Daniela Kratz 2005, Griechen in Görlitz 1916-1919 - Studien zu akustischen Aufnahmen des...
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Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen GradesDiplom-Museologin (FH)
vorgelegt am 8. März 2005von Daniela Kratzgeb. am 06.09.1976 in GörlitzMatrikel-Nr. 76900 384790
Studiengang Museumskunde, Fachbereich GestaltungFachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Betreuer:Gutachter:
Prof. Dr. Angelika Ruge (FHTW)Jürgen K. Mahrenholz(Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin)
Griechen in Görlitz 1916-1919 - Studien zu akustischen Aufnahmen
des Lautarchivs der Humboldt-Universität zu Berlin
1____________________________________________________________________________
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................3
1. Einleitung ...............................................................................5
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der
Humboldt-Universität zu Berlin (HUB)...............................10
3. Akustische Aufzeichnungen ..............................................14
3.1 Die Erfindung der Schallaufzeichnung ..................................14
3.2 Die technische Entwicklung analoger Aufnahmegeräte am
Ende des 19. Jahrhunderts. ..................................................17
3.2.1 Der Phonograph ....................................................................18
3.2.2 Das Grammophon .................................................................22
3.3 Akustische Aufzeichnungen als historische Quellen .............24
4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ .............................28
4.1 Die Kgl. Preußische Phonographische Kommission (PK) .....31
4.1.1 Die Gründung der Kommission .............................................32
4.1.2 Die Finanzierung der phonetischen Aufnahmen....................35
4.1.3 Der Aufnahmeablauf .............................................................36
4.2 Weitere Studien in den Kriegsgefangenenlagern ..................39
4.3 Die Auswertung des Forschungsmaterials ............................42
5. Griechenland in Görlitz .......................................................44
5.1 Die politische Lage Griechenlands im 1. Weltkrieg ...............44
5.2 Wie die Griechen nach Görlitz kamen ...................................47
5.2.1 Das Korps in Mazedonien .....................................................47
5.2.2 Die Ankunft in Preußen .........................................................50
5.3 Das Griechenlager ................................................................52
5.3.1 Der Vertrag mit den Gästen...................................................53
5.3.2 Aufbau und Organisation im exterritorialen Lager .................55
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5.3.2 Aufbau und Organisation im exterritorialen Lager .................55
5.4 Das Leben in der Fremde......................................................58
5.5 Die Rückkehr in die Heimat ...................................................63
5.6 Griechen – die in Görlitz blieben ...........................................68
6. Die sprach- und musikwissenschaftlichen Tonaufnahmen
im Griechenlager .................................................................70
6.1 Die Rolle August Heisenbergs und der Kgl. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München (BAdW) .............71
6.1.1 Der Sprachwissenschaftler August Heisenberg ....................71
6.1.2 Die BAdW und ihre Kooperationspartner ..............................75
6.2 Die phonetischen Aufnahmen im Lager ................................78
6.3 Reproduktion und Verwertung der Aufnahmen .....................84
7. Schlussbetrachtungen........................................................89
8. Anhang .................................................................................94
8.1 Abkürzungsverzeichnis .........................................................94
8.2 Abbildungsverzeichnis und Bildanhang ………………...………....96
8.3 Textverzeichnis und Textanhang.........................................117
8.4 Quellen- und Literaturverzeichnis ………………………….………154
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Vorwort
Die hier vorliegende Diplomarbeit entstand während des
Wintersemesters 2004/2005 im Studiengang Museumskunde an der
Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. In ihr werden die
historischen Umstände und das Zustandekommen von akustischen
Aufnahmen auf Schellackplatten beschrieben, die heute am Lautarchiv
der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) untergebracht sind. Bei
diesem Sammlungsbestand handelt es sich um 72 Platten mit
griechischen Sprach- und Gesangsaufnahmen, die während des 1.
Weltkrieges in der Stadt Görlitz erstellt wurden.
Während meines einjährigen studienvorbereitenden Praktikums (1999-
2000), das ich innerhalb des Projektes „Erschließung der Sammlungen
der Humboldt-Universität“ am Hermann von Helmholtz-Zentrum für
Kulturtechnik der HUB absolvieren konnte, war ich unter anderem im
Lautarchiv tätig. Dort stieß ich auf Schellackplatten mit griechischen
Aufnahmen, die 1917 in meiner Heimatstadt Görlitz entstanden. Da dies
für mich ein völlig neuer und unbekannter Teil der Stadtgeschichte war,
begann ich mit ersten Recherchen im Görlitzer Ratsarchiv. Schnell
wurde ersichtlich, dass es sich nicht nur um einen außergewöhnlich
spannenden und fast vergessenen Teil der Lokalgeschichte handelt,
sondern auch, dass die dort erhaltenen Informationen den
Schallaufnahmen im Lautarchiv einen interessanten und unerwarteten
Hintergrund liefern. Mit Beginn und während des Studiums ergab sich
leider keine weitere Gelegenheit Nachforschungen anzustellen. Dass
ich nun mit meiner Diplomarbeit die Möglichkeit wahrnehmen konnte,
das damals nur angeschnittene Thema wieder aufzugreifen, war ein
ausgesprochen glücklicher Umstand, für den ich sehr dankbar bin.
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An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die zur
Realisierung dieser Diplomarbeit beigetragen haben. Mein besonderer
Dank gilt Herrn Jürgen K. Mahrenholz vom Lautarchiv der Humboldt-
Universität zu Berlin, der mich bei der Erstellung der Arbeit vielseitig
unterstützte und mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Außerdem
danke ich ihm für seine Bereitschaft, die Aufgabe des Gutachters zu
übernehmen.
Zu großem Dank bin ich auch meiner Betreuerin Frau Prof. Dr. Angelika
Ruge verpflichtet, die mir in vielen anregenden Gesprächen wichtige
Denkanstöße für die Herangehensweise an das Thema gab.
Weiterhin danke ich Frau Dr. Susanne Ziegler vom Berliner
Phonogramm-Archiv am Ethnologischen Museum Berlin für Ihre
aufschlussreichen Informationen, sowie Herrn Roland Otto vom
Ratsarchiv Görlitz, Herrn Stephan Fölske vom Archiv der Berlin-
Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Herrn Bernd
Görmer vom Archiv der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
München für Ihre freundliche Unterstützung bei der Recherche.
Mein Dank gilt Frau Petra Großert und Herrn Konstantinos Toubekis für
Ihre zur Verfügung gestellten Materialien und die zahlreichen
Detailinformationen zum Sachverhalt.
Bedanken möchte ich vor allem bei Herrn Holger Grönwald für die
vielfachen Anregungen und seine Geduld.
1. Einleitung 5 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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1. Einleitung
Voraussetzung und wichtigstes Kommunikationsmittel des Menschen
ist die Sprache und die damit verbundene Artikulationsfähigkeit, die ein
Individuum definiert. Zusammen mit dem Gesang bewahrt die Sprache
in mündlicher wie schriftlicher Form menschliches Schaffen über
Generationen hinweg. Damit dienen beide nicht nur dem interkulturellen
Austausch sondern sind ausschlaggebend für die kulturelle Identität von
Völkern wie Nationen. Da sie allerdings einem steten Veränderungs-
prozess unterworfen und gegenüber materiellen Kulturgütern nicht
einfach greifbar sind, gestaltet sich auch ihre Bewahrung
ausgesprochen schwierig. Es lässt sich nur erahnen, wie viel von der
akustischen Kulturgeschichte der Menschheit mit der Zeit in
Vergessenheit geriet und unwiederbringlich verloren ist.
Mit der „Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes“1
bekräftigte die UNESCO am 17. Oktober 2003 in Paris, aufgrund
rasanter kultureller Angleichungen im Zuge der Globalisierung, den
besonderen Schutz dieses massiv bedrohten Erbes.2 In dieser
Konvention äußert sich ein wichtiges und unbedingt notwendiges
Anliegen, das jedoch nicht erst mit den weltpolitischen Gegebenheiten
der letzten Jahrzehnte, sondern bereits durch die Entwicklung von
Wissenschaften wie der Ethnologie und der Vergleichenden Musik-
wissenschaft ins Blickfeld rückte. Als vor über 100 Jahren technische
Entwicklungen ermöglichten, Stimmen mechanisch zu konservieren,
wurde die Sicherung akustischer Traditionen für diese
Forschungszweige zur zentralen Aufgabe. Die uns so überlieferten
Artikulationen verschiedenster Völker stellen heute nicht nur wichtige
Zeugnisse der kulturellen Menschheitsgeschichte und -entwicklung dar,
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1 UNESCO 2003, 2 2 UNESCO 2003, 3; Neben den mündlich überlieferten Traditionen und Ausdrucksformen einschließlich der Sprache werden u. a. die darstellenden Künste, gesellschaftlichen Bräuche, Rituale und Feste zu immateriellen Kulturgütern gezählt.
1. Einleitung 6 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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sondern sind zum Teil die einzigen uns übermittelten Informationen
bereits nicht mehr existierender Kulturen. Aus dieser
wissenschaftshistorischen Entwicklung heraus und im Zuge der
Institutionalisierung ethnographischer und anthropologischer
Forschungszweige entstanden diverse Sammlungen und Archive.
Sofern sie noch heute existieren, widmen sie sich neben der
wissenschaftlichen Auswertung vor allem der Bewahrung des
zusammengetragenen Tonmaterials.
Das Berliner Phonogramm-Archiv am Ethnologischen Museum Berlin3
und das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB)4 zählen
zu den frühen Gründungen derartiger Einrichtungen und gehören mit
ihren einzigartigen historischen Schallaufzeichnungen zu den weltweit
bedeutendsten Sammlungen so genannten immateriellen Kulturerbes.
Beiden Archiven, die auf eine jeweils eigenständige Sammeltätigkeit
zurückblicken können, ist eine ausgesprochen wechselhafte und zum
Teil miteinander verwobene Geschichte gemein, auf die im Rahmen
dieser Abhandlung jedoch leider nicht tiefer eingegangen werden kann.
Daher sei auf die ausführlichen Ausarbeitungen zum Berliner
Phonogramm-Archiv von Artur Simon und Susanne Ziegler sowie von
Jürgen K. Mahrenholz und Dieter Mehnert für das Lautarchiv
verwiesen.5
Die Protagonisten der hier thematisierten Sprach- und
Gesangsaufnahmen aus der Sammlung des Lautarchivs der HUB
waren Soldaten, die als Angehörige des IV. Griechischen Armeekorps
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3 Das Berliner Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums gehört zur Abteilung Musikethnologie und Medien-Technik und befindet sich in der Arnimallee 27 in Berlin-Dahlem. 4 Das Lautarchiv der HUB ist Am Kupfergraben 5 (Berlin-Mitte) in Räumlichkeiten des Musikwissenschaftlichen-Seminars untergebracht. 5 Vgl. SIMON 2000; ZIEGLER 2000; MAHRENHOLZ 2003; MEHNERT 1996
1. Einleitung 7 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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mit einer Truppenstärke von 7.000 Mann vom Herbst 1916 bis zum
Frühjahr 1919 als Gäste in der Stadt Görlitz weilten.
Das Ziel dieser Untersuchung soll sein, erstmals anhand historischer
Quellen und Kontextinformationen das Zustandekommen dieses Teil-
bestandes des Lautarchivs sowie dessen Besonderheit gegenüber
anderen Aufnahmen aus dem 1. Weltkrieg aufzuzeigen. Damit soll nicht
nur die Bedeutung dieser Platten und die Notwendigkeit ihrer Erhaltung
als einmaliges immaterielles Kulturerbe hervorgehoben, sondern auch
eine Grundlage für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung und
mögliche museale Nutzung vorbereitet werden. Anzumerken ist darum,
dass diese Diplomarbeit keine sprach- und musikwissenschaftliche
Auswertung des Tonmaterials verfolgt und auch nicht liefern kann.
Vielmehr werden die phonetischen Aufnahmen der griechischen
Soldaten in ihren historischen Zusammenhang gestellt und mittels
verschiedener Fragestellungen in ihrer Entstehung beleuchtet. Welche
technischen, politischen und wissenschaftlichen Grundvoraussetzungen
gaben den Anstoß, dass in dem Görlitzer Griechenlager akustische
Aufzeichnungen vorgenommen wurden? Welche Personen bzw.
Institutionen waren daran interessiert? Verfolgten sie mit den
Aufnahmen bestimmte Ziele und was geschah letztlich mit den
Tondokumenten? Der insofern übergreifenden Darstellung schließt sich
die Frage an, inwieweit die Tondokumente der Griechen heutigen
museal-historischen Anforderungen entsprechen und welche
Präsentations- und Nutzungsmöglichkeiten denkbar sind.
Nach einem Exkurs über die Aufnahmen selbst und die zeitlich
relevante Technikgeschichte folgt die Betrachtung der politischen
Hintergründe und ihr Einfluss auf die beteiligten Wissenschaften.
Thematisch steht dabei die Arbeit der Phonographischen Kommission
(PK) in den deutschen Kriegsgefangenenlagern im Vordergrund.
Eingegangen wird auf deren Auswahlparameter für akustische
Aufnahmen, das historische Sammlungskonzept, der technische
1. Einleitung 8 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Vorgang sowie die Provenienz der Sammlungen und verwaltender
Institutionen. Dem schließt sich die Betrachtung kriegspolitischer
Randbedingungen an, die für das Zustandekommen der griechischen
Aufnahmen von wesentlicher Bedeutung waren. Der Abschnitt gibt
weiter Auskunft über die Entstehung und die Besonderheit des Görlitzer
Lagers, das Lagerleben und dessen interne Organisation, die
Finanzierung sowie über das Verhältnis zwischen Deutschen und
Griechen in der Stadt.
Das anschließende Kapitel widmet sich den Aufnahmen im Lager. Es
werden die beteiligten Personen und Institutionen vorgestellt und an
diesen erklärt, warum Interesse an griechischen Dialekten und Musik
bestand und diese in Deutschland aufgenommen wurden. Des
Weiteren wird der Aufnahmehergang der akustischen Aufzeichnungen
detailliert beleuchtet und abschließend der Verwendung des phone-
tischen Materials nachgegangen.
Konnte für die einleitenden Kapitel vorrangig auf Publikationen der
letzten Jahre, unter anderem mit Bezug auf Veröffentlichungen der Zeit
während und nach dem 1. Weltkrieg, zurückgegriffen werden, so fand in
den Abschnitten zum bearbeiteten Sammlungsbestand hauptsächlich
das hinzugezogene Aktenmaterial aus verschiedenen Archiven
Verwendung. Vor allem das Archiv der Berlin-Brandenburgischen
Akademie der Wissenschaften (BBAW), zu dessen Bestand die Akten
der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften (PAW) zählen,
verfügt über umfangreiches Aktenmaterial zu den Aufnahmen im
Görlitzer Lager. Dadurch war es möglich, wichtige Zusammenhänge zu
erfassen, die sich aus den Unterlagen der anderen Archive nicht
erschlossen hätten. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften in
München (BAdW) trug mit der dort verwahrten Korrespondenz August
Heisenbergs zur Vervollständigung des gesamten Sachverhaltes bei.
Die Akten des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München (BayHStA),
wo leider bis zur Beendigung der vorliegenden Arbeit nicht das gesamte
1. Einleitung 9 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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relevante Material einsehbar war, erbrachten elementare Aussagen zu
Heisenbergs Militärzeit und seiner Zeit in Görlitz. Die Informationen
über die Lagergeschichte wurden maßgeblich anhand der Unterlagen
im Ratsarchiv der Stadt Görlitz (RatArch) rekonstruiert, wobei im
Bundesarchiv Berlin-Zehlendorf (BArchB) weitere interessante Details
über die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe zum Lager in
Erfahrung gebracht werden konnten. Über das Wirken und die Arbeit
Wilhelm Doegens, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der PK
und der Vorgängereinrichtung des Lautarchivs, der Lautabteilung, steht,
informierten die Unterlagen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer
Kulturbesitz Berlin (GStA).
Abschließend sei zum Text selbst noch erwähnt, dass vollständige
Namensnennungen und Lebensdaten aller angeführten Personen nur
dann angegeben sind, wenn diese bei der Erstellung der Arbeit
ermittelbar waren. Zitierte Quellen sind durch Kursivschrift im Text
kenntlich gemacht und zeittypische Rechtschreibregeln so
übernommen worden, wie sie in den Unterlagen vorgefunden wurden.
Anmerkungen und Erläuterungen, die dem besseren Textverständnis
im Zitat dienen, stehen in eckigen Klammern. Die Quellenangabe
gestaltet sich bei der Literatur nach dem Schema „AUTOR Jahr, Seite“,
bei den Akten „Archiv Akte, Blatt“ und ist über die Bibliografie zu
verfolgen. Der Bildanhang ist neben seinem direkten Textbezug vor
allem zur zusätzlichen Illustration gedacht und lässt die Fülle der
Details zu Personen und dem Lager erkennen. Die vorliegende
Diplomarbeit wurde auf Grundlage der neuen amtlichen Regeln für die
Deutsche Rechtschreibung „in konservativer Handhabung“ verfasst.
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der HUB 10 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Abbildung 1: Das Lautarchiv der HUB. Blick auf die Stahlschränke zur Aufbewahrung von Schellackplatten.
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der
Humboldt-Universität zu Berlin
Um die Entstehung phonetischer Aufzeichnungen von griechischen
Soldaten in ihrem Zusammenhang erfassen zu können, sind
grundsätzliche Informationen über das Lautarchiv der HUB und das
Berliner Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums
ausschlaggebend. Kurz zusammengefasst sei, dass das Phonogramm-
Archiv durch den Psychologen Carl Stumpf (1848-1936) ins Leben
gerufen wurde, der es ab 1900 an der damaligen Friedrich-Wilhelm-
Universität (heute HUB) etablierte. Ab 1934 übernahm das damalige
Museum für Völkerkunde, heute Ethnologisches Museum der
Staatlichen Museen zu Berlin, den Sammlungsbestand.6 Nach wie vor
trägt das Archiv musikethnologische Tondokumente zusammen und
unterstützt verschiedene Forschungsprojekte. Seit 1999 gehört es dem
Weltkulturerbe im UNESCO-Weltregister „Memory of the World“ an.7
Das Lautarchiv wurde erst 1920 als Lautabteilung an der Preußischen
Staatsbibliothek auf Initiative von Wilhelm Doegen (1877-1967) einge-
richtet8 und arbeitet mit Beständen, die man seit 1909 aufgenommen
hat.9 1934 kam es als
Institut für Lautforsch-
ung an die Friedrich-
Wilhelm-Universität
Berlin und ist mit der
Neugründung der
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6 ZIEGLER 2000, 202 7 ZIEGLER 2000, 202 8 DOEGEN 1925, 12 9 MAHRENHOLZ 2003, 1
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der HUB 11 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
�
HUB nach dem 2. Weltkrieg im Ostteil Berlins als so genanntes
Lautarchiv verblieben.10
Beide Archive unterscheiden sich vor allem in der Wahl der
Aufnahmemedien und ihrer Sammlungsschwerpunkte von einander.
Während das Phonogramm-Archiv bis in die 50er Jahre des 20.
Jahrhunderts mittels des einfach zu handhabenden Phonographen
Wachswalzen bespielte und ausschließlich Gesangs- und Musik-
interpretationen zum Schwerpunkt hatte, arbeitete man im Lautarchiv
mit dem Grammophon und reproduzierten Schellackplatten. Mit dieser
Technik wurden hauptsächlich Sprachaufnahmen fixiert.11 Der rein
musikethnologischen Ausrichtung steht damit eine Sammlung von
sprachwissenschaftlichem und zeitgeschichtlich ergänzendem
Charakter gegenüber.
Die Gemeinsamkeiten beider Archive liegen vor allem bei dem
grundsätzlichen Interesse an akustischen Äußerungen sowie deren
Bewahrung, und ergänzen sich in Beständen von Aufnahmen, welche
die so genannte Phonographische Kommission (PK) zusammentrug.
Auf deren Wirken wird im weiteren Verlauf der Arbeit speziell
eingegangen. Dieser Sammlungsbestand der PK, im Phonogramm-
Archiv in Form von Wachswalzen und im Lautarchiv von
Schellackplatten, entstand zwischen 1915 und 1918 überwiegend in
deutschen Kriegsgefangenenlagern. Er beinhaltet traditionelle Gesänge
und Mundarten aus der Heimat internierter Soldaten und von
Angehörigen des IV. Griechischen Armeekorps, das zu Gast in
Deutschland weilte. Diese Griechenaufnahmen, die in der vorliegenden
Diplomarbeit thematisiert werden, zählt man in beiden Archiven zum
Bestand der PK, was durch den erwähnten Gaststatus des Korps
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10 MEHNERT 1996, 37 11 Eine besondere Rolle spielen die Platten, die mit der Signatur Aut (für Autophon) versehenen wurden. Sie zählen unter anderem zum Grundstock der Lautabteilung und gehen auf die so genannte „Darmstädtersche Stimmensammlung“ zurück, die der Chemiker Prof. Dr. Ludwig Darmstädter (1846-1927) stiftete und bis 1924 finanzierte. Sie beinhalten Stimmenportraits wichtiger Persönlichkeiten der damaligen Zeit wie beispielsweise von Kaiser Wilhelm II. und Friedrich Ebert. Vgl. MAHRENHOLZ 2003
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der HUB 12 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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jedoch nur bedingt zutrifft. Es handelt sich hierbei um einen
ungewöhnlichen Sachverhalt, der bei der weiteren Betrachtung des
Görlitzer Lagers genau zu beachten ist, damit die immer wieder
anzutreffende Gleichsetzung mit damaligen Kriegsgefangenenlagern in
Deutschland und den dort vorgenommenen akustischen Aufnahmen
vermieden wird. Auch das so genannte und durch neuere Publikation
bekannt gewordene „Halbmondlager“12 bei Wünsdorf in Brandenburg
kann mit dem Griechenlager in Görlitz nicht verglichen werden. In
diesem waren während des 1. Weltkrieges vorrangig muslimische
Gefangene aus den Kolonien der Westmächte untergebracht, denen
aus politisch-strategischen Gründen eine Vorzugsbehandlung zuteil
wurde. Man hoffte von deutscher Seite, das Freundschaftsverhältnis zu
den islamischen Völkern zu stärken, um sie für die eigenen Kriegsziele
zu gewinnen. Trotz allem waren und blieben diese Soldaten während
ihrer Internierung Kriegsgefangene Deutschlands.
Wie alle PK-Aufnahmen befinden sich die vorzustellenden
Aufzeichnungen griechischer Dialekte und Musik auf Schellackplatten
im Lautarchiv und auf Wachswalzen im Phonogramm-Archiv. Bei den
Walzen handelt es sich um ca. 70 Musik- und Gesangsaufnahmen,
über deren Inhalt durch unvollständige bzw. fehlende Transkriptionen
nur wenig ausgesagt werden kann. Da die Aufnahmen bisher weder
digitalisiert wurden noch während der Erstellung der Arbeit in ihrer
ursprünglichen Form zugänglich waren, wird über sie nur in Bezug zu
den Schellackplatten gesprochen. Im Lautarchiv befinden sich von den
ursprünglich 72 Originalen noch 70 Platten und 107 Dubletten. Im
Gegensatz zu den Wachswalzen im Phonogramm-Archiv findet sich
hier zu jeder Platte umfangreiches Schriftmaterial, das ausführlich über
den Interpreten bzw. Musiker sowie den Inhalt der Aufzeichnungen
informiert. Eine Übersicht im Anhang (Text 13) zu allen im Lautarchiv
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12 Vgl. KAHLEYSS 2000
2. Griechische Tondokumente im Lautarchiv der HUB 13 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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erhaltenen Griechenaufnahmen aus Görlitz gibt Auskunft zu Titel, Inhalt
und Umfang der Aufnahme.
Die vorgestellten Platten gehören zum umfangreichen Sammlungs-
bestand des Archivs, der neben technischen Geräten und Fotografien
etwa 4.500 Originalplatten und ca. 2.500 Dubletten umfasst.13 Von den
4.500 Originalen sind etwa 700 Aufnahmen deutscher Mundarten,
3.000 Aufnahmen von Sprachen verschiedenster Völker, 100
Aufzeichnungen stammen von bekannten Persönlichkeiten und 700
sind reine Musik- und Gesangsaufnahmen.14
Auch wenn aufgrund des fragilen Materials im Laufe der Zeit Verluste
zu bedauern waren, hat der Bestand die zahlreichen Standortwechsel
und Auslagerungen gerade im Zuge des 2. Weltkrieges erstaunlich gut
überstanden. Er wird nach wie vor im Zustand seiner ursprünglichen
Lagerung15 aufbewahrt, derzeit im Rahmen der wissenschaftlichen
Erschließung bzw. Sicherung auf digitale Bänder16 überspielt sowie in
die zur Verfügung stehende Datenbank IMAGO eingearbeitet. 17 Somit
werden die Tondokumente nicht nur gesichert, sondern stehen einer
weiterführenden wissenschaftlichen Untersuchung in bequem
zugänglicher Form zur Verfügung, ohne die Originaltonträger zu
beanspruchen.
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13 MEHNERT 1996, 43 14 MEHNERT 1996, 43 15 Die Archivschränke stammen aus der Gründungszeit der Lautabteilung an der Preußischen Staatsbibliothek. 16 Dabei handelt es sich um so genannte DAT (Digital Audio Tape) Bänder in Form von Kassetten.17 Vgl. MAHRENHOLZ 2003, 10-16
3. Akustische Aufzeichnungen 14 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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3. Akustische Aufzeichnungen
Ohne die tief greifenden, ja umwälzenden technischen Neuerungen zu
Beginn des 20. Jahrhundert wäre an die Entstehung von Laut-
aufzeichnungen und deren akustische Wiedergabe nicht zu denken
gewesen. Das folgende Kapitel der Arbeit widmet sich der Erfindung
des Phonographen und dem Grammophon, die beide für die hier
thematisierten Aufnahmen im Görlitzer Griechenlager eingesetzt
wurden.
3.1 Die Erfindung der Schallaufzeichnung
Euphorisch nahmen die Gäste der Weltausstellung in Paris 1900 die
Ausstellungshalle von Thomas Alva Edison (1847-1931) auf, wo er
unter anderem seine Erfindung des Phonographen präsentierte. Aus
den zahlreichen aufgestellten Geräten erklangen bekannte Orchester-
und Gesangsstücke.18 Nie zuvor war es möglich gewesen, akustische
Töne ohne die Anwesenheit von Musikern oder Sängern zu
konsumieren, geschweige denn die eigene Stimme aufzuzeichnen und
unmittelbar darauf wiedererklingen zu lassen. Das „Mirakel des 19.
Jahrhunderts“19 hatte einen Menschheitstraum erfüllt: die Aufhebung
von Zeit und Raum akustischer Wahrnehmung.20
Dass man der Erfindung des Phonographen und der damit möglichen
Schallaufzeichnung von Seiten der Medienwissenschaften eine ähnlich
wichtige Bedeutung wie der Erfindung des Buchdrucks durch
Gutenberg beimisst,21 wird erst anhand seines nachhaltigen Einflusses
in jeglichem Bereich des gesellschaftlichen Lebens ersichtlich. Auf
privater wie wirtschaftlicher Ebene fand das neue Medium vielfältige
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18 KRETSCHMER 1999, 128f. 19 KRETSCHMER 1999, 128f. 20 STANGL 2000, 21 21 STANGL 2000, 20
3. Akustische Aufzeichnungen 15 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Anwendung. Es entstand eine erste Unterhaltungs- und Musikindustrie,
die das Freizeitverhalten der Menschen neu definierte. Vergleichbare
moderne Strukturen können in direkter Folge gesehen werden. Doch
noch bevor sich ein solcher Entwicklungsprozess manifestierte, hatten
junge Wissenschaftszweige wie die Ethnologie und die Vergleichende
Musikwissenschaft (Musikethnologie) diese technische Neuerung als
wichtiges Hilfsmittel für ihre Forschungen entdeckt und sich zu eigen
gemacht.22 Es war bis dahin üblich, dass man musik- und sprach-
wissenschaftliche Untersuchungen, zumeist von Forschungsreisenden
und interessierten Missionaren23 durchgeführt, ausschließlich nach dem
Gehör schriftlich fixierte. Dieser Vorgang schloss zahlreiche
Ungenauigkeiten ein, vor allem da der Aufzeichnende durch sein
eigenes tonales Harmonieempfinden beeinflusst war.24 Wurde das
Material zu subjektiv und nicht sorgfältig genug festgehalten, konnte
dies bedeuten, dass bei einer späteren wissenschaftlichen Auswertung
wegen aufkommender Unklarheiten und Missverständnisse die
gesammelten Aufzeichnungen wertlos wurden. In solch einem Fall war
man gezwungen, das Material durch eine wiederholte Reise zu
überprüfen, was jedoch meist am finanziellen und zeitlichen Aufwand
scheiterte.
Die Wissenschaftler wurden mit der Erfindung der Schallaufzeichnung
dieser Problematiken nicht nur enthoben, sondern waren nun in der
Lage neben den Stimmen berühmter Personen auch das akustische
Kulturgut verschiedenster Völker in ungeahntem Ausmaß zu sammeln
und zu sichern.25 Die Bedrohung und Gefährdung kultureller Traditionen
auf Grund der sich ausweitenden Kolonialisierung und Industrialisierung
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22 Einer der Ersten, der den Reisephonographen (ab 1888 verfügbar) für seine Feldforschung benutzte, war der amerikanische Ethnologe Jesse Walter Fewkes (1850-1930). Er nahm im Frühjahr 1890 bei den Passamaquoddy-Indianern in Maine/USA Gesänge und Sprachproben auf. In: SCHÜLLER 1998, 663 23 „Anleitung zur Handhabung des Phonographen für Forschungsreisende und Missionare“ In: ABRAHAM / HORNBOSTEL ZfE 1904, 232f. 24 HORNBOSTEL 1986, 43f. & ABRAHAM / HORNBOSTEL ZfE 1904, 226 25 STANGL 2000, 74
3. Akustische Aufzeichnungen 16 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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war den Ethnowissenschaften bereits hinreichend bewusst.26 Durch
systematische Archivierung konnten die Aufzeichnungen
wissenschaftlich bearbeitet und miteinander verglichen werden.27 Erich
Moritz von Hornbostel (1877-1935), Mitbegründer der Vergleichenden
Musikwissenschaft und Leiter des Phonogramm-Archivs am
Psychologischen Institut28 der Berliner Friedrich-Wilhelm Universität,
sowie Otto Abraham (1872-1926),29 Mitarbeiter des Archivs, schrieben
euphorisch in ihrem gemeinsam verfassten Artikel “Über die Bedeutung
des Phonographen für die Vergleichende Musikwissenschaft“:
„Mit dem Phonographen kann man die Musik fixieren und mit Muse im
Arbeitszimmer, wo die Aufmerksamkeit nicht soviel auf optische
Nebendinge gerichtet ist, wie bei den Vorführungen fremder Völker-
schaften, studieren. Der Phonograph hat noch besondere Vorzüge.
Man kann ihn nach Belieben langsam und schnell laufen lassen und
kann so Musikstücke, deren Tempo im Original zu schnell war, um sie
analysieren zu können, in ruhigem Zeitmaß, in entsprechender
Transposition, zu Gehör bringen.
Weiterhin kann man das Musikstück in kleine Bruchstücke zerlegen,
kann einzelne Takte, ja einzelne Töne allein klingen lassen und genaue
Notationen und Messungen daran anschließen. Schließlich hat man in
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26 „Die Gefahr ist groß, daß die rapide Ausbreitung der europäischen Kultur auch die letzten Spuren fremden Singens und Sagens versiegt. Wir müssen retten, was zu retten ist, noch ehe zum Automobil und der elektrischen Schnellbahn das lenkbare Luftschiff hinzugekommen ist, und ehe wir in ganz Afrika Tararabum-diäh und in der Südsee das schöne Lied vom kleinen Kohn hören.“ In: HORNBOSTEL 1986, 56 27 Mit der Rezeption akustischer Äußerungen auf ein dauerhaftes Medium entstanden sehr schnell Sammlungen und Archive, die sich der Nutzbarmachung der Informationen widmeten. Das erste wissenschaftliche Schallarchiv, das Wiener Phonogramm-Archiv, wurde 1899 durch den Physiologen Sigmund Exner an der Ksl. Akademie der Wissenschaften in Wien gegründet. In: STANGL 2000, 133 28 STOCKMANN 1986, 8 Das Archiv war 1905 formell am Psychologischen Institut institutionalisiert worden. In: CHRISTENSEN 1997, 1259 29 Zusammen mit Carl Stumpf (1848-1936) zeichnete Otto Abraham im Herbst 1900 mit dem Phonographen in Berlin gastierende siamesische Hofmusiker auf. Diese Aufzeichnungen legten den Grundstein für das Berliner Phonogramm-Archiv.
3. Akustische Aufzeichnungen 17 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
�
der Phonographenwalze ein dauerndes Dokument, immer bereit zur
Vorführung und Vergleichung.“ 30
Die Auswertung des Forschungsmaterials war somit nicht mehr an die
persönliche Begegnung von Aufzeichnenden und Interpreten ge-
bunden, sondern stand dem ständigen Zugriff Dritter zur Verfügung.
3.2 Die technische Entwicklung analoger Aufnahmegeräte am
Ende des 19. Jahrhunderts
Dass die damaligen technischen Geräte bei weitem nicht den
Bedürfnissen des realitätsnahen Klangempfindens entsprachen, führte
zu einer ständigen technischen Weiterentwicklung. Um eine Vorstellung
von diesem Prozess zu erhalten, beinhalten die folgenden Abschnitte
eine kurze Technikgeschichte zu Phonograph und Grammophon. Diese
beschränkt sich in Anlehnung an das Thema der Arbeit auf den
Zeitraum von ihrer Entwicklung bis zum Einsatz in den Kriegs-
gefangenenlagern in Deutschland während des 1. Weltkrieges.
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30 ABRAHAM / HORNBOSTEL ZfE 1904, 229
Abbildung 2 & 3: Thomas Alva Edison um 1880 mit seinem ersten Phonographen und Emil Berliner 1887 mit dem von ihm erfundenem Grammophon.
3. Akustische Aufzeichnungen 18 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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3.2.1 Der Phonograph
Die eigentliche Erfindung des Phonographen ging unter anderem auf
Leon Scott (1817-1879) zurück, der 1857 den so genannten Phon-
Autographen entwickelte. Mit diesem Gerät wurden erstmals
Schallwellen sichtbar gemacht, indem sie über einen Trichter geleitet
auf eine Membran stießen, an der eine daran befestigte Nadel in
Schwingung versetzt wurde. Diese wiederum lief über eine mit Ruß
beschichtete rotierende Walze und machte die Töne so durch
oszillierende Linien sichtbar.31
Die erste Wiedergabe akustischer Laute erzielte Thomas Alva Edison
(1847-1931). Ende 1877 reichte er seine Patentschrift für den
Phonographen ein. Seit Beginn desselben Jahres hatte er sich mit der
Verbesserung von Telegraphenmaschinen beschäftigt. Dabei stellte er
fest, dass nicht nur ein elektrisch beschriebener Telegraphenschreiber
auf Oberflächen Spuren hinterlassen konnte, sondern eine lautstark
besprochene Membran ausreichte, um mit einem ebenfalls daran
befestigten Werkzeug Spuren auf einem weichen Untergrund
einzuprägen. Damit die erzielte Schalleinwirkung wieder hörbar wurde,
mussten die entstandenen Rillen durch eine Nadel, die sich an einer
Membran befand, abgetastet werden.32 Er erreichte dies, indem er ein
Gerät konstruierte, das aus einer Trommel bestand, die er mit einer
Spirale versah. Vor der Trommel befand sich ein mit einer Membran
bespannter Messingkonus, an dem ein Schneidstichel befestigt wurde.
Zur Aufnahme bedeckte man die Trommel mit dicker Stanniolfolie,
setzte den Stichel an die Trommel und versetzte diese mittels
Kurbelantrieb über eine einfache Mechanik in Rotation. Durch den
Schall wurde die Membran in Bewegung versetzt, die sich auf den
Stichel übertrug, wodurch dieser Vertiefungen in die Folie einprägte.
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31 STANGL 2000, 30 32 HOPPE 1991, 11f.
3. Akustische Aufzeichnungen 19 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Die dabei entstandene Schallschrift bezeichnete man als Tiefen- bzw.
Edison-Schrift.33
Nach dieser Entdeckung und der Entwicklung des Gerätes
veröffentlichte Edison im Sommer 1878 in der „North American Review“
„zehn Gebote“, mit denen er die Verwendung des Phonographen
erklärte. Sie enthielten beispielsweise Nutzungsvorschläge für den
phonographischen Briefverkehr und Sprachunterricht, als Hörbücher für
Blinde, für die Archivierung der Stimmen älterer Familienmitglieder aber
auch für die Sammlung von Dialekten.34 Der späteren Haupt-
nutzungsform, der Musikwiedergabe, wurde damals nur sekundäres
Interesse zuteil.
Einer kommerziellen Nutzung des Phonographen standen jedoch
vorerst schwerwiegende technische Mängel im Weg und da Edison sich
mehr auf die Entwicklung der Glühbirne konzentrierte, arbeiteten
andere Erfinder an der Verbesserung des Phonographen, wie zum
Beispiel Alexander Graham Bell (1847-1922), der Erfinder des
Telefons, und der Physiker Charles Summer Tainter (1854-1940).
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33 LECHTLEITNER o.J., 2 34 STANGL 2000, 32f.
Abbildung 4: Edison-Phonograph GEM 1905, Modell A & B
3. Akustische Aufzeichnungen 20 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Sie verbesserten die akustische Wiedergabe erheblich, indem sie die
von Edison verwendete Stanniolfolienwalze durch eine wachs-
beschichtete Walze ersetzten.35
Erst im Sommer 1888 widmete sich Edison wieder der Weiter-
entwicklung „seines“ Phonographen. So verlängerte er die
Tonträgerwalze, was bis zu vier Minuten lange Aufnahmen ermöglichte
und setzte wieder verwertbare Walzen ein, die mit einer besonders
dicken Wachsbeschichtung versehen waren. Bei diesen konnte die
oberste Schicht abgetragen und somit Aufnahmen immer wieder
gelöscht werden.36 Trotzdem blieb vor allem das Duplizieren der
Walzen ein aufwendiges und auch teures Unterfangen. Entweder man
stellte eine große Anzahl von Walzenschneidern während der
Aufnahmen auf, was den Nachteil hatte, dass der Interpret nicht nah
genug bei den Aufnahmetrichtern stand, oder man überspielte von
Gerät zu Gerät. Ebenso war es üblich, Aufnahmen so oft zu
wiederholen bis die benötigte Absatzmenge an Walzen erreicht war.
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35 Beide ließen 1886 das Aufnahmeverfahren als „Graphophone“ patentieren, woraufhin es zu einem erbitterten Patentstreit zwischen ihnen und Edison kam. Als Ergebnis daraus zogen sie sich aus der Produktion und Entwicklung phonetischer Maschinen zurück. In: HOPPE 1991, 1536 HOPPE 1991, 15
Abbildung 5: Das Besingen der Phonographen-Walzen um 1900.
3. Akustische Aufzeichnungen 21 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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1903 entwickelte Edison eine Vervielfältigungsmöglichkeit auf
elektrolytischem Weg, bei dem die Walzen in einem Galvanobad mit
einer Goldschicht versehen wurden. Die Walzen ließen sich in flüssiges
Wachs tauchen und anschließend konnte davon eine annähernd
identische Reproduktion abgenommen werden. Da dies noch ein
technisch schlecht kalkulierbarer Vorgang auf experimenteller Basis
war, kam es zu keiner groß angelegten industriellen Verwertung.37 Erst
einige Jahre später wurde das Duplizieren durch das verbesserte
galvanoplastische Verfahren optimiert.
Diese ersten Veränderungen führten zu einem größeren Publikums-
und Nutzerkreis. Als man ab 1888 über leicht transportierbare
Reiseapparate verfügte, stand auch der wissenschaftlichen Nutzung
nichts mehr im Weg.38 Die Geräte waren nun einfach in der
Handhabung, man konnte damit sowohl aufnehmen als auch abhören
und war zudem unabhängig von Strom. Im Gegensatz zum
Grammophon war der Phonograph überall und zu jeder Zeit einsetzbar.
Dass noch weit nach der Erfindung des Tonbandgerätes39 auf Grund
dieser Vorteile ethnologische Sprach- und Gesangsaufnahmen mit dem
Phonographen vorgenommen wurden, bezeugt der Einsatz dieser
Geräte am Berliner Phonogramm-Archiv im Ethnologischen Museum
Berlin bis 1952.40
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37 HOPPE 1991, 20 38 SCHÜLLER 1998, 663 39 Das Endjahr der kommerziellen Nutzung des Phonographen wird mit dem Jahr 1929 angegeben. In: ELSTE 1998, 646 Ab 1937 fand das so genannte Magnetophon bei sprach- und musikwissenschaftlichen Forschungen Einsatz. In: SCHÜLLER 1998, 663 40 ZIEGLER 2000, 198
3. Akustische Aufzeichnungen 22 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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3.2.2 Das Grammophon
10 Jahre nachdem Edison seinen Phonographen vorstellte, ließ sich
Emil Berliner (1851-1929) 1887 sein Aufnahmeverfahren auf einer
Platte patentieren.41 Seine Erfindung löste in den 20er Jahren des
letzten Jahrhunderts die Edisonwalze ab und ebnete der kommerziellen
Nutzung von Schallaufnahmen endgültig den Weg. Im Gegensatz zur
Wachswalze war das Aufnahmemedium beim Grammophon eine
rotierende, mit Bienenwachs beschichtete Zinkplatte. Die Aufnahmen
kamen durch eine vom Schall seitlich ausgelenkte scharfe Nadel
zustande, die das Wachs auf der Oberfläche herauskratzte (Seiten-
oder Berliner-Schrift).42 Aus den so vollzogenen Aufnahmen wurden auf
dem bereits erwähnten galvanoplastischen Weg Kupfermatrizen
hergestellt, das heißt die Platten in ein ionisiertes Säurebad
eingebracht, und um diese, zumeist mit einer Drahtschlaufe, eine
Spannung gelegt. In dem dabei entstandenen Spannungsfeld schlugen
sich die Kupferionen auf der Wachsplatte nieder, so dass eine
Kupfermatrize43 entstand. Von dieser konnte das so genannte Master
abgenommen werden, womit die Grundlage für das beliebige Kopieren
der Platte gegeben war.
Bot die Schellackplatte gegenüber der Walze ein wesentlich besseres
Hörerlebnis und bessere Lagerungseigenschaften, so war die
Herstellung der Plattenaufnahmen zum Teil schwieriger und
aufwendiger als beim Phonographen. Man benötigte grundsätzlich eine
Reihe technischer Voraussetzungen, zum Beispiel Strom, da das
Wachs der Platten in einem dafür entwickelten Wärmeschrank ca. drei
Stunden langsam auf 40° bis 50° Celsius erhitzt werden musste.44
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41 LECHTLEITNER o.J., 2 42 LECHTLEITNER o.J., 2 43 Der erhaltene Kupferabzug (das Galvano) wurde auf eine Kupferplatte gelötet. Man unterschied drei Formen von Kupfermatrizen: die negative Originalmatrize, die positive Originalmatrize und negative Pressmatrize. In: DOEGEN 1930, 39 44 DOEGEN 1930, 37
3. Akustische Aufzeichnungen 23 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Somit waren Aufnahmen ohne längere Vorbereitung und technisch
versiertes Personal überhaupt nicht durchzuführen. Allein aus diesem
Grund kam das Grammophon für die wissenschaftliche Feldforschung
nicht in Betracht. Ganz davon abgesehen, dass die Aufzeichnungen der
Ethnologen meist von der Spontanität der Situation lebten.
Langwierige Vorbereitungen hätten durch ihren gestellten Charakter die
Forschungsergebnisse beeinflusst.45 Als weiterer Kritikpunkt galt, dass
erst anhand der reproduzierten Platten ersichtlich wurde, ob ein
Tondokument gelungen war oder nicht.
Industrie und Verbraucher standen hingegen dem Grammophon
wesentlich aufgeschlossener gegenüber. Die neue Technik ermöglichte
durch uneingeschränkte Vervielfältigung und Senkung der Produktions-
kosten einem viel größeren Nutzerkreis den Gebrauch von Aufnahmen.
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45 Die so genannten dokumentarischen Aufnahmen versuchen unauffällig das künstlerische Ereignis der Protagonisten festzuhalten, ohne dass der Anstoß vom Wissenschaftler ausgeht. Dem gegenüber steht die explorative Aufzeichnung, bei der außerhalb des soziokulturellen Kontexts der Forscher auf den Willen der Vortragenden und deren Fähigkeit zur Kooperation angewiesen ist. Dies kann zu Differenzen gegenüber der sonst natürlichen Umgebung und Verfälschung von Ergebnissen führen. In: SCHÜLLER 1998, 664
Abbildung 6: Wachsplatte mit Behältnis im Lautarchiv der HUB. Patrize einer Lautaufnahme zur galvanoplastischen Abnahme eines Negatives (Matrize), mit dem die Schellackplatten hergestellt wurden. Die Aufnahmen auf dieser Platte wurden bisher noch nicht reproduziert und sind unbekannt.
3. Akustische Aufzeichnungen 24 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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3.3 Akustische Aufzeichnungen als historische Quellen
Seit über einem Jahrhundert gehören akustische Aufnahmen fest zum
gesellschaftlichen Leben. Sieht man von zeitnahen technischen
Entwicklungen ab und konzentriert sich auf die ersten Jahrzehnte der
Schallaufzeichnung so ist anzunehmen, dass die heute erhaltenen
Tonträger vermutlich in keinem Verhältnis zur Zahl der damals
(re)produzierten stehen. Die Dezimierung durch Kriegsverlust,
Veränderungen im Konsumverhalten sowie der natürliche Prozess von
Abnutzung, Verbrauch und Vergänglichkeit haben zur Folge, dass den
erhaltenen Artefakten auf musealem und wissenschaftlichem Gebiet
inzwischen besondere Bedeutung beigemessen wird, das heißt, dass
man sie gezielt sammelt und bewahrt.
Die dieser Arbeit zugrunde liegenden phonetischen Aufzeichnungen
sind ausschließlich musik- und sprachwissenschaftlichen Charakters
und stellen folglich Forschungsmaterial für die Linguistik und
Musikforschung dar. Sie unterscheiden sich grundlegend von zur
kommerziellen Nutzung gefertigten Tonaufnahmen. Verfolgten diese ein
rein wirtschaftliches Interesse durch hohen Unterhaltungswert und
Bedienung breiter Bevölkerungsschichten und -massen, so ging es bei
den Forschungsaufnahmen um den erwähnten wissenschaftlichen
Ansatz. Sie entstanden von einem und für einen fachkundigen
Abbildung 7: Tischgrammophon Odeonette um 1910; Tischgrammophon um 1912; Koffergrammophon Decca „Dolcephone“ 1914
3. Akustische Aufzeichnungen 25 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Personenkreis und räumten der groß angelegten Veröffentlichung auf
Walze oder Schellackplatte nur sekundäres Interesse ein.
Was aber macht diese Tondokumente heute zu einer historischen
Quelle und warum stellt ihre Sicherung eine wichtige Aufgabe dar?
Dieser Frage sei an dieser Stelle kurz und zusammenfassend
nachgegangen.
In erster Linie sind es die erhaltenen akustischen Aufzeichnungen
selbst. Der in ihnen verankerte Informationsgehalt und vor allem die
dazu angelegten Dokumentationen machen den historischen Wert als
Quelle aus. Aufnahmen, deren Entstehung und Inhalt man nach den
damals üblichen Forschungsaspekten mittels Personalbögen,46
Aufnahmeprotokollen,47 phonetischen Umschriften48 und Über-
setzungen illustrierte, können heute als wissenschaftliche Informations-
träger49 verstanden und genutzt werden. Es ist von Bedeutung zu
wissen: wann, an welchem Ort, unter welchen Umständen, durch wen
und mit welchen technischen Mitteln die Tonträger bespielt wurden.
Erst dadurch gewinnt der (heute) Außenstehende ein detailliertes Bild
über den abgeschlossenen Vorgang und kann die akustischen
Manifestationen überhaupt in einen historischen Zusammenhang
stellen, ihre Signifikanz erfassen und sie als Quelle benutzen. Die hier
thematisierten Aufnahmen griechischer Soldaten auf Schellackplatten
aus dem Lautarchiv der HUB stellen dabei ein außergewöhnlich gutes
Dokumentations- und Quellenbeispiel dar (unter anderem Gegenstand
der Ausführungen unter 6.2).
Eine wichtige und durchaus problematische Aufgabe für Institutionen
mit Schallaufzeichnungen im Sammlungsbestand stellt die dauerhafte
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46 Dieser dokumentiert den familiären und sozialen Hintergrund des Interpreten und gibt Auskunft zur sprachlichen und musikalischen Entwicklung. 47 Das Aufnahmeprotokoll (auch Sprachtext) bezeichnet die Transliteration des Gesprochenen bzw. Gesungenen in der jeweiligen Schriftsprache des Heimatlandes. 48 Durch die phonetische Umschrift, auch Lautschrift oder phonetische Transkriptiongenannt, wurden die einzelnen akustischen Sprachäußerungen in Hinsicht ihrer Sprache genauestens festgehalten. 49 STANGL 2000, 67
3. Akustische Aufzeichnungen 26 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Konservierung und Sicherung sowohl vom Aufnahmeträger selbst und
seinem Inhalt, als auch dem dazu gehörenden Dokumentationsmaterial
dar. Gerade Einrichtungen wie Universitäten, deren Schwerpunkt
momentan in der Bestandserforschung und bei dessen Erfassung liegt,
müssen sich dabei mit verschiedenen Problematiken auseinander-
setzen.
Neben grundsätzlichen konservatorischen Bedingungen50 und dem
sachgemäßen Umgang51 geht es vor allem um eine adäquate
Übertragung der Originaltonträger auf ein praktikabel zu handhabendes
und ohne Gefahr für das Original wissenschaftlich intensiv nutzbares
Medium.52 Man muss bedenken, dass mit jedem Abhören analoger
Datenträger, wie der Schellackplatte und der Walze, gespeicherte
Informationen durch mechanische Beanspruchung verloren gehen und
das Objekt somit seine „Lesbarkeit“ verändert.53
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50 Da sich Sammlungen mit akustischen Beständen fast immer aus vielen verschiedenen Objekt- und Materialträgern wie zum Beispiel Wachs(-walzen),Schellack(-platten), Kupfer(-matrizen) und Papier in Form von Büchern, Akten oder Fotografien zusammensetzen, besteht das Problem allen konservatorisch gerecht zu werden, um sie erhalten zu können. 51 Wachs und Schellack sind ausgesprochen fragile Materialien und können bei unsachgemäßer Handhabung schnell zerbrechen. Zu hohe Wärmeeinwirkung führt zur Deformierung. Hinzu kommt, dass vor allem Wachswalzen bei zu extremer Luftfeuchte schimmeln, was zum kompletten Datenverlust führen kann. In: SCHÜLLER 1998, 665f. 52 Vgl. MEHNERT 1996 & MAHRENHOLZ 2003 53 SCHÜLLER 1998, 665f.
Abbildung 8: über galvanoplastisches Ver-fahren hergestellte Press-matrize zur Produktion von Schellackplatten.
3. Akustische Aufzeichnungen 27 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Vergegenwärtigt man sich nun, dass von den Wachswalzen nur
begrenzt Kopien gefertigt wurden, um die Transkription nicht durch
Tonverlust bei der Reproduktion zu verfälschen,54 und von Platten zum
Teil nur eine Kopie erhalten blieb, so lässt sich erahnen, wie wertvoll
derartige Bestände sind und wie wichtig ihr Schutz ist. Die Möglichkeit
der digitalen Erfassung und somit qualitativ optimalen Sicherung muss
daher als dringend notwendig erachtet werden. Sie ist die Grundlage für
die Erhaltung des Bestandes, seiner Verwaltung und wissen-
schaftlichen Bearbeitung. Das Lautarchiv der HUB kann hierbei als
vorbildliches Beispiel angesehen werden.
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54 ZIEGLER 2000, 198
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 28 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“
„Der Krieg in dem wir stehen, der furchtbare Vernichter unendlicher
Werte, hat zugleich in schöpferischer Kraft der Wissenschaft die
stärksten Antriebe gegeben.“ 55
(Einleitende Worte zu der Festrede von Prof. August Heisenberg am
29. Mai 1918.)
Ein halbes Jahr vor Kriegsende sprach der Byzantinist August
Heisenberg (1869-1930) zu den Mitgliedern der Kgl. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München. Er beschrieb in seinem
Vortrag die Erfahrungen und Forschungsergebnisse, die er bei den
akustischen Aufnahmen als Sprachwissenschaftler im hier thema-
tisierten Griechenlager Görlitz machte.56 Heisenbergs Worte spiegeln
das geistige Bild eines Wissenschaftlers während des Krieges wieder,
der sich mit den plötzlich vorhandenen Gegebenheiten konfrontiert sah
und die Impulse gesellschaftlicher und wissenschaftlicher
Entwicklungen in seiner eigenen Arbeit aufgriff.
Der 1. Weltkrieg verwarf mit seinen Massenschlachten, der Industria-
lisierung von Vernichtung sowie dem Verlust moralischer und ethischer
Werte alle bis dahin gültigen Vorstellungen vom Krieg und prägte das
20. Jahrhundert entscheidend.57 Dass der 2. Weltkrieg die Gräuel von
Verdun und der Isonzo-Front noch steigern sollte, entzieht sich fast
jeglicher Vorstellungskraft.
Inmitten dieser unmenschlichen Entwicklungen finden sich Aussagen
damaliger Zeitzeugen und unmittelbar Beteiligter wie: „Der Krieg hatte
eine Kulturarbeit zu fördern.“,58 die jedoch nichts mit Gewaltver-
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55 HEISENBERG 1988, 3 56 Über seine Tätigkeit und das Zustandekommen der Aufzeichnungen wird an späterer Stelle berichtet. 57 Vgl. ROSENBERG 1962; HOBSBAWM 1995 58 BRANDL 1925, 365
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 29 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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herrlichung und Zynismus zu tun haben, zumindest nicht im Fall des
hier behandelten Themas. Der Krieg als Förderer der Wissenschaft
stellt sich als eine Tatsache heraus, die gerade im 1. Weltkrieg zur
Festigung noch junger Forschungszweige führte, vor allem der jungen
Völkerkunde, Anthropologie und Vergleichenden Musikwissenschaft.
Ihnen eröffneten sich mit den zahlreichen internierten Soldaten in den
deutschen Kriegsgefangenenlagern unverhoffte Forschungsmöglich-
keiten.59 Die Gefangenen stammten aus den verschiedensten Teilen
der Welt und waren von ihren Regierungen und den Kolonialherren als
„Kanonenfutter“60 gegen die „Mittelmächte“ geschickt worden. Die in
insgesamt 175 Lagern61 untergebrachten Soldaten (Abb. 32) boten den
Wissenschaftlern die Gelegenheit, ihre Forschungen ohne umfang-
reiche Reisevorbereitungen, Kosten und zeitliche Einschränkungen
vorzunehmen. Neueste Technik, zumeist erst um die Jahrhundert-
wende oder im Vorfeld des Krieges entwickelt und perfektioniert, konnte
zum Einsatz kommen. Auf Auslands- und Forschungsreisen hatte zu
großen Teilen aus Transport- und Finanzgründen darauf verzichtet
werden müssen.
Es erscheint als ein Paradoxon, dass die hier vorgestellten Aufnahmen
und die damit verbundenen Untersuchungen den Menschen als
Individuum in seinem persönlichen Schicksal betrachten, wo doch in
diesem Krieg eine noch nie da gewesene Maschinerie von Waffen und
Menschen gegeneinander antrat und jede Individualität ansonsten
abhanden kam.
Das große Interesse von staatlicher Seite und bestimmten Wissen-
schaftszweigen an Untersuchungen einzelner Personen und -kreise
innerhalb deutscher Kriegsgefangenenlager, besaß einen ausgeprägten
���������������������������������������� ���������������������������������������� �������
59 Es liegt auf der Hand, dass der Krieg neben den Geisteswissenschaften wie Geschichte und Kunstgeschichte, vor allem die Ingenieurs-Wissenschaften sprunghaft in ihrer Entwicklung beeinflusste. Da diese für die vorliegende Arbeit jedoch keine Relevanz haben, seien sie an dieser Stelle nur erwähnt. 60 KAHLEYSS 2000, 13 61 DOEGEN 1921 A, 3
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 30 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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ethnographischen Charakter. Ethnologie, Anthropologie und Sprach-
wissenschaften zielten dabei auf generalisierende Informationen zu
ganzen Volksgruppen ab. Man nahm unterschiedliche Wertigkeiten
zwischen Völkern an und formte rassische und rassistische Ansichten,
die in der weiteren deutschen Geschichte noch auf die bekannte
negative Art und Weise zum Tragen kommen sollten.
Erst um die Jahrhundertwende hatte sich in der Ethnologie die so
genannte Kulturkreislehre62 herausgebildet, die auf die unterschied-
lichsten Wissenschaftszweige abfärben sollte. Das theoretische
Konstrukt basierte auf der Vorstellung, dass Gruppen und Ethnien
neben ihrer Geschichte auch Sprache und Kulturgut gemein sind, wobei
man das Individuum ausklammerte. Alle Ähnlichkeiten zwischen
Kulturen wurden einseitig auf gemeinsame Ursprünge zurückgeführt
und kulturelle Äußerungen wie materielle Hinterlassenschaften unter
diesem Gesichtspunkt klassifiziert, ohne dass verschiedene Familien-,
Gesellschafts-, Siedlungs- oder Wohnstrukturen bis hin zu Sprach-
variationen spezielle Gewichtung erfuhren.
Der nationalistische und aus modernem Blickwinkel letztlich
rassistische Aspekt, der dieser Theorie zugrunde lag und sich im 1.
Weltkrieg erstmals massiv äußerte, hatte seine Quelle in der
Sprachforschung. Mit der Erkenntnis der Verwandtschaft europäischer
und indo-iranischer Sprachen wurde der Versuch unternommen, den
Ursprung der nun postulierten gemeinsamen indogermanischen
Sprache und den Punkt seiner Aufspaltung in verschiedene Gruppen zu
lokalisieren.63 Bezweckt wurde eine Abgrenzung anderer Sprach-
familien und Völker, mit durchaus wertendem Charakter. Schnell sprach
man von Rasse, Rassenreinheit und Rassenüberlegenheit, wobei die
anthropologischen Untersuchungen ins Spiel kamen.
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62 Kulturkreislehre – gleichzusetzen mit Siedlungsräumen von ethnischen Gruppen. MÜLLER 1981, 205 63 Vgl. KOSSINA 1920
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 31 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Der Kern der nord- und mitteleuropäischen indogermanischen
Sprachfamilie (Abb. 29) wurde vor erwähntem nationalistischen
Hintergrund hoch bewertet, alles Weitere mit zunehmender Entfernung
von diesem Kern als minderwertiger eingestuft. Den Kriegsparteien der
„Mittelmächte“ kam eine solche Vorstellung nicht ungelegen, was das
Interesse seitens staatlicher Institutionen an den Untersuchungen in
den Lagern sowie deren Finanzierung erst verständlich macht.
4.1 Die Kgl. Preußische Phonographische Kommission (PK)
Um die griechischen Aufnahmen selbst betrachten zu können, muss
zuerst die Kgl. Preußische Phonographische Kommission (PK)
vorgestellt werden, die durch das Preußische Kriegs- und
Kultusministerium berufen wurde und für sprach- und musik-
wissenschaftliche Untersuchungen in den Gefangenenlagern zuständig
war. Daneben werden Beispiele für parallele Forschungen gegeben, die
den Zusammenhang und das Ausmaß der gesamten Forschungsarbeit
in den Lagern verdeutlichen.
Nur kurz sei an dieser Stelle erwähnt, dass nicht nur in Deutschland
Wissenschaftler und staatliche Einrichtungen die Gegebenheiten des
Krieges für ihre spezifischen Interessen und Zwecke nutzten.
Auch in Österreich wurde organisiert in Kriegsgefangenenlagern
geforscht und untersucht, wobei zum Teil die Wissenschaftler beider
Kriegsparteien im regen Austausch miteinander standen. Da jedoch die
Arbeit der österreichischen Wissenschaftler für die vorliegende
Abhandlung nicht relevant ist, sei nur auf die entsprechenden
Ausführungen von Florian Mühlfried und Burkhard Stangl64 verwiesen.
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64 Vgl. MÜHLFRIED 2000 & STANGL 2000
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 32 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Bevor detaillierter auf die PK eingegangen wird, ist einschränkend
anzumerken, dass hauptsächlich der Geschäftsführer und Organisator
der PK, Wilhelm Doegen, über deren Entstehung und Arbeit berichtete.
Die starke Profilierung in Bezug auf die von ihm geleistete Arbeit ist
auffällig, weshalb man zu einer kritischen Betrachtung dieser Quellen65
angehalten ist.
4.1.1 Die Gründung der Kommission
Wilhelm Doegen nahm, im Zuge seines Vorhabens zur Errichtung eines
staatlichen Lautmuseums,66 unmittelbar nach Beginn des 1.
Weltkrieges Kontakt zum Kriegsministerium auf. Er sah durch die in
Deutschland weilenden Kriegsgefangenen aus der ganzen Welt die
unverhoffte Chance, sich seinem Ziel zu nähern, und beantragte daher,
in den Gefangenenlagern akustische sowie fotografische Aufnahmen
vor-nehmen zu dürfen. Nach einer ersten Zusicherung und schriftlichen
Bestätigung brachte Doegen beim Ministerialdirektor Schmidt (späterer
Kultusminister Friedrich Schmidt-Ott; 1860-1956), den Vorschlag ein:
„... daß die preußische Regierung die gesamte Lautaufnahme-
angelegenheit in den Gefangenenlagern in die Hand nehmen und mich
[Doegen] mit der Durchführung der Lautaufnahmen beauftragen
möchte.“ 67
Ende 1915 führte der zusammen mit führenden Anthropologen, Sprach-
und Musikwissenschaftlern vorgelegte Antrag zur Einberufung der PK:
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65 DOEGEN 1921 A & 1941 66 „Antrag an das Preußische Kultusministerium vom 27. Februar 1914: `Vorschläge für die Errichtung eines Kgl. Preußischen Phonetischen Instituts´... Die Gliederung und Organisation des Phonographischen Lautarchivs umfaßte im besonderen: 1. Sprachen sämtlicher Völker der Erde; 2. sämtliche deutschen Mundarten; 3. Musik und Gesang sämtlicher Völker der Erde; 4. Stimmen der großen Persönlichkeiten; 5. Verschiedenes.“ In: DOEGEN 1925, 9 67 DOEGEN 1925, 9f.
4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 33 ____________________________________________________________________________
Abbildung 9: Wilhelm Doegen beim Vortrag „Stimmen der Völker mit Laut-demonstration“ im Berliner Rund-funk 1924.
„... um die Sprachen, die Musik und die Laute aller in den deutschen
Kriegsgefangenenlagern weilenden Völkerstämme nach methodischen
Grundsätzen systematisch auf Lautplatten in Verbindung mit den
dazugehörigen Texten festzulegen.“ 68
Entgegen Doegens Wunsch wurde als Leiter der Kommission der
wissenschaftlich hoch angesehene Psychologe Prof. Carl Stumpf
berufen, Begründer der deutschen Musikethnologie69 und Vater des
1905 gegründeten Berliner Phonogramm-Archivs. Neben seinem
Vorsitz war er verantwortlich für die so genannte „Fachgruppe Musik“ in
der PK. Diese stand gleichberechtigt neben anderen Gruppen, wie
beispielsweise Völkerkunde, Englische Sprache sowie Vergleichende
und Indogermanische Sprachwissenschaft.
68 DOEGEN 1925, 10 Erst 1920 löste man die Kommission auf. 69 REINHARD 1968, 8f.
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 34 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Alle wurden von bekannten Wissenschaftlern70 geleitet und von
zahlreichen Sachverständigen bei der Durchführung ihrer Aufgaben
unterstützt.71
Doegen berief man „nur“ zum Kommissar und technischen Organisator
der Aufnahmen. Den Titel des Geschäftführers, mit dem er bei
Verhandlungen und in der Korrespondenz auftrat, gab er sich selbst.
In Hinblick auf die Veröffentlichung und die Bekanntgabe von
Forschungsergebnissen aus den Lagern mussten kriegsbedingt vorerst
starke Einschränkungen in Kauf genommen werden. Das „Zensurbuch
für die deutsche Presse“ gab vor: „Über die phonographische
Aufnahme von Gesprächen, Märchen und Gesängen der Kriegs-
gefangenen verschiedener Völkerstämme, die wissenschaftlichem
Interesse dient, soll nichts bekannt werden.“ 72 Im Mai 1917 richtete
Stumpf mit einem Schreiben folgende Anweisung an alle Mitwirkenden:
„Da das Kriegsministerium wegen der möglichen Mißdeutungen jede
öffentliche Erwähnung unserer phonographischen Aufnahmen
vermieden sehen will, müssen wir alle Mitarbeiter um strenge
Einhaltung dieser Vorschrift bitten. Weder in Büchern und
Abhandlungen noch in Zeitungsnotizen darf während des Kriegs von
phonographischen Aufnahmen in den Gefangenenlagern und von der
Existenz einer phonographischen Kommission gesprochen werden.“ 73
Mit dieser Vorgabe erklärt sich der Mangel an sekundären Quellen aus
der unmittelbaren Zeit der Aufnahmen bis zum Kriegsende.
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70 Beispielsweise für: Englische Sprache: Alois Brandl; Anthropologie: Felix von Luschan; Kaukasische Sprachen: Adolf Dirr. In: DOEGEN 1925, 10f. 71 DOEGEN 1925, 10 72 OdP 1917, 46 Das Buch erschien erstmalig 1915 und beinhaltete Arbeitsanweisungen für die Presse hinsichtlich verschiedenster Sach- und Lebensbereiche. 73 „An die Herren Mitglieder und Mitarbeiter der Kgl. Preuß. Phonographischen Kommission“. Abb. bei: ZIEGLER 2000, 201
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 35 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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4.1.2 Die Finanzierung der phonetischen Aufnahmen
Grundsätzlich wurden die Untersuchungen „...aus dem allerhöchsten
Dispositionsfonds...“ finanziert.74 Aus diesem Fonds konnten 50.000
Mark75 allein für die Erforschung von Sprachen und Gesängen fremder
Völker aufgebracht werden. Die für einzelne Forschungsprojekte
unabhängig beantragten Gelder wurden durch das Kultusministerium
vermittelt und über das Finanzministerium an Antragssteller wie die PK
ausgezahlt.76
Die Arbeit der Kommission ermöglichten zusätzlich Spenden von
Unternehmen und Privatpersonen wie dem Berliner Fabrikanten Palm,77
den Doegen selbst dazu anregte und der mit einer recht umfangreichen
Summe von ca. 30.000 Mark das Projekt unterstützte.78 Warum Palm
so viel Geld bereitstellte und ob er dabei eigenen wissenschaftlichen
oder wirtschaftlichen Interessen nachging, ist bisher unklar.
Das Entgegenkommen der Odeon-Werke Berlin, die Fabrikation der
Originalmatrizen der Schellackplatten zum Selbstkostenpreis auszu-
führen, reduzierte die hohen Herstellungskosten der Platten.79 Im
Gegenzug arbeitete man bei den Aufnahmen ausschließlich mit Odeon-
Material.80
Zuletzt beteiligten sich wissenschaftliche Institutionen wie die Kgl.
Preußische Akademie der Wissenschaften Berlin81 und die Kgl.
Bayerische Akademie der Wissenschaften München an einzelnen
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74 GStA: PK, I. HA, 76: KM Va 2, X, 250, Bd.1, Bl.29r & DOEGEN 1925, 11 75 Aus allen eingesehenen Unterlagen für diese Arbeit konnte nicht ermittelt werden, ob es sich bei der Bezeichnung „Mark“ um Gold- oder Reichsmark handelte. 76 MÜHLFRIED 2000, 38 77 DOEGEN 1925, 11 78 GStA PK, I. HA, 76: KM Va 2, X, 250, Bd.1, Bl.29r Als der Dispositionsfonds ausgeschöpft war, ermöglichte Palms Förderung die Fortführung der Aufnahmen. 79 DOEGEN 1925, 12 80 Nicht nur die wesentlich bessere Akustik war ausschlaggebend für die Aufnahmen mit dem Grammophon sondern auch die angestrebte spätere Veröffentlichung des Materials. In: GStA PK, I. HA, 76: KM Va 2, X, 250, Bd.1, Bl.79r 81 MÜHLFRIED 2000, 49
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 36 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Vorhaben. Auf ihr Engagement wird an späterer Stelle genauer
eingegangen.
4.1.3 Der Aufnahmeablauf
Die Vorbereitung und Durchführung der Aufnahmen in den
verschiedenen Lagern verlief immer nach einem ähnlichen Schema,
auch wenn die Vorgehensweise im Einzelnen den örtlichen und
personellen Gegebenheiten angepasst wurde.82 Grundsätzlich war
dabei von Bedeutung, ob es sich um eine Sprach- oder
Gesangsaufnahme handelte.
Man erfasste relevante Interpreten mittels eines Personalfragebogens
(Abb. 61), auf dem der Gefangene Angaben zu seiner Heimat, Familie
und Ausbildung machen sollte. Nach der Durchsicht dieser Fragebögen
traf das verantwortliche Fachpersonal mit einer ersten Erhebung eine
Vorauswahl. Das Hauptkriterium für die endgültige Wahl war das
Sprechen eines möglichst unverfälschten Dialekts. In den meisten
Fällen wiesen dies besonders Personen aus einfachen Berufszweigen
mit wenig bis überhaupt keiner Schulbildung auf, die außerdem aus
Gebieten stammten, wo kaum städtischer Einfluss herrschte. Nachdem
von den ermittelten Personen Sprachproben genommen worden waren,
konnte endgültig über eine Aufnahme entschieden werden. An dieser
Stelle sei der Anglist und Sprachforscher Alois Brandl (1855-1940)
zitiert, der über seine Arbeit wie folgt berichtete:
„Da waren höchst schätzbare Mundartträger bequem auf deutschem
Boden zu haben; wir brauchten sie nicht mit viel Tee oder Alkohol vom
Erwerbe abzuhalten; sie hatten nichts besseres zu tun, als ihre Sätze
und Lieder solange zu wiederholen, bis sie richtig ins Phonetische um-
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82 SCHÜNEMANN 1923, IX
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 37 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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geschrieben waren; kurz und schmerzlos wurde dann der Text noch
einmal in die Maschine gesprochen. ... Unterrichts- und Heeresbehörde
hatten den Plan gebilligt; mit ihrer Hilfe war die Arbeit organisiert
worden. Es handelte sich zunächst um die allgemeine Auslese der
Dialektsprecher. Jeder britische Gefangene hatte Heimat und
Beschäftigung auf einem Fragebogen einzutragen. Stammte er aus der
gebildeten Schicht, aus einer größeren Stadt oder aus dem weiten
Cockneygebiet des Südostens, so wurde sein Zettel von vornherein bei
Seite gelegt; aus vielen Tausenden wurden hiernach wenige Tausende.
Bauernburschen aus abgelegener Gegend, Fischer aus kleinen Häfen,
Schafhirten und namentlich halbe Analphabeten waren zumeist
gesucht. Man brachte sie zusammen in geeignete Lager, und dann
konnte die persönliche Berührung einsetzen.
In einem Winkel oder Nebenraum der Unterhaltungsbaracke setzte ich
mich an einen Tisch, breitete Bleistifte, Zigarren und Zigaretten und
Schreibpapier aus und ließ die Schar zusammen herantreten. Heimat
und Beschäftigung sollte jeder mündlich angeben, wie vorher schriftlich,
und hiermit entfiel wieder eine große Zahl von Sprechern, indem sich
nach den ersten Worten ergab, daß sie niemals einen Dialekt sprachen
oder ihn gründlich abgelegt hatten. ... Wer diese Probe bestand, wurde
alsbald einzeln vorgenommen. `Wir sind hier bei einer Arbeit des
Friedens´ so lautete ständig meine Einleitung; `wir reden nicht vom
Kriege; auch soll ihnen nichts geschehen, wenn sie nicht reden wollen´.
Meist nickte der Mann verwundert und anstandslos. Dann ging es an
Fragen über die Herkunft von Vater und Mutter, über Schule und
Erwerbsart.“ 83
Bei den Gesangsaufnahmen war der Ablauf grundsätzlich ähnlich,
wobei es vorrangig um eine gute Stimme und einen reichen
individuellen Liedschatz ging, der nicht durch Gesangsbücher erworben
war. Auch die Heimat spielte hier eine wichtige Rolle, denn vor allem
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83 BRANDL 1925, 365f.
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 38 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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suchte man nach Gesängen aus bisher noch wenig in dieser Hinsicht
erschlossenen Gebieten. Genau wie bei den Sprachaufnahmen sah
man zuvor die Fragebögen durch und wählte nach einem Vorsingen die
relevanten Personen aus.
Durch die PK sind zwischen 1916 und 1919 in den 175
Kriegsgefangenenlagern 1.651 Lautplatten mit ca. 215 Sprachen und
Mundarten aus den verschiedensten Teilen der Erde84 und ca. 1.020
Walzen85 erstellt worden, wobei von letzteren 985 zur weiteren
Tonabnahme erhalten blieben.86
Beinhalten die Platten überwiegend Sprachaufnahmen, so sind auf den
Wachswalzen durchgehend musikalische Stücke festgehalten. Deren
Aufnahme unterstand dem jungen Musikwissenschaftler Georg
Schünemann (1884-1945), den sein Mentor Carl Stumpf mit fast allen
Musikaufnahmen in den Lagern betraute. Die Wachswalzen, versehen
mit einer eigenen Signatur,87 gehörten zum Eigentum des
Phonogramm-Archivs, das anteilig die Walzenaufnahmen finanzierte.
Einige wählte man wegen ihrer Besonderheit aus und reproduzierte sie
für die PK als Schellackplatte. Ziel war es, neben dem bereits erwähn-
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84 DOEGEN 1925, 13 85 ZIEGLER 2000, 201 86 ZIEGLER 1998, 156 87 Die Wachswalzen wurden mit dem Siegel „Phon. Komm.“ und die Schellackplatten mit „PK“ versehen.
Abbildung 10: W. Doegen und A. Brandl bei Aufnahm-en im Lager Wahn, Oktober 1916.
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 39 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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ten Personalbogen das Gesprochene und Gesungene in der
landesüblichen Schriftsprache zu fixieren und dies in die phonetische
Umschrift sowie ins Deutsche zu übertragen. Auf diese Weise
dokumentierte man vollzogene Aufnahmen und bereitete deren
wissenschaftliche Aufarbeitung vor. Als Ergänzung zum Tonmaterial
wurde jeder Interpret fotografisch festgehalten. Doegen beschrieb im
Nachhinein rechtfertigend, dass er einen Großteil von den in den
Lagern entstandenen Fotografien selbst vornahm88 bzw. diese von
einem Mitarbeiter des kunstwissenschaftlichen Instituts der Berliner
Universität durchführen ließ.89 Ob er damit die typisch anthropologisch
orientierten Vorder- und Seitenansichten meinte, konnte anhand der
vorliegenden Quellen nicht eindeutig geklärt werden. Etwa 50 derartige
Aufnahmen sind im Lautarchiv der HUB erhalten.90 Der überwiegende
Teil gilt heute als verloren, so auch alle Personen-Fotos aus dem
Griechenlager Görlitz. Es wird vermutet, dass Doegen diese
Fotobestände durch seine privaten Ansprüche der PK entzog.
4.2 Weitere Studien in den Kriegsgefangenenlagern
Inwieweit sich die gefangenen Soldaten wirklich vollkommen freiwillig
dem Auswahlverfahren stellten, ist unklar. Es ist anzunehmen, dass
Brandl nicht der einzige Wissenschaftler war, der versuchte die
Gefangenen von seiner friedlichen Absicht zu überzeugen.91 Trotzdem
haben die akustischen Aufnahmen zu Beginn sicher immer Befremdung
hervorgerufen, vor allem da parallel zu den Musik- und Dialek-
forschungen andere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt
wurden, welche zum Teil auch die Privat- und Intimsphäre der
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88 „Meine Bildertafeln beruhen auf Photographien, die ich persönlich ganz selbständig und unabhängig von den lautlichen Aufnahmen in den Kriegsgefangenenlagern ohne staatliche Mittel veranstaltet habe.“ In: DOEGEN 1925, 6 89 DOEGEN 1921, V 90 MAHRENHOLZ 2003, 6 91 BRANDL 1925, 365f.
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 40 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Gefangenen verletzte. So erwähnt Doegen, dass sein als Zahnarzt
tätiger Bruder so genannte Palatogramme92 anfertigte, anhand derer
die Lautentstehung fremdartiger Klänge studiert werden konnte. Des
Weiteren berichtet er von Röntgenaufnahmen und verweist auf
anthropologische Studien und Messungen.93 Letztere waren von dem
Völkerkundler und damaligen Direktor des Berliner
Völkerkundemuseums Felix von Luschan (1854-1924) angeregt und
vom Kultusministerium finanziert worden. Von Luschan betraute seinen
Schüler Egon von Eickstedt (1892-1965) von Januar 1916 bis Februar
1917 mit der Durchführung der Untersuch-ungen in 16 Lagern an
insgesamt 1784 Kriegsgefangenen aus 66 Völkern.94 Zum Teil fertigte
man auch Gipsabgüsse von Körperteilen der Soldaten.95
Die Rudolf-Virchow-Stiftung nutzte ebenfalls die plötzlich vorhandenen
Gegebenheiten zu völkerkundlichen Studien: „Es ist ein prächtiges
Material vereinigt, welches man beisammen hat, ohne umständliche
und zeitraubende Reisen zur Aufsuchung desselben machen zu
müssen, und welches man in aller Muße, ohne daß es einem
davongeht, wiederholt ausfragen kann.“ 96
Die völkerkundlichen Untersuchungen, mit denen man den Ethnologen
Leo Frobenius (1873-1938) beauftragte, enthielten beispielsweise
Befragungen zu Erzählungen und Sagen und konzentrierten sich auf
regional typische Hauseinrichtungen. Abschließend sei auf die rechts-
wissenschaftlichen Forschungen verwiesen, die im Jahre 1918 statt-
fanden. Diese beschäftigten sich mit der Erfassung (ebenfalls mittels
Fragebögen) der vorherrschenden Rechts-, Sozial- und Gesellschafts-
verhältnisse in der Heimat der Gefangenen.
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92 Ein Palatogramm ist ein Gaumenabdruck, der mittels eines Palatographen herge-stellt wird. Durch diesen kann die Berührung zwischen Zunge und Gaumen beim Sprechen nachvollzogen werden. In: MAHRENHOLZ 2003, 6 93 DOEGEN 1925, 16 94 MÜHLFRIED 2000, 47 95 KAHLEYSS 2000, 33 96 MÜHLFRIED 2000, 2
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 41 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Abbildung 11: C. Stumpf und G. Schünemann bei der Aufnahme tatarischer Lieder (unter anderem PK 33).
Abbildung 12: Der von G. Schünemann für die Gesangsaufnahmen ver-wendete Phonograph Excelsior von 1903.
Abbildung 13: Wachswalzen mit Aufnahmen von G. Schünemann aus Kriegsgefangenenlagern 1916-18; Inv-Nr. PK 809 (serbisches Lied) und PK 33 (Liebesstück; 2 Tataren, 1 Geiger).
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 42 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Abbildung 14: Schmutztitel des Bandes „Unter fremden Völkern“
4.3 Die Auswertung des Forschungsmaterials
Die in den Kriegsjahren gewonnenen Ergebnisse wurden in den darauf
folgenden Jahren in Einzelpublikationen vorgelegt und so einem
breiteren Publikum zugänglich gemacht. Das einzige Buch, in dem
mehrere Mitglieder der PK aus unterschiedlichen Forschungszweigen
ihre Ergebnisse vorstellten, war das von Doegen 1925 heraus-
gegebene: „Unter fremden
Völkern – Eine neue Völker-
kunde“. Darin finden sich unter
anderem Berichte über ver-
schiedene Kulturen wie „Die
Farbigen von Nordwestafrika“
(Hubert Grimme; 1864-1942?)
oder „Die Juden“ (Gotthold Weil;
1882?-1960), aber auch Aus-
führungen zu den „Rechtsver-
hältnissen der primitiven Völker“
(Josef Kohler; 1849-1919) und
ein „Kurzer Abriß der Musik im
östlichen Europa“ (Georg
Schünemann).
Anzumerken ist, dass entgegen der nationalistischen Grundstimmung
viele der Wissenschaftler in diesem Band die Möglichkeit wahrnahmen,
bestehende Vorurteile über Wesen und Kultur anderer Ethnien zu
widerlegen. So schrieb Heinrich Lüders (1869-1943) abschließend in
seinem Bericht über „Die Gurkhas“: „Wir müssen gestehen, daß wir den
besten Eindruck von diesen ehrlichen und gutmütigen Leuten
empfangen haben.“ 97
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97 DOEGEN 1925, 139
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4. „Krieg als Förderer der Wissenschaft“ 43 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Die Bearbeitung und Veröffentlichung des akustischen Materials ist
aber insgesamt, im Gegensatz zur österreichischen Phonographischen
Kommission, wesentlich geringer ausgefallen.98 Als möglicher Grund
kann angesehen werden, dass Doegen Anfang 1919 im Zuge der
Revolutionswirren die gesamte Verwaltung der Lautplatten auf seine
Person übertragen bekam. Trotz verschiedener Proteste erwirkte er
1920, dass man die gesamte Plattensammlung der PK als
Lautabteilung an die Preußische Staatsbibliothek Berlin angliederte99
und ihn zum Direktor ernannte.100 Die bis dahin von den Mitarbeitern
der PK und des Phonogramm-Archivs angestrebte Zusammenlegung
beider Bestände war somit unmöglich geworden und führte zur
endgültigen Trennung der Sammlungen bis zum heutigen Tag.
Auch der hier thematisierte Bestand akustischer Aufnahmen aus dem
Griechenlager Görlitz wurde durch die Aufteilung auf zwei Institutionen
auseinander gerissen.
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98 Deren umfangreichere Auswertung liegt vermutlich an der institutionellen Anbindung der Phonogramm-Archivs-Kommission an der k. u. k. Akademie der Wissenschaften in Wien. Die dort einberufene Phonographische Kommission nahm die Aufnahmen in den Lagern vor und veröffentlichte die Forschungsergebnisse in den „Mitteilungen der Phonogramm-Archivs-Kommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften“ in Wien. Vgl. POECH MPAKkA 1916; HAJEK MPAKkA 1916; LACH MPAKA 1927 99 Schreiben vom 14.04.1920 von Carl Stumpf an das Kultusministerium: „Sie [die PK] kann daher ein starkes Befremden darüber nicht verhehlen, dass im Staatshaushalt für 1920 zu diesem Zwecke die Errichtung einer Lautsammlung als besondere Abteilung der Staatsbibliothek vorgesehen ist, ohne dass die Meinung der Phonographischen Kommission irgendwie gehört worden wäre.“ In: GStA PK, I. HA, 76: KM Va 2, X, 250, Bd.1, Bl.78r 100 ZIEGLER 2000, 201
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5. Griechenland in Görlitz 44 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5. Griechenland in Görlitz
Sucht man nach dem eigentlichen Anlass der Lautaufnahmen im
Görlitzer Griechenlager, so ist zuerst zu klären, wieso 7.000 Griechen
überhaupt in diese Stadt kamen und wie sie dort über zwei Jahre
lebten.
Nach einer kurzen Skizzierung der politischen Lage Griechenlands
während des Krieges, werden auf den folgenden Seiten die Umstände
thematisiert, die das Korps nach Deutschland führten. Dem schließen
sich Informationen zum Alltag und Leben im Lager an, die Helmut Artur
Scheffels101 Bericht „Das IV. Griechische Armeekorps in Deutschland“
vom 15. Juli 1920 entnommen wurden. Scheffel beschrieb darin neben
der politischen Situation das Zustandekommen der Korps-Überführung,
den Empfang der Gäste in Görlitz, deren Versorgung, den Lageraufbau
und gibt Auskunft über das allgemeine Leben der Soldaten.
5.1 Die politische Lage Griechenlands im 1. Weltkrieg
Griechenland durchlebte zu Beginn des 1. Weltkrieges eine schwere
finanzielle Krise. Die Balkankriege hatten mit Südepirus, Mazedonien,
Thessaloniki, Kavalla und dem dazu gehörenden Hinterland einen
großen Bevölkerungs-102 und territorialen Zuwachs103 gebracht, der das
Land zusätzlich schwächte und alle Reserven für eine Reorganisation
aufbrauchte. Die einstigen Gegner, nach griechischem Verständnis
Besatzer, warteten auf jede nur erdenkliche Gelegenheit, um die ihnen
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101 „...Herr Scheffel...[musste] während des 1.Wk Volos [in Griechenland] als Deutscher verlassen...und [konnte] so als Dolmetscher für die stationierten Soldaten tätig werden... Nach Kriegsende kehrte er zurück und hatte ein Handelsunternehmen,das ihn oft nach Deutschland führte.“ In: GROSSERT 2004 102 Die Zahl der Einwohner hatte sich von ca. 2,6 auf 4,7 Millionen erhöht. In: SÖSEMANN 1994, 122 103 Das Gebiet war von 63.211km² auf 110.300 km² angewachsen. In: TZERMIAS 1993, 119
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5. Griechenland in Görlitz 46 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Konstantin geriet in starke Bedrängnis, als Anfang Oktober 1916, die
griechische Souveränität und Neutralität missachtend, Truppen der
Entente in Thessaloniki landeten und die Mittelmächte zusammen mit
Bulgarien Westthrakien besetzten. Die Landgewinne des Balkankrieges
standen auf dem Spiel, weshalb sich „venizelistisch“ gesinnte Offiziere
in Thessaloniki zur „Nationalen Abwehr“ formierten.105 Aus dieser
Vereinigung heraus bildete Venizelos mit Unterstützung der Entente
Ende Oktober 1916 eine einflussreiche Gegenregierung.
Im Juni 1917 trat Konstantin zurück und ging ins Schweizer Exil,
während sein Sohn Alexander die Regierung übernahm. Noch im
selben Monat wurde Venizelos vereidigt und setzte sofort umfangreiche
Reformen durch, die den Royalisten weitere Handlungsmöglichkeiten
nahmen. Am 27. Juni 1917 erklärte er Deutschland und dessen Verbün-
deten den Krieg, was große Teile der griechischen Bevölkerung
ablehnten. Viele befürworteten nach wie vor die antimilitärische und
pazifistische Linie des deutschstämmigen Königshauses und der
Royalisten.
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105 IRMSCHER 1993, 148
Abbildung 16: Nebenkriegsschauplätze während des 1. Weltkrieges auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerraum.
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5. Griechenland in Görlitz 47 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.2 Wie die Griechen nach Görlitz kamen
5.2.1 Das Korps in Mazedonien
Während des Einmarsches der Bulgaren in Ostmazedonien 1916
leisteten die dort stationierten königstreuen griechischen Garnisonen,
trotz Protest der griechischen Regierung und des Konflikts beider
Nationen, keinen Widerstand. Die den bulgarischen Truppen
angehörenden deutschen Verbindungsoffiziere waren darauf bedacht,
jegliche Konfliktsituationen zwischen beiden Parteien zu vermeiden.106
Nachdem das im Ostteil von Mazedonien befindliche IV. Griechische
Armeekorps, bestehend aus der 5. und 6. Division unter Leitung von
Oberst Johannes Chatzopulos (1862-1918),107 durch die Mittelmächte
und Ententegruppen isoliert worden war, zog man das Korps von
10.500 Mann in Kavalla zusammen, wo auch die aus Altgriechenland
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106 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 3r 107 IRMSCHER 1993, 148
Abbildung 17 & 18 Venizelos und Konstantin I. während des 1. Balkankrieges am 23.11.1912 bei Thessaloniki nach dem Waffenstillstands-angebot der Türkei und Eleftherios Kyriatos Venizelos.
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5. Griechenland in Görlitz 48 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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ausgewiesenen deutschen Konsuln und Kaufleute eintrafen.108 Die
Situation in der Stadt war für die Zivilbevölkerung wie für das Militär
äußerst schwierig, da die Versorgung über das Meer durch die
Kriegsflotte der Entente verhindert wurde.109 Anfang September
ersuchte Deutschland Griechenland, die militärischen Operationen der
10. Bulgarischen Division nicht zu behindern. Man bat, diese auf den
Anhöhen der Stadt stationieren zu dürfen, um auf den bevorstehenden
Angriff der Entente-Truppen besser reagieren zu können.110 Dem wurde
zugestimmt und man versuchte das Korps nach Altgriechenland zu
bringen, was aber an der vor Kavalla liegenden britischen und
französischen Flotte scheiterte. Die Rückreise wurde nur denen erlaubt,
die sich der neuen Regierung und der Entente anschlossen. Ca. 3.500
Mann verließen daraufhin das Korps.111 Aus strategischen Gründen
forderte die deutsche Seite Chatzopulos auf, sich in die unter
bulgarischer Aufsicht stehende Stadt Drama zu begeben.112
Um unter allen Umständen zu vermeiden, dass der Rest des Korps
unter bulgarische Führung gestellt würde, wandte sich Oberst
Chatzopulos an die deutsche Heeresleitung und unterbreitete
Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847-1934) den Vorschlag,
das Korps samt aller Waffen nach Deutschland zu überführen.
Hindenburg willigte ein und versprach die freundschaftliche Aufnahme
in Deutschland.113 Zwischen dem 15. und 27. September 1916 fuhren
zehn Züge mit ca. 7.000 Soldaten und Zivilisten von Drama in Richtung
des rund 90.000 Einwohner zählenden Görlitz ab. Die Fahrt dauerte
jeweils 12 Tage.114 (Text 8/9)
Bei der Ankunft in Görlitz brachte die Korpsleitung Beschwerde in Hin-
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108 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 3r 109 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 3v 110 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 3v 111 IRMSCHER 1993, 149 112 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 3v 113 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 4r 114 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 4v
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5. Griechenland in Görlitz 49 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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sicht des Abtransportes aus Drama vor. Die darin angeführten Punkte,
die eher von militärhistorischem Interesse sind, verdeutlichen sehr
anschaulich die Lage vor Ort und illustrieren die schwierige politische
Situation, in der sich das Korps befand.115 Wie bereits erwähnt
versuchte Chatzopulos nicht unter bulgarische Führung gestellt zu
werden, da dies einer Gefangenschaft gleichgekommen wäre. Sein
Versuch, Kavalla nicht zu verlassen, scheiterte am Druck der
Deutschen, die einen Abtransport nach Deutschland nur über Drama
ermöglichen wollten. Kritisiert wurde vor allem, dass man das Korps
zwang, sich nach Drama zu begeben, ohne der Korpsleitung die
Kontaktaufnahme mit der griechischen Regierung zu gestatten. Ein
weiterer Vorwurf war, dass durch den überstürzten Abmarsch ein
Großteil des Kriegsmaterials und des Gepäcks zurückblieb und dieses,
trotz längeren Aufenthaltes in Drama, nicht nachgeholt werden durfte.
Ein zentraler Beschwerdepunkt war der Umgang mit kleineren
griechischen Abteilungen bei der Besetzung Ostmazedoniens durch die
Bulgaren, wo man diese wie Gefangene behandelte. Man konstatierte
dazu von deutscher Seite, dass es sich um Maßnahmen im Zuge
militärischer Operationen handelte, die in ihrer Härte nicht mit dem
Vorgehen der Entente zu vergleichen wären.116
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115 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 4r/v 116 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 4r/v
Abbildung 19: Die Ankunft des Korps als Postkartenmotiv.
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5. Griechenland in Görlitz 50 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.2.2 Die Ankunft in Preußen
Görlitz war zu dieser Zeit bekannt für seine zahlreichen Park- und
Erholungsanlagen und den großen eigenstädtischen Grundbesitz, der
die Stadt zu einer der reichsten deutschen Kommunen machte. Die
milde Steuerpolitik zog viele Ruheständler und pensionierte preußische
Beamte an, die hier ihren Lebensabend verbrachten, was Görlitz den
Ruf einer Pensionärsstadt eintrug.
Warum das Kriegsministerium das Korps ausgerechnet in die damals
preußische Garnisonsstadt bringen ließ, ist unklar. Eine wichtige Rolle
spielte vermutlich, dass sich bereits seit Mitte 1914 im Ostteil der Stadt
ein Krieggefangenenlager befand, das ausreichend Platz- und
Versorgungskapazitäten bot. (Abb. 30/31/33/34)
Man empfing die Griechen mit allen Ehren als Gäste der Stadt, so wie
es ihnen zuvor zugesichert worden war. Dies geschah nicht nur
aufgrund der Weisung von „höchster Stelle“, sondern auch, weil
bekannt war, dass der Großteil des Korps sich nicht in die Hände der
Kriegsgegner Deutschlands begeben hatte. Derartige „Neutralitäts-
bekenntnisse“ gab es gegenüber Deutschland in diesem Krieg kaum.
Jeder eintreffende Zug wurde von der Bevölkerung und einer deutschen
Militärkapelle begrüßt und zum Lager begleitet.117 (Abb. 36-47) Die
Begrüßungsrede des damaligen Oberbürgermeisters Snay (1862-1930)
zeigt, wie sehr man sich darum bemühte, dem Versprechen einer
gastfreundschaftlichen Aufnahme nachzukommen:
„Die Pflege der Gastlichkeit haben wir Deutsche stets als heilige Pflicht
empfunden. Auch Ihnen gegenüber wollen wir sie gern und freudig
erfüllen. Wir reichen Ihnen in deutscher Treue und Gemütlichkeit die
Hand zu gastlichem Empfange und versprechen Ihnen, alles zu tun, um
den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Uns allen sind
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117 „...auf seinen [des Kaisers] Befehl erfolgte der Einzug jedes Griechentransportes in Görlitz unter Voranschreiten eines deutschen Militärmusikkorps...“ In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 5r
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5. Griechenland in Görlitz 51 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Sie herzlich willkommen. Das sehen Sie an der regen Teilnahme der
gesamten Bevölkerung aus Stadt und Land bei Ihrem Einzuge, Sie
fühlen es an der gastlichen Aufnahme, die Ihnen überall zu Teil wird.
Schwer und ernst ist die Zeit, in der wir leben. Nehmen Sie
gastfreundlichst vorlieb mit dem, was wir Ihnen bieten können. Lassen
Sie es sich wohlgefallen und wenn Sie dereinst frohen Mutes in Ihr
Vaterland zurückkehren, dann mögen Sie gern der Zeiten gedenken,
die Sie bei uns verlebt haben, gleich wie wir das tun werden.“ 118
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118 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 5r/v
Abbildung 20 & 21: Die Ankunft des griechischen Armeekorps als Görlitzer Postkartenmotiv.
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5. Griechenland in Görlitz 52 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.3 Das Griechenlager
Das Besondere und die Einzigartigkeit der gesamten Situation, dass es
sich hier nicht um ein herkömmliches Kriegsgefangenenlager handelte,
wie immer wieder gesagt wird, muss noch einmal betont werden und
lässt sich anhand des Lagerlebens anschaulich belegen. Es wird vor
allem dadurch verdeutlicht, dass das vorher für russische Soldaten
dienende Gefangenlager nun nicht mehr als solches geführt wurde und
man sogar jegliche Anwendung des Begriffes vermied. Nach den
vorliegenden Quellen zu urteilen, blieb nichts unversucht, den
griechischen Soldaten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu
gestalten.
Das Lager selbst befand sich wie bereits erwähnt seit Mitte 1914 in dem
noch wenig besiedelten Ostteil der Stadt (Abb. 30/31) und diente
vorrangig etwa 15.000 russischen Kriegsgefangenen119 als
Internierungslager.120 (Abb. 33-35) Im Zuge der Recherchen für die
vorliegende Arbeit konnte der Standort, über den nur vage Angaben in
der Literatur zu finden sind, lokalisiert121 und kartiert werden.
Das Internierungslager war durch Stacheldraht, Laufgräben und
Bewachung von der Außenwelt abgeschnitten. Mit dem Eintreffen der
Griechen änderte sich das grundlegend. Schon im Vorfeld waren durch
Offiziere des Kriegsministeriums und des Generalkommandos sowie
durch eine Kommission aus griechischen und deutschen „Fachleuten“
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119 IRMSCHER 1993, 149 Wann und wohin die russischen Gefangenen verlegt wurden, war aus der Literatur und den vorliegenden Akten nicht zu ermitteln. 120 Dieses Lager hatte eine Fläche von ca. 25 ha und beherbergte neben den russischen Kriegsgefangenen, welche das Lager aufbauten, etwa 30 Engländer, einige Franzosen und Soldaten aus den Kolonialgebieten. In der vorgefundenen Literatur wird des Öfteren fälschlicherweise angegeben, dass sich das Lager in dem damals noch nicht eingemeindeten Stadtteil Moys befunden haben soll. Tatsächlich lag es jedoch nördlich davon neben der Neuen Kaserne, im heutigen polnischen Stadtteil Osiedle Centralne.Das ehemalige Lagergelände wurde zwischen 1920 und 1930 mit Wohnhäusern bebaut. In: FÖRSTER 2000, 142 121 Die Lagepläne aus dem RatArch: Vol.1 / Bd.II. / S.227 /Nr.3 / XXI / 54 / 1915, Bl.16, 44, 46 wurden ohne Bezug zum Stadtplan angefertigt.
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5. Griechenland in Görlitz 53 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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das Lager besichtigt und umfangreiche Änderungen angeordnet
worden. So erneuerte man die Straßen, legte einen Anschluss an das
städtische Elektrizitätswerk, richtet die Baracken neu ein und
verbesserte die Heizmöglichkeiten.122
5.3.1 Der Vertrag mit den Gästen
Um die Rechte und Pflichten der griechischen und deutschen Seite zu
regeln, legte man die rechtliche Stellung des gesamten Armeekorps,
seine interne juristische Verwaltung sowie Anregungen zur Sprach-
ausbildung und den entsprechenden Unterricht für Offiziere und
Soldaten in einem Vertrag fest.123 An erster Stelle musste die
Selbstständigkeit des Korps in jeglicher Hinsicht ersichtlich sein und
gewährleistet werden. Zu den im Vertrag fixierten Punkten gehörte
unter anderem, dass Oberst Chatzopulos die Kommandogewalt über
das Korps behielt und die deutsche Kommandantur bei dienstlichen,
das Lager betreffenden Verwaltungsangelegenheiten nur mit seiner
Zustimmung handeln durfte. Der Exterritorialität des Geländes wurde
höchste Priorität eingeräumt. Delikte, die nicht deutsches Recht
betrafen, unterstanden somit dem griechischen Strafgesetz und dessen
Gerichtsbarkeit. Im Weiteren legte man fest, dass die Lagerbewachung
durch die Griechen zu erfolgen hatte, wodurch jeglicher Charakter eines
Gefangenenlagers negiert wurde. Das Zensieren des Briefverkehrs
unterstand ebenfalls der griechischen Lagerleitung. Innerhalb
Deutschlands und in den besetzten mazedonischen sowie bulgarischen
Gebieten war das Porto für die Post der Griechen entsprechend der
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122 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 7r 123 Dieser Vertrag wurde zwischen dem Kriegsministerium, einem Vertreter des griechischen Ministeriums und dem Korpskommandeur am 8. Dezember 1916 geschlossen. In: BArchB R2 / 41443, Bl.10-15
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5. Griechenland in Görlitz 54 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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militärischen Gepflogenheiten frei.124 Als monatliches Einkommen
wurde die griechische Friedensbesoldung in Mark, in gleicher Höhe, wie
sie in Griechenland in Drachmen ausgezahlt wurde, aus dem
deutschen Militärhaushalt gezahlt. Des Weiteren gewährte man
Zuschüsse für bestimmte Personen,125 die in Privatquartieren unter-
gebracht waren, sowie für einzelne Berufsgruppen, wie etwa
Geistlichen, die nicht unmittelbar dem Militär angehörten.126 Von Anfang
an erhielten sie ebenso wie die Militärbeamten ein höheres Gehalt als
in ihrer Heimat. Neben der generellen Regelung, wer inner- bzw.
außerhalb des Lagers unterzubringen war, gab es im Vertrag weitere
Festlegungen zu Essensrationen, den zur Verfügung stehenden
Kasinos, der Organisation und Bewilligung von Bekleidung,127 der
Krankenpflege, der kostenlosen Nutzung der Görlitzer Stadtbibliothek
sowie der Herausgabe einer Zeitung. Schließlich wurde darauf
hingewiesen, dass auf Wunsch Sprachunterricht genommen werden
konnte.
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124 Anfang Januar 1917 warf ein Zeppelin über Larissa 15 Säcke mit Briefen der Görlitzer Griechen ab. Normalerweise übersandte das Deutsche Rote Kreuz die Post. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass die Heeresleitung versuchte die Zensur an den Grenzen zu umgehen, um die öffentliche Meinung in Griechenland positiv zu beeinflussen. In: CLEMENT 1955, 15 125 Am 1. Februar 1918 erhielten alle Offiziere eine Teuerungszulage. Die niederen Offiziere wurden den deutschen angeglichen, auch bekamen Sanitätsoffiziere, die Militär- und Verwaltungsbeamten, Tierärzte und Ingenieure eine Gehaltserhöhung. In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 17r/v Diese Gelder wurden bis zur Abreise des Korps beibehalten. In: BArchB R2 / 41443, Bl.38-39 & 42-43 126 Drei Popen hatten das Korps nach Görlitz begleitet. In: NGA 1926, 3 127 Unterkleidung, Handschuhe, Taschentücher, Strümpfe und Handtücher wurden nach Bedarf zum Selbstkostenpreis geliefert. Die Uniformen etc. fertigte man in einer dafür eigens eingerichteten Lagerwerkstatt, wo auch einige deutsche Frauen als Hilfskräfte beschäftigt waren. Trotz der kriegsbedingten Stoffnot erhielt jeder Soldat zwei neue Uniformen und Schnürschuhe. Den Offizieren stand ebenfalls Material für zwei Uniformen und einen Mantel zur Verfügung. Auf farbliche Besonderheiten wurde versucht Rücksicht zu nehmen. Für die Heimreise war eine wiederholte Kompletteinkleidung geplant, was bei Kriegsende durch die Revolution allerdings nicht zustande kam. In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II/ S.227 / Nr.4, 18r
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5. Griechenland in Görlitz 55 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.3.2 Aufbau und Organisation im exterritorialen Lager
Den Neuankömmlingen stand in dem ehemaligen Kriegsgefangenen-
lager, das auf eine Belegung mit 12.300 Mann128 ausgerichtet war,
ausreichend Platz zur Verfügung. Von den ca. 7.000 Griechen logierten
fast alle ranghöheren Militärs in Privatquartieren der Stadt. Die etwa
6.500 Soldaten lebten im Lager. Zudem lässt sich nachweisen, dass bei
der Ankunft des Korps 77 Offiziersfrauen, 16 Unteroffiziersfrauen und
fünf Kinder anwesend waren.129 Leider konnten zu diesem Personen-
kreis keine weiteren Angaben gefunden werden.
Die baulichen Änderungen am Lager sollten den Gästen größt-
möglichen Komfort bieten. Gerade die Unterkünfte der Offiziere, von
denen eigentlich 30 im Lager leben sollten, bedachte man mit
besonderer Aufmerksamkeit. Die Wohnungen hatten einen Schlaf- und
einen Wohnraum, sowie gestrichene Decken und tapezierte Wände. Da
die Offiziere es jedoch generell vorzogen, in der Stadt zu leben, dienten
die Wohnungen verheirateten Unteroffizieren und Krankenschwestern
als Wohnraum.130 In den vier Groß- und 48 Kleinbaracken auf dem
Gelände waren die Soldaten einquartiert. In den Großbaracken konnten
500, in den anderen 80 Mann untergebracht werden. Sie bestanden
aus separaten Wohn- und Schlafräumen, ausgestattet mit Tischen und
Bänken, sowie Unteroffiziersstuben. Jeder Soldat hatte sein eigenes
Bettgestell, Strohsack und Kopfkissen. Decken gab man jedem in
gewünschter Menge. 131
Ein wichtiger Aspekt bei der Ausstattung der Baracken waren die
erweiterten Heiz- und Wärmemöglichkeiten. Da die Soldaten das kalte
Klima nicht kannten, stellte man zum Beispiel in den Kleinbaracken vier
Regulier-Öfen auf und versorgte die Griechen über die gesamte Zeit
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128 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 8r 129 BArchB R2 / 41443, Bl.16r und 19r 130 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 8r 131 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 7v/8r
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5. Griechenland in Görlitz 56 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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hinweg mit mehr Kohle als es etwa deutschen Soldaten zustand.132
Scheffel schreibt dazu: „Als in dem harten Winter 1916/17 die Kohlenot
in Deutschland groß war, mußten allerdings unsere Gäste eine kurze
Zeit mit ungenügender Belieferung vorlieb nehmen. Alle Lager der Stadt
waren erschöpft. Die deutsche Verwaltung entsandte sogleich einen
besonderen Beamten in das Kohlegebiet, dem es auch gelang, Kohlen
zur sofortigen Lieferung zu erhalten.“ 133
Zur Versorgung der Soldaten gab es eine große Militärküche. Die
Küchenleitung lag zu Beginn bei deutschem Personal und wurde im
weiteren Verlauf von Griechen übernommen.134 Man bemühte sich
dabei, ihren Ernährungsgewohnheiten so gut wie möglich nachzu-
kommen. Konnten anfangs noch Pflanzenöle, Weizenmehl und Bohnen
zur Verfügung gestellt werden, war dies im weiteren Verlauf des
Krieges nicht mehr zu gewährleisten. Trotzdem versuchte man den
Soldaten gerade zu traditionellen griechischen Feierlichkeiten die
üblichen Festtagsbrote zu reichen.135 (Text 12)
Die Verpflegung von Frauen, Kindern, Leichtkranken und anderen
Zivilpersonen wurde gesondert geregelt.136 Sie erhielten wie die
Einheimischen Lebensmittelkarten für spezielle Ausgabestellen. Im
Vergleich zur deutschen Bevölkerung und dem deutschen Militär war
die Versorgungslage der Griechen wesentlich besser, was wiederholt
zu Missstimmungen unter der Zivilbevölkerung in Görlitz führte.
Den Offizieren standen für ihre Verköstigung zwei Kasinos (das Tivoli
[Abb. 58] und das Handelskammerhaus) zur Verfügung. Allerdings
wurde auch gebilligt, dass sie in den Hotels der Stadt ohne
Lebensmittelmarken speisten.137 In einer besonderen Kantine erhielten
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132 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 8v 133 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 8r 134 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 10r 135 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 11r 136 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 11r/v 137 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 12r
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5. Griechenland in Görlitz 57 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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die Soldaten wichtige nichtrationierte, gelegentlich auch rationierte,
Gebrauchsgüter sowie Lebensmittel zu billigen und vorgeschriebenen
Preisen.
Um den griechisch-orthodoxen Gottesdienst durchzuführen, wurde eine
der Kleinbaracken zur Kirche umfunktioniert. Soldaten katholischen,
evangelischen oder jüdischen Glaubens war es gestattet, die
Gotteshäuser in der Stadt zu besuchen.138
Eine Lagerfeuerwehr, welche die städtische Feuerwehr ausbildete,
sorgte ab Frühjahr 1917139 für die Sicherheit im Lager. Um die Ordnung
in jeglicher Hinsicht aufrecht zu erhalten, wurden auf Wunsch der
Korpsleitung und der Lager-Verwaltung Arrestlokale eingerichtet.140
Neben Übungs- und Exerzierplätzen, einer Waschanstalt, zwei
Desinfektionsanlagen und umgebauten Abortanlagen, die sich in der
Nähe der Baracken befanden, gab es Handwerksstätten, die
Ausbildung und Selbstversorgung gewährleisteten.141
Die Behandlung kranker Soldaten oblag dem „Griechenlazarett“ mit
eigener Apotheke, das sich etwa einen Kilometer vom Lager entfernt
befand,142 und einem ebenso separierten Seuchenlazarett. Die
Einrichtung dieser Institutionen stand allerdings unter deutscher
Verwaltung und einem deutschen Stabsarzt, der bei Annahme von
Seuchengefahr das Recht hatte, Patienten mit ansteckenden
Krankheiten im Lazarett zu besuchen.143
Eigener Gemüseanbau und Viehwirtschaft auf dem Lagergelände
verbesserte zusätzlich die Lebensmittelversorgung, vor allem der
Kranken und Kinder.144
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138 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 9r 139 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 14r 140 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 9r 141 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 9r 142 Das Lazarett und das Lager waren so gut ausgestattet, dass sie nach dem Fortgang der Griechen sofort vom deutschen Militär übernommen wurden. 143 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 13r/v 144 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 9v
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5. Griechenland in Görlitz 58 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.4 Das Leben in der Fremde
Den 10. Jahrestag des Einzuges der griechischen Soldaten in Görlitz
nutzte die städtische Lokalpresse, um an die einstigen Gäste zu
erinnern und reflektierte bei dieser Gelegenheit das Angebot des
Kulturprogramms, das damals geboten und von den Griechen
wahrgenommen wurde: „An Unterhaltung fehlte es den Gästen
während ihres Hierseins nicht. Sie waren ständige Besucher der
Konzerte, Theater, Lichtspielhäuser usw.“ 145
Auch wenn sich die Lebensumstände trotz aller Bemühungen völlig von
denen in Griechenland unterschieden, die Sehnsucht nach der Heimat
und der Familie groß war und die sprachliche Barriere zu Beginn
unüberwindbar schien, versuchte ein Großteil des Korps die neuen
Gegebenheiten anzunehmen. Da sich Offiziere wie Soldaten frei in der
Stadt bewegen durften, ist nachvollziehbar, dass sich das Görlitzer
Stadtbild in dieser Zeit veränderte: „Abends geht die Garnison auf die
Strassen. Man möchte meinen, man befinde sich in einer italienischen
Stadt, in Verona z.B., wo nach dem Abendessen die Strassen voll
Militär sind.“ 146
Durch das tägliche Miteinander entstand recht schnell ein angenehmes
Verhältnis zu den Einwohnern. Mit dem weiteren Kriegsverlauf, den
immer strengeren Rationierungen147 und durch den Ausbruch der
Revolution änderte sich dies zum Teil. Kritische Äußerungen gegenüber
dem Korps waren jedoch verhalten. In der Literatur sind hingegen
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145 NGA 1926, 3 146 SOYTER 1917, 45 147 „Dass nicht alle Kreise der Bevölkerung in den Gästen einen erwünschten Zuwachs sahen, hauptsächlich weil befürchtet wurde, daß unsere täglichen Rationen durch den Mehrverbrauch verkleinert würden, darf nicht verschwiegen werden. Besonders in der ersten Zeit ihres Hierseins [der Soldaten] mußte der Magistrat wiederholt öffentlich bekanntgeben, daß die Versorgung der Gäste nur durch die Heeresverwaltung erfolgte. In Bezug auf den Verkauf von Web- und Wirkwaren, Brot und anderen Markenartikeln waren die Griechen genau den einschränkenden Bestimmungen unterworfen, wie die einheimische Bevölkerung.“ In: NGA 1926, 3
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5. Griechenland in Görlitz 59 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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wiederholt Bedenken zum Verhalten der Görlitzerinnen anzutreffen:
„Viel bedenklicher war zeitweise das lebhafte Interesse eines Teils der
Frauenwelt, die nicht immer die gebotene Zurückhaltung an den Tag
legte, so daß schließlich von den Kanzeln herab an das
Schicklichkeitsgefühl der Frauen und Mädchen appelliert werden
mußte.“ 148
Die Anwesenheit der Mannschaften und die von ihnen mitgebrachte
„Edelvaluta“ in Form griechischer Goldmünzen, die allein schon einen
hohen Materialwert149 besaß, begrüßten die Kaufleute der Stadt: „Die
Geschäftsleute in der Stadt paßten sich den fremden Gästen bald an
und brachten Plakate mit griechischen Inschriften an ihre Fenster an,
um sich die neue Kundschaft zu sichern.“ 150 Die Griechen standen dem
sehr aufgeschlossen gegenüber, was wiederum dazu führte, dass man
zum Großteil nach deren Liquidität die Preise für Waren des täglichen
Bedarfs festlegte. Vor allem zu Zeiten von Stoff- und Nahrungsmittel-
mangel gingen diese unverhältnismäßig in die Höhe.
Die griechischen Soldaten und Offiziere hatten in Görlitz viel Zeit und so
mancher Bewohner der Stadt tadelte deren Müßiggang.151 Doch bis auf
die täglichen Lagerarbeiten und den von den Offizieren angeordneten
militärischen Drill, dessen Notwendigkeit von vielen Soldaten zunehm-
end in Frage gestellt wurde, gab es keine schwere körperliche Arbeit zu
leisten. Die Disziplin lockerte sich, obwohl man von Seiten der Korps-
leitung jede Überschreitung hart bestrafte. Die massiv beibehaltene
Trennung von Offizieren und Mannschaften, die sogar beim deutschen
Militär Befremden hervorrief, verstärkte ein aufkommendes Unbehagen
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148 NGA 1926, 3 Weitere Angaben in: RIETZSCH 1932, 106f. Die 1919 herausgebrachte Reihe „Das Liebesleben im Weltkriege“ beschäftigt sich eingehend mit der „Liebes-Problematik“ in drei Bänden. Im 2. Bd. „Die deutsche Frau und die Kriegsgefangenen“ findet sich das Kapitel „Die schönen Griechen von Görlitz“, wo Zeitzeugen die Situation in der Stadt schildern. In: BECK 1919, 67-75 149 NGA 1926, 3 150 NGA 1926, 3 151 RIETZSCH 1932, 106f.
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5. Griechenland in Görlitz 60 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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bei den Soldaten. War dem ranghohen Militär der Besuch der besten
Lokale und Kaffeehäuser der Stadt gestattet, verbot man dies den
Mannschaften. Überhaupt stellte jeder private Kontakt ein strenges
Vergehen dar und wurde hart geahndet: „Jeder außerdienstliche
Verkehr zwischen den Offizieren und den Mannschaften war verboten,
selbst auf der Straßenbahn durften die griechischen Mannschaften
nicht in dem Wagen Platz nehmen, in dem�Offiziere saßen. Wie streng
diese Trennung nach Rangklassen durchgeführt wurde, dafür möge ein
Beispiel dienen, daß Unteroffiziere bestraft wurden, weil sie mit
Gefreiten, Gefreite, weil sie mit Gemeinen spazieren gingen.“ 152
Immer mehr kam bei den Mannschaften der Wunsch nach sinnvoller
Beschäftigung auf. Sie wandten sich an die deutsche Kommandantur
mit der Bitte um Arbeitseinsatz in Industrie und Landwirtschaft.153 Von
deutscher Seite hatte man bereits kurz nach der Korps-Überführung
der griechischen Kommandantur den Vorschlag unterbreitet, bereit-
willige Soldaten zu Arbeitseinsätzen innerhalb Deutschlands zu
schicken, was abgelehnt worden war. Die kriegsministerielle Verfügung
vom 3. Juni 1917 zeigt deutlich, dass sich die deutsche Heeresleitung
zwar um eine Meinungsänderung bemühte, jedoch keinerlei Druck
ausgeübt werden durfte: „Es muß daher vermieden werden, in
irgendeiner Weise auch nur den leisesten Druck auszuüben, um die
Griechen zur Uebernahme [sic!] von Arbeit zu bewegen. Die
Beschäftigung der Leute in deutschen Betrieben könnte nur in Frage
kommen, wenn sie ganz von sich aus den Wunsch äußern, arbeiten zu
dürfen. Es wird ersucht, festzustellen, wie viele der Leute und unter
welchen Bedingungen sie wohl geneigt wären, zur freiwilligen
Uebernahme [sic!] von Arbeit. Diese Feststellungen könnten natürlich
nur nach vorherigen Benehmen und im Einverständnis mit dem
griechischen Vorgesetzten geschehen.“ 154
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152 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 20r 153 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 20r 154 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 21r
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5. Griechenland in Görlitz 61 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Zumindest konnte im Juni 1917 die Billigung von Sprachkursen für die
Soldaten erreicht werden, an denen etwa 700 Mann teilnahmen.155 Im
darauf folgenden Monat wurde dann durch den im Schweizer Exil
lebenden König Konstantin156 dem Korps die Erlaubnis für
landwirtschaftliche Einsätze gegeben.157 Bei der Zählung Bereitwilliger
stellten sich auf 103 Berufsarten verteilt 5.837 Mann zur Verfügung, die
dankbar für die Gelegenheit waren, ihren Beruf ausführen bzw. einen
neuen erlernen zu können.158 Es wurde vereinbart, dass die
Mannschaften auf ihren Arbeitsstellen nicht mit Kriegsgefangenen
zusammenarbeiten durften, was den „Gaststatus“ zusätzlich unter-
streicht. Sie waren den deutschen Arbeitern in Rechten und Entlohnung
gleichgestellt und unterstanden weiterhin der Kommandogewalt ihrer
Korpsleitung. Des Weiteren konnten sie zu anstrengende und schlecht
bezahlte Arbeiten ablehnen und sich auf bessere Stellen versetzen
lassen. Jedes Arbeitskommando unterstand der Aufsicht eines
griechischen Offiziers bzw. Unteroffiziers, der eine gesonderte
Vergütung vom Arbeitgeber erhielt.159 Im Januar 1918 befanden sich
bereits ca. 4.000 Mann als Arbeiter in Landwirtschaft und Industrie.160
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155 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 23r Sprachunterricht für Offiziere richtete man bereits unmittelbar nach Ankunft des Korps ein. Der Unterricht fand zwei bis drei Mal in der Woche statt. Als Dolmetscher fungierten zwei Hochschul- und ein Gymnasiallehrer. Leider sind diese Personen nicht namentlich benannt. Somit kann nur spekuliert werden, ob es sich bei den Hochschullehrern vielleicht um Prof. Gustav Soyter (Byzantinist; 1883-1965), der in der Literatur erwähnt wird und Prof. August Heisenberg (Byzantinist; 1869-1930) handelte. 156 „Mit dem in der Schweiz lebenden König Konstantin standen die Griechen durch Mittelspersonen in stetem Verkehr.“ In: NGA 926, 3 157 BArchB R 901 / 84665, Bl.27r 158 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 21r/v 159 Die monatlich gezahlten Gehaltszulagen des Kriegsministeriums an die Offiziere wurden während ihrer Aufsicht außerhalb vom Lager beibehalten. Von denjenigen denen der Arbeitgeber eine höhere Vergütung als die vom Ministerium veranschlagte zahlte, behielt man das Geld ein, welches in den so genannten „Offiziers- Unterstützungsfonds“ einfloss. Mit diesem Geld wurden Offiziers- und Unteroffiziersfamilien unterstützt. 160 Die Einsätze führten die Soldaten beispielsweise ins Görlitzer Umland, nach Essen, Oberschlesien, Oberhausen und Köln. Nach: IRMSCHER 1993, 152; BArchB R2 / 41443, Bl.41r & BArchB R 901 / 84665, o.Nr.r
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5. Griechenland in Görlitz 62 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Bis zu ihrer Rückreise nach Griechenland hatten die Mannschaften
aufgrund ihrer eigenen Lagerzeitung den Anschluss an das öffentliche
Leben und die Politik ihres Landes behalten. Auf die Herausgabe dieser
Zeitung soll an im Folgenden kurz eingegangen werden.
Die erste Ausgabe der in neugriechisch erschienenden „NEA TOY
Görlitz“ (ab Januar 1918 „Helenika Fylle“) brachte man schon kurz nach
Ankunft des Korps heraus. Sie war ein wichtiges Zeichen für die
Unabhängigkeit und Selbstverwaltung des Lagers. Dem Format einer
griechischen Provinzzeitung entsprechend erschien sie täglich außer
Sonntags.
Abbildung 22: Die Lagerzeitung NEA TOY vom 26.06./12.07.1917.
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5. Griechenland in Görlitz 63 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Sie wurde von Griechen in einer städtischen Druckerei gesetzt und
unterstand generell griechischer Leitung. Redakteure wie Setzer, als
Berufszweige also offensichtlich unter den Soldaten des Korps
vertreten, erhielten ihre Bezahlung vom Verlag. Inhaltlich befasste sich
die Zeitung überwiegend mit griechischen Themen, welche die
Lokalpresse nicht behandeln konnte, wobei prokonstantinische
Propaganda einfloss. Wie auch alle deutschen Lokalblätter unterlag sie
der Zensur und musste wegen ihrer Unwirtschaftlichkeit von der
deutschen Regierung subventioniert werden. Zu jedem Jahreswechsel
erschien zusätzlich ein Kalender in neugriechischer Sprache.161
5.5 Die Rückkehr in die Heimat
Mit dem Kriegseintritt Griechenlands im Juni 1917 kam es in Görlitz
vermehrt zu offenen Ausschreitungen venizelistischer Sympathisanten,
die durch den Korpskommandanten hart geahndet wurden. Anfang
September gleichen Jahres legte man im Einvernehmen mit der
griechischen Korpsleitung fest: „... dass die nach Mitteilung des
kommandierenden Generals dieses Korps venizelistisch Gesinnten
oder sich deutschfeindlich Betätigenden entwaffnet, interniert oder als
Arbeiter verwendet werden und dass an der Behandlung aller
königstreuen Griechen nichts geändert werden solle.“ 162 Bis Anfang
1918 verhaftete man immerhin 36 griechische Offiziere und brachte sie
als Gefangene in das Offiziers-Gefangenenlager Werl in Westfalen.163
Als Oberst Chatzopulos, bekannt für seine deutschfreundliche Haltung
und treuer Anhänger Konstantins, am 17. April 1918 verstarb,164 (Abb.
52-56) geriet die Autorität der Lagerleitung ins Wanken. Sein
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161 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 23r 162 BArchB R 2 / 41443, Bl.32r 163 BArchB R 901 / 84665, Bl.29r 164 Seine Beisetzung auf dem städtischen Friedhof in Görlitz vollzog sich unter großer Anteilnahme der Görlitzer Bevölkerung.
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5. Griechenland in Görlitz 64 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Amtsnachfolger wurde der ehemalige Kommandant von Kavalla, Oberst
Karakalos, ebenfalls ein Vertreter der Royalisten,165 der die ersten
Truppen nach Görlitz geführt und die Kommandogewalt besessen
hatte, bis Oberst Chatzopulos in der Stadt eintraf.
Mit dem Ausbruch der Novemberrevolution 1918 und den chaotischen
Zuständen in der vorrangig bürgerlich-sozialdemokratischen Stadt,
brach auch im Lager jegliche Ordnung zusammen. Die griechischen
Soldaten plünderten und zerstörten wahllos166 und formierten eine
Gegenkommandantur, deren Führung der venizelistische Oberst
Synaniotis kurzzeitig übernahm.167 Karakalos bat den Arbeiter- und
Soldatenrat um Hilfe, der eine schnelle Reaktion vom Kriegsministerium
verlangte, da durch die Unruhen in der Stadt auch mit Zusammen-
stößen zwischen dem Korps und der Bevölkerung zu rechnen war.168
Als das preußische Kriegsministerium die 1916 festgelegten deutschen
Vertragspflichten gegenüber dem Korps bestätigte, legte man auch die
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165 IRMSCHER 1993, 153 166 „Als Ergebnis der Revolution im Griechenlager sei hier erwähnt, daß durch die Vorkommnisse Einrichtungsgegenstände im Werte von 112.000 M vernichtet wurden oder abhanden kamen. Tische, Bänke und Betten wurden verbrannt, Decken und Wäsche verschleppt.“ In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 9r 167 Synaniotis entzog sich durch Flucht seiner angeordneten Verhaftung. In: IRMSCHER 1993, 153 168 IRMSCHER 1993, 154
Abbildung 23: Die Beerdigung von Oberst Chatzopulos in Görlitz.
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5. Griechenland in Görlitz 65 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Rückführung der Mannschaften fest. Sobald die Entente Schiffe sandte,
sollte ein Transport erfolgen. Dies führte zu einer Massenflucht der
Soldaten in Richtung böhmischer Grenze.169
Am 21. Februar 1919170 verließ der erste Zug mit Heimkehrwilligen die
Stadt Görlitz in Richtung Fiume/Italien. Die 144 im Lager anwesenden
Kranken fuhren am 22. Februar mit einem dafür zur Verfügung
gestellten Lazarettzug in ihre Heimat.171 Während des gesamten
Aufenthaltes des IV. Griechischen Armeekorps waren laut Scheffels
Unterlagen 267 Personen172 verstorben, von denen 131 auf dem
städtischen Friedhof in Görlitz173 beigesetzt wurden.174
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169 IRMSCHER 1993, 154 Warum sie sich in diese Richtung bewegten, ist unklar, ebenso, was aus ihnen wurde. 170 NGA 1926, 3 171 60 leichtkranke Soldaten waren zu Beginn des Jahres in Richtung Österreich geflohen, um so in die Heimat zu gelangen. In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 17r 172 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 17r 173 Sieben Gräber gehören heute zur „Gräberliste für öffentlich gepflegte Gräber“, darunter befindet sich auch das Grab von Oberst Chatzopulos. Es ist dem Zufall zu verdanken, dass sie erhalten blieben. Im Auftrag der griechischen Botschaft wurden die Grabsteine restauriert und aufgestellt und während einer Feierstunde im Mai 2003 eingeweiht. Sächsische Zeitung. Lokalteil vom 22.05.2003. In: AUTORENKOLLEKTIV GROSSERT 2003, 12 174 Die 136 Personen, die nicht in Görlitz bestattet wurden, starben vermutlich in anderen Städten, wo sie sich arbeitsbedingt aufhielten. Über ihren Verbleib konnten keine Informationen ermittelt werden.
Abbildung 24 & 25: Grabstein vom städtischen Friedhof in Görlitz während der Restaurierung und die griechischen Offiziersgräber nach der Wiederaufstellung am Originalstandort.
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5. Griechenland in Görlitz 66 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Vergleicht man die nachträglichen Äußerungen zum Abschied der
Griechen, so zeigt sich eine doch recht differenzierte Wahrnehmung
von unterschiedlichen Personenkreisen. Scheffel beschrieb die
Situation beispielsweise folgendermaßen: „Als es zum Scheiden ging,
schien es mir, als wenn keiner unter den Abreisenden sei, der nicht
unter den Deutschen Freunde zurückließ, niemand unter der Görlitzer
Bevölkerung, der nicht mit Bedauern den einen und anderen lieb
gewordenen Menschen unter den Griechen scheiden sah.“ 175 Ein
Journalist vom Neuen Görlitzer Anzeiger hingegen reflektierte kurz und
knapp: „Im allgemeinen endete die Görlitzer Griechenzeit für beide
Teile mit einer großen Enttäuschung.“ 176 Mit Sicherheit haben beide
Ansichten ihre Berechtigung und Hintergründe.
Für die Griechen war der Schritt zur Heimkehr eine zwiespältige Sache.
Überwog der Wunsch zur Rückkehr in die Heimat und zur Familie, so
sah man sich mit Ende des Krieges als anachronistisches Überbleibsel
des alten Königreiches, das mit Schmach beladen war. Fest steht, dass
durch die griechische Armee nie wieder ein IV. Armeekorps gestellt
wurde177 und dass man den Aufenthalt in Deutschland, aus
antimonarchistischer Sicht des neuen Griechenlands, als Flucht vor
einem wahrscheinlichen Waffengang betrachtete.
Insgesamt wurden durch die deutsche Heeresleitung und von Seiten
der Regierung 10.869.400,99 Mark für den Aufenthalt des Korps in
Deutschland aufgebracht.178 Man stellte diese Summe aus einem
eigens dafür eingerichteten Fonds („Griechenfonds“) zur Verfügung. Zu
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175 SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 24r 176 NGA 1926, 3 177 IRMSCHER 1993, 154 178 Kostenauflistung der deutschen Heeresverwaltung: 1.188.841,22 Mark Bekleidung; 6.516.407,42 Mark Besoldung; 3.286.067,71 Mark Verpflegung; 46.895,19 Mark verschiedene Ausgaben; 47.895,53 Mark das Kasino Handelskammerhaus; 58.430,84 Mark das Kasino Tivoli; 32.853,80 Mark die Geschäftszimmer; 11.177.453,71 Mark / Davon sind abzuziehen 308.052,72 Mark durch Rückeinnahmen aus zurückgegebenen Materialien usw.. Zusammen 10.869.400,99 Mark. In: SCHEFFEL 1920 RatArch Rep.II / S.227 / Nr.4, 19
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5. Griechenland in Görlitz 67 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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Beginn hegte man sicher Hoffnungen einen Teil oder auch die gesamte
Summe von griechischer Seite erstattet zu bekommen, doch wurde dies
durch die politischen Entwicklungen in Griechenland schnell
aufgegeben. In einem Schreiben vom Auswärtigen Amt an das
Kriegsministerium vom 30. Januar 1917 heißt es bereits: „Die
Aufnahme der IV. griechischen Armeekorps in Deutschland ist, wie dem
Kriegministerium bekannt sein wird, nicht auf Wunsch, sondern sogar
gegen den Willen der Griechischen Regierung erfolgt; auch sind die
Angehörigen des Armeekorps von deutscher Seite stets als Gäste
bezeichnet worden. Unter diesen Umständen erscheint es dem
auswärtigen Amt nicht angängig, wie es das Reichsschatzamt für
wünschenswert erachtet, auf die alsbaldige Abgabe einer bindenden
Erklärung der Griechischen Regierung hinzuwirken, daß sie bereit sei,
seinerzeit die gesamten vom Deutschen Reiche für die Aufnahme der
griechischen Truppen aufgewendeten Kosten zurückzuerstatten. Ob
sich bei der späteren Auseinandersetzung mit der Griechischen
Regierung über die beiderseitigen Leistungen Gelegenheit bietet, die
hier in Betracht kommenden Ansprüche zu vertreten, läßt sich noch
nicht übersehen. Die Angelegenheit wird aber hier im Auge behalten....“179 Schlussendlich entschied man sich alle Kosten dem so genannten
„Kriegsfonds“ anzurechnen.180
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179 BArchB R 2 / 41443, Bl.13r 180 BArchB R 2 / 41443, Bl.48r Schreiben vom 30.04.1920 vom Amt für Heeresabwicklung Preußen an den Reichsfinanzminister.
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5. Griechenland in Görlitz 68 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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5.6 Griechen – die in Görlitz blieben
Auch wenn die Mehrheit der Griechen in ihre Heimat zurückkehrten
(manche in Begleitung ihrer frisch angetrauten Gattinnen), blieben
einige in Deutschland.181 Sie wohnten unter anderem in Görlitz und Um-
gebung und versuchten sich mit ihren neu gegründeten Familien eine
Existenz aufzubauen. Für sie hatte der Krieg ein Ende, während auf die
Heimkehrenden zum Teil harte Sanktionen warteten: „Diese [die
Heimat] bereitete den Zurückgekehrten einen kalten, oft geradezu
feindlichen Empfang. Ein großer Teil des Offizierskorps wurde vor ein
Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt, viele wurden auf Kreta
interniert, wurden später freigelassen, fielen dann aber im griechisch-
türkischen Krieg.“ 182
Beide Seiten, die Gebliebenen wie die Gegangenen waren durch die
politischen Gegebenheiten und Veränderungen in den jeweiligen
Ländern immer wieder Repressalien ausgesetzt. So musste 1942
Leander Halaris, Sohn von Pedro Halaris, der während seines Korps-
aufenthaltes bei einem orthopädischen Schuhmacher gelernt hatte und
nun selbst in Görlitz eine Werkstatt mit Laden betrieb, sein Medizin-
studium in Breslau abbrechen, da er durch seine doppelte Staats-
bürgerschaft nach den nationalsozialistischen Gesetzen als Ausländer
galt und ihm deshalb der Hochschulzugang verwehrt wurde.183
Nach dem 2. Weltkrieg und zu Zeiten der DDR war nach
unterschiedlichen Aussagen eine halb- bis einjährliche Meldefrist
vorgeschrieben, um die griechische Staatsbürgerschaft aufrecht zu
erhalten. Diese war vom Gatten auf Ehefrau und Kinder übertragen
worden. Empfindet man dieses Vorgehen zum einen als Repressalie,
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181 Wie viele es genau waren und aus welchen Gründen sie das Militär verlassen durften, ist unklar. In Frage kommt, das sie ihre Dienstzeit beendet hatten oder mit zu den Personen gehörten, die als Zivilpersonen das Korps begleiteten. Unklar ist auch, was mit den geflohenen Korpsangehörigen geschah. 182 NGA 1926, 3 183 AUTORENKOLLEKTIV GROSSERT 2003, 20
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5. Griechenland in Görlitz 69 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������������������
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so verbanden sich damit andererseits Freizügigkeiten im Reiseverkehr
in das „nicht-sozialistische“ Ausland, die man so in Ostdeutschland
ansonsten nicht kannte.
In den Erinnerungen von Dora Romero-Theofilidou, Tochter von
Christos Theofilidis (Abb. 48/50/51) und Emmy Pape, die 1921 ihrem
Verlobten in seine Heimat folgte, ist uns die Sicht der in Griechenland
lebenden Familien überliefert: „Im Herbst 1939 fing der II. Weltkrieg an.
Wir Kinder, damals 17, 12 und 11 Jahre alt, haben es kaum
mitbekommen. Aber auch die Erwachsenen machten sich keine
Sorgen, denn er war weit weg. Dass er auch ein Jahr später bei uns in
Griechenland sein würde, hatten sie nicht erwartet. Für uns Bastarde,
wie uns nachgerufen wurde, war es eine schlimme Zeit.
Als am 27. April 1941 Athen kampflos in die deutschen Hände fiel,
sahen und hörten wir von unseren griechischen Verwandten nichts
mehr. Freunde und Nachbarn grüßten nicht. Ich persönlich wurde in der
Deutschen Schule, die ich besuchte, von griechischen Schülerinnen
zusammengeschlagen.“ 184
Von den in Görlitz gebliebenen Griechen leben noch heute über 40
Nachfahren in der Stadt. In Zgorzelec, der polnischen Seite von Görlitz,
leben etwa 150 Bürger griechischer Abstammung, die aber in Folge des
Bürgerkriegs in Griechenland (1946-1949) in die Stadt kamen. In dieser
Zeit baten Tausende Flüchtlinge (vor allem Kinder, Alte und Kranke) um
Asyl in den damaligen Ostblockstaaten. Polen nahm ca. 13.200
Emigranten auf.185 Nach einer Quarantäne in verschiedenen Kurorten
wurden sie im Land verteilt, wobei der Großteil in den nieder-
schlesischen Raum und unter anderem nach Zgorzelec kam.186
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184 EUROPA-HAUS GÖRLITZ e.V. 2003, 25 185 Ihnen wurde ihre griechische Staatsbürgerschaft aberkannt. 186 EUROPA-HAUS GÖRLITZ e.V. 2003, 16f.
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6. Die sprach- und musikwissenschaftlichen Tonaufnahmen im
Griechenlager
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6.1 Die Rolle August Heisenbergs und der Kgl. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München (BAdW)
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6.1.1 Der Sprachwissenschaftler August Heisenberg
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<����!����� ������!����� ����� ��� ���� %�������� ����� ,������
���?� „Die Gesellschaft soll ein Ausdruck sein für die traditionell
freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und soll
diese Beziehungen festigen und vertiefen, durch wechselseitige
Aufklärung über die Eigenart und die Interessen der beiden Völker, und
durch Unterstützung von jeder Art persönlicher Verbindung.“ .16�
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„... ich habe 25 griechische Offiziere, Venizelisten, die sich hier mit
ihrem Kommandeur nicht mehr vertragen wollten, nach dem kleinen
Städtchen Werl in Westfalen begleitet, wo sie in einem sehr modern
eingerichteten ExerzitionH�Ihaus, unmittelbar neben der Wallfahrtskirche
der `Soester...`, das Ende des Krieges abwarten wollen.“ 27.�-$�K��04�
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6.1.2 Die BAdW und ihre Kooperationspartner
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������ ���� 9�� ������ ������������� ��������� ���� ����"����� 9��
���!���!�������� ���?�„Ja das neue schlesische Griechenland bietet für
meine Forschungen sogar in einer Beziehung einen Vorteil, den ich in
Hellas selbst nicht hätte leicht finden können. Denn auf engem Raum
sind dort jetzt Leute aus vielen verschiedenen Gegenden der
griechischen Welt versammelt.“ 276��
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„Das Unternehmen würde am besten von den beiden Akademien
ausgehen, da die mit Aufnahmen in den Gefangenenlagern beauftragte
Kommission (die PK) als solche dort nicht in Funktion treten könnte,
ohne die Gefühle der Griechen zu verletzen.“ 2..��
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6.2 Die phonetischen Aufnahmen im Lager
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�%���?� „...und wenn die erste Scheu überwunden war, kamen in
lustiger Unterhaltung Märchen, Lieder, Schwänke, Sprichwörter und
andere Erzeugnisse der Volksüberlieferung in der heimischen Mundart
oft in reicher Fülle zum Vorschein.“ 220�'����������� ���� �����
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„Wir haben es sehr bedauert, nicht auch Sprachproben von Frauen
aufnehmen zu können. Allein die Frauen der nicht sehr zahlreichen
verheirateten Unteroffiziere und Mannschaften stammten fast alle aus
den Gegenden Mazedoniens; wo griechische und nichtgriechische
Bevölkerung gemischt wohnt, und wenn sie schon in der
ungezwungenen Unterhaltung sich der allgemeinen Volkssprache, nicht
einer bestimmten Mundart bedienten, so verfielen sie alsbald, wenn sie
erzählen sollten, in eine schulmäßige, dabei erst recht gezierte und
nicht selten fehlerhafte Schriftsprache.“ 22/��
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����������� �����E?�„Aber die Unterschiede zwischen dem mir vorher
diktierten und dem später wirklich vorgetragenen Text waren oft recht
erheblich, nicht nur in einzelnen Lesarten, sondern zuweilen auch im
Gang der Erzählung, nicht selten wurde geradezu improvisiert.“ 23.�
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F�� !���.1.6������ ���?�„Besonders schwierig waren die Aufnahmen der
von Herrn Dr. Schünemann vorgeschlagenen musikalischen Stücke,
weil z.B. bei der Aufnahme eines Liedes mit Bosoki-Begleitung (einer
Art Zither-Mandoline) zu gleicher Zeit in den Aufnahmetrichter gespielt
und gesungen wurde. Besondere Gestelle, Tische usw. wurden zu
diesem Zwecke benutzt...“. 23�
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6.3 Reproduktion und Verwertung der Aufnahmen�
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�����?� „Naturgemäß ist das Material, das wir in Görlitz gewinnen
konnten, nur ein Anfang; er wird aber besonders wertvoll erscheinen,
wenn man erwägt, wie viel Zeit und Kosten erforderlich gewesen wären,
wenn eine wissenschaftliche Expedition zu gleichen Zwecken in die
Heimat der Dialekte hätte entsendet werden müssen.“ 231��
>���+�"������������� ������ ���'�������������� �?�„Es
ist somit ein grundlegendes Material zum Studium der neugriechischen
Musik gewonnen, das nicht nur für die Kenntnis der Volksweisen,
sondern auch für die Erforschung der Instrumentalpraxis, der
Mehrstimmigkeit und Tonalität sichere Anhaltspunkte bietet.“ 240��
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„So lange der Weltkrieg dauert, wird es nicht möglich sein die
phonographischen Platten auszuarbeiten. In glücklicheren Friedens-
tagen aber sollen die Texte, die auf den Platten stehen, veröffentlicht
werden, zugleich mit anderen Texten, die ich mir von den Sprechern
außerdem noch habe diktieren lassen. Das an Umfang nicht geringe
Material wird dann die Möglichkeit gewähren, die Besonderheiten
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zahlreicher Mundarten genauer festzustellen, als es bisher geschehen
ist.“ 241
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G��� .12�� ���� ���� ��� ����?� „Herr Doegen erbittet ferner die
Zustimmung der Kommission, dass Herr Heisenberg bei der
Bearbeitung seiner neugriechischen Texte sich gegebenenfalls durch
Herrn Kalitsunakis in Berlin unterstützen lässt.“ 244� ���� G ����
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von der etwaigen Uebersendung H���RI der neugriechischen Aufnahmen
an die Universität Athen oder die Akademie in Athen - sei es durch die
Lautabteilung, sei es durch die Preussische und Bayerische Akademie -
gesprochen.“ 2����
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7. Schlussbetrachtungen
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„...AugenblickH�I der individuellen Begegnung zur Gleichzeitigkeit des
kollektiven Geschehens.“ 2�6������� :&�������� �;������ ��������
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8. Anhang
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8.1 Abkürzungsverzeichnis
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Siglen:
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Zusätzlich verwendete Abkürzungen:
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> 8� � � >�� ����� ���8�����������
>�'� � � >������"��'����� ������
� �� � � �� �
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8.2 Abbildungsverzeichnis und Bildanhang
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8.2.1 Textabbildungen �
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8.4.3 Literaturverzeichnis
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