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Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems * Ulrich Leitner 1 Einleitung 1.1 Imperium als politischer Organismus „Imperium“ ist ein historischer Schlüsselbegriff. Er wird von den Geistes- wie Sozial- wissenschaften gleichermaßen als Bezeichnung für einen Herrschaftstypus bestimmter Art verwendet. Auf eine fundierte gemeinsame Definition, welche die spezielle Charakteristik dieser Herrschaftsform beschreiben würde, konnten sich beide Wissenschaftszweige bis- lang allerdings nicht einigen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Geisteswissenschaften – allen voran die Geschichtswissenschaft – an Fallstudien interessiert sind, während die Sozialwissenschaften – hier vor allem die Politikwissenschaft – theoretische Generali- sierungen vornehmen, um sich dem Phänomen „Imperium“ zu nähern. Einig scheinen sich beide Seiten lediglich darüber zu sein, dass sich ein Imperium trotz vielschichtiger Ver- schränkungen von einem modernen Nationalstaat unterscheidet. Während dieser als politi- scher Körper (status) gekennzeichnet werden könne, lasse sich das Imperium nicht als starre politische Einheit fassen, sondern stelle vielmehr einen politischen Organismus dar. 1 Der „imperiale Organismus“ wird von beiden Wissenschaften als Netzwerk verstanden, das wesentlich durch die interdependenten Beziehungen und prozesshaften Interaktionen struktureller Einheiten charakterisiert ist. Dieser Grundannahme folgend, steht sowohl für Historiker/innen als auch für Politolog/inn/en fest, dass ein Imperium durch die gegen- seitige Abhängigkeit verschiedenartiger Einheiten und durch Rückkoppelungssysteme – einen Kreislauf von actio und reactio – zusammengehalten wird. Völlig unterschiedliche Einheiten interagieren miteinander und bilden eine administrativ organisierte Gesamt- * Der vorliegende Aufsatz basiert auf der Dissertation „Imperium. Geschichte und Theorie eines politischen Systems“, Leitner 2011. Ich bedanke mich bei meinen Betreuern, dem Althistoriker Christoph Ulf und dem Politologen Gerhard Mangott, für die konstruktive Kritik bei der Ausgestaltung des hier erarbeiteten theoretischen Modells. Robert Rollinger sei für die Möglichkeit gedankt, es im Rahmen dieses Bandes vorstellen zu dürfen. 1 Als Einführung in antike und moderne Staatsformen dienen Moraw/v. Aretin/Hammerstein/Conze/ Fehrenbach 1984, Gebhardt/Münkler 1993, Breuer 1998, Gallus/Jesse 2004; einen Einstieg in die politologisch-theoretische Imperiumsdebatte bieten Menzel 2004, Zürn 2007, Layne/Thayer 2007; Versuche zur Konzeptionalisierung imperialer Macht finden sich bei Eisenstadt 1963, Doyle 1986, Breuer 1987, Osterhammel 2002, Münkler 2005, Maier 2006, Jarausch/Kleßmann 2006, Motyl 2007.

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Der imperiale Ordnungskomplex Die theoretische Fiktion eines politischen Systems∗

Ulrich Leitner

1 Einleitung

1.1 Imperium als politischer Organismus

„Imperium“ ist ein historischer Schlüsselbegriff. Er wird von den Geistes- wie Sozial-wissenschaften gleichermaßen als Bezeichnung für einen Herrschaftstypus bestimmter Art verwendet. Auf eine fundierte gemeinsame Definition, welche die spezielle Charakteristik dieser Herrschaftsform beschreiben würde, konnten sich beide Wissenschaftszweige bis-lang allerdings nicht einigen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Geisteswissenschaften – allen voran die Geschichtswissenschaft – an Fallstudien interessiert sind, während die Sozialwissenschaften – hier vor allem die Politikwissenschaft – theoretische Generali-sierungen vornehmen, um sich dem Phänomen „Imperium“ zu nähern. Einig scheinen sich beide Seiten lediglich darüber zu sein, dass sich ein Imperium trotz vielschichtiger Ver-schränkungen von einem modernen Nationalstaat unterscheidet. Während dieser als politi-scher Körper (status) gekennzeichnet werden könne, lasse sich das Imperium nicht als starre politische Einheit fassen, sondern stelle vielmehr einen politischen Organismus dar.1

Der „imperiale Organismus“ wird von beiden Wissenschaften als Netzwerk verstanden, das wesentlich durch die interdependenten Beziehungen und prozesshaften Interaktionen struktureller Einheiten charakterisiert ist. Dieser Grundannahme folgend, steht sowohl für Historiker/innen als auch für Politolog/inn/en fest, dass ein Imperium durch die gegen-seitige Abhängigkeit verschiedenartiger Einheiten und durch Rückkoppelungssysteme – einen Kreislauf von actio und reactio – zusammengehalten wird. Völlig unterschiedliche Einheiten interagieren miteinander und bilden eine administrativ organisierte Gesamt-

∗ Der vorliegende Aufsatz basiert auf der Dissertation „Imperium. Geschichte und Theorie eines politischen Systems“, Leitner 2011. Ich bedanke mich bei meinen Betreuern, dem Althistoriker Christoph Ulf und dem Politologen Gerhard Mangott, für die konstruktive Kritik bei der Ausgestaltung des hier erarbeiteten theoretischen Modells. Robert Rollinger sei für die Möglichkeit gedankt, es im Rahmen dieses Bandes vorstellen zu dürfen.

1 Als Einführung in antike und moderne Staatsformen dienen Moraw/v. Aretin/Hammerstein/Conze/ Fehrenbach 1984, Gebhardt/Münkler 1993, Breuer 1998, Gallus/Jesse 2004; einen Einstieg in die politologisch-theoretische Imperiumsdebatte bieten Menzel 2004, Zürn 2007, Layne/Thayer 2007; Versuche zur Konzeptionalisierung imperialer Macht finden sich bei Eisenstadt 1963, Doyle 1986, Breuer 1987, Osterhammel 2002, Münkler 2005, Maier 2006, Jarausch/Kleßmann 2006, Motyl 2007.

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struktur, für welche das Imperium Romanum das Paradebeispiel darstelle. Die Verkettung dieser Faktoren führe aber zu einer Eigendynamik, die nicht zentral gesteuert werden könne. Der „imperiale Organismus“ befinde sich somit in seinem Werden und seiner Existenz in einer ständigen Krisensituation, wie es Michael Hardt und Antonio Negri aus-drücken.2

Werden diese allgemein vorausgesetzten Annahmen in ein Bild gebracht, so lässt sich der „imperiale Organismus“ als eine Teigmasse beschreiben; ein sehr elastisches Gemisch, das ständig geknetet und geformt werden muss, damit es aufgehen kann. Mit den richtigen Zutaten dehnt es sich stark aus, die falschen jedoch verhindern den Aufgang und lassen die Teigmasse in sich zusammenfallen. Diese Charakterisierung macht es äußerst schwierig, einer imperialen Macht Merkmale zuzuordnen, um „Imperium“ als analytische Kategorie für die Analyse historischer Fallbeispiele fruchtbar nutzen zu können, denn ein Organismus kann nicht definitiv fixiert werden. An ein historisches Fallbeispiel aber ohne ein ausge-reiftes theoretisches Konzept herangehen zu wollen, hat sich als unzureichend herausge-stellt. Davon zeugen zahlreiche aktuelle politikwissenschaftliche und historische Analysen, welche auf das undurchsichtige Denkmodell eines imperial overstretch mit Bezug auf Paul Kennedys Buch The Rise and Fall of the Great Powers von 1987 zurückgreifen, um die amerikanische Machtfülle im internationalen System in Analogie zum römischen Imperium zu beschreiben.3

In den meisten dieser Untersuchungen wird ein Imperium als eine hierarchische Ordnung gekennzeichnet, die auf ein Merkmal reduziert wird, nämlich Asymmetrie. Die politischen Eliten der stärksten Einheit – des Zentrums – versuchen auf die politischen Kräfte der schwächeren Einheiten – den Peripherien – in irgendeiner Form Einfluss zu nehmen und den eigenen Herrschaftsverband dadurch auszudehnen. Bauen Analysen auf diese vage Definition, gilt ihr Hauptinteresse der Frage, ob es einer im politikwissenschaft-lichen Fachjargon als hyperpower bezeichneten Macht – gerne als Nabe eines Rades vor-gestellt – gelingt, die Speichen an sich zu binden und eine Allianzenbildung gegen sich zu verhindern; denn nur mit Hilfe von treuen „Vasallen“ könne die zentrale Macht ein Boll-werk gegen so genannte „Barbaren“ bilden.

In derartigen Analysen wird mit einer mentalen Zweiteilung der Welt in Zivilisierte und „Barbaren“ als zentrale politische Handlungseinheiten gearbeitet, wobei die Begriffe „Imperium“ und „imperial“ damit auf überzeitliche Phänomene festgelegt werden. Am Höhepunkt der Macht des Imperiums, welcher durch dessen höchste erreichbare geographi-sche Ausdehnung gekennzeichnet wird, greift die imperiale zyklische Zeitverlaufsvorstel-lung: auf Expansion folgt „Niedergang“.4 Die imperiale Zeit und der imperiale Raum sind so untrennbar miteinander verwoben und bedingen einander. Eine solche Herangehens-weise strebt danach, den „imperialen Organismus“ durch einen imperialen Tiefencode in einem Zug erklären zu wollen.

Das bekannteste Beispiel hierfür ist Herfried Münklers Versuch der Logik der Weltherr-schaft auf den Grund gehen zu wollen, wobei er mit dem Hinweis auf historische Schwel-

2 Hardt/Negri 2000, 36. 3 Einen Überblick liefern Speck/Sznaider 2003, Jaberg/Schlotter 2005, Sandschneider 2007, Leitner

2010. 4 Leitner 2010.

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lenzeiten als Analyseeinheiten und der Regenerierbarkeit imperialer Macht als Analyse-kriterium den organologischen Zyklen fruchtbare Gedanken abgerungen hat.5 Das entscheidende Moment dieser Denkmodelle ist dabei nicht ihr utopisch-idealer Charakter, sondern der Glaube durch denselben die arcana imperii – oder vielmehr die Geheimnisse der historischen Wirklichkeit an sich – entschlüsseln zu können. Doch eine theoretische Utopie, welche im Sinne des Weber’schen Idealtypus durch die „gedankl iche Steigerung bestimmter Elemente der Wirklichkeit gewonnen ist“, kann im historischen Arbeitsprozess nur dann nützliche Dienste leisten, wenn sie explizit als idealtypisch gedachtes Hilfsmodell verstanden wird, dessen Aufgabe darin liegt, an historischen Quellen erprobt und durch diese bestätigt oder widerlegt zu werden.6 Die Erforschung der Imperialität eines politi-schen Systems stellt folglich ein interdisziplinäres Unternehmen dar, bei dem sozialwissen-schaftliche Theorieansätze und die historisch-empirische Forschung ineinandergreifen.

1.2 Der imperiale Ordnungskomplex

Für die Ausarbeitung des idealtypischen Rahmens imperialer Macht, auf den sich empiri-sche Untersuchungen stützen können, ist es hilfreich, den sich verändernden Charakter des Imperialen im Blick zu haben; das vorrangige Interesse gilt im Folgenden jedoch der Erarbeitung einer Systematik zentraler Variablen. Da diese in der Beschreibung imperialer Zyklen zu verschwimmen drohen, muss die prozessuale Veränderung des „imperialen Organismus“ angehalten werden, denn zentrale Variablen lassen sich nur in einem Quer-schnitt sichtbar machen, einer Momentaufnahme. Um typisch imperiale Phänomene als einen Idealtypus imperialer Macht definieren zu können, wird für das im Folgenden zu entwickelnde theoretische Modell der „imperiale Organismus“ daher mental eingefroren und dadurch zum Stillstand gebracht. Das Typische imperialer Macht ist dabei gerade ihre janusköpfige Gestalt: Sie prägt einerseits der so genannte „Zug zur Weltherrschaft“, ein imperialistisches „Streben nach Vorherrschaft und Unterwerfung“, und andererseits die imperiale „hoheitliche Herrschaft“.7 Wird ein Imperium theoretisch gefasst, muss es folg-lich aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: erstens als eine politische Einheit, geprägt durch Strukturen, und zweitens als “phase of state formation”, geprägt durch Prozesse.8

Die theoretische Beschreibung imperialer Macht durch die Zuordnung zentraler Merk-male erfordert, die Strukturen und Prozesse getrennt aus dem „imperialen Organismus“ herauszuoperieren und zu charakterisieren. Diese Vorgehensweise verlangt nach einem vereinfachten Modell, das zentrale Variablen imperialer Macht aus einem Geflecht von negativen Konnotationen und vorprogrammierten Abläufen imperialer Zyklen entwirrt. Diese Modellbildung stellt kein apodiktisches Dogma dar, sondern ist darauf vorbereitet, durch historische Quellen geprüft und verfeinert oder widerlegt zu werden. Sie erhebt für sich – mit den Worten Michel de Certeaus – nicht mehr als den Anspruch einer theoreti-schen Fiktion. Eine solche „erzählt eine Sache, um über diese wieder etwas anderes zu

5 Münkler 2005. 6 Weber 1904, 190. 7 Spann 19234, 384, Weber-Fas 2008, 126. 8 Scheidel 2006, 4.

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sagen, sie zeichnet sich in eine Sprache ein, von der sie unbegrenzt Sinneffekte bezieht, die sich weder umschreiben, noch kontrollieren lassen.“ Von dieser Sichtweise aus bricht die theoretische Fiktion eine wissenschaftliche Regel: „Sie ist jene Hexe, die das Wissen ständig klassifikatorisch fixieren und so aus seinen Laboratorien austreiben möchte. Hier ist sie nicht länger vom Zeichen des Falschen, des Unwirklichen oder des Artefakts geprägt. Sie bezeichnet eine semantische Verwirrung. Sie bildet die Sirene, gegen die sich der Historiker schützen muß, so wie der an den Mast gefesselte Odysseus.“ Trotzdem schreibt sich die theoretische Fiktion in die historische Arbeit als ein Diskurs ein, „der das Reale in eine Form bringt, nicht aber vorgibt, es zu repräsentieren, noch es sich anzurechnen.“ Dieser Charakter unterscheidet sie grundlegend „von einer Historiographie, die immer danach strebt, das Reale zu verkünden – und sich damit niemals davon lösen kann.“9

Für die Ausgestaltung der theoretischen Fiktion, die „Imperium“ als analytische Kate-gorie etablieren will, muss ein fiktiver Beobachter vorgestellt werden, der den „imperialen Organismus“, die imperiale Teigmasse, ein Gemisch bestehend aus Strukturen und Prozessen, vor sich ausrollt. Es fallen ihm drei dringende Fragen ein: Aus welchen Zutaten besteht die imperiale Teigmasse, wie ist die richtige Mischung dafür beschaffen und wie geht die Zubereitung von statten?

Um diese Fragen beantworten zu können, werden im Folgenden drei forschungsleitende Thesen aufgestellt, die sich an gängigen Imperiums-Definitionen orientieren. Sie stellen den Ausgangspunkt der Untersuchung dar und können folgendermaßen zusammengefasst werden: Ein vertikaler und ein horizontaler Integrationsprozess formen die imperialen Strukturen aus. Sie bilden die Hauptmasse des imperialen Teiges, dem die imperiale Selbst-sicht seine ideale Form verleiht. Von diesem Standpunkt ausgehend werden theoretische Basisargumente vorgestellt, welche die Grundlage für die Ausformulierung von drei Kon-zepten imperialer Macht bilden. Diese beschreiben nicht ein mit vielen kontroversen Sinn-inhalten konnotiertes „Imperium“ oder eine zyklisch gedachte imperiale Logik, sondern zeichnen vielmehr die Verbindungslinien zweier Grundelemente imperialer Macht nach: die Konnexe zwischen imperialen Strukturen und imperialen Prozessen. Diese Ver-bindungslinien sind die Hauptstränge, welche die imperiale Macht ordnen und zusammen-halten und damit zu einem politischen System machen. Das derart definierte imperiale politische System nennt die vorliegende Analyse den imperialen Ordnungskomplex.

2 Drei Thesen

These 1: Die Interaktionslinien zwischen den Strukturen und den Prozessen im Inneren und dem internationalen Umfeld machen den imperialen Ordnungskomplex zu einem politischen System besonderer Art.

Die erste These, welche die vorliegende Untersuchung leitet, ist die Annahme, dass der imperiale Ordnungskomplex – in die sozialwissenschaftliche Terminologie gebracht – ein

9 de Certeau 1987, 62–63.

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politisches System ist. Um herauszufinden, welche Ebenen es aufweist und welche Merk-male diese prägen, werden bekannte Definitionsversuche imperialer Macht herangezogen. Es lassen sich einerseits politikwissenschaftliche Definitionen finden, welche das Imperiale auf einer globalen (besser international-systemischen) Ebene anlegen; und es lassen sich historisch-soziologische Definitionsversuche ausmachen, welche nach imperialen Charakte-ristika innerhalb politischer Einheiten suchen. Beide tragen dazu bei, den imperialen Ordnungskomplex als politisches System besser fassen zu können. Zuvor muss jedoch kurz skizziert werden, was im sozialwissenschaftlichen Theoriegebäude unter einem „politischen System“ zu verstehen ist.

Grundsätzlich kann ein politisches System als eine Gruppe von Einheiten (units) ver-standen werden, deren signifikante Interaktionen erlauben, sie in bestimmter Hinsicht als zusammengehörig anzusehen. Einheiten können „staatliche“, „nichtstaatliche“ und gesell-schaftliche Akteure (institutions) sowie politische Entscheidungsträger/innen (individuals) darstellen. Je nachdem welche Einheiten untersucht werden, ergeben sich drei verschiedene Sichtweisen.

a. Werden die Interaktionen zwischen „innerstaatlichen“ Einheiten untersucht, ist das so genannte interstate oder domestic system gemeint. In diesem Kontext ersetzt der Terminus „politisches System“ häufig den Begriff des „Staates“, der vielfach als zu eng und polemisierend angesehen wird.

b. Sind die Interaktionen verschiedener politischer Einheiten im globalen Kontext der Untersuchungsgegenstand, ist deren gemeinsamer Bezugspunkt das international system. Bilden die Einheiten innerhalb eines internationalen Systems Gruppen, welche vom Gesamtsystem durch ihre spezifischen Interaktions- und Interdependenzmuster zu-einander unterschieden werden können, werden diese als international subsystems be-zeichnet.

c. Wird das Beziehungsgeflecht aller menschlichen Interaktionsmuster untersucht, ist das gesamte soziale System, das interhuman system, Gegenstand der Analyse.10

Zunächst zu den politikwissenschaftlichen Definitionen: In der Politologie wird ein Imperium zumeist in Abgrenzung zu einem hegemonialen System charakterisiert. Das ent-scheidende Unterscheidungsmerkmal ist für die Analysen das Maß an Kontrolle bzw. Macht, welches die stärkste Einheit des Systems auf andere ausübt; dabei wird mit der Machtdefinition von Joseph Nye zwischen hard power (militärisch-wirtschaftliche Macht-ressourcen) und soft power (kulturell-ideologische Machtressourcen) unterschieden. Die politologischen Definitionen sind auf der Ebene des internationalen Systems angesiedelt und untersuchen die Verhaltensmechanismen von „Staaten“, die als powers bezeichnet werden und unterschiedliche Machtmöglichkeiten (capabilities) besitzen. Das Haupt-interesse gilt der Kategorisierung der powers als superpower, great power oder regional power, die miteinander interagieren, Allianzen bilden oder Gegenmachtbildungen an-streben. Die moderne Imperiums-Debatte hat dabei versucht, der amerikanischen Super-

10 Buzan/Jones/Little 1993, 29–30, Buzan/Little 2000, 69.

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macht durch ihren Einfluss auf nationalstaatliche Akteure und internationale Institutionen „imperiale Ambitionen“ zuzuschreiben.11

Michael Doyle hat in seinem Buch Empires eine in politikwissenschaftlichen Kreisen häufig zitierte Definition eines Imperiums entworfen. Demnach sei „Imperium“ ein Be-ziehungssystem zwischen einer Metropole und Peripherien, wobei er hervorhebt, die Imperialität einer Metropole zeige sich vor allem darin, dass sie nicht nur in die inter-nationalen Beziehungen der Peripherien eingreife, sondern auch in deren Innenpolitik.12 Während die meisten neueren politologischen Definitionen hier stehen bleiben und diese Bedingungen auf das internationale System und das Beziehungsgeflecht zwischen einer Supermacht und mehreren Groß- und regionalen Mächten übertragen, hat Doyle darüber hinaus einen nützlichen Beitrag zur Charakterisierung imperialer Macht mit der Unter-scheidung zwischen formaler und informeller imperialer Kontrolle der Metropole über die politische Entscheidungsfindung in den Peripherien in die Debatte eingebracht. Die formale Kontrolle sei zudem in eine direkte und eine indirekte zu trennen, wobei die Unter-scheidung in der Herkunft der politischen Eliten der peripheren Institutionen zu suchen ist. Werden diese vom Zentrum eingesetzt, handelt es sich um eine direkte, werden sie durch einheimische Personen besetzt, um eine indirekte formale Kontrolle. Doyles Imperiums-definition weist bereits darauf hin, dass die Imperialität eines Systems nicht lediglich auf die internationale Ebene reduziert werden darf, sondern sich gerade durch und über organi-satorische Strukturen im Inneren entfaltet. Historisch-soziologische Definitionen: Besondere Beachtung hat Samuel Eisenstadts Defi-nition von Imperien in der International Encyclopedia of the Social Siences gefunden. Er benennt zwei Bedingungen, die zur Ausformung eines Imperiums im Sinne einer historisch-bürokratischen Herrschaftsordnung führen:

a. eine neue Form einer Führungspersönlichkeit und einer Elite, die zentralen politischen Institutionen vorstehen und gemeinsam das politische Zentrum bilden sowie neue, stark differenzierte politische Ziele;

b. eine starke Stratifizierung, die eine politische Ausrichtung erfährt und dadurch be-stehende soziale und askriptive familiäre und ethnische Bindungen überschreibt.13

Stefan Breuer hat Eisenstadts Überlegungen weitergedacht und die Bedingungen imperialer Gründung in Zusammenhang mit dem von Max Webers Herrschaftssoziologie übernom-menen Begriff des „Patrimonialismus“ und dem Begriff „Stratifikation“ gebracht.14 Er hebt dabei hervor, dass „die Durchsetzung des Stratifikationsprinzips einhergeht mit einer Um-stellung der sozialen Synthesis auf primär politische Beziehungen, die dazu tendieren, alle anderen gesellschaftlichen Beziehungen politisch zu überformen und zu instrumen-talisieren.“15 Ein Imperium ist somit ein politischer Verband, kein gesellschaftlicher, wie Jürgen Osterhammel den imperialen Charakter eines Systems im Unterschied zur

11 Leitner 2011a. 12 Doyle 1986. 13 Eisenstadt 1968, 43. 14 Breuer 1988, 36. 15 Breuer 1982, 204.

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„nationalen“ Gesellschaft auf den Punkt bringt. Sein Versuch ein Imperium in Abgrenzung zu modernen Nationalstaaten zu charakterisieren, ist als prominentes Beispiel der neueren Definitionsversuche imperialer Macht hervorzuheben.16 Auch er schreibt die imperiale Gründung dem Leader und den Eliten, einer politisch mächtigen Gruppe, zu; eine An-nahme, die sich mit der imperialen Selbstsicht decke, so Osterhammel. Imperien führen sich nämlich selbst auf Gründungsakte erobernder Kriegskönige oder auf die Idee imperialer Fortsetzung (translatio imperii) zurück. Imperien seien daher „Geschöpfe von Eliten“. 17

In althistorischen Studien wird „Imperium“ vor allem als Rahmenbegriff für die sozio-politische „Gesamtstruktur“ der römischen Kaiserzeit verwendet. Mitte der 1970er Jahre hat Géza Alföldy mit seinem Schichten-Stände Modell der römischen Sozialstruktur eine rege Debatte um die theoretische Erfassung der römischen „Gesellschaft“ ausgelöst.18 In Reaktion auf Alföldys Annahmen sind etliche theoretische Modelle entstanden mit dem Ziel, die komplexe römische Sozialordnung unter dem Gesichtspunkt des Imperiums in einfache Analysekategorien einzuteilen. Eines davon stellt das Schichtenmodell von Karl Christ dar, der die römische „Gesellschaft“ nach imperialen Maßstäben gliederte, die er in der Zuschreibung von politischen Rollen innerhalb des Gesamtverbandes festmachte. Dieses Modell gewährt einen Einblick darauf, wie eine Gesellschaftsordnung ausgestaltet sein könnte, welche durch politische Kategorien einer imperialen Ordnung überformt wurde, weshalb es für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist. Christ unterscheidet zwischen einer imperialen Führungsschicht, einer imperialen Oberschicht und einer regionalen und lokalen Oberschicht, sowie einer darunter angesetzten öko-nomisch orientierten Klassifizierung, wenn er von Mittel- und Unterschichten spricht. Die Zugehörigkeit zu einer der oberen Schichten kennzeichnen aktive Leistungsfunktionen in Politik, Kriegsführung, Administration und Rechtssprechung.19

Neuere Analysen zum römischen Imperialismus weisen mehr Reflexion in der Ver-wendung des Imperiumsbegriffes auf und bauen zum Teil auf sozialwissenschaftliche Studien.20 Trotz unterschiedlicher Akzentuierung ist ihnen gemeinsam, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht vorrangig auf die Machttragenden, sondern auf jene Personengruppen lenken, welche die Macht akzeptieren und affektive Zustimmung zu den Machthabern und dem Gesamtsystem üben.21 Bereits 1992 machte Egon Flaig unter Be-rücksichtigung dieses Aspekts den Versuch einer Neuinterpretation des kaiserzeitlichen Quellenmaterials. Er stellte „die Gesamtheit der Regeln und Praktiken eingeforderter Kommunikation und Interaktion der politisch relevanten Gruppen untereinander und jeder einzelnen mit dem Kaiser“ in den Vordergrund seiner Analyse.22 Im von Flaig attestierten Akzeptanz-System zwischen der imperialen Führung und den maßgeblichen Gesellschafts-

16 Osterhammel 2002, 388. 17 Osterhammel 2005, 370, Osterhammel 2002, 384. 18 Alföldy 1975. 19 Christ 1980, 171. 20 Ando 2000, Woolf 2001, Eckstein 2006 sind drei bezeichnende Beispiele. 21 Der Begriff stammt aus einer Studie zur Beziehung zwischen der stadtrömischen plebs und dem

princeps im frühen Principat von Gilbert 1976, 272. 22 Flaig 1992, 175.

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gruppen konnte die Zustimmung der relevanten Gesellschaftsgruppen zur imperialen Macht für den römischen princeps zu einer zentralen Herausforderung seiner Macht werden.

Das Ergebnis dieses kurzen Abrisses historisch-soziologischer Zugänge zum Phänomen Imperium lässt sich mit der vom Soziologen Jack Goldstone und dem Historiker John Haldon gemeinsam formulierten Definition eines Imperiums zusammenfassen. Ihr Haupt-interesse bei der Analyse imperialer Gebilde gilt der Frage, wie verschiedene „staatliche“ Gebilde und Eliten ihre Macht ausüben und wie sie ihre Beziehung zueinander und zu einer breiteren Gesellschaft definieren.23 Während also in politologischen Kontexten Nationalstaaten auf der internationalen Ebene im Fokus der Untersuchung stehen, widmen sich historisch-soziologische Ansätze der Ver-änderung von „Staatlichkeit“ in der Spanne zwischen early states und developed states innerhalb von Systemen. In der Beschäftigung mit der römischen Kaiserzeit beispielsweise, gilt die Aufmerksamkeit der Entstehung der bürokratischen Strukturen und ihren Ver-änderungen vom Principat bis zur Spätantike sowie ihren Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Regierenden und der breiteren Bevölkerung.24

Fasst man die Hauptaspekte der betrachteten Definitionsansätze zusammen, so lässt sich somit die eingangs vorgestellte These bestätigen: Der imperiale Ordnungskomplex zeigt sich als ein politisch relevantes Verbindungsnetz zwischen verschiedenen politischen Ein-heiten auf der internationalen Ebene und dem imperialen Inneren, welches vom sozialen Gesamtsystem abzugrenzen ist und ist somit – gemessen an den politologischen Klassifi-zierungen von politischen Systemen – ein Typus besonderer Art, eine Einheit aufgrund von Verbindungslinien auf mehreren Ebenen: Zu untersuchen sind also die Beziehungslinien zwischen Individuen und Gruppen innerhalb von „staatlichen“ Einheiten (sprich das imperial domestic system) und die politischen Beziehungen dieser Einheiten zueinander (sprich das imperial international system). Um diese Verbindungslinien aufzeigen zu können, müssen die zwei zentralen Kernelemente des imperialen Ordnungskomplexes schärfer in den Blick genommen werden: die imperialen Strukturen einerseits, das heißt die Gesamtstruktur des Systems sowie die Herrschaftsstruktur im Inneren, und die imperialen Prozesse andererseits.

These 2: Die Strukturen des imperialen Ordnungskomplexes sind geprägt durch die imperiale Selbstsicht; diese spiegelt die Vision eines „Welt-Imperiums“ wider, die nicht die politische Wirklichkeit darstellt, sie aber entscheidend beeinflussen kann.

Die zweite These betrifft die Gestalt der imperialen Struktur. Gemäß der in Punkt eins erarbeiteten Zweigestaltigkeit des Imperiums muss es sowohl im Hinblick auf a. seine globale Ordnungsstruktur wie b. auf seine innere, gewissermaßen „imperiale“ Ordnungs-struktur betrachtet werden. Zu beiden Modellen soll je eine theoretische Grundannahme vorausgeschickt werden, die für die jeweilige Ordnungsstruktur wesentlich ist.

23 Goldstone/Haldon 2009, 18. 24 Wiemer 2006, 26.

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a. Grenze: In ihren Arbeiten zur vergleichenden Politikanalyse haben Gabriel A. Almond und G. Bingham Powell darauf hingewiesen, dass ein politisches System ein domestic und ein international environment aufweise, die miteinander interdependente Beziehungen unterhalten. Diese beiden Einheiten werden von einer Grenze bestimmter Art voneinander geschieden.25 Wie jedes Konzept eines politischen Systems die Vorstellung einer Grenze bestimmt, so ist folglich auch für die Definition der globalen Ordnungsstruktur des imperialen Systems die Frage nach der Art der Grenze von Be-deutung, durch welche sich sein inneres von seinem äußeren Umfeld abgrenzt.

b. Hierarchie: Für die Analyse der inneren Herrschaftsstruktur ist die soziologische Grund-annahme hervorzuheben, dass politische Einheiten innerhalb eines Systems eine Über- und Unterordnung aufweisen. Die bekannteste Beschreibung dieser Subordination stellt die Weber’sche Herrschaftssoziologie dar. Für Weber bedeutete Herrschaft „die Chance […], für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden.“26 Jede Herrschaft bedürfe dabei eines Verwaltungsstabes, einer Gruppe zuverlässig gehorchender Menschen. Der Grund, warum diese gehorchen, liege in der Form der Herrschaft selbst begründet. Weber definierte Herrschaft insbesondere über ihren Legitimitätsanspruch und unterschied zwischen einer traditionalen Herr-schaft, welche ihre Legitimation über althergebrachte Regeln bezieht, einer charismati-schen Herrschaft, welche über das Charisma der Führungspersönlichkeit legitimiert wird, und einer legal-rationalen Herrschaft, welche sich über eine durch Regeln und Ge-setze formulierte Rechtsnorm legitimiert. Für die Analyse der Herrschaftsstruktur im imperialen Inneren sind die Personen und Personengruppen wichtig, welche die imperiale Subordination prägen und die Mechanismen, die zur Legitimation ihrer politi-schen Rollen dienen.

Die globale Ordnungsstruktur: Wird in der Fachliteratur die globale Struktur des imperialen politischen Systems als Ganzes zu fassen versucht, geschieht dies in der Regel über den Begriff der Grenze. Dabei treten drei Arten in Erscheinung:

a. die bewegliche Erschließungs- und Eroberungsgrenze (frontier), welche im klaren Gegensatz zu fixen nationalstaatlichen Grenzen steht und als die paradigmatische imperiale Grenze angesehen wird;

b. die imperiale „Barbarengrenze“ an der äußersten Ausdehnung, welche ein symbolisches Bollwerk gegen das Andere bildet und sich in Form eines Limes manifestieren kann;

c. die kulturelle Grenze, welche beide erstgenannten Grenztypen überlagert. Sie kann entlang von Territorialgrenzen verlaufen, sich aber auch über Denk- und Verhaltens-weisen äußern.27

Alle drei imperialen Grenzarten spiegeln die Trennung zwischen dem Eigenen und dem Anderen als radikal Fremdes wider. Im Imperiumsdiskurs finden sich daher zumeist folgende Unterscheidungen zwischen dem domestic und dem international environment: zivilisiertes Imperium versus unzivilisierte „Barbaren“, friedliche Ordnung versus Gewalt-

25 Almond/Powell 1966, 1984. 26 Weber 1922, 122. 27 Osterhammel 2001, 209–239.

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geprägtes Chaos, göttliches Selbstbild versus dämonisches Fremdbild.28 Das Andere kann durch Integrationsprozesse assimiliert und die Andersartigkeit genutzt werden; oder es wird entschieden abgelehnt.

Diese beiden Praktiken treten im imperialen System in verschiedenen Varianten auf und spiegeln ein Phänomen wider, das als Paradigma der Imperialität eines Systems angesehen werden kann: Imperiale Macht propagiert einerseits globale Integration, andererseits weist sie Ausgrenzungsmechanismen auf. Die vorliegende Untersuchung nennt dieses Phänomen die imperiale Dualität. Diese wird oft als konfuse Machtpolitik einer unüberschaubaren imperialen Dynamik gedeutet, kann aber zur Charakterisierung imperialer Machtmecha-nismen beitragen, indem sie als ein Aufeinanderprallen zweier verschiedener Sehweisen gedeutet wird: einmal dem Blickwinkel der imperialen Selbstsicht und ein zweites Mal dem Blickwinkel der historisch-politischen Wirklichkeit (oder deren Konstruktion aus der historischen Rückschau).

Das imperiale politische System besteht somit zusammenfassend aus einer inneren Sphäre des Eigenen und einer äußeren Sphäre des Anderen, welche durch eine bewegliche Grenze voneinander getrennt werden. Diese wird als ein nicht (nur) geographisch defi-nierter Raum (space) verstanden, der sich durch die dort stattfindenden Integrations-prozesse definiert (process), im Zuge derer fixe Grenzsicherungen entstehen können, die vor allem durch ihre Symbolfunktion (symbol) charakterisiert werden und als Integrations-barrieren aufzufassen sind.29

Diese Beobachtung legt nahe, dass die globale Ordnungsstruktur des imperialen Ordnungskomplexes eine von der imperialen Selbstsicht aus konstruierte Größe darstellt, die bereits das politische Gesamtziel imperialistischen Strebens widerspiegelt, das Hans Morgenthau im Klassiker der Internationalen Beziehungen Politics Among Nations als world empire beschrieben hat. Das Welt-Imperium zeichnet mit dem Blick auf den Hobbes’schen Leviathan der „Drang nach Expansion“ aus, „der keine Grenzen kennt, von seinen eigenen Erfolgen genährt wird und der, sofern ihn nicht eine stärkere Macht aufhält, bis an die Grenzen der politischen Welt geht.“30 Die Vision eines Welt-Imperiums kann als das von Eisenstadt als Fixpunkt imperialer Macht beschriebene neue politische Gesamtziel verstanden werden: eine nach imperialen Maßstäben umgestaltete Ordnungsstruktur des Globalen.

Die systemweite Struktur-Komponente des imperialen politischen Systems ist somit als imperial world space zu verstehen, der dadurch geprägt ist, “how people in a particular time and place define the limits and nature of their spherical world.”31 Die globale imperiale Ordnungsstruktur ist eine intersubjektiv konstruierte Größe. Die Konstruktion geht von jenen aus, die das Selbstbild als Vision eines Welt-Imperiums als politisches Gesamtziel entwerfen, und wird von jenen mitgetragen, welche diese Vision annehmen, ihr zustimmen und sie unterstützen. Wer die jeweiligen Gruppen sind, zeigt die Betrachtung der imperialen Herrschaftsstruktur.

28 Münkler 2008. 29 Rieber 2004, 178. 30 Morgenthau 1948, 97–98. 31 James/Nairn 2007, xxx.

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Die innere oder imperiale Herrschaftsstruktur: Bei der Charakterisierung der imperialen Herrschaftsstruktur im Inneren treten in der Fachliteratur vor allem jene Personen und Personengruppen in Erscheinung, die wichtige politisch überhöhte Funktionen in den von Michael Mann benannten vier Machtbereichen übernehmen: der politischen, ideologischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht. Münkler hat aus ihnen zwei Hauptgruppen ge-filtert, welche er die imperiale Entscheidungselite und die imperiale Deutungselite nennt.32 Sie stellen die zentralen Gruppen der neuen imperialen Führung dar, die wesentlich an der Konzeption der Vision des Welt-Imperiums als neues politisches Gesamtziel und dessen Legitimationsmechanismen mitformulieren. Eisenstadt betont in seiner Imperiums-Defini-tion, dass Imperialität eine universale politische und kulturelle Ausrichtung und Orien-tierung aufweise, die weit über ihre Bestandteile hinausreiche und sich von der tradi-tionellen Legitimation abhebe. Osterhammel spricht davon, dass ein imperiales System kulturell ein Zwei-Ebenen-Modell charakterisiere. Universell gültige Weltdeutungssysteme, die zur Legitimierung der imperialen Herrschaft dienen, strahlen vom Zentrum aus, während lokale Traditionen (little traditions) in den Subeinheiten unbehelligt weiter-existieren.33

Die vorliegende Untersuchung leitet von diesen Definitionen ausgehend die These ab, dass das zentral ausstrahlende Weltdeutungssystem die Vision des neuen politischen Gesamtzieles aus der imperialen Selbstsicht darstellt: ein nach imperialen Maßstäben voll ausgestaltetes Welt-Imperium unter göttlichem Schutz, das wesentlich von der imperialen Entscheidungs- und Deutungselite entworfen wird. Auf der Ebene der globalen Ordnungs-struktur sind die imperialen Maßstäbe dann voll entfaltet, wenn alle existierenden Einheiten sich als Subeinheiten einer Zentraleinheit unterordnen und sich somit ein Welt-Imperium etablieren kann. In der Herrschaftsstruktur im imperialen Inneren sind die imperialen Maß-stäbe dann erreicht, wenn von einer Zustimmung und Unterstützung verschiedener Personengruppen zum imperialen politischen System gesprochen werden kann. Diese ge-währleisten die Legitimation des imperialen Systems, und zeigen sich in zwei Formen: a. in der Übernahme von politischen Funktionen (auf der lokalen, regionalen und überregionalen Ebene, als politische Würdenträger/innen, religiöse Spezialist/inn/en und vielen mehr) und b. in der affektiven Zustimmung zu der Führungsgruppe und der Vision eines Welt-Imperiums. Die derart gezeichneten Strukturen des imperialen politischen Systems spiegeln die Sicht der mächtigen politischen Gruppen, also die imperiale Selbstsicht wider. Diese ist charak-terisiert durch die neuen imperialen Ziele, welche die politische Elite verfolgt. Die Selbst-sicht zeigt die imperiale Struktur so, wie sie sich die imperiale Elite wünscht und bildet nicht die politische Wirklichkeit ab, sondern ist von den Wünschen (Dreams of Empire) und Ängsten (Sorrows of Empire) des Leaders und der Elite geprägt, die eng an die Vor-stellung der Existenz transzendentaler Ordnungsmächte geknüpft sind.34 Die Wünsche dominiert die Ausgestaltung einer globalen Ordnungsstruktur nach imperialen Maßstäben (ein Abhängigkeitsverhältnis vieler Sub-Einheiten zu einer Kern-Einheit) und imperialen

32 Münkler 2005, 134. 33 Osterhammel 2002, 383. 34 Begriffe nach Judt 2004, Johnson 2006.

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Zusammenhalt im Inneren des Systems (Zustimmung und Unterstützung). Die Ängste dominiert der Blick auf die Gefahren; in der politikwissenschaftlichen Sprache sind dies die threats und vulnerabilities eines politischen Systems.35 Diese liegen auf der internationalen Ebene in verschiedensten Arten der Gegenmachtbildung imperialer Feinde aus der äußeren Sphäre und im imperialen Inneren im Legitimationsverlust, sprich einem Schwinden der politisch überhöhten Verbindungslinien zwischen den Machtträger/inne/n, ihren Institu-tionen und jenen Personengruppen, welche diesen zustimmen und sie unterstützen.

Die Selbstsicht hat enormen Einfluss darauf, wie sich im Inneren und im internationalen Kontext die Versuche gestalten, die Vision des Welt-Imperiums in die Realität umzusetzen, weil sie ein Bild imperialer Strukturen vorgibt, welches verwirklicht werden soll. Damit legt sie einerseits die imperialen Idealvorstellungen fest, andererseits deren Gefahren-quellen. Sie prägt und lenkt damit die in der imperialen Struktur wirkenden Prozesse.

These 3: Die imperialen Prozesse sind als Integrationsprozesse zu verstehen, die in einer horizontalen und einer vertikalen Ausprägung den imperialen Ordnungs-komplex ausgestalten und sich gegenseitig bedingen; erstere formen die Struktur der internationalen Ebene, zweitere die Herrschaftsstruktur im Inneren.

Die dritte These, die bei der Ausarbeitung der theoretischen Fiktion des imperialen Ordnungskomplexes zu beachten ist, bezieht sich auf die Prozesse im imperialen System. Um sich diesen theoretisch anzunähern, ist es sinnvoll, Breuers Unterscheidung zwischen primären und sekundären Imperien mitzudenken. Als primäre Imperien gelten ihm jene Gebilde, „die in endogenen Prozessen aus dem Zentrum patrimonial strukturierter Stadt-staatensysteme hervorgehen, […] als sekundäre Imperien all jene, die sich in Reaktion auf die Expansion bereits bestehender Staaten von der inneren oder äußeren Peripherie solcher Systeme her bilden.“36 Breuers Definition eröffnet die Möglichkeit, von zwei ver-schiedenen Prozessen bei der Bildung des idealtypischen imperialen Systems zu sprechen: Die Gründungsbedingungen der primären Form führen zu einem Prozess auf der vertikalen Ebene, welcher die Bildung der hierarchischen Ordnungsstruktur im Inneren zu erklären versucht; die der sekundären Form führen zu einem Prozess auf der horizontalen Ebene, welcher versucht, das Zustandekommen der horizontalen Machtstruktur zu verstehen.

Osterhammel hat aufgezeigt, dass beide Prozesse mit dem Begriff Integration ver-bunden sind. Er hat daher eine horizontale und eine vertikale Dimension der imperialen Integration ausgemacht, die sich auf das von Doyle beschriebene Grundcharakteristikum imperialer Macht beziehen, nicht nur die Außenbeziehungen der peripheren Systeme be-einflussen zu wollen, sondern auch in deren Innenpolitik einzugreifen. Osterhammel spricht folglich von einem vertikalen und einem horizontalen Integrationsprozess.37 Der horizontale Integrationsprozess: Das horizontale Ordnungsprinzip ist nicht durch ein Nebeneinander politischer Einheiten geprägt, sondern durch eine herrschaftliche Ober- und Unterordnung. Die internationale Ordnung ist mit ihrer Zentrum-Peripherie-Struktur in

35 Keohane/Nye 1977. 36 Breuer 1998, 109. 37 Osterhammel 2002, 386–392.

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ihrer idealen Form wie die innere Ordnung hierarchisch strukturiert. Diese ideale Form der horizontalen Ebene entspricht wie die innere asymmetrische Machtverteilung der Ziel-vorstellung der imperialen Selbstsicht. Bei Osterhammel bestimmt den horizontalen Integrationsprozess der Versuch der Elite, territoriale Segmente an das Zentrum zu binden, wozu verschiedene harte Machtressourcen (Zwangsmittel, militärische Potentiale, Gewalt-androhung neben Rechtssatzungen und weitere mehr), aber auch weiche Machtressourcen (weiträumige Informationsübertragung, symbolische Ressourcen der Integration, religiöse Bindungen und andere) eingesetzt werden. Dies zeigt erstens, dass die horizontale Aus-richtung der imperialen Integration mit dem Begriff Expansion in Verbindung steht. Zweitens weisen die Machtsorten darauf hin, dass der horizontale Integrationsprozess mit dem vertikalen einhergeht. Kurt Raaflaub hat unter Berücksichtigung dieses Sachverhaltes für das römische Fallbeispiel zwischen expansion through integration und expansion through subjection getrennt, die sich dadurch unterscheiden, ob und in welcher Form die Souveränität der Sub-Einheiten durch die Expansion der Kern-Einheit beschnitten wird.38

Doyles Einteilung der formalen Kontrolle imperialer Macht in eine direkte und indirekte Form ließe sich hier zur genaueren Beurteilung des Verhältnisses der Einheiten fruchtbar nutzen. Zudem zeugen die Machtsorten von der Vermengung formaler und informeller Einflussnahme, auf die Doyle verweist. Bereits Morgenthau hatte dies berücksichtigt, als er drei Arten von Expansion unterschied. Neben dem militärischen Imperialismus, der direkten militärischen Eroberung, dem wirtschaftlichen Imperialismus, der unauffälligen und indirekten wirtschaftlichen Beherrschung eines Gebietes, hat Morgenthau der subtilen, aber höchst effizienten „Eroberung und Beherrschung des menschlichen Geistes“ eine wichtige Bedeutung zugesprochen, die er im Begriff des kulturellen Imperialismus fasste.39 Alleinige militärische Eroberung mache imperialistisches Streben mit dem Welt-Imperium als Ziel noch nicht erfolgreich, alle drei Methoden müssen ineinandergreifen, um ein Welt-Imperium ausgestalten zu können, so Morgenthau.

Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass der Integrationsprozess auf der horizontalen Ebene durch Interaktionen zwischen der imperialen Kern-Einheit und den ihr zugehörigen und den ihr nicht zugehörigen Sub-Einheiten entsteht. Am Beginn dieses Prozesses sind die Integrationsbemühungen des imperialen Kern-Systems darauf gerichtet, die ihm zugehörigen Sub-Einheiten näher an sich zu binden und bei den ihm nicht zuge-hörigen Sub-Einheiten einen Wechsel ihrer Zugehörigkeit zu seinen Gunsten voranzu-treiben. Die Sub-Einheiten, sowohl jene, die dem imperialen Inneren zugehörig sind, als auch jene, die aus der Sicht des imperialen Kern-Systems dem imperialen Außen zugehörig sind, können am Grad ihrer Integration katalogisiert werden. Diese Einschätzung der Kern-Einheit regelt die Art und das Ausmaß an Machtmitteln, die zur Herstellung von Loyalität und Zustimmung der Sub-Einheiten angewendet werden müssen. Die Bandbreite reicht von Assimilation bis Vernichtung von Gruppen im imperialen Inneren und zwischen vertrag-lichen Übereinkünften bis zur gewaltsamen Übernahme von Einheiten im internationalen Umfeld.

38 Raaflaub 1996, 257. 39 Morgenthau 1948, 102.

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Der vertikale Integrationsprozess: Der vertikalen Form der imperialen Integration weist Osterhammel als entscheidende Aufgabe die Sicherung von Herrschaft und Einfluss in den peripheren Gebieten zu. Dieser Prozess ist verbunden mit dem Begriff der imperialen Beständigkeit. Um diese zu erreichen, muss Loyalität durch die Legitimierung der Macht hergestellt werden, welche laut Osterhammel durch zwei Arten erreicht werden kann: durch Zustimmung oder durch den Einsatz militärischer Zwangsmittel. Um beide Arten der Loyalitätsgewinnung bewerkstelligen zu können, wird eine bestimmte Form der Machtaus-übung notwendig. Zur genaueren Beschreibung dieser Machtausübung wird im Folgenden Nyes Machtdefinition herangezogen, welche er zur Klassifizierung einer leadership-Be-ziehung zwischen einer führenden Gruppe (leaders) und ihrer Anhängerschaft (followers) entworfen hat.40

Nye unterscheidet auch bei Machtbeziehungen innerhalb eines politischen Systems zwischen hard power (organisatorische Fähigkeiten zur Lenkung der Informationsströme, Drohung und Einschüchterung, Zahlungen und Belohnungen) und soft power (angeborene Fähigkeiten wie Charisma sowie die Fähigkeit zur Kommunikation einer Vision). Diese Machtsorten sind aber nicht identisch mit informeller, personeller Macht und jener, die aus einer formalen Position heraus resultiert. Generell nutzen leader mit informeller Macht mehr soft power-Ressourcen, während leader, die über eine formelle Position verfügen, gut daran tun, aus beiden Machtressourcen zu schöpfen. Die Fähigkeit, beide Machtformen gekonnt zu einer effektiven Strategie kombinieren zu können, nennt Nye smart power. Sie zeichnet sich vor allem durch breit gefächerte politische Fähigkeiten aus, die es ermög-lichen, die jeweiligen Machtressourcen auch kontextgebunden einzusetzen. Dazu gehören die Einschätzung der verfügbaren Machtressourcen, die Berücksichtigung der Forderungen und Bedürfnisse (needs) der relevanten politischen Gruppen, das Verstehen des historisch-kulturellen Kontextes und ein zeitliches Verständnis, um in Krisensituationen (Schwellen-zeiten) angemessen handeln zu können, sowie die Fähigkeit Informationsströme so zu lenken, dass sie zur Umsetzung der jeweiligen Ziele dienen. Diese Fähigkeiten müssen imperiale Führungspersönlichkeiten vereinen und sie dem historischen Kontext ent-sprechend einsetzen, wenn die Loyalität von verschiedenen Personen und Personengruppen garantiert werden soll. Ein vertikaler und ein horizontaler Integrationsprozess sollen im imperialen politischen System zur Ausformung einer idealtypischen asymmetrischen Machtkonstellation, der hierarchisch strukturierten Machtordnung im Inneren und auf der internationalen Ebene führen. Der vertikale Integrationsprozess ist eng an die Kategorie der imperialen Zeit und der imperialen Beständigkeit geknüpft, während der horizontale Integrationsprozess mit der Kategorie des imperialen Raumes verbunden ist. Auch hier wirkt die imperiale Dualität. Die Selbstsicht beschreibt das imperiale System als ewiges (Zeit) Imperium sine fine (Raum), während das System in der historischen Wirklichkeit mit Legitimationsverlusten zu kämpfen hat, welche die imperiale Beständigkeit beeinflussen (Zeit) und in seinen Ex-pansionsbestrebungen mit Gegenmachtbildungen anderer politischer Systeme konfrontiert ist (Raum).

40 Nye 2008.

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Die Analyse des horizontalen Integrationsprozesses hat sich mit den Versuchen des Kern-Systems zu beschäftigen, die Sub-Einheiten im imperialen Inneren enger an sich zu binden, sowie den Versuchen, in den Systemen des imperialen Äußeren einen Wandel der Zugehörigkeit zu bewirken. Die Analyse des vertikalen Integrationsprozesses hat alle drei Komponenten zu berücksichtigen, welche an der imperialen Herrschaftsordnung und ihrer Legitimation beteiligt sind: a. die leader, in Münklers Worten die Entscheidungs- und Deutungselite; b. die followers, jene Personengruppen, die politische Funktionen über-nehmen und affektive Zustimmung üben; c. den historischen Kontext. Münklers Ansatz der genauen Betrachtung der Regenerierbarkeit eines Systems in Schwellenzeiten lässt sich in diesem Zusammenhang fruchtbar nutzen. In Schwellenzeiten ändert sich der historische Kontext entscheidend, sodass eine besondere Form der Machtausübung notwendig wird, die im historischen Rückblick deutlicher in Erscheinung tritt. Zusammenfassend: Die drei skizzierten Thesen legen nahe, dass die theoretische Fiktion des imperialen Ordnungskomplexes aus drei Konzepten bestehen muss: Die Grund-annahmen zu den Strukturen des imperialen Systems führen zu einem Konzept imperialer Psychologie, bei dem die Definition der Identität des imperialen Kollektivs durch einen Anderen im Mittelpunkt steht; die Überlegungen zum horizontalen Integrationsprozess führen zu einem Expansionskonzept, während die Grundannahmen zum vertikalen Inte-grationsprozess zu einem Machtkonzept führen. Bevor jedoch diese drei Konzepte er-arbeitet werden können, sollen zunächst die drei Sphären des Politischen vorgestellt werden, in denen die Konzepte imperialer Macht wirksam werden.

3 Drei Sphären des Politischen

Kenneth Waltz hat in Man, the State and War den Grundstein zur Unterscheidung zwischen drei Untersuchungsebenen gelegt, indem er zwischen der Akteurs-, der Staats- und der Systemebene unterschied, die er als drei images bezeichnete.41 Die vorliegende Unter–suchung spricht darauf aufbauend von drei signifikanten Sphären des Politischen, welche bei der Untersuchung eines imperialen Systems von Bedeutung sind. Die erste Unter-suchungsebene kann als subjective sphere bezeichnet werden und kennzeichnet die Inter-aktionsmuster zwischen verschiedenen Subjekten, welche im imperialen Gesamtverband politische Rollen übernehmen können oder als politisches Kollektiv in Erscheinung treten. Die zweite Ebene kann als domestic sphere bezeichnet werden. Sie beinhaltet die Inter-aktionsmuster der administrativen Organisation. Die dritte Ebene kann als international sphere bezeichnet werden. Sie beschreibt die Interdependenzen zwischen den Einheiten, die im imperialen System auf der internationalen Ebene eine prägnante Rolle spielen.

41 Waltz 1954.

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3.1 Subjective Sphere

Die subjektive Dimension der politischen Wirklichkeit ist eng mit dem Begriff der Identität und dem Konzept der politischen Kultur verbunden. Während „Identität“ in politologischen Kontexten häufig als essentialistische Zusammensetzung feststehender und gleich bleibender Kriterien verstanden wird – was in der These vom Kampf der Kulturen eine Extremform angenommen hat – gehen historische Analysen davon aus, dass „Identität“ nicht per se existiert.42 Vielmehr besitze jedes Subjekt mehrere sich überlappende Identi-täten, weil es Mitglied verschiedener Netzwerke ist, wie Christoph Ulf aufgezeigt hat. Diese Netzwerke reichen von der Familie bis zur Gesellschaft und funktionieren nach unterschiedlichen Reglements, die auch ihre Beziehungen zueinander klären. Die soziale Ordnung bildet jenes Netzwerk, das als einziges mit allen anderen verbunden ist. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Netzwerken stehen im engen Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Anderen, wobei Subjekte ihre Wahrnehmungen in ihnen be-kannte Kategorien einordnen, Vergleiche anstellen und dabei Unterschiede überzeichnen.43 In sozialwissenschaftlichen Kontexten ist nicht die Gesellschaft, sondern das politische System das Rahmennetzwerk. Die Beziehung zwischen den Subjekten und ihrer politischen Ordnung wird mit dem neutral verstandenen Konzept der „politischen Kultur“ gefasst. Diese stellt die Summe der Werte, Einstellungen, Meinungen und Gefühlshaltungen dar, welche den Subjekten gemeinsam sind. Sie bringen die integrierende Funktion der politischen Kultur zum Ausdruck und machen die kollektive Identität eines Gemeinwesens aus. Der Prozess der Vermittlung der politischen Bewusstseins- und Verhaltensweisen wird als politische Sozialisation bezeichnet. Er findet ein Leben lang unter dem Einfluss der Netzwerke (Familie, peer groups, Institutionen, und weitere mehr) statt und weist eine direkte (bewusste) und eine indirekte (unbewusste) Komponente auf.44

Die subjektive Sphäre des imperialen Systems hat die politisch überhöhte Ordnung des sozialen Beziehungsgeflechtes nach imperialen Maßstäben als gemeinsamen Bezugspunkt. Das komplexe Geflecht der Identität der einzelnen Subjekte ist durch eine kollektive imperiale Identität überlagert. In ihr spitzt sich die Selbst- und Fremdwahrnehmung auf ein Extrem zu, indem sie einen „Masterplan“ einer politisch handelnden Gruppe „Wir“ ent-wirft, die sich von einem „Die“ abgrenzt. Erik Erikson beschreibt diesen psychischen Prozess folgendermaßen: „[D]as Ich versucht während seiner Bemühungen um Synthese, das mächtigste Ideal und das stärkste negative Leitbild (sozusagen als absolute Gegner) in sich aufzunehmen und mit ihnen die gesamte Bilderwelt von Gut und Böse, Überlegenheit und Unterlegenheit, männlich und weiblich, freigeboren und Sklave, potent und impotent, schön und häßlich, rasch und langsam, groß und klein, in einfache Alternativen aufzuteilen, um die verwirrenden Einzelfehden in einer großen Schlacht und nach einem strategischen Plan zum Austrag zu bringen.“45

Die kollektive imperiale Identität kommt in zweifacher Ausprägung vor und lässt damit das Phänomen der imperialen Dualität prägnant in Erscheinung treten.

42 Leitner 2004. 43 Ulf 2009, 101–105. 44 Almond/Powell/Mundt 1993, 45–64. 45 Erikson 1959, 28.

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a. Die exklusive Form betont die Unterschiede zwischen dem Kollektiv, das Träger des imperialen „Masterplanes“ ist, und allen anderen. In dieser Ausprägung kann die kollektive Identität entweder in isolationistischer Koexistenz vorkommen, wie es der Gedanke eines Imperiums als Insel der Seligen zeigt, oder sich selbst in einem hierarchischen Modell über allem anderen positionieren, wie es sich im imperialen Grundprinzip der asymmetrischen Machtverteilung widerspiegelt.

b. Die inklusive Form der imperialen Identität stellt einen Kriterienkatalog zur Erreichung der Mitgliedschaft bereit, die prinzipiell jede Person erlangen kann, welche die aufge-stellten Kriterien einhält. Diese universalistische Seite der imperialen Macht lässt die Selbstsicht durchscheinen, die nach Stabilität des Systems durch den Status eines Welt-Imperiums ringt, und die nur dann erreicht werden kann, wenn die kollektive Identität das gesamte System umfasst.46

Die subjektive politische Sphäre hat einen entscheidenden Einfluss auf die globalen Belange des imperialen Ordnungskomplexes, indem sie die Beziehungslinien zwischen den Einheiten im inneren und äußeren Umfeld über die Selbst- und Fremdwahrnehmung politischer Kollektive lenkt. Wie sich ein solches selbst wahrnimmt, sich im internationalen System positioniert und wie es von anderen wahrgenommen wird, spielt in den inter-nationalen Beziehungen eine wichtige Rolle, wie Alexander Wendt aufgezeigt hat.47 Das Selbstverständnis der stärksten Einheit kann nämlich Wirkungskraft entfalten und die politische Realität des Gesamtsystems mitgestalten. Einen zentralen Aspekt dieser Wahr-nehmung im imperialen Kontext stellt die Frage nach der Sicherheit und den Gefahren des Kollektivs dar. Im Verständnis des imperialen Systems gilt es selbst als Bollwerk zur Ver-teidigung des imperialen „Wir“ gegen andere „Die“ und somit als Verfechter des Prinzips des imperialen Friedens.

Für die vorliegende Analyse stellen sich nun folgende Fragen: Wer beeinflusst die Ver-mittlung bewusster und unbewusster Motive der kollektiven Identität im imperialen Ordnungskomplex, wie kann sie sich entfalten und wie prägt sie die politische Wirklich-keit? Die Analyse des Wirkungsprozesses der imperialen kollektiven Identität ist das zentrale Anliegen der Untersuchung der subjektiven Sphäre des imperialen politischen Lebens. Sie reicht weit hinein in das Kraftfeld der imperialen Psychologie.

3.2 Domestic Sphere

Um das organisatorische Netzwerk innerhalb des imperialen politischen Systems verstehen zu können, ist es hilfreich, mit den Kategorien zu operieren, welche David Easton zur Klas-sifizierung eines domestic system in A Framework for Political Analysis entworfen hat.48 Im Mittelpunkt seiner System-Definition stehen politische Interaktionen, die von anderen durch ihre Orientierung an der autoritativen Allokation von Werten zu unterscheiden sind. Sie sind als individuelles Verhalten eines Subjekts zu verstehen, das im System eine

46 Formuliert nach den zwei Formen kollektiver Identität bei Buzan 2004, 22–25. 47 Wendt 1999. 48 Easton 1965.

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politische Rolle übernimmt. Wie die Interaktionen ein System zusammenhalten, wollte Easton mithilfe eines „Fließmodells“ deutlich machen, das durch folgende Kategorien ge-prägt ist: An das politische System werden inputs herangetragen, welche Forderungen (demands) nach verschiedenen Interessen (wants) und kollektiven Entscheidungen sein können, sowie Unterstützung (support) in Form von Handlungen oder Einstellungen ge-genüber dem System. Forderungen und Unterstützung müssen in outputs umgesetzt werden, was durch kollektiv bindende politische Entscheidungen geschieht, die zu einem feedback führen.

In den Verbindungslinien zwischen Unterstützung und Entscheidungsfindung zeigt sich das interdependente Netzwerk dieser System-Definition, weshalb ihnen besondere Auf-merksamkeit zu schenken ist. Unterstützung können drei Einheiten erhalten.

a. Die erste Einheit stellt die political community dar. Darunter ist eine Vielzahl von politischen Beziehungssträngen zu verstehen, durch welche die einzelnen Mitglieder zu-sammengehalten werden. Um Unterstützung erwarten zu können, müssen sich die Mit-glieder der Gemeinschaft als Kollektiv verstehen. Ein politisches „Wir-Gefühl“ ist notwendig, welches sich in der Akzeptanz der Arbeitsteilung zeigt.

b. Auch das regime, sprich die konstitutionellen Normen und Regeln des Systems, kann Unterstützung erhalten. Entscheidungen werden vom Kollektiv nur dann akzeptiert, wenn eine konstitutionelle Ordnung besteht, welche die Entscheidungsfindung regelt.

c. Authorities wiederum sind Personen, bei denen die Entscheidungsfindung liegt. Sie greifen in das politische Tagesgeschehen ein und werden von der Mehrheit als befugt angesehen dies zu tun, wodurch ihre Entscheidungen auch akzeptiert werden.

Diese drei Kategorien können zwei verschiedene Formen der Unterstützung erhalten. Während spezifische Unterstützung an das politische Tagesgeschehen gekoppelt ist, hat diffuse Unterstützung mit der Sozialisation eines Individuums zu tun und ist längerfristig. Hier spielt das Bedürfnis nach Legitimation eine große Rolle. Diese Form der Unter-stützung erhalten nur jene Autoritäten, die auch legitimiert sind, die Macht innezuhaben. Die politische Gemeinschaft wiederum erfährt diffuse Unterstützung je nach dem Maß des Gemeinschaftsgefühls und der positiven Gefühle, die Menschen der Arbeitsteilung entge-genbringen, mit denen sie politische Probleme lösen.49

Almond und Powell verfeinerten Eastons „Fließmodell”, indem sie feststellten, dass alle politischen Systeme mit unterschiedlichen Strukturen (zum Beispiel Parlamente, Gerichte, politische Parteien und weitere mehr) die gleichen Funktionen erfüllen. Sie unterschieden zwei Funktionsformen: Die erste Form bilden die Systemfunktionen (Inputfunktionen). Zu ihnen zählen die Sozialisation (die Einführung in die Werte und Einstellungen einer Gesell-schaft/einer politischen Kultur), die Rekrutierung (die Auswahl jener, die aktive politische Mitglieder von Strukturen werden) und die Kommunikation (der Informationsfluss durch das System). Die zweite Form stellen die Prozessfunktionen dar, bei denen zwischen Inter-essensartikulation, Interessensaggregation und Entscheidungsfindung (Umwandlung der Input- in Outputfunktionen) und Regelsetzung, Regelanwendung und Regelauslegung (Outputfunktionen) unterschieden werden kann.50

49 Easton 1965a. 50 Almond/Powell 1966.

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Für die Untersuchung des imperialen Inneren ist in der vorliegenden Analyse besonders die Frage interessant, wie die Autoritäten (leaders) des imperialen Ordnungskomplexes die Akzeptanz und Unterstützung der followers erhalten. Wie schaffen es die Führenden, Legi-timität zu erreichen und die Inputs so zu lenken, dass sie zur Umsetzung der Vision eines Welt-Imperiums führen können ohne Konfliktlinien (cleavages) herauszufordern? Die Beantwortung dieser Frage führt zu einem Machtkonzept, welches an das Fließmodell Eastons angelehnt ist.

3.3 International Sphere

Im Theoriegebäude der Internationalen Beziehungen wird das internationale System auf die Verhaltensmechanismen und Interaktionsmuster von souveränen units hin untersucht. Dabei wird der Fokus auf eine strukturelle und eine prozessuale Ebene gelegt, die ideal-typisch gedacht werden und sich auf die so genannten high politics (Wirtschafts- und Sicherheitspolitik) konzentrieren. Keohane und Nye haben die Herangehensweise an beide Ebenen bildhaft erklärt, indem sie das internationale System mit einem Pokerspiel ver-gleichen: “[A]t the process level analysts are interested in how the players play the hands they have been dealt. At the structural level they are interested in how the cards and chips were distributed as the game started.”51

Während sich die Analyse der Prozesse auf das Aushandlungsverhalten innerhalb einer Machtstruktur konzentriert, ist die Analyse der Struktur eines Systems auf die capabilities zwischen vergleichbaren Einheiten ausgerichtet. Unter capabilities sind folgende Elemente zu verstehen: “economic, military, and political resources whose employment permits a state to induce changes it desires in the behavior of other states or to resist what it views as undesirable changes in its own behavior sought by others.”52 Es geht somit um die Macht-ressourcen einer Einheit, um ihre Selbstwahrnehmung und ihre Wirkung auf andere. Diese Elemente definieren ihre Machtposition im internationalen System, wobei grundsätzlich drei Arten von Macht unterschieden werden können:

a. Eine superpower verfügt über ein breites Spektrum an capabilities, welche sie global einsetzen kann. Supermächte müssen in nahezu allen Teilen des internationalen Systems “as threats, guarantors, allies or interveners” in Sicherheitsbelangen auftreten und sich selbst als die Macht eines solchen Ranges präsentieren.53 Sie sind auch eine Quelle von universalen Werten, die zur Legitimation ihrer Machtstellung dienen.

b. Eine great power kann aufgrund ihrer capabilities nicht in allen Teilen des inter-nationalen Systems in Sicherheitsfragen und wirtschaftlichen Belangen agieren, aber in mehreren Regionen Einfluss nehmen. Auch ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung als Macht, die entweder Anwärter auf den Status einer Supermacht ist oder von diesem Status in den einer Großmacht gesunken ist, ist wesentlich.

51 Keohane/Nye 1977, 21. 52 Grieco 1990, 39. 53 Buzan 2004, 69.

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c. Die Machtmöglichkeiten einer regional power reichen nicht aus, um auf internationaler Ebene agieren zu können, weshalb ihr in sicherheitspolitischen Belangen nur auf regionaler Ebene eine Bedeutung zugesprochen wird.54

Über den Begriff der Polarität wird daraufhin ein internationales System als unipolar (mit einer superpower, keiner bedeutenden Großmacht aber vielen kleineren Mächten), als bipolar (mit zwei Großmächten mit Koalitionen verbündeter Einheiten), oder multipolar (mit mehreren Großmächten vergleichbarer Stärke) klassifiziert.55 Alle Einheiten stehen in einem ständigen Kampf um Sicherheit miteinander und versuchen Machtunterschiede aus-zugleichen, was in der Fachsprache als balancing bezeichnet wird. Dazu kann militärische Macht dienen (hard balancing), diplomatische Mittel (soft balancing), oder es werden Alli-anzen gebildet (bandwagoning).56 Zu einem Schulterschluss kommt es dann, wenn eine Einheit beschließt, sich mit der stärksten oder am meisten bedrohlich wirkenden Einheit zusammenzuschließen, weil dieses Verhalten dazu führt, nicht unterdrückt oder bestraft zu werden, oder weil eine militärische Gegenmachtbildung riskant erscheint. Durch diese Beschwichtigungspolitik geht eine Einheit nicht gegen die stärkste Macht an, sondern richtet ihre Außenpolitik danach aus, sie zu unterstützen.57

Für die theoretische Beschreibung des Verhaltens der Einheiten des imperialen Systems in der internationalen Sphäre des Politischen ist die Allianzenbildung von besonderer Be-deutung. Ein imperiales Gebilde stellt ein “system of states” dar;58 dieses ist aber kein Alli-anzen-System zwischen gleichen Partnern, also souveränen units, sondern zwischen einer Ober- und mehreren Subeinheiten. Der imperiale Ordnungskomplex ist in seiner ideal-typisch gedachten Form von Abhängigkeitsbeziehungen unterschiedlichen Grades ver-schiedener Sub-Einheiten von einer Kern-Einheit geprägt, welche keine Gegenmacht-bildungen gegen die Kern-Einheit anstreben, sondern mit ihr kooperieren. Die Kooperation führt dazu, dass das imperiale Kern-System wohlwollend (benevolent) wirkt, was sich vor allem in der Bereitstellung öffentlicher Güter, hauptsächlich Stabilität und Sicherheit, zeigt. Die Analyse der internationalen Ebene des imperialen politischen Systems muss daher die Frage klären, wie Kooperation mit der Kern-Einheit für die Sub-Einheiten attraktiv wirkt. Es darf davon ausgegangen werden, dass dies durch die Konstruktion permanenter Gefah-renquellen funktioniert. Die imperiale Führung konstruiert sich wiederholende „äußere“ Bedrohung, um nach „außen“ hin ständig aggressiv wirken zu können. Diese Gefahren-quellen gefährden die existentiellen Güter, für die das imperiale System steht: eine stabile Ordnung und Sicherheit. Die Konstruktion „äußerer“ Bedrohung wird so zur wichtigsten Legitimationsressource imperialer Macht und steht im Mittelpunkt der Untersuchung der internationalen Ebene eines imperialen politischen Systems.

54 Buzan/Waever 2003, 34–37. 55 Huntington 1999, 35. 56 Waltz 1979, Pape 2005, Walt 1987. 57 Walt 2006, 183. 58 Gilpin 1981, 111.

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4 Drei Konzepte imperialer Macht

Die Analyse der von der Selbstsicht geprägten imperialen Strukturen führt zu einem Konzept imperialer Psychologie; die Analyse des vertikalen Integrationsprozesses führt zu einem Machtkonzept; die Analyse des horizontalen Integrationsprozesses führt zu einem Expansionskonzept. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die drei Konzepte imperialer Macht, die im Folgenden vorgestellt werden.

Abb. 1: Three Concepts of Imperial Power

4.1 Das Konzept imperialer Psychologie

Global gesehen grenzt sich ein imperiales Inneres von einem ihm gegenüber gedachten imperialen Außen ab; die Scheidung zwischen Innen- und Außensphäre ist mehr als eine Matrix, bestehend aus den zuvor skizzierten Kategorien Raum (space), Prozess (process)

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und Symbol (symbol) zu verstehen, als eine klare geographische Trennlinie, wie oben auf-gezeigt wurde.59 Beide Sphären können als die zentralen Bestandteile des Orientierungs-rahmens des imperialen Kollektivs bezeichnet werden. Erich Fromm hat aufgezeigt, dass jede Gesellschaft ein zentrales Bedürfnis nach einem Orientierungsrahmen aufweist und dieses Bedürfnis auf zwei Ebenen bestehe: Einerseits ist es für das Subjekt wichtig einen Orientierungsrahmen zu haben ungeachtet, ob er wahr oder falsch ist. Andererseits muss dieser in einer Relation zur Wirklichkeit stehen, um seiner Existenz Sinn zu verleihen. Fromm hebt hervor, dass die erste Ebene die fundamentalere sei, so dass das Bedürfnis nach einem Orientierungsrahmen zu einem Glauben an eine transzendentale Macht, einen Gott, führen könne.60

Der imperiale Orientierungsrahmen spiegelt das gesamte Ausmaß der imperialen Dualität wider, weil er eine ausschließende und eine einschließende Seite hat. In ihm zeigen sich das Aufeinanderprallen der imperialen Selbstsicht (die Vorstellung eines Welt-Imperiums unter göttlichem Schutz) und deren Konfrontation mit der historischen Wirk-lichkeit. Besonders deutlich wird dies durch die Kategorisierung des Verhältnisses der inneren und der äußeren Sphäre zueinander. In Among Empires beschreibt Charles S. Maier die Ereignisse an der Schnittstelle beider Kategorien und gibt damit einen Einblick darin, wie die äußere Sphäre von der inneren Sphäre aus gesehen wird. Er benennt drei zentrale Variablen, welche die Beziehung zwischen dem inneren und dem äußeren Umfeld wesent-lich prägen, wenn er schreibt: “Somewhere on the periphery there will always be conflict, whether against rival faiths, empires, or violent ‚barbarians’, sometimes separately, some-times together.”61

Barbarische Aggressionen, imperiale Gegner und rivalisierende Zivilisationen an den imperialen Grenzen treten hier als Stereotype auf und spielen eine herausragende Rolle darin, wie die Ordnungsstruktur eines „Imperiums“ vorgestellt wird. Definitionsversuche imperialer Macht geben diesen drei Variablen kaum einen theoretischen Rahmen. In poli-tologischen Ansätzen treten sie als imperiale Gegenmachtbildungen auf, obwohl aus der theoretischen Perspektive nur „staatliche“ Einheiten balancing betreiben können; in der Deutung imperialer Zyklen-Theorien verwirklicht sich durch sie ein unausweichliches Schicksal aller imperialer Gebilde, indem auf die Expansion der „Niedergang“ durch externe Kräfte folgt.

Die vorliegende Untersuchung fasst die imperiale Ordnungsstruktur als kollektive Vor-stellung der Wirklichkeit des imperialen „Wir“, die nicht mit der politisch-historischen Realität zusammenfällt, sondern wesentlich durch enorme Ängste und Wünsche beeinflusst ist. Das ist daran erkennbar, dass die Außensphäre vor allem durch ihre Gegensätzlichkeit zur Innensphäre gekennzeichnet wird, was durch die Verwendung von asymmetrischen Gegenbegriffen zum Ausdruck kommt.62 Die Innensicht beschreibt die globale Ordnungs-struktur mit einem Ordnung-Chaos-Modell, indem das imperiale Innere als zivilisiert und durch eine Rechtsordnung ausgestattet dargestellt wird, während das imperiale Außen als unzivilisiert und durch eine mangelnde Rechtsordnung und chaotische Zustände bestimmt

59 Siehe These zwei: Die imperiale Ordnungsstruktur. 60 Fromm 1955, 64–66. 61 Maier 2006, 190. 62 Begriff nach Koselleck 1979.

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charakterisiert wird. Die imperiale Selbstsicht stilisiert die kollektive Identität des imperialen „Wir“ zum Idealtyp, der zum herrschenden Leitbild des imperialen Systems wird. Diesen Idealtyp kennzeichnet die Vorstellung einer zivilisierten, durch Recht ge-ordneten politischen Einheit, die sich von einem negativen Leitbild abgrenzt, das sich im Begriff des „Barbarentum“ manifestiert. Die imperiale Identität ist somit eine Pseudo-Identität, welche durch die Synthese des mächtigsten Ideals und des stärksten negativen Leitbildes Gestalt annimmt.

In den durch das ideale Bild der Selbstsicht geprägten imperialen Strukturen vermischen sich reale mit imaginären Elementen und führen zur Definition des Eigenen, die untrennbar an die Vorstellungen des Anderen gekoppelt ist. Das Andere wird so zu einer unverzicht-baren Ressource des imperialen Orientierungsrahmens und das internationale Umfeld zur Bühne für eine kollektive imperiale Projektion auf dieses Andere. Psychoanalytisch ge-sprochen verleiht das internationale dem inneren Umfeld so etwas wie ein ozeanisches Gefühl, in welchem die sorgenfreie City upon a Hill sich in Gottes friedfertiger Wiege schaukeln kann.63 Dieses auf Freud zurückgehende Konzept beschreibt ein religiös über-höhtes Gefühl der Allmacht, ähnlich dem Empfinden eines Subjektes in seiner narzissti-schen Entwicklungsphase, in der es sich selbst als das Zentrum der gesamten menschlichen Existenz ansieht; die Subjekte in seiner Umgebung bilden seine Arme und Beine, die es versorgen.64

In der weiteren Ausbildung des psychischen Apparates wird das Subjekt aber un-weigerlich mit seinem Umfeld konfrontiert und wird neben sich einen Anderen erkennen. Diesen Knotenpunkt der menschlichen Entwicklung hat die Lacan’sche Psychoanalyse mit der Theorie des so genannten Spiegelstadiums zu erklären versucht. Laut dieser Konstruk-tion glaubt das Subjekt bei seinem ersten Blick in den Spiegel in seinem Spiegelbild die ideale und vollständige Imago des Doppelgängers zu erkennen und wird dadurch mit seiner eigenen Uneinheitlichkeit und Zerrissenheit konfrontiert.65

Ähnlich scheinen dem imperialen Ordnungskomplex alle politischen Systeme lediglich Versorgungsquellen seiner Kerneinheit zu sein. Mit dem Blick auf die Grenzen seines politischen Systems wähnt das imperiale Kollektiv im internationalen Umfeld aber den Doppelgänger der Innensphäre, der den unheimlichen, flüchtigen Blick in den Spiegel ver-drehter Lebensverhältnisse, verdrängter Wünsche und verloren geglaubter Kräfte des Imperialen freigibt.

Hierin liegt das Wesen der imperialen Dualität begründet. Sie wird durch einen Insel-Affekt und einen Spiegel-Effekt der imperialen Psychologie hervorgerufen. Unter Insel-Affekt versteht die vorliegende Analyse – nach dem Freud’schen Verständnis des ozeanischen Gefühls – ein religiös überhöhtes Empfinden der isolierten Einheit und Ewig-keit, der Allmacht. Peter Bender nannte dies das Gefühl insularer Sicherheit imperialer Gebilde. „Meere schützen nicht nur,“ so Bender, „sie trennen auch, weil sie das Gefühl geben, daß man sich um den Rest der Welt nicht zu viel kümmern braucht.“ Als Isolatio-

63 Den Ausdruck prägte John Winthrop in seiner Predigt A Model of Christian Charity von 1630, der in

der Imperiums-Debatte häufig in Bezug auf die besondere Stellung der USA im internationalen System zitiert wird.

64 Freud 1930, 422. 65 Lacan 1938, 59.

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nisten widmen sich die Insulaner „ungestört und unbesorgt ihrer Insel“.66 Eines Tages aber schauen sie unerwartet in die spiegelglatte ozeanische Oberfläche und der unheimliche Schatten des Doppelgängers lässt sie schaudern. Das ist jener Moment, in dem die Subjekte von ihrer Innenwelt der insularen Sicherheit ausbrechen, hinein in die Umwelt; in dem die Beziehung zwischen der imperialen Innensphäre und ihrer äußeren Realität Form annimmt. Die Insulaner entdecken, dass die imperialen Grenzen auch eine verbindende Funktion haben. Sie stellen nicht nur eine imperiale Pufferzone dar, sondern auch eine fault line, an der es zu Konflikten oder einem Clash of Empires kommen könnte.

Hier greifen die Mechanismen des Spiegel-Effektes. Durch ihn wird die Selbstsicht des imperialen Kollektivs mit der historischen Wirklichkeit konfrontiert und die imperiale Dualität hervorgerufen. Das harmonische und glanzvolle Bild, das Gefühl der absoluten Einheit und Sicherheit, die dem imperialen „Wir“ der Insel-Affekt beschert, zerbirst durch den Spiegel-Effekt. Es erkennt seine Verwundbarkeit durch die nie wahrgenommene Stärke des Anderen, der ihm unbekannt ist und daher als dämonischer und unheimlicher Fremder erscheint. In diesem Moment der Entwicklung der imperialen Psyche wird das Bedürfnis des imperialen Kollektivs nach seinem Orientierungsrahmen sichtbar, der ihm die verloren geglaubte Allmacht zurückverleiht.67

Der imperiale Orientierungsrahmen knüpft das Bedürfnis nach Sicherheit, Friede und Ordnung des imperialen Kollektivs an drei Gefahrenquellen, die es auszumerzen gilt. Alle drei Kategorien werden aus der Innensicht in der äußeren Sphäre lokalisiert und zu den gefürchtetsten Bedrohungen des Imperialen stilisiert.

a. So genannte Imperiumsanwärter bilden die erste Gefahrenquelle, welche das Bedürfnis nach der Sicherheit des imperialen Kollektivs entscheidend prägt. Imperiale Eliten glauben, ihr System sei die „Nummer Eins“; für sie existiert lediglich ein Kern-System als Dirigent mehrerer Sub-Systeme. Aus der Selbstsicht gibt es keine Mächte, die bereits imperialen Status haben, aber solche, die ihn erlangen wollen.

b. Die zweite Kategorie steht in Verbindung mit der Idee der „imperialen Mission“, welche die Vorstellung des Kollektivs zum Ausdruck bringt, dass es selbst „zivilisierter“ sei als die anderen. Um den Systemen der imperialen Außensphäre Rechtschaffenheit und eine friedfertige Ordnung zu bringen, wagt es den Sprung über den Ozean. Hier kommt die kulturbestimmte Bedeutungshierarchie aus der imperialen Selbstsicht zum Ausdruck, die in anders gearteten Zivilisationen Gefahrenpotential wittert.

c. Die so genannten Barbaren stellen die dritte Kategorie dar, die angelehnt an den Gegen-satz zwischen Römern und Nicht-Römern in der Spätantike, als Bedrohung des imperialen Systems angesehen wird. Wie dieser Begriff zur Definition eines Imperiums gebraucht wird, hat er allerdings nichts zu tun mit den historischen Sachverhalten, auf die er sich bezieht. Römer und Nicht-Römer waren zwei Bestandteile ein und desselben Systems, die Grenzen zwischen ihnen durchlässig, wie Walter Pohl aufgezeigt hat. Der Barbarenbegriff ist vielmehr mit jenen Stereotypen gefüllt, welche Pohl zufolge die spätrömische Historiographie prägte. Diese schrieb den Nicht-Römern eine illegitime

66 Bender 20044, 44, 27. 67 Kritische Gedanken zur Verwendung psychoanalytischer Deutungsmuster zur Analyse der imperialen

Idee außerhalb idealtypischer Überlegungen finden sich in Leitner 2011b.

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Gewaltausübung zu, während die an Nicht-Römern verübten Gräueltaten durch den römischen Kaiser als legitim angesehene Machtanwendung dargestellt wurden, welche sogar seinen Erfolg im Kampf um den Schutz der Allgemeinheit demonstrierte.68 Diese moralisch-kulturelle Überhöhung zwischen „Zivilisierten“ und grausamen, unberechen-baren und wilden „Barbaren“ haben die Römer von der Polarität zwischen Hellenen und „Barbaren“ übernommen. Die unter diesem Begriff seit dem Ende des 5. Jahrhunderts auftauchende Vereinheitlichung aller Nichtgriechen stellte eine gedankliche Ordnungsleistung der Hellenen als Produkt der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt dar, wie Dieter Timpe erklärt. Sie stand erstens in Korrelation zum griechischen Be-wusstsein zivilisatorischer Dominanz beziehungsweise Singularität, zeigte zweitens aber auch Übergangsmöglichkeiten auf, durch welche die Polarität überwunden werden konnte. Die Römer leiteten aus dieser Wandelbarkeit einen weltherrschaftlichen Auftrag ab und verknüpften diesen mit einer Zivilisierungsaufgabe. (Timpe 2000) Das Konzept, das sich hinter dem Begriff „Barbaren“ verbirgt, ist somit Ausdruck kollektiv konstruierter Ängste vor einem asymmetrischen Krieg in dem ein politisches Kollektiv einen zermürbenden Kampf gegen unberechenbare Einheiten zu führen hätte.

68 Pohl 2010.

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Abb. 2: The Imperial Frame of Orientation

4.2 Das imperiale Machtkonzept

Wird die Herrschaftsstruktur des imperialen Ordnungskomplexes untersucht, kann von einer Machtbeziehung zwischen den politisch relevanten Gruppen ausgegangen werden. Leader und die Eliten üben die Macht aus; jene, die Folge leisten, bilden die Anhänger-schaft. Diese Machtbeziehung ist durch spezielle Gegebenheiten des historischen Rahmens zustande gekommen. Denn die Zustimmung zu einem politischen System, den Regeln, nach denen es funktioniert, und den politischen Autoritäten im Sinne einer längerfristigen Unter-stützung ergibt sich durch die politische Sozialisation eines Individuums und ist nicht an die Ereignisse des politischen Tagesgeschehens gebunden. Im imperialen System sind Um-bruchsituationen (Schwellenzeiten) für diese spezifische Machtkonstellation verantwortlich, in welchen die Anhängerschaft spontane Zustimmung zu den neuen politischen Zielen und einer neuen Art der Führungskraft übt. Die Führenden müssen über ganz bestimmte Macht-ressourcen verfügen und diese in gezielter Weise unter Berücksichtigung des historischen

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Kontextes einsetzen, um diese spontane Zustimmung zu erreichen. Diese Machtressourcen können in Nye’s Begrifflichkeit als smart power bezeichnet werden, die dazu dient, die Unterstützung der Anhängerschaft zu erlangen, indem deren Forderungen und Bedürfnisse erfüllt, aber auch gelenkt werden.

Um erklären zu können, wie das imperiale Machtverhältnis zustande kommen kann, wird auf die theoretischen Überlegungen des Ethnologen Maurice Godelier zurückgegrif-fen, die er zum Prozess einer „Staatenbildung“ angestellt hat. Damit eine Führungsgruppe die Zustimmung der Anhängerschaft erhält, die für Godelier die konstitutive Komponente dieser Machtbeziehung darstellt, müssen die Führenden „den Schein erzeugen […], als würden sie irgendeine Art von Dienst leisten. Nur unter diesen Bedingungen kann die Macht der herrschenden Gruppe als ‚legitim’ angesehen werden, so daß es die ‚Pflicht’ der beherrschten Menschen wird, denen zu dienen, die ihnen dienen.“ Dazu sei es laut Godelier nötig, „daß ein Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis, um Form anzunehmen und sich selbst auf einer dauerhaften Basis zu reproduzieren, die Form eines Austausches annehmen muß, und zwar eines Austausches von Dienstleistungen.“ Das sichert die Zustimmung und Unterstützung jener, denen dieses Verhältnis auferlegt wird, und verstärkt das gesellschaft-liche Gliederungsprinzip, welches dadurch hervorgerufen wird, „daß die Dienstleistungen, die von der herrschenden Gruppe erbracht werden, sowohl zur Wirklichkeit als auch zu den unsichtbaren Kräften, welche den Erhalt des Universums zu kontrollieren scheinen, in Ver-bindung gebracht werden.“ Grundsätzlich gilt, dass „in der Bilanz der ‚ausgetauschten’ Dienstleistungen diejenigen, welche von der herrschenden Klasse erbracht wurden, um so grundlegender erschienen, wie sie ‚imaginär’ waren, während diejenigen, die von den Be-herrschten erbracht wurden, um so trivialer schienen, wie sie sichtbarer, materieller und nur auf allgemein zugänglichen Mitteln beruhend waren, um den Erhalt der Gesellschaft zu beeinflussen.“69

Wird für das Machtverhältnis, welches die imperiale Herrschaftsstruktur ausmacht, ein Austausch von Dienstleistungen angenommen, muss geklärt werden, welche Dienst-leistungen der leader und die imperiale Elite gewähren und welche Dienstleistungen die Anhängerschaft im Gegenzug dafür anbietet. Im imperialen Austausch von Dienstleistun-gen können dabei zwei Formen von Dienstleistungen der Führungsgruppe unterschieden werden.

a. Die erste Form arbeitet mit dem symbolischen Kapital des imperialen Beziehungs-geflechtes, den Erwartungen, Hoffnungen, Wünschen und Ängsten von Menschen.70 Die imperiale Macht wird an unsichtbare Kräfte gebunden, welche das Universum kon-trollieren und zu denen die Führungspersonen eine gewisse Beziehung zu haben vor-geben. Sie erzeugen den Schein über ein gewisses Charisma zu verfügen und die Gunst der Götter zu besitzen, die ihnen Erfolg und Macht zu Teil werden lassen. Die weise Voraussicht der göttlichen Wahl wird propagiert, die verkündet, dass die Führenden die Fürsorge für ihr politisches System im Kampf gegen Imperiumsanwärter, feindlich ge-sinnte Zivilisationen und „Barbaren“ übernehmen. Wenn Siege errungen werden können, dann nur durch die Führenden oder in ihrem Auftrag. Imperiale Macht wird mit

69 Godelier 1982, 20–24. 70 Der Begriff stammt von Bourdieu 2003, 211–216.

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dem Sieg verknüpft, dessen segensreiche Folgen imperialer Friede und Sicherheit sind, wie Maria Radnoti-Alföldi am Beispiel der Bildersprache der römischen Kaiser auf-gezeigt hat.71 Das symbolische Kapital ermöglicht die Legitimation der Macht, indem es die neu zu erreichenden imperialen Maßstäbe unter das Zeichen der Kontinuität stellt.

b. Die zweite Form der Dienstleistungen ist als die Materialisierung der symbolischen Ef-fekte der imperialen Ordnung anzusehen. Die Führenden leisten hier „reale“ Dienste, indem sie versuchen, den imaginären Dienstleistungen eine materialisierte Form zu verleihen: Sie sorgen für Sicherheit und verteidigen die Interessen des politischen Ver-bandes gegen die imperialen Gegner. Aus der imperialen Selbstsicht ist die imperiale Macht Garant für eine rechtliche Ordnung und Beschützer vor Chaos, was seine Führungsrolle legitimiert. Das erlaubt dem imperialen Kern-System militärische Inter-ventionen, um Gebiete des imperialen Außen zu okkupieren, wodurch es Sicherheit, Friede und Wohlstand verspricht und durch die imperiale Mission deren Glaubwürdig-keit steigert. Münkler nennt dies das imperiale „Prosperitätsversprechen“.72

Die Dienstleistungen der Anhängerschaft zeigen sich in ihrer spontanen Zustimmung zum politischen System, seinen Regeln und den politischen Autoritäten, die sich in eine länger-fristige aktive Unterstützung umsetzt. Als aktiv ist die Unterstützung deshalb zu bezeichnen, weil sie sich in der Bereitschaft zur Arbeitsteilung und politischen Partizipation äußert. Dabei können drei Formen aktiver Unterstützung unterschieden werden, die als die Dienstleistungen der Anhängerschaft zu verstehen sind:

a. Die erste Form der aktiven Unterstützung bilden die materiellen Dienstleistungen der Anhängerschaft in Form von Steuern bzw. Abgaben. Sie spielen eine wichtige Rolle, weil sich der imperiale Herrschaftsapparat zumindest selbst finanzieren können muss.73

b. Als zweite Form der Dienstleistungen ist die aktive Unterstützung durch die Übernahme politischer Rollen im imperialen System auf überregionaler, regionaler und lokaler Ebene anzusehen.

c. Die dritte Form bildet die aktive Unterstützung der Führenden und des Gesamtsystems durch eine politisch motivierte affektive Zustimmung.

71 Radnoti-Alföldi 1999, 83–116. 72 Münkler 2005, 157. 73 Osterhammel 2002, 378.

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Abb. 3: The Ongoing Exchange of Services Werden diese theoretischen Überlegungen zum imperialen Machtverhältnis in eine sozial-wissenschaftliche Terminologie gebracht, kann Folgendes festgehalten werden: Der leader und die Elite üben in Schwellenzeiten smart power (eine Kombination aus harten und weichen Machtressourcen) gezielt aus, um die Unterstützung der followers zu erreichen. Die Ausübung von Macht wird durch die Bereitstellung von Dienstleistungen legitimiert, die als Reaktion auf die demands nach Befriedigung der needs der followers gesehen werden. Die harten Machtressourcen gewähren die Bereitstellung von Sicherheit, die Auf-rechterhaltung der imperialen Ordnung und des imperialen Friedens, die weichen Machtres-sourcen arbeiten am imperialen Orientierungsrahmen, der den Schein erzeugt, dass der Schutz der imperialen Innensphäre vor den Gefahren der imperialen Außensphäre ein zentrales Bedürfnis des imperialen Kollektivs darstellt. Damit werden die Bedürfnisse der Anhängerschaft und daraus folgernd deren Forderungen gelenkt. Die Unterstützung der followers ist als deren zentrale Dienstleistung anzusehen. Sie äußert sich in der Übernahme politischer Rollen im Gesamtsystem, der affektiven Zustimmung zum imperialen Ordnungskomplex und materiellen Dienstleistungen, die dem Erhalt desselben dienen.

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4.3 Das imperiale Expansionskonzept

Auf der internationalen Ebene stellt das imperiale politische System eine unipolare Ordnung mit einem Kern-System und mehreren Sub-Systemen dar, deren Beziehung nicht lediglich als geographisch verstandener Zentrum-Peripherie-Gegensatz aufzufassen ist. Beide Arten von politischen Systemen sind charakterisiert als politische Einheiten, die zentral durch die gemeinsame Vision eines neuen politischen Zieles gekennzeichnet sind. Ob dieses erreicht werden kann, hängt entscheidend von der Unterstützung der Sub-Systeme ab. Die Zugehörigkeit zum imperialen System muss daher attraktiv wirken, wenn die Anhängerschaft des imperialen Machtverhältnisses Dienstleistungen zum Erhalt des Gesamtverbandes aufbringen soll. Die Sub-Systeme sind nach ihrem Grad an Integration in das Gesamtsystem zu unterscheiden, der an ihrer Bereitschaft zur Unterstützung gemessen werden kann. Jene Systeme, die zur inneren Sphäre zu zählen sind, weisen einen höheren Grad an Integration auf, während die Systeme der äußeren Sphäre einen niedrigen Grad an Integration, oder besser Desintegration, aufweisen. In beiden Sphären stufen sich die Systeme wieder in unterschiedliche Integrations- beziehungsweise Desintegrationsgrade ab. Das zeigt sich etwa in unterschiedlichen formalen Übereinkünften von Sub-Systemen mit dem Kern-System.

Im Zentrum der Untersuchung der internationalen Ebene des imperialen Ordnungs-komplexes stehen die Bemühungen des imperialen Kern-Systems, Sub-Systeme in die imperiale Innensphäre zu integrieren. Bei den Integrationsbemühungen des Kern-Systems spielen die Legitimationsmechanismen imperialer Macht eine herausragende Rolle. Wie bereits festgestellt wurde, legitimiert sich das imperiale System vorrangig über die Ver-mittlung eines Orientierungsrahmens, dessen Kernelemente eine Innensphäre – verkörpert durch ein imperiales „Wir“ als kollektive Identität – und eine Außensphäre – verkörpert durch ein „Die“ – darstellen. Das imperiale Kern-System konstruiert eine äußere Be-drohung, die von Imperiumsanwärtern, anderen Zivilisationen und „Barbaren“ ausgeht, um sich selbst als Behüter des imperialen Friedens und der imperialen Sicherheit präsentieren zu können. Durch diese Dienstleistung, welche das Kern-System für das Kollektiv leistet, werden außergewöhnliche politische Aktionen der imperialen Integration (zum Beispiel Assimilierungsversuche) und Expansion (zum Beispiel Okkupation) notwendig. Es stellt sich die Frage, wie die Durchführung dieser Aktionen legitimiert werden kann, denn dafür ist das freie Brechen von Regeln notwendig, das plausibel erklärt werden muss.

Um diese Frage beantworten zu können, wird auf das Sicherheits-Konzept von Buzan, Waever und de Wilde zurückgegriffen, das sie in Security. A New Framework for Analysis entworfen haben. „Sicherheit“ stelle keine fixe Kategorie dar, die lediglich an den capabilities politischer Einheiten der internationalen Ebene gemessen werden könne, so die Autoren. Vielmehr sei von einer Größe auszugehen, die verschiedene sicherheitsrelevante Themen und mehrere Analyseebenen umfasst. „Sicherheit“ kann ihnen zufolge nur unter Berücksichtigung verschiedener Referenzobjekte diskutiert werden. So werden Dinge be-zeichnet, die als existentiell bedroht angesehen werden und ein legitimiertes Recht haben zu überleben. Im Modell von Buzan, Waever und de Wilde nehmen Akteure eine entschei-dende Rolle ein, die bestimmte Themen zu sicherheitsrelevanten Themen machen, indem sie bestimmte Dinge zu Referenzobjekten erklären. Funktionsakteure wiederum können die

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Dynamik eines Sicherheitssektors beeinflussen, indem sie die Entscheidungsfindung in Sicherheitsbelangen lenken. Ein Thema wird dann zu einem sicherheitsrelevanten Thema, wenn die intersubjektive Feststellung besteht, dass ein Referenzobjekt existentiell bedroht ist. Diesen Prozess nennen Buzan, Waever und de Wilde Versicherheitlichung (securiti-zation), der nur dann gelingen kann, wenn er auf die Akzeptanz des Zielpublikums stößt, welches das Brechen von Regeln als legitimiert ansehen muss. Den Akt des legitimierten Brechens von Regeln zum Schutz des Referenzobjektes nennen die Autoren den security act, der in seiner Extremform den Krieg annimmt, in dem der Gegner eliminiert werden soll.74

Abb. 4: Legitimation of Imperial Power through the Process of Securitization

Imperiale Sicherheit ist keine objektiv messbare Größe, sondern an die subjektive Wahr-nehmung der leader gebunden, die als Akteure den Prozess der securitization in Gang bringen. Mit den Worten Münklers sind die Akteure dieses Prozesses die imperiale Ent-

74 Buzan/Waever/de Wilde 1998.

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scheidungselite, die imperiale Deutungselite hingegen stellt die Funktionsakteure dar. Sie kommunizieren den imperialen Orientierungsrahmen, der das feste Bild einer zivilisierten, durch Recht geordneten politischen Einheit (in der inneren Sphäre) propagiert, die sich von seinem negativ konnotierten Doppelgänger (in der äußeren Sphäre) abgrenzt, der sich im Begriff „Barbar“ manifestiert. Das imperiale politische Kollektiv, das imperiale „Wir“ und seine Identität sind das entscheidende Referenzobjekt der imperialen Sicherheit, das vor fix gedachten Gefahrenquellen beschützt werden muss. Das stellt das zentrale Bedürfnis des imperialen Kollektivs dar. Der security act besteht in den von der Anhängerschaft als Ziel-publikum des Prozesses der Versicherheitlichung legitimierten Aktionen imperialer Expan-sion und Integration zum Schutze der imperialen kollektiven Identität als zentrales Re-ferenzobjekt imperialer Sicherheitsbelange.

Für die Einschätzung von Bedrohungen im internationalen Kontext ist stets auch die Wahrscheinlichkeit der Konsequenzen von Bedeutung, ebenso die räumliche und zeitliche Entfernung der Gegner. Bedrohungen haben zudem immer auch eine historische Dimension und sind nicht konstant. Im imperialen Kontext bleiben die Bedrohungen des Systems kon-stant, weil sie einen wesentlichen Bestandteil des konstruierten imperialen Orientierungs-rahmens darstellen. Buzan, Waever und de Wilde betonen, dass „Sicherheit“ als die Un-möglichkeit anzusehen sei, politisch relevante Themen in einen geregelten politischen Prozess zurückzuführen, was die Entsicherheitlichung (desecuritization) zur zwingenden Notwendigkeit mache. Diese Rückführung ist im imperialen Kontext nicht möglich, weil sich threats und vulnerabilities institutionalisiert haben. Sämtliche darunter liegende As-pekte sozial-politischer Beziehungsgeflechte werden von ihnen überlagert. Im politikwis-senschaftlichen Fachjargon wird dies als eine Überlappung (overlay) von kleineren Themenfeldern durch ein zentrales bezeichnet.

5 Fazit

Ziel der vorliegenden Untersuchung war, die theoretische Fiktion eines imperialen politi-schen Systems auf der Basis von sozialwissenschaftlichen und historischen Basisargu-menten zu entwerfen. Dazu wurden drei Konzepte imperialer Macht vorgestellt, die das Zusammenspiel von Strukturen und Prozessen als zentrale Bestandteile eines imperialen Ordnungskomplexes genauer beleuchten. Die so entworfene theoretische Fiktion zeigt ein „Imperium“ nicht als organische Masse, die nichts mehr über die Spuren der Instrumente verrät, die ihre Elemente gemischt haben. Vielmehr benennt sie die – aus der Perspektive eines fiktiven Beobachters destillierten – Zutaten und das Mischverfahren, welche in Summe zur idealen und reinen Form der imperialen Machtentfaltung führen.

Die Ergebnisse benennen die signifikanten Elemente der idealtypischen Form eines imperialen Ordnungskomplexes und deren Verbindungslinien: Das imperiale Weltbild ist maßgeblich durch die imperiale Selbstwahrnehmung geprägt, welche die Wünsche und Ängste des imperialen politischen Kollektivs und der politischen Elite widerspiegelt. Diese Selbstsicht verkörpert der imperiale Orientierungsrahmen, der zwei entgegengesetzte Ein-heiten einander gegenüberstellt: ein imperiales „Wir“ als Ausdruck imperialer kollektiver

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Identität in der imperialen Innensphäre auf der einen Seite, und ein imperiales „Die“ in der imperialen Außensphäre auf der anderen. Das imperiale „Wir-Gefühl“ stellt das Referenz-objekt imperialer Sicherheit dar, das vor konstant gedachten Bedrohungen aus der Außen-sphäre ständig beschützt werden muss. Die Gewährleistung dieses Schutzes wird als die zentrale Dienstleistung der politischen Gruppen angesehen, die im imperialen System die Macht innehaben: der leader und die imperiale Entscheidungs- und Deutungselite. Die Aktionen, die zur Sicherheit des imperialen Kollektivs führen sollen, sind an das legiti-mierte Brechen von Regeln beim Prozess der Expansion und der Integration geknüpft. Diese Legitimation gewährt die imperiale Anhängerschaft, indem sie die Aktionen als ge-rechtfertigt anerkennt. Sie stimmt diesen nicht nur spontan zu, sondern unterstützt sie durch materielle Dienstleistungen und durch die Übernahme wichtiger politischer Funktionen, welche die Aktionen erst möglich machen.

Aufgrund der hier vorgestellten theoretischen Annahmen wird im Sinne einer opera-tionalen Umsetzung der in dieser Untersuchung skizzierten theoretischen Fiktion vorge-schlagen, dass bei der Analyse eines historischen Fallbeispiels hinsichtlich seiner imperialen Charakteristik drei zentrale Überlegungen anzustellen sind, um eine Vergleichbarkeit als „imperial“ bezeichneter Systeme in einer diachronen und synchronen Perspektive zu gewährleisten. Diese zielen auf eine bewusstere Wahl der Herangehens-weise und der Untersuchungskriterien ab.

a. Die erste Überlegung hat mit der analytischen Blickrichtung und den gewählten Begriff-lichkeiten zu tun, mit welchen an ein historisches Fallbeispiel herangegangen wird. Während sich die politologischen Zugänge zum Phänomen „Imperium“ auf die Inter-aktionen national-staatlicher politischer Einheiten (states, nations) auf der inter-nationalen-systemischen Ebene konzentrieren, schauen die historisch-soziologischen Analysen auf die Veränderung organisatorischer Strukturen in verschiedenen Stadien von „Staatlichkeit“ im Inneren einer Einheit, wie aufgezeigt wurde. Durch diese unter-schiedlichen Herangehensweisen werden auch die Akzente der Einschätzung der Imperialität eines politischen Systems verschieden gesetzt.

b. Die zweite Überlegung hat mit der Rezeption imperialer Vorbilder zu tun. Diese hat einen entscheidenden Einfluss auf die Vorstellung, wie ein imperiales System funk-tioniert. Die starke Präsenz des Imperium Romanum als häufig zitiertes Vorbild imperialer Gebilde ist das beste Beispiel dafür. Seine Vorbildfunktion als paradigmati-sches Imperium ist nämlich stark an seine literarische Selbstdarstellung und ihre breite Rezeption durch die europäische Geschichte seit der Antike (über das mittelalterliche Reich, den Humanismus, Klassizismus) bis herauf zur Gegenwart geknüpft.75 Das orga-nologische Modell einer aufsteigenden und wieder absinkenden Machtstellung hat dabei einen zentralen Platz eingenommen und die Vorstellung des „imperialen Organismus“ wesentlich geprägt.

c. Die dritte Überlegung bezieht sich auf das Phänomen der imperialen Dualität. Die vor-liegende Analyse hat aufgezeigt, dass die imperialen Machtstrukturen stark an die imperiale Selbstsicht gebunden sind, und somit von intersubjektiv konstruierten Ideal-bildern beeinflusst werden. Diese imperialen Ideale müssen bei der Analyse mitgedacht

75 Bichler 2006.

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werden, und erfordern so eine Herangehensweise, die in den Worten Greg Woolfs, “makes use of the perceptions of those who inhabited, lived, suffered, and dreamed empires.”76

Wird die Analyse eines historischen Fallbeispieles unter Berücksichtigung der hier vorge-stellten theoretischen Annahmen und Überlegungen angestrebt, sollte diese folgende Kriterien erfüllen: Erstens die Untersuchung aller drei Ebenen der politischen Ordnung eines imperialen Systems – die Sphäre der subjektiven Wahrnehmung, die innere sowie die internationale Ebene – und ihre Verbindungslinien. Zweitens ist mitzudenken, wie sich die Prägekraft der so genannten „imperialen Idee“ auf die Vorstellung imperialer Macht aus-wirkt; und drittens sollte stets der Einfluss der gewählten analytischen Blickrichtung und der Analyseinstrumente auf die Ergebnisse im Auge behalten werden.

Bei der konzeptionellen Annäherung an das Phänomen „Imperium“ können die Sozial- und Geisteswissenschaften also eng zusammenarbeiten, indem die einen jene begrifflichen und theoretischen Konzepte bereitstellen, welche die anderen bei der Erforschung von Fall-beispielen lenken können. Oder konkreter: Die idealtypische Charakteristik eines Imperiums kann mithilfe sozialwissenschaftlicher Theorieansätze als analytisches Instrument formuliert werden, um damit das Spezielle und Einzigartige historischer Fallbeispiele genauer untersuchen zu können. Ein solches Vorgehen schließt nicht aus, dass das Hauptinteresse an der Erforschung des Imperialen den vielfältigen Ausdrucksformen historischer Einzelfälle gilt. Dem idealtypisch gedachten theoretischen Instrument gelingt es nicht, jeden verwinkelten Zweig individuellen Handelns auszuleuchten, von welchen das komplizierte Labyrinth menschlichen Verhaltens zu Genüge Varianten bereithält. Der Zweck eines theoretischen Konstruktes – wie von jedem Idealtypus – liegt nicht darin, einzelne Prozesse so vollständig wie möglich zu erklären, sondern die historische Analyse einer vergleichbaren Klasse von Ereignissen in Hinblick auf eine kleine Zahl von zentralen Variablen zu ermöglichen.77 Das gilt auch für die hier entworfene theoretische Fiktion. Sie ist an sich metaphorisch und verleiht dem Wissen somit keinen sicheren Halt, wie es de Certeau78 ausdrückt. Dies kann sie nur in Verbindung mit der historischen Quellenkritik.

76 Woolf 2001, 320. 77 Haftendorn 1990, 418. 78 de Certeau 1997.

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