Beitrag zur Kenntniss der Bluteireulation im Gehirn

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XVII. Aus dem Institute ftir experimentelle Pathologie (Prof. Stricker) in Wien. Beitrag zur Kenntniss der Bluteireulation im Gehirn. Von Dr. Max ~einer und Priv.-Doc. Dr. Julius Schnitzler. Bis zu den Versuehen yon Donders 1) wurde den Circulations- verhaltnissen des Endocmniums eine Sonderstellung gegeniiber allen anderen Gef'assgebieten einger~iumt. Es wurde gelehrt, dass sieh die Blutmenge des Gehirnes unter allen UmstKnden gleieh bleibe, weil das unveranderliehe Velum der Sehadelkapsel einen Wechsel der Blutftillung ausschliesse. Nun beobaehtete aber D o n d e r s dutch das der TrepanationsSffnung hermetisch eingefiigte Glasfenster, dass die Gefasse des Gehirnes Volumsschwankungen unterworfen seien, und dass unter gleiehen Umstanden immer gleiche Volumssehwankungen auftreten. Diese Thatsaehe bedurfte nun im Hinblieke auf die starr- wandige Besehaffenheit der Schadelhiillen einer Erklarung. Und so lehrten Donders und Berlin, dass die Blutgefasse selbst die Regu- latoren ihrer weehselnden ,,Spannung" seien, indem einerseits die Venen Platz sehafften, da sie entspreehend der Ausdehnung der Ar- terien collabirten, wahrend andererseits so viel Liquor cerebrospinalis in die Capillaren zurficktrate, als die erweiterten Arterien mehr an Raum beanspruchten, ttier ist also zum ersten Male yon einem Aus- gleiche der Druckverhaltnisse im Gehirne, dutch Vermittelung der SubarachnoidalflUssigkeit die Rede. Die Vorstellung von dem Mecha- nismus dieses Ausgleiches ist freilieh eine ganz andere, als wie wir sie sp~iter bei Althann2), bei Schult6n ~) und bei Berffmann 4) 1) Onderzockingen ged. in bet physiol. Lab. des Utrechtsche Hoogeschool~ 2. Jaar, 1850. Schmidt's Jahrb. Bd. LXIX. 2) Der Kreislauf in der Sch~delriickgratshShle. Dorpat 1871. 3) Archiv f. Ophthalm. Bd. XXX. 4) Die Lehre yon den Kopfverletzungen. Stuttgart 1880.

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Aus dem Institute ftir experimentelle Pathologie (Prof. S t r i c k e r ) in Wien.

Beitrag zur Kenntniss der Blu te i r eu l a t i on im Gehirn.

Von

Dr. Max ~ e i n e r und Priv.-Doc. Dr. Ju l ius Schnitzler.

Bis zu den Versuehen yon D o n d e r s 1) wurde den Circulations- verhaltnissen des Endocmniums eine Sonderstellung gegeniiber allen anderen Gef'assgebieten einger~iumt. Es wurde gelehrt, dass sieh die Blutmenge des Gehirnes unter allen UmstKnden gleieh bleibe, weil das unveranderliehe Velum der Sehadelkapsel einen Wechsel der Blutftillung ausschliesse. Nun beobaehtete aber D o n d e r s dutch das der TrepanationsSffnung hermetisch eingefiigte Glasfenster, dass die Gefasse des Gehirnes Volumsschwankungen unterworfen seien, und dass unter gleiehen Umstanden immer gleiche Volumssehwankungen auftreten. Diese Thatsaehe bedurfte nun im Hinblieke auf die starr- wandige Besehaffenheit der Schadelhiillen einer Erklarung. Und so lehrten D o n d e r s und B e r l i n , dass die Blutgefasse selbst die Regu- latoren ihrer weehselnden ,,Spannung" seien, indem einerseits die Venen Platz sehafften, da sie entspreehend der Ausdehnung der Ar- terien collabirten, wahrend andererseits so viel Liquor cerebrospinalis in die Capillaren zurficktrate, als die erweiterten Arterien mehr an Raum beanspruchten, ttier ist also zum ersten Male yon einem Aus- gleiche der Druckverhaltnisse im Gehirne, dutch Vermittelung der SubarachnoidalflUssigkeit die Rede. Die Vorstellung von dem Mecha- nismus dieses Ausgleiches ist freilieh eine ganz andere, als wie wir sie sp~iter bei A l t h a n n 2 ) , bei S c h u l t 6 n ~) und bei B e r f f m a n n 4)

1) Onderzockingen ged. in bet physiol. Lab. des Utrechtsche Hoogeschool~ 2. Jaar, 1850. Schmidt's Jahrb. Bd. LXIX.

2) Der Kreislauf in der Sch~delriickgratshShle. Dorpat 1871. 3) Archiv f. Ophthalm. Bd. XXX. 4) Die Lehre yon den Kopfverletzungen. Stuttgart 1880.

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finden. In der Zwischenzeit sind aber wichtige Untersuchungen tiber die Raume des Liquor eerebrospinalis und tiber die Communication derselben unter einander ausgcftihrt worden, welehe wir zum Theile A l t h a n n selbst, hauptsachlieh aber K e y und R e t z i u s l ) verdan- ken. Es hatte sich dabei ergeben, dass ,,dureh alle Sinus und alle Ventrikel vom Umfange des Hirnes bis zum Umfange des Rtieken- markes durchweg freie Communicationen bestehen", und dass der Liquor cerebrospinalis in den Lymphbahnen des Gehirnes, in den Sehei- den der peripheren Nerven nnd ,,miiglieher Weise" in den Sinus be- deutende Abfiusswege besitzt. Auf diese AbfiussmSglichkeiten legt A l t h a n n grosses Gewieht. B e r g m a n n schreibt der ,,so unmittel- bar gegenseitigen Weehselwirkung zwischen Blutgefi~ssen, Lymph- gefassen und Liquor eerebrospinalis" nur ftir gewisse langsame Ver~tnde- rungen als Ausgleichsmittel Bedeutung zu. Dagegen ware das Fluthen der Cerebrospinalfitissigkeit in der Sehadelriickgratsh~ihle als das- jenige Mittel anzusehen, dutch welches ftir den gewShnlichen wie ,,aussergewShnlichen *' Wechsel der Blutmenge Raum im Schadel ge- schafft werde. Wir finden also hier bei B e r g m a n n die Auffassung, dass aueh ,,aussergewtihnliche" Blutmengen in den Gefassen des Sehadels Platz fanden~ oder mit anderen Worten, dass sieh eine Fluxion im Sehadelinneren ebenso ungestiirt abzuspielen vermag, wie in irgend einem anderen Organe.

Zu wesentlich anderen Schltissen ist A l t h a n n gelangt. Er hat der Erwagung Raum gegebcn, dass der Ausgleich durch die Hirn- fltissigkeit nut innerhalb gewisser, nieht allzaweiter Grenzen erfolgen kSnne. Sind diese Grenzen erreicht, dann wird der wachsende Blut- druck einen wachsenden Druek in der Schadelriickgratshtihle erzeugen und dadureh die feinsten Capillaren comprimiren. Die durehstrtimende Menge des Ern~hrungsmateriales nimmt aber mit der Verringerung des Capillardurchmessers in rapider Weise ab, und der Endeffect ist sehliesslieh derselbe wie bei Anaemie. So lehrte A l t h a u n . Naeh ihm erzeugt also eine aussergewtihnlieh grosse Blutzufuhr zum Ge- hirne nieht eine aussergewShnlich grosse Durchfluthung desselben mit Blut, sondern eine Verringerung dieser Durchfiuthung~ und die Ursache dieser Verringerung ist der gesteigerte Druck des Liquor eerebrospinalis.

Noch weiter geht G e i g e 1 ~') in seinen Behauptungen. Auf Grund physikalisch-mathematiseher Deductionen vertrat er die Ansieht, dass

1) Studien in der Anatomie des 2~ervensystems und des Bindegewebes. Stock- holm 1875.

2) Die Mechanik der Blutversorgung des Gehirnes. Stuttgart 1890.

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die Verengerung der Hirnarterien zu arterieller ttirnhyperaemie, die Erweiterung derselben zur Anaemie des Gehirnes fiihre. Es ist dies gewiss eine Auffassung, welche unserer gewohnten Vorstellung yon der Blutbewegung durchaus widerspricht. Aber G e i g e l ' s Dedue- tionen beruhen auf Voraussetzungen, auf Yorstellungen yon der Natur der Gefiisscontraetion, welche heute nieht mehr als zu reeht bestehend anerkannt werden kSnnen. Ueberdies hat Benno L e w y 1) die Sehlt~sse G e i g e l ' s dureh den einfaehen Hinweis darauf ad absurdum gefiihrt, dass die Verengerung der Arterien bis zum Verschlusse des Lumens den Kreislauf naturgem~ss zum Stillstande bringen muss, nieht aber die denkbar giinstigsten Bedingungen ftir die DurehstriJmung abgeben ki~nnte. B. L e w y ist im Gegentheile der Ansieht, dass unter ,,nor- malen Verh~Itnissen" Verengerung der Arterien stets Verminderung der Blutzufuhr bewirke, also eine arterielle Anaemie. Andererseits habe eine Erweiterung der Arterien stets eine Vermehrung der Blut- zufuhr, also eine wahre ttyperaemie im Getblge. Aber die arterielle Hyperaemie des Gehirnes babe ein bestimmtes Maass. Ist dieses Maass einmal erreieht, dann bewirkt jedes fernere Anwaehsen der Arterienweite keine weitere Hyperaemie mehr, sondern im Gegentheile Anaemie mit allen ihren Folgen. Der genannte Autor ist zu diesen Sehliissen durch mathematisehe Untersuchungen gelangt.

Einen ganz anderen Weg hat G r a s h e y einffesehlagen. G r a s - h e y ~-) hat das physikalisehe Experiment zur Kl~trung der strittigen Fragen herangezogen und kommt zu Resultaten, welche in einem wesentliehen Punkte mit den Sehlussfolgerungen Benno L e w y ' s tibereinstimmen. Bei zunehmendem eentralen Gefiissdrucke (Blut- druck) w~thrt die Durchstri~mung des Gehirnes bis zu einer gewissen Grenze. Diese Grenze ist dadurch gegeben, dass die Druckwerthe innerhalb und ausserhalb der Hirnvenenwand, also der intraveni~se Druck und der Druek des Liquor eerebrospinalis, nicht in gleieher Weise anwaehsen. Dies ftihrt, wenn die Differenz sehliesslich zu Gunsten des Liquors positiv wird, zu rhythmischen Compressionen der Venenwand, resp. zu rhythmisehen Verschltissen der Lumina. Damit kommt eine Verringerun~ der Ausfiussmenge zu Stande. Das phy- s i k a l i s e h e Experiment weist also einen erhebliehen Einfluss des Liquors auf den Hirnkreislauf nach. Denn jenseits einer gewissen Grenze erzeugt ein waehsender centraler Gefassdruek im Modellver- such keine wachsende Beschleunigung des tiirnkreislaufes, sondern,

1) Archiv L pathol. Anat. Bd. CXXII. 1890. 2) Experimentelle Beitr~,ge zur Lehre yon der Bluteirculation in der Sch~del-

riickgratshfihle~ Festschr. f. L. A. B fi c hne r. Mfinchen 1892.

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dank der Wirkung der die Gefiisse umsptilenden Fltissigkeit, eine zunehmende Verminderung der Durchflussmenge.

Abet der Thierversueh giebt den Reehnungen ebenso wie den physikalischen Experimenten Unrecht.

Wir berichten im Folgenden tiber Thierversuehe~ welche wit naeh zweierlei Richtungen hin unternommen haben, erstens um zu erfahren, in weleher Weise eine nicht allzu hohe Blutdrucksteigerung auf den Kreislauf des Gehirnes wirkt, und welchen Unterschied es ausmacht, ob der Subaraehnoidalraum intact oder erSffnet isti ob also der Liquor- druek bestehen kann7 oder ob er wegfallt; zweitens aber haben wir jene Bedingungen zu sehaffen gesueht, unter welchen eine Blutdruck- steigerung - - n a c h der Ansieht der A u t o r e n - nieht mehr eine Ver- mehrung, sondern eine Verminderung des Hirnblutstromes erzeugt.

Um die erste Frage zu entseheiden~ haben wir folgenden Weg eingeschlagen. Wit banden bei den curarisirten Versuehsthieren (durehwegs Hunden yon ziemlieher Gr(isse) eine Cantile in den peri- pheren Ast der Vena jug. ext. endstiindig ein, naehdem wir zuvor alle Aeste dieses Venenstammes, mit einziger Ansnahme der Hirn- vene, ligirt batten. Wir bedienten uns dabei der Methode yon G ~ r t n e r und W a g n e r ' ) . Die Cantile leitete das Blut naeh aussen, und die fallenden Blutstropfen wurden automatiseh auf dem l:'apiere des Kymographions verzeiehnet~ welches gleiehzeitig die Zeit and den aus der Art. crur. gemessenen Blutdruek (Hg-Manometer) registrirte. Die Blutdrueksteigerungen riefen wir in der Regel dnrch Reizung der peripheren Splanehnicussttimpfe hervor~ welehe wit oberhalb des Zwerehfelles mit Reizgebern montirt batten. Selbstverst~indlieh wur- den nur solehe Versuche verwerthet, bei welehen die Autopsie die richtige Ligirung aller Neben~ste der Vene ergeben hatte.

Ein auf diese Weise ansgeftihrter Versueh ergab folgendes Re- sultat:

Bei einem mittleren Blntdrucke yon 125--130 mm ttg fallen in einer willktirlieh gewiihlten Zeiteinheit 9 Tropfen Blutes aus der Hirnvene. Die faradische Reizung der Nn. Splanchnici erhSht den Blutdruck auf 180 mm Hg~ der sich soiort naeh der Reizung eine kurze Zeit lang auf einer ttShe yon !60 mm Hg erh~lt. Unterdessen verzeichnet das Kymographion 14 Tropfen in dem gleiehen Zeit- raame. Es entspricht also einer Blutdrucksteigerung yon 130 auf 160 bis 180 eine Vermehrung dcr Tropfenzahl yon 9 auf 14. Diese Ver- gr~issernng der aus der Hirnvene in der Zeiteinheit fliessenden Blur-

1) Wiener reed. Wochenschr. 1887.

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menge ist wohl das sicherste Kriterium ftir die Beschleunigung des Blutstromes, welcher das Gehirn durchkreist. Und diese Beschleuni- gang ist aufgetreten, trotzdem die ~tillen des Subarchnoidalraumes unversehrt waren; trotzdem~ wie Knoll1) und andere unzweifelhaft nachgewiesen haben, der Liquordruck unter Einwirkung des erhShten Blutdruckes ansehnlich ansteigt. Wir wiederholen nun an demselben Thiere den eben ausgeftihrten Versach in sonst gleicher Weise 7 nur mit dem einen wesentlichen Unterschiede, dass wir vorerst die Miig- lichkeit eines Liquordruckanstieges dnrch Er(iffnung und Offenhaltung der Membrana obturans ausschliessen. Wir ziihlen l i Tropfen bei einem Blutdracke yon 150 mm tIg; der einfallende Splanchnicusreiz erh(iht den Blutdruck auf 190--200 mm Hg, und die Zahl der im gleichen Zeitraume fallenden Tropfen auf 17.

Wit publiciren die folgenden Tabellen yon zwei derartigen Ver- suchen aus einer Reihe yon in gleicher Weise ausgeftlhrten Experi- menten, die stets analoge Resultate ergaben.

Blutdruck Tropfenzahl Bhtdruek Tropfenzahl

vor w~hrend und kurz naeh

der Splanchniousreizung

130 14 145 15

150 155 150

9 160--180 9 170--185

15 160--170 I 17 190--200 11 190--200

18 27 17

mittl. Blutdruck tvor Tropfenzahl / mittl.wahrend Bhtdr tiCkund kurzTr~

der Splanchnieusreizung

ll0--120 8 130--140 11 110--120 8 150--160 15

100--110 I 7

120--150 6 100--120 7

135--150

170--180 130--145

12

11 10

Vagi am Halse durch- sehnitten

J e d e B l u t d r u c k s t e i g e r u n g h a t also e i n e F l u x i o n zum Gehirne b e w i r k t , und d i e s e F l u x i o n war nach der Er- 8 f f n u n g d e s S u b a r a c h n o i d a l r a u m e s u n g e f ~ i h r die g l e i c h e wie vor der Eri i f fnung desse lben .

1) Sitz.-Ber. der kais. Acad. d. Wiss. Wien 1886.

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Noch viel plastischer hat sich cine zweite Reihe yon Versuchen gestaltet. Wir haben hier die arterielle ttyperaemie des Gehirnes nicht durch allgemeine Blutdrackstcigerung erreicht, sondern durch Reizung der vasodilatorischen Gef~issnerven des Gehirnes. Nun ist freilieh die Lehre yon den Gefassnerven des Gchirnes noch nicht so weir vorgcschrittcn, dass es bereits gelungen w~re~ einen Nervcn- stamm zu isoliren~ desscn Reizung constant eine Hyperaemie des Orffanes erzeugte, wie w i r c s etwa bei der Speicheldrtise durch Rei- zung der Chorda tympani vermSgen. Sondern die Reizung der cen- tralen Stiimpfe der Vago-Sympathici beim Hundr ergiebt, ftir den ersten Anschein wenigstens~ ganz widersprechende Resultate. Man trifft manchmal auf einen vago-sympathischen Nervenstamm, dcssen centrale Reizung die Tropfcnfolge aus der isolirten Hirnvene mehr oder weniger verringert; in einem anderen Fallo Ubt die Rcizung des Nerven gar keinen wahrnehmbaren Einfiuss aus; in einer dritten Reihe yon F~llen tritt aber eine auffallende Beschleunigung der Tropfenfolgc ein. Das sind die Fiille, welche sich fur unsere Zwecke eignen.

Es wtirde nun bier, wo wit uns nut mit den mechanischen Be- dingungen des Hirnkreislaufes beschi~ftigen wollcn, zu weit fiihren, auf die Lehrc yon den Gefiissnerven des Gehirnes niiher einzugehen, und die Bedingnngen eri~rtern zu wollen, unter welchcn wir eine solche Bcschleunigung zu erwartcn haben. Es soll vorli~ufig gentigen, zu wissen, dass wir auf einzelne Versuchsthiere stossen, bei welchen auf Reizung eines vago-sympathischen Stumpfes cine Hirnhyperaemie auftritt, welche so bedeutend werden kann, dass das Blut nicht mehr in einzelnen Tropfen aus der Cantile fallt, sondern in continuirlichem Strome rinnt. Es i s t a u c h h i e r , wie uns w i e d e r h o l t e Ver - s u c h e b e w i e s e n , a u f f e n s c h c i n l i c h g l e i c h g i l t i g , ob m a n den S u b a r a e h n o i d a l r a u m e r S f f n e t h a t o d e r n i c h t . Der Liquor cerebrospinalis liisst also sicherlich auch eine ganz bedeutende Hyperaemie des Gehirnes zu.

Abet die Autoren sprechen yon einer Grenze, jcnseits welcher cine weitere Zunahme des Gefiissdruckes oder eine weitere Zunahme der activen Vasodilatation nieht mehr eine zunehmende Hyperaemie, sondern eine zunehmende Anaemic im Gefolge hat.

Auf weleher H~ihe des Blutdruckcs sollen wir aber diese Grenze suchen?

Offenbar wird man den Forderungen der Autoren am sichersten entsprechen, wenn man solche Versuchsbcdingungen einftihrt, welche den Blutdruck des Thieres ad maximum erhiihen and die Gefi~sse

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des Gehirnes ad maximum erweitern. Eine solche Versuchsbedingung ist aber die Vergiftung des Thieres mit Strychnin. Wir ktinnen bekanntlich dureh kein anderes Mittel eine so enorme Blutdruck- steigerung erzielen, wie dutch die Verabreichung einer entsprechen- den Dosis dieses Giftes. Nun haben G i i r t n e r und W a g n e r den Hirnblutstrom des mit Stryehnin vergifteten Thieres gemessen und gefunden, dass eine so bedeutende Vermehrung eintritt, dass das Blut, welches vorher tropfenweise aus der Cantile gefallen ist, naeh der Stryehnininjection im Strahle fiiesst.

Es kSnnte allerdings noch immer eingeworfen werden, dass der Liquor, w c n n e r aueh nieht die ,Hyperdiaemorrhysis cerebri" naeh G e i g e l , d. i. die tibermi~ssige B]utdurchfiuthung des Gehirnes, zu v e r h i n d e r n im Stande ist, doch in ihrer vollen Entfaltung zu schmiilern vermag.

Abet wir hubert den oben gesehilderten G ~ t r t n e r - W a g n e r - sehen Versuch wiederholt, u. z. sowohl bei intacten, als bei ertiffneten Htillen (Membrana obturans) des Subaraehnoidalraumes und konnten eines wesentlichen Unterschiedes aueh bei den mit Strychnin ver- gifteten Thieren niemals gewahr werden.

Wir haben also in keinem unserer zahlreiehen Thierversuehe den yon den Autoren supponirten Einfluss des Liquor cerebrospinalis wahrnehmen ktinnen. Es liegt daher die Annahme nahe, dass in den Praemissen der Autoren gewisse Fehler unterlaufen sind. Solche wurden G e i g e l sehon durch Benno L e w y nachgewiesen. Uns will aber scheinen, dass beide Autoren in einem Punkte irren. Es sehwebt n~mlich beiden unter dem Begriffe ,,spasfische Contraction der Ar- terien" die Verktirzung der Ringmuskelfasern der GeFtisswand als allein wirksames Agens vor~ w~thrend die Unver~nderliehkeit des Lumens der Capillargef~tsse geradezu eine Voraussetzung ihrer Lehren bildet. Nun mtissen wir uns abet fiber jene Vorg~inge, welehe man als Gefiisscontraction, resp. Dilatation anspricht, eine wesentlich andere Vorstellung bilden. Es ist schon sehr lange her, dass S t r i e k e r gezeigt, dass auch die Capillaren ,,eontraetil" seien~ dass die sogenannte Contraction in einer Verbreiterung der Wand bis zum Versehwinden des Lumens, die Dilatation hingegen in einer Ver- diinnung der W~nde bestehe, und dass diese Verengerung, resp. Er- weiterung der Capillar-Lumina tiberall dort im Spiele sei~ wo ein Ge- f~tssgebiet dutch einen Reiz zur Anaemic, beziehungsweise Hyperaemie angeregt wird. Das haben aber Ge ige l und Benno L e w y vergessen.

Des weiteren ist yon C r a m e r 1) der Naehweis erbracht worden,

1) Inaug..Diss. Dorpat.

256 xvII. REINER U. SCHNITZLER

dass unter verschicdenen Bedingungen der Hirnvenendruck ansteigt. Die Bedingungen hierzu decken sieh in der Regel mit jenen, unter welchen wir einen vermehrten Ausfluss aus der ttirnvene cntstehen sehen. Diese Drueksteigerung hat B. L e w y unbertieksiehtigt ge- lassen, da er unter ganz ~hnliehen Verh~tltnissen ein Gleiehbleiben des Venendruckes voraussetzt.

Endlieh ist, wie wir gesehen haben, der ttirnvenenblutstrom bei waehsendem Blutdrueke and Hirnhyperaemie einer bedeutenden Be- sehleunigung fiihig. Es wird sich also wohl aueh die Annahme aus- sehliessen lassen, dass jener Zustand der Venenwand hervorgerufen wird, welchen G r a s h e y als ,,Vibration" bezeiehnet hat. Denn die Vibrationen h~itten die Ausflussmenge verringert.

Aus dem Fehlen der Vibrationen kiinnen wir aber einen sieheren Schluss ziehen: Der Druek des Liquors erhebt sich unter den yon uns ffeprtiften Bedingungen nieht tiber den intravenSsen. Bei den yon uns eingetragenen Versuehsbedingungen hatten wir aber mit solehen Steigerungen des Liquordruekes zu than, welehe dem GeFtiss- system des Gehirnes ihren Ursprunff verdanken, and die wir daher als ,,angiogene" bezeichnen wollen; demnach wtirde unser Sehluss lauten: ,,Eine angiogene Liquordrucksteigerung erhebt sieh nieht tiber die gleiehzeitige intraveni~se".

Es seheint uns, dass wit die ursaehliehen Momente hierftir aus den Ergebnissen der G r a s h e y ' s e h e n Versuche direct ableiten ki~nnen.

Zuniiehst mag die Wanddiekendifferenz bei Arterien and Venen eine ffewisse Rolle spielen. Denn je mehr die Arterienwand bei wachsendem Innendrucke schon gedehnt worden ist, umsomehr ver- liert sic an Dehnbarkeit, desto mehr wird sic selbst zum Tragen des Innendruckes herangezogen werden. Sic wird also aueh umsoweniger Druek an die Umgebung, d. i. an den sic allseitig umsptilenden Liquor abgeben. Die Folge davon ist, dass der Liquordruek bei wachsendem centralen Gefassdrueke um so mehr aufhiirt, vom arte- riellen Drucke beeinflusst zu werden. Hin~egen sind die Venen, mit ihren griisseren Lumen und ihrer dtinneren Wand viel eher bef~higt, yon ihrem Innendrueke einen aliquoten Antheil auf ihre Umgebung zu iibertragen, umsomehr da ihr Innendruek bei Steigerung des Blut- druckes erwiesener Maasscn erheblich ansteigt. Welter geht aus G r a s h e y ' s Untersuehungen hervor, dass die Vibrationen sofort sehwinden~ wenn das intraeranielle Venenrohr extraeranieU verliingert wird. Nun hat aber das Blut, das die Hirnvene eben verlassen hat und in die Sinus eingetreten ist, noeh einen relativ weiten Weg bis

Beitrag zur Kenntniss der Blutcirculation im Gehirn. 257

zur Wurzel der Anonyma zurtickzulegen. Je weiter nun dieser Weg ist, umso hSher ist dcr intraven~se Druek an der Grenze zwisohea Vene und Sinus. Beide Momente m~gen wohl zusammenwirken, die arterielle Druckgrenz% bei weleher Vibrationen der Venenwand cntstchen kSnntcn, so welt hinaufzuschieben, dass sie der Blutdruck clues mit Strychnin vergifteten Thieres noeh nioht erreicht, und dass daher de facto Vibrationen als nicht existirend angesehen werden kSnnen.

ttaupts~ehlich mag aber folgender Umstand 'in Betraeht kommen. G r a s h e y ' s Experimente lehren, class die Vibrationen des Rohres,

welches im Modellversuche die Stelle einer Hirnvene vertritt, sofort zum Sehwinden gebracht werden k~nnen, wenn man den Ueberdruck des Liquors aufhebt, indem man das ~ussere, starre Geh~use er~ffnet, das den Subarachnoidalraum einschliesst. Es scheint uns nun der Modellversuch nach Er~ffnung dieses starren Geh~uses die im Central- organe des Nervensystems vorliegenden Verh~ltnisse eher nachzu- ahmen, als jener bei vollst~ndig versehlosscnem ~usseren Geh~use. Denn solche Oeffnungen, dutch welche der Liquor den Subarach- noidalraum verl~sst, sind in der That in grosscr Nenge aufgefunden worden. 1)

Wir d~irfen also Nglich den Einfluss des Liquor cerebrospinalis auf die BlutstrSmung in der Seh~delkapsel sehr niedrig taxiren und die Auffassung vertreten~ dass im Sch~delinneren auch fiir einen ausser- gew~hnlichen Wechsel der Bluffiille Raum sei. Wir m~ssen auch Benno L e w y recht geben, der darauf verweist, dass die Er~ffnung der Sch~delhShle beim lebenden Mensehen oder Thiere, die Entfer- hung eines beliebig grossen Sttickes der knSchernen Seh~delwand ein ftir die Function des Gehirnes vollst~ndig gleichgiltiger Eingriff sei, und dass demnach die Regulierung der Blutzufuhr zum Gehirne im wesentlichen nach denselben Gesetzen erfolgen miisse~ wie sonst im K~rper.

Aber ganz anders liegen die VerhNtnisse, wcnn der Druek der Cerebrospinalfl~issigkeit steigt, nicht durch den Antheil des Blut- druekes, der ihm yon den Gef~ssen iibertragen wird, sondern aus anderen Ursachen. So ist von uns 2) eine sehr betr~chtliche Vermin- derung der aus dem Subarachnoidalraume in der Zeiteinheit zur Re- sorption gclangenden Fliissigkeitsmengen nachgewiesen worden, wenn ein raumbeschr~inkender Herd auf die Hemisph~ren drilekt. Klinisch

1) Vergi. Reiner u. Schnitzler , Ueber die Abflasswege des Liqu. cere- brospin. Fragmente a. d. Geb. d. exp. Path. Wien 1894.

2) Wiener reed. BlOtter 1895. Nr. 20. A r e h i v f. experiment. Pathol. u. Pharmakol. XXXVIIL Bd. J 7

258 XVII. REINER U. SCH~ITZLER~ Beitr. z. Kenntniss d. Blutcirculation im Gehirn.

ist eine Steigerunff des Liquordruckes bei meningealer Reizunff und bei Hirnoedem naehgewiesen. Wenn solche Momente wirksam sind, dann sind die Bedingungen gegeben, welche G r a s h e y zum Zu- standekommen der Vibrationen und damit zur Behinderung des Kreis- laufes voraussetzt.

Dass dem Liquor cerebrospinalis ftlr manche pathologischen Zu- stande des Gehirnes nicht die fl'tiher angeuommene Bedeutung zu- kommen dtirfte, ist aus mehreren Arbeiten 1) der letzten Jahre mehr oder weniger deutlich hervorgegangen. Dass die Rolle des Liquor eerebrospinalis bei der Blutcirculation im Gehirne aueh unter phy- siologischen Verhiiltnissen keine sehr bedeutungsvolle sein kann, glauben wir auf Grund unserer oben erwi~hnten Versuche annehmen zu dtirfen. 2)

1) Vgl. die Arbeiten fiber Hirndruck yon D e u c h e r (Deutsche Zeitschr. ffir Chirurgle 1893) und R e i n e r und S c h n i t z l e r (Wiener reed. Blatter 1895).

2) Ueber die Resultate der bier berichteten Untersuchungen hat der eine yon uns ( S e h n i t z l e r ) schon auf dem 25. Chirurgen-Congress - - Mai 1886 - - in der Discussion kurze Mittheilung gemacht. Aus i~usseren Griinden konnten wir das Manuscript erst im October 1896 der Redaction tibersenden.