Friedrich Weilenmann und seine Bemühungen um ein modernes Postwesen in Andorra

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Friedrich Weilenmann und seine Bemühungen um ein modernes Postwesen in Andorra Gerhard Lang-Valchs Spätestens seit den Veröffentlichungen zur andorranischen Postgeschichte von Derek W. Tanner 1 ist allgemein bekannt, dass es im Pyrenäental von Andorra um die Jahrhundertwende und bis in die späten 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein nur einen rudimentären Zustellbetrieb für Postsendungen gab. Zur Einrichtung eines eigenen Postwesens mit (landes-)eigenen Beamten, Briefmarken, etc. war es im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht gekommen. Für Frankreich wie auch für Spanien war Andorra wohl insgesamt, wie es der Schweizer Friedrich Weilenmann in seinem Buch 2 an mehreren Stellen ausdrückt, kaum mehr als „une quantité négligeable“. Und nur so scheint es dem uneingeweihten Beobachter erklärlich zu sein, dass auch die Spanier nach dem Weltpostkongress von 1878 fast 50 Jahre verstreichen ließen, ehe sie von dem dort erstmals gemachten und später durch die Unterschriften unter die Folge- bzw. Fortsetzungsverträge auf den folgenden Postkongressen stillschweigend akzeptierten Zugeständnis, sich um das andorranische Postwesen kümmern zu dürfen, Gebrauch machten. Nichts ist weiter von der historischen Wirklichkeit entfernt als diese Ansicht. Denn Ansätze und Bemühungen eine geregelte postalische Versorgung und schließlich auch eine Postverwaltung auf die Beine zu stellen, hatte es seit den 80-er Jahren des vorletzten Jahrhunderts von französischer und spanischer, später auch von andorranischer und von 4. (privater) Seite immer wieder gegeben. 3 Sie waren aber allesamt am Widerstand eines der jeweils anderen Beteiligten bzw. Betroffenen gescheitert. 1 Derek W. Tanner: „The Postal History of Andorra“ in “Valira Torrent “ Jan. 1975, S. 1-6, Nov. 1975, S. 2-6, Febr. 1979, S. 1-5, Okt. 1976, S. 1ff [http://apsc.free.fr/vt1-1/index.htm#topanchor] = 1. Teil [Links führen zu den folgenden Teilen.] 2 Friedrich Weilenmann: „Die Wahrheit über die Pyrenäenrepublik Andorra“, Zürich 1939 (Selbstverlag)

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Friedrich Weilenmann und seine Bemühungen umein modernes Postwesen in Andorra

Gerhard Lang-Valchs

Spätestens seit den Veröffentlichungen zur andorranischenPostgeschichte von Derek W. Tanner1 ist allgemein bekannt,dass es im Pyrenäental von Andorra um die Jahrhundertwendeund bis in die späten 20-er Jahre des letzten Jahrhundertshinein nur einen rudimentären Zustellbetrieb fürPostsendungen gab. Zur Einrichtung eines eigenen Postwesensmit (landes-)eigenen Beamten, Briefmarken, etc. war es imGegensatz zu anderen europäischen Ländern nicht gekommen.Für Frankreich wie auch für Spanien war Andorra wohlinsgesamt, wie es der Schweizer Friedrich Weilenmann inseinem Buch2 an mehreren Stellen ausdrückt, kaum mehr als„une quantité négligeable“. Und nur so scheint es demuneingeweihten Beobachter erklärlich zu sein, dass auch dieSpanier nach dem Weltpostkongress von 1878 fast 50 Jahreverstreichen ließen, ehe sie von dem dort erstmalsgemachten und später durch die Unterschriften unter dieFolge- bzw. Fortsetzungsverträge auf den folgendenPostkongressen stillschweigend akzeptierten Zugeständnis,sich um das andorranische Postwesen kümmern zu dürfen,Gebrauch machten.

Nichts ist weiter von der historischen Wirklichkeitentfernt als diese Ansicht. Denn Ansätze und Bemühungeneine geregelte postalische Versorgung und schließlich aucheine Postverwaltung auf die Beine zu stellen, hatte es seitden 80-er Jahren des vorletzten Jahrhunderts vonfranzösischer und spanischer, später auch vonandorranischer und von 4. (privater) Seite immer wiedergegeben.3 Sie waren aber allesamt am Widerstand eines derjeweils anderen Beteiligten bzw. Betroffenen gescheitert.1 Derek W. Tanner: „The Postal History of Andorra“ in “Valira Torrent “Jan. 1975, S. 1-6, Nov. 1975, S. 2-6, Febr. 1979, S. 1-5, Okt. 1976, S. 1ff[http://apsc.free.fr/vt1-1/index.htm#topanchor] = 1. Teil [Links führen zu den folgenden Teilen.]2 Friedrich Weilenmann: „Die Wahrheit über die Pyrenäenrepublik Andorra“, Zürich 1939 (Selbstverlag)

Doch es war dann nicht, wie man vermuten könnte, derPostkongress von Madrid im Jahre 1920 und auch nicht dieInitiative des im selben Jahr neu ins Amt berufenenBischofs Guitart von Seo de Urgel, der die für Andorra sowichtigen Zollfreiheitsbestimmungen (franquicias) seitensder spanischen Regierung, die in den Tagen des 1.Weltkriegs praktisch völlig in Vergessenheit geraten waren,wieder anmahnte und erfolgreich einforderte, die dasLändchen wieder ins Bewusstsein seines Nachbarn rückenließ. Es waren auch nicht Friedrich Weilenmanns Bemühungen(ab 1926) und auch nicht die Reaktion der spanischenRegierung(sbeamten) darauf, die den Stein (wieder) insRollen brachten, sondern etwas völlig anderes, was zunächstabsurd und abwegig erscheint und in den Veröffentlichungenzur andorranischen (Post-) Geschichte bisher überhauptnicht gesehen oder beachtet wurde: Das von der sog. 2.Internationalen Opiumkonferenz 1924/25 bezüglich derRegelung und Begrenzung des Opiumhandels vorgelegteinternationale Abkommen.

In diesem Artikel sollen zunächst Friedrich Weilenmann,seine Beziehungen zu und seine Rolle in und um Andorravorgestellt werden, um dann aufzuzeigen welche Pläne er unddie Andorraner in bezug auf ein modernes Postwesen hattenund wie man versuchte, sie umzusetzen. Danach werden dieBemühungen spanischerseits, ein Postbüro in Andorraeinzurichten, unter die Lupe genommen. Am Ende werden dieMotive und Hintergründe der Einrichtung des spanischen undspäter auch des französischen Postbüros in Andorra erhelltund die bisherigen Auffassungen über ihreEntstehungsgeschichte werden – wie ich glaube – zumGroßteil in einem neuen Licht erscheinen.

Friedrich Weilenmann wurde am 10. Juni 1880 in Zürichgeboren und arbeitete in den 20-er Jahren des letztenJahrhunderts als Viehhändler in der Schweiz. Wie er selbstschreibt4, kam er erstmals 1922 auf einer Viehmesse in Churmit Andorranern in Kontakt. Er war ihnen dabei behilflich,

3 Die (detaillierte) Darstellung dieser verschiedenen Initiativen muss einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben.4 F. W., S. 99

den Transport für das dort gekaufte Vieh durch Frankreich(und Spanien) bis nach Andorra zu organisieren. Dieseersten Kontakte führten zu weiteren, die sein Interesse andiesem Lande weckten und 1925 in eine erste Reise nachAndorra mündeten. Die Erlebnisse und Erfahrungen auf dieserReise durch dieses rückständige Land mit seinermittelalterlichen „Staatsstruktur“5 und sein Aufenthaltdort beeindruckten ihn derart, dass er beschloss, etwas fürdie Entwicklung dieses Gebietes zu tun und den Andorranernzu helfen. In seiner schwärmerischen Verliebtheit in diesesLand und seine Menschen, das in ihm das Bild seinergeliebten Schweiz evozierte, schwebte ihm vor, dass dieAndorraner in ihrem Land (fast) ohne moderne Straßen undKommunikationsmöglichkeiten, Schulen und Krankenhaus, ohneEnergieversorgung und eigene Post ihr Schicksal wieseinerzeit die Eidgenossen in die eigene Hand nehmen undsich aus ihrer Bevormundung durch ihre Lehnsherren befreiensollten.

Sein Beitrag sollte darin bestehen, „die Einführung einerden Bestimmungen des Weltpostvereins adäquatenPostverwaltung“6 in die Wege zu leiten, welche er nachSchweizer Vorbild aufzubauen gedachte. Dieses Postwesen,das nicht unerheblichen Gewinn u. a. durch den Verkauf vonBriefmarken zu Sammlerzwecken abwerfen würde, sollte zurFinanzierung von Projekten zur Entwicklung undModernisierung des Landes dienen, denn Steuern wurden inAndorra nicht erhoben.

Ehe wir nun zu den konkreten Initiativen kommen, solltenwir uns kurz mit der politischen Situation Andorrasbefassen und den Schwierigkeiten, die sich daraus für dieDurchführung seines Plans ergeben sollten.

Andorra war ein kleines Staatswesen ohne Verfassung inunserem heutigen modernen Sinn. Insofern war die politischeEntwicklung der übrigen europäischen Staaten an diesemTerritorium vorbeigegangen. Grundlage des Zusammenlebenswar die sog. pareatge von 1278, eine Art mittelalterlicher

5 Andorra sieht sich als der älteste Staat Europas, bekam aber erst 1993 eine Verfassung.6 F. W., S. 100

Lehensvertrag zwischen dem Bischof von Seo de Urgel und demFürsten von Foix, und das in der Rechtssammlung des sog.„Politar“ und des „Manual Digest“ zusammengefassteGewohnheitsrecht, das sich im Laufe der Jahrhunderte durchdie Rechtsprechung und Rechtspflege ergeben hatte. Unddieses mittelalterliche Relikt bereitete in einem sichdemokratisierenden und sich wirtschaftlich immer stärkerinternational verflechtenden Europa mit einer ständigwachsenden Mobilität zunehmend Probleme, denn auf dieMöglichkeiten und Notwendigkeiten der neuen Zeit wusstendiese dort aufgezeichneten „Gesetze“, Urteile undBestimmungen häufig keine (befriedigenden) Antworten zugeben.

Die „caps de casa“, die Oberhäupter einer seitJahrhunderten mit nur geringen Veränderungen bestehendenZahl der wichtigsten und meist reichsten Haus-, Hof- undGrundbesitzerfamilien wählten aus ihren Reihen 12, später24 Vertreter in den sog. Generalrat oder Rat der Täler, demder Generalsyndikus mit seinem Vertreter vorstanden. DieRechte, die sie ausübten bezogen sich auf denadministrativen und innenpolitischen Bereich nach unserermodernen Begrifflichkeit. Eine Perspektive nach außen, überdie Grenzen der beiden Nachbarstaaten Spanien undFrankreich hinaus hatte es praktisch nie gegeben. Ausdiesem Grunde existierten auch keine diesbezüglichenBestimmungen und Abgrenzungen von Zuständigkeiten in dem,was wir heute als außenpolitischen Bereich bezeichnenwürden, waren niemals nötig gewesen und deshalb auchniemals getroffen worden. Einer Behauptung oder Usurpationvon Zuständig- und Nichtzuständigkeiten durch denMinisterpräsidenten der Französischen Republik bzw. dessendesignierten Delegierten für Andorra oder den Bischof vonSeo de Urgel konnte mangels unabhängiger Rechtsprechung undexekutiver Organe außer Argumenten oder dem Versuch, dieGegenseite für die eigenen Interessen zu mobilisieren,letztlich nichts entgegengesetzt werden. Die vielenVeröffentlichungen zwischen 1870 und 1930 in Frankreich wiein Spanien zur „question d’Andorre“ zeigen, wieunterschiedlich die Rechte der jeweiligen Seite gesehenwurden und dass darüber selbst im jeweils eigenen Land zum

Teil beträchtliche Unterschiede in den Auffassungenherrschten.

Ansprech- bzw. Verhandlungspartner waren für FriedrichWeilenmann somit zunächst die Repräsentanten Andorras, vondenen er einen offiziellen Auftrag erhalten musste, um auchtatsächlich im Namen des Landes verhandeln zu können,weiterhin der französische Staatspräsident alsRechtsnachfolger der Fürsten von Foix und des Königs vonFrankreich und der Bischof von Seo de Urgel, die ihre Machtals gleichberechtigte Koprinzen ausüben sollten; aber auchder spanische Staat kam hinzu, denn ihm war 1878 vomWeltpostkongress die postalische Zuständigkeit über Andorraübertragen worden.

Weilenmanns Post-Initiative war aber nur der erste Schrittin einer ganzen Reihe von Aktionen, die von etlichenführenden Mitgliedern des andorranischen Generalrates zumTeil selbst durchgeführt und unterstützt wurden und dienicht nur das Ziel hatten, die Lebensbedingungen in Andorrazu verbessern sondern parallel dazu bzw. als Voraussetzungdafür die Erreichung der politischen Unabhängigkeit von denKo-Prinzen, eine internationale Anerkennung und somit freieHand für eine moderne wirtschaftliche Erschließung ihresLandes zu erreichen. Da es im Lande selbst keinekonstituierten Parteien gab und geben durfte, waren eseinzelne Personen, die diesen Trend an leitender Stellerepräsentierten. Diese Entwicklung führte dann auchzielstrebig in kleinen Schritten in verschiedenen Bereichenweiter bis zur sog. Andorranischen Revolution von 1933.Diese wurde dann aber im August desselben Jahres durch denEinmarsch französischer Gendarmen unter der Führung desObersten René Baulard abrupt beendet.

Weilenmann, dem noch kurz zuvor die Ehrenbügerwürde und dieandorranische Staatsbürgerschaft wegen seiner Verdiensteund Bemühungen verliehen worden waren, musste nun wie auchandere der gleichgesinnten Generalräte Andorra verlassen.Mit ihnen zusammen versuchte er eine Exilregierung zubilden, internationale Proteste gegen die französischeMilitäraktion zu mobilisieren; er wurde Mitbegründer desVerbandes der Auslandsandorraner in Barcelona, deren

Verbandsorgan „L’Andorrà“ er weitgehend finanzierte. Erstder Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 setzte seinenAktivitäten in, um und für Andorra ein Ende. Der letzte Aktwar ein unter Mithilfe von Dr. Alphons Haas7 im April 1939in Zürich noch vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs imSelbstverlag veröffentlichtes Buch, das der Öffentlichkeitdie „Wahrheit über Andorra“ – so der Titel - vor Augenführen sollte. Friedrich Weilenmann starb am 23. April 1953in seiner Heimatstadt Zürich. Seine für die moderneandorranische Geschichte sehr interessanten Aufzeichnungenund Dokumente, die er hinterließ, sind wohl leider fürimmer verloren.

Nach der Niederlage Deutschlands und Österreichs im I.Weltkrieg wurde zusammen mit bzw. parallel zum sog.Versailler Friedensvertrag seitens der Siegermächte derVölkerbund gegründet. Laut Satzung gehörte auch der Kampfgegen den Opium- und Sklavenhandel zu seinen Aufgaben.Diese wurden vom sog. Opium-Zentralkommitee wahrgenommen.Und dieses hatte allen Mitgliedsstaaten zum Abschluss der2. Internationalen Opiumkonferenz von 1924/25 am 19.Februar 1925 den 2. Vertrag gegen den Opiumhandel zurUnterschrift und Ratifizierung vorgelegt. Gleichzeitigerging gemäß § 35 des Vertragswerks an die übrigen(Nichtmitglieds-) Staaten die Aufforderung, sich diesemVertrag anzuschließen. Dies tat Andorra per Unterschriftdes Generalsyndiks Pere Font.

Nachdem der französische Außenminister durch ein Schreibendes Generalsekretärs des Völkerbundes8 vom 6. November vondieser Unterschrift erfahren hatte, protestierte er imNamen Frankreichs. Andorra wurde die Berechtigungabgesprochen, durch Unterschrift eines (eigenen) Vertretersdiesem Vertrag beitreten zu können: ein solches Recht kommelediglich dem französischen Außenminister zu, Andorrabesitze auch keine juristische Persönlichkeit. Eineentsprechende Mitteilung des Generalsekretärs des

7 Dieser wird in etlichen Bibliothekskatalogen fälschlicherweise als Autor von Weilenmanns Buch genannt.8 C.L. 37.1925.V , zitiert nach den Akten des spanischen Außenministeriums (AMAE, R 1379, exp. 2, 19)

Völkerbundes darüber an den Spanischen Außenminister9 bliebnun nicht ohne Wirkung. Man widersprach in Madrid energischder französischen Auffassung.10 Auf der Suche nachArgumenten, die die eigene Auffassung stützen sollten,stieß man in den Archiven des Außenministeriums auf eineMenge Unterlagen.11 Im Laufe des nun folgendenmehrmonatigen Hin und Her wurde man sich in der RegierungPrimo de Rivera bewusst, dass die Postfrage in Bezug aufAndorra ein (noch) nicht befriedigend gelöstes Problemdarstellte. Und die Neuordnung der Außenpolitik aber auchder Kommunikation(swege) waren ja Prioritäten der Regierungdes königlich geduldeten Diktators. So entstand wohl dieIdee durch die Schaffung von Tatsachen in einemÜberraschungscoup12 die wenigen Einflussmöglichkeiten, dieSpanien in Andorra hatte, aufrechtzuerhalten und sogar nochauszubauen. In der Sitzung des Ministerrats vom 28. 12.1926 beschloss man dann, dieses Projekt in die Tatumzusetzen.

Schon während seinem ersten Aufenthalt im Jahre 1925 hatteer Ideen, Gedanken und Pläne zur Entwicklung Andorrasangedacht, für die er besonders den damaligen VizesyndikCairat und Pere Torres Riba interessieren konnte.13

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz informierte er sichumfassend darüber, wie man die Organisation einerPostverwaltung angehen und bewerkstelligen könnte. Erbereitete sich auf seine nächste Andorrareise gründlich vorund führte Vorgespräche beim Internationalen Postverein, woer Einblick in die vertrackte juristische Situationerhielt. Er konnte auch in seinem Heimatland einige Freundeund Bekannte für seine Pläne interessieren. Da einer derersten und vielleicht wichtigsten Verhandlungspartner der9 AMAE, R 1379, exp. 02, 55 (Schreiben vom 9.4.25 in seiner an den Span. Außenminister gerichteten Version.)10 AMAE, R 1379, exp. 02, 52 (Schreiben vom 30.4.25)11 AMAE, R 1379, exp. 02, 54 u.a. 12 Der bekannteste Überraschungscoup Primo de Riveras war wohl die Landung spanischer Truppen in Alhucemas nach vorherigem Truppenrückzug, was in kurzer Zeit zur Beendigung des Kolonialkrieges in Marokko führte.13 Möglicherweise handelte es sich bei dieser „Allianz“ mit Weilenmann um ein „Geschäft auf Gegenseitigkeit“, bei dem die Andorraner ihrerseits versuchten, Weilenmann für ihre Pläne einzuspannen.

Bischof von Seo de Urgel sein würde, war es sehrvorteilhaft, dass er den im Kloster Einsiedeln im Ruhestandlebenden ehemaligen Erzbischof Raymund Netzhammer14 fürsein Unternehmen gewinnen konnte. Da Weilenmann selbst nurwenig Französisch und kein Spanisch sprach, war ein solcherBegleiter von besonderem Nutzen, da er vor Ort alsGewährsmann und Dolmetscher dienen konnte.

Zwischen Weihnachten und Neujahr (22.12. – 31.12.1926) fuhrer schließlich mit Bischof Netzhammer über Perpignan undBarcelona nach Andorra. Da selbst war er allerdings nureinen Tag lang, seine Aktivitäten entfaltete er vonBarcelona aus: er führte Vorgespräche, sprach Termine fürseine zweite Reise ab und gab sozusagen den Startschuss fürseine Postintiative, ehe er in die Schweiz zurückreiste.

Weilenmann hatte einen detaillierten Plan zur Organisationdes Postwesens in Andorra ausgearbeitet.15 Dieser sah dieEinrichtung von Postbüros in der Hauptstadt und den sechsGemeinden Andorras vor, die Ausbildung von Postbeamten undBriefträgern durch Schweizer Fachleute, die Ausgabe vonBriefmarken, die Übernahme der Posthoheit in eigener(andorranischer) Verantwortung und die Mitgliedschaft imWeltpostverein.16

Nach seiner Rückkehr stand bereits für den 1.2. eineAudienz beim Schweizer Bundespräsidenten Motta auf seinemPlan. Diesen informierte er nun über den Beginn seinerInitiative und die nächsten Schritte, die er zu unternehmengedachte und vereinbarte wohl auch schon gleich seinennächsten Termin.

Kaum eineinhalb Wochen später, am 13.2., begann die nächsteReise, auf der erste Vorgespräche und Verhandlungen mit dem

14 Weilenmann nennt in seinem Buch den Namen des im Kloster Einsiedeln den Ruhestand verlebenden Bischofs (Raymund Netzhammer) nicht, aber Netzhammers Tagebuchaufzeichnungen und ein Brief des Schweizer Malers Albert Pfister an ihn, die im Stiftsarchiv Einsiedeln zu finden sind (.5A; C.5.B; C.8), bestätigen bzw. ergänzen seine Angaben.15 F. W., S.107 ff16 Letzteres ist im Zusammenhang mit den Bemühungen Weilenmanns und etlicher Generalräte zu sehen, die auf lange Sicht die Unabhängigkeit Andorras anstrebten. (s. a. F. W. S. 100/101)

Bischof Guitart von Seo de Urgel, dem einen der Koprinzen,auf der Tagesordnung standen. Auch hierbei begleitete ihnBischof Netzhammer. Nach einer Abstimmung mit VizesyndikCairat wurde dann die auf der vorherigen Reise vereinbarteAudienz im Bischofspalast von Seo de Urgel am 16.2. unterAnwesenheit des Vizesyndiks und des Generalvikars Planeswahrgenommen. Die vorgeschlagene Initiative erschien denKirchenmännern interessant und unterstützenswert. Und soerklärte sich der Bischof bereit sich gelegentlich der nunanstehenden Verhandlungen in Madrid für die andorranischeSache verwenden zu wollen, was er dann ja schließlich auchtun sollte.

Nach diesem Anfangserfolg wurden nun die Verhandlungen inMadrid und Paris ins Auge gefasst. Zwecks Berichterstattungund Empfehlungsschreiben sprach er wieder bei seinemBundespräsidenten vor (27.4.), der die Intiative auchweiterhin wohlwollend unterstützte.

Am 7. Juli ging es dann in die dritte Runde. Nach einemAbstecher nach Andorra war Madrid die wichtigste Station.Die Gespräche können aber auf Grund der zeitlichen Planungbestenfalls als Vorgespräche geplant gewesen sein;zumindest in Madrid hatte er höchstens anderthalb Tage Zeitfür Treffen mit Repräsentanten der Postverwaltung und desAußenministeriums, denn am 14. musste er bereits in Parissein. Trotz der Hilfe und Unterstützung durch Diplomatender Schweizer Botschaft kam es auch dort lediglich zuVorgesprächen, die wie in Madrid mit der Aufforderungabgeschlossen wurden, die Ideen und Vorschläge inschriftlicher Form zusammenzufassen und bei den zuständigenStellen einzureichen.

Das Fazit, das er selbst nach diesen Verhandlungen zieht,ist nicht besonders ermutigend, auch wenn er sich selbst„zuversichtlich“17 gibt. In seinem von ihm selbst zitiertenBericht vom 24. 7. 1927 an die andorranischen Generalrätebezeichnet er es als illusorisch eine Regelung derPostfrage vor dem nächsten Weltpostkongress 1930 zuerwarten, glaubt aber, dass energisches Auftreten das

17 F. W., S. 124 ff

richtige Mittel sei, Spanien wie Frankreich zuentsprechenden Konzessionen zu bringen.

Die von ihm bereits vorbereitete Eingabe in Paris wirdabschlägig beschieden.In Madrid, wo er sich mit Vertretern der Postverwaltung unddes Außenministeriums getroffen hatte, erklärte man ihmwohl, dass er als erstes einen offiziellen Antrag an denAußenminister richten müsse, in dem er seine Absichtendarlegen könne und seine Vollmachten präsentieren müsse.Außerdem hatte man ihm anscheinend bedeutet, dass man einemBeitritt Andorras zum Weltpostverein nicht zustimmen werdeund Andorra gegebenenfalls postalisch isolieren oderblockieren könne. Der Beitritt Andorras hättelogischerweise den Verlust des Anspruchs Spaniens auf dieErrichtung des Postdienstes bedeutet.

Am 26. 10. (Eingangsstempel 28.10.) sendet Fr. Weilenmannan den Staatsminister (=Außenminister) als angeblichoffizieller Bevollmächtigter Andorras und des Bischofs vonSeo de Urgel – wie er selbst formuliert - einen Brief, indem er und die Andorraner schon die Konsequenzen aus denersten Gesprächen gezogen haben. Weilenmann bietet denVerzicht der Andorraner auf den Beitritt zum Weltpostvereinan, falls Spanien den Vorschlag, ihm die Postkonzession fürAndorra zu überlassen, positiv bescheide. 10 Tage zuvorhatte der Bischof Guitart einen Brief an López Lagos, denLeiter der Abteilung Handel im Staatsministerium gesandt,in dem er sich für Weilenmann und seine Postpläne und dieInteressen Andorras einsetzte.

In einer Rand- bzw. Bearbeitungsnotiz vom 31.10. wirdvermerkt, dass man diesem Antrag nicht nachkommen könne, dadie Neuorganisation des Postwesens in Andorra bereits 1926vom Ministerrat gebilligt worden sei. Am selben Tag wirdder Königliche Erlass zur Errichtung des andorranischenPostwesens vom König unterzeichnet, zwei Werktage späterwird der französische Botschafter informiert. Dem Bischofwird erst mit Datum vom 8. 11. von López Lago dieablehnende Antwort auf seinen Brief zugesandt. DieAblehnung wird mit den weit fortgeschrittenen Planungenbegründet. Von dem Erlass und der unmittelbar

bevorstehenden Eröffnung des spanischen Postbüros ist indem Schreiben nicht die Rede.

In Unkenntnis der tatsächlichen Situation gibt der Bischofnach einem weiteren Gespräch mit dem ebenfalls ahnungslosenWeilenmann nicht auf. Am 25.11. sendet er erneut einenBrief an López de Lago. Er bietet nun an, dass Weilenmannals andorranischer Bevollmächtigter im Auftrag derspanischen Regierung zu noch auszuhandelnden Bedingungenden Postbetrieb übernehmen solle. Aus spanischer Sicht istes nun allzu verständlich, dass man nun nicht mehr bereitwar, einen Rückzieher zu machen, geschweige denn, aufdieses Schreiben zu antworten. Am 1. 1. 1928 werden dasSpanische Postbüro im Zentrum von Andorra de Vella sowiesechs Zweigstellen in den verschiedenen Gemeinden eröffnet.

Der Bischof fühlt sich durch das einseitige Vorgehen derSpanier brüskiert und protestiert.18 Frankreich hat, obwohlschon seit längerer Zeit zumindest darüber informiert, dasssich in der Postfrage etwas Konkretes tun werde, sich wedermit dem Bischof noch mit den betroffenen Andorranern inVerbindung gesetzt. Der Generalrat weiß zunächst nicht, wieer reagieren soll. Die einfachen Leute in Andorra, die sichüber Politik nicht weiter Gedanken machen bzw. die diepolitischen Implikationen nicht durchschauen – und dasdürften die meisten gewesen sein – begrüßen diesen neuenService als eine wesentliche Erleichterung und

18 Die Auffassung Tanners muss angesichts der Quellenlage als eine Geschichtsklitterung seitens des von ihm zitierten Guitart Vidal bzw.als eine bereits von diesem übernommene angesehen werden. Der französische Bibliothekar geht davon aus, dass der Bischof zwar zu spät von der Maßnahme unterrichtet wurde (noch im November), aber nacheiner Entschuldigung des spanischer Staatchefs seine Opposition aufgabund die Besetzung der entsprechenden Beamtenstellen guthieß. Er bezieht sich wohl auf die ablehnende Antwort von López Lago auf sein Empfehlungsschreiben vom 16.10. (AMAE, R 444, exp. 10/12, 197/6). Darin spricht er von einem diesbezüglichen Projekt, dessen Umsetzung weit fortgeschritten sei. Ein konkretes Datum für die Umsetzung wird nicht genannt. Auch das hilflos anmutende Lavieren den Andorranern gegenüber bestätigt m. E. dass der Bischof diese vage Ankündigung lediglich als Vorwand betrachtet hatte und an eine (sofortige) Umsetzung nicht glaubte.

Verbesserung, auch wenn von diese Maßnahme sich nur auf denBriefverkehr mit Spanien auswirkt.19

Auch die französische Regierung – schon länger auf dasEreignis vorbereitet - ist nicht begeistert. Man ist abernicht willens, etwas Konkretes dagegen zu tun. Was hätteman auch dagegen mit einiger Aussicht auf Erfolgunternehmen können? Dies hätte nur eine militärischeIntervention sein können, die aber wegen der zur Winterzeitgesperrten Passstraße unmöglich und wohl der Situationunangemessen war. An der Verschärfung der Situationund/oder einer Krise im Postverkehr war man nichtinteressiert. Angesichts dieser misslichen Lage fällt derProtest sehr gemäßigt aus. Man drängt in durchaus richtigerEinschätzung der Lage auf eine Änderung des„Andorraartikels“ beim bevorstehenden Kongress desWeltpostvereins in London. Statt Spanien weiterhin alleinedas Recht auf die postalische Betreuung Andorraszuzusprechen, sollten auf dem Londoner Kongress London undParis nun endlich als gemeinsame Inhaber dieses Rechtesgenannt werden.20 Da die Spanier wussten, dass sie eineEinrichtung eines parallelen französischen Postbüros ebensowenig würden verhindern können, ohne ihrerseits eine Kriseim Postverkehr mit Frankreich und damit mit ganz Europaaußer Portugal heraufzubeschwören oder gar den Andorranernvor dem Weltpostverein einen triftigen Grund liefernwürden, mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg, eine eigeneMitgliedschaft im Weltpostverein zu beantragen, stimmtensie bereits im Vorfeld der Londoner Verhandlungen einersolchen Änderung zu, allerdings unter der Bedingung, dassSpanien als erstes der beiden Länder im Vertragstextgenannt werde.21

Im Amtsblatt Nr. 1755 vom 9.8.30 wird schließlich im ErlassNr. 660 das Londoner Abkommen mit Wirkung vom 1.8.ratifiziert, die beiderseitige Zuständigkeit wird offiziell

19 Eine spanischerseits organisierte Postzustellung durch Briefträger findet nicht statt. Real Orden Nr. 201, 1º vom 29.2. 1928, veröffentlicht am 3. März 1928 in der „Gaceta de Madrid“20 Eine solche Initiative war bereits 1906 von Frankreich in die Wege geleitet worden. Warum sich Frankreich damals nicht durchgesetzt hat, ist unklar. (AMAE, 2303, 575/76)21 AMAE R 444, 129/129a.

festgeschrieben. Um weitere Unstimmigkeiten in der Zukunftzu verhindern, hat man die gegenseitigen Befugnissefestgelegt und abgegrenzt und sich ausdrücklich auf eineeinvernehmliche Zusammenarbeit zum Wohle Andorras geeinigt.Am 16. 6. 1931 eröffnet dann die Französische Post ihreigenes Büro, das sich dem Briefverkehr von, nach und durchFrankreich widmen wird.

Damit ist aber die bewegte Postgeschichte dieser Jahre nochnicht ganz abgeschlossen. Es sollte noch die Episode um dieEinrichtung einer Luftpostlinie von Barcelona nach Andorra(zum Flugfeld „Los Infiernos“ in der Nähe von Seo de Urgel)folgen. Während nach Abschluss der Probeflüge der Antragauf endgültige Genehmigung im Postministerium die Instanzendurchlief, machte der überraschende Herztod des Piloten demProjekt ein Ende. Die für diese Fluglinie vorgesehenenandorranischen Luftpostmarken kamen u.a. deshalb am Endedoch nicht an die Schalter.22

Friedrich Weilenmann behauptet, der erste gewesen zu sein,der versuchte, ein andorranisches Postwesen in die Tatumzusetzen. Das mag zwar aus seiner eingeschränktenhistorischen Perspektive und der der politisch führendenAndorraner richtig gewesen sein, stimmt aber mit denhistorischen Befunden nicht überein. Es hatte seit 1875etwa 10 Initiativen von offizieller wie von privater Seitegegeben. Sie waren am Einspruch der Franzosen, der Spanieroder der Andorraner selbst gescheitert.

Es lässt sich – sollten nicht noch andere Dokumenteauftauchen – nur darüber spekulieren, welche die Auslöserdes Beschlusses des Generalrats vom 18.5. 1926 waren,Briefmarken für den Postverkehr innerhalb Andorrasherauszugeben. Ein detaillierter Plan scheint (noch) nichtvorgelegen zu haben, denn Genaueres sollte noch geregeltwerden.23 Es ist nicht von der Hand zu weisen, darin dieInitiative Weilenmanns und seiner Freunde im Generalrat zusehen, die zunächst einmal eine grundsätzlich positive22 Einzelheiten kann man dem dreiteiligen Artikel von Carlos Romo: „The1932 „semi-official“ Airmails“ in „Valira Torrent“ 15 (März 1982), S. 2-9, 16 (Okt. 1982), S. 2-5 und 17 (März 1983), S. 2-4 entnehmen. [http://apsc.free.fr/vt16-1/index.htm]23 Llibre d’Actes (LDA) 1, 259

Entscheidung in der Postfrage erreichen wollten, wie auchimmer das Postwesen letztlich organisiert werden sollte.

Eineinhalb Jahre lang geschieht allerdings offiziell vonandorranischer Seite nichts weiter. Am 11. 11. 1927 berätdann der Generalrat über einen Antrag Weilenmanns, ihn zubevollmächtigen, ein eigenes Postwesen in Andorra zuorganisieren und entsprechende Verhandlungen in Madrid,Paris und Bern zu führen. Vom Bischof ist übrigens nichtdie Rede. Der Antrag wird abgelehnt.

In der Zwischenzeit hat Weilenmann in offiziellem Auftrag,wie er sagt, in Seo de Urgel, Madrid, Paris und Bern mitWissen und Unterstützung des Generalrates Cairat und wohlauch anderer Ratsmitglieder Verhandlungen geführt. InMadrid konnte er allerdings nur die unausgefüllten Entwürfefür die (vom Generalrat abgelehnte) Bevollmächtigung undKonzession vorlegen.24

In und um Andorra ahnt offensichtlich keiner derVerantwortlichen, dass die Entscheidung über dieandorranische Post längst gefallen ist. Die Eröffnung einesPostbüros in der Hauptstadt und von Poststellen in densechs Gemeinden des Landes ist beschlossene Sache. Keinerder Beteiligten dort hat die Veröffentlichung desKöniglichen Erlasses weder in seiner ursprünglichen Formvom 26. 11. (Nr. 1448) noch in seiner berichtigten vom21.12. (Nr. 1548) in der Gaceta de Madrid zur Kenntnisgenommen. Auch die beginnenden Vorbereitungen werden anoffizieller Stelle nicht zur Kenntnis genommen. DieAnmietung und Einrichtung von Räumlichkeiten seitens derSpanier konnten sowohl in der Hauptstadt wie auch in denGemeinden keinem verborgen bleiben. Oder man hat sie nichternst genommen? Wie anders ist es erklärlich, dass es nichtschon gleich zu Protesten kommt, während sich erst Wochenspäter als bereits vollendete Tatsachen geschaffen sind,sich eine Mehrheit des Generalrats zu aktiven Protestenbereit findet?

24 Die noch unausgefüllten (und natürlich nicht unterschriebenen) Entwürfe sind in den Akten des Spanischen Außenministerium (AMAE, R444, 193-95) erhalten.

Erst im Laufe der jetzt einsetzenden Diskussion über dieMaßnahme der Spanier und ihre politischen Folgen macht sichlangsam die Erkenntnis breit, dass man wieder einmalhilflos und uninformiert von Ereignissen überrollt wurde,nicht hatte mitreden und mitentscheiden können und dürfen.

So versammelt sich der Generalrat am 2.4. inaußerordentlicher Sitzung und beschließt, den Bischofdringend um Intervention bei den spanischen Behörden, gegendiese Verletzung der Privilegien und Rechte der Andorranerzu ersuchen, die ja nicht einmal befragt oder vorabinformiert worden waren.

Bei genauerem Hinsehen wird aber deutlich, dass diepolitische Diskussion erst begonnen hat. Dieser offizielleProtest richtet sich noch nicht gegen die Einrichtung derPost selbst, sondern gegen die für die Frankierungbenutzten Marken: Es handelt sich um spanische Serienmarkenmit dem Konterfei des spanischen Königs und dem Aufdruck„Correos – Andorra“.

Die folgende Sitzung am 9.6. zeigt sowohl die Hilflosigkeitdes Generalrates als auch die des Bischofs. Wie das Zitatdes bischöflichen Briefes in der Niederschrift belegt, istihm klar, dass er eigentlich nichts gegen die spanischeMaßnahme tun kann und wohl auch nicht (mehr) will. Er gibtsein Plazet zur Ernennung der mit dem Postbetrieb betrautenspanischen Beamten und zur Maßnahme insgesamt, in der ereine Verbesserung der postalischen Versorgung Andorrassieht, was ja objektiv auch korrekt ist. Um nicht inZugzwang zu kommen und seine Meinung explizit deutlichmachen zu müssen, gewährt er dem Generalrat ausdrücklichden Vertrauensvorschuss(!), selbst ein Protestschreibenformulieren zu dürfen und erlaubt ihm Reisen zwecks Klärungder Postfrage durchzuführen.

Die Antwort des Generalrates, der inzwischen auch bereitsmit Protestschreiben und –demonstrationen beimfranzösischen Regierungsbeauftragten für Andorra inPerpignan reagiert hatte, war der Beschluss, eine eigenePostverwaltung einzurichten und selbst Briefmarkenherauszugeben.

Während die spanische Post langsam aber sicher in die Gängekam, erwies sich die andorranische Eigeninitiative alsnicht so einfach durchführbar. Eine zu diesem Zeitpunktbereits Herrn Fernando Escalas zugestandene Konzession überdie Verausgabung von Briefmarken wird um 14 Monateverlängert. Aber auch diese Verlängerung führt zu keinemgreifbaren Ergebnis. Die Herausgabe der Marken – nur davonist im Text ausdrücklich die Rede – könnte an dermangelnden Professionalität ihrer Gestaltung gescheitertsein.25 Sollte es darüber hinaus (auch noch) Kontakte mitfranzösischen oder spanischen Stellen gegeben haben, ist eskeineswegs verwunderlich, dass keine der beiden Seitenjetzt noch bereit war, mit irgend jemandem über diesesThema zu verhandeln.

Bis Anfang Januar 1930 geschieht dann nichts Greifbares, sodass der Generalrat direkt nach Ablauf der Frist am 4.1.eine Kommission bildet, die den Auftrag hat, sich bei denzuständigen Stellen über die Möglichkeiten, (eine) Marke(n)für den innerandorranischen Postverkehr herauszubringen, zuerkundigen. Als sich auch hier keine Ergebnisse zeigen,wird bereits nach knapp 4 Wochen das Problem erneutdebattiert mit dem Ergebnis, die beiden Koprinzen direkteinzuschalten.

Auch hier kann sich auf Grund der spanisch-französischenAbsprachen im Vorfeld des Postkongresses von London und derPlanungen und Abmachungen für das französische Postbürowenig getan haben. So kam es dann 4 Monate später (21. 5.)zu dem Beschluss, den beiden Koprinzen eine Petitionzuzuleiten, gemäß der beide Postverwaltungen einezusätzliche interne Frankatur für Andorra zulassen sollten.Gleichzeitig wurde beschlossen, der Postkommission denAuftrag zu erteilen, darüber zu berichten, welche Maßnahmengegen die spanische und französische Postverwaltungergriffen werden können, um ihre Maßnahmen rückgängig zumachen.

25 Dies scheinen mir dieser Text sowie die Abbildungen der Probedrucke und der Angaben dazu auf den Seiten 134/35 in: Philandorre: „Vallées d’Andorre“ Catalogue National spécialisé, Paris 1978 nahezulegen.

Inzwischen hatten Spanien und Frankreich auch dasEinvernehmen des Bischofs von Urgel gesucht und sich aufeine Änderung des „Andorra-Artikels“ der Bestimmungen desWeltpostvereins verständigt und die Einrichtung eineseigenen französischen Postbüros war nur noch eine Frage derZeit. Aber die Verbitterung blieb und die Proteste derGeneralräte gingen weiter wie die Erlasse vom 14. 9. und18. 12. 1930 zeigen. Gegen die vereinte Front des Bischofs,des französischen Koprinzen und des Außenministeriums inMadrid hatte der Protest keine Chance mehr. AuchGegenmaßnahmen – welche denn? – waren illusorisch. DasProtokoll des Postkongresses von London wird denAndorranern als von allen außer ihnen selbst verbindlichakzeptierte aber auch von ihnen zu akzeptierende Rechtsnormvorgehalten.

Die andorranischen Generalräte geben sich trotzdem nochnicht geschlagen. Die einzige wenn auch vage Hoffnung, dienoch bleibt, ist Friedrich Weilenmann. Er hatte nach derAblehnung seiner Bevollmächtigung (1927) hinter denKulissen weiter gearbeitet, für sein Projekt geworben,hatte weiter verhandelt und war dabei stets von einigeneinflussreichen Freunden unterstützt worden. Schon am 24.4. 1929 war er erneut per Schreiben beim Bischof vorstelliggeworden mit der Idee, eine Art Pro-Juventute-Marke zu 4Pts. mit einer Auflage von 15.000 Stück herauszugeben,nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ein Teil des Erlösesihm als Aufwandsentschädigung zuzufließen habe. Für(völlig) aussichtslos scheint der Bischof die Idee nichtgehalten zu haben, denn er empfahl Weilenmanns Idee alsInitiative zum Wohle Andorras erneut nach Madrid weiter,machte aber sein endgültiges Einverständnis von mehrerenPunkten abhängig: 1. die graphische Gestaltung der Markemüsse von ihm genehmigt werden, 2. die spanische Post müsseihr Einverständnis geben und 3. sei ein noch festzulegenderTeil des Erlöses an den Generalrat abzuführen. Auch diesesProjekt wurde in Madrid abgelehnt.

Für dieselbe Idee – allerdings jetzt nicht mehr aus Anlassder 1000-Jahrfeier des ersten Zusammentretens derGeneralräte – erhält Friedrich Weilenmann am 21.9.31 die

Unterstützung in der Casa de la Vall.26 Sollten aberZweifel an den tatsächlichen Absichten der Mehrheit derGeneralräte bestanden haben, so lässt der Eintrag im Llibred’Actes vom 24. 2. 33, in dem er wegen seiner Verdienste umAndorra zum Ehrenbürger ernannt wird27, kaum noch Platz fürZweifel. Ihm werden ausdrücklich alle Ermächtigungenerneuert, die nötig sind, um durch Verhandlungen Andorrazum vollwertigen Mitglied des Weltpostvereins zu machen.Und für den Fall des Gelingens, wird ihm für drei Jahre diePostkonzession übertragen.

Mit den Beschlüssen des Generalrats zum Wahlrecht vomFebruar 1933 war die sog. Andorranische Revolution für allesichtbar angelaufen. Die französische und spanische Presseist in diesen Tagen voll von Meldungen über die neueEntwicklung in den Pyrenäen, in die weiter weg liegendenLänder dringt das Echo der neuen Entwicklungen seltener.Eine neue Verfassung soll ausgearbeitet werden. Dass darinder Einfluss der Koprinzen – wenn er denn überhaupt nochtoleriert werden sollte – stark beschnitten worden wäre,scheint ziemlich klar zu sein. Andorra sollte sich ausseiner mittelalterlich-feudalen Struktur lösen und sich zueiner modernen demokratischen Republik mausern. Fastgleichzeitig liefen aber auch besonders französischerseitsBemühungen an, diesen Bemühungen ein Ende zu setzen.28 Am18. August war es mit dem Einmarsch von 50 französischenGendarmen dann so weit. Damit war die politische Bewegungweg von den Koprinzen unterbrochen29 und die Postfrage warin Andorra ein für alle Male gelöst.30

26 LDA 1, 275a27 LDA 1, 280a28 René Baulard, «La gendarmerie française dans les Vallées d’Andorre»,18 août - 9 octobre 1933, en Bulletin de la Société Agricole, Scientifique et Littéraire des Pyrénées-Orientales LVIII (1943), pp. 137 - 22329 Sie ging zwar unter den Auslandsandorranern und in Andorra selbst noch weiter, geriet während des Spanischen Bürgerkriegs und des 2. Weltkriegs vorübergehend in Vergessenheit und konnte aber später nie mehr mehrheitsfähig werden. 30 Selbst die demokratische Verfassung von 1993 hat an der doppelten Postverwaltung nicht rühren können.

Die Auffassung Tanners, die juristischen Schwierigkeitenund die zu erwartenden politischen Komplikationen, die sichaus dem besonderen Status Andorras ergaben, seien dieUrsache dafür gewesen, dass Spanien die Einrichtung einesPostdienstes und/oder einer Postverwaltung in Andorra nichtanging, ist m. E. nicht zutreffend. So, wie die Spanier1928 vorgingen, hätten sie auch früher vorgehen können undpolitische Komplikationen wären auf Grund der früher nochstärkeren Anlehnung des Bischofs an Spanien nicht zubefürchten gewesen.

Die fehlende politische Stabilität und Kontinuität, diesich u.a. in den Carlistenkriegen und später im paktiertenWechsel der Regierungsparteien und Kabinette zeigte, dieKolonialkriege und der Verlust der letzten überseeischenBesitzungen und schließlich der Ausbruch den 1. Weltkriegssetzten andere Prioritäten und ließen Andorra als „quantiténégligeable“ gar nicht erst auf Dauer ins Blickfeld derspanischen Politik rücken.31 Aus den wie immer geartetenBeziehungen zu Andorra ließ sich außen- wie innenpolitischkaum Kapital schlagen, eher gingen Spanien durch die denAndorranern zugestandene Zollfreiheit (wenn auchgesamtwirtschaftlich gesehen vernachlässigenswerte) Beträgeverloren, für die die Spanier im Tausch nichts erhielten.Es herrschte in Spanien allgemein eine große Unkenntnisüber und ein fast absolutes Desinteresse an Andorra.

Auch die Tatsache, dass nach der Machtübernahme desDiktators Primo de Rivera (1923) die spanische Außenpolitikneu geordnet wurde, hatte bezüglich Andorras zunächst keineAuswirkungen. Es war der Zufall, der hier hineinspielte unddas Land wieder ins Bewusstsein der Beamten desAußenministeriums rücken ließ. Als Auslöser ist der ProtestFrankreichs gegen die Unterschrift des andorranischenGeneralsyndikus Pere Fonts unter den vom Opium-Zentralkommitee zum Abschluss der 2. InternationalenOpiumkonferenz in Genf vorgelegten Vertrag gegen denOpiumhandel zu sehen. Dieser Protest rief die spanischenBehörden auf den Plan, die die in der wohl etwas übereilt

31 Eine Ausnahme bildet bis zu einem gewissen Grade lediglich die Zeit zwischen der sog. Nova Reforma (1866) und dem Ende der (1.) andorranischen Revolution 1881.

abgefassten Protestnote vorgetragene französischeInterpretation des Status von Andorra nicht nur in den dortangesprochenen Punkten in Frage stellte. In unseremZusammenhang ist dabei wichtig, dass die spanischeArgumentation die verschiedenen Abmachungen mit demWeltpostverein von 1878 bis 1924 teilweise im Detailzitiert und zur Argumentation heranzieht.

Auch wenn (bisher) keine direkte Anweisung in den Archivenzu finden war, die das Projekt der Neuordnung der Post inAndorra32 mit dieser Entwicklung ausdrücklich in Verbindungbringt, so scheint mir der zeitliche Zusammenhang für sichallein schon aussagekräftig genug. Der Ausdruck und sogardie Begründung des (bisherigen) spanischen Desinteresses andem kleinen Nachbarstaat zusammen mit der Auffassung, dassman Frankreich hier in seinem Bemühen sich in Andorrafestzusetzen bremsen müsse,33 zeigen m. E. mithinreichender Klarheit, dass der ministerielle Beschlussvom Dezember 1926 unter den eben genannten Vorzeichen zusehen ist. Lediglich die Probleme bei derKreditbeschaffung34 waren offensichtlich dafürverantwortlich, dass sich Planung und Durchführung nochetwas in die Länge zogen.

Ein weiteres Indiz, das in dieselbe Richtung weist, ist,dass es von Anfang an nicht geplant war, weder denfranzösischen Staatspräsidenten noch den Bischof von Seo deUrgel als zweiten Ko-Prinzen und erst recht nicht denGeneralrat der Täler in diese Planungen mit einzubinden, zukonsultieren oder auch nur (vorab) zu informieren. FürSpanien war die Einrichtung des Postdienstes dienaheliegendste und neben der Unterstützung der spanischenSchulen wahrscheinlich einzig realisierbare Möglichkeit inAndorra Einfluss zu nehmen und einen Fuss in der Tür zuhaben.

Alle Beteiligten werden vor vollendete Tatsachen gestelltund dem Bischof bleibt nichts anderes übrig, als imNachhinein in einem Notenaustausch sein Plazet zu diesem

32 In der spanischen Verwaltung wurde von „reorganización“ gesprochen.33 AMAE exp. 10/12, 4434 AMAE, R444, exp. 10/12, 198/99

Schritt der Spanier zu geben, nicht ohne darin ausdrücklichdarauf hinzu weisen, dass Spanien aus dieser wohlwollendenGeste keine politischen Rechte ableiten könne.35

Somit erklärt sich auch das unbefangene Eingehen desBischofs Guitart auf Weilenmanns Vorschläge, der von denspanischen Plänen nichts ahnte. Er empfiehlt WeilenmannsProjekt weiter und unterstützt es mehrfach explizit.36 Erist sich auch später nicht der Rolle Weilenmanns bewusst,für den die Postfrage ebenso wie für etliche andere 1933nach der Niederschlagung der „andorranischen Revolution“des Landes verwiesenen Generalräte nur eine neben anderenzu lösenden Fragen ist, die in der Abschaffung desbisherigen Status von Andorra gipfeln sollten. So empfiehlter auch Weilenmans „Pro-Juventute-Initiative“ nach Madridweiter, ohne dass er in der bereits zwei Jahre zuvoreingeführten spanischen Post ein Hindernis sehen kann.

Die Initiative Friedrich Weilenmanns und der Andorraner kamzu spät. Eine Erfolgschance hätten die Bemühungen um eineigenes Postwesen nur unter der Voraussetzung gehabt, dassAndorra eine eigene, moderne und demokratische Verfassungbekommen hätte, was das Ende seines politischen Sonderstausaber vermutlich auch über kurz oder lang das politischeEnde dieses Landes bedeutet hätte. Es steht m. E. stark zubezweifeln, ob es ohne die „doppelte Schutzherrschaft“ derKoprinzen die Wirren des spanischen Bürgerkriegs und desZweiten Weltkriegs (so) schadlos überstanden und als freiesLand weiterexistiert hätte.

Weilenmann und seine andorranischen Mitstreiter waren, ohnedass sie es merkten, von den Ereignissen überrollt worden.Den Misserfolg der Bemühungen dem Bischof und seinenIntrigen37 anzulasten, ist falsch und trifft, was diePostfrage angeht, keinesfalls zu. Die französischeVerwaltung dürfte die Initiative zunächst ausgrundsätzlichen Erwägungen heraus äußerst kritisch gesehen

35 AMAE, R 444, exp. 10/12, 20636 u. a. AMAE, R 444, exp. 10/12, 19737 F. W., S. 106/7

und abgelehnt haben.38 Dann spielte sicher der möglicheVerlust von Einflussmöglichkeiten in Andorra eine nichtunwichtige Rolle. Auch persönliche Interessen des mit derSache befassten französischen Außenministers Tardieuscheinen mitgespielt zu haben, wie nicht nur diewiederholten Meldungen verschiedener internationalerPresseagenturen in diese Richtung nahe legen. Nachdem dieSpanier ihr Postbüro einmal eingerichtet hatten, warnatürlich weder an eine französische Konzession und erstrecht nicht mehr an ein spanisches Nachgeben zu denken.

Quellen: AMAE = Archivo del Ministerio de AsuntosExteriores de España AMAEF = Archive du Ministère des AffairesEtrangères LDA = Llibre d’Actes (Arxiu Nacionald’Andorra)

38 Frankreich lehnte es ab, Konzessionen im Zusammenhang mit der Post an Ausländer zu vergeben. Dies wird u.a. in der Korrespondenz bezüglich des Angebots des umstrittenen Briefmarkenhändlers Otto Bickel und dem abschließenden negativen Bescheid deutlich (AMAEF, CPA 17).