Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem, in: F. Klimscha et al....

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FORSCHUNGSCLUSTER 2 Innovationen: technisch, sozial Wasserwirtschaftliche Innovationen im archäologischen Kontext Von den prähistorischen Anfängen bis zu den Metropolen der Antike Herausgegeben von Florian Klimscha, Ricardo Eichmann, Christof Schuler und Henning Fahlbusch

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FORSCHUNGSCLUSTER 2

Innovationen: technisch, sozial

Wasserwirtschaftliche Innovationen im archäologischen Kontext Von den prähistorischen Anfängen bis zu den Metropolen der Antike

Herausgegeben von

Florian Klimscha, Ricardo Eichmann, Christof Schuler und Henning Fahlbusch

X, 308 Seiten mit 224 Abbildungen und 4 Tabellen

Titelvignette: Künstliche Bewässerung in Bani Awf/Oman. Foto: Ricardo Eichmann 1998

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Klimscha, Florian / Eichmann, Ricardo / Schuler, Christof / Fahlbusch, Henning (Hrsg.):Wasserwirtschaftliche Innovationen im archäologischen Kontext – Von den prähistori-schen Anfängen bis zu den Metropolen der Antike.Rahden/Westf.: Leidorf 2012

(Menschen – Kulturen – Traditionen ; ForschungsCluster 2 ; Bd. 5)ISBN 978-3-86757-385-6

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier

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ISBN 978-3-86757-385-6ISSN 2193-5300

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oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagentwurf und Standard-Layout: Catrin Gerlach und Jörg Denkinger, Deutsches Archäologisches Institut, Zentrale BerlinRedaktion: Florian Klimscha, Ricardo Eichmann, Christof Schuler, Henning Fahlbusch, Andreas Mehnert

http://www.dainst.org

Satz, Layout und Bildnachbearbeitung: stm | media GmbH, Köthen/Anhalt

Druck und Produktion: IMPRESS Druckerei Halbritter KG, Halle/Saale

Inhaltsverzeichnis

Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Ricardo Eichmann – Florian KlimschaHydraulische Schlüsseltechnologien und ihre Konsequenzen für die Ausprägung menschlicher Kultur . . . . . . . . . . . . . 1

Michael BaalesDer pleistozäne Mensch und das Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Florian KlimschaWassernutzung und Innovation in komplexen Jäger-Sammler-Gesellschaften des Mesolithikums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Richard A. Herrmann – Klaus SchmidtGöbekli Tepe – Untersuchungen zur Gewinnung und Nutzung von Wasser im Bereich des steinzeitlichen Bergheiligtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Edgar PeltenburgEast Mediterranean water wells of the 9th–7th millennium BC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Jürgen WeinerBandkeramische Brunnen – Ausnahmebefunde oder Standardinstallationen zur Wasserversorgung? . . . . . . . . . . . . . . . 83

Felix BiermannDie Wasserversorgung slawischer Siedlungen im frühen und hohen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Hans Georg K. Gebel – Hamzeh M. MahasnehQulban Beni Murra – Unknown Mid-Holocene Sepulchral Green Desert Landscapes, Pastoral Well Cultures, and the Origins of Arabia’s Oasis Economies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Florian Klimscha – Ulrike Siegel – Benjamin HeemeierDas wasserwirtschaftliche System des Tall Hujayrāt al-Ghuzlān, Jordanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Jutta HäserOasensiedlungen auf der Omanischen Halbinsel in der Bronzezeit – Ein Innovationspaket? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Derek ClarkeIrrigation at Otrar Oasis, Syr Darya, Kazakhstan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Ueli BrunnerGroßflächige Bewässerung als Innovation – Ein überregionaler Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Iris GerlachVorislamische Bewässerungssysteme in der Oase von Mārib, Jemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Dana Pietsch – Peter KühnArchäopedologie am Rande der Ramlat as-Sab’atayn – Die Oase Mārib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Hartmut KühneWasser für Dūr-Katlimmu – Wasser für Assyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Stefan R. HauserWasser als Ressource: Palmyra als Territorialmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Mathias DöringWasser für die Dekapolis – Jordanisches Bergland birgt längsten bisher bekannten Aquädukttunnel. Ein Zwischenbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Andreas Schachner – Hartmut WittenbergZu den Wasserspeichern in Boğazköy/Hattuša und der Frage ihrer Befüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

VI Inhaltsverzeichnis

Ariel M. BaggDie Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Andrea Schmölder-VeitDie öffentlichen Brunnen Roms: Innovation und Tradition in augusteischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Christoph OhligKlimaorientierte Wassernutzung bei Hitze und Frost am Beispiel Pompejis und der Colonia Ulpia Traiana (Xanten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

1 Althebräische termini technici werden kursiv angegeben; Abkürzun-gen der biblischen Bücher sowie biblische Orts- und Personenna-men nach den Loccumer Richtlinien. Weitere Abkürzungen: KAJ = E. Ebeling, Keilschrifttexte aus Assur juristischen Inhalts (Leipzig 1927); HAL = L. Koehler – W. Baumgartner, Hebräisches und aramä-isches Lexikon zum Alten Testament 3(Leiden 1974). Übersetzung der biblischen Passagen nach der Zürcher Bibel, falls nicht anders angegeben.

2 In der Propyläen Technikgeschichte (König 1997) z. B. wird der Alte Orient kaum behandelt.

3 So liest man z. B. in einem Standardwerk zur Geschichte des Was-serrads in deutscher Sprache, dass das Schöpfrad in der mittelassy-rischen Zeit bekannt war (Wölfel 1987, 10; Wölfel 1990, 55; Sprague de Camp 1964, 66 f.), was auf E. Ebelings überholter Interpretation der Urkunde KAJ 128 basiert (Ebeling 1951). Dagegen wird in einer französischen Untersuchung über das Wasser im Vorderen Orient

und der Antike behauptet, dass das Wasserrad schon in der altba-bylonischen Zeit benutzt wurde, da sich der Autor auf eine veraltete Übersetzung des Paragraphen 259 des Kodex Hammurabi beruft: »C’est encore dans le code de Hammourabi que nous trouvons, au XVIIIe siècle, une référence précise à une roue hydraulique, dont on peut penser qu‘il s‘agissait de ce type de machine« (gemeint ist Pa-ragraph 259), Bonnin 1984, 260, mit Verweis auf Scheil 1902.

4 h. pr »graben« (Qal) Gen. 21, 30. 26, 15. 26,18 f. 26, 21 f. 26, 32; Num. 21, 18; krh »graben« (Qal) Gen. 26, 25; Num. 21, 18.

5 Gen. 26, 25; Num. 21, 18. 6 Gen. 16, 14. 7 Gen. 21, 28 – 31 und Gen. 26, 33. Außerdem sind Orte bezeugt, die

nach Ereignissen benannt wurden, die mit Brunnen im Zusam-menhang standen, z. B. Ez (Gn 26, 20), Sitna (Gn 26, 21), Rehobot (Gn 26, 22).

8 Tsuk 2001/2002.

Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem1

Ariel M. Bagg

Wasserbauliche Maßnahmen sind im Alten Orient schriftlich sowie archäologisch bezeugt. Das umfangreiche Material umfasst geographisch das alte Mesopotamien, die Levante und Anatolien und erstreckt sich chronologisch über mehr als drei Jahrtausende, vom ausgehenden 4. bis zum Ende des 1. Jt. Die altorientalischen Wasserbauten wurden aber bisher nur selten im Bereich der Technikgeschichte thema-tisiert. Vielmehr blieben die technischen Leistungen im Al-ten Orient sogar in neueren technikgeschichtlichen Werken weitgehend unbeachtet2. Dieses »ungerechte« Schicksal lässt sich durch die besondere Quellenlage erklären. Wäh-rend z. B. ein geschlossenes Korpus griechischer und latei-nischer Quellen in zweisprachigen Editionen zugänglich ist, ist es dem Technikhistoriker derzeit nicht möglich, einen Überblick über die zahlreichen Editionen von einschlägi-gen keilschriftlichen Quellen zu gewinnen. Darüber hinaus besteht das Problem der Gültigkeit älterer Übersetzungen, deren kritiklose Übernahme zu falschen Ergebnissen führen kann3. Freilich stellt jede Übersetzung eine Interpretation des Originaltexts dar. Da aber technische Ausdrücke oft nicht im Zentrum der Interessen der Philologen stehen und zudem meistens in Texte eingebettet sind, die sich nicht primär mit der Technik befassen, steht jede Untersuchung, die nur auf Übersetzungen angewiesen ist, auf einem sehr dünnen Boden.

Das gilt nicht nur für die Keilschriftsprachen (Akkadisch, Sumerisch), sondern auch für die nordwestsemitischen Li-nearsprachen (Altaramäisch, Althebräisch), wie ich später an Hand von zwei Beispielen aus der hebräischen Bibel – auf den ersten Blick ein gut bekannter Text – zeigen werde. Im Bereich des Wasserbaus sind die altaramäischen, phönizi-schen, ammonitischen und moabitischen Quellen leider we-nig aufschlussreich. Dagegen ist die hebräische Bibel eine wertvolle Quelle für die materielle Kultur einer Region, in der die Wasserversorgung eine relevante Rolle spielte. Im Fall des

antiken Palästinas kommt hinzu, dass zahlreiche Fundorte in einer verhältnismäßig kleinen Region archäologisch unter-sucht worden und gut dokumentiert sind.

Die Wasserversorgung im alten Israel basierte auf Grund-wasser, Quellen und Regenwasser. Um das Grundwasser zu erreichen, wurden bereits in vorgeschichtlicher Zeit Brunnen (be’ēr) gegraben4. Sie wurden mit einer Steinplatte abge-deckt, um das Wasser vor Verschmutzung zu schützen5. Die Gründung von Siedlungen in der Nähe von Brunnen lässt sich in einigen Fällen in der Toponymie erkennen, da meh-rere Ortsnamen mit »Beer-« beginnen, wie z. B. Beer-lahai-roi6 oder Beerscheba7. Regenwasser wurde in Zisternen (bôr), in der Regel geschlossene unterirdische Anlagen mit einer Ka-pazität von bis 200 m3, Reservoiren (bôr), große, in den Stein gehauene Speicher mit einer Kapazität von mehr als 200 m3, und Becken (berēkâ), offene Anlagen, die durch ihre Flächen-ausdehnung gekennzeichnet sind, gelagert. Zisternen für den häuslichen Bedarf sind seit der Frühbronzezeit bezeugt und wurden seit der Mittelbronzezeit gepflastert. Reservoire waren in der Regel für den öffentlichen Gebrauch gedacht. Die ältesten stammen aus der Frühbronzezeit. Eine deutliche Verbesserung erfolgte in der Spätbronzezeit, als unterirdische Reservoire, die aus mehreren Kammern bestanden, gebaut wurden8.

Die Städte und Festungen Palästinas befinden sich meist in der Nähe von Quellen (‘ayin, auch ma‘yān), die eine durch-laufende Wasserversorgung ermöglichen. Dies ist auch in der Toponymie erkennbar, da viele Ortsnamen mit »En-« begin-nen, z. B. En-Dor oder En-Gedi. Einige Städte hatten Brunnen (Lachisch, Tel Haror, Tel Nami, Tel Gerisa) oder Quellen (Tel Kabri, Tel Dan, Jericho) innerhalb der Stadtmauern. In den meisten Fällen dagegen lagen die Quellen bzw. der Zugang zum Grundwasserspiegel außerhalb der Befestigungsanlagen am Fuß des Hügels. Um die Wasserversorgung während ei-ner Belagerung zu sichern, wurden seit der Mittelbronzezeit

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9 Peleg 2001; Shiloh 1992. 10 Pritchard 1961. 11 Cole 1980, 21 – 29. 12 z. B. Anchor Bible Dictionary 2, s. v. Gibeon, 1010b (P. M. Arnold). 13 2 Sam 4, 12. 14 1 Kg 22, 38. 15 2 Kg 18, 17. 20, 20; Neh 2, 14. 3, 15 f.; Jes 7, 3. 22, 9 – 11. 36, 2. 16 Außerdem wurde das Gebiet des Schlachtfeldes nach diesem Er-

eignis heleqat has. urim »Feld der Klingen« (?) (Etymologie unklar,

s. HAL 311, HAL 985, s. v. s.ur I u. akkadisch s

.urru »Obsidian, Feu-

erstein«; Borée 1968, 89, 10) »bei Gibeon« genannt. Ein Reservoir (ca. 12 m × 20 m × 2,5 m) wurde nördlich von der Stadt entdeckt, doch keine Scherben unterhalb des Pflasters datieren vor der römi-schen Zeit (Cole 1980, 23).

17 In Klammern und Kursiv stehen die englischen Bezeichnungen der Ausgräber.

18 Zur Geschichte der Gihon-Quelle s. Reich – Shukron 2004. 19 Reich – Shukron 1999; Reich – Shukron 2004, 212 – 216.

unterirdische Wasserversorgungsanlagen gebaut, die haupt-sächlich aus vier Grundelementen bestanden:1. ein Eingang zu einem Schacht im Stadtinneren;2. ein vertikaler Schacht;3. eine horizontale oder geneigte Galerie, die vom Schacht

herangeführt wird;4. eine Wasserkammer am Ende des Verbindungstunnels,

wo man geschützt Wasser schöpfen konnte (Abb. 1).Solche Anlagen, die einen gewaltigen Arbeitsaufwand

sowie eine fachkundige Planung erforderten, sind in Hazor, Megiddo, Gezer, Gibeon, Jerusalem sowie in Jokneam und Jibleam archäologisch bezeugt9. In diesem Zusammenhang möchte ich die Anlagen von Gibeon und Jerusalem vorstel-len, und zwar aus folgenden Gründen: In beiden Fällen führte die oberflächliche Behandlung von schriftlichen Quellen zu falschen Interpretationen des archäologischen Befunds. Wei-terhin haben Untersuchungen in Jerusalem, die in den letz-ten zehn Jahren durchgeführt wurden, spektakuläre Ergeb-nisse hervorgebracht, die u. a. die Anfänge des Tunnelbaus um etwa 1000 Jahre zurückversetzten.

In der Stadt Gibeon, die 9 km nördlich von Jerusalem liegt, wurden zwei unterirdische Wasserversorgungsanlagen aus-gegraben (Abb. 2)10. Die erste lag innerhalb der Befestigungs-anlagen, an der nordöstlichen Stadtmauer, und bestand aus zwei Teilen, die zwei verschiedenen Bauphasen entsprachen:1. einem zylindrischen, in den Felsen getriebenen Schacht

(Durchmesser 11,8 m; Tiefe 10,8 m) mit einer Wendel-treppe, die zum Boden des Schachtes führte;

2. einer kurzen, geneigten Galerie, die zu einer Wasserkam-mer (24,4 m unter der Stadtoberfläche) führte, wo sich Grundwasser sammelte.Ob die beiden Bauphasen Teil des gleichen Projekts wa-

ren oder ob der Schacht zuerst als Reservoir für Regenwasser verwendet wurde und erst später der Tunnel als Verbindung zum Grundwasser hinzukam, ist nicht bekannt. Die zweite Anlage bestand aus einem 48 m langen, abgetreppten Tun-nel, der von einer Stelle innerhalb der Stadt zu einer Wasser-kammer außerhalb der Stadt führte. Der Eingang zum Tun-nel, dessen oberer Teil mit Steinplatten abgedeckt war, lag nur wenige Meter vom Schacht der anderen Anlage entfernt. Die Wasserkammer am Tunnelende wurde von einem weite-ren Tunnel gespeist, der Wasser von einer Quelle unterhalb des Stadthügels führte. Beide Wasserversorgungssysteme da-tieren in die Eisenzeit, aber ihre absolute sowie relative Chro-nologie ist umstritten11. Die Erwähnung der »großen Wasser von Gibeon« in Jer. 41, 12 könnte ein Hinweis dafür sein, dass zumindest ein Teil der Anlagen noch im 6. Jh. v. Chr. in Be-trieb war.

Der zylindrische Schacht wird oft mit dem »Teich von Gi-beon« identifiziert, der in 2 Sam. 2, 13 erwähnt wird12. Diese Annahme würde nur dann Sinn machen, wenn der Schacht in der Tat als Reservoir fungierte. Der verwendete Terminus

berēkâ kennzeichnet stets Becken und ist auch im Zusam-menhang mit den Teichen von Hebron13, Samaria14 und Je-rusalem15 belegt. Wenn der Schacht bis zu einer bestimmten Höhe mit Regenwasser gefüllt war, könnte er wie ein Teich ausgesehen haben. Nach dem hebräischen Text scheint es jedoch plausibler, dass sich der Teich außerhalb der Stadt befand. Laut der biblischen Passage trafen Joabs Kräfte, die aus Hebron kamen und David treu waren, mit denen Abners, die aus Mahanajim (in Gilead, wahrscheinlich Tall ad- -D- ahab al-Ġarbī) kamen und Jischbaal unterstützten, am Teich von Gibeon aufeinander, »die einen lagerten diesseits, die ande-ren jenseits des Teichs«. Es kam zu einer Schlacht, und Abners Truppen wurden besiegt. Dass sich beide Heere auf dem Siedlungshügel innerhalb der Befestigungsanlagen trafen und dort kämpften, ist unwahrscheinlich. Die Stadt Gibeon lag im Territorium von Benjamin, das Jischbaal treu war. Eine Schlacht mitten in der Stadt ist überhaupt nur denkbar, wenn Joabs Truppen Gibeon zuerst belagert und erobert hätten, was nicht erwähnt wird, sodass man eher an einen Teich in der Umgebung von Gibeon denken muss16.

Im Laufe seiner Geschichte besaß Jerusalem mehrere Wasserversorgungssysteme. Teile dieser Anlagen sind seit dem Ende des 19. Jh. bekannt, und seitdem wurden zahl-reiche Interpretationen und Datierungen vorgeschlagen (Abb. 3). Dank archäologischer Untersuchungen aus dem letzten Jahrzehnt konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einem besseren Verständnis der Anlagen ge-führt haben. Aus der Periode zwischen dem 18.–17. Jh. v. Chr. (Mittelbronzezeit II) und der Zerstörung des ersten Tempels im Jahr 586 v. Chr. stammen drei Systeme, die ein beredtes Zeugnis von der Leistung der damaligen Wasserbauingeni-eure ablegen: das sog. Warren-Schacht-System, der Kanal II (Channel II)17 und der Hiskia-Tunnel (Abb. 4). Die einzige pe-rennierende Quelle in der Nähe des historischen Jerusalem ist die Gihon-Quelle (‘Ain Umm al-Daraj) im östlichen Teil der Stadt (Kidron-Tal), die über 5000 Jahre ihre Bewohner mit Wasser versorgte18. Alle drei genannten Systeme wurden von dieser Quelle gespeist.

Die älteste unterirdische Wasserversorgungsanlage in Je-rusalem datiert in die Mittelbronzezeit II und wurde von den Ausgräbern »Warren-Schacht-System« genannt (Abb. 5). Sie ist jedoch mit dem berühmten »Warren-Schacht«, der sich als eine natürliche Formation erwies und mit dem ich mich später beschäftigen werde, nicht zu verwechseln. Die Gihon-Quelle war zu dieser Zeit von zwei Türmen geschützt (Spring Tower und Pool Tower). Das Wasser speiste eine unterirdische Zisterne (Pool) durch einen Tunnel (Tunnel III), der von dem Kanal II (Channel II) abgeleitet wurde. Von der Stadt aus ge-langte man zur Zisterne durch einen Tunnel, der durch Ge-genortverfahren in den Felsen gehauen wurde und eine geneigte und eine horizontale Strecke hatte19. Dieser Tunnel wurde in den weicheren Stein, der sich oberhalb des Warren-

Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem 259

Abb. 1 Die Wasserversorgungssysteme von Gibeon (nach Pritchard 1961, Abb. 2–4).

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Abb. 2 Unterirdische Wasserversorgungsanlage von Megiddo, 9.–8. Jh. v. Chr. (nach: Lamon 1935, Abb. 2. 3).

Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem 261

20 Reich – Shukron 2002 a. 21 Grewe 1998, 48 – 52 (mit Literatur); Shaheen 1977; Shaheen 1979;

Ussishkin 1976; Wenning – Zenger 1983 (mit Literatur); ferner Dal-ley 2000.

22 Reich – Shukron 2002b contra Gill 1991; Gill 1994; Lancaster – Long 1999.

23 Grewe 1998, 50 f. 24 s. Edition und Literatur zur Siloah-Inschrift in: Renz – Röllig 1995,

178 – 189; Foto der Inschrift bei Isserlin 2001, Taf. 18, 2. 25 te‘ālâ in 2 Kg 20, 20.

26 Frumkin u. a. 2003. Somit ist eine lange Diskussion über die Entste-hungszeit des Tunnels und seinen Bauherrn beendet, s. Rogerson – Davies 1996 (dagegen Hendel 1996); Rosenberg 1998; Knauf 2001.

27 z. B. Shaheen 1977, Shanks 2008, 52. 28 Die Befestigungsanlagen wurden inspiziert und ggf. repariert bzw.

erweitert, 2 Chr 32, 5. 29 Zur getrennten Entstehung des Tunnelbaus und der Anlagen für

die Belagerung s. Dalley 2000, 120. 30 2 Chr 32, 4. 31 Reich – Shukron 2000; ferner Reich – Shukron 2004, 216 f.

Schachts befand, gehauen. Der Schacht war deswegen in der Mittelbronzezeit nicht bekannt. Im 8. Jh. v. Chr. wurde der Boden des horizontalen Tunnels vertieft, indem man in die härtere Steinschicht eindrang. Das Projekt wurde nie fertig gestellt, aber während der Bauarbeiten wurde der obere Teil des Warren-Schachts entdeckt. Mit diesem System begann in Palästina bereits im 18.–17. Jh. v. Chr. eine fortdauernde Tra-dition im Bereich des Tunnelbaus, die dem Bau von Hiskias Tunnel mehr als 1000 Jahre vorausgeht.

Der sog. Kanal II (Channel II) verlief entlang des östlichen Hanges der Davidsstadt und bestand aus zwei Streckenab-schnitten (Abb. 4). Von der Gihon-Quelle aus verlief er als offener, in den Felsen gehauener Kanal, der mit Felsblöcken abgedeckt war20. Die erste Strecke datiert ins 18./17. Jh. v. Chr. und endete wahrscheinlich in einem bisher noch nicht ent-deckten Reservoir, etwa 190 m südlich der Quelle. Von die-sem Ort aus verlief der südliche Teil als Tunnel weiter. Diese zweite Strecke kann nicht eindeutig datiert werden, aber die Anlage weist Ähnlichkeiten mit Tunneln aus der Eisenzeit II auf (9.–6. Jh. v. Chr.). Weitere Grabungen sind notwendig, um die Funktion des Kanals II zu bestimmen.

Die berühmteste Wasserversorgungsanlage Jerusalems ist der sog. Hiskia-Tunnel (Abb. 4). Der Tunnel (Länge 533 m; Breite 0,58 – 0,68 m; Höhe 1,5 – 5 m) leitete das Wasser der Gi-hon-Quelle (im Kidron-Tal) zu einem Teich (Siloah-Teich) im südlichen Teil der Stadt, innerhalb der damaligen Stadtmauer (Tyropoeon-Tal). Verschiedene Erklärungen wurden für die seltsame Trassenführung und für die Schwankungen des Querschnitts gegeben21. Neue geomorphologische Unter-suchungen haben gezeigt, dass es sich um einen geplanten Stollen und nicht um einen Karsttunnel handelt22, wie lange Zeit angenommen. Der Tunnel wurde in den Fels gehauen, indem zwei Mannschaften aufeinander zu arbeiteten, die offensichtlich durch akustische Signale geleitet wurden. In bestimmten Abständen wurden Kontrollmessungen durch-geführt. Blindstollen zeugen von aufgegebenen Vortriebs-richtungen23.

Sechs Meter vor dem heutigen Tunnelausgang wurde eine Inschrift angebracht, die so genannte »Siloah-Inschrift«, die über die letzte Phase des Tunneldurchbruchs berichtet, ohne jedoch den Bauherrn zu nennen24. Die allgemein ak-zeptierte These, wonach die Anlage dem König Hiskia zuzu-schreiben sei, stützte sich bislang lediglich auf eine mögliche Erwähnung der Anlage in der hebräischen Bibel25 und auf pa-läographische Kriterien, konnte jedoch kürzlich durch die ra-diometrische Datierung des Pflasters bestätigt werden26. Dass der ganze Bau in Verbindung mit der Erneuerung der Ver-teidigungsanlagen mit Blick auf das anrückende assyrische Heer steht27, ist indes eher zu bezweifeln. In der hebräischen Bibel werden Hiskias Wasserbauten und seine defensiven Maßnahmen28 in getrennten Zusammenhängen angeführt29,

und unter den letzteren ist nur die spontan durchgeführte Aufschüttung von Quellen und Strömen genannt: »…und sie schütteten alle Quellen und den Bach zu, der mitten durch das Land strömte, indem sie sprachen: Warum soll der König von Assyrien, wenn er kommt, so viel Wasser finden?«30.

Jüngste Untersuchungen haben neues Licht auf die Pla-nung der Bauarbeiten des Hiskia-Tunnels geworfen (Abb. 5)31. Da dieser etwa 2,5 m unter dem Niveau des Kanals II und der Gihon-Quelle verlief, konnte der Vortrieb nicht unmittelbar von der Quelle her erfolgt sein. Denn dies hätte die Überflu-tung des Tunnels bedeutet. Daher planten Hiskias Ingenieure eine vorläufige Anfangsstrecke (Tunnel IV), die unten an der Zisterne (Pool) begann. Auf diese Weise war ein trockenes Vorgehen gewährleistet, ohne Unterbrechung des Durchflus-ses im Kanal II. Erst beim erfolgreichen Zusammentreffen der beiden Stollen wurde eine kurze Tunnelstrecke (Tunnel VI) in Richtung Quelle gebaut, durch die der Tunnel gespeist wurde.

Abb. 3 Topographische Karte von Jerusalem (nach Ussishkin 1995, 304 Abb. 1).

Ariel M. Bagg262

32 Reich – Shukron 1999, 33. 72. 33 Joh 9, 1 – 12 (bes. 7 und 11 »Siloah-Teich«); s. Foto des Teiches aus

dem 19. Jh. bei Gibson 1993, 123. 34 Reich – Shukron 2005; Shanks 2005, 16 – 23. 35 Nach Elitzur 2008 hätte das von Reich und Shukron gefundene

Becken wahrscheinlich (auch) als das Schwimmbecken gedient, das mit Josephus’ »Salomonsteich« gleichzusetzen ist (Ios. bell. Iud. 5, 145).

36 Jes 22, 9. Ob dieser Teich mit dem Tunnel in Verbindung steht, ist unklar.

37 Jes 22, 11. Darüber hinaus wird in Jes 8, 6 »das Wasser von Schi-loach (Siloah)« erwähnt und in Neh 3, 15 ein »Teich von Schelach«. In Neh 2, 14 kommt außerdem ein »Königsteich« vor.

38 2 Kg 18, 17 f.; Jes 36, 2 f.; Jes 7, 3. 39 Ussishkin 1995, 290 – 293 (bes. 293). 40 Jer 52, 7; 2 Kg 25, 4; Neh 3, 15. 41 Ussishkin 1995, 296. 302.

Wo der Hiskia-Tunnel genau endete, ist bislang unbe-kannt, was eine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Anlage erschwert (Abb. 4). Einerseits weiß man heute, dass der Kanal II zu Hiskias Zeit in Betrieb war und innerhalb der damaligen Stadtmauer – d. h. gut ge-schützt – verlief. Andererseits konnte eine zweite, unvollen-dete Phase für die horizontale Strecke des Eingangstunnels zum Warren-Schacht-System nachgewiesen werden (eine Vertiefung der Sohle), die in das 8. Jh. v. Chr. datiert. Es ist denkbar, dass das gesamte mittelbronzezeitliche Warren-Schacht-System aufgegeben wurde, als der Hiskia-Tunnel ge-baut wurde, der eine effizientere Wasserversorgung ermög-lichte32.

Heute endet der Tunnel am sog. Siloah-Teich, der in by-zantinischer Zeit (5. Jh. n. Chr.) zusammen mit einer Kirche gebaut wurde. Dort vermutete man die Stelle, an der Jesus den Blindgeborenen geheilt haben soll33. Im Jahr 2004 wurde aber kaum 100 m vom Tunnelende entfernt, in südwestlicher Richtung, ein gestuftes Becken entdeckt, das im 1. Jh. v. Chr. entstanden sein soll und bis zur Zerstörung der Stadt durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. benutzt wurde (Abb.4)34. Diese Anlage scheint ein plausibler Kandidat für den im Neuen Testament erwähnten Siloah-Teich zu sein. Sondagen in diesem Bereich wären notwendig, um herauszufinden, ob dieses Becken an der Stelle eines älteren Beckens angelegt wurde35.

Mehrere Teiche werden in der hebräischen Bibel erwähnt, die in Hiskias Zeit in Betrieb waren. Ein »unterer Teich«, der wahrscheinlich im südlichen Teil der Stadt lag36, ersetzte oder ergänzte einen »älteren Teich«, der im Zusammen-hang mit einem »Becken (miqwā) zwischen den Mauern« erwähnt wird37. Ein »oberer Teich« wird im Zusammenhang mit einer Wasserleitung (te‘ālâ) genannt38. Obwohl dieser Teich allgemein im südlichen Teil der Stadt vermutet wird, ist nicht auszuschließen, dass er im nördlichen Teil lag39. Es ist nicht klar, welcher der biblischen Teiche mit dem Teich, der unterhalb des heutigen Birket el-H. amra in der Eisenzeit II (10. Jh. – 586 v. Chr.) existierte, zu identifizieren ist.

Nach den biblischen Quellen existierte in Jerusalem im 7. Jh. v. Chr. ein »königlicher Garten«, der sich außerhalb der Stadt-mauer am südöstlichen Ende der Davidsstadt befand und im Zusammenhang mit einem Teich und einer Wasserleitung er-wähnt wird40. Es ist möglich, dass dieser Garten mit überschüs-sigem Wasser des Siloah-Teiches durch einen zum Teil noch erhaltenen Überlaufkanal bewässert wurde41. Lässt sich daraus schließen, dass Hiskia sich einen bewässerten königlichen Gar-ten in assyrischer Tradition hat anlegen lassen? Oder war dieser Park lediglich ein Nebenprodukt der Trinkwasserversorgungs-anlage? Künftige archäologische Untersuchungen in Jerusalem können Antwort auf diese interessanten Fragen geben.

Hiskias Wasserbauten für Jerusalem werden in der hebrä-ischen Bibel erwähnt, wobei nicht ganz klar ist, welche Anla-

Abb. 4 Die unterirdischen Wasserversorgungsanlagen von Jerusalem (nach Shiloh 1984, 66 f.).

Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem 263

42 2 Kg 20, 20. 43 2 Chr 32, 30. 44 s. Goldschmidt 1996, 42 ferner Goldschmidt 1996, Bd. 1, 42 (Bera-

chot I, ii [Fol. 10b]).

45 Sir 48, 17. 46 s. z. B. Sanheribs Wadi-Bastūra-Inschrift, die am Eingang eines Tun-

nels, der Wasser vom Wadi-Bastūra nach Arbail führte, angebracht wurde, Bagg 2000, 225 f.

gen gemeint sind: »Was sonst noch von Hiskia zu sagen ist, von all seiner kriegerischen Tüchtigkeit und wie er den Teich und die Wasserleitung gebaut und das Wasser in die Stadt geleitet hat, das steht in der Chronik der Könige von Juda«42, und ferner: »Hiskia war es auch, der den oberen Ausfluss des Gihon-Wassers zuschütten und dieses nach der Westseite der Davidsstadt hinunterleiten ließ«43. Der Ruhm seiner Was-serbauten lebte mehrere Jahrhunderte weiter, wie wir aus dem Buch des Jesus Sirach (und ferner aus dem Talmud44) er-

fahren: »Hiskia befestigte seine Stadt, indem er Wasser in sie hineinleitete. Mit Erz durchschlug er die Felsen und dämmte den Teich mit Bergen ein«45.

Bisher ist die »Siloah-Inschrift« die einzige vollständig er-haltene Monumentalinschrift aus Hiskias Zeit. Auffällig ist die Tatsache, dass die technische Leistung selbst, nämlich der Tunnelbau im Gegenortverfahren, hervorgehoben wird, jedoch der Bauherr, wie in der altorientalischen Überliefe-rung üblich, nicht genannt ist46. Fragmente von Monumen-

Abb. 5 Die Anlagen in der Umgebung der Gihon-Quelle (nach Reich – Shukron 1999, 31).

Ariel M. Bagg264

47 Reich – Shukron 2008; Shanks 2009. 48 Reich – Shukron 2008, 49. 49 Naveh 2000, 1 f. 50 Naveh 1982; Renz – Röllig 1995, 266 f. (Jer [7], 39). 51 Shanks 1999; Shimron 2004 contra Faust 2003. 52 2 Sam 5, 8. 53 Übersetzung d. Verf. 54 HAL 369. Peleg 2001, 155 schlägt als Übersetzung »jeder, der …

das s.innor berüht« vor.

55 Übersetzung d. Verf. 56 HAL 971 f. (Etymologie unbekannt). 57 Ps 42, 8. 58 Grewe 1998, 58 – 69. 59 Die im assyrischen Bereich bezeugten Tunnel aus dem 7. Jh. v. Chr.,

nämlich Sanheribs Wadi-Bastūra-Tunnel (Bagg 2000, 225 f.) und Asarhaddon Nagūb-Tunnel (Bagg 2000, 234 – 236) wurden im Licht-lochverfahren gebaut. Zu einem möglichen Technologietransfer von Palästina nach Assyrien s. Bagg 2004.

talinschriften, die in Jerusalem gefunden wurden, könnten ebenfalls von Hiskias Bautätigkeit – sogar im Bereich der Wasserversorgung – zeugen. Im Februar 2008 wurde ein kleines Fragment (ca. 13,5 cm × 9,5 cm × 4,5 cm) einer Monu-mentalinschrift aus Kalkstein in der Davidstadt gefunden47. Nur sechs Buchstaben auf zwei Zeilen sind erhalten, die dem Duktus der »Siloah-Inschrift« entsprechen. Die Inschrift kann paläographisch sowie durch Keramikfunde, die im gleichen Bauschutt gefunden wurden, in das 8. Jh. v. Chr. datiert wer-den. Obwohl andere Möglichkeiten bestehen, könnte in Z. 1 [h. z]qyh[w], also h. izqijjāhû »Hiskia«, und in Z. 2 [br]kh »Becken« ergänzt werden48. Ein weiteres Fragment wurde ebenfalls in der Davidstadt, ca. 130 m südwestlich von der Fundstelle des zuerst genannten Fragments, gefunden49. Die unterschied-lichen Steinarten deuten auf zwei verschiedene Inschriften hin, aber der Duktus ist in beiden sehr ähnlich.

Das Fragment einer dritten Inschrift (ca. 27 cm × 24 cm × 9 – 10 cm) – mit einem flachen Meißel in weichen Kalkstein gemeißelt – wurde 1982 südlich vom Tempelberg im Schutt eines byzantinischen Gebäudes gefunden. Vier unvollstän-dige Zeilen sind erhalten50. Paläographisch wird die Inschrift an den Anfang des 7. Jh. v. Chr. datiert, d. h. in Hiskias letzte Jahre oder in die Regierungszeit des Manasse. Auf Z. 2 kann man deutlich hmym »das Wasser« lesen, was auf Wasserbau-ten hindeuten könnte.

Auslöser einer Diskussion, die über mehr als ein Jahrhun-dert andauerte, war die Entdeckung eines Schachtes in der Nähe der Gihon-Quelle im Jahr 1897, der nach seinem Ent-decker Charles Warren »Warren-Schacht« genannt wurde (Abb. 4). Es wurde lange spekuliert, ob dieser Schacht, der als Teil eines Wasserversorgungssystems betrachtet wurde51, der biblische s. innôr war, der im Zusammenhang mit Davids Eroberung von Jerusalem erwähnt wird52. Man stützte sich dabei auf Übersetzungen des hebräischen Textes, wonach Joab, einer von Davids Kriegern, durch einen Schacht (s. innôr) in die Stadt aufgestiegen sein sollte. Als Warrens Schacht entdeckt wurde, machte man schnell die Gleichung s. innôr = Schacht = Eroberung von Jerusalem = Warren-Schacht auf.

In 2 Sam 5, 8 liest man aber: »Und David sagte an die-sem Tag: jeder, der einen Jebusiter schlägt und sich beim s. innôr bemüht (weyigga‘ bas. innôr)«53. Die Passage ist schwer zu übersetzten, da es sich einerseits um ein Anakoluth, d. h. um einen unvollständigen Satz, handelt und andererseits der Sinn der Verbalwurzel *yg‘, die ansonsten »müde werden, sich mühen um« bedeutet54, in diesem Zusammenhang un-klar ist. Auf jeden Fall steht die Wurzel in keinem Zusammen-hang mit »hinaufsteigen«. Zu dieser Deutung kommt man

nur dann, wenn man diese Passage mit einer anderen kom-biniert. In 1 Chr 11, 6 steht: »Und David sagte an diesem Tag: ›jeder, der als erster einen Jebusiter schlägt, soll Hauptmann und Anführer sein.‹ Und Joab, der Sohn des Zeruja, stieg zu-erst auf und wurde Hauptmann«55. Die hier verwendete Ver-balwurzel *‘lh bedeutet in der Tat »aufsteigen«, doch sie steht nicht im Zusammenhang mit einem s. innôr. Es ist überhaupt schwer zu sagen, was das Wort s. innôr eigentlich bedeutet56. In der hebräischen Bibel ist es nur noch ein Mal im Plural mit der Bedeutung »Wasserstürze«57 belegt. Im Mittelhebräischen ist s. innôr u. a. als »Rohr« bezeugt und wird mit dieser Bedeu-tung noch heute in Iwrit benutzt. Wahrscheinlich handelte es sich um einen terminus technicus für eine Art von Kanalisa-tion, vielleicht eine Abfluss- oder Dachrinne.

Fassen wir zusammen: Nichts deutet im Text darauf hin, dass ein s. innôr ein Schacht war oder dass jemand durch ihn gestiegen ist. Darüber hinaus war der Warren-Schacht eine natürliche Höhlung, die zu Davids Zeit nicht zugäng-lich war und außerdem nie dazu verwendet wurde, Wasser zu schöpfen. Aufgrund der Betrachtung des Originaltextes und der neuen archäologischen Befunde gehört die Glei-chung »s. innôr = Schacht = Eroberung von Jerusalem = Warren-Schacht = Teil eines unterirdischen Wasserversor-gungssystems« endgültig zur Forschungsgeschichte. Wie der oben behandelte Fall von Gibeon zeigt dieses Beispiel, dass Untersuchungen im Bereich der altorientalischen Tech-nikgeschichte nur auf Originalquellen basieren können, da Übersetzungen oder Sekundärliteratur zu fatalen, beharrlich tradierten Interpretationsfehlern führen können.

Hiskias Tunnel stellt eine Meisterleistung des altorien-talischen Tunnelbaus dar, die dem berühmten Tunnel des Eupalinos auf der Insel Samos etwa 100 Jahre vorangeht58. Jedoch begann in Palästina bereits im 18.–17. Jh. v. Chr., also ca. 1000 Jahre vor dem Bau von Hiskias Tunnel, die Tradition des Tunnel- bzw. Stollenbaus in geschlossener Bauweise59, die im 1. Jt. v. Chr. in Israel und Juda ausführlich bezeugt ist. Den topographischen Gegebenheiten entsprechend entstand diese Technik aus der Notwendigkeit, die Wasser-versorgung der befestigten Städte in Altisrael in Kriegs-zeiten zu sichern, da sie vom Grundwasser und von Quellen abhängig war, die am Fuß der Siedlungshügel entsprangen. Auch das Gegenortverfahren ist in Jerusalem bereits in der Mittelbronzezeit bezeugt. Palästina liefert daher die frühes-ten Belege für diese technischen Innovationen im Bereich des Tunnelbaus, die von der damals unangefochtenen Fachkenntnis der Tunnelbauer in Israel und Juda zeugen.

Die Anfänge des Tunnelbaus: Wasserbauliche Anlagen im antiken Jerusalem 265

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Anschrift des Autors

Priv. Doz. Dr. phil., Ing. Ariel M. BaggSeminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients / AssyriologieRuprecht-Karls-Universität HeidelbergHauptstraße 12669117 HeidelbergGermany