 1955 richtete die Northeast Normal University in Changchun mit Unterstützung durch das Bildungsministerium für ganz China einen Kurs für die alte Geschichte der westlichen Kulturen ein. Sowjetische Experten wurden nach China eingeladen, um Vorträge für diesen Kurs zu halten. 1956 und 57 lud die Chinesische Akademie der Wissenschaften A. Fakhry (1905-1973) von der Universität Kairo und M. El-Amir (1914-1975) von der Universität von Alexandria in Ägypten zu einer Vortragsreihe ein, nachdem China und Ägypten ein Kulturprogramm vereinbart hatten. Ihre Vorträge, Das alte Ägypten (Ein Streifzug durch die Geschichte von den Anfängen bis 332 v. Chr.) und Die ägyptische Archäologie (Eine Studie der altägyptischen Architektur, Skulptur, Reliefs und Malereien der pharaonischen Zeit), wurden in den Jahren 1956 und 1959 in China veröffentlicht.2 1985 verfassten Zhou Gucheng (Fudan Universität, Shanghai), Wu Yujin (Wuhan Universität, Wuhan) und Lin Zhichun (Northeast Normal University, Changchun), die drei damals maßgeblichen Historiker in China, gemeinsam einen Artikel mit dem Titel „Das freie Feld im Studium der antiken Zivilisationen in unserem Land muss ausgefüllt werden“.3 Sie appellierten an das staatliche Bildungsministerium, Ägyptologie, Assyriologie, Hethitologie, Klassische Philologie und Alte Geschichte in China zu etablieren. Die chinesische Ägyptologie begann offiziell 1985, als das Institute for the History of Ancient Civilizations (IHAC) an der Northeast Normal University in Changchun gegründet wurde. Liu Wenpeng war ein früher Absolvent dieser Universität, betrieb aber Ägyptologie an anderem Ort und bereits vor der Gründung des IHAC. 1 Ich danke Dr. Renate Müller-Wollermann herzlich für die Korrektur meines deutschen Textes. 2 Cf. A. Fakhry, Aiji Gudaishi (Die Geschichte des alten Ägypten), chinesische Übersetzung von

Gao Wangzhi, etc., Beijing: Wissenschaftsverlag, 1956; M. El-Amir, Aiji Kaoguxue (Ägyp-tische Archäologie), chinesische Übersetzung von Lin Youqi, Beijing Wissenschaftsverlag, 1959.

3 Zhou Gucheng, Wu Yujin und Lin Zhichun, Das freie Feld im Studium der antiken Zivilisationen in unserem Land muss ausgefüllt werden, in: Shijie Lishi (Weltgeschichte), 11 (1985), 1-3; Zhou Gucheng, Wu Yujin und Lin Zhichun, The Void in the Study of Ancient Civilizations in our Country Must be Filled, in: Journal of Ancient Civilizations, 1 (1986), 3-11.

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I Liu Wenpeng (刘文鹏 1931-2007) wurde im Dezember 1931 in Dalian, einer Küstenstadt im Nordosten Chinas, geboren. Im Jahr 1950 wurde Liu zur Northeast Normal University, Changchun, Provinz Jilin, zugelassen, als Hochschüler der ersten Generation des neuen China. Liu studierte dort Geschichte an der gleichnamigen Fakultät.

Liu Wenpeng 1931-2007

Im Juli 1953 graduierte Liu mit exzellentem akademischen Ergebnis und durfte dann unter der Aufsicht von Professor Lin Zhichun (林志纯 1910-2007) ein Master-Studium beginnen. Lin ist der Vater des Studiums der antiken Weltgeschichte in China, ein sehr berühmter Historiker in China.4 Liu entschied sich für Westasien und Nordafrika, die Wiege der menschlichen Zivilisation, als Schwerpunkt. Für Chinesen ist es sehr schwer, diese Bereiche zu erforschen, weil sie nicht nur alte Sprachen lernen, sondern auch einige westliche moderne Sprachen beherrschen müssen; das heißt, Liu musste viel mehr Aufwand betreiben. Er begann, Englisch, Russisch und Latein zu lernen, die eine gute Grundlage für seine zukünftige Arbeit bildeten. Im Sommer des Jahres 1955 schloss Liu sein Studium an der Northeast 4 Zu Lin Zhichun s. [Yang Dawu], Editor’s Preface, in: Journal of Ancient Civilizations, 5

(1990), V-VII, und Hao Jitao, Bibliography of Works by Prof. Lin Zhichun, in: ibid., 1-8.

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Normal University ab und wurde Lehrer an dieser Universität. Im November 1955 erhielt Liu zum Zweck der Fortbildung die Zulassung zum Kurs für die alte Geschichte der westlichen Kulturen, der dem Ministerium für Bildung in China untersteht. Liu studierte Weltgeschichte unter der Leitung des russischen Experten Herrn Gladševskij, und schließlich wurde er Assistent von Professor Lin. Der Beginn der Kulturrevolution im Jahr 1966 beeinträchtigte seine Arbeit sehr. Liu wurde in ein kleines Dorf in der ländlichen Gegend im Bezirk Antu, Provinz Jilin, versetzt, wo das Wetter kalt und der Boden im Winter zugefroren ist. Liu lebte zusammen mit seiner Familie auf einem einzigen Kang5 und hungerte oft. Obwohl die Situation so schwierig war, hat Liu nicht aufgegeben zu lesen und zu schreiben. Solange er frei war, beugte er sich über das Kang für seine Studien. Am 28. April 1972 wurde Liu von den chinesischen Behörden aufgefordert, aus dem Dorf zur Lehrerhochschule von Tongliao,6 Provinz Liaoning, als Dozent zu gehen. Seit dem kehrte Liu in die akademische Welt zurück und widmete sein ganzes Leben der Altertums-kunde. Bald wurde er zum Außerordentlichen Professor und Ordentlichen Professor befördert. Liu beteiligte sich als Chefredakteur von Professor Lin Zhichun an der Abfassung der Grundzüge der alten Weltgeschichte7 und verpflichtete sich, die entsprechenden Kapitel zur Geschichte des alten Ägypten zu schreiben. Die Grundzüge der alten Weltgeschichte vertraten zu jener Zeit in China höchstes akademisches Niveau und übten einen weitreichenden Einfluss auf den chinesischen wissenschaftlichen Bereich aus. Von da an verlagerte sich Lius Schwerpunkt auf die Erforschung der altägyptischen Geschichte, ein sehr schwieriges Forschungsgebiet. Im Oktober 1988 setzte Liu zum ersten Mal seinen Fuß auf ägyptischen Boden, das Land der Pharaonen, und besuchte den Fünften Internationalen Ägyptologenkongress in Kairo. Liu verteilte ein Resumee ,,Über die frühen ägyptischen Städte und Stadtstaaten“,8 das alle Teilnehmer des Kongresses erhielten. Dies war ein aufregender und epochaler Moment, weil zum ersten Mal ein chinesischer Ägyptologe an einem Internationalen Ägyptologen-kongress teilnahm. Nach dem Kongress besuchte Liu noch die Pyramiden, das Tal der Könige und Luxor.

5 Kang ist ein traditionelles gemauertes Ofenbett für mehrere Personen, wie es auf dem Land vor

allem in Nordostchina üblich ist. 6 Im Jahr 1980 wurde sie in Neimenggu Minzu Shifan Xueyuan (Innermongolische Lehrer-

hochschule für Nationalitäten) und im Jahr 2000 in Neimenggu Minzu Daxue (Inner-mongolische Universität für Nationalitäten) umbenannt.

7 Lin Zhichun et al., Shijie Shanggushi Gang (Die Grundzüge der alten Weltgeschichte), Band I, Beijing: Volksverlag, 1979; Band II, Beijing: Volksverlag, 1981.

8 Liu Wen-peng, On the Egyptian Early Cities and City States, in: Fifth International Congress of Egyptologists, Abstracts of Papers, Kairo 1988, 176-177.

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Im September 1991 fand der Sechste Internationale Ägyptologen-kongress in Turin, Italien, statt. Leider verpasste Liu diesen Kongress auf Grund von Verzögerungen bei seiner Arbeit. Aber sein Resumee „Der Despotismus des pharaonischen Ägypten“9 wurde auf der Konferenz verteilt und der Beitrag anschließend in den Kongressakten publiziert.10 Für seinen herausragenden Beitrag zur Erforschung der antiken Weltgeschichte, vor allem der altägyptischen Geschichte, wurde Liu von der Abteilung für Erziehung der Inneren Mongolei zum akademischen Leiter der Disziplin für die Geschichte der Antike und der altägyptischen Geschichte ernannt. Im Oktober 1991 wurde das Institut zur Erforschung der alt-ägyptischen Geschichte an der Innermongolischen Lehrerhochschule ge-gründet und Liu zum Direktor ernannt. Dieses Institut ist das erste und einzige in China für das Studium der altägyptischen Geschichte und besteht bis zum heutigen Tag. Bei einigen Projekten arbeitete es auch mit IHAC zusammen. Liu wurde oft zu Vorträgen nach Changchun eingeladen und konnte einige hervorragende Studenten an das IHAC für ein Aufbaustudium weiterempfehlen.

II Lius chinesische Beiträge zur Erforschung der Ägyptologie umfassen hauptsächlich drei Bücher, nämlich Die Geschichte des Alten Ägypten, Ägyptische Archäologie und Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie. 1. Gudai Aiji Shi (Die Geschichte des Alten Ägypten), Beijing: Wirtschafts-verlag, 2000, Wiederabdruck 2001, 2003, 2005. Die Geschichte des alten Ägypten mit zwölf Kapiteln im Umfang von fast 600000 chinesischen Schriftzeichen ist die einzige komplette und detaillierte Darstellung der altägyptischen Geschichte bis heute in China. Dieses Buch verarbeitete Materialien aus den Bereichen Geschichte, Archäologie und Philologie, wandte multidisziplinäre Methoden an, benutzte Literatur in Englisch, Russisch, Deutsch und Japanisch und griff die neuesten Ergebnisse der Gelehrten des Westens und der ehemaligen Sowjetunion auf. Es entfaltete die Entwicklung der altägyptischen Gesellschaft aus den Perspektiven der Politik, Wirtschaft, Kultur und des sozialen Lebens. In der Geschichte des alten Ägypten gibt es zwei Besonderheiten. Die erste ist die Schwerpunktlegung auf die ökologischen Auswirkungen auf die Entstehung und die Entwicklung der altägyptischen Zivilisation. Im ersten Kapitel überprüfte Liu das geomorphologische und ökologische Umfeld des 9 Liu Wen-peng, The Despotism of Pharaonic Egypt, in: Sestro Congresso Internazionale di

Egittologia. Abstracts of Papers, Turin 1991, 433-435. 10 Liu Wen-peng, Review for the despotism of Pharaonic Egypt, in: VI Congresso Internazionale

di Egittologia. Atti, II, Turin 1993, 269-272.

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alten Ägypten und betonte, dass die natürliche Umwelt eine wichtige Rolle bei der Bildung der Besonderheit der alten ägyptischen Zivilisation gespielt hat.11 Andererseits benutzte Liu die Analyse der natürlichen Umwelt und ihren Einfluss auf die Entwicklung der Zivilisation, um auf das spezifische historische Phänomen der Kanäle hinzuweisen wie auch auf die Prävalenz von Hunger in der Ersten Zwischenzeit, der direkt an den niedrigen Wasserstand des Nils und die Verschlechterung der natürlichen Umwelt gekoppelt war.12 Die zweite Besonderheit betrifft die Ganzheit der ägypti-schen Geschichte. Lius Arbeit basierte auf dem System der Dynastien von Manetho, einem altägyptischen Priester und Historiker, der in der Ptolemäer-zeit lebte. Er teilte die Geschichte des alten Ägypten in die verschiedenen Perioden der prähistorischen Zeit und prädynastischen Kultur, der Bildung und des Aufbaus des ägyptischen Einheitsreiches, der Entwicklung und des Falls des ägyptischen Einheitsreiches, der militärischen Hegemonie und der Umformung des ägyptischen Reiches, des Zusammenbruchs, der Wieder-belebung und des Niedergangs des ägyptischen Reiches, der Fremdherrschaft und des Zusammenbruchs der Sklaverei, das heißt sechs verschiedene Perioden insgesamt. Die Geschichte des alten Ägypten wurde fünfmal aufgelegt und in einer Höhe von 15000 Exemplaren gedruckt. Im Jahr 2003 wurde dieses Buch vom Bildungsministerium in China als eines der Lehrbücher für Studenten empfohlen und war eine der prämierten Arbeiten der geisteswissenschaft-lichen Forschung Chinas. 2. Aiji Kaoguxue (Die ägyptische Archäologie), Beijing: Gemeinschaftsverlag, 2008. Die ägyptische Archäologie ist eine weitere herausragende ägyptologische Arbeit, die Liu schrieb, als er bereits an Krebs litt. Dieses Buch wurde trotz schmerzstillender Medikamente nicht mehr vollendet. Die ägyptische Archäologie beschreibt den Bau eines kompletten Systems der ägyptischen Archäologie. Durch seine Kenntnisse der altägyptischen Geschichte konnte er die ägyptische Archäologie als Leitmotiv in den Rahmen dieser Geschichte setzen. In jedem einzelnen Kapitel entfaltete Liu den Inhalt aus einer räumlichen Perspektive heraus und beschrieb städtische und ländliche Siedlungen, die Revolution der Bestattungssitten und die vielfältigen künstlerischen Leistungen in den Bereichen Architektur, Bild-hauerei und Malerei. Durch die Verflechtung der synchronen und diachronen Untersuchung wurde der geniale systematische Aufbau der ägyptischen Archäologie ins Leben gerufen. In der Ägyptischen Archäologie legte Liu drei Altersstufen der ägyptischen Archäologie fest, das heißt: die vorgeschichtliche Archäologie, die 11 Liu Wenpeng, Geschichte des alten Ägypten, Beijing: Wirtschaftsverlag, 2000, 12-21. 12 Liu Wenpeng, Geschichte des alten Ägypten, 274-278.

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Archäologie der pharaonischen Zeit und die Archäologie der griechisch-römischen Zeit. Das Buch reicht von der Entstehung der alten Ägypter bis zu der Geburt des ägyptischen Zivilisation 3000 v. Chr., über die Eroberung Ägyptens 332 v. Chr. durch Alexander den Großen, dem Ende der pharao-nischen Zivilisation, über die griechische und römische Herrschaft bis zur arabischen Eroberung im Jahre 641 n. Chr. und deckt somit alle Phasen des alten Ägypten ab. Dieses Buch umfasst die Revolution der ägyptischen prähistorischen Kultur, die städtische Zivilisation und Siedlungsstrukturen, religiöse Kultur, Gräber, Architektur, Kunst und Bestattungssitten und weiteres. Liu stützte sich nicht nur auf die traditionelle Archäologie, sondern berücksichtigte auch neue Zweige der Archäologie wie Luftbildarchäologie, Unterwasser-archäologie und Genderfragen. Die Geschichte des alten Ägypten und die Ägyptische Archäologie ergänzen sich gegenseitig und stellen so die Hauptwerke von Liu dar. Diese beiden Bücher waren der Mittelpunkt von Lius Forschung zur altägyptischen Zivilisation während seines ganzen Lebens. 3. Aijixue Wenji (Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie), Huhehaote: Verlag der Innermongolischen Universität, 1996. Die Gesammelten Aufsätze zur Ägyptologie sind eine Sammlung von Lius Artikeln, die bereits zuvor in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht worden waren. Dieses Buch umfasst 16 Kapitel, angefangen von den Studien zur altägyptischen Politik, Wirtschaft, Religion bis hin zu altägyptischer Kunst und Gebräuchen und deckt fast alle Aspekte der Ägyptologie ab. Die Artikel ,,Über die Entstehung der ägyptischen Zivilisation“,13 ,,Die frühe Stadt im Alten Ägypten“,14 ,,Der frühe Staat des alten Ägypten und seine Einheit“,15 ,,Die Entwicklung des Grabes von vordynastischer bis frühdynastischer Zeit im alten Ägypten“16 betreffen das frühe Stadium der altägyptischen Zivilisation. Diese Artikel mit einem Schwerpunkt auf den internationalen Diskussionen analysieren detailliert und systematisch den Ursprung der alten ägyptischen Zivilisation. 13 Liu Wenpeng, Über den Ursprung der ägyptischen Zivilisation, in: Shixue Lilun Yanjiu

(Historiographische Forschung), 2 (1995), 42-57; Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 36-62.

14 Liu Wenpeng, Die frühe Stadt im Alten Ägypten, in: Lishi Yanjiu (Geschichtsforschung), 3 (1988), 163-167; Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 63-80.

15 Liu Wenpeng, Der frühe Staat des alten Ägypten und seine Einheit, in: Shijie Lishi (Weltgeschichte), 2 (1985), 27-35; Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 81-97.

16 Liu Wenpeng, Die Entwicklung des Grabes von vordynastischer bis frühdynastischer Zeit im alten Ägypten, in: Neimenggu Minzu Shiyuan Xuebao (Hochschulzeitung der Innermon-golischen Lehrerhochschule für Nationalitäten), 3 (1988), 1-9; Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 141-155.

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Soweit es die Geburt der alten ägyptischen Zivilisation betrifft, bemühte sich Liu mit einer Kombination der neuesten archäologischen Befunde um eine neue hilfreiche Untersuchung. Mit neuem archäologischem Beweis-material schlug er vor, Menes als den ersten König des alten Ägypten, wie es der traditionellen Meinung entsprach, aufzugeben und statt seiner Narmer als den ersten König aufzufassen, der die Einheit Ober- und Unterägyptens schuf. In seinem Artikel ,,Wittfogels ‘Hydraulischer Despotismus’ und das alte Ägypten“17 kritisierte Liu eingehend und scharf das Werk des deutsch-amerikanischen Historikers Wittfogel ,,Oriental Despotism“,18 ein repräsen-tatives Werk mit antikommunistischer Tendenz. Liu wies darauf hin, dass die Missverständnisse von Wittfogel sowohl auf der von ihm verwendeten Theorie als auch seinen ungenügenden Geschichtskenntnissen beruhten. Er konstatierte statt dessen, unter Berufung auf den Marxismus und sein ägyptologisches Wissen, dass ,,der altägyptische Staat am Anfang kein autokratisches Regime war und der Despotismus weder mit der Bildung des ägyptischen Staates zusammenhing noch ein Resultat der Bewässerungs-projekte war ... “19 Liu urteilte dann, dass ,,der Despotismus des alten Ägypten keinen direkten kausalen Zusammenhang mit hydraulischen Projekten und der Bildung des ägyptischen Staates hat.“20 Der Artikel ,,Ein Vergleich der Bestattungssitten im alten Ägypten und dem alten China“21 beschäftigt sich mit dem Studium der altägyptischen Zivilisation aus einer vergleichenden Perspektive. Lius Vergleich der Beerdigung und Bestattungssitten, einschließlich der Wahl der Art der Mumie und der Mumienmaske sowie der Beerdigungsmodelle lieferte eine vollständige vergleichende Analyse der Bestattungsriten der alten Ägypter und des alten China. Die vorliegende Studie vertieft das Verständnis sowohl der altägyptischen Zivilisation als auch der alten chinesischen Zivilisation. Sie deckt unter anderem auf, dass sich manche Details bei den Bestattungsbräuchen sowohl bei den alten Ägyptern als auch bei den antiken Chinesen finden. Dieser Artikel, der eine große Zahl von alten chinesischen historischen Texten und archäologischem Material verarbeitet, reflektiert, dass Liu Kenntnisse der westlichen und traditionellen chinesischen Kultur hat. Er ist ein wahrer Meister in Kenntnissen. Die Gesammelten Aufsätze zur Ägyptologie sind die erste Kollektion von Aufsätzen, die in der Ägyptologie in China publiziert wurden. Seine 17 Liu Wenpeng, Wittfogels ‘Hydraulischer Despotismus’ und das alte Ägypten, in: Shixue Lilun

Yanjiu (Historiographische Forschung), 3 (1993), 18-35; Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 225-253.

18 Karl August Wittfogel, Oriental Despotism: A Comparative Study of Total Power, New York: Random House, 1957.

19 Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 252. 20 Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 252. 21 Liu Wenpeng, Ein Vergleich der Bestattungssitten im alten Ägypten und dem alten China, in:

Liu Wenpeng, Gesammelte Aufsätze zur Ägyptologie, 291-307.

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Veröffentlichung verdeutlicht, dass die chinesische Ägyptologie, die aus dem Nichts entstanden war, endgültig Fortschritte gemacht hat.22

III Liu schenkte dem Aufbau und der Entwicklung der Ägyptologie in China große Aufmerksamkeit. So schrieb er viele Artikel, um die Entwicklung der chinesischen Ägyptologie zu befördern. 23 Liu hat die Ägyptologie, ein schwieriges Fach, in China kultiviert und sein ganzes Leben darum gerungen.24 Er war fleißig und arbeitsam. Liu veröffentlichte mehr als 60 Publikationen in diversen hochrangigen und autoritativen Zeitschriften in China, so unter anderem in Geschichtsforschung, Weltgeschichte, Historio-graphische Forschung, und war Ko-Autor der Allgemeinen Kenntnisse der ausländischen Geschichte 25 (Band Altertum), unternahm die Zusammen-stellung der Bände über Archäologie26 und ausländische Geschichte27 für die Chinesische Enzyklopädie, war Chefredakteur der Zivilisation des alten Westasien und Nordafrika 28 (Reihe Westliche Zivilisation), Autor des Ursprungs von Westasien und Nordafrika 29 (Bebilderte Reihe Weltliche Zivilisation) und leitete die chinesische Übersetzung des Legacy of Egypt,30

22 Cf. Jiang Guishi, Die fleißige Arbeit im Königreich der Pharaonen, in: Shixue Jikan

(Historische Sammlung), 4 (1997), 76-77; Wang Haili, Das Mosaik des Studiums der Ägyptologie, in: Neimenggu Minzu Shiyuan Xuebao (Hochschulzeitung der Innermongo-lischen Lehrerhochschule für Nationalitäten), 4 (1998), 9-11.

23 Cf. Liu Wenpeng, Die Geburt, Entwicklung der Ägyptologie und ihre Erforschung in China, in: Shijie Lishi (Weltgeschichte), 1 (1994), 80-87; Liu Wenpeng, Ägyptologie und China, in: Shixue Lilun Yanjiu (Historiographische Forschung), 1 (2002), 66-76; Liu Wenpeng, Erschließe eine neue Welt der Ägyptologie, in: Neimenggu Minzu Shiyuan Xuebao (Hochschulzeitung der Innermongolischen Lehrerhochschule für Nationalitäten), 1 (2001), 1-3.

24 Tian Ming, Tong xiang Jinzita zhi dian (Auf dem Gipfel der Pyramide), Cf. http://www.3hresearch.com/printpage.asp?ArticleID=299

25 Liu Wenpeng et al., Waiguo Lishi Changshi, Gudai Bufen (Allgemeine Kenntnisse der ausländischen Geschichte, Band Altertum), Beijing: Jugendverlag Chinas, 1987.

26 Cf. Zhongguo Dabaike Quanshu, Kaogu Juan (Die chinesische Enzyklopädie, Band Archäologie), Beijing: Chinesischer Enzyklopädieverlag, 1986.

27 Cf. Zhongguo Dabaike Quanshu, Waiguo Lishi (Die chinesische Enzyklopädie, Band ausländische Geschichte), Beijing: Chinesischer Enzyklopädieverlag, 1990.

28 Liu Wenpeng (Hrsg.), Gudai Xiya Beifei Wenming (Die Zivilisation des alten Westasien und Nordafrika), Beijing: Chinesischer Geisteswissenschaftlicher Verlag, 1999.

29 Liu Wenpeng (Hrsg.), Xiya Beifei Tanyuan (Der Ursprung von Westasien and Nordafrika), Shanghai: Shanghai Kunst-Verlag, 2001.

30 J. R. Harris (Hrsg.), Aiji de Yichan (The Legacy of Egypt), Chinesische Übersetzung von Tian Ming et al., Shanghai: Shanghai Volksverlag, 2006.

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bearbeitete die Übersetzung von Egypt of the Pharaohs31 und weiteres. Die meisten Bücher wurden vom Volksverlag (Renmin Chubanshe), dem Wirtschaftsverlag (Shangwu Yinshuguan), dem Gemeinschaftsverlag (Sanlian Shudian) und dem Chinesischen Sozialwissenschaftlichen Verlag (Zhongguo Shehui Kexue Chubanshe) herausgegeben, hochrangigen Verlagen, die über einen hohen akademischen Standard verfügen. Alle diese Publikationen haben die Entwicklung der chinesischen Ägyptologie und die Erforschung der Altertumskunde in China deutlich vorangebracht. Lius Beitrag zur Erforschung der antiken Weltgeschichte und der chinesischen Ägyptologie gewann hohes Ansehen. Im Jahr 1989 wurde er zum Herausragenden Experten gewählt, und 1991 wurde ihm von der Landesregierung eine Zulage zuerkannt. Im Jahr 1993 wurde er in den Ausschuss der Zheng Xianzhi Educational Foundation (Hongkong) berufen und 1996 in den Ausschuss der Bai Ningdun Educational Foundation (Hongkong), 1997 gewann er den zweiten Preis der Zheng Xianzhi Educational Foundation. Lius bedeutende Leistung rief auch internationales Echo hervor. Im Jahr 1985 erhielt er den Ehrendoktor der Yuin University, USA, und 1988 wurde er in das Wörterbuch der Internationalen Bibliographie des Internationalen Biographischen Zentrums in Cambridge, England, auf-genommen. Obwohl Liu nicht der erste chinesische Ägyptologe war,32 bahnte er doch einen Weg für die Erforschung der altägyptischen Zivilisation in China und begründete eine Bearbeitung der ägyptischen Zivilisation mit chinesischen Characteristika.33 Viele Gelehrte haben Lius Erforschung der alten ägypti-schen Zivilisation hoch bewertet. ,,Seine Artikel und Bücher waren die neueste Frucht und höchste wissenschaftliche Leistungen im Bereich der Ägyptologie in China.“34 Der Tod von Liu war ein großer Verlust für die chinesische Ägyptologie. Die gesamtchinesische Akademie war in großer 31 Brian Fagan et al., Falao Wangchao (Egypt of the Pharaohs), Chinesische Übersetzung von

Huang Zhongxian, Taiyuan: Wunsch-Verlag, 2006. 32 Der erste chinesische Ägyptologe war Hsia (Xia) Nai (1910-1985), der Ägyptologie an der

University of London studierte und 1939 promovierte. Nach seiner Rückkehr nach China setzte Xia Nai seine Kenntnisse der Ägyptologie für die chinesische Archäologie ein und wurde einer der Begründer der chinesischen Archäologie. Leider hat Xia Nai das Studium der Ägyptologie nie fortgesetzt. Cf. K. C. Chang, Xia Nai, in: American Anthropologist, 88:2 (1986), 442-444; Linghu Ruoming, Xia Nai, an Early Pioneer in the Field of Egyptology in China, in: Journal of Ancient Civilizations, 16 (2001), 1-3; Morris L. Bierbrier (edited), Who was Who in Egyptology, fourth revised edition, London: The Egypt Exploration Society, 2012, 267.

33 Wang Tai, Zai Tongxiong Falao Wangguo de Qujing shang Pandeng (Klettern auf dem Pfad zum Reich der Pharaonen), in: Neimenggu Minzu Daxue Xuebao (Hochschulzeitung der Innermongolischen Universität für Nationalitäten), 4 (2005), 3-5.

34 Liu Jiahe und Liao Xuesheng (Hrsg.), Shijie Gudai Wenmingshi Yanjiu Daolun (Einführung in die Altertumskunde), Beijing: Hochschulbildungsverlag, 2001, 78.

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Trauer. ,,Ein großer Meister auf dem Gebiet der Weltgeschichte ist in China gestorben.“35 Liu hatte mehr als ein halbes Jahrhundert gelehrt. Er unterrichtete mehr als zehn Kurse für Studenten und Graduierte. Seine Vorlesungen waren immer alle reich an Inhalt, mit genauen Daten und logischer Analyse, von bildhafter Sprache, und sie waren ausgesprochen anregend. Ihm wurde der Preis als ausgezeichneter Lehrer der Provinz Jilin und ausgezeichneter Lehrer der Inneren Mongolei zugesprochen. Professor Liu hat viele Studenten auf dem Gebiet der antiken Weltgeschichte und Ägyptologie geschult, in verschie-denen Städten wie Peking, Shanghai, Tianjin und im ganzen Land. Liu war ehrlich, bescheiden, aufgeschlossen und respektabel, ein aus-gezeichneter Mann. ,,Wenn man einer seiner Schüler war oder schon einmal seine Vorlesung gehört hatte oder auch nur die Chance hatte, ihn zu sehen, hatte man das Gefühl, dass die Seele gereinigt worden sei. Er gibt einem immer einen Ansporn.“36 Obwohl Liu als Dekan der Fakultät für Geschichte und Politik, Rektor der Innermongolischen Lehrerhochschule für Nationa-litäten, stellvertretender Vorsitzender des chinesischen Verbands für Alter-tumskunde und weiteres fungierte, war Liu nie arrogant, sondern immer von Freundlichkeit, Bescheidenheit und Fleiß.37 Nach Lius Tod gab es viele Blogs im Internet zur Erinnerung an ihn. Z.B. ,,Professor Liu, Sie sind ein ausgezeichneter Lehrer unserer Universität und des ganzen Landes. Sie werden in unserer Erinnerung ewig leben.“38 Und ,,Professor Liu, wir sind stolz auf Sie, so ist die Universität, so ist die Innere Mongolei, und so ist das ganze China.“39

Fazit Liu Wenpeng widmete sein ganzes Leben dem Studium der Altertumskunde. Er kultivierte die Erforschung der Ägyptologie in China und lieferte einen prominenten Beitrag zur Erforschung der altägyptischen Zivilisation. Seine Bücher sind in China überaus einflussreich. Liu nahm als erster chinesischer Ägyptologe an einem Internationalen Ägyptologenkongress teil. Er bildete viele Studenten aus, die heutzutage an verschiedenen Orten auf dem Gebiet der Ägyptologie arbeiten. So verdient er, Vater der chinesischen Ägyptologie genannt zu werden. Liu Wenpeng wird in unserer Erinnerung ewig leben. Die chinesische Ägyptologie ist einen Schritt weiter!

35 Shenqie Daonian Liu Wenpeng Jiaoshou (Trauer um Professor Liu Wenpeng), Cf.

http://www.cawhi.com/show.aspx?id=2807&cid=11 36 http://www.sinoth.com/article/1000002749.html 37 http://www.sinoth.com/article/1000002749.html 38 http://www.neimd.com/blog/?action-viewnews-itemid-1339 39 http://www.neimd.com/blog/?action-viewnews-itemid-1339