Encyclopaedia articles:in: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage....

30
1 In: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 2009. © der deutschsprachigen Originalausgabe 2009 J.B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH, Stuttgart (in Lizenz der Kindler Verlag GmbH). – Alakāraśāstra (1. Bd.: pp. 203–205); – Bhāravi (Biogramm; Kirātārjunīya; 2. Bd.: pp. 455–456); – Bhavabhūti (Biogramm; Das dramatische Werk; 2. Bd.: pp. 459–460); – Bilhaa (Biogramm; Vikramāṅkadevacarita; Caurapañcāśikā; 2. Bd.: pp. 572–573); – Dāmodaragupta (Biogramm; Kuṭṭanīmata; 4. Bd.: p. 374); – Haradeva (Biogramm; Das dramatische Werk; 7. Bd.: pp. 111–112); – Jayadeva (Biogramm; Gītagovinda: 8. Bd.: p. 304); – Kalhaa (Biogramm; Rājataragiṇī; 8. Bd.: pp. 583–584); – Māgha (Biogramm; Śiśupālavadha; 10. Bd.: p. 482); – Prahasanas und Bhāṇas (13. Bd.: pp. 210–211); – Rājaśekhara (Biogramm; Das dramatische Werk; 13. Bd.: pp. 461–462); – Ratnākara (Biogramm; Haravijaya; 13. Bd.: p. 512)̧; Śataka-Dichtung (Einleitung; Sanskrit und Prakrit; 14. Bd.: pp. 427–428); – Stotras (15. Bd.: pp. 637–638); – Subandhu (Biogramm; Vāsavadattā; 15. Bd.: pp. 714–715); – Subhāṣita-Literatur (15. Bd.: pp. 715–716); Śūdraka (Biogramm; Mcchakaikā; 15. Bd.: pp. 722–723); Śukasaptati (15. Bd.: pp. 732–733); – Trivandrum-Dramen (16. Bd.: pp. 431–433). Alakāraśāstra Hauptgattung: Sachliteratur Untergattung: andere Sachliteratur (skrt.; Wissenschaft von den Schmuckmitteln) – Unter Alakāraśāstra im weiteren Sinne versteht man die einheimische Theorie (Poetik) von der Kunstdichtung; im engeren Sinne handelt es sich um die Lehre von den poetischen Figuren (alakāra). Die Anfänge liegen weitgehend im Dunkeln. Bestimmte Kategorien wie der Vergleich finden sich schon bei dem Grammatiker Pāṇini und dem Etymologen Yāska einige Jahrhunderte v. Chr., so dass poetologische Fragen möglicherweise aus einem Interesse an sprachlicher Form und ausgedrücktem Inhalt im Zusammenhang mit der Veda-Exegese (Veden ) erwachsen sind. Bereits in den ältesten erhaltenen Beispielen für Sanskrit-Kunstdichtung – in Aśvaghoas Werken (1./2. Jh.?) und Rudradāmans Inschrift (150 n. Chr.) – finden sich poetische Figuren (Alliterationen, Vergleiche, Metaphorik, Wortspiele), grammatische Virtuosität und bestimmte Stileigenschaften, woraus man vorschnell auf das Vorhandensein einer zeitgenössischen expliziten Poetik geschlossen hat; der bloße Gebrauch solcher Figuren setzt aber keine systematischen Reflexionen darüber voraus. Der Poetiker Bhāmaha (7./8. Jh.?) nennt in seinem Kāvyālakāra (Schmuck der Dichtkunst) allerdings eine Reihe von Vorläufern, von denen einige wohl den Grammatikern nahestanden. In ihren verloren gegangenen Werken scheinen sie Wortfiguren und grammatische Feinheiten den Sinnfiguren vorgezogen zu haben. Außerdem illustriert Bhaṭṭi (erste Hälfte 7. Jh.?) in seinem Rāvaavadha (Die Tötung des Rāvaa) systematisch die von Bhāmaha und Daṇḍin (7./8. Jh.?) definierten Figuren.

Transcript of Encyclopaedia articles:in: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage....

1

In: Kindlers Literatur Lexikon. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler 2009. © der deutschsprachigen Originalausgabe 2009 J.B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH, Stuttgart (in Lizenz der Kindler Verlag GmbH).

– Alaṅkāraśāstra (1. Bd.: pp. 203–205); – Bhāravi (Biogramm; Kirātārjunīya; 2. Bd.: pp. 455–456); – Bhavabhūti (Biogramm; Das dramatische Werk; 2. Bd.: pp. 459–460); – Bilhaṇa (Biogramm; Vikramāṅkadevacarita; Caurapañcāśikā; 2. Bd.: pp. 572–573); – Dāmodaragupta (Biogramm; Kuṭṭanīmata; 4. Bd.: p. 374); – Harṣadeva (Biogramm; Das dramatische Werk; 7. Bd.: pp. 111–112); – Jayadeva (Biogramm; Gītagovinda: 8. Bd.: p. 304); – Kalhaṇa (Biogramm; Rājataraṅgiṇī; 8. Bd.: pp. 583–584); – Māgha (Biogramm; Śiśupālavadha; 10. Bd.: p. 482); – Prahasanas und Bhāṇas (13. Bd.: pp. 210–211); – Rājaśekhara (Biogramm; Das dramatische Werk; 13. Bd.: pp. 461–462); – Ratnākara (Biogramm; Haravijaya; 13. Bd.: p. 512) ̧; – Śataka-Dichtung (Einleitung; Sanskrit und Prakrit; 14. Bd.: pp. 427–428); – Stotras (15. Bd.: pp. 637–638); – Subandhu (Biogramm; Vāsavadattā; 15. Bd.: pp. 714–715); – Subhāṣita-Literatur (15. Bd.: pp. 715–716); – Śūdraka (Biogramm; Mṛcchakaṭikā; 15. Bd.: pp. 722–723); – Śukasaptati (15. Bd.: pp. 732–733); – Trivandrum-Dramen (16. Bd.: pp. 431–433).

Alaṅkāraśāstra Hauptgattung: Sachliteratur Untergattung: andere Sachliteratur

(skrt.; Wissenschaft von den Schmuckmitteln) – Unter Alaṅkāraśāstra im weiteren Sinne versteht man die einheimische Theorie (Poetik) von der Kunstdichtung; im engeren Sinne handelt es sich um die Lehre von den poetischen Figuren (alaṅkāra). Die Anfänge liegen weitgehend im Dunkeln. Bestimmte Kategorien wie der Vergleich finden sich schon bei dem Grammatiker Pāṇini und dem Etymologen Yāska einige Jahrhunderte v. Chr., so dass poetologische Fragen möglicherweise aus einem Interesse an sprachlicher Form und ausgedrücktem Inhalt im Zusammenhang mit der Veda-Exegese (Veden) erwachsen sind.

Bereits in den ältesten erhaltenen Beispielen für Sanskrit-Kunstdichtung – in Aśvaghoṣas Werken (1./2. Jh.?) und Rudradāmans Inschrift (150 n. Chr.) – finden sich poetische Figuren (Alliterationen, Vergleiche, Metaphorik, Wortspiele), grammatische Virtuosität und bestimmte Stileigenschaften, woraus man vorschnell auf das Vorhandensein einer zeitgenössischen expliziten Poetik geschlossen hat; der bloße Gebrauch solcher Figuren setzt aber keine systematischen Reflexionen darüber voraus. Der Poetiker Bhāmaha (7./8. Jh.?) nennt in seinem Kāvyālaṅkāra (Schmuck der Dichtkunst) allerdings eine Reihe von Vorläufern, von denen einige wohl den Grammatikern nahestanden. In ihren verloren gegangenen Werken scheinen sie Wortfiguren und grammatische Feinheiten den Sinnfiguren vorgezogen zu haben. Außerdem illustriert Bhaṭṭi (erste Hälfte 7. Jh.?) in seinem Rāvaṇavadha (Die Tötung des Rāvaṇa) systematisch die von Bhāmaha und Daṇḍin (7./8. Jh.?) definierten Figuren.

2

Nach ihren Gegenständen – Schauspiel und Kunstdichtung – haben sich zwei getrennte poetologische Traditionen herausgebildet, deren Thema jeweils die Zwecke und Formen von Literatur sind: Das Nāṭyaśāstra (Dramaturgie), das besonders mit nonverbalen Ausdrucksformen befasst ist, und das Alaṅkāraśāstra im engeren Sinne. Der älteste dramaturgische Text – das dem Bharata zugeschriebene Nāṭyaśāstra – ist eine spätestens im 8. Jh. abgeschlossene Kompilation unterschiedlich alter Teile, die hauptsächlich Fragen der Aufführungspraxis, aber auch Handlungsaufbau, Genres und Metrik behandeln. Vier Vergleichs-, Syntax- und Reimfiguren werden aufgelistet; die poetologisch bedeutsamste und folgenreichste Konzeption ist aber die Lehre von den auf der Bühne dargestellten Emotionen (bhāva) und den dadurch ausgelösten Gestimmtheiten (rasa) der Zuschauer, die von den gewöhnlichen Gefühlen verschieden sind.

Die ersten erhaltenen Alaṅkāraśāstra-Werke im Sinne von Bhāmaha und Daṇḍin konzentrieren sich auf die Lehre von Sinn- und Lautfiguren; der Sanskrit-Begriff für Figur, ›alaṅkāra‹ (Schmuck), bedeutet wörtlich ›Hinreichend- bzw. Passend-Machen‹ (in Hinsicht auf Form und Inhalt) und bezeichnet das spezifische Merkmal poetischer Sprache. Für Bhāmaha ist eine Bestimmung der Figuren gleichbedeutend mit einer Definition der Dichtung, deren Charakteristikum der künstliche – im Unterschied zum bloß klaren und unmittelbaren – Ausdruck von Gedanken und Worten (vakrokti, krumme Rede) ist. Schon er kennt vier Suggestionsfiguren, in denen das ausdrücklich Gesagte auf etwas Unausgesprochenes verweist. Seine Behandlung poetischer Fehler (doṣa) scheint buddhistische Logik vorauszusetzen.

Der vielleicht etwas jüngere Daṇḍin sieht in der Hyperbel (atiśayokti) das höchste Ziel aller Figuren. Die metaphorische Übertragung (samādhi) ist der Inbegriff der Dichtung. Ebenso wie Bhāmaha unterscheidet er zwei geographisch bezeichnete Stilarten (mārga), die mit Vidarbha (heute das östliche Maharashtra) und Gauḍa (heute ein Teil Bengalens) verbunden werden. Die erste, luzidere, vereint alle Vorzüge (guṇa), während die zweite, schwierige und noch artistischere, trotz einiger gemeinsamer Vorzüge als das geringer geschätzte Gegenteil erscheint. Im Ganzen scheint Bhāmaha die nachfolgenden Figurenlehrer stärker beeinflusst zu haben als Daṇḍin, dessen Werk aber in Tibet ab dem 13. Jh. als maßgebliche indische Poetik rezipiert wurde.

Von den frühen Autoren nimmt lediglich Vāmana (ca. 800 n. Chr.) in seiner Kāvyālaṅkāravṛtti (Darlegung der Schmuckmittel der Dichtung) Daṇḍins Stilkonzept auf, das dann erst wieder viele Jahrhunderte später bei Bhoja (erste Hälfte 11. Jh.) und noch jüngeren Autoren in dramaturgischem Kontext eine Rolle spielt. Nach Vāmana ist der – in drei Arten unterteilte – Stil (rīti) die Seele der Dichtung, der durch beständige Vorzüge definiert ist und Schönheit (saundarya) bewirkt. Die unbeständigen Figuren sind hingegen nur von untergeordneter Bedeutung und können fehlen. Demgegenüber repräsentiert sein Zeitgenosse Udbhaṭa eine Tradition, die Poetik mit einer reinen Figurenlehre identifiziert. In seinem Kommentar zu Bhāmaha beschränkt er sich ganz auf die Definitionen und Illustrationen der Figuren. Rudraṭa (erste Hälfte 9. Jh.) systematisiert und präzisiert die Figurenanalyse und behandelt in einem Anhang die Dramaturgie.

Einen epochalen Wechsel markiert die von Ānandavardhana (nicht vor 875–900) in seinem Dhvanyāloka (Betrachtung des Tons) entwickelte Lehre vom Dhvani (Ton, Echo), die Abhinavagupta (um 1000) in ihre gültige systematische Form gebracht hat. Das Wesen und Gütemerkmal der Dichtung ist das Unausgesprochene, dessen Sinn nur angedeutet wird bzw. das nur als Gestimmtheit angedeutete Unaussprechbare, das nicht in Worten fassbar ist. Der Ton kann die Gestalt eines Gedankens (vastu), einer Figur (alaṅkāra) oder – in seiner bedeutendsten Form – einer Gestimmtheit (rasa) annehmen. Die Figuren sind der Angemessenheit (aucitya) unterzuordnen.

3

In der Folgezeit wurde die Lehre von den Figuren, der Gestimmtheit, den Stilen, den Vorzügen und Fehlern und den allgemeinen Bedingungen der Dichtkunst mit unterschiedlichen Gewichtungen auf Einzelprobleme von zahlreichen Autoren bis in die Gegenwart fortentwickelt. Besonders einflussreich wurde Kāvyaprakāśa (Licht der Dichtkunst) des Mammaṭa (11. Jh.), der die beiden auseinanderstrebenden Richtungen der Alaṅkāra- und Dhvani-Tradition in einer Synthese zusammenfasst.

Lit.: S. K. De: History of Sanskrit Poetics, 2 Bde, 21960. • G. Jenner: Die poetischen Figuren der Inder von Bhāmaha bis Mammaṭa. Ihre Eigenart im Verhältnis zu den Figuren repräsentativer antiker Rhetoriker, 1968. • E. Gerow: A Glossary of Indian Figures of Speech, 1971. • P. V. Kane: History of Sanskrit Poetics, 41971. • E. Gerow: Indian Poetics, 1977. • M.-C. Porcher: Figures de style en Sanskrit. Théories des Alaṃkāraśāstra. Analyse de poèmes de Veṅkaṭādhvarin, 1978. • T. C. Cahill: An Annotated Bibliography of the Alaṃkāraśāstra, 2001.

Roland Steiner

Bhāravi geb. vermutlich um 500 vielleicht Kanchipuram, Tamil Nadu (Indien) gest. vermutlich um 550 Indien

Autor des Kirātārjunīya; über sein Leben ist nur Legendarisches bekannt.

Lit.: H. Jacobi: On B. and Māgha, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 3, 1889, 121–145. • M. K. Gangopadhyay: Bharavi, 1991.

Bhāravi Kirātārjunīya Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; [Die Dichtung] über den Kirāta und Arjuna) – Das erzählende Kunstgedicht in Versen (mahākāvya bzw. sargabandha) aus dem 6. Jh., das einzige überlieferte Werk von Bhāravi, beschreibt in 18 Gesängen eine aus dem Epos Mahābhārata bekannte Begebenheit. Die mit den Kauravas verfeindeten Pāṇḍavas befinden sich im Exil und entsenden Arjuna in den Himalaja, wo er Waffen von den Göttern holen soll. Dort übt er strengste Askese, um insbesondere den großen Gott Śiva günstig zu stimmen, der schließlich in Gestalt eines Kirāta (Angehöriger eines Bergjägervolkes) erscheint. Im Streit um einen von Arjuna erlegten Dämon in Ebergestalt kommt es zu einem heftigen Kampf zwischen Arjuna und dem vermeintlichen Kirāta, an dessen Ende Arjuna das Bewusstsein verliert. Śiva zeigt sich daraufhin in seiner wahren Gestalt und übergibt ihm die göttlichen Waffen.

Bhāravi hält sich teilweise eng an die im Epos überlieferte Fassung der Erzählung (Gesänge 12–17), ergänzt diese aber auch durch darüber hinausgehenden Stoff (Gesänge 4–11). Sein Augenmerk gilt dabei nicht so sehr der Entwicklung einer Geschichte, sondern dem literarischen und artistischen Detail in jeder einzelnen Strophe. Auch wenn er damit in manchem an seine Vorgänger anknüpft, markiert er so einen Wendepunkt in der erzählenden Versdichtung und bildet zugleich den Ausgangs- und Bezugspunkt für die weitere Entwicklung dieses Genres.

4

Ein wesentliches Merkmal der Dichtung ist die teilweise geradezu demonstrative Virtuosität in der Verwendung hochartifizieller literarischer Schmuckmittel wie Laut-, Wort- und Sinnfiguren sowie kunstvoller Versmaße – besonders im 15. Gesang. Bhāravi dichtet in einer grammatisch makellosen Sprache in einem schwierigen Stil, wobei er mitunter gesuchte oder ungewöhnliche Wörter verwendet. Offensichtlich läuft diese Dichtung parallel zu und in Wechselwirkung mit der Ausbildung einer theoretischen Poetik und eines poetologischen Kanons, hinter den Bhāravis Nachfolger nicht mehr zurück konnten. Thematisch herrschen ausgedehnte Beschreibungen verschiedenster Art, Naturschilderungen usw. vor, die als unerlässliche Bestandteile einer solchen Dichtung angesehen wurden. Es finden sich aber vor allem im ersten und zweiten Gesang auch argumentativ scharf geführte Diskussionen in direkter Rede. Bhāravis Kunst zeigt sich schließlich in seinem großen Bilder- und Metaphernreichtum.

Das Kirātārjunīya wurde zum ausdrücklichen Vorbild für Māghas Śiśupālavadha. Beide Werke werden von der indischen Tradition zu den fünf oder sechs Klassikern dieser literarischen Gattung aus der Zeit nach Kālidāsa gezählt.

Ausg.: The Kirātārjunīya of B. with the Commentary (Ghaṇṭāpāṭha) of Mallinātha and Various Readings, Hg. Durgāprasād/K. P. Parab, 101926. Übers.: Bharavi's Poem Kiratarjuniya or Arjuna's Combat With the Kirata. Translated from the Original Sanskrit into German and Explained, C. Cappeller, 1912. Lit.: A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 3: The Early Medieval Period (Śūdraka to Viśākhadatta), 1977, 198–233. • S. Har: B. and Kirātārjunīyam. A Critical Study, 1983. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 184–187. • I. V. Peterson: Design and Rhetoric in a Sanskrit Court Epic. The Kirātārjunīya of B., 2003.

Roland Steiner

Bhavabhūti geb. Ende 7. Jh. Padmapura, Zentralindien (?) gest. Anfang 8. Jh. vermutlich Nordindien auch: Śrīkaṇṭha

Entstammt einer der Taittirīya-Schule des »Schwarzen« Yajurveda angehörenden, gelehrten brahmanischen Familie; wohl durch seinen Lehrer Jñānanidhi in Veden, Upaniṣads, Sāṅkhya und Yoga unterrichtet; lebte zeitweise am Hofe des Königs Yaśovarman von Kanauj.

Lit.: M. R. Kāle: B.'s Mālatīmādhava with the Commentary of Jagaddhara, 21928, 5–15. • M. Krishnamachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 615–625.

Bhavabhūti Das dramatische Werk Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Stück

(skrt., prakr.) – Von Bhavabhūti sind drei Stücke aus dem 7./8. Jh. überliefert: zwei mit epischem, ›historischem‹ Inhalt (Nāṭaka) und eines mit fiktivem Inhalt (Prakaraṇa). In der literarischen Sanskrit-Tradition ist er neben Kālidāsa der wohl am meisten geschätzte Schauspielautor, wie nicht nur aus anderen literarischen Werken und Poetiken, sondern auch

5

aus Lobhymen auf Dichter (kavistuti) in Anthologien hervorgeht: Gemäß Strophe 1698 des Subhāṣitaratnakoṣa (Juwelenschatz wohlformulierter Strophen; 11. Jh.; vgl. Subhāṣita-Literatur) bereitete er auch mit Blick auf die größten Dichter unvergleichliche »innere Freude« (antarmoda).

Zum einen ragt Bhavabhūti durch den Rang seiner kunstvollen Sprache heraus. Schönheit und Fülle seiner Beschreibungen werden besonders geschätzt; seine Anwendung poetischer Figuren (alaṅkāra) gilt der Theorie als vorbildlich. Sein – im dramatischen Genre bis dahin nicht bekannter – komplexer Stil (mārga) ist schwierig, manchmal dunkel und zeichnet sich unter anderem durch eine dichte Nominalkomposition aus. Zum anderen werden der Ernst und die psychologische Tiefe gerühmt, mit denen er Herz, Leidenschaft und innere Kämpfe bis an die Grenzen artikulierbarer komplizierter menschlicher Gefühle analysierte und über die verschiedenen Arten menschlicher Liebe reflektiert. Humor setzte er vergleichsweise sparsam ein, er tendierte zu Ironie. Gänzlich fehlt die Figur der ›lustigen Person‹ (Vidūṣaka). Die Stücke zeugen von Vertrautheit mit den veda-exegetischen und philosophischen Schulen Mīmāṃsā und Vedānta.

Mahāvīracarita (Die Taten des großen Helden) ist ein siebenaktiges Nāṭaka. Sein Inhalt entspricht den ersten sechs Gesängen des Rāmāyaṇa von Rāmas und Sītās erster Begegnung bis zu Rāmas Krönung in Ayodhyā. Die Ereignisse werden nicht auf der Bühne dargestellt; Augenzeugen berichten sie in erzählenden Dialogen.

Mālatīmādhava (Mālatī und Mādhava) ist ein Prakaraṇa in zehn Akten. Es behandelt psychologisch feinsinnig den letztlichen Triumph der Liebe über zahlreiche Hindernisse. Minister Bhūrivasu bittet die buddhistische Nonne Kāmandakī, seine Tochter Mālatī mit Mādhava, dem Sohn eines befreundeten Ministers, zwecks Heirat zusammenzubringen. Mālatī und Mādhava verlieben sich ineinander, aber der König beschließt, dass Mālatī seinen Günstling Nandana heiraten soll. Nach vielen Verwicklungen und Nebenhandlungen können Mālatī und Mādhava am Ende mit Zustimmung des Königs doch heiraten.

Uttararāmacarita (Die späteren Taten Rāmas) ist ein in ungewöhnlich vielen Handschriften überliefertes, siebenaktiges Nāṭaka, inhaltlich dem letzten Buch des Rāmāyaṇa entsprechend und unter anderem Liebe und das Problem moralischer Verantwortung behandelnd. Rāma verstößt die schuldlose Sītā, weil darüber geredet wird, dass sie im Hause eines fremden Mannes gewohnt habe. Im Wald gebiert sie zwei Söhne, die der Rāmāyaṇa-Dichter Vālmīki erzieht. Schließlich wohnt Rāma auf Einladung Vālmīkis einem von diesem verfassten Rāma-Schauspiel bei, einem ›Stück im Stück‹, das für ihn die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen und ihn zugleich den wahren Sachverhalt und Sītās Treue erkennen lässt. Am Ende steht Rāmas Wiedervereinigung mit Sītā, dank der Fähigkeit der Dichtung, das Leben in einem verständlichen Zusammenhang zu zeigen.

Ausg.: Le Mahāvīracarita de B. accompagné du commentaire de Vīrarāghava, Hg. F. Grimal, 1989 [mit frz. Übers.]. • A Critical Edition of the ›Mālatīmādhava‹, Hg. M. Coulson/R. Sinclair, 1989. • Le commentaire de Harihara sur le Mālatīmādhava de B., Hg. F. Grimal, 1999. • Rāma's Last Act, Hg. S. Pollock, 2007 [mit engl. Übers.]. Übers.: Malati und Madhava. Ein indisches Drama, L. Fritze, 1883. • Three Sanskrit Plays, M. Coulson, 1981 [engl.; enthält Mālatīmādhava]. Lit.: A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 4, 1983, 271–372. • T. Nandi: B. and Sanskrit Literary Criticism, in: Annals of the Bhandarkar Oriental Research Institute 77, 1996, 141–165.

Roland Steiner

6

Bilhaṇa geb. zweites Viertel 11. Jh. Khunmoh/Srinagar, Jammu and Kashmir (Indien) gest. letztes Viertel 11. Jh. vielleicht Basavakalyan/Bidar, Karnataka (Indien)

Brahmane; sein Vater Jyeṣṭhakalaśa war Kommentator des Mahābhāṣya (Großer Kommentar) des Patañjali; studierte Veden, Grammatik und Poetik; nach Wanderleben in Nord- und Westindien Hofdichter und erster Gelehrter des Cāḷukya-Königs Vikramāditya VI; verfasste neben den GedichtenVikramāṅkadevacarita und vielleicht Teilen der Caurapañcāśikā das vieraktige Schauspiel Karṇasundarī, zahlreiche in Anthologien überlieferte Strophen und wahrscheinlich andere, verlorene Werke.

Lit.: G. Bühler: Introduction, in: The Vikramânkadevacharita, a Life of King Vikramâditya-Tribhuvanamalla of Kalyâṇa, Hg. G. B., 1875, 6–24. • M. Krishnamachariar/M. Srinivasachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 164 f. • B. N. Misra: Studies on Bilhana and his Vikramankadevacarita, 1976. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 6, 1992, 613–615. • P. N. Kawthekar: Bilhana, 1995.

Bilhaṇa Vikramāṅkadevacarita Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; Vikramāṅkadevacaritam, oder das Leben des Königs Vikramāditya, 1897, A. Haack) – Das Kunstgedicht (mahākāvya), dessen Titel wörtlich übersetzt »Das Leben des Königs Vikramāṅka« heißt, erzählt in 18 Kapiteln die Geschichte der Cāḷukyas und insbesondere des Cāḷukya-Königs Vikramāditya VI. Tribhuvanamalla (Regierungszeit 1076–1126) in Strophen. Es zählt nicht zur Gattung ›Geschichtsschreibung‹, sondern wurde als Lobpreisung (praśasti) des regierenden Herrschers konzipiert. Formal gehört es in die Reihe der ›historischen Biographien‹ (carita), die die Taten eines einzelnen Herrschers nach festgelegten literarischen Konventionen behandeln. Die Auswahl und Interpretation der historischen Fakten ist den genretypischen Erfordernissen gänzlich untergeordnet.

Die ersten beiden Kapitel behandeln die Ursprünge der Dynastie und die Taten von Vikramas Vater Āhavamalla. Ab dem dritten Kapitel wird Vikramas Geschichte erzählt, darunter seine Kriegszüge, seine triumphale Rückkehr in die Hauptstadt Kalyāṇa (Basavakalyan), politische Entwicklungen, aber auch die Umstände und die Feier seiner Heirat mit Candralekhā oder die Badefreuden der Königinnen. Es finden sich ausführliche Beschreibungen der Landschaft und der verschiedenen Jahreszeiten, die nicht isoliert für sich stehen, sondern in die Handlung eingebunden und mit bestimmten Ereignissen in einem fiktiv komprimierten Jahr verbunden werden.

Bilhaṇa verwendet zahlreiche poetische Vergleiche und Stilfiguren; seine Sprache ist aber vergleichsweise einfach und klar, dabei fließend und musikalisch. Dominierende Themen seiner Dichtung sind Tapferkeit und Tatkraft.

Das 18. und letzte Kapitel enthält Bilhaṇas Bericht über sein eigenes Leben, seine Familie, seine Heimat und sein Dorf im langen, anspruchsvollen Mandākrāntā-Metrum. Hymnisch beschreibt er die alte kaschmirische Hauptstadt Pravarapura, deren Frauen nicht nur ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Bildung wegen gepriesen werden, die es ihnen erlaube, Sanskrit und Prakrit wie ihre Muttersprache zu sprechen (18,6). Er erzählt von seinen Reisen außerhalb

7

Kaschmirs, die für einen jungen Gelehrten üblich waren. Gegen Ende äußert er den Wunsch, nach Kaschmir zurückzukehren und sein Alter kontemplativ dem śivaitischen Yoga zu widmen. Auch andere Werke dieses Genres wie Bāṇas Harṣacarita (Das Leben Harṣas) aus dem 7. Jh. oder das Prakrit-Gedicht Gaüḍavaha (Tötung des [Königs von] Bengalen) des Vākpatirāja aus der ersten Hälfte des 8. Jh.s enthalten autobiographische Kapitel über die persönliche Lebensgeschichte des Autors, dessen Wanderschaften und andere Dichter.

Bilhaṇas Strophen insbesondere aus dem Vikramāṅkadevacarita wurden literarisch sehr geschätzt, wie die zahlreichen Zitate in verschiedenen Anthologien zeigen.

Ausg.: The Vikramânkadevacharita. A Life of King Vikramâditya–Tribhuvanamalla of Kalyâṇa, Composed by His Vidyâpati Bilhaṇa, Hg. G. Bühler, 1875. • The Vikramāṅkadevacarita Mahākāvya, Hg. M. L. Nagar, 1945. Übers.: Bilhaṇa's Vikramāṅkadeva Caritam. Glimpses of the History of the Cālukyas of Kalyāṇa, S. C. Banerji/A. K. Gupta, 1965 [engl.]. Lit.: B. N. Misra: Studies on Bilhana and His Vikramankadevacarita, 1976. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 217–218. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 6, 1992, 626–657. Roland Steiner

Bilhaṇa Caurapañcāśikā Hauptgattung: Lyrik Untergattung: Poem (Lyrik)

(skrt.; Die fünfzig Strophen des Diebes) – Das auch unter den Namen Caurasuratapañcāśikā, Caurīsuratapañcāśikā, Corapañcāśat und Bilhaṇapañcāśikā bekannte Werk ist eine einzigartige Sammlung erotischer Strophen, die in der Regel Bilhaṇa zugeschrieben werden und in ihrem Kern möglicherweise auf ihn zurückgehen. Sie liegt nach jüngerem Forschungsstand in zwei Rezensionen mit jeweils 50 Strophen vor, von denen aber nur fünf, vielleicht sechs, in beiden Fassungen vorkommen. Bemerkenswerterweise finden sich in den Anthologien von Śārṅgadhara (14. Jh.) und Vallabhadeva (15. Jh.?) ausschließlich solche gemeinsamen Strophen (vier bzw. zwei), entweder anonym überliefert, oder aber mit Nennung des Autors: einmal Amaruka, sonst Bilhaṇa. Auch Bhoja zitierte eine dieser gemeinsamen Strophen in seinen Mitte des 11. Jh.s entstandenen Poetiken Sarasvatīkaṇṭhābharaṇa (Halskette der Sarasvatī) und Śṛṅgāraprakāśa (Licht der erotischen Gestimmtheit), so dass die Autorschaft des wohl etwas jüngeren Bilhaṇa auch für den schmalen Kern der Sammlung unsicher bleibt.

Thematisch geht es in allen Strophen beider Rezensionen um die Erinnerung des Ich-Erzählers an seine Geliebte und die mit ihr einst erlebten sinnlichen Freuden. Die einzelnen Strophen, selbständige poetische Miniaturen (muktaka) im Vasantatilakā-Metrum, sind nicht durch einen Erzählstrang miteinander verbunden. Jede beginnt mit der Formel »adyāpi« (selbst jetzt noch), gefolgt von »erinnere ich mich an...« oder dergleichen, und beschreibt sprachlich elegant und zugleich völlig freizügig die verschiedenen Augenblicke der gemeinsamen Liebesnächte und die Schönheit der Geliebten. Nach den Begriffen indischer Poetik wird so mit dem Mittel der Erinnerung die erotische Gestimmtheit in ihren beiden Spielarten – Liebe in Vereinigung und Trennung – hervorgerufen.

8

Beide Rezensionen sind im selben literarischen Stil verfasst, unterscheiden sich jedoch auf charakteristische Weise: Die sogenannte nördliche Version betont die völlige Trennung der Liebenden und die damit verbundenen Leiden stärker, die sogenannte west-südliche Fassung dagegen die sinnlichen Genüsse. Ein Teil der Überlieferung hat zusätzlich verschiedene Versionen einer den Strophen zugrunde liegenden Geschichte überliefert. Danach hatte der Dichter Bilhaṇa zu einer Königstochter eine heimliche Liebesbeziehung, nach deren Entdeckung er zum Tode verurteilt wurde. Einer Version gemäß habe er auf dem Weg zur Hinrichtung dann die 50 Strophen verfasst, deren Schönheit wegen der gerührte König ihn begnadigt und ihm seine Tochter zur Frau gegeben habe. Im autobiographischen 18. Kapitel von Bilhaṇas Vikramāṅkadevacarita findet sich jedoch keine Spur von dieser Geschichte, die somit nicht historisch sein dürfte.

Die zahlreichen mit dieser Sammlung verbundenen Legenden sowie die weite geographische Verbreitung der Handschriften zeigen, dass sie sich schon früh großer Beliebtheit erfreute.

Ausg.: Phantasies of a Love-Thief. The Caurapañcāśikā Attributed to Bilhaṇa. A Critical Edition and Translation of Two Recensions, Hg. B. S. Miller, 1971. Übers.: Die fünfzig Strophen vom ›heimlichen Liebesgenuss‹, W. Solf, in: W. S.: Die Kaçmîr-Recension der Pañcâçikâ, 1886, 18–28. • The Fifty Stanzas of a Thief, R. Gombrich, in: Love Lyrics by Amaru, Bhartṛhari [...] & by Bilhaṇa, Hg. R. G., 2005, 277–315 [engl.]. Lit.: S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 95–97. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 6, 1992, 620–626.

Roland Steiner

Dāmodaragupta geb. Mitte 8. Jh. vermutlich Kaschmir gest. Anfang 9. Jh. vermutlich Kaschmir

In den letzten beiden Dekaden des 8. Jh.s erster Minister des kaschmirischen Königs Jayāpīḍa; seine Strophen – meist in einem einfachen, aber nicht kunstlosen Stil verfasst – werden in Anthologien, Poetiken und grammatischen Werken zitiert.

Lit.: M. Krishnamachariar/M. Srinivasachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 353.

Dāmodaragupta Kuṭṭanīmata Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; Dāmodaragupta's Kuṭṭanīmatam. Lehren einer Kupplerin, 1903, J. J. Meyer) – Die 1059 Strophen umfassende Dichtung aus der zweiten Hälfte des 8. Jh.s, bekannt auch als Śambhalīmata, kann als frühes Beispiel einer spezifisch kaschmirischen Satiretradition gelten und diente möglicherweise als literarisches Vorbild für Kṣemendras Samayamātṛkā (Das Lehrmütterchen).

Die Prostituierte Mālatī geht in Benares zur alten Kupplerin (kuṭṭanī, śambhalī) Vikarālā, die sie in der Hetärenkunst unterweisen soll. Mālatī hat bisher reiche und arme Männer gleichermaßen bedient, ohne Wohlstand zu erlangen. Die erfahrene Kupplerin lehrt sie nun, wie sie einen wohlhabenden Mann um sein Geld bringen kann, indem sie ihm Liebe

9

vortäuscht und alle erotischen Künste aufbietet. Dabei geht es zwar auch um sexuelle Techniken, mehr noch aber um die Manipulation von Gefühlen.

Zunächst muss ein geeigneter vermögender Liebhaber gefunden werden, vorzugsweise der Sohn eines einflussreichen Königsbeamten, der gerade auf Dienstreise ist. Ihm soll eine Freundin als Botin Mālatīs Liebe offenbaren. Sucht er sie dann auf, muss sie ihm wie eine Schauspielerin Verliebtheit vorspielen und ihn verführen, doch ohne sich tatsächlich zu verlieben, denn dann erginge es ihr wie der Kurtisane Hāralatā, die aus Liebe zum Brahmanen Sundarasena starb und deren Geschichte Vikarālā beispielhaft erzählt.

Ferner muss dem Auserkorenen immer wieder von der Hetäre selbst oder ihren Botinnen berichtet werden, wie sehr sie nach ihm verlange. Sie soll ihm Eifersucht vorspielen und weitere reiche potenzielle Verehrer erfinden, die seinetwegen – zum Verdruss ihrer Mutter – bisher zurückgewiesen worden seien. Das soll ihn dazu bewegen, den vermeintlichen materiellen Verlust finanziell auszugleichen. Ihm werde das sogar schmeicheln, weil er so den Eindruck gewinne, dass sie trotz Streits mit ihrer Mutter alles für ihn aufgebe und er sich glücklich preisen müsse. Sind seine Mittel aufgebraucht, soll sie durch barsches Verhalten und grobe Worte den Bruch der Beziehung herbeiführen. Danach soll sie sich mit einem vorher abgewiesenen Liebhaber wieder versöhnen, indem sie ihn etwa an frühere gemeinsame Freuden erinnert. Schließlich erzählt die Kupplerin die exemplarische Geschichte der Tänzerin Mañjarī, die dem Königssohn Samarabhaṭṭa Liebe vortäuschte, ihn verführte und später abwies, nachdem sie ihn völlig ausgenommen hatte. In der letzten Strophe beansprucht das Werk, didaktische Ziele zu haben und den Leser davor zu bewahren, jemals von Lebemännern, Kurtisanen, Schurken oder Kupplerinnen betrogen zu werden.

Dāmodaraguptas Satire beschreibt mit scharfem Blick auf menschliche Verhaltensweisen nicht nur innere Seelenzustände, sondern bietet auch reichhaltige Informationen zu Leben und Kultur im frühen mittelalterlichen Nordindien. So wird beispielsweise eine Aufführung von Harṣadevas Ratnāvalī (7. Jh.) geschildert, in der eine Hetäre ihre Schauspielkünste zeigt, und auch eine Dramentheorie skizziert. Der Wortschatz ist reich, die Sprache kunstvoll, aber nicht überladen. Der Dichter hatte eine Vorliebe für doppelsinnige Ausdrücke. Zitate in Anthologien und Poetiken sowie die Verbreitung der Handschriften bezeugen die große Beliebtheit des Werks in den ersten Jahrhunderten nach seiner Entstehung.

Ausg.: Kuttani-Matam or Shambhali-Matam (A Didactic Poem Composed about A. D. 755–786), Hg. T. M. Tripathi, 1924. Lit.: A. M. Shastri: India as Seen in the Kuṭṭanī-Mata of Dāmodaragupta, 1975. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 4, 1983, 568–578. • M. Bose: The Rhetoric of Seduction in Dāmodaragupta's Kuṭṭanīmata, in: Studien zur Indologie und Iranistik 21, 1997, 5–12. • G. Wojtilla: Materials for a Critical Edition of the Kuṭṭanīmata, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 46, 2002, 135–145.

Roland Steiner

Harṣadeva geb. um 590 Thanesar/Kurukshetra, Haryana (Indien) gest. um 647 Indien auch: Harṣa, Harṣavardhana, Śrīharṣa, Śīlāditya

Nordindischer König, der in der Nachfolge der Guptas das den ganzen Norden Indiens umfassende Großreich von Kanauj (Kānyakubja) errichtete; Förderer der klassischen Sanskrit-Bildung und -Literatur sowie u. a. des Śivaismus und des Buddhismus; Verfasser

10

von drei literarischen Schauspielen, einigen buddhistischen Sanskrit-Hymen, Inschriften und einem Lehrwerk zu den grammatischen Genera.

Lit.: M. L. Ettinghausen: Harṣa Vardhana. Empereur et poète de l'Inde septentrionale (606–648 A. D.). Étude sur sa vie et son temps, 1906. • D. Devahuti: Harsha. A Political Study, 32001.

Harṣadeva Das dramatische Werk Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Stück

(skrt., prakr.) – Die drei Stücke Harṣadevas aus dem 7. Jh. gehören zu den klassischen literarischen Schauspielen Indiens. Ästhetisch folgen sie den Normen der Sanskritdichtung; der dramaturgische Aufbau orientiert sich ganz an den Konventionen der zeitgenössischen Dramatik. Die Prosapartien bedienen sich einer klaren, stilistisch vergleichsweise einfachen Sprache, die in den lyrischen, in klassischen Kunstdichtungsmetren verfassten Strophen auch etwas kunstvoller werden kann, ohne dabei ihre Luzidität zu verlieren.

Die beiden mutmaßlich jüngeren, jeweils nach den beiden weiblichen Hauptfiguren benannten Vierakter Priyadarśikā (engl. Priyadarśikā, 1923, G. K. Nariman, A. V. W. Jackson, C. J. Ogden) und Ratnāvalī (Ratnavali oder Die Perlenschnur, 1878, L. Fritze) behandeln zwei motivisch verwandte Stoffe aus der bekannten Erzählung von dem Vatsa-König Udayana, die vermutlich auch zu Harṣadevas Zeit sehr populär war und unter anderem in buddhistischen Quellen sowie in den späteren kaschmirischen Bṛhatkathā-Adaptationen des 11. Jh.s überliefert ist. Harṣadeva übernahm die Hauptfigur und die wichtigsten Figuren seiner Umgebung aus der Geschichte, doch die Haupthandlung konzentriert sich in beiden Stücken auf die Protagonistin und beruht nicht auf einem bekannten Stoff.

Ähnlich wie in Kālidāsas Hofintrigenstück Mālavikāgnimitra (Mālavikā und Agnimitra) verliebt sich Udayana beide Male in eine Dienerin der Königin, die sich schließlich als Prinzessin entpuppt und die er heiratet. In Priyadarśikā wird die Protagonistin unter dem Namen Āraṇyikā (Die aus dem Wald) als Gefangene an den Königshof gebracht und erst später als Tochter des befreundeten Königs Dṛḍhavarman identifiziert, der seit mehr als einem Jahr der Gefangene eines Feindes ist. Udayana setzt Dṛḍhavarman wieder als Herrscher ein und heiratet Priyadarśikā. Erstmalig in der indischen Literaturgeschichte findet sich hier ein Schauspiel im Schauspiel: Königin Vāsavadattā lässt ein Stück über ihre erste Begegnung mit Udayana aufführen, in dem Āraṇyikā (Priyadarśikā) die Königin und der König sich selbst spielen.

In Ratnāvalī ist die Hauptfigur eine ceylonesische Prinzessin, die als weitere Ehefrau für König Udayana bestimmt ist. Auf der Reise zu ihm erleidet sie Schiffbruch und wird als Sāgarikā (Die aus dem Meer) eine Dienerin Vāsavadattās. Der König und sie verlieben sich ineinander. Nach einigen Intrigen und Verwechslungen und einer von einem Magier hervorgerufenen illusionären Feuersbrunst wird Sāgarikā schließlich als Prinzessin Ratnāvalī erkannt. Der dramaturgische Aufbau der Ratnāvalī wurde in der einheimischen Tradition offenbar als mustergültig empfunden, denn kaum ein anderes Stück wird in den Lehrbüchern so häufig zitiert.

Nāgānanda (engl. Nágánanda or the Joy of the Snake-World, 1872, P. Boyd) ist die einzige in den Originalsprachen vollständig erhaltene literarische Dramatisierung einer buddhistischen

11

Legende. In ursprünglich wohl sechs Akten wird die auch aus der kaschmirischen Bṛhatkathā-Tradition bekannte Geschichte des Prinzen und Bodhisattva Jīmūtavāhana erzählt, der sich in die Prinzessin Malayavatī verliebt und sie nach einigen Verwicklungen im dritten Akt heiratet, der, genreuntypisch, eine burleske Szene mit einem Betrunkenen enthält. In der zweiten Hälfte des Stücks opfert sich der Protagonist dem Erzfeind der Schlangen, dem Greifvogelgott Garuḍa, um eine Schlangengottheit (Nāga) vor dem Tod zu bewahren. Im Sterben gelingt es ihm, den Garuḍa von der Schlechtigkeit seines Tuns zu überzeugen. Die von Malayavatī herbeigerufene śivaitische Göttin Gaurī holt Jīmūtavāhana ins Leben zurück, und selbst die früher von Garuḍa getöteten Nāgas werden wieder zum Leben erweckt.

Übers.: Trois pièces de théâtre de Harsha, VIIe siècle, A. Daniélou, 1977 [frz.]. Lit.: A. V. W. Jackson: The Dramas of Harsha, in: Journal of the American Oriental Society 21, 1900, 88–108. • R. Steiner: Untersuchungen zu Harṣadevas Nāgānanda und zum indischen Schauspiel, 1997. • M. Zin: Das Drama Nāgānanda und der Ursprung der Jīmūtavāhana-Legende, in: Studien zur Indologie und Iranistik 23, 2002, 143–164.

Roland Steiner

Jayadeva geb. zweite Hälfte 12. Jh. Kindubilva (Ostindien) gest. Anfang 13. Jh. Bengalen (Indien)

Einer der fünf Hofdichter des Königs Lakṣmaṇasena von Bengalen (1179 bis ca. 1205); entstammte einer brahmanischen Familie, führte zunächst ein Wanderleben.

Lit.: R. Pischel: Die Hofdichter des Lakṣmaṇasena, in: Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse 39, 1893, 1–38. • S. N. Chatterji: Jayadeva, 1973. • B. Stoler Miller: Love Song of the Dark Lord, 1977, 3–7. • H. v. Glasenapp: Indische Liebeslyrik in Übertragungen von Friedrich Rückert, 1980, 194–196.

Jayadeva Gītagovindakāvya Hauptgattung: Lyrik Untergattung: andere Lyrik; Lied

(skrt.; Dichtung, in der Govinda besungen wird) – Das im 12. oder 13. Jh. entstandene Werk (auch nur Gītagovinda) besingt in erotischen Liedern die Liebe zwischen der Viṣṇu-Inkarnation Kṛṣṇa (Govinda) und dem Kuhhirtenmädchen Rādhā, ihre Entfremdung, Sehnsucht, schließliche Versöhnung und Wiedervereinigung. Die Handlung wird in wenigen Sprechversen erzählt. Die europäische Rezeption fasste das Werk als zur Aufführung bestimmtes ›Melodram‹, ›lyrisches Drama‹ oder ›lyrisch dramatische Dichtung‹ auf. Der Dichter selbst bezeichnete es als literarische Kunstdichtung (kāvya).

Drei handelnde Personen – Kṛṣṇa, Rādhā und deren Freundin – singen im Hauptteil der Dichtung gereimte Tanzlieder mit Refrain, zwischen die jeweils bis zu drei erklärende Sprechverse treten, die die Situation schildern, manchmal aber auch die Rede der im Lied auftretenden Person fortführen. Gelegentlich finden sich Segenssprüche. Im Schlussvers jedes Liedes wird der Name des Dichters genannt, »der den Hari (Viṣṇu) verehrt«. Auf den Prolog

12

folgt ein Hymnus an Hari in seinen zehn Verkörperungen, mit einem anschließenden zweiten Preishymnus, dessen Refrain auf den Namen des Dichters anspielt: »jaya jaya deva hare« (Siege, siege, Gott Hari). Nach einer erzählenden Strophe beginnt das erste Lied.

Das überlieferte Werk wird zweifach eingeteilt: sowohl in zwölf Sargas (Kapitel), in denen die einzelnen Strophen durchgezählt werden, als auch in 24 Prabandhas (Kompositionen) mit je einem Lied, die überleitenden Verse nicht mitgezählt. Die Prabandha-Gliederung scheint älter zu sein und auf musikalischem Vortrag zu beruhen. Alle bekannten Handschriften geben zu jedem Lied Melodietypus (rāga) und Takt (tāla) an.

Das Werk besteht aus 70 Strophen in verschiedenen Kunstdichtungsmetren, in denen die poetischen Figuren der literarischen Sanskrit-Tradition entfaltet werden. Die Lieder verwenden hingegen taktbetonte morenzählende Versmaße, die den Metren der zeitgenössischen Apabhraṃśa-Poesie ähneln und gemeinsam mit den ständig wiederholten Klangfolgen in Alliterationen, Assonanzen und Reimen neue rhythmisch-musikalische Strukturen in der Sanskrit-Literatur schaffen. Zahlreiche Reime und Wortspiele kennzeichnen das gesamte Werk.

Allegorisch wird die erotische Liebe zwischen Rādhā und Kṛṣṇa als religiöse Hingabe (bhakti) der menschlichen Seele an Viṣṇu gedeutet. Die ästhetische und religiöse Erfahrung der erotischen Gestimmtheit (rasa) in Trennung und Vereinigung mit dem Geliebten hat in der Wonne (ānanda), Kṛṣṇas wahrer Natur, den gemeinsamen Gegenstand. Auf die nachfolgende literarische Entwicklung hatte das Gītagovinda einen außerordentlichen Einfluss und fand viele Nachahmer; es kann geradezu als ein Archetyp mittelalterlicher religiöser Dichtung besonders Nordindiens bezeichnet werden (Bhakti-Dichtung).

Ausg.: Love Song of the Dark Lord. Jayadeva's Gītagovinda, Hg. B. S. Miller, 1977 [mit engl. Übers.]. • Le Gītagovinda de Jayadeva, Texte, Hg. H. Quellet, 1978 [mit Konkordanz und Index]. Übers.: Indische Liebeslyrik in Übertragungen von Friedrich Rückert, Hg. H. v. Glasenapp, 1980. Lit.: S. Sandahl-Forgue: Le Gītagovinda. Tradition et innovation dans le kāvya, 1977. • L. Siegel: Sacred and Profane Dimensions of Love in Indian Traditions as Exemplified in the Gītagovinda of Jayadeva, 1978. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 204–209.

Roland Steiner

Kalhaṇa geb. Anfang 12. Jh. vielleicht Parihaspora/Baramulla, Jammu and Kashmir (Indien) gest. zweite Hälfte 12. Jh. vielleicht Kaschmir

Aus brahmanischer Familie von Sanskrit-Gelehrten; Sohn des Caṇpaka, eines bedeutenden Ministers des Königs Harṣa (1089–1101); ausgebildet in den traditionellen Wissenschaften (Grammatik, Poetik); verfasste neben der Rājataraṅgiṇī das kurze Ardhanārīśvarastotra (Lobpreis des Herrn [Śiva], der zur Hälfte eine Frau ist) in 18 Strophen im Śārdūlavikrīḍita-Metrum; Śivait mit Sympathien für den Buddhismus.

Lit.: M. A. Stein: Kalhaṇa's Rājataraṅgiṇī. A Chronicle of the Kings of Kaśmīr, Bd. 1, 1900, 6–21.

13

Kalhaṇa Rājataraṅgiṇī Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; Strom der Könige) – Kalhaṇas Rājataraṅgiṇī bietet eine zusammenhängende Geschichte Kaschmirs in acht Kapiteln mit fast 8000 Strophen in Form einer Kunstdichtung. Der Bericht beginnt mit der Regierung des Königs Durlabhavardhana und endet bei Jayasiṃha, umfasst also einen Zeitraum von ca. 625 bis 1149/50. Unter den erhaltenen Chroniken Kaschmirs – mindestens fünf Sanskrittexte gleichen Namens sind überliefert – ist Kalhaṇas die früheste, wobei es schon vor ihm lokale, heute verlorene historiographische Werke gegeben hat.

Kalhaṇas – historisch unterschiedlich zu bewertende – Quellen sind Eulogien früherer Könige in Kunstdichtungsform, Listen von Königen und ihrer Regierungszeit und darauf beruhende Dichtungen, das im 7. bis 9. Jh. zusammengestellte Nīlamatapurāṇa (Von Nīla gebilligtes Purāṇa) – eine lokale Glorifizierung (māhātmya) – sowie Inschriften und weitere historische Dokumente. Die geographische Ausdehnung Kaschmirs wird durch die grenznächsten, das Land repräsentierenden heiligen Plätze (tīrtha) beschrieben; Ziel ist eine lückenlose Herrscher- und Herrschaftsgeschichte.

Der Einleitung gemäß wollte Kalhaṇa stilistisch eine Kunstdichtung (kāvya) nach den geltenden Konventionen verfassen. Dank seiner himmlischen (divya) Erkenntnisfähigkeit und Vorstellungskraft ist es der Dichter, der für die Überlieferung und Deutung der Vergangenheit prädestiniert ist (I,3–5). Bei der Erzählung vergangener Dinge soll er sich wie ein Richter der Leidenschaft und des Hasses enthalten, also Ereignisse nicht einseitig darstellen, fälschen oder verdrehen (I,7). Als vorherrschende Gestimmtheit (rasa) wird die mit dem Ziel der Erlösung (mokṣa) verbundene Gemütsruhe (śāntarasa) genannt (I,23), die nach dem kaschmirischen Poetiker Ānandavardhana (zweite Hälfte des 9. Jh.s) u. a. dem Mahābhārata eignet, das sich auch thematisch als literarisches Vorbild erweist.

Während von der Frühzeit knapp und summarisch erzählt wird, werden die – teilweise mit Humor und Sarkasmus vorgetragenen – Schilderungen des politischen und sozialen Lebens immer ausladender, je näher sie an Kalhaṇas Gegenwart rücken. Das Werk ist ungewöhnlich reich an geographischen Angaben und kulturgeschichtlich bedeutsamen Darstellungen.

Nach Kalhaṇa kam es im 12. Jh. zunächst zu einer Unterbrechung der kaschmirischen Herrscherchroniken, deren Tradition aber u. a. in Jonarāja (ca. 1389–1459) und Śrīvara (gest. 1486) bedeutende Fortsetzer fand. Auch in muslimischen Gelehrtenkreisen standen sie in hohem Ansehen, wie aus persischen Übersetzungen und Auszügen hervorgeht. 15 Strophen finden sich in Vallabhadevas Anthologie Subhāṣitāvalī (Kette wohlformulierter Strophen; 15. Jh.?).

Ausg.: Kalhaṇa's Rājataraṅgiṇī or Chronicle of the Kings of Kashmir, Hg. M. A. Stein, 1892. Übers.: Kalhaṇa's Rājataraṅgiṇī. A Chronicle of the Kings of Kaśmīr, M. A. Stein, 2 Bde, 1900 [engl.]. Lit.: B. Kölver: Textkritische und philologische Untersuchungen zur Rājataraṅgiṇī des Kalhaṇa, 1971. • R. Salomon: Notes on the Translations of Kalhaṇa's Rājatarangiṇī (I–IV), in: Berliner Indologische Studien 3, 1987, 149–179. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 7, 2004, 98–117. • W. Slaje: Kaschmir im Mittelalter und die Quellen der Geschichtswissenschaft, in: Indo-Iranian Journal 48, 2005, 1–70. • W. Slaje: ›In the Guise of

14

Poetry‹ – Kalhaṇa Reconsidered, in: Śāstrārambha. Inquiries into the Preamble in Sanskrit, Hg. W. S., 2008, 207–244.

Roland Steiner

Māgha geb. vermutlich zweite Hälfte 7. Jh. Gujarat (Indien) gest. um 700 Gujarat (Indien)

Gemäß den Schlussstrophen des Śiśupālavadha, seines einzigen überlieferten Werkes, Enkel eines Ministers des Königs Varmalāta.

Lit.: H. Jacobi: On Bhāravi and Māgha, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 3, 1889, 121–145. • E. Hultzsch: Māgha's Śiśupālavadha. Nach den Kommentaren des Vallabhadēva und des Mallināthasūri ins Deutsche übertragen, 1926, III–VII. • M. Krishnamachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 154 f.

Māgha Śiśupālavadha Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; Māgha's Śiśupālavadha, 1926, E. Hultzsch) – Das erzählende Kunstgedicht in Versen (mahākāvya, sargabandha) ist das einzige von Māgha überlieferte Werk. Es wird zu den fünf oder sechs Klassikern dieses Genres aus der Zeit nach Kālidāsa gezählt. Den Stoff des Werks, das in 20 Gesängen (sarga) von der Tötung des Cedi-Königs Śiśupāla berichtet (Śiśupālavadha bedeutet wörtlich ›Die Tötung des Śiśupāla‹), ist dem Mahābhārata entnommen.

Eingangs fordert der Seher Nārada die Viṣṇu-Inkarnation Kṛṣṇa im Auftrag des Götterkönigs Indra auf, Śiśupāla zu vernichten, der Göttern und Menschen Unheil bereitet habe (Gesang 1). Kṛṣṇa berät sich mit Freunden, ob er ihn sofort bekämpfen oder erst an König Yudhiṣṭhiras Opferfest teilnehmen solle (2). Schließlich verlässt er seine kunstvoll beschriebene Stadt Dvārakā, um mit seinem Heer nach Yudhiṣṭhiras Residenz Indraprastha zu ziehen (3). Beschrieben werden der Berg Raivataka (4), das dort von Kṛṣṇa bezogene Lager (5), die sechs Jahreszeiten in Gestalt schöner Frauen (6), die Vergnügungen von Männern und Frauen im Wald (7) und in einem Teich (8). Es folgen Schilderungen des Sonnenuntergangs (9), erotischer Genüsse (10), der Morgendämmerung und des Sonnenaufgangs (11). Endlich zieht das Heer weiter und überschreitet den Fluss Yamunā (12). Nach Kṛṣṇas Ankunft bei Yudhiṣṭhira und seinem festlichen Empfang (13) wird das Opfer vollzogen und Kṛṣṇa die Ehrengabe zuerkannt (14). Hiergegen erhebt Śiśupāla mit vielen Schmähreden Widerspruch (15). Ein Bote Śiśupālas überbringt Kṛṣṇa eine Herausforderung zum Kampf (16), worauf Kṛṣṇa und seine Freunde sich zum Kriegszug rüsten und abrücken (17). Das anschließende Schlachtgetümmel wird ausführlich geschildert (18 und 19). Gesang 20 beschreibt den Zweikampf zwischen Kṛṣṇa und Śiśupāla, mit Pfeil und Bogen und dann mit übernatürlichen Waffen ausgefochten. Kṛṣṇa tötet seinen Gegner mit dem göttlichen Diskus (cakra).

Māgha hält bei seiner Themenwahl und den Beschreibungen Vorgaben ein, wie sie etwa von Daṇḍin im Kāvyādarśa (Spiegel der Kunstdichtung) aufgelistet werden. Im ausgiebigen Gebrauch verschiedener Kunstmittel – wie Stilfiguren (Vergleiche, Doppelsinn),

15

Lautspielereien (Stabreime und dergleichen), Verse, die rückwärts gelesen einen anderen Sinn ergeben – beweist der Dichter die an seinem Vorgänger Bhāravi orientierte Beherrschung der in den Poetiken (Alaṅkāraśāstra) beschriebenen Figuren. Darüber hinaus ist er bemüht, auch andere Wissensgebiete wie Politik (Nīti-Literatur) und Erotik (Kāmaśāstra) in seine Dichtung einfließen zu lassen.

Ausg.: The Śiśupâlavadha of Mâgha with the Commentary (Sarvankashâ) of Mallinâtha, Hg. Durgâprasâd/Śivadatta, 1888. Lit.: A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 4, 1983, 133–144. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 187–191.

Helmut Hoffmann / Roland Steiner

Prahasanas und Bhāṇas Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Komödie; andere Dramatik

(skrt., prakr.) – Unter den im Nāṭyaśāstra (spätestens 8. Jh.) beschriebenen zehn Schauspielarten (rūpaka) finden sich der Bhāṇa (Monologstück) und das Prahasana (Komödie oder Posse; wörtlich ›Gelächter‹). Beiden Gattungen gemeinsam ist die komische und satirische Grundstimmung und das Auftreten bestimmter – von der dramaturgischen Theorie als ›niedrig‹ eingestufter – Figuren. Nach einigen späteren Theoretikern ab ca. 1000 n. Chr. (im Nāṭyaśāstra findet sich hierzu nichts) soll das Prahasana die komische, der Bhāṇa aber die heroische und die erotische Gestimmtheit (rasa) andeuten. Die Handschriften der ältesten Vertreter beider Genres stammen sämtlich aus Südindien.

Der Bhāṇa ist ein einaktiges Monologstück, in dem ein städtischer Viṭa (Bonvivant) durch die Straßen einer Stadt geht und von erotischen Erlebnissen erzählt. Die auch aus dem ›Liebeslehrbuch‹ Kāmasūtra (Kāmaśāstra) bekannte Figur wird als sinnenfreudig, gebildet, charmant, eloquent, dichterisch begabt, geistreich und schlagfertig beschrieben; als verarmte, schmarotzerhaft lebende, sittlich zweifelhafte Person aus dem Umfeld der Hetärenviertel gehört er dramaturgisch der ›niedrigen‹ Klasse an, spricht in den Stücken aber Sanskrit. Dialoge auf der Straße werden technisch als »Sprechen in die Luft« (ākāśabhāṣita) realisiert: Der Frage »Was sagst du?« folgt die wörtliche, vom Viṭa scheinbar wiederholte Rede des jeweiligen Gegenübers.

Die ältesten erhaltenen Bhāṇas sind die zuerst in der Sammlung Caturbhāṇī (Vier Bhāṇas) veröffentlichten: Pādatāḍitaka (Der Fußstoß) des Śyāmilaka, Padmabhṛtaka (Das Lotusgeschenk) des Śūdraka, Ubhayābhisārikā (Ausgang beider, um einander zu treffen) des Vararuci und Dhūrtaviṭasaṃvāda (Dialog zwischen Gauner und Bonvivant) des Īśvaradatta. Über die Autoren und deren Datum ist nichts Sicheres bekannt. Śyāmilaka scheint Kaschmirer gewesen zu sein; aus Pādatāḍitaka zitieren Abhinavagupta, Kṣemendra und Kuntaka (alle um 1000). Rājaśekhara (9./10. Jh.) kannte einen Śyāmadeva (= Śyāmilaka?). Bestimmte Gründe könnten für eine Datierung in die zweite Hälfte des 5. Jh.s sprechen; die drei anderen Stücke sind vielleicht etwas jünger.

Das städtische Leben, besonders im Hetärenviertel, bildet den Hintergrund für sprachlich elegante Gesellschaftssatiren, in denen mit Ironie, Witz und zahlreichen Wortspielen vor allem Erotisches – gelegentlich auch drastisch – thematisiert wird. Die Stücke enthalten viele scharfe Beobachtungen zum gesellschaftlichen Leben und bieten einiges zur Realienkunde.

16

Stilistisch folgen sie, trotz einiger seltener Wörter und Ausdrucksweisen, den klassischen Konventionen; in den Dialogen entwickeln sie aber auch einen etwas freieren Konversationsstil.

Beim Prahasana werden in der Theorie je nach den auftretenden Personen zwei oder drei Arten unterschieden. Trotz abweichender Akzentuierung im Einzelnen wird deutlich, dass sich das dramatische Personal aus religiösen (Wandermönche, Asketen, Brahmanen usw.) sowie aus sozial tiefer stehenden Kreisen (Dienerinnen, Eunuchen, Hetären, Bonvivants, Gauner usw.) rekrutieren soll. Darzustellen sind alltägliche Szenen, in denen Betrug und Heuchelei eine Hauptrolle spielen.

Das älteste datierbare Prahasana ist Mattavilāsa (Berauschtes Treiben) des śivaitischen Pallava-Königs Mahendravarman (erste Hälfte 7. Jh.). In diesem in der Hauptstadt Kāśī spielenden Einakter geht es um den Streit eines völlig betrunkenen śivaitischen Asketen, der der besonders radikalen Gemeinschaft der »Schädelträger« (kapālin) angehört, mit einem hedonistischen buddhistischen Mönch, dem er – fälschlich – Diebstahl seiner Schädelschale vorwirft. Als Schiedsrichter tritt der Mönch einer anderen śivaitischen Gemeinschaft (Pāśupata) auf, der zugleich mit dem Schädelträger-Asketen um dessen gleichfalls betrunkene Geliebte rivalisiert. Die offene Trunksucht und die Amouren der Asketen sind ebenso Gegenstand einer milden Satire wie die heimlichen Neigungen des Buddhisten, eines Weltlings, der sich aus Bequemlichkeit seinem reichen, offenbar auch vor Bestechungen von Richtern nicht zurückschreckenden Orden angeschlossen hat. Im Vordergrund steht die Komik, die sich aus den Eigenheiten der Personen und den Situationen, aber auch aus der witzigen Anwendung religiöser Doktrinen in den Dialogen ergibt.

Aus derselben oder noch früherer Zeit stammt Bhagavadajjuka (Die Heiligen-Hetäre), die literarisch anspruchvollste altindische Komödie, die sehr wahrscheinlich nicht von Mahendravarman, sondern vielleicht von einem nicht weiter bekannten Bodhāyana verfasst wurde. Hauptzweck ist die unterhaltsame Einführung in die Grundlehren des Yoga. Mit feinem Humor bietet die erste Hälfte des Stücks einen Dialog zwischen einem gelehrten, in seiner würdevollen Ernsthaftigkeit gelegentlich etwas kleinlichen Yoga-Meister mit seinem ungebildeten, zugleich verschmitzten Schüler, der tatsächlich nur an weltlichen Dingen interessiert ist, dies aber auch nicht verheimlicht. Im zweiten Teil demonstriert der Meister die Kraft seines Yoga, indem er mit seiner Seele in den Körper einer soeben verstorbenen Hetäre eindringt, deren Seele wiederum in den Körper des Meisters versetzt wird, was zu einigen turbulenten und komischen Szenen führt.

In den folgenden Jahrhunderten sind Hunderte, vielfach noch unveröffentlichte Prahasanas und Bhāṇas verfasst worden. Zum heutigen Repertoire des südwestindischen Kūṭiyāṭṭam-Tanztheaters gehören aber lediglich Bhagavadajjuka und Mattavilāsa.

Ausg.: The Pādatāḍitaka of Śyāmilaka, 2 Bde, Hg. G. H. Schokker/P. J. Worsley, 1966, 1976 [mit engl. Übers.]. • Glimpses of Sexual Life in Nanda-Maurya India, Hg. M. Ghosh, 1975 [Caturbhāṇī mit engl. Übers.]. • Die Heiligen-Hetäre. Bhagavadajjukam. Eine indische Yoga-Komödie, Hg. R. Steiner/M. Straube, Übers. U. Roesler/J. Soni/L. Soni/R. Steiner/M. Straube, 2006. Übers.: Die Streiche des Berauschten. Satirische Posse, J. Hertel, 1924. Lit.: S. K. De: Aspects of Sanskrit Literature, 1959, 1–26. • J. R. A. Loman: The Comic Character of the Caturbhāṇī, in: The Adyar Library Bulletin 25, 1961, 173–187. • S. S. Janaki: Caturbhāṇi – Literary Study, in: Indologica Taurinensia 2, 1974, 81–106. • K. K. Malathi Devi: Prahasanas in Sanskrit Literature and Kerala Stage, 1995.

Roland Steiner

17

Rājaśekhara geb. spätes 9. Jh. Maharashtra (Indien) gest. frühes 10. Jh. vielleicht Nordindien

Vermutlich śivaitischer Brahmane, Familie anscheinend aus Maharashtra, Vater hoher Minister; selbst zeitweise als Lehrer des Königs Mahendrapāla von Kanauj tätig; Autor von vier Dramen, einer Poetik, eines nur aus Zitaten bekannten Kunstgedichts und möglicherweise weiterer, verloren gegangener Werke; seine Werke zeichnen sich durch sprachliche Meisterschaft und Beherrschung kunstvoller Metren aus; insbesondere seine Verse waren vom 10. Jh. an ungemein populär.

Lit.: S. Konow: Essay on Rājçekhara's Life and Writings, in: Rāja-Çekhara's Karpūra-Mañjarī. A Drama by the Indian Poet Rājaçekhara (about 900 A. D.), Hg. S. K., 1901, 173–208. • C. D. Dalal/R. A. Sastry/K. S. Ramaswami Sastri: Introduction, in: Kāvyamīmāṃsā of Rājaśekhara, Hg. C. D. D. u. a., 31934, XII–XLV. • P. V. Kane: History of Sanskrit Poetics, 41971, 211–218.

Rājaśekhara Die Dramen Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Stück

(skrt., prakr.) – Rājaśekharas vier überlieferte, den klassischen Normen folgende Schauspiele stehen einerseits in der Tradition eher ›leichter‹, unterhaltender Stücke, die durch Werke wie Kālidāsas Mālavikāgnimitra (Mālavikā und Agnimitra; ca. 5. Jh.) oder Harṣadevas Ratnāvalī (7. Jh.) repräsentiert wird. Sprachlich und stilistisch knüpfte er andererseits an Autoren wie Bhavabhūti (7./8. Jh.) an, die kunstvolle und – je nach Urteil – künstliche, kühne oder originelle Ausdrucksformen gepflegt hatten. Dass seine Strophen sehr häufig in Poetiken und in fast allen Anthologien zitiert werden, spricht für ihre große Beliebtheit in literarischen Kreisen seit dem 10. Jh. Neben der Eleganz und dem Wohlklang seiner Sprache sowie seiner metrischen Versiertheit werden bis heute vor allem seine sentenzenartigen Sprüche gerühmt.

Karpūramañjarī, nach der weiblichen Hauptfigur benannt, ist das älteste erhaltene Schauspiel ausschließlich in Prakrit. Der Prolog bezeichnet es als ein Saṭṭaka, über dessen genretypischen Eigenschaften die einheimische poetologische Tradition uneins ist. Ursprünglich waren Saṭṭakas möglicherweise Stücke, die gesprochene, nicht-literarische Dialekte verwendeten. Nach dem Poetiker Śāradātanaya (12./13. Jh.), der dieses Drama als Beispiel anführt, soll ein Saṭṭaka in zwei bestimmten literarischen Prakrits (Śaurasenī und Māhārāṣṭrī) verfasst sein, was sprachlich zum handschriftlichen Befund zu passen scheint.

Der Prolog nennt den Grund, warum Prakrit statt Sanskrit verwendet wird: Was ein literarisches Werk ausmache, sei nicht die jeweilige Sprache, sondern die Vorzüglichkeit des Ausdrucks. Inhaltlich und formal unterscheidet sich Karpūramañjarī auch nicht grundsätzlich von vergleichbaren Stücken wie Ratnāvalī, in denen Prakrit neben Sanskrit gesprochen wird. In vier Akten wird erzählt, wie sich König Caṇḍapāla in die Kuntala-Prinzessin Karpūramañjarī verliebt, die eifersüchtige Königin die Prinzessin einsperrt, es trotzdem zu geheimen Treffen zwischen König und Prinzessin kommt und beide schließlich mit Billigung der Königin heiraten. Bemerkenswert ist der Auftritt eines leicht angetrunkenen tantrischen Zauberers im ersten Akt, der in drei Strophen mit zahlreichen Binnenreimen die śivaitische

18

Kaula-Schule preist, in der nicht Schriftstudium und Meditation, sondern der Genuss von Alkohol, Frauen und Fleisch zur Erlösung führe.

In Rājaśekharas drei anderen Stücken wird Sanskrit und Prakrit gesprochen, wobei Viddhaśālabhañjikā (Die durchbohrte Statue), in vier Akten, in der literarischen Tradition besonders geschätzt wurde. Der Minister des Königs Vidyādharamalla schmuggelt die als Knaben verkleidete Mṛgāṅkāvalī, Tochter des Lāṭa-Königs Candravarman, an den Hof seines Herrn, den die Heirat mit ihr zum Weltherrscher machen soll. Es entwickelt sich eine zur Hochzeit führende Liebesgeschichte, wobei die Verkleidung der Protagonistin zu zahlreichen komischen Situationen führt.

Das Bālarāmāyaṇa (Rāmāyaṇa für Knaben), mit zehn Akten und 741 Strophen das wohl längste klassische Schauspiel, hat den vollständigen Stoff des Epos zum Inhalt. In der Art der – szenisch originellen – Dramatisierung der Rāma-Geschichte folgt Rājaśekhara seinen Vorgängern Bhavabhūti und Murāri (der nach Bhavabhūti lebte): Ereignisse werden häufig von Augenzeugen geschildert, nicht auf der Bühne dargestellt. Bemerkenswerterweise ist die Liebe des Rāma-Gegenspielers Rāvaṇa ein Hauptthema. Vom Bālabhārata (Mahābhārata für Knaben) sind nur die ersten beiden Akte erhalten. Sie behandeln Draupadīs Gattenselbstwahl, das Würfelspiel zwischen Yudhiṣṭhira und Duryodhana und die anschließende Beleidigung Draupadīs.

Übers.: Rāja-Çekhara's Karpūra-Mañjarī. A Drama by the Indian Poet Rājaçekhara (about 900 A. D.), C. R. Lanman, Hg. S. Konow, 1901 [engl.]. • The Viddhaśālabhañjikā of Rājaśekhara, L. H. Gray, in: Journal of the American Oriental Society 27, 1906, 1–71 [engl.]. Lit.: R. Salomon: The Original Language of the Karpūra mañjarī, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 132, 1982, 119–141. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 5, 1988, 413–532.

Roland Steiner

Ratnākara geb. vermutlich zwischen 776 und 807 Kaschmir gest. vermutlich nach 855/856 Kaschmir auch: Rājānaka Ratnākara

Neben dem Haravijaya Autor des GedichtsVakroktipañcāśikā (50 Strophen [einer Unterhaltung zwischen Śiva und Pārvatī] in krummer Rede), möglicherweise auch der Dhvanigāthāpañjikā (Kommentar zu den [die Merkstrophen über den] Ton begleitenden [Prakrit-]Strophen [einer Poetik]), sowie zahlreicher Verse in Anthologien; lebte unter den kaschmirischen Königen Jayāpīḍa, Cippaṭa und Avantivarman.

Lit.: M. Krishnamachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 160 f. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 5, 1988, 138.

19

Ratnākara Haravijaya Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Reimprosa/Verserzählung

(skrt.; Der Sieg des Hara) – Das Kunstgedicht in Versen (mahākāvya bzw. sargabandha) zählt zu den Klassikern des Genres. Mit 50 teilweise äußerst langen Gesängen und 4351 Strophen ist es das längste der klassischen Mahākāvyas. Das Werk behandelt Haras (= Śivas) Sieg über den blinden Dämon Andhaka, der durch strenge Askese das Augenlicht erlangt und bis auf den Berg Mandara in Śivas Himmel die ganze Welt erobert hat.

Zunächst (1–6) werden unter anderem Śivas Stadt Jyotsnāvatī auf dem Berg Mandara, Śiva selbst und eine Aufführung des göttlich-rasenden Tāṇḍava-Tanzes beschrieben. Es folgt ein religiös-philosophischer Hymnus auf Śiva. Ebenso wie der Leser erfährt Śiva erst am Ende dieses Abschnitts von Andhakas Unterdrückung der Welt. Im zweiten Teil (7–16) wird die Versammlung von Śiva und seinem Gefolge (Gaṇa) geschildert, in der angesichts der Schreckensnachricht ein Tumult ausbricht. Die Gaṇas plädieren in ihren Reden abwechselnd für eine kriegerische oder diplomatische Lösung. Schließlich entscheidet Śiva, den Gaṇa Kālamusala als Gesandten zu Andhaka zu schicken.

Der dritte Abschnitt (17–28) zeigt Śivas Anhänger und deren Frauen, wie sie auf dem Mandara in friedvoller Freude leben. Im 21. Gesang findet die Vereinigung von Śiva und Pārvatī statt, die zu einem einzigen Körper verschmelzen, halb Mann und halb Frau. Es folgt die Beschreibung des Ozeans, des Symbols des Aufgehens der Vielheit in die Einheit. Der vierte Abschnitt (29–31) schildert unter anderem die lange Luftreise des Boten. Im fünften Abschnitt (32–38) erreicht der Gesandte Andhakas Palast, in dessen Versammlungshalle die Reden der Dämonen gehalten werden. Nach einer Hymne auf Andhaka verkündet der Bote, dass die Dämonen in die Unterwelt Pātāla zurückkehren und mit den Göttern in Freundschaft leben sollen, was zu Aufruhr in der Versammlung führt. Im Schlussabschnitt wird die gewaltige Schlacht beschrieben, die wilde Göttin der Zerstörung Caṇḍī in einem eigenen Gesang (47) gepriesen und Śivas endgültiger Sieg und die Tötung des Dämonen dargestellt.

Das Werk ist in einem kunstvollen, teilweise artistischen und schwierigen Stil in zahlreichen Metren verfasst. Ratnākara brilliert in doppelsinnigen Ausdrücken (Śleṣa) und ausgedehnten Wortspielen, verwendet viele Yamakas (Worte mit identischer Silbenfolge und unterschiedlicher Bedeutung) bis hin zu Strophen in bildlicher Anordnung – etwa Speer oder Schwert –, die er aber nur in Schlachtbeschreibungen verwendet.

Die sieben Schlussstrophen bekunden Ratnākaras Selbstverständnis: Seine figuren- und stimmungsreiche Dichtung sei lieblich, weil sie auf den Taten Śivas beruhe, klangschön und ungezügelt in den das gewöhnliche Maß überschreitenden Yamakas und Śleṣas. Er bediene sich der Hyperbel, um die Dinge zu benennen, wie sie wirklich seien. Sein ausdrückliches Vorbild war Bāṇa (7. Jh.), den er wegen des ausladenden Umfangs seiner Werke und der Kühnheit des Stils preist und der seiner Meinung nach eine neue literarische Richtung begründet hat.

Ausg.: The Haravijaya of Râjânaka Ratnâkara with the Commentary of Râjânaka Alaka, Hg. Durgâprasâd/K. P. Parab, 1890. Lit.: D. Smith: Ratnākara's Haravijaya. An Introduction to the Sanskrit Court Epic, 1985. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 5, 1988, 139–159.

Roland Steiner

20

Stotras Hauptgattung: Lyrik Untergattung: Hymne

(skrt., prakr.) – Ein Stotra ist eine Preishymne auf eine Gottheit oder eine religiöse Figur. Die Anfänge devotionaler Lyrik reichen in vedische Zeit zurück. Viele Stotras finden sich im Mahābhārata und in den Purāṇas. Einzelne, gelegentlich auch mehrere hymnische Strophen begegnen zudem in den älteren Schichten der kanonischen Schriften des frühen Buddhismus.

Preislieder auf Gottheiten bestehen zumeist aus Aneinanderreihungen von Namen und Lobesworten auf die Gottheit, berichten in einer einfachen Sprache von den göttlichen Taten zum Wohl der Gläubigen und der Welt, enthalten gelegentlich magische Formeln und enden mit der Bitte um Erlösung oder Schutz. In anderen Stotras werden philosophische Lehren zum Memorieren und Rezitieren zusammengefasst. Stotras können auch hochliterarische Formen annehmen, wobei religiöser Ernst hinter literarischen Motiven zurücktreten kann, aber nicht muss. Der verfeinerte Stil kann dem religiösen Kontext besonders angemessen sein, wobei die Vollendung der Form zur perfekten Opfergabe wird. Zwischen devotionaler und erotischer Lyrik gibt es eine strukturelle Analogie im Streben nach dem geliebten Objekt.

Zu den literarisch besonders anspruchsvollen Hymnen zählen das Caṇḍīśataka (Hundert [Strophen] über [die Göttin] Caṇḍī) des Bāṇa und das Sūryaśataka (Hundert [Strophen] über die Sonne) des Mayūra aus dem 7. Jh., beide im Sragdharā-Metrum mit langen Komposita in einer schwierigen Diktion verfasst.

Buddhistische hymnische Verswerke auf Sanskrit entstanden ab der Zeitenwende. Sie weisen oft keine schulspezifische Terminologie auf und waren teilweise schulübergreifend verbreitet. Dem berühmten Philosophen Nāgārjuna (zwischen 150 und 250 n. Chr.) werden die Catuḥstava (Vier Hymnen) zugeschrieben, die rein philosophisch in inhaltlicher Übereinstimmung mit Nāgārjunas Hauptwerk die Leerheit aller Erscheinungen zur Preisung des lehrenden Buddha behandeln.

Mātṛceṭa (nicht später als Beginn des 4. Jh.s) gilt als Vater der buddhistischen Hymnenliteratur. Er verfasste unter anderem zwei literarisch bedeutende Buddhastotras: Varṇārhavarṇa (Preis des Preiswürdigen) in 386 Strophen und Prasādapratibhodbhava (Entstehung der Einsicht aus Glauben) in 153 Strophen. Nach dem chinesischen Pilger Yì Jìng (zweite Hälfte 7. Jh.) hatte sich jeder Mönch nach dem Studium der Mönchsregeln mit beiden Dichtungen vertraut zu machen. Themen der buddhistischen Hymnenliteratur sind die Tugenden des Buddha und seine Taten für das Wohl der Welt, dann auch seine Heilstaten während früherer Geburten. Manche Stotras enthalten eine apologetische, antihinduistische Polemik. Stotras von einiger religiöser und literarischer Bedeutung haben auch die Jainas hervorgebracht.

Lit.: D. Schlingloff: Buddhistische Stotras aus ostturkistanischen Sanskrittexten, 1955. • J. Gonda: Medieval Religious Literature in Sanskrit, 1977, 232–270. • G. Bühnemann: Some Remarks on the Structure and Application of Hindu Sanskrit Stotras, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 28, 1984, 73–104. • P. Schreiner: Purāṇische Stotras im Vergleich, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Suppl. 8, 1990, 426–441. • N. Balbir: À propos des hymnes jaina multilingues (sanskrit, prakrit, persan), in: Indica et Tibetica. Festschrift für Michael Hahn, Hg. K. Klaus/J.-U. Hartman, 2007, 39–61. • Y. Bronner: Singing to God, Educating the People. Appayya Dīkṣita and the Function of Stotras, in: Journal of the American Oriental Society 127, 2007, 113–130.

Roland Steiner

21

Subandhu geb. vermutlich Ende 6. Jh. Zentralindien gest. 7. Jh. vermutlich Zentralindien

Gilt neben Daṇḍin und Bāṇa als einer der drei Meister der klassischen Sanskrit-Prosa; der Legende nach ein Zeitgenosse des Königs Vikramāditya und Neffe des Vararuci.

Lit.: M. Krishnamachariar: History of Classical Sanskrit Literature, 1937, 466–473. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 3, 1977, 234–235.

Subandhu Vāsavadattā Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Erzählung

(skrt.; Vāsavadattā) – Das Werk ist eine fortlaufende kunstvolle Prosadichtung (kathā), die die wohl frei erfundene Liebesgeschichte der Titelfigur mit einem Prinzen erzählt. Vielleicht noch vor Daṇḍins Daśakumāracarita (Die Abenteuer der zehn Prinzen; 7./8. Jh.?) und sicher vor Bāṇas Werken (7. Jh.) entstanden, ist Vāsavadattā eines der wenigen erhaltenen Werke dieses Genres, das in einer nicht immer verständlichen nördlichen und einer besseren südlichen Rezension überliefert ist.

Kandarpaketu verliebt sich in das Bild einer wunderschönen jungen Frau, das ihm im Traum erschienen ist. Mit einem Freund macht er sich auf den Weg, sie zu finden. Nachts belauschen sie im Wald den Streit zwischen einem Papageienmännchen und einem Mainavogelweibchen. Das Männchen versucht seine wegen eines anderen Mainaweibchens namens Tamālikā eifersüchtige Geliebte mit der Geschichte von der Prinzessin Vāsavadattā abzulenken, die alle Freier abweise. Im Traum sei ihr Kandarpaketu erschienen, in den sie sich heftig verliebt habe. In ihrer Qual habe sie Tamālikā aufgegeben, den Geliebten zu finden. Er habe Tamālikā, die jetzt mit ihnen auf dem Baum raste, nur begleitet.

Tamālikā trägt Kandarpaketu den aus einer Strophe bestehenden Liebesbrief ihrer Herrin vor. Gemeinsam machen sie sich nach Kusumapura auf, wo der Protagonist die verzweifelte Vasantasenā, die mit einem anderen Prinzen verheiratet werden soll, in ihrem Palast antrifft. Gemeinsam flieht das Paar auf einem magischen Pferd und verbringt eine Nacht im Wald, doch am Morgen ist Vasantasenā verschwunden. Nach erfolgloser Suche will Kandarpaketu seinem Leben ein Ende setzen, doch kann ihn eine himmlische Stimme davon abhalten. Monatelang wandert er umher, bis er eine Vasantasenā ähnelnde Steinstatue erblickt. Als er sie berührt, steht die leibhaftige Geliebte vor ihm. Sie hatte an besagtem Morgen Früchte gesammelt und war zwischen die Fronten zweier kämpfender Heere geraten. Dabei wurde die Einsiedelei eines Weisen zerstört, der ihr die Schuld gab und sie in Stein verwandelte. Aus Mitleid schwächte er den Fluch ab, der nur so lange auf ihr lasten sollte, bis ihr Geliebter sie mit der Hand berühre. Das Paar begibt sich zu Kandarpaketus Stadt und lebt dort glücklich zusammen.

Subandhus Stil ist besonders kunstvoll. Die ausladenden Beschreibungen der Personen, der Natur oder Schlacht machen den größten Teil des schwierigen, in langen Komposita, Wortspielen, Hyperbeln, Vergleichen und weiteren poetischen Figuren exzellierenden Textes aus. Von vielen Dichtern – z. B. von Bāṇa – wird Subandhu bewundernd erwähnt; sein Werk wurde oft studiert und kommentiert.

22

Ausg.: Vāsavadattā. A Sanskrit Romance, Hg. L. H. Gray, 1913 [mit engl. Übers.]. • Vāsavdattā kathā, Hg. J. M. Śukla, 1966. Lit.: A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 3, 1977, 234–246. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984, 244–247. • R. A. Hueckstedt: The Style of Bāṇa. An Introduction to Sanskrit Prose Poetry, 1985, 157–190. • R. A. Hueckstedt: A Comparison of Some Aspects of the Styles of S., Bāṇa, and Daṇḍin, in: Indo-Iranian Journal 29, 1986, 295–311.

Roland Steiner

Subhāṣita-Literatur Hauptgattung: Lyrik Untergattung: Epigramm; Gedicht; Hymne; Sammlung/Lyrikanthologie

(skrt., prakr.) – Ein Subhāṣita (Wohlformuliertes) ist eine – meist vierzeilige – Kunstdichtungs-Strophe, die eine formale und inhaltliche Einheit bildet. Jedes Subhāṣita ist literarisch autark, weil sich seine Poesie – anders als in rein didaktischen oder narrativen Strophen – auch kontextunabhängig entfaltet. Neben dieser literarischen Tradition hat es auch ethisch orientierte Auffassungen gegeben: So bezeichnet ›subhāṣita‹ für Buddhaghosa (4./5. Jh.) eine Rede im Dienst der buddhistischen Lehre (dharma), die sich lügnerischer, schroffer, bösartiger oder gehässiger Wörter enthält.

Subhāṣitas im literarischen Sinne begegnen in den verschiedensten Genres. Der jeweilige Zusammenhang hat auf Stil, Struktur und Ziel der Poesie dieser Einzelstrophen aber kaum Einfluss. Ein Subhāṣita enthält ein vollständiges, abgerundetes Bild, wobei der formalen Strenge des Metrums die gedankliche Verdichtung entspricht. Neben einfacheren finden sich hochliterarische Formen kunstvoller, technisch-virtuoser Strophen mit gelegentlich langen Komposita, seltenen Wörtern, eleganten Alliterationen, Binnenreimen und Wortspielen.

Subhāṣitas wurden in Anthologien gesammelt, die einen Großteil indischer Lyrik enthalten. Eine wichtige Quelle bildeten die literarischen, eher lyrischen als dramatischen Schauspiele, in denen vor allem Gestimmtheiten evoziert und weniger Handlungen entwickelt werden sollen. Entsprechend finden sich dort viele, vor allem erotische Strophen, die in einer bestimmten emotionalen Situation handlungsunabhängig für sich stehen können. Die einzelnen Strophen der Kunstepen (mahākāvya) sind zwar ebenfalls in sich selbst syntaktisch, semantisch und poetisch vollständig, eignen sich aber oft nicht zur Aufnahme in eine Anthologie, weil sie erst im kumulativen Fluss der Strophensequenz, in der ein bestimmter Inhalt beschrieben und variiert wird, ihre eigentliche Wirkung entfalten. Weitere Quellen der Anthologien bilden thematisch orientierte Strophensammlungen (z. B. Śatakas – vgl. Śataka-Dichtung – und Stotras), in Prosawerke eingebettete Verse, Glück verheißende Einleitungsstrophen zu den verschiedensten Werken, sprichwort- und sentenzenartige Strophen sowie Beispielstrophen aus Poetiken.

Die älteste Anthologie und zugleich das früheste Zeugnis weltlicher Poesie in Indien ist die vielleicht zwischen 200 und 600 n. Chr. zusammengestellte Sattasaī (Aus 700 [Strophen] bestehende [Sammlung]) des Hāla, die in sieben Zenturien mit je ungefähr 100 Prakrit-Strophen im Āryā-Metrum gegliedert ist. In deskriptiver, das Eigentliche oft nur andeutender Natur- und Liebeslyrik werden Szenen aus dem Dorf- und Landleben, Intrigen, Eifersüchteleien, Liebeleien usw. gezeichnet, die im Vergleich zu den Sanskrit-Subhāṣitas nicht selten farbiger, lebendiger und realistischer ausfallen. Eine weitere frühe, nicht genau datierbare Prakrit-Anthologie ist Vajjālagga (vielleicht: Durch Kapitel gekennzeichnete

23

[Sammlung]) des Śvetāmbara-Jaina Jayavallabha, deren 700, zu zwei Dritteln der Erotik gewidmete Āryā-Strophen in thematische Kapitel (vajjā) aufgeteilt sind.

Die Sanskrit-Lyrik bezeugt demgegenüber den verfeinerten Geschmack des klassischen Hoflebens, kann aber auch als Sanskritisierung einer volkstümlicheren, weniger stilisierten Lyrik, wie sie in Hālas Sammlung begegnet, gedeutet werden. Thematisch umfasst sie unter anderem religiöse Strophen, Liebes- und Naturlyrik, panegyrische Hymnen auf Könige, Eigenschaften guter und schlechter Menschen und das gesellschaftliche Leben.

Eines der ältesten Werke seiner Art ist Raviguptas auch ins Tibetische übersetzter Āryākoṣa (Schatzkammer der Āryā-Strophen) aus 145 Strophen, der vor dem 9. Jh. entstanden sein muss. Die Strophen formulieren häufig eine allgemeine Maxime, die mit einem Beispiel aus dem alltäglichen Leben illustriert wird.

Die älteste allgemeine Sanskrit-Anthologie ist Vidyākaras Subhāṣitaratnakoṣa (Juwelenschatz wohlformulierter Strophen) aus dem 11. Jh., die vermutlich nicht erhaltene Vorläufer hatte. Weitere wichtige frühe Anthologien sind Saduktikarṇāmṛta (Ohrennektar wohlformulierter Strophen) des Śrīdharadāsa (kompiliert 1205), Sūktimuktāvalī (Perlenschnur wohlformulierter Strophen) des Jalhaṇa (1258), Śārṅgadharapaddhati (Śārṅgadharas Wegweiser) des Śārṅgadhara (1363) und Vallabhadevas Subhāṣitāvalī (Kette wohlformulierter Strophen; wohl nicht früher als 15. Jh.).

Ausg.: Das Saptaçatakam des Hâla, Hg. A. Weber, 1881. • Subhāṣita-ratna-bhāṇḍāgāra or Gems of Sanskrit Poetry, Hg. N. R. Āchārya, 81952. • Mahā-Subhāṣita-Saṃgraha, 8 Bde, Hg. L. Sternbach, 1974–2007. Übers.: Indische Sprüche. Sanskrit und Deutsch, 3 Bde, O. Böhtlingk, 21870–1873. • An Anthology of Sanskrit Court Poetry. Vidyākara's ›Subhāṣitaratnakoṣa‹, D. H. H. Ingalls, 1965 [engl.]. • Vom rechten Leben. Buddhistische Lehren aus Indien und Tibet, M. Hahn, 2007. Lit.: L. Sternbach: Subhāṣita-saṃgraha-s, a Forgotten Chapter in the Histories of Sanskrit Literature, in: Indologica Taurinensia 1, 1973, 169–255. • L. Sternbach: Subhāṣita, Gnomic and Didactic Literature, 1974. • L. Sternbach: Subhāṣita-saṁgraha-s and Inscriptions as Sources of Sanskrit Poetry, in: Indologica Taurinensia 3/4, 1975/1976, 455–476. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984.

Roland Steiner

Śataka-Dichtung Hauptgattung: Lyrik Untergattung: Epigramm; Gedicht; Hymne; Sammlung/Lyrikanthologie; andere Lyrik

Dichtungen, die nur einzelne Themen der ›großen Kunstdichtung‹ (mahākāvya) behandeln, werden in der einheimischen Poetik ›fragmentarisch‹ (khaṇḍakāvya) genannt. Dazu zählen Gedichtsequenzen, die häufig rund 100 Strophen umfassen und deshalb das Wort ›śataka‹ (Zenturie) im Titel führen. Es gibt aber auch längere und kürzere Strophenfolgen, deren Titel aus anderen – z. B. acht (aṣṭaka), 50 (pañcāśikā), 700 (saptaśatī) – oder gar keinen Zahlen bestehen. Typischerweise behandeln Śatakas und vergleichbare Sammlungen ein einzelnes Thema, z. B. einen Gott, die Liebe, weltliche Klugheit oder Entsagung. Später wurden auch poetische Figuren oder Verstypen zum Gegenstand. Literarisch verbergen sich dahinter verschiedene Genres wie Spruchdichtungen zur Lebensklugheit, Liebeslyrik, selbständige poetische Miniaturen (muktaka), allegorische Epigramme, Rätsel und Preishymnen (Stotras).

24

Śataka-Dichtung (Sanskrit und Prakrit) (skrt., prakr.) – Die bekanntesten Śatakas werden Bhartṛhari (5. Jh.?) und Amaru (Mitte 7. Jh.?) zugeschrieben. In ihren überlieferten Formen wurden sie von mittelalterlichen Kommentatoren, über deren Quellen nichts Sicheres bekannt ist, zu Anthologien zusammengestellt. Anders als im Epos bildet jede einzelne Strophe ein selbständiges Gedicht.

Die drei Śatakas des Bhartṛhari, die zum Vorbild für weitere Sammlungen dieser Art wurden, behandeln weltliche Klugheit (nīti), sinnliche Liebe (śṛṅgāra) und Leidenschaftslosigkeit (vairāgya). Ob der Dichter mit dem gleichnamigen Grammatiker (ca. 450–510 n. Chr.) identisch ist, ist unsicher, aber nicht unmöglich. Seine vielfach gerühmten Strophensammlungen sind in Hunderten von Handschriften mit großen Abweichungen verbreitet. Statt 300 sind mehr als 800 Strophen überliefert; davon sind nur rund 200 allen Fassungen gemein. Stilistisch variiert Bhartṛhari in individueller Weise die gelehrten Konventionen der Kunstdichtung. Sein Śṛṅgāraśataka ist der Tradition weniger bekannt; Vidyākara (11. Jh.), der in seiner Anthologie ausgiebig aus Bhartṛharis Werk schöpft, kannte es anscheinend nicht. Es thematisiert eine kultivierte Erotik und beschreibt unter anderem die Schönheiten des weiblichen Körpers, zwischen Bejahung und Ablehnung der Sinnlichkeit schwankend.

Das literarisch ebenfalls hochgeschätzte Amaruśataka umfasst in den meisten Versionen etwas mehr als 100 Strophen, die ausnahmslos die Liebe zum Thema haben. Die Mehrzahl dieser erotischen Miniaturen stammt von vielen verschiedenen Dichtern aus dem 7. und 8. Jh., wie z. B. aus Zitaten in der Anthologie des Vidyākara hervorgeht, der ca. ein Drittel des Amaruśataka aufgenommen hat. Seinerzeit existierte wohl schon eine alte Sammlung, die auf ein kürzeres Werk eines Amaru oder Amarūka zurückgehen könnte. Einem Amaru/Amarūka werden aber auch Strophen zugeschrieben, die sich nicht im Amaruśataka finden. Inhaltlich geht es um verschiedene Aspekte des Liebeslebens, um Hingabe, aber auch um weibliche Entrüstung oder männliches Selbstmitleid. Die Diktion der in kunstvollen Metren verfassten Strophen ist einfach, wobei – anders als bei Bhartṛhari – vieles nicht direkt angesprochen, sondern nur angedeutet wird.

Die weniger berühmten Sammlungen sind in geringerem Maß nachträglichen Anreicherungen ausgesetzt gewesen. Śilhaṇas vor dem 13. Jh. entstandenes Śāntiśataka (Zenturie des inneren Friedens) ahmt in 104 rein didaktisch und asketisch orientierten Strophen BhartṛharisVairāgyaśataka nach. In der beliebten Sammlung gehen die meisten Strophen wohl auf andere Autoren zurück.

In Anthologien und Poetiken oft zitiert wird das Bhallaṭaśataka des Bhallaṭa (letztes Viertel 9. Jh.). In 108 didaktischen und satirischen Strophen, die nicht alle von Bhallaṭa stammen, werden Mensch und Gesellschaft indirekt durch »Anführung eines anderen« (anyāpadeśa) kritisiert, indem z. B. Naturvorgänge als Allegorien für gesellschaftliche Missstände geschildert werden.

Das nicht datierbare, einem Nāgarāja zugeschriebene, aber wohl von seinem Hofdichter Bhāva verfasste Bhāvaśataka (Hundert Strophen des Gefühls bzw. des Bhāva) bietet 101 oder 102 größtenteils auf Sanskrit, teilweise auf Prakrit verfasste Rätselstrophen erotischen Charakters, die ohne mitgegebene Erklärung kaum zu lösen wären.

Unter den zahllosen Śatakas finden sich außerdem buddhistische Sammlungen zur weltlichen Klugheit wie das dem Nāgārjuna zugeschriebene, im 8./9. Jh. ins Tibetische übersetzte Prajñāśataka (Zenturie von der Lebensklugheit) sowie eine Vielzahl literarischer und religiös-philosophischer Preishymnen (stotra).

25

Ausg.: The Epigrams Attributed to Bhartṛhari. Including the Three Centuries, Hg. D. D. Kosambi, 1948. Übers.: Indische Sprüche. Sanskrit und Deutsch, 3 Bde, O. Böhtlingk, 1870–1873. • Love Lyrics, G Bailey/R. Gombrich, 2005 [engl.]. Lit.: R. Schmidt: Das alte und moderne Indien, 1919, 172–196. • L. Sternbach: Subhāṣita, Gnomic and Didactic Literature, 1974. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 3, 1977, 180–197; Bd. 4, 1983, 121–128; Bd. 5, 1988, 287–298. • S. Lienhard: A History of Classical Poetry. Sanskrit – Pali – Prakrit, 1984.

Roland Steiner

Śūdraka geb. vermutlich 3. Jh. Zentral- oder Südindien gest. vermutlich 4. Jh. Zentral- oder Südindien

Einem śivaitischen König Śūdraka werden die zwei Schauspiele Mṛcchakaṭikā (Das irdene Wägelchen) und Padmaprābhṛtaka (Das Lotusgeschenk) zugeschrieben; seine Autorschaft des Mṛcchakaṭikā ist aber anzweifelbar, und Padmaprābhṛtaka scheint eher in das 5. oder 6. Jh. zu gehören.

Lit.: G. H. Schokker: Śūdraka, the Author of the Original Cārudatta, in: Pratidānam. Indian, Iranian, and Indo-European Studies Presented to Franciscus Bernardus Jacobus Kuiper on his Sixtieth Birthday, Hg. J. C. Heesterman/G. H. S./V. I. Subramoniam, 1968, 586–600.

Śūdraka Mṛcchakaṭikā Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Stück

(skrt., prakr.; Das irdene Wägelchen) – Das vielleicht im 3./4. Jh. entstandene Drama nimmt – mit Viśākhadattas Mudrārākṣasa (Rākṣasa und der Siegelring, 6. Jh.?) – unter den klassischen indischen Stücken inhaltlich und stilistisch eine Sonderstellung ein. Die Haupthandlung der ersten vier der zehn Akte stimmt im Wesentlichen mit jener im anonymen Vierakter Cārudatta der Trivandrum-Dramen überein. Die neueste Forschung tendiert dazu, beide auf eine gemeinsame ältere Vorlage zurückzuführen: Cārudatta als verkürzte, dem verlorenen Original näherstehende Fassung, Mṛcchakaṭikā als Überarbeitung, die erfolgreich inhaltliche Inkonsistenzen und sprachliche Unzulänglichkeiten der Vorlage beseitigt. Damit werden aber auch die bisherigen Ansätze für Entstehungszeit und Autorschaft von Mṛcchakaṭikā fraglich. Die Datierung ins 3. oder 4. Jh. beruht vor allem auf einer Bestimmung des Prakrits, das aber nur die Altertümlichkeit der Vorlage widerspiegeln könnte. Ebenso könnte der im Prolog genannte König Śūdraka der Autor des verloren gegangenen Originals (auch Cārudatta genannt?) sein. Verschiedene Zitate bei einheimischen Poetikern könnten sogar darauf hindeuten, dass die Umarbeitung erst nach 800 erfolgte.

Das Drama handelt von der Liebe zwischen dem auch aus der Erzählungsliteratur (besonders der Jainas) bekannten Kaufmann Cārudatta, der durch seine Freigebigkeit verarmt ist, und der gebildeten Kurtisane Vasantasenā. Eine politische Intrige, die schließlich zum Sturz des bösen Königs Pālaka durch einen Freund Cārudattas führen wird, bildet einen zweiten, mit der

26

Haupthandlung eng verwobenen Erzählstrang, der in Cārudatta gänzlich fehlt. Saṃsthānaka, der korrupte Schwager des Königs, wirbt vergeblich um die Gunst Vasantasenās, die in Cārudatta verliebt ist. Schließlich bringt er sie in seine Gewalt und erdrosselt sie. Er lenkt den Verdacht auf Cārudatta, der in einem Indizienprozess zum Tode verurteilt wird. Unmittelbar vor der Hinrichtung erscheint die totgeglaubte Vasantasenā, die ein buddhistischer Mönch, ein früherer Masseur, wiederbelebt und ins Kloster gebracht hatte. Sie klärt den tatsächlichen Hergang auf, als die Nachricht vom Sturz des Königs eintrifft. Der neue König befreit sie aus dem Hetärenstand. So kann sie Cārudatta heiraten.

Bemerkenswert sind die recht einfache und ungekünstelte Sprache und der lebendige – teils humorvolle, teils anrührende – Realismus. Die Lebendigkeit vieler Szenen, die vergleichsweise realistischen und humorvollen Personencharakterisierungen, die treffenden Beobachtungen des Alltagslebens auf den Straßen der Stadt Ujjayinī und die abwechslungsreiche, spannende Handlung aus bürgerlichen, außerbürgerlichen und kriminellen Milieus entsprachen dem europäischen Geschmack mehr als der artifiziellere Charakter der meisten anderen klassischen Stücke. So schätzte die im 19. Jh. einsetzende westliche Rezeption gerade dieses Stück, das mehrmals unter dem Namen der Protagonistin Vasantasenā auf europäischen Bühnen aufgeführt wurde, besonders.

Die einheimischen Anthologien zitieren selten Mṛcchakaṭikā-Strophen, doch die Theoretiker beschäftigten sich ausführlicher mit dem Stück, besonders mit den strukturellen Elementen.

Ausg.: The Mṛichchhakaṭika or Toy Cart, Hg. N. B. Goḍabole, 1896. Übers.: Mricchakatika oder Das irdene Wägelchen, L. Fritze, 1879. Lit.: A. Gawroński: Am Rande des Mṛcchakaṭikā, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 44, 1911, 224–284. • J. A. B. van Buitenen: The Little Clay Cart, in: E. C. Dimock u. a.: The Literatures of India. An Introduction, 1974, 99–106. • A. K. Warder: Indian Kāvya Literature, Bd. 3, 1977, 20–37. • Cārudatta. Ein indisches Schauspiel, Hg. A. A. Esposito, 2004, 9–30.

Roland Steiner

Śukasaptati Hauptgattung: Epik/Prosa Untergattung: Erzählung

(skrt.; Siebzig [Geschichten] des Papageien) – Das nicht datierbare Werk enthält eine Sammlung von Geschichten, die in eine Rahmenerzählung eingebettet sind. Überliefert sind zwei Rezensionen, die wohl nach dem 10. Jh. entstanden sind und auf einer älteren, nicht erhaltenen Vorlage beruhen.

Der ›Textus simplicior‹ dürfte ein Auszug sein. Er kann bis zur Unverständlichkeit kurz sein, hat aber vielleicht die allgemeine Struktur der Vorlage besser erhalten. Die gelegentliche Anhäufung von Strophen und die Länge einzelner Geschichten lassen auf spätere Überarbeitung schließen. Der viel ausführlichere ›Textus ornatior‹, der Pūrṇabhadras 1199 abgeschlossene Pañcatantra-Fassung voraussetzt, wirkt ausgeschmückt; sein Ende ist aber schlecht überliefert. Möglicherweise ist die gekürzte Fassung etwas früher als die längere entstanden, dürfte aber in der überlieferten Form etwas jünger sein. Hemacandra kannte bereits 1160 eine Fassung der Śukasaptati, in der der Vogel am Ende nicht belohnt, sondern von einer Katze gefressen wird. 47 Geschichten und drei Ermahnungen sind beiden Rezensionen gemeinsam.

27

In der längeren Version erzählt ein Papagei Prabhāvatī, deren Ehemann auf Geschäftsreise ist, jeden Abend Geschichten, die sie scheinbar bestärken sollen, zu ihrem Geliebten zu gehen. Gemeinsam ist ihnen das Motiv, dass der Protagonist oder die Protagonistin sich aus einer selbstverschuldeten Lage zu befreien weiß. Auf dem Höhepunkt bricht der Papagei jede Erzählung mit einer Frage ab, worüber Prabhāvatī so lange nachsinnt, bis sie das Stelldichein versäumt. Erst dann erzählt der Vogel das Ende der Geschichte. In der kürzeren Fassung muss Prabhāvatī dem Papagei versprechen, auf das nächtliche Rendezvous zu verzichten, um den Ausgang der Erzählung zu erfahren.

In realistischer und humorvoller Weise werden Menschen aller – auch der unteren – Schichten in ihren sozialen Verhältnissen und religiösen Anschauungen dargestellt. Häufige Themen sind Untreue und Ehebruch, wenn Männer – oft Kaufleute – auf Reisen sind. Die Handlungsträger streben nach irdischem Glück, sinnlichen Freuden und materiellen Gütern. Häufig begegnen gerissene Händler, die sich ständig gegenseitig zu übervorteilen versuchen. Nicht Sittlichkeit wird gelehrt, sondern praktische Lebensklugheit, die meistens Frauen gegenüber ihren Männern auszeichnet. Eingestreute Sprüche und populäre Weisheiten in Strophenform bekräftigen die jeweilige Maxime.

Die Śukasaptati wurde in verschiedene moderne Sprachen Südasiens übersetzt, aber auch außerhalb der Region adaptiert. Eine tibetische Version mit nur zwölf Geschichten ist im nicht genau datierbaren, 1302 in Snar thaṅ redigierten Bka' gdams glegs bam (Buch der Bka'-gdams-pa-Schule) enthalten. Nur der äußere Rahmen ist ähnlich, denn die Geschichten entstammen nicht der indischen Vorlage, sondern enthalten buddhistisch überarbeitetes autochthones tibetisches Erzählgut.

In der persischen, ca. 1330 vollendeten Fassung Ṭūṭīnāma des Dichters Żiyāʾuddīn Naḫšabī wurden einzelne Geschichten aus inhaltlichen Gründen ersetzt. Sie geht ihrerseits auf eine ältere Vorlage zurück, wurde im 15. Jh. ins Türkische übersetzt und im 17. Jh. erneut persisch bearbeitet. Diese drei Fassungen machten die Śukasaptati in Vorderasien und Europa bekannt.

Ausg.: Die Çukasaptati. Textus simplicior, Hg. R. Schmidt, 1893. • Der Textus ornatior der Śukasaptati, Hg. R. Schmidt, 1898. Übers.: Śukasaptati. Das indische Papageienbuch, R. Schmidt, 1913. • Śukasaptati. Das indische Papageienbuch, W. Morgenroth, 1986. Lit.: M. Winternitz: Geschichte der indischen Litteratur, Bd. 3, 1922, 342–348. • S. Herrmann: Die tibetische Version des Papageienbuches, 1983.

Roland Steiner

Trivandrum-Dramen Hauptgattung: Dramatik Untergattung: Stück

(skrt., prakr.) – Dem unter anderen von Kālidāsa, Bāṇa und Rājaśekhara erwähnten Dichter Bhāsa (vor ca. 400 n. Chr.), unter dessen Namen in den mittelalterlichen Anthologien Strophen zitiert werden und der in hohem Ansehen gestanden zu haben scheint, wurden zu Beginn des 20. Jh.s 13 anonym überlieferte Schauspiele – die sogenannten Trivandrum-Dramen – zugeschrieben, die aus heutiger Sicht aber keine einheitliche Gruppe bilden, sondern wahrscheinlich von verschiedenen Verfassern stammen. Alle bisher bekannt gewordenen Handschriften dieser Schauspiele stammen aus dem südwestindischen Kerala.

28

Mit Ausnahme von Svapnavāsavadatta (Vāsavadattā und der Traum) wird auf keines der Stücke vor dem 15. Jh. – und dann nur von Autoren aus Kerala – Bezug genommen. Der Vergleich mit anderen in Südindien überlieferten Schauspielen lässt vermuten, dass zumindest einige Trivandrum-Dramen im 7. Jh. unter der Pallava-Dynastie entstanden sein könnten.

Ein Schauspiel Svapnavāsavadatta des Bhāsa wird in einer Rājaśekhara zugeschriebenen Strophe aus Jalhaṇas Anthologie Sūktimuktāvalī, 13. Jh. (Perlenkette schöner Aussprüche), erwähnt. Die Schauspielpoetik Nāṭyadarpaṇa, 12. Jh. (Spiegel der Schauspielkunst), zitiert eine Strophe aus dem »von Bhāsa verfassten Svapnavāsavadatta«, die sich nicht in dem gleichnamigen Trivandrum-Stück findet. Die übrigen bekannten Zitate aus einem Svapnavāsavadatta – das älteste vom Poetiker Vāmana (ca. 800 n. Chr.) – wie auch aus anderen Trivandrum-Stücken werden teils ganz ohne Quellenangabe, immer jedoch ohne Nennung des Autors gegeben, wobei einige zitierte Textstellen in den vorhandenen Trivandrum-Stücken fehlen. Deren Svapnavāsavadatta und das gleichnamige Stück Bhāsas, auf das sich die poetologische Literatur bezieht, scheinen folglich nicht identisch, aber einander ähnlich zu sein.

Vier der 13 Stücke behandeln in einfacher und klarer Sprache Stoffe aus der Erzählungsliteratur (kathā); nur in ihnen tritt die Figur der Lustigen Person (vidūṣaka) auf. Das vieraktige Pratijñāyaugandharāyaṇa (Yaugandharāyaṇa und sein Gelübde) und das sechsaktige Svapnavāsavadatta dramatisieren Ereignisse aus der in der indischen Literatur sehr verbreiteten Erzählung vom König Udayana. Beide Stücke hängen stofflich eng zusammen und stammen möglicherweise von demselben Verfasser.

In Pratijñāyaugandharāyaṇa verhilft der Minister Yaugandharāyaṇa seinem Herrn Udayana zur Flucht mit der Prinzessin Vāsavadattā, deren Vater Udayana gefangen genommen hatte. Neben politischer Intrige enthält das Stück humorvolle und volkstümliche Szenen. Thematisch im Mittelpunkt steht die absolute Treue und Ergebenheit des Ministers gegenüber seinem König.

Svapnavāsavadatta setzt diese Handlung gewissermaßen fort. Yaugandharāyaṇa will seinen Herrn aus politischen Gründen mit der Magadha-Prinzessin Padmāvatī verheiraten. Weil Udayana aus großer Liebe zu Vāsavadattā keine zweite Frau ehelichen will, lässt der Minister das Gerücht verbreiten, Vāsavadattā sei in einer Feuersbrunst umgekommen, während er sie tatsächlich als seine vermeintliche Schwester zu Padmāvatī bringt. Wie in Kālidāsas Mālavikāgnimitra (Mālavikā und Agnimitra) oder Harṣadevas Ratnāvalī geht es also darum, einem König nach Überwindung verschiedener Hindernisse eine weitere Heirat zu ermöglichen. Nach der Hochzeit mit Padmāvatī kommt es zu einer Begegnung des im Schlaf redenden Udayana mit Vāsavadattā, die Udayana später als Traum deutet. Am Ende klärt der Minister den gesamten Sachverhalt auf.

Die mit Witz und Schnelligkeit auf die Bühne gebrachte Handlung des vieraktigen Cārudatta stimmt im Wesentlichen mit den ersten vier Akten von Mṛcchakaṭikā (Das irdene Wägelchen) überein und ist möglicherweise die verkürzte Fassung eines älteren, verloren gegangenen Stückes des Śūdraka.

In dem an Märchenmotiven reichen sechsaktigen Avimāraka verliebt sich Prinz Avimāraka, der wegen eines Fluchs als ein Mann niedriger Kaste lebt, in Prinzessin Kuraṅgī, die er schließlich heiratet, wobei ein unsichtbar machender Zauberring eine wichtige Rolle spielt.

Acht der 13 Dramen entnehmen ihren Stoff den Epen, denen sie inhaltlich im Allgemeinen sehr nahe bleiben, was eigenständig erfundene Szenen aber nicht ausschließt. Während Pañcarātra (Die fünf Nächte), das die Ereignisse vor der großen Schlacht mit deutlichen Freiheiten gegenüber dem 4. Buch des Mahābhārata in verkürzter Form dramatisiert, ein

29

Dreiakter ist, sind die restlichen fünf der sechs Mahābhārata-Stücke Einakter. Madhyamavyāyoga (Das Stück vom Mittleren) zeigt mit sprachlich vergleichsweise einfachen Mitteln, wie der Dämon Ghaṭotkaca seiner Mutter gehorchend eine Brahmanenfamilie angreift und sich plötzlich seinem Vater Bhīma gegenüber sieht. In Karṇabhāra (Karṇas Bürde) – nach den Handschriften wohl eher Karṇabhārata (Die Bhārata[-Erzählung] des Karṇa) oder Karṇakavacaharaṇa (Die Wegnahme von Karṇas Panzer) –, dem kürzesten und handlungsärmsten Einakter, wird die Gemütslage des Helden Karṇa vor dem letzten, im Stück nicht geschilderten Kampf mit Arjuna zum Thema gemacht. Am Ende des Aktes wird Karṇa von seinem Wagenlenker zum Schlachtfeld gefahren.

Ūrubhaṅga (Das Zerschmettern der Schenkel), das literarisch bedeutendste Stück dieser Gruppe, beschreibt im Kunstpoesiestil den letzten Kampf und den Tod des Kaurava-Helden Duryodhana. Nachdem ihm Bhīma mit einem unehrenhaften Keulenschlag die Schenkel zerschmettert hat, versucht der Sterbende – anders als im Epos – seine Verwandten zur Aussöhnung mit den feindlichen Pāṇḍavas zu bewegen.

Dūtaghaṭotkaca (Ghaṭotkaca als Bote) hat eine neu erfundene Handlung: Ghaṭotkaca wird von Kṛṣṇa an den Kaurava-Hof entsandt, um Arjunas Rache für den Tod seines Sohnes Abhimanyu anzukündigen, erntet aber von Duryodhana nur Spott. In Dūtavākya (Die Rede des Boten) wird Kṛṣṇa zu den Kauravas geschickt, um in einem letzten Versuch den bevorstehenden Krieg zu verhindern, was Duryodhana in kränkender Weise ablehnt. Nach neuesten Forschungen scheint das Stück aus verschiedenen Textschichten zu bestehen, wobei sich eine dem Epos noch nahestehende Version von einer zweiten, möglicherweise zwischen 400 und 600 n. Chr. entstandenen Fassung unterscheiden lässt.

Von den beiden Rāmāyaṇa-Schauspielen Abhiṣeka (Die Königsweihe) und Pratimā (Die Statue) gibt es die bei Weitem größte Anzahl von Handschriften unter den Trivandrum-Stücken. Beide enden mit der im 6. Buch des Epos geschilderten Königsweihe Rāmas; der Stoff aus dem ersten und letzten Buch, die den Helden Rāma endgültig vergöttlichen, wird nicht berücksichtigt. Das sechsaktige Abhiṣeka setzt mit der Tötung des Affenkönigs Vālin und der Königsweihe seines Bruders Sugrīva ein. Während hier die göttliche Seite Rāmas behandelt wird, tritt dieser im Siebenakter Pratimā, der die Haupterzählung des Epos dramatisiert, lediglich als Mensch in Erscheinung.

Das Bālacarita (Das Treiben des Knaben) stellt in fünf Akten die Jugendgeschichte Kṛṣṇas dar, wobei die Herkunft des Stoffes nicht eindeutig geklärt ist.

Ausg.: Bhāsanāṭakacakram. Plays Ascribed to Bhāsa, Hg. C. R. Devadhar, 21951 [Nachdr. 1962]. • Cārudatta. Ein indisches Schauspiel, Hg. A. A. Esposito, 2004 [krit. Ausg. mit dtsch. Übers.]. Übers.: Vāsavadattā. Ein altindisches Schauspiel von Bhāsa, H. Jacobi, in: Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik 7, 6, 1913, 653–690. • Die Abenteuer des Knaben Krischna. Schauspiel von Bhāsa, H. Weller, 1922. • Thirteen Trivandrum Plays Attributed to Bhāsa, 2 Bde, A. C. Woolner/L. Sarup, 1930 f. [engl.]. • Eine indische Tragödie? Durjodhanas Ende. Ein Bhasa zugeschriebener Einakter, H. Weller, 1933. • Der dem Bhāsa zugeschriebene Einakter Madhyamavyāyoga, H. Brückner, in: Nānāvidhaikatā. Festschrift für Hermann Berger, Hg. D. B. Kapp, 1996, 8–28. Lit.: E. Gerow: Bhāsa's Ūrubhaṅga and Indian Poetics, in: Journal of the American Oriental Society 105, 1984, 405–412. • H. Brückner: Opfer als Helden – Neue Perspektiven in den ›Bhāsa‹-Dramen, in: Studien zur Indologie und Iranistik 19, 1994, 33–60. • R. Steiner: Untersuchungen zu Harṣadevas Nāgānanda und zum indischen Schauspiel, 1997, 265–281. • H. Tieken: Three Men in a Row, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 41, 1997, 17–52. • H. Brückner: Manuscripts and Performance Traditions of the So-called ›Trivandrum-Plays‹ Ascribed to Bhāsa – A Report on Work in Progress, in: Bulletin d'Études Indiennes

30

17/18, 1999/2000, 501–550. • A. A. Esposito: The Two Versions of the Dūtavākya and their Sources, in: Bulletin d'Études Indiennes 17/18, 1999/2000, 551–562.

Roland Steiner