212 - Koenigswald & Gingerich 2013 - Knochen zum Forschen

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^A\ W Ein Knochen zumForschen und Spielen Wighart a. Koenigswald U Pbilip D. Gingerich lm Skelett der Paarhufer gibt es einen Knochen, der in seinerForm so aufföllig ist, dass man ihn ouf Anhieb wiedererkennt, wenn man ihn einmal bewusst be- trochtet hat. Es ist das Rollbein oder Astragalus. Er spielt eine wichtige Rolle in der Söugetierpaläontologie, aberebenso in der Kulturgeschichte. Sein Name ,,As- tragalos" ist altgriechisch und findet sichschon bei Homer. DerAstragalus ist ein zentraler Knochen in der FuJ3wurzel und kommt in unterschiedlicher Formbeifast allen Söugetieren vor, so auch beim Menschen, wo ihn die Medizinermit dem la- teinischen NamenTalus bezeichnen. Aber nur bei den Paarhufern - und zwar bei allen - hat er die besonders auffällige Form. Mit seinenwohl ausgebildeten Ge- lenkrollen am oberen und unteren Ende weist derkurze Knochen eineungewöhn- liche und einprögsame Symmetrie auf.lm Fossilbericht ist der kompakte Knochen recht höufig übe rliefert. Gestalt undFunktion des Knochens durch die Fibula (Wadenbein) aufder ande- Das obere Gelenk artikuliert mit der Tibia, ren Seitewie in einer Gabel gehalten. Wenn dem Schienbein.Die tiefe Mittelfurche und dasWadenbeinreduziert ist, bleibt zumindest die beiden Ränder machen das Gelenk zu ei- der untere Teil als Malleolare erhalten. Auf nem Scharnier, daseineDrehbewegung in nur der Unterseite liegt eine große Facette für den einer Ebene edaubt. Dieses Scharnier wird Calcaneus, dasFersenbein. von einem seitlichenHöcker an der Tibia und Das untere Gelenk des Astragalus ist beim Abb. t: tungpleistoztine Astragoli von A)Auerochse, B)Bison, C) Rothirsch, D)Pferd, E) Riesenhirsch undF) Nashorn ausdenRheinschottern dernördlichen Oberrheinebene. Sie zeigen dos doppelte Rollgelenk bei denPaarhufern (A, B, C, E) unddas plattigeuntere Gelenk beidenUnpaarhufern (D, F). I lr il

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W Ein Knochen zum Forschen undSpielenWighart a. Koenigswald U Pbilip D. Gingerich

lm Skelett der Paarhufer gibt es einen Knochen, der in seiner Form so auffölligist, dass man ihn ouf Anhieb wiedererkennt, wenn man ihn einmal bewusst be-trochtet hat. Es ist das Rollbein oder Astragalus. Er spielt eine wichtige Rolle inder Söugetierpaläontologie, aber ebenso in der Kulturgeschichte. Sein Name ,,As-tragalos" ist altgriechisch und findet sich schon bei Homer. Der Astragalus ist einzentraler Knochen in der FuJ3wurzel und kommt in unterschiedlicher Form beifastallen Söugetieren vor, so auch beim Menschen, wo ihn die Mediziner mit dem la-teinischen Namen Talus bezeichnen. Aber nur bei den Paarhufern - und zwar beiallen - hat er die besonders auffällige Form. Mit seinen wohl ausgebildeten Ge-lenkrollen am oberen und unteren Ende weist der kurze Knochen eine ungewöhn-liche und einprögsame Symmetrie auf.lm Fossilbericht ist der kompakte Knochenrecht hö ufi g übe rliefert.

Gestalt und Funktion des Knochens durch die Fibula (Wadenbein) auf der ande-Das obere Gelenk artikuliert mit der Tibia, ren Seite wie in einer Gabel gehalten. Wenndem Schienbein. Die tiefe Mittelfurche und das Wadenbein reduziert ist, bleibt zumindestdie beiden Ränder machen das Gelenk zu ei- der untere Teil als Malleolare erhalten. Aufnem Scharnier, das eine Drehbewegung in nur der Unterseite liegt eine große Facette für deneiner Ebene edaubt. Dieses Scharnier wird Calcaneus, das Fersenbein.von einem seitlichen Höcker an der Tibia und Das untere Gelenk des Astragalus ist beim

Abb. t: tungpleistoztine Astragoli von A) Auerochse, B) Bison, C) Rothirsch, D) Pferd, E) Riesenhirsch und F)Nashorn aus den Rheinschottern der nördlichen Oberrheinebene. Sie zeigen dos doppelte Rollgelenk beiden Paarhufern (A, B, C, E) und das plattige untere Gelenk bei den Unpaarhufern (D, F).

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Abb.2: Ein linker Astragalus des kleinen Diaco-dexis aus Wyoming, dem ältesten bekanntenPao rh ufe r, n ebe n d e r r -Ce nt- Mü n ze.

Menschen, wie bei vielen anderen Säugetie-ren, eher kugelig ausgebildet, um dem Fuß- zum Beispiel beim Klettern - eine größereseitliche Beweglichkeit zu ermöglichen. Da-bei ist dieses untere Gelenk immer etwas zurInnenseite hin abgespreizt. Bei Tieren, diesich auf schnelles Laufen spezialisiert haben.wie die Paar- oder Unpaarhufer, ist dieses ur-sprünglich kugelige Gelenk umgeformt, daeine seitliche Drehung weniger vorteilhaft ist,ja verhindert werden soll. Bei den Unpaarhu-fern ist dieses Gelenk plattig ausgebildet (Abb.1D, F), bei den Paarhufern hingegen zu einerWalze geformt (Abb. 1A, B, C, E). Diese istzweiteilig, aber weit weniger gekerbt als dieobere Gelenkrolle. Mit den distalen Knochender Fußwurzel, dem Cuboid und Naviculare,formt die Gelenkrolle ein zweites Scharnier-gelenk. Cuboid und Naviculare verschmelzenbei vielen Paarhufern zum Centrotarsale, so-dass das Gelenk eine seitliche Bewegung nochweiter einschränkt. Ein derartiges doppeltesScharniergelenk am Astragalus kommi nurbei den Paarhufern vor. Der mechanische Vor-teil dieses Doppelscharniers liegt darin, dassdie Drehung inzwei Gelenken erölgt und da-durch einen erheblich größeren Diehwinkelermöglicht. Damit kann der Fuß noch bes-ser eingefaltet werden, wodurch sich z.B. dieSchrittlänge vergrößert (Schaefer 7947), wasschnellen Läufern einen großen Selektions-vorteil bietet.

Die paläontologische BedeutungDer älteste bekannte Vertreter der Artiodac-tyla ist Diacodexis aus dem Unter-Eozän vonWyoming (Rose 1982). Die Körperlänge be-trug etwa 50 Zentimeter. Sein Astragalus ist

gut überliefert und hat an beiden Enden dietypischen Gelenkrollen (Abb. 2). Auffallendist, dass hier die Seitenflächen nicht parallelzueinander stehen und die Drehachse der un-teren Rolle gegen die obere leicht gekippt ist.Dies ist ein ursprüngliches Merkmal und trittin verschiedenen Variationen bei allen Nicht-Wiederkäuern auf (Abb. 3).Bei den Wiederkäuern sind die Drehachsender beiden Scharniergele nke ganz p aralTel zu-einander angeordnet, sodass auch die Seiten-wände gerade abschließen (Abb. 4). Die sym-metrische Form macht es aber sehr schwierig,die versch iedenen Wiederkäuer-Arten anhanäisoliert gefundener Astragali zu unterschei-den. Die Größe des Knochens ist hilfreich,wenn nur wenige Arten von unterschiedlicherGröße infrage kommen. Ansonsten muss manauf kleine, leider oft variierende Merkmalezurückgreifen (2.B. Schertz 1,936; Gromova1960; Martinez & Sudre 1995). So sind bei-spielsweise in den pleistozänen Schottern undSanden des Rheins der Auerochs e (Bos primi-genius), der Bison (Bison prisru) und der Rie-senhirsch (Megaloceros giganteu) anhand ihrerAstragali nur schwer unterscheidbar.Eine ganz besondere Bedeutung haben dieAstragali der Paarhufer in der Paläontologiegewonnen, weil sie geholfen haben, die Stam-mesgeschichte der Wale zu klären. Von denWalen, speziell von den im Mittelmeer häu-figen Delfinen, war schon in der Antike be-kannt, dass sie wie Säugetiere mit Lungen at-men, ihre Jungen lebend gebären und sogarsäugen. Diese Unterschiede gegenüber den Fi-schen wurden bereits von Aristoteles ß84122v. Chr.), Plinius dem Alteren (23Jg n. Chr.)sowie Ambrosius (ca. 385-430 n. Chr.) be-schrieben. Im Mittelalter ging dieses Wissenaber wieder verloren. Erst in der großen Klas-sifikation der Säugetiere von Linnl (1758) sinddie Wale wieder korrekt bei den Säusetiereneingeordnet. Da Säugetiere grundsätzlich ter-restrisch sind, müssen die Vorfahren der Waleauch auf dem Lande gelebt haben. Darwinrätselte, aus welcher Säugetiergruppe sie sichentwickelt haben könnten. Er dachte dabeian Bären, weil diese einerseits gut schwim-men können und andererseits

-gelegentlich

nach Fliegen schnappen. Das erinnerte ihnan Bartenwale, die vom Krill leben. Darwinverwarf diesen Gedanken aber später wieder,womit die Herkunft der Wale weiterhin unge-klärt blieb. Ahnlichkeiten im Gebiss der fiti-hen Zahnwale deuteten auf Beziehungen zuden sogenannten Mesonychiden, eineräusge-

ö)

Abb.3: Der Iinke Astragalus eines Wildschweins (|us scrofa). Die Achse der unteren Rolle steht leichtgewinkelt zu der der oberen Rolle. Ansichten von oben, unten, innen und auJ3en.

Abb.4: Der linke Astragolus eines Schafes (Ovis ammon). Die Achse der unteren Rolle liegt wie beiallen Wiederköuern parallel zur oberen Rolle. Ansichten von oben, unten, innen und außen.

storbenen Gruppe fleischfressender Huftiere.Diese Herleitung der Wale findet sich noch invielen Lehrbüchern. Biochemiker fanden abergroße Ahnlichkeiten in den Eiweißen und derDNA zwischen Walen und Paarhufern, spezi-ell sogar zu den Flusspferden (2.B. Boyden &Gemeroy 1950; O'Leary & Geisler 1999; Ga'tesy & O'Leary 2001). Dieser Lösung standenviele Paläontologen zunächst sehr skeptischgegenüber, weil Flusspferde eine erdgeschicht-lich recht junge Gruppe sind, vollmarine Waledagegen schon seit dem Eozän bekannt sind.Der Münchner Paläontolose Richard Dehmsammelte bei einer Exoedition nach Pakistanin den 50erJahren isolierte Reste fossiler Säu-getiere, darunter auch typische Astragali mitzwei Rollen (Dehm & Oettingen-Spielberg1958). Da sie offensichtlich von Paarhufernstammten, wurden sie dementsprechend in derBayerischen Staatssammlung als,,Artiodacty-la indet." eingeordnet und aufbewahrt (Abb.5). Einer von uns (P.D.G) arbeitete im Jahr2000 mit seinem Team in denselben Schich-ten Pakistans. Er interessierte sich besondersfür die Reste der frühesten Verwandten vonWalen, die einen gestreckten Schädel und

Abb.5: Astragaluseines eozönen,,Arti-

odactylen" aus Pakis-tan in der BayerischenStaatssammlung

für Pakiontologie inMünchen, der einemprotocetiden Urwalzugeordnet werdenkann.

Fi- ' ?()?r $,"4,

kräftige, kegelförmige Zähne besitzen. DasTeam entdeckte in den marinen Ablaeerun-gen auch einige zusammenhängende, mehroder weniger vollständige Skelette dieser Tie-re. Sie besaßen noch gut ausgebildete Beine.Einige Formen haben verlängerte Fingerkno-chen, die auf Schwimmhäute schließen lassen.totz dieser Anpassung an das Wasser waren

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Abb. 6: Rekonstruktion von Maiacetus, einem protocetiden Urwal mit nochgut ausgebildeten Beinen, basierend ouf Funden aus Pakistan (6ingerich etal. zoofl. Die Pfeile zeigen die Lage der beiden Astrogali.

die Beine so kräftig, dass sie die Tiere auchan Land tragen konnten. Diese Walvorfahrenwaren also semiaquatisch und markieren denÜbergang vom Länd ins Wasser (Gingerichet al. 2007). Diese Beine haben natürlich aucheine bewegliche Fußwurzel besessen, und da-rin einen Astragalus. Es bedurfte aber zusam-menhängender Skelettfunde, um die richtigenAstragali diesen frühen Walen zuordnen zukönnen. Dies gelang zuerst für die GattungenArtiocetus und Rodbocetu.r, und deren Astraga-li zeigten die beiden Gelenkrollen, wie sie beiden Paarhufern vorkommen. Der Teil zwi-schen den Rollen ist etwas stärker gestrecktund die Achsen der Rollen stehen in einemWinkel zueinander. Unzweifelhaft gehörendiese Astragali zu einem Paarhufer, weil der-artige Astragali bei keiner anderen Tiergrup-oe vorkommen. Damit bietet dieser Knochenden morphologischen Beweis für die enge Be-ziehung der Urwale zu den Artiodactyla, wiesie zuvor durch genetische Analysen postuliertworden sind. Deswegen werden die klassi-schen Ordnungen der Artiodactyla und Ceta-cea von manchen Autoren als Cetartiodacrylazusammengefasst.Im Nachhinein haben sich die von RichardDehm gesammelten Astragali aus Pakistanals diejenigen von frühen Walen erwiesen, wiewir auf der Tagung der Paläontologischen Ge-sellschaft in Bedin berichteten (Gingerich etal. 2012). Damit hatte Dehm mit seiner Zu-ordnung also gar nicht so falsch gelegen.

Astragali als Spielsteine und OrakelDie Astragali haben wegen ihrer auffallen-den Form aber noch eine ganz andere Be-deutung, die zwar außerhalb der Paläontolo-gie liegt, aber viele Paläontologen faszinierthat. Vornehmlich die Astragali der kleinenWiederkäuer, Schaf und Ziege, spielten inder Antike des Mittelmeerraumes eine großeRolle (Hampe 7951; Koenigswald 2011). Sie

wurden nämlich wegen ihrer Form gerne alsWürfel benutzt, auch wenn sie im Gegensatzzum sechsseitigen Würfel nur auf vier Seitenliegen können. Aristoteles hat uns die Benen-nung der vier Seiten in seiner Tierkunde über-liefert. Interessant ist, dass die Wertigkeit dervier Seiten mit 1, 3, 4 und 6 vom sechsseitigenWürfel abgeleitet ist. Daraus wird deutlich,dass beide Würfelarten lange nebeneinan-der benutzt wurden. In der antiken Literaturwird das Würfelspiel häufig erwähnt und alsPlastik oder bildhaft auf Keramik dargestellt(2.B. Hampe 1951; Innichen 1996; Koenigs-wald 2011).Homer charakterisierte in seiner Ilias den ve-hementen Charakter des jungen Patroklos da-durch, indem er berichtet, dieser habe seinenFreund erschlagen, nur weil dieser ihn beimKnöchelspiel besiegt hatte. Diese Szene giltals klassisches Beispiel für einen Totschlag imAffekt.Im alten Rom war das Würfelspiel, ebenfallsmit Astragali, als Glücksspiel so verbreitet,dass es verboten werden musste und nur wäh-rend der Saturnalien geduldet wurde. Daranhat sich Kaiser Augustus aber keineswegs ge-halten, wie Sueton (70-740 n. Chr.) berichte-te. Augustus spielte mit seinen Freunden gernenach dem Essen mit den Astragali. Und dabeiging es um einen hohen Einsatz: um Silber-münzen.Neben Spiel und Glücksspiel hatte der Ast-ragalus aber auch eine religiöse Bedeutung.In Delphi fand man in einer Höhle tusendevon Astragali, die dort geopfert worden waren(Poplin 1984). Votivgaben in Form eines Ast-ragalus wurden aus Blei oder Bronze gegossen.Der Tempel von Didyma bei Milet war ftirsein Orakel berühmt. Dort konnte man ne-ben dem teureren Orakel durch die Priester-schaft auch ein billigeres Orakel mit den As-tragali nach der Zukunft befragen. Auch aufeinigen griechischen und römischen Münzen

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erscheint der Astragalus - möglicherweise als

ein Glückssymbol (Abb. 7)'

Ein eriechischer Exportschlager des S' J1!t-hund"erts v. Chr. war die feine rotfigurige Ke-

iamik. Auch dort taucht der Astragalus auf' Es

gibt sogar kleine Fläschchen aus d\eser Zeit'

Würfelspielerin aus dem Pergamon-Museum

in Berlin auf die Lage der Astragali' Diese rö-

mische Plastik wuäe Ende des 2' Jahrhun-derts v. Chr' nach einem griechischen Vorbild

kopiert (Abb. 9).

Weltweite Verbreitung als SYmbol

Im Mittelmeergebiet hat sich das Würfeln

mit den Astragali lange gehalten und war weit

Abb.9: Möd-chen im SPielmit Astrogali,eine römischePlastik nacheinem griechi'schen Vorbild; heuteim Pergamon'MuseumBerlin. Foto desAbgusses inder Antiken'sammlungMünchen.Abb.7: Griechische Silbermünze um 4oo v' Chr'

Üir'dem Rücken des Pferdes ist ein Astragalus als

Beizeichen zu sehen (Uünzhandel)'

verbreitet. Griechische und spanische Kol-

lesen erzählten, dass sie dieses Spiel noch

in"der zweiten Hälfte des 20' Jahrhun-

Abb.8: Griechisches Geföt3 in Form eines Astraga'

lus mit im Wind tanzenden Figuren' Es gehört zur

rotfiauriaen Keramik und dürfte um 46o v' Chr'

inÄiti*ige\ertigt worden sein; heute im British

M u se u mio n d oÄ lav o o 249776 -o or l'

die die Form eines Astragalus perfekt nachbil-

den. Sie sind mit Löwen, Göttern und Göt-

tinnen oder mit tanzenden Figuren bemalt

und enthielten wohl Öle oder Duftessenzen

(Abb.8).iry"hrr.h"ittli.h dienten die Knöchelchen

auch bei der Voraussage der Zukunft im häus-

li.h.., B.r"i.h. Ganä versonnen schaut das

Mädchen in der berühmten Darstellung einer

derts erlebt haben. Im portugiesischen Evora

fand einer von uns (Wv.K) im Jahr 1993 ei-

nen Schweine-Astragalus auf einem Kinder-

,oi.tolrrr. Vom Mittäheergebiet ist das Spiel

Äit ä.n Astragali in die Kolonien exportiert

worden. I- südlichen Brasilien und in Ar-

sentinien spielten die Rinderhirten mit dem

]G",r.ho-Wtirfel" wohl nicht immer ganz

"htli.h und ohne Streit' Immerhin weist eine

Briefmarke aus Uruguay auf dieses !t"d]'i9.nelle Spiel hin (Abb' 10)' Heute ist das Sptel

mit dei ,Taba" außer Mode gekommen, wird

aber in der Provinz Buenos Aires noch von ei-

ner ,,Asociaciön Argentina de Taba" gepfl%t'

Bei den Wettspielen wird die Taba über eine

srößere Strecke auf ein Ziel geworfen' wo-

6ei die oben liegende Seite von Bedeutung ist

(Abb.11).bs ist fast erstaunlich, dass weder der Kult

noch das Spiel mit den Astragali in Germani-

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er.r Fuß sefasst hrrt. Es gibt z."var r,'ereinzel-te arch;.iolosische Fundc, aber ihre Bedeu-tune blcibt unkl:rr, zr,rmal clicse Knochenjrr rcgelmäßig in der"r Schlacl'rtabfällen vorkommen. In dcn Nieclerlirnden (Abb. 12A,B) gibt es das ,, l l ikkelspcl", ein Geschick-lichkcits- und Wiirfelspiel n'rit Astragrli,dls schon Pieter Breughel d. A. urn 1560in seincm Bild . ,Kindcrspiele" fbstechal-t t 'n h . r t . Ob d ie .c ' S l . i , ' 1 . n i c o t i l re l r r t rp tc trvird, unnittelbar auf cine römischc

-fradi

tion zurückgel.rt oiler ob es iibcr Frirr-rkreicheingeu.anclert ist, rvo ntan rnit cler-r ,,Osselets"spiclt (Abb. 12C), rnuss offenblciber.r, rvcil dusSpiel im lLheinland, das .ja rirmischc Provinzu,ar, kcincrlci Tr'.rdition l.rat. In clen Nicdcrlan-den r,rnd besonders in Frarrkreich gibt cs nc-ben den Spielknochen auch rnctzrllenc Nrcl-r-bildunscn. Letztere sind in Frankreicl-r wiederin l{ode und rverdcn zum l(rruf angeboten.I)ie Zentralisierung dcr Schl:rcl-rtbetriebe unddie n-roclcrnen Ilveicncbestirnrnungen hrrbcnclie \'erfü{{barkeit clicses Itnochens tür Kindcrimmcr rnchr eingeschr'änkt. Aber eine Firmair.r Arnerika stellt r\str:rsirli arrs Plastik in irllcr.rIiarbcn hcr; sie sir-rd u. r. fiir Haiti bestirnmt(Abb. 12r)).

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In Zentralasien, speziell in der Mongolei, ha-ben die ,,Shagai", die Astragali von Schafenund Ziegen, eine vielfiältige Bedeutung. Siesind fast in jeder furte zr finden und werdenzum Spiel ebenso wie zur Zukunftsdeutunggenutzt. Auch Tierkrankheiten sollen sich da-mit beschwören lassen. Ein überdimensionalerAstragaius, mehrere Meter groß, steht als Mo-nument vor der Universität im kasachischenAtyrau. Die Aufschrift besagt: ,,Möge dasGlück immer mit Dir sein". Es ist sehr fraglich,ob das Spiel mit den Astragali inZenftalasienund im Mittelmeergebiet auf einen gemeinsa-men Ursprung zurückgeht. Wahrscheinlicherist, dass die auffällige Form dieses Knochensin mehreren Regionen unabhängig voneinan-der den Anreiz geboten hat, ihn als Spielsteinoder zur Beschwörung zu verwenden.

Dank: Wir danken Kurt Heißis und Gertrud Röß-ner (Bayer ische Staarssammlung München) für d ieMöglichkeit, die Astragali aus der Aufsammlung vonR. Dehm hier mit einzubeziehen. Wir danken GeorsOleschinski und Peter Göddertz (Steinmann-lnstituiBonn) für einen Teil der Abbildungen und dem BritishMuseum in London für die VorlaEe zu Abb. 8. W.v.Kmöchte all jenen danken, die seine Sammlung von Ast-raEali bereichert haben. Hier ist besonders Frank Men-gei aus Groß-Rohrheim zu nennen, von dem die Ast-ragali aus Abb. 1 stammen.

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Wighart von Koenigswald ist Professor (emeritus) für Paläontologie an der Universität Bonn. Er hat über vielefossile Säugetiere, von Messel bis zu den pleistozänen Rheinschottern, gearbeitet. Sein besonders Interesse liegtnun bei der Evolution und Funktion der Zähne.

Philip D. Gingerich ist Professor für Paläontologle an der LJniversity of Michigan in Ann Arbor (USA). SeineForschung konzentriert sich auf das globale Klima-Maximum im Paleozän-Eozän und auf den Ursprung derWale und deren frühe Evolutionsqeschichte.

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paläOntOlOeiSChe l\ /fitglieder der Paläontologischen Gesellschaft berichten aus Forschung

Gesellschalt lVIund Wissenschaft. Der 1,91,2 in Creifswald gegründeten Paläontolo-

gischen Gesellschaft gehören heute mehr a1s 1000 Paläontologen, Geologen,

Biologen, Ur- und Frühgeschichtler, aber auch zahlreiche Hobbypaläontologen an. Seit 1984 wurde bereits 24-

mal die Karl-Alfred-von-Zittel-Medaille der Gesellschaft an verdiente Hobbypaläontologen verliehen.

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Geschiebefossilien . Fährten aus der fränkischen Trias

Zeitschrift für