Die Kodierfachkräfte. Eine Beschäftigtengruppe des Krankenhauses im Spannungsfeld zwischen...

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94 ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE Roth, Gunther (200]): Qualitatsmange] und Regelungsdefizite der Qualitatssicherung in der ambulanten Ptlege. Nationale und internationale Ergebnisse. Stuttgart: Kohl- hammer: Bundesministerium fur Familien, Senioren, Frauen und Jugend. . Sarko, John (2009): Emergency medicine residents do not document detailed neuro- logic examinations. Academic Emergency Medicine: Official Journal of the Socie- ty for Academic Emergency Medicine 16: 1371-1373. Schaeffer, Doris, und Klaus Wingenfeld, Hrsg. (20ll): Handbuch Ptlegewissen- schaft. Weinheim: Juventa. Schultheis, Franz (2012): Im Dienste offentlicher Guter, Eine feldtheoretische Anna- herung. Mittelweg 36 5: 9-21. Smith, H. L., und Gartley E. Jaco (1958): Two lines of authority: The hospital's dilemma. In Patients, Physicians, and Illness: Source Book in Behavioral Science and Medicine, 468-477. Glencoe, Ill. Strassner, Heinz (2010): Rechtliche Aspekte der Ptlegedokumentation. Pflege im Unternehmen Krankenhaus, URL: http://www.thieme.de/localydf/cne_online/ le4_110.pdf. -, Tapp, R. (1990): Inhibitors and facilitators to documentation of nursing practice. Western journal of nursing research 12: 229-240. Tornkvist, Lena et al. (1997): The opinions of nursing documentation held by district nurses and by nurses at primary health care centres. Yard Nord Utveckl Forsk 4: 18-25. Turkoski, Beatrice (1988): Nursing diagnosis in print. Nursing Outlook is it still use- ful to nursing education. Journal of Advanced Nursing 2: 315-319. Vogd, Werner (2006): Von der Organisation Krankenhaus zurn Behandlungsnetz- werk? Untersuchungen zum Einfluss von Medizincontrolling am Beispiel einer internistischen Abteilung. Berliner Journal fur Soziologie 4: 97-119. Webb, C., und D. Pontin (1997): Evaluating the introduction of primary nursing: the use of a care plan audit. Journal of clinical nursing 6: 395-401. Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft. Tubingen: Siebeck Mohr. Weeks, L. C, und P. Darrah (1985): The documentation dilemma: a practical solution. Journal of Nursing Administration 15: 22-27. Wuggenig, Ulf (2008): Paradoxe Kritik. webjournal transversal 2008: 04. URL: http://eipcp.netltransversaIl0808/wuggenig/de/print. ZKFS; Zurcher Kreis flir fortschrittliches Spitalmanagement (20]]): Manifest .Medi- zin gegen Spital-Burokratie". 10 Vorschlage, Dezember 2011. ., ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERUFE 95 •.. ANDREAS PFEUFFER, MICHAEL GEMPERLE e • .~ I>IE KODIERFACHKRAFTE. EINE BESCl-rAFTIGTENGRUPPE DES KRANKENHAUSES IM SPANNUNGSFELD ZWlSCHEN MEDIZINISCH- PFLEGERISCHEN UND BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN ANSPRUCHEN Der Beitrag prasentiert auf der Grundlage berufsbiographischer Interviews das Profil der Tatigkeit von .Kodierfachkraften'', einer Beschaftigtengruppe in den Krankenhausern, die sich im Zuge der in Deutschland nach der Jahrtausendwen- de erfolgten Einfuhrung von FalIpauschalen neu bildete und uberwiegend aus ehemaligen Pflegefachkraften rekrutiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei der ambivalenten Position der Kodierfach- krafte als Teil des Medizincontrollings zwischen bedarfsgerechter Patientenver- sorgung und verscharfter erwerbswirtschaftlicher Orientierung. Zweitens kon- zentriert sich der Beitrag auf die Frage, inwieweit mit der Etablierung dies er Beschaftigtengruppe eine Veranderung der innerbetrieblichen Machtbalance ein- her geht, indem Handlungsspielraurne anderer Professionen (Arzte, Pfleger etc.) tangiert werden 1. Einleitung Die Geschichte der Finanzienmg des deutschen Krankenhaussektors lasst sich seit Mitte der 1980er Jahre als eine Geschichte von der Politik auferlegter Spar- zwange schreiben. Nach der im Rahmen der dual en Krankenhausfinanzierung ab 1986 eingeleiteten Umstellung der Entgelte! von einer retrospektiven zu einer prospektiven Finanzierung und der 1993 vollzogenen Abkehr vom Selbstkosten- deckungsprinzip auf der Basis allgemeiner tagesgleicher Pflegesatze sowie den seither in regelmalsiger Folge verabschiedeten Kostendampfungsgesetzen stellt nun die im Jahr 2000 vom Deutschen Bundestag unter rot-gruner Regierung beschlossene Einfuhrung von Fallpauschalen, die sich an den so genannten Dia- gnosis Related Groups (DRGs) orientieren, eine echte Revolutionierung des fmanziellen Geschehens im Krankenhauswesen dar. lIber die positiven Aspekte A1sEntgelte bezeichnet man die Vergtitung der laufenden Betriebskosten der Krankenhau- ser. Sie bilden zusammen mit der Investitionsforderung die beiden Komponenten der so genannten dualen Finanzierung. Vgl. Simon, 20 10: 294 ff.

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94 ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE

Roth, Gunther (200]): Qualitatsmange] und Regelungsdefizite der Qualitatssicherungin der ambulanten Ptlege. Nationale und internationale Ergebnisse. Stuttgart: Kohl-hammer: Bundesministerium fur Familien, Senioren, Frauen und Jugend. .

Sarko, John (2009): Emergency medicine residents do not document detailed neuro-logic examinations. Academic Emergency Medicine: Official Journal of the Socie-ty for Academic Emergency Medicine 16: 1371-1373.

Schaeffer, Doris, und Klaus Wingenfeld, Hrsg. (20ll): Handbuch Ptlegewissen-schaft. Weinheim: Juventa.

Schultheis, Franz (2012): Im Dienste offentlicher Guter, Eine feldtheoretische Anna-herung. Mittelweg 36 5: 9-21.

Smith, H. L., und Gartley E. Jaco (1958): Two lines of authority: The hospital'sdilemma. In Patients, Physicians, and Illness: Source Book in Behavioral Scienceand Medicine, 468-477. Glencoe, Ill.

Strassner, Heinz (2010): Rechtliche Aspekte der Ptlegedokumentation. Pflege imUnternehmen Krankenhaus, URL: http://www.thieme.de/localydf/cne_online/le4_110.pdf. -,

Tapp, R. (1990): Inhibitors and facilitators to documentation of nursing practice.Western journal of nursing research 12: 229-240.

Tornkvist, Lena et al. (1997): The opinions of nursing documentation held by districtnurses and by nurses at primary health care centres. Yard Nord Utveckl Forsk 4:18-25.

Turkoski, Beatrice (1988): Nursing diagnosis in print. Nursing Outlook is it still use-ful to nursing education. Journal of Advanced Nursing 2: 315-319.

Vogd, Werner (2006): Von der Organisation Krankenhaus zurn Behandlungsnetz-werk? Untersuchungen zum Einfluss von Medizincontrolling am Beispiel einerinternistischen Abteilung. Berliner Journal fur Soziologie 4: 97-119.

Webb, C., und D. Pontin (1997): Evaluating the introduction of primary nursing: theuse of a care plan audit. Journal of clinical nursing 6: 395-401.

Weber, Max (1922): Wirtschaft und Gesellschaft. Tubingen: Siebeck Mohr.Weeks, L. C, und P. Darrah (1985): The documentation dilemma: a practical solution.

Journal of Nursing Administration 15: 22-27.Wuggenig, Ulf (2008): Paradoxe Kritik. webjournal transversal 2008: 04. URL:

http://eipcp.netltransversaIl0808/wuggenig/de/print.ZKFS; Zurcher Kreis flir fortschrittliches Spitalmanagement (20]]): Manifest .Medi-

zin gegen Spital-Burokratie". 10 Vorschlage, Dezember 2011.

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ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERUFE 95•..ANDREAS PFEUFFER, MICHAEL GEMPERLE

e • .~

I>IE KODIERFACHKRAFTE. EINE BESCl-rAFTIGTENGRUPPE DES

KRANKENHAUSES IM SPANNUNGSFELD ZWlSCHEN MEDIZINISCH-

PFLEGERISCHEN UND BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN ANSPRUCHEN

Der Beitrag prasentiert auf der Grundlage berufsbiographischer Interviews dasProfil der Tatigkeit von .Kodierfachkraften'', einer Beschaftigtengruppe in denKrankenhausern, die sich im Zuge der in Deutschland nach der Jahrtausendwen-de erfolgten Einfuhrung von FalIpauschalen neu bildete und uberwiegend ausehemaligen Pflegefachkraften rekrutiert.

Besonderes Augenmerk gilt dabei der ambivalenten Position der Kodierfach-krafte als Teil des Medizincontrollings zwischen bedarfsgerechter Patientenver-sorgung und verscharfter erwerbswirtschaftlicher Orientierung. Zweitens kon-zentriert sich der Beitrag auf die Frage, inwieweit mit der Etablierung dies erBeschaftigtengruppe eine Veranderung der innerbetrieblichen Machtbalance ein-her geht, indem Handlungsspielraurne anderer Professionen (Arzte, Pfleger etc.)tangiert werden

1. Einleitung

Die Geschichte der Finanzienmg des deutschen Krankenhaussektors lasst sichseit Mitte der 1980er Jahre als eine Geschichte von der Politik auferlegter Spar-zwange schreiben. Nach der im Rahmen der dual en Krankenhausfinanzierung ab1986 eingeleiteten Umstellung der Entgelte! von einer retrospektiven zu einerprospektiven Finanzierung und der 1993 vollzogenen Abkehr vom Selbstkosten-deckungsprinzip auf der Basis allgemeiner tagesgleicher Pflegesatze sowie denseither in regelmalsiger Folge verabschiedeten Kostendampfungsgesetzen stelltnun die im Jahr 2000 vom Deutschen Bundestag unter rot-gruner Regierungbeschlossene Einfuhrung von Fallpauschalen, die sich an den so genannten Dia-gnosis Related Groups (DRGs) orientieren, eine echte Revolutionierung desfmanziellen Geschehens im Krankenhauswesen dar. lIber die positiven Aspekte

A1sEntgelte bezeichnet man die Vergtitung der laufenden Betriebskosten der Krankenhau-ser. Sie bilden zusammen mit der Investitionsforderung die beiden Komponenten der sogenannten dualen Finanzierung. Vgl. Simon, 20 10: 294 ff.

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wie die Risiken und Nebenwirkungen wurde in Wissenschaft, Politik und Medi-en viel und profund gestritten - hier soil keineswegs ein weiterer Beitrag zu die-ser Debatte geliefert werden, auch wenn das diesem Artikel zugrunde liegendeInterviewmaterial hierzu Stoff genug hergabe.?

Im Friihjahr 2012 geriet nun weniger dieses Finanzierungssystem an sich,sondem seine angebliche Manipulation emeut in die Schlagzeilen. Am 25. Marz2012 wurde unter der Uberschrift "Rezept gegen Abzocker-Kliniken. Werbetrugt, soli zahlen" in der Suddeutschen Zeitung berichtet, dass die deutschenKrankenkassen aufgrund uberhohter Abrechnungen jahrlich ca. 1,5 Milliarden zuviel an die Krankenhauser zahlen. Obendrein seien fur Kliniken, die einer"Schummelei" uberfuhrt werden, Strafzahlungen gesetzlich gar nicht vorgese-hen, egal wie hoch oder wie dreist die falsche Abrechnung des Krankenhausesausfallt. Zwischen dreibig und vierzig Prozent der Abrechnungen seien nachSchatzungen des Bundesrechnungshofes bzw. des Spitzenverbandes der deut-schen Krankenkassen nachweislich falsch (Bohsem 2012). Es liegen zu dieser inDeutschland bereits seit 2006 diskutierten Frage> bereits kriminologische Gut-achten (Kolbel, ohne Jahr) vor, die CDUlCSU-Fraktion im Deutschen Bundestagwill so schnell wie moglich ein Gesetz durch das Parlament bringen, nach dessenInkrafttreten solche Kliniken das 1,5-fache des Differenzbetrags als Strafe zahlenmussen.

Die (juristische) Frage, ob bei der Abrechnung der KrankenhausentgelteBetrug in groBem Stil vorliegr', kann hier auBer Acht gelassen werden. Esbesteht dagegen kein Zweifel, dass das Ziel der im Rahmen des GKV-Gesund-heitsreformgesetzes 2002 beschlossenen Umstellung der Finanzierung der Ent-gelte auf ein Fallpauschalensystem auf der Basis von DRGs - und auf dieses

2 Die hier prasentierten Ergebnisse stammen aus dem vom Hamburger Institut fur Sozialfor-schung (HJS), dem Soziologischen Seminar der Universitat St. Gallen und der Wiener For-schungs- und Beratungsstelle Arbeit (FORBA) gemeinsam durchgefuhrten Dreilander-Pro-jekt .Jm Dienste offentlicherGuter", das von den jeweiligen nationalen Forschungsforde-rungsinstitutionen finanziert ist. Die empirische Basis fur den vorliegenden Artikel bildenzwanzig leitfadengestiitzte Interviews mit Beschaftigten aus dem arztlichen Dienst, demPflegedienst und der Verwaltung (einschlieBlich Medizincontrolling und Kodierfachkrafte)tiber die Veranderungen ihrer Arbeit in den vergangenen zwanzig lahren. Das untersuchteKlinikum ist ein in kommunaler Hand befindliches Akutkrankenhaus der Zentralversorgungmit ea. 350 Betten. Den am Projekt beteiligten Kolleginnen und Kollegen sei hier flir dieZusammenarbeit und die gemeinsamen Diskussionen gedankt.

In den Vereinigten Staaten ist die Debatte und die damit einher gehende wissenschaftlicheErforschung des upcoding aufgrund der schon viel fiiiher erfolgten Einflihrung der Abrech-nung nach DRGs in das Medicare-System seit den I980er Jahren in Gange. Vg!. beispiels-weise Silverman/Skinner 2004: 369-389, mit vielen Literaturhinweisen.

4 Es gibt durchaus Gegenstimmen aus dem wissenschaftlichen Lager, die die Diagnose desKassenbetrugs als unsachliche und verleumderische Behauptung anprangem. Vg!. Fiori etal., 2010: 621-628.

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"System richtet sich der Manipulationsvorwurf - darin bestand, Druck auf dieOrganisation Krankenhaus auszuuben, damit diese darauf mit einer weitgehen-den ~tionalisierung des stationaren Sektors antwortet. Dies geschah denn auch

, durcf die Optimierung von Prozessen, die Zusammenlegung von Stationen, denAbbau so genannter "Uberkapazitaten" an vorgehaltenen Betten wie auch an Per-sonal. Es ist und war dabei durchaus politisch intendiert, wenn nach diesem Sys-tem unwirtschaftliche Kliniken entweder schlieBen oder verkauft werden rnussen(vgl. Klinke 2008). Der Druck auf die Organisation Krankenhaus blieb nichtohne Folgen fur die Beschaftigten aller Bereiche, fill ihre Arbeitsbedingungenund nicht zuletzt auch fur ihr berufliches Ethos und Handeln.

In dem folgenden zweiten Kapitei dieses Beitrags sollen zunachst aus arbeits-soziologischer Perspektive das Tatigkeitsprofil und die Arbeitsinhalte derKodierfachkrafte dargestellt werden, einer Beschaftigtengruppe, die sich alsResultat eines Prozesses der Ausdifferenzierung van Aufgaben herausbildete undnun eine Schlusselfunktion fill die Erlossicherung der Krankenhauser unterDRG-Bedingungen erfullt. Den beobachtbaren Bemiihungen, der derzeit nochwenig kodifizierten Tatigkeit des Kodierens den Status eines offiziell anerkann-ten Ausbildungsberufs zu verschaffen, sind einige Uberlegungen aus professio-nalisierungstheoretischer Perspektive gewidmet. Im dritten Kapitei kommt auchdie ambivalente Sicht der Arzte/-innen auf sie in den Blick, deren Aufgaben beider Kodierung die Kodierfachkrafte teilweise Ubemommen haben und mit denensie taglich zusammenarbeiten. Die van den Arzten ubernommenen Tatigkeitenwerden unter Ruckgriff auf das von Everett Hughes stammende Konzept des"dirty work" interpretiert. Im vierten Kapitel wird schlieBlich aufgezeigt, wiesich die fur die Organisation Krankenhaus zunehmend an Brisanz gewinnendeSpannung zwischen dem primaren Organisationsziel der Gesundheitsversorgungund den im Zuge der Finanzierungsreformen von auBen kommenden okonomi-schen Erfordemissen in der Tatigkeit der Kodierfachkrafte niederschlagt, vonihnen erfahren und gedeutet wird.

2. Eine im Entstehen befindliche Berufsgruppe

Die Tatigkeit der zum Medizincontrolling und damit zur Verwaltung der Kran-kenhauser gehorenden Kodierfachkrafte ist ein Glied innerhalb der Kette anTatigkeiten, die von der Behandlung und Pflege uber die Abrechnung dererbrachten Leistung hin zur Kostenerstattung durch die Kostentrager, die Kran-kenkassen reicht. Damit nehmen sie zusammen mit den ebenfalls kodierendenArzten eine Scharnierrolle zwischen den Bereichen Medizin und Okonomie ein.

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lm Grunde genommen stellen die Kodierfachkrafte eine zahlenmafiig nochnicht besonders bedeutende Beschaftigungsgruppe der deutschen Krankenhauserdar, die in den entsprechenden Statistiken sowohl der Hauser wie auch. des BUIl~des nichts eigens ausgewiesen ist. Man schatzt, dass in deutschen Kr;mkenhliu·-"sem gerade einmal ea. 8.000 von ihnen tatig sind, freilich bei steigender Ten-denz. Doch nicht nur innerhalb der Krankenhauser, sondem auch beirn Kontroll-organ der Kostentrager, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK),und bei den Krankenkassen selbst fmden sie Tatigkeitsfelder, des Weiteren auchbei extemen Dienstleistem, insofem sich der Trager fur ein "Outsourcing" diesesTeils des operativen Controllings entschieden hat. Da die Nachfrage seitens derKliniken nach erfahrenen Kodierfachkraften steigend ist, hat sich ein florierenderAusbildungsmarkt etabliert, auf dem Ausbildungen mit unterschiedlichen Diplo-men gehandelt werden: Die Qualifikationen reichen von der Fort- und Weiterbil-dung zur "Medizinischen Kodierfachkraft" bis hin zu Abschliissen auf tertiarerEbene, etwa in Form von Bachelor-Studiengangen "Medizincontrolling".

Weil ihre Tatigkeit noch unklare Konturen aufweist, kann man sie genaugenommen noch nicht als Berufsgruppe bezeichnen. Aber gerade das macht sievielleicht aus der Perspektive einer Soziologie, die sich mit der sozialen Arbeits-teilung in Organisationen und der Genese von Berufsgruppen befasst, inter-essant. 5 So kursieren beispielsweise unterschiedlichen Bezeichnungen fur ihreFunktion: In den Krankenhausern wird oft undifferenziert von Medizincontrol-lem oder DRG-ControIlem gesprochen, es setzt sich allerdings nach und nachdie Bezeichnung Medizinische Kodierfachkraft oder Medizinischer/Medizini-sche Dokumentationsassistent/-in durch. Angesichts des Mangels an einem kJarumrissenen Berufsbild hat eine entsprechende .Reprasentationsarbeit" (P. Bour-dieu) nicht auf sich warten lassen: Irn Jahr 2004 wurde der Verband deutscherKlinik-Kodierer gegrundet. Sein Ziel besteht nach eigenen Aussagen neben derInteressenvertretung der Mitglieder gegenuber Behorden, Tarifpartnem undanderen Verbanden darin, ein eigenstandiges Berufsbild zu definieren und fur dieEinfuhrung eines entsprechenden Ausbildungsberufs sowie die staatliche Aner-kennung, den Schutz des Berufsbildes und der Berufsbezeichnung zu sorgen."

In der Kette der Datenproduktion irn Rahmen des Abrechnungsverfahrens mitden Kostentragern spielen sie wie schon gesagt neben den kodierenden Arztenauf den Stationen sowie ihren Vorgesetzten, die selbst auch Arzte oder Betriebs-wirte sind, nur eine - wenn auch keinesfaIls unwichtige - Rolle. Sie sind irn AIl-

5 Vgl. etwa neben den klassischen Arbeiten der amerikanischen Medizinsoziologie die indieser Tradition stehende neuere Studie Anne-Marie Arborios (200 I) zu den "aides-soignan-tes", den Pflegehilfen in Frankreich.

6 Vgl. die Intemetseite des Verbandes www.vdkk.info. Eingesehen am 3.1.2013.

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""dig sowohl irmerhalb der Verwaltung wie auch auf der Station tatig. Ihre Funkti-oh besteht offiziell darin, auf der Grundlage der von den Arzten vorgenomrnenenPrinla~odierungen (die verschiedenen Diagnosearten: Aufnahme-, Entlassungs-,Haupt~agnose) alle DRG-relevanten Daten anhand der Patientenakten und einerPrufsoftware, meist als "DRG-Grouper" bezeichnet, zu erfassen und auf Plausi-bilitat und auf Korrektheit hinsichtlich der Kodierrichtlinien 7 zu uberpru fen ,mogliche noch nicht kodierte und den Erlos steigemde Sachverhalte ausfmdig zumachen und damit zur DRG-Optimierung - im Jargon der Kodierfachkrafte als"Veredeln" bezeichnet - beizutragen.

Zu ihrer Aufgabe gehort aber auch, die behandelnden Arzte auf die nach derbetreffenden DRG vorgesehenen und vom Grouper angezeigten Unter- undObergrenzen der Verweildauer der Patienten hinzuweisen. Das erklart auch, dassin Stellenanzeigen von potenziellen Bewerbem immer wieder eine hohe kommu-nikative Kompetenz verlangt wird. Es werden inzwischen gar spezielle SeminareZLLmThema "Kommunikationstraining fLirmedizinische Kodierfachkrafte" ange-boten. Dem Leiter des Finanz- und Medizincontrollings des untersuchten Kran-kenhauses zufoJge erfordert die Tatigkeit jemanden, "der sich nicht wie ein stil-les Mauschen irgendwo reinsetzt, sondem der als Berater tatig ist. Das heillt, dermuss sich irn Prinzip auf der Ebene mit dem Chefarzt bewegen konnen und sichnicht dadurch beeindrucken Jassen, dass da ein Chefarzt sitzt [ ... ]".

Ebenso assistieren die Kodierfachkrafte bei den Kontrollen durch den Medizi-nischen Dienst der Krankenkassen oder die Krankenkassen seJbst, bei denen esfur das Krankenhaus darum geht, die eingangs erwahnten Regressansprucheabzuwehren. Sie mussen aber auch in Vorbereitung des Controllings Auswertun-gen machen, Benchmark-Zahlen vergleichen usw.

Als Teil des Medizincontrollings sind sie also beteiligt an der Erlossicherungder Klinik. Werm man sich nochmals in Erinnerung ruft, was eingangs zu deroffentlichen Debatte uber die Finanzsituation der Kliniken in DeutschJand und zuangeblichem Abreclmungsbetrug gesagt wurde, wird vielleicht verstandlich, inwelchem SpannungsgefLige die Kodierfachkratte als Schamierstelle zwischenMedizin und Okonomie stehen.

Ursprunglich wurde die Kodierung in den meisten Krankenhausern von denArzten selbst erledigt, der behandelnde Arzt bleibt nach den Kodierrichtlinienauch weiterhin letztlich fur die vorgenornmene Kodierung verantwortlich. Ausmehreren Grunden geht man aber in der Praxis mittlerweile dazu uber, die stan-dardisierbaren Tatigkeiten auf weniger kostentrachtiges Personal - eben dieKodierfachkrafte - zu ubertragen: FUr den Fall Deutschland spielen gewiss der

7 Der Verschliisselung der Diagnosen und Prozeduren liegen die StandardkIassifikationenleD-IO bzw. OPS-301 zugrunde.

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Arztemangel eine Rolle und dam it verbunden auch die hohen PersonaLkostensowie der durch eine entsprechende EU-Rechtsprechung gestiegene Druck "aufdie Einhaltung bestehender Arbeitszeitregelungen im arztlichen Dienst, Zudemscheint ihr Einsatz fur die Kliniken einen betriebswirtschaftlichen Nutzen zuhaben, insofem ein gut ausgebildeter Kodierer meist zu einem deutlichen Ein-nahrneplus fuhrt. .Bei jahrlichen 220.0.bis 320.0.bearbeiteten Fallen pro Kodier-fachkraft uberstiegen die erzielbaren Mehreinnahmen die anfallenden Personal-kosten fur einen Kodierer deutlich." (Ehrlich 20.10.: 561) Einer Modellrechnungvon Haack (20.0.3) zufolge rentiert sich der Einsatz einer Kodierfachkraft beieiner angenomrnenen Belastung von 30.0.0.Fallen, einer durchschnittlichen Erlos-sicherung von 250. Euro pro Fall sowie Personalkosten von 45.0.0.0.Euro pro Jahrab der Bearbeitung des .18!. Falles. Ein deutliches Indiz dafur, dass die Zahl derKodierfachkrafte in dennachsten Jahren weiter ansteigen wird. Doch lasst sichder zunehmende Einsatz von Kodierfachkraften nicht allein durch betriebswirt-schaftliches Kalkiil erklaren, wie im Folgenden gezeigt werden soil.

3. Medizinisches Kodieren - ein "dirty work"? Und wenn ja,fur wen?

Eine weitere Erklarung, die hier stark gemacht werden soll, besteht darin, dassdie Ausdifferenzierung dieses neuen Tatigkeitsfeldes aus dem arztlichen Kompe-tenzbereich nicht nur technisch-organisatorische, sondem auch soziale oder -wenn man so will - moralische Aspekte aufweist. In den im Rahmen des For-schungsprojekts erhobenen Interviews spricht die uberwiegende Zahl der befrag-ten Krankenhausarzte mit groBer Abneigung tiber die zunehmende Belastungdurch Dokumentationsverpflichtungenund Verwaltungstatigkeiten. Diese Ver-pflichtungen entzogen ihrer "eigentiichen" Aufgabe, namlich dem Umgang mitden Patienten, wertvolle Arbeitszeit, eine Aussage, die etwa durch eine Studiedes Deutschen Krankenhausinstitutes zu "arztfremden Tatigkeiten" bestatigtwird, der zufolge diese ea. drei Stunden ihrer taglichen Arbeitszeit beanspruche(Blum/Muller 20.0.3). Entspsechend konstatiert ein Handbuch uber .Zukunftsori-entierten Wandel im Krankenhausmanagernent" lakonisch die "teilweise ehergeringe Motivation der Arzte fur die Kodierung" (KinnebrocklOverhamm 20.0.9:134).8 J. Haack, der als Arzt und Controller an einem hessischen Krankenhaustatig ist, wirft daher die Frage auf, "ob es zielfuhrend ist, weiterhin einer Berufs-

Ebenso spricht Ehrlich (2010: 560) davon, dass die Dokumentation nach deutschenKodierrichtlinien, Diagnosen- und Prozedurenkatalog zu Unzufriedenheit bei den Mitarbei-tern fiihre und es ihnen "neben der Motivation beziiglich der Ubemahme von Verwaltungs-aufgaben vor allem an einer umfassenden Ausbildung in diesem Bereich" fehle.

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•..!. gruppe diese Aufgaben zu iibertragen, die dafur primar nicht ausgebildet, unmo-

tiviert und in ihrer Anzahl abnehmend ist: den Krankenhausarzten." (Haack2o.O~ 367) Viele Arzte empfinden die Verpflichtung zu degradierenden Verwal-hmgstatigkeiten als Emschrankung ihrer Autonomie und damit als Infragestel-lung ihrer professioneIIen Identitat.?

Im Zuge der sich allmahlich durchsetzenden Arbeitsteilung beim Kodierenzwischen Arzten und Kodierfachkraften konnen sich die Arzte nun dies er unge-liebten Arbeit teilweise entledigen und sie auf ein eigens hierfur bereitstehendesPersonal, eben die sich nicht aus dem arztlichen Dienst rekrutierenden Kodier-fachkrafte, abwalzen. Diese Delegierung von unliebsamen, weniger prestige-trachtigen Tatigkeiten von einer Berufsgruppe auf eine andere ist seit den ausden dreiBiger Jahren stammenden Arbeiten von Everett Hughes ein altes Themader Medizinsoziologie. Hughes schreibt, dass jeder Beruf mehrere Tatigkeitenbeinhalte, von denen manche sich als dirty work bezeichnen lassen. Damit mein-te er nicht nur manifest physisch abstoBende Tatigkeiten (vg\. dazu Arborio1995), sondem auch soIche, die die personliche und einem Beruf inharente Wiir-de tangierten und den moralischen Auffassungen zuwiderlaufen (Hughes 1958:490. Es ist daher zunachst von Interesse, wie die Angehorigen des arztlichenDienstes diese Arbeitsteilung wahrnehrnen.

In den folgenden zwei Passagen aus Interviews mit Krankenhausarzten zeigensich gegenlaufige Haltungen gegeniiber den Kodierfachkraften bzw. deren Tatig-keit, allerdings besteht zwischen ihnen insofem Konsens, als beide eine Ableh-nung gegenuber der eigenen Kodiertatigkeit an den Tag legen. Eine Unfallchirur-gin auBert sich vollkommen positiv iiber die Tatigkeit der Kodierfachkrafte unduber den Umstand, hinsichtlich dies er unliebsamen und zeitraubenden Tatigkeitentlastet Zll werden.

A: Ansonsten man hat [... ] viel mit Kodierung und so zu tun, wobei man abernicht sagen kann, dass das jetzt erst kommt. Weil das war schon, als ieh auehda war. Da musste man hier auch alles selber kodieren. Mittlerweile gibt esKodierfachkrafte, die das fur uns iibemehmen und aus der Akte heraus das allesmaehen, weil es sich einfach gezeigt hat, die haben das studiert, die wissenworauf sie gueken mussen, die blattern die ganze Akte von hinten bis vomedureh und haben aueh nur das zu tun und konnen damit einfaeh auch besserErlose kriegen.

[...]1: Und bedeutet das jetzt letztendlich noeh mal mehr Aufwand an Dokumentati-on noeh mal? Oder ist das eine Erleiehterung?

A: Es ist sehon eine Erieiehterung. Also finde ieh sehon, weil ieh den Anfang

9 Vg!. dazu auch den Beitrag von GemperlelPfeulfer in diesem Band.

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rnitgekriegt habe und weil ich eben alles selber gemacht habe. Von dem her,das muss ich es jetzt nicht mehr. •

Dagegen aufsert sich ein Urologe aus derselben Klinik eindeutig negativ-.Ermacht zunachst erst einmal keinen Hehl aus seiner Abneigung gegendas DRG-System, ubertragt diese dann aber auf die Tatigkeitsgruppe, in deren Gestalt ihmdieses System taglich gegeniiber tritt:

I:Also sie haben dann doch als erstes auch die DRGs genannt, oder die Einruh-rung von DRGs. Was hat sich da fur sie geandert? [... ] Oder wie glauben sie,dass das auch ganz allgemein die Arbeitssituation von Arzten an der Klinikbeeinflusst?

A: Naja, man muss sich mit diesem ganzen System beschaftigen, Obzwar mandas nicht u~~edinp mochte und [schon gar]. nicht so, dass man das jahrlichdann aktualisieren muss und dann III verschiedenen Foren was Neues lernenmuss, wie man besser kodiert, wie man rnehr aus denselben Patienten rausho-len kann finanziell. Und dass man dann die Riicksprache und Telefonate fuhrenmuss mit der DRG Abteilung, die mit irgendwelchen Dokumentationen viel-leicht nicht zufrieden sind. Und es nervt schon teilweise, dass sage ich jetzt malso, Mitarbeiter, die von der Medizin wenig Ahnung haben, dann uns beschulen[lacht] in verschiedenen Gesprachen, wie man was machen muss. Und manch-mal auch in unhoflicher Weise, ja? Da ist sicher ein bisschen Frust dabei, ausirgendwelchen Griinden, was ichjetzt nicht genau begriinden kann. Aber ...

I:Also aufSeiten der DRG-Controller? ...

A: Ja. Ja. Teilweise gibt es da schon Reibungen,ja? Also viel mehr, wie mit derPtlegekraft. Also, ich hatte nie Probleme mit der Ambulanz-Schwester oder mitStations-Pfiegekraften. Eher in dem Bereich, ja, dass ...

Neben der Klage uber die allgemeine Zunahme der Belastung durch Doku-mentationserfordernisse ist es die Zumutung, sich uberhaupt mit den liberhandnehmenden finanziellen Aspekten der eigenen Tatigkeit, dem "Mehr-Herausho-len-Mlissen", auseinandersetzen zu mussen. Der zitierte Urologe zeigt an, dass erals Arzt eigentlich nicht bereit ist, die erwartete Compliance - die "Mitspielbe-reitschaft", wie Goffinan (1977) es nennt - an den Tag zu legen, die fur einegelungene Interaktion mit d,er Kodierfachkraft erforderlich ware. Er prasentiertsich im Interview als jemand, fur den der den gesamten Interaktionen im Kran-kenhaus zugrunde Iiegende Rahmen durch die Medizin und nicht durch die Oko-nomie definiert ist. Damit deuten sich schon hi er die Mikrokonflikte zwischenArzten und Kodierfachkraften an, von denen in den Interviews mit Letzterenofters die Rede ist und die sieh aufgrund des Aufeinanderprallens von medizini-scher und okonomischer Logik nicht wie zwischen Arzten und Krankenschwes-tern in Form des von Leonard I. Stein (1967) beschriebenen "Doctor-NurseGames" auflosen lassen.

ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE 103•..

Hier soli nun die folgende, vielleicht etwas provokante Behauptung gewagtwerden: Das Kodieren ist ohne Zweifel zum einen eine aufwandige, repetitive,zeitr&bende, bnrokratische Tatigkeit, die zudem ein Wissen erfordert, das man

. sich zusatzlich mnhsam aneignen und immer wieder erneuern muss. JO Sie lauftzum anderen aber auch - und das ist der Kern der hier zur Debatte gestelltenInterpretation - den das Krankenhaus "iiberdachenden sozio-kulturellen Normender Gesundheitspflege" (Rohde 1974: 6), dem arztlichen wie auch pflegerischenBerufsethos zuwider, insofern sie standig die okonomischen Imperative, durchdie das autonome arztliche Handeln unter Druck gerat, in Erinnerung ruft. Durchdas Abwalzen dieses "dirty work" auf die Kodierfachkrafte kann die arztlicheProfession ihr olmehin schon durch Medizincontrolling und Prozessstandardisie-rung in Form von klinischen Behandlungspfaden ladiertes Selbstbild vor weitererBeschadigung einigermaBen wahren.

Das heiBt nun fteilich nicht, dass das Kodieren fur Arzte in jedem Fall subjek-tiv als ein Legitirnitatsverlust erlebt wird, wie in folgender Schilderung einesArztes zum Ausdruck kommt, der den fur ihn zunachst mit Ambivalenzen ver-bundenen Schritt weg von der Station hin zur Leitung der Kodierabteiiung voll-zogen hat. Er berichtet zunachst von der Folgenschwere des Verlassens seinesBerufs und seinem Hadern dam it, bevor er sozusagen zur Rechtfertigung dieser.Kcnversion'' nicht ohne Genugtuung darauf verweist, dass er in seiner neuenFunktion nun mindestens so viei Macht besitze wie ais Arzt:

Ja, es war ein invasiver Schritt, und ich war mir uber viele Jahre auch nicht sowirklich klar, ob das ... ob ich das wirklich auch so... den richtigen Weg einge-schlagen hab', aber ich muss mittlerweile sagen, also das betriebswirtschaftli-che Messer ist rnindestens genauso scharfwie das Skalpell.

4. Im Spannungsfeld zwischen medizinisch-pflegerischen undbetriebswirtschaftlichen Anspriichen

Doch wie auBern sich die Kodierfachkrafte selbst, urn die es hier ja in ersterLinie geht? Ist diese Tatigkeit fur sie ebenfalls ein "dirty work" wie fur die meis-ten Arzte?

Dazu muss man sich zunachst Foigendes vergegenwartigen: Der grofste Teilder Kodierfachkrafte kommt aus dei Pflege, sowohl bundesweit gesehen wieauch konkret in der Medizincontrolling-Abteiiung des von W1S untersuchtenKrankenhauses. Von den insgesamt sieben Mitarbeiterlnnen der Abteilung hattenabgesehen von der leitenden Arztin und einer ehemaligen Arzthelferin alle ande-

10 Das G-DRG-System 2013 umfasst insgesamt 1.187 DRGs.

104 ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERUFE

ren Kodierfachkrafte (bzw. ein mannlicher medizinischer Dokumentar) ehem~lsals Pflegefachkrafte gearbeitet.!'

Die Situation der Pflegekrafte in Deutschland - das ist durchaus nichts Neues- zeichnet sich durch ein Paradox aus: Dem mit einer hohen intrinsischen Moti-vation und mit einem bis zur Selbstausbeutungl- reichenden Ethos der Sorge umandere einhergehenden professionellen Selbstverstandnis entspricht eine inBerufsprestige-Umfragen immer wieder bestatigte hohe gesellschaftliche Aner-kennung.!' Dies alles steht jedoch in krassem Missverhaltnis zu den Arbeitsbe-dingungen mit einer relativ geringen Entiohnung, physischen und psychischenBelastungen, einer ebenso belastenden Schichtarbeit, personeller Unterbeset-zung, im Vergleich zu anderen Landern geringeren Kompetenzen usw. (Vg!.etwa: Afentakis 2009, ~i~lon 2007 und 2012, Braun et al. 2008.) Und so ist eswenig verwunderlich, dass die Pflege in Deutschland, wie in den Exit-Studiennaher untersucht wurde, eine im internationalen Vergleich hohe Ausstiegsquoteverzeichnet (vg!. Hasselhorn et. a!. 2005, BraunlMtiller 2005).

Es bietet sich an, die Option en der mit ihren Arbeitsbedingungen unzufriede-nen Krankenhaus-Pflegefachkrafte anhand der von Albert O. Hirschman (1970)entwickelten Typologie zum Umgang mit Unzufriedenheit in Organisationenanzugehen, einer Typologie, die sich, wie von dem franzosischen Soziologen G.Bajoit (1988) angeregt wurde, noeh um den Typus der Apathie erweitern lasst. Inunseren Gesprachen mit Angehorigen des Pflegedienstes haben wir Vertreterin-nen fur fast alle diese Typen fmden konnen: Die voice- Variante war verkorpertdurch tiberwiegend langjahrige Pflegekrafte, die sich nun im Personalrat derKlinik engagierten, die /oyality-Variante, die - zumindest in unseren Interviews-offene Grenzen zum Apathie-Typus aufwies, waren Pflegefachkrafte, die ihreInteressen hinter die als eine Art "Gemeinwohl" verstandenen Interessen des -zum Zeitpunkt der Erhebung defizitar arbeitenden - Klinikums stelIten undloderihr Leiden unter den Bedingungen als eigenes Versagen interpretierten. Die exit-Option weist mehrere Varianten auf: Zum einen ist sie naturlich wortlich zu ver-

11 Dies gilt ebenso fur die Schweiz, Vg!. Bemerkung aus dem Interview mit dem Leiter derKodierabteilung des Schweizerischen Spitals: ,,Also das [d.h. eine medizinisch-pflegerischeAusbildung] ist einfach ein Kapital, auf das wir aufsetzen miissen. Das setzt sich eigentlichmehr und mehr durch, also auch in unsem Ausschreibungen die wir tatigen. Also da mussdann schon jemand, wenn er nicht aus der Ptlege kommt, wirklich andere iiberzeugende Ar-gumente Iiefem, urn das zu kompensieren, urn das fehlende Pflegewissen zu kompen-sieren."

12 In der Prosa der Management-Literatur wird ein soIches Verhalten als "OrganizationalCitzenship Behavior" bezeichnet, vg!. Boemer 2005.

13 Der AIlensbacher Berufsprestige-Skala 2011 zufolge rangieren die Krankenschwestemnach den Amen auf Rang zwei der Berufe, die die Befragten "am meisten schatzen" und.vor denen sie am meisten Achtung haben". Allensbacher Kurzberichte 2011.

ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERUFE 105

•..~tehenals faktisches Aufgeben der Beschaftigung in der Pt1ege, ein teilweiserexit besteht fur viele Pflegekrafte irn Rtickgriff auf Teilzeitarbeit, welche diebelas~den Arbeitsbedingungen einigermaBen ertraglich macht, aber nicht aktivangeht. Eine andere Strategie kann darin bestehen, den Weg der "Professionali-sierung" zu gehen und sich uber akademische Studiengange etwa der Pt1egewis-senschaft, Pflegepadagogik und des Pt1egemanagements einen Aufstieg in derPflegehierarchie zu bahnen. Die AusbiIdung zur medizinischen KodierfachkraftsteIlt neben der zur Hygienefachkraft eine Moglichkeit dar, seine ursprtinglicheAusbildung aufserhalb der Pt1ege, aber weiterhin im Krankenhausbereich zuvalorisieren - ein treffendes Beispiel fur die von Howard Becker (1952) in einemklassischen Aufsatz fur einen solchen Weg gepragte Bezeichnung .Jiorizontale

Karriere".Was andert sich nun fur die Kodierfachkrafte nach ihrem Wechsel aus der

Pflege auf der Ebene der Arbeitsbedingungen? In den Interviews bewerten dieKodierfachkrafte ihre neue Tatigkeit insgesamt tiberwiegend positiv und siebetonen vor allem den Umstand, endlich der belastenden Schichtarbeit llnd denaufreibenden Arbeitsbedingungen aufgrund von Personalknappheit entkommenzu sein. Positiv wird von ihnen auch der Umstand hervorgehoben, dass sie aufihr aItes berufliches Wissen aufbauen konnen. Im FaIle des von uns untersuchtenKrankenhauses war die Kodierabteilung in einem angenehm mit Blumen undGraphiken ausgestatteten und mit zwei bis drei Arbeitsplatzen besetzten Burossituiert. Allerdings sind die Kodierfachkrafte nicht auf ihren PC-Arbeitsplatzfestgelegt, sondern machen zwei Mal taglich einen Gang zu den Stationen, furdie sie zustandig sind und wo sie ihre fruheren Kolleginnen sehen und sich mitden Arzten uber die Falle austauschen und besprechen.

Was ihr Einkommen anbelangt, so lasst sich keine genereIIe Aussage treffen.Die von uns befragten Kodierfachkrafte (bis auf einen Mann aIIesamt Frauen)gaben an, einen etwa ahnlichen Verdienst wie zuvor in der Pflege zu haben, alIesin allem habe sich der Wechsel also fmanzieIl nicht gelohnt. Zwei der zur Abtei-lung gehorigen Kodierfachkrafte wechselten unmittelbar nach der Befragungaufgrund der gtinstigen Arbeitsmarktlage und der besseren Verdienstmoglichkei-ten in Spitaler der nahe gelegenen Schweiz. Der Verband deutscher Klinik-Kodierer gibt an, dass die VergUtungsmodalitaten entsprechend der beruflichenHerkunft der Fachkrafte historisch gewachsen seien und sich meist an der bishe-rigen (z. B. pflegerischen) Vergutung orientieren, freiIich ohne die Zuschlage furdie Schichtarbeit. Offizielle Tarifwerke fur den Bereich Kodierung, Case-Mana-gement und MedizincontroIling gebe es nicht (Vg!. http://webarchiv.medizincon-troller.de/faq.php; eingesehen am 3.1.2013).

106 ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE

Von der finanziellen Dimension einmal abgesehen konnte man die Kodier-fachkrafte also mit zu denjenigen zahlen, die von den Wandlungsprozessen nilKrankenhauswesen in den vergangenen zwanzig Jahren profitiert haben, weansie nicht zugleich das Gefuhl batten, dass ihrer Arbeit die ihr zustehende Aner-kennung versagt bleibt. Eine weibliche Kodierfachkraft aufsert sich dementspre-chend und man erkennt in dem Gesagten das Pendant zu der oben schon zitiertenAui3erung des Urologen:

AI: Also da muss zuerst Verstandnis fllr unsere Arbeit sein. Und eben Bereit-schaft, mit uns zu kommunizieren. Weil, wir sind nicht nur zum Akten holen,und selber irgendwo in der Ecke zu arbeiten. [... ]I:Und was hat...?

A: ... unsere Arbeitj auch gewUrdigt wird. Also, dass wir ja nicht irgendwasmachen, sondem eben einen Teil von Sachen, die den Arzten abgenommenwurden.

I: Und ist das manchen noch nicht so prasent, dass man da...?A: Ja.

Doch drangt sich eine Frage geradezu auf, wenn man die Aussagen unsererBefragten aus dem Pflegedienst berlicksichtigt, denen zufolge hier der Anspruch,Menschen zu helfen und sie optimal zu versorgen, dominiert. Welches Verhaltnishaben sie gegenuber einer Arbeit, die zentral mit der Durchsetzung der mit derEinfuhnmg der Fallpauschalen einher gehenden Sparimperative befasst ist? Wiepasst das zusammen?

Mit dieser Frage ruhren wir an das groi3e, kontrovers diskutierte Thema derOkonomisierung des Krankenhauswesens und dessen Auswirkungen auf dieBeschaftigten. Doch geschieht das hier nicht, wie in den meisten Studien zu die-sem Thema, indem die Auswirkungen der Einfuhrung der DRGs indirekt uberdie Arbeitsbedingungen des Krankenhauspersonals (Marrs 2008, insbes. 41-88)erfasst werden, ebenso wenig, indem auf die Arzte als Akteursgruppe fokussiertwird (vg!. Vogd 2006a und 2006b, Braun et a!. 2010), sondern indem wir dieBewertungen von Tatigkeiterr durch die Beschaftigten vor dem Hintergrund derin ihrem bisherigen Werdegang angeeigneten sozioprofessionellen Arbeits-orientierungen und Dispositionen und ihrer Position im Gefuge der Beschaftig-tengruppen des Krankenhauses andererseits betrachten.

Der Kern der sich in den oben schon erwahnten Debatten uber die DRGs zuWort meldenden Kritik lauft generell auf die Feststellung einer "Transformationdes Organisationscharakters der Krankenhauser in Richtung erwerbswirtschaftli-eher Okonomisierung" (Bode 2010: 66) und damit auf eine Okonomisierung des

ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE 107

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clarin stattfindenden medizinischenund pflegerischen Handelns hinaus. Gesund-heit b~. praziser: die Erbringung rnoglichst optirnaler medizinischer Dienstleis-tungen~ei nicht mehr das Ziel, auf das hin sich die Wahl der Mittel - und dassind niCht zuletzt finanzielle - ausrichtet, vielmehr werde die Gesundheit nun alsMittel untergeordnet unter den Zweck der Erzielung von Gewinn (Zum Begriff:SchimankIVolkrnann 2008, sowie Kuhn 2004). Und das schlage sich, wie diegenannten Studien zu den Arzten zu zeigen versuchen, auch handlungspraktischnieder.

Der eingangs erwahnten Debatte bezuglich der bundesweit massiv auftreten-den uberhohten Abrechnungen von Krankenhausleistungen konnen wir entneh-men, dass angesichts von forciertem Wettbewerb, defizitaren Bilanzen und dro-henden Klinikschliefsungen ein enormer Druck auf alien an der Abrechnung derDRGs beteiligten Instanzen innerhalb des Krankenhauses lastet. Es gibt offen-sichtlich in mehr oder weniger hohem Ausmai3 dieses systematische Upcoding,es gibt aber auch die - von den Verantwortlichen immer wieder in Abredegestellte - Priorisierung finanzieller bzw. betriebswirtschaftlicher lnteressen vormedizinischen oder berufsethischen Motiven, auch wenn es nicht in dem Massezu den beruhmt-beruchtigten "blutigell Entlassungen" und zu einer Selektion vonPatienten gekommen ist, wie man dies bei Einfuhrung der DRGs zunachstbefurchtet hat.!" Ein Beispiel: Die fruhere Entlassung von Patienten nach Errei-chen der mittleren Grenzverweildauer. Die von uns befragten Kodierfachkraftehaben davon verstandlicher Weise im Interview nicht gesprochen und moglicherWeise haben sie dazu auch keinen Anlass. Das ist auch nicht die entscheidendeFrage. Die soziologisch interessante Frage ist vielmehr: Wie gehen diese Ak:teure- zum Gutteil wie gesagt ehemalige Pflegekrafte - mit der Spannung zwischenmedizinisch-pflegerischen Erfordernissen und okonomischen Zwangen urn?

14 Den Ergebnissen der groB angelegten WAMP-Studie zufolge "gibt es nur wenige, gering-fugige oder jedenfalls noch nicht eindeutige Belege fur eine starke Zunahme vorzeitigerEntlassungen und Patientenselektion. [... ] Der Anteil der Arzte, die der Auffassung waren,Patienten wiirden durchgangig oder haufig zu friih entiassen, stieg von 24 % (2004) auf 26% (2005), lUTI dann auf23 % (2007) erneut abzusinken." Unseres Erachtens ist freilich nichtdas Schwanken der Anteile bemerkenswert, sondem gerade deren Konstanz auf einem rela-tiv hohen Niveau. Weiter heiBt es: .Demgegcnuber hat aus Sicht der Pflegekrafte sowohldie zu fruhe als auch die zu spate Entlassung zugenommen, d. h. immer weniger Patientenwurden zu einem fiir den Heilungsprozess optirnaien Zeitpunkt entlassen". (Braun et al.2010: 16) Offentlichkeitswirksam wurde dieses Thema vor Kurzem im Zeitmagazin, derBeilage zur Wochenzeitung Die Zeit, emeut aufgegriffen und auf der Basis von anonymenZeugnissen von Arztinnen und Arzten entsprechend skandalisiert (Fall er 2012). Offenbarlasst sieh eine entsprechende Praxis - dies ais Kritik an der methodischen Adaquatheit desquantitativen Teils der WAMP-Studie - wissenschaftlich nur durch teilnehmende Beobach-tung und qualitative Forschung eruieren.

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Die Auswertung des erhobenen Materials ist noch nicht abgeschlossen, aberes ist bisher i.iberraschend, dass diese Spannung in den Interviews - entgegenunseren Erfahrungen im arztlichen Dienst - wenig problematisch erscheint, hatman doch mit lngo Bode zumindest mit einer gewissen "Ambivalenzdes Harr-delns kulturell spezifisch sozialisierter und ,unter Au13endruck' geratener Organi-sationsakteure" gerechnet (Bode 2010: 84).

Oberstes Ziel der Tatigkeit der Kodierfachkrafte ist die Suche nach einer mog-lichst hohen Bewertungsrelation, also der Einordnung des Falls in eine hochbewertete DRG, was auf die Maximierung des Erloses eines Falls hinauslauft.Und dafur mi.issen sie auch Konflikte mit Arzten eingehen, fur die die Erlosma-ximierung - zumindest in deren Selbstdarstellung - nicht das oberste Ziel dar-stellt: j ,

11: Ja was hei13tdas, Probleme mit dem Assistenten? Was sind das dann furDinge?

AI: Ja zum Beispiel war eine Diskussion wegen Plazenta-Il.osung") nach derGeburt, ob das manuell oder instrumental ist. Und dann eben [hat] die Arztingesagt: "Nein eigentIich, das ist manuel!. Das macht man von Hand." Dannhabe ich gesagt, "Na eigentlieh instrumental." Und wenn er instrumentalkodiert, so wie das gemaeht wurde, kriegen wir aueh andere DRG. Und dannwollte sie dies nieht einsehen und dann bin ich zum Doktor Schafer gegangen.Der soli eben entscheiden.

Die Beteiligung an der Erlossicherung scheint fur die Kodierfachkrafte mit-nichten ein dirty work darzustellen, sondern eine Quelle von Stolz, wie es in derfolgenden lnterviewpassage zum Ausdruck kommt:

I: Gibt es Momente in ihrer Arbeit, wo sie besonders stolz sind?

A I: Ja. Wenn der MDK eben zweifelt, und es kommt eine Naehfrage.

A2 [eine Kollegin, die .:uhOrt]: Super! [lacht]

AI: Und [ieh] dann eben begri.inde, warum, und dann haben wir DRG gerettet.Oder wenn ieh da eine Kodierung angueke und ieh sehe vier Punkte. Und dannnehme ich den OP-Berieht, nehme die Histologie und kodiere noeh ein paarSachen dazu, was ieh VOh Akten rausgelesen habe. Und statt vier Punkten habeieh eben 6,8 mal 2700. Und woah, da bin ich stolz!"

Eine kritisehe Haltung oder zumindest Ambivalenzen dem System gegeni.iberwerden nur selten, im folgenden BeispieJ in der Form des Bedauerns geauliert.Einen konfliktreichen Punkt stellt wie gesagt die Uberschreitung der Grenzver-weildauer dar, des Zeitpunkts also, ab dem der Patient dem Krankenhaus kein

15 lm geschilderten Fall belauft sich der zusatzliche Erlos durch die Arbeit der Kodierfach-kraft auf7.560 Euro.

ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERUFE 109

•..Geld mehr einbringt, sondern zum .Kostenfaktor" wird:

,Sie sind jetzt seit 2007 hier. Bei den DRGs hat sieh ja einiges uber die Jahrerandert und so weiter. Wie haben sie das erlebt?

A: Sie werden abgewertet, die DRG. Das bedeutet: fur diesel be Leistung, wasdie Arzte vor funf Jahren geleistet haben, haben sie damals eben mehr bezahltbekommen. Jetzt nieht mehr. Denn dureh die Abwertung der DRG haben sieheben aueh Verweildauem geandert. Die Leute werden eben fruher naeh Hauseentlassen. Ja. So was beobaehtet man. Es ist traurig. Das ist nieht so wie vorzehn Jahren, dass man eben naeh der Entbindung, sechs, sieben Tage da geblie-ben ist. Normalerweise werden die Leute naeh dem dritten Tag entlassen, odergefragt, wann sie heimgehen wollen. Aber...

1: Haben die da noeh ein bissehen Mitspraeherecht, wenn sie gefragt werden?

A: Ich werde eben gefragt, ob der Patient noeh langer bleiben darf. Weil iehbeobaehte aueh die obere Grenzverweildauer. Und wenn da wirklieh keinmediziniseher Grund dazu ist, dann muss ieh sagen, da bezahlt das Kranken-haus drauf. Das bringt keinen Gewinn mehr.

1: Ja. Also, Sie haben wenn man so will, aueh finanzielle Mitverantwortung imKrankenhaus? Und sie, die Arzte oder wen aueh immer, daraufhinweisen mus-sen, jetzt ist die obere Grenzverweildauer da.

A: Genau. Genau.

Die bisherige Auswertung des Materials ist noch weit entfemt von einer Typo-logie von Umgangsweisen mit diesem Spannungsverhaltnis, gesehweige dennvon einer Erklarung. Zudem fmden in Kurze die noeh ausstehenden Interviewsmit den restlichen Kodierfachkraften desuntersuchten Krankenhauses sowie ineinem weiteren, in offentlicher Hand befmdlichen Klinikum an, in denen dieErgebnisse aus dem ersten Klinikum uberpruft werden sollen. Doch lassen sichjetzt aus dem Material zumindest einige Hypothesen zu dieser Frage benennen,die spater eventuell zu einer Typenbildung beitragen konnten:

Manche Kodierfachkrafte scheinen bereit zu sein, die mit der neuen Tatigkeiteinhergehenden Zwange als Preis fur die in vielerlei Hinsicht aus ihrer Sichtattraktiveren Arbeitsbedingungen und ihre Aufwertung im Rahmen einer presti-getrachtigeren Tatigkeit zu akzeptieren, und leben mit den dabei eventuell auftre-tenden kognitiven Dissonanzen (vg!. das Zitat: .Es ist traurig"). Die Arbeit derKodierfachkrafte ist zwar ,nur' eine unter medizinisch-pflegerischen Gesichts-punkten nachgeordnete Verwaltungstatigkeit. Da sie aber eine ehemals arztlicheAufgabe beinhaltet und zudem mit einem standigen Kontakt mit Arzten undsogar ihrer Kontrolle einher geht, scheint sie zugleich auch von einem Prestigezu zehren, das in den Augen von Pflegefachkraften durchaus attraktiv sein kann;dies, umso mehr, als Verwaltungsaufgaben fur Pflegefachkrafte seit jeher zum

110 ALTE UND NEUE GESUNDHEITSBERUFE

.Feld des Moglichen" gehoren (Rohde 1974). Dazu kommt, dass den Beschaf-tigten insgesamt und den Kodierfachkriiften irn Besonderen ill Kontext drohen-der KlinikschlieBungen der Imperativ okonomischer Rentabilitiit.· durchausbewusst ist und eine direkte Einflussnahme auf das finanzielle Geschehen sym-bolische Gratifikationen verspricht." Andererseits gibt es A.uBerungen, denenzufolge der im Verlauf der Berufsbiographie geforderte Wandel habitueller Dis-position en in die eigene Identitiitskonstmktion aufgenommen wird. Eine uber dieZeit hinweg konsistente (berufliche) Identitat wird negiert, wie das folgendeZitat zeigt:

AI: Ich war immer zufrieden,

Il: Ja?1 ~

A I: Ich rnochte die Jahre auch nieht missen. Aueh nieht die Aufgaben, die iehgemacht habe missen. Ieh habe auch geme als Krankensehwester gearbeitet.Auf der Unfall war es bereiehemd. Auf der Entbindung war es sehr bereieherndfur mieh als Mensch. Und ieh bin aueh froh, dass ich da jetzt kodieren darf.Aber das war die Entwieklung vom Mensehen. Damals habe ieh das gebraueht,und jetzt brauche ich was anderes.

SchlieBlich deutet manches darauf hin, dass diejenigen, die die Pflege verlas-sen, urn als Kodierfachkrafte zu arbeiten, sich durch besondere habitue lie Eigen-schaften auszeichnen, die sie von denjenigenunterscheidet, die in der Pflegebleiben oder andere Formen des Umgangs mit der Unzufriedenheit mit denArbeitsbedingungen wahlen (Teilzeit, Ktindigung, Betriebsratsmitarbeit etc.).Eine der von uns befragten Kodierfachkrafte war beispielsweise fruher illFinanzcontrolling eines Privatunternehmens tatig. lhr ist der Umgang mit Zah-len, das Im-Auge-Behalten fmanzieller Interessen durchaus vertraut. Sie antwor-tet auf die Frage, ob es unter den fruheren Kolleginnen aus der Pflege welchegibt, die ebenfalIs Interesse an der Kodiertiitigkeit haben:

,,A: Ja. Aber nicht viele. Weil, oft sagen die Leute, das ist nur eben Arbeit mit16

Nach Aussagen des Leiters des Finanz- und Medizincontrollings des auf deutscher Seiteuntersuchten Krankenhauses gibt es momentan keinerlei Moglichkeit, einzelnen Beschaftig-tengruppen - abgesehen von den leitenden Arzten - finanzielle Anreize etwa in Form vonBonuszahlungen zu gewahren. Leistungszulagen sind im Rahmen des fur die kommunalenKrankenhauser in Deutschland gultigen Tarifvertrags TVoD seit 2006 zwar prinzipiell mog-lich, jedoch bedarf es hierfiir der Zustimmung des Personalrates, der sich jedoch gegen dieEinfiihrung sperrt. Allerdings sieht auch er durchaus die Gefahr, dass die EinfLihrung einesLeistungsentgelts .falsche'' Anreize setzen wurde: .Jst natiirlich. auch kritisch, also es kannVorteile haben ganz klar; weil einfach dann der Impetus viel grofler ist, sich da in Problemerein zu finden. Andererseits kann es naturlich auch genau dem [. ..} eine Grundlage liefern,dass man eben versucht ist, Dinge hochzukodieren und eventuell das ein oder andere ZII

dokumentieren, was wirklich nicht erbracht wurde, Das ist ein zweischneidiges Schwert,irgendwo die Wahrheit wird immer in der Mitte liegen, aber es ist schwierig. "

ALTE UND NEUE GESUNDHEITSBERUFE III•..

Zahlen. Aber ein, zwei habe ieh sehon gehort, ,Ja, ja, ich wlirde auch so wasgerne machen'.

f.,.

I~Aber ihnen maeht diese Arbeit mit Zahlen SpaB?

AI: Ja. Genau, genau."

Das deutet darauf hin, dass schon eine gewisse Affinitat zum Arbeiten mitZahlen und finanziellen Sachverhalten, vielIeicht auch das Hineindenken in dieLogik eines privatwirtschaftlichen Untemehrnens erforderlich ist, und bei nichtalien Pflegefachkraften das vorherrschende pflegerische Ethos uber allem steht.Diesen Pflegefachkraften scheint jedenfalls ein Wechsel in eine Tatigkeit, in derdie finanziellen Aspekte des Klinikums ill Mittelpunkt stehen, leichter zu fallen.

5. Fazit

Ein zentraler Wesenszug der hier betrachteten Beschaftigtengruppe ist, dass sieBeschaftigte mit einer pflegerischen Erstausbildung mit verwaltenden Tatigkei-ten zusammenbringt, welche in den Handlungsspielraum von Arzten eingreifen.Dies teilt das Kodieren jedoch mit anderen Verwaltungsaufgaben (etwa demFinanz- und Medizincontrolling), die mit relativer Macht gegenliber dem arztli-chen Dienst ausgestattet sind. Das Kodieren zeichnet sieh zudem jedoch dadurchaus, dass eine ehemals arztliche Aufgabe ausgefuhrt wird, weil dadurch auch eingewisses arztliches Prestige ,geerbt' wird. Wie wir feststellen konnten, nehmenArzte und Pflegefachkrafte die Dokumentationsverpflichtungen ill Allgemeinenund die Arbeit des Kodierens ill Besonderen zwar als ein minderwertiges, uner-freuliches und wenig dankbares dirty work wahr. Bei den (befragten) ehemalspflegerisch Tatigen scheint dies jedoch nicht (mehr) der Fall zu sein. Bei ihnenscheint sich vielmehr insofern ein grundlegender Wechsel der Perspektive voll-zogen zu haben, als sie diese Arbeit nicht mehr nach den Mallstaben der medizi-nisch-pflegerisch Tatigen bewerten. Neben den (materiellen) VorzUgen der neuenArbeitsstelle gegenuber den Schichtdiensten durfte diese Konversion zu einemneuen Blick vor allem das auf sie abfarbende arztliche Prestige begunstigt haben,das dieser Tatigkeit eine gewisse Legitimitat verleiht und zu dem die Betroffenenzuvor kaum einen Zugang hatten. Es ist, als wurde das Abfarben des arztlichenPrestiges, fur das die Abschiebung der Tatigkeit eine notwendige Voraussetzungist, sowie die finanzielle Mitverantwortung fur das Ganze seinerseits die Voraus-setzung schaffen, dass diese Tatigkeit zumindest fur ,zahlenorientierte' Pflege-fachkrafte attraktiv wird und mitnichten ein dirty work darstellt.

Auf einer allgemeinen Ebene scheint dieses Beispiel daraufhinzuweisen, dasshinter der Entstehung einer neuen Beschaftigtengruppe nicht nur ein struktureller

112 ALTE UNO NEUE GESUNOHEITSBERlJFE

Wandel eines gegebenen Kontextes steht sondem diese Beschaftigtengruppe'(und ihr ProfiI, ihre Beschaffenheit) das Resultat der Aushandlung einer neue~Arbeitsteilung darstellt und dass dabei Strategien der Distinktion und Aufrechter-haltung von Abstanden eine Rolle spielen. Im vorliegenden Fall sind es diegegenuber der Macht der Verwaltung nicht abgeneigten Pflegefachkrafte, diesich zu dieser Tatigkeit, welche die Arzte von sich weisen, hingezogen fiihlenund sie ausuben. Insofern reproduziert sich im Profil und in der Beschaffenheitdieser neuen Beschaftigtengruppe die Struktur der Beziehung zwischen der(dominanten) Arzteschaft und der (nachgeordneten) Pflege, dies jedoch nur zudem Preis, dass die arztlichen Interessen gegenuber den betriebswirtschaftlichenInteressen der Klinikverwaltung zunehmend an Gewicht verlieren, wie das syste-matische Upcoding bewejst.

Auf konzeptueller Ebene wird deutlich, dass der Begriff "dirty work" zwaraus der Binnenperspektive einer Beschaftigtengruppe am Krankenhaus sehr wohItragt, Bestimmen lasst sich die soziale Bedeutung einer Tatigkeit jedoch erst imRahmen des Beziehungsgefiiges, das zusammen eine Figuration im Sinne Nor-bert Elias' bildet. Das, was filr Arzte ein "dirty work" ist (das Kodieren), kannfur bestimmte, gegenuber betriebswirtschaftIichen Belangen offene medizinischoder pflegerisch Qualifizierte durchaus eine attraktive oder zumindest legitimeTatigkeit darstellen.

Insgesamt stellt dieser ArtikeI ein Pladoyer dar fur die empirische Untersu-chung der "Einfiihrwlg privatwirtschaftlicher Steuerungs- und Allokationsrouti-nen in bis dato marktfem und administrativ bewirtschaftete Produktions- undDienstleistungssektoren in staatlicher oder gemeinnUtziger Tragerschaft" (Bode2010: 63) - im Gesundheitswesen wie uberhaupt im Feld der Erbringung offent-Iicher Guter, Einerseits darf sich ein solches Forschungsinteresse dabei nicht nurauf die Ebene der Organisation beschranken, sondem muss im Blick haben, dasssie es mit kulturelI spezifisch sozialisierten und mit unterschiedlichen Interessenund Dispositionen ausgestatteten Akteursgruppen zu tun hat, die im Rahmen derFiguration Krankenhaus bestimmte Strategien verfolgen. Andererseits hat die in-tensive Aufrnerksamkeit, die den Pflegekraften und dem arztlichen Dienst in vie-len Studien zuteil wurde, zwar wichtige Hinweise auf die im Zuge von Rationali-sierungs- und Modemisierungsprozessen veranderten subjektiven Wahrnehmun-gen und beruflichen Praxen erbracht, zugleich aber auch den Blick auf das Ganzeder Organisation Krankenhaus mit ihren charakteristischen Innen- und Aufien-spannungen (Rohde 1974: 317ft) verbaut. Die Untersuchung der bisher zahlen-mafiig kleinen Gruppe der Kodierfachkrafte konnte ein weiteres Element fur einsolches Gesamtbild darstellen.

ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE 113

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ALTE UNO NEUE GESUNDHEITSBERUFE 115•..

rCLAUDIA PETER

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. ,HAlDELN UNTER UNGEWISSHEIT' ALS HEUTE TYPISCHE

KONSTELLATION MEDlZINlSCHEN HANDELNS

Abstract

Professionelles Handeln in innovativen Medizinfeldern muss als ,Handeln unterUngewissheit' begriffen werden. Es wird dargestellt, wo der Terminus herkommtund was unter ihm zu verstehen ist. AnschlieBend wird diese Handlungskonstellati-on genauer charakterisiert, die fur aIle medizinischen Felder, in denen innovativeVerfahren eine groBe Rolle spiel en, gilt. Schlussfolgerungen, was dies fur die Arzt-Patient-Beziehung sowie die Selbstbestimmung des Patienten wie des Arztes be-deutet, runden den Beitrag ab.

1. Die Fragestellung

Im folgenden Beitrag wird ein Thema vorgestellt, das bisher noch nicht zumsoziologischen Allgemeinwissen gehort und bis jetzt vorwiegend in der (interdis-ziplinaren) Forschung zur Technikfolgenabschatzung sowie in der Wissen-schaftssoziologie bekannt ist und bearbeitet wird: der Umgang mit Ungewissheitund Unsicherheit als eine von anderen abgrenzbare Handlungskonstellation.Ungewissheit und Unsicherheit werden dabei in einen gedanklichen Zusammen-hang mit dem sogenannten Nichtwissen gebracht, welches als nicht elirninierbareBegleiterscheinung - quasi wie eine Schattenseite des Wissens (Wehling 2006) -alle Prozesse der Wissensproduktion begleitet, so auch die Fortentwicklungmedizinischen und medizintechnischen Wissens. Die folgenden Uberlegungen zuderartigen Handlungskonstellationen sind somit durch neuere wissenssoziologi-sche Erkenntnisse, gewissermaBen durch die ,,(Wieder- )Entdeckung des Nicht-wissens" (Wehling 2006: 11), inspiriert. Im zweiten Schritt werden daranUberlegungen angeschlossen, ob damit bisherige professionstheoretische Diskus-si on en zum professionellen Handeln von Medizinern neu belebt werden konntenod er ob gar neue Auslegungen entwickelt werden miissen.

Zunachst aber dazu, was unter Ungewissheit, Unsicherheit und Nichtwissenbegriffiich Zll verstehen ist: Das Wort "Nichtwissen" (engl. non-knowledge, gap