Baptismus in der Bundesrepublik (1945-1968). Identitätskonstruktionen eines freikirchlichen Milieus

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Philosophische Fakultät I Institut für Geschichtswissenschaften Masterarbeit Erstprüfer: Prof. Dr. Thomas Mergel Zweitprüfer: Prof. Dr. Thomas Sandkühler Wintersemester 2012/13 Baptismus in der Bundesrepublik (1945 - 1968). Identitätskonstruktionen eines freikirchlichen Milieus Andreas Bruns Master of Education Maximilianstraße 23 6. Fachsemester 48147 Münster Matrikelnummer: 534837 [email protected] 22. April 2013

Transcript of Baptismus in der Bundesrepublik (1945-1968). Identitätskonstruktionen eines freikirchlichen Milieus

Philosophische Fakultät I

Institut für Geschichtswissenschaften

Masterarbeit

Erstprüfer: Prof. Dr. Thomas Mergel

Zweitprüfer: Prof. Dr. Thomas Sandkühler

Wintersemester 2012/13

Baptismus in der Bundesrepublik (1945 - 1968).

Identitätskonstruktionen eines freikirchlichen Milieus

Andreas Bruns Master of Education

Maximilianstraße 23 6. Fachsemester

48147 Münster Matrikelnummer: 534837

[email protected] 22. April 2013

And if they all, kneeling with poised palms,

millions, billions of them, ended together with their illusion?

I shall never agree. I will give them the crown.

The human mind is splendid; lips powerful,

and the summons so great it must open Paradise.

Czeslaw Milosz aus Throughout Our Lands

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ............................................................................................................................... 1

2. „Sprechende Zahlen“? – Realitätseffekte der Quantifizierung .............................................. 7

3. Die „Verweltlichung der Jünger Jesu“ – Identität in der Krise ............................................ 16

4. Identitätstransformationen .................................................................................................... 26

4.1 Von der Abgrenzung gegen „die Kirche“ … .................................................................. 26

4.2 …zur Abgrenzung gegen „die Welt“ .............................................................................. 35

4.3 Von Exklusion und Inklusion: Ghettoisierung und evangelikale Integration ................ 38

4.4 Von Pluralisierung, Demokratisierung und Politisierung ............................................... 46

4.5 Von der Negation von Tradition zur Erfindung von Tradition ...................................... 52

4.6 Von Schuld und Verantwortung: der Umgang mit dem „Dritten Reich“ ....................... 55

5. Fazit ...................................................................................................................................... 59

6. Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 63

7. Appendix .............................................................................................................................. 66

1

1. Einleitung

Die sogenannten „klassischen Freikirchen“ entstanden in Deutschland überwiegend zwischen

den 1830er und 1850er Jahren.1 Die quantitativ größte dieser „klassischen Freikirchen“ in

Deutschland sind die Baptisten – seit 1941 Bund Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden

(BEFG),2 die sich 1834 mit gerade einmal sieben Mitgliedern in Hamburg konstituierten.

3 Bis

1948 wuchsen die deutschen Baptisten durch die sogenannte „Gläubigentaufe“ oder, etwas

unschärfer, „Erwachsenentaufe“ kontinuierlich auf über 100.000 Mitglieder an.4 Vor allem im

religionsfreundlichen Klima Nachkriegsdeutschlands erfuhren die Baptisten eine Phase des

für ihre Geschichte beispiellosen absoluten Wachstums – deutschlandweit gesehen ihre letzte.

Daraufhin verloren sie jedoch in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre leicht an

Mitgliedern und stagnieren bis heute in ihrem Mitgliederbestand.5

Wie erlebten die deutschen Baptisten die Revitalisierung ihres Bundes Ende der 1940er Jah-

re? Wie nahmen sie dann die in den 1950er Jahren einsetzende Rezession und Stagnation

wahr? War diese ihnen überhaupt bewusst und mündete in eine Art Krisenbewusstsein oder

erfreute man sich der bis 1950 hinzugewonnenen „Brüder und Schwestern“ und erlebte ange-

nehme Kontinuität?

Falls ersteres der Fall sein sollte, könnte man festhalten, dass der Trommelschlag der

„religious crisis of the 1960s“6, der Krise der westlichen Christenheit, die Hugh McLeod in

den 1960er Jahren verortet, partiell schon Anfang der 1950er Jahre zu hören war. Zwar nicht

im Katholizismus und den evangelischen Landeskirchen, wohl aber im deutschen Baptismus.

Der deutsche Baptismus hat im Vergleich zu den „großen“ Kirchen in Deutschland einen zah-

lenmäßig eher marginalen Charakter. Er stellt nichtsdestotrotz, als bisher im Diskurs um die

Krise von Religion im 20. Jahrhundert nicht beachtetes Phänomen, einen neuen Referenz-

punkt dar.

1 Karl Heinz Voigt, Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert) (III/6 Kirchengeschichte in

Einzeldarstellungen), Leipzig 2004. Beispielsweise ist die Herrnhuter Brüdergemeine zwar eine Freikirche. Sie

ist aber älter und wird daher nicht zu den klassischen Freikirchen gezählt. 2 VEF, Wer wir sind, <http://www.vef.de/wer-wir-sind/> , letzter Aufruf 16. März 2013. Die Vereinigung Evan-

gelischer Freikirchen (VEF) in Deutschland hat zehn Mitglieder sowie vier Gastmitglieder. Mit aktuell 86.100

Mitgliedern ist der BEFG das mit Abstand zahlenstärkste Mitglied. 3 Günter Balders, Kurze Geschichte der deutschen Baptisten, in: ders. (Hg.), Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe.

150 Jahre Baptistengemeinden in Deutschland 1834-1984. Festschrift im Auftrag des Bundes Evangelisch-

Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Wuppertal und Kassel 19893, 18ff.

4 Vgl. 8. Appendix, Diagramm 1 & 2. Während die Einwohnerzahl Deutschlands beispielsweise von 1914 bis

1948 stagnierte (zwischen 67 und 69 Millionen), hatte sich die Mitgliederzahl der Baptisten in Deutschland im

selben Zeitraum mehr als verdoppelt (1914: 46.293, 1950: 101.506). 5 Ebd.

6 Hugh McLeod, The Religious Crisis of the 1960’s, Oxford 2010.

2

Für Hugh McLeod markieren die „langen 1960er Jahre“ (Arthur Marwick), einer Periode von

1958 bis 1974, einen Traditionsbruch in der westlichen Christenheit, der vergleichbar sei mit

dem Bruch, der durch die Reformation entstanden ist.7 Unter Historikern und Soziologen wird

kaum bestritten, dass die „religious crisis of the 1960s“ im Christentum der westlichen Welt

stattgefunden hat. Strittig ist einzig und allein die Frage nach den Gründen für die Krise bzw.

wann genau sie einsetzte. Dabei wird zum einen differenziert zwischen langfristigen (evoluti-

onärer Prozess der Säkularisierung), mittelfristigen (z.B. wachsender Wohlstand) und kurz-

fristigen (Zweites Vatikanisches Konzil oder Vietnamkrieg) Erklärungsansätzen, zum anderen

zwischen monokausalen (Gender oder Arbeiterklasse als „Masterfaktoren“) und multikausa-

len Ansätzen, so z.B Hugh McLeod, der alle Erklärungsansätze bündelt und in ein Verhältnis

setzt.8 McLeod hebt darüber vor allem auch zunehmende Alternativen zum Christentum, ei-

nen Mentalitätswandel (Perzeption der Gesellschaft als christlich in den 1950ern, als „säku-

lar“ in den 1960ern), abnehmende christliche Sozialisierung von Kindern (was auch für einen

Rückgang des konfessionellen Bewusstsein sorgte) und die Ablösung konfessioneller Kon-

flikte von konfessionsinternen Konflikten hervor.9

Für das Verhältnis von Religion und Moderne beschränkte sich ein Großteil der Studien in der

deutschen Zeitgeschichtsschreibung für die Nachkriegszeit bisher auf den deutschen Katholi-

zismus. Bezogen auf eine etwaige Renaissance des Religiösen konstatiert Klaus Große Kracht

eine „katholische Welle der ‚Stunde Null‘, die bereits in den 1950er Jahren wieder verebbte,

letztlich nur von kurzer Dauer war und Europa wieder auf die alten, seit dem 19. Jahrhundert

sich abzeichnenden Pfade der Säkularisierung zurückkehrte.“10

Obwohl demnach beispiels-

weise die katholischen Kirchgangszahlen in Nachkriegsdeutschland als wichtiger Religiosi-

tätsindex nicht mehr das Niveau der 1930er Jahre erreichten, genossen katholische Kirchen-

führer wie Kardinal von Galen und Kardinal Frings in der Bevölkerung und bei den Alliierten

hohe moralische Autorität und aus der subjektiven Perspektive des katholischen Milieus

schienen überfüllte Kirchen und Wallfahrtsbegeisterung die Rechristianisierungshoffnungen

ihrer Kirchenführer zunächst zu bestätigen.11

Ein allgemeines Krisenbewusstsein entstand in

der Katholischen Kirche erst im Zuge des zweiten Vatikanischen Konzils.12

Auch der deut-

7 McLeod, 1.

8 McLeod.

9 Ebd.

10 Klaus Große Kracht, Die katholische Welle der „Stunde Null“. Katholische Aktion, missionarische Bewegung

und Pastoralmacht in Deutschland, Italien und Frankreich 1945-1960, in: AfS 51 (2011), 163-186, 164. 11

Ebd. 12

Doch schon für 1952 dokumentiert Wilhelm Damberg, Abschied vom Milieu? Katholizismus im Bistum

Münster und in den Niederlanden 1945-1980, Paderborn 1997, 184-191 ein vereinzeltes Problembewusstsein in

der katholischen Kirche bzgl. eines Mangels an Kandidaten für die Priesterordinationen und zu wenig Priestern

3

sche Protestantismus war trotz intrakonfessionellen Reorganisationsproblemen nach dem En-

de des Krieges geprägt von Rechristianisierungshoffnungen,13

die auch genährt wurden durch

die Unterstützung der amerikanischen und britischen Militäradministration in den jeweiligen

Zonen.14

Die evangelischen Kirchentage wurden in den 1950er Jahren zu Massenveranstal-

tungen. Ein Krisenbewusstsein geht auch hier erst einher mit den sozialen und politischen

Umwälzungen der 1960er Jahre bzw. mit den damit verbundenen Kirchenaustritten.

Abgesehen davon, ob Säkularisierung de facto passiert, ob Religion des Weiteren mit der

Moderne unvereinbar ist,15

gar überwunden werden müsse, damit Modernisierungsprozesse

launciert werden können oder ob Religion kompatibel ist mit der Moderne16

und sogar als

Katalysator der solchen fungiert,17

lässt sich Säkularisierung auch als Prozess der Selbstwahr-

nehmung und Selbstzuschreibung verstehen. So liest Friedrich Wilhelm Graf in seiner Mono-

graphie Wiederkehr der Götter Säkularisierung.18

Voraussetzung dafür ist ein „dynamisch-

prozesshafter Begriff von Wirklichkeit“, welche demnach „in alltäglicher Interaktion durch

interpretative Leistungen“ produziert werden kann.19

Solch eine theoretische Verortung

scheint gerade für den Baptismus geeignet, der nach Andrea Strübind ein „dynamisches Kir-

chenverständnis“ aufweist, das in einem „prozesshaften ‚Kirche-Sein‘“ resultiere. Nicht die

eigene Tradition, die für den Baptismus keinen „substanziellen Wert“ darstellen würde, son-

dern vielmehr das gegenwärtige „‚Commitment‘ der einzelnen Mitglieder“ sei dafür grundle-

gend.20

In Anlehnung an Friedrich Wilhelm Grafs Verständnis von Säkularisierung und vor

dem Hintergrund des baptistischen Kirchenverständnisses wird hier daher nicht primär der

und Kapellen am Niederrhein. So fürchtete man beispielsweise der durch Arbeitsmigration bedingten Masse an

neuen Katholiken am industrialisierten Niederrhein nicht mehr begegnen zu können (173-184). Wilhelm

Damberg, Milieu und Konzil: Zum Paradigmenwechsel konfessionellen Bewusstseins im Katholizismus der

frühen Bundesrepublik Deutschland, in: Olaf Blaschke, Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800

und 1870: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2001, 335-350, 343 bemerkt dass es zwar im bundes-

weiten Katholizismus seit 1950/51 einen rückläufigen Kirchenbesuch zu verzeichnen gibt, der allerdings (noch)

kein breites Krisenbewusstsein hervorrief, denn die absoluten Zahlen konnten gesteigert werden durch Flüchtlin-

ge und Vertriebene. 13

Martin Greschat, Die evangelische Christenheit und die deutsche Geschichte nach 1945. Weichenstellungen in

der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002, 310-314. 14

Greschat, 30ff. 15

Peter L. Berger, The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion, Doubleday 1969. 16

José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994. 17

Peter L. Berger (Hg.), The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, Grand Rap-

ids 1999. 18

Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2003 und

ders., Friedrich Wilhelm Graf über die Herausforderungen der Religionen, Goethe Institut,

<http://www.goethe.de/ges/phi/dos/her/for/de2141838.htm>, letzter Aufruf 20. März 2013. 19

Michael Meuser, Konstruktion der Wirklichkeit, in: Lexikon zur Soziologie5, Wiesbaden 2011, 367. Mit einem

ähnlichen Konzept von Realität, allerdings mit Rückgriff auf Foucault, geht in etwa auch Hedwig Richter, Pie-

tismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR, Göttingen 2009 vor, die von „Wirklichkeits-

produktionen“ spricht. 20

Andrea Strübind, Vorwort, in: dies. & Martin Rothkegel (Hg.), Baptismus. Geschichte und Gegenwart, Göt-

tingen 2012, VII-IX, hier VIIf.

4

Frage nachgegangen, warum die Baptisten gerade bzw. in einem solchen Ausmaß in der

Nachkriegszeit in ihrer Mitgliederzahl wuchsen und dann wiederum seit den 1950er Jahren

stagnierten bzw. zurückgingen, sondern wie die Baptisten sich und ihre Umwelt innerhalb

dieses Prozesses selbst wahrnahmen und dabei schließlich „Wirklichkeit“ produzierten.

Anhand eines solchen kulturkonstruktivistischen Ansatzes, der davon ausgeht, dass gesell-

schaftliche Zustände gemacht, ja konstruiert werden,21

soll untersucht werden, welche Bilder

die deutschen Baptisten in Abhängigkeit von einer dynamischen Umwelt von sich selbst und

eben dieser Umwelt konstruierten, denn in genau solchen Interaktionsprozessen wird Identität

generiert.22

Hier wird Identität verstanden als die Kontinuität und Konsistenz „des Selbsterle-

bens eines Individuums“ oder aber einer Gruppe, als eine Art roter Faden der Existenz.23

Da-

bei wird hier davon ausgegangen, dass das „Normale“ erst durch das „Andere“ Gestalt an-

nimmt (E. Kosofsky-Sedgwick) und dass Identitätsbildung und –konstruktion demnach durch

Abgrenzungsprozesse passiert.24

„Kollektive Identitäten“25

wie z.B. gesellschaftliche Gruppen

bilden dabei in Abgrenzung von out-groups in-groups. Mitglieder der in-group identifizieren

sich stark mit ihrer „Bezugsgruppe“ und fühlen sich ihr zugehörig.26

Die out-group wird dabei

zur negativen Bezugsgruppe bzw. dem ‚Anderen‘.27

Wovon grenzten sich also die deutschen

Baptisten ab, um sich selbst zu sehen? Wer war für die Baptisten ‚das Andere‘ und wie wurde

es in ihren Diskursen repräsentiert, ja konstruiert?

Letztlich soll in dieser Arbeit untersucht werden, wie der deutsche Baptismus zwischen 1945

und 1968 durch die diskursive Produktion von Selbst- und Fremdbildern baptistische Identitä-

ten konstruierte und welche Rückschlüsse dieser Prozess zunächst auf Kontinuitäten und Brü-

che des baptistischen Milieus und schließlich auf ein etwaiges Krisenbewusstsein der Baptis-

ten erlaubt. Die Analyse diskursiver Konstruktionen baptistischer Identität erfolgt im weiteren

Verlauf anhand der Hypothese verschiedener, teilweise sich überlappender, teilweise wider-

strebender Entwicklungsphasen im deutschen Baptismus von 1945 bis 1968.

21

Hanns Wienold, „Konstruktivismus“, in: Lexikon zur Soziologie5, Wiesbaden 2011, 367f.

22 Hans-Ulrich Wehler, Erik Erikson. Der unaufhaltsame Siegeszug der „Identität“, in: ders., Die Herausforde-

rung der Kulturgeschichte, München 1998, 130-135, 130. Der wissenschaftlich eher unpräzise Begriff der „Iden-

tität“ sei nichtsdestotrotz en vogue und habe ältere Begriffe wie „Mentalität, Klassenbewußtsein, Tradition“ in

der geschichtswissenschaftlichen Forschung ersetzt, so Wehler. Der Begriff der „Identität“, der zurückgeht auf

den deutsch-US-amerikanischen Psychoanalytiker Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus (1966), Frankfurt

a. M. 1973 und sein Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung (Erikson transzendiert dabei die Phasenlehre

Sigmund Freuds zu einer psychosoziale Dimension der Entwicklung des Menschen vom Frühkind bis zum Er-

wachsenenalter)und ist Wehler zu Folge demnach auch übertragbar auf soziale Kollektive. 23

Edgar Hörnig & Rolf Klima, Identität, in: Lexikon zur Soziologie5, Wiesbaden 2011, 292.

24 Rüdiger Lautmann, othering, in: Lexikon zur Soziologie

5, Wiesbaden 2011, 493f.

25 Michael Meuser, kulturelle Identität, in: Lexikon zur Soziologie

5, Wiesbaden 2011, 292.

26 Waldemar Lilli & Rolf Klima, Eigengruppe, in: Lexikon zur Soziologe

5, Wiesbaden 2011, 155.

27 Waldemar Lilli, Fremdgruppe, in: Lexikon zur Soziologie

5, Wiesbaden 2011, 215f.

5

a) Konfessionalisierungsphase

Die Wahrnehmung des revitalisierten Gemeindelebens und des Wachstums direkt

nach dem Krieg – durch Evangelisation aber auch durch Migration (ein Drittel der

deutschen Baptisten wurde aus den verlorenen Ostgebieten vertrieben)28

resultierte in

Superioritätserfahrungen und einer Verstärkung des konfessionellen Bewusstseins im

baptistischen Milieu. Das ‚Andere‘ war für die Baptisten in den 1940er Jahren noch

traditionell „die Kirche“, von der man sich in Diskursen als „Gemeinde“ bewusst ab-

grenzte.

b) Abschottungsphase

In den 1950er Jahren ersetzte „die Welt“ aufgrund der akzelerierenden Modernisie-

rung im Zuge wirtschaftlicher Erholung „die Kirche“ als das ‚Andere‘ im Baptismus.

Das führte in den 1950er Jahren zu Abschottungstendenzen des baptistischen Milieus

von der sich zunehmender Säkularisierung ausgesetzten Gesellschaft.

c) Krisenphase

Die erstmals in der Geschichte der deutschen Baptisten einsetzende Stagnation des ei-

genen Wachstums führte zu einem früheren Krisenbewusstsein der religiösen Akteure

im bundesrepublikanischen Baptismus (Anfang der 1950er Jahre) als bei jenen in der

EKD bzw. der katholischen Kirche (Ende der 1950er, in den 1960er Jahren). Konfes-

sionelle Superioritätserfahrungen nahmen ab, konfessionelle Inferioritätserfahrungen

nahmen zu.

d) Evangelikalisierungsphase

Auf Grundlage verschiedener Kommunikationsplattformen wie der Evangelischen Al-

lianz wurden seit den 1950er Jahren alte Allianzen erneuert mit „theologisch konser-

vative[n] Christen“ aus anderen Freikirchen aber auch aus den Landeskirchen, welche

„sich überwiegend zu der Glaubensbasis der Evangelischen Allianz bekennen.“29

So

transformierte sich das Selbstbild innerhalb des Baptismus: die konfessionelle Identität

wurde langsam abgelöst durch eine überkonfessionelle evangelikale Identität. Baptis-

ten fühlten sich weniger als Baptisten denn als „wiedergeborene“ Christen.

e) Framingphase

Eine öffentliche Stellungnahme zur Rolle der deutschen Baptisten im NS-Staat gab es

im deutschen Baptismus nicht, ganz im Gegensatz zur EKD, die 1945 mit der Stuttgar-

28

Balders, 126. 29

Friedhelm Jung, Die deusche evangelikale Bewegung. Grundlinien ihrer Geschichte und Theologie, Frankfurt

a.M. 1992, 4. Demnach wird für diese Kreise seit den 1960er Jahren der Begriff „Evangelikale Bewegung“ be-

nutzt.

6

ter Schulderklärung weitgehend auf Unverständnis in der deutschen Bevölkerung

stieß.30

Mit dem einsetzenden Krisenbewusstsein im bundesrepublikanischen Baptis-

mus in den 1950er Jahren verbanden sich dann vermehrte Konstruktionen von Traditi-

on. Doch erst in den 1960er Jahren fand eine öffentliche Auseinandersetzung in bap-

tistischen Diskursen über die Rolle der Baptisten im „Dritten Reich“ statt. Diese war

erst möglich geworden durch zunehmende Pluralisierung und Demokratisierung seit

Ende der 1950er Jahre.

f) Demokratisierungs- und Politisierungsphase

Seit Mitte der 1950er Jahre, der Zeit der Identitätskrise innerhalb des Baptismus, lässt

sich in der Gemeinde eine zunehmenden Pluralisierung feststellen, die sich vor allem

durch unterschiedliche Meinungen in Leserbriefen ausdrückt. Das Forum der Leser-

briefe bot ab Ende der 1950er Jahre Raum für einen Wandel hin zum transparenten

und demokratischen Meinungsaustausch, der so auch einen einsetzenden Wandel im

Zusammenleben vieler Ortsgemeinden widerzuspiegeln scheint.

Als Analysegegenstand für die Selbstbilder der deutschen Baptisten, die qualitative Untersu-

chung der Konstruktion von subjektiven Sinnstrukturen wurden als Quellen die Jahrbücher

der Baptisten, ihre Bundesrats- und Bundeskonferenzprotokolle, Akten aus dem Evangeli-

schen Zentralarchiv über das Verhältnis von Freikirchen und Landeskirchen und als Haupt-

quelle Die Gemeinde (folglich einfach Gemeinde) selektiert. Die Gemeinde ist im Untersu-

chungszeitraum das zentrale Magazin der Baptisten, die „Wochenschrift für Gemeinde und

Haus + Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden“ wie es im Untertitel der ersten

Ausgabe vom 1. April 1946 heißt, und existiert bis heute.31

Trotz ihrer Deklaration als „Wo-

chenschrift“ erscheint die Gemeinde zunächst monatlich, später zweiwöchentlich32

und

schließlich wöchentlich im Oncken-Verlag mit einer bis Anfang der 1960er Jahre steigenden

Auflage von ca. 20.000 Exemplaren.33

Sie ist das Nachfolgemagazin des Wahrheitszeugen,

30

Martin Greschat, Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945-2005) (IV/2 Kirchenge-

schichte in Einzeldarstellungen), Leipzig 2010, 17. 31

Die Gemeinde, 1.4.1946. Wobei man wohl sagen kann, dass die seit 1979 bei der Evangelischen Nachrichten-

agentur idea e.V. (besteht seit 1970) erscheinende Zeitschrift ideaSpektrum, einer überkonfessionellen Zeitschrift

der evangelikalen Bewegung, der Gemeinde bald Konkurrenz machte und wohl den Rang ablief. Auch das ein

eindeutiger Fingerzeig für die Erosion des baptistischen Milieus und die damit einhergehende Integration in das

sich formierende evangelikale Milieu. 32

AdS, 29.7.1948, in: Die Gemeinde vom 1.9.1948, 69. Von der amerikanischen Militäradministration geneh-

migt, auch aufgrund amerikanischer und schwedischer Papierspenden. Die Gemeinde liegt im Oncken-Archiv

vor als gebundene Ausgabe für jeweils ein Jahr, die durchlaufend nummeriert ist. Daher werden im Folgenden

immer auch Seitenangaben angeführt, die dann aber im Laufe des Jahres natürlich die übliche Seitenzahl einer

Einzelausgabe übersteigen. Des Weiteren ist die Rubrik AdS oftmals mit einer eigenen, der Ausgabe der Ge-

meinde vorzeitigen Datierung versehen, die dann immer mitangegeben wird. 33

Die Gemeinde vom 7. Mai 1978 ist eine Sonderausgabe ganz dem 150jährigen Jubiläum des Oncken-Verlages

gewidmet, darin: Günther Balders, 150 Jahre Oncken Verlag. Ein geschichtlicher Überblick, 5-19, hier 18. Da-

7

der bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges gedruckt wurde. Die Rubrik „Aus der Schmiede“

(im Folgenden AdS), eine Art Editorial mit Kommentarfunktion, die immer im Anschluss an

eine anfängliche geistliche Reflexion angewandt wurde, ist eine der Traditionen, die vom

Wahrheitszeugen in der Gemeinde übernommen wurden.34

Der Autor von AdS, zumeist der

bzw. einer der Schriftleiter der Gemeinde, nennt sich selbst auch „Schmied“.35

Wie ein

Schmied Metall verarbeitet, ihm Form und Richtung gibt, so nahm auch der „Schmied“ der

Gemeinde die für den BEFG wichtigen Themen auf und kommentierte sie, gab Orientierung

in den für den Baptismus entscheidenden Diskussionen oder stieß diese an. Durch eine Analy-

se von AdS werden Stimmungen, Perspektiven und Mentalitäten im Baptismus lebendig. Da-

neben werden auch andere Berichte in der Gemeinde ausgewertet sowie ab Ende der 1950er

Jahre die erstmalig auch abgedruckten Leserbriefe. Alle weiteren Quellen werden in den ent-

sprechenden Kapiteln kurz charakterisiert. Zunächst wird nun im ersten Kapitel die Bedeu-

tung von Daten und Statistiken für die Konstruktion baptistischer Identität thematisiert.

2. „Sprechende Zahlen“? – Realitätseffekte der Quantifizierung

„Sprechende Zahlen“ seien es, die er, der Bundesdirektor des BEFG Paul Schmidt, der Kir-

chenkanzlei der Evangelischen Kirche im Sommer 1947 da angesichts eines „Zusammen-

schluss[es] christlicher Kirchen und Freikirchen in Deutschland“ zukommen lasse.36

Damit

bezog er sich auf eine erste statistische Erhebung über den BEFG in der Nachkriegszeit. Sol-

che Erhebungen hatten eine lange Tradition im Baptismus und wurden seit der Entstehung des

modernen Baptismus in Deutschland jährlich durchgeführt. Nach bestimmten Kategorien

wurde zunächst auf der Ebene der Ortsgemeinden differenziert, deren Daten dann gesammelt

und gebündelt wurden, um schließlich die Entwicklung der baptistischen Vereinigungen und

des Bundes vermessen zu können. In den baptistischen Jahrbüchern wurden so zumeist die

Daten des Vorjahres publiziert. Thematisiert werden soll in diesem Kapitel, dass die Erfas-

sung von institutionellen Daten und Statistiken sowie ihre Perzeption im Untersuchungszeit-

raum eine entscheidende Bedeutung für Identitätskonstruktionen im Baptismus hatte. Wie

nach „erhielt der Oncken Verlag“ am 26.10.1945 „als einer der ersten eine amerikanische Lizenz“ und konnte

seine Arbeit wieder aufnehmen. 34

Die Gemeinde, 1.4.1946, 4. Die Umbenennung von Wahrheitszeuge auf Gemeinde erfolgte aufgrund des Zu-

sammenschlusses mit den Brüdern 1942 im BEFG. Diese hatten zuvor ihr eigenes Magazin, die Botschaft. Mit

dem neuen Namen wollte man dann auch der neuen Einheit gerecht werden, Zeitschrift und Name symbolisieren

somit den Konstruktcharakter des BEFG. 35

Die Gemeinde 19, vom 7. Mai 1978 ist eine Sonderausgabe ganz dem 150jährigen Jubiläum des Oncken Ver-

lages gewidmet, darin: Günther Balders: 150 Jahre Oncken Verlag Ein geschichtlicher Überblick, 5-19, 17f. Für

die Gemeinde generell verantwortliche „Schriftleiter“ waren 1936-1954 Otto Muske, darauf dann zunächst Karl

Schütte, Schriftleiter von 1948-1959, nach einiger Einarbeitungszeit dann Walter Paulo von 1954-1963, Dr.

Ekkehard Krajewski 1963-1965, Dr. Willi Grün 1965-1975. 36

EZA, 2/183, Paul Schmidt an die Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche am 26.8.1947.

8

allerdings analytisch und methodisch fundiert umgehen mit Quantifizierungen einer religiösen

Organisation?

Quantifizierung galt lange Zeit als ein Gütesiegel sozialhistorischer Forschung, als präziser

als der Historismus. Damit schien Quantifizierung bestens geeignet für die Analyse von

„kompakten Sozialformen“ wie Milieus.37

Es wurde zwar immer wieder auch darauf hinge-

wiesen, dass Kirchlichkeit nicht immer quantifizierbar erfasst werden könne.38

Doch Benja-

min Ziemann geht mit seiner Forderung nach Historisierung der Daten und Statistiken der

empirischen Forschung weit hinaus über die übliche Kritik an quantitativen Methoden in der

Geschichtswissenschaft. Ziemann zu Folge spiegelt die Erhebung quantifizierbarer Daten,

beispielsweise über den Kirchenbesuch, eher „die inneren Rationalitätskriterien“ der Organi-

sation, die diese Daten erhebt, als eine „Intensität der Kirchlichkeit“.39

Daher seien statistische

Erhebungen zwar unter bestimmten Voraussetzungen analysierbar (dabei läge der Erkennt-

niswert prinzipiell in ihren Kontextinformationen und nicht in der Agglomeration von Zah-

len); allerdings nicht als Quelle und Darstellung, wie dies oftmals Zeithistoriker unter Rück-

griff auf sozialwissenschaftliche Arbeiten täten, um “qualitative Beschreibungen, Fallstudien

oder Trendbehauptungen durch Statistiken abzustützen“,40

sondern nur als Quelle „in einem

ganz eingeschränkten Sinne“.41

Ziemanns Argumentation ist zwar in einigen Punkten inkon-

sistent – vor allem in seiner Reduktion der Nutzbarkeit von Quantifizierungen (nur als Quel-

le).42

Doch die Prämisse, dass Quantifizierungen grundsätzlich „die inneren Rationalitätskrite-

37

Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte und Empirische Sozialforschung. Überlegungen zum Kontext und zum

Ende einer Romanze, in: Maeder et al, Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göttingen

2012, 131-149, 132. 38

Vgl. etwa Lucian Hölscher, Möglichkeiten und Grenzen der statistischen Erfassung kirchlicher Bindungen, in:

K. Elm u. H.-D. Look (Hg.), Seelsorge und Diakonie in Berlin. Beiträge zum Verhältnis von Kirche und Groß-

stadt im 19. Und 20. Jahrhundert, Berlin 1990, 39-59. 39

Ziemann, 132. 40

A. Doering-Manteuffel und L. Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göt-

tingen 2008, 57ff. 41

Ziemann, 137. Dafür führt Ziemann vier Argumente an: 1. Wenig akkurate Daten (132), die eher kirchliches

„Wunschdenken“ als faktische Realität ausdrückten (137) 2. Die Präfigurierung des Materials durch Konzepte

und Begriffe der Sozialwissenschaftler (137ff.) 3. Die daraus resultierende Predeterminierung der „Erwartungs-

horizonte“ zeithistorischer Arbeiten (134) 4. eine sehr spezifische empirische Grundlage der Quantifizierungen,

die für zu allgemeine Aussagen genutzt würde (135). 42

Ziemanns zweites Argument, die Präfigurierung des Materials, erscheint plausibel. Doch nicht die Forscher

allein, sondern auch die faktische Realität, die man mit Erhebungen abbilden möchte, präfiguriert das Material.

Denn die Realität, dass Moslems beispielsweise nicht an Eucharistiefeiern teilnehmen, Katholiken aber schon,

führt dazu, dass die Teilnahme an der Eucharistiefeier eine Erhebungskategorie zur Erforschung des Katholizis-

mus sein kann, sich allerdings komplett erübrigt für den Islam. So erweckt es den Anschein, als seien für Zie-

mann „große Männer“, die als Analysegegenstand der Geschichtswissenschaft ausgedient haben, nun bei der

Erfassung und Darstellung von quantifizierbaren Daten am Werk. Das könnte man ohne weiteres als Sein-

Bewusstseins-Paradox bezeichnen. Angesichts von Ziemanns drittem Argument könnte man meinen, dass sein

eigener „Erwartungshorizont“ prädeterminiert ist von der Prämisse mangelnder bzw. nicht vorhandener reflexi-

ver Fähigkeiten seiner Zunft. Das könnte man auch Prädeterminierungsparadox nennen. Denn Forschungsarbei-

ten liegen und lagen immer Begrifflichkeiten und Konzepte zu Grunde. Ob man solche Konstruktionen nun

9

rien“ der Organisationen widerspiegeln, die sie erheben, wird in dieser Arbeit im Folgenden

auch für den deutschen Baptismus geteilt.

Aus der in diesem Kapitel eingangs erwähnten Korrespondenz zwischen Paul Schmidt und

der Kirchenkanzlei kann man durchaus ableiten, dass im Zuge der Vorbereitung einer Ar-

beitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) die deutschen Baptisten nicht als „quantité

negligeable“ (Strübind) erscheinen wollten, sondern als ernstzunehmender, relevanter Partner

für die Evangelische Kirche in Deutschland;43

daher Paul Schmidt zur quantitativen Vermes-

sung des baptistischen Milieus:44

[…] Die Zahlen können noch keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben und bleiben hinter der

Wirklichkeit zum Teil zurück. Besonders gilt das von der Zahl der Mitglieder. Bei der Mitgliederzahl ist

ausserdem [sic] zu berücksichtigen, dass es sich um Vollmitglieder handelt und der Familienanhang un-

berücksichtigt bleibt. Um ein genaues Bild entsprechend der Zählung in den Landeskirchen zu bekom-

men, muss die Mitgliederzahl mit 3 multipliziert werden. Dass unser Bund zur Baptist World Alliance

gehört, dürfte bekannt sein. Ebenso dürfte bekannt sein, dass die Baptist World Alliance eine Mitglie-

derzahl von rund 12 Millionen in vielen Ländern der Erde meldet.

Damit hätte das Milieu der Baptisten in Deutschland nicht nur ca. 90.000 (Stand der Mitglie-

der 1947), sondern 270.000 Menschen umfasst. Selbst angesichts der hohen Zahl der Kinder

in den Sonntagschulen (57.000 im Jahr 1947) und unter Einberechnung einiger nicht getaufter

aber mit der Gemeinde assoziierter Christen bzw. von Mischehen, dürfte es wohl übertrieben

sein, durch eine Verdreifachung der getauften Mitglieder auf ein mit den Landeskirchen ver-

reflektierend und kontextualisierend übernimmt um sie anwendbar zu machen für den eigenen Untersuchungs-

gegenstand – für Ziemann ein Tabu – oder neue Begrifflichkeiten und Konzepte konstruiert um den eigenen

Untersuchungsgegenstand zu analysieren: worin liegt der Unterschied? Wichtig ist doch primär, dass man dies

im Sinne wissenschaftlicher Redlichkeit darstellt und somit Begrifflichkeiten, Konzepte und Methoden intersub-

jektiv nachvollziehbar sind. Ziemanns viertes Argument, die generelle Tabuisierung von Quantifizierungen als

Darstellung, tätigt er auf einer sehr spezifischen Grundlage. Denn er nennt nur ein Beispiel „unvollkommener

Anwendung durch die zeitgenössischen Akteure“ (133) bei einer Institution: der Katholischen Kirche. Damit

macht Ziemann genau denselben Fehler, den er Ronald Inglehart ankreidet (135), in einem viel gravierenderen

Ausmaß (Ronald Inglehart, The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles among Western Publics,

Princeton 1977 Inglehart nutzt zumindest einige Samples – nicht nur eins – für seine Theorie des Wertewandels

in der westlichen Welt). Daher könnte man hier zur Veranschaulichung vom Ziemann-Inglehart-Paradox spre-

chen. Was in einem Einzelfall gut und richtig ist, kann in einem anderen Einzelfall null und nichtig sein, so ar-

gumentiert Ziemann in etwa gegen die Nutzung von Quantifizierungen als Darstellung in seinem vierten Argu-

ment. Diese argumentative Logik könnte man aber auch auf alle Argumente Ziemanns anwenden. Daher ist der

Autor dieser Arbeit sehr wohl der Meinung, dass Quantifizierungen auch in Darstellungen genutzt werden kön-

nen. Denn, so auch Philipp Sarasin, Sozialgeschichte vs. Foucault im Google Books Ngram Viewer. Ein Alter

Streitfall in einem neuen Tool, in: Maeder et al, Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göt-

tingen 2012, 151-174, 157 unter Rückgriff auf Konrad Jarausch (Hg.), Quantifizierung in der Geschichtswissen-

schaft. Probleme und Möglichkeiten, Düsseldorf 1976: „Quantifizierung“ könne „grundlegend“ sein „für die

Geschichte langer Zeiträume und großer Gruppen von Menschen“. Da dies allerdings nicht dem primären Er-

kenntnisinteresse dieser Arbeit dient, wird im Folgenden weitgehend darauf verzichtet. 43

Die Sorge, nicht ernst genommen zu werden, drückt sich auch im Bericht „Freikirchen ein zu ungewichtiger

Partner?“, in: Die Gemeinde, 1.6.1948, 46 aus. 44

EZA, 2/183. Im Folgenden werden Hervorhebungen nur dann gesondert gekennzeichnet, wenn sie vom Ver-

fasser dieser Arbeit stammen.

10

gleichbares Bild zu kommen.45

Wesentlich erscheint allerdings auch, dass Schmidt für den

BEFG, in Deutschland ein marginales Phänomen, darauf verweist, Teil einer weltweiten Ver-

einigung mit beträchtlicher Größe zu sein. Um die Bedeutung von institutionellen Zahlen für

baptistische Identitätskonstruktionsprozesse zu veranschaulichen, lohnt es sich an dieser Stel-

le einen Blick in die Jahrbücher der Baptisten zu werfen, die schon vor dem Untersuchungs-

zeitraum dieser Arbeit publiziert wurden. Exemplarisch werden hierfür die während des

„Dritten Reiches“ publizierten Jahrbücher analysiert.

Im Jahrbuch 1933 beginnt der damalige Bundesdirektor Otto Nehring seine Übersicht über

das Jahr 1932 wie folgt:46

Trotz der steigenden Wirtschaftsnöte und der politischen Bewegungen stand unser Gemeindewerk im

vergangenen Jahr doch unter dem sichtbaren Segen unseres Herrn. Der äußere Fortschritt zeigt sich in

den 4049 durch Taufe aufgenommenen Gliedern, eine Zahl, wie sie seit langen Jahren nicht zu ver-

zeichnen war.

Im Folgenden bezeichnet er die Taufen als „Ernte“ bzw. „Frucht der Evangeliumssaat“, wofür

„wir dem Herrn danken“. Doch „die Abnahmeziffer durch Streichung und Ausschluß macht

uns immer wieder zu schaffen“, so Nehring weiter. Daher müssten die Baptisten „der Erhal-

tung und Bewahrung des mühsam gewonnenen Mitgliedergutes“ ihre „erhöhte Aufmerksam-

keit zuwenden“. Denn man wolle doch „sagen können, wir haben keinen von denen verloren,

die der Vater uns gegeben hat! Unsere Gesamtzahl ist nun nahe an 70000 herangekommen.“

Vor allem in der angewandten Semantik von Metaphern wie „Evangeliumssaat“, die zur

„Frucht“ wird und dann „Ernte“ hervorbringt, wird Sinn konstituiert: ebenso wie ein Bauer

auf dem Feld den Erfolg und Misserfolg eines Jahres an seiner Ernte abliest, machten die

deutschen Baptisten zumindest auf Bundesebene so den Erfolg ihres Milieus an Taufzahlen

fest. Doch auch für Misserfolg gab es Indikatoren, nämlich die Zahlen der gestrichenen und

ausgeschlossenen Mitglieder.

Für mehr als 100 Jahre stellten aber die Taufzahlen die Ausschluss- und Streichungszahlen in

den Schatten. Das war auch für die Konstruktion des baptistischen Selbstbildes entscheidend.

Charakteristisch hierfür ist eine graphische Darstellung aus dem Jahrbuch von 1934:47

45

Baptistengemeinden hatten und haben sogenannte „Freundeskreise“, zu denen Menschen gehören, die zwar

nicht getauft sind, sonst aber in vielfacher Weise an Gemeindeaktivitäten partizipieren. Erst durch die Addition

der „Freundeskreise“, kommt man wohl zu einer realistischen Verdreifachung des baptistischen Milieus zur

damaligen Zeit. 46

Jahrbuch 1933, Oncken-Archiv, 14. Angesichts der Konjunkturen des Wachstums durch Taufe bei den Baptis-

ten, die von 1914 bis 1949 fast ausschließlich mit wirtschaftlichen und politischen Krisen korrelieren (vgl. 8.

Appendix, Diagramm 2) ist man geneigt, für das „Trotz“ ein „Wegen“ zu setzen. 47

Jahrbuch 1934, Oncken-Archiv, 15.

11

Hier wird schnell ersichtlich: die Baptisten verstanden sich selbst als Erfolgsmodell. Zum

hundertjährigen Bestehen des modernen Baptismus in Deutschland, konnten sie 1934 ein

hundertjähriges Wachstum verzeichnen. Darüber hinaus machten sie aus globaler Perspektive

einen beträchtlichen Anteil des weltweiten Protestantismus aus (12 Millionen von 177 Millio-

nen). Doch vor allem die hundertjährige Wachstumskurve war wohl im Sinne der zuvor dar-

gestellten Semantik zugleich auch die Grundlage für ein positives Selbstbild: Demnach hatte

Gott das Werk bis dato mit einer kontinuierlichen „Ernte“ gesegnet. So mussten sie, die Bap-

tisten, Gott ja ‚wohlgefallen‘. Doch im Jahrbuch 1939 zogen die Baptisten eine eher negative

Bilanz für die bisherige Zeit des „Dritten Reiches“, die einherging mit einer kontinuierlichen

Abnahme der Taufzahlen und einer vergleichsweise konstant hohen Austrittsrate:48

129 Gemeinden mußten reine Abnahmen melden, und 72 Gemeinden hatten keine Taufe. Diese beiden

Zahlen demütigen uns stark und lassen uns nach den Ursachen fragen. Die Zahlen sind höher als im

Vorjahre. Soweit Schuld und Versäumnis unsererseits durch sie ausgedrückt werden, fordern sie von

uns Buße, Erneuerung und stärkeren Glaubenseinsatz. Die Zahlen sind im Verhältnis zu unseren Ge-

samtzahlen unnormal hoch und können gewiß gesenkt werden.

Trotz der Abnahme der Taufzahlen und der Zunahme von Austritten im „Dritten Reich“

wuchs der Bund der Baptisten weiterhin kontinuierlich. Das lag einerseits an den Annexionen

des „Dritten Reiches“ im Osten, andererseits aber auch an der Vereinigung mit der sogenann-

48

Jahrbuch 1939, 16. Nach McLeod, 23 versuchte das NS-Regime Säkularisierung zu forcieren. Das die Mit-

gliedschaft in einer Kirche im „Dritten Reich“ nicht gerade prestigeträchtig war, trug wohl zu den höheren Aus-

trittszahlen bei.

12

ten „Elimbewegung“ und dem Bund der offenen Brüder (BfC). Hieraus ging 1941 der Bund

Evangelisch Freikirchlicher Gemeinden hervor, für den 120000 Mitgliedern angegeben wer-

den.49

Die Abnahme der Taufzahlen mahnte zwar zur „Buße, Erneuerung und stärkere[m]

Glaubenseinsatz“. Doch man ging davon aus, dass die negativen Taufzahlen „gewiß gesenkt

werden können“.50

Nach dem Zweiten Weltkrieg äußerte man sich in den Jahrbüchern erstmals 1948 wieder,

allerdings unter „Vorbehalt“, zu den Zahlen des baptistischen Milieus, mit welchen die „all-

gemeine Übersicht“ über „das Bundeswerk“ beginnt. Da „noch immer Rückwanderungen und

Anmeldungen von Flüchtlingen und Rückwanderern“ zu verzeichnen seien, aktualisierten

sich auch permanent die Mitgliederzahlen.51

Doch im Gegensatz zum Rückgang bei den

Taufzahlen und der Stagnation bei der Zahl der Sonntagschüler im „Dritten Reich“, durchlebe

man derzeit eine „Aufwärtsentwicklung“:52

Hocherfreulich ist die Neubelebung in den Gemeinden, die trotz aller Not und allen äußeren Elends zu

erkennen ist. So bezeugten im Jahre 1946 4595 Personen durch die Taufe ihre erlebte Wiedergeburt und

das in Christus empfangene Heil. Diese Zahl ist um wenigstens 70% höher als der Durchschnitt der letz-

ten 10 Jahre. […] Die Zahl der Sonntagschulkinder ist heute schon um etwa 20% größer als vor dem

Kriege, trotz der Schrumpfung der Zahl der Gemeinden, Zweiggemeinden und Mitglieder [durch den

Verlust der Gebiete östlich von Oder und Neiße, in denen ein Drittel der deutschen Baptisten beheima-

tet war]. Eine gute weitere Aufwärtsentwicklung dürfen wir erwarten.

Diese optimistische Einschätzung steigerte sich noch im Jahrbuch 1948 (August):53

Im Jahre 1946 konnten die Gemeinden 4595 Glieder durch die Taufe aufnehmen. Im Jahre 1947 gab

uns der Herr in diesem Stück noch reichere Frucht. In unserer bisherigen Geschichte hatten wir eine

solche Zahl [6280] noch nicht. […] Hocherfreulich sind die Zahlen der Sonntagschüler und der Jugend.

Gemessen an den Zahlen von 1939 haben sie sich verdoppelt.

In der Gemeinde berichtete man erstmals im April 1949 von einem „Fortschritt“ des Bundes-

werkes. „Erfreuliches“ sei passiert, wofür man „Dank“ empfinde.54

Was war passiert? Im

Rahmen der Bundesleitungstagung im März 1949 hatte der Bundesdirektor Paul Schmidt die

Wachstumszahlen des Bundes für das Jahr 1948 bekanntgegeben.55

7456 Taufen stellten bis

dato die höchste Zahl an Taufen in der Geschichte der Baptisten dar.56

Auch das „Jahr 1949

stand wie das Jahr vorher im Zeichen besonderen Gottessegens für unsere gesamte Bundesar-

beit.“ Obwohl die Taufzahlen leicht rückgängig waren, waren sie „aber noch auf der Höhe des

49

Balders, 106ff. Davon kamen aus den Brüdergemeinden des BfC 40.000 und aus der Elimbewegung ca. 5000

Mitglieder. 50

Jahrbuch 1939, 16; Jahrbuch 1940, 19. 51

So seien Anfang des Jahres 1947 79230 Mitglieder festgestellt worden, was im Laufe des Jahres durch die

„Bruderhilfe“ mit einer Zählung von 89285 schon wieder revidiert worden sei. 52

Paul Schmidt und Hugo Hartnack im Oktober 1947, Allgemeine Übersicht, Jahrbuch 1948 (April), 3. 53

Paul Schmidt und Hugo Hartnack, Allgemeine Bemerkungen, Jahrbuch 1948 (August), 38. 54

AdS, in: Die Gemeinde, 15.4.1949, 122. 55

Ebd. 56

Jahrbuch 1949.

13

Jahres 1947.“ So bilanzierte man, dass „die Nachkriegsjahre auf diesem Gebiet für unsere

Bundesgemeinden besonders fruchtbar“ gewesen seien.57

Aus dem Jahrbuch 1952 (Zahlen von 1951) wird erstmals in der Nachkriegszeit eine negative

Perzeption der institutionellen Zahlen ersichtlich. Zwar sei für die Nachkriegszeit insgesamt

„dieselbe Beobachtung zu machen wie nach dem ersten Weltkrieg.“ Doch damals wie heute

sei der Anstieg der Taufzahlen mit zunehmender politischer und wirtschaftlicher Beruhigung

verebbt. „Diese allgemeine Beobachtung“ gelte „auch leider für die Bereitschaft zum Hören

und Annehmen des Evangeliums.“ Denn „sehr schnell nach dem Zusammenbruch ist vieles

vergessen, was wenige Jahre vorher die Herzen der Menschen bewegt hat.“58

Auch im Jahr-

buch 1953 erachtete man die Abnahme der Taufzahlen zwar als bedauerlich, aber nahm sie

noch als normale Entwicklung wahr, die auf quantitatives Wachstum nach Kriegen nun ein

Mal folgt: „Unsere Generation hat nun zweimal diese Erfahrung gemacht.“59

Doch schon im Jahrbuch 1954 (Zahlen 1953) realisierte man, dass die Abnahme der absoluten

Taufzahlen und der Taufziffer allmählich nicht mehr vergleichbar war mit der Situation nach

dem Ersten Weltkrieg und deshalb „größte Aufmerksamkeit sowohl in der DDR wie auch in

der Bundesrepublik und in Berlin“ erfordere. „Die Sprache der Zahlen fordert auf zu beten-

dem Überlegen der Tatbestände und zu völligerem Zeugnisdienst der einzelnen Glieder in

allen Gemeinden. Sicherlich schafft vermehrteres [sic] Einzelzeugnis reichere Frucht.“60

Spä-

testens seit 1954 wurden die statistischen Krisensymptome im deutschen Baptismus ernstge-

nommen, nachdem man sie noch 1953 als natürliche Entwicklung abtat. Bezogen auf die

Taufziffer sah man zwar im Jahrbuch von 1955 den Negativtrend gestoppt. Doch „fast noch

wichtiger ist die Beobachtung der Verhältniszahl der Ausgeschlossenen, Ausgetretenen und

aus dem Mitgliederverzeichnis Gestrichenen zur Taufzahl. Diese Verhältniszahl dürfte für die

Seelsorge von besonderer Bedeutung sein. Sie ist ein starkes Ausrufungszeichen.“ Und auch

die „rückläufigen Zahlen“ in der Sonntagschul- und Jugendarbeit wurden mit großer Sorge

zur Kenntnis genommen.61

Im Jahrbuch 1956 scheint sich der positive Trend von 1955 bei den Taufzahlen zwar zu bestä-

tigen: „Nach 6jährigem Abgleiten der Taufzahlen ist zu unserer Freude im Jahre 1955 eine

leichtes Ansteigen zu verzeichnen.“ Doch die Zahl der Sonntagschüler sei „weiter rückläufig,

57

Unser Bundeswerk im Jahre 1949, Jahrbuch 1949, 129. 58

Jahrbuch 1952. In der Gemeinde, 25.6.1951, 236 verzeichnete man schon 1951 einen Rückgang der Taufzah-

len um „etwa 25 Prozent“. 59

Jahrbuch 1953, 64. 60

Jahrbuch 1954, 67. Hervorhebung des Autors. 61

Jahrbuch 1955, 68. So auch in AdS, in: Die Gemeinde, 17.6.1956, 6f und Die Not der Sonntagschule: zu weite

Wege, in Die Gemeinde, 9.3.1958.

14

und zwar in Westdeutschland wie in Ostdeutschland. Mit verringerten Geburtenzahlen dürfte

die Erklärung dafür nicht mehr zu geben sein. Ob die Liebe und die Hingabe für die Sonntag-

schularbeit nachgelassen haben?“62

Im Jahrbuch 1957 war der leicht positive Trend der bei-

den vergangenen Jahre allerdings schon wieder umgekehrt worden: „Die Zahlenangaben für

das Jahr 1956 stimmen uns zur Besinnung.“ Die Mitgliederzahl wie die der Taufen sank wäh-

rend die Zahl der Ausgeschlossenen und Gestrichenen stieg:63

Auch das will beachtet sein. Die Gemeinde steht mitten in den Gefahren der aufreibenden Kräfte des

überhitzten Tempos und einer beängstigenden Menschenverherrlichung. Sie muß wieder mehr lernen

gegen den Strom zu schwimmen und göttliche Maßstäbe gelten zu lassen. […] Haben wir acht auf die

Sprache der Zahlen.

Dieser Negativtrend forciert sich nochmals im Jahr 1956 – ebenso seine Perzeption im Jahr-

buch 1957/58:64

Die Zahl der Taufen hat sich noch einmal schmerzlich verringert, […]. Am schmerzlichsten berührt uns

die sinkende Taufziffer. Ist die missionarische Kraft und Lebensfülle der Gemeinden so viel schwächer

geworden, daß nur 37 Prozent der guten Taufzahl des Jahres 1948 erreicht werden konnte und nur 2,82

Prozent der Mitglieder von heute? Zahlen bleiben Zahlen. Wir sehen auch nur was vor Augen ist; aber

Merkzeichen sind die Zahlen doch.

Zwar nicht in den Jahrbüchern, doch in der Gemeinde wird 1957 erstmals der Versuch unter-

nommen sich von den Zahlen zu emanzipieren: „Natürlich geben Zahlen kein zuverlässiges

Bild“ für den Erfolg und Misserfolg des Bundes; „den echten Ertrag unserer Arbeit für ihn

sieht allein der Herr.“65

Diese Emanzipationsversuche wurden in der Gemeinde bis zum Ende

des Bearbeitungszeitraums dieser Arbeit fortgeführt.66

Im Jahrbuch 1958/59 werden letztma-

lig für den Bearbeitungszeitraum statistische Erhebungen kommentiert. Gefragt wird nach den

Ursachen für den Negativtrend seit Anfang der 1950er Jahre:67

Mögen wir auch einige gute Gründe dafür nennen können, die Frage nach der entscheidenden Ursache

ist damit nicht beantwortet. Sie bleibt weiterhin für uns offen. Sollte die Antwort bei der verringerten

Zeugnisfreude und Zeugniskraft der einzelnen nicht doch zu suchen sein? Nichts kann voll den Zeug-

nisdienst des einzelnen Christen ersetzen. Wenden wir ruhig den Blick von den Zahlen weg, aber wen-

den wir ihn stärker zum Herrn mit der Bitte: Herr, hilf mir, dir wenigstens einen Jünger zuzuführen.

Die Verantwortung für das Ende der Erfolgsgeschichte um 1950 wird vermutet bei den Indi-

viduen und ihrer „verringerten Zeugnisfreude“.

Wohl um die Misserfolgsgeschichte seit Anfang der 1950er Jahre nicht weiter zu betonen,

werden die Indices wie Taufzahl, Taufziffer, Zahl der Sonntagschüler, Zahl der Austritte,

Streichungen und Ausschlüsse68

seit dem Jahrbuch 1959/60 nicht mehr direkt kommentiert.

62

Jahrbuch 1956, 70. 63

Jahrbuch 1957, 72. Hervorhebung des Autors. 64

Jahrbuch 1957/58, 74. Hervorhebung des Autors. 65

AdS, in: Die Gemeinde, 4.8.1957, 6. 66

AdS, in: Die Gemeinde 33, 1960, 10f.; Vom Schriftleiter. Was uns das neue Jahrbuch des Bundes bedeutet, in:

Die Gemeinde 34, 1965, 10f ; Die Gemeinde 31, 1966, 10. 67

Jahrbuch 1958/59. Hervorhebung des Autors. 68

Vgl. 8. Appendix, Diagramm 2-5.

15

Diese von den Baptisten spätestens seit 1954 bewusst wahrgenommenen Indikatoren deuten

auf eine vor allem zunehmend quantitative Erosion des freikirchlichen Milieus der Baptisten

hin. Hier wird besonders deutlich, warum bisher ein so großes Augenmerk auf die Zahlen in

den Jahrbüchern gelegt wurde: Sie dokumentierten über jeden Zweifel erhaben die (fast) line-

are Erfolgsgeschichte der Baptisten bis 1950, die bis dato auch die Grundlage der Konstrukti-

onen positiver baptistischer Identität war.

In den Jahrbüchern der Baptisten, die primär für die Mitglieder des Bundes geschrieben wur-

den, werden die Zahlen des Bundes nicht nur erfasst, sondern auch kommentiert. In der vo-

rangegangenen Analyse konnte so verdeutlicht werden, dass a) die von den Baptisten erfass-

ten Daten nicht nur nach außen, sondern auch nach innen wirken sollten – von der Bundes-

ebene auf die Ebene der Ortsgemeinden, in die Köpfe der Gemeindeglieder; b) Zahlen in den

Jahrbüchern als Seismograph für den ‚Segen Gottes‘ im Bund der Baptisten verwandt wurden

und damit für die Baptisten eine unermessliche Relevanz auch für ihre Identitätskonstrukti-

onsprozesse besaßen; c) dass a) und b) nicht nur ein Phänomen der Nachkriegszeit waren,

sondern eine langjährige Tradition hatten.

Die Baptisten verstanden sich als Zuwachskirche. Damit war die sogenannte

„Gläubigentaufe“, das zugleich signifikanteste Alleinstellungsmerkmal der Baptisten, dass

sich sogar in ihrem Namen widerspiegelt, bei der Erfassung von Daten die wohl zentrale Ka-

tegorie. Die Anfang der 1950er Jahre einsetzenden Negativtrends in den Kirchlichkeitsindices

der Baptisten, vor allem bei den Taufzahlen, wurden zunächst als normale Entwicklungen

verortet, allerdings ab 1954 als handfeste Krisensymptome gedeutet. Doch hatte man zunächst

noch Hoffnung auf eine Trendwende. Bezogen auf einen leichten Zuwachs der Taufzahlen in

den Jahren 1954 und 1955 schien diese in der Wahrnehmung der Baptisten auch eingesetzt zu

haben. Nichtsdestotrotz forcierte sich der Negativtrend schon 1956 wieder, was auch das

schon im Jahrbuch von 1954 dokumentierte Krisenbewusstsein im Jahrbuch 1957 wieder her-

vorrief; das Krisensymptom einer einbrechenden Sonntagschularbeit war allerdings in der

Perzeption der Quantifizierungen in den Jahrbüchern nie verschwunden. Letztmalig kommen-

tierte man im Jahrbuch 1958/59 die Zahlen der Baptisten.

Doch schließlich sah man ein, dass aus der Erfolgsgeschichte bis Anfang der 1950er Jahre

nunmehr eine Misserfolgsgeschichte geworden war, die nicht noch der Verstärkung bedurfte.

Zahlen hatten wohl für die Baptisten nicht ihre Bedeutung verloren. Man versuchte sich aller-

16

dings seit 1957 von ihnen zu emanzipieren.69

Zu diesem Zweck wurden Quantifizierungen bei

baptistischen Identitätskonstruktionsprozessen nunmehr relativiert oder verdrängt; vor allem,

um weiterhin – oder: wieder – positive Selbstbilder generieren zu können. Doch damit

schwand auch ein entscheidender Baustein für die Konstruktion eines positiven baptistischen

Kollektivsubjekts, was bis Anfang der 1950er entscheidend auf den Realitätseffekten basierte,

die aus der Quantifizierung der Baptisten und ihrer Perzeption resultierten. Die besagten

Emanzipationsversuche seit 1957, die bis zum Ende des Untersuchungszeitraums anhielten,

unterstreichen jedoch unzweideutig, dass baptistische Quantifizierungen nach wie vor auch in

den 1960er Jahren die „inneren Rationalitätskriterien“ im BEFG widerspiegelten und ihre

Bedeutung für die Selbstverortung innerhalb des Baptismus nicht verloren hatten. Im folgen-

den Kapitel werden exemplarisch die Bundesrats- und Bundeskonferenzprotokolle unter dem

Aspekt der Krisenwahrnehmung untersucht.

3. Die „Verweltlichung der Jünger Jesu“ – Identität in der Krise

Die Exekutive des BEFG besteht in der Nachkriegszeit aus Bundesleitung und Bundeshaus

samt Bundesdirektor. Der Bundesrat besteht aus Vertretern aller Gemeinden des Bundes und

findet traditionell im Rahmen der Bundeskonferenzen statt, die von 1951 bis 1960 alle drei

Jahre und schließlich jährlich stattfanden. Bundesleitung und Bundeshaus erstatteten dem

Bundesrat zu seinen Beratungen Bericht.70

Über die Beratungen des Bundesrates wurde dann

mit einiger Verzögerung wiederum ein Bericht für die Gemeinden verfasst.71

Auch über die

Bundeskonferenzen entstanden Berichtshefte, die nur für Gemeindemitglieder bestimmt wa-

ren. In absteigender Reihenfolge kann man so die Quellen in ihrem intendierten Maß an Öf-

fentlichkeit klassifizieren: Die Gemeinde, Bundeskonferenzberichte, Bundesratsberichte, Be-

richte der Bundesleitung an den Bundesrat. Je exklusiver die Quellen bezogen auf ihre inten-

dierte Öffentlichkeit sind, desto offener konnte in der Regel in ihnen geschrieben werden. Wie

verorteten sich daher Baptisten im vertraulicheren Rahmen des Bundesrates und der Bundes-

konferenz?

69

Auch Ziemanns erstes Argument, das der wenig akkuraten Daten, dass er mit „Wunschdenken“ erklärt, macht

bezogen auf den deutschen Baptismus demnach kaum Sinn. Denn die Datenerhebungen der Baptisten seit den

1950er Jahren entsprachen allem anderen, aber nicht ihrem „Wunschdenken“ (Ziemann, 137). Darüber hinaus

kann man für den Baptismus nicht wie Ziemann für den Katholizismus (132) von einer intendierten Prestigeer-

weiterung derer, die diese Daten erheben, durch das Aufbessern der Daten sprechen. Denn die baptistischen

Ortsgemeinden waren und sind in kongregationalistischer Manier autonom. Datenmanipulation in Baptistenge-

meinden ist weiterhin eher unwahrscheinlich, da es nur Klassifikationen der Datenerhebung gab und gibt, die

auch namentlich erfasst werden. Somit wurde nicht nur an einigen Zählsonntagen im Jahr ihre Prozentzahl ano-

nym gemessen und dann gemittelt wie im Fall der Katholischen Kirche. So kann man davon ausgehen, dass die

Zahlen für den Baptismus relativ verlässlich sind. 70

Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat 1949. 71

Bundesratstagungsbericht 1947.

17

In Berichten über Bundesratstagungen und Bundeskonferenzen in der Nachkriegszeit benutzte

man mitunter eine blumige, mit positiven Attributen überfrachtete Sprache. Einer der ersten

Berichte der Nachkriegszeit über die Bundesratstagung in Düsseldorf 1947 ist dafür exempla-

risch.72

Er wurde ein gutes halbes Jahr nach der Bundesratstagung veröffentlicht – viel Zeit

also, um sich als Verfasser seine Formulierungen genau zu überlegen und sie der Absicht, die

mit der Publikation verfolgt werden sollte, anzupassen. Die „Hingabe“ in Düsseldorf sei „

offensichtlich“ gewesen, die „brüderliche Liebe war herzlich, die ‚Gemeinschaft des Geistes‘“

sei „vertieft und gefestigt worden.“ „In ernster Beratung fanden die Abgeordneten zusammen

und im glücklichen Sichfinden und Einswerden klang diese harmonische Tagung aus“. Sie sei

geprägt gewesen von „brüderlicher Eintracht“, in der „die für eine gedeihliche Fortentwick-

lung unserer Bundesgemeinschaft notwendigen Beschlüsse gefaßt“ worden seien.

Die schon charakterisierte Sprache täuschte damit über handfeste Konflikte hinweg, die es vor

allem zwischen den deutschen Baptisten und der Brüderbewegung gab; wohl auch auf dieser

Tagung in Düsseldorf, die Kontaktmöglichkeiten und Raum schuf für Auseinandersetzun-

gen.73

Doch eine solche Semantik wurde aus noch einem weiteren Grund angewandt. Eindeu-

tig verortet der Verfasser des Berichts das Schicksal in den Wirren und der Unbestimmtheit

der Nachkriegszeit teleologisch. Die Baptisten sind demnach Teil der Heilsgeschichte, die

„der Herr der Gemeinde“ mit den „Seinen“ trotz aller „nachtdunklen Umschattungen“ und

„‚durch Täler und über Höhen‘ zum Ziel ihrer himmlischen Vollendung bringen wird.“ Es

scheint so als wolle, ja müsse die Führung der Baptisten auf Bundesebene auch starke Füh-

rung für die Glieder der Ortsgemeinde sein und vorgeben, deren Identitäten sich noch im

Niemandsland der Nachkriegszeit befanden, einer Art „Schützengraben“ der Ungewissheit.

Schließlich konzedierte man noch zunehmenden Konfessionalismus und eine leichte Verbes-

serung der internationalen Kontakte.74

Vor allem in der Rubrik „Fragen der Statistik“ verbrei-

tete man großen Optimismus: „Die Taufzahlen des Jahres 1946 seien „70% höher als der

Durchschnitt der letzten 10 Jahre.“75

In diesem Kontext bedauerte man jedoch, dass „es noch

nicht gelungen“ sei, „die Zeltmission zum Anlaufen zu bringen“.76

72

Ebd. 73

Dabei ging es primär darum, ob die Brüder die sich 1942 unter Druck des NS-Regimes mit den Baptisten

zusammenschlossen, nicht doch wieder den BEFG verlassen sollten, was auch viele aber nicht alle Gemeinden

nach und nach taten. 74

Ebd. 10. 75

Ebd. 11. 76

Ebd. 10. Die Zeltmission war für den deutschen Baptismus der Nachkriegszeit die wesentliche Evangelisati-

onsmethode.

18

Zwei Jahre später schien sich die Identität der Baptisten gefestigt zu haben. Die Sprache ist

wesentlich nüchterner, sachlicher verfasst. Aus dem Bericht der Bundesleitung und des Bun-

deshauses an den Bundesrat zur Tagung des Bundesrates in Kassel 1949, einem für eine ex-

klusivere Öffentlichkeit bestimmten und daher wohl auch vertraulicherem Dokument, geht

hervor, dass man sich neben wachsender Ökumene und trotz eines starken Konfessionalismus

in einer „Periode besonderer missionarischer Fruchtbarkeit“ befände, deren quantitative Ve-

rmessung dezidiert vorgestellt wird.77

Wiederum zeigt sich: positive Selbstbilder der Baptis-

ten sind gekoppelt an missionarische Erfolge, die mit Statistik dokumentiert werden. Zu den

außergewöhnlichen Erfolgszahlen des Jahres 1948 hat wohl auch entscheidend die Zeltmissi-

on beigetragen, die 1947 noch schmerzlich vermisst wurde. Schon 1951 fragte man sich, ob

man „von einer Rückläufigkeit der Zeltmission sprechen“ könne – zunächst im vertrauliche-

ren Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat78

und dann, einige

Zeit später, im öffentlicheren, da für alle Gemeindemitglieder erstellten Bericht über die Bun-

deskonferenz in Dortmund.79

Hier wird auch noch mal unterstrichen, was weiter oben schon

angedeutet wurde: 1947 in Düsseldorf gab es de facto Streitigkeiten, die mit der angewandten

Semantik bloß überspielt werden sollten. So konstatiert man nämlich in Dortmund, dass „die

unter uns in den letzten Jahren aufgebrochene Vertrauensstörung […] in guter, brüderlicher

Weise überwunden werden“ konnten.80

Eine Gefahr schien gebannt, eine andere bahnte sich jedoch an. Schon in Dortmund 1951 war

eine deutliche Säkularisierungswahrnehmung erkennbar:81

„Die Echtheit und Kraft unserer

Gemeinschaft werden gegenwärtig auf eine harte Probe gestellt. Neben kostbaren Beweisen

der selbstlosen, christlichen Gesinnung wuchern in unserer Zeit Ichsucht und Rücksichtslo-

sigkeit und bedrohen auch unseren Zusammenhalt.“ So könne man „als echte christliche Ge-

meinschaft […] nur bestehen, wenn wir unsere irdischen Sorgen dem Trachten nach dem

Reich Gottes unterordnen.“82

Auch die Bundesleitung sah sich „besonderen Belastungsproben

ausgesetzt.“ Doch es sei „dem Satan nicht“ gelungen, „uns auseinander zu reißen.“83

Säkulari-

sierung wurde als massive Bedrohung wahrgenommen, als eine Kraft, die eine homogene

baptistische Identität schon 1951 unterwandert. Konfessionalismus thematisierte man nicht

77

Ebd. 11. 78

Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat 1951 79

Bundeskonferenzbericht 1951 80

Ebd., 4. 81

Zwar ging es schon bei der Bundesratstagung in Düsseldorf 1947 auch um die „Gemeinde Jesu“ und „ihre

Beziehung zur Umwelt“. Doch war dies nicht vielmehr als eine theologische Vergewisserung in pietistischer

Tradition – man sei als „Gemeinde Gottes“ zwar „in der Welt“, aber nicht „von der Welt“ – als ernstzunehmende

Angst vor Säkularisierung. 82

Ebd, 13. 83

Ebd.

19

mehr. Vielmehr wurde davon berichtet, wie sogar landeskirchliche Bischöfe die Verkündi-

gung in der Zeltmission übernahmen, bei der auch „die Tauffrage aus Liebe zu den Geschwis-

tern aus der Kirche zurückgestellt“ worden sei.84

Das Jahr 1954 markiert einen gravierenden Umbruch. Schon im Bericht der Bundesleitung an

den Bundesrat, also vor der Bundeskonferenz in Hamburg 1954, wird von „Schwierigkeiten

mannigfacher Art“ berichtet. Diese „erschweren unsere Missions- und Gemeindetätigkeit“.85

Demnach waren alle Zahlen, die der Taufen, der Sonntagschüler etc. rückläufig, mit Ausnah-

me der Anzahl der Studenten am Predigerseminar in Hamburg, was auf eine zunehmende

Professionalisierung und Institutionalisierung im Baptismus schließen lässt.86

Finanziell war

man noch abhängig „von der Hilfe unserer Geschwister im Ausland“.87

Vornehmlich ameri-

kanische Baptisten waren es, die beispielsweise ein Drittel der Finanzierung des neuen Ver-

lagshauses des Oncken Verlags übernahmen.88

Hier wird noch ein weiteres Indiz der Institu-

tionalisierung angedeutet: architektonische Konsolidierung.89

Zunehmende Investitionen in

Stein und Stahl gingen einher mit abnehmenden Investitionen in Menschen – zumindest jener

evangelistischer Art. So wurde im Bericht der Bundesleitung an den Bundesrat auch die Ent-

wicklung der Zeltmission seit 1950 skizziert. Die Besucherzahl habe sich kontinuierlich von

einer Million im Jahr 1950 auf knapp eine halbe Million im Jahr 1953 halbiert.90

Auch die

Sonntagschularbeit ist von der quantitativen Rezession des baptistischen Milieus nicht ver-

schont geblieben.91

Eine zunehmende Dichotomisierung zwischen „der Welt“ außerhalb und

„der Gemeinde“ innerhalb der schützenden Mauern von Kapellen wird plakativ im Jahresmot-

to der Sonntagschularbeit von 1953/54 ausgedrückt: „‚Draußen sind Kinder – Holt sie her-

ein.‘“

Die Themen für die Vorträge der Bundeskonferenz waren im Bericht der Bundesleitung an

den Bundesrat schon festgelegt: „Montag: Ist unter uns wirklich Bereitschaft zum Dienst vor

Gott?“, „Dienstag: Ist unter uns wirklich Gestaltung des Lebens nach dem Wort der Schrift?“,

„Mittwoch: Ist unter uns wirklich Vollmacht zum Zeugnis im Auftrage Christi?“92

Drei rheto-

rische Fragen, dreimal lautet die von der Realität in vielen Gemeinden ableitbare Antwort

84

Ebd., 64. 85

Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat 1954, 3 86

Ebd., 17. 87

Ebd., 43. 88

Ebd., 23. 89

Ebd., 55. „Der Bau des geistlichen Hauses soll auch in der Zukunft unser Hauptanliegen bleiben.“ 90

Ebd., 63. 91

Vgl. auch 7. Appendix, Diagramm 5. 92

Ebd., 5-7.

20

nein. Die Identitätskrise des Baptismus war zu offensichtlich und äußerte sich in den Vorträ-

gen auf der Bundeskonferenz 1954.

In der Nachkriegszeit standen die baptistischen Ortsgemeinden mit dem Bund in einem Span-

nungsverhältnis. Es ging zum Einen um Verfassungsfragen. Zum Anderen spielten allerdings

bis 1952 auch die aus der Sicht des Bundes zu geringen Geldeingänge von den Ortsgemein-

den eine Rolle.93

Ferner kam es vermehrt zu Spannungen auf Ebene der Ortsgemeinden, über

die in der Gemeinde seit Anfang der 1950er Jahre berichtet wurde. So gäbe es vermehrt „Un-

pünktlichkeit“ und daraus entstehende „Unruhe“ bei Gottesdiensten,94

teilweise sehr geringen

Gottesdienstbesuch,95

inaktive Gemeindeglieder,96

einen Mangel an „seelsorgerliche[n] Men-

schen, die zu Christus führen können“,97

generell „mangelnde Kraft zum Dienst und Zeugnis

und fehlenden Ernst in der Heiligung“,98

weniger Engagement der Jugend99

und schließlich

die Gefahr der „Verkirchlichung“, die einherginge mit mangelnder Sehnsucht nach „Erwe-

ckung“.100

Daher war man sich in der Gemeinde bewusst, dass „ernste Fragen auf der Konfe-

renz“ aufkommen würden bzgl. der „Müdigkeit“, die „die Gemeinde Jesu bedroht“ und „da

Lauheit und Weltsinn mancher Gemeindeglieder das Voranschreiten hemmen.“101

Im ersten Vortrag von Georg Würfel auf der Bundeskonferenz von 1954 wird der BEFG als

„Organismus“ beschrieben, in dem sich „immer noch starke und gesunde Lebensäußerungen“

fänden:102

Und doch! Wir haben Sorgen! Wir spüren den geistlichen Substanzverlust! Das Genußleben nimmt zu!

Die satte Selbstgenügsamkeit macht sich breit! Die willige Bereitschaft zum rückhaltlosen Dienst ist im

Schwinden begriffen. Dazu wirft auch die Statistik grelles Licht auf unsere Lage. Zwei Zahlenreihen

beunruhigen uns. Einmal die Streichungen und Ausschlüsse. Sie zeugen von so vielem erstorbenen und

erfrorenen Leben, von Gleichgültigkeit und VERWELTLICHUNG, aber auch von großen Sündenfäl-

len, ja vom Verharren in schwerer Sünde. Dann die Zahlen der Neugetauften. Diese Zahlen liegen

anormal niedrig. Kaum, daß sie den Abgang auszugleichen vermögen.

Wieder ein Mal zeigt sich: Selbstverortung im Baptismus, die Perzeption von Erfolg und

Misserfolg, war eng an Zahlen geknüpft. Die Baptisten sehen sich in der Krise, spüren „den

geistlichen Substanzverlust“, da die Taufzahlen sänken und die Zahl derer, die gestrichen und

93

AdS, in: Die Gemeinde, 15.11.1949, 348; AdS, in: Die Gemeinde, 1.1.1951, 12; Aus der Bundesleitung, in:

Die Gemeinde, 15.7.1951, 236. Nach AdS, in: Die Gemeinde, 25.1.53, 28 konnte der „Haushaltsplan“ des Bun-

des erstmals in der Nachkriegszeit 1952 erfüllt werden. 94

AdS, in: Die Gemeinde, 15.10.1949, 314; AdS, in: Die Gemeinde 9.9.1951, 299; AdS, in: Die Gemeinde,

28.6.1953, 204. 95

AdS, in: Die Gemeinde, 27.7.1952, 235. 96

AdS, in: Die Gemeinde, 9.9.1951, 298f; AdS, in: Die Gemeinde 22.8.1954, 267. 97

AdS, in: Die Gemeinde, 9.3.1952, 75. 98

AdS, in: Die Gemeinde, 27.7.1952, 235; AdS, in: Die Gemeinde, 16.5.1954, 156. 99

AdS, in: Die Gemeinde, 16.5.1954, 156. 100

AdS, in: Die Gemeinde, 24.8.52, 267; AdS, in: Die Gemeinde, 8.3.1953. 101

AdS, in: Die Gemeinde, 8.8.1954. 102

Georg Würfel, Ist unter uns wirklich Bereitschaft im Geist zum Dienst vor Gott? in: Vorträge zur Bundeskon-

ferenz Evang.-Freikirchlicher Gemeinden 1954 in Hamburg, 3-18, 4 & Zitat 5f.

21

ausgeschlossen würden, stiegen.103

Das schreibt man Tendenzen von „VERWELTLI-

CHUNG“ und, als Resultat, „großen Sündenfällen“ zu. Würfel fragt daher, ob „Unpünktlich-

keit, Trägheit, Schläfrigkeit, Sattheit, falsche Sicherheit, Selbstzufriedenheit, Geschwätzigkeit

aus unseren Gottesdiensten verbannt“ seien.104

Ebenso kennzeichneten „schwache Bibelstun-

den“ sowohl „in der Wortdarbietung“ wie „im Besuch“ das Gemeindeleben. Sie seien „wie

die matten und stockenden Pulsschläge eines kreislaufgestörten Menschen“. Auch „die Ge-

betsversammlungen“ stünden sowohl bezogen auf „ihre Besucherzahl“ wie auch „ihre Glau-

benskraft […] weithin in einem umgekehrten Verhältnis zu den Vorbildern des Neuen Tes-

taments“. Bzgl. der „Gemeindezucht“ sei „zu befürchten“, so Würfel weiter, dass die im Jahr-

buch verzeichneten Streichungs- und Ausschlussziffern „nur die äußersten Fälle sind.“ Denn,

so fragt er, „nimmt bei offenbaren Sünden das Bekennen der Schuld vor der Gemeinde, das

Ermahnen oder Strafen vor allen, auf daß die andern sich vor der Sünden fürchten lernen, den

ihm gebührenden Raum ein?“

Ebenso stände es auch nicht gut um die „Seelsorge“ und die „missionarische Einsatzfreudig-

keit“ – vornehmlich der großen Gemeinden. Dabei differenziert er auch zwischen „neuge-

wonnenen Glieder(n)“, welche „zumeist auch die eifrigsten Träger missionarischer Aktionen“

seien, „während andere sich nicht selten lieber der Pflege des Organisatorischen, des Traditi-

onellen, des Kultischen und Schöngeistigen wie auch des Gesellschaftlichen zuwenden.“

Wehmütig wagt Würfel daher die historische Rückschau: „Es gab in unserer Bewegung ein-

mal eine Zeit, da konnte ganz ehrlich bekannt werden: Jeder Baptist ein Missionar! Aber das

ist wohl schon lange her.“ Auch Endzeithoffnungen hätten abgenommen unter den Baptisten.

Doch dieses „sehnsüchtige Warten auf die baldige Wiederkunft unseres Herrn“, sei doch ge-

rade ein Kitt der Zusammenhalt schaffe, der „uns klein das Kleine und Vergängliche, groß

aber das bleibende Große“ mache. Eschatologische Erwartung sei der Motor, „ein mächtiger

Antrieb zur Bereitschaft im Geist und zum Dienst vor Gott“.105

Analog zur wirtschaftlichen Erholung nach dem Zweiten Weltkrieg schien der106

Baptismus

in Deutschland in die Krise zu geraten, die sich nach Gründung der Bundesrepublik und im

103

Vgl. 7. Appendix, Diagramm 5 wird allerdings ersichtlich, dass man die Bedeutung der Ausschlüsse wohl

überschätzte. Vielmehr waren es Streichungen, wohl der sich zunehmend von der Gemeinde entfremdenden

Glieder, die die 1950er Jahre prägten. 104

Würfel, Vorträge, 6ff. 105

Würfel, Vorträge, 6-10. 106

Die durch Artikel wie der (Baptismus) repräsentierte Homogenität des Baptismus wird hier als Konstruktion

verstanden. Der Konstruktcharakter der kollektiven Subjektivierung des Baptismus wird mit zunehmenden Kri-

senbewusstsein unter den Baptisten in den 1950er Jahren und dem damit in einer reziproken Beziehung stehen-

den Wandel der Selbstwahrnehmung immer offensichtlicher. Die Metamorphose der Selbstwahrnehmung er-

möglicht den Übergang vom Kollektivsubjekt Baptismus zu einer Art Pluralismus im Baptismus, zu Baptismen.

22

Zuge wirtschaftlicher Erholung nach 1949 kontinuierlich forcierte. Allmählich ist nicht mehr

„die Kirche“, sondern „die Welt“ ‚das Andere‘ und dabei weitaus gefährlicher: nichts anderes

skizziert Würfel in seinem Vortrag, „die Welt“ infiltriere „die Gemeinde“. Plötzlich werden

pejorative Selbstbilder konstruiert. Selbstbilder scheinen mit Fremdbildern zu verschmelzen.

Das baptistische Selbstbild scheint hier alles andere als homogen. Würfel repräsentiert den

deutschen Baptismus als „Organismus“ mit einer Identitätsstörung. Der eine „Organismus“

scheint mit sich selbst zu ringen: auf der einen Seite „starke und gesunde Lebensäußerungen“,

auf der anderen Seite offensichtliche „Sünde“ und „VERWELTLICHUNG“. Säkularisierung

wird repräsentiert als eine Art Krankheit, die „die Gemeinde“ erfasst und zu Dissoziationsten-

denzen führt.

Der zweite Vortrag geht noch einen Schritt weiter in der Abgrenzung „der Gemeinde“ und

„der Welt“ und wird konkreter bezogen auf das Verständnis von Welt das man als Baptist

haben konnte.107

„Die Gemeinde Jesu“, so Herbert Gudjons, „hat ihren Standort mitten in

einer dämonisierten Kultur, einem Diesseitsrausch ohnegleichen, mitten in Widerständen und

Versuchungen.“ Daher müssten sich die Gemeindemitglieder „bewähren“. Denn „bei einer

geschichtlichen Bewegung, wie sie das deutsche Freikirchentum und in ihm die taufgesinnten

Gemeinden“ darstellten, käme „es nicht darauf an, wie alt oder jung, groß oder klein sie ist,

sondern welchen Wahrheitsgehalt sie in sich birgt, welche formenden Kräfte von ihr ausge-

hen, vor allem, welche bleibende Frucht sie wirkt.“108

„Ein einheitliches Bild der Lage in un-

seren Gemeinden zu zeichnen“ sei kaum möglich – ein Eingeständnis des Konstruktionscha-

rakters des Bundes bzw. ein Indiz für die Erosion des baptistischen Milieus. Es gäbe zwar

Ausnahmen, doch die „Not“ sei vordergründig.109

Das untermauert Gudjohns zum einen, ähn-

lich wie Würfel, wiederum „statistisch“: „Die Gruppe der Ausgeschlossenen, Gestrichenen

und Ausgetretenen macht in den letzten Jahren im Durchschnitt 50-55% der in denselben

Zeiträumen Getauften aus! Das Normale müsste sein, daß eine Gemeinde im Jahr um die Zahl

der Bekehrten, der Neugetauften, wächst.“ Die Ursache sieht er dabei vornehmlich in man-

gelnder „Gemeinschaft“, aber auch in einer zu laxen „Aufnahmepraxis“ und mangelnder

„brüderlicher Kritik“.110

107

Herbert Gudjons, Ist unter uns wirklich Gestaltung des Lebens nach dem Wort der Schrift? in: Vorträge zur

Bundeskonferenz Evang.-Freikirchlicher Gemeinden 1954 in Hamburg, 19- 45. 108

Ebd. 19. 109

Ebd. 20. 110

Ebd. 20f.

23

Im Folgenden schematisiert Gudjohns die Mitglieder der Baptistengemeinden in drei von ihm

sogenannten „Lebensräumen“:111

a) In der Mitte ein Kern von aktiven, echten, fruchtbringenden Menschen; b) um diese Mitte herum ein

Kreis politischer Glieder, die die Versammlungen besuchen, Beiträge bezahlen und ihr eigenes Glau-

bensleben führen, bei denen man aber nicht mehr von Gemeindeaktivität reden kann; c) um diesen

Raum herum die Gruppe der Randleute, die alle getauft sind und zur Gemeinde gehören, aber nicht

mehr viel oder gar kein eigenes geistliches Leben mehr haben.

Vor allem „diese Randleute“ verursachten „Schwierigkeiten“, da sie sich geistlich seit der

Taufe nicht entwickelt hätten. „Je größer die Gemeinde zahlenmäßig ist, um so größer ist der

Rand. Er wächst beinahe in einer gesetzmäßigen Reihe!“ Es sei daher offensichtlich:112

Wir erfassen unsere Leute nicht mehr! Manche Gemeinde ist auch viel zu groß. Die verderbliche Jagd

nach der Zahl hat etliche von uns ergriffen. So haben wir in unseren Gemeinden ein ganzes Heer von

denen, die verwelkt sind und untergehen. Wir haben im Allgemeinen nicht die geistliche Kraft, die

Randleute zurückzugewinnen.

Auch Gudjohns spricht von einem „Substanzverlust“, vor allem da „unsere Predigt weithin

Verstandespredigt geworden ist“.113

Mit „Verstandespredigt“ spielt Gudjohns auf die Predig-

ten in den evangelischen Landeskirchen an.114

Mit anderen Worten konzediert er eine Art

Verkirchlichung des Baptismus. Das muss als besonders schlimmes Krisensymptom gewertet

werden, denn von den Landeskirchen hatte man sich doch immer auch und gerade wegen der

„Verstandespredigt“ abgegrenzt, die als Speerspitze des das kirchliche Leben infiltrierenden

Rationalismus gedeutet wurde. Baptismus in Deutschland war im 19. Jahrhundert erst in Ab-

grenzung gegen den die Kirche erfassenden Rationalismus entstanden.115

Nun würde der Ra-

tionalismus also auch Baptistengemeinden infiltrieren und ihre Verkündigung ‚verwässern‘.

Man könnte logisch folgern: Baptismus macht sich selbst überflüssig oder schafft sich ab.

Die Identitätskrise der Baptisten ist eine Sinnkrise, ein Zweifeln an der eigenen Relevanz.

Nach einer Bestandsanalyse des BEFG skizziert Gudjohns nun ‚das Andere‘, „die Welt“ und

erörtert die Haupteinbruchsstellen des Weltgeistes in unsere Gemeinden heute“.116

Da ist zu-

nächst „der heutige Film“ – nicht der Film an sich – als „eine grelle Demonstration des Zer-

falls und der Dämonisierung.“ Aufgezählt werden die „Untaten“ in den Filmen des vergange-

nen Jahres. Sie enthielten demnach „360 Morde, 84 Selbstmorde, 34 Meineide, 167 Diebstäh-

le, 236 Ehebrüche, 85 Brandstiftungen, 48 Spionageakte, 98 bewaffnete Einbrüche, 37 Aus-

brüche aus dem Gefängnis usw.“ „9 von 10 Filmen spiegeln uns eine Welt vor, die aus Genuß

111

Ebd. 22ff. 112

Ebd. 113

Ebd. 114

In der traditionellen Abgrenzung der Baptisten als „Gemeinde“ von „der Kirche“ war die „Verstandespre-

digt“, neben beispielsweise der „Kindertaufe“ eine entscheidende Kategorie. 115

Balders, 17. 116

Gudjons, Vorträge, 25.

24

und Vergnügen besteht: Autofahren, Sekttrinken, Zigarettenrauchen und Flirten sind die

Hauptbetätigungen der Filmgötter.“ Doch „Entartung und Dämonisierung“ träten „aber an

keiner Stelle so kraß in Erscheinung wie in der Verherrlichung des Sexuellen. Die Schamlo-

sigkeit ist immer ein Kennzeichen des Dämonischen.“117

Das hätte auch Einfluss darauf, „wie

leichtfertig und gedankenlos Verlobungen und Ehen unter uns geschlossen werden und wie

unwürdig sie wieder auseinandergehen.“ Denn der Film sei „ein dämonischer Miterzieher

unter uns geworden.“118

Des Weiteren gäbe es „einen umfassenden Abbau des Respektes.“119

Damit ist vor allem „ei-

ne gesunde Hierarchie in den Familien“ gemeint, an der es mangele:

Die Neuwerdung der christlichen Familie fängt bei der Erweckung der Frauen an! Sie müssen durch ih-

re Haltung, ihren Wandel, ihre geistliche und sittliche Erneuerung die Familie neu schaffen. Dadurch

wird die Gemeinde neu. […] Ihr Männer und Väter aber seid und bleibt verantwortlich als Hauspriester

für den Hausaltar. Daran ändert auch ein neues Gesetz nichts.

Damit spielt Gudjohns auf die in den 1950er Jahren die bundesrepublikanische Öffentlichkeit

bewegende Debatte um die Gleichberechtigung von Mann und Frau an, die im Grundgesetz in

Artikel 117 gefordert und bis 1957 auch durchgesetzt wurde, wogegen sich aber die Regie-

rung Adenauer im Bündnis mit den Kirchen zunächst stemmte.120

Für Gudjohns ist die wahre

Rollenverteilung aber durch die Bibel vorgegeben. Gerade die Ehe sieht er in Gefahr nicht nur

durch den Film, sondern auch durch ‚Mischehen‘. Denn „aus schwerwiegenden inneren

Gründen ist eben die Ehe mit einem Ungläubigen nicht möglich“.121

Gerade die „Randleute“

lebten oft in Ehen „mit einem Ungläubigen“. Durch solche Ehen werde jedoch „die Gemeinde

im Innern zersetzt und dadurch kraftlos.“122

Indem Gudjohns eine Ehe zwischen einem christlichen (baptistischen) Partner und einer säku-

laren Partnerin (und umgekehrt) ächtet, übernimmt er das Konzept einer weltanschaulich ho-

mogenen Ehe, die im freikirchlichen Milieu zumindest im Bearbeitungszeitraum erwünscht

war und zumeist wohl auch heute noch erwünscht ist. Unerwünscht waren demnach „Misch-

ehen“.123

Dieser Terminus wird eigentlich für eine Ehe verwandt, die zwischen zwei Partnern

unterschiedlicher Konfession geschlossen wird bzw. wurde.124

Dass allerdings Gudjohns nicht

117

Ebd. 26. 118

Ebd., 28. 119

Ebd., 34. 120

Christine Franzius, Bonner Grundgesetz und Familienrecht. Die Diskussion um die Gleichberechtigung von

Mann und Frau in der westdeutschen Zivilrechtslehre der Nachkriegszeit (1945-1957), Frankfurt a.M. 2005. 121

Gudjons, Vorträge, 34. 122

Ebd., 35. 123

Ebd. 124

Tillmann Bendikowski, Eine Fackel der Zwietracht. Katholisch-protestantische Mischehen im 19. und 20.

Jahrhundert, in: Olaf Blaschke, Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1870: ein zweites

konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002, 215-241.

25

die Ehe mit einem kirchlichen Partner (z.B. Lutheraner), sondern „mit einem Ungläubigen“

als Gefahr konstruiert bzw. dass der potentielle kirchliche Partner nicht mehr als „ungläubig“

angesehen wurde, deutet auf die neue sich in den 1950er Jahren abzeichnende Wirklichkeit

hin: „die Welt“ hatte „die Kirche“ als Fremdbild abgelöst.

Aufgrund der „Verweltlichung der Jünger Jesu“ entspreche „die Kraft unserer Gemeinden“

nicht mehr „der Zahl ihrer Glieder“.125

Dazu sage „der Herr Jesus“, dass „die Entwicklung der

Gemeinde, der Kirche, des Christentums […] viel bedenklicher“ sei „als der Geschichtsfor-

scher und Geschichtsphilosoph ahnen.“ Seinen „Geschichtspessimismus“ begründe Jesus „in

den drei Gleichnissen, die von der Entartung des Reiches Gottes handeln“: dem Gleichnis

vom Senfkorn, dem Gleichnis von der Ernte und dem Gleichnis vom Sauerteig. Das Senfkorn

ist bedroht „von außen“, nämlich „durch die großen Kultureinflüsse, durch Wissenschaft,

Kunst, Politik, Wirtschaft, soziale Strömungen u.a.m. […] Gleich vielen Vögeln ziehen sie in

großem Schwarm ein, um sich mit ihren Nestern häuslich im Baum einzurichten.“ Die Ernte

sei bedroht „von unten“ durch den „Einfluß des Satans, der eine dämonische Ersatzreligion

mit dämonischen Charismata einschmuggelt.“ Und „von innen“ wirke „der Sauerteig (des

Fleisches) an der Vermehrung des Teiges – Gesetzlichkeit, Ehrgeiz, Mißgunst, Diplomatie,

Politik, Gewaltanwendung.“126

Im dritten Vortrag prangert Walter Paulo an, dass man „ungehorsam“ geworden sei gegenüber

„dem Auftrag zum persönlichen Zeugnis“ und diesen ersetzt hätte „durch Aktivität in der

Gemeinde und durch eine gewaltige unpersönliche Organisation.“127

Das „zehrt unsere Kräfte

derart aus, daß wir zum persönlichen Zeugnis unfähig werden.“ „Aktivität“ und „unpersönli-

che Organisation“ meinen nichts anderes als eine Institutionalisierung, die zu einer Statik ge-

führt habe, die den Baptismus als dynamische Bewegung, so nahm man sich in der unmittel-

baren Nachkriegszeit wahr, ablöste. Doch diese negative Bestandsaufnahme gelte allerdings

nur „bei den aktiven Gemeindegliedern.“ Viel schlimmer sei es noch „bei der großen Masse

[…], die nur noch als Mitläufer bezeichnet werden“ könne.128

Exemplarisch berichtet Paulo über „eine Schwester, die von einer Tagung der Evangelischen

Akademie kommt“ und die er gefragt hätte, „ob sie dort die Schwester X kennengelernt habe,

von der ich wußte, daß sie auch zu den Teilnehmern gehörte. ‚Ja‘, sagt die Gefragte, ‚aber

denken Sie, die wollte doch meine Kollegin bekehren. Aber es ist ihr nicht geglückt.‘“ Die

125

Gudjons, Vorträge 37. 126

Ebd., 37f. 127

Walter Paulo, Ist unter uns wirklich Vollmacht zum persönlichen Zeugnis im Auftrage Christi, Vorträge zur

Bundeskonferenz Evang.-Freikirchlicher Gemeinden 1954 in Hamburg, 46-64, 49f. 128

Ebd.

26

Bekehrungsversuche von „Schwester X“ sind ein Ausdruck von vergehendem Konfessiona-

lismus.129

Paulo entsetzt diese Anekdote: „Ich kenne die Schwester X als eine taktvolle und

treue Christin. Sie hat also ihr Zeugnis ausgerichtet. Aber unserer Schwester war das sehr

peinlich.“ Dass die „Schwester“, die von „Schwester X“ berichtet, dies in abfälliger Weise tut,

deutet auf einen von Paulo wahrgenommenen Mentalitätswandel „bei der großen Masse“ der

Baptisten Anfang der 1950er Jahre hin. Die Hervorhebung baptistischer Alleinstellungs-

merkmale schien zu Gunsten ökumenischer Eintracht nicht mehr gefragt zu sein. Es gab sie

allerdings noch und einige Baptisten kehrten sie auch noch nach außen. Paulo konstruiert hier

eine Art innere Dichotomisierung, eine gegenseitige Abgrenzung zweier Gruppen innerhalb

des Baptismus: „aktive Mitglieder“ auf der einen und „Mitläufer“ auf der anderen Seite. Er

persönlich zählt sich zu den „aktiven Mitgliedern“, denn er grenzt sich von den „Mitläufern“

durch seine Anekdote der zwei „Schwestern“ ab. Die „Mitläufer“ werden für ihn zum Fremd-

bild. Doch auch die von ihm als „Mitläufer“ bezeichneten Baptisten scheinen sich abzugren-

zen gegen die von Paulo als „aktive Mitglieder“ stilisierten Baptisten. Allen Ernstes unter-

nähmen sie noch Bekehrungsversuche und gäben „Zeugnis“. Die „Mitläufer“ hatten von sich

selbst wohl ein wesentliches positiveres Selbstbild, verstanden sich als progressiv, als modern

und gebildet. Für sie schienen die „aktiven Mitglieder“ einen rückständigen Baptismus zu

verkörpern. So scheint es, dass Baptismus in Deutschland sich schon seit Mitte der 1950er

Jahre zu pluralisieren begann. Baptisten können Selbstbilder verkörpern, aber auch Fremdbil-

der – je nach Perspektive des Betrachters – und grenzen sich gegenseitig voneinander ab.

4. Identitätstransformationen

4.1 Von der Abgrenzung gegen „die Kirche“ …

Allein der Name des Vorgängers der Gemeinde, des Wahrheitszeugen, impliziert schon eine

traditionelle Form der Abgrenzung christlicher Gemeinschaften: Konfessionalismus.130

Eine

andere religiöse Gemeinschaft wird konstruiert als das ‚Andere‘. Denn wenn im Wahrheits-

zeugen die „Wahrheit“ bezeugt wurde, mussten Zeitschriften anderer religiöser Gemeinschaf-

ten die „Unwahrheit“ oder zumindest nicht die ganze „Wahrheit“ bezeugen. Gerade die Um-

benennung 1946 in Gemeinde konkretisiert die für Baptisten relevante Referenzgröße, vor

allem für Abgrenzungsprozesse bzw. die Konstruktion des ‚Anderen‘: die (Evangelische) Kir-

che. Abgrenzung wird sprachlich konstruiert, durch (bedeutungsschwangere) Semantik, die

129

Beispielsweise in Bad Boll kamen jedoch seit Ende der 1940er Jahre zumeist Christen verschiedener Kirchen

zu akademischen Tagungen zusammen, was zum Abbau von Konfessionalismus beitrug. 130

Olaf Blaschke, Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1870: ein zweites konfessionelles

Zeitalter, Göttingen 2002.

27

Konnotationen impliziert, also bei genauerer Analyse Bilder, Selbst- und Fremdbilder als

identitätsstiftende Elemente oder Identitätsbausteine des Baptismus offenbart.

Zunächst wird also die „Gemeinde“, ἐκκλησία, die auch Luther in seiner Bibelübersetzung als

„Gemeinde“ übersetzt hatte und nicht als „Kirche“,131

in AdS von „der Kirche“ abgegrenzt.

Damit fühlte man sich auf dem Boden der Heiligen Schrift. Es schien wichtig zu betonen,

dass baptistische Lehre im Einklang mit der Bibel stehe, „schriftgemäß“ sei, die Kirche sich

jedoch in gewissen Unterschieden, die zwischen der Evangelischen Kirche bzw. den Landes-

kirchen und den Baptisten bestünden, irre, die Reformation nicht wirklich zu Ende gebracht

habe und daher eben nicht die „Wahrheit“ für sich beanspruchen könne. In dieser Hinsicht

war die Gemeinde noch ganz Wahrheitszeuge.132

Die Dichotomisierung oder Konstruktion

eines komplementären Begriffspaares zur strukturellen Abgrenzung des Baptismus vom lan-

deskirchlichen Protestantismus führte auch zur Demarkation der „Freikirche“ auf der einen

und der „Volkskirche“ auf der anderen Seite.133

So werden die Baptisten als „Freikirche“ cha-

rakterisiert, als religiöse Gemeinschaft ohne Staatsbindung und daher als territorial nicht loka-

lisierbar wie die in Parochien manifestierten Landeskirchen.134

Neben der oftmals schon vorhandenen Dichotomisierung von Begrifflichkeiten, auf die der

„Schmied“ zurückgreifen konnte, bestand eine weitere Technik des „Schmieds“ in der Stili-

sierung von Selbst- und Fremdbildern darin, Stimmen aus der Evangelischen Kirche aufzu-

nehmen. Oftmals dokumentierten diese Zitate innerkirchliche Kritik, teils direkte aber auch

indirekte in Form von Lob für die Freikirchen. Lob als Kritik? In AdS wirkt Lob für die Aus-

nahme – Freikirchen – als die Offenbarung von Defiziten an der Regel – der Volkskirche. So

131

AdS, in: Die Gemeinde, 15.9.1946, 44. Nach Christian Möller, Gemeinde I: Christliche Gemeinde, in: Theo-

logische Realenzyklopädie Online , <http://www.degruyter.com/view/TRE/TRE.30_511_30>, letzter Aufruf 18

April 2013 habe Luther, obwohl er ἐκκλησία „fast ausschließlich“ mit „‘Gemeinde‘“ wiedergab, in seinen eige-

nen Schriften aber in Anlehnung an den 3. Glaubensartikel „niemals darauf verzichtet, das undeutliche Wort

‚Kirche‘“ zu benutzen, um es a) nicht der römisch katholischen Kirche allein zu überlassen, noch den Begriff „in

einem personalistischen Verständnis von Gemeinschaft aufgehen zu lassen“. Durch das landesherrliche Kirchen-

regiment kam allerdings das Verständnis auf, dass es sich bei der „Gemeinde“ nur um „eine Filiale der übergrei-

fenden Institution ‚Kirche‘“ handele. Doch der Begriff „Kirche“ (griechisch) umfasst „die rechtliche, institutio-

nelle, geschichtliche und räumliche Gestalt der christlichen Gemeinde“. Demgegenüber komme im Begriff

„Gemeinde“ „die personale, als Versammlung und Gemeinschaft im Evangelium sich ereignende, lokal begrenz-

te Gestalt von ‚Kirche‘“ zum Ausdruck. 132

Der neue Name war in der Tat auch eher einer Konzession an die mit den Baptisten seit 1941 im BEFG ver-

einigten Brüder. 133

Die Gemeinde, 1.6.1946, 21. Der wissenschaftlichen Redlichkeit halber sollte aber erwähnt werden, dass der

Begriff „Volkskirche“ auf den durch das Ende von Thron und Altar 1919 ‚toten‘ Begriff der „Staatskirche“ folg-

te. Zuweilen räsonierte man in der Gemeinde darüber, dass mit dem Ende des Bündnisses, der Freikirche jetzt

das Pendant Staatskirche fehlen und daher der Begriff Freikirche sich eigentlich erübrigt hätte Vgl. Voigt, 33.

Doch in der Abgrenzung von der „Volkskirche“, der in dieser Hinsicht die Nachfolge des Begriffs „Staatskirche“

antrat, hatte man zumindest für Dichotomisierungen ein neues Pendant gefunden. 134

AdS, in: Die Gemeinde, 1.6.1948, 46. Hier wird in AdS ein Artikel von Dr. Reinhold von Thadden aus der

Monatsschrift Die Zeichen der Zeit (Heft 2/3) aufgenommen, der Freikirchen in den beiden genannten Punkten

charakterisiert.

28

wird Prälat Dr. Hartenstein zitiert, der in einem Vortrag in Stuttgart herausgestellt habe, dass

„Kirche“ ursprünglich „Gemeinde“ war. Solche Zitate aus kirchlichen Kreisen werden dann

in AdS immer abschließend kommentiert, hier folgendermaßen: „Wir können der Kirche nur

von ganzem Herzen wünschen, daß der Gemeindegedanke in ihr immer klarer hervortrete und

greifbare Gestalt annehme.“135

Die abschließenden Kommentare haben einen resümierenden

und auch stark konfessionellen Charakter: im Baptismus habe man die „Wahrheit“, den „Ge-

meindegedanke[n]“ schon verinnerlicht, die „Kirche“ hingegen habe hier noch klaren Nach-

holbedarf. Des Weiteren ist bei der Anwendung der erwähnten Zitationstechnik auf das Krite-

rium hinzuweisen, das der Selektion der Zitate zu Grunde liegt: fast alle zitierten Personen

haben einen pietistischen und stehen damit Freikirchen aus Tradition nahe oder zumindest

näher als Lutheraner.136

Strukturelle Abgrenzung in AdS erfolgt auch durch Kritik an der „vorläufigen Verfassung der

EKD“. In dieser seien nach Kriegsende wieder „zentrifugale Kräfte“ zu Tage getreten.137

Die

schon erwähnte Technik der Zitation innerkirchlicher Kritik wird auch in diesem Fall wieder

angewandt. Zu Wort kommt „Lic. Wilh. Niesel, der Moderator des reformierten Kirchenbu-

ches“, der die Reorganisation der EKD „in herzerfrischender Deutlichkeit“ beschreibe. Er

hebt hervor, dass man die „‚staatliche Art der Kirchenleitung […] endlich abstreifen‘“ müsse.

Doch, so echauffiert sich Niesel, „‚der erste Schritt, den manche Landeskirchen zur Neuord-

nung getan haben, war eine Bischofswahl! Das Führerprinzip [sic] ist noch nicht erstorben!‘“

Der Begriff „Führerprinzip“ wird hier unkommentiert stehen gelassen als eine negativ konno-

tierte, undemokratische Form von Zentralismus. So erscheint der Begriff „Führerprinzip“ in

AdS als Kulminationspunkt für „kirchenregimentliches Handeln“, wie es an anderer Stelle

heißt,138

der kirchlichen Hierarchie von oben nach unten. Darüber hinaus wird die „Volkskir-

che“ faktisch noch als „Staatskirche“ dargestellt, zumindest in organisatorischer Hinsicht,

indem auf die „staatliche Art der Kirchenleitung“ hingewiesen wird. Demgegenüber wird in

AdS an anderer Stelle die Ortsgemeinde bzw. die „autonome Einzelgemeinde“ gestellt, die

eine Hierarchie von unten nach oben, eine Art basisdemokratischen Dezentralismus verkörpe-

re.139

135

Die Gemeinde, 15.9.1946, 44. 136

Voigt, 134. Zum einen kann man Freikirchen generell als außerkirchlich pietistisch geprägte Religionsge-

meinschaften kennzeichnen, die aber auf dem Boden der 1846 gegründeten Evangelischen Allianz traditionell

auch in Verbindung standen mit innerkirchlichen, pietistisch geprägten Gruppen, oftmals auch „Allianzchristen“

genannt. Prälat Dr. Karl Hartenstein war Missionsinspektor der pietistisch geprägten Basler Mission. 137

AdS, in: Die Gemeinde, 1.5.1947, 37. Erwähnt wird z.B. die Gründung der VELKD. 138

AdS, in: Die Gemeinde, 1.6.1946, 21. 139

AdS, in: Die Gemeinde, 1.6.1946, 21.

29

Schließlich wird in struktureller Hinsicht noch der Gegensatz zwischen dem Baptismus als

einer Laienbewegung und des landeskirchlichen Protestantismus als einer durch Klerikalis-

mus gekennzeichneten Institution hervorgehoben. So werden die „theologischen“ Streitigkei-

ten innerhalb der EKD, die „Laien“ als „belanglos“ erachteten erwähnt. Es wird gefragt, ob

die „‚Laien‘ in diesem Stück nicht ein gesünderes Urteil haben als manche Schriftgelehr-

te?“140

Baptismus in Deutschland ist traditionell eine Laienbewegung, die sich immer ab-

grenzte gegen den Klerikalismus der Kirche.141

Das reformatorische Prinzip des Priestertums

aller Gläubigen sah man damit erfüllt.142

Wie kann man also besser abgrenzen gegen Klerika-

lismus als mit dem im Neuen Testament extrem negativ konnotierten Begriff des „Schriftge-

lehrten“, der zwar alles weiß oder wissen müsste, aber nicht wirklich glaubt?143

Theologen,

studierte Intellektuelle, hatten traditionell eher einen schweren Stand im deutschen Baptismus.

Im Vordergrund standen der praktizierte Glaube samt Glaubenserfahrungen und eben nicht

„theologische“ Spitzfindigkeiten, Theologie per se. Das hängt wohl auch damit zusammen,

dass Baptisten eine ursprünglich eher kleinbürgerliche Bewegung waren.144

Angesichts der

„theologischen“ Streitigkeiten, von der man sich als Laienbewegung abgrenzen wollte, wer-

den in AdS allerdings nicht die eigenen theologischen Unterschiede und daraus resultierenden

Streitigkeiten innerhalb des BEFG zwischen Baptisten und Brüdern erwähnt, die in der unmit-

telbaren Nachkriegszeit neu aufflammten.145

Demnach spielten auch im deutschen Baptismus

„theologische“ Spitzfindigkeiten eine nicht unbedeutende Rolle.

Doch vor allem 1947 wird in AdS teilweise auch noch auf Gemeinsamkeiten zwischen Frei-

kirchen und der gesamten Evangelischen Kirche hingewiesen – die Verbindung, in der man

sich mit pietistischen Christen bzw. „Allianzchristen“ innerhalb der Kirche wähnte, wurde ja

schon angeführt. Gemeinsam sähe man sich doch „christusfeindlichen Kräfte[n]“ gegenüber,

welche „früher oder später […] zu einem Großangriff antreten“ würden. „Und in diesem

Kampf werden alle Christen gefordert sein, Lutheraner und Reformierte, Kirchen und Freikir-

chen“. In diesem Kampf ginge es dann „nur um die eine Frage: Für Christus oder wider

Christus!“146

Darüber hinaus hätte man doch als Gemeinschaft evangelischer Christen „ange-

sichts des gewaltigen Baues der katholischen Kirche“ auch religiöse Konkurrenz und könne

140

AdS, in: Die Gemeinde, 15.10.1948, 93. 141

So auch im Falle des Bischofs Wurm, der kein „‚Kirchenfürst‘“ und dem „kirchliche Enge […] fremd“ gewe-

sen sei. Vgl. AdS, in: Die Gemeinde, 1.1.1949, 12. Wieder wird hier die Technik des Lobs für die so verstandene

Ausnahme als Kritik an der Masse angewandt. 142

In AdS, in: Die Gemeinde, 15.7.1949, 219. 143

Weiß, Hans-Friedrich, Schriftgelehrte, in: Theologische Realenzyklopädie Online ,

<http://www.degruyter.com/view/TRE/TRE.30_511_30>, letzter Aufruf 18 April 2013 144

Balders, 24. Bei der Verbreitung des Baptismus spielten auch reisende Handwerker eine große Rolle. 145

Balders, 138ff. 146

AdS, in: Die Gemeinde, 1.5.1947, 37. Ähnlich in AdS, in: Die Gemeinde, 1.7.1949, 203.

30

sich daher nicht „aufspalten und auseinanderreden wegen organisatorischer Differenzen, we-

gen zweitrangiger Lehranschauungen oder liturgischer und agendarischer Liebhabereien“.147

Das gemeinsame ‚Andere‘ ist hier in pietistischer Tradition die Welt, in allgemeinprotestanti-

scher Tradition jedoch auch die Römisch-katholische Kirche.

Im September 1947 wird in AdS ein Auszug vom evangelischen Stadtpfarrer G. Lang aus

Stuttgart abgedruckt, der im „Evang. Gemeindeblatt für Württemberg“ von Erfahrungen be-

richtet, die kirchliche Christen gemacht hätten im Krieg mit freikirchlichen Christen, „die sie

durch ihren Bekennermut und ihre klare Haltung anfeuerten und oft auch beschämten.“ Mit

anderen Worten: freikirchliche Christen hätten einen lebendigen Glauben, kirchliche Christen

einen toten oder zumindest nicht so lebendigen, der sich daher unter dem Druck des Krieges

oftmals nicht bewährt habe. Auch hier wieder kommt eine innerkirchliche, vermutlich pietisti-

sche Stimme zu Wort,148

wird Lob an den Freikirchen verbunden mit Kritik an der Evangeli-

schen Kirche, werden Selbst- und Fremdbilder konstruiert anhand eines komplementären Be-

griffspaares: toter Glaube/ lebendiger Glaube. Von diesen „sogenannten Freikirchen“, so

Lang weiter, „trennt uns ja nicht ein wesentlicher Unterschied der Lehre, wie bei den soge-

nannten Sekten.“149

Man stehe doch „einer geschlossenen Welt des Unglaubens gegenüber“.

Das gemeinsame ‚Andere‘, die säkulare Welt, die schon einige Monate zuvor in AdS konstru-

iert wurde, wird erneut heraufbeschworen. Man müsse daher angesichts der geringen Unter-

schiede und der gemeinsamen Bedrohung aktiv die Verbindung mit den Freikirchen suchen,

was ja global in Mission und Ökumene schon geschehe. „Am Ort“ könne man auch ange-

sichts der Arbeit im Hilfswerk „unmöglich nebeneinander hergehen“.150

So wird Jung in AdS

zum innerkirchlichen Sprachrohr für die Forderung der Kommunikation auf Augenhöhe mit

der Evangelischen Kirche in Deutschland, die in der globalen Ökumene schon passiere, wo-

rauf nun jedoch auch die nationale ökumenische Zusammenarbeit folgen müsse.

Die Hervorhebung von Gemeinsamkeiten mit der Kirche, die hier nicht verschwiegen werden

sollte, erfolgt über die Konstruktion noch bedrohlicher ‚Anderer‘. Angesichts dieses Bedro-

hungspotenzials und des nur im ökumenischen Geist zu erfüllenden Auftrags im Hilfswerk

wird an die Überwindung „organisatorischer Differenzen“, „zweitrangiger Lehranschauun-

gen“ und „liturgischer und agendarischer Liebhabereien“ in der gesamten Evangelischen

147

AdS, in: Die Gemeinde, 1.5.1947, 37. 148

Aufgrund des abgekürzten Vornamens kann G. Lang biographisch nicht eindeutig verortet werden. Doch als

Stuttgarter Pfarrer Mitglied der Württembergischen Landeskirche zu sein, macht einen einen pietistischen Hin-

tergrund wahrscheinlich. 149

Seitens der Kirche stiegen die Freikirchen in ihrem Prestige in der Nachkriegszeit und wurden nur noch selten

als „Sekten“ bezeichnet. 150

AdS, in: Die Gemeinde 1.9.47.

31

Christenheit, also auch inklusive der Freikirchen, appelliert. Das führt allerdings geradewegs

in einen Widerspruch. Denn insbesondere in AdS werden Selbst- und Fremdbilder konstruiert

auf Grundlage „zweitrangiger Lehranschauungen“, so könnte man meinen. Im Zentrum steht

dabei die Form der Taufe. Die Taufe hatte für die Baptisten traditionell eine zentrale Bedeu-

tung für die Konstruktion ihrer kollektiven Identität. Schon der Name Baptisten leitet sich

vom griechischen βαπτίζειν ab und bedeutet „untertauchen“ bzw. „taufen“. Den Namen „Bap-

tisten“ nahmen die deutschen Baptisten anfangs nur widerwillig an, da er eine spöttische

Fremdbezeichnung zumeist kirchlicher Kreise war. Doch neben dem Prinzip des Kongrega-

tionalismus ist die Taufe das wohl zentrale theologische Merkmal baptistischer Identitätsstif-

tung.151

Daher wird die Auseinandersetzung um die Taufe in AdS bald zum dominierenden

Thema der Abgrenzung gegen die Evangelische Kirche.

Erwähnt wird die Tauffrage schon 1946. Die Erwähnung einer sich in Arbeit befindlichen

Abhandlung Prof. Johannes Schneiders, eines baptistischen Neutestamentlers und Hochschul-

lehrers in Berlin, der damit auf den Vortrag Karl Barths über „‚Die kirchliche Lehre von der

Taufe‘“ reagiere, hat aber eher den Charakter einer Meldung denn einer polemischen Abgren-

zung.152

Schneider wird in AdS zitiert. Er lobt Barth dafür, dass er „‚die Wiederherstellung der

Taufe im urchristlichen Sinne fordert und sich zur Erwachsenentaufe als der einzigen und

ordnungsmäßigen Taufe bekennt.‘“ Das sei eine „‚auf kirchlichem Gebiet geradezu revolutio-

näre Tat‘“, so Schneider. So lehne Barth die Kindertaufe ab, da ihr nicht der Glaube des Täuf-

lings vorausgehen könne.153

Damit ist eigentlich schon der entscheidende Unterschied zwi-

schen der Taufauffassung der Baptisten und der Evangelischen Kirche herausgestellt: Der

Taufe muss der Glaube des Täuflings nach baptistischer Auffassung vorausgehen, daher ver-

fechten sie die „Taufe der Gläubigen“ bzw. „Gläubigentaufe“. Die Taufe ist damit ein Gehor-

samsschritt des mündigen Gläubigen, in dem Gott zuvor den Glauben bewirkte. Subjekt des

Taufgeschehens ist daher der Täufling. Bei der Kindertaufe steht ein Taufpate stellvertretend

für den Glauben des zu taufenden Kindes ein. Gott ist damit Subjekt des Taufgeschehens.154

Die 1947 erschienene, scheinbar auch in der Evangelischen Kirche polarisierende Abhand-

lung Karl Barths über die Taufe intensivierte dann allerdings mehr als ein Jahr später die

Taufkontroverse auch in AdS.155

Für Barth sei die Kindertaufe zwar „eine ‚Wunde am Leibe

151

John David Hughey & Rudolf Thaut, Baptisten, in: Theologische Realenzyklopädie Online ,

<http://www.degruyter.com/view/TRE/TRE.30_511_30>, letzter Aufruf 18 April 2013 152

Karl Barth, Vortrag 1943??? 153

AdS, in: Die Gemeinde, 1.9.1946, 44. 154

Bryan D. Spinks, Taufe IV: Neuzeit, in: Theologische Realenzyklopädie Online ,

<http://www.degruyter.com/view/TRE/TRE.30_511_30>, letzter Aufruf 18 April 2013. 155

AdS, in: Die Gemeinde, 1.11.1947, 85.

32

der Kirche‘“, eine „‚verdunkelte‘, ‚unordentliche‘ Taufe“, doch trotzdem die „‚wahre, wirkli-

che und wirksame‘“ Taufe und in jedem Fall besser als „‚irgendeine jämmerliche Winkel- und

Wiedertaufe‘“. Diese Polemik wird in AdS als widersprüchlich erklärt. Als Reaktion wird

gleichsam Polemik angewandt. Die Kindertaufe sei von der Kirche, die in sie „ein magisches

Element hineinlegt“, als „selbstwirksam“ erklärt worden, als „unzerstörbares Siegel des

Heils“. Nur mit einer solchen Auffassung könne man sich mit „Barth auch zu der grotesken

Behauptung versteigen: ‚Auch Hitler und Stalin, auch Mussolini und der Papst stehen unter

diesem Zeichen.‘ (!)“. Dies sei eine „überspitzt sakramentale Auffassung“, die dazu verleite

„seelenruhig“ zu bleiben, „wenn die Taufe eines Täuflings zwar nicht ‚Zeichen seiner Gläu-

bigkeit‘, sondern Zeichen keiner Gläubigkeit ist!“156

Die Kindertaufe nennt der Schmied da-

her „Taufe der Unmündigen“ und stellt sie der „Taufe der Gläubigen“ gegenüber. Dabei han-

dele es sich niemals um „Wiedertaufe“, denn „niemals würden wir z.B. einen

Gläubiggetauften, der aus einer anderen Gemeinschaft zu uns kommt, noch einmal taufen.“

Wieder bedient man sich in AdS Dichotomisierung, reagiert damit aber auch auf Fremdstig-

matisierung kirchlicherseits: Gott als Subjekt/ Mensch als Subjekt, „Winkel- und Wiedertau-

fe“/ „Taufe der Unmündigen“, „Zeichen keiner Gläubigkeit“/ „‚Zeichen seiner Gläubigkeit‘“.

Um die baptistische Haltung zu unterstreichen, bedient sich der „Schmied“ wieder der schon

erwähnten Technik der Zitation innerkirchlicher Stimmen. Zu Wort kommt Pfarrer Rudolf

Weckerling,157

der in der evangelischen Wochenschrift Die Kirche (Nr. 33/1947) einen Arti-

kel über Apg. 8,26 (Geschichte vom Kämmerer aus dem Morgenland) veröffentlicht hatte. Er

resümiert: „‚Die Art, wie der Diakon Philipus bei der Taufe des Kämmerers vorgeht, ent-

spricht dem Taufbefehl des auferstandenen Herrn, während die Art, wie wir taufen, nicht aus

dem Gehorsam kommt, sondern die ganze Not der Volkskirche und der volkskirchlichen Kon-

firmation mit sich bringt.‘“ Denn ursprünglich gehörten „das sichtbare Zeichen (das Sakra-

ment) und der Glaube des Empfangenden unlöslich zusammen‘“, so Weckerling.158

So wird

wieder auf den Glauben des mündigen Täuflings, der der Taufe vorangehen müsse, die wiede-

rum ein Gehorsamsschritt sei, verwiesen. In AdS wundert man sich daher über „baptistische

Gedanken von geradezu revolutionärer Wucht und Offenheit“ und fragt sich ob, „das wirklich

ein evangelischer Pfarrer geschrieben“ habe, ob „das wirklich in einem angesehenen Kirchen-

blatt“ stünde. Baptisten seien zwar „freikirchlich, aber wir sind auch evangelisch.“ Folglich

156

AdS, in: Die Gemeinde, 1.11.47, 85. Hier wird auch verwiesen auf eine schriftliche Auseinandersetzung des

baptistischen Seminarlehrers Hans Rockel mit Karl Barths Publikation, die in der gleichen Ausgabe der Gemein-

de erschien. 157

Zur damaligen Zeit war Pfarrer Weckerling Studentenpfarrer, im „Dritten Reich“ Mitglied der Bekennenden

Kirche, die in mancherlei Hinsicht theologische Nähe zu den Freikirchen zeigte. 158

AdS, in: Die Gemeinde, 1.12.1947, 93ff.

33

meinten sie „es gut mit der evangelischen Kirche, wenn wir ihr von ganzem Herzen wün-

schen, daß die Wahrheit von der biblischen Taufe immer mehr Raum in ihr gewinne.“159

Hier

wird zum einen die Kindertaufe als angebliche „Not der Volkskirche“, sogenannte „Taufnot“,

thematisiert, die künftig immer wieder als Argument angeführt wird. Gemeint ist damit, dass

viele der unmündigen Täuflinge sich im Laufe ihres Lebens von ihrem Glauben entfernen

würden, einen toten Glauben hätten oder wie Martin Niemöller angeblich gesagt habe, „‚Mil-

lionen getaufter Heiden!‘“ seien.160

Auf der anderen Seite wird auf „die Wahrheit von der

biblischen Taufe“ verwiesen, die die Freikirchen schon erkannt hätten und in der für die

Evangelische Kirche der Ausweg aus der „Taufnot“ bestünde.

Wiederum ein halbes Jahr später, im Mai 1949, berichtet der „Schmied“ von einer Begeg-

nung mit einem Nichtbaptisten im Anschluss an einen Gottesdienst, der sich wunderte, dass

die Taufe nicht thematisiert wurde. Das habe er, der „Schmied“, damit begründet, dass „unse-

re Mitglieder von ihrer biblischen Begründung und Richtigkeit völlig überzeugt sind“, dass

„wir auf die Empfindlichkeit lieber gläubiger Brüder Rücksicht nehmen, die in der Tauffrage

anderer Meinung sind“ und dass „weil uns Christus A und O, ein und alles ist“ sie „in den

Taufakt beim besten Willen nicht so viel Sakramentales, undefinierbar Geheimnisvolles hin-

einlegen“ könnten, „daß schließlich der Herr Christus so gut wie überflüssig wird.“161

Diese

Anekdote erscheint unter der Überschrift „Baptismata“, einer neuen Rubrik in AdS, die aus-

schließlich die Taufe thematisiert – weniger argumentativ, vielmehr polemisch, indem sie

ziemlich exotische Einzelfälle oder hypothetische Überlegungen in den Vordergrund stellt.

Was würde beispielsweise mit „Flüchtlingskindern“ geschehen, „deren Eltern und Taufpaten

tot seien. Wer bezeugt sodann ihre Taufe?“ Daher sei die Kindertaufe komplizierter und Gott

nicht (so) wohlgefällig wie die „Gläubigentaufe“.162

In „Baptismata“ wird des Weiteren er-

neut auf die „‚Taufnot‘“ in der Evangelischen Kirche verwiesen, die, wie schon erwähnt,

mangels der persönlichen Entscheidung des Täuflings entstehe.163

Daher sei die Kindertaufe

trotz Taufpaten unbiblisch.164

Die erwähnte Anekdote, die Begegnung des „Schmieds“ mit

einem Nichtbaptisten, erscheint als Rechtfertigung für die nun folgende, vermehrte Themati-

sierung der Taufe. Nach dem Motto: Wenn sogar Nichtchristen erwarten, regelrecht fordern,

dass wir von der Taufe sprechen, müssen wir das auch tun – sonst kommen wir unserem Auf-

trag nicht nach. Mit der vermehrten Thematisierung der Taufe widerspricht sich der

159

AdS, in: Die Gemeinde, 1.12.1947, 93ff. 160

AdS, in: Die Gemeinde, 18.6.1950, 202. 161

AdS, in: Die Gemeinde, 15.5.1949,155. 162

AdS, in: Die Gemeinde 1.6.1949, 171f. 163

AdS, in: Die Gemeinde 15.5.1949, 155. 164

AdS, in: Die Gemeinde, 15.6.1949, 187.

34

„Schmied“ allerdings in allen drei angeführten Punkten für die Nichtthematisierung der Taufe

selbst.

Die Rubrik „Baptismata“ erscheint vom 15. Mai 1949 an in drei aufeinanderfolgenden Aus-

gaben bis zum 15. Juni 1949. In der Folgeausgabe wird zwar auch die Taufe thematisiert, aber

nicht unter „Baptismata“.165

In der Ausgabe vom 15. Juli 1949 wird von der „‚Ökumene zu

Hause‘“ berichtet die gestärkt werden müsse und „von der in den Richtlinien der Arbeitsge-

meinschaft christlicher Kirchen in Deutschland die Rede ist“.166

Sie wird in der gleichen Aus-

gabe der Gemeinde auch abgedruckt. Die sogenannten „Richtlinien“ werden noch thematisiert

werden. Vorab sei jedoch gesagt, dass sie zur Austarierung konfessioneller Gegensätze im

protestantischen Nachkriegsdeutschland beitrugen (die Katholische Kirche war nicht Teil der

ACK) und von den beteiligten Konfessionen als bindend erachtet wurden. Dass die Rubrik

„Baptismata“ im nächsten Heft nicht und letztmalig Mitte August 1949 erscheint scheint in

Verbindung mit dem Erlass der „Richtlinien“ zu stehen.

Die Kindertaufe wird noch einige Male im Jahr 1950 thematisiert,167

teilweise auch ihre Ab-

schaffung gefordert.168

Dabei wird auch auf die Spaltung der Evangelischen Kirche in dieser

Frage hingewiesen.169

Doch es scheint als sei seit Ende 1949 ein tiefgreifender Wandel bezüg-

lich der Abgrenzung gegenüber der Kirche im Gange. Die Thematisierung der Kindertaufe

erscheint viel defensiver als noch 1949 – als Kritik an kirchlicher Polemik in kirchlichen Zeit-

schriften gegen die „Gläubigentaufe“. Man beruft sich bei der „Gläubigentaufe“ auf die doch

auch von Luther verfochtene „Gewissenspflicht“.170

Parallel scheint die Betonung von Allein-

stellungsmerkmalen wie der Taufe im Leserkreis der Gemeinde auf weniger Akzeptanz zu

stoßen. In AdS wird in diesem Zusammenhang ein Leserbrief erwähnt, der allerdings nicht

abgedruckt wird,171

und in dem gefragt worden sei, ob man nicht im Baptismus „zuviel Wert

auf die Taufe“ lege. In Beantwortung des Leserbriefes hebt der „Schmied“ trotzig hervor, dass

es die Pflicht der Baptisten sei, auf die „Gefahr“, die der Kindertaufe anheimfällt, hinzuwei-

sen, auf die „‚Millionen getaufter Heiden!‘“, wie Martin Niemöller schon treffend gesagt ha-

be. Alles andere sei „verantwortungslos“. Denn „mag es dem einen oder anderen“ auch „nicht

gefallen, mag man es als eine Überbetonung der Glaubenstaufe bezeichnen, das soll uns nicht

165

AdS, in: Die Gemeinde 1.7.1949, 243. 166

AdS, in: Die Gemeinde 15.7.1949, 219. 167

Die Gemeinde, 20.1.1950, 27; Die Gemeinde, 12.2.1950, 21ff.; AdS, in: Die Gemeinde, 8.10.1950, 331. 168

Die Gemeinde, 20.1.1950, 27. 169

Die Gemeinde, 12.2.1950, 21ff. 170

Die Gemeinde, 12.2.1950, 21ff. 171

Leserbriefe wurden erst ab Anfang der 1960er in der Gemeinde abgedruckt.

35

weiter beirren.“172

Heterogenisierungstendenzen im deutschen Baptismus werden sichtbar.

Die Abgrenzung des baptistischen Selbstbildes vom Fremdbild Evangelische Kirche durch die

Thematisierung der Tauffrage scheint, wie der Leserbrief andeutet, vermehrt in Frage gestellt,

weniger akzeptiert worden zu sein.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Auseinandersetzung um die Taufe langsam bis 1949

akzeleriert und in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreicht. Die Jahre 1950 und 1951 erscheinen

nach dem sich qualitativ (semantisch) und quantitativ ausdrückenden Zenit 1949 retardierend.

Der Bruch scheint auf die „Richtlinien“ der ACK zurückzugehen aber auch auf ein zuneh-

mendes Bedrohungsgefühl durch Säkularisierung. Die punktuellen Gegenreaktionen der Jahre

1950 und 1951 erscheinen eher als Trotzreaktionen des „Schmieds“, der die „Richtlinien“

akzeptieren muss, aber aus seinem traditionellen Selbstverständnis als Baptist nicht akzeptie-

ren möchte. Generell ist bei der Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern in AdS, jenen, die

auf die Abgrenzung gegen die Kirche rekurrieren, aber auch auffällig, dass historische Rück-

griffe, die eine Art kollektives Gedächtnis der Baptisten andeuten könnten, kaum eine Rolle

spielen. Nur ein Mal, angesichts des hundertjährigen Jubiläums der Revolution von 1848,

wird darin erinnert, dass es nicht die Kirche war, die den Freikirchen zu Freiheit verhalf als

die Glocken in Frankfurt erklangen.

Ferner spielen neben begrifflichen, strukturellen und dogmatischen Abgrenzungen jene des

praktischen Lebens keine Rolle. So wird die Friedhofsfrage, die Frage der Räumlichkeiten,

die Frage der Befugnis von Freikirchlern für die Erteilung des evangelischen Religionsunter-

richts nicht thematisiert. Schließlich ist noch auffällig, dass die in AdS verwendete Zitations-

technik fast ausschließlich den Freikirchen nahe stehende Personen aus der Evangelischen

Kirche – Pietisten, „Allianzchristen“ etc. – in den Fokus rückt. Verbindungen zwischen diesen

Milieus der Evangelischen Kirche und freikirchlichen Milieus waren zwar Konjunkturen von

Nähe und Distanz unterworfen, doch konnten sie in der Nachkriegszeit auf eine schon gut

hundertjährige Tradition zurückblicken.

4.2 …zur Abgrenzung gegen „die Welt“

Politische, soziale und wirtschaftliche Not konstituierten die unmittelbare Nachkriegszeit. In

dieser Zeit prägte Angst die Wahrnehmung der Baptisten in der Gemeinde, Angst vor der

Atombombe und Angst vor moralischem Verfall.173

Man sah angesichts der allgemeinen Not

172

AdS, in: Die Gemeinde, 18.6.1950, 202. 173

Die Gemeinde, 1.4.1947; Die Gemeinde, 1.7.47, 52; AdS, in: Die Gemeinde1.7.1948, 54.

36

die „Zeit des Säkularismus“ gekommen,174

einer Art pragmatischen Diesseitigkeit.175

Die

Währungsreform 1948 nahm man in AdS als Katalysator dieser Entwicklungen wahr.176

Schon 1947 fragte man sich in AdS, ob „das Antlitz unserer Zeit schon apokalyptische Züge“

trage.177

1948 war man davon überzeugt: „Unsere Zeit hat ein apokalyptisches Gesicht.“178

Dieser Veränderung der Umwelt gedachte man unter den deutschen Baptisten mit Mission zu

begegnen, um möglichst viele Menschen vor dem drohenden Weltgericht zu retten. Daher war

man beispielsweise enttäuscht, dass auf der Weltkirchenkonferenz 1948 in Amsterdam der

Fokus nicht klarer auf Mission gelegen habe.179

Im Laufe des Jahres 1949 nahm man allerdings auch die steigenden Mitglieder- und vor allem

Taufzahlen im Baptismus wahr. Am 15. Juli 1949 wurde darüber mit Rückgriff auf das Jahr-

buch für 1948 genauer berichtet. Man konstatierte eine prozentuale Zunahme der Mitglieder-

zahl wie in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, die einer nie dagewesenen Zunah-

me in absoluten Zahlen gleichkam.180

Aus diesem gesteigerten Selbstbewusstsein heraus

grenzte man sich zunächst verstärkt gegen die Landeskirchen ab, vor allem in der Tauffrage.

Doch nach dem kontinuierlichen Abflauen der konfessionellen Abgrenzungen, die wohl auch

zusammenhing mit den „Richtlinien“ der ACK,181

wandte man sich gegen andere Alternati-

ven zum eigenen Glauben. Rasante Veränderungen der Gesellschaft im Zuge forcierter Säku-

larisierung trieben die deutschen Baptisten zu einer verstärkten Abgrenzung gegen „die Welt“

– zumindest in der Gemeinde. Der „Himmelsbürger“ wurde dem „Weltbürger“ gegenüberge-

stellt, der dem „Säkularismus“ fröne.182

Was machte die Welt für die Baptisten aus? Humanismus z.B. anlässlich des Goethejahres

1949,183

aber auch Existentialismus184

und Szientismus,185

Sport,186

Sportwetten187

und

174

AdS, in: Die Gemeinde,15.11.1948, 110. 175

Johannes Mundhenk, Der Säkularismus unserer Zeit und unsere Christusverkündigung, Teil 1 & 2, in: Die

Gemeinde, 1.2.1949 & 15.2.1949. 176

AdS, in: Die Gemeinde, 15.11.1948, 110. 177

Die Gemeinde, 1.9.1947, 69. 178

AdS, in: Die Gemeinde, 1.5.1948, 37. 179

AdS, in: Die Gemeinde, 15.11.1948, 110. 180

Die Gemeinde, 15.7.1949, 220. 181

Abgedruckt in AdS, in: Die Gemeinde, 15.7.1949, 220. 182

Die Gemeinde, 1.3.1949. 183

AdS, in: Die Gemeinde, 1.9.1949 265f. Man erkennt seine „dichterischen Leistung[en] durchaus an, bedauert

aber, „daß Goethe trotz aller christlichen Bemühungen nicht über das ‚beinahe Christ‘ hinausgekommen ist […]

Aber – und das ist die demütigende und zugleich erhebende Gewißheit der kämpfenden, leidenden und an den

Endsieg [sic] glaubenden Gemeinde – es geht immer nach dem göttlichen Grundsatz, wie ihn Paulus in 1. Kor. 1,

27-29 darlegt“. Strübind, Freikirche zu Folge waren Baptisten im Bearbeitungszeitraum eher kleinbürgerlicher

Herkunft. Auch das könnte für natürliche Antipathien mit allem Bildungsbürgerlichen gesorgt haben. 184

AdS, in: Die Gemeinde, 14.12.1952, 396. Der bei Hemingway porträtierte „moderne Mensch fragt nicht nach

persönlicher Erlösung“ – für Baptisten nach dem Krieg das A und O „, sondern nach dem Sinn oder der Sinnlo-

sigkeit der Existenz.“

37

Glücksspiel188

– alles Aktivitäten, die auch zur Entheiligung des Sonntags führten,189

Fa-

sching,190

Fernsehen, Film und Kino,191

Tanzen,192

Mischehen mit „Ungläubigen“193

, eine

„Flußpferdtaufe“ oder eine „Tigertaufe“ im Zoo,194

Kontaktanzeigen195

, Okkultismus196

,

Schlager,197

Spiritismus und Astrologie,198

die Wahl von Schönheitsköniginnen“199

und nicht

zuletzt die „Schmutzflut der Schundliteratur“,200

die man mitverantwortlich machte für die

185

AdS, in: Die Gemeinde, 19.1.1954, 44. Abgrenzung gegen Evolution. 186

Wort des Schriftleiters, in: Die Gemeinde 29 (1964), 2. Als Christ wolle man gar „nicht sportfeindlich sein“.

Doch „heute“ stände nicht mehr „Erholung“ und „die Schulung des Charakter“ im Vordergrund, sondern „viel-

eicht gar der Personenkult.“ In Fußball oder Völkerschlacht? In: Die Gemeinde 36 (1966) kritisierte man den

Zusammenhang von Fußball und Nationalismus im Rahmen der WM 1966. 187

AdS, in: Die Gemeinde, 15.9.1949, 283. 188

AdS, in: Die Gemeinde, 5.4.1953, 108. 189

AdS, in: Die Gemeinde, 15.9.1949. 190

AdS, in: Die Gemeinde, 1.3.1949, 75; AdS, in: Die Gemeinde, 25.2.1951, 74; AdS, in: Die Gemeinde,

23.3.1952, 91; AdS, in: Die Gemeinde, 6.3.1955, 76. Hier sei der Karneval sogar noch von der katholischen

Kirchenzeitung in Köln verteidigt worden. 191

AdS, in: Die Gemeinde, 1.3.1949, 75; AdS, in: Die Gemeinde, 25.2.1951, 74; AdS, in: Die Gemeinde,

13.7.1952, 219f. Hier fehlt für das „Kirchenkino“ in Essen „jedes Verständnis“; AdS, in: Die Gemeinde,

22.2.1953, 60 Fernsehen sei eine Gefahr für ein intaktes Familienleben, da es Kommunikation unterbinde; AdS,

in: Die Gemeinde, 31.5.1953, 172; AdS, in: Die Gemeinde, 30.10.1955, 347. Hier wird die „unberechenbare

Wirkung“ des Films „auf das Unterbewußtsein und die Triebe“ angeprangert, wodurch „das Gebetsleben“ zer-

setzt würde; Die Gemeinde, 16.11.1958, 12; Christ und Welt: Wer prägt wen?, in: Die Gemeinde 11 (1963), 7f.;

Zeichen der Zeit, in: Die Gemeinde 13 (1963), 13. Hier wurden Leserbriefe ausgewertet. Noch nie habe es so

viele Leserbriefe zu einem Thema gegeben. Hier wird allerdings deutlich, dass Baptismus pluraler geworden ist

– auch in seiner Stellung zur „Welt“. Denn ungefähr die Hälfte der Leserbriefverfasser lehne den Film komplett

ab währende die andere Hälfte Filme – vor allem christliche – befürwortete. 192

AdS, in: Die Gemeinde, 2.12.1951, 396; AdS, in: Die Gemeinde, 20.2.1955, 59; Die Stunde der Familie,

„Tanzen- ja oder nein?“, in: Die Gemeinde 4 (1963), 9. Tanzen sei keine „harmlose Sache“, denn man würde

dabei „Versuchungen aller Art ausgesetzt sein und vielleicht in Sünde und Schande geraten.“ 193

AdS, in: Die Gemeinde 30.10.1955, 347; AdS, in: Die Gemeinde, 17.6.1956. Der „Schmied“ hatte in seiner

Kasseler Gemeinde anhand von Mitgliederverzeichnissen festgestellt, dass es 78 Mischehen gab und damit die

Erwartungen der befragten „Geschwister“ um ein Vierfaches überstieg. Der Schmied folgerte daraus, dass die

sorgfältige Perzeption der Zahlen des Jahrbuchs so wichtig sei, um solche Trends nicht zu verpassen. AdS, in:

Die Gemeinde, 7.7.1957, 6; AdS, in: Die Gemeinde, 6.10.1957,6; Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Zur

Frage der Eheschließung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Teil 1-4, in: Die Gemeinde, 20.10.1957,

27.10.1957, 10.11.1957, 15.12.1957. Demnach würde angesichts der hohen Zahlen an Mischehen ein „geistli-

cher Notstand“ deutlich; Unsere Leser schreiben; in: Die Gemeinde 49 (1968). Demnach lebte 1968 in der Ge-

meinde Darmstadt ein Sechstel der Mitglieder in einer Mischehe. 194

AdS, in: Die Gemeinde, 7.3.1954, 76; AdS, in: Die Gemeinde, 23.3.1952, 91. 195

AdS, in: Die Gemeinde, 15.10.1949, 315. 196

AdS, in: Die Gemeinde, 20.2.1955, 59. „Wir wundern uns schon lange nicht mehr, daß in unserer modernen

Welt der berechenbaren Technik, der glasklaren Rationalisierung und der nüchternen Planung soviel wildes

Gestrüpp von Aberglauben und okkulten Bräuchen wuchert.“ 197

Der Christ und der Schlager. Wir dürfen nicht neutral bleiben, in: Die Gemeinde 8 (1960), 6f. 198

AdS, in: Die Gemeinde, 15.7.1951, 234f. 199

AdS, in: Die Gemeinde 15.6, 1952, 187. Demnach sei die Wahl von Schönheitsköniginnen „lächerlich und

sehr bedenklich“. 200

AdS, in: Die Gemeinde, 25.2.1951, 74; Die Gemeinde 36 (1959), 12; Inge-Regine Brandt, Zeichen der Zeit,

Dürfen Jugendliche „alles“ lesen?, in: Die Gemeinde 43 (1960), 11 Da manche Eltern „gute Gründe“ hätten,

„Kitschroman, ‚Krimi‘, Groschenheft oder ein literarisch anerkanntes, aber sittengefährdendes Erzeugnis“ zu

verbieten, läsen ihre Kinder heimlich. Seit 1953 untersuche die Bundesprüfstelle „die ‚jugendgefährdende‘ Wir-

kung von Büchern.“ Bücher die „als Kunstwerk ausgewiesen“ sind, dürfe man aber nicht auf den „Index“ setzen.

Es gelte des Weiteren als „‘prüde‘“ populäre Literatur nicht zu lesen. Auch aus Trotz den Eltern gegenüber und

aufgrund von Verboten, würde man allerdings erst recht solche Bücher lesen. Es gäbe aber nicht nur Bücher

voller „Obszönitäten“, „sondern auch die andern, die von makabrer (schaudererregender) Menschenverachtung

und Weltverneinung erfüllt sind und daher geeignet, einem unkritischen und ohnehin zur Schwermut neigenden

38

Zunahme der Jugendkriminalität.201

Man konzedierte zwar Anfang der 1950er Jahre, dass es

„einen christlichen Konservatismus, der sich gegen alle Neuerungen sträubt“ gäbe. Ihre An-

hänger glaubten „für die Wahrheit zu kämpfen, und“ wollten „im Grunde doch nur von alten,

lieben Gewohnheiten nicht lassen.“ So hätte man sich anfangs auch gegen „Sonntagschulen

und Jugendvereine“, gegen die „Wagen- und Zeltmission“ gewandt oder „über die radfahren-

de oder gar ‚motorisierte‘ Diakonisse die Köpfe geschüttelt“.202

Gegen Ende der 1950er Jahre

betonte man eindrücklich, dass man nicht modernisierungsfeindlich sei, sondern die Bewer-

tung von Neuerungen und Veränderungen abhängig mache von ihrer Intention: nutze man sie

um sich gegen Gott aufzulehnen, dann würde man sie ablehnen.203

4.3 Von Exklusion und Inklusion: Ghettoisierung und evangelikale Integration

Angesichts der Bedrohung durch die Welt schrieb man in der Gemeinde gegen individuellen

Eskapismus. Doch Anfang der 1950er Jahre wurde eine Art kollektiver Eskapismus als Leit-

bild konstruiert. Demnach wolle Gott nicht, „daß seine Kinder Säulenheilige oder Eremiten

werden […]. In der Gemeinde“ allerdings sei „der sichere Platz für Gläubige.“204

Es brach die

Phase an, in der man das Wachstum der unmittelbaren Nachkriegszeit konsolidieren wollte

und in der die baptistische „Bewegung“ sich zunehmend institutionalisierte. Das äußerte sich

im florierenden Kapellenbau der 1950er und 1960er Jahre, der durch die nun gefüllten Bun-

deskassen ermöglicht wurde. Die verbesserte Finanzlage war ein Resultat der wirtschaftlichen

Erholung im Zuge des „Wirtschaftswunders“. Aber beispielsweise wuchs auch die Zahl der

Studenten am Predigerseminar,205

was auf eine zunehmende theologische Professionalisierung

im Baptismus schließen lässt. Neben den neu errichteten Mauern, die „die Gemeinde“ nun

nach außen gegen „die Welt“ abschotteten, machte man sich daran die Gemeinde nach innen

zu gestalten.

Die Abgrenzung „der Gemeinde“ von „der Welt“ resultierte in auch selbst in der Gemeinde

wahrgenommenen Ghettoisierungstendenzen. Bibel- und Gebetsstunden, Chorproben, Jung-

schar-, Jugend-, Frauen- und Seniorenarbeit ermöglichten es den Mitgliedern und ihren Fami-

jungen Menschen Glauben und Hoffnung zu zerstören“. Grundsätzlich gelte, dass „ein junger Mensch“ nicht

„von den Klassikern, die er im Deutschunterricht lesen muß, noch von verbotenen Schmökern geprägt“ werde.

„Allein das Vorbild und Beispiel, aber auch der Kommentar seiner Eltern und Lehrer können ihm helfen, ein

geistiges, sittliches oder ein unsittliches Erzeugnis, das er in die Hand bekommt zu verarbeiten und in sein Welt-

bild einzuordnen.“ 201

AdS, in: Die Gemeinde, 10.1.1954, 11; AdS, in: Die Gemeinde, 28.1.1951, 42. 202

AdS, in: Die Gemeinde, 2.12.1951, 395. 203

AdS, in: Die Gemeinde, 5.11.1957, 17.11.1957, 6. 204

AdS, in: Die Gemeinde, 17.6.1951, 203; so auch Helmut Pohl, Absage an die vergehende Welt. Der Mensch

zwischen Weltflucht und Weltliebe, in: Die Gemeinde 47 (1964), 4f. Demnach sind „Weltliebe“ und „Gotteslie-

be“ unvereinbar. 205

Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat 1954, 17.

39

lien ihr ganzes Leben in der Gemeinde zu verbringen. Es wurde beispielsweise auch in vielen

Gemeinden der sogenannte „Gemeindesport“ eingerichtet, bei dem sich die Jugend zumeist

unter der Woche oder samstags körperlich betätigen konnte. So wurden Alternativen geschaf-

fen zum regen Vereinsleben „der Welt“. Denn Vereine bargen Gefahren moralischer und sitt-

licher Verweltlichung für die Baptisten, z.B. die Entheiligung des Sonntags aufgrund von

Punktspielen am „Tag des Herrn“. In einer „Zeit der sexuellen Zügellosigkeit“ helfe es nur

„keine Gemeinschaft mit der Finsternis zu haben.“ Daher sei es „für die meisten“ Christen

„gut,“ beispielsweise „bei Betriebsfeiern und sonstigen Veranstaltungen Außenseiter zu sein

[…] um der Sauberkeit ihrer Seele und ihres Leibes willen […].“ Denn „bei aller Aufge-

schlossenheit für die Welt brauchen wir doch eine gesunde Isolierung.“ Solche Exklusions-

konstruktionen verband man auch mit Konsumkritik.206

Solche Ghettoisierungstendenzen

seien ganz normal, so schrieb man in der Gemeinde, denn „Ghettozeiten“ würden sich immer

„mit Erweckungszeiten“ abwechseln.207

Die Abnahme konfessioneller Abgrenzung gegen die Kirche führte aber nicht nur zur Ab-

schottung gegen „die Welt“, sondern auch zu einer verstärkten Hinwendung zu den „entschie-

den christlichen Kreisen“ aus Frei- und Landeskirchen.208

In ihnen sah man „Brüder“, wäh-

rend alle anderen Mitglieder der Landeskirchen kaum als Teil der wahren Gemeinde Christi

wahrgenommen wurden und als „Namenschristen“ galten.209

Nun gab es schon seit Mitte des

19. Jahrhunderts Kontakte unter den „klassischen Freikirchen“ – Baptisten, Methodisten,

Freie Evangelische Gemeinden, Evangelische Gemeinschaftsbewegung. Mittlerweile geht

man davon aus, dass die deutschen Freikirchen aus der britischen und amerikanischen Erwe-

ckungsbewegung hervorgingen, die ihre Mission darin sah, den Siegeszug des Rationalismus

in Kontinentaleuropa durch Rechristianisierung aufzuhalten.210

Die Freikirchengründer des

19. Jahrhunderts waren demnach „eng mit der angelsächsischen Frömmigkeit, den Institutio-

nen und den missionarischen Initiativen des ‚Evangelicalism‘“, Erneuerungsbewegungen in-

nerhalb des Protestantismus verbunden.211

Ihre Aufgabe war es, den „evangelicalism“ in Kon-

tinentaleuropa zu verbreiten. Dabei nutzten die späteren Freikirchengründer wie Oncken zu-

nächst die sogenannten „societies“, überkonfessionelle Netzwerke mit sozial-caritativer, aber

206

Wilhard Becker, Die Bedrohung der gesunden Gemeinde, in: Die Gemeinde 33 (1962), 4f. „Der moderne

Götzendienst heißt: Anschaffung“, so Becker. 207

Wenn das Ghetto der Gemeinde sich öffnet. Ein Nachwort zum Jahr der Evangelisation – Zugleich ein Jah-

resbericht der Gemeinde Kassel-Möncheberg, in: Die Gemeinde 24 (1960), 7f. 208

AdS, in: Die Gemeinde, 6.5.1951, 156. 209

Wer ist mein Bruder in der Allianz, in: Die Gemeinde, 11.7.1954, 214. 210

Andrea Strübind, „Mission to Germany“. Die Entstehung des deutschen Baptismus in seiner Verflechtung mit

der internationalen Erweckungsbewegung und den Schwesterkirchen in den USA und in England, in: dies. &

Martin Rothkegel (Hg.), Baptismus. Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, 163-200, 164. 211

Strübind, „Mission“, 165.

40

vor allem missionarischer Intention, bevor sie ihre eigenen Kirchen gründeten. So bestanden

schon Mitte des 19. Jahrhunderts Kontakte zu „erweckten“ und „pietistischen“ Kreisen in den

Landeskirchen.

Für solche Kontakte bot die 1846 gegründete Evangelische Allianz eine Grundlage. Vor-

nehmlich traf man sich auf einigen überregionalen Konferenzen, z.B in Bad Blankenburg.

Aber auch auf lokaler Ebene begegneten sich die unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften

seit 1861 alljährlich Anfang Januar zur beliebten Allianzgebetswoche. Hier kamen nicht nur

die Leiter der Glaubensgemeinschaften zusammen. Allianzgebetswochen waren und sind

bottom-up-Zusammenkünfte.212

Diese Kontakte wurden nach 1945 intensiviert. So fand bei-

spielsweise die baptistische Zeltmission oftmals „auf Allianzboden“ statt.213

Dabei kam es

zwar immer wieder auch zu Konflikten – welcher Gemeinschaft sollten die „Bekehrten“ im

Rahmen der sich an die Evangelisationen anschließenden „Nacharbeit“ zugeführt werden,214

war die „urchristliche[n] Botschaft, einschließlich Taufe“ wirklich unverkürzt[en]“ –215

doch

grundsätzlich schien es Priorität zu haben, dass „Seelen gerettet werden.“216

Die Intensivierung der Kontakte auf Ebene der Evangelischen Allianz spiegelte sich auch in

der Gemeinde wieder. Die Zitationstechnik, die bei der konfessionellen Abgrenzung immer

wieder „Allianzchristen“ zu Wort kommen ließ wurde oben schon angedeutet. Nun wurden

vermehrt Artikel aus den verschiedenen Zeitschriften der sogenannten „Allianzchristen“, z.B.

dem Gnadauer Gemeinschaftsblatt veröffentlicht. So wurde 1953 ein Bericht von Pastor Zilz

über „Die gegenwärtige Situation in Kirche, Freikirche und der Gemeinschaftsbewegung“

abgedruckt.217

Darin beschreibt der Pietist Zilz wie „die Welt“ geprägt sei von „Verwirrung

und Verblendung“, „Totalität“ und „Rationalismus“. In der Presse sei man auf „‚Sensatio-

nen‘“ ausgerichtet und die Politik befände sich in einer Sackgasse. So würde „denen, die dem

Herrn Jesus angehören, ihre Fremdlingschaft [sic] immer deutlicher (1. Petr. 1,1).“ Man sei

zwar „‚in der Welt‘“ aber „nicht ‚von der Welt‘“. Hier zeigen sich in der pessimistischen

Wahrnehmung „der Welt“ starke Parallelen zu den Baptisten. Doch für den kirchlichen Pietis-

ten Zilz wurde nicht nur „die Welt“, sondern auch „die Kirche“ zu einer negativen Folie.

212

Joachim Cochlovius, Evangelische Allianz, in: TRE 10, 650-656. 213

AdS, in: Die Gemeinde, 6.5.1951, 156. 214

Ebd. 215

AdS, in: Die Gemeinde, 4.11.1951, 364. Aber auch die unterschiedlichen Einstellungen zur Taufe und der

Übertritt von einer Landeskirche in eine Baptistengemeinde seien vereinzelt noch aufgetaucht. Wer ist mein

Bruder in der Allianz, in: Die Gemeinde, 11.7.1954, 214. 216

AdS, in: Die Gemeinde 6.5.1951, 156. 217

Die Gemeinde, 17.5.1953, 149.

41

Man sei gespalten durch die Frage der „‚Wiederaufrüstung‘“ – für traditionell eher apolitische

Pietisten eine Verfehlung des Auftrags der Kirche. Die „‚Predigt‘“ sei „‚Vortrag […] aber

weit weniger Zeugnis, das sie doch sein sollte.‘“ Vor allem würde der Pietismus mittlerweile

„‚als eine Fehlentwicklung‘“ angesehen. Das führte Zilz auf die Frontstellung des Pietismus

„‚gegen die Theologie Bultmanns‘“ zurück, dessen „‚Gedanken‘“ noch „‚an Einfluß‘“ ge-

wönnen, vor allem unter dem theologischen Nachwuchs, aber sogar „,bis in Anstalten der

Inneren Mission hinein. Hier liegt eine ganz große Not.‘“218

Diese „‚Not‘“ der Pietisten schrie

geradezu nach der Stärkung alter Allianzen mit allen (protestantischen) „bibelgläubigen“

Christen. Zu den „bibelgläubigen“ Christen gehörten auch die Baptisten, deren Bibelausle-

gung zum damaligen Zeitpunkt noch fast ausschließlich durch Biblizismus geprägt war.219

Wie nahmen sie Bultmann wahr und was hatte er überhaupt für ein Programm?

Rudolf Bultmann, Professor für Neues Testament an den Universitäten Marburg und Tübin-

gen, hielt 1941 einen Vortrag über Neues Testament und Mythologie und löste damit eine von

der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre geführte Entmythologisierungsdebatte aus.220

Ent-

mythologisierung sei „ein Versuch – so sagt man – die geistlich-zeitlosen und die geschicht-

lich bedingten Elemente der neutestamentlichen Botschaft voneinander zu trennen, um dem

Menschen der Gegenwart die ersteren leichter zugänglich zu machen“, so der Schriftleiter

1952 in der Gemeinde.221

Für „bibelgläubige“ Christen kam dies einer Wiederbelebung der

„modernen“ Theologie gleich, wissenschaftlicher Bibelkritik, die die Bibel historisch-kritisch

las. Aus ihrer Sicht machte man so aus dem Heiligsten (der Bibel) etwas Profanes.

In der Gemeinde grenzte man sich seit Anfang der 1950er Jahre entschieden gegen Bultmann

ab: „Für uns gibt es hier keine Verständigung. […] Eine Theologie, die die Auferstehung Jesu

durchstreicht, erklärt damit Erlösung und ewiges Lebens für Täuschung. […] Wer sich ihr

anvertraut, stürzt zuletzt in den Abgrund.“222

Die „Legenden“ des Neuen Testaments, prak-

tisch alles, was im Glaubensbekenntnis ausgedrückt wird, „könne“ man „dem modernen Men-

schen nicht zumuten“, so Bultmann aus der Perspektive des Schriftleiters in der Gemeinde.

Doch „daran hängt unser Heil.“ Die Theologie Bultmanns sei ein weiterer Beleg dafür, dass

218

Ebd. 219

Andrea Strübind, Die unfreie Freikirche. Der Bund der Baptistengemeinden im‚DrittenReich‘, Neukirchen-

Vluyn 1991, 40ff. „Biblizismus“ war demnach die Radikalisierung des reformatorischen Schriftprinzips. 220

Bultmann, Rudolf. Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutesta-

mentlichen Verkündigung (1941), in: H.-W. Bartsch (Hg.), Kerygma und Mythos, Band 1, Hamburg 19604, 15-

48. Vgl. Gisa Bauer, Evangelikale Bewegung und evangelische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Ge-

schichte eines Grundsatzkonflikts (1945 bis 1989), Göttingen 2012, 268ff. 221

AdS, in: Die Gemeinde 15.6.1952, 188f. 222

AdS, in: Die Gemeinde, 25.3.1951, 108.

42

Theologie generell Christen von Gott eher abbrächte, als ihren Glauben zu stärken.223

Dass sei

im vergangenen Jahr „drei junge[n] Theologiestudenten […] allein in einer Stadt“ passiert.224

So erklärte man schließlich1952 angesichts einer „Erklärung zur Lehre Bultmanns […] von

einer Arbeitsgemeinschaft der Bekennenden Kirche im Siegerland“, die auch in der Gemeinde

abgedruckt wurde: „Wir möchten uns vielmehr offen in die Abwehrfront derer stellen, welche

die ganze Gefährlichkeit einer Theologie erkennen, die uns die Schrift fragwürdig macht, da-

mit aber alle Fundamente unseres Glaubens unterhöhlen will und die letzten Endes zu einem

Christentum ohne Christus führen muß.“225

Auf die Abgrenzung gegen „die Kirche“ folgte nicht nur die Abgrenzung gegen „die Welt“,

sondern auch eine erneuerte Abgrenzung gegen die „moderne“ Theologie. Dabei spielt die

Theologie Rudolf Bultmanns die entscheidende Rolle. Anfang der 1960er Jahre begrüßte man

die Entstehung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, eine Verbindung aus

dem „theologisch-konservativen kirchlichen Lager und dem Pietismus“.226

Doch selbst die

Perzeption der Bultmannschen Entmythologisierungsthesen schien im Baptismus in den

1960er Jahren heterogener zu werden. Wenn von der „momentan etwas gespannten theologi-

schen Situation im Bunde“ die Rede sei, dann „schüttele ich den Kopf“, so Ewald Goetze aus

Robertson, Südafrika 1966 in einem Leserbrief. Man bräuchte sich im Baptismus mit der

„‚modernen Theologie‘“ gar nicht zu befassen, denn „wir haben doch als Baptisten nur eine

Theologie, und die hat uns Jesus so klar gemacht.“227

Neben Bultmann hatte noch eine andere Person entschiedenen Einfluss auf die Konstruktion

von kollektiven Sinnstrukturen im freikirchlichen Milieu während der 1950er und 1960er Jah-

re: der amerikanische Evangelist Billy Graham. Erstmals wurde er in der Gemeinde Anfang

1954 erwähnt. Er erinnere in seiner „Wirksamkeit an Dr. R. Moody“, den charismatischen

amerikanischen Evangelisten und Erweckungsprediger des 19. Jahrhunderts, so schreib man

in der Gemeinde. Graham sei des Weiteren „aus Überzeugung Baptist“. Habe eine „unge-

wöhnliche Kenntnis der Bibel […], in der er lebt und deren Autorität ihm über jeden Zweifel

erhaben ist.“ Damit wurde Billy Graham als der ziemlich genaue Gegenentwurf zu Bultmann

konstruiert. Seine persönlichen Tugenden wurden dabei hervorgehoben: „Trotz seines schar-

223

AdS, in: Die Gemeinde, 2.11.1952, 347f. Gegen wissenschaftliche Theologie wandte man sich im Untersu-

chungszeitraum auch schon in AdS, in: Die Gemeinde, 1.12.1949, 363. 224

AdS, in: Die Gemeinde, 3.4.1955, 107f. 225

AdS, in: Die Gemeinde, 2.11.1952, 347f. Hervorhebung durch den Verfasser. 226

Bekenntnisbewegung „Kein Anderes Evangelium“, Geschichte und Ziele der Bekenntnisbewegung,

<http://www.bekenntnisbewegung.de/was/geschichte.php>, letzter Aufruf am 20. April 2013. 227

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 44 (1966).

43

fen Verstandes“ zeichne er sich vor allem durch „Bescheidenheit im persönlichen Umgang“

aus. Er habe „sich ganz dem Herrn ausgeliefert und ganz dessen Auftrag hingegeben“. Man

sehe „an ihm keine Selbstzufriedenheit, sondern eine echte Demut, verbunden mit einem töd-

lichen Ernst um der Sache willen.“ Ihm sei „an der Zusammenarbeit aller Kirchen gele-

gen.“228

Billy Graham betrat die religiöse Bühne Deutschlands im Sommer 1954, einer Zeit der Krise

für den Baptismus. Man hatte von seinen Erfolgen in den USA gehört. Bis zu 60.000 Men-

schen würden bei seinen Evangelisationsveranstaltungen erscheinen.229

Daher waren große

Hoffnungen mit ihm verbunden. Bereits bevor er deutschen Boden betrat, wurde er als eine

Art tugendhafter Heilsbringer überhöht, der der modernen Theologie entschieden und selbst-

bewusst entgegentrat und dabei eine überkonfessionelle „Allianz“ einforderte, um eine „blei-

bende Wirkung der Evangelisation“ zu erzielen.230

In der Gemeinde hoffte man auf „eine

starke Bewegung“.231

Und Graham schien die Hoffnungen zu erfüllen. Er redete nicht von Krise, sondern nährte

Rechristianisierungshoffnungen mit Verweis auf die hohen Auflagenzahlen christlicher Bü-

cher, überfüllte theologische Schulen und vermehrten Kirchenbesuch. „Gottes Erntezeit“ sei

„angebrochen“232

und die „Wiederkunft des Herrn“ rücke näher, so Graham 1954 in Berlin.233

Seine Evangelisationen wurden entscheidend auch durch die Evangelische Allianz vorberei-

tet. Neben Paul Deitenbeck war der baptistische Bundesdirektor Paul Schmidt Vorsitzender

der Evangelischen Allianz. Er leitete 1954 die mit der Grahamevangelisation einhergehenden

Gebetsversammlungen.234

Auch in der Öffentlichkeit rief Graham ein großes Echo hervor.

Neben der Tagespresse, die Graham zum Stadtgespräch habe werden lassen, erschien Graham

beispielsweise auch auf der Titelseite des Spiegel, der zudem auf sechs Seiten über ihn berich-

tete.235

Insgesamt habe Billy Graham „Zuversicht und gläubige Erwartung der Gemeinde Jesu

[…] in Bezug auf die Evangelisation […] neu gestärkt,236

so die offizielle Verlautbarung in

AdS.

228

Wilhelm Brauer-Dillbrecht, Billy Graham kommt nach Deutschland, in: Die Gemeinde, 7.2.1954, 37f.; Die

besondere Tugendhaftigkeit Grahams wird auch hervorgehoben in Glenn Daniels, Streiflichter aus Billy Gra-

hams Leben, in: Die Gemeinde 23 (1963), 9-11. 229

Brauer-Dillbrecht, Graham, in: Die Gemeinde, 7.2.1954, 37f. 230

Ebd. 231

AdS, in: Die Gemeinde, 13.6.1954, 188. 232

Die Gemeinde, 8.8.1954, 227-229. 233

Jakob Meister, Billy Graham in Berlin, in: Die Gemeinde, 25.7.1954, 245f. 234

AdS, in: Die Gemeinde, 27.6.1954, 204. 235

Paul Schmidt, Billy Graham in Düsseldorf, in: Die Gemeinde, 8.8.1954, 227-229. 236

AdS, in: ebd.; Nach AdS, in: Die Gemeinde, 25.7.54, 250 seien vor allem die Zeltmissionare ermutigt worden

von den Grahamevangelisationen.

44

Billy Graham funktionierte im Kontext des Kalten Krieges und des Wirtschaftswunders.237

Beschreibungen seiner Evangelisationen erscheinen jedoch verklärend. So habe es geregnet

bis „Sonntagmittag. Als Billy Graham zum Podium schritt, brach der erste Sonnenstrahl durch

die Wolken hindurch. Bald darauf wölbte sich über uns ein wolkenloser Himmel.“238

Bei ei-

nem Erfahrungsaustausch Berliner Baptistenprediger äußerte Otto Soltau, ein Pastor aus Wei-

ßensee, allerdings seine Zweifel an der Wirkung Grahams innerhalb des Baptismus. Er fragte

sich „ob unsere Gemeinden, unsere verantwortlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dafür

innerlich wach und willens seien, oder ob diese Erweckungsbewegung an den Pforten unserer

Gemeinde vorbeigeht, weil wir nicht mehr wie früher dem Trachten nach dem Reich Gottes

den ersten Platz in unseren Herzen einräumen.“ Zu stark schienen die ernüchternden Krisen-

symptome, die vor dem Advent Billy Grahams in Deutschland immer sichtbarer, Soltaus Be-

wusstsein schon geprägt zu haben.239

Kritik an Stil und „Methode“ Grahams,240

seiner moralischen Integrität241

und einer Art Per-

sonenkult,242

die man um ihn wahrnahm, wies man in der Gemeinde entschieden zurück.243

Doch Zweifel regten sich Anfang der 1960er Jahre auch im Baptismus. Graham sei zu ameri-

kanisch, ohnehin gingen nur Fromme zu seinen Veranstaltungen und generell überforderten

solche Massenevangelisation die Gemeinden. Dem entgegneten „die Brüder des Vorstandes

der ‚Deutschen Evangelischen Allianz‘“, dass Gott ihnen eine „innere Gewißheit darüber“

gegeben hätte, dass der Sittenverfall des Volkes besonderer Maßnahmen bedürfe, dass baptis-

tischen Gemeinden „der Neubelebung“ bedürften und dass man „gewiß“ sei, „daß Billy Gra-

ham mit dem vollen Segen des Evangeliums kommt.“244

Auch war eine Ausgabe der Gemein-

de 1960 eine „Billy-Graham-Nummer“245

– ein bis dato einzigartiger Vorgang, der den Spe-

237

Uta Balbier, Billy Graham in West Germany. German Protestantism between Americanization and

Rechristianization, 1954–70, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe,

7 (2010), H. 3, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Balbier-3-2010>, letzter Aufruf 15. April

2013 sowie dies., Billy Grahams Crusades der 1950er Jahre. Zur Genese einer neuen Religiosität zwischen me-

dialer Vermarktung und nationaler Selbstvergewisserung, in: Frank Bösch & Lucian Hölscher (Hg), Kirchen –

Medien – Öffentlichkeit. Transformationen kirchlicher Selbst- und Fremddeutungen seit 1945, Göttingen 2009,

66-88. 238

Meister, Graham, in: Die Gemeinde, 25.7.1954, 245f. 239

Langfristig haben sich Soltaus Befürchtungen zwar bestätigt. Doch kurzfristig scheinen die Graham-

Evangelisationen der Jahre 1954 und 1955 einen Mobilisierungseffekt im freikirchlichen Milieu ausgelöst zu

haben, der möglicherweise auch das leichte Ansteigen der baptistischen Taufzahlen in dieser Zeit erklärt (vgl. 7.

Appendix, Diagramm 2). 240

AdS, in: Die Gemeinde, 26.10.1960; Otto Johns, Billy Graham in Berlin, in: Die Gemeinde 47 (1966), 12-14. 241

AdS, in: Die Gemeinde, 20.2.55, 60. 242

AdS, in: Die Gemeinde, 5.9.1954, 283f; AdS, in: Die Gemeinde, 23.1.1955, 27. 243

Zeichen der Zeit, in: Die Gemeinde 1 (1964), 10. Graham wies man aber durchaus auch die Fähigkeit zu,

durch sein Charisma im persönlichen Kontakt auch ehemalige Kritiker wie den Theologen Helmut Thielicke zu

Fürsprechern zu machen. 244

Fr. Müller, Warum muß es Billy Graham sein?, in: Die Gemeinde 35 (1960), 8. 245

Die Gemeinde 45 (1960).

45

kulationen bezüglich eines etwaigen Personenkults um Graham gewiss vielerorts Nahrung

gab. Doch kann man wohl konstatieren, dass die Mobilisierungskraft Grahams schon Anfang

der 1960er Jahre an Zugkraft im freikirchlichen Milieu verloren zu haben schien.246

In einer Zeit der Krise des baptistischen Milieus wurde Billy Graham zu einer Art Scharnier,

der das vormals konfessionelle Milieu der Baptisten verband mit anderen Milieus von „gläu-

bigen“ Christen, wie den theologisch-konservativen Kirchenkreisen und pietistisch geprägten

Gruppen. Konfessionsübergreifend liefen diese Kreise 1954, 1955, 1960, 1963 und 1966 in

Scharen zu Billy Graham und füllten so nicht nur die bis zu 20.000 Menschen fassenden

Evangelisationszelte, sondern auch den Hamburger Stadtpark oder das Berliner Olympiasta-

dion.247

So werden Grahams „crusades“ zum größten protestantischen Massenspektakel der

1950er und 1960er Jahre in Deutschland neben den evangelischen Kirchentagen. Und er

selbst wurde zu einer Integrationsfigur für die evangelikale Bewegung, die sich um ihn und in

Abgrenzung zur Theologie Rudolf Bultmanns sammelte.

Vor allem Berichte über das Verhältnis der Baptisten zur Ökumene, Allianz und zum Pietis-

mus Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre verdeutlichen, dass die Konstruktion von

Identität sich für die Baptisten angesichts eines sich einerseits ausdifferenzierenden, anderer-

seits aber auch enger zusammenrückenden religiösen Feldes in der Bundesrepublik verkom-

pliziert hatte und die Erosion konfessioneller Grenzen schon fortgeschritten war.248

Gegen-

über der Ökumene war man eher zurückhaltend, da ihr nicht nur Religionsgemeinschaften im

für die Baptisten „neutestamentlichen Sinn“ angehörten.249

Gemeinsamkeiten sah man fast

ausschließlich auf dem Boden der Evangelischen Allianz. „Nur gläubige, wiedergeborene

Christen, also wirkliche Gotteskinder, können und dürfen sich den Brudernamen geben […].“

Dafür waren ein Schuldbewusstsein, eine Bekehrungs- und Vergebungserfahrung, anschlie-

ßende Heiligung bzw. Nachfolge, aber auch eine Art geistliche Toleranz, die über Bekennt-

nisunterschiede hinwegsehen kann, wenn denn die zuerst genannten Punkte erfüllt sind, es-

sentiell.250

Doch gab es auch Kritik, wenn auch nur vereinzelt, an der Verbindung mit Christen anderer

Glaubensgemeinschaften auf dem Boden der Evangelischen Allianz. Anlässlich eines gekürzt

246

Auch die Taufstatistik scheint dies widerzuspiegeln, denn in den 1960er Jahren gab es keinen ähnlichen Ef-

fekt durch Grahams Evangelisationen wie 1954 und 1955 (vgl. 7. Appendix, Diagramm 2). 247

Balbier, Graham, 2010, 4ff. 248

Karl Schütte, Unsere Stellung zur Ökumene, in: Die Gemeinde, 17.3.57, 2;Hans Luckey, Pietismus und Bap-

tismus (I) & (II), in: Die Gemeinde 21 & 22 (1962), 4f. 249

Ein Beitrag zu unserem Gespräch über die ‚Oekumene‘ von Dr. Rudolf Thaut, in: Die Gemeinde, 9.6.1957, 2f. 250

Wer ist mein Bruder in der Allianz, in: Die Gemeinde, 11.7.1954, 214; Rudolf Thaut, Die Stellung der Baptis-

ten zur Allianz und Ökumene in Deutschland, in: Die Gemeinde 28, 1965, 4ff,

46

in einer Art Fortschrittsgeschichte abgedruckten Briefwechsels zwischen zwei Freunden – der

eine Mitglied einer Landeskirche, der andere Baptist – der eine seitens der Schriftleitung un-

vorhergesehene Resonanz an Leserbriefen hervorrief,251

schreibt W. Dücker, dass man als

„Bibelchrist nicht ohne weiteres jemand die Bruderhand reichen“ könne, der die Kindertaufe

als „eine sakrale Handlung“ verstehe. Die Krise des Baptismus müsse man vielmehr durch

„Gemeindezucht“ lösen. „Bruder B“ hatte in dem besagten Briefwechsel geschrieben, dass „in

unseren Gemeinden so vieles ist, worüber man sich schämen muß.“ Das wollte J. Loboda

nicht akzeptieren. Man könne nach wie vor „selbstbewußt auftreten“, denn „vertrocknete

Bäume“ gäbe es nur vereinzelt. Vielmehr wolle er gar nicht mit Kirchenleuten zusammenge-

hen, denn „in meiner Umgebung wird von seiten der Kirchen kräftig auf uns geschimpft.“

Dazu schrieb dann aber Helmut Dahms: „Ich habe den Eindruck, als ob viele unserer Brüder,

besonders die älteren, nur die Kirche in ihrem Zustand um 1900 kennen und von den positi-

ven Veränderungen, die zweifellos in ihr Raum gewinnen, immer noch nichts wissen wollen.“

Darüber hinaus fand er J. Lobodas Einschätzungen zum Stand des geistlichen Lebens in den

Gemeinden „zu optimistisch“: „Das trifft weder für das innere Leben und Wachstum des ein-

zelnen zu noch für das zahlenmäßige Leben und Wachstum wie uns ein Blick in das Jahrbuch

unseres Bundes zeigt.“252

4.4 Von Pluralisierung, Demokratisierung und Politisierung

Seit Mitte der 1950er Jahre, einer Zeit der Identitätskrise innerhalb des Baptismus, lässt sich

in der Gemeinde eine zunehmenden Pluralisierung feststellen, die sich vor allem durch unter-

schiedliche Meinungen in Leserbriefen ausdrückt. Diese wurden in zunehmendem Maß von

der Schriftleitung abgedruckt, die unterschiedliche Meinungsäußerungen explizit begrüßte.253

Dabei werden Mitte der 1960er Jahre auch vermehrt die vollen Namen der Verfasser genannt.

Die Leserbriefe wurden für viele Leser schnell zur interessantesten Rubrik in der Gemein-

de.254

Deutlich werden in den Leserbriefen sehr unterschiedliche Einstellungen u.a. zum poli-

tischen Geschehen aber auch zur Hierarchie in den Gemeinden. Baptistische Selbstbilder er-

scheinen nicht mehr homogen. Doch durch das Forum, das die Leserbriefe boten, traten die

unterschiedlichsten Ansichten miteinander in einen Diskurs.

251

Zwischen Kirche und Gemeinde. Ein Briefwechsel, der uns alle angeht!, in: Die Gemeinde, 5.5.1957, 3; Die

Gemeinde, 12.5.57, 4; Die Gemeinde, 19.5.57, 4. 252

Zwischen Kirche und Gemeinde. Weitere Stimmen aus unserem Leserkreis, in: Die Gemeinde, 14.7.57, 2. 253

AdS, in: Die Gemeinde, 1.1.1956, 6; AdS, in: Die Gemeinde 9 (1962), 12; Leserbriefe, in: Die Gemeinde 17

(1967). 254

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 5 (1959), 10.

47

Eine Konfliktlinie verläuft zwischen den Generationen. Monika Grebe schreibt dazu: „Die

ältere Generation sollte sich klar machen, daß man einen jungen Menschen nicht mit christli-

chen Ansichten, Zeitschriften und Büchern überhäufen sollte, da der junge Christ dadurch

sehr leicht einseitig, fanatisch und gesetzlich würde, und der junge ungläubige Mensch abge-

stoßen wird.“ Solch „einseitige, fanatische und gesetzliche junge Christ[en]“ würden dann

„weltfremd“ werden. Johann Sandersfeld schreibt in der gleichen Ausgabe, dass ein Fernseher

für ihn „ein Teufelsinstrument“ sei „,welches möglicherweise Dämonen ins Haus bringt“, es

sei „ein Propagandagerät“, das „in naher Zukunft der falsche Prophet und der Antichrist be-

nutzen wird, wenn er seine Herrschaft antritt.“255

Hier wird auch ersichtlich, dass ganz unter-

schiedliche, geradezu voneinander divergierende Thematiken für einzelne Baptisten relevant

waren. Gerhard Mikosch versuchte solche klaffenden Gräben - zu überbrücken und plädierte

für ein echtes „Gespräch zwischen den Generationen“, denn die Umwelt wandle sich so ra-

sant, dass viele Ältere diese nicht mehr verstünden. Beide Seiten müssten allerdings von Vor-

urteilen Abstand nehmen wie „Haltlosigkeit und Verkommenheit der Jugend“ oder „Spieß-

bürgerlichkeit der Alten“.256

Neben den Leserbriefen lässt sich ein Wandel der Hierarchien auch in der Forderung von

Hans Bruns, einem pietistisch geprägten Theologen aus der Landeskirche, nach der Gründung

von Hausbibelkreisen erkennen.257

Hier wurde neben dem sonntäglichen Gottesdienst eine

Alternative geschaffen. In solchen Hausbibelkreisen bildeten sich eigene Hierarchien heraus.

Das damit allerdings auch Probleme verbunden waren wird 1962 ersichtlich. „Aus Gemein-

degliedern, die Jahre und Jahrzehnte hindurch nur Hörer waren, werden nicht von heute auf

morgen gute Gesprächspartner. Und aus Brüdern, die bisher nur Predigten und Reden gehal-

ten haben, werden nicht im Handumdrehen gute Gesprächsleiter.“258

Die neuen Kommunika-

tionsprobleme unterstreichen dabei allerdings, dass alte Strukturen sich zu wandeln begannen.

Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung wird erstmals 1963 in der Gemeinde zum Thema

gemacht.259

Dabei steht ein Mann im Vordergrund: „Dr. Martin Luther King. […] Er ist

Geistlicher. Wir wollen es noch genauer sagen: er ist unser Bruder, er ist baptistischer Predi-

ger. Und Millionen der amerikanischen Neger sind Baptisten.“260

Er wird in der Gemeinde

zum Vorbild stilisiert. Interessant ist daran, dass dabei nicht nur, wie bei Billy Graham, christ-

255

Unsere Leser schreiben, in: Die Gemeinde 3 (1960),12f. 256

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 4 (1967). 257

Die Gemeinde 7 (1959), 7. 258

AdS, in: Die Gemeinde 9 (1962), 11. 259

Amerikas Kirchen und die Neger. Die Trennung der Rassen geht weithin auch durch die Kirchen, in: Die

Gemeinde 37 (1963), 6f. 260

Günter Lorenz, Unser Bruder: Martin Luther King, in: Die Gemeinde 41 (1963), 4f.

48

liche Tugenden herausgestellt werden. „Der junge Prediger“ kenne nämlich neben seiner „Bi-

bel […] auch die Lehren der großen Philosophen und die Wahrheiten von Gandhis Wir-

ken“.261

Martin Luther King sei ein Vorbild für die „soziale und politische Verantwortung in

einem Christen“.262

Zum Streitthema wird dann, ob man sich mit der Bürgerrechtsbewegung solidarisieren solle

oder nicht. Rudolf Thaut mahnt aufgrund des Holocaust zur Vorsicht. Man habe im „Dritten

Reich“ selbst versagt und könne jetzt nicht den Amerikanern Ratschläge erteilen, auch da man

in Europa „die Probleme nicht nachvollziehen“ könne.263

Demgegenüber wendet sich die

Baptistengemeinde Münster in einem offenen Brief an den Baptistischen Weltbund und an die

Südlichen Baptisten in den USA.264

Aufgrund des Holocaust „ist unser Gewissen immer noch

voller Anklagen gegen uns selbst.“ Daher wolle man in Liebe warnen. „Aber wo immer Eure

Kirchen, Eure Gemeindeglieder auf der Seite des Hasses gegen eine rassische Minderheit ste-

hen, können wir nicht mehr auf derselben Seite sein, sondern auf der anderen.“265

In der glei-

chen Ausgabe wird dann die Antwort von K. Owen White, dem Präsidenten der Südlichen

Baptisten abgedruckt, der die Anliegen der Bürgerrechtsbewegung relativiert. Doch zeugt der

Leserbrief von T.A. aus V. in Kalifornien auch davon wie der Brief der Münsteraner, der in

The Baptist World abgedruckt wurde, eine positive Wirkung erzielte. So schreibt T.A. über

die Veränderung seiner Einstellung: „Jetzt hasse ich nicht mehr, weil ich nun erkannt habe,

wie verkehrt das war, und wie Gott mit mir unzufrieden gewesen sein muß, als Er sah, was

ich dachte.“266

Die „klassischen Freikirchen“ in Deutschland sind de facto aus traditioneller Nähe zum Pie-

tismus unpolitisch;267

ganz anders beispielsweise als die britischen Freikirchen, die entschei-

dend mitwirkten an der Gründung der Labour Party.268

So konstatierte man auch noch 1951in

der Gemeinde, dass man sich „grundsätzlich von politischen Erörterungen stets ferngehalten“

habe. „Nicht, daß wir über keine blaue, rote oder schwarze Tinte verfügten und über dieses

oder jenes Problem nicht eine eigene subjektive Meinung hätten […].“ Doch sei „es nicht

261

Ebd. 262

Otto Johns, Martin Luther King in Berlin. Soziale und politische Verantwortung in einem Christen, in: Die

Gemeinde 40 (1964), 6f. 263

Rudolf Thaut, Die amerikanischen Baptisten und die Rassenkämpfe, in: Die Gemeinde 41 (1963), 8-10. 264

Rassenstreit – dürfen wir mitreden?, in: Die Gemeinde 41, 1963, 10f. 265

Ebd. 266

Briefe an den Schriftleiter, in: Die Gemeinde 45, 1964, 2. 267

Strübind, Freikirche, 34. 268

Edward Palmer Tompson, The Making of the English Working Class, London 1963 beschreibt die enge Ver-

flechtung von Freikirchen und Arbeiterklasse.

49

unser Auftrag […] in den politischen Sprechsaal einzutreten.“269

1958 sprachen sich die Vor-

sitzenden der Evangelischen Allianz, der Bundesdirektor der Baptisten Paul Schmidt und der

pietistische Pfarrer und Evangelist Paul Deitenbeck, entschieden gegen die „Politisierung der

Gemeinde Jesus“ aus, denn diese brächte die „Gefahr der Ablenkung von der eigentlichen

Aufgabe der Gemeinde Christi“ [Evangelisation], die „Gefahr ungeistlicher Sortierung der

Gemeinde Christi“ und die „Gefahr gegenseitiger Verketzerung.“270

1962 sei durch einen Le-

ser der Gemeinde die Frage aufgekommen, „warum unser Blatt nicht zum aktuellen Ta-

gesgeschehen Stellung nimmt […]“, so der Schriftleiter, der daraufhin entgegnete, dass „eine

christliche Stellungnahme“ schwer zu verwirklichen sei. „Ein russischer Christ wird zum Ku-

ba-Konflikt anders Stellung nehmen als ein amerikanischer.“ Vielmehr sollten Christen „mit

ihrem Urteil sehr vorsichtig und zurückhaltend sein“ und „beten und Christus verkündigen

[…] erst recht in Krisenzeiten.“271

Erst 1966 kann man durch das Forum der Leserbriefe politische Äußerungen in der Gemeinde

finden. So kritisiert beispielsweise Gerhard Mikosch aus Worms, dass noch vor kurzer Zeit

„von der Regierungsseite zu hören“ gewesen sei, dass „in unserer hochgelobten pluralisti-

schen Gesellschaft für jeden Platz wäre.“ Doch „jetzt auf einmal müssen Gammler raus. Da-

bei kommt mir ein unheimlicher Gedanke: Heute die Gammler, morgen mal wieder Juden und

Freimaurer und Zigeuner und übermorgen vielleicht Baptisten?“272

Daraufhin entgegnete Hil-

degard Grodd aus Hamburg, dass „die Gammler […] uns eine Menge Steuergelder kosten.“

Denn „für jeden Gammler“ müssten „ein bis zwei Fremdarbeiter angeworben werden“.273

Vor allem 1967/68 erreichte dann die „Politisierung“ in der Gemeinde ihren Höhepunkt. Zum

polarisierenden Thema wurde auch bei den Baptisten der Vietnamkrieg. Auslöser einer länge-

ren Debatte war ein Bericht von P.C. Allen, einem amerikanischen Baptisten, über den Viet-

namkrieg in der Gemeinde.274

Die Mehrheit der schreibenden Leser lehnte den Vietnamkrieg

entschieden ab. Der Sonderschullehrer Hans-Peter Fröhlich, für den der Krieg in Vietnam vor

allem kein „gerechter Krieg“ war, forderte von P.C. Allen, dass er „seine Meinung für sich

behalten oder im Sinne des Evangeliums noch einmal überprüfen, oder […] den Dienst des

Evangeliums aufgeben“ solle. Dr. Robert Kohl aus Berlin schrieb, dass „dem Leser weisge-

269

AdS, in: Die Gemeinde, 14.1.1951, 26. 270

Politisierung der Gemeinde Jesus, Bericht aus dem Evangelischen Allianzblatt, in: Die Gemeinde,

30.11.1958, 6. Dabei war Paul Schmidt von 1930 bis 1932 selbst Reichstagsabgeordneter für den CSVD gewe-

sen. Vgl. Strübind, Freikirche, 339. 271

AdS, in: Die Gemeinde 46 (1962), 10. 272

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 31 (1966). 273

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 35 (1966). 274

P.C. Allen, Kann man das Vorgehen der USA in Vietnam gutheißen, in: Die Gemeinde 20 (1967).

50

macht werden soll, es handle sich bei dem Vietnamkrieg um Bekämpfung des Kommunismus.

Davon, daß das vietnamesische Volk Frieden, Freiheit, Einheit sucht, steht in dem Bericht

nichts.“275

Dr. med. Traugott Schostak aus Berlin war da ganz anderer Meinung. Ihn habe die

„Vietnam Demonstration in Berlin am 21.10.1967“ empört. Er fragte sich, „warum der Berli-

ner Senat sie gestattet“ habe und somit „den Möchtegern-Partisanen und Mitläufern im Verein

mit Berufsrevolutionären“ eine „weitere Gelegenheit gab“, die „demokratische Ordnung nach

allen demokratischen Regeln und Genehmigungen auf den Kopf“ zu stellen. Die Demonstran-

ten verglich er mit den Nationalsozialisten Anfang der 1930er Jahre. Auch Arnold Göhring

aus Seattle, Washington befürwortete den Vietnamkrieg und befand ihn sogar als „gerecht“.

Er schrieb, dass es „von vielen deutschen Baptisten als unvermeidliches Übel akzeptiert“

würde, dass „sowohl DIE GEMEINDE als auch die JUNGE MANNSCHAFT zum Pazifis-

mus neigen“. „DIE GEMEINDE sollte sich jedoch vor einer Degradierung zum Sprachrohr

des Kommunismus hüten“, denn die Stellungnahme Dr. Robert Kohls hätte „ohne weiteres

einer kommunistischen Zeitung entnommen worden sein“ können.276

Peter Eisenblätter aus

Hamburg schrieb in Reaktion auf Göhring, dass ihm „in der letzten Zeit bei vielen Leserbrie-

fen eher das rechte (!) Gegenteil der Fall zu sein“ scheine.277

E. Hornbacher aus Hamilton, Kanada empfahl den „Gläubigen“ angesichts solcher Polarisie-

rungen, „die Politik den Großen dieser Welt zu überlassen.“278

Helene von Brodorotti aus

Neviges versuchte die Auseinandersetzung zu versachlichen. Doch zugleich forderte sie, „daß

die Redaktion uns die Möglichkeit offen läßt, an Hand der gegebenen Nachrichten und Noti-

zen eine eigene Meinung zu bilden und nicht, wie es in mancher wenig ‚demokratischen Wei-

se‘ der Fall ist, versucht, den Gemeindegliedern eine Einheitsmeinung aufzuprägen (nach

Möglichkeit unfehlbar vom christlich-baptistischen Standpunkt aus!).“279

Heinrich

Schuirmanns aus Duisberg forderte weniger Politisierung, sondern vielmehr eine Art heilsge-

schichtliche Kontextualisierung der politischen Ereignisse in die Gemeinde.280

Gustav Rex

forderte die Abschaffung aller Beiträge über Vietnam: „Setzen Sie doch so dummes Zeug gar

nicht hinein! Es gibt doch bestimmt etwas über ernste Frage zu sagen: Können unsere Ge-

schwister vom Fernsehen, von der Zigarette und vielem anderen befreit werden?“ Das löste

bei Helene von Brodorotti aus Neviges Empörung aus: „‚Wir können und dürfen uns nicht

von der Welt zurückziehen und isolieren […]‘“. Das habe sie selbst jüngst „aus dem Munde

275

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 25 (1967). 276

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 51 (1967). 277

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 4 (1968). 278

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 41 (1967). 279

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 48 (1967). 280

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 5 (1968).

51

eines 81jährigen Predigers“ gehört.281

Auch Albert Katenkamp aus Leer in Ostfriesland282

und

Hans-Peter Fröhlich aus Lülsdorf gaben zu bedenken, „wie gefährlich es ist, wenn sich Chris-

ten abkapseln und so tun, als wäre die ganze Welt verloren.“

Die hitzige und polarisierende Auseinandersetzung um den Vietnamkrieg in der Gemeinde,

bei der man Baptisten absprechen wollte, Baptisten zu sein oder seine „Brüder“ beschimpfte,

Kommunisten zu sein, führte zu einer neuen Debatte. Paul Schmidt aus Berlin, lange Zeit

Bundesdirektor des deutschen Baptismus, forderte 1968, dass die Leserbriefe entweder abge-

schafft oder „auf das Gebiet der neutestamentlichen Gemeinde“ beschränkt werden sollten. Es

sei „besonders in Berlin deutlich geworden, daß durch diese Art öffentlicher und dann auch

persönlicher Behandlung solcher politisch, humanistisch-sozialen Aufgabengebiete wesent-

lich mehr Störung als Förderung entsteht.“283

Dem stimmten auch Wilhelm Grob aus

Holzgerlingen („‚Gezänke‘“) 284

und Jan Müller aus Emden („Tummelplatz der verschiedenen

Meinungen“)285

sowie Richard Gerth aus München zu.286

Sie alle stehen für eine traditionalis-

tische Richtung im Baptismus, die weiterhin apolitisch bleiben und sich auf Evangelisation

beschränken wollte.

Doch Schmidts Forderung erntete auch entschiedenen Widerspruch, z.B. von Dr. Günter

Wagner aus Rüschlikon: „Die Zeilen von P.S. aus Berlin“ würden „zum ersten schädlichen

Leserbrief, den DIE GEMEINDE veröffentlicht hat, wenn sie nicht die nötige Empörung her-

vorrufen. Das Ansinnen ist ja nun wirklich nicht mehr harmlos.“ Denn „Gängelbänder und

Maulkörbe“ würden zwar „zur Entmündigung überall feilgehalten, in der ‚neutestamentlichen

Gemeinde‘ aber nicht!“ Auch Edgar Lüllau aus Hamburg wendet sich gegen Schmidts Forde-

rung:287

Gerade nach dieser Regel, daß die Gemeinde Jesu Christi keine politische, humanistisch-soziale Frage

(kritisch!) behandeln darf, hat unser Bruder Paul Schmidt ja selbst im Dritten Reich die Geschicke der

Baptistengemeinden geleitet. […] Dies darf sich in unserer Bundesgemeinschaft nicht noch einmal wie-

derholen, denn wir sind gefragt, was wir als Christen zu den politischen und sozialen Fragen unserer

Zeit zu sagen haben.

Die leidenschaftliche Befürwortung der Leserbriefe entstammt einer modernistischen Rich-

tung im deutschen Baptismus, die neben Evangelisation auch die politische und soziale Ver-

antwortung der Gemeinden betonen und gerade vor dem Erfahrungshintergrund des „Dritten

281

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 33 (1968). 282

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 33 (1968). 283

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 7 (1968). 284

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 11 (1968). 285

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 16 (1968). 286

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 30 (1968). 287

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 11 (1968).

52

Reiches“ für Transparenz und Meinungsfreiheit, Pluralisierung und demokratischere Struktu-

ren eintrat.

H. N. Rose aus Holland wies darauf hin, dass die Leserbriefe auf keinem Fall abgeschafft

werden sollten, da sie „für den nötigen Humor“ sorgten. Nur so würde man erfahren, dass

manche Leser die Gemeinde abbestellten, weil Inhalte ihrer Meinung widersprechen, um sie

dann wieder zu bestellen, wenn etwas ihrer Meinung entspricht.288

Auch Dr. Bernhard Popkes

aus Essen bricht eine Lanze für die Leserbriefe, denn sie „charakterisieren den Baptismus mit

allen seinen Möglichkeiten und Gefährdungen besser als viele offizielle Verlautbarungen.“289

So auch Ilse Schmidt aus Erlangen, die in den Leserbriefen „ein gutes Spiegelbild des deut-

schen Baptismus“ sieht, dass „die verschiedenen theologischen Richtungen innerhalb der

Gemeinden“ verdeutliche. Denn grundsätzlich handele es sich um einen „so wenig homoge-

nen Leserkreis“.290

Neben der zunehmenden Pluralisierung des Baptismus seit Mitte der

1950er lässt sich auch ein Wandel feststellen bezüglich des Verhältnisses zur eigenen Ge-

schichte.

4.5 Von der Negation von Tradition zur Erfindung von Tradition

Im Gegensatz zur Herrnhuter Brüdergemeine, die bei Identitätskonstruktionsprozessen traditi-

onell auf Tradition rekurriert, sind die deutschen Baptisten aus Tradition eher traditionslos.291

Wie eingangs erwähnt, pflegen die Baptisten ein „dynamisches Kirchenverständnis“, dass in

einem „prozesshaften ‚Kirche-Sein‘“ resultiert. Das habe nach Strübind eine „hohe Anpas-

sungsfähigkeit an unterschiedliche kulturelle und gesellschaftliche Gegebenheiten“ zur Folge,

aber auch einen Mangel an „Identifizierbarkeit“.292

Dem liegen neben theologischen wohl

auch sozialstrukturelle Ursachen zu Grunde.293

Die baptistischen Ortsgemeinden intendierten

von Generation zu Generation erneut eine direkte Anknüpfung an die Gemeinde des Neuen

Testaments. Die Konstruktion und Aufrechterhaltung einer Gruppenidentität findet daher im

deutschen Baptismus traditionell unter erschwerten Bedingungen statt.294

Mit Entlehnung

einiger Termini von Maurice Halbwachs könnte man fragen, ob das „kollektive Gedächtnis“

der deutschen Baptisten ein „kommunikatives“, nicht aber ein „kulturelles“ war und wohl

288

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 13 (1968). 289

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 15 (1968). 290

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 22 (1968). So auch in der gleichen Ausgabe Ewald Goetze aus Robertson,

Südafrika und etwas später Vom Schriftleiter. Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen unter

Brüdern, in: Die Gemeinde 35 (1968). 291

Richter, Pietismus. 292

Strübind, Vorwort, VIIf. 293

Das das reformatorische sola scriptura führte zur Negation von kirchlicher Tradition, zur Ausrichtung allein

nach der Bibel. Vgl. Strübind, Freikirche, 40ff. 294

Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis, München 20073.

53

auch heute noch ist.295

Damit ist gemeint, dass Erfahrungen und Traditionen zumeist über

einen Zeitraum einiger Generationen mündlich ausgetauscht, nicht aber schriftlich fixiert

werden, um sie zu konservieren.296

Im Bearbeitungszeitraum dieser Untersuchung kann man

allerdings einen Wandel hin zur vermehrten Konstruktion von Tradition beobachten.

Bis 1953 wird in der Gemeinde kaum Erinnerung konstruiert. Die wenigen Ausnahmen bezie-

hen sich auf punktuelle Erinnerungskonstruktionen, vor allem in der Hochphase des Konfes-

sionalismus nach 1945. Erinnerung dient so 1948 als Stütze für die Abgrenzung gegen „die

Kirche“. Man erinnerte sich z.B. angesichts des Jubiläums von 1848 in AdS daran, dass es

1848 nicht die Kirche, sondern der Staat gewesen sei, der „unsern verfolgten Vorkämpfern

Gerechtigkeit widerfahren ließ“.297

Auch sei man von eben dieser Kirche immer als „sture

unbelehrbare Sekte“ beurteilt worden, wesentlich schlechter als solche Religionsgemeinschaf-

ten, die die Kindertaufe trotz ihrer Trennung von den Staatskirchen noch praktizierten.298

Eine

solche Erinnerungskonstruktion stellt aber Ende der 1940er Jahre eine Ausnahme dar.299

In der sich anbahnenden Krise, Mitte 1953, begann man sich jedoch in der Gemeinde zaghaft

der baptistischen Wurzeln zu erinnern. Diese lägen „in der Vergangenheit, in einer großen,

kämpferischen Vergangenheit! […] Unser Väter […] wußten sehr wohl, daß der Angriff die

beste Verteidigung“ sei.300

Angesichts einer sich verstärkenden Krisenperzeption scheint es,

dass man durch Erinnerung an die „kämpferischen“ Väter Resilienz für die Gegenwart gene-

rieren wollte.

In der Zeit der Bundeskonferenz von 1954 war man sich allerdings bewusst, dass man „wenig

geschichtlichen Sinn entwickelt“ habe. So sei die „übermäßige Verehrung von Männern, die

in unserm Werk einmal einen besonderen Platz eingenommen haben […] noch nie unsere

Gefahr gewesen.“ Doch „Menschen sobald vergessen, die einmal unter Segen von oben einen

besonderen Platz in unserem Werk ausgefüllt haben“ sei „undankbar“ und „töricht. Wir be-

rauben uns dadurch selbst mancher Hilfe.“ Baptisten würden nicht „aus der Geschichte“ ler-

295

Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967. Das Zentrum für Baptismusstudien, das 2012

in Elstal eingerichtet wurde, kann als ein Beleg dafür gedeutet werden; auch dafür, dass sich die Baptisten wie-

der einmal in einer Identitätskrise befinden. 296

Hier muss man allerdings beachten, dass die Baptisten sich selbst Anfang der 1960er Jahre erst in der vierten

Generation verorteten. Dieser sei die „‚Erlebnis-Generation‘ mit dem Motto ‚Jeder Baptist ein Missionar!‘“

vorangegangen, auf die „die Generation der ‚Lehre‘“ und „die des ‚Erbes‘“ gefolgt seien. Vgl. Die Stunde der

Familie, Tanzen- ja oder nein?, in: Die Gemeinde 4 (1963), 9. 297

AdS, in: Die Gemeinde, 1.5.1948, 38. Vgl. auch Kapitel 4.1. 298

Die Gemeinde, 15.5.1949. 299

Die Negation von Tradition veranlasste den „Schmied“ in AdS, in: Die Gemeinde, 15.4.1949, davor zu war-

nen, „eine ‚geschichtslose Sekte‘ zu werden“, denn „die jungen Männer, die nach Hamburg-Horn [damaliger

Standort des Predigerseminars] kommen, haben samt und sonders keine Beziehung zur Vergangenheit.“ 300

AdS, in: Die Gemeinde, 28.6.53, 203.

54

nen, „weil wir uns um die Geschichte gar nicht kümmern. – Soll das so bleiben?“301

Dieser

rhetorischen Frage ließ man nach zwei Wochen Taten folgen. Erinnerung wurde konstruiert

um beispielsweise das strukturelle Verhältnis von Ortsgemeinden mit dem Bund zu erör-

tern.302

Ein Jahr später erinnerte man sich in AdS an „Zwangstaufen“ und andere Formen der

Verfolgung im 19. Jahrhundert. „Wie arm und matt kommen wir uns dagegen vor! Wie wenig

haben wir von dem geistlichen Elan und Schwung und der Bekenntnisfreudigkeit, die unsere

Väter auszeichneten“.303

Hier wird kontrastiert zwischen den ersten Generationen der Baptis-

ten, die als standhafte Vorbilder stilisiert werden und Verfolgung getrotzt hätten und der ge-

genwärtigen Generation der Baptisten – das Ergebnis: ein Ausdruck von Ernüchterung, von

Apathie.

1956 und 1958 wird verwiesen auf die Publikation der „Freikirchengeschichte“ des schwedi-

schen Kirchengeschichtlers Gunnar Westin, eines führenden schwedischen Baptisten und Pro-

fessors an der Universität von Uppsala und auf die Geschichte der deutschen Baptisten in

zwei Bänden von Rudolf Donat.304

1959 und 1964 werden vor allem aus Donats Werk Aus-

schnitte als Fortsetzungsgeschichten veröffentlicht. Dabei stehen Vorbilder der Baptisten aus

dem 19. Jahrhundert wie Jeremias Grimmel, Johann Gerhard Oncken und Julius Köbner im

Vordergrund.305

Neben der Konstruktion von Vorbildern bildeten auch Jubiläen einen Anlass

zur Konstruktion von Tradition in Form kurzer Geschichten des deutschen Baptismus.306

Des

Weiteren gab es Betrachtungen über die Geschichte der amerikanischen und der englischen

Baptisten.307

Auffällig erscheint in einem Kommentar zur „Freikirchengeschichte“ von Gun-

nar Westin, dass man sich gegen die „Münsterer Rotte 1535“ abgrenzt. Damit begründet man

zum einen das baptistische Engagement für die Trennung von Kirche und Staat – sozusagen

aus schlechter historischer Erfahrung. Zum anderen nutzte man die konstruierte Negativfolie

der Münsteraner Täufer um Thomas Müntzer in der Gemeinde, um das Ende der 1950er Jahre

301

Die Gemeinde, 8.8.1954, 229f. 302

W. Klein, Ortsgemeinde und Bundesgemeinde, in: Die Gemeinde, 22.8.1954, 263f. In der ersten Generation

sei der Bund von „oben nach unten“ konstituiert gewesen, wohingegen sich in der zweiten Generation der

„independentistische Gedanke“ durchgesetzt habe. In der dritten Generation sei das Pendel dann wieder umge-

schlagen: „Es kam die Zeit des ‚Führerprinzips‘“. So war man sich sicher, dass zumeist „das politische Leben

der Umgebung […] wesensfremd in das Leben der Gemeinden eingriff“. 303

AdS, in: Die Gemeinde, 4.9.1955, 283. 304

AdS, in: Die Gemeinde, 2.12.1956, 3f. Vgl. Gunnar Westin, Der Weg der freien christlichen Gemeinden

durch die Jahrhunderte. Geschichte des Freikirchentums, Kassel 1956; AdS, in: Die Gemeinde, 23.2.58, 10. Vgl.

Rudolf Donat, Wie das Werk begann. Entstehung der deutschen Baptistengemeinden, Kassel 1958. 305

Die Gemeinde 1-7 (1959); Die Gemeinde 45-52, (1964). 306

Zur Ehre Gottes und zum Wohl des Volkes. 125 Jahre Baptismus in Deutschland, in: Die Gemeinde 16

(1959), 5. 307

Waldemar Gutsche, Einblicke in Leben und Geschichte des amerikanischen Baptismus (I) & (II), in: Die

Gemeinde 49 & 50 (1962), 4-6; John Smyth – Anfänge des modernen Baptismus, in: Die Gemeinde 31, (1964),

6; Die englischen Baptisten seit dem Zweiten Weltkrieg, I. und II. Teil, in: Die Gemeinde 38 & 39 (1967).

55

langsam aufkommende politisches Engagement einzelner Baptisten abzuwerten. „Bedauerli-

cherweise“ würde man nämlich „in manchen Freikirchen […] in verwirrender Weise die

staatsbürgerliche Verantwortung mit einer politischen“ verwechseln.308

Versuche der Selbstvergewisserung durch die Konstruktion von Tradition nehmen im Unter-

suchungszeitraum ab 1953 zu. Die quantitative Rezession der Baptisten und ein daraus resul-

tierendes Krisenbewusstsein auf der einen Seite sowie die Zunahme schriftlicher Konstruktion

von Tradition auf der anderen Seite, scheinen zu korrelieren. In den 1940er wird Erinnerung

primär zum Zweck der konfessionellen Abgrenzung konstruiert. Ab Mitte der 1950er Jahre

erscheinen Erinnerungskonstruktionen als Ausdruck eines sich steigernden Krisenbewusst-

seins. Ende der 1950er werden Erinnerungskonstruktionen auch dazu genutzt, Transformatio-

nen – im dargestellten Fall politisches Engagement – zu beeinflussen. Aus einigen vom

Schriftleiter 1964 in der Gemeinde kommentierten Leserbriefen geht hervor, dass viele Leser

durch die Historisierung baptistischer Vergangenheit „Heiligenverehrung“ und „Personen-

kult“ fürchteten. Andere warnten jedoch davor dass „Geschichtslosigkeit […] für gewöhnlich

das Zeichen von Sekten“ sei und eine Sekte wolle man ja wohl nicht sein. Außerdem sei auch

die Bibel – vor allem das Alte Testament – voll mit „Geschichtsbüchern“. Denn „Die Sache

Gottes aber hat stets Geschichte.“309

4.6 Von Schuld und Verantwortung: der Umgang mit dem „Dritten Reich“

Ende 1967 schrieb Emil Eggert aus Hamburg in einem Leserbrief:„Ich bin jüdischer Ab-

stammung, meine Mutter war Jüdin, mein Vater war kein Jude. Ich habe eine Jüdin zur Frau.

Wir beide sind Baptisten. Was meine Frau und ich am eigenen Leibe erfahren haben, kann

nicht ausgewischt werden.“310

Nach 1945 sah es allerdings lange Zeit so aus, als könne alles

Leid und Unrecht, das im „Dritten Reich“ geschah, sehr wohl „ausgewischt“ werden, sowohl

in der Bundesrepublik als auch im deutschen Baptismus. Einige Monate nach Emil Eggert

schrieb Friedrich Halmos aus Kassel in einem Leserbrief: „Unsere Gemeinden waren in der

fraglichen Zeit des ‚Führerprinzips‘ seitens der Bundesleitung dringend gebeten, alles zu un-

terlassen, was der Partei Anlaß geben könnte, gegen sie einzuschreiten.“ Nach dem Krieg sei

Verantwortung dann „von den maßgeblichen Brüdern abgetan“ worden „mit der ‚Entschuldi-

gung‘: ‚Wir haben nicht anders gekonnt!‘ Damit ging man zur sogenannten Tagesordnung

308

Vom Auftrag der Freikirchen. Zu dem Buch von Gunnar Westin ‚Geschichte des Freikirchentums‘, in: Die

Gemeinde 14, 1959, 4f. 309

Vom Schriftleiter. Mit den Kräften der Geschichte leben – aber kein Personenkult, in: Die Gemeinde 34

(1964), 10f. 310

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 50 (1967).

56

über und freute sich an dem Zustrom zu den Gemeindeveranstaltungen.“ Kritische Stimmen

zur Rolle der Baptisten im „Dritten Reich“ und zum Holocaust und ihrem Umgang damit ge-

nerell finden sich in der Gemeinde tatsächlich erst in den 1960er Jahren.311

Wie von Friedrich

Halmos angedeutet, versuchte man sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit jeglicher Ver-

antwortung am Nationalsozialismus zu entziehen und stilisierte Baptisten in der Gemeinde

kollektiv als Opfer. Damit meinte man jedoch nicht jüdische Baptisten wie Emil Eggert, son-

dern das Gros der nichtjüdischen Baptisten.

1947 reagierte man in der Gemeinde sehr gereizt auf Kritik holländischer Baptisten, die in

ihrer Zeitschrift anführten, dass die deutschen Baptisten dem Führer viel zu verdanken hätten

und dass man ihnen „tiefe Reue über ihr Vertrauen zum Nationalsozialismus“ wünsche. In

AdS entgegnete man trotzig, dass „die überwältigende Mehrheit unsrer Glieder dem national-

sozialistischen Regime innerlich fern, ja feindlich gegenüberstand und darunter unsäglich

gelitten hat.“ Daher könnten die Baptisten „auch ein ‚Vertrauen zum Nationalsozialismus‘

unmöglich bereuen, eben weil wir kein solches hatten.“312

Doch trotz des „Eingeständ-

nis[ses]“, dass man sich zwar „mannhafter und leidenswilliger“ hätte „auflehnen sollen“, soll-

te dies „nicht der breiten Öffentlichkeit und ihrer verständnislosen Kritik ausgeliefert wer-

den“, sondern gehöre vielmehr „in das stille Buß-und Betkämmerlein des einzelnen“, so wei-

ter in der Gemeinde. Und „Einem anderen Reue anzuraten“ würde „gewisse psychologische

Gesetze“ missachten und obendrein seien die Baptisten doch eher Opfer gewesen angesichts

der noch vermissten 26.000 und toten 4.000 Mitglieder.313

Berichtet wurde in dieser Zeit in der Gemeinde von Christen, die auch in Todesgefahr tapfer

ihren Glauben bekannt hätten und deshalb in der Gemeinde quasi zu Helden stilisiert wur-

den.314

Vor dem Hintergrund allgemeinen Hasses, der Deutschland im Ausland entgegen-

schlüge, berichtete man über einen franz. Judenchrist und einen holländischem Baptisten, die

den deutschen Baptisten auf einer Konferenz mit Liebe u Verständnis begegnet seien.315

An-

gesichts der Nürnberger Prozesse berichtete man in der Gemeinde über den evangelischen

Pastor Gericke, der die 21 Hauptschuldigen und in Nürnberg zum Tode verurteilten seelsor-

gerlich betreute. Dabei standen nicht deren Verbrechen im Vordergrund, sondern die Bekeh-

rungserlebnisse von Ribbentrop, Keitel, Sauckel, Speer, Raeder, Fritsche und Schirach.316

311

Kurt Barthel, Kein Platz für „Israel“, in: Die Gemeinde 6 (1960), 8. 312

AdS, in: Die Gemeinde, 1.11.47, 85. 313

AdS, in: Die Gemeinde,1.11.1947, 85. 314

Ads, in: Die Gemeinde, 15.12.48. 315

Ebd. 316

AdS, in: Die Gemeinde, 1.4.1949, 106.

57

Auch ein Bericht aus der Oldenburger Nordwestzeitung vom 3.5.1949 wurde in der Gemeinde

abgedruckt, in dem von einem ehemaligen SA-Mann die Rede ist, der 1933 einen Kommunis-

ten erstach. Nach dem Krieg habe sich „‚das Gewissen des Mörders zu regen‘“ begonnen

„‚durch den Umgang mit Einwohnern, die der Baptistengemeinde angehören‘“. Daraufhin

habe er sich der Polizei gestellt.317

Des Weiteren wurde in AdS über die Monographie „Die

Entehrung der Frauen im erorberten Europa“ des amerikanischen Professors A. J. App berich-

tet, derzufolge „das deutsche Heer in seinem Verhalten den Frauen gegenüber bei weitem die

anständigste und ordentlichste Besatzungstruppe des zweiten Weltkrieges war.“318

Generell war aus Perspektive der Baptisten Geschichte Heilsgeschichte.319

Gott hält demnach

das Schicksal der Welt in seiner Hand, hat einen „Plan“ trotz aller „Zufälligkeiten“. Menschen

sind seine „Werkzeuge“.320

So konstatierte man in AdS zehn Jahre nach Kriegsende: „alle

Fragen nach dem Warum muß verstummen vor diesem Handeln Gottes in geschichtlichen

Entscheidungen“. Die menschliche Verantwortung sah man „in dem vermessenen Hoch-

mutswahn der nationalsozialistischen Regierung“. Dabei wüssten „Jünger Jesus […], daß sie

nicht gerufen sind, andere anzuklagen, sondern sich selbst zu prüfen, wo sie versagten.“ Da

seien „Mangel an Klarheit über die Weisungen unseres Herrn und an Gehorsam gegen Seinen

Willen, an gläubigen Rechnen mit Seiner Macht und an liebendem Mitttragen der Lasten un-

seres Volkes“ gewesen.321

Diese eher revisionistischen Erinnerungskonstruktionen, die keine

Gefahr für ein positives Selbstbild darstellten, nahmen seit Anfang der 1960er Jahre sukzessiv

ab bzw. erhielten Konkurrenz durch kritische Erinnerungsversuche. Das entspricht in etwa der

Haltung der Mehrheitsgesellschaft in den 1950er Jahren zum „Dritten Reich“ bzw. der histo-

riographischen Rezeption.

Angesichts der „antisemitischen Auswüchse der letzten Wochen“ müsse man die „Stimme der

gläubigen Christenheit“ erheben, so Kurth Barthel Anfang 1960,322

denn es sei

doch eine unbestreitbare Tatsache, daß wir, die wir uns gläubig nennen, schon einmal geschwiegen ha-

ben, als Israel mitten unter uns furchtbares Unrecht geschah. Wo wurde öffentlich für die Juden (und all

die anderen Verfolgten und Inhaftierten des ‚Dritten Reiches‘) gebetet? Aber wir haben vergessen, ha-

ben uns weithin selbst entschuldigt und gerechtfertigt. Vielleicht kann Gott heute darum unserm Land

keine Erweckung schenken, vielleicht ist deshalb in unsern Reihen Kraftlosigkeit und Rückläufigkeit.

Hier wird in der Gemeinde erstmals explizit der Holocaust thematisiert. Der mangelnde Wi-

derstand gegen Antisemitismus damals sowie Entschuldigungen und Selbstrechtfertigungen

317

AdS, in: Die Gemeinde, 1.6.1949, 171. 318

AdS, in: Die Gemeinde, 1.11.1949, 331. 319

Strübind, Freikirche, 44. 320

AdS, in: Die Gemeinde, 25.1.1953, 27. 321

AdS, in: Die Gemeinde, 20.3.1955, 91. 322

Kurt Barthel, Kein Platz für „Israel“! in: Die Gemeinde 6 (1960), 8.

58

nach dem Krieg verpflichteten Christen nach Barthel zu einem entschiedenen Einsatz gegen

Antisemitismus in der Bundesrepublik. Dass Barthel allerdings – zumindest spekulativ – eine

gegenwärtig ausbleibende „Erweckung“ sowie „Kraftlosigkeit“ und „Rückläufigkeit“ kausal

mit den Verfehlungen der Baptisten im „Dritten Reich“ verknüpft, ist zum einen ein weiterer

Indikator für ein schon in den 1950er Jahren vorhandenes Krisenbewusstsein der deutschen

Baptisten, dass nun auch Einfluss gewann auf baptistische Erinnerungskonstruktionen bzgl.

des „Dritten Reiches“. Zum anderen können solche Gedankengänge auch als Beginn der

(oftmals unkritischen) Begeisterung des evangelikalen Milieus für Israel gedeutet werden –

gerade angesichts der Perzeption der heilsgeschichtlichen Bedeutung Israels.323

Doch nicht nur eine neue Mission konnte man aus dem Umgang mit der Vergangenheit ablei-

ten. Auch Kritik an bestehenden Hierarchien, die in aktuellen Strukturdebatten und Auseinan-

dersetzungen um die Demokratisierung der Gemeinden aufkam, scheint gestützt worden zu

sein durch Erinnerungskonstruktionen. „Es gab bei uns doch Leute, die das ‚Führerprinzip‘“

begrüßten, so der Schriftleiter in AdS. „Sie halten auch heute die Gemeinde noch nicht für

mündig.“324

Schließlich führten Erinnerungskonstruktionen nicht zuletzt auch zu ungewöhnli-

chen Schulterschlüssen. Anlass dazu bot Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“,

dem wohl bis dato umstrittensten der Nachkriegszeit,325

dass den damaligen Papst für seinen

mangelnden Widerstand gegen den Holocaust kritisierte. Der Schriftleiter der Gemeinde

kommentierte dazu, dass doch wohl „die entscheidende Frage“ sei, ob nur der Papst die

Pflicht zum Widerstand gehabt habe oder „in Wirklichkeit nicht alle Christen, ohne Ausnah-

me“.326

Doch erst in den 1960er Jahren fing man in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit an, den

Holocaust zu diskutieren. Erst in den 1960er Jahren war auch in der Gemeinde durch die Ver-

öffentlichung von Leserbriefen dafür ein Forum gegeben. So konnte (und musste) Emil Eg-

gert um 1968 selbst dafür sorgen, dass das von ihm und seiner Frau erfahrene Leid nicht

„ausgewischt“ wird. Er bezog sich dabei auf einen Artikel von W. Gutsche, der „den Juden-

haß auf die Gottlosen abschiebt.“ Damit mache es sich W. Gutsche „zu leicht“, so Eggert.

323

Kurth Barthel, Israel – dennoch Gottes auserwähltes Volk (I) & (II). Eine Bibelarbeit über die Kapitel 9 bis

11 des Römerbriefes, in: Die Gemeinde 12 & 13 (1960), 4f. Demnach gäbe es eine „Parallelität der beiden Er-

eignisse, Entrückung der Gemeinde und Bekehrung Israels“. Daher könne „für den bibelgläubigen Christen […]

Israel niemals nur ein Volk sein neben vielen anderen Völkern, sondern es ist das Volk der Erwählung, das Gott

bald völlig erneuern wird, so daß es wieder den Auftrag des Segensvermittlers für alle Völker ausführen kann.“ 324

AdS, in: Die Gemeinde 17 (1963). Das „‘Führerprinzip‘“ sei durch das „‘demokratische Prinzip‘“ ersetzt

worden „- wenigstens grundsätzlich, wenn auch nicht überall praktisch […]. Verdächtig ist bei alledem, daß wir

so anpassungsfähig sind.“ Schon während der Suezkrise wurde Israels zentrale Rolle in der Heilsgeschichte in

AdS, in: Die Gemeinde, 18.11.1956, 6 herausgestellt. 325

McLeod, 69ff. Demnach waren Tabubrüche wie Hochhuths Theaterstück Charakteristika der frühen 1960er. 326

Wort des Schriftleites, in: Die Gemeinde 26 (1964), 2.

59

Seine damals noch Verlobte sei nämlich „von einer christlichen Schwester vier Treppenstufen

hinuntergestoßen“ worden „mit den Worten: ‚Was hast du Judenweib hier zu suchen?‘“ Das

hätte ihren Tod zur Folge haben können, wenn „meine Braut mir nicht in die Arme gefallen“

wäre. Das sei zwar „ein Einzelfall“ gewesen. „Aber es waren Baptisten in der Partei, die Zahl

war nicht klein, auch leitende Brüder gehörten dazu.“ Sie seien daher „mitverantwortlich für

das, was diese Organisation [die NSDAP]“ ausgeführt habe. „Schweige ich dazu, wenn sie

Menschen ausrottet, weil sie einer anderen Rasse angehören, so mache ich mich mitschuldig.“

Bezogen auf Gutsches indirekte Rehabilitation von Christen, schreibt Eggert schließlich, dass

es „Tatsache“ gewesen sei, „,daß die Gottlosen mehr Juden gerettet haben als die Brüder und

Schwestern in Christus. In Berlin sind ungefähr dreitausend Juden gerettet worden, daran be-

teiligten sich sechzig Prozent Gottlose. Sie hatten alles auf eine Karte gesetzt.“327

5. Fazit

Vor dem Hintergrund der „religious crisis of the 1960s“ wurde in dieser Untersuchung danach

gefragt, ab wann es im Baptismus in der Bundesrepublik (1945-1968) ein Krisenbewusstsein

gab. Darüber hinaus stand im Fokus wie eine solche Krise in Diskursen des freikirchlichen

Milieus gemacht und wahrgenommen wurde. Grundlegend für die Untersuchung war die

Prämisse, dass die Konstruktion baptistischer Identität durch die Abgrenzung vom ‚Anderen‘

generiert wurde und dass ein Wandel in den Abgrenzungsprozessen auch Rückschlüsse er-

laubt auf die Datierung eines Krisenbewusstseins. Die diskursive Konstruktion von Selbst-

und Fremdbildern wurde daher in verschiedenen Entwicklungsphasen untersucht.

So konnte nachgewiesen werden, dass die Wahrnehmung eines kontinuierlichen über hundert-

jährigen Wachstums für die Konstruktion positiver baptistischer Selbstbildern quasi

präformativ war. Die Anfang der 1950er Jahre einsetzende und mit der Verzögerung von ei-

nigen Jahren im Baptismus bewusst wahrgenommene quantitative Rezession des baptistischen

Milieus war demnach ebenso präformativ für die vermehrte Wahrnehmung von Krisensymp-

tomen bis zur Bundeskonferenz von 1954. Die Bundeskonferenz von 1954 wurde als Höhe-

punkt der sich akzelerierenden Krisenwahrnehmung ausgemacht. Vor allem von der zeitgleich

stattfindenden ersten großen Evangelisation mit Billy Graham erhoffte man sich im baptisti-

schen Milieu einen Aufschwung. Tatsächlich setzte der quantitative Negativtrend nun auch

bezogen auf die Entwicklung der Taufen Mitte der 1950er Jahre aus. Doch nachdem er wieder

einsetzte, gab es ab 1957 erstmals Versuche, sich von der Quantifizierung des Milieus zu

327

Leserbriefe, in: Die Gemeinde 50 (1967).

60

emanzipieren. So erscheint es, dass im deutschen Baptismus der Zweck (die Konstruktion

positiver Weltbilder) die Mittel (Quantifizierungen) heiligte. Als jedoch die Mittel den Zweck

nicht mehr erfüllten, stellte man sie generell in Frage. Durch solche Emanzipationsleistungen

erhoffte man sich im deutschen Baptismus weiterhin positive Selbstbilder konstruieren zu

können, relativierte damit aber auch sich selbst bzw. die Selbstbilder die bis dato konstruiert

wurden. Somit erfolgte in dieser Hinsicht im deutschen Baptismus ein entscheidender Traditi-

onsbruch.

Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder aufblühende Abgrenzung des baptistischen

Milieus gegen „die Kirche“ trug entscheidend zur konfessionellen Identitätsstiftung im deut-

schen Baptismus bei und ging auch einher mit einer Phase exzeptionellen absoluten Wachs-

tums. Die Abgrenzung gegen „die Kirche“ schwand merklich Anfang der 1950er Jahre. Die-

ser Wandel ging zum einen zurück auf eine protestantische Ökumenisierung in der Nach-

kriegszeit „von oben“ durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Glaubensgemeinschaften

im Hilfswerk und durch die Entstehung der ACK. Zum anderen macht aber auch die nun ver-

stärkte Einsetzung der Abgrenzung gegen die sündhafte „Welt“ deutlich, dass ein als viel ge-

fährlicher wahrgenommenes ‚Anderes‘ nun „die Gemeinde“ bedrohte. Pluralisierungsprozes-

se innerhalb des Baptismus werden in dieser Phase, der „Verweltlichung“ „der Gemeinde“

zugeschrieben. Die Exklusion nach außen ging dabei einher mit einer inneren Differenzierung

bzw. eines Ausbaus gemeindlicher Alternativangebote zur Welt. Grundsätzlich konsolidierte

der Baptismus sich in dieser Zeit auch zunehmend architektonisch.

Parallel dazu erinnerte man sich bei der Abgrenzung gegen „die Welt“ verstärkt an alte Alli-

anzen mit pietistischen Kreisen auf dem Boden der Evangelischen Allianz.328 Dabei wurde aus

der Abgrenzung gegen „die Kirche“ nun gemeinsam mit pietistisch-kirchlichen Kreisen auch

die Abgrenzung gegen „die Theologie“ Bultmanns. Darüber hinaus wirkte der Baptist Billy

Graham als Gegenentwurf zu Rudolf Bultmann mit seinen überkonfessionellen Massenevan-

gelisationen auf dem Boden der Evangelischen Allianz wie ein Scharnier für das sich in der

Erosion befindliche baptistische Milieu in seinem Übergang zu zunehmender evangelikaler

Integration.

328

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es durch die Evangelische Allianz solche Kontakte. Und sogar vor der

Gründung der „klassischen Freikirchen“ Mitte des 19. Jahrhunderts waren ihre Gründerväter schon in überkon-

fessioneller Mission bei der Verbreitung des „evangelicalism“ unterwegs. Vor diesem Hintergrund kann man

nicht behaupten, wie es Gisa Bauer tut, dass die evangelikale Bewegung sich erst in den 1950er Jahren formiert

hätte. Die Netzwerke der sogenannten evangelikalen Bewegung bestanden zu diesem Zeitpunkt schon über 100

Jahre. Man kann sie als Formen von Protoevangelikalismus deklarieren. Man kann den Terminus evangelikale

Bewegung aber auch als künstliche Haube oder Neologismus erkennen. Vielmehr wird hier der Begriff der

evangelikalen Integration vorgeschlagen, der verdeutlichen soll, dass es Evangelikale schon gab, sie aber erst in

den 1950er Jahren wieder an Oberwasser gewannen in ihren Religionsgemeinschaften.

61

Seit Mitte der 1950er Jahre fand eine zunehmende Identitätspluralisierung des Baptismus

statt. Dafür sind die ab Ende der 1950er Jahre in der Gemeinde abgedruckten Leserbriefe ein

entscheidendes Forum. Die Konfliktlinie verläuft zunächst zwischen den Generationen (unter-

schiedliche Bewertungen der technischen Entwicklung, Erziehungsfragen etc.). Sukzessive

erweitern sich dann aber in den 1960er Jahren auch die Diskussionsfelder auf die Politik und

das Zeitgeschehen. Hier werden neue Konfliktlinien erkennbar zwischen rechter und linker

politischer Orientierung, aber auch zwischen einem traditionell evangelistisch ausgerichtetem

Teil im deutschen Baptismus und einem zunehmend an der Wahrnehmung sozialer und politi-

scher Verantwortung interessierten Teil.

Schriftlich fixierte Traditionen sind dem deutschen Baptismus im Untersuchungszeitraum

zunächst traditionell suspekt, gewinnen dann aber in der Krisenzeit ab ungefähr 1953 an sinn-

stiftender Bedeutung. Dabei spiegeln baptistische Erinnerungskonstruktionen das baptistische

Krisenbewusstsein. Analog zum Umgang in der gesamten BRD wird das „Dritte Reich“ (und

damit die Frage nach der eigenen Schuld) in der Nachkriegszeit zunächst tabuisiert, nach Re-

lativierungstendenzen beginnt dann erst in den 1960er Jahren eine Aufarbeitung „von un-

ten“.329 Dabei kommt es auch zu einer kausalen Verknüpfung der Krise des Baptismus bzw.

der ausbleibenden „Erweckung“ mit dem Holocaust.

Die „religious crisis of the 1960s“ führte bei den Baptisten schon Anfang der 1950er Jahre zu

einem einschneidenden Krisenbewusstsein. Das Krisenbewusstsein war die Folge eines Men-

talitätswandels in der Wahrnehmung der Umwelt. „Die Welt“, die „die Kirche“ als das ‚Ande-

re‘ abgelöst hatte, konstruierte man im deutschen Baptismus als derart bedrohlich, dass man

sich gegen sie abzuschotten versuchte. Als die Welt jedoch in einem zunehmenden Maße in

der Wahrnehmung der Baptisten auch die Mauern der Gemeinde infiltrierte, löste das die Kri-

se des Baptismus aus. Für die Selbstwahrnehmung der Baptisten war dabei die negative Ent-

wicklung der institutionellen Daten und Zahlen entscheidend, die präformativ wirkte für die

Perzeption aller weiteren Krisensymptome. Die Transformationen des baptistischen Milieus

werden in der Perzeption der Baptisten teilweise kausal mit der wahrgenommenen Krise ver-

knüpft.

329

Eine offizielle Schulderklärung hat es erst 1984 gegeben.

62

63

6. Literaturverzeichnis

Primärquellen

Evangelisches Zentralarchiv:

EZA/183

Oncken-Archiv:

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Bundesratstagungsbericht 1947

Bundeskonferenzbericht 1951

Bericht der Bundesleitung und des Bundeshauses an den Bundesrat 1949-1954.

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66

7. Appendix

Diagramm 1:330

Diagramm 2:

330

Alle hier verwendeten Diagramme sind eigene Darstellungen nach Zahlen aus den Jahrbüchern der Baptisten

(Oncken-Archiv). Da während des Krieges keine Jahrbücher erschienen und nach dem zweiten Weltkrieg zu-

nächst Lizenzen eingeholt werden mussten, Papier knapp und die Lage des Baptismus in Deutschland aufgrund

der Kriegswirren unübersichtlich war, sind für die Jahre 1940 bis 1945 keine und für 1946 kaum Zahlen verfüg-

bar. Baptistengemeinden, die nach 1933 durch die Osterweiterung des „Dritten Reiches“, in den Bund der Bap-

tisten aufgenommen wurden, gehören nicht zur Grundlage der hier abgebildeten Darstellungen, da es sich nicht

um die deutschen Baptisten handelt und sie so das Bild unnötig verzerren würden. Ebenso sind Elim- und Brü-

dergemeinden nicht Gegenstand dieser Arbeit und daher nicht Teil dieser Darstellungen. Des Weiteren wurden

sie für den Untersuchungszeitraum erst gar nicht in den Statistiken der Baptisten erfasst.

0

20000

40000

60000

80000

100000

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Mitglieder (1914-1969)

0

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Taufen in absoluten Zahlen (1914-1969)

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Diagramm 3:

Diagramm 4:

0,00%

1,00%

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8,00%

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Taufziffer (1914-1969)

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2000

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Mitgliederverluste

Austritt/ Streichung

Ausschluss

Auswanderung

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Diagramm 5:

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19

66

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Sonntagschüler (1914-1969)

Humboldt-Universität zu Berlin

Philosophische Fakultät I

Institut für Geschichtswissenschaften

Name: ______________________________ Vorname: ________________________

Matrikelnummer: _________

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG zur

o Hausarbeit o Magisterarbeit o Bachelorarbeit o Masterarbeit

Ich erkläre ausdrücklich, dass es sich bei der von mir eingereichten schriftlichen Arbeit mit dem Titel:

__________________________________________________________________________________

__________________________________________________________________________________

um eine von mir erstmalig, selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasste Arbeit handelt.

Ich erkläre ausdrücklich, dass ich sämtliche in der oben genannten Arbeit verwendeten fremden Quellen, auch aus dem Internet (einschließlich Tabellen, Grafiken, u.Ä.) als solche kenntlich gemacht habe. Insbesondere bestätige ich, dass ich ausnahmslos sowohl bei wörtlich übernommenen Aussagen bzw. unverändert übernommenen Tabellen, Grafiken u. Ä. (Zitaten) als auch bei in eigenen Worten wiedergegebenen Aussagen bzw. von mir abgewandelten Tabellen, Grafiken u. Ä. anderer Autorinnen und Autoren (Paraphrasen) die Quelle angegeben habe.

Mir ist bewusst, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Selbstständigkeit als Täuschung betrachtet und entsprechend der Prüfungsordnung und/oder der Allgemeinen Satzung für Studien- und Prüfungsangelegenheiten der HU (ASSP) geahndet werden.

Datum: ____________ Unterschrift: __________________________