Der kleine Urbanismus von Bogdan Bogdanovic

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16 17 Montag 17. März 2014 14:00 Uhr: Einführung, Organisation Hörsaal 12 Erich Raith, Kurt Smetana Vortrag Vladimir Vukovic Bogdan Bogdanovic und der kleine Urbanismus MiMi | Dichte Woche | Tag 1 | Einführung, Organisation, Vortrag

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Montag 17. März 2014 14:00 Uhr: Einführung, Organisation Hörsaal 12 Erich Raith, Kurt Smetana

Vortrag Vladimir Vukovic Bogdan Bogdanovic und der kleine Urbanismus

MiMi | Dichte Woche | Tag 1 | Einführung, Organisation, Vortrag

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...Zugegeben, Bogdan Bogdanovic hat sich nie als Städtebauer mit den

praktischen oder pragmatischen Problemen der Stadt, wie Verkehr oder Infrstruktur, beschäftigt. Das hat ihn nicht interessiert...

...Bei allen Diskussionen über die Zukunft der Stadt gibt’s für ihn einen gemeinsamen Nenner, das ist der Faktor Mensch. Weil, wie er gesagt hat, bleibt die Stadt sonst eine leere Szenografie...

...Er sagt, dass diese Art sich mit einem Türklopfer in einem Haus anzukündigen

viel menschlicher und viel persönlicher ist als eine elektrische Klingel zu drücken. Man merkt nach der Art des Klopfens ob ein Freund oder ein Feind kommt, ob er es eilig hat oder nicht, ob er gelangweilt oder besorgt ist, ob er Hilfe braucht oder nicht. Im Gegensatz dazu, sagt er, wirkt die elektrische Klingel zu technisch, zu vulgär. Die Unterscheidung des Klingelns könnte man höchstens als Morsezeichen unterscheiden – kurz oder lang...

Vladimir VukovicArchitekt | Universitätsdozent

Bogdan Bogdanovic und der kleine Urbanismus

...Bogdan Bogdanovic war keine unumstrittene Persönlichkeit...

...Bogdan Bogdanoivc war Architekt, gebaut hat er aber fast ausschließlich Denkmäler und geschrieben hat er viel. Als Universitätsprofessor hat er nebenbei eine private Dorfschule für die Philosophie der Architektur betrieben. (...) Bogdanovic war auch ein begeisterter, ungewöhnlicher Zeichner. Sein ganzer Nachlass (...) befindet ich in Wien im Archiv des Architekturzentrums und in der Nationalbibliothek. Er hat selbst gesagt: „Der kleine Urbanismus ist keine Wissenschaft, weil das würde gegen die Freiheit der Phantasie sprechen”...

...Für ihn war der Entwurfsprozess mit der Fertigstellung nicht fertig...

„ „

„„

...Es bestand eine klare Abgrenzung zum offiziellen Städtebau...

...Er hat sich selbst nie Urbanist oder Städtebauer genannt, sondern immer Urbanologe...

...In den Texten hat er über ganz persönliche Erlebnisse in der Stadt geschrieben. Z.B. über die Fassaden im Regen, über Hunde und Katzen, Gerüche, Geräusche in der Stadt, über das Trottoire, über das er immer gestolpert ist, über den Baum, unter dem er nachts saß, und so weiter, und so fort...

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Nicht zuletzt aufgrund seiner schriftstellerischen Tätigkeit zählte er zu den produktivsten und interessantesten Autoren Serbiens.

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Bogdan Bogdanovic und der kleine Urbanismus

Vortrag Wien | 17. März 2014

Im sozialistischen Jugoslawien der frühen 1950er-Jahre publizierte ein junger Architekt Texte über Städte und Städtebau, die mit der damals noch gültigen CIAM-Doktrin nicht konform gingen. Er veröffentlichte sie unter dem Titel Der kleine Urbanismus, als Gegensatz zum „großen Urbanismus”, wie er die damals übliche Praxis der Stadtplanung bezeichnete. Bogdan Bogdanović plädierte in seinen Essays

für die Rückkehr zu einem kleineren, menschengerechten Maßstab und für die Beschäftigung auch mit kleineren Problemen im Städtebau. Mit seiner kritischen Haltung gegenüber der Nachkriegsmoderne war er im internationalen Vergleich nicht der Einzige, aber in einem Land des „Realsozialismus” war er für einen Architekten damals durchaus eine Ausnahmeerscheinung. Bogdanovićs philosophisch-poetischer Zugang zur Stadtproblematik macht seine Texte bis heute ebenfalls einzigartig.

[Fig. 1]Vladimir Vuković und Bogdan Bogdanović (re.) im Literarischen Quartier der Alten Schmiede, Wien, 04. Juni 2007. Foto: Sascha Manowitcz

Als politischer Dissident und Gegner des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević musste Bogdan Bogdanović seine Heimat 1993 verlassen. In der Zeit des Wiener Exils stieß er auf großes Interesse der internationalen Öffentlichkeit. Schließlich war der Einundsiebzigjährige damals bereits bekannt als einstiger Bürgermeister Belgrads (1982-1986), langjähriger Universitätsprofessor und Dekan der Belgrader Architekturfakultät, Gründer einer „Privatschule für die Philosophie der Architektur” sowie als Architekt von über 20 Denkmalanlagen auf

Der kleine Urbanismus sei das Kind des „großen Urbanismus”, aber dieses Kind habe schon seinen eigenen Willen entwickelt. Der kleine Urbanismus sei keine Wissenschaft und er biete keine konkreten Lösungen an, denn das spreche gegen die Freiheit der Phantasie.

dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Nicht zuletzt aufgrund seiner schriftstellerischen Tätigkeit zählte er zu den produktivsten und interessantesten Autoren Serbiens.1

Der überwiegende Teil des literarischen Œuvres von Bogdan Bogdanović, das aus 18 Büchern und über 500 sonstigen bibliografischen Titeln besteht, behandelt das Thema von Stadt und Städtebau. Die Bekanntheit als schreibender Architekt errang er mit der Textreihe Mali urbanizam (Der kleine Urbanismus). Es handelte sich dabei um eine wöchentliche Kolumne, die in der Belgrader Zeitung Borba zwischen August 1956 und Februar 1958 sowie nach einer Pause zwischen Februar und Juli 1959 erschien.

Bogdanović erklärte die Namensgebung von Der kleine Urbanismus mit seiner Inspiration durch den Begriff aus dem Italienischen „architettura minore”. Diese Architektur komme nicht in den Schulbüchern vor, obwohl sie so schön und vollkommen sei, dass ihr die Bezeichnung „Architektur” zustünde. Der kleine Urbanismus sei das Kind des „großen Urbanismus”, aber dieses Kind habe schon seinen eigenen Willen entwickelt. Der kleine Urbanismus sei keine Wissenschaft und er biete keine konkreten Lösungen an, denn das spreche gegen die Freiheit der Phantasie. Die Aufgabe des kleinen Urbanismus sei, die „großen Urbanisten”, Architekten und Stadtbewohner zu einer neuen, neueren oder zumindest etwas

anderen Denkweise zu bewegen. Bogdanović schrieb in der Kolumne über Belange, mit denen sich die Autoren des „großen Urbanismus” nicht beschäftigten: über Fassaden im Regen, über handwerkliche Details an den Haustoren und Steinmauern, über halb erfrorene Hunde und Katzen, über Gerüche und Geräusche in der Stadt. Er nannte es „eine persönliche Stadttopologie”. 2 So wurden die Texte dieser Reihe mit Titeln versehen, wie z.B. Šumni grad (Die rauschende Stadt), Tradicija (Die Tradition), O spontanom (Über das Spontane), Grad u pejzažu (Die Stadt in der Landschaft), Veliki i mali gradovi (Über die großen und die kleinen Städte) etc.

Einen der Beiträge aus der Reihe Der kleine Urbanismus nannte Bogdanović Tri zvekira. Ins Deutsche könnte man das als Drei Türklopfer übersetzen, wobei der Klang des deutschsprachigen Pendants nicht ganz dem Klang des serbischen Originals entspricht. Das Wort „zvekir”, wie auch viele andere Turzismen in der heutigen serbische Sprache, erweckt gewisse nostalgische Gefühle, Erinnerungen an schon längst vergangenen Zeiten. Bogdanović beginnt den Text mit den Worten: „Diesmal werde ich nicht vorschlagen, wieder Türklopfer an Türen zu befestigen. Ich will aber auch keinen Rückzieher vor meinen Kritikern machen, die mir vorwerfen, Traditionalist und Romantiker zu sein. Diesen Vorschlag werde ich deswegen nicht machen, da ich gar nicht vorgehabt hatte, ihn in die Tat umzusetzen. Aber wenn wir schon beim Thema von Türklopfern sind, glaube ich, dass solch ein Vorschlag auch ganz gut zu rechtfertigen wäre. Also werde ich es doch versuchen ...”.3 In weiterer Folge schreibt der Autor ein Plädoyer für die nostalgischen Türklopfer mit der Begründung, dass der Mensch selbst im

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Atomzeitalter im tiefsten Inneren seines Wesens gleich wie vor hundert Jahren sei. Schon zwei, drei Bewegungen des Türklopfers durch die menschliche Hand würden einiges davon verraten, wer vor der Türe steht: Ob Freund oder Feind, ob er es eilig hat oder nicht, ob er gelangweilt oder besorgt ist, ob er Hilfe braucht... Im Gegensatz dazu sei die elektrische Klingel zu technisch und vulgär. Der Unterschied in der Art des Klingelns könne höchstens wie bei den Morsezeichen sein: kurz oder lang.

In einem anderen Artikel, Čar malih celina (Über die Schönheit des Kleinteiligen), brachte Bogdanović seine Befürwortung für das Kleinteilige im Städtebau zum Ausdruck. Nach den einführenden Worten: „Oft hat der Mensch das Bedürfnis, vor der inhumanen Dimension der Großstadt zu flüchten...”4 schreibt er gegen die großen Blockstrukturen in der Stadt, die das Problem der Orientierung und die Angst vor dem unüberschaubaren Raum mit sich bringen würden. Er setzt sich dafür ein, die Großstadt in kleinere Einheiten aufzuteilen, in eine Art urbane Zellen mit eigenen Identitäten, die zusammen das Gewebe der Stadt ausmachen würden. Im Sinne des heutigen städtebaulichen Vokabulars könnte man das als einen der frühen Ansätze des Konzeptes der polyzentrischen Stadt verstehen.

[Fig. 2]Zeitungsartikel Prevez (Der Steinmauerverband) aus der Rubrik Der kleine Urbanismus, in: Borba, Belgrad, 1957. Die meisten der Artikel waren mit Bogdanovićs eigenen Zeichnungen und/oder Fotos versehen. Hier sind auch seine Handnotizen zu sehen, die er für eine spätere Publikation erstellt hatte. Quelle: Privatarchiv Bogdanović

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Seine Erfahrung als Denkmalarchitekt lies Bogdanović in einigen seiner Texte erkennbar werden. Unter dem Titel Prevez (Der Steinmauerverband) schreibt er über die Schönheit und Vielfältigkeit des Bauens mit Stein: „Haben Sie schon jemals zugeschaut, wie eine Steinmauer entsteht? Das ist die schönste der vielen schönen Arbeiten am Bau. Eine Arbeit, die edel und würdevoll ist, beinahe wie ein uraltes Ritual. Allen voran müssen Sie lernen, dem Steinmetz bei der Arbeit genau zuzusehen. Schauen Sie auf seine Hände. Auf den ersten Blick bewegen sie sich langsam, als ob sie sich bei der Entscheidung schwertun würden, welchen Steinquader sie zuerst nehmen, von welcher Seite sie ihn anpacken ... Das macht einen guten Steinmetz aus ... Ein erfahrener Steinmetz arbeitet langsam, denn er weiß, dass es so am schnellsten geht. ...”.5 Jede Steinart, schreibt er weiter, habe einen dazu passenden Mauerverband. Außerdem sollten, laut einer alten Regel, der Stein und der Steinmetz aus derselben Gegend kommen. Als Architekt möge man auf die Steinmetze hören und nichts erzwingen. Es wäre wünschenswert, die Handwerkskunst der Steinmetze zu pflegen und zu erhalten, denn die Ornamentik von Steinmauern präge schließlich nicht unwesentlich das Bild der Stadt.

[Fig. 3]Denkmal für die jüdischen Opfer des Faschismus am Sephardischen Friedhof in Belgrad (1951-1952), das erste Bauwerk von Bogdanović. Foto: V. Vuković

Bogdanovićs erstes Bauvorhaben, das Denkmal für die jüdischen Opfer des Faschismus am Sephardischen Friedhof in Belgrad (1951-52), beeinflusste nicht nur seine weitere bauliche Tätigkeit, sondern stand auch in enger Verbindung mit dem Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Im Vorfeld des Projektes beschäftigte er sich intensiv mit der Geschichte des Judentums und dem Mystizismus der Kabbala. Diese Erfahrung sowie das Bauen mit Stein stellten einen wichtigen Wendepunkt in seinem beruflichen Leben dar. So sagte er: „Da fing erst meine Philosophie an. Ich

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schrieb, um bauen zu können, und ich baute, um schreiben zu können.”6 In seiner über 30-jährigen Tätigkeit als Denkmalerbauer arbeitete Bogdanović sehr eng und erfolgreich mit Steinmetzen zusammen. Mit Bewunderung sprach er über die Steinmetzpartie, mit der er eine seiner größten Denkmalanlagen im herzegowinischen Mostar verwirklicht hat. Wegen der unerträglichen Hitze arbeiteten die Steinmetze hauptsächlich abends und nachts. Ihre Arbeit im Mondschein begleitete fast immer ein Gesang, der den Rhythmus der Schläge vorgab.

[Fig. 4]Gedenkstätte in Mostar (1959-1965), Detail. Foto: V. Vuković

Im Jahr 1958 erschien Bogdanovićs erstes Buch Der kleine Urbanismus, das aus ausgewählten Artikeln der gleichnamigen Kolumne und dazu passenden Texten des Autors aus anderen Medien zusammengesetzt war, wie aus der Belgrader Zeitung Politika, dem Wochenmagazin NIN, Književne novine, Delo etc. Im Einführungskapitel Das Meisterhafte am kleinen Urbanismus zählt der Autor einige der „großen Meister des kleinen Urbanismus” auf, die in der Lage waren, sich einerseits mit kleinen Problemen des Städtebaus zu befassen, andererseits sich aber auch bis ins kleinste Detail in die Problematik zu vertiefen. Wie das geht, habe schon Donato Bramante mit seiner Arbeit am Cortile del Belvedere im Vatikan gezeigt, einem „Meisterwerk des kleinen Urbanismus” aus dem 16. Jahrhundert. Oder ein neueres Beispiel: Aufgrund der baulichen Veränderungen Jože Plečniks an der Prager Burg und in seiner Heimatstadt Ljubljana preist Bogdanović die unaufdringliche und angemessene Art des slowenischen Architekten hoch, der Poesie und Schönheit kleiner städtischer Räume habe erkennen und hervorheben können. Den britischen Architekten und Zeichner Gordon Cullen, der 1961 das Buch Townscape (in späteren Auflagen: The Concise Townscape) herausgab, qualifiziert

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Bogdanović als großen Urbanisten und Zeichner, der die Wichtigkeit von minuziösen städtebaulichen Sequenzen erkannte und hervorragend zeichnerisch präsentierte. Cullens Zeichnungen seien gepflegt, inspirativ, suggestiv und ihre Aussagekraft sei mit Piranesis Arbeiten vergleichbar. 7

Laut eigener Aussage fand Bogdanović ein Vorbild für den Kleinen Urbanismus in der Publikationsreihe Les Minutes Parisiennes. Verschiedene Schriftsteller schrieben um 1900 je einen kleinen Essay über jede der vierundzwanzig Stunden des Pariser Lebens. Sie kletterten auf die Dachböden, sprachen mit den zum Tode Verurteilten, steckten ihre Nase in die Gerichtssäle, Druckereien, Wäschereien, Werkstätten, Beichtstühle und notierten dabei Fragmente von Gesprächen und andere Einzelheiten. Obwohl diese Bücher anscheinend banale Themen behandelten, bezeichnete sie Bogdanović als sehr feinfühlig und lobte ihren persönlichen, poetischen Zugang zum Erlebnis der Stadt. 8

Die Reaktionen auf Bogdanovićs Texte aus dem Kleinen Urbanismus waren im damaligen Jugoslawien bei weitem nicht nur positiv. Vielen etablierten Fachleuten war seine Schreibweise äußerst suspekt. So protestierten z.B. einige vom Institut für Architektur und Städtebau Serbiens gegen „den bourgeoisen Ästhetizismus und den westlichen Einfluss” und verlangten die Einstellung der Kolumne.9 Die Antwort der Redaktion der Zeitung Borba war – mit Verweis auf die Pressefreiheit – negativ. Die Kolumne erschien weiter.

Nach dem Kleinen Urbanismus befasste sich Bogdanović auch in den meisten seiner folgenden literarischen Werke mit dem Thema Stadt. Besonders hervorheben muss man folgende Bücher: Urbanistische Mythologeme (serb. Original: Urbanističke mitologeme, 1966), eine Abhandlung über die Rolle von Mythen in der Geschichte der Stadtentwicklung; Urbs & Logos (1976), eine Zusammenstellung der Essays zum Thema Symbole in der Stadt und Zukunft der Stadt; Ein Glossar der Stadtphänomene (Gradoslovar, 1982) ist ein Werk mit vielen alphabetisch geordneten Begriffen zum Thema Stadt. Die Bücher aus der Wiener Phase (ab 1993) sind ebenfalls vorwiegend dem Thema Stadt gewidmet. Einige ältere Texte wurden hier zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt und mit vielen aktuellen Themen ergänzt. Angesichts der Jugoslawienkriege der 1990er kommt am Anfang dieser Phase besonders häufig das Thema der Stadtzerstörung vor, mit vielen historischen Beispielen, Parallelen und Überlegungen. So kam die sog. Wiener Trilogie im Wieser Verlag zustande: Die Stadt und der Tod (1993), Architektur der Erinnerung (1994) und Die Stadt und die Zukunft (1997). Etwas später kam im Zsolnay Verlag noch ein sehr empfehlenswertes Buch mit vielen interessanten Reiseberichten aus europäischen Städten heraus: Vom Glück in den Städten (2002).

Bogdanovićs kritische Haltung gegenüber der damaligen städtebaulichen Doktrin und seine Fürsprache für die Rückkehr zu einem menschengerechten Maßstab hören sich auch heute, 60 Jahre danach, immer noch aktuell an. Dieser Standpunkt war eine ungewöhnliche Erscheinung im damaligen Serbien, aber global gesehen war er nicht der Einzige. Die Kritik der Moderne setzte schon in den

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Bogdanovićs kritische Haltung gegenüber der damaligen städtebaulichen Doktrin und seine Fürsprache für die Rückkehr zu einem menschengerechten Maßstab hören sich auch heute, 60 Jahre danach, immer noch aktuell an.

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Nachkriegsjahren an. So kristallisierte sich schon in den 1950ern im Rahmen der CIAM eine Gruppe damals jüngerer Architekten heraus, die die Dogmatik der Vertreter der klassischen Moderne kritisierte und schließlich die Auflösung der CIAM herbeiführte (Otterlo, 1959). Auch das schon erwähnte Buch von Gordon Cullen (Townscape, 1961) deutete eine neue Umgangsform mit der Stadtproblematik an. In demselben Jahr publizierte die amerikanisch-kanadische Journalistin Jane Jacobs ihr berühmtes Werk The Death and Life of Great American Cities, das mit der Dogmatik der Charta von Athen endgültig abrechnete. Nicht zuletzt zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang Alexander Mitscherlichs Die Unwirtlichkeit unserer Städte (1965) sowie die Arbeiten von Leopold Kohr wie z.B. Probleme der Stadt, bestehend aus Zeitungsbeiträgen, die z.T. schon in den 1950ern entstanden sind und erst viel später in Buchform veröffentlicht wurden.

Bogdanović kannte die meisten der damals nach Veränderungen suchenden Tendenzen in der Architektur und Stadtplanung gut, kommentierte sie aber weder, noch knüpfte er an sie direkt an. Er entwickelte seine eigenen Theorien, die für einen Architekten jener Zeit ungewöhnlich abstrakt waren. Er befasste sich nie oder kaum mit den praktischen Problemen der Stadtplanung wie Verkehr, Infrastruktur, Sozialem etc. Besonders in der damaligen jugoslawischen Gesellschaft kamen seine Texte vielen zu bürgerlich und zu abgehoben vor. In der Zeit des wirtschaftlichen und politischen Aufbaus des sozialistischen Jugoslawien forderten ihn Kritiker auf, sich als Architekt mehr mit der Praxis zu beschäftigen. Bogdanovićs Schriften über Städte waren aber keine praxisorientierten Stadttheorien. Das war auch nie sein Ziel. Er verstand sich als Poet der Stadt, der über das Fachwissen eines Architekten verfügte, das er aber nie in den Vordergrund stellte.

Die Wurzeln der schriftstellerischen Tätigkeit von Bogdan Bogdanović sind in seiner Familienherkunft zu finden. Als Sohn zweier Belgrader Intellektueller (der Vater war Literaturkritiker und Direktor des Nationaltheaters) kam er schon in seiner Jugend mit vielen Schriftstellern der damaligen literarischen Avantgarde in Kontakt. Besonders die Begegnung mit den Vertretern des Surrealismus hat sein späteres literarisches Werk nachhaltig geprägt. Dieser Einfluss war beinahe in seinem gesamten Lebenswerk spürbar und letztendlich sehr deutlich in seiner Abschiedsvorlesung an der Belgrader Architekturfakultät unter dem Titel: Architekturtheorie – Wissenschaft oder Gnosis? 10 in Worte gefasst. Bei dieser Gelegenheit sprach sich der langjährige Universitätsprofessor gegen den trockenen wissenschaftlichen Zugang zur genannten Problematik und gegen das eindeutige und endgültige Wissen aus. Hingegen bekannte er sich zur Vielfältigkeit und zu einer neuen, ungewöhnlichen, anderen Art die Welt, Städte und Zivilisationen zu lesen. Er veranschaulichte seine Aussagen mit der Allegorie eines imaginären Tempels, dessen Sockelgeschoß er Doxa nannte, während die darüber liegende Beletage für Episteme stand. Diese zwei unteren Geschoße stellen das notwendige rationale Wissen dar, die solide Basis des „Gebäudes”, in dessen unterirdischen Etagen der dunkle Keller des Kanons und noch weiter unterhalb der „Abflusskanal” des Dogmas existieren. Oberhalb dieser Basis und weit oberhalb des Untergrunds befinden sich die „Springbrunnen” der Gnosis und der Weisheit, die für neue Erkenntnisse weit und unendlich nach oben geöffnet sind.

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Bogdanovićs Texte, so wie seine Bauten und Unterrichtstätigkeit, prägten nachhaltig Generationen von Architekten in Serbien, Jugoslawien und darüber hinaus. Aufgrund der zeitlichen und kulturellen Universalität dieser Werke ist mit ihrem Einfluss auch in Zukunft zu rechnen. Ein Charakteristikum des literarischen Schaffens Bogdanovićs ist, dass es zwischen zwei Ländern und zwischen zwei Sprachen aufgeteilt ist. Einige seiner Bücher sind nach wie vor ausschließlich auf Serbisch und die anderen ausschließlich auf Deutsch verfügbar. Es wäre in der näheren Zukunft wünschenswert, auch die restlichen Werke ins Deutsche zu übersetzen. Angesichts der wieder erlangten Aktualität des Themas würde sich das Buch Der kleine Urbanismus dafür sehr gut eignen.

Referenzen1 Ausführlicher über Bogdan Bogdanović und sein Werk siehe im Buch: Vladimir Vuković, Bogdan Bogdanović, Verlag Anton Pustet, Salzburg, 2009. 2 Vgl.: Bogdanović, Mali urbanizam, 1958, S. 5, 6. 3 Bogdanović: Tri zvekira, in: Borba, Belgrad, 05.07.1957 (Übers. d. Verfassers). 4 Bogdanović: Čar malih celina, in: Borba, Belgrad, 07.02.1958 (Übers. d. Verfassers).5 Bogdanović: Prevez, in: Borba, Belgrad, 12.07.1957 (Übers. d. Verfassers).6 Bogdanović: Aus dem Interview mit dem Verfasser, Belgrad, August 2005. 7 Vgl.: Bogdanović, Mali urbanizam, 1958, Kapitel: Majstorije malog urbanizma, S. 11 sowie S. 18-20.8 Vgl.: Bogdanović, Gradoslovar, 1982, S. 380, serb. Original: „gradoslovna” (Übers. d. Verfassers). 9 Bogdanović: Aus dem Interview mit dem Verfasser, Belgrad, August 2005.10 Orig.: Arhitektonska teorija – nauka ili gnoza?, Belgrad, Juli 1987. Videoaufnahme der Vorlesung vorhanden.

LiteraturPrimärliteratur:Bogdanović, Bogdan: Mali urbanizam (Der kleine Urbanismus), Narodna prosvjeta, Sarajevo, 1958 [Serbisch, Lateinschrift]

Bogdanović, Bogdan: Architektur der Erinnerung, Wieser Verlag, Klagenfurt, 1994 [Deutsch, Übers. aus dem Serbischen: Klaus Detlef Olof]

Bogdanović, Bogdan: Die Stadt und die Zukunft, Wieser Verlag, Klagenfurt, 1997 [Deutsch, Übers. aus dem Serbischen: Klaus Detlef Olof]

Bogdanović, Bogdan: Vom Glück in den Städten, Zsolnay Verlag, Wien, 2002 [Deutsch, Übers. aus dem Serbischen: Barbara Antkowiak]

Sekundärliteratur:Vuković, Vladimir: Bogdan Bogdanović. Das literarische Werk, Verlag Anton Pustet, Salzburg, 2009

Vuković, Vladimir: Bogdanović als Schriftsteller und Architekturtheoretiker, in: Memoria und Utopie in Tito-Jugoslawien, Architekturzentrum Wien & Wieser Verlag, Klagenfurt, 2009, S. 46-52.

Vuković, Vladimir: Writing about Cities, in: Serbian Architectural Journal, Nr. 2/2011, volume 3, 2011_No 1, Belgrad, April 2011 [Englisch, erhältlich in der Bibliothek des Architekturzentrums Wien]

Vuković, Vladimir: Architektura sećanja, in: Ljubiša Folić, Arhitektura hrama, Belgrad, 2012/2013 [Serbisch, Kyrilliza, über die Denkmäler von Bogdanović]

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