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Freilaw – Freiburg Law Students Journal – Ausgabe 1/2015

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F r e i l a w

– F r e ibu r g L a w S tude n t s Jou r na l – Ausga be 1 /2015

Recht auf Vergessen(werden)? Freilaw 1/2015

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Recht…auf Vergessen(werden)?

„Digitale Persönlichkeiten“ im „digitalen Zeitalter“. In einer Welt der Spähaffären und Vorratsdatenspeicherungen lassen sich beinahe alle Begriffe mit diesem kleinen bezeichnenden Adjektiv versehen. Wie kein anderes strebt es zeitgleich nach Freiheit und Schutz und hat vor allem eines im Netz und in den Köpfen der Menschen zur Folge: Unsicherheit.

Schon einmal haben wir deshalb gefragt: „Legen die Menschen in heutiger Zeit keinen Wert mehr auf die Pri-vatsphäre? (Freilaw Ausgabe 2/2010 – Datenschutz). Nun wollen wir auch wissen: Inwieweit kann man diese wah-ren und vor allem wirklich über Informationen selbst bestimmen? Kann ein „digitaler Radiergummi“ „digitale Finger-abdrücke und Fußspuren“ auslöschen?

Neue (digitale) Dimensionen drängen insofern nach neuen Rechten – oder? Laut BMI erfordert der technische Fortschritt – gerade im Bereich des Datenschutzrechts – eine regelmäßige Überprüfung des erreichten Standards. Unser Datenschutzgesetz stammt von 1977. Novellen folgten im Jahre 1990 und zuletzt 2009. Wir sollten also ein-mal die Homepage aktualisieren…

Frederic Probst greift in diesem Sinne in unserem dem Leitartikel "Das Recht auf Vergessen(werden)" eine brandaktuelle Debatte auf: Es geht um die Möglichkeit, rechtlich gegen die Speicherung vermeintlich "unlöschba-rer", im Internet befindlicher Daten vorzugehen. Er nimmt dabei eine abstrakte Definition des Rechts auf Vergesse-nen(werden) vor, um hieran verschiedene rechtliche Grundlagen zu messen, die eine taugliche Basis des Rechts aus Vergessen(werden) sein können.

Ajay Sharma widmet sich in seinem Beitrag "Cross Border Merger Control by the Competition Commission of In-dia: Law and Practice" dem indischen Übernahmerecht, wobei er insbesondere auf Vorschriften des indischen "Competition Act" und aktuelle Entscheidungen eingeht.

Der Artikel von Eva Fischer beschäftigt sich mit den Grenzen des Kartellrechts in Bezug auf Standardpatente. Sie geht besonders auf die Problematik der Abgrenzung des relevanten Marktes und der Feststellung einer markt-beherrschenden Stellung des Patentinhabers.

Philip J. Ridder untersucht in seinem Beitrag, wie bei der in Notlage geratenen GmbH eine Herabsetzung der Geschäftsführervergütung erreicht wird und ob insbesondere eine Analogie zu § 87 AktG neuer Fassung statthaft ist.

Zudem beantwortet Julian M. Egelhof die Frage, wie Gesellschaften der Rechtsunsicherheit, die entsteht, wenn der Aufsichtsrat nach Feststellung des Jahresabschlusses rückwirkend seine Beschlussfähigkeit durch wirksame Anfechtung der Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung verliert, vorbeugen können.

Rechtsreferendar Peter Zoth hat von November 2014 bis Januar 2015 seine Verwaltungsstation an der Deut-schen Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV) in Speyer verbracht. Seine Eindrücke schildert er in sei-nem "Speyer-Report".

Wir freuen uns außerdem sehr, mit „Vom schwierigen Kampf gegen Grabsteine aus Kinderarbeit“ von Klaus Krebs den ersten Beitrag unserer neue Reihe mit Examensklausuren einzuleiten.

In unserer Reihe „Historische Juristen“ erscheint in dieser Ausgabe: "Bernhard Schlink – ein Leben zwischen Prosa und Jurisprudenz" von Evelina Will. Hier soll Bernhard Schlinks schriftstellerisches sowie juristisches Schaf-fen kurz nach seinem 70. Geburtstag und dem Erscheinen des Romans „Die Frau auf der Treppe“ gewürdigt wer-den.

Viel Spaß beim Lesen wünscht euch euer Freilaw-Team!

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F r e i l a w

– F r e i b u r g L a w S t u d e n t s J o u r n a l – A u s g a b e 1 / 2 0 1 5

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Probst, Das Recht auf Vergessen(werden) Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

www.freilaw.de ISSN: 1865-0015 1

Das Recht auf Vergessen(werden)

Frederic Probst

I. Einleitung

Am 24. Dezember 2013 wurde dem Internetversandhandel Amazon ein Patent erteilt, dessen geschütztes Verfahren "anti-cipatory package shipping" ermöglichen soll1. Amazon plant Produkte zum Standort eines möglichen Kunden zu transpor-tieren, bevor dieser überhaupt eine Bestellung abgegeben hat, um Lieferzeiten zu verkürzen2.

Möglich wird dieses Verfahren durch die Analyse der von dem einzelnen Internetnutzer hinterlassenen Daten: Aus sei-nem bisherigen Kaufverhalten, dem Inhalt des Wunschzettels, der Verweildauer des Mauszeigers auf einem bestimmten An-gebot3 und demographischen Informationen4 werden Wahr-scheinlichkeiten für ein bestimmtes Kaufverhalten errechnet.

Aber auch heute schon können personenbezogene Daten große Auswirkungen auf den gegenwärtigen Lebenswandel eines Betroffenen haben. Etwa weil einmal online gestellte Informationen im Rahmen einer Bewerbung negativ auffallen5 oder gar eine Kündigung des aktuellen Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen6.

Derartige Vorkommnisse und Entwicklungen hindern den Nutzer, sich gänzlich frei im Internet zu bewegen: Werden alle Interaktionen zur Erstellung eines Profils genutzt, wird er dazu neigen, sein Verhalten möglichst unauffällig zu gestalten, um keine unliebsamen Informationen preiszugeben. Ein schutz-würdiges Interesse des Bürgers gegen solche Einschüchte-rungseffekte hat das BVerfG bereits bei der Entwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Volkszäh-lungsurteil aus dem Jahre 1983 festgestellt7.

Vor diesem Hintergrund hat der EuGH in seinem Urteil vom 13. Mai 2014 den Bürgern der europäischen Union das soge-nannte Recht auf Vergessenwerden gegenüber den Betreibern von Suchmaschinen eingeräumt8. Demnach sind die Betreiber auf Anfragen der Betroffenen dazu verpflichtet, Einträge aus den Suchergebnissen zu löschen, sollte ihre Speicherung nicht länger erforderlich sein und keine besonderen Gründe für die weitere Speicherung vorliegen. Schon bevor dieses Urteil seine Wellen schlug, implementierte die Europäische Kommission ein gleichlautendes Recht in Art. 17 ihres Entwurfs zur Daten-schutzgrundverordnung (DS-GVO-E)9 vom 25.01.2012. Dieses

1 US Patent 8,615,473. 2 Bensinger, Amazon Wants to Ship Your Package Before You Buy It,WSJ.com; US Patent 8,615,473, Description. 3 Stempel, "Anticipatory Shipping" – Amazon liefert schon, bevor Sie bestel-len, Rheinische Post-online. 4 Lomas, Amazon Patents “Anticipatory” Shipping, Techcrunch.com. 5 Kemmer, Private Internet-Daten als Problem bei der Bewerbung, welt.de. 6 ArbG Krefeld - 3 Ca 1384/13: Kündigung eines krankgeschriebenen Lageris-ten, der auf einem Foto seine Braut trug. 7 BVerfGE 65, 1 (43). 8 EuGH C-131/12. 9 KOM(2012) 11 endgültig.

soll zusammen mit den übrigen Regelungen der DS-GVO-E jede Personen in die Lage versetzen, trotz des technologischen und informationstechnischen Fortschritts, ihr Recht auf Schutz der sie betreffenden, personenbezogenen Daten aus Art. 8 GRC und Art. 16 I AEUV wirksam auszuüben10. Ausgehend von dem Entwurf nimmt diese Arbeit aus dem Februar 2014 eine abstrakte Definition des Rechts auf Vergessenen(werden) vor, um hieran verschiedene rechtliche Grundlagen zu messen, die unabhängig von der später ergangenen Rechtsprechung des EuGH taugliche Basis des Rechts aus Vergessen(werden) sein können.

II. Abstrakte Definition

1. Recht auf Vergessen(werden)

Das Recht auf Vergessen(werden) steht einer betroffenen Per-son bzgl. der über sie erhobenen personenbezogenen Daten zu. Es richtet sich gegen denjenigen, der die Daten speichert - den Datenverarbeiter. Wird nun – wie auch im ursprünglichen Titel dieser Arbeit – von einem "Recht auf Vergessen" gesprochen, so ist dies trotz der Kürzung als inhaltsgleich zu werten: Das Umwandeln der grammatikalisch passiven in eine aktive Kon-struktion verleiht dem Begriff lediglich eine schärfere Kontur und adressiert den Betroffenen direkt. Es wird daher vielfach als ein griffigeres Synonym verwendet11. Ohnehin ist es dem Betroffenen nicht möglich, selbst zu vergessen, wenn nicht auch seine personenbezogenen Daten von Dritten vergessen werden. Sie würden ansonsten wiederholt an ihn herangetra-gen werden. Diese Arbeit widmet sich also dem Recht auf Vergessenwerden (RaVw), das im Folgenden, auch als solches bezeichnet werden soll.

2. Definition von Vergessen

a) Vergessen im herkömmlichen Sinn meint, dass ein Mensch eine Information aus dem Gedächtnis verliert, sie sich nicht merken kann oder nicht mehr daran denkt12. Indes soll nicht die betroffene Person vergessen, sondern derjenige, der Daten verwendet. Mittels EDV wird dieser menschliche Automatis-mus jedoch durch dauerhafte Speicherung ausgesetzt.

b) Das RaVw zielt deshalb darauf ab - ausgehend von den unterschiedlichen Ausprägungen menschlichen Vergessens - eine technisch-adäquate, in der Wirkung gleichwertige Hand-habe informationstechnischer Systeme herbeizuführen.

aa) Verliert ein Mensch eine Information aus seinem Ge-dächtnis, so ist dies dem Umstand geschuldet, dass er mit Ab-lauf der Zeit neue Informationen sammelt und ältere - ange-

10 Erwägungsgründe (EG) 1, 5f. DS-GVO-E. 11 Bspw. bzgl. der DS-GVO-E: Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 235 (237); Kyotynek/Levine, Das Recht auf Vergessen, ZeitOnline, S. 1. 12 "Vergessen", Duden, S. 978.

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sichts der abnehmenden Aktualität - wieder verwirft. Um die-sen zeitlichen Ansatz technisch umzusetzen, müsste bei der erstmaligen Speicherung der Daten ein Umstand festgelegt werden, mit dessen Eintritt die Daten unleserlich gemacht oder gelöscht werden.

bb) Kann ein Mensch sich etwas nicht merken, so wird eine aufgenommene Information gar nicht oder aber nur sehr kurz gespeichert. Um dies technisch umzusetzen, wäre es denkbar, dem Betroffenen einen Löschungsanspruch an die Hand zu geben, der es ihm gestattet, gespeicherte Daten möglichst früh wieder zu entfernen bzw. entfernen zu lassen. Bestenfalls rich-tet sich dieser gegen sämtliche veröffentlichte Exemplare und Duplikate.

cc) Nicht mehr daran denken impliziert, dass die Informati-on selbst zwar noch vorhanden, es dem menschlichen Orga-nismus aber nicht möglich ist, sie sich ins Bewusstsein zu rufen.

Parallel dazu wäre ein Verfahren denkbar, nachdem nicht derjenige, der die Daten speichert, sie löscht, sondern den möglichen Empfängern das Auffinden der Daten in einem sol-chen Maß erschwert wird, dass deren Existenz in Vergessen-heit gerät.

III. "RaVw" in Art. 17 DSGVO-E

1. Sämtliche Rechte, die sich aus Art. 17 DS-GVO-E ableiten lassen, stehen der "betroffenen Person" zu. Dabei handelt es sich ausweislich des Art. 4 I, II DS-GVO-E um jede bestimmte oder bestimmbare, natürliche Person. Sie richten sich gegen den "für die Verarbeitung Verantwortlichen" nach Art. 4 V DS-GVO-E: die natürliche oder juristische Person, die über die Modalitäten der Datenverarbeitung i.S.d. Art. 4 III DS-GVO-E entscheidet.

2. Der sachliche Schutzbereich des Art. 17 DS-GVO-E ist eröffnet, sofern "personenbezogene Daten" i.S.d. des Art. 4 II DS-GVO-E, d.h. Informationen, die sich auf die bestimmbare Person beziehen, vorliegen.

Der Titel des Art. 17 DS-GVO-E weist neben dem RaVw auch das Recht auf Löschung auf. Der Erwägungsgrund (EG) 53 der DS-GVO-E macht deutlich, dass es sich dabei nicht um zwei getrennt nebeneinanderstehende Betroffenenbefugnisse handelt. Das Recht auf Löschung ist vielmehr ein Teil des RaVw. Die Struktur des Art. 17 DS-GVO-E unterstreicht diese Annahme: Während sich das Recht auf Löschung nochmal expressis verbis in Absatz 1 findet, steht das RaVw dem ge-samten Artikel ausschließlich in der Überschrift vor.

Folgerichtig ergibt sich dessen Inhalt aus dem Zusammen-spiel aus der Gesamtheit der in den verschiedenen Absätzen des Art. 17 DS-GVO-E festgelegten Berechtigungen und Be-schränkungen:

a) Nach Art. 17 I DS-GVO-E ist der Betroffenen berechtigt, vom Verantwortlichen die Löschung seiner personenbezoge-nen Daten, sowie das Unterlassen deren weiteren Verbreitung zu verlangen, sofern die Daten entweder zu den Erhebungs-zwecken nicht mehr erforderlich sind, der Verantwortliche die

Verarbeitung nicht mehr auf die Einwilligung des Betroffenen nach Art. 6 I a) DS-GVO-E und auf keine andere Ermächti-gungsgrundlage stützen kann, die betroffene Person Wider-spruch nach Art. 19 DS-GVO-E einlegt oder die Verarbeitung in sonstiger Weise nicht mit der DS-GVO-E in Einklang steht.

b) Art. 17 II DS-GVO-E verpflichtet denjenigen, der im Fal-le des Absatz 1 für eine Veröffentlichung der personenbezoge-nen verantwortlich ist, dazu, Dritte, die die Daten verarbeiten, über das Löschungsersuchen des Betroffenen in Kenntnis zu setzen – im Rahmen der vertretbaren Möglichkeiten und auch für den Fall, dass ein Dritter die Daten mit Zustimmung des Verantwortlichen veröffentlicht hat.

Letztgenanntem obliegt nach Art. 13 DS-GVO-E auch die Pflicht, direkte Empfänger der Daten i.S.v. Art. 4 VII DS-GVO-E von der Löschung zu unterrichten, sofern dies nicht unmöglich oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeuten würde.

c) Für den Fall, dass die Speicherung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 80 DS-GVO-E, aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffent-lichen Gesundheit gemäß Art. 81 DS-GVO-E, für historische, statistische oder wissenschaftliche Zwecke nach Art. 83 DS-GVO-E, zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufbewahrungs-pflicht oder in den Fällen des Absatz IV erforderlich ist, ent-fällt die Pflicht zur umgehenden Löschung.

d) Das RaVw aus Art. 17 DS-GVO-E setzt sich also aus dem Löschungsanspruch gegen den Verantwortlichen und dessen Informationspflicht im Fall der Übermittlung oder Ver-öffentlichung zusammen. Mit einem Vergessen im zeitlichen Sinne hat diese Konzeption wenig zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen weitreichenden Löschungsanspruch, der dem Betroffenen die Möglichkeit an die Hand geben soll, auch Kopien und Querverweise seiner personenbezogenen Daten wieder aus der Öffentlichkeit entfernen zu lassen. In die Kate-gorien menschlichen Vergessens eingeordnet handelte es sich um "sich nicht merken können".

e) aa) Der Spezialfall der Veröffentlichung von Informatio-nen im Kindesalter in Art. 17 I DSGVO-E weißt eigentlich die Charakteristik eines Regelbeispiels auf. Jedoch mangelt es ihm an dem zu konkretisierenden, auslegungsbedürftigen Begriff. Die Wirkung muss sich somit auf die Interessengewichtung im Rahmen einer Abwägung innerhalb der Voraussetzungen aus a)-d) beschränken. Umgekehrt darf man die Gewichtung nicht umkehren sollte der Spezialfall gerade nicht vorliegen. Dies ließe die Wirkung des Art. 17 DSGVO-E zu einer Spezialrege-lung des unvorsichtigen Datenumgangs der Jugend13 verkom-men und trüge zu einer Schlechterstellung Betroffener bei, die sich bisher auf einen gleichartigen Löschungsanspruch aus Art. 12 b) DSRL berufen konnten. Der DSGVO-E hat indes die Stärkung deren Rechte zum Ziel14. Der Spezialfall darf daher nachteilige Gewichtung der Interessen der restlichen Betroffe-nen nicht zulassen.

13 Vgl. Schenk/Niemann/Reinmann/Roßnagel, Digitale Privatsphäre, S. 7 f. 14 Vgl. Erwägungsgründe 5f., 9 DSGVO-E; Hornung, ZD 2012, 103.

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bb) Die Informationspflicht im Fall der Übermittlung wird durch die Vertretbarkeit einschlägiger Maßnahmen begrenzt. Zur Bewertung des Betroffenenrechts aus Art. 17 II DS-GVO-E kommt man also um eine nähere Betrachtung der Vertretbar-keit nicht umhin. Es stellt sich also die Frage auf welche Weise Verlinkungen, Kopien und Replikationen ausfindig gemacht werden können15 und ob das entsprechende Verfahren i.V.m. der sich anschließenden Information des Verarbeiters noch als vertretbar qualifiziert werden kann16.

Die Speicherung eines jeden Abrufs der personenbezogenen Daten durch einen Dritten wird schon in den meisten Fällen mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig sein17, wird vom Verantwortlichen ab einer gewissen Abrufzahl ökonomisch und organisatorisch nicht mehr vertretbar sein18 und wider-spricht dem Grundsatz der Datensparsamkeit. Sollten mit der Unterscheidung von Kopien und Replikationen unter letzterem auch Screenshots erfasst werden19, so wird die Informations-pflicht diesbezüglich mangels vertretbarer Möglichkeiten zur Ermittlung leer laufen.

Obwohl die Wirkung der Informationspflicht aus Art. 17 II DS-GVO-E empfindlich eingeschränkt wird, ist das Vertret-barkeitskriterium unerlässlich, um nicht technisch oder wirt-schaftlich Unmögliches zu fordern20 und so das Instrumentari-um im Ganzen zu Fall zu bringen. Dies lässt unweigerlich den Schluss zu, dass nicht der Anspruch erhoben werden kann dem Betroffenen eine umfassende und abschließende Regelung zu bieten. Die Informationspflicht gibt ihm dennoch ein grund-sätzlich sinnvolles Mittel an die Hand, einem unbegrenzten Umgang mit seinen Daten entgegenzuwirken.

cc) Nach Art. 2 II d) DS-GVO-E findet die DSGVO keine Anwendung gegenüber natürlichen Personen, die persönliche Zwecke verfolgen21. So ist die Informationspflicht etwa nicht anwendbar für den Fall, dass ein Nutzer ein personenbezoge-nes Datum innerhalb eines begrenzten Personenkreises im Rahmen eines sozialen Netzwerkes verbreitet. Wird das Datum jedoch für sämtliche Nutzer sichtbar, so sind die privaten Zwe-cke mangels persönlicher Verbindung zu den Rezipienten zu verneinen22. Diese Einschränkung ist angesichts der geringeren Gefahr der Verbreitung durch einen eingeschränkten Perso-nenkreis angebracht.

Der Art. 17 II DS-GVO-E verpflichtet den Verantwortlichen indes nicht, bei den Dritten für eine Löschung zu sorgen23. Dies zeigt der Vergleich mit dem abweichenden Wortlaut eines früheren Entwurfs, der eine eben solche Verpflichtung ent-hielt24: Der Dritte soll lediglich dazu angehalten werden bzgl. derselben Daten eine Prüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Spei-

15 Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 239. 16 Gstrein, ZD 2012, 425; Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238. 17 Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 168. 18 Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238. 19 ebd. 20 Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 238. 21 Kalabis, Selzer, DuD 2012, 675. 22 Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 167. 23 so aber: Gstrein, ZD 2012, 425. 24 Hornung/Hofmann, JZ 2013, 167; Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 237.

cherung vorzunehmen. Darüber hinausgehende Schritte wären aus Sicht des Verantwortlichen ohnehin nur selten vertretbar.

Für künftige Fassungen könnte die Einführung unterschied-lich brisanter Datenkategorien erwogen werden, die jeweils eine eigene Frist vorsehen mit deren Ablauf der Dritte sich beim Betroffenen erkundigen soll, ob die gespeicherten Daten zu löschen sind25. So könnte etwa im Falle sensibler Daten i.S.d. Art. 4 X-XII DS-GVO-E die Benachrichtigung eine unverzügliche Löschungspflicht des Dritten auslösen26, um deren besonderer Peinlichkeit gerecht zu werden. Auf diese Weise würde dem bloßen Löschungs- und Informationsan-spruch noch eine Spur eines zeitlichen RaVws angehängt.

dd) Problematisch am RaVw in der Konzeption des Art. 17 DS-GVO-E ist, dass er dem Betroffenen eine eigentumsanalo-ge Verfügungsbefugnis über seine Daten zuschreibt, die sich mit den sozialen Verflechtungen in der Realität nicht deckt27. Es wird angeführt, dass auch im analogen Kommunikations-verkehr eine Rücknahme einmal preisgegebener Daten nicht möglich ist. So kann etwa ein einmal versandter Liebesbrief nicht wieder zurückgefordert werden28. Dieser parallel gezoge-ne Schluss verläuft jedoch angesichts der sich erheblich unter-scheidenden Risikopotentiale der Daten in Leere: während im analogen Schriftverkehr zur Kenntniserlangung die Recherche des Besitzers der Originalwerke oder der Kopien erforderlich ist, kann auf digitalem Wege mittels Suchmaschine ein ent-sprechendes Dokument in Bruchteilen von Sekunden ausfindig gemacht werden. Diese Dienste bieten zudem die Möglichkeit in kurzer Zeit die Verknüpfung mit weiteren personenbezoge-nen Daten zu erreichen.

ee) Etwaige Speicherfristen, wie sie etwa in Art. 14 I c) und Art. 15 I d) DS-GVO-E enthalten sind, konstituieren keine Löschpflicht. Sie dienen nur der Schätzung, inwieweit die einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen wirksam sein werden - allein diese entscheiden über die Rechtmäßigkeit gespeicher-ter Daten29. Mangels jeglicher zeitlicher Komponente wirkt der Titel des Art. 17 DS-GVO-E daher zunächst irreführend, es handelt sich um einen einfachen Löschungsanspruch in Kom-bination mit genannten Informationspflichten30.

IV. Verfassungsrechtliche Grundlage

Im Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 konkretisierte das BVerfG einen Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeits-rechts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RiSB)31. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG gewährleistet dem Einzel-nen das Recht, selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen32.

25 Gstrein, ZD 2012, 428. 26 ebd., 425. 27 ebd., 427; Schneider/Härting, ZD 2012, 200. 28 Härting, InternetR, Annex Rn. 24f.; Friedrich, Informationelle Selbstbe-stimmung: Das "Recht auf Vergessen" und die Netzfreiheit, SPON. 29 Hornung/Hoffmann, JZ 2013, 166. 30 Koreng/Feldmann, ZD 2012, 312, 315; Gstrein, ZD 2012, 427, 31 Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 51. 32 BVerfGE 65, 1 (43).

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Dabei bindet das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung die Exekutive, Legislative und Judikative nach Art. 1 III GG unmittelbar. Gegenüber Privaten, die sich zumindest auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG berufen können, entfaltet das RiSB hingegen lediglich eine mittelbare Drittwirkung33. Folglich muss auch eine grundrechtliche Beur-teilung des RaVws differenziert erfolgen.

1. Das RiSB schützt den einzelnen gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung oder sonstige Nutzung seiner perso-nenbezogenen Daten durch den Staat34.

a) Eingriffe, also die Erhebung, Verarbeitung, Übermittlung oder Veröffentlichung personenbezogener Daten, können le-diglich unter Einhaltung enger Rahmenbedingungen gerecht-fertigt werden. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage oder informierten Einwilligung, müssen eng an einen Zweck gebun-den sein und unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz35. Aus einem Verstoß gegen diese Voraussetzungen folgt ein Abwehranspruch des Grundrechteinhabers in Form der Lö-schung vorgehaltener Daten und Unterlassung des weiteren Umgangs. Darüber hinaus leitet sich aus dem Datensparsam-keitsgrundsatz die Löschungspflicht der verarbeitenden Stelle ab, sofern der Zweck, der dem Datenumgang zu Grunde lag, erfüllt wurde36.

b) Möglicherweise bildet das RiSB außerdem eine taugliche Grundlage eines weitergehenden "RaVw". Entscheidend dabei ist Natur des Grundrechts aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG.

aa) Folgt man dem Wortlaut des BVerfG aus dem Jahr 1983 und qualifiziert das RiSB als eigentumsanaloge Verfügungsbe-fugnis37, so gesteht man dem Betroffenen eine umfassende Kontrolle bzgl. seiner personenbezogenen Daten zu. Als Aus-fluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unübertragbar, verblieb ihm diese auch im Falle der Veröffentlichung oder Übermittlung. Dem Betroffenen stünde demnach zu jeder Zeit die Möglichkeit offen, mittels eines Löschungsanspruchs die Datenverarbeiter seine personenbezogenen Daten "vergessen" zu lassen.

bb) Sieht man hingegen das RiSB als reines Instrument zur Gewährleistung der freien Persönlichkeitsentfaltung an38, so kann nur dann ein weitergehender Anspruch des Betroffenen abgeleitet werden, sollte diese in Gefahr geraten.

Kritisch zu beobachten ist, ob die Erhebung und Verknüp-fung von personenbezogenen Daten durch den Staat in einem ähnlichen Maße zunimmt, wie im privaten Sektor; bzw. ob öffentliche Stellen auf die immer größer werdenden Datenbe-stände aus der Privatwirtschaft zurückgreifen39. Eine derartige Entwicklung würde auf lange Sicht die Rekonstruierung jegli-

33 Herdegen, Maunz/Dürig GG, Art. 1 III Rn. 59; Masing, NJW 2012, 2306. 34Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 52. 35 Tinnefeld/Ehmann/Gerling DSR, S.147, 151; Kühling/Seidel/Sivridis, Daten-schutzrecht, S. 53. 36 Schwartmann/Lamprecht/Weissenborn, DSR, S. XIV. 37 Vgl.: Britz, Offene Rechtswissenschaft, 562f; Simitis, NJW 1984, 400. 38 Hoffmann-Riem, AöR 123 (1998), 521; Trute, Roßnagel, Hdb. DSR, S. 166, 169. 39 Bsp. polizeilicher Ermittlungen in sozialen Netzwerken: Schulz/Hoffmann DuD 2012, 7 f.

cher bürgerlichen Aktivität ermöglichen. Diese verstieße gegen den verfassungsimmanenten Persönlichkeitsvorbehalts der Bundesrepublik Deutschland40. Die damit einhergehende Kata-logisierung und Objektivierung menschlicher Individuen mit-tels umfassender Persönlichkeitsprofile bedeutete außerdem eine Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 I GG41.

Sollten die erhobenen Daten dabei nicht schon gegen den Zweckbindungs- oder den Sparsamkeitsgrundsatz verstoßen, ist es erforderlich, ein vom Erhebungszweck unabhängiges Verfallsdatum festzulegen. Die Haltbarkeitsspanne muss die Zeit, die zur Datenerhebung, Verknüpfung und Erstellung von Persönlichkeitsprofilen erforderlich ist, dabei stets deutlich unterschreiten. Auch wenn die Feststellung der entsprechenden Speicherfrist und deren technische Realisierung42 mit immen-sen Problemen verbunden sein wird, so gebietet die instrumen-telle Auffassung des RiSB ein RaVw im zeitlichen Sinne, sollte der Kernbereich des Rechts auf Entfaltungsfreiheit be-troffen sein.

cc) Versteht man das RiSB wiederum als rein objektivrecht-liche Pflicht des Gesetzgebers, Normen für die grundrechts-konforme Ausgestaltung der Datenverarbeitung festzulegen43, so lassen sich auf verfassungsrechtlicher Ebene keine subjekti-ven Rechte des Betroffenen ableiten. Er wäre bei der Suche nach einem RaVw auf eine entsprechende einfachgesetzliche Ausgestaltung angewiesen.

dd) Das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass die personen-bezogenen Daten als "Abbild sozialer Realität […] nicht aus-schließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden" kön-nen44. Die Gesellschaft hat ein Interesse daran, dass der Staat selbst Eingriffe vornimmt oder gesetzlich legitimiert. Nur so lässt sich sicherstellen, dass den Interessen Dritter im Rahmen ihrer Informationsfreiheit aus Art. 5 I GG, der Pressefreiheit aus Art. 5 I S.2 GG, der Freiheit der Wissenschaft aus Art. 5 III GG oder zumindest der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG ausreichend Rechnung getragen wird45. Der Austausch von personenbezogenen Daten ermöglicht erst die gesellschaft-liche Diskussion, weswegen eine Eigentumsanalogie mit dem Grundsatz der Demokratie, wie er in Art. 20 I GG festgelegt ist, unvereinbar wäre46. Das RiSB kann folglich nicht als abso-lute Verfügungsbefugnis verstanden werden, die das Recht auf gelungene Darstellung beinhaltet47.

Die Konzeption als rein objektive Pflicht käme hingegen ei-ner Umkehr des Grundsatzes vom Verbot mit Erlaubnisvorbe-halt48 gleich: Anstatt dem Betroffenen grundsätzlich Abwehr-ansprüche aus dem RiSB zu garantieren, wäre er auf die ein-zelnen Freiheitsrechte beschränkt, die ihm der Gesetzgeber auf einfachgesetzlicher Ebene zubilligt. Damit ginge eine Schwä-

40 BVerfGE 125, 324. 41 BVerfGE 27, 1 (5); 65, 1 (48); zur Gefahr unrichtiger Profile: Trute, Roßna-gel, Hdb. DSR, S. 171 f. 42 Siehe hierzu: Fn. 3. 43 Simitis, NJW 1984, 399 f. 44 BVerfGE 65, 1 (44). 45 Woertge, Die Realisierung des Datenschutzrechts, S. 30. 46 Simitis, NJW 1984, 400. 47 BVerfGE 97, 125 (149); Britz, Offene Rechtswissenschaft, 571 f. 48 Schwartmann/Lamprecht/Weissenborn DSR, S.XIV.

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chung der Betroffenen einher, die den aktuellen Bestrebungen eines wirksameren Datenschutzes49 nicht gerecht wird.

Das RiSB dient also der freien Persönlichkeitsentfaltung des Grundrechtsträgers und sichert diesem auch ein RaVw als Abwehrrecht gegen staatliches Handeln zu, für den Fall, dass der technologische Fortschritt zu einer Totalerfassung bürgerli-cher Aktivitäten führt.

2. Zwischen Privaten verpflichtet die mittelbare Drittwir-kung des RiSB den Gesetzgeber zur Ausarbeitung einer dezi-dierten, gesetzlichen Regelung, die die widerstreitenden ver-fassungsrechtlich geschützten Freiheiten der Privaten mitei-nander in Einklang bringt 50: Der Betroffene hat Interesse an der Wahrung seines RiSB, wohingegen sich der private Daten-verarbeiter auf seine Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG, den ge-nannten Rechten aus Art. 5 GG oder zumindest auf seine all-gemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG berufen wird. Es stellt sich also die Frage, ob das RiSB auch bei nur mittelbarer Drittwirkung die Grundlage für ein temporäres RaVw bietet - in einfachgesetzlicher Ausgestaltung. Dabei ist nicht schon von vorneherein ausgeschlossen, dass die mittelbare Drittwirkung und die direkte Anwendung des Rechts aus Art. 2 I iVm. Art. 1 I GG den gleichen Wirkungsgrad erreichen51.

Der Datenverarbeiter hat meist ein wirtschaftliches Interesse daran, die personenbezogenen Daten lange und ausgiebig zu nutzen. Dem setzt die mittelbare Drittwirkung des RiSB Gren-zen: Die einfachgesetzliche Ausgestaltung darf den Datenum-gang nur im Fall einer Einwilligung oder eines gesetzlichen Erlaubnistatbestandes unter Beachtung der Grundsätze der Zweckbindung und der Datensparsamkeit erlauben, um be-schriebenen Einschüchterungseffekte zwischen Privaten beizu-kommen. Mittels gesetzlicher Abwägungen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips lassen sich dabei die Interessen der Betroffenen einzelfallbezogen in Einklang bringen52.

Dennoch ist gerade im privatwirtschaftlichen Bereich die Gefahr umfassender Persönlichkeitsprofilbildungen aufgrund deren wirtschaftlicher Rentabilität groß. Entfalten die Grund-rechte ihre Wirkung gegenüber Privaten als objektive Wert-ordnung, so muss für die Schutzpflicht des Staates der gleiche Maßstab wie bei der unmittelbaren Anwendung gelten. Um das verfassungskonforme Minimum an Persönlichkeitsentfal-tung und die Menschenwürde zu wahren, ist der Gesetzgeber also verpflichtet, privaten Datenanbietern die vollständige Katalogisierung von Bürgern zu untersagen. Ein temporäres Recht auf Vergessen, gleich dem gegenüber staatlichen Stellen wäre demnach einfachgesetzlich festzulegen. Denn auch wenn die Erhebung der Daten vielfach aufgrund einer Einwilligung erfolgt, kann dies der Verletzung der unabdingbaren53 Men-schenwürde nicht entgegengehalten werden.

3. Das RiSB aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG beinhaltet zu-nächst ein RaVw, das dem menschlichen "sich nicht merken können" gleich kommt: personenbezogener Daten deren Um- 49 Auf Europäischer Ebene: Erwägungsgrund 5 f. DS-GVO-E. 50 BVerfGE 7, 198; Tinnefeld/Ehmann/Gerling DSR, S. 154 f. 51 BVerfGE 128, 226 (248); Masing, NJW 2012, 2308. 52 Bspw. verschieden gewichtete Interessenabwägungen in §§28 ff. BDSG. 53 Jarass/Pieroth GG, Art. 1 Rn. 13; BVerwGE 86, 362 (366).

gang im Widerspruch zu den genannten Prinzipien steht, wer-den nicht erhoben. Falls sie dennoch rechtswidrig erhoben wurden oder ihr Zweck nach rechtmäßiger Erhebung erfüllt wurde, sind sie zu löschen.

Darüber hinaus muss der Staat die Menschenwürde und ein Mindestmaß an Persönlichkeitsentfaltung sicherstellen. Der umfassende Rekonstruierbarkeit bürgerlicher Verhaltensweisen ist also ein RaVw i.S.d. menschlichen "aus dem Gedächtnis verlieren" entgegenzusetzen

Gegenüber staatlichen Stellen gelten diese Ansprüche un-mittelbar aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG. Im Verhältnis zwi-schen Privaten bindet den Gesetzgeber seine Schutzpflicht, eine gleichwertige, einfachgesetzliche Regelung zu schaffen.

V) Einfachgesetzliche Grundlagen

1. Das LDSG Schleswig-Holstein

a) Das Landesdatenschutzgesetz von Schleswig-Holstein (LDSG SH) widmet sich seit dem 27. Januar 2012 in § 21 der Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet. Der Anwendungsbereich des LDSG SH ist nach § 3 I gegen-über allen Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen, der im Landesverwaltungsgesetz genannten Träger der öffentlichen Verwaltung eröffnet.

Nach § 21 I S.1 LDSG SH bedarf es zur Veröffentlichung der personenbezogenen Daten einer Einwilligung oder gesetz-lichen Ermächtigungsgrundlage. Dieser Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalts findet sich bereits in § 11 I LDSG SH und bietet daher keine materiell rechtliche Neuerung54.

Absatz II schreibt vor, dass personenbezogene Daten, die im Internet veröffentlicht werden, mit einer Frist von unter 5 Jah-ren versehen und nach deren Ablauf wieder aus dem Internet entfernt werden.

b) Unklar bleibt, welche Regelung vorzuziehen ist, sollte an anderer Stelle ein längerfristige Speicherung vorgesehen sein und ob wirksam in eine längere Veröffentlichung eingewilligt werden kann55. Problematisch erscheint außerdem § 21 II S. 3 LDSG SH, der eine erneute Veröffentlichung für zulässig er-klärt und damit die Pflicht, die Daten nach Zeitablauf aus dem Internet zu entfernen, untergräbt56.

§ 21 II S. 3 LDSG SH kann daher nicht schon als gesetzli-che Ermächtigungsgrundlage verstanden werden. Eine erneute Veröffentlichung bedarf nach § 21 I S. 1 LDSG SH wiederum einer gesetzlichen Grundlage oder der Einwilligung, wobei die Grundsätze der Datensparsamkeit und Zweckbindung aus §§ 4 I, 13 II LDSG SH erneut zu beachten sind.

Nicht thematisiert, geschweige denn gelöst, werden die Problematik unrechtmäßig angefertigter Kopien und deren Weiterverbreitung nach Ablauf der Frist57. Zudem entfaltet des

54 Venske, Schleswig-Holstein normiert "Recht auf Vergessen", datenschutz-cert.de. 55 ebd. 56 ebd. 57 Schulz/Brackmann, Landtag SH, Umdruck 17/2960, S. 8.

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LDSG SH seine Wirkung nur gegenüber öffentlichen Stellen des Landes Schleswig-Holstein. Im täglichen Datenverkehr nehmen diese jedoch eine äußerst unbedeutende Rolle ein. Nicht-öffentliche Stellen, die hier über das Gros der Datenver-arbeitung und -veröffentlichung entscheiden, werden allerdings nicht von den LDSG, sondern § 1 II Nr. 3 BDSG erfasst.

Die Befristung ist außerdem auf im Internet veröffentlichte personenbezogene Daten beschränkt. Bei den Landesbehörden gespeicherte Daten können somit weiterhin ohne pauschale zeitliche Begrenzung erhoben und entsprechend ihrer Zwecke verarbeitet werden.

Das LDSG SH bietet somit nur einen kleinen Anwendungs-bereich und eine geringe Reichweite bzw. Wirksamkeit der Löschpflicht. Eine Regelung wie in § 21 II S.1 LDSG SH kann somit zwar keine umfassende Lösung für den Datenumgang im Internet bieten, sie ist dennoch als erster Schritt in Richtung eines "RaVw" mit temporärem Ansatz von staatlicher Seite zu werten.

2. BDSG in Umsetzung der DSRL

In Umsetzung der Normen der DSRL58 entsprechend dem Art. 288 III AEUV regelt das BDSG den Umgang mit personenbe-zogenen Daten. Dabei handelt es sich gemäß § 3 I BDSG, Art. 2 a) DSRL um Angaben über eine "bestimmte oder bestimm-bare Person" - dem Betroffenen. Diesem stehen verschiedene Rechte gegen den für die Verarbeitung Verantwortlichen aus Art. 2 d) DSRL zu.

Der deutsche Gesetzgeber hat den in Art. 12 II b) DSRL vorgesehenen Löschungsanspruch des Betroffenen bzgl. seiner personenbezogenen Daten differenziert umgesetzt: Öffentliche Stellen i.S.d. § 2 I-III BDSG sind aus § 20 II BDSG, nicht-öffentliche Stellen i.S.d. § 2 IV BDSG aus §35 II S.2 BDSG verpflichtet, personenbezogene Daten zu löschen, sofern ein entsprechender Tatbestand erfüllt wurde. Die Ausübung des korrespondierenden, subjektiven Löschungsanspruchs des Betroffenen ist hierfür nicht konstitutiv59.

a) Nach § 4 I BDSG ist der Umgang mit personenbezogenen Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen nach § 4a I BDSG oder auf der Basis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zulässig. Es stellt sich nun die Frage, ob dem Betroffenen die Möglichkeit offen steht, personenbezogene Daten, die zunächst rechtmäßig erhoben, gespeichert oder veröffentlicht wurden, wieder entfernen zu lassen. Dabei muss zwischen den Mög-lichkeiten gegenüber öffentlichen und nicht-öffentlichen Stel-len unterschieden werden.

aa) Öffentliche Stellen - § 20 II Nr. 2 BDSG

§ 14 I BDSG gestattet einer öffentlichen Stelle, personenbezo-gene Daten zu speichern, verändern oder zu nutzen, wenn und solange60 es zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist und im Rahmen der Erhebungszwecke erfolgt. § 14 II BDSG legt

58 95/46/EG. 59Worms, DatenschutzR, §20 Rn. 5; Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §35 Rn. 30. 60 Dammann/Simitis BDSG, § 14 Rn. 19; Gola/Schomerus BDSG, § 14 Rn. 7.

alternative Voraussetzungen für denselben Datenumgang zu abweichenden Zwecken fest. Korrespondierend besteht eine Löschpflicht in § 20 II Nr. 2 BDSG: Die ursprünglich recht-mäßig erhobenen und gespeicherten personenbezogene Daten sind demnach wieder zu löschen, sollten sie zur Aufgabener-füllung nichts mehr beitragen können, weil sie entweder ihren Zweck erfüllt haben oder aber zur Förderung desselben nutzlos wurden61.

Diese Umsetzung des Datensparsamkeitsprinzips sorgt da-für, dass die personenbezogenen Daten des Betroffenen mit Ablauf einiger Zeit wieder "vergessen werden". Folglich be-messen sich die Zeitspanne und damit die Reichweite des An-spruchs nach dem Niveau der Anforderungen, die man für die Erforderlichkeit des Datenumgangs voraussetzt.

Erforderlich ist ein Datum, ohne das die Aufgabe der öffent-lichen Stelle nicht, nicht vollständig, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erfüllt werden kann62. Der Datenumgang muss hierfür zwingende Voraussetzung, also "conditio sine qua non" sein63. Andere wollen die bloße Förde-rung der Aufgabe ausreichen lassen64. Während sich der Be-troffene jedoch auf sein RiSB berufen kann, unterliegt das Bestreben der öffentlichen Stelle, möglichst effizient zu arbei-ten, keinem verfassungsrechtlichen Schutz. Somit sind deren Interessen im konkreten Fall auf das Mindestmaß einer funkti-onierenden Aufgabenerledigung zu begrenzen, um einen mög-lichst geringen Eingriff in den Schutzbereich des RiSB zu gewährleisten.

Personenbezogene Daten, die die Arbeit in geringem Maße vereinfachen, jedoch nicht unerlässlich sind, dürfen also nicht erhoben, gespeichert und auf sonstige Weise genutzt bzw. müssen gelöscht werden. § 20 II Nr. 2 BDSG bietet dem Be-troffenen also die Möglichkeit eines RaVw (bzw. eine Pflicht der öffentlichen Stelle zu vergessen) mit zeitlicher Komponen-te. Werden die Daten im Rahmen von Aufgaben erhoben, die auf einen Zeitpunkt terminiert sind, lässt sich die Frist sogar im Vorhinein genau bestimmen. Problematisch wird dies bei län-gerfristigen und unbefristeten Aufgaben öffentlicher Stellen. In diesem Fall lässt sich weder die Haltbarkeit der personenbezo-genen Daten im Vorhinein, noch der Wegfall der Erforderlich-keit trennscharf bestimmen.

bb) Nicht-öffentliche Stellen

aaa) Nach § 35 II S. 2 Nr. 3 BDSG sind personenbezogene Daten von einer nicht-öffentlichen Stelle zu löschen, wenn sie für eigene Zwecke i.S.d. § 28 BDSG verarbeitet werden und ihre Kenntnis für die Erfüllung des Zwecks der Speicherung nicht mehr erforderlich ist. Eigene Zwecke liegen vor, wenn das Speichern der Daten nicht selbst das Geschäft der verant-wortlichen Stelle beschreibt, sondern lediglich als untergeord-nete Hilfstätigkeit ein anderes Geschäft ermöglicht65.

61 Gola/Schomerus BDSG, § 20 Rn. 11. 62 Albers, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §14 Rn. 13; Globig, Roßnagel Hdb. DSR, S. 647 63 BSGE 90, 162 (167 f.); Dammann/Simitis BDSG, § 14 Rn. 15. 64 So: BVerwG NJW 1994, 2499. 65 Gola/Schomerus BDSG, § 28 Rn. 4.

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Erneut ergibt sich das Problem der Unschärfe bei der Er-mittlung der Erforderlichkeit. Unter der Berücksichtigung, dass nicht-öffentliche beim Datenumgang ebenfalls Grundrechte geltend machen, muss die Konkordanz der widerstreitenden Interessen angestrebt werden66. Erforderlich i.S.d. § 35 II S. 2 Nr. 3 BDSG ist die Speicherung demnach auch noch, wenn sie nicht zwingende Voraussetzung zur Wahrnehmung des eigenen Geschäftszweckes ist, diese aber in erheblichem Maße fördert und eine objektiv zumutbare Alternative deshalb nicht exis-tiert67. Nicht mehr erforderlich ist die Speicherung jedenfalls, sofern das eigentliche Geschäft entfällt, erledigt ist oder das Datum mit dem Ablauf der Zeit jedwede Bedeutung verliert68.

Auch gegenüber nicht-öffentlichen Stellen hat der Betroffe-nen also ein RaVw bzw. die Stelle, die Pflicht zu vergessen. Die Negierung der Erforderlichkeit und damit die Feststellung der Haltbarkeit der personenbezogenen Daten bereitet hier jedoch mangels conditio-sine-qua-non-Formel ungleich größe-re Schwierigkeiten, die die nicht-öffentliche Stelle im Zweifel zu ihren Gunsten ausreizen wird.

bbb) Werden personenbezogene Daten geschäftsmäßig zum Zweck der Übermittlung i.S.v. § 29 BDSG verarbeitet, so sind sie nach § 35 II S. 2 Nr. 4 BDSG zu löschen, sollte eine Prü-fung am Ende des vierten oder dritten (im Falle der Erledigung des Sachverhalts, sofern kein Widerspruch des Betroffenen vorliegt) Kalenderjahres nach erstmaliger Speicherung erge-ben, dass diese nicht länger erforderlich ist. Die Prüfung ist obligatorisch, wie der entsprechenden amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf zu entnehmen ist69.

Die Datenverarbeitung ist geschäftsmäßig, wenn sie auf eine gewisse Dauer angelegt, auf Wiederholung ausgerichtet ist und der Datenumgang selbst das geschäftliche Interesse bildet70. Es stellt sich daher die Frage, ob die turnusmäßige Erforderlich-keitsprüfung nach § 35 II S. 2 Nr. 4 BDSG als RaVw qualifi-ziert werden kann.

Wie auch bei der Verarbeitung für eigene Zwecke bemisst sich die Speicherfrist am Maßstab der Erforderlichkeit. Weil sich erneut die gegenläufigen Interessen von Privaten gegen-überstehen, ist eine grundsätzlich enge Auslegung der Erfor-derlichkeit aufgrund des RiSB des Betroffenen nicht ange-bracht71. Das subjektive Verlangen des Betroffenen, dass seine Daten gelöscht werden, kann daher keinen Einfluss auf die Erforderlichkeit haben72. Umgekehrt können personenbezoge-ne Daten, die für die Vermarktung nur "interessant" sind, nicht mehr als erforderlich angesehen werden73. Denn ist jedes Da-tum aufgrund der Verknüpfungsmöglichkeiten74, der finanziell verwertbar und damit interessant. Um einen angemessenen

66 BGH NJW 1986, 2505 (2506); Vgl.: Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 37. 67 Gola/Schomerus BDSG, § 28 Rn. 15; Simitis BDSG, §28 Rn. 143. 68 Wedde, Roßnagel Hdb DSR, S. 560; Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG, §35 Rn. 23. 69 BR-Drs. 461/100, 113; Dix, Simitis BDSG, § 35 Rn. 39. 70 Buchner, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, § 29 Rn. 21 f.; Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S.139. 71 So aber: Wedde, Roßnagel Hdb. DSR, S. 561. 72 So aber: Nolte, ZRP 2011, 238. 73 So aber: Gola/Schomerus, BDSG, § 35 Rn. 14. 74 BVerfGE 1984, 419 (423).

Ausgleich der Interessen zu erzielen, kann eine Speicherung daher nur erforderlich sein, wenn sich anhand objektiver Um-stände, eine konkrete Gelegenheit zur Verwertung abzeich-net75. Wie auch bei der Speicherung zu eigenen Geschäftszwe-cken ergeben sich hierbei weite Spielräume zu Lasten des Betroffenen.

b) Der Betroffene kann sich der unzulässigen Speicherung seiner Daten mittels Löschungsansprüche aus §§ 20 II Nr. 1, 35 II S. 2 Nr. 1 BDSG erwehren. Die Unzulässigkeit kann nach § 4 I BDSG mangels gesetzlicher Grundlage oder Einwilligung schon bei der Erhebung der Daten vorliegen oder aber durch einen Widerspruch des Betroffenen ausgelöst werden76.

aa) In Umsetzung des Art. 14 S. 1 a) DSRL steht dem Be-troffenen ein Widerspruchsrecht gegen den bis dato rechtmäßi-gen Datenumgang öffentlicher (§ 20 V BDSG) und nicht-öffentlicher Stellen (§ 35 V BDSG) zu. Gelingt es ihm, das Überwiegen seines schutzwürdigen Interesses aufgrund seiner besonderen persönlichen Situation nachzuweisen, wird der Datenumgang für die Zukunft gemäß §§ 20 V S. 1, 35 V S.1 BDSG unzulässig, sofern nach §§ 20 V S. 2, 35 V S. 2 BDSG nicht eine Rechtsvorschrift hierzu verpflichtet. Wurden die Daten bereits gespeichert, so kann er einen Löschungsanspruch aus § 20 II Nr. 1 oder § 35 II S.2 Nr.1 BDSG geltend machen.

Grundsätzlich wird der Fall geregelt, dass ein zunächst "harmloser" Datenumgang nachträglich an einer für den Be-troffenen unzumutbaren Eingriffsqualität gewinnt77, etwa weil die die Datenverarbeitung Leib und Leben gefährdet 78 oder der Betroffene bereits mehrfach Opfer von Datenschutzverletzun-gen geworden ist und der weitere Umgang deshalb aus Präven-tionszwecken unterbleiben soll79. Berücksichtigt man neben diesen Beispielen den Umstand, dass die bisherige Verarbei-tung rechtmäßig und damit verhältnismäßig erfolgte, bleibt die Anwendung des Widerspruchsrechts auf Ausnahmefälle be-schränkt80. Das Interesse eines Betroffenen, unangenehme, aber korrekte, rechtmäßig gespeicherte und veröffentlichte personenbezogene Daten aus dem Internet entfernen zu lassen kann daher kein überwiegend schützenswertes Interesse dar-stellen81: die der DSRL zugrundeliegenden Datenschutzgrund-rechte des Betroffenen aus Art. 8 GRC, sowie Art. 16 AEUV garantieren zwar den Schutz der personenbezogenen Daten. Sie werden jedoch nicht unbeschränkt gewährt82 und müssen mit der Meinungs- und Informationsfreiheit von Internetnutzern aus Art. 11 GRC und der Unternehmerischen Freiheit von Websitenbetreibern aus Art. 16 GRC dergestalt in Einklang gebracht werden, dass kein Recht auf gelingende Darstellung ermöglicht wird. Als RaVw, dass dem Betroffenen jederzeit ermöglicht eine weitreichende Löschung, seiner "normalen"

75 Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §35 Rn. 44. 76 Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 25. 77 Däubler/Klebe/Wedde/Weichert BDSG, §35 Rn. 34. 78 Dix/Simitis BDSG, §35 Rn. 56. 79 Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §35 Rn. 76. 80 BT-Drs. 14/4329, 41; Worms, Wolff/Brink, Datenschutzrecht in Bund und Ländern, §20 Rn. 74, 76. 81 PM EuGH Nr. 77/13, S. 3. 82 Kühling/Seidel/Sivridis, Datenschutzrecht, S. 18 f.

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personenbezogenen Daten zu veranlassen, taugt das Wider-spruchsrecht aus §§ 20 V, 35 V BDSG daher nicht.

bb) Der § 28 IV BDSG setzt das Widerspruchsrecht des Be-troffenen gegen nicht-öffentliche Stellen um, wie es in Art. 14 S. 1 b) DSRL vorgesehen ist: Er kann demnach die Verarbei-tung oder Nutzung seiner Daten für Zwecke der Werbung, Markt- oder Meinungsforschung jederzeit untersagen. § 29 IV S.2 BDSG verpflichtet die nicht-öffentliche Stelle außerdem dazu, den Betroffenen über die Möglichkeit des Widerspruchs zu informieren und ihm die Herkunft der von einer anderen Stelle übermittelten Daten zu offenbaren. Gemäß § 29 IV BDSG entfaltet sich die Wirkung zusätzlich auf Daten, die im Rahmen eines geschäftsmäßigen Datenumgangs nach § 29 BDSG übermittelt wurden.

Anders als noch §§ 20 V, 35 V BDSG ist der Widerspruch jederzeit und ohne Abwägung zulässig. Damit kann § 28 IV BDSG als spezifisches RaVw in Form eines Löschungsan-spruchs herangezogen werden, dessen Wirkung allerdings auf den Bereich der Werbung beschränkt ist, sich nur gegenüber nicht-öffentlichen Stellen entfaltet und auch nur sofern nicht die bereichsspezifischen Reglungen des TMG nach § 1 III BDSG Vorrang genießen.

cc) Übermittelt eine Stelle personenbezogenen Daten, so ist sie nach § 20 VIII BDSG bzw. § 35 VII BDSG dazu verpflich-tet, die Empfänger über die eigene Löschung der personenbe-zogenen Daten zu informieren, sollte die Speicherung unzuläs-sig gewesen sein. Diese werden dadurch veranlasst, ihrerseits eine Prüfung vorzunehmen, ob die personenbezogenen Daten sie zur Verarbeitung der Daten noch länger berechtigt sind83. Ausgenommen sind die Fälle, in denen der Benachrichtigung Interessen des Betroffenen oder ein unverhältnismäßig hoher Aufwand entgegenstehen. Damit wird Art. 12 c) DSRL in nationales Recht umgesetzt. Übermitteln i.S.v. Art. 2b) /§ 3 IV Nr. 3 BDSG ist das Bereithalten personenbezogener Daten zum Abruf durch einen Dritten oder deren direkte Weitergabe. Hält eine Stelle personenbezogene Daten zum Abruf über das Internet bereit, so handelt es sich dabei um eine Übermitt-lung84.

Erfasst werden sollen nur Löschungen, die wegen Unzuläs-sigkeit nach §§ 20 II Nr. 1, 35 II S. 2 Nr. 1 BDSG vorgenom-men werden. Daten, die mangels Erforderlichkeit zur Aufga-ben- oder Zweckerfüllung nach §§ 20 II Nr. 2, 35 II S. 2 Nr. 3 BDSG zu löschen sind, würden die Nachberichtspflicht demnach nicht auslösen85.

Jedoch greifen auch die gesetzlichen Erlaubnistatbestände aus §§ 14, 28 BDSG nur, sofern die Erforderlichkeit noch gegeben ist. Auch mit deren nachträglichen Wegfall wird die Datenverarbeitung mangels gesetzlicher Grundlage daher un-zulässig i.S.d. § 4 I BDSG. Somit unterfällt auch die darauf folgende Löschung der Nachberichtpflicht.

83 Gola/Schomerus BDSG, §20 Rn. 35, §35, Rn. 22. 84 Schild, Roßnagel Hdb. DSR, S. 518. 85 So Malmann, Simitis § 20 Rn. 95; Worms, Wolff/Brink Datenschutzrecht in Bund und Ländern,, §20 Rn. 83.

Um die Nachberichtspflicht aus § 20 VIII BDSG bzw. § 35 VII BDSG zu einem wirksamen Instrument auszugestalten, sollten jedoch sämtliche Löschgründe aus §§ 28 II, 35 II S. 2, 3 BDSG ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen wer-den, um auch personenbezogene Daten zu erfassen, die zu Werbezwecken gespeichert und übermittelt werden. Denn der einschlägige § 29 BDSG enthält das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit nicht.

Der Betroffene muss sich im Fall der Übermittlung also nicht gegen jede einzelne Stelle zu wenden, um zu veranlassen, dass möglicherweise ebenfalls unzulässig gespeicherte Dupli-kate seiner Daten entfernt werden. In der weiten Ausgestal-tung/Auffassung käme die Nachberichtspflicht dem "RaVw" aus der DS-GVO-E gleich. Mithin ergeben sich dieselben Probleme bei der Ermittlung der Dritten, die die im Internet bereitgestellten, personenbezogenen Daten abrufen.

c) Das BDSG bietet dem Betroffenen umfangreiche An-sprüche, ihn betreffende Daten wieder löschen zu lassen. Die entsprechenden Löschpflichten der speichernden Stellen entfal-ten ihre Wirkung meist unabhängig von der Geltendmachung des korrespondierenden Anspruchs mit Ablauf der Erforder-lichkeit.

Deren Feststellung bleibt indes problematisch. Damit dies nicht zu einem Nachteil des Betroffenen zu gerät, sind umfas-sende Kontrollen durch die Aufsichtsbehörde getreu ihrer Be-fugnis aus § 38 I BDSG von Nöten. Denkbar wäre auch die Erteilung eines Datenschutzaudits nach § 9a BDSG, das die jeweilige Stelle erhält, sofern sie sich selbst an speziell zuge-schnittene, konkrete Kriterien zur Bestimmung der Erforder-lichkeit bindet.

Zusammen mit einer entsprechenden Auslegung bzw. Er-weiterung der Nachberichtspflicht bietet das BDSG also das RaVw und die Pflicht zu vergessen, in Form umfassender Löschungs- und Informationsansprüche mit zeitlichen, wenn auch schwammigen, Ansätzen.

VI. Ansätze aus Rechtsprechung und Literatur

1. Abwehransprüche aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (aPR)

Ein Löschungsanspruch von im Internet veröffentlichten, per-sonenbezogenen Daten lässt sich in bestimmten Fällen aus dem Unterlassungsanspruch des Betroffenen nach §§ 823 I, 1004 I BGB analog i.V.m. dem aPR aus Art. 2 I, 1 I GG herlei-ten.

Grundsätzlich muss die Berichterstattung über wahre Um-stände hingenommen werden, auch wenn dies für den Be-troffenen nachteilig ist86. Indes kann in Ausnahmefällen eine Persönlichkeitsverletzung angenommen werden, wenn ein außer Verhältnis stehender Schaden zu erwarten ist, weil der Betroffene Stigmatisierung und Isolierung ausgesetzt ist87.

So erkennt die Rechtsprechung ein Löschungsanspruch für

86 Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313; BGHZ 183, 353 (357). 87 BGHZ 183, 353 (358).

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den Fall an, dass eine öffentliche Berichterstattung die Resozi-alisierung eines verurteilten Straftäters gefährdet, weil sie das abgeklungene Interesse der Öffentlichkeit wieder entfacht88. Erforderlich ist die Feststellung einer Verletzung der Achtung des Privatlebens aus Art. 8 I EMRK und des aPR durch Abwä-gung mit der Meinungs- und Pressefreiheit der Berichterstatter aus Art. 10 EMRK, Art. 5 I GG89. Die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse, so auch über Straftaten ist Aufgabe der Medien, sodass deren Interesse zunächst überwiegt. Mit der Zeit gewinnt das Resozialisierungsinteresse des Straftäters jedoch die Oberhand90. Es darf daher keine erneute Berichter-stattung stattfinden, die den "Anschein der Aktualität" hat und den Betroffenen erneut ins Licht der Öffentlichkeit zerrt91. Der Anspruch kann jedoch nicht so weit gehen, dass der Betroffene überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert werden darf92. Sonst würde eine ehemals rechtmäßige Berichterstattung ir-gendwann unrechtmäßig, was entsprechende, den Medien unzumutbare Prüfpflichten mit sich zöge93. Denn es ist deren Aufgabe den öffentlichen Diskurs durch das Archivieren der Zeitgeschichte zu fördern94. Die Bereichsausnahme in § 41 BDSG macht deutlich, dass im Zweifel die Meinungs- und Pressefreiheit als notwendiges Mittel des demokratischen Rechtsstaats Vorrang genießen95.

Der bloße Ablauf der Zeit kann deshalb nicht die Grundlage sein, jegliche negative Berichterstattung aus den Archiven zu tilgen. Erforderlich ist eine dem Betroffenen im Einzelfall unzumutbare Belastung. Als RaVw ist der Anspruch aus §§ 823 I, 1004 I BGB analog i.V.m. dem allgemeinen Persönlich-keitsrecht (aPR) aus Art. 2 I, 1 I GG daher nicht geeignet.

2. Nichtauffindbarkeit über Suchmaschinen

In einem Kodex, dem sich verschiedene, kleinere, soziale Netzwerke auf privatrechtlicher Basis verpflichtet haben, fin-det sich der Grundsatz, Nutzerprofile von Jugendlichen nicht von externen Suchmaschinen auslesen zu lassen96. Die Pflicht, eine solche Voreinstellung bzgl. aller Nutzerkonten vorzuneh-men, findet sich in Umsetzung des Prinzips "Privacy by default" auch in § 13a I S. 3 TMG-ÄE. Das wirft die Frage auf, ob das Nichtauffinden personenbezogener Daten mittels Suchmaschinen als Vergessenwerden qualifiziert und dem Betroffenen ein dahingehendes Recht gesetzlich zugebilligt werden kann.

a) Werden personenbezogene Daten rechtswidrig veröffent-licht und lassen sich über Suchmaschinen auslesen, so kommt eine Haftung des Suchmaschinenbetreibers als Störer nach §1004 I BGB analog i.V.m. RiSB des Betroffenen in Betracht.

88 Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165; Lebach I, II: BVerfGE 34, 341; 104, 41. 89 BGHZ 183, 353 (357). 90 BGHZ 183, 353 (356 f.). 91 BGHZ 183, 353 (361). 92 Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313; BGHZ 183, 353 (359). 93 Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165. 94 BGHZ 183, 353 (362). 95 Koreng/Feldmann, ZD 2012, 313. 96 BT-Drs. 17/6765, S. 15.

So ist mittelbarer Störer, wer einem Dritten eine Beeinträch-tigung ermöglicht und diese im Anschluss nicht verhindert97. Das RiSB schützt den Betroffenen vor einem unkontrollierten Umgang mit seinen Personenbezogenen Daten. Er erfährt da-her bereits mit der ersten Veröffentlichung seiner Daten eine Beeinträchtigung. Weitaus einschneidender wird die Beein-trächtigung jedoch durch die Tätigkeit von Suchmaschinen: Sie machen die Daten einem breiten Publikum zugänglich. Der Suchmaschinenbetreiber verursacht also mittelbar adäquat eine Beeinträchtigung des RiSB und ist damit Störer98. Weil die Inhalte jedoch von Dritten zur Verfügung gestellt werden und eine Überprüfung aller Inhalte auf ihre Rechtmäßigkeit mit dem Geschäftsmodell einer Suchmaschine nicht vereinbar ist, können die Betreiber nur bei offensichtlich rechtswidrigen Inhalten (nach Benachrichtigung durch den Betroffenen) zu einer Löschung aus den eigenen Zwischenspeichern bzw. dem Entfernen entsprechender Links aus den Suchergebnissen ver-pflichtet sein99. Dies beeinträchtigt zwar das Interesse der Suchmaschinenbetreiber, möglichst umfangreiche Suchergeb-nisse aufzuweisen, ist aber nur der mangelhaften Durchsetzung etwaiger Löschungsansprüche geschuldet. Könnte der Be-troffene seine legitimen Ansprüche durchsetzen, so wäre es der Suchmaschine schließlich auch nicht mehr möglich die ge-löschten Inhalte anzuzeigen

b) Werden personenbezogene Daten rechtmäßig online ver-öffentlicht, muss unterschieden werden: Das Auffinden selbst online gestellter Inhalte kann mittels einer robot.txt-Anweisung in den Metadaten einer Internetseite verhindert werden100. Eine andere Konstellation ergibt sich, sofern die Daten rechtmäßig von Dritten im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit ver-öffentlicht werden.

Diese Rechte können ihre Wirkung lediglich dann entfalten, wenn die Daten - etwa journalistische Beiträge - auch der brei-ten Masse zugänglich gemacht werden. Dafür ist die Nutzung von Suchmaschinen unerlässlich: Werden Inhalte aus dem Suchergebnis entfernt, so gehen sie in der Informations- und Adressflut des Internets unter. Die Auffindbarkeit entspre-chender Meldungen ist also vom grundrechtlichen Schutz ge-deckt. Somit stellt das Entfernen rechtmäßig veröffentlichter personenbezogener Daten aus Suchergebnissen eine unzulässi-ge Zensur dar.

c) In ihrer Eigenschaft als Knotenpunkt, sind Suchmaschi-nen ein nützlicher Angriffspunkt, um die rechtswidrige Ver-breitung personenbezogener Daten zu unterbinden. Können diese nicht gelöscht werden, so ist es möglich den Zugriff auf die Wenigen einzuschränken, die über die genaue Internet-adresse verfügen.

Es wäre deshalb sinnvoll die Informationspflicht in Art. 17 II DS-GVO-E um eine entsprechende Verpflichtung von Suchmaschinenbetreibern zu erweitern. Sie wären demnach nicht nur dazu verpflichtet Kopien von nach Art. 17 I DS-

97 Bassenge, Palandt BGB §1004 Rn. 18. 98 Vgl.: Arenas/Yankova, ZD-Aktuell 2012, 02845. 99 Hornung/Hofmann, JZ 2013, 165; OLG Hamburg MMR 2012, 62; Dix, Simits BDSG, §35 Rn. 8. 100 Arenas/Yankova, aaO; EuGH ZD-Aktuell 2013, 03639.

Probst, Das Recht auf Vergessen(werden) Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

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GVO-E gelöschte Daten aus ihren eigenen Speichern zu lö-schen, sondern auch Seiten, die die Daten rechtswidrig vorhal-ten nicht mehr in ihren Suchergebnissen aufzuführen101.

Die Nichtauffindbarkeit könnte somit als Zwischenstufe zwischen Sperrung und Löschung102 Probleme lindern, die sich bei der Durchsetzung von Betroffenenrechten etwa aufgrund der multinationalen Gestalt des Internets ergeben103. Damit würde eine große Nähe zum menschlichen Vergessen eingehal-ten: Die personenbezogenen Daten sind zwar noch vorhanden, sie können aber nur sehr schwer gefunden werden. Das "Erin-nern" ist also nicht bzw. nur noch unter sehr großem Aufwand möglich.

VII. Fazit

1. Es zeigt sich, dass der Grundsatz der Datensparsamkeit bereits eine Vielzahl unterschiedlicher Regelungen hervorge-bracht hat, die Ansätze eines RaVw erkennen lassen. Sie rei-chen vom einfachen Löschungsanspruch, über Informations-pflichten bis hin zur Nichtauffindbarkeit durch Suchmaschi-nen. Obwohl Regelungen wie die umfangreiche Informations-pflicht aus Art. 17 II DS-GVO-E wohl nicht umgesetzt wer-den104, zeigt sich, dass bereits zahlreiche Ansätze bestehen, etwa im BDSG in Umsetzung der DSRL, die aber aufgrund der besonderen, dezentralen und multinationalen Struktur des In-ternets nicht zufriedenstellend durchgesetzt werden können105.

2. Schlussendlich wird sich eine Patentlösung in Form eines einzigen RaVw nicht realisieren lassen. Vielmehr ist eine Kombination aufgezeigter Ansätze nötig, will man die Position der Bürger nicht nur in rechts-theoretischer, sondern auch tatsächlicher Hinsicht stärken.

Wichtiger als die Schaffung eines neuen RaVw um des Na-mens willens, ist die Überwindung der Probleme, die sich bereits bei der Durchsetzung existierender Löschungsansprü-che ergeben. Hier bieten die Suchmaschinen als zentrale Stelle den entscheidenden Ansatzpunkt. Sie bieten eine praktikable Stellschraube, um die Auffindbarkeit widerrechtlich gespei-cherter Daten und damit auch deren rechtsverletzende Wirkung abzuschwächen.

101 Jandt/Kieselmann/Wacker, DuD 2013, 239. 102 ebd., 241. 103 OLG Hamburg MMR 2012, 62; Dix, Simits BDSG, §35 Rn. 8. 104 Entwurf für einen Änderungsantrag (LIBE) der DS-GVO-E vom 21.10.2013 enthält nur noch beschränkte Informationspflicht, siehe: http://tinyurl.com/nhu7zja, abgerufen am 20.03.2014. 105 Prummer, Der Mann, der Facebook nervt, Süddeutsche.de.

Darüber hinaus sollte einem jeden Bürger die Möglichkeit obliegen, zur Persönlichkeitsentwicklung die eigene Vergan-genheit hinter sich zu lassen und sich unbeeinträchtigt neuen Lebensabschnitten zuzuwenden. Solange diesem Recht noch technische Mängel entgegenstehen, sollte eine Übergangslö-sung gefunden werden, um speziell den Schutz der Jugend zu forcieren. In Frage kämen bereichsspezifische Verwertungs-verbote, etwa im Rahmen arbeitsrechtlich relevanter Vorgänge, um den Rückgriff auf private Nutzerprofile o.ä. zu unterbin-den106. Auf diese Weise würde jedem Bürger ein unbelasteter Übergang von einem in den nächsten Lebensabschnitt ermög-licht.

3. Auch wenn das Zusammenspiel von Gesetzgebung und technologischer Entwicklung dem Rennen des Hasen und des Igels gleicht, ist eine vollständige Privatisierung des Daten-schutzes nicht mit der staatlichen Pflicht zum Schutz der in-formationellen Selbstbestimmung vereinbar. Es muss daran gelegen sein die aufgezeigte Lücke zwischen fortschreitender Technologie und Gesetzgebung möglichst gering zu halten.

Mit Blick in die Zukunft und die in der Einleitung aufge-worfene Problematik der zunehmenden Verknüpfung von personenbezogenen Daten muss in jedem Fall eine klare Gren-ze gezogen werden: die Erstellung umfassender Persönlich-keitsprofile, die lückenlose Aussagen über das vergangene und vermeintlich auch über das zukünftige Verhalten eines Bürgers zulässt, ist mit der demokratischen Verfassung der Bundesre-publik Deutschland nicht vereinbar und ist mit allen techni-schen und rechtlichen Mitteln in Form des Rechts auf Verges-senwerden zu verhindern.

Der Autor studiert im achten Semester Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er absolvierte den Schwerpunktbereich „Geistiges Eigentum“ (SPB 8b). Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte und überarbeitete Version einer Seminararbeit im Rahmen eines Seminars zum Datenschutzrecht bei Prof. Dr. Jens-Peter Schneider.

106 Koreng/Feldmann, ZD 2012, 315.

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Cross Border Merger Control

by the Competition Commission of India: Law and Practice

Ajay Kr. Sharma

This article extensively analyses pertinent statutory pro-visions and critiques certain important recent decisions including, in the highly contentious Jet-Etihad and Mylan-Agila combinations rendered by the Competition Com-mission of India (CCI) relating to cross-border mergers under its merger control jurisdiction. At the onset the article explores the competition policy dimension of mer-ger control. The improper manner in which the power to impose penalty for non-furnishing of information on com-binations is exercised by the CCI under Section 43A of the Competition Act is also elaborately discussed and criticized with the help of decided cases. Thus, this article offers significant insights into the salient aspects pertain-ing to the Indian competition authority’s law and practice in this key area.

I. Introduction

The Indian competition authority, Competition Commission of India (CCI), is relatively in the stage of infancy with only five years of experience,1 when compared to its counterparts in certain other jurisdictions like, almost a century old US Federal Trade Commission (FTC)2. The practice of CCI has become tremendously exciting, and yet it is somewhat intriguing. This article explores pertinent contemporary aspects pertaining to the CCI's powers, conferred under the Indian Competition Law, the Competition Act, 2002, appertaining to the merger

1 Notification S.O. 1198(E), Ministry of Finance (Department of Company Affairs) (Government of India), (14 Oct. 2003), http://www.mca.gov.in/Ministry/notification/Notifications_2003/noti_14102003_1198(E).html (last visited August 29, 2014) Though CCI was established with effect from Oct. 14, 2003 but it could not be made functional till May, 2009Competition Act, 2002 replaced the Monopolies and Restrictive Trade Practices (MRTP) Act, 1969, and was based on the recommendations given in the Report of the High Level Committee on Competition Policy and Law, https://theindiancompetitionlaw.files.wordpress.com/2013/02/report_of_high_level_committee_on_competition_policy_law_svs_raghavan_committee.pdf (last visited August 29, 2014) (SVS Raghavan Committee Report). 2 FTC was set up after enactment of the Federal Trade Commission Act of 1914 by the US Congress. Another major legislation passed in the same year was the Clayton Act. See Debra A. Valentine, US Competition Policy and Law: Learning from a Century of Antitrust Enforcement, in INTERNATIONAL AND COMPARATIVE COMPETITION LAWS AND POLICIES , 71–79 (YC Chao et al. eds., 2001). Of course, the good old pioneering legislation, Sherman Act of 1890 cannot be forgotten, as the genesis of the anticompetitive law regime in the United States. The most relevant statutory provisions are Sections 1 and 2 of the Sherman Act, Section 5 of the Federal Trade Commission (FTC) Act, 1914 (15 U.S.C §§ 41-58) and Section 7 of the Clayton Act which prohibits mergers if “in any line of commerce or in any activity affecting commerce in any section of the country, the effect of such acquisition may be substantially to lessen competition, or to tend to create a monopoly.” Both FTC and De-partment of Justice are the agencies involved under these Federal Antitrust Laws.

control (or combinations)3. After discussing ‘merger control’ from competition policy perspective, this article explores some pertinent provisions of the Indian Competition Act of 2002 and Combination Regulations of 2011, and critiques certain deci-sions of the Commission in cases concerning cross-border combinations4. One of them concerns the aviation sector, the Jet-Etihad combination5, whereas the other relates to the pharmaceuticals sector, the Mylan inc. case6 based on the Mylan-Agila deal which, until recently, was the largest phar-maceutical merger in India. The bone of contention in the Mylan-Agila deal, so far as CCI is concerned, was the presence of a “non-compete clause” in the relevant transaction docu-ment. An element of uncertainty which exists in the current Indian competition law and policy regime pertaining to merger control increases the transaction costs for businesses. This uncertainty may be attributed largely to one reason, the 'inex-perience' of the regulator. The interpretation of legal provisions will also become clearer once more decisions have been ren-dered.

Cross-border mergers may invoke the extra-territorial juris-diction of the CCI; and so the relevant provision is discussed7. Another aspect pertains to the critiquing the manner in which CCI exercises powers under Section 43-A of the said 2002 Act to impose penalty for non-furnishing of information on rele-vant combinations to the CCI. Some cases discussed herein will highlight the improper and arbitrary exercise of this statu-tory power by the CCI.

II. Merger Control, the Competition Policy

The ideal merger control review policy is debatable. Two gen-eral caveats given by a well-known author must be kept in mind by Competition Authorities:8

3 In this area the experience of CCI is even lesser as the pertinent provisions of the Competition Act, 2002 were only notified with effect from June 1, 2011, see Notification S.O. 479(E), Ministry of Corporate Affairs (Government of India), dated March 4, 2011). 4 CCI (PROCEDURE IN REGARD TO TRANSACTION OF BUSINESS RELATING TO COMBINATIONS) REGULATIONS, 2011 (INDIA). 5 See CCI Order under Section 31(1) of the Competition Act, 2002 in the matter of Etihad Airways PJSC and Jet Airways (India) Limited (Combination Registration No. C-2013/05/122, dated Nov. 12, 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C-2013-05-122%20Order%20121113.pdf (last visited August 29, 2014). 6 See CCI Order under Section 31(1) of the Competition Act, 2002 in the matter of Mylan Inc. (Combination Registration No. C-2013/04/116, dated June 20, 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C-2013-04-116.pdf (last visited August 29, 2014). 7See Section 32 of the Competition Act, 2002, supra n. 1. 8 See MASSIMO MOTTA, COMPETITION POLICY: THEORY AND PRACTICE 39 (2004).

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Competition policy is not concerned with maximizing the number of firms, and

Competition policy is concerned with defending market competition in order to increase welfare, not defending competitors.

He defines “Competition Policy” as “the set of policies and laws which ensure that competition in the marketplace is not restricted in such way as to reduce economic welfare9.” This should be read in conjunction with the objective set up for competition authorities and courts to pursue viz., economic welfare10, which also becomes the yardstick to determine the competitive effects of a merger.11Economic welfare in an in-dustry is an aggregate of the consumer surplus (or consumer welfare) and producer surplus12.

It is generally agreed that two aspects relating to a merger need to be scrutinized by the Competition/Anti-trust Authori-ties13:

1. whether the merger leads the merged firm to unilaterally exercise market power and raise prices (i.e., leading to single firm dominance) (i.e., the unilateral effects), and

2. where though the merged firm may not unilaterally in-crease prices, whether the merger leads to such industry condi-tions where the scope of collusion (called coordinated effects in the US merger policy) between the remaining firms in the market increases (i.e., leading to joint/collective dominance) (the pro-collusive effects).

However, even in mergers the gains in efficiency may be such that they outweigh the enhanced market power and bene-fit consumers by leading to lowered prices resulting in higher welfare.14 Though the mergers are generally classified as either Horizontal Mergers or Vertical Mergers15 this article focuses on Horizontal Mergers, as they primarily cause anti-competitive concerns. The concept of dominance plays a cen-tral role in merger review16. For the assessment of market power, and its potential increase, the definition and determina-tion of the ‘relevant market’ is indispensable.

The traditional approach to analyze the unilateral effects has been to define the ‘relevant market’ and then, to assess the market power enjoyed by the merging entities17. To determine

9 Id. at 30 10 Id. 11 Id. at 231 et. seq. 12 Id. at 18. Consumer surplus is defined by the author as ‘the aggregate measure of surplus of all consumers’. Whereas, producer surplus is simply defined as ‘the sum of all profits made by producers in the industry’. The consumer welfare appears to have much more importance that the producer surplus in an efficiency defence raised in merger review, see Article 2.1 of EC Merger Regulation. 13 See MOTTA, supra note 8 at 231, and SIMON BISHOP & MIKE WALKER, THE ECONOMICS OF EC COMPETITION LAW 259 (2 ed. 2002). 14 MOTTA, id. at 233, 238. 15 The basic distinction between the two is, that a horizontal merger is between two competitors, and a vertical merger is ‘between firms operating at succes-sive stages of production process’, see id. 231. A third category of merger is known as conglomerate merger which doesn’t fit in the either description of relationship, see BISHOP AND WALKER, supra note 13 at 259. 16 See id. at 260. 17 Id.

the scope of the ‘relevant market’ the SSNIP (i.e., Small but significant non-transitory increase in prices) test a.k.a. the Hypothetical Monopolist Test furnishes a guide to analyze the appropriateness of the relevant market definition chosen in a given case18.

The next important stage after determining the relevant market is to assess the unilateral market power. Though, a theoretical measure of market power is the Lerner index19 its direct application in practical cases may cause problems; and the competition authorities traditionally have given primary importance to the market shares, whose crossing the prescribed thresholds leads to an inference regarding dominance of the firm20. Despite the central importance of market shares a few other factors like, ease and likelihood of entry and buyers’ power are also important in this regard.

The ability of the merging firms to exercise enhanced mar-ket power post-merger in respect of their pricing decisions largely depends on the number of rival competitors in the rele-vant market; and thus concentration of the market becomes important. A merger in a highly concentrated sector will thus, ceteris paribus, cause more concern than in a fragmented sec-tor. The most popularly used concentration index used as a screening device to measure unilateral effects of a merger is the Herfindahl-Hirschman Index (HHI)21.

The aspect pertaining to the determination of pro-collusive (or coordinated) effects of a merger may exist even in the ab-sence of any clear finding regarding inimical unilateral effects, requiring stalling the merger on the basis of the unilateral ef-fects review22. The concept of joint dominance applies in this scenario as the merger is likely to create the structural condi-tions for the firms which may not be able to collude pre-merger, to attain collusive outcome, either explicitly or tacit-ly23.

In view of the importance given to the efficiency gains ob-jective in mergers, pleading an efficiency defence may be allowed even if a single firm dominance is imminent, as it may lead to price decreases24.

The final aspect in merger review policy concerns “merger remedies”. It is arguable, that despite some apprehensions about the effects of a merger on competition, the competition authorities may approve certain mergers, if the remedies of-fered by the parties are found acceptable by the concerned anti-trust authority25. The US and European Competition Authori-

18See id. at 102. 19 See MOTTA, supra note 8 at 116. 20 See id. at 117-18. 21 See id. at 124, 235. 22 See Gisela Aigner, Oliver Budzinski & Arndt Christiansen, The Analysis of Coordinated Effects in EU Merger Control: Where do We Stand After SONY/BMG and IMPALA?, 2 Eur. Competition J. 311 (2006). 23 See MOTTA, supra note 8 at 251. 24Id. at 252. 25 Id. at 265.

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ties explicitly incorporate many of these aspects in their Mer-ger Review Guidelines26.

Competition Law and Policy go hand in hand complement-ing each other27.

In a very generic sense however, competition law effectu-ates the competition policy, and so the latter subsumes the competition law. After understanding the nuances of ‘merger control’ competition policy, this article now proceeds to exam-ine the Indian Competition Law and Practice dealing with the regulation of ‘combinations’.

III. Appreciating the CCI’s review of ‘Combinations’: The Law

The S.V.S. Raghavan Committee in its report, pursuant to which the Competition Act, 2002 was enacted, duly empha-sized in its recommendations on the competition policy on merger review in India28. Though, the Indian Competition law applies to all types of mergers, as discussed previously, the Raghavan committee rightly opined on the competition policy focusing on horizontal mergers as they usually provide a cause of concern29. This article now examines salient statutory provi-sions in the Competition Act, 2002 and the CCI (Procedure in regard to transaction of business relating to combinations) Regulations, 2011, to understand the scheme and procedure of merger review in India in nutshell30.

Section 6(1) of Act imposes a prohibition on a ‘combina-tion’31 ‘which causes or is likely to cause an appreciable ad-

26 See ‘Guidelines on the assessment of horizontal mergers under the Council Regulation on the control of concentrations between undertakings’ (2004/C 31/03), supra note 29; and US ‘Horizontal Merger Guidelines’, (DoJ and FTC, August 19, 2010), supra note 20. See Alan Goldberg, Merger Control, in COMPETITION LAW TODAY, 93 (Vinod Dhall ed., 2007). 27 See REPORT OF THE WORKING GROUP ON COMPETITION POLICY (PLANNING COMMISSION, GOVERNMENT OF INDIA), (2007), http://theindiancompetitionlaw.files.wordpress.com/2013/02/report-of-the-working-group-on-competition-policy.pdf (last visited August 29, 2014). 28 See SVS Raghavan Committee Report, supra note 1, ¶ 4.6.1. See also Dr. S. Chakravarthy, Indian Competition Law on the Anvil, World Competition 24(4): 571 (2001) (offering useful historical insights and perspectives on the then draft Indian Competition Act, and comparisons with the then extant Monopo-lies and Restrictive Trade Practices (MRTP) Act, 1969, the (in)famous prede-cessor of the Competition Act, 2002); and Avinash Sharma, Revisiting Compe-tition Law in India: Challenging Dimensions in the Era of Globalized Econo-my, World Competition 31, no. 4 (2008) 607 (extensively analyzing both the MRTP Act and the Competition Act regimes). 29 Id. See also, S.M. DUGAR, 1 COMMENTARY ON MRTP LAW, COMPETITION LAW & CONSUMER PROTECTION LAW 844–46 (4 ed. 2006)., and T. RAMAPPA, COMPETITION LAW IN INDIA 190 (2 ed. 2009). 30 See also Tony Reeves & Dan Harrison, India’s New Merger Control Re-gime: When Do You Need to File?, 26 ANTITRUST 94 (2011). 31 Regulation 2(1)(b) of the 2011 Regulations reads: ‘”Combination” means and includes combination as described in section 5 of the Act and any refer-ence to combination in these regulations shall mean a proposed combination or the combined entity, if the combination has come into effect, as the case may be.” Though there was some skepticism regarding review of Joint Ventures under CCI combinations review, the position seems to have been settled by Section 31(1) Order in Combination Registration No. C-2011/07/01, dated July 26, 2011 approving acquisition by RIL and RIIL (which was held by CCI to fall under Section 5(a) of the Act), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/RILOrder270711.pdf (last visited August 29, 2014). See also, RAMAPPA, supra note 45 at 224.

verse effect on competition within the relevant market in In-dia,32 and further annuls such a combination by declaring it as ‘void’. Subject to this sub-section, Section 6(2) makes it man-datory (by using the word ‘shall’) for any person33 or enter-prise34, who or which proposes to enter into a ‘combination’ which corresponds to one of the three types of combinations specified in clauses (a), (b) or (c) of Section 5 of the Act viz., acquisition of control, shares, voting rights or assets of an enterprise; or acquisition of ‘control’ of an enterprise when the acquirer ‘has already direct or indirect control over another enterprise engaged in production, distribution or trading of a similar or identical or substitutable goods or provision of a similar or identical or substitutable service’; or, a merger or amalgamation respectively, and which crosses the monetary asset or turnover thresholds specified therein, to give notice to the CCI disclosing details of the proposed combination, within thirty days of specified events appertaining to these combina-tions35.

The provisions pertaining to ‘acquisition’36 viz., clauses (a) and (b) of Section 5 of the Act contextually show that the ac-quirer is a standalone acquirer. The said assets and turnover thresholds for a ‘combination’ under different clauses of Sec-tion 5, as modified by the Section 20(3) notification37, are as follows:

For both Parties to the acquisition [for clause (a)]/ For enterprise whose control is acquired and the enterprise over which acquirer al-

32 ‘Relevant Market’ is defined in Section 2(r) of the Competition Act, 2002, supra note 1, as: ‘”relevant market” means the market which may be deter-mined by the Commission with reference to the relevant product market or the relevant geographic market or with reference to both the markets.’ Section 2(s) defines “relevant geographic market”; and Section 2(t) defines “relevant product market”. (emphasis supplied) 33 ‘Person’ is defined in Section 2(l) of the Competition Act and provides for a very wide inclusive definition including, an individual, a firm, a Company and any body corporate by or under the laws of a country outside India. 34 ‘Enterprise’, defined in Section 2(h) of the Competition Act, includes both a ‘person’ and a ‘government department’ under its ambit, which is or has been engaged in an (economic) activity of the description and in the manner pre-scribed therein. 35 These events are: in case of a proposal for a merger or amalgamation, approval of the proposal by the board of directors of the enterprises concerned with such merger or amalgamation; and in case of acquisitions covered by Sections 5(a) or 5(b) execution of any agreement or other document for acqui-sition. Furthermore, Section 6(2-A) of the Competition Act states: “No combination shall come into effect until two hundred and ten days have passed from the day on which the notice has been given to the Commission under sub-section (2) or the Commission has passed orders under Section 31, whichever is earlier.” 36 The statutory definition of ‘acquisition’ as given in Section 2(a) of the Competition Act reads: “’acquisition’ means, directly or indirectly, acquiring or agreeing to acquire— shares, voting rights or assets of any enterprise; or control over management or control over assets of any enterprise.” 37 The last Section 20(3) notification was S.O. 480(E), dated Mar. 4, 2011 (Ministry of Corporate Affairs, Government of India), http://www.mca.gov.in/Ministry/notification/pdf/Notifications_4mar2011.pdf (last visited August 29, 2014), whereby the Central Government in consulta-tion with the CCI enhanced, on the basis of wholesale price index, the value of assets and turnover, by fifty percent for the purposes of Section 5 of the Act. Though, Section 20(3) prescribes for a fresh notification after every two years no fresh notification has been issued subsequent to the said Mar. 4, 2011 notification till date.

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ready has control jointly [for clause (b)]/Enterprise remaining after Merger or Created after amalgamation [for clause (c)]

Criteria Location Monetary Value of Thresh-old

Assets OR

In India OR In or Outside India

More than (Indian Rupees) INR. 1500 Crore38 (Aggregate)USD 750 Mil-lion including, INR 750 Crore is in India

Turnover In India OR In or Outside India

More than INR4500 Cr. USD 2250 Million includ-ing, INR 2250 Crore is in India

OR,

For Groups to which the above parties/enterprises belong post acquisition/merger or amalgamation:

Criteria Location Monetary Value of Threshold

Assets OR

In India OR In or Outside India

More than INR6000 Crore (Aggregate) USD 3 Bil-lion including, INR750 Crore is in India

Turnover In India OR In or Outside India

More than INR18000 Crore USD 9 Billion including, INR 2250 Crore is in India

Schedule I to the 2011 Regulations (read with its Regula-tion 4) currently lists ten categories of combinations which are ‘ordinarily not likely to cause an appreciable effect on compe-tition in India’ and thus in such cases notice under Section 6(2) ‘need not normally be filed.’39

The inquiry into whether a ‘combination’, referred to in Section 5, has caused or is likely to cause an appreciable ad-verse effect on competition in India may be done by the CCI, as per Section 20 of the Act, on its own initiative; but the ini-tiation of this inquiry can only be done within one year from the date on which the combination has taken effect40. Further, sub-section (2) of Section 20 prescribes for the usual mode of said inquiry by the CCI upon receipt of notice under Section 6(2).Sub-section (4) of Section 20 lists various factors which the CCI will have ‘due regard’ to in its above determination in the said inquiry.

The notice is to be filed in Form I or Form II, appropriately drafted, by the acquirer or jointly by the parties along with the requisite fee, as prescribed41. Within 30 days of receipt of the

38 1 Crore = 10 Million; and 1 Crore= 100 Lakhs. 39 See Regulation 4 of the 2011 Regulations, supra note 4. 40 See supra note 1, proviso to Section 20(1) of the Competition Act. 41 See Regulations 9 to 13 of the 2011 Regulations, supra note 4.

notice the CCI forms a prima facie opinion under Section 29(1) of the Act, ‘as to whether the combination is likely to cause or has caused an appreciable adverse effect on competition within the relevant market in India.’42 Before forming this prima facie opinion the CCI may call for additional information from the parties concerned or examine and accept any modification offered by the parties43. If the prima facie opinion is against the combination, show cause notice is issued to the parties for them to respond within 30 days of its receipt, ‘as to why an investigation in respect of such combination should not be conducted’44. After receiving response from the parties con-cerned, the CCI may call for a report from the Director Gen-eral, within the directed time45. Where the prima facie opinion is against the combination, parties are directed to publish the details of the combination, as directed, so that the affected stakeholders including, members of the public have the knowledge of the combination and can be permitted to file written objections before the CCI46. The culmination of com-bination review results in a Section 31 order under its relevant sub-section. Three courses are provided for by that provision. If the CCI opines against the combination on the basis that it is likely to cause or has caused an appreciable adverse effect on competition (AAEC) it results in a Section 31(2) order, order-ing that the combination shall not have effect, resulting it to be void47. However, if in addition to this finding the CCI is also of the opinion that ‘such adverse effect can be eliminated by suitable modification to such combination’, under Section 31(3), the CCI may propose appropriate modification to the parties, to be carried out within the time specified by the CCI. The third course of action open is to render a Section 31(1) order approving the combination. Subject to statutorily pre-scribed relaxations, a period of two hundred and ten days from the date of Section 6(2) notice is prescribed under Section 31(11) for the CCI to pass an appropriate order under sub-sections (1), (2) or (7) of Section 31.

IV. Analyzing Jet-Etihad Combination Review

Let us now proceed to the discussion of the Jet-Etihad ‘combi-nation’ review by the CCI. In this ‘combination’ Jet Airways (India) Ltd. proposed a sale of 24% of its equity to Abu-Dhabi based Eithad Airways PJSC for US Dollars (USD) 379 million [price per share of Indian Rupees (INR) 754.74] along with some other rights. Pursuant to entering the three transaction documents viz., Investment Agreement (‘IA’), a Shareholder’s Agreement (‘SHA’) and a Commercial Cooperation Agree-ment (‘CCA’), all executed on April 24, 2013 the notice under Section 6(2) was given by the parties to the CCI on 1 May, 2013. The review of this combination resulted in two orders.

42 See id. Regulation 19(1) of the 2011 Regulations, and Section 29 of the Competition Act, supra note 1. 43 See id. Regulation 19(2) of the 2011 Regulations. 44 See Section 29(1) of the Competition Act, supra note 1. The section bears the heading “Procedure for investigation of combinations”. 45 See Section 29(1-A) of the Act, id., and Regulations 20 and 21 of the 2011 Regulations, supra note 4. 46 See id., sub-sections (2) and (3) of Section 29 of the Act. 47 See id. Section 31(13) of the Act.

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The majority order granted approval under Section 31(1), and the minority order under Section 29(1) by the sole member, Mr Anurag Goel, found prima facie that the proposed combination is likely to cause appreciable adverse effect on competition (AAEC), and thus suggested further investigation48.

Etihad, the national airline of UAE is a wholly owned com-pany of the Government of Abu Dhabi, and its hub airport is Abu Dhabi, the capital of UAE. Whereas, Jet, a listed Indian company incorporated in 1992 primarily engages in the busi-ness of ‘low cost and full service scheduled air passenger transport services to/from India.’49 The CCI order began by emphasizing the sovereignty of nations over their airspace and then went on to discuss the significance of bilateral air service agreements (BASAs) between two countries in this regard50.

The importance of the definition of the relevant market in an industry like the ‘airline industry’ in a given fact situation is well highlighted by this case. The majority on basis of the demand based approach to the market definition used the popu-lar Origin & Destination (O&D) pair approach in airline indus-try for defining the relevant market. The relevant market for international passengers in this way, as per the majority com-prised of: (a) on the O&D pairs originating from or ending in nine specified pertinent cities in India, and (b) on the O&D pairs originating from or ending in India to/from international destinations on the overlapping routes of the parties to the combination51. It however went further than the O&D approach and covered the potential ‘network effects’ in its analysis52. Through both the aforementioned approaches the CCI (i.e., the majority) was of view that this combination did not cause AAEC in the relevant market in India. The minority order defines the relevant market to be the international air passenger transportation from and to India53, and assessed the impact on macro and micro levels as follows54:

a) Macro level impact on the different sectors of interna-tional air passenger traffic from and to India; and

b) Analysis of the extent of overlaps of flights of the two airlines between specific points of origin and destination (O&D pairs or routes).

48 Majority order under Section 31(1) of the Act, dated Nov. 12, 2013, supra note 5; and the Minority Order was passed on Oct. 14, 2013 under Section 29(1) of the Act, http://cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/FINAL%20Order%20M(AG)%20-%20141013.pdf (last visited August 29, 2014); a kind of supplemental order to this Oct. 14, 2013 order was again passed by the same CCI member on 5 Feb., 2014, taking note of the majority Section 31(1) order of Nov. 12, 2013, but still reiterating succinctly its said earlier minority order, http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C-2013-12-144%20M(AG)%20Minority.pdf. It is submitted that this later Feb. 2014 minority order was unnecessary in view of the prior majority order, and subsequent references to the minority order in this case refers only to the Oct. 14, 2013 order of dissent. 49 See Jet-Etihad CCI Order, supra note 5, ¶ 12. 50 See id., ¶ 21. 51 See id., ¶ 32. 52 See id., ¶ 39 and note 9 therein. 53 See Jet-Etihad Minority Order, supra note 48, ¶ 11. 54 Id.

One important study in this sector commissioned by the CCI and FIAS of the World Bank Group was conducted in the year 2008 by the Administrative Staff College of India (ASCI) entitled “Competition Issues in the Domestic Segment of the Air Transport Sector in India”55. This study observed on the basis of the 1997 OECD Report on “Competition Policy and International Airport Services” that: “the provision of air ser-vices between any two given cities requires two complemen-tary inputs: aircrafts services and airports services. Therefore there must be effective competition in both these markets if we want effective competition in the air transport sector.”56 The relevant market was defined in this study as “the route between city pairs at a particular time on a particular date”.

The crux of CCI’s approach has been to proceed to its anal-ysis for each O&D pair on two presumptions: incorporating indirect flights in its analysis on the presumption of price sensi-tive Indian customers, and airport substitutability in the same catchment area particularly, considering Abu Dhabi, Sharjah and Dubai to be substitutable mainly due to free shuttle service by Emirates and Etihad between Abu Dhabi (AUH) and Dubai and public transport between them (each being within two hours distance of each other). Wherever, existing competitor had credible market share this fact, without much analysis, was simply taken in favor of the proposed combination.

The above ASCI study indulged in an analysis incorporating therein inter alia the discussion on slot allotment policy in airports and slot dominance and barriers to new entrants into the already oligopolistic market; HHI analysis on various O&D pairs to calculate market concentrations, as explained above; scope of demand substitution; price data analysis and analyzing price parallelism between dominant market players; fleet size and average fleet age of players and other factors affecting their competitiveness. Going by these parameters discussed extensively in the ASCI study it may appear, that particularly in view of an adverse order under Section 29(1), the remaining members of the CCI could have done a more elaborate investi-gation before forming its prima facie opinion resulting in pas-sage of Section 31(1) order.

To the credit of the minority it showed more pragmatically, skepticism about Air India’s (AI) capacity to pose significant competitive restraints post combination.57It examined at least one transaction between the parties concerning slots at one of the busiest airports, London Heathrow Airport (‘LHR Air-port’)58. But, detailed slot and time analysis of each relevant airport in O&D analysis was not done by the minority also, though it did point out to the relevance of availability of slots in its analysis59. The minority did not appear to be convinced with the independence of the data provided by the parties to the 55 ADMINISTRATIVE STAFF COLLEGE OF INDIA (ASCI) RESEARCH & CONSUL-TANCY, COMPETITION ISSUES IN THE DOMESTIC SEGMENT OF THE AIR TRANSPORT SECTOR IN INDIA (2008), http://www.cci.gov.in/images/media/completed/transport_20090421133744.pdf (last visited August 29, 2014). 56 See id. at 99. 57 See Jet-Etihad Minority Order, supra note 48, ¶ 17. 58 See id., ¶ 47. 59 See id., ¶ 13.

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CCI60, and seemed to underestimate other competitors and somewhat overestimated the parties’ market power post-merger, particularly on the basis of seat allocation enhance-ment under the then recent MoU between India and UAE (Abu Dhabi) to 50,000 from 13,33061. A few other salient aspects from the minority order which reveals some chinks in the CCI Order are as follows:

1. It rubbished the parties claim regarding substitutability of Abu Dhabi with Dubai on the basis of the analysis of data of the overlap-ping routes provided by the parties, which showed that “passengers travelling to Dubai are not using Abu Dhabi as a substitutable op-tion62. Furthermore, it was also pointed out that website of none of the Indian carriers including, Jet showed Dubai as substitutable to Abu Dhabi or vice versa.

2. Furthermore, the inclusion of indirect flights in its analysis by the majority on the basis of price sensitivity of the Indian consumer was effectively challenged in the minority order which said that63

[A] premium customer who travels business/executive class is time-sensitive and will therefore prefer a direct point-to-point connection over a connecting one-stop or two-stop flight. For the remaining pas-sengers who are not time-sensitive but may be fare-sensitive, again the direct point-to-point flight may be the preferred option over connecting flights for the routes Mumbai-Abu Dhabi and Delhi-Abu Dhabi, as the direct flights are found to be cheaper on average as compared to con-necting flights. (emphasis supplied)

Another important aspect in this matter concerns one of the CCA clauses which restricts Jet not to code share64 with other airlines in certain O&D pairs. Though the majority anticipated the anti-competitive effects that such cancellations of code sharing agreements may have, it was of the view that the com-petition which the parties will face from the ‘credible’ airlines named therein would constrain their combined power65. The minority order however views this clause leading to a prima facie conclusion about its having AAEC inter alia due to re-sultant weakening of inter-hub competition which may restrict passengers’ choices in their journeys from/to certain destina-tions66. Finally, though the majority saw this combination re-sulting in enhanced efficiency and price reduction for consum-ers,67 and sort of incorporated a failing firm defense, appreciat-ing benefits of it for Jet, which was beleaguered with huge debt;68 the minority on the other hand was not convinced by

60 See id., ¶ 22. 61 See id., ¶¶ 14, 15. 62 See id., ¶ 33. 63 See id., ¶ 37.5. 64 Jet Airways website itself explains code sharing as: “A Codeshare is an arrangement between two airlines (Airline A & Airline B) whereby Airline A will market and sell the flights of Airline B as though they were the flights of Airline A and / or vice versa. This arrangement allows us to provide you with a greater choice of destinations with seamless connections.”, see Codeshare Partners, JET AIRWAYS, http://www.jetairways.com/EN/IN/AboutUs/CodeShare.aspx (last visited August 29, 2014). 65 See supra note 5, ¶ 43. 66 See Jet-Etihad Minority Order, supra note 68, ¶ 25. 67 See supra note 5, ¶ 6, ¶¶ 46-50. 68 See id., ¶ 51.

these efficiency claims, as they were not quantified69. This concludes the analysis of both the majority and minority orders in the Jet-Etihad Combination Review.

V. Critiquing the Mylan-Agila Combination Review

5.1 Discussing generally the Section 31(1) Order

In the Mylan-Agila deal, Mylan Inc., a US Corporation ac-quired Agila India for INR 94.8 billion in cash and contingent buyout.70The main problem with this combination was the presence of the non-compete obligation contained in both the Share Purchase Agreement (SPA) and the restrictive covenant agreement (RCA) signed between the acquirer, Mylan Inc., and Strides Arcolab Limited (SAL) with its promoters. Agila India, which was a wholly owned subsidiary (WoS) of SAL, and Onco Therapies Ltd. (OTL), which was a WoS of Agila India were the ‘Target Enterprises’ in the deal. We shall first turn to certain aspects examined by the CCI in this matter resulting in its Section 31(1) approval order.

Agila India was involved in the development and manufac-turing of various injectable products. OTL’s core business concerned R&D and manufacturing of oncology related phar-maceutical products including, injectables. Mylan with its subsidiaries was involved in generic and specialty (viz., respir-atory, allergy, psychiatric and anti-retroviral therapies) phar-maceuticals with presence in around 140 countries. Its Indian subsidiaries were manufacturing Active Pharmaceutical Ingre-dients (APIs). The CCI importantly noticed, that both the Ac-quirer and Target Enterprises had limited presence in the do-mestic market in India; and Targets’ sale in domestic market were less than 5 per cent of their consolidated sales in the year 201271. Further, it noted that the products offered by the ac-quirer and the target entities to the consumers in the Indian market fell in different therapeutic categories except for a few products, that were also entirely different in their characteris-tics and intended use72. Another significant observation in favor of the combination was, that the majority of the domestic sales in India of the acquirer were in APIs and of the target enterprises were in injectables73. Furthermore, the majority of these APIs were non-sterile which cannot be used to formulate injectables74. These facts went in favour of the proposed com-bination.

69 See supra note 68, Jet-Etihad Minority Order, ¶ 42. 70 See Mylan-Agila Transaction Summary (Deal No. 730521) on Mergerstat M&A Database (on LexisNexis Academic). 71 See Mylan Inc. Section 31(1) Order, supra note 6, ¶ 14. 72 See id., ¶ 15. 73 See id., ¶ 16. 74 See id.

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5.2 The CCI’s Concerns in relation to the Non-compete Clauses

Despite the CCI’s approval, the non-compete obligation in the SPA and RCA initially created concerns, as the CCI ob-served75:

SPA and the RCA provide that for a period of six years from the date of closing of the proposed combination, each of Arun Kumar, Pronomz Ventures LLP, SAL and any of SAL's group companies (col-lectively known as the "Promoters") shall not (whether alone or jointly with another and whether directly or indirectly) carry on or be en-gaged, concerned or interested economically or otherwise in any man-ner in the business of developing, manufacturing, distributing, market-ing or selling any injectable, parenteral, ophthalmic or oncology pharmaceutical products for human use, anywhere in the world.

The acquirer justified these clauses imposing non-compete obligations on promoters of target enterprises and the selling shareholders, at the time of their exit, to protect business inter-ests of the acquirer and target entities.76The CCI quoted its following view on non-compete obligations from its former order in the matter relating to combination of Hospira-Orchid (Comb. Reg. No. C-2012/09/79)77:

“non compete obligations, if deemed necessary to be incorporated, should be reasonable particularly in respect of (a) the duration over which such restraint is enforceable; and (b) the business activities, ge-ographical areas and person(s) subject to such restraint, so as to en-sure that such obligations do not result in an appreciable adverse ef-fect on competition.”

Actually in the Hospira-Orchid deal the Business Transfer Agreement (BTA) in its non-compete clause stipulated that Orchid Chemical and Pharmaceuticals Ltd. (OCPL) and its promoter cannot undertake certain business and R&D activities pertaining to the transferred business for a period of eight and five years respectively78. As a justification for the same the parties to the Hospira-Orchid combination review contended that the incorporation of such non-compete clauses was a standard industry practice, which was ‘generally considered necessary for the effective implementation of the proposed combination and allows the acquirer to obtain full value from the acquired assets’79. Being questioned by the CCI, the parties suggested certain modifications in the Hospira-Orchid matter by offering to reduce the time period to four years in relation to the domestic market in India and removed certain R&D re-strictions, which were accepted by the CCI80.

In Mylan-Agila the CCI observed that ‘in spite of the fact that the Target Enterprises are engaged in the business of in-jectable products belonging to a few therapeutic categories, the

75 Ibid., ¶ 17. 76 See id., 18. 77 See id., 19 (citing from 10 of Hospira-Orchid, Section 31(1) Order dated Dec. 21, 2012). 78 See Hospira-Orchid, Section 31(1) CCI Order dated Dec. 21, 2012, 9, http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C-2012-09-79.pdf (last visited August 29, 2014). 79 Id. 80 See id., 10-12.

non-compete covenant sought to impose a blanket restriction covering injectable products across all the therapeutic catego-ries’. It went on to say, that ‘the scope of the non-compete covenant covered all products under the oncology and oph-thalmic categories even though there are products under these categories which are not being currently manufactured by the Target Enterprises’81. In view of the CCI, the non-compete clause should only cover those products which are being cur-rently developed, manufactured or sold by the target entities; and thus acquirer was issued notice to provide a justification for the above non-compete clauses82. In response the parties offered to: modify the non-compete covenant by reducing the time period to four years (like in Hospira-Orchid case); curtail-ing the scope of the non-compete obligation to the Indian mar-ket, and only to the products either manufactured by the target entities or which are in the pipeline or development phase, which were accepted by the CCI before passing its favorable Section 31(1) order83. However, in the US this deal raised concerns with the FTC which initiated an investigation of the proposed acquisition leading to the respondents Mylan and Agila to enter into a consent agreement with the FTC, in terms of which it also conditionally approved the Mylan-Agila trans-action. Agila India was to divest its eleven generic injectable drugs to its competitors as there were less competitors in these eleven markets84.

There is a view that the CCI is skeptical about non-compete clauses in Brownfield pharmaceutical sector combinations, and combinations in other sectors with non-compete clauses were cleared by the CCI without objections. As an example, lawyers point to the SunCoke-VISACoke combination approved by CCI in Jan. 201385. Thus, in absence of a clear policy regarding such ancillary restraints, the CCI practice in this regard may become subjective and arbitrary with passage of time86. The CCI can evolve general guidelines regarding non-compete clauses in combinations, like the ones contained in the Europe-an Commission’s ‘notice on restrictions directly related and necessary to concentrations’, lending its analysis more objec-tivity and predictability for the parties concerned87.

81 See Mylan Inc. Order, supra note 6, 20. 82 See id., 20. 83 See id., 21-23. 84 See Decision and Order In the Matter of Mylan Inc.,(Docket No. C-4413) FTC Order dated Dec. 12, 2013, available at: http://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/cases/131218mylando.pdf (last visited August 29, 2014); and Mylan-Agila Transaction Summary (Deal No. 730521) on Mergerstat M&A Database, supra note 70. (on LexisNexis Academic). 85 See CCI’s Non-Compete Concerns!, THE FIRM (2013), http://www.moneycontrol.com/video/management/ccis-non-compete-concerns-_912663.html (last visited August 29, 2014). 86 See Payaswini Upadhyaya, HOSPIRA, MYLAN MODIFY CLAUSES FOR CCI NOD ON BUYS MONEYCONTROL.COM (2013), http://www.moneycontrol.com/news/cnbc-tv18-comments/hospira-mylan-modify-clauses-for-cci-nodbuys_912570.html (last visited August 29, 2014). 87 See COMMISSION NOTICE ON RESTRICTIONS DIRECTLY RELATED AND NECES-SARY TO CONCENTRATIONS, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2005:056:0024:0031:EN:PDF (last visited August 29, 2014).

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Probably as a response to the background concerns post Mylan-Agila deal the 2014 FDI Policy the Government though continuing to allow 100% FDI in the Brownfield Pharmaceuti-cals sector introduced the following two new restrictive condi-tions88:

(i) ‘Non-compete’ clause would not be allowed except in special circumstances with the approval of the Foreign Investment Promotion Board.

(ii) The prospective investor and the prospective investee are re-quired to provide a certificate along with the FIPB application as per Annex-11.

Interestingly but unfortunately, they are self-contradictory. This ‘certificate’ in ‘Annex-11’ expressly mentions in one of the clauses: “It is also certified that none of the inter-se agree-ments, including the shareholders agreement, entered into between foreign investor(s) and investee Brownfield pharma-ceutical entity contain any non-compete clause in any form whatsoever.” Since, the above condition (ii) requiring submis-sion of certificate in Annex-11 precludes presence of non-compete clauses in the transaction documents the exception in the preceding condition (i) is rendered nugatory and otiose.

VI. Extraterritorial Application:

The cross-border combinations review with an Indian nexus due to the target being an Indian company has been elaborately discussed above through the Jet-Etihad and Mylan-Agila com-binations reviews conducted by the CCI. However, if say, the combination between foreign companies takes place outside India, the CCI’s jurisdiction to review such combination may be questioned on the basis of territorial scope of the Act as provided in Article 1. Although, Section 5 incorporates the ‘effects doctrine’89 and the relevance of the AAEC in India, to put doubts to rest, Section 32 confers extraterritorial jurisdic-tion to the CCI to inter alia inquire in accordance with Sec-tions 20, 29 and 30 in respect of a combination outside India90 or where all the parties to the combination are located outside India91 provided the concentration has or is likely to have an AAEC in the relevant market in India, and to pass such orders as it may deem fit in accordance with the provisions of the Competition Act, 2002.

In both cross border ‘combination’ cases, Jet-Etihad and Mylan-Agila Section 32(e) was applied. Perhaps the only mat-ter where both clauses (d) and (e) of Section 32 become perti-nent is the 2013 Titan Combination,92 whose Section 43A order is discussed below. Both parties to the combination were foreign corporations, Titan International, Inc. (a US Corpora-tion) and Titan Europe Plc. (a UK Company), with the former

88 See Consolidated FDI Policy, 2014 (DIPP, Government of India), 6.2.18.3. 89 See Vinod Dhall, The Indian Competition Act, in COMPETITION LAW TODAY, 530–31 (Vinod Dhall ed., 2007). 90 See clause (d) of Section 32 of the Competition Act, supra n. 1. 91 See id., clause (e) of Section 32. 92 See Titan-Titan CCI Order under Section 31(1) (Combination Registration No. C-2013/02/109), April 2, 2013, http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/C-2013-02-109.pdf (last visited August 29, 2014).

acquiring the entire share capital of the latter, resulting in indi-rect acquisition of 35.91 per cent share capital of an Indian Company, Wheels India from Titan Europe. It was observed by the CCI that ‘there is no horizontal overlap in the business activities of Titan International and Wheels India, as Titan International has no significant presence in India except its indirect stake in Wheels India’ and ‘that post combination, there is no change in the number of players in the market for steel wheels in India’, and thus the CCI passed a favorable Section 31(1) order93.

VII. Imposition of Penalties under Section 43A

This penultimate section examines the manner of exercise of an important power conferred upon the CCI under Section 43A. This section reads as follows:

If any person or enterprise fails to give notice to the Commission under sub-section (2) of section 6, the Commission shall impose on such person or enterprise a penalty which may extend to one percent of the total turnover or the assets, whichever is higher, of such a com-bination.

Though a ‘belated notice’ beyond the time prescribed under Section 6(2) may be admitted by the CCI under Regulation 7 of the 2011 Regulations, both the belated notice and failure to file notice, which is dealt under Regulation 894, attract proceed-ings under Section 43A. The use of the word ‘shall’ suggests mandatory imposition of penalty. This interpretation is also supported by the mandatory duty to serve a notice imposed under Section 6(2), when falling within its purview and unless excepted out, due to the use of the word ‘shall’ therein, which was substituted for the words ‘may, at his or its option’ by the Competition (Amendment) Act, 2007; one of consequences of whose non-compliance is given in Section 43A95.

The first Section 43A order sought to be examined was ren-dered in the Jet-Etihad matter discussed above96. CCI imposed the penalty of INR One Crore on Etihad for consummating and implementing certain parts of transaction, LHA Transaction and CCA without giving notice in accordance with Section 6(2), as imposed on it under Regulation 9 of the 2011 Regula-tions. The CCI, keeping in view the facts and circumstances as summarized by it in its order, opined that the penalty imposed served the ends of justice said97.

Although the penalty of INR one crore imposed on Etihad in an apparently well-reasoned order may not appear excessively harsh to many, this opinion may change in light of another

93 See id., ¶ 5. 94 Regulation 8, supra note 4, prescribes that in case of failure to file notifica-tion for a combination the Commission, upon its own knowledge or infor-mation regarding the same, shall direct parties to file notice in Form II and inquire into the same. 95 See FRANCIS BENNION, BENNION ON STATUTORY INTERPRETATION 44–57 (5 ed. 2008). 96 Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2013/05/122 (CCI, Dec. 19, 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/Order%20191213.pdf (last visited August 29, 2014). 97 Id., ¶ 12.

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previous Section 43A order passed in Zulia-Kinder matter98 where for a very serious and inordinate delay of 399 days the penalty imposed by the CCI was only INR Fifty Lakhs i.e., half of penalty imposed in Jet-Etihad matter just discussed. The latter also concerned a cross border combination, based on the Share Purchase Agreement (SPA), dated April 2, 2012 yet the belated Section 6(2) notice was filed on June 6, 2013, with a delay of around 399 days99. This matter highlights the failure on the part of the CCI, in spite of internal mechanisms, to de-tect the proposed combination in time. Had it been consum-mated, the CCI would have lost its power to inquire into the same after one year from the date on which such combination has taken effect, as discussed earlier100.

In Zulia-Kinder the main justifications for the delay, which was rejected by the CCI, were: incomplete and hence errone-ous legal advice given by the first set of Indian counsel on the applicability of the Competition Act, the proposed transaction being entirely offshore, and the fact that this is the acquirers’ first merger notification in India101. There was a previous Sec-tion 43A in an intra-group merger in Dewan Housing case102. In this case the delay was that of 388 days, similar to Zulia-Kinder, and a similar plea of incorrect legal advice leading to this delay was raised. Despite the apparent absence of bad faith, and although the CCI considered that the delay was due to a bonafide mistake and consequently to be a mitigating factor, it did not exculpate the parties. The CCI however im-posed a fine of INR 5 Lakhs only, although it could have im-posed a fine of up to around INR 230 Crores, 4600 times the amount actually fined103. Notably, intra-group mergers are excluded from the notification requirements in several jurisdic-tions and so even this decision in Dewan Housing has been subject to criticism104. In April, 2013 an exemption from noti-fication for certain intra group mergers was introduced in the Schedule I to 2011 Regulations105. Later amendments to the 2011 Regulations in March 2014 inter alia added sub-regulation (5) to regulation 9 providing for determination of requirements for filing notice to be ‘determined with respect to the substance of the transaction’, and omitted category (10) in its Schedule I which previously exempted a combination ‘tak-ing place entirely outside India with insignificant local nexus and effect on markets in India’ from notice requirement. Apart from questioning the legality of the CCI Section 43A orders imposing fines in intra-group mergers, as arguably infringing

98 Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2013/06/124 (CCI, Aug. 1, 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/P-C-2013-06-124.pdf (last visited August 29, 2014). 99 See id., ¶ 4. 100 See id., ¶ 15. 101 See id., ¶ 8. 102 CCI Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2012/11/92 (CCI, Jan. 3, 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/P-C-2012-11-92.pdf (last visited August 29, 2014). 103 Id., ¶ 11. 104 See, Ruchit Patel, The Treatment of Late Filings in Indian Merger Control, World Competition 37 no. 2 (2014) 249, 255-56. 105 See Category 11 of the Schedule I to the Combinations Regulations, supra note 4.

Public International Law, an article also criticizes the above March 2014 amendments as exacerbating this issue further106.

In the same year, before the Zulia-Kinder matter, in the Ti-tan combination the CCI through its Section 43A order im-posed a penalty of INR One Crore, although the delay was of around six months107. As per a view, the fine in Dewan Hous-ing is justified on comparison with Titan on the basis, that the transaction in Titan unlike in Dewan had been implemented108. A similar justification may be given on comparison between Zulia-Kinder with Titan. However, it is contended that the quantum of the fine in Titan, which is double to that imposed in Zulia-Kinder, with arguably much more serious lapses in respect of serving Section 6(2) notice suggests unjustified leniency on the part of the CCI in Zulia-Kinder matter. If how-ever, the Zulia-Kinder decision serves as a yardstick, then the quantum of the fine in Jet-Etihad is also unjustified.

This inconsistency in approach of the CCI in regard to the imposition of a penalty under Section 43A is reinforced by another case, where discretion is used by the CCI in not impos-ing a fine. This discretion was exercised on a flimsy and unjus-tifiable ground. In a Section 43A order of April 2012 in the matter of a combination concerning Siemens Ltd. (SL) and Siemens Power Engineering Pvt. Ltd. (SPEL), although the Section 6(2) notice was served belatedly approximately forty days after the Board Resolutions approving the scheme of amalgamation between the parties, the CCI condoned the delay and did not impose any penalty109. Paragraph 4 of the order, reproduced below, gives these reasons for this decision: “Con-sidering the facts and circumstances of the case coupled with the fact that this is the first year of implementation of enforce-ment provisions relating to combinations in the Act, the Com-mission is of the opinion that no penalty is required to be im-posed on SL and SPEL in terms of Section 43A.” These rea-sons forming the basis of this Section 43A order can be chal-lenged on the following grounds:

(1) As discussed above, once the condition of notice or failure to serve notice under Section 6(2) is fulfilled, as per Section 43A, it is mandatory for the CCI to impose a penalty.

(2) The CCI in its order has not been able to justify reading of ‘shall’ in Section 43A as ‘may’, giving it discretion in not imposing a penalty thereunder.

(3) Even if assuming, although not conceding, such a discretion is read into Section 43A, the CCI has not given a speaking order with due appreciation of the facts and circumstances of the case. Merely to state, that ‘considering the facts and circumstances…” does not pro-vide any insight in the adjudicatory reasoning adopted by the CCI in deciding this issue.

106 Supra note 104, 256-57. 107 CCI Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2013/02/109 (CCI, 2 Apr. 2013), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/P-C-2013-02-109.pdf (last visited August 29, 2014). 108 Supra note 104 at 254. 109 Order under Section 43A in Combination Registration No. C-2012/03/43 (CCI, Apr. 19, 2012), http://www.cci.gov.in/May2011/OrderOfCommission/CombinationOrders/NP-C-2012-03-43.pdf (last visited August 29, 2014).

Sharma, Cross Border Merger Control International Freilaw 1/2015

ISSN: 1865-0015 www.freilaw.de 20

(4)The only adjunct reason to support its order is, that ‘this is the first year of implementation of provisions relating to combinations in the Act’. This is an extraneous consideration for rendering this deci-sion, and may raise questions about the competence of the CCI to han-dle such issues given its inexperience. Imposing optimal penalties which are not disproportionate to the violation most certainly is im-portant in order to reduce recidivism and to have a deterrent effect on future violators110.

In fact, this is not the only case where such condonation was done by the CCI. In the Dewan Housing penalty order the CCI admittedly states, that subsequent to its order dated 28 Decem-ber 2011, clarifying the notice requirements for intra-group mergers, in several cases, ‘belated notices’ were received in response in respect of mergers between parent and subsidiary companies; and the CCI in such cases decided not to impose any penalty as it was the first year of enforcement of the perti-nent provisions of the Competition Act111. The CCI’s adjudica-tion in these cases can also be subject to the above criticism. The CCI may also contemplate evolving guidelines in this regard to lend more objectivity and certainty in this regard, thereby more efficaciously enforcing the provisions of the Competition Act, 2002 furthering its objectives112. The 2006 EC ‘Guidelines on the method of setting fines’113may be in-structive in this regard.

VIII. Conclusion

This article analyzed the Indian competition law pertaining to the ‘combination’ review, giving special emphasis on the mer-gers with a cross-border component, and critically commented on the CCI’s merger control practice in this regard. After dis-

110 See ROBERT COOTER & THOMAS ULEN, LAW AND ECONOMICS 491–517 (5 ed. 2007).; and Wouter P.J. Wils, Optimal Antitrust Fines: Theory and Practice, 29 WORLD COMPETITION 183 (2006). 111 See supra note 102,¶ 8. 112 See also supra note 104, at 258 (making a similar suggestion); and at 257-58 (demonstrating through analysis of Dewan, Titan and Zulia-Kinder (‘Te-masek’) how the ‘level of fine imposed by the CCI is not necessarily linked to the length of delay’, and is ‘heavily influenced’ by other more non-quantifiable factors). 113 Guidelines On The Method Of Setting Fines Imposed Pursuant To Article 23(2)(A) Of Regulation No 1/2003 (EC, 2006/C 210/02), http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX:52006XC0901(01) (last visited August 29, 2014).

cussing competition policy issues, the article discussed ‘com-binations’ review mechanism as contained under the pertinent provisions of the Indian Competition Act, 2002 read with the Combinations Regulations, 2011.The merits and demerits of the CCI’s majority and minority’s Jet-Etihad combination review orders were discussed next. The Mylan-Agila combina-tion review order of the CCI threw some interesting issues, particularly regarding the manner in which ‘non-compete’ clauses in the transaction documents are being viewed by the CCI. The CCI’s inconsistent practice in restricting these ‘non-compete’ clauses was discussed there. The last issue curiously revealed inconsistent and somewhat arbitrary practice of CCI in the imposition of penalties under Section 43A of the Compe-tition Act, 2002 as demonstrated through the Section 43A orders discussed therein. By and large, this article objectively reveals the relative inexperience of the CCI in combinations review, but apparently shows its zeal in enforcing the legal provisions applicable. If there is a competence problem too, that needs to be thoroughly researched into by researching into law and practice concerning appointments of the members of the CCI, preferably through a comparative law study, but the same falls outside the scope of this research article.

* LL.B. (Delhi), LL.M. (Gold Medalist with Distinction) (ILI), Ph.D. Candidate (NLUJ). Assistant Professor of Law, Nati-onal Law University, Jodhpur, India. Comments can be mai-led to: [email protected]. This article is adapted from a chapter of author’s Ph.D. thesis submitted to the NLU, Jodhpur. The author expresses gratitude to his colleague Dr. Souvik Chatterji for discussing some of the ideas and views expressed in this paper. Any errors and shortcomings are entirely attributable to the author.

Fischer, Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

www.freilaw.de ISSN: 1865-0015 21

Kartellrecht als Ausgleichsmechanismus

bei planwidrigem Einsatz von Standardpatenten

Eva Fischer

Kartellrecht, der Hüter des Wettbewerbs? Führt die Gel-tendmachung von Immaterialgüterrechten zu dysfunk-tionalen Effekten, wird das Kartellrecht oft als letztes Regulierungsinstrument bemüht. Am Beispiel der wirtschaftlich begehrten Standardpatente zeigt sich jedoch, dass das Kartellrecht insbesondere bei der Abgrenzung des relevanten Marktes und bei der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung eines Patentinhabers an seine Grenzen stößt.

“Considering the exclusive right to invention as given not of natural right, but for the benefit of society, I know well the difficulty of draw-ing a line between the things which are worth to the public the em-barrassment of an exclusive patent, and those which are not.”1

Thomas Jefferson (1813)

A. Einleitung

Standardisierungen können einen missbräuchlichen Umgang mit Patentschutz verstärken. Ist die Offenhaltung von Märkten Aufgabe des Kartellrechts, so gewährt ein Schutzrecht dem Inhaber ausschließliche Nutzung. Weil andere Wettbewerber im Falle eines Standardpatents auf das Patent angewiesen sind, kann der Inhaber damit potentiell Wettbewerb beschränken. Grundidee der Patenterteilung war jedoch die Schaffung von Innovationsanreiz durch die Möglichkeit zur Refinanzierung der getätigten Investitionen. Patente sollten gerade nicht zur massiven Einschränkung von Wettbewerb, der Verschließung von Märkten oder der Verhinderung neuer innovativer Ent-wicklungen dienen2.

Die Bedeutung von bestehenden Standards könnte sich durch ständig neue Innovation relativieren3. Schnelle technolo-gische Entwicklung und die folgende Patentierung nämlich überholen laufend einen gesetzten Standard. Damit hat der Inhaber von Standardpatenten nur für eine begrenzte Dauer ein marktmächtiges Instrument. Längst sind Standards jedoch Gegenstand von Wettbewerbsstrategien geworden. Bereits im Standardisierungsverfahren gibt es Verfahrensmissbräuche, sogenannte Patenthinterhalte. Die Bildung von Patentpools führt zur Akkumulation großer Patentportfolios, die durch die gepoolten Standardpatente entscheidenden Einfluss am Markt haben können. Besonders im Mobilfunksektor handeln soge-nannte Privateers. Diese erhalten Standardpatente von produ-

1 Jefferson, Jefferson to Issac McPherson, 13. August 1813, in: LIP-SCOMB/BERGH (Hg.), The Writings of Thomas Jefferson, Vol. 20: The Founder’s Constitution, Volume 3, Article 1, Section 8, Clause 8, Document 12, Washington 1905, 333 ff. 2 Diskutiert beim sog. „evergreening“; deutlicher im Urheberrecht bei neuen Werkformen wie „Mash-ups“. 3 Spulber, J. Com. L. & Ec. 2013, 778.

zierenden Unternehmen für Verletzungsverfahren4. Grundsätz-lich verstärkt werden die Folgen der Standardsetzung durch sog. Netzwerkeffekte: Aktuell wird das iPhone 6 auf dem US-Markt mit Apple Pay Funktion vermarktet. War Google mit Google Wallet bisher nicht erfolgreich, sprechen Experten nun von einer zweiten Chance für das erste mobile Kreditkarten-zahlsystem mit NFC- Technik. Denn warum, so die Argumen-tation, sollten Warenhäuser neben Apple Pay nicht auch Google Wallet zulassen: Ist Apple Pay bei Verbrauchern beliebt, wären Android- Kunden zur Nutzung von Google Wallet motiviert. Beide Systeme machen sich nämlich gegen-seitig bekannt. Die NFC- Technik wäre dann für alle Smart-phonehersteller wichtig. Damit werden NFC- Patente so bedeu-tend, dass trotz Fehlens rechtlicher Verbindlichkeit der NFC- Standard den Austausch mit einer neuen Technologie mit glei-chen Funktionen unwahrscheinlich macht. Damit kann ein Standard den Markt für neue Innovation verschließen5.

Dennoch kann Standardsetzung auf Informations- und Technologiemärkten positiv wirken. Bei schneller technologi-scher Entwicklung und kurzlebigen Produktzyklen hat ein einzelner Unternehmer nicht ausreichend Innovationspotenzial. Dieser ist auf die Nutzung von Standardtechnologie angewie-sen. Koordination bei Standardsetzung verhindert Doppelinno-vation und senkt Marktrisiken der beteiligten Unternehmen, die sich zum Beispiel auf die Nutzung des Standards durch andere Unternehmen einstellen können6.

In diesem Zusammenhang wird das Kartellrecht häufig als Regulationsinstrument gesehen. Als letzter Anker zur Bewah-rung funktionierenden Wettbewerbs sollen die negativen Fol-gen von Standardisierung verhindert werden. Dies soll am Beispiel von Patentpool, Patenthinterhalt und Privateers hin-terfragt werden.

Bei der Anwendung des Kartellrechts durch die Europäische Kommission (Kommission) konzentriert sich diese hauptsäch-lich auf die Verwertungshandlung der Standards7. Um wettbe-werbsschädigende Nutzung von Patenten zu verhindern, müss-ten – so die These dieses Beitrags – kartellrechtliche Mecha-nismen jedoch vor der eigentlichen Verwertungshandlung durch Lizenzierung greifen. Denn diese – nachträgliche – Kon-trolle kann die Schäden für den Wettbewerb nur noch begren-zen. Regulative außerhalb des Kartellrechts haben sog. Stan-

4 Abzugrenzen von Patenttrollen; vgl.: Jerruss/Feldmann/Walker, Duke L. & Tech. R. 2012, 359. 5 Lemley, Cal. L. R. 2002, 1938. 6 Baron/Pohlmann, J. Com. L. & Ec. 2013, 908; Gall/Waller, J. Com. L. & Ec. 2012, 449. 7 Komm., Leitlinien für Technologietransfer- Vereinbarungen, 2014/C 89/03, Rn. 7; EUGH, Slg. 1996, 429 - Consten und Grundig.

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dardisierungsorganisationen etabliert8. Schnittstellen zum Kar-tellrecht finden sich auch im Marken- und Urheberrecht9. Ge-genstand des vorliegenden Beitrags sind jedoch Standardpaten-te.

Zunächst sollen daher ein Standard definiert und die Prob-lemlagen herausgearbeitet werden. Darauf sollen die kartell-rechtliche Verhaltens- und die Fusionskontrolle angewandt werden, um bezüglich deren Wirksamkeit zur Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs zu einer Beurteilung zu gelangen.

B. Standardsetzung auf dem Mobilfunkmarkt

I. Möglichkeiten der Standardsetzung

Standards wie NFC entstehen in Standardisierungsorganisatio-nen (SSO) wie beispielsweise der europäischen SSO ETSI10. Davon zu unterscheiden sind am Markt entstehende Standards, sogenannte de facto Standards11 und Normungen. Letztere werden von Unternehmen12 oder in staatlich anerkannten SSOs wie DIN gesetzt13.

Die NFC zugrunde liegenden Standards Bluetooth und RFID sowie NFC sind durch Patente geschützt, zu denen es (noch) keine technischen Substitute am Markt gibt14. Diese sind essentiell zur Standardimplementierung, also standardes-sentielle Patente (SEP).

Allen Standards ist gemein, dass sie aufgezeichnet werden und Regelungsgehalt haben15. Ihre wiederholte Anwendung ist durch mehrere Wettbewerber möglich. NFC kann etwa von iOS und Android getriebenen Smartphones implementiert wer-den. Ein Standard wirkt also vereinheitlichend16. Wegen dieser Gemeinsamkeiten sind Standards im Folgenden gleich zu be-handeln.

8 IPR- Policies wie Datenbank und Schlichtungsverfahren, BRUZ-ZONE/BOCCACCIO, Standards under EU Competition Law: The Open Issues, in: Caggiano,/Muscolo (Hg.), Competition Law and Intellectual Property. A European Perspektive, New York 2012, 96-111, 102. 9 Abgrenzungsvereinbarung bei Jette Joop; urheberrechtlich geschützte Schnittstellen zur Kompatibilität wie im Fall Microsoft. 10http://www.etsi.org/deliver/etsi_ts/102100_102199/102190/01.01.01_60/ts_102190v010101p.pdf (abgerufen: 6.11.2014), auch in ISO und ECMA. 11 Auch going-it-alone- Strategie, wegen steigender Investitionskosten ist die langfristige Durchsetzung wirtschaftlich unattraktiv: Lea/Hall, Info. Ec. & P. 2004, 75; etwa PAL & SECRAM; FORRESTER, The Interplay between Stand-ardization, IPR and Competition Law, in: Caggiano|Muscolo|Tavassi (Hg.), Competition Law and Intellectual Property. A European Perspective, New York 2012, 113-145, 117. 12 Sog. Werkstandards: WÖLKER, Entstehung und Entwicklung des Deutschen Normenausschusses, Berlin, u.a. 1992, 21 f. 13 Shapiron/Varian, Hav. B. S. P. 1999, 44, 228 ff.; synonyme Verwendung der Begriffe: KOMM., Leitlinien zu Technologietransfer- Vereinbarungen, 2004/C 101/02, Rn. 167. 14 Komm., Case No COMP/M.6381- Google/Motorola Mobility, Rn. 54; Ullrich, Patent Pools – policy and problems, in: Drexl, Research Handbook on Intellectual Property and Competition Law, Cheltenham/Northampton 2008, 139-161, 147. 15 Dorn, Technische Standardisierung im Spannungsfeld von Immaterialgüter-rechten, Kartellrecht und Innovation, Studien zur Rechtswissenschaft Bd. 322, Hamburg 2014, 11. 16 Auch Ziel der internationalen Standards der WTO: Struck, Product Regula-tions and Standards in WTO Law, Global Trade Law Series Bd. 45, Alphen aan den Rijn 2014, 70.

II. Märkte der Mobilfunkbranche

Grundsätzlich können in der Mobilfunkbrache drei Märkte unterschieden werden: Innovations-17, Technologie-, und Pro-duktemarkt18. Dabei ist der Innovationswettbewerb den beiden letzteren, und damit der Technologie und dem Produkt, vorge-lagert19. Dort entsteht durch Entwicklung etwa die NFC- Tech-nik. Idealerweise besteht zwischen diesen Märkten ein Wert-schöpfungszusammenhang. Einschränkungen des Wettbewerbs auf einer Stufe der Wertschöpfung aber werden durch knock-on Effekte weiter gegeben20.

Liegt ein SEP vor, ist der Innovationswettbewerb bereits abgeschlossen. Eine Technologie hat sich durchgesetzt. Daher ist der Technologiemarkt im Zusammenhang mit SEPs ent-scheidend.

III. Problemstellung auf dem Technologiemarkt bei Standardisierung

1. Patenthinterhalt

Vor der Verwendung eines Standards am Markt finden Wett-bewerbsbeschränkungen im SSO- Verfahren statt21. Beispiel-haft wird der sog. Patenthinterhalt herausgegriffen. Dabei un-terlassen Teilnehmer des SSO- Verfahrens die Offenlegung von Patenten und Patentanmeldungen, die Teil des Standards werden22. Nach Standardsetzung kann das Unternehmen mit dem Kartellrecht unvereinbare Verwertungshandlungen bege-hen oder sich kartellrechtskonform verhalten.

17 Kritisch zu Innovations“markt“, Hilty, http://www.ip.mpg.de/files/pdf2/Taetigkeitsbericht_2010-2011.pdf, (abgerufen am 1.11.2014), 36. 18 Überblick: Katz/Shelanski, Anti. L. J. 2007, 39 f.; Abgrenzung von drei Märkten: Komm., Leitlinien zur Anwendung von Art. 101 AEUV, 2011/C11/01, Rn. 261; Picht, GRUR Int. 2014, 7; anwendbar wegen Gleichbe-handlung von Normung und Standardisierung: Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl., München 2012, § 8 Rn. 53. 19 Deskriptiver Begriff, engl. downstream market im Gegensatz zu upstream market, vgl. FRÜH, Immaterialgüterrechte und der relevante Markt, Schriften-reihe zum gewerblichen Rechtsschutz Bd. 181, Köln 2012, 159. 20 Wirtschaftsnobelpreisträger 2014, Jean Tirole in der Financial Times, Whipp/Harding, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/01bc3910-52ca 11e4-a23600144feab7de.html?siteedition=intl#axzz3G6o8g1ps, (abgerufen am 14.10.2014). 21 Kooperation als Wettbewerbshindernis, negative Einflüsse auf Produk-temarkt durch Marktmacht, Ausschluss von Nichtmitgliedern und von alterna-tiver Technologie: vgl.: Walther/Baumgartner, WuW 2008, 162 ff. 22 Fall Rambus in SSO JEDEC, FTC, In the Matter of Rambus Inc., Docket No. 9302, http://www.ftc.gov/enforcement/cases-proceedings/011-0017/rambus-inc-matter (abgerufen: 6.11.2014), Immenga, GRUR Int. 2006, 929; ebenso: Dell-Fall endete mit Vergleich; FTC, In the Matter of Dell Computer Corpora-tion, Docket No. 3658, Consent Order v. 20.5.1996, S. 616 ff. (http://www.ftc.gov/system/files/documents/cases/960617dellconsentorder.pdf , Stand: 5.10.2014, 17h45); vgl. Fischmann, GRUR Int. 2010, 185; Stambler v. Diebold Inc., 11 U.S.P.Q.2d, 1709 ff. (1988); aktives Werben um Aufnahme in den Standard ohne Offenlegung der eigenen Anmeldung: Wang Laboratories, Inc. V. Mitsubishi Electronics America, Inc., 103 F3d 1571 ff. (1997); nach Verpflichtung, keine Patentanmeldungen nach Informationserhalt zu tätigen, werden Patente Teil des Standards: In the matter of Union Oil Company of California, FTC Compliant, Doc No. 9305; http://www.ftc.gov/sites/default/files/documents/cases/2005/08/050802do.pdf (abgerufen: 10.10.2014). .

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2. Standards in Technologiepools

Nach Abschluss eines Standardisierungsverfahrens werden zur Lizenzierung der Patente häufig Patentpools gebildet. Dabei schnüren zumeist mehrere Parteien ein Paket meist zusammen-gehöriger Technologien, hier von SEPs23. Positiv verringert das „one-stop-shop“-Prinzip Transaktionskosten. Standards können wirksam implementiert werden, da der Hersteller die SEPs nicht separat lizenzieren muss24. Pools verringern jedoch den Anreiz, die Gültigkeit der Patente zu überprüfen und neue Technologien zu entwickeln25.

3. Standards in Portfolios von Privateers

Ebenfalls über große Patentportfolios mit SEPs verfügen auf dem Technologiemarkt Privateers26. Die SEPs werden durch andere Unternehmen an Privateers wie Rockstar übertragen. Rockstar erwarb 6000 Patente des insolventen Nortel- Kon-zerns aus finanziellen Mitteln von Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry27. Bei anschließenden Verletzungs-klagen gegen Wettbewerber setzen Privateers auf einen güns-tigen Vergleich. Diese sind besonders wegen der hohen Kosten bereits vor Prozessbeginn28 erzielbar. Sollte dies fehlschlagen, können attraktive Lizenzgebühren ausgehandelt werden. Prak-tischer Hintergrund ist, dass etwa Rockstar kein Interesse an sog. Kreuzlizenzen hat29, da Rockstar mangels produktiver Tätigkeit keiner Lizenzen bedarf. Somit könnte der Zugang zu SEPs erschwert und ein Wettbewerber auf dem Produktemarkt für einige Zeit verhindert werden. Die Zugangsverhinderung verringert die Produktauswahl für den Verbraucher30. Zur rechtlichen Bewertung fehlen aber oft Detailinformationen31.

C. Verhaltenskontrolle als Ausgleichsmechanismus für Standardsetzung

I. Anwendbarkeit von Kartellrecht

Lange war die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf immateri-elle Güter fraglich32. Jetzt ist anerkannt, dass Patent- und Kar-tellrecht gemeinsame Ziele von Wettbewerbs- und Wohl-standsförderung verfolgen33. Grund dafür ist schon der auf Verfassungsebene verankerte Schrankenvorbehalt des Eigen-

23 Klawitter, Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. München 2008, § 13 Rn. 302. 24 Verbruggen/Lörincz, GRUR Int. 2002, 827. 25 Heyers, GRUR Int. 2011, 215. 26 Pools als Trolle: Schickedanz, GRUR Int. 2009, 902. 27 McMillen, How Apple and Microsoft Armed 4,000 Patent Warheads, http://www.wired.com/2012/05/rockstar/all/ (abgerufen am 22.10.2014), 1; Nach Veröffentlichung dieses Artikels wird es Rockstar nicht mehr geben, s.: http://www.ft.com/intl/cms/s/0/2ab78182-8ad1-11e4-be0e-00144feabdc0.html#axzz3MzfUwW2c (abgerufen: 23.12.2014). 28 Andrews, Col. Sc. & Tech. L. R. 2011, 222. 29 Kostenreduktion, US Supreme Court in Standard Oil Co. v. United States, 283 U.S. 163 (1931). 30 Geradin, J. L. & Ec. 2013, 1126. 31 Ewing/Feldmann, Stan. Tech. L.R. 2011, Rn. 14, 90. 32 Haedicke, Handbook Patent Law, München 2014, § 1 Rn. 180; Vardner, Hav. J. L. & Tech. 2001, 226. 33 Aufgabe Inhaltstheorie, sog. Komplementaritätsthese: Drexl, GRUR Int. 2004, 720.

tums, Art. 14 II GG34. Damit ist jedes Marktverhalten an den Wettbewerbsregeln zu messen35.

II. Kontrolle durch Missbrauchsverbot einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV

Die missbräuchliche Verhaltensweise in einer SSO, eines Pa-tentpools, oder eines Privateers wie Rockstar müsste von marktbeherrschenden Unternehmen ausgehen.

1. Marktbeherrschende Stellung

a) Adressatenstellung

Die Teilnehmer des SSO-Verfahrens und die Mitglieder eines Patentpools erfüllen unproblematisch den funktionalen Unter-nehmensbegriff, indem sie einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen36. Rockstar könnte hingegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigung sein. Eine Unternehmensvereini-gung liegt dann nicht mehr vor, wenn Rockstar aufgrund ei-genständiger Tätigkeit im Geschäftsverkehr als Unternehmen auftritt37. Rockstar handelt nach eigenen Angaben selbststän-dig38 und ist daher Unternehmen.

b) Relevanter Markt

Die unternehmerische Tätigkeit müsste auf dem relevanten Markt stattfinden. Nach dem Bedarfsmarktkonzept grenzt sich der sachlich relevante Markt nach der Substituierbarkeit der Produkte aus Sicht der Marktgegenseite ab39. Bei Patenten könnte auf die Nachfrager der Technologie bzw. des Produktes abzustellen sein.

Aus Sicht der Produktnachfrager könnten alle Smartphones mit einem NFC- Feature zum gleichen Produktemarkt gehö-ren40. Auf dem vorgelagerten Technologiemarkt ersetzt ein Patent bzw. eine Technologie wie NFC das Produkt41. Um überhaupt auf dem Produktemarkt tätig zu werden, also das Smartphone mit NFC- Feature herstellen zu können, muss Zugang zur Technologie erlangt werden42. Eine alleinige Kon-zentration auf den Technologiemarkt würde jedoch eine Sub-stituierbarkeit des Standards auf dem Produktemarkt unberück-sichtigt lassen. Bei Berücksichtigung käme es allerdings auf die Sicht der Nachfrager des Produktes an. Für den Zugang

34 Art. 17 I 3 GRCh., WALZ, GRUR Int. 2013, 719; vorher: Ausschließlich-keitsrechte stehen nicht im Widerspruch zur Wettbewerbsordnung; schutz-rechtsimmanente Schranken: Lober, GRUR Int. 2002, 7. 35 Vgl. Dorn, 206 ff. m.w.N.; Nebeneinander der Schutzrechte: Schmidt, Lizenzverweigerung als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Schriften zur Rechtswissenschaft Bd. 49, Berlin 2005, 60 ff. 36 EuGH, Slg. 2004, I-2493 Rn. 46 – AOK. 37 Zimmer, Immenga/Mestmäcker, § 1 Rn. 72. 38 „We are separate“ – John Veschi, McMillen, 1. 39 EUGH Slg. 1998, I-7791 Rn. 32 f. – Bronner; KOMM., Bekanntmachung zum relevanten Markt, 97/C 372/03, Rn. 7, 15; Kritik: FRÜH, 205 m.w.N. 40 Sofern als austauschbar angesehen: zumindest getrennte Märkte Feature Phones/Smartphones, Komm., Fn. 14, Rn. 41. 41 Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik Bd. 231, Baden-Baden 2009, 274; missverständlich zwei Produktionsstufen: EUGH, GRUR Int. 2004, 644, Rn. 45 – IMS Health; Spindler/Apel, JZ 2005, 135. 42 Bspw.: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn. 56; Schwintowski, WuW 1999, 850.

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zum Produktemarkt relevant ist aber allein die Marktgegenseite zum Patent, also der Nachfrager der durch das Patent geschütz-ten Technologie43.

Der Umfang dieses Technologiemarktes richtet sich nun da-nach, ob andere Technologien bestehen, die gleiche Funktio-nen erfüllen. Dies können andere geschützte oder freie Lehren sein, die mit dem fraglichen Standard konkurrieren44. Dieser Grundsatz müsste nun auf das Vorliegen von SEPs übertragen werden. Dabei verzichtet die Kommission häufig auf eine Abgrenzung des relevanten Marktes, weshalb es an Kasuistik fehlt45. Dennoch müsste wegen der fehlenden Austauschbarkeit des SEPs mit anderen geschützten oder nicht geschützten Leh-ren der Markt auf das einzelne SEP begrenzt werden46. Damit bliebe aber die faktische Austauschbarkeit mit anderen Stan-dards auf dem Technologiemarkt unberücksichtigt. Überzeu-gender ist es daher, auf austauschbare Standards als auf die Austauschbarkeit des SEPs abzustellen47. Dafür spricht auch, dass es unbillig wäre, ein Unternehmen als Inhaber eines SEPs dem Kartellrecht zu unterstellen, wenn der dahinterstehende Standard auf dem Markt jeglicher Relevanz entbehrt.

Der räumlich relevante Markt besteht aus dem Wirtschaft-raum, in dem sich die objektiven Wettbewerbsbedingungen gleichen48. Im Mobilfunksektor besteht ein weltweiter Wirt-schaftsraum49. Der zeitlich relevante Markt deckt sich grund-sätzlich mit der Geltungsdauer der wettbewerbsrelevanten Maßnahme und ist daher nicht separat zu bestimmen50.

c) Marktbeherrschende Stellung auf relevantem Markt

Auf dem relevanten Technologiemarkt müsste die Marktmacht von Rockstar oder Teilnehmern der SSO ausreichen, sich un-abhängig von Verbrauchern, Wettbewerbern und Abnehmern zu verhalten51. Wird einer engen Abgrenzung des relevanten Markts gefolgt, dann hat der Inhaber eines SEPs konsequen-terweise per se eine marktbeherrschende Stellung. Denn das SEP ist zur Implementierung des Standards nicht substituierbar und der Inhaber kann sich aufgrund der Alleinstellung unab-hängig von anderen Marktteilnehmern verhalten. Mit einer solchen per se Betrachtung blieben jedoch die Marktrealitäten außer Betracht. Die tatsächliche Marktmacht eines Inhabers

43 Burghartz, Technische Standards, Patente und Wettbewerb, Schriften zum Technikrecht Bd. 10, Berlin 2011, 203. 44 Picht, Strategisches Verhalten bei der Nutzung von Patenten in Standardis-ierungsverfahren aus der Sicht des europäischen Kartellrechts, in: Drexl, Josef (Hg.), Münchner Schriften zum Europäischen und Internationalen Kartellrecht, Band 31, Bern 2013, 434 f. 45 Melischek, The Relevant Market in International Economic Law, Cambridge international Trade and Economic Law, Cambridge University Press 2013, 33, Grund: Marktbeherrschung kann ohnehin verneint werden. 46 Komm., Fn. 14, Rn. 54. 47 Komm., Fn.18, Rn. 116; Komm., Case AT.39985 – Motorola – Enforcement of GPRS Standard Essential Patents, Rn. 192. 48 EuGH, Slg. 2001, II-3414 - AAMS, Rn. 39. 49 So zumindest: “client PC operating systems, work group server operating systems and media players”, Komm., Case COMP/C-3/37.792 – Microsoft, Rn. 427; erweitert auf Betriebssysteme von Mobiltelefonen: Komm., Fn. 14, Rn. 31, 33. 50 Jakobs, Standardsetzung im Lichte der europäischen Wettbewerbsregeln, Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 259, Baden-Baden 2012, 82. 51 EuGH Rs. 85/76, Slg. 1979, 461– Hoffmann-La Roche/Kommission, Rn. 38.

hängt – zumindest wirtschaftlich – von der Bedeutung des Standards auf dem Produktemarkt ab. Bestehen dort andere Standards, die den Bedürfnissen der Verbraucher ebenfalls gerecht werden, verringert das die Marktstellung des SEP-Inhabers52. Somit bedeutet die Wesentlichkeit des SEPs für den Standard noch nicht, dass daraus Marktmacht folgt53.

Fraglich ist, woran die Marktmacht erkennbar ist. Die Marktmacht könnte sich am Marktanteil des Standards festma-chen lassen54, der durch substituierbare andere Standards auf dem Markt begrenzt wird und dadurch bestimmt werden kann55. Jedoch sind die Normadressaten die Unternehmen, die Inhaber eines SEPs, nicht aber des Standards sind. Der Anteil eines SEPs am Marktanteil, den der Standard messbar auf sich vereinigt, ist aber wohl nicht feststellbar. Denn in den Produk-ten wird der Standard, nicht das einzelne SEP implementiert56. Daher kann der Marktanteil nicht als Kriterium herangezogen werden und es ist auf das SEP, nicht auf den Standard zur Bestimmung der Marktmacht abzustellen.

Ausnahmsweise kann sich Marktbeherrschung durch ein SEP beispielsweise durch eine gesetzliche Vorschrift zur Ein-haltung eines bestimmten Standards oder aus faktischer Ver-bindlichkeit ergeben. Eine solche besteht etwa, wenn Verbrau-cher nur Produkte annehmen, die einen bestimmten Standard implementieren57.

Fraglich ist jedoch die Bestimmung von Marktmacht im Normalfall. Marktmacht könnte bestehen, wenn das SEP wie eine Marktzutrittsschranke wirkt. Dabei können Parameter wie Ablösewahrscheinlichkeit des Standards oder die Lizenzneh-merquote mitberücksichtigt werden58. Diese Marktzutritts-schranke kann sich verschiedentlich äußern. Sog. switching costs der Nutzer zwischen den Standards binden die Nutzer an einen Standard und verstärken die Marktmacht des Inhabers der dahinterstehenden SEPs59. Netzwerkeffekte etwa zwischen Google Wallet und Apple Pay haben gleiche Wirkung60. Dar-aus kann etwa ein natürliches Monopol entstehen, da neue

52 Keine Marktmacht per se: EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 - Magill, Rn. 46; Schommer, Die „essential facility“- Doktrin im Europäischen Wettbew-erbsrecht, Münchner Juristische Beiträge Bd. 38, München 2003, 210. 53 Monopolmacht bejahend: Conde Gallego, GRUR Int. 2006, 22. 54 Komm.: keine Marktmacht bei weniger als 40 %; EuGH: Marktmacht bei 75 %, EuG 70 %; zwischen 25% und 70% nachzuweisen, Übersicht: Holzmüller, Einseitige Wettbewerbsbeschränkungen als Regelungsproblem des internatio-nalen Kartellrechts, Münchner Schriften zum Europäischen und Internatio-nalen Kartellrecht Bd. 21, Bern 2009, 182; Picht, 440. 55 Ullrich, GRUR 2007, 827; Weiß, Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Kommen-tar, 4. Aufl., München 2011, Art. 102 AEUV, Rn. 14. 56 Etwa: Picht, 440. 57 Burghartz, 205. 58 EUGH v. 6.4.1995, Slg. 1995-I-743 – Magill, Rn. 47; etwas unklar getrennt: BGH, GRUR 2004, 966 (968); Berücksichtigung von Marktverhalten, Dy-namik, Standardnutzung trotz Substituierbarkeit, Marktdynamik, Picht, 442 ff.; Maaßen, Normung, Standardisierung und Immaterialgüterrechte, KWI Bd. 13, München 2006, Rn. 547 ff. 59 Farrell/Klemperer, Coordination und Lock-in: Competition with Switching Costs und Network Effects, in: Armstrong,/Porter, Handbook of Industrial Organization, Handbooks in Economics Bd. 3, 3. Aufl., Oxford 2007, 1967-2072, 1967; sog. log-in Effekte, etwa Maaßen, Rn. 229. 60 Knott, Apple Pay nach 72 Stunden: Millionen Fans in den USA, Alibaba inklusive. Trotz prominentem Widerstand, http://www.netzwelt.de/news/149631-apple-pay-72-stunden-millionen-fans-usa-alibaba-inklusive.html, (abgerufen am 2.11.2014)1.

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Nachfrager dem bestehenden großen Netzwerk beitreten anstatt einem alternativen61. Sollte sich das Bezahlsystem durchsetzen, haben Kaufhäuser beispielsweise nur Vorrichtungen für NFC- Erkennungstechnik, nicht für alternative Datenübertragungs-möglichkeiten.

Das von Rockstar erworbene Nortel- Portfolio umfasste un-ter anderem SEPs für Wlan62. Eine Marktzutrittsschranke läge vor, wenn Rockstar anderen Unternehmen die Verwendung der Wlan-Technik untersagen könnte, da Mobiltelefone ohne Wlan für Kunden unattraktiv wären. Portfolios von Privateers zeich-nen sich durch fehlende Zusammengehörigkeit der Patente aus, so dass die vorhandenen SEPs nicht zwangsläufig genügen, um einen Standard wie Wlan gänzlich zu blockieren63. Ob eine Marktzutrittsschranke vorliegt, ist daher vom Beweisvortrag abhängig.

d) Beeinträchtigung des Binnenmarktes

Der Binnenmarkt als ganzer ist bei Vorliegen einer marktbe-herrschenden Stellung auf dem Mobilfunkmarkt aufgrund seiner internationalen Bedeutung betroffen.

e) Zeitpunkt der Marktbeherrschung

Beim Patenthinterhalt stellt sich das Problem, dass zwischen der Verwertungshandlung und der Unterlassung der Offenle-gung zu unterscheiden ist. Bei Vornahme der Missbrauchs-handlung muss Marktbeherrschung vorliegen. Während der Verwertungshandlung verleiht der implementierte Standard dem Inhaber Marktbeherrschung. Ausnahmsweise kann bei der Verletzung der Offenlegungspflicht hohe Nachfrage nach ei-nem Patent vor Standardsetzung dem Inhaber Marktmacht verleihen64. Dies dürfte aber schon deswegen selten sein, da interne Verfahrensregeln von SSOs die Standardisierung eines bestehenden Patentes oft verhindern. Daher liegt Marktmacht erst mit Standardimplementierung vor.

Bei SEPs könnte es jedoch gerechtfertigt sein, auf Markt-macht zu verzichten65. Dazu könnte rechtsvergleichend die Figur des attempt to monopolize herangezogen werden. Nach Sherman Act Section 2 ist im us-amerikanischen Rechtssystem lediglich die Wahrscheinlichkeit von Monopolmacht nachzu-weisen66. Zwar hat Art. 102 AEUV mit der Voraussetzung eines Missbrauchs eine andere Schutzrichtung, der Rechtsge-danke von Section 2 zur Erfassung missbräuchlichen Verhal-tens vor signifikanter Marktmacht könnte jedoch übertragbar sein67.

61 Heinemann, Immaterialgüterrechte in der Wettbewerbsordnung, Jus Priva-tum. Beiträge zum Privatrecht Bd. 65, Tübingen 2002, 63. 62 http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrust-division-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 22.10.2014). 63 Genau darauf baut das Prinzip von Privateers auf, da sie einen Standard wie Wlan nicht blockieren wollen, wohl aber Tantiemen durch Verletzungsverfah-ren erhalten: CRANE, Tex. L. R. 2009, 286. 64 Weck, NJOZ 2009, 1187. 65 Picht, GRUR 2014, 17. 66 Swift & Co. v. US, 196 US 375; Spectrum Sports Inc. v. McQuillan, 506 US 447, 456 (1993); gegen Ausweitung des Kartellrechts: Kobayashi/Wright, J. Com. L. & Ec. 2009, 516. 67 Bjorkman, Pug. L. R. 1982, 290; AMERICAN BAR ASSOCIATION, Anti. L. J. 1980, 1197.

Andererseits wäre eine „antizipierte“ marktbeherrschende Stellung anzunehmen, wenn aufgrund des Hinterhalts nach Standardsetzung Marktmacht erlangt würde68. Dabei ist aber bereits die Bestimmung des relevanten Marktes schwierig, da der Markt des SEPs noch gar nicht besteht69.

In Hinsicht auf die Rechtssicherheit ist beides abzulehnen. Die besondere Verantwortung des Unternehmens, die die An-wendung des Kartellrechts auf das Ausschließlichkeitsrecht rechtfertigt, ergibt sich erst mit Marktmacht. Es widerspräche auch einer liberalen Wirtschaftsordnung, wenn Kartellamt bzw. europäische Kommission auf diese Weise die Kompetenz er-hielten, jede Standardsetzung zu kontrollieren.

Aufgrund der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung von Standards ließe sich aber argumentieren, dass eine Kontrolle der Standardsetzung rechtspolitisch wünschenswert wäre. Denn durch einen Missbrauch kann eine Technologie zum Standard werden, die nicht die beste ist und somit nicht zum Wohle der Verbraucher künftig in allen Endprodukten imple-mentiert wird. Die Annahme hängt davon ab, ob sich im Fol-genden die Verletzung von Offenlegungspflichten im Zuge eines Patenthinterhalts als missbräuchlich darstellt.

2. Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

a) Missbrauch durch Patenthinterhalt

Der Patenthinterhalt findet vor der Verwertungshandlung statt. Daher müsste sich die Verletzung der Offenlegungspflichten als missbräuchlich darstellen. Wie eine solche einzuordnen ist, wird unterschiedlich bewertet. Die Durchsetzung eines Patents als Standard wird von manchen Stimmen als kartellrechtsneut-ral eingestuft70. Andere weisen darauf hin, dass auch einzelne Unterlassungen der Offenlegung Teil eines Gesamtplanes sein könnten und damit als Ganzes als Missbrauch angesehen wer-den müssen71. Ferner könnten die Teilnehmer des SSO- Ver-fahrens zur Garantie unverfälschten Wettbewerbs und damit von vornherein zur Offenlegung verpflichtet sein72. Eine solche Garantenstellung wurde bisher aber nur nach Art. 101 AEUV angenommen73. Auch finden bei Patenthinterhalt nicht mehrere Missbräuche statt, sondern es wird die SSO- Pflicht zur Offen-legung verletzt74. Daher ist die Verletzung nicht missbräuch-lich. Auf eine Modifizierung des Marktmachterfordernisses kommt es folglich nicht an.

b) Missbrauch durch Privateers oder Patentpool

Bei Privateers und Patentpools stellt sich dies Problem nicht. Ihre relevanten Handlungen entstehen erst nach Standardset-

68 Petritsi, World Com. 2005, 34 ff. 69 Geradin/Rato, ECJ 2007, 160. 70 Staniszewski, JIPLP 2007, 676; berufend: EuGH, v. 6.10.1988, Rs. C-238/87 – AB Volvo v Erik Venk UK Ltd, Rn. 8. 71 Fischmann, GRUR Int. 2010, 192. 72 Loest/Bartlik, ZWeR 2008, 52. 73 Dreher, ZWeR 2008, 288, 290. 74 Brakhahn, Manipulation eines Standardisierungsverfahrens durch Paten-thinterhalt und Lockvogeltaktik, Europäische Hochschulschriften, Reihe 2: Rechtswissenschaft Bd. 5560, Frankfurt/Main 2014 , 172; dagegen: PICHT, 480.

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zung. In Betracht kommen zunächst missbräuchliche Lizenz-verträge, auf die zwar Art. 102 AEUV anwendbar ist, aber die nicht Inhalt dieses Beitrags sind.

Darüber hinaus verwendet ein Privateer präventiv vor Li-zenzverhandlungen Abmahnungsstrategien, welche einen Missbrauch begründen könnten. Ein solches Verhalten kann auch der Pool75 aufgrund der gepoolten SEPs begehen.

Ob ein solcher Missbrauch durch die Geltendmachung von SEPs vorliegt, bestimmt sich danach, ob der Beklagte dem Anspruch den sog. Zwangslizenzeinwand nach Art. 102 AEUV entgegenhalten kann. Anwendbares Recht wäre in einem sol-chen Unterlassungsverfahren das Recht des Schutzlands76. Bei einem deutschen Patent ist die Anwendbarkeit des Zwangsli-zenzeinwandes, gerichtlich mit „Orange-Book“77 bestätigt und neben § 24 PatG anerkannt78. Die gerichtliche Geltendmachung des SEPs als Ausschließlichkeitsrecht ist noch nicht miss-bräuchlich. Es müssten also weitere Umstände hinzukommen, die die Anwendung des Missbrauchstatbestands rechtfertigen79. Ein gültiges SEP wie GSM, 3G, 4G, LTE im Rockstar- Portfo-lio könnte auf dem Produktemarkt ein Erzeugnis verhindern. Diese Verhinderung wäre bei Geltendmachung aber gerechtfer-tigt. Zwar sind die Anforderungen an ein Angebot des Lizenz-suchers derzeit strittig und die Entscheidung des EuGH noch abzuwarten. Dass aber gar kein vorheriges Angebot ausreichen könnte, ist eher unwahrscheinlich80. Da ein Privateer aber gerade wahllos abmahnt, dürfte kein Angebot zum Lizenzver-trag des Beklagten vorliegen.

Sollte der Zwangslizenzeinwand dennoch greifen, etwa bei einem Pool, fehlt es an einer generellen Abschreckungswir-kung, da das einzige Prozessrisiko des Klägers in der Gewäh-rung einer angemessenen Lizenz liegt. Bereits die Erhebung der Unterlassungsklage hat erhebliches Schädigungspotenzial beim Beklagten, führt doch die drohende Unterlassungsverfü-gung in den meisten Fällen zur Einstellung des Unterfangens und zu womöglich vernichtenden wirtschaftlichen Schäden81. Langwierige Prozesse und etwaige Schadensersatzforderungen verleihen schon der Klageerhebung zusätzlich Drohpotenzial82.

3. Würdigung

Ein wirksamer Ausgleichsmechanismus müsste daher mög-lichst früh in der Wertschöpfungskette greifen. Fällt der Inno-vationswettbewerb bei Standardsetzung schon aus dem An-wendungsbereich, so kann eine marktbeherrschende Stellung bzw. eine Marktzutrittsschranke auf dem Technologiemarkt schwer nachgewiesen werden. Selbst der prozessuale Aus-

75 Die Unternehmen; der Pool selbst, sofern als juristische Person organisiert; Komm. Fn. 7, Rn. 244. 76 Pitz, Patentverletzungsverfahren. Grundlagen – Praxis – Strategie, 2. Aufl., München 2010, Rn. 236. 77 BGH v. 06.05.2009 – KZR 39/06, Rn. 26; zum damaligen Streitstand: Rn. 24 und 25. 78 BGH GRUR 2004, 967 - Standard- Spundfass. 79 Gastner, Schröter/Thinman/Mederer, Kommentar, 2. Auf., Baden-Baden, 2014, Art. 101 AEUV, Rn. 1021 (zit. NK-). 80 LG Düsseldorf, GRUR Int. 2013, 552. 81 Barthelmeß/Gaus, WuW 2010, 633. 82 Heyer, GRUR Int. 2011, 214.

gleich greift bei Privateers oft zu kurz und führt im Ergebnis zu einer angemessenen Lizenz.

Ebenso kann bei Patenthinterhalt zwar die Verwertung regu-liert, nicht aber die ursprünglich missbräuchliche Durchsetzung verhindert werden. Dahingehend sind auch die Vorschläge aus der Literatur zu verstehen, die neue Verwertungsmodelle für den Fall des Patenthinterhalts anregen wie niedrigere Lizenz-gebühren nach Patenthinterhalt oder ein transparenteres Lizen-zierungsverfahren83.

Art. 102 AEUV ist damit auf die Verwertungshandlung an-gelegt. So hat die Kommission nach Art. 9 VO 1/2003 die Möglichkeit, bei Verpflichtung zu angemessener Lizenzierung von der kartellrechtlichen Sanktion abzusehen84. Auch beför-dert ein Mangel an Offenlegung vor allem sog. hold-up Strate-gien. Das Tätigen von Investitionen in Erwartung des Stan-dards aber und die anschließende Ausnutzung dieser Abhän-gigkeit des investierenden Unternehmens durch den SEP- In-haber ist durch Lizenzregulation zu verhindern85.

III. Kontrolle durch Kartellverbot, Art. 101 AEUV

Zweiseitige Verhaltensweisen könnten bei einem Patentpool, bei Standardsetzung oder im Beispielsfall Rockstar zu spürba-ren Wettbewerbsbeschränkungen führen.

1. Koordinierung, Art. 101 I AEUV

Es müsste eine Koordinierung mindestens zweier Unternehmen über ein zukünftiges gemeinsames Auftreten am Markt vorlie-gen86. Eine Standardsetzung zwischen Unternehmen in einer SSO und Errichtungsvereinbarungen von Pools erfüllen diese Voraussetzung.

Bei Privateers könnte eine Koordinierung mit den investie-renden Unternehmen vorliegen. Zwischen diesen könnte aber ein Beherrschungsverhältnis bestehen, sodass nicht unabhängi-ge Unternehmen am Markt tätig wären. Folglich würde das sog. Konzernprivileg greifen87. Ein Beherrschungsverhältnis setzt die Möglichkeit zur Einflussnahme voraus. Dies wird bei Anteilsmehrheit, § 17 II AktG, oder bei vertraglichem Beherr-schungsvertrag vermutet. Bei Rockstar könnte dafür Indiz sein, dass systematisch nur Android nutzende Unternehmen verklagt werden und Apple den Kauf der Nortel- Patente zu überwie-gendem Anteil finanziert hat. Dies würde für ein Beherr-schungsverhältnis und das Konzernprivileg sprechen. Ob ein koordiniertes Verhalten nach Art. 101 I AEUV oder ein Be-herrschungsverhältnis vorliegt, ist eine Beweisfrage. Wird letzteres abgelehnt, dann stellen sich für die Annahme von Koordinierungen zwischen Rockstar und Apple die gleichen Beweisprobleme. Zumindest nach eigenen Angaben handelt Rockstar eigenständig. Art. 101 AEUV ist daher mangels an-ders gelagerter Beweise nicht auf Privateers anwendbar.

83 Schnelle, GRUR- Prax. 2010, 170. 84 Rambus: Komm., Pressemitteilung v. 9.12.2009, IP/09/1897; vgl.: Klees, EuZW 2010, 161. 85 Dorsey, Col. Sc. & Tech. L. R. 2013, 129; Scott Miller, Ind. L. R. 2007, 366 f. 86 Weiß, Callies/Ruffert, Art. 101 AEUV, Rn. 47. 87 Lettl, Kartellrecht, 3. Aufl., München 2013, § 2 Rn. 22.

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2. Wettbewerbsbeschränkung

Mit Koordinierung müsste nach Inhalt und Ziel der Hand-lung eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten Markt bezweckt oder bewirkt werden88. Durch Standardsetzung und die Schaffung eines Pools zur Verwertung des Standards kön-nen der Wettbewerb zwischen den Vertragsparteien verringert und alternative Technologien ausgeschlossen werden89. Eine Wettbewerbsbeschränkung liegt vor.

3. Spürbarkeit und Zwischenstaatlichkeit

Bei Annahme von Marktmacht ließe sich bei Vereinbarung eines internationalen Mobilfunkstandards mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vermuten, dass zumindest potenziell der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten betroffen ist90. Dies wäre aufgrund der Marktmacht durch SEPs91 auch spürbar. Das ist genauso wie bei Art. 102 AEUV eine Beweisfrage.

4. Ausnahmen vom Kartellverbot, Art. 101 III AEUV

Eine Freistellung des SSO- Verfahrens oder eines Pools ist möglich, wenn Vorteile für Verbraucher, Produkte und Fort-schritt überwiegen, Art. 101 III AEUV.

a) Freistellung des Standardisierungsverfahrens

Standardsetzung gilt zwar als grundsätzlich wettbewerbsför-dernd und wird generell freigestellt.

Die Kommission könnte jedoch im Rahmen der Freistellung Offenlegungspflichten als interne Verfahrensregeln verlangen, obwohl diese zu den IPR- Policies der SSO gehören92. Dadurch könnte einem Patenthinterhalt, der nicht von Art. 102 AEUV erfasst ist, vorgebeugt werden. In der SSO ETSI kam es zur Verletzung von Offenlegungspflichten, da das ETSI-Mitglied Sun Teile der Patente mit Relevanz für den neuen Standard GSM 03.19 nicht offenlegte93. Nach Bekanntwerden verlangte die Kommission eine Änderung der Verfahrensregelungen von ETSI. Dabei leitete sie ein Verfahren, gestützt auf Art. 101 AEUV, ein. Anschließend implementierte ETSI die Vorschläge der Kommission im SSO- Verfahren94. Damit waren die fol-genden Verfahren der Standardisierung von ETSI wieder nach Art. 101 III AEUV freigestellt. Somit kann die Kommission Einfluss auf Verfahrensvorschriften nehmen.

b) Freistellung eines Patentpools

Der Patentpool könnte bereits durch die TT-GVO freigestellt sein. Mangels Herstellungselement und der Vereinbarung von

88 Komm., Fn. 18, Rn. 25. 89 Komm., Fn. 7, Rn. 246. 90 EuGH, Rs. 5/69 – Völk, Rn. 7; Angleichung von Spürbarkeit und marktbe-herrschender Stellung, Aicher/Schuhmacher u.a., Grabitz/Hilf, Art. 81 EGV, Rn. 514. 91 Zimmer, Fn. 37, Art. 101 AEUV, Rn. 217. 92 Durch Setzung von Leitlinien etwa, Freistellung selbst erfolgt nicht durch Einzelfallentscheidung, Chiao/Lerner/Tirole, Rand J. Ec. 2007, 907 ff. 93 Picht, 127. 94 Komm., Pressemitteilung v. 12.12.2005, IP/05/1565.

mehr als zwei Unternehmen (Art. 1 c) TT-GVO) ist dies aber nicht der Fall95.

Daher ist auf Art. 101 III AEUV abzustellen. Positive Effek-te des Pools wie etwa Kostensenkung durch zentrale Lizenz-vergabe96 führen zu Verbesserung der Warenerzeugung und dienen dem Fortschritt. Preiskartelle und Ausschluss alternati-ver Technologien haben gegenteilige Wirkung97. Das Über-wiegen positiver oder negativer Effekte hängt entscheidend an der gepoolten Technologie. Dies bestimmt daher über die Frei-stellung.

Dafür lassen sich die Leitlinien zur TT-GVO heranziehen98, die auf die Förderung der Innovation durch Anreize für For-schung und Entwicklung abzielen99. Dafür entwirft die Kom-mission einen „Safe-Harbour“ für einen Technologiepool, also eine garantierte Freistellung.

Dies gilt für wesentliche Technologie100. Darunter fällt sol-che, die innerhalb und außerhalb des Pools kein wirtschaftlich oder technisch mögliches Substitut hat101. Solange ein SEP Patentschutz genießt und eine nicht ersetzbare Technologie schützt, kann der Pool freigestellt werden. Dass tatsächlich SEPs gemeint sind, ergibt sich auch aus einem Umkehrschluss aus der Abgrenzung zu „nichtessentiellen Technologien“102.

Neu eingeführt ist, dass der Pool offen sein muss. Sensible Information darf nur eingeschränkt ausgetauscht. Nicht- Ex-klusivlizenzen zwischen Pool und Inhaber sowie Lizenzen zwischen Pool und Dritten nur nach FRAND- Bedingungen vergeben werden dürfen. Die Gültigkeit der SEPs muss über-prüfbar bleiben103. Der Ausschluss von Wettbewerbern soll damit verhindert werden. Die Beschränkung des Informations-austausches soll Missbräuche im Verfahren und sog. over dec-larations verringern104. Damit sollen Wettbewerber zur Partizi-pation und zur Lizenzierung ihrer Patente durch den Pool nach Standardsetzung durch garantierte Freistellung motiviert wer-den105. Denn ein Pool basiert auf Freiwilligkeit106. Soll dieser aber gerade seine positiven Effekte wie das „one-stop-shop“- Prinzip verwirklichen, müssen alle SEPs durch die Inhaber an den Pool gegeben werden.

Dass diese Lizenzen ferner nicht exklusiv sein dürfen, dient der Abgrenzung zu Privateers, die die Patente exklusiv erhal-ten. Durch die Möglichkeit zur ständigen Überprüfung der gepoolten SEPs kann neue Technologie auf den Markt kom-men107. Die Kommission ermöglicht damit, über Privilegierun-

95 Komm., Fn. 7, Rn. 247; Erwäg. 7, VO 316/2014. 96 Komm., Fn. 7, Rn. 245 ff.; Pfaff/Osterrieth, Rn. 214. 97 Farrell/Hayes/Shapiro/Sullivan, Anti. L. J. 2007, 614. 98 Komm., Fn. 7, Rn. 57; Frenz, EuZW 2014, 534. 99 Komm. EuZW 2014, 284; Besen/Slobodenjuk, GRUR 2014, 741; gefordert: Heyers, GRUR Int. 2011, 222. 100 Komm., Fn. 7, Rn. 261 b. 101 Komm,. Fn. 7, Rn. 252. 102 Komm., Fn. 7, Rn. 262; weniger deutlich: Komm. Leitlinien zu Technolo-gietransfer- Vereinbarungen, C(2013) 924 draft, Rn. 245: „nichtwesentliche“. 103 Komm., Fn. 7, Rn. 261. 104 Dorn, 107 ff. 105 Safe Harbour, auch bei Lizenzen, Müller/Henke, GRUR 2014, 663 f. 106 Fröhlich, GRUR 2008, 216. 107 Kriegel, Wash. U. L. R. 2006, 223.

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gen auf dem Technologiemarkt auch den Innovationswettbe-werb zu fördern.

Mit berücksichtigt werden typische IPR- Policies wie die Einschaltung von Sachverständigen und die Etablierung von Streitbeilegungsverfahren108. Somit entsteht ein starker Anreiz zu deren Einhaltung auch durch Auferlegung von Bußgeldern durch die SSO. Diese verhindert damit kartellrechtliche Sank-tionen und wird für Unternehmen interessant.

Im Safe Harbour ist der Pool freigestellt, was der Kommis-sion die Durchsetzung von wettbewerbspolitischen Zielen bei SEPs ermöglicht.

5. Würdigung

Trotz des möglichen Einflusses auf die Verfahrensvorschriften einer SSO zur Verhinderung eines Patenthinterhalts oder der Begrenzung negativer Pooling – Effekte bleiben die Folgen begrenzt109. Verfahrensvorschriften können nur als nicht rechtsverbindliche Codes of Conduct vorliegen110. Ein Scha-densersatzanspruch der SSO aus einem Gesellschaftsvertrag kann nach § 280 I BGB gegen den Verletzer bestehen111, als inter alia Pflicht aber nicht gegenüber Dritten. Ob die Patente tatsächlich standardessentiell sind, ist auch nicht überprüfbar. Besonders nach Patenthinterhalt wäre die Forderung nach Standardrücknahme effektiver. Wegen der dann verlorenen Entwicklungskosten und der log-in Effekte, die am Markt an den Standard binden112, ist dies angesichts einer unterlassenen Offenlegung eines Patents nicht interessengerecht.

Durch mehr Bereitschaft zur Partizipation, dem Ziel des Sa-fe Harbours, könnten Missbräuche verringert werden113. Sind die Verfahren attraktiver für Wettbewerber, kann das Prinzip des „one-stop-shop“ verbessert werden, da die Wahrschein-lichkeit der freiwilligen Lizenzierung wächst. Denn wegen des Bedarfs zahlreicher SEPs zur Standardimplementierung ist Pooling wirtschaftlich sinnvoll114. Der dem Safe Harbour ent-sprechende Pool hat also Ausgleichsfunktion für Schwachstel-len des SSO- Verfahrens. Insofern lässt sich ein kartellrechtli-ches Regulativ festmachen. Dieses ist jedoch wegen der blei-benden Freiwilligkeit der Teilnahme begrenzt.

D. Fusionskontrolle als Ausgleichsmechanismus nach Standardsetzung

Wenn, wie gezeigt, das Marktverhalten schwer greifbar ist, könnte bereits die Entstehung eines Privateers durch die Fusi-onskontrolle zu regulieren sein. Die Fusionskontrolle ist dabei Gegenspieler zur Verhaltenskontrolle und will die Marktstruk-tur als solche schützen. Daher könnte sie angemessenes Kon-trollinstrument sein. Dabei sollen die kritischen Punkte in Kür-ze dargestellt werden. Beispielhaft ist das Verfahren Motorola

108 Komm., Fn. 7, Rn. 265, 258. 109 Einfluss notwendig: Stadheim, Alb. L. J. Sc. & Tech. 2009, 485. 110 Etwa ECMA, Übersicht: Brakhahn, 112. 111 Maaßen, 705. 112 Staniszewski, JIPLP 2007, 670; Blind/Pohlmann, GRUR 2014, 715. 113 Tsilas, Hav. J. L. & Tech. 2004, 500. 114 Früh, 236.

Mobility/Google zu nennen, in dem die Kommission den Er-werb von SEPs gestattete.

I. Aufgreifkriterien

1. Unternehmenszusammenschluss, Art. 3 FKVO

Zwischen den Unternehmen,115 etwa Rockstar und Nortel, müsste ein Zusammenschluss nach Art. 3 FKVO vorliegen116. Dafür gelten, anders als für die deutsche Fusionskontrolle, qualitative Kriterien117.

a) Voraussetzungen von Art. 3 FKVO

Auf das Beispiel Rockstar angewandt, müsste das Unterneh-men mit rund 6000 erworbenen Patenten die Möglichkeit zur bestimmenden Einflussnahme haben. Dabei ist ein Kontroller-werb i.S.v. Art. 3 I b) FKVO bereits an einem Unternehmens-teil möglich118, sofern dieser eigenen Umsatz und rechtliche Selbstständigkeit hat119. Dass Rockstar etwa nicht alle Unter-nehmensteile von Nortel kaufte, sondern nur große Teile des Patentportfolios, schadet demnach nicht. Fraglich ist weiter, wer Erwerber im Falle Rockstar wäre. Dies bestimmt sich nach Art. 3 I b) FKVO. Ein Privateers wie Rockstar könnte ein eigenes Unternehmen sein oder mit Apple, Microsoft, Sony, Ericsson und Blackberry in einem Mutter-Tochter-Verhältnis stehen. Dies würde eine 10%-ige Beteiligung der Mutter an der Tochter voraussetzen120. Dies ist wohl nicht beweisbar. Weil einige Nortel- Patente nach dem Erwerb an Google verkauft wurden121, könnte Google, nicht Rockstar Erwerber sein. Der Zwischenerwerb durch Rockstar und der Weiterverkauf hätten jedoch vorab rechtsverbindlich festgelegt werden müssen122. Dies ist nicht erkennbar. Rockstar ist also Erwerber.

b) Problematisch: das Kontrollmittel

Im Falle des Erwerbs von SEP ist jedoch das Kontrollmittel zur Eröffnung des Anwendungsbereichs der FKVO problematisch. Nach Art. 3 II 3. HS FKVO setzt Kontrolle die bestimmende Einflussnahme voraus. Die Möglichkeit (2.HS) der Ausübung über Rechte, Verträge und faktische Mittel ist durch Gesamt-schau aller Umstände zu ermitteln123. Unter einen Vermögens-erwerb nach Art. 3 I lit. a) FKVO (Asset Deal) fallen durch Übertragung124 oder Lizenzierung125 auch Patente126. Diese

115 Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 8. 116 Umsatzschwellen i.S.v. Art. 1 II FKVO dürften erreicht sein, damit ist FKVO vor §§ 37 ff. GWB anwendbar. 117 Unterschiede wegen Abweichungen in Mitgliedsstaaten, vgl. Hirsbrun-ner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 1. 118 Jaglarz, Die fusionskontrollrechtliche Behandlung von Immaterialgüter-rechtsakquisitionen im US-amerikanischen, europäischen und deutschen Recht, Osnabrücker Schriften zum Wirtschafts- und Unternehmensrecht Bd. 16, Frankfurt 2012, 209. 119 Quark, Vermögenserwerb als Zusammenschlusstatbestand in der Fu-sionskontrollverordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Dezember 1989, in: Loewenheim/Raiser (Hg.), Festschrift für Fritz Traub, Frankfurt 1994, 321-330, 323. 120 Art. 3 RL 90/435/EWG. 121 http://www.heise.de/mac-and-i/meldung/Apple-erwirbt-ueber-1000-Patente-von-Rockstar-Patentgemeinschaft-1751292.html (abgerufen: 24.11.2014). 122 Komm., Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen, 2009/C 43/09, Rn. 31. 123 Henschen, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 963 f. 124 Erwerb des Vollrechts nach Art. 3 II a) 1. Alt. FKVO.

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müssten einen Geschäftsbereich bilden, dem ein Marktumsatz zuzuordnen ist127. Grund dafür ist, dass erst mit Leistung an Dritte strukturelle Veränderung der Marktbedingungen eintre-ten, die eine Anwendung der FKVO rechtfertigt128. Microsoft etwa übernahm mit Nokia auch Verkauf und Produktion von Feature- Phones129.

Problematisch ist die Übertragung rein immaterieller Assets. Statt eines Geschäftsbereichs verlangt die Kommission dann Exklusivlizenzen auf einem Gebiet mit umsatzgenerierender Tätigkeit130. Rockstar erwarb lediglich die Patente ohne um-satzgenerierende Tätigkeit. Danach wäre die FKVO unan-wendbar. Zweck dieser Einschränkung ist, dass der Erwerber in die bestehende Markstellung des Veräußerers eintreten soll, welcher ausscheidet131. So würde der Erwerb zur weiteren Marktkonzentration beitragen. Dies wäre anzunehmen, wenn die immateriellen Güter Marktbedeutung hätten. Für das Krite-rium spricht, dass die Kommission wegen der Beurteilungs-schwierigkeiten im Fall des Erwerbs rein immaterieller Assets von Unternehmensteilen in einer Gesamtschau auf den wirt-schaftlichen Gehalt des Zusammenschlusses abstellt132. Rechtsvergleichend könnte die Figur des loss of going concern hinzugezogen werden133. Scheidet der Veräußerer also aus dem relevanten Markt aus, kommt es zur Verschiebung von Markt-strukturen. SEPs gültiger Mobilfunkstandards sind Güter mit großer Marktbedeutung, denn sie sind in der Lage, die Imple-mentierung eines Standards zu verhindern. Dies spricht dafür, den Kauf von SEPs mit der Übertragung des Geschäftsbereichs gleichzusetzen134. Zahlreiche SEPs wären Kontrollmittel über einen Teil des Nortel-Konzerns.

II. Eingriffsvoraussetzungen, Art. 2 FKVO

Der Zusammenschluss müsste mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sein, sog. SIEC- Test135.

1. Relevanter Markt

Der Umfang des relevanten Marktes könnte durch die Zielrich-tung der FKVO von dem der Verhaltenskontrolle abwei-chen136. Nach der Kommissionspraxis ist dabei der Verwen-dungszweck maßgeblich137. Ein SEP kann auf dem Technolo-

125 Art. 3 II lit. a 2. Alt. FKVO, als Exklusivlizenzen: Strohmayr, GRUR 2010, 584. 126 Komm., Bekanntmachung zum Zusammenschlussbegriff, 98/C 66/02, Rn. 11; Komm. nur bezüglich „Marken oder Lizenzen“, nicht abschließende Aufzählung, Komm., Fn. 122, Rn. 24. 127 Hirsbrunner/Rating, NK- Art. 3 FKVO, Rn. 16. 128 Henschen, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1045. 129 Komm., EuZW 2014, 85; damit FKVO wegen Nichtexklusivlizenzen nicht auf Pools anwendbar, vgl. zur Freistellung: Komm., Fn. 7, Rn. 261 d). 130 Komm., Fn. 122, Rn. 24. 131 Henschen, Rn. 1046. 132 Henschen, Rn. 1046. 133 Sec. 7 Clayton Act; JAGLARZ, 291. 134 Jaglarz, 211 f.; damit wesentlicher Teil; Streit vgl.: Immenga/Körber, Fn. 37, Art. 3 FKVO, Rn. 51 m.w.N.; nicht: Heinemann, 523. 135 Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 8 f. 136 Komm., Definition des relevanten Marktes, 97/C 372/03, Rn. 12. 137 Keine Definition in FKVO: Rösler, NZG 2000, 762.

gie- oder Produktemarkt eingesetzt werden138. Auf dem Tech-nologiemarkt stellt die Kommission nicht auf den Standard, sondern auf das einzelne SEP ab139. Diese Reduktion ist sach-gerecht, da der Zusammenschluss von Unternehmen durch einzelne Assets und nicht durch den ganzen Standard ge-schieht. Denn das Unternehmen hat nur einzelne SEPs inne. Auf dem Produktemarkt entstehen Abgrenzungsschwierigkei-ten zwischen den Implementierungen der SEPs in den Produk-ten. Grundsätzlich besteht ein Markt für mobile devices140. Für Rockstar wäre nur der Technologiemarkt relevant.

2. Marktbeherrschende Stellung, Art. 2 III FKVO

a) Marktanteil

Kriterium für Marktmacht (Art. 2 III FKVO) des Unterneh-mens ist der Marktanteil, der sich an der Zahl und der Bedeu-tung der Wettbewerber misst141. Zwar besteht keine Marktbe-herrschungsvermutung, dennoch spricht ein Marktanteil von unter 25% gegen Marktmacht142. Die Kommission verglich das Portfolio von Google post-merger etwa mit dem des Wettbe-werbers Sony143. Rockstar wäre noch unbedeutender als Google. Marktmacht ist aber schwer am SEP zu messen144.

b) Marktzutrittsschranken

Ein Wettbewerbshindernis kann durch Zutrittsschranken ent-stehen. Anders als bei der Verhaltenskontrolle müssen diese nicht Marktmacht statuieren, sondern es müssen post-merger signifikante Wettbewerbsbeschränkungen eintreten.

aa) Wahrscheinlichkeit von Markeintritten

Diese abschottende Wirkung könnte sich an der Wahrschein-lichkeit des Marktzutritts anderer Wettbewerber messen145. Google könnte nach Erwerb Android nur noch in eigenen End-geräten, den ursprünglichen Motorola Geräten, implementie-ren146. Google generiert hauptsächlich durch Online-Dienste Einkommen. Dazu muss Android möglichst weit verbreitet sein147. Trotz Smartphones von Google können neue und be-stehende Hersteller Android nutzen. Der Zugang zum Betriebs-system und damit der Zugang zum Smartphone- Markt wird also nicht entscheidend versperrt. Durch die Abmahnstrategie von Rockstar und das fehlende Interesse an Lizenzierung könn-ten aufgrund fehlender Substituierbarkeit der SEPs Zutritts-schranken entstehen. Wettbewerber wären am Markteintritt gehindert.

138 Zwischen horizontalen, vertikalen und konglomeraten Zusammenschlüssen zu trennen; meist verbunden und gleiche Zielrichtung der Beurteilung post-merger, Ritter/Dreher/Kulka, 1414 ff. 139 Komm., Fn. 14, Rn. 53. 140 Komm., Fn. 14, Rn. 73. 141 26. Erwäg. FKVO; Montag/Kacholt, Dauses, Handbuch des EU- Wirtschaftsrechts. Band 1, München 2014, § 4 Rn. 73. 142 32. Erwäg. FKVO. 143 Komm., Fn. 14, Rn. 110. 144 S. B.II.1.c)aa). 145 Zeise, Schulte, Fusionskontrolle, 2. Auflage 2009, Rn. 1348. 146 Komm., Fn. 14, Rn. 111. 147 Komm., EuZW 2012, 165.

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Dennoch ist der schnell wachsende Mobilfunkmarkt für po-tenzielle Wettbewerber sehr rentabel148. Dies schwächt das blockierende Verhalten von Rockstar ab. Auch ist Rockstar kein etablierter Wettbewerber, der den Wettbewerbsdruck derart verringert, dass der Eintritt für andere Wettbewerber wegen des Erwerbs der SEPs unrentabel würde. Trotz des Zusammenschlusses besteht noch potenzieller Wettbewerb. Dies spricht gegen wirksame Marktzutrittsschranken.

bb) Förderung weiterer Wettbewerber

Würden durch den Zusammenschluss Newcomer ermöglicht, würde das den Wettbewerb bestärken, statt zu beschränken149. Dennoch waren Newcomer nach bisheriger Kommissionspraxis nicht ausreichend zur Verneinung von Marktzutrittsschran-ken150. Mit Erwerb erhalten Microsoft und Google erstmals Mobilfunkpatente und hardware- Produktion151 und können Smartphones herstellen. Dies betrifft allein den Produktemarkt, weshalb dies nicht berücksichtigt wird. Berücksichtigung fin-det, ob die Bereitschaft von Google zur Lizenzierung abneh-men oder verstärkt würde, da insofern Google durch Inhaber-schaft der SEPs neuer Wettbewerber ist. Dies wird zwar ver-neint152. Bei einem Privateer würde jedoch Gegenteiliges gel-ten, denn Lizenzbereitschaft an den erworbenen assets besteht gerade nicht. Dies spräche für Beschränkungen des potenziel-len Wettbewerbs post-merger.

Ob durch Verhinderung von Newcomern also doch Markt-zutrittsschranken anzunehmen wären, kann offen bleiben, wenn es an der Kausalität nach Art. 2 III FKVO fehlt oder Abhilfemaßnahmen vorliegen.

c) Kausalität, Art. 2 III FKVO

Der Zusammenschluss zwischen Rockstar und Nortel ist nach Art. 2 III FKVO nicht zu untersagen, wenn das wettbewerbs-schädliche Verhalten nicht kausal aus dem Zusammenschluss folgt (not merger specific153)154. Nicht kausal ist unabhängiges Unternehmensverhalten155. Da etwa Nokia das Mobilgerätege-schäft mit Verkauf aufgab, könnte auch Nokia die SEPs zu Verletzungsklagen nutzen. Denn nach Zusammenschluss mit Microsoft blieben die SEPs bei Nokia, Microsoft erhielt nur für 30.000 SEPs eine Nicht-Exklusivlizenz156. Daher versicherten Microsoft und Nokia, keine Absprachen bezüglich des Um-gangs mit den Nokia- SEPs getroffen zu haben157. Nokia würde bei Abmahnung aufgrund eigener SEPs eigenständig handeln.

148 Montag/ v. Boning, Hirsch/Montag/Säcker (Hg.), Münchner Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht). Band 1: Europäisches Wettbewerbsrecht, München 2007, Art. 2 FKVO, Rn. 290 (zit. MüKo). 149 Hacker, NK-Art. 2 FKVO, Rn. 201. 150 Montag/ v. Boning, MüKo, Art. 2 FKVO, Rn. 296. 151 Besonders: WiFi, LTE, UMTS, Komm., Fn. 14, Rn. 7, 62. 152 S. C.II.2.b)aa). 153 Etwa: Komm., Fn. 156, Rn. 261. 154 Zeise, Rn. 1467. 155 Komm., Fn. 156, Rn. 224 f.; 244 (Durchsetzung von SEPs nach der Fusion), 250 (möglicher Anstieg der Gebühren), 258, 261. 156 Komm., Case No COMP/M.7047 – Microsoft/Nokia, Rn. 3 f.; d.h. kein Kontrollmittel; C.I.1.c). 157 Komm., Fn. 156, Rn. 263.

Auf die Kausalität, auch failing company defence, kommt es aber nur in der Sanierungsfunktion an158. Nokia schied wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit aus dem Mobilfunkmarkt post-merger aus. Rockstar aber kaufte die SEPs aus der Insol-venzmasse159 von Nortel. Damit schied Nortel nicht erst in naher Zukunft160 aus dem Markt, sondern war bereits ausge-schieden. Da Rockstar nicht zwangsläufig der Nortel- Marktan-teil zugewachsen wäre, ist das Verhalten post-merger auf den Zusammenschluss rückführbar.

d) Abhilfemaßnahmen

Ein Zusammenschluss kann auch dann nicht nach Art. 2 III FKVO untersagt werden, wenn sich die Parteien zu Abhilfe-maßnahmen verpflichten. Zwar zielt die Fusionskontrolle hauptsächlich auf strukturelle Maßnahmen zur Wettbewerbssi-cherung.161 Dennoch sind Verhaltenszusagen anerkannt162. Diese Privilegierung des Zusammenschlusses ist besonders bei SEPs sachgerecht. Denn dadurch kann die Verwertung der SEPs etwa durch FRAND- Verpflichtung erreicht werden. Ohne den fraglichen Zusammenschluss würden die SEPs näm-lich ohne Verwertungspflicht beim Veräußerer bleiben.

Google etwa verpflichtete sich zu FRAND-Lizenzen163 ebenso wie Nokia164. Rockstar sicherte zu, die SEPs aus dem Nortel- Portfolio nicht für Unterlassungsklagen zu verwen-den165. Damit war eine Genehmigung durch die amerikanische Kartellbehörde möglich. Da die spezifische Wirkung mögli-cher Zutrittsschranken dadurch entfällt, könnte dies auch von der Kommission angenommen werden.

III. Würdigung

Ist das Vorliegen von Markzutrittsschranken schon fraglich, ist bei einer Abhilfemaßnahme die Untersagung des Zusammen-schlusses nicht mehr gerechtfertigt. Wird durch den Zusam-menschluss negatives Verhalten ermöglicht, verweist die Kommission auf Art. 101, 102 AEUV166. Die Entstehung eines Privateers wird also nicht verhindert.

Die Patenthäufung bei Unternehmen wie Google oder Apple könnte aber deshalb nicht wünschenswert sein, da beispielwei-se der Kauf von Motorola durch Google hauptsächlich dazu diente, Gegenklagen gegen Rockstar anzustrengen. Handelt es sich dabei schon um unabhängiges Unternehmensverhalten, muss sich die Bewertung der Fusion auf den dafür relevanten Markt beziehen. Obwohl Google durch den Ankauf von Paten-ten nunmehr auch Smartphones herstellt und der Konzern als solcher sich vergrößert, kann nur der Markt des SEPs berück-sichtigt werden. 158 Zeise, Rn. 1468. 159 http://www.justice.gov/opa/pr/statement-department-justice-s-antitrust-division-its-decision-close-its-investigations (abgerufen: 25.10.2014). 160 Komm., Leitlinien horizontale Zusammenschlüsse, 2004/C 31/03, Rn. 89 ff.; trotz Lockerungen bestehend: Zeise, Rn. 1476. 161 Komm., Mitteilung über zulässige Abhilfemaßnahmen, 2008/C 267/01, Rn. 15. 162 EUG, Slg. 1999, II-753 - Gencor/Kommission, Rn. 319. 163 Komm., Fn. 14, Rn. 9. 164 Komm., Fn. 156, Rn. 244 ff. 165 Camesasca/Langus/Neven/Treacy, J. Com. L. & Ec. 2013, 286. 166 Komm., Fn. 14, Rn. 111.

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Ferner ist das Wohl des Verbrauchers Maßstab für die Beur-teilung des Zusammenschlusses. Dem ordnet sich die Beurtei-lung des potenziellen Wettbewerbs unter167. Ein Zusammen-schluss kann Qualität und Quantität der Innovationen för-dern168. Dies wäre zum Wohle der Verbraucher. Damit werden Zusammenschlüsse grundsätzlich nicht allzu restriktiv behan-delt. Dies ist auch sachgerecht, da die Vorhersage künftiger Marktverhältnisse schwer ist169. Gegen eine Erweiterung der Befugnisse der Kommission zu restriktiveren Fusionskontrol-len spricht auch die Vertragsfreiheit der Unternehmen i.S.v. Art. 16 GRCh170.

E. Abschließende Betrachtungen

Grundidee des Patentschutzes ist, dem Erfinder eine angemes-sene Vergütung für seine Leistungen verschaffen. Auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit von Unternehmen übertragen, soll durch die Möglichkeit zur Patentierung der Innovation eine Refinanzierung gesichert werden.

Mit Standardsetzung aber wird zwischen konkurrierender Technologie ausgewählt und somit deren Wettbewerb beendet. Da die Implementierung von Standards für die Kaufentschei-dung relevant ist, benötigen Unternehmen Lizenzen für die SEPs. Dabei ist die Verwertung im Technologiepool wirt-schaftlich sinnvoll. Jedoch kommt es zu ungewollter Ausnut-zung dieser Privilegierung, wenn Wettbewerber ausgeschlos-sen werden oder alte Technologie gepoolt wird. Denn dann verliert sich der Anreiz für Investitionen in Forschung und Entwicklung, weil die Refinanzierung versperrt ist. Daher ist die Freistellung eines Pools an wettbewerbsschützende Krite-rien zu binden.

Verläuft aber schon die Standardsetzung missbräuchlich, ist zweifelhaft, ob sich die beste verfügbare Technik durchsetzt. Kartellrechtlich bedenklich ist insbesondere der Patenthinter-halt; dieser fällt nicht unter Art. 102 AEUV. Die Prävention

167 Werden, Consumer welfare and competition policy, in: Drexl/Kerber/Podszun (Hg.), Competition Policy and the Economic Approach, Cheltenham/Northampton 2011, 11-43, 17; international: „total welfare“, Evans, The consumer and competition policy: welfare, interest and engage-ment, in: Ezrachi (Hg.), Research Handbook on International Competition Law, Cheltenham/Northampton 2012, 545-564, 547 ff. 168 Buss, The Impact of Technological Acquisitions to Innovation Quality, in: Audretsch/Lehman/Link (Hg.), Technology Transfer in a global Economy, Boston 2012, 143-184, 144; zurückhaltende Genehmigung bei Effizien-zgewinn, Kokkoris, Merger control: substantive issues, in: Lianos/Geradin (Hg.), Handbook on European Competition Law, Cheltenham/Northampton 2013, 516-560, 559. 169 Mackenrodt, IIC 2005, 116 f. 170 Jarass, Kommentar, 2. Aufl., München 2013, Art. 16 GRCh, Rn. 1; vgl. Art. 2 I GG.

mit Hilfe der Durchsetzung von Verfahrensvorschriften über die Freistellung des Standardisierungsverfahrens nach Art. 101 III AEUV bietet geringen Schutz. Dem Schutzzweck besonders evident zuwider läuft die Abmahnstrategie eines Privateers, welcher damit auf Verringerung des Substitutionswettbewerbs zielt171. Neben stattfindender Wettbewerbsverzerrung erfolgt durch das Patent keine Refinanzierung und nicht nur eine Ver-hinderung des Imitationswettbewerbs. Wegen Beweisfragen und wegen fehlender Marktmacht eines Privateers ist Art. 101, 102 AEUV meist unanwendbar. Zwar könnte die Entstehung über die FKVO reguliert werden. Ist dabei aber das Kontroll-mittel schon fraglich, verhindern Abhilfeerklärungen die An-wendung von Art. 2 III FKVO. Eine Abhilfeerklärung abzuge-ben, ist aber reizvoll, da die Abmahnstrategie eines Privateers auch mit nicht standardessentiellen Patenten gelingen kann. Andererseits scheint sich dieses Strategie nicht durchzusetzen. Zumindest zeigt der Ausverkauf aller Rockstar- Patente und die Beruhigung der Patentkriege in eine andere Richtung.

Auf Standardpatente kann wegen Marktzutrittsschranken al-so grundsätzlich Kartellrecht angewandt werden. Eine Kontrol-le von Offenlegungspflichten und Privateers unterbleibt. Über die Freistellung ist ein geringes Maß an Kontrolle möglich. Abgesehen von Ausnahmen kann das Kartellrecht damit nur zur Kontrolle der Lizenzierung der Patente greifen und ist damit ein Mittel zur Schadensbegrenzung.

Die Autorin war studentische Hilfskraft bei Herrn Prof. Dr. D. Murswiek und ist derzeit am Max-Planck-Institut für Innova-tion und Wettbewerb in München. Sie studiert Rechtswis-senschaft und Geschichte (BA) an der Ludwig- Maximilians- Universität München. Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen der Seminararbeit im Schwerpunktbereich 3 (Wettbewerb, Geistiges Eigentum und Medienrecht) zum Thema „Gebrauch und Missbrauch von Schutzrechten: Kar-tellrecht als Ausgleichsmechanismus?“ im WS 2014/15.

171 Lamping, Innovationsförderung nach TRIPS, in: Hilty/Jeager/Lamping (Hg.), Herausforderung Innovation, MPI Studies on Intellectual Property and Competition Law Bd. 17, Heidelberg 2012, 119-143, 143.

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Ridder, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung Zivilrecht Freilaw 1/2015

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Herabsetzung der Geschäftsführervergütung analog § 87 AktG?

Ein Beitrag zur Corporate Governance in Kapitalgesellschaften

Philip Ridder

Die Gehälter von „Managern“ großer Unternehmen sind seit langem ein Zankapfel. Im Jahre 2009 wurde die Re-gelung über die Vorstandsbezüge im Aktiengesetz re-formiert; insbesondere wurden entscheidende Rechtsbe-griffe in § 87 Abs. 2 AktG geändert, welcher in Kris-enzeiten der Gesellschaft die Herabsetzung der Vergü-tung gebietet. Im GmbH-Gesetz fehlt eine Regelung der Geschäftsleiterbezüge hingegen, obwohl in Notlagen der GmbH ebenfalls ein Anpassungsbedürfnis entstehen kann. Der Beitrag untersucht, wie im Recht der GmbH eine Herabsetzung der Geschäftsführervergütung er-reicht wird und ob insbesondere eine Analogie zu § 87 AktG neuer Fassung statthaft ist.

A. Einführung

Auch mehr als fünf Jahre nach Abschluss des Mannesmann-Verfahrens1 ist die Vergütung von „Managern“2 ständiger Gegenstand einerseits der gesellschaftlichen, andererseits der rechtswissenschaftlichen Diskussion.

Im gesellschaftlichen Bereich zeigt sich dies beispielsweise an der in den Medien umstrittenen Jahresvergütung des Volkswagen-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, die für 2011 mit über 17 Millionen Euro deutlich über dem Durchschnitt seiner Amtskollegen in den Dax-Gesellschaften lag (5,5 Milli-onen Euro) 3.

Andererseits spielt die Vergütung auch in der rechtswissen-schaftlichen Corporate-Governance-Debatte eine wichtige Rolle4. Wenn nach der optimalen Organisation der Leitung und Überwachung eines Unternehmens gefragt wird, muss die Entlohnung berücksichtigt werden, denn sie ist zumindest ein maßgeblicher Anreiz für die erfolgreiche Ausübung leitender Positionen.

Angefacht wurde die Diskussion durch Änderungen an § 87 AktG, die im Jahr 2009 durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)5 erfolgten und insbesonde-re die Möglichkeit der nachträglichen Herabsetzung vereinbar-ter Vorstandsvergütungen betreffen, wenn sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert6. Es handelt sich um ein aktien-

1 Ausführlich Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 ff. 2 Darunter verstehen Tilch/Arloth, Dt. Rechts-Lexikon, S. 2791 „die Leitungs- oder Führungspersonen von Unternehmen“. 3 S. Ankenbrand/Meck, F.A.S. 18.03.2010, S. 33 und Löhr, F.A.Z. 14.03.2012, S. 16. 4 So auch Seibert, WM 2009, 1489 (1489) und Hopt, ZHR 175 (2011), 444 (489 f.) mwN. 5 Verabschiedet am 18. Juni 2009, verkündet am 4. August 2009 im BGBl. I S. 2509-2511 (Nr. 50). 6 § 87 AktG wurde geändert durch Art. 1 Nr. 1 VorstAG. Auf die Änderungen wird noch eingegangen.

rechtliches Institut, allerdings wird schon länger seine Wirkung und gar entsprechende Anwendbarkeit auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) diskutiert7. Diese Frage bildet den Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung.

Zunächst sollen § 87 AktG und seine Wirkung für die Akti-engesellschaft (AG) aufgezeigt werden (unter B.), wobei hier der Herabsetzungsmechanismus den Schwerpunkt der Darstel-lung bildet. Anschließend wird die Rechtslage zur Geschäfts-führervergütung und ihrer Kürzung im GmbH-Recht erläutert (unter C.). Erst das Verständnis beider Themenkomplexe er-laubt schließlich die Würdigung der Frage, ob § 87 II AktG für die Herabsetzung der Vergütung eines GmbH-Geschäftsführers analog anzuwenden ist (unter D.). Die Ausarbeitung schließt mit einer Zusammenfassung in Thesenform (unter E.), in ei-nem Anhang (unter F.) ist die Vorschrift des § 87 AktG in alter und neuer Fassung wiedergegeben.

B. Regelungen des § 87 AktG für die Aktiengesellschaft

In der AG ist der Aufsichtsrat für die Festsetzung der Vor-standsbezüge zuständig8. Mit dem Anstellungsvertrag ver-pflichtet er die Gesellschaft zu Zahlungen aus dem Gesell-schaftsvermögen, welches mittels der Anteile im Eigentum der Aktionäre steht. Der Aufsichtsrat bindet also das Vermögen der Aktionäre, ohne dass diese an der Entscheidung mitwirken. Zudem reduziert er den Haftungsfonds, auf den die Gläubiger der AG vertrauen.

Nicht nur in schlechten Zeiten der Gesellschaft birgt das Ge-fahren9. Es überrascht deshalb nicht, dass die Vorstandsvergü-tung gesetzlich geregelt wurde.

I. Zweck und Geschichte des § 87 AktG

Eine Regelung zur nachträglichen Herabsetzung der Vor-standsbezüge bestand seit dem AktG 193710 weitgehend un-verändert bis 2009 (heute § 87 II AktG). Damals sollten nach der Weltwirtschaftskrise „Riesengehälter“11 angepasst werden können; man wollte die Aktionäre vor übermäßigem Kapital-abfluss schützen und für die Gläubiger einen ausreichenden Haftungsfonds gewährleisten12. Zugleich wurden die Auf-

7 S. nur Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241 + 218 (Stand 2007) sowie die Nachweise in Teil D. dieser Ausarbeitung. 8 Dazu sogleich unter B. II. 9 S. nur Greven, BB 2009, 2154 (2154). 10 Damals § 78 II (nicht: 87) AktG 1937. S. Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz, § 78 Rn. 1 ff. 11 Begriff aus Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz, § 78 Rn. 1. 12 Hüffer, AktG, § 87 Rn. 1; auch Geßler, JW 1937, 497 (500).

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sichtsräte zu einer generell angemessenen Festsetzung ver-pflichtet (§ 87 I AktG13).

II. Festsetzung der Vorstandsvergütung nach § 87 I AktG n.F14.

§ 87 I AktG greift in die Vertragsfreiheit hinsichtlich des An-stellungsvertrages des Vorstandsmitglieds ein15. Nach seinem Wortlaut muss („hat“) der Aufsichtsrat16 die Gesamtbezüge der einzelnen Vorstandsmitglieder so festsetzen, dass sie im Ver-gleich (1) zur Lage der Gesellschaft und (2) zu den Aufgaben und Leistungen17 des Vorstandsmitglieds angemessen sind und (3) die übliche Vergütung18 nicht ohne besondere Gründe über-steigen. Nach Satz 419 gilt dies auch für die Versorgungsbezü-ge nach dem Ausscheiden.

Zusätzlich schreiben die durch das VorstAG neu eingefüg-ten Sätze 2 und 3 für börsennotierte AGs die Ausrichtung der Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensent-wicklung vor20.

Detaillierte Ausführungen zu Absatz 1 würden den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen21. Ohnehin bestand schon vor dem VorstAG Einigkeit darüber, dass für die Angemessenheit der Vergütung alle für die Geschäftsleitung relevanten Aspekte eine Rolle spielen22.

Angemerkt sei, dass angemessen nicht ein spezifischer Be-trag, sondern eine „Bandbreite“23 zulässiger Vergütungen ist24. Eine schlechte gesellschaftliche Lage muss dabei keine niedri-ge Vergütung erfordern, wenn nur durch attraktive Angebote ein geeigneter Geschäftsleiter gefunden werden kann25.

III. Die nachträgliche Herabsetzung der Bezüge nach § 87 II AktG

Verschlechtert sich nach Festsetzung der Vergütung die Lage der Gesellschaft so, dass die Weitergewährung der Gesamtbe-züge unbillig für die Gesellschaft wäre, gibt § 87 II 1 n.F. AktG dem Aufsichtsrat in einer Soll-Vorschrift auf, die Bezüge so zu reduzieren, dass sie wieder angemessen sind. Hiervon betroffen sind nach Satz 2 auch die Ruhebezüge, sofern die Herabsetzung spätestens drei Jahre nach Ausscheiden des Vor- 13 Im AktG 1937 noch § 78 I. 14 Mit „a.F.“ wird die Fassung vor dem VorstAG, mit „n.F.“ die geänderte Fassung bezeichnet. 15 S. die Begründung zum Regierungsentwurf des VorstAG, BT-Drs. 16/12278, S. 5. 16 Die zwingende und ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Vergütungsabrede, die Teil des Anstellungsvertrags ist, ergibt sich aus § 84 I 5 AktG. S. Spindler, DStR 2004, 36 (36) mwN; GroßkommAktG/Kort, § 87 Rn. 19 mwN. 17 Das Leistungskriterium wurde durch Art. 1 Nr. 1 lit. a) VorstAG neu einge-fügt, s.a. BT-Drs. 16/12278, S. 5. 18 Die Üblichkeit war vor der Einfügung durch das VorstAG ein anerkannter Gesichtspunkt der Angemessenheit, s. Peltzer, FS Lutter, 571 (575); Tegtmei-er, Vorstandsvergütung, S. 278. 19 Dasselbe war vor der Änderung durch das VorstAG in Satz 2 geregelt. 20 Ausführlich Marsch-Barner, ZHR 175 (2011), 737 ff. 21 Ausführlich Bauer/Arnold, AG 2009, 717 ff. 22 Statt aller KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 14 mwN. 23 Wörtl. Zitat aus KölnKommAktG/Mertens/Cahn, aaO. S.a. Peltzer, FS Lutter, 571 (577). 24 Und das ist ausreichend, s. Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155 (157). 25 Statt aller GroßkommAktG/Kort, § 87 Rn. 35 mwN.

standsmitglieds erfolgt – sie wirkt aber freilich für die gesamte Laufzeit26.

Nicht nur wegen der durch das VorstAG bewirkten Ände-rungen verdient dieser Mechanismus eine Analyse. Vorab werden zur Verständniserleichterung systematische Probleme beleuchtet.

1. Vertragsrechtliche und systematische Probleme bei § 87 II AktG

Der Wissenschaft fällt es zu Recht nicht leicht, § 87 II AktG mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen. Problema-tisch ist, dass der einseitige Eingriff der AG in die vertragliche Vereinbarung zulasten des Vorstandsmitglieds27 eine Durch-brechung der grundsätzlichen Vertragstreuepflicht darstellt (pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten) 28.

a) Rechtfertigung der Norm

Vielfach wird der Ausnahmecharakter der Norm betont29. § 87 II AktG a.F. wurde überwiegend als Spezialfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) gesehen,30 wobei § 313 BGB nach der Vertragsrisikolehre nicht unmittelbar anwendbar ist31. Die Tatbestandsvoraussetzungen waren aber ähnlich: Nach § 313 BGB kann bei wesentlicher Veränderung grundle-gender Verhältnisse eine Partei die Vertragsanpassung durch-setzen, wenn der bisherige Vertrag für sie unzumutbar wird32.

§ 87 II AktG n.F. weist gegenüber der alten Fassung niedri-gere Voraussetzungen auf. Zudem erfolgt die Reduzierung weitergehend, als es für die Beseitigung der Unbilligkeit erfor-derlich wäre (nämlich auf das angemessene Maß)33. Schließ-lich handelt es sich nun um eine „Soll“-Vorschrift34. All dies bewirkt gegenüber dem anerkannten § 313 BGB35 einen erhöh-ten Rechtfertigungsbedarf.

Ein verfassungsrechtliches Problem ergibt sich daraus, dass die Vertragstreuepflicht über das Prinzip der Vertragsfreiheit, deren „notwendiges Korrelat“36 sie ist, Grundrechtsschutz genießt37. Weller rechtfertigt den erleichterten Eingriff des § 87 II AktG n.F. damit, dass erstens die Vertragsfreiheit eine „normativ konstituierte Freiheit“38 sei, also nur „im Rahmen der geltenden Gesetze“39 wirke und vom Gesetzgeber mal stärker, mal schwächer ausgeformt werden dürfe. Zweitens bedinge die Einordnung des Vorstandsvertrages als fremdinte- 26 Seibert, WM 2009, 1489 (1491). 27 Im Einzelnen dazu s. unter B. III. 3. 28 So auch DIHK, NZG 2009, 538 (539); Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60; KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 104. 29 S. nur Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688 (689); Menke F.A.Z. 02.09.2009, S. 21; Klöhn, ZGR 2012, 1 (5). 30 S. nur Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60 mwN; GroßkommAktG/Kort, § 87 Rn. 73; ähnl. KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 94. 31 Kuntz, WM 2009, 1257 (1259 f.); ausführlich Weller, NZG 2010, 7 (8). 32 Zum Tatbestand des § 87 II AktG a.F. s. sogleich unter B. IV. 3. 33 So auch Thüsing, AG 2009, 517 (523); Klöhn, ZGR 2012, 1 (4). 34 Zu allem s. B. III. 3. 35 S. nur MünchKommBGB/Roth, § 313 Rn. 42. 36 Wörtl. Zitat aus Weller, Vertragstreue, S. 153. In der Sache auch schon Soergel/Siebert/Schmidt, Vor § 241 Rn. 11. 37 BVerfGE 8, 274 (328) u. 72, 155 (170); BVerfG NJW 2006, 596 (598). 38 Wörtl. Zitat aus Weller, NZG 2010, 7 (9). 39 Wörtl. Zitat aus BVerfG NJW 1990, 1469 (1470).

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ressenwahrend eine gesteigerte Vertragstreuepflicht des Vor-standsmitglieds und eine schwächere der AG, sodass vorlie-gend eine vorstandsbenachteiligende Regelung – gerade wegen vorstandsprivilegierender wie § 76 I und § 84 III AktG – sach-gemäß sei40. Die „autonome Finanzierungsfähigkeit“41 der AG müsse geschützt werden.

Weller sieht somit § 87 II AktG n.F. als einen (systemkohä-renten) Spezialfall des § 313 BGB an42. Andere sind der An-sicht, für die Geschäftsgrundlagenlehre greife § 87 II AktG n.F. nunmehr zu früh und zu weitgehend ein, sodass die Norm nur auf die organschaftliche Treuepflicht43 gestützt werden könne44.

Letztlich ist die Einordnung für die hier betrachtete Frage nicht entscheidend – deutlich muss werden, dass es sich um eine einschneidende Ausnahme des Vertragstreuegrundsatzes handelt.

b) Einbeziehung der Ruhebezüge

Als besonders problematisch gilt der Eingriff in die bereits erdienten Ruhebezüge nach dem Ausscheiden45. Zwar kann sowohl § 313 BGB schon erbrachte Leistungen einbeziehen46 als auch die organschaftliche Treuepflicht über die Amtszeit hinauswirken47. Jedoch wird der erworbene Anspruch teils dem Schutz von Art. 14 GG unterstellt,48 was hohe Rechtferti-gungsanforderungen bedingt.

Die Diskussion um die Rolle des BetrAVG würde den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen49. Es muss jedoch der besondere Ausnahmecharakter von § 87 II 2 AktG betont50 und dies bei der Analogiefähigkeit der Regelung berücksichtigt werden. Denn auf das Wohl der Gesellschaft hat der Betroffene nach seinem Ausscheiden nicht nur keinen Einfluss mehr, er kann auch nicht mehr wegen der Herabsetzung die Gesellschaft wechseln51.

2. Tatbestand des § 87 II AktG

Die Tatbestandsmerkmale der neu gefassten Herabsetzungs-vorschrift sind die Verschlechterung der Lage der AG sowie eine daraus folgende Unbilligkeit der Weitergewährung der vereinbarten Bezüge für die Gesellschaft. Beide Merkmale wurden durch Art. 1 Nr. 1 lit. b) VorstAG modifiziert, verlang-te die alte Fassung doch (strenger) eine wesentliche Ver-

40 Weller, NZG 2010, 7 (9 ff.). 41 Wörtl. Zitat aus Weller, NZG 2010, 7 (11 f.). 42 Weller, NZG 2010, 7 (12). So auch Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688 (691); Spindler/Stilz/Fleischer, § 87 Rn. 60. 43 Dazu s.u. C. I. 2. a) 44 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (535); Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, § 87 AktG Rn. 35 aE; Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124). 45 S. nur DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (614 f.); Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1351). 46 Jauernig/Stadler, § 313 Rn. 27. 47 Dazu s.u. C. II. 2. d) 48 S. nur KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 94. 49 S. nur Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (729); Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1353); dagegen Thüsing, AG 2009, 517 (523). 50 So zu Recht Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (544). Auch Weller, NZG 2010, 7 (11) sieht in § 87 II 2 AktG eine nur „noch vertretbare“ Norm. 51 So auch DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (614).

schlechterung und schwere Unbilligkeit52. Erst durch das Vors-tAG wurden zudem die Ruhebezüge der Herabsetzung unter-worfen (Satz 2)53. Für die Rechtsfolgenseite ist bereits hier zu beachten, dass aus der bloßen Berechtigung zur Herabsetzung eine „Soll“-Vorschrift wurde. Nichts änderte sich dagegen an den Sätzen 3 und 4.

Die Auslegung der Vorschrift nach ihren Änderungen wird ausgiebig diskutiert. Bislang erfolgte wegen des Eingriffs in Vertragsrechtsprinzipien eine restriktive Auslegung54, § 87 II AktG a.F. wurde mitunter als „äußerster Notbehelf“55 angese-hen und manche attestierten ihm ein „Schattendasein“56.

a) Verschlechterung der Lage der Gesellschaft

Die bislang erforderliche wesentliche Verschlechterung der Lage der AG lag erst vor, wenn ihre wirtschaftliche Existenz unmittelbar bedroht war57. Zu denken ist beispielsweise an eine drohende Insolvenz58. Selbst Personalabbau oder der Zwang zur Veräußerung von Betriebsteilen reichten nicht aus59.

Das neue Merkmal wird als „unklarer und unschärfer“ kriti-siert60. Eine Verschlechterung liegt schon bei einem Ge-winnrückgang vor61. Nach der Begründung des Regierungs-entwurfs soll der Tatbestand zwar erst greifen, wenn die AG „Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und keine Gewinne mehr ausschütten kann“62. Eine unmittelbare Krise oder Insolvenz seien jedoch nicht erforderlich.

Angesichts der oben aufgezeigten Schärfe des Eingriffs in Privatrechtsprinzipien ist eine weiterhin enge Auslegung über-zeugend63. Damit ist zumindest eine „nicht nur vorübergehen-de, krisenhafte Situation“64 der Gesellschaft zu verlangen. Stellenabbau in einer Sanierung65 etwa kann nicht ausreichen66.

Auf eine Zurechnung der Verschlechterung zum Vorstands-handeln kann es zudem nicht ankommen,67 denn § 87 II AktG ist keine Straf- oder Ersatzvorschrift wie § 93 II 1 AktG68.

52 S. nur die Entwurfsbegründung in BT-Drs. 16/12278, S. 6. 53 Insoweit wird auf B. III. 1. b. verwiesen. 54 Diese vornehmend auch LG Essen NZG 2006, 356 f. und OLG Düsseldorf ZIP 2004, 1850 ff. 55 Wörtl. Zitat aus Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (812). 56 Wörtl. Zitat aus Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688. Um § 87 II AktG ging es aber immerhin in OLG Frankfurt WM 2011, 2226 ff.; LG Duisburg BB 1971, 145 f.; LG Essen NZG 2006, 356 f.; OLG Düsseldorf NZG 2004, 141 (142 f.). 57 LG Essen NZG 2006, 356 (356); Wagner/Wittgens, BB 2009, 906 (910); Weisner/Kölling, NZG 2003, 465 (466). 58 S. Koch, WM 2010, 49 (53). 59 OLG Düsseldorf NZG 2004, 141 (142 f.); LG Essen NZG 2006, 356; Wag-ner/Wittgens, BB 2009, 906 (910). 60 So DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612 (613 Rn. 13). 61 So auch Diller, NZG 2009, 1006 (1006); vgl. Koch, WM 2010, 49 (50 f.). 62 BT-Drs. 16/12278, S. 6. 63 So auch Koch, WM 2010, 49 (51). 64 So Weppner, NZG 2010, 1056 (1056) (Wörtl. Zitat) mit Verweis auf Bau-er/Arnold, AG 2009, 718 (725). 65 Sanierungsmaßnahmen können erforderlich sein und dürfen dem Vorstand nicht automatisch zum Nachteil gereichen. S. Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1352); Thüsing, Stellungnahme VorstAG, S. 8. 66 Diller, NZG 2009, 1006 (1006). 67 BT-Drs. 16/12278, S. 6 kann nur die Zurechnung zur allgemeinen Vorstandsverantwortung während der Amtszeit meinen, s. Diller, NZG 2009, 1006 (1007); Bosse, BB 2009, 1650 (1651).

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b) Unbilligkeit der Weitergewährung für die Gesellschaft

Nach der a.F. musste in der unveränderten Weitervergütung eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft liegen. Dies verlangte ein „krasses, völlig unangemessenes Missverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Lage der AG und den Vor-standsgehältern“69.

Auch hier ist es überzeugend, die neue Fassung eng auszu-legen (s. schon oben). Es soll nicht schon unbillig sein, wenn die Vergütung nicht mehr angemessen (§ 87 I 1 AktG) ist70 Die bisherige Vergütung dürfe „unter Berücksichtigung der Situa-tion der Gesellschaft und ihrer Arbeitnehmer […] nicht mehr vertretbar“71 sein. Unbilligkeit ist zu verneinen, wenn durch variable Vergütungsbestandteile schon eine weitgehende Betei-ligung des Vorstandsmitglieds an der Gesellschaftslage ein-tritt72.

Bemerkenswert ist ein neuer Ansatz von Klöhn, der mit dem Ziel des VorstAG argumentiert73 und § 87 II AktG n.F. „auch als Norm zur Verhinderung von Fehlanreizen“74 ansieht. Er betrachtet neben der Lage der Gesellschaft auch die nachhalti-ge Vergütungsstruktur (§ 87 I 2+3 AktG) als Geschäftsgrund-lage und nimmt Unbilligkeit an, wenn die Vergütungsstruktur nicht mehr nachhaltig ist.75 Demgegenüber lässt er jede Lage-verschlechterung ausreichen, sie müsse jedoch dem Vor-standsmitglied zurechenbar sein.

Allerdings finden sich weder im Wortlaut noch den Materia-lien zum VorstAG Anhaltspunkte für einen derart starken Um-bau der Tatbestandsstruktur; zudem vergisst Klöhn, dass die Nachhaltigkeit zumindest dem Wortlaut nach nur für börsenno-tierte AGs gilt (§ 87 II AktG jedoch für alle AGs). Ihm wird deshalb hier nicht gefolgt.

c) Ergebnis: Eingriffsschwelle weiterhin hoch

Insgesamt ist es überzeugend, den Tatbestand des § 87 II AktG weiterhin eng zu handhaben. Der gesetzgeberischen Intention ist es aber geschuldet, dass die Eingriffsschwelle gleichwohl gegenüber der a.F. niedriger liegt.

3. Rechtsfolgen der Herabsetzung

§ 87 II AktG gewährt dem Aufsichtsrat ein einseitiges Gestal-tungsrecht hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung, dessen

68 Dauner-Lieb/Friedrich, NZG 2010, 688 (690); Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847 (861). 69 Diller, NZG 2009, 1006 mit Verweis auf Wilsing/Kleißl, BB 2008, 2422 (2423). 70 Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (812). 71 Wörtl. Zitat aus Gaul/Janz, aaO. Seibert, WM 2009, 1489 (1490) verlangt Unzumutbarkeit der Weiterzahlung. 72 Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (811). 73 Nach BT-Drs. 16/12278, S. 1 besteht dieses darin, „die Anreize in der Vergütungsstruktur für Vorstandsmitglieder in Richtung einer nachhaltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung zu stärken“. 74 Wörtl. Zitat aus Klöhn, ZGR 2012, 1 (34). 75 Klöhn, ZGR 2012, 1 (22).

Wirkung gem. § 315 II BGB mit Zugang der Gestaltungserklä-rung eintritt76.

Aus der Soll-Vorschrift folgt die grundsätzliche Pflicht des Aufsichtsrats zur Herabsetzung, wenn nicht besondere Gründe die Beibehaltung rechtfertigen77 - Ankündigungen eines unent-behrlichen Vorstandsmitglieds, bei Herabsetzung das Sonder-kündigungsrecht (§ 87 II 4 AktG) auszuüben, können berück-sichtigt werden78.

Nach der alten Rechtslage durfte der Aufsichtsrat bei der vorgeschriebenen „angemessenen Herabsetzung“ nur die Un-billigkeit beseitigen.79 In der Neufassung soll auf das angemes-sene Maß reduziert werden; der Aufsichtsrat kann dabei nur innerhalb der Bandbreite angemessener Vergütungen wählen80. Die Herabsetzung reicht damit neuerdings „einige Grade“ weiter81. Der Aufsichtsrat kann jedoch entscheiden, durch Anpassung welcher Vergütungsbestandteile er die Angemes-senheit erreicht82.

Bei Verstoß gegen § 87 II AktG haften die Aufsichtsrats-mitglieder nach wie vor gem. §§ 116 S. 1, 93 II 1, I AktG83. Die Einfügung des § 116 S. 3 AktG, der nur auf § 87 I AktG verweist, sollte daran nichts ändern84.

IV. Abschließende Bemerkungen

Der Gesetzgeber hat in einem zügigen Gesetzgebungsverfahren die Ausnahmevorschrift des § 87 II AktG deutlich geändert. Den erhöhten Rechtfertigungsbedarf, der mit der erheblich gesenkten Schwelle des Eingriffs in Vorstandsverträge einher-geht, fängt das Schrifttum mit einer auffällig restriktiven Aus-legung des Tatbestands auf – nichts ändern kann die Wissen-schaft dagegen an den strengeren Rechtsfolgen. Insgesamt ist keineswegs alles beim Alten geblieben; die Einordnung und dogmatische Legitimation der neuen Fassung bereiten zumin-dest Schwierigkeiten. Dies gilt besonders für die Einbeziehung der Ruhebezüge.

„Klarer und schärfer“85 gestaltet sich ebenso wenig die neue Norm wie der Umgang mit ihr.

C. Rechtslage zur Geschäftsführervergütung und ihrer Herabsetzung im GmbH-Recht

Anders als bei der AG besteht bei der GmbH grundsätzlich keine Pflicht zur Einrichtung eines Aufsichtsrats86. Die organ-

76 S. zuletzt OLG Frankfurt, AG 2011, 790 (Rn. 50); auch Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (537). 77 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (540); Gaul/Janz, NZA 2009, 809 (811). 78 Bosse, BB 2009, 1651; Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (727); im Ergebnis auch Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1352). 79 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (539); ähnl. Spindler/Stilz/Fleischer, 1. Aufl., § 87 Rn. 33. 80 Oetker, aaO. 81 Waldenberger/Kaufmann, BB 2010, 2257 (2261); Wittuhn/Hamann, ZGR 2009, 847 (865) mwN; Greven, BB 2009, 2154 (2155). Wörtl. Zitat aus Hdb. VorstandsR/Thüsing, § 6 Rn. 32 aE. 82 Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (727). 83 Keiser, RdA 2010, 280 (281 f.); Diller, NZG 2009, 1006 (1009). 84 Angedeutet bereits in BT-Drs. 16/12278, S. 6; präziser Seibert, WM 2009, 1489 (1491); Fleischer, NZG 2009, 801 (804). 85 So sah die Bundesregierung die neue Fassung, BT-Drs. 16/12278, S. 6.

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schaftliche Bestellung und schuldrechtliche Anstellung der Geschäftsführer werden von der Gesellschafterversammlung vorgenommen (dazu unter I.), sodass die Anteilseigner Ver-pflichtungen auf die eigenen Anteile treffen. Zunächst wird diese Ausgangskonstellation betrachtet (unter II. und III.).

Anschließend ist zu fragen, ob etwas anderes für GmbHs mit fakultativem Aufsichtsrat (vgl. § 52 I GmbHG) oder solche gilt, die nach Mitbestimmungsrecht einen Aufsichtsrat bilden müssen (unter IV.).

I. Festsetzung der Geschäftsführervergütung

Das GmbH-Gesetz ist offener konzipiert87 als das AktG und überlässt vieles der Autonomie des – oft überschaubaren88 – Gesellschafterkreises. Es enthält keine Regelungen über die Geschäftsführervergütung oder ihre Herabsetzung89. Lediglich weist § 46 Nr. 5 GmbHG der Gesellschafterversammlung die Zuständigkeit über die organschaftliche Bestellung der Ge-schäftsführer zu, woraus als Annexkompetenz auch diejenige für Anstellungs- und Vergütungsfragen folgt90.

Eine unmittelbare Anwendung des § 87 AktG auf die GmbH verbieten dagegen der Wortlaut der Norm („Vorstandsmitglie-der“) und die Systematik (AktG)91.

1. Grenzen der Vertragsfreiheit

Die Vertragsfreiheit bei der Vergütungsvereinbarung erfährt also zunächst nur die Grenze des § 138 BGB92.

Da bei Gesellschafterbeschlüssen interne Konflikte bestehen können93 – etwa kann ein beherrschender Gesellschafterge-schäftsführer geneigt sein, sich mittels seiner Stimmenmehrheit (s. § 47 I, II GmbHG) eine überhöhte Vergütung einzuräu-men94 – wurden weitere Beschränkungen herausgearbeitet. So müssen die Bezüge eines wesentlich beteiligten Gesellschaf-tergeschäftsführers bei einem Fremdvergleich angemessen95 erscheinen, wobei eine „umfassende Würdigung aller Umstän-de erforderlich“96 ist. Aber auch die Entlohnung eines Fremd-geschäftsführers darf nicht völlig überhöht sein97.

86 S. nur Ulmer/Raiser/Heermann, § 52 Rn. 1; Michalski/Heyder, § 52 Rn. 1. Der Beirat bleibt im Folgenden außer Betracht. 87 Vgl. Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (536). 88 S. MünchKommGmbHG/Fleischer, Einl. Rn. 37. 89 So auch Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988 (989); Bosse, BOARD 2011, 142 (143). 90 S. Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1122); Keiluweit, BB 2011, 1795 (1798) mwN. 91 So im Ergebnis auch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 183. 92 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, § 35 Rn. 98 mwN. 93 So auch Fleischer, DStR 2005, 1279 (1281). 94 Ein Stimmverbot nach § 47 IV GmbHG greift hier noch nicht, s. Münch-KommGmbHG/Drescher, § 47 Rn. 165 f. mwN. 95 Zuletzt BGH GmbHR 2008, 1092 (1094), s. schon BGHZ 111, 224 (227 f.); BGH BB 1992, 1583 (1585). Auch die Ausschüttungssperre des § 30 I GmbHG ist freilich zu beachten. 96 Wörtl. Zitat aus BGHZ 111, 224 (228). 97 So auch Mohr, GmbHR 2011, 402 (402); Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 183.

Die Beschränkungen werden im Wesentlichen auf Treue-pflichten gestützt,98 bei deren Verletzung Ersatzansprüche drohen99.

2. Beschränkungen aus Treuepflichten

Hierbei ist zwischen zwei Treuepflichten zu unterscheiden: Der Treuepflicht der Gesellschafter und derjenigen der Or-ganmitglieder100.

a) Die organschaftliche Treuepflicht

Die Gesellschafter überantworten den Geschäftsführern die Lenkung der GmbH und den Umgang mit dem Gesellschafts-vermögen. Die Gewährung so weitreichender Einwirkungs-möglichkeiten und Befugnisse101 kann nur aufgrund eines erheblichen Vertrauens geschehen102.

Die Organmitglieder müssen deshalb besonders auf die Wahrung der Gesellschaftsinteressen verpflichtet sein, damit Konflikte mit eigenen oder Drittinteressen nicht der Gesell-schaft zum Nachteil gereichen103. Daraus folgt eine organ-schaftliche Treuepflicht, nach der die Geschäftsleiter „in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren und nicht den eigenen Vorteil zu suchen“ haben104. Damit ist auch das Anstellungsverhältnis erfasst105.

Die Bindung reicht allerdings nicht so weit, dass ein Ge-schäftsführer bereits bei der Aushandlung seines Anstellungs-vertrages seine Interessen zurücknehmen muss106. Demnach kann die organschaftliche Treuepflicht die obigen Einschrän-kungen nicht begründen, auf sie ist aber bei der Reduzierung der Bezüge zurückzukommen.

b) Die gesellschaftliche Treuepflicht

Parallel besteht eine Treuepflicht der Gesellschafter unterei-nander und gegenüber der Gesellschaft107. Aus dem Zusam-menschluss ergibt sich, dass die Gesellschafter die Gesell-schaftsinteressen fördern und alles unterlassen müssen, was der Erreichung des Gesellschaftszwecks zuwiderläuft108. Insbeson-dere ist auf die Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen109.

Diese Treuepflicht verbietet dem beherrschenden Gesell-schaftergeschäftsführer, sich selbst eine unangemessene Ver-gütung zuzugestehen - sowie der Gesellschafterversammlung,

98 BGHZ 111, 224 (227); Mohr, GmbHR 2011, 402; LG Mainz NZG 2002, 918 (918). 99 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, § 13 Rn. 82 ff. 100 So für die AG bereits Hüffer, AktG, § 84 Rn. 9 mwN; für die GmbH Fleischer, WM 2003, 1045 (1047). 101 Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann § 45 Rn. 2. 102 BGHZ 13, 188 (192 f.) u. 20, 239 (246). 103 S. nur Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 38; Scholz/Schneider, § 43 Rn. 151 ff. 104 Wörtl. Zitat aus dem Leitsatz von BGH NJW 1986, 586. 105 Fleischer, WM 2003, 1045 (1946). 106 KölnKommAktG/Mertens/Cahn, § 87 Rn. 5; Klöhn, ZGR 2012, 1 (30); Fleischer, WM 2003, 1045 (1047). 107 Fleischer, WM 2003, 1045 (1047) mwN; Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, § 13 Rn. 20. 108 Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, § 13 Rn. 21. 109 So letztlich auch BGHZ 65, 15 (18).

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einem Fremdgeschäftsführer eine maßlos überhöhte Vergütung zu zahlen.

II. Herabsetzung der Geschäftsführervergütung

Da auf den Grundtyp der GmbH § 87 AktG nicht unmittel-bar anwendbar ist, kann keine Vergütungsherabsetzung mittels Gestaltungserklärung erfolgen110. Eine Kürzung ist praktisch nur durch einvernehmliche Änderung des Anstellungsvertrages möglich111.

1. Anspruch auf Zustimmung zur vertraglichen Reduzierung der Bezüge

Der 2. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschied aller-dings 1992:

„Verschlechtern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesell-schaft in wesentlichem Maße, so kann allerdings ein Organmitglied aufgrund der von ihm als solchem geschuldeten Treuepflicht gehalten sein, einer Herabsetzung seiner Bezüge zuzustimmen. Das Aktienrecht sieht dies in § 87 Abs. 2 AktG für Vorstandsmitglieder ausdrücklich vor. Für Geschäftsführer einer GmbH gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie an der Gesellschaft beteiligt sind, im Grund-satz nichts anderes112."

Ohne zu einer Anwendbarkeit des § 87 II AktG (a.F.) Stel-lung zu nehmen, weist der Senat auf die Norm hin und stellt die Zustimmungspflicht des Geschäftsführers aufgrund der organschaftlichen Treuepflicht fest (im Folgenden: Treue-pflicht). Der Senat beruft sich dabei auf das Schrifttum113. Der Mechanismus wurde in der späteren Rechtsprechung bestä-tigt,114 zuletzt durch das OLG Düsseldorf im Dezember 2011115. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Literatur116.

Insgesamt bleibt es also bei der einverständlichen Ver-tragsanpassung. Die vom BGH festgestellte Zustimmungs-pflicht ist so zu deuten, dass die Gesellschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen wegen der Treuepflicht des Geschäftsführers einen Anspruch aus § 242 BGB117 gegen diesen auf Abgabe der erforderlichen Willenserklärung erlangt118.

2. Voraussetzungen des Anspruchs

a) Wesentliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhält-nisse und schwere Unbilligkeit der Weitergewährung

110 Andererseits zur hohen Schwelle einer Änderungskündigung s. Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (122 f.) mwN. 111 Anders, wenn vertraglich eine Anpassungsmöglichkeit vereinbart ist; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (122). 112 Wörtl. Zitat aus BGH BB 1992, 1583 (1585). Hervorhebungen vom Ver-fasser. 113 Erwähnt werden Fleck, FS Hilger/Stumpf, 197 (219); Scholz/Schneider, 7. Aufl., § 35 Rn. 191; Lutter/Hommelhoff 13. Aufl., Anh. § 6 Rn. 34; Rowed-der/Koppensteiner, 2. Aufl., § 35 Rn. 85. 114 S. nur OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (423). Für weitere Entschei-dungen mit z.T. abweichenden Begründungen der Pflicht siehe unter D. I. 115 OLG Düsseldorf DStR 2012, 309 (313). 116 S. nur Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 187 mwN; Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124). 117 S. nur Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 237 mwN. 118 So schon Bauder, BB 1993, 369 (371); auch OLG Düsseldorf DStR 2012, 309 (313) mwN.

Für die wesentliche Verschlechterung wird überwiegend ei-ne existenzgefährdende Notlage verlangt. Die Auszahlung der Vergütung muss gerade Mittel in Anspruch nehmen, die für die Gesellschaft überlebensnotwendig sind119.

Mehrheitlich wird verlangt, dass die Weitergewährung der bisherigen Vergütung „besonders“ oder auch „schwer“ unbillig erscheinen muss120. Nicht jede Lageverschlechterung gebietet also eine Kürzung der Bezüge.

Unbilligkeit kann aber beispielsweise vorliegen, wenn zur Bedienung von Verbindlichkeiten das Stammkapital der GmbH angegriffen werden muss121. Andererseits wird mit Verweis auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 I InsO) argumentiert, das Überleben der Gesellschaft könne auch schon vor Antastung des Stammkapitals gefährdet sein122.

b) Ähnlichkeit zu § 87 II AktG a.F.

Hier fallen bereits Ähnlichkeiten zu § 87 II AktG auf (Merk-male der wesentlichen Lageverschlechterung und schweren Unbilligkeit); dies überrascht nicht, immerhin stellte der BGH den Mechanismus auch in Anlehnung an die damalige Fassung des § 87 II AktG fest.

c) Zumutbarkeit für den Geschäftsführer

Zu beachten ist aber, dass überwiegend auch die Zumutbarkeit der Herabsetzung für den Geschäftsführer verlangt wird123. Die Herabsetzung darf dem Geschäftsleiter nicht die Lebensgrund-lage nehmen und muss sich im Rahmen des Erforderlichen halten, insbesondere also gegebenenfalls befristet oder rück-gängig gemacht werden124.

d) Ruhebezüge

Die Treuepflicht des Geschäftsführers wirkt anerkanntermaßen über sein Anstellungsverhältnis hinaus125. Sie kann deshalb auch eine Zustimmung zur Kürzung der Ruhebezüge im Rah-men der Erforderlichkeit gebieten, wenn die genannten Vo-raussetzungen vorliegen126. Freilich müssen hierbei die Gren-zen des BetrAVG eingehalten werden127.

3. Rechtsfolgenseite

Kommt der Geschäftsführer seiner Zustimmungspflicht schuldhaft nicht nach, löst dieser Treuepflichtverstoß einen

119 MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 325; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, Anh. § 6 Rn. 34a; OLG Naumburg GmbHR 2004, 423. 120 So auch Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, § 35 Rn. 187 (mit dem Begriff „schwer“); Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, Anh. § 6 Rn. 34a (mit dem Begriff „besonders“). 121 So Bauder, BB 1993, 369 (370); OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (424). 122 Lindemann, GmbHR 2009, 737 (741); Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 193. 123 So Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 241; MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 325; OLG Naumburg GmbHR 2004, 423 (424); Eingehend OLG Köln NZG 2008, 637 (637). 124 MünchKommGmbHG/Jaeger, aaO. 125 Fleischer, WM 2003, 1045 (1058); BGH WM 1977, 194 (194). 126 Ulmer/Paefgen, § 35 Rn. 237; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (125). 127 S. dazu Lunk/Stolz, aaO; Ulmer/Paefgen, aaO.

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Schadensersatzanspruch aus128. Die Gesellschaft kann ihren Anspruch auf Zustimmung zudem klageweise geltend machen.

Oetker stellt zutreffend fest, dass nach § 894 ZPO der An-stellungsvertrag erst mit Rechtskraft des Urteils geändert wird129. Bis dahin hat der Geschäftsführer Anspruch auf die ursprünglichen Bezüge. Diese können zwar als Schadensersatz zurück zu gewähren sein; diesen muss die Gesellschaft aber ebenfalls erst durchsetzen. Bis zur Rechtskraft kann längst Insolvenz mit irreversiblen Folgen eingetreten sein.

Lunk/Stolz ist deshalb darin Recht zu geben, dass dem Ver-gütungsanspruch – soweit er nunmehr überhöht ist – die dolo-agit-Einrede130 entgegengehalten werden kann131. Es müssen also nur noch die reduzierten Bezüge gezahlt werden132 .

III. Abweichungen für GmbHs mit Aufsichtsrat?

Fraglich ist, ob bei solchen GmbHs § 87 AktG unmittelbar gilt und wer die Akteure der Kürzung sind.

1. Die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat

Sieht der Gesellschaftsvertrag einen Aufsichtsrat vor, erklärt § 52 I GmbHG einige aktienrechtliche Vorschriften für anwend-bar. Dazu gehört aber weder § 87 AktG noch § 84 AktG. Des-halb behält die Gesellschafterversammlung die Kompetenz in Vergütungsfragen (s.o. unter C. I.)133.

Der Verweis des § 52 I GmbHG auf § 116 AktG ändert da-ran nichts, denn der neue § 116 S. 3 AktG setzt § 87 I AktG voraus und begründet nicht seine Anwendbarkeit134.

Wird im Gesellschaftsvertrag die Zuständigkeit für Vergü-tungsfragen dem Aufsichtsrat zugewiesen (s. §§ 45 II, 46 Nr. 5 GmbHG), tritt dieser diesbezüglich schlicht an die Stelle der Gesellschafterversammlung.

2. Die drittelmitbestimmte GmbH

Eine GmbH mit mehr als 500 Arbeitnehmern muss nach § 1 I Nr. 3 DrittelbG einen Aufsichtsrat einrichten. Auch hier bleibt die Gesellschafterversammlung für die Anstellung der Ge-schäftsführer zuständig, denn auch § 1 I Nr. 3 DrittelbG statu-iert nichts anderes.

3. Die quasi-paritätisch mitbestimmte GmbH

Für GmbHs mit mehr als 2000 Arbeitnehmern ordnet § 1 I MitbestG die Einrichtung eines Aufsichtsrats an; gemäß § 31 I MitbestG, § 84 I AktG ist der Aufsichtsrat hier zwingend für die Bestellung der Geschäftsführer und damit (kraft Annex-

128 Im Einzelnen Bauder, BB 1993, 369 (373); Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (125). 129 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (532). 130 „Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est” – Danach ist es rechtsmissbräuchlich (und mithin nach § 242 BGB unzulässig) etwas zu ver-langen, das sofort wieder zurückzugewähren ist. S. nur Erman/Hohloch, § 242 Rn. 111. 131 Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (125). 132 So auch Wimmer, DStR 1997, 247 (249). 133 Lutter/Hommelhoff/Bayer, § 46 Rn. 24; Greven, BB 2009, 2154 (2157). 134 Habersack, ZHR 174 (2010), 2 (6); Greven, BB 2009, 2154 (2157).

kompetenz) auch für ihre Anstellung und Vergütung zustän-dig135. §§ 25 I Nr. 2, 31 I MitbestG verweisen jedoch wieder nicht auf § 87 AktG, sodass dieser nicht direkt anwendbar ist136. Der Aufsichtsrat muss aber bei Vergütungsentscheidun-gen wiederum an die Stelle der Gesellschafterversammlung treten.

IV. Abschließende Bemerkungen

Auf die GmbH ist § 87 AktG nicht direkt anwendbar. Das GmbH-Recht hat eigene Ansätze für die Schranken der Ge-schäftsleitervergütung entwickelt – für die Reduktion der Be-züge geschah dies aus der Kenntnis der aktienrechtlichen Lö-sung heraus. Die Mechanismen fußen nicht auf gesetzlicher Regulierung, sondern auf Prinzipien des Privatrechts; im Fol-genden ist gleichwohl auf die Rolle des Aktienrechts zurück-zukommen.

D. Zur Herabsetzung der Geschäftsführervergütung analog § 87 II AktG

Wenn es um die Kürzung der Geschäftsführerbezüge geht, wird im GmbH-Recht schon lange auf das kodifizierte Herab-setzungspendant im Aktienrecht geschielt:

I. Blick der GmbH-Rechtsprechung auf § 87 II AktG

Als sich der 2. Zivilsenat des BGH in seinem Urteil aus dem Jahr 1992 (s.o. unter C. II. 1.) wegen der Zustimmungspflicht zwar auf die Treuepflicht der Organmitglieder gegenüber der GmbH berief,137 wies er schon auf § 87 II AktG für die AG hin und betonte, für GmbH-Geschäftsführer könne „im Grundsatz nichts anderes“ gelten. 1995 sprach der BGH (zwar der 1. Strafsenat) bereits – technisch ungenau – von einem „Anspruch auf Herabsetzung“ aus „§ 242 BGB i. V. m. entsprechender Anwendung von § 87 Abs. 2 AktG“138. Im Jahr 2004 nahm das AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg schließlich die Möglichkeit einer Zustimmungspflicht „analog § 87 Abs. 2 AktG“139 an, eine Entscheidung darüber konnte im Fall jedoch dahinstehen. Zuletzt nahm gar das OLG Köln im Jahr 2008 an, der Ge-schäftsführer könne „in entsprechender Anwendung des § 87 II AktG verpflichtet sein, sein Gehalt zu reduzieren“140.

Zu beachten ist, dass stets die alte Fassung des § 87 II AktG in Bezug genommen wurde. Dessen hohe Voraussetzungen waren ähnlich wie die der Zustimmungspflicht aus der Treue-pflicht (s. oben: wesentliche Lageverschlechterung und schwe-re Unbilligkeit der Weitergewährung; für die GmbH zusätzlich Zumutbarkeit).

Jedoch wurde in den genannten Entscheidungen nur der Tatbestand des § 87 II AktG für den GmbH-Sachverhalt her-angezogen. Als Rechtsfolge stand immer eine Zustimmungs-pflicht im Raum, nie ein Gestaltungsrecht. Technisch ist dies

135 So bereits BGHZ 89, 48 sowie Greven, BB 2009, 2154 (2158) mwN. 136 So auch Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (127). 137 BGH BB 1992, 1583 (1585). 138 Wörtl. Zitate aus BGH GmbHR 1995, 654 (655). 139 Wörtl. Zitat aus AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg FPR 2004, 507 (508). 140 Wörtl. Zitat aus OLG Köln NZG 2008, 637 (637).

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keine saubere Gesetzesanalogie;141 vielmehr dient danach § 87 II AktG nur als Auslegungshilfe für die Ausformung der Treu-epflichtherabsetzung. Darauf ist im Folgenden noch einzuge-hen (E. I.). Zunächst soll allerdings aus Sicht des heutigen § 87 II AktG erörtert werden, ob eine analoge Anwendung auf die Reduktion der Geschäftsführerbezüge geboten ist.

II. Voraussetzungen der Analogie142

Die Gesetzesanalogie ist ein anerkanntes Instrument ergänzen-der Rechtsfindung143. Dafür müsste erstens im GmbH-Recht eine ausfüllungsbedürftige, planwidrige Regelungslücke hin-sichtlich der Herabsetzung von Geschäftsführervergütungen vorliegen. Zweitens müsste die diesbezügliche Interessenlage in der GmbH mit derjenigen vergleichbar sein, die § 87 II AktG n.F. zugrunde liegt144.

1. Ausfüllungsbedürftige Regelungslücke

Das GmbHG trifft keine Regelungen zur Kürzung der Ge-schäftsführervergütung (s.o. unter C. I.). Die Vergütung ist aber ein wichtiger Teil des Anstellungsverhältnisses, denn sie ist Entgelt für die Leitungstätigkeit und wesentlicher Anreiz dafür, das Amt zu übernehmen; zudem eine beachtliche Ver-pflichtung der GmbH. Es fehlt damit eine Regelung dort, wo sie nach der Regelungsabsicht des Abschnitts über die GmbH-Geschäftsführung zu erwarten wäre. Nach Larenz/Canaris konstituiert dies eine Regelungslücke145.

Da die Vergütung sich aus dem Anstellungsvertrag ergibt, könnte zwar nach Regelungen im Dienstvertragsrecht gesucht werden. § 612 BGB befasst sich jedoch erstens nicht mit der Anpassung der Vergütung; zweitens zeigt § 87 II im AktG, dass durchaus eine Regelung bei den organschaftlichen Nor-men zu erwarten ist.

a) Schließung der Lücke durch den Treuepflichtmechanismus?

Gaul/Janz146, Oetker147 und Menke148 wenden ein, die Rege-lungslücke sei durch den Mechanismus der Zustimmungs-pflicht zur Herabsetzung von der Rechtsprechung beseitigt worden149. Dies erscheint ungenau, denn die Lücke ist nur „vom Standpunkt des Gesetzes“ zu beurteilen150 und liegt mit-hin vor. Jedoch lässt sich der Einwand dergestalt umformulie-ren, dass die genannten Autoren ein Analogiebedürfnis ableh-nen: Wegen anderweitig existierender Mechanismen müsse keine weitere Regelung getroffen werden.

141 Auch Adrian, Methodenlehre, S. 903 erkennt: „Analogie ist die Zuordnung einer Rechtsfolge […] zu einem anderen Tatbestand“. Hervorhebung vom Verfasser. 142 Im Folgenden wird aus Platzgründen auf dogmatische Details der Analogie nicht eingegangen. Soweit es auf solche ankommt, werden sie freilich im Überblick dargelegt. 143 Bydlinski, Methodenlehre, S. 475; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 144 Zu den Analogievoraussetzungen s. nur BGHZ 149, 165 (174). 145 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194. 146 Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959 (961). 147 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (533). 148 Menke, F.A.Z. 02.09.2009, S. 21. 149 Zweifelnd auch Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124 f.). 150 Wörtl. Zitat aus BGHZ 149, 165 (174).

b) Kein Analogiebedürfnis?

In der Tat ist mit dem Anspruch auf Zustimmung zur Kürzung aus Treuepflichtgesichtspunkten ein Mittel zur Herabsetzung der Geschäftsführerbezüge gefunden. Allerdings sind eine Analogie zu § 87 II AktG und die Treuepflichtlösung sind parallele Versuche, die Regelungslücke im GmbHG zu füllen. Die Anwendung des einen kann dabei die des anderen nicht kategorisch ausschließen. Denn wiese die erste Möglichkeit Unzulänglichkeiten auf und stellte sich heraus, dass diese bei der zweiten Möglichkeit nicht vorliegen, könnte nach der Auf-fassung der genannten Autoren nicht mehr korrigiert werden. Ein solches Ergebnis könnte freilich nicht überzeugen.

Außerdem muss das Analogiebedürfnis jedenfalls soweit noch bestehen, wie die Analogie über die Treuepflichtlösung hinausreicht. Mithin kann dem Ansatz, das Analogiebedürfnis entfalle von vornherein, nicht gefolgt werden.

Es verfängt dabei nicht, dass sich die Voraussetzungen des Treuepflichtmechanismus nicht punktgenau verallgemeinern lassen. Denn ähnliche Unsicherheit besteht bei § 87 II AktG n.F. (s.o. unter B. III.). Ebenso gewährt die Treuepflichtlösung zwar nur einen Zustimmungsanspruch, der aber durch die dolo-agit-Einrede ähnlich dem Gestaltungsrecht sofort wirkt151.

Über die Treuepflicht kann die Kürzung nur erzwungen werden, soweit die Unbilligkeit reicht. Nach § 87 II AktG wird dagegen – schärfer – gleich auf eine angemessene Gesamtver-gütung herabgesetzt. Insoweit besteht also ein Analogiebedürf-nis.

Letztlich durchgreifend ist der Einwand, dass die Eingriffs-schwelle des § 87 II AktG n.F. nunmehr – wie oben gezeigt (unter B. III. 2.) – niedriger liegt als beim GmbH-rechtlichen Pendant.

c) Zwischenergebnis: Regelungslücke und Analogiebedürfnis bestehen

Die Regelungslücke besteht. Sie wurde durch die Treuepflicht-lösung nicht vollständig ausgefüllt, sodass das Analogiebe-dürfnis nicht entfällt.

Dieser Ansicht sind denn wohl auch Schneider152, Marsch-Barner/Diekmann153 und Raiser/Veil,154 wenn sie sich sogar insgesamt für eine Analogie zu § 87 II AktG aussprechen. Dennoch wenden auch sie dabei die Rechtsfolge der Norm nicht an.

2. Planwidrigkeit

Weiter ist zu fragen, ob es nach dem gesetzgeberischen Rege-lungsplan des GmbH-Gesetzes einer Regelung zur Herabset-zung der Geschäftsführervergütung bei Lageverschlechterung bedürfte, so wie § 87 II AktG sie für die AG trifft155.

151 S. unter C. II. 3. 152 Scholz/Schneider, 9. Aufl., § 35 Rn. 191. 153 Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann, § 43 Rn. 24. 154 Raiser/Veil, KapitalgesellschaftsR, § 32 Rn. 50. 155 So im Ergebnis Bork, BGB AT, Rn. 144.

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a) Ausgangspunkt

Zwar ist das GmbHG offen konzipiert, damit die Gesellschaf-ter die innere Organisation der GmbH ihren Bedürfnissen an-passen können156. Trotzdem kann eine Vergütungsanpassung an eine instabile Lage der GmbH nötig sein – diese hängt je-doch von der Zustimmung des Geschäftsführers ab. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber hierfür absichtlich keine Lösungsmöglichkeit vorgesehen haben sollte. Darauf deutet auch historisch nichts hin, im Gegenteil galt die Reichs-notverordnung von 1931 sogar auch für GmbHs (s.u. unter 3. a) ee) ). Traf der Gesetzgeber dagegen keine Regelung, um die Klärung der Frage Wissenschaft und Rechtsprechung zu über-lassen, kann das der Analogie gerade nicht schaden157. Nach-dem sich auch im Dienstvertragsrecht nichts zur Herabsetzung der Bezüge findet, ist die Regelungslücke im GmbHG als planwidrig anzusehen158.

b) Gilt etwas anderes nach dem VorstAG?

Nach der Begründung zum VorstAG soll § 87 AktG n.F. gera-de keine Anwendung auf die GmbH finden; auch nicht auf GmbHs mit Aufsichtsrat über § 116 AktG159.

Mit Verweis auf den eindeutigen gesetzgeberischen Willen lehnen auch Habersack160, Greven161, Jaeger162 und Lunk/Stolz163 eine Analogie ab, obwohl sie teils eine Ver-gleichbarkeit der Interessenlage annehmen.

Wenn der Gesetzgeber sich eindeutig gegen eine Anwend-barkeit des § 87 AktG auf die GmbH ausspricht, dann beein-flusst dies zwar zunächst nicht die Regelungslücke im GmbH-Recht – darf aber unter dem hier behandelten Prüfungspunkt nicht unberücksichtigt bleiben.

c) Von der Planwidrigkeit zur Planmäßigkeit

Deshalb muss die ursprüngliche Planwidrigkeit zu einer Plan-mäßigkeit werden. Diese kann nur relativ wirken, da sie sich nur aus einer gesetzgeberischen Äußerung zum Fall des § 87 II AktG n.F. ergibt. Die Umdeutung rechtspolitischer Fehler in eine planwidrige Regelungslücke ist unzulässig164. Der Gesetz-geber darf sachwidrige Gesetze erlassen; eine „Emanzipation von dem Willen des Gesetzgebers“165 ist abzulehnen.

Damit ergibt sich, dass vor Erlass des VorstAG die Planwid-rigkeit bejaht werden konnte166. Zu § 87 II AktG n.F. ist dies

156 Vgl. Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, S. 285. 157 Bork, BGB AT, Rn. 145. 158 Vgl. MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, aaO. 159 BT-Drs. 16/13433, S. 10. Bestätigend BMJ-Referatsleiter Seibert, WM 2009, 1489 (1490). 160 Habersack, ZHR 174 (2010), 2 (9). 161 Greven, BB 2009, 2154 (2158). 162 MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 324. 163 Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (126). 164 Dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194; Adrian, Methodenlehre, S. 895. 165 Treffend erkennt dahingehende Bestrebungen (Wörtl. Zitat) Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (529). 166 So wohl auch OLG Köln NZG 2008, 637 (637); Scholz/Schneider 9.Aufl., § 35 Rn. 191; Münchener Hdb. GesR/Marsch-Barner/Diekmann § 43 Rn. 24.

hingegen nicht mehr der Fall. Wegen der relativen Planmäßig-keit ist von der Analogie abzusehen.

3. Vergleichbarkeit der Interessenlage

Viele Stimmen gelangen nicht zu diesem Ergebnis, sodass die Vergleichbarkeit der Interessenlage noch immer kontrovers diskutiert wird. Diese soll auch mit Rücksicht auf die Lage zu § 87 II AktG a.F. erörtert werden, denn vor 2009 kam es darauf entscheidend an.

Eine Gesetzesanalogie ist sachgemäß, wenn der in Frage stehende Fall demjenigen ähnlich ist, den die Ausgangsnorm nach ihrer ratio erfassen soll167. Denn die „Gleichbehandlung des Gleichartigen“168 ist ein allgemeines Rechtsprinzip169. Ähnlichkeit bedeutet, dass wesentliche Aspekte gleichgelagert sind, wohingegen die Unterschiede als vernachlässigbar er-scheinen170.

Fraglich ist also, ob der Fall, den § 87 II AktG regeln will, in für § 87 II AktG gerade wesentlichen Merkmalen mit dem Fall einer Reduzierung der Geschäftsführerbezüge überein-stimmt.

a) Bei der GmbH ohne Aufsichtsrat

Bei AG wie GmbH liegen Anstellungsverträge der Körper-schaft mit ihren Geschäftsleitern vor, die zunächst dem Ver-tragstreuegrundsatz unterfallen. Darüber hinaus sind folgende Gesichtspunkte relevant:

aa) Der GmbH-Geschäftsführer ist weisungsgebunden

Döring/Grau171 konstatieren, dass die Gesellschafterversamm-lung ein Weisungsrecht (s. § 37 I GmbHG gegenüber § 76 I AktG) gegenüber den Geschäftsführern hat und somit verhin-dern könne, dass schlechte Geschäfte abgeschlossen werden. Sie erachten bereits dies als einen wesentlichen Unterschied zur AG, der eine Analogie ausschließe172. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden: § 87 II AktG soll gerade auch grei-fen, wenn unabhängig von einem Verschulden eine schlechtere Lage eingetreten ist, beispielsweise wegen einer allgemeinen Finanzmarktkrise (s.o. unter B. III. 2. a) ).

bb) Die GmbH ist häufig personalistisch geprägt

Der oft kleine GmbH-Gesellschafterkreis gegenüber zahllosen Aktionären macht keinen wesentlichen Unterschied,173 denn in beiden Fällen kann ein Geschäftsleiter Gehaltsreduzierungs-pläne zunächst blockieren. Es bedarf dann eines Herabset-

167 S. Bydlinski, Methodenlehre, S. 475. 168 Wörtl. Zitat aus Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 195. 169 Soergel/Hefermehl, § 133 Anh. Rn. 13. S nur Art. 3 I GG. 170 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 171 Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2141). 172 Nach Weller, NZG 2010, 7 (11) diene § 87 II AktG gerade der Kompensa-tion der Vorstandsunabhängigkeit, sodass auch er die Vergleichbarkeit wohl ablehnen würde. Dieser Aspekt ist jedoch eher als ein Gesichtspunkt bei der dogmatischen Einordnung zu sehen. 173 So aber Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2140 f.).

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zungsinstruments. Für eine freiwillige Kürzung der Bezüge ist dagegen in beiden Fällen Raum.

cc) Öffentliches Interesse an der Anpassung der Geschäftsleiterbezüge bei der AG

Schneider/Sethe174, Lindemann175 und Lunk/Stolz176 lehnen die Analogie mit Hinweis auf ein bei der AG bestehendes öffentli-ches Interesse an der Reduzierung der Bezüge ab, welches bei der GmbH nicht bestehe. Dies kann nur meinen, dass viele große Gesellschaften (gerade Banken) als AG organisiert sind, wohingegen viele GmbHs kleinere Unternehmen tragen.

Es mag zwar zutreffen, dass die Verschärfung zur Soll-Form auch erfolgte, weil in der Finanzmarktkrise bei den durch Steu-ergelder geretteten AGs Empörung über unverändert hohe Vorstandsbezüge aufkam177. Die Steuerzahler haben ein be-rechtigtes Interesse daran, dass alle Mittel ergriffen werden, um die Belastung des Steuerhaushalts gering zu halten178.

Allerdings erfasst § 87 II AktG auch nichtbörsennotierte AGs. Wübbelsmann konstatiert zutreffend, dass bei diesen kein erhebliches öffentliches Interesse an der Anpassung der Bezü-ge bestehen kann,179 indem sie weder am öffentlichen Kapital-markt teilnehmen noch sonst von so großem wirtschaftlichem Gewicht sind, dass sie einem öffentlichen Rettungsfonds unter-fallen. Zugleich erscheint die Grenze zwischen nichtbörsenno-tierten AGs und besonders großen GmbHs nicht derart scharf, dass hier eine Differenzierung geboten wäre180.

Dass bei vielen Anwendungsfällen des § 87 II AktG ein öf-fentliches Interesse mitschwingt, ist also nicht wesentlich.

dd) Gläubigerschutzwirkung des § 87 II AktG n.F.

Hinzuzufügen ist, dass die Gläubiger von GmbH und AG in ihrem Vertrauen auf den Haftungsfonds vergleichbar schutz-würdig erscheinen. Auch die Ausschüttungssperren bei GmbH und AG liegen ähnlich (§ 30 I 1 GmbHG; § 57 I 1 AktG).

ee) Gesetzgebungsgeschichte

Oetker bemerkt, dass die Herabsetzungsregelung in der Not-verordnung von 1931 (s.o. unter B. I.) rechtsformneutral galt181. Freilich enthielt die damalige Norm weder die erleich-terten Eingriffsvoraussetzungen des § 87 II AktG n.F. noch den Soll-Charakter.

174 Scholz/Schneider/Sethe, § 35 Rn. 218. 175 Lindemann, GmbHR 2009, 737 (739). 176 Lunk/Stolz, NZA 2010, 121 (126). 177 Vgl. zur Ansicht der „Öffentlichkeit“ Bauer/Arnold, AG 2009, 717 (717). 178 So auch Hopt, ZHR 175 (2011), 444 (491 f.). 179 Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988 (990 f.). 180 Beispielsweise machte die Robert Bosch GmbH 2011 mit über 300.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro (s. den Pressebereich der Unternehmenswebsite: www.bosch-presse.de). Die nichtbörsennotierte Jowat AG produziert demgegenüber in Detmold mit rund 700 Beschäftigten Klebstoffe (s. Geschäftsbericht 2010 im Bundesanzeiger, abrufbar unter www.unternehmensregister.de). 181 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (532 f.).

ff) Die Anteilseigner entscheiden über die Geschäftsführervergütung

Döring/Grau182 und Wachter183 weisen weiter darauf hin, dass in der AG ein Drittorgan über den vergütungsbedingten Kapi-talabfluss entscheidet; in der GmbH ohne Aufsichtsrat tun dies die Anteilseigner selbst. Die Autoren sehen hierin einen erheb-lichen Unterschied.

Zu § 87 II AktG a.F. wäre dies nicht von Belang, sondern beträfe nur Absatz 1. Soweit § 87 II AktG nämlich eine (bloße) Berechtigung zur Herabsetzung normiert, hat er nicht den Zweck, vor einer schon anfangs unangemessenen Vergütung zu schützen. Er geht vielmehr davon aus, dass eine angemesse-ne Vergütung festgesetzt und diese wegen einer Lagever-schlechterung angepasst werden muss184.

Der Einwand verfängt also in diesem Punkt nicht. Die Her-absetzungsvorschrift soll in Zeiten einer schlechten Lage der Gesellschaft – gleich, wodurch diese verursacht wurde (s.o. unter B. III. 2. a.) – die Gesellschaft, ihre Anteilseigner und Gläubiger davor schützen, dass unangemessen viel Kapital als Vergütung der Geschäftsleiter abfließt (s.o. unter B. I.) und letztere nicht freiwillig ihre Bezüge anpassen. Diese Gefahr besteht unabhängig davon, wer für die Vergütung zuständig ist – und damit bei AG und GmbH gleichermaßen.

§ 87 II AktG wurde jedoch in eine Soll-Vorschrift geändert. Dies spricht ein Risiko an, welches bei der GmbH ohne Auf-sichtsrat nicht besteht: Passt trotz schlechter Lage der Auf-sichtsrat die Bezüge nicht an, geschieht dies zum Nachteil von Gesellschaft, Aktionären und Gläubigern. GmbH-Gesellschafter sind insoweit nicht schutzwürdig, da sie selbst die Herabsetzung beschließen können185. Dass bei einer Wei-tergewährung überhöhter Bezüge dann die Gläubiger benach-teiligt werden, kann diesen Unterschied nicht heilen. Ohnehin können die Gesellschafter außerhalb des § 30 I GmbHG in anderer Weise zum Nachteil der Gläubiger Kapital aus dem Haftungsfonds abziehen.

Die Soll-Anweisung könnte höchstens unter Minderheiten-schutzgesichtspunkten in der GmbH berechtigt sein, wenn der beherrschende Gesellschaftergeschäftsführer davon abgehalten werden muss, es unter Missbrauch seiner Mehrheit bei der zu hohen Vergütung für sich selbst zu belassen. In dieser Konstel-lation liegen die Interessen ähnlich wie in der AG186.

Döring/Grau und Wachter ist damit grundsätzlich zuzu-stimmen. Eine Soll-Herabsetzungsvorschrift trifft in der GmbH ohne Aufsichtsrat nicht auf eine Interessenlage, die derjenigen bei der AG im Wesentlichen ähnelt. Anders liegt nur der Fall des beherrschenden Gesellschaftergeschäftsführers.

gg) Niedrigere Eingriffsschwelle und weiterreichende 182 Döring/Grau, DB 2009, 2139 (2140 f.). 183 Wachter, GmbHR 2009, 953 (957). 184 Vgl. Henssler/Strohn/Dauner-Lieb, § 87 AktG Rn. 35; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349 (1357). 185 Im Gegenteil wäre es überzogen, die GmbH grundsätzlich zur Herabsetzung zu zwingen und sie dem Sonderkündigungsrecht (§ 87 II 4 AktG) auszusetzen. 186 Details zum Minderheitenschutz in der GmbH bleiben hier außer Betracht.

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Rechtsfolge – Analogiefähigkeit des § 87 II AktG n.F.?

Fraglich ist weiter, ob § 87 II AktG als Ausnahmevorschrift (s.o. unter B. III. 1.) überhaupt analogiefähig ist. Bei solchen sind erhöhte Anforderungen zu stellen: Eine Analogie ist ent-gegen einer weit verbreiteten Formel nicht ausgeschlossen, aber „die Vergleichbarkeit muss […] gerade mit dem engeren Zweck der Ausnahmevorschrift gegeben sein“187.

Zwar bestätigt die Entwicklung des Treuepflichtmechanis-mus, dass auch in der GmbH der nachträgliche Eingriff in vertragliche Vergütungsvereinbarungen geboten sein kann. Allerdings ist für die verschärften Parameter des § 87 II AktG n.F. in der GmbH kein spezifisches Bedürfnis zu entdecken, ihre Anwendung ohne gesetzliche Grundlage erscheint bedenk-lich188. Hinzu kommt, dass bei der Betrachtung unter B. III. 1. selbst zum kodifizierten § 87 II AktG n.F. Bedenken verblie-ben.

hh) Fazit für die GmbH ohne Aufsichtsrat

Für die GmbH ohne Aufsichtsrat liegt hinsichtlich fast aller Punkte Vergleichbarkeit vor. Allerdings zeigt der Charakter als Soll-Vorschrift einen erheblichen Unterschied: Eine solche Regelung ergibt nur in von einem Gesellschaftergeschäftsfüh-rer beherrschten GmbHs und in der AG Sinn. Da bei der Ana-logie Tatbestand und Rechtsfolge des § 87 II AktG angewandt werden müssten189, ist die Vergleichbarkeit der Interessenlagen bereits hier nur für die enge Konstellation zu bejahen, in der Minderheitsgesellschafter geschützt werden müssen. Im Übri-gen ginge es zu weit, eine grundsätzliche Reduzierungspflicht zu statuieren.

Für alle GmbHs scheitert die Ähnlichkeit jedoch an den niedrigeren Voraussetzungen des § 87 II AktG n.F. sowie der ausgedehnten Höhe der Herabsetzung.

Nach § 87 II AktG a.F. lagen die Interessen hingegen ver-gleichbar, denn neben den höheren Anforderungen war Rechts-folge nur eine Berechtigung zur Herabsetzung.

b) Bei der GmbH mit Aufsichtsrat

Ist der Aufsichtsrat nicht für die Vergütung zuständig, kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Der Aufsichtsrat spielt für die Interessenlage dann keine Rolle.

In der MitbestG-mitbestimmten GmbH nimmt der Auf-sichtsrat dagegen eine ähnliche Rolle ein wie in der AG190. Die Soll-Vorschrift ist hier mithin sinnvoll.

So nehmen denn auch Bosse191, Oetker192 und Baeck/Götze/Arnold193 eine Analogie zu § 87 II AktG n.F. an. Sie verkennen jedoch die mangelnde Planwidrigkeit und, dass 187 Wörtl. Zitat aus Larenz/Wolf, BGB AT, § 4 Rn. 80. So auch Soergel/Hefermehl, § 133 Anh. Rn. 13. 188 S. nur Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (533). 189 Adrian, Methodenlehre, S. 903. 190 So auch MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 305. 191 Bosse, BOARD 2009, 142 (144). 192 Oetker, ZHR 175 (2011), 527 (535 f.). 193 Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121 (1124 f.).

auch in der mitbestimmten GmbH nichts dafür spricht, die erleichterte Eingriffsschwelle und die erweiterte Herabsetzung anzuwenden.

III. Gesamtergebnis

Insgesamt ist also eine Herabsetzung der Geschäftsführerver-gütung analog § 87 II AktG n.F. abzulehnen. Die Regelungslü-cke ist nicht mehr planwidrig; die Interessenlagen sind zwar weitgehend vergleichbar, aber es verfangen elementar die Verschärfungen in Tatbestand und Rechtsfolge. Mit leichten Abweichungen gelangt man zu demselben Ergebnis für GmbHs mit Aufsichtsrat und solche, die von einem Gesell-schaftergeschäftsführer beherrscht sind. Vor 2009 wäre die Analogie bei allen GmbHs jedoch möglich gewesen.

E. Zusammenfassung in Thesenform

§ 87 II AktG hat durch das VorstAG eine deutliche Verschär-fung in Tatbestand und Rechtsfolge erfahren.

Die Herabsetzungsnorm ist weiterhin eng auszulegen, da sie eine Ausnahme von dem elementaren Grundsatz der Vertrags-treue darstellt und Bedenken ausgesetzt bleibt.

Eine direkte Anwendung des § 87 II AktG kommt auch für GmbHs mit Aufsichtsrat nicht in Betracht.

Für GmbH-Geschäftsführer ist zu Recht anerkannt, dass sie wegen ihrer organschaftlichen Treuepflicht verpflichtet sein können, einer Reduzierung ihrer Bezüge durch Änderungsver-trag zuzustimmen. Die GmbH erhält dann einen entsprechen-den Anspruch aus § 242 BGB.

Das GmbH-Gesetz weist eine Regelungslücke zur Vergü-tungsherabsetzung auf. Diese ist im Hinblick auf eine analoge Anwendung von § 87 II AktG jedoch nach dem VorstAG nicht mehr planwidrig. Die Analogie scheitert.

Die Interessenlage hinsichtlich der Vergütungskürzung ist in GmbH und AG zwar weitgehend vergleichbar. Dies gilt jedoch nicht für die erleichterten Eingriffsvoraussetzungen des § 87 II AktG n.F. sowie seine Rechtsfolgenseite. Auch daran würde die Analogie scheitern.

Nichts anderes gilt bei GmbHs mit Aufsichtsrat, insbeson-dere bei mitbestimmten GmbHs.

Die alte Fassung des § 87 II AktG konnte sowohl analog als auch bloß konkretisierend im GmbH-Recht herangezogen werden.

Der Autor hat im Sommer 2014 die Erste juristische Prüfung in Freiburg abgelegt und ist nun wissenschaftlicher Mitar-beiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht von Professor Dr. Barbara Grunewald, Universität zu Köln. Dieser Artikel basiert auf einer Semi-nararbeit, die im Sommersemester 2012 im Rahmen eines Seminars bei Professor Dr. Marc-Philippe Weller an der Universität Freiburg verfasst wurde. Schrifttum und Recht-sprechung befinden sich noch auf diesem Stand; jedoch ist die Gesetzeslage und, soweit ersichtlich, auch die höchst-richterliche Rechtsprechung bis heute unverändert.

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F. Anhang:§ 87 AktG a.F. (bis 4.8.2009)

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder (1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge

des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, daß die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. 2Dies gilt sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art

(2) 1Tritt nach der Festsetzung eine so wesentliche Verschlechter-ung in den Verhältnissen der Gesellschaft ein, daß die Weitergewährung der in Absatz 1 Satz 1 aufgeführten Bezüge eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft sein würde, so ist der Aufsichtsrat, im Fall des § 85 Abs. 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats, zu einer angemessenen Herabsetzung berechtigt. 2Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen nicht berührt. 3Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstel-lungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen.

(3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfah-ren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsver-trag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen.

§ 87 AktG n.F. (seit 5.8.2009, nach VorstAG)

Grundsätze für die Bezüge der Vorstandsmitglieder (1) 1Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge

des einzelnen Vorstandsmitglieds (Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anrei-zorientierte Vergütungszusagen wie zum Beispiel Aktienbezugsrechte und Nebenleistungen jeder Art) dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. 2Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine na-chhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. 3Variable Vergü-tungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben; für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. 4Satz 1 gilt sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art.

(2) 1Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Fest-setzung so, dass die Weitergewährung der Bezüge nach Absatz 1 unbil-lig für die Gesellschaft wäre, so soll der Aufsichtsrat oder im Falle des § 85 Absatz 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen. 2Ruhegehalt, Hinter-bliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach Satz 1 herabgesetzt werden. 3Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungs-vertrag im übrigen nicht berührt. 4Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalen-dervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen.

(3) Wird über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfah-ren eröffnet und kündigt der Insolvenzverwalter den Anstellungsver-trag eines Vorstandsmitglieds, so kann es Ersatz für den Schaden, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, nur für zwei Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen.

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Feststellung des Jahresabschlusses

durch rückwirkend beschlussunfähig gewordenen Aufsichtsrat

Julian M. Egelhof

Mit Urteil vom 19.2.20131 hat der BGH die Streitfrage, ob die Lehre vom fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe der Mitglieder des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft anwendbar ist, verneint. Dies führt insbesondere dann zu Rechtsunsicherheit, wenn der Aufsichtsrat nach Feststel-lung des Jahresabschlusses rückwirkend seine Bes-chlussfähigkeit durch wirksame Anfechtung der Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung verliert. Nach Ansicht des Verfassers können Gesellschaften dieser Rechtsunsicherheit vorbeugen, indem sie Aufsichts-ratsmitglieder, gegen deren Wahlbeschluss Anfechtung-sklage erhoben wurde, analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG bis zur nächsten Hauptversammlung gerichtlich bestellen lassen.

A. Einführung

Die Bestellung der Mitglieder des Aufsichtsrates erfolgt grund-sätzlich2 durch Wahlbeschluss der Hauptversammlung gemäß § 101 Abs. 1 S. 1 AktG. Dieser Wahlbeschluss ist gemäß § 251 AktG anfechtbar, wenn er Beschlussmängel aufweist. Die Anfechtung des Wahlbeschlusses erfolgt durch Anfech-tungsklage gemäß §§ 246 Abs. 1, 251 Abs. 3 AktG. Gibt das Gericht der Anfechtungsklage statt, erklärt es den Wahlbe-schluss durch Urteil für nichtig3.

Die Nichtigerklärung entfaltet Rückwirkung, sodass der Wahlbeschluss als von Anfang an (ex tunc) nichtig gilt. Zwar lässt sich diese Rückwirkung dem Gesetzeswortlaut nicht un-mittelbar entnehmen, doch stellt § 241 Nr. 5 AktG Hauptver-sammlungsbeschlüsse, die auf Anfechtungsklage durch Urteil für nichtig erklärt worden sind, Hauptversammlungsbeschlüs-sen gleich, die schon qua Gesetz nichtig sind. Für letztere wie-derum sieht der Wortlaut des § 241 HS 1 AktG die Nichtigkeit ex tunc vor4.

Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Auswirkungen die Nichtigkeit des Wahlbeschlusses auf die Stimmabgabe des betroffenen Mitglieds des Aufsichtsrats hat.

B. Auswirkung der wirksamen Anfechtung des Wahlbeschlusses der Hautversammlung auf die Stimmabgabe des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds

Grundsätzlich müsste die Rückwirkung der Nichtigkeit des Wahlbeschluss dazu führen, dass der Betroffene niemals Mit- 1 II ZR 56/12, NJW 2013, 1535. 2 Die Satzung kann auch Entsendungsrechte vorsehen, § 101 Abs. 2 AktG. 3 Die bloße Erhebung der Anfechtungsklage zieht hingegen nach allg. M. keine Rechtsfolgen nach sich, vgl. nur Bayer/Lieder NZG 2012, 1, 7 f; Lieder, GWR 2010, 552. 4 E. Vetter ZIP 2012, 701, 702; a.A. noch Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen 1981, S. 155.

glied des Aufsichtsrates geworden ist und mithin auch niemals wirksam seine Stimme bei Beschlussfassungen des Aufsichts-rates abgeben oder auch nur an Sitzungen des Aufsichtsrates teilnehmen konnte. Nach dem gesetzlichen Regelfall besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern, § 95 S. 1 AktG; zugleich ist gemäß § 108 Abs. 2 S. 3 AktG der Aufsichtsrat beschluss-unfähig, wenn an der Beschlussfassung weniger als drei Mit-glieder teilnehmen. Bliebe es vorbehaltlos bei der Rückwir-kung der Nichtigkeit, würde im gesetzlichen Regelfall der Aufsichtsrat bei erfolgreicher Anfechtung nur eines Wahlbe-schlusses rückwirkend beschlussunfähig und hätte seit der Wahl des betroffenen Mitglieds keinen wirksamen Beschluss fassen können.

Es ist jedoch methodisch zulässig, die Rechtsfolgen der Rückwirkung der Nichtigkeit teleologisch zu reduzieren, so-weit sie auf gesellschaftsrechtliche Rechtsverhältnisse nicht passen5. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Rechts-verhältnis aufgrund seiner vielfältigen Wirkungen nicht sinn-vollerweise rückabgewickelt werden kann. So liegt es etwa bei der anerkannten Rechtsfigur der fehlerhaften Gesellschaft6. Eine ähnliche Problematik ergibt sich, wenn der Vorstand einer AG oder Geschäftsführer einer GmbH zwar bestellt wurde, aber der Bestellungsakt an Wirksamkeitsmängeln leidet. Wird die Bestellung dennoch vollzogen, ist der Geschäftsleiter an einer Vielzahl von Geschäften im Innen- oder Außenverhältnis beteiligt, die kaum rückabzuwickeln sind7. Mithin können Mängel bei der Berufung von Geschäftsleitern nur mit Wir-kung für die Zukunft geltend gemacht werden; die vollzogene Bestellung ist vorläufig wirksam8 („Lehre vom fehlerhaften Organ“)9.

Diese Grundsätze könnten auf die Stimmabgabe des Auf-sichtsrats übertragen werden. Das Aufsichtsratsmitglied, des-sen Wahlbeschluss wirksam angefochten ist, verlöre dann zwar ex tunc seine Amtsstellung, seine bisherige Stimmabgabe blie-be jedoch wirksam10. Davon wäre eine Ausnahme zu machen, wenn – angelehnt an die funktional entsprechenden Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft11 – eine Wirksamkeit des Auf-sichtsratsbeschlusses mit höherrangigen Interessen der Aktio-näre an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gesellschaft unvereinbar wäre12.

5 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 2002, S. 141; weitergehend Schultz NZG 1999, 89. 6 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht 2002, S. 141. 7 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S. 268. 8 BGH, 6.4.1964, II ZR 75/62, NJW 1964, 1367. 9 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S. 268. 10 Happ, FS-Hüffer 2010, S. 293, 307. 11 Zu den entsprechenden Fallgruppen siehe Goette DStR 1996, 266. 12 Vgl. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände 2007, S. 290.

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Eine Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf den Aufsichtsrat setzt jedoch voraus, dass Rückabwicklungs-schwierigkeiten, wie sie in Bezug auf die fehlerhafte Bestel-lung von Geschäftsleitern bestehen, auch in Bezug auf die Beschlussfassungen des Aufsichtsrates bestehen.

Gerade solche Rückabwicklungsschwierigkeiten hat der BGH jüngst verneint13 und somit eine Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe14 der Mitglieder des Aufsichtsrates grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr sei ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahlbeschluss wirksam ange-fochten wurde, einem Nichtmitglied gleich zu achten: Rück-abwicklungsschwierigkeiten bestünden insbesondere deshalb nicht, weil Dritte, gegenüber denen Aufsichtsratsbeschlüsse im Außenverhältnis vollzogen werden, schon nach Rechtsschein-rundsätzen ausreichend geschützt seien; der durch den Auf-sichtsrat fehlerhaft bestellte Vorstand nach den Grundsätzen der fehlerhaften Bestellung geschützt sei und die Nichtigerklä-rung der Wahl ohne Auswirkung auf Beschlussvorschläge des Aufsichtsrates zur Beschlussfassung der Hauptversammlung bliebe15.

Diese Argumentation des BGH ist in der Literatur auf Kritik gestoßen16. Vorliegend soll jedoch nur auf die Folgen der Nichtanwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf die Feststellung des Jahresabschlusses durch den Aufsichtsrat eingegangen werden.

C. Rechtsunsicherheit bei Feststellung des Jahresabschlusses durch anfechtbar gewählte Aufsichtsratsmitglieder

Gemäß § 172 S. 1 AktG ist der Jahresabschluss festgestellt, wenn der Aufsichtsrat ihn billigt. Die Billigung erfolgt durch Beschluss gemäß § 108 Abs. 1 AktG. Nach § 256 Abs. 2 AktG ist der Jahresabschluss nichtig, wenn der Aufsichtsrat bei sei-ner Feststellung nicht ordnungsgemäß mitwirkt. Eine nicht ordnungsgemäße Mitwirkung liegt vor, wenn der Beschluss des Aufsichtsrates nicht ergangen ist17. Nicht ergangen ist der Beschluss, wenn es an der erforderlichen Mehrheit fehlt oder der Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung nicht beschlussfähig war. Deshalb müsste im gesetzlichen Regelfall der Besetzung des Aufsichtsrates mit drei Mitgliedern (s.o.) die Nichtanwen-dung der Lehre vom fehlerhaften Organ bei erfolgreicher An-fechtung des Wahlbeschlusses auch nur eines Mitglieds des Aufsichtsrats zur rückwirkenden Nichtigkeit des Jahresab-schlusses führen.

Davon abweichend lässt der BGH in seiner oben zitierten Entscheidung ausdrücklich offen, „ob die Mitwirkung eines lediglich anfechtbar gewählten Mitglieds, dessen Wahl bis zur Nichtigerklärung als wirksam zu behandeln ist, überhaupt als fehlerhafte Mitwirkung des Aufsichtsrates anzusehen ist“18. 13 BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537 f. 14 Anwendbar ist die Lehre vom fehlerhaften Organ hinsichtlich der Pflichten, Haftung und Vergütung des Aufsichtsrates; so bereits BGH, 3.7.2006, II ZR 151/04, NZG 2006, 712. 15 BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537 f. 16 Vgl. statt vieler Cziupka/Pitz NJW 2013, 1539. 17 E. Vetter ZIP 2012, 701, 710 m.w.N. 18 BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1538.

Dies weckt Zweifel an der dogmatischen Stringenz der Ent-scheidung: Entfaltet die Nichtigerklärung Wirkung für die Vergangenheit, so kann es gerade nicht darauf ankommen, ob die Wahl bis zur Nichtigerklärung wirksam war19. Anderenfalls läge nur eine Nichtigkeit mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) vor, doch gerade dies lehnt der BGH ausdrücklich ab20.

Mithin müsste bei stringenter Anwendung der dogmatischen Grundsätze des BGH der Jahresabschluss in der hier diskutier-ten Konstellation nichtig sein21. Der Jahresabschluss ist gemäß § 174 AktG Grundlage der Gewinnverwendung. Seine Nich-tigkeit hat nicht zuletzt deshalb komplexe Abwicklungsprob-leme zur Folge. Folglich wäre schon wegen der Gefahr eines nichtigen Jahresabschlusses eine Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf die Stimmabgabe des Aufsichtsrates vorzugswürdig.

Darin läge auch keine Umgehung des § 256 Abs. 6 AktG, der zum Schutz der Gesellschaft Spezialregelungen in Bezug auf die Geltendmachung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses enthält22. Denn erstens ist § 256 Abs. 6 AktG nicht auf die Besonderheiten der fehlerhaften Aufsichtsratswahl zugeschnit-ten und insoweit nicht abschließend23. Zweitens verhilft die Lehre vom fehlerhaften Organ nicht jedem Aufsichtsratsbe-schluss zur Wirksamkeit (s.o.), sodass für § 256 Abs. 6 AktG ein eigener Anwendungsbereich verbliebe.

Nach der Entscheidung des BGH verbleibt somit eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit, wenn Aufsichtsratsmitglie-der, gegen deren Wahlbeschluss Anfechtungsklage erhoben worden ist, an der Feststellung des Jahresabschlusses mitwir-ken und eine Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung den Feststellungsbeschluss des Aufsichts-rates rückwirkend beseitigt, im gesetzlichen Regelfall also schon bei wirksamer Anfechtung nur eines Wahlbeschlusses24.

D. Gerichtliche Bestellung der Aufsichtsrats-mitglieder analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG

Für die Gesellschaften folgt daraus ein Bedürfnis nach der Beseitigung dieser Rechtsunsicherheit. Nach hier vertretener Auffassung ist es zulässig, Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahl durch Erhebung einer Anfechtungsklage gemäß § 251 Abs. 1 AktG angefochten ist, analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG bis zur nächsten Hauptversammlung gerichtlich bestellen zu lassen, ohne dass ihre Position im Auf-sichtsrat zuvor vakant würde, wenn die erfolgreiche Anfech-tung rückwirkend zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates führte25. So wird die Mitgliedschaft der Betroffenen im Auf-

19 Vgl. Schürnbrand NZG 2013, 481, 482. 20 BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1537. 21 Vgl. Cziupka/Pitz NJW 2013, 1539. 22 A.A.BGH, 19.2.2013, II ZR 56/12, NJW 2013, 1535, 1538. 23 Schürnbrand NZG 2013, 481, 482. 24 Unproblematisch ist freilich der Fall, in dem der Aufsichtsrat aus mehr als drei Personen besteht und auch nach rückwirkendem Wegfall einer Stimme genug Stimmen verbleiben, um den Feststellungsbeschluss zu tragen. 25 Dafür OLG München, 18.1.2006, 7 U 3729/05, BeckRS 2007, 04374; Kocher NZG 2007, 372; Marsch-Barner FS-Karsten Schmidt 2009, 1120; Schroeder/Pussar BB 2011, 1930; dagegen OLG Köln, 29.3.2007, 2 Wx 4/07, WM 2007, 837; OLG Köln 23.2.2011, 2 Wx 41/11, NZG 2011, 508;

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sichtsrat für die Zukunft auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt und der Aufsichtsrat bleibt uneingeschränkt handlungs-fähig, ohne dass eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werden müsste.

Dem Wortlaut nach setzt § 104 Abs. 1 S. 1 AktG zunächst voraus, dass dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder angehören, als für die Beschlussfähigkeit erforderlich wären. Zwar entfällt diese später rückwirkend, doch kann sich die Gesellschaft freilich bei Stellung des Antrages darauf noch nicht berufen, da andernfalls die Entscheidung des über die Anfechtungsklage befindenden Gerichts gleichsam vorweggenommen würde.

Mithin scheidet eine direkte Anwendung der Norm aus. Ei-ne analoge Anwendung ist jedoch statthaft, da in Bezug auf die rückwirkende Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Interessenlage bei erhobener Anfechtungslage der Interessenlage bei aktueller Handlungs- und Funktionsunfähigkeit des Aufsichtsrates ent-spricht.

I. Planwidrige Regelungslücke

Eine Ergänzung des Aufsichtsrates durch gerichtliche Bestel-lung ist nur für den Fall der aktuellen Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrates geregelt, nicht hingegen für den Fall, dass diese rückwirkend entfällt. Diese Regelungslücke ist auch planwid-rig.

Erstens ist schon aus den Gesetzesmaterialien nicht ersicht-lich, dass der Gesetzgeber bei der Abfassung von § 104 AktG an den Fall der rückwirkend wegfallenden Beschlussunfähig-keit gedacht hätte26. Zweitens ist § 104 AktG gerade darauf gerichtet, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Auf-sichtsrates zu sichern, sowie den Bestand und die Vollständig-keit des Aufsichtsrates sicherzustellen27. Vor dem Hintergrund dieses gesetzgeberischen Plans wäre es sinnwidrig, eine ge-richtliche Bestellung des Aufsichtsrates zuzulassen, wenn der Aufsichtsrat gegenwärtig keinen Beschluss fassen kann, diese Möglichkeit aber zu versagen, wenn absehbar ist, dass gefasste Beschlüsse nach wirksamer Anfechtung rückwirkend als nicht gefasst gelten werden.

Zwar könnte argumentiert werden, der Gesetzgeber habe an der gegenwärtigen Fassung des § 104 AktG festgehalten, ob-wohl ihm die vorliegende Problematik bekannt sei und – etwa im Rahmen des UMAG28 – Gelegenheit zur Änderung der Rechtslage bestanden habe29. Doch kann von dieser Untätigkeit des Gesetzgebers nicht auf eine planvolle Bestätigung der Regelungslücke geschlossen werden. Vielmehr lässt der Ge-setzgeber etwa in der Gesetzesbegründung des ARUG30 erken-nen, dass er durch spätere Gesetzesentwürfe eine umfassende Regelung des Beschlussmängelrechts zu schaffen gedenkt und

Hüffer/Hüffer § 104 AktG Rn. 6, 10. Auflage 2012; Schürnbrand, NZG 2013, 481, 484; offengelassen BayObLG, 9.7.2004, 3Z BR 99/04, ZIP 2004, 2190. 26 Kocher NZG 2007, 372, 373. 27 BayVerfGH, 24.8.2005, Vf. 80/VI-04, NZG 2006, 25, 26. 28 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, BGBl. I 2005, 2802. 29 So OLG Köln, 29.3.2007, 2 Wx 4/07, WM 2007, 837, 838. 30 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie, BGBl. I 2009, 2479.

es sich insoweit bei den vorherigen Reformen des Beschluss-mängelrechts lediglich um „erste Schritte“ handelt.31 Mithin hat der Gesetzgeber die Regelungslücke nicht bestätigt.

Die Analogie scheitert auch nicht an einer vorrangigen Zu-ständigkeit des Gesetzgebers, die planwidrige Regelungslücke zu schließen32. Denn aufgrund der begrenzten Reaktionsmög-lichkeiten des Gesetzgebers ist es auch und gerade den Gerich-ten anheimgegeben, innerhalb der durch Art. 20 Abs. 2, 3 GG vorgegebenen Schranken das Recht an veränderte Umstände anzupassen33. Als veränderter Umstand, den der Gesetzgeber zwar erkannt, aber auf den er nicht reagiert hat, kommt auch die vermehrte missbräuchliche Erhebung von Anfechtungskla-gen gegen die Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung durch „räuberische Aktionäre“ 34 in Betracht.

Damit liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, die den Weg einer analogen Anwendung des § 104 AktG auf Auf-sichtsratsmitglieder, deren Wahl angefochten ist, eröffnet.

II. Vergleichbare Interessenlage

Die Interessenlage bei erhobener Anfechtungslage entspricht der Interessenlage bei aktueller Handlungs- und Funktionsun-fähigkeit des Aufsichtsrates, wenn die Nichtigerklärung durch Anfechtungsurteil rückwirkend die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrates beseitigt. Denn wie unter C. gezeigt, besteht insbesondere im Falle der Mitwirkung anfechtbar gewählter Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung des Jahresabschlus-ses ein besonderes Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft. Der Aufsichtsrat wäre andernfalls gezwungen, weitreichende Beschlüsse zu fassen, über deren Bestandskraft Unklarheit herrscht. Dies führt zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit, die geeignet ist, den Aufsichtsrat zu lähmen. Da die gerichtli-che Bestellung nur vorläufig bis zur nächsten Hauptversamm-lung wirken soll, liegt ein schonender Interessenausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft und dem Interesse des klagenden Aktionärs an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gesellschaft vor. Nicht zuletzt muss es auch im Interesse des klagenden Aktionärs liegen, die Hand-lungsfähigkeit des Aufsichtsrates zu erhalten.

E. Fazit

Der BGH lässt ausdrücklich offen, ob die Mitwirkung anfecht-bar gewählter Aufsichtsratsmitglieder an der Feststellung des Jahresabschlusses eine nicht ordnungsgemäße Mitwirkung des Aufsichtsrates im Sinne von § 256 Abs. 2 AktG darstellt. Doch bei stringenter Anwendung der dogmatischen Grundsätze des BGH ist ein Jahresabschluss dann nichtig, wenn nach erfolg-reicher Anfechtungsklage gegen den Wahlbeschluss eines Aufsichtsratsmitgliedes der Beschluss des Aufsichtsrates über die Feststellung des Jahresabschlusses entfällt. Dies ist im gesetzlichen Regelfall des mit drei Personen besetzten Auf-

31 Vgl. Schroeder/Pussar BB 2011, 1930, 1933 f. 32 So aber OLG Köln 23.2.2011, 2 Wx 41/11, NZG 2011, 508. 33 BGH 14.12.2006, IX ZR 92/05, NJW 2007, 992, 994. 34 Zum Phänomen missbräuchlich erhobener Anfechtungsklagen durch räuber-ische Aktionäre oder Berufskläger vgl. Ehmann ZIP 2008, 584; Kiethe NZG 2004, 489; Paulus BB 2012, 1556.

Egelhof, Feststellung des Jahresabschlusses Zivilrecht Freilaw 1/2015

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sichtsrates schon dann der Fall, wenn nur ein Wahlbeschluss wirksam angefochten ist, da der Aufsichtsrat dann rückwirkend beschlussunfähig wird. Gesellschaften können deshalb nach hier vertretener Auffassung Aufsichtsratsmitglieder, gegen deren Wahlbeschluss Anfechtungsklage erhoben wurde, bis zur nächsten Hauptversammlung analog § 104 Abs. 1 S. 1 AktG gerichtlich bestellen lassen.

Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Al-bert-Ludwigs-Universität Freiburg und Mitarbeiter am dorti-gen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre (Lehr-stuhlinhaber StB Prof. Dr. Wolfgang Kessler). Dieser Artikel beruht auf einem Kapitel einer im Sommersemester 2014 erstellten Arbeit im Rahmen des Seminars „Internationales Unternehmensrecht und aktuelle Gesellschaftsrechtsdog-matik“ bei Prof. Dr. Marc-Philippe Weller.

Zoth, Der Speyer-Report Referendariat Freilaw 1/2015

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Der Speyer-Report

Peter Zoth

I. Einleitung

Die „Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV)“ in Speyer bietet seit 1947 ein „Ergänzungsstudium“ für Rechtsreferendare an. Ca. 30.000 Juristinnen und Juristen haben seitdem dieses Angebot genutzt. Die DUV wurde schon unter den französischen Besatzungsmächten als „Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV)“ gegrün-det. Heute wird sie vom Bund und den 16 Bundesländern ge-tragen. Sie ist eine Postgraduierten-Universität. Das heißt, in Speyer kann nur studieren, wer bereits einen Universitätsab-schluss erworben hat.

Das Ergänzungsstudium dauert jeweils drei Monate und be-ginnt zum 1. Mai und 1. November des Jahres. Im WS 2014/2015 war ich einer von ca. 170 Referendaren, die sich entschlossen, nach Speyer zu gehen. Speyer ist eine Stadt mit 49.000 Einwohnern im Süd-Osten von Rheinland-Pfalz. Sie ist vor allem berühmt für den romanischen Speyrer Dom (UNE-SCO-Weltkulturerbe). Die S-Bahn verbindet Speyer mit Hei-delberg (ca. 25 km Luftlinie), Mannheim (ca. 35 km) und Karlsruhe (50 km). Auf dem Campus tummeln sich aber kei-neswegs nur Juristen. Die Uni Speyer bietet neben dem Ergän-zungsstudium für Rechtsreferndare noch ein Magister-Studium in Verwaltungswissenschaften, die Master-Studiengänge „Ad-ministrative Science“ und „Öffentliche Wirtschaft“ sowie den neuen LL.M.-Studiengang „Staat und Verwaltung in Europa“ an. So entsteht eine bunte Mischung aus Juristen und anderen Geisteswissenschaftlern.

II. Speyer ist, was du draus machst

An meinem Speyer-Semester hat mich vor allem das vielfältige Angebot von fachlichen wie sozialen Veranstaltungen faszi-niert. In Speyer wird großen Wert auf Eigenverantwortung gelegt. Hier gilt das Credo: Speyer ist, was du draus machst!

An der DUV gibt es ein für Universitäten paradiesisches Be-treuungsverhältnis: Auf ca. 300 Studierende kommen 17 Lehr-stühle und etwa 65 Lehrbeauftrage. Ca. 100 Veranstaltungen aus den Disziplinen Verwaltungswissenschaften, Wirtschafts-wissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaf-ten sowie Sprachkurse standen für uns zur Wahl. Unter den Kursen fand sich Klassisches wie auch Exotisches. So zum Beispiel ein Seminar zum „Öffentlichen Dienstrecht“ wie auch das „Leadership Training AMNE“ von Oberstleutnant a.D. Rudolf Hartmann.

Um „Speyer“ erfolgreich zu absolvieren, mussten 20 Se-mesterwochenstunden belegt werden, davon ein „Seminar“ und eine „Arbeitsgemeinschaft“. Ansonsten waren bei der Aus-wahl der Kurse der Phantasie des Einzelnen keine Grenzen gesetzt.

Als Seminar habe ich beispielsweise „Public Management“ bei Herrn Prof. Dr. Hermann Hill gewählt. In „Public Ma-nagement“ beschäftigten wir uns mit der Frage, wie und ob Ansätze aus dem modernen Management auf die öffentliche Verwaltung übertragen werden können. Am Anfang war es noch sehr ungewohnt, sich als Jurist auf wirtschaftswissen-schaftliche Denkmuster einzulassen. Am Ende machte es aber riesigen Spaß, die Konzepte mit den mehrheitlich nicht-juristischen Teilnehmern zu diskutieren.

In der Arbeitsgemeinschaft „Vertragsgestaltung im öffentli-chen Baurecht“ erarbeiteten wir gemeinsam einen Vertrags-entwurf für den Bau eines großen Einzelhandelsmarktes. Herr RA Dr. Curt Jeromin gewährte uns dabei spannende Einblicke in den Berufsalltag einen Rechtsanwaltes, welcher auf die Vertragsverhandlungen zwischen Kommunen und privaten Investoren spezialisiert ist.

Als Leistungsnachweis diente im Seminar eine schriftliche Arbeit von 15 Seiten. In der Arbeitsgemeinschaft hielt ich einen Vortrag über ein Urteil des EuGH zur Vergabe von Bau-leistungen. Die an der DUV erworbenen Leistungen sind kei-neswegs nur auf die Verwaltungsstation beschränkt. Man kann sich die erworbenen ECTS-Punkte auf ein späteres Magister- oder LL.M.-Studium in Speyer anrechnen lassen. So bietet sich die Möglichkeit, nach dem Ende des Referendariats in einem zweiten Speyer-Semester noch einen weiteren universitären Abschluss zu erwerben. Da man selten unmittelbar nach dem Referendariat gleich eine Stelle findet, sind so drei Monate sinnvoll überbrückt.

Als besonders Angebot der DUV sind die Kurse zur Vorbe-reitung auf das Zweite Staatsexamen hervorzuheben. Sie sind in ihrer Anzahl und Konzeption einmalig in Deutschland. Ver-gleichbares gibt es nur bei kommerziellen Repetitorien. In Speyer kostenfrei.

Exemplarisch dafür steht der Kurs „Öffentliches Recht im Assessorexamen“ von Herrn RiVG Roland Kintz. Herr Kintz ist Autor des gleichnamigen Buches in der JuS-Schriftenreihe und „Altmeister“ der Referendarausbildung. Er kennt sich im Landesrecht aller 16 Bundesländer aus, sodass bei ihm keine Frage offen blieb. Des Weiteren gibt es Übungen im Zivil-, Straf- und Zwangsvollstreckungsrecht sowie eine Praxisübung im Aktenvortrag, welche von erfahren Prüfern geleitet werden. Zusätzlich hierzu verfügt die DUV Speyer über eine der größ-ten Bibliotheken für öffentliches Recht in Deutschland. Hier ist aktuelle fächerübergreifende Ausbildungsliteratur für Rechtsreferendare verfügbar. „Speyer“ ist also nicht nur Party fern von Examensvorbereitung und Berufsalltag, wie von man-chen Nicht-Speyer-Absolventen behauptet wird! Von solchen Vorurteilen sollte man sich nicht abhalten lassen, nach Speyer zu gehen.

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Speyer lebt vom Engagement der Studierenden. Bei 300 zumeist unbekannten Gesichtern fiel es nicht schwer, neue Kontakte zu knüpfen. Das vielbeschworene „Networking“ ergibt sich so fast von selbst. Die DUV bietet viele Möglich-keiten, sich einzubringen. Die „Hörerschaft“ genannte Studie-rendenvertretung besteht neben dem Vorstand aus den Refera-ten Sport, Kultur, Integration, Almuni-Betreuung, Party, Me-dien, EDV und Bierbar. Hier ist für jeden etwas dabei. Weitere kulturelle Angebote gab es durch die Hochschulseelsorge, wie z.B. eine große Domführung und die Weinprobe mit Pfälzer Essen. Der festliche Abschlussball ist das Highlight eines jeden Speyer-Semesters.

III. Fazit und Organisatorisches

Wer seinem Referendariat neben Ausbilder, Akten und Ar-beitsgemeinschaft Farbe verleihen möchte, ist in Speyer rich-tig. Die DUV bietet die Möglichkeit, sich fachlich weiterzubil-den und auch in Bereiche vorzudringen, die für Juristen eher ungewohnt sind. Gleichzeitig kommen an der DUV die Exa-mensvorbereitung und auch das soziale Leben nicht zu kurz. Einfach gesagt: Es lohnt sich!

Die Abordnung nach Speyer verläuft in Baden-Württemberg unbürokratisch. Es ist ausreichend, den Entsendewunsch an die

DUV beim Ausbildungsleiter des Landgerichts anzuzeigen. Zwar sind theoretisch die Plätze begrenzt. Praktisch standen sie aber in den letzten Jahren immer ausreichend zur Verfügung. Zur Unterbringung in Speyer kann man entweder die Online-Privatzimmerkartei der Universität konsultieren oder sich um ein Zimmer in den beiden Wohnheimen Freiherr-vom-Stein und Otto Mayer bewerben. Als Miete sind 280-350 Euro pro Monat im möblierten Zimmer realistisch. In Baden-Württemberg erhält man für die Zeit in Speyer ein Trennungs-geld von insgesamt 450 Euro. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, ein Zimmer in Speyer oder Umgebung zu nehmen. An der DUV gibt es einige Dozenten aus der Berufspraxis, die von außerhalb anreisen. Die interessantesten Veranstaltungen fin-den daher meist abends statt. Ich selbst habe in Speyer in einer WG mit zwei Referendaren aus Bremen und Mainz gelebt und die Zeit dort sehr genossen. Weitere Informationen finden sich auf www.dhv-speyer.de (sic). Demnächst soll ein Relaunch der Homepage stattfinden.

Der Autor ist seit Oktober 2013 Rechtsreferendar am LG Offenburg (Baden-Württemberg). Von November 2014 bis Januar 2015 verbrachte er die Verwaltungsstation an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV) in Speyer.

Krebs, Examensklausur Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

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Vom schwierigen Kampf gegen Grabsteine aus Kinderarbeit

Klaus Krebs

Die Klausur behandelt vor allem Fragen des Verwaltung-sprozess- sowie des Kommunal- und Bestattungsrechts. Entsprechend ihrem Schwierigkeitsgrad richtet sie sich vor allem an Examenskandidaten. Die Klausur war in wesentlichen Teilen Gegenstand des Probeexamens an der Universität Freiburg im Sommersemester 2014.

Sachverhalt

Über zwei Drittel der Grabsteine, die auf deutschen Friedhöfen aufgestellt werden, stammen ursprünglich aus Indien. Nach Angaben der ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, arbeiten weit mehr als 150.000 Kinder in der indi-schen Steinindustrie. Die Bedingungen, unter denen die Kinder arbeiten, gelten als gefährlich.

In der baden-württembergischen Gemeinde K wurden zwi-schen November 2011 und September 2012 insgesamt 112 neue Grabmale errichtet. Davon wurden in 99 Fällen Grabstei-ne aus Indien verwendet.

S ist Inhaber eines in K ansässigen Steinmetzbetriebes. Die Anfertigung und Errichtung von Grabmalen bildet den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit als Steinmetz; er hat in der Vergangenheit Grabsteine auf den Friedhöfen in K auf-gestellt und beabsichtigt dies auch zukünftig zu tun.

Unter dem drittletzten Tagesordnungspunkt der öffentlichen Gemeinderatssitzung vom 12.9.2012 („TOP 12: Änderung der Friedhofssatzung – neue Regelungen gegen Grabsteine aus Kinderarbeit“) beschließt der Gemeinderat einstimmig die neuen § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5, § 19 Nr. 1a der Friedhofs-satzung (FS). Die so geänderte Friedhofssatzung wird ord-nungsgemäß ausgefertigt und am 29.9.2012 im Amtsblatt der Gemeinde bekannt gemacht.

S hält die neuen Vorschriften gegen Grabsteine aus Kinder-arbeit aus mehreren Gründen für „grob rechtswidrig“. S lehnt zwar jede Form der Kinderarbeit entschieden ab. Ihm sei je-doch nach eigenen Angaben „völlig unklar“, wie er den von § 13 Abs. 2 verlangten Nachweis führen soll. Er meint, dass es derzeit keine verlässlichen Zertifizierungssysteme oder sonsti-ge Nachweismöglichkeiten für Steinmetzbetriebe gebe, die garantieren können, dass Grabsteine „frei von Kinderarbeit“ sind. Das trifft zu. Auch besteht derzeit keine allgemeine Ver-kehrsauffassung darüber, welche Zertifikate als vertrauenswür-dig einzustufen sind. Vor diesem Hintergrund behauptet S, dass ihn die neuen Vorschriften auch unverhältnismäßig in seiner Geschäftstätigkeit beschränken.

Zudem seien die neuen Satzungsvorschriften auch deshalb fehlerhaft, weil – wie sich zwischenzeitlich tatsächlich heraus-gestellt hat – der Gemeindebedienstete G kurz nach Aufruf von TOP 13 den einzigen Zugang zu dem Ratssaal, in dem die Gemeinderatssitzung am 12.9.2014 stattfand, verschlossen hat.

Der seit Jahrzehnten für K tätige G, der sonst stets zuverlässig arbeitet, ging fälschlich davon aus, dass die Ratssitzung, die bereits um 16 Uhr begonnen hatte, zum Zeitpunkt der Schlie-ßung der Eingangstüre um 21 Uhr längst beendet sei. Der Bür-germeister B hat von dem Malheur erst erfahren, nachdem er die Sitzung geschlossen hatte. Nur dank seines Generalschlüs-sels für alle Rathaustüren konnte er den ebenso erschöpften wie von der verriegelten Türe überraschten Räten den Weg nach Hause frei machen. S hält diesen Sitzungsverlauf „für ein Zeugnis intransparenter Rathauspolitik“, die seine Rechte als Gemeindeeinwohner verletze. Er habe schließlich noch um 21.05 Uhr vergeblich versucht der Gemeinderatssitzung als Zuhörer beizuwohnen.

Ferner bemängelt S, dass die Bekämpfung von Kinderarbeit nicht in erster Linie ein kommunales, sondern ein allgemeinpo-litisches Thema sei. Den neuen Satzungsbestimmungen fehle schließlich jeglicher Hinweis auf eine Ermächtigungsnorm im Landesgesetz. Eine Ermächtigungsgrundlage, die es der Ge-meinde erlaube, seine beruflichen Freiheiten durch Satzungs-recht zu beschneiden, gebe es ohnehin nicht.

K räumt ein, in dem Beschluss über die neuen Vorschriften keine Angaben zur gemeindlichen Normsetzungsbefugnis gemacht zu haben. Das sei jedoch unschädlich, da sie als Ge-meinde beim Erlass von Satzungen nicht jedes Mal die Geset-zesvorschrift nennen müsse, die sie zum Erlass der jeweiligen Satzung ermächtige. Sie ist sich zudem sicher, dass es eine entsprechende Satzungsermächtigung mittlerweile gibt, da der Landtag von Baden-Württemberg das Bestattungsgesetz erst kürzlich reformiert habe.

Auch S meint sich zu erinnern, von einer solchen Gesetzes-änderung im Jahr 2012 gehört zu haben, er bezweifelt jedoch, dass Bundesländer Gesetze erlassen dürfen, die Importe aus Indien und damit den ausländischen Warenverkehr betreffen. Die Länder dürften vielleicht noch das Friedhofswesen regle-mentieren, aber doch nicht das Recht der Wirtschaft und das Recht des Handwerks.

Der Rechtsanwalt des S stellt am 16.9.2012 beim Verwal-tungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Normenkon-trollantrag gegen § 13 Abs. 2 und § 19 Nr. 1a der Friedhofssat-zung von K in der Fassung der Änderungssatzung vom 12.9.2012. Als Antragsgegnerin bezeichnet er K.

Krebs, Examensklausur Öffentliches Recht Freilaw 1/2015

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Aufgabe

Prüfen Sie in einem Gutachten, das – ggf. hilfsgutachterlich – auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht, ob der Antrag des S Aussicht auf Erfolg hat.

Bearbeitungshinweise:

Der Bund hat bislang keine Vorschriften erlassen, wonach Steinmetze bestimmte Produkte wegen ihres Herstellungspro-zesses nicht oder jedenfalls nicht für bestimmte Zwecke ver-wenden dürfen.

Auf Europa- und Völkerrecht ist nicht einzugehen.

Nach der Friedhofssatzung von K (§ 35 Abs. 1) bedarf die Errichtung, Wiederverwendung und jede Veränderung eines Grabmals der vorherigen schriftlichen Genehmigung durch die Friedhofsverwaltung.

Auszüge von § 13 und § 19 der Friedhofssatzung von K in der Fassung der Änderungssatzung vom 12.9.2012:

„§ 13 Allgemeine Gestaltungsvorschriften Grabmale und sonstige Grabausstattungen müssen der Würde des

Ortes entsprechen. 1Für Grabmale und sonstige Grabausstattungen dürfen nur Na-

turstein, Holz, Schmiedeeisen, Bronze, Stahl, bruchsicheres Glas oder Hartplastik verwendet werden.2 Es dürfen nur Grabsteine verwendet werden, die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention 182 der Interna-tionalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt sind. 3Bei Steinen, die ausschließlich aus Deutschland oder dem Europäischen Wirtschaftsraum stammen, reicht der Nachweis der ausschließlichen Herkunft aus diesen Ländern.4 Im Übrigen wird der Nachweis in der Regel durch ein vertrauenswürdiges, allgemein anerkanntes Zertifikat erbracht.5 Die zuständige Friedhofsverwaltung führt und aktualisiert fortlaufend ein Verzeichnis der vertrauenswürdigen Zertifikate und hält dieses zur Einsicht der Friedhofsbenutzer, die ein Grabmal aufstellen wollen, und ihrer bevollmächtigten Beauftragten bereit.

§ 19 Ordnungswidrigkeiten Ordnungswidrig im Sinne von § 49 Abs. 3 Nr. 2 BestattG BW han-

delt, wer vorsätzlich oder fahrlässig (…) 1a. entgegen § 13 Absatz 2 Satz 4 Grabsteine ohne Zertifizierung

aufstellt, (…).“

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Lösungsvorschlag1

Der Antrag des S hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit des Antrags

Der Antrag ist zulässig, wenn alle für eine Sachentscheidung notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

I. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§§ 47 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO)

Nach § 47 Abs. 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsge-richt, das in Baden-Württemberg gem. § 184 VwGO, § 1 Abs. 1 AGVwGO die Bezeichnung „Verwaltungsgerichts-hof Baden-Württemberg“ (VGH BW) führt, „im Rahmen sei-ner Gerichtsbarkeit“. Das setzt zum einen voraus, dass die zu kontrollierenden Normen dem öffentlichen Recht angehören; zum anderen müssen sich aus der Anwendung der angegriffe-nen Rechtsvorschriften Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet ist.1 Letztere Beschränkung der gericht-lichen Kontrollbefugnis soll vor allem verhindern, dass Ober-verwaltungsgerichte die Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten präjudizieren, für deren Entscheidung im Einzel-fall letztere ausschließlich zuständig sind.2

Alle angegriffenen Vorschriften der Friedhofssatzung von K in der Fassung der Änderungssatzung vom 12.9.2012 (im Fol-genden kurz: FS) sind Normen des öffentlichen Rechts. Sie weisen indes einen gemischten Inhalt auf. Während sich aus dem Vollzug von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS im Einzel-fall auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungs-rechtlicher Art ergeben können, insbesondere solche um die Genehmigung nach § 35 Abs. 1 FS, können gegen auf § 19 Nr. 1a FS iVm. § 49 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 BestattG BW gestützte Bußgeldbescheide der Verwaltungsbehörde nach § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden. Da die Anwendung von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS zu Ver-fahren vor den Verwaltungsgerichten führen können, ist der Rechtsweg zum VGH BW insoweit eröffnet. Da der Vollzug der Ordnungswidrigkeitsbestimmung in § 19 Nr. 1a FS dem-gegenüber nicht zu öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO führen kann, scheidet eine Kontrolle dieser Vorschrift durch den VGH BW aus.3

1 Wesentliche Teile des Falles basieren vor allem auf der Entscheidung VGH BW, Urteil v. 29.4.2012, Az. 1 S 1458/12 (nach Abschluss der Arbeiten an dieser Klausur wurde dieses Urteil abgedruckt in VBlBW 2014, 462 ff.), sowie den Entscheidungen BVerwG, BVerwGE 148, 133; BVerwG, LKV 2010, 509; BayVerfGH, NVwZ-RR 2012, 50; BayVGH, BayVBl., 2009, 367 und OVG Koblenz, NVwZ-RR 2009, 394; vgl. zu dieser Fallkonstellation nach hes-sischem Landesrecht jüngst Winkler, LKRZ 2015, 41 ff. 1 Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwR, 3. Aufl. 2013, § 47 VwGO Rn. 23 m.w.N. 2 VGH BW, VBlBW 1983, 302; zu weiteren Begründungen Unruh (Fn. 2), § 47 VwGO Rn. 22. 3 Diesem Ergebnis könnte noch entgegenstehen, dass sich die Feststellung der Ungültigkeit von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS auch auf Bußgeldbescheide auf der Grundlage des § 19 Nr. 1a FS auswirken würde, das Normen-

Deshalb ist der Normenkontrollantrag insoweit unzulässig, als er sich gegen § 19 Nr. 1a FS richtet. Insbesondere kommt auch keine Verweisung des Antrags an die ordentlichen Ge-richte nach § 173 VwGO iVm. § 17a, § 17b GVG in Betracht, da für Bußgeldsachen nach §§ 68 ff. OWiG keine abstrakte Normenkontrolle vorgesehen ist.

2. Zuständigkeit

Für Normenkontrollen nach § 47 Abs. 1 VwGO ist in Baden-Württemberg ausschließlich der VGH BW mit Sitz in Mann-heim zuständig.

3. Beteiligungsfähigkeit (§§ 47 Abs. 2 VwGO)

Die Beteiligungsfähigkeit richtet sich primär nach § 47 Abs. 2 VwGO; § 61 VwGO kommt nur subsidiär zur Anwendung.4 S ist als natürliche Person gem. § 47 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 VwGO beteiligungsfähig. Beteili-gungsfähig als Antragsgegner ist die Gebietskörperschaft K (§ 1 Abs. 4 GemO BW) gem. § 47 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 VwGO.

4. Prozess- und Postulationsfähigkeit (§§ 62 Abs. 1 , Abs. 3, 67 Abs. 1 VwGO)

S ist gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Vor dem VGH BW muss er sich gem. § 67 Abs. 4 VwGO durch einen Prozessbevollmächtigten – dazu zählen Rechtsanwälte (§ 67 Abs. 4 Satz 3 iVm. Abs. 2 Satz 1 VwGO) – vertreten lassen. S hat dies bei der Antragsstellung berücksichtigt.

Als ihr gesetzlicher Vertreter vertritt der Bürgermeister B die Gemeinde K gem. § 62 Abs. 3 VwGO, § 42 Abs. 1 Satz 2 GemO BW. Auch er bedarf eines Prozessbevollmächtig-ten, § 67 Abs. 4 Satz 1, Satz 3 VwGO.

II. Statthaftigkeit des Antrags (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO)

Gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO iVm. § 4 AGVwGO ist die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle statthaft zur Über-prüfung der Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften.

Fraglich ist, ob hier bereits eine Rechtsvorschrift vorliegt, da die Satzungsänderung zum Zeitpunkt der Antragsstellung noch nicht verkündet wurde.

Verfahrensgegenstand einer Normenkontrolle kann grund-sätzlich nur eine bereits verkündete Vorschrift sein. Erst mit Verkündung kann es sich um eine Vorschrift mit formeller

kontrollverfahren in diesem Fall also doch eine präjudizierende Wirkung auf Gerichte anderer Gerichtszweige für Streitigkeiten hätte, für deren Entschei-dung diese im Einzelfall ausschließlich zuständig sind. Bußgeldtatbestände können nach der Rechtsprechung jedoch auch dann keiner gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden, wenn – wie hier – der Tatbestand der Ordnung-swidrigkeit auf andere der Normenkontrolle durch die Verwaltungsgerichte unterliegenden Rechtsvorschriften Bezug nimmt und im Fall der Un-wirksamkeitserklärung dieser in Bezug genommenen Rechtsvorschriften die Bußgeldbestimmung leerläuft (siehe hierzu nur VGH BW, 1983, 302). Ausfüh-rungen hierzu wurden nicht erwartet. 4 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 2013, § 19 Rn. 8.

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Geltungskraft und damit um eine Rechtsvorschrift i.S.d. § 47 VwGO handeln; eine vorbeugende Normenkontrolle gibt es im Grundsatz nicht.5 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Exis-tenz der Rechtsvorschrift ist indes der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Insoweit ist es durchaus möglich, einen Antrag nach § 47 VwGO bereits vor Verkündung zu stellen. Der Antragssteller begibt sich dann allerdings in die Gefahr, dass der jeweilige Normentwurf bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht verkündet worden ist.6

Hier wurde der Antrag auf Normenkontrolle am 16.9.2012 und damit noch vor der Verkündung am 29.9.2012 gestellt. Indes ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass mit einer Entscheidung des Gerichts über die Gültigkeit der Satzung nicht vor dem 29.9.2012, also nicht vor der Verkün-dung der Satzung zu rechnen ist, da der Antrag nicht einmal zwei Wochen vor der Verkündung der Änderungssatzung beim VGH BW gestellt wurde. Da es für das Vorliegen eines zuläs-sigen Normenkontrollantrags nach zutreffender herrschender Ansicht nicht auf den Zeitpunkt der Antragsstellung, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an-kommt, ist hier von einem zulässigen Verfahrensgegenstand auszugehen.7 Einer Prüfung im Hinblick auf die besonderen Voraussetzungen des vorbeugenden Rechtsschutzes bedarf es daher nicht.

Der Antrag auf Überprüfung von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS ist folglich statthaft.

III. Besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen

1. Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO)

Während es für die Begründetheit eines Normenkontrollantrags nach § 47 VwGO nicht auf eine subjektive Rechtsverletzung ankommt, wird auf Zulässigkeitsebene eine Antragsbefugnis verlangt, um Popularanträge auszuschließen.8 S müsste nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO geltend machen können, durch § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS oder deren Anwendung in seinen subjektiven Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit zu werden. Für die Antragsbefugnis gelten dabei im Grundsatz die gleichen Anforderungen wie für die Klagebe-fugnis im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO: Insoweit genügt zwar schon die bloße Möglichkeit einer Rechtsverletzung, die Betroffenheit in eigenen Rechten muss jedoch feststehen.9

Als subjektive Rechte kommen hier nur Vorschriften des höherrangigen Rechts, insbesondere solche des Unions- oder

5 Statt vieler Kerkmann/Lambrecht, in: Gärditz, Kommentar zur VwGO mit Nebengesetzen, § 47 VwGO Rn. 53; zu einer ähnlich gelagerten europarecht-lichen Problematik EuGH, EuZW 2014, 118 ff. 6 Siehe zum Ganzen Kerkmann/Lambrecht (Fn. 5), § 47 VwGO Rn. 53 mit weiteren Hinweisen (auch zur Gegenansicht). 7 A.A. ebenso vertretbar. Dann ist die Normenkontrolle insgesamt unzulässig. Die weitere Prüfung erfolgt dann im Hilfsgutachten. 8 BVerwGE 82, 225, 232. 9 Gerhardt/Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, Band I, § 47 Rn. 41; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 20. Aufl. 2014, § 47 Rn. 46.

Verfassungsrechts sowie durch Parlamentsgesetz verliehene Rechte in Frage.10

Möglicherweise wurde die Änderungssatzung unter Verlet-zung des in § 35 Abs. 1 GemO BW verbürgten Öffentlich-keitsgrundsatzes beschlossen. Ob sich daraus eine subjektive Rechtsverletzung des S ergeben kann, ist indes fraglich. Die Rechtsprechung verneint heute überwiegend ein Recht des Bürgers auf Einhaltung der Vorschriften über die Sitzungsöf-fentlichkeit.11 Zur Begründung wird u.a. angeführt, dass die Regelungen über die Sitzungsöffentlichkeit nach Wortlaut und Zweck ausschließlich dem allgemeinen öffentlichen Interesse dienen.12 In der Literatur hingegen wird wohl mehrheitlich angenommen, dass sich insbesondere mit Blick auf die Kon-trollfunktion des Öffentlichkeitsprinzips ein subjektives Recht des Bürgers auf Sitzungsöffentlichkeit ergeben kann.13

Die Frage kann hier letztlich dahinstehen,14 wenn S mög-licherweise zumindest in seiner Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen ist.

Der Schutz der Berufsfreiheit erfasst auch die gewerbliche Betätigung innerhalb einer öffentlichen Einrichtung, die wie ein gemeindlicher Friedhof mit Anstaltscharakter betrieben wird.15

Die Möglichkeit einer Verletzung der Berufsfreiheit des S wäre jedenfalls dann gegeben, wenn sich § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit des S beziehen würden. § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS regeln un-mittelbar die Nutzungsmöglichkeiten und Nachweispflichten der Grabstätteninhaber auf den Friedhöfen in K. Die Vorschrif-ten betreffen also das Benutzungsverhältnis zwischen den Grabstättenberechtigten und K, enthalten jedoch keine Rege-lungen zur Berufstätigkeit des S selbst. Steinmetze sind nicht direkte Adressaten der Neuregelungen. Ein finaler Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG zulasten des S scheidet daher aus.

S könnte aber in absehbarer Zeit mittelbar in seiner Berufs-freiheit betroffen sein. Ein mittelbarer Eingriff ist anzunehmen, wenn die Regelung in einem engen Zusammenhang mit der Berufsausübung steht oder objektiv eine berufsregelnde Ten-denz aufweist.16 Dieser notwendige Berufsbezug besteht für Steinmetze, die wie S die Möglichkeit haben, aufgrund eines

10 Ehlers, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2009, § 27 Rn. 40; Kopp/Schenke (Fn. 9), § 47 Rn. 47. 11 OVG RP, DÖV 1990, 622 = NVwZ-RR 1990, 322; OVG NRW, NWVBl. 2011, 182; anders noch OVG NRW, NWVBl. 2002, 31, 32; an letzterer Entscheidung anknüpfend VG Münster, NWVBl. 2009, 163. 12 VGH BW, NVwZ-RR 1992, 373; OVG MV, LKV 1999, 109. 13 Schnapp, VerwArch 78 (1987), 407, 431 m.w.N.; Lange/Rönn, Der Städtetag 1982, 592, 594; im Ergebnis auch Faber, NVwZ 2003, 1317, 1321; a.A. Aker, in: Aker/Hafner/Notheis, Kommentar zur Gemeindeordnung und Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg, § 35 Rn. 21; Püttner, Kommunalrecht, 3. Aufl. 2004, Rn. 228 Fn. 48; zu weiteren Nachweisen Striedl/Troidl, BayVBl. 2008, 289, 298. 14 Die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung im Hinblick auf § 35 Abs. 1 GemO BW an dieser Stelle offenzulassen, dürfte sich anbieten, ist aber selbstverständlich keinesfalls zwingend. Auch wenn man die Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung an dieser Stelle ablehnt, wird im Rahmen der Begründetheit auf eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ein-zugehen sein. 15 VGH BW, VBlBW 2003, 65, 66. 16 BVerfGE 113, 29, 48 m.w.N.; BVerwGE 148, 133, 142.

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Auftrags eines Grabnutzungsberechtigten ein Grabmal für einen Friedhof in K zu gestalten.17 Für S ist dies mit hinrei-chender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu erwarten, da er in der Vergangenheit zahlreiche Grabsteine auf den Friedhö-fen der K aufgestellt hat und dies auch zukünftig beabsichtigt. Er ist daher in erheblicher Weise faktisch den Beschränkungen des § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS unterworfen, weil er seine berufliche Dienstleistung, die gegenüber dem Nutzungsberech-tigten als Kunden erbracht wird, an den Bestimmungen tat-sächlich ausrichten muss. Die Grabnutzungsberechtigten wer-den bei Vertragsschluss mit einem Steinmetz aufgrund des § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS regelmäßig verlangen, dass dieser nur Steine verwendet, die den Bestimmungen entspre-chen und dass er hierüber einen ausreichenden Nachweis vor-legt. Die Kosten und Mühen der Nachweisbeschaffung hat der S zu tragen. Folglich ist nicht auszuschließen, dass S durch § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS mittelbar in seinem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt wird. S ist mithin antragsbefugt.

2. Passive Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 VwGO)

Richtiger Antragsgegner ist nach § 47 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 die Körperschaft, die § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS erlassen hat, hier also K.18

3. Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO)

Die Jahresfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist noch nicht abgelaufen.

IV. Zwischenergebnis

Soweit sich der Antrag des gegen die Ordnungswidrigkeitsbe-stimmung des § 19 Nr. 1a FS richtet, ist er unzulässig; im Üb-rigen ist der Antrag zulässig.

B. Begründetheit des Antrags

Der Antrag des S ist begründet, wenn § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS ungültig sind, vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO. § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS sind ungültig, wenn die Best-immungen unwirksam sind, dh. gegen höherrangiges Recht verstoßen.19 Ein Verstoß liegt vor, sofern § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS ohne verfassungskonforme Ermächtigungsgrund-lage erlassen wurden bzw. gegen formelles oder materielles höherrangiges Recht verstoßen.

I. Satzungsermächtigung

Es müsste zunächst eine Satzungsermächtigung bestehen. Die-ses Erfordernis folgt aus dem Grundsatz des Vorbehalt des Gesetzes als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), dem die Rechtssetzungstätigkeit des Gemein-

17 Vgl. hierzu und zum Folgenden VGH BW, Urteil vom 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 39; OVG RP, NVwZ-RR 2009, 394 f. 18 Vgl. hierzu Ehlers (Fn. 10), § 27 Rn. 46. 19 Da es sich bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle um ein objek-tives Beanstandungsverfahren handelt, kommt es auf die eigene Rechtsver-letzung des Antragsstellers nicht an.

derats als Verwaltungsorgan unterliegt.20 Als Satzungsermäch-tigung kommen Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 71 Abs. 2 LV BW, § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW, § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW und § 15 Abs. 2, 3 BestattG BW in Betracht. Es gilt der Grundsatz lex specialis derogat legi generali.

1. § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW

Denkbare Satzungsermächtigung könnte § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW sein, wonach Gemeinden ihre weisungsfreien An-gelegenheiten durch Satzung regeln dürfen. Bei dem vorlie-genden Eingriff in die Rechtsstellung des S erscheint es jedoch bedenklich, eine derart weite Norm wie § 4 Abs. 1 Satz 1 Ge-mO BW als Ermächtigungsgrundlage ausreichen zu lassen. Der Eingriffsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt eine gesetzliche Grundlage, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt.21 Der demokratisch legitimierte (Lan-des-)Gesetzgeber darf die wesentlichen Entscheidungen nicht auf die Gemeinden delegieren, sondern hat diese selbst zu treffen.22 Die Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW genügt diesen Erfordernissen nicht. Sie ist zu unbestimmt, um Eingriffe in die (Berufs-)Freiheit zu rechtfertigen und wird dem Wesentlichkeitsprinzip nicht gerecht. § 4 Abs. 1 Satz 1 GemO BW scheidet daher als Ermächti-gungsgrundlage aus.23

2. § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW

In Betracht kommt jedoch die durch Gesetz vom 26.6.201224 neu geschaffene Ermächtigungsgrundlage in § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW und § 15 Abs. 2, 3 BestattG BW.25 Vorliegend wurde der Friedhof innerhalb einer Gemeinde durch Satzung geregelt. Es handelt sich damit um einen Ge-meindefriedhof im Sinne von § 15 Abs. 1 BestattG BW iVm. § 1 Abs. 1 Satz 1 BestattG BW. Ein anderer Bestattungsplatz im Sinne von § 15 Abs. 2 BestattG BW liegt daher nicht vor. Nur § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW kann daher eine taugliche Ermächtigungsgrundlage begründen. Diese müsste allerdings selbst mit höherrangigem Recht vereinbar, dh. insbesondere verfassungsgemäß sein.

20 Die Einordnung des Gemeinderats als Exekutivorgan entspricht ganz h.M., siehe nur BVerfGE 120, 82, 112; 78, 344, 348; BVerwG, NVwZ 2010, 834, 835; BGH, NJW 2006, 2050, 2053. 21 BVerwGE 148, 133, 144. 22 BVerwGE 148, 133, 142 f.; Lange, KommunalR, Kap. 12 Rn. 17. 23 Vgl. hierzu BVerwGE 148, 133, 144 sowie BayVGH, BayVBl., 2009, 367, 368 (§ 23 Satz 1 GO BY entspricht inhaltlich § 4 Satz 1 GemO BW); Kalten-born/Reit, NVwZ 2012, 925, 928 m.w.N.; Misera/Kessler, KommJur 2009, 52, 53 f.; anders unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Erwägungen Lo-renzmeier, BayVBl. 2011, 485 ff. 24 GBl. BW, S. 437. 25 Vergleichbar spezielle Ermächtigungsgrundlagen bestehen bisher lediglich in Bremen (§ 4 Abs. 5 des Gesetz über das Friedhofs- und Bestattungswesen in der Fassung vom 24.1.2012 [BremGBl., S. 24]) und dem Saarland (§ 8 Abs. 4 BestattG in der Fassung vom 15.9.2012 [Amtsbl. I S. 1384]). NRW wird diesen Beispielen voraussichtlich bald folgen, wobei hier gleichzeitig spezielle Vorschriften zur Zertifizierung geplant sind, s. LT NRW, Drucks. 16/6138.

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II. Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 1, 3 BestattG BW

Der VGH BW besitzt zwar nicht die Befugnis, Parlamentsge-setze mit inter omnes-Wirkung für ungültig zu erklären. Gleichwohl prüft er inzident die Verfassungsmäßigkeit der Satzungsermächtigung, da die Satzungsbestimmungen nur rechtmäßig sein können, wenn sie auf einer verfassungsgemä-ßen Ermächtigungsgrundlage beruhen, also in formeller und materieller Hinsicht der Verfassung entsprechen.

1. Formelle Verfassungsmäßigkeit

Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit ist allein fraglich, ob das Land die für den Erlass von § 15 Abs. 3 BestattG BW notwendige Regelungskompetenz besitzt.

Nach Art. 70 GG haben die Länder das Recht der Gesetzge-bung, soweit sich nichts anderes aus Art. 71 – 74 GG ergibt. Allein die Stellung des § 15 Abs. 3 BestattG BW im Friedhofs- und Bestattungswesen, das der Regelungskompetenz der Län-der unterfällt, schließt für sich das Bestehen einer vorrangigen Kompetenz des Bundes nicht aus.26

a) Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 Var. 4 GG („Warenverkehr mit dem Ausland“)

Aufgrund von Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG27 steht dem Bund die ausschließliche Regelungskompetenz für alle Wareneinfuhr-verbote zu.28 § 15 Abs. 3 BestattG BW statuiert indes kein Wareneinfuhrverbot, sondern lediglich ein Verwendungsver-bot, das sich zumindest formal auch nicht ausschließlich auf ausländische Produkte bezieht.29 Es wird nicht die Einfuhr der Ware selbst aus außenpolitischen Gründen allgemein verboten. Die Regelung hat allenfalls mittelbar Auswirkungen auf den Import und Handel von Grabmalen.30 Die Kompetenzgrundla-ge des Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG steht der Regelung in § 15 Abs. 3 BestattG BW daher nicht entgegen.31

b) Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft, Handwerk)

Erwägenswert erscheint die Annahme einer konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1 GG). Ob das Verbot der Verwen-dung von Grabmalen aus Kinderarbeit unter Art. 72 Abs. 1 Nr. 11 GG fällt, kann hier folglich dahinstehen, da der Bund bislang keine Vorschriften erlassen hat, wonach

26 Näher hierzu Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 929. 27 Eine Prüfung von Art. 73 Nr. 1 GG, siehe hierzu Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 929, legt der Sachverhalt nicht nahe und wurde nicht erwartet. Das BVerwG hat hierzu keinerlei Ausführungen gemacht. 28 Kunig, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. 2003, Art. 73 Rn. 25 m.w.N. 29 Kaltenborn/Reit, NVwZ 2012, 925, 929. 30 BVerwG 148, 133, 140. 31 A.A. vertretbar, in diese Richtung etwa auch Hoppe, LKV 2010, 497, 498.

Steinmetze bestimmte Produkte wegen ihres Herstellungspro-zesses nicht oder jedenfalls nicht für bestimmte Zwecke ver-wenden dürfen. Es besteht daher keine vorrangige Kompetenz des Bundes. Der Landesgesetzgeber besitzt mithin die für den Erlass des § 15 Abs. 3 BestattG notwendige Regelungskompe-tenz. § 15 Abs. 3 BestattG ist formell verfassungsgemäß.

2. Materielle Verfassungsmäßigkeit

a) Verstoß gegen höherrangiges Recht

aa) Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

Fraglich ist, ob § 15 Abs. 3 BestattG mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist32.

Der mittelbare Eingriff in den Schutzbereich kann unter den Voraussetzungen des Regelungsvorbehalts in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Ge-setz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden.

Grundsätzlich konnte der baden-württembergische Gesetz-geber durch das formelle Gesetz des § 15 Abs. 3 Satz 1 BestattG die Berufsausübung regeln. Er hat dadurch selbst die grundlegende Entscheidung getroffen, dass die Be-rufsfreiheit der Steinmetze, in die Satzungsregelungen wie die streitige eingreifen, gegenüber dem allgemeinen Interesse an der Bekämpfung von Kinderarbeit gegebenenfalls zurücktreten muss.33

Fraglich ist jedoch, ob der Gesetzgeber die Regelungen der Nachweisanforderungen zulässigerweise gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 BestattG den Gemeinden überantworten durfte oder ob er diese nicht mit Blick auf den Wesentlichkeitsvorbehalt selbst regeln musste.

Es gibt derzeit keine verlässlichen Zertifizierungssysteme oder sonstige Nachweismöglichkeiten für Steinmetzbetriebe, die garantieren können, dass Grabsteine „frei von Kinderar-beit“ sind. Wenn es der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund den Gemeinden überlässt, wie der Nachweis, dass Grabsteine und Grabmale „nachweislich aus fairem Handel stammen“, zu erbringen ist, lässt er eine für die Berufsausübung von Stein-metzen elementare Frage vollständig offen. Jede Gemeinde könnte insoweit unterschiedliche Nachweisforderungen auf-stellen, wodurch die Wettbewerbsgleichheit unter Steinmetzen beeinträchtigt werden könnte. Aufgrund des erheblichen Ein-griffs in Art. 12 Abs. 1 GG hätte der Gesetzgeber wenigsten die Grundzüge der an das Nachweissystem zu stellenden An-forderungen regeln müssen. § 15 Abs. 3 BestattG verstößt daher gegen Art. 12 Abs. 1 GG.34

32 Es ist an dieser Stelle ebenso vertretbar, in der bloßen Ermächtigung der Gemeinden noch keinen entsprechenden Eingriff zu sehen. In diesem Fall müsste im Anschluss an die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Er-mächtigungsgrundlage eine Problematisierung auf der Ebene der Vereinbarkeit der FS mit höherrangigem Recht stattfinden. 33 VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 44. 34 Vgl. BVerwGE 148, 133, 145; so tendenziell, aber letztlich offenlassend, auch VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 46; a.A. mit entsprechender Argumentation vertretbar.

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bb) Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 LV

Zudem könnte Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG im Hinblick darauf verletzt sein, dass die durch § 15 Abs. 3 Satz 1 BestattG BW eingeräumte Satzungsbefugnis die Angelegenheiten der örtli-chen Gemeinschaft übersteigt. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 LV sind die Gemeinden befugt, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze eigenver-antwortlich zu regeln. Hierbei handelt es sich um diejenigen Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf diese einen spezifischen Bezug haben und von ihr eigenständig und selbstverantwortlich bewältigt werden kön-nen, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen.35

Ob § 15 Abs. 3 Satz 1 BestattG den Gemeinden die Rege-lung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft oder stattdessen von überörtlichen Angelegenheiten erlaubt, kann dahinstehen, da Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 71 LV lediglich eine Mindestgarantie enthält, die es nicht ausschließt, dass der Gesetzgeber den Gemeinden darüber hinausgehende Aufgaben zuweist.36 Es dürfte insoweit lediglich zu fordern sein, dass die Satzungsermächtigung einen Gemeindebezug aufweist.37 § 15 Abs. 3 BestattG sieht eine Ermächtigung für Regelungen zur Benutzung kommunaler Friedhöfe, also von öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde vor. Damit ist bereits ein hinrei-chender Gemeindebezug gegeben. § 15 Abs. 3 BestattG ver-stößt nicht gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.

b) Zwischenergebnis

§ 15 Abs. 3 BestattG ist wegen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG materiell verfassungswidrig (a.A. vertret-bar). Das Bundesverfassungsgericht würde dies nach Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG feststellen. Da mithin § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS auf keiner wirksamen Ermäch-tigungsgrundlage beruht, sind die Vorschriften bereits aus diesem Grund nichtig (a.A. vertretbar).

III. Rechtmäßigkeit der Satzung (ggf. hilfsgutachterlich zu prüfen)

Gem. § 15 Abs. 1, 3 Satz 1, § 50 Abs. 2 BestattG BW iVm. § 31 Abs. 3 BestattVO iVm. § 62 Abs. 3 Satz 1 PolG BW können Gemeinden in ihren als Satzung zu erlassenden Fried-hofsordnungen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BestattG BW) festlegen, dass nur Grabsteine und Grabeinfassungen verwendet dürfen, die nachweislich aus fairem Handel stammen und ohne ausbeu-terische Kinderarbeit im Sinne der Konvention 182 der Interna-tionalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt sind. Gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 BestattG BW sind die Anforderungen an den Nachweis nach Satz 1 sind in den Friedhofsordnungen und Polizeiverordnungen festzulegen.

1. Formelle Rechtmäßigkeit der Satzung

35 BVerfGE 79, 127, 151 f. 36 BVerwGE 148, 133, 138 m.w.N.; Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 4. 37 Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 4.

a) Zuständigkeit

aa) Verbandskompetenz

Die gemeindliche Verbandskompetenz für den Erlass von § 13 Abs. 2 Satz 2 bis Satz 5 FS folgt aus § 15 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BestattG BW. Da Gemeinden vom Gesetzgeber auch zu Satzungsregelungen mit überörtlichem Charakter ermächtigt werden dürfen, kommt es auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in diesem Zusammenhang nicht entscheidend an.

bb) Organkompetenz

Der Erlass und damit auch die Änderung von Satzungen fällt in den (nach § 39 Abs. 2 Nr. 3 GemO BW unübertragbaren) Zu-ständigkeitsbereich des Gemeinderats, § 24 Abs. 1 GemO BW.38

b) Verfahren

Zweifel an einem ordnungsgemäßen Beschlussverfahren be-stehen lediglich im Hinblick auf den in § 35 Abs. 1 GemO BW konstituierten Öffentlichkeitsgrundsatz. Nach dem darin fest-gelegten Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit muss prinzipiell jedermann Zutritt zum öffentlichen Teil einer Gemeinderatssit-zung haben.39 Die Zutrittsmöglichkeit muss für die gesamte Dauer der öffentlichen Ratssitzung bestehen.

Eine Verletzung von § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO BW könnte sich zunächst aus dem Sitzungsbeginn um 16 Uhr ableiten. Nach einer Ansicht müssen „breite Teile aller Bevölkerungs-gruppen – insbesondere auch der Berufstätigen –“ grundsätz-lich die Möglichkeit zur Teilnahme an öffentlichen Ratssitzun-gen haben.40 An dem Vorliegen dieser Voraussetzung könnte man bei einem Sitzungsbeginn durchaus zweifeln. Nach der Rechtsprechung des VGH BW ist jedoch ein Sitzungsbeginn um 16 Uhr zulässig, da „auf irgendwelche Hinderungsgründe“ interessierter Zuhörer keine Rücksicht zu nehmen sei.41 Dem ist schon aus praktischen Erwägungen zu folgen.42

Bedenken an der Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes könnten sich aber ferner aus der Schließung der Eingangstüre zum Ratssaal um 21 Uhr ergeben. Ein solches Zugangshinder-nis führt nach der Rechtsprechung allerdings nur dann zu einer Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips, wenn es dem Ratsvor-sitzenden zuzurechnen ist.43 Daran fehlt es, wenn der Ratsvor-sitzende weder Kenntnis vom Hindernis hatte noch bei ent-sprechender Sorgfalt haben musste.44 Abgeleitet wird dieses Ergebnis aus einer Parallelwertung zum gerichtlichen Öffent-lichkeitsprinzip.45

Vorliegend wussten weder der Ratsvorsitzende noch der Gemeinderat von dem Zugangshindernis. Mit einem Fehlver- 38 Vgl. Lange (Fn. 22), Kap. 4 Rn. 104. 39 Aker (Fn. 13), § 35 Rn. 3. 40 OVG Saarlouis, DÖV 1993, 964. 41 VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107. 42 A.A. vertretbar. 43 VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107. 44 Aker (Fn. 13), § 35 Rn. 4. 45 s. VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107, wo auf BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1978 – 6 C 14/77 sowie BGH, NJW 1980, 249 Bezug genommen wird.

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halten des G mussten sie auch nicht rechnen, da der G bereits seit Jahrzehnten zuverlässig für K arbeitete. Damit scheidet auf der Grundlage der Rechtsprechung des VGH BW eine Verlet-zung des Öffentlichkeitsgebotes aus.46

c) Form

Eine Formvorschrift für den Erlass kommunaler Satzungen findet sich in § 4 Abs. 3 GemO BW. Danach müssen Satzun-gen öffentlich bekannt gemacht werden. Die öffentliche Be-kanntmachung durch die Gemeinde kann u.a. durch Einrücken in das eigene Amtsblatt der Gemeinde durchgeführt werden, § 1 Abs. 1 Nr. 1 DVO GemO BW. K hat die geänderte Satzung in ihrem Gemeindeblatt veröffentlicht und damit ordnungsge-mäß öffentlich bekannt gemacht.

Es könnte jedoch eine Verletzung des Zitiergebotes vorlie-gen, da K in der neu gefassten Friedhofssatzung keinerlei An-gaben zur gemeindlichen Normsetzungsbefugnis gemacht hat. Fraglich ist indes, ob überhaupt eine Pflicht zur Angabe von Satzungsermächtigungen besteht. In der GemO BW ist eine solche Verpflichtung nicht vorgesehen. Eine entsprechende Pflicht lässt sich auch nicht aus Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG, Art. 61 Abs. 1 Satz 1 Satz LV ableiten, die das Zitiergebot auf Rechtsverordnungen begrenzt. Auch eine analoge Anwendung dieser Normen kommt nicht in Frage, da sich Rechtsverord-nungen und Satzungen kategorial unterscheiden und auch kei-ne planwidrige Regelungslücke gegeben ist. Der Erlass kom-munaler Satzungen unterliegt daher nicht dem Zitiergebot.47

Die Satzung ist daher in formeller Hinsicht nicht zu bean-standen.

2. Materielle Rechtmäßigkeit der Satzung

a) Verstoß gegen höherrangiges Recht

Die Änderungssatzung könnte gegen das Gebot aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot der Klarheit und Bestimmtheit der Norm verstoßen.

aa) Verstoß gegen den Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG)

(1) Anforderungen des Grundsatzes der Normenklarheit und -bestimmtheit

Rechtsstaatliche Grundsätze verlangen, dass Normen mit aus-reichender Bestimmbarkeit zum Ausdruck bringen, was von den Normbetroffenen verlangt wird.48 Die Normbetroffenen müssen wissen, wozu sie verpflichtet bzw. berechtigt werden, um ihr Verhalten danach ausrichten zu können.49 Der hinrei-chenden Bestimmtheit fehlt es nicht, wenn die entsprechenden Normen Auslegungsprobleme aufwerfen, die mit herkömmli-

46 Vgl. nochmals VGH BW, VBlBW 1983, 106, 107. Mit entsprechender Argumentation konnte auch vertreten werden, dass eine Verletzung des § 35 Abs. 1 Satz 1 GemO BW deshalb ausscheidet, weil bei der Verhandlung von TOP 12 die Tür zum Sitzungssaal noch offen stand. 47 Näher Dols/Plate/Schulze, KommunalR BW, Rn. 55 m.w.N. 48 BVerwGE 148, 133 140. 49 BVerfGE 21, 73, 79; 51, 1, 41.

chen juristischen Methoden bewältigt werden können.50 Die Anforderungen an die Bestimmtheit steigen dabei mit der In-tensität, mit der auf der Grundlage der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen wird.51

(2) Vorliegen einer Unklarheit im Hinblick auf § 13 Abs. 2 Satz 5 FS

§ 13 Abs. 2 Satz 5 FS geben selbst keinen Aufschluss darüber, welche Möglichkeiten für den Nachweis bestehen, dass die verwendeten Grabsteine aus fairem Handel stammen und ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind. Nach § 13 Abs. 2 Satz 5 FS führt die Friedhofsverwaltung ein Ver-zeichnis darüber, welche Zertifikate als vertrauenswürdig i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 4 FS anzuerkennen sind. Die im Zusammen-hang mit der Anwendung der § 13 Abs. 2 Satz 2 FS bestehen-den Nachweisprobleme werden dadurch in den Normenvollzug verlagert.52 Da es bislang keine verlässlichen Zertifizierungs-systeme oder sonstige Nachweismöglichkeiten für Steinmetz-betriebe gibt, lässt die Satzung den Normbetroffenen im Un-klaren darüber, welche Nachweise ausreichen, um zu belegen, dass Grabsteine „frei von Kinderarbeit“ sind. Da es auch keine allgemeine Verkehrsauffassung dazu gibt, welche Zertifikate als vertrauenswürdig einzustufen sind, hätte der Gemeinderat selbst Regelungen dazu erlassen müssen, welche Nachweise als ausreichend angesehen werden. Daran fehlt es. Stattdessen delegiert § 13 Abs. 2 Satz 5 FS die Entscheidung über die anzuerkennenden Zertifikate unzulässiger Weise auf die Fried-hofsverwaltung. Folglich wird § 13 Abs. 2 Satz 5 FS dem Grundsatz der Normenklarheit und -bestimmtheit nicht ge-recht.

bb) Unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch § 13 Abs. 2 Satz 4 FS

Zudem könnte der mit § 13 Abs. 2 Satz 4 FS verbundene mit-telbare Eingriff, in Art. 12 Abs. 1 GG, der grundsätzlich auch durch kommunales Satzungsrecht („auf Grund eines Geset-zes“) zu rechtfertigen ist,53 unverhältnismäßig sein. Der Grund-satz der Verhältnismäßigkeit wird für Art. 12 Abs. 1 GG durch die sog. Dreistufentheorie konkretisiert.54

Die Anforderungen an den verfassungslegitimen Zweck be-stimmen sich nach der Dreistufentheorie. Die Anforderungen hängen demnach davon ab, ob es sich um eine Berufsaus-übungsregelung oder eine subjektive bzw. objektive Berufszu-lassungsregelung handelt. Da hier nur das „Wie des Berufes“, also die Berufsausübung betroffen ist, verfolgt schon dann einen verfassungslegitimen Zweck, wenn sie vernünftigen Zwecken des Allgemeinwohls dienen. Das Verwendungsverbot soll der Würde des Gemeindefriedhofs dienen und ausbeuteri-scher Kinderarbeit in Drittländern entgegenwirken. Das sind verfassungslegitime Zwecke. Dem nationalen Allgemeinwohl, welches das Grundgesetz schützt, sind auch internationale 50 BVerfGE 90, 1, 16 f. 51 BVerfGE 83, 130, 145. 52 Vgl. BVerwGE 148, 133, 141. 53 BVerfGE 98, 106,117 m.w.N.; im konkreten Fall zweifelnd BVerwGE 148, 133, 142 f. 54 Nolte/Tams, JuS 2006, 130, 131.

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Zwecke immanent, sofern diese zumindest mittelbaren Einfluss auf die nationalen Zwecke nehmen.

Eine Regelung ist geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der erstreb-te Erfolg gefördert werden kann; dem Normgeber kommt bei der Beurteilung der Geeignetheit ein Beurteilungsspielraum zu.55 § 13 Abs. 2 Satz 4 FS ist mangels eines allgemein aner-kannten Zertifikates nicht vollzugsfähig und damit auch nicht geeignet, den verfolgten Zweck, dass Grabsteine aus ausbeute-rischer Kinderarbeit auf Gemeindefriedhöfen nicht verwendet werden, zu fördern.

Solange nicht klar geregelt ist, welcher Art der geforderte Nachweis zu sein hat und welche Nachweise als ausreichend angesehen werden, ist die Regelung zudem auch unverhältnis-mäßig im engeren Sinne.

§ 13 Abs. 2 Satze 4 und 5 FS sind somit materiell rechtsfeh-lerhaft.

c) Reichweite der Unwirksamkeit

Materiell fehlerhafte Satzungsbestimmungen haben grundsätz-lich ihre Nichtigkeit zur Rechtsfolge.56

Fraglich ist hier allein, welche Bestimmungen von der Nich-tigkeit des § 13 Abs. 2 Sätze 4 und 5 FS erfasst werden. Die Nichtigkeit einzelner Satzungsbestimmungen führt grundsätz-lich nicht zur Gesamtnichtigkeit einer Satzung, da der ge-meindliche Wille regelmäßig darauf gerichtet sein wird, das von der Nichtigkeit nicht unmittelbar erfasste Satzungsrecht aufrecht zu erhalten.57 Anderseits sind all diejenigen Vorschrif-ten nichtig, die in einem untrennbaren Zusammenhang zu der

55 VGH BW, Urteil v. 29.04.2012, Az. 1 S 1458/12, Rn. 49 m.w.N. 56 Näher Lange (Fn. 22), Kap. 12 Rn. 28 ff. 57 Stober, KommunalR, 3. Aufl. 1996 m.w.N.

unwirksamen Vorschrift stehen.58 Als rechtlicher Maßstab kann insoweit auf § 139 BGB analog oder den Rechtsgedanken des § 78 BVerfGG zurückgegriffen werden.59

Der Ortsgesetzgeber wird § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS keine so große Bedeutung beigemessen haben, dass die Nichtigkeit des gesamten § 13 FS oder gar der gesamten Satzung eine adäquate Rechtsfolge wäre. Diese Vorschriften können viel-mehr selbstständig bestehen bleiben und bilden als solche weiterhin eine sinnvolle Einheit. Auch eine Unwirksamkeit von § 13 Abs. 2 Satz 1 FS ist nicht anzunehmen, da sie eine von den übrigen Bestimmungen dieses Absatzes eigenständige Regelung darstellt. § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS stellen demge-genüber ein geschlossenes System dar. Das Verwendungsver-bot kann ohne ein damit verbundenes Nachweissystem nicht aufrechterhalten werden. Hier ist daher davon auszugehen, dass sich die Unwirksamkeit auf die angegriffenen Regelungen der § 13 Abs. 2 Satz 2 bis 5 FS erstreckt. Diese Vorschriften sind ungültig und damit für unwirksam zu erklären (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Hs.1 VwGO).

C. Gesamtergebnis

Soweit der Antrag zulässig ist, ist er auch begründet. Er hat daher teilweise Aussicht auf Erfolg.

Der Autor ist Rechtsanwalt in der Kanzlei SCHRADE & PARTNER sowie Doktorand am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abt. 2 (Prof. Dr. Ralf Poscher), der Al-bert-Ludwigs-Universität Freiburg.

58 BVerwGE 117, 58, 61. 59 Näher zum Ganzen Gern, NVwZ 1987, 851, 852 m.w.N..

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Will, Bernhard Schlink Studium Freilaw 1/2015

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Bernhard Schlink – ein Leben zwischen Prosa und Jurisprudenz

Evelina Will

„Vielleicht, weil die Wahrheit des Rechts ebenso in Worten und Sätzen liegt wie die Wahrheit von Geschichten und weil die Dinge hier wie dort zu ihrem Ende gebracht werden müssen.“1.

So lautet Bernhard Schlinks Antwort auf die Frage nach sei-nem Motiv für die Doppeltätigkeit als Jurist und Schriftsteller. Mit dieser Doppelbegabung ist er unter den Juristen jedoch kein Einzelfall. Denn auch Goethe, Kafka und Tucholsky widmeten sich beiden Disziplinen. Bernhard Schlinks Œuvre sowie sein juristisches Schaffen – vornehmlich an der Hum-boldt-Universität zu Berlin – verdienen kurz nach seinem 70. Geburtstag und dem Erscheinen des Romans „Die Frau auf der Treppe“ eine eingehende Würdigung.

Der emeritierte Rechtsprofessor schrieb nicht nur mit Bodo Pieroth das juristische Standardwerk „Staatsrecht II Grund-rechte“ (fortgeführt von Thorsten Kingreen und Ralf Poscher), um welches kein Student der Rechtswissenschaft herum-kommt, sondern ist auch Verfasser des 1995 erschienenen Bestsellers „Der Vorleser“, der mittlerweile in dreiundfünfzig Sprachen übersetzt und auch in Hollywood verfilmt wurde2.

Geboren wurde Bernhard Schlink am 06. Juli 1944 in Groß-dornberg bei Bielefeld. Er wuchs in einem evangelischen The-ologenhaushalt in Heidelberg auf. Um die gleiche Laufbahn wie die seines Vaters als evangelischen Pfarrer einzuschlagen, war sein Glaube nicht tiefgehend genug. So entschied er sich die Gesellschaft im Wege der Juristerei zu verbessern3 und nahm nach dem Abitur das Studium der Rechtswissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg auf. Später wech-selte er an die Freie Universität Berlin. Schließlich wurde er 1975 in Heidelberg promoviert. 1981 folgte die Habilitation an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Von 1982 bis 1991 lehrte er an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Öffentliches Recht.4 Im Anschluss daran war er bis 1992 Professor für Öffentliches Recht, Sozial-recht und Rechtsphilosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. 1992, kurz nach der Wende, ging er nach Berlin und übernahm an der Humboldt-Universität zu Berlin den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, wo er bis zu seiner Emeritierung 2009 lehrte. Zu seinen bekanntesten Schülern zählt Prof. Dr. Ralf

1 Güntner, Fabulierender Jurist mit klarer Prosa - Bernhard Schlink wird 70, http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/fabulierender-jurist-mit-klarer-prosa-1.18336895 vom 06.07.2014, 05:30 Uhr. 2 Kegel, Vergangenheit, Schuld und Sühne, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/dem-autor-bernhard-schlink-zum-siebzigsten-13017359.html vom 06.07.2014, 00:01 Uhr. 3 dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70, http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhard-schlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr. 4 dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70, http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhard-schlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.

Poscher, welcher gegenwärtig an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Öffentliches Recht, Verfassungsgeschich-te und Rechtsphilosophie lehrt.

Darüber hinaus war Bernhard Schlink in der Zeit von 1987 bis 2006 als Richter am Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster tätig und wirkte zwischen Dezember 1989 und April 1990 als Berater am Verfassungs-entwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR mit.

Schon seit längerer Zeit zählt Bernhard Schlink zu den ver-lässlichen Bestsellerautoren. Exemplarisch hierfür ist das Werk „Die Frau auf der Treppe“, das im vergangenen Jahr erschien und direkt eine Spitzenreiterposition in einschlägigen Bestsel-lerlisten einnahm. Regelmäßig werden seine klare, schnörkel-lose Sprache, seine souveräne Erzählweise und seine Raffines-se im Konstruieren von Handlungen von Kritikern gewürdigt. Es ist nicht ganz fernliegend, dass Schlinks nüchterne und schmucklose Sprache seiner juristischen Herkunft zuzurechnen ist. Denn auch in dieser Disziplin gilt die Sprache als bedeut-sames, ja unumgängliches Handwerkszeug.

Bernhard Schlink, der sich das Schreiben von Unterhal-tungsliteratur durch begeistertes Lesen von Kriminalromanen angeeignet hat, schrieb während eines Freisemester in Aix-en-Provence mit Walter Popp seinen ersten Roman „Selbs Justiz“ (1987), der von einem etwa siebzigjährigen pensionierten Staatsanwalt und Detektiv mit einer „braunen Vergangenheit“ handelt. Auch in seinem folgenden Buch „Selbs Betrug“ (1992), das Schlink als alleiniger Autor verfasste und das sogar mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, lässt er den Protagonisten Gerhard Selbs als Privatdetektive Kriminal-fälle ermitteln. 2001 schließt Schlink die Selbs-Buchreihe mit dem Buch „Selbs Mord“ ab.

Zwischenzeitlich schrieb er den Kriminalroman „Die gordi-sche Schleife“ (1988), wofür er 1989 den Friedrich-Glauser-Preis erhielt.

Weltweite Bekanntheit erlangte Bernhard Schlink jedoch mit seinem 1995 in Deutschland erschienenen Roman „Der Vorleser“, einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen einem fünfzehnjährigen Gymnasiasten und einer ehemaligen KZ-Aufseherin. Hierzulande wird das Werk zunächst wegen seiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der Leserschaft sehr verhalten aufgenommen. Entertainerin Oprah Winfrey war es, die „The Reader“ nach dem US-Start 1999 zum Buch des Monats ernannte und das Interesse der Öffent-lichkeit an Bernhard Schlinks Werk weckte5. Hierauf folgten eine rasante und außergewöhnliche (internationale) Erfolgsge-schichte und diverse Literaturpreise. Schließlich wurde das

5 dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70, http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhard-schlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.

Will, Bernhard Schlink Historische Juristen Freilaw 1/2015

ISSN: 1865-0015 www.freilaw.de 62

Werk „Der Vorleser“ auch in eine erfolgreiche, englischspra-chige Verfilmung umgesetzt, in welcher Kate Winslet die weibliche und David Kross die männliche Hauptrolle über-nahmen.

Trotz seines sensationellen Erfolges schrieb Bernhard Schlink weiter. Es folgten die Romane „Die Heimkehr“ (2006), „Das Wochenende“ (2008), „Sommerlügen“ (2010), „Gedan-ken über das Schreiben“ (2011) und zuletzt das o.g. Werk „Die Frau auf der Treppe“. Auch diese Bücher fanden beim Publi-kum immer große Resonanz.

In seinen Romanen beschäftigt sich Schlink regelmäßig mit der Vergangenheitsbewältigung und insbesondere mit der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich in der Gegenwart. In seinen Büchern geht es primär um Lebensbilanzen, Sehn-süchte und Abgründe sowie um Verstrickungen und Schuld. Mit seinen literarischen Werken bietet er also Gelegenheit, sich noch einmal an die Vergangenheit und der dort entstandenen Schuld zu erinnern. Gleichzeitigt wirkt er auf diesem Wege dem Verdrängen und Vergessen entgegen und trägt mithin zum

öffentlichen Diskurs bei.6 So lösten Schlinks Bücher, insbe-sondere der Roman „Der Vorleser“, Debatten über den Um-gang mit dem Holocaust in der Literatur aus.7 Schlink musste sich Kritikern stellen, die ihm vorwarfen, dass er die Schuld der Deutschen in der Zeit des Dritten Reichs verharmlose und die Täter zur Helden seiner Romane mache.8 Dem entgegnet der stets zurückhaltend auftretende Autor jedoch, dass die Welt sich nun mal nicht in Gut und Böse teilen ließe und „dass Men-schen, die monströse Verbrechen begehen, nicht immer einfach Monster sind“9.

Der besondere Charakter der Romane sowie sein juristisches Schaffen machen Bernhard Schlink zu einer herausragenden Persönlichkeit. Es bleibt zu hoffen, dass er auch in den kom-menden Jahren zum öffentlichen und auch fachspezifisch-juristischen Diskurs beiträgt.

Die Autorin ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

6 Kilb, Herr Schlink, ist „Der Vorleser“ Geschichte?, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/im-gespraech-bernhard-schlink-herr-schlink-ist-der-vorleser-geschichte-1100720.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 vom 20.02.2009, 16:35 Uhr. 7 Kegel, Vergangenheit, Schuld und Sühne, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/dem-autor-bernhard-schlink-zum-siebzigsten-13017359.html vom 06.07.2014, 00:01 Uhr. 8 dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70, http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhard-schlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr. 9 dpa, Welterfolg mit „Der Vorleser“ – Bernhard Schlink wird 70, http://www.derwesten.de/kultur/literatur/welterfolg-mit-der-vorleser-bernhard-schlink-wird-70-id9545003.html .vom 01.07.2014, 19:00 Uhr.