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Zur Frage der Kontinuität des hippiatrischen Erbes der Antike: Die Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates im Kitāb al-furūsīya wa-l-bayṭara von Muḥammad ibn Ya'qūb ibn ah̆ī Ḥizām al-H̆uttulī Author(s): Veronika Weidenhöfer, Martin Heide and Joris Peters Reviewed work(s): Source: Sudhoffs Archiv, Bd. 89, H. 1 (2005), pp. 58-95 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20777970 . Accessed: 08/03/2013 03:18 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Sudhoffs Archiv. http://www.jstor.org This content downloaded on Fri, 8 Mar 2013 03:18:14 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Zur Frage der Kontinuität des hippiatrischen Erbes der Antike: Die Behandlung vonErkrankungen des Bewegungsapparates im Kitāb al-furūsīya wa-l-bayṭara von Muḥammad ibnYa'qūb ibn ah̆ī Ḥizām al-H̆uttulīAuthor(s): Veronika Weidenhöfer, Martin Heide and Joris PetersReviewed work(s):Source: Sudhoffs Archiv, Bd. 89, H. 1 (2005), pp. 58-95Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/20777970 .

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike: Die Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates

im Kitab al-furusiya wa-l-bayfara von Muhammad ibn Ya'qub ibn ah! Hizam al-Huttulf

Von Veronika Weidenhofer, Martin Heide und Joris Peters

Einleitung

Zu den vorrangigsten Errungenschaften der arabisch-islamischen Medizin zahlt die Abfas

sung medizinischer Kompendien. Auf der Basis von Ubersetzungen von Schriften aus dem

antiken, persischen und indischen Kulturraum konnten Mediziner bereits im spaten 9. Jh. auf einen wachsenden Bestand an fcachliteratur in arabischer Sprache bzw. wissenschaftli chen Erlauterungen zu diesen Schriften zuriickgreifen. Die Tradition, vorhandenes medizi nisches Wissen zu kompilieren und systematisieren, gipfelt z. B. im Kitab al-Qanun fi t tibb (lat.: Canon medicinae) des Abu Ali al-Husain ibn 'Abd Allah ibn STnd (Avicenna, 980-1037). Der Einfluss dieser und ahnlicher auf den Vorstellungen der griechischen Medizin beruhenden Schriften auf das medizinische Denken und Handeln im mittelalterli chen Abendland ist unumstritten.

Bei der Erhaltung und Vermittlung des hippiatrischen Erbes der Antike wird den Arabern eine ahnliche Rolle zugeschrieben1. Tatsachlich brachte die Begeisterung fiir die Haltung und Zucht von Pferden eine intensive Beschaftigung mit der Auswahl, Pflege und Behand

lung dieser Tiere mit sich. Es entstand eine umfangreiche Literatur, in der das Pferd den breitesten Raum einnimmt2. Angaben zur Pferdeheilkunde im arabischen Schrifttum finden sich nicht nur in Form von Monographien, sondern auch in Werken uber die Reitkunst, Landwirtschaft oder Medizin. Die darin erwahnte Bezeichnung fiir den Tierarzt, al-baytar, die seit dem 8. Jh. dokumentiert ist und sich von dem griechischen Begriff o inmarpog ableitet3, lasst ebenfalls auf eine Kontinuitat der griechischen medizinischen Tradition schliefien.

Auf dem Wege der Ubersetzung u. a. der Pferdeheilkunde von Theomnest von Magnesia in der 1. Halfte des 9. Jh.s moglicherweise durch Hunain ibn Ishdq erhielten die Araber auch Kenntnis von Apsyrtos, einem der bedeutendsten Pferdearzte der Antike4. Auf Paralle len zwischen griechischen und arabischen Texten wurde bereits mehrmals aufmerksam

gemacht5, weshalb einige Geschichtsforscher den Arabern eigenstandige Leistungen auf

1 GudmundBjdrck: Griechische Pferdeheilkunde in arabischer Uberlieferung, Le Monde Oriental 30 (1936), S. 1.

2 Gelegentlich wird in diesen Schriften auch auf die Behandlung anderer Nutztiere, wie etwa Kamele, Rinder und Schafe eingegangen; vgl. Joris Peters: Das Dromedar: Herkunft, Domestikationsgeschichte und Krankheitsbehandlung in friihgeschichtlicher Zeit, Tierarztliche Praxis 25 (1997), S. 559-565.

3 Martin Plessner: Baytar, in: Hamilton A.R. Gibb, Johannes H. Kramers, Evariste Levi-Provengal, Joseph Schacht [Hrsgg.]: The Encyclopaedia of Islam I, Leiden/London 1960, S. 1149.

4 Manfred Ullmann: Die Medizin im Islam. Leiden/Koln 1970, S. 218-219.

5 Reinhard Froehner: Das Nacerische Buch des Abu Bekr ibn Bedr. Beitrag zur Kenntnis der mittelalterli

chen orientalischen Veterinarmedizin, Archiv fur wissenschaftliche und praktische Tierheilkunde 60/4

Sudhoffs Archiv, Band 89, Heft 1 (2005) ? Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 59

dem Gebiet der Hippiatrie abgesprochen haben6. Tatsache ist aber, dass fur die Mehrheit der Schriften diese Behauptung bislang nicht gepruft werden konnte, weil ihre Inhalte noch unerforscht sind. Auf diese Problematik wies bereits 1936 Reinhard Froehner hin: ?Wenn erst einmal mehr Handschriften in Ubersetzung vorliegen, wird der Grad der Abhangigkeit der Araber von den Hippiatrikern und Mulomedizinern genauer gepruft werden konnen. Erst dann auch lasst sich der ganze EinfluB feststellen, den die mittelalterlichen Araber auf das abendlandische mittelalterliche Veterinarschrifttum ausgeiibt haben". Eine Schlussel rolle bei der Klarung dieser Fragestellung diirfte der altesten uns iiberlieferten arabischen Schrift mit dem Titel Kiiab al-furuslya wa-l-baytara von Muhammad ibn Ya'qub ibn afu Hizam al-HuttulT zukommen. Obwohl das Werk in verhaltnismaBig vielen Handschriften erhalten ist7 und der Autor in spateren Werken gelegentlich als Gewahrsmann erwahnt wird, wissen wir iiber die hippiatrischen Kenntnisse ibn atu IJizams so gut wie nichts8. So war es

bislang auch nicht moglich, die 1936 von Gudmund Bjdrck auf grand einer kleinen Auswahl an Textstellen formulierte These, ibn afu Hizam habe ?vornehmlich aus Theomnest ge schopft" zu verifizieren9.

Mit der Ubersetzung eines Teils des Werkes von aHi Hizam, namlich der Beschreibungen von sieben Krankheitskomplexen des Bewegungsapparates und deren Behandlung liegt ein erster wichtiger, in sich geschlossener Themenbereich aus der Anfangszeit der arabischen Pferdeheilkunde vor10. Die Krankheitskomplexe werden zunachst einzeln vorgestellt und aus heutiger tiermedizinischer Sicht erlautert. AnschlieBend folgt ein Vergleich mit den

entsprechenden Angaben in ausgewahlten Schriften der Antike bzw. des Mittelalters mit dem Ziel, die Arbeit des ibn aHi Hizam zu situieren und somit einen Beitrag zur Klarung der

Frage nach der Kontinuitat des hippiatrischen Erbe der Antike bis ins Mittelalter leisten zu

konnen.

(1929), S. 362-375; Bjdrck (1936) [wie Anm. 1]; Michael Hemprich: Das 33. Kapitel iiber Pferdeheil kunde aus der Kitab al filaha des Ibn al-Awwam (12. Jhdt. n. Chr.) (Ubersetzung und historische Bespre chung). Diss med vet Miinchen 1999, S. 6-7, 103 ff.; Angela von den Driesch und Joris Peters: Ge schichte der Tiermedizin - 5000 Jahre Tierheilkunde2. Stuttgart/New York 2003, S. 78 ff.

6 Friedrich Eichbaum: Grundriss der Geschichte der Thierheilkunde. Berlin 1885, S. 35; vgl. aber Froeh ner (1929) [wie Anm. 5], S. 363; Reinhard Froehner: Die Pferdeheilkunde des Ahmad ibn Hasan ibn al

Ahnaf. Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen arabischen Tierheilkunde. Nach einer Handschrift aus dem Jahre 1209, in: Hauptner-Instrumente fiir Veterinarmedizin 1936, S. 41.

7 Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 220.

8 Fiir einen kurzen veterinarmedizinischen Kommentar zum Kitab al-furuslya wa-l-baytara s. Nihal Erk:

A study of Kitab al-Hail wal-Baitara, written in the second half of the 9th century by Muhammed Ibn ahi

Hizam, Historia Medicinae Veterinariae 1:4 (1976), S. 101-104; Nihal Erk: Studies on veterinary manu

scripts in Turkey and three samples from the 9th, 12th and 14th centuries, Historia Medicinae Veterinariae

27: 1-4 (2002), S. 159-174.

9 Bjdrck (1936) [wie Anm. 1], S. 9.

10 Martin Heide: Beschreibung und Behandlung einiger Erkrankungen, die die Extremitaten der Pferde

betreffen aus dem Kitab al-furuslya wa-l-baytara des Muhammad ibn Ya'qub ibn ah! Hizam al-HuttulT, Welt des Orients 30 (2003), in Druck.

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60 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Der Autor und sein Werk

Uber ibn a\u Hizam, der sein Werk auf eine Stufe mit Galens QepanevxiKr) peOodoq stellt, ist wenig bekannt. Er lebte in der zweiten Halfte des 9. Jh.s und soli Stallmeister am Hof des

Kalifen al-Mu'tasim, al-Mutawakkil oder al-Mutadid gewesen sein11. Seine Schrift, das

Kitab al-furusiya wa-l-baytara oder Buck von der Reitkunst und Pferdeheilkunde, wurde mehrfach abgeschrieben und auch ins Persische und Tiirkische ubersetzt12. Es ist in mindestens 18 Abschriften erhalten. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Handschrift Ms LOr 528 wird in der Leidener Universitatsbibliothek unter der Signatur Leiden 1407

(= Cod. 528 Warn.) aufbewahrt. Sie zeichnet sich durch ihre Vollstandigkeit aus und die

Tatsache, dass sie fast durchgehend zuverlassig vokalisiert ist (Abb. 1). Zur Uberprufung

Abb. 1: Folio 60 r der Handschrift Ms LOr 528 mit zwei Rezepten zur Behandlung des Dahas.

11 Ullmann(\910) [wie Anm. 4], S. 217-220; Albert Dietrich: Medicinalia Arabica. Gottingen 1966, S. 162.

12 Joseph von Somogyi: Die Stellung ad-DamTns in der arabischen Literatur, Wiener Zeitschrift fiir die

Kunde des Morgenlandes 56 (1960), S. 192-206; Erie (1976, 2002) [wie Anm. 8].

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 61

des Textes sowie zur Ubersetzung schwieriger oder unleserlicher Passagen wurden auch die Handschriften Leiden 1408 (= Cod. 299, 1 Warn.), 1409 (= Cod. 299, 2 Warn.), Brit. Mus. 1365 (= Add.23416), Brit. Mus. Suppl 813 (= Or. 1523) und Mss CB (Chester Beatty) 3073, 3220, 3319 und 3889 herangezogen. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten dieser

Manuskripte den Text weitgehend vereinfachen bzw. schwierige Passagen weglassen, ausgenommen das dem Leidener Ms LOr 528 recht nahe stehende Ms CB 3073.

Der erste Teil dieses Werkes, das sich neben der Hippiatrie auch der Hippologie widmet,

geht auf Probleme des Gehorsams, der Zucht sowie auf die Farben und Mangel der Pferde

ein, z. B. ?Kapitel dariiber, wie man die Qualitat des Pferdes erschlieBt, wobei es gesattelt ist", ?Kapitel iiber die Stuten", ?Kapitel liber die Farben der Reittiere und ihre Flecken",

?Kapitel iiber die angeborenen Fehler der Reittiere". Ab Folio 50v werden die Behand

lungsmaBnahmen beschrieben. Der Reihenfolge ihrer Darstellung folgt auch die Uberset

zung13, wobei den jeweiligen Therapien die entsprechenden Texte iiber die Krankheitsursa chen und Symptome vorangestellt wurden14. Neben dem Begriff ?Pferd" verwendet ibn aiu Hizam auch haufig das Wort ?Reittier", womit aber ebenfalls das Pferd und eventuell auch das Maultier, jedoch wohl kaum der Esel gemeint ist15.

Die in diesem Beitrag vorgestellten Passagen befassen sich mit Erkrankungen des

Autopodiums16. Dem Umfang der gewahlten Textabschnitte nach zu schlieBen, scheinen

Masas, Intisar, 'Aran, Saza, Zawa'Td (Geschwulste), Dahas und Saratan wichtige, moglicherweise sogar haufig auftretende Krankheitsbilder zu reprasentieren.

Der Aufbau der Abschnitte iiber Atiologie und Symptomatik ist in der Regel gleichartig gestaltet: Die formelhaft abgefasste Uberschrift nennt den Namen des Leidens und teilweise auch die betroffenen Korperstellen, z. B. ?Was die Intisar betrifft, und zwar an der Sehne der Vorder- und Hinterhand" (32v). Danach folgt die Beschreibung der Ursachen und

Entstehung der Krankheit, ihre Diagnose und eine Prognose, an die sich meist eine religiose Anrufung anschlieBt. Auch die Texte iiber die Therapieverfahren sind mit einer Uberschrift und einer oft religiosen Schlussformel versehen, z. B. ?Es ist niitzlich, so Gott will, erhaben ist er" (51v.l). Haufig stehen mehrere Rezepte und BehandlungsmaBnahmen fur unter schiedliche Schweregrade einer Krankheit zur Verfugung, auBerdem Alternativen fiir den

Fall, dass sich der Behandelnde mit seinem Reittier auf Reisen befindet. Die Therapiean weisungen beinhalten dariiber hinaus auch Ratschlage und Warnungen.

13 Zur besseren Ubersichtlichkeit wurden im Rahmen der Ubersetzung die einzelnen Abschnitte einer Seite

mit Nummern versehen, die als Index neben der Folio-Zahl angegeben sind.

14 Atiologie und Symptomatik der Krankheiten werden ab Folio 30 des Manuskripts beschrieben, wahrend

der Text iiber die Therapien ab Folio 50 beginnt. Die Kombination der Darstellung von Ursachen und

Symptomen mit der Beschreibung der BehandlungsmaBnahmen findet sich interessanterweise auch in

dem Text des Kompilators ibn al-'Awwam bei Zitaten von ibn aHi Hizam.

15 Uber die Bedeutung der Haltung von Maultieren (Eselhengst x Pferdestute) im Vorderen Orient in vor

und friihgeschichtlicher Zeit siehe u. a. von den DrieschlPeters (2003) [wie Anm. 5], S. 25-27.

16 Als Autopodium bezeichnet man die GliedmaBenspitze, die die Knochen der Vorder- bzw. HinterfuB

wurzel, Basipodium, die Knochen des Vorder- und HintermittelfuBes, Metapodium, und der Vorder- und

Hinterzehen, Acropodium, umfasst (Richard Nickel, August Schummer und Eugen Seiferle: Lehrbuch der

Anatomie der Haustiere, Band 1, Berlin/Hamburg 1961, S. 53).

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62 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Material und Methodik

Grundlage der vorliegenden Arbeit bildet der Ubersetzungstext von M. Heide, aus dem zu

jedem Krankheitskomplex die wichtigsten Formulierungen ibn a/ii Hizdms zusammen

gefasst wiedergegeben oder wortlich zitiert wurden, um die veterinarmedizinhistorisch relevanten Aspekte moglichst nahe am Originaltext aufzeigen zu konnen. Bei einer solchen

Interpretation ergibt sich haufig das Problem, dass einem Krankheitsbild aus heutiger Sicht oft nicht eindeutig ein Leiden zugeordnet werden kann, oder dass sich auch uber die Jahrhunderte hinweg die Krankheitsbezeichnungen mehrmals verandert und zu einer ver

wirrenden Nomenklatur gefiihrt haben. Auch wenn der Wert und die erreichbare Qualitat eines solchen Kommentars bisweilen in Frage gestellt wurden, eroffnet erst eine genaue Analyse des Textes den Zugang zu den oft schwierigen Inhalten und erlaubt es, die

moglichen Krankheiten in Zusammenhang mit den jeweils vorgeschlagenen TherapiemaB nahmen sinnvoll beurteilen zu konnen. Neben der Interpretation des veterinarmedizinischen Inhalts wurde auch der Frage nachgegangen, inwieweit ibn afii Hizam Informationen aus

antiken Vorlagen ubernommen hat bzw. in welchem Umfang sein Werk in die jungere mittelalterliche pferdeheilkundliche Literatur des Morgen- und Abendlandes Eingang ge funden hat. Dazu wurden die entsprechenden Passagen ibn afu Hizdms den Angaben im

Corpus Hippiatricorum Graecorum, in der Mulomedicina Chironis, in den Werken des

Ipocras indicus, des ibn al-'Awwdm, des Jordanus Ruffus, des Albertus Magnus, des Teodorico dei Borgognoni, des abu Bakr ibn al-Mundir Badr ad-Din, des Laurentius

Rusius, des Johan Alvarez de Salamiella sowie denjenigen im Do Faras-Nameh, einem

persischen Text uber Pferdekrankheiten, gegenubergestellt. Bei der Vergleichsliteratur handelt es sich um eine Auswahl bedeutender Schriften aus dem Mittelmeerraum bzw. dem

Orient, die wahrend der Spatantike bis zur Mitte des 14. Jh.s verfasst wurden. Sie kann als

reprasentativ fur das uberlieferte Schrifttum dieser Region gelten. Eine Ausnahme stellt die Schrift von Theomnest dar. Der griechische Urtext seines Buches uber die Pferdeheilkunde ist verloren und kann bislang nur durch Zitate aus dem Corpus Hippiatricorum Graecorum

belegt werden. Es existiert aber eine arabische Ubersetzung seiner Schrift, die um die Mitte des 9. Jh.s angefertigt worden sein soli17.

Im Folgenden werden die genannten Autoren und Werke kurz vorgestellt, von denen fur diese Arbeit die deutschen Ubersetzungen herangezogen wurden, die meist im Rahmen tiermedizinischer Dissertationen angefertigt worden sind. Auch wenn dadurch die Aussage kraft der Vergleichsliteratur vom philologischen Standpunkt her eingeschrankt ist, konnen dennoch gewisse Anhaltspunkte tiermedizinischen Handelns fur die jeweiligen Epochen und Regionen ausgemacht werden.

Das Corpus Hippiatricorum Graecorum (CHG) stellt ein in griechischer Sprache iiber liefertes Sammelwerk von Texten griechischer und lateinischer Veterinarschriftsteller des

17 Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 218-219; eine Ubersetzung des Pariser Ms. Or. 2810 ist in Vorberei

tung; auch in der Geoponica, einem landwirtschaftlichen Sammelwerk des Cassianus Bassus Scholasti

cus, der im 6. oder Anfang des 7. Jh. gelebt hat, wird Theomnest in einigen Kapiteluberschriften genannt, z. B. Ulrike Wappmann: Buch 16 und 17 der Geoponica. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet

Miinchen 1985, S. 33. Nach Ansicht von Gemoll ist allerdings eine direkte Benutzung des Theomnest

durch den Sammler der Geoponica auszuschlieBen (Wilhelm Gemoll: Untersuchungen iiber die Quellen, den Verfasser und die Abfassungszeit der Geoponica. Berliner Studien fur class. Philologie und Archao

logie 1,1. Berlin 1883, Neudruck Walluf bei Wiesbaden 1972, S. 77-78, 232).

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 63

3. bis 5. Jh.s dar, dessen alteste uns bekannte Ausgabe in Form einer Prachthandschrift aus dem 9. oder 10. Jh. vorliegt. Die Zahl ihrer Beitrage in dieser Kompilation kennzeichnet

Apsyrtos, Theomnest (beide 1. Halfte des 4. Jh.s) und Hierokles (2. Halfte des 4. Jh.s) als bedeutende Hippiater ihrer Zeit18.

Bei der Mulomedicina Chironis (MC), die in der zweiten Halfte des 4. Jh.s entstand, handelt es sich ebenfalls um das Werk eines anonymen Kompilators, der die Vorlagen griechischer und lateinischer Autoren (z. B. Apsyrtos, Chiron Centaurus, Sotio, Farnax, Poliket und Columella) in eine zehn Biicher umfassende Ausgabe in lateinischer Sprache zusammenfasste, von der zwei Abschriften aus dem spaten 15. Jh. erhalten sind19.

Ipocras, ein Arzt aus Scind in Indien, hat vermutlich im Auftrag des persischen Konigs Chosroes I. Anusirwan, der Mitte des 6. Jh.s regierte, eine Pferdeheilkunde verfasst.

Urspriinglich wohl in Sanskrit niedergeschrieben, wurde diese zu einem uns unbekannten

Zeitpunkt ins Arabische und 1277 auf Befehl Karls I. von Anjou durch Moses von Palermo ins Lateinische iibersetzt. Der arabische Text ist zwar nicht iiberliefert, jedoch war Ipocras9

Werk im arabischen Sprachraum durchaus bekannt (s. unten). Die fur diese Arbeit herange zogene Ubersetzung des Manuskripts British Library add. 27626 enthalt auBerdem ein Liber mariscaltie eines anonymen Autors, dem laut Bjorck ebenfalls eine arabische Vorlage zugrunde lag und das inhaltlich Parallelen zu ibn al- 'Awwam und Apsyrtos zeigt, sowie eine lateinische Fassung der Epitome der Hippiatrika und den Tractatus quintus des Moamin20.

Der Andalusier ibn al- 'Awwam ist der Autor des landwirtschaftlichen Kompendiums mit dem Titel Kitab al-filaha, das im 33. Kapitel die Pferdeheilkunde behandelt. Es stellt eine -

wenn auch unvollstandige -

Sammlung der hippiatrischen Kenntnisse in der arabischen Welt um 1200 dar. Uber die Person ibn al- Awwam ist nur bekannt, dass er zwischen 1150 und 1155 geboren wurde und in Sevilla lebte. In seinem Buch, das er vermutlich im letzten Drittel des 12. Jh.s verfasst hat, beruft er sich auf Quellen in der griechischen, romischen, nabataischen und arabischen Literatur so auch auf ibn alu Hizam, durch den er wiederum Kenntnis von Theomnest und Apsyrtos erhalten habe21. Bjorck konnte bei ibn al-'Awwam uber 30 Parallelstellen zu den Texten von Theomnest und Apsyrtos nachweisen22.

Jordanus Ruffus wurde gegen Ende des 12. oder Anfang des 13. Jh.s in Kalabrien

geboren. Er war Imperialis Marescallus maior (oberster Stallmeister) am Hofe Friedrichs II.. Kurz nach Kaiser Friedrichs Tod (1250) legte er seine pferdeheilkundlichen Erfahrun

gen in einem Buch uber die Stallmeisterei der Pferde23 nieder, fiir das - so die weit

18 Johann Schaffer: Das Corpus Hippiatricorum Graecorum - ein umstrittenes Erbe, Sudhoffs Archiv 71/2

(1987), S. 217-229. 19 Werner Sackmann: Eine bisher unbekannte Handschrift der Mulomedicina Chironis aus der Basler Uni

versitatsbibliothek, Sudhoffs Archiv 77/1 (1993), S. 117-120; Werner Sackmann: 500 Jahre Mulomedici na Chironis Basiliensis, Schweizer Archiv fur Tierheilkunde 139/1 (1997), S. 21-23.

20 Bjdrck (1936) [wie Anm. 1], S. 6-9; Klaus-Dietrich Fischer: ?A horse! A horse! My kingdom for a

horse". Versions of Greek Horse Medicine in Medieval Italy, Medizinhistorisches Journal 34 (1999), S.

123-138; die Autoren danken Herrn Prof. Klaus-Dietrich Fischer sehr herzlich fur seine Mitteilungen. 21 Reinhard Froehner: Die Tierheilkunde des Ibn al-Awam, Veterinarhistorische Mitteilungen 4-6 (1930),

S. 25-58; Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 220; S. 25-58; Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 1-8 und

103 ff.

22 Gudmund Bjdrck: Zum Corpus Hippiatricorum Graecorum. Beitrage zur antiken Tierheilkunde. Diss

Uppsala 1932, S. 45 ff.; Bjdrck (1936) [wie Anm. 1], S. 10.

23 Diese Uberschrift entspricht den Anfangsworten der lateinischen Urfassung, die keinen Titel trug. Im

Laufe der Zeit burgerte sich dann die Uberschrift De medicina equorum ein (Thomas Hiepe: Das ?Buch

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64 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

verbreitete Auffassung - u. a. auch im wesentlichen arabische Literatur als Vorlage gedient

haben konnte. Weil diese lateinische Schrift in mehrere europaische Sprachen ubersetzt wurde und somit eine wesentliche Grundlage fur Werke jiingeren Datums bildete, haben Veterinarhistoriker Jordanus Ruffus eine Schliisselrolle bei der Wissensvermittlung vom

Orient zum Okzident eingeraumt24. Ein Zeitgenosse von Jordanus Ruffus war Albertus Magnus (1193-1280). Dieser Univer

salgelehrte verfasste eine Tierkunde, De animalibus libri XXVI, die im 22. Buch, dem Tractatus de equis, auch auf die Krankheiten der Pferde eingeht. Das Werk halt sich zwar

eng an die Tierkunde des Aristoteles, schopft aber vor allem aus einer anonymen Schrift, Liber de cur a e quorum25.

Im gleichen Jahrhundert lebte auch Teodorico dei Borgognoni (1205-1298), der nicht nur als Bischof von Cervia wirkte, sondern auch eine chirurgische Praxis fuhrte. In seiner

dreiteiligen Practica equorum kompiliert Theodorich von Cervia vor allem die Texte von

Vegetius26 und Jordanus Ruffus21. Abu Bakr ibn al-Mundir Badr ad-Din (ca. 1293-1340), der als Tierarzt am Hofe des

agyptischen Sultans an-Nasir ibn Qalawun wirkte, schrieb im ersten Drittel des 14. Jh.s das

BuchKasifal-wailJTma'rifat amradal-hail oder kurz an-NasirT. Es handelt sich um ein fur die damalige Zeit recht vollstandiges Handbuch tiber Hippologie und Hippiatrie, das neben arabischen Schriften auch die Werke der griechischen Hippiater und romischen Mulomedi ziner als Vorlagen benutzt28.

Auch Laurentius Rusius (1288-1347) sammelte als Veterinar in Rom zwischen 1320 und 1347 praktische Erfahrungen. Die von ihm verfasste Marescalcia wurde in zahlreiche

Sprachen ubersetzt und erlangte grofie Bekanntheit29. Johan Alvarez de Salamiella war Stallmeister des Grafen von Beam und lebte auf dessen

Besitzungen am Nordhang der Pyrenaen. Dort verfasste er zwischen 1340 und 1360 auf

Spanisch ein zweibandiges, reich bebildertes Werk iiber Pferde, Libro de menescalcia et de

uber die Stallmeisterei der Pferde" von Jordanus Ruffus aus dem 13. Jahrhundert. (Abschrift, Ubersetzung und veterinarmedizin-historische Bewertung). Diss med vet Miinchen 1990, S. 1).

24 Z. B. Frederick Smith: The early History of veterinary Literature and its British Development. Vol. 1.

London 1919, Neudruck London 1976, S. 76 ff.; Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 218; Fischer (1999)

[wie Anm. 20], S. 130; von den DrieschlPeters (2003) [wie Anm. 5], S. 86 ff.

25 Wilhelm Wiemes: Die Pferdeheilkunde des Albert von Bollstadt, Diss med vet Berlin 1938; Johann Schdffer und Klaus-Dietrich Fischer: Tiermedizin, in: Lexikon des Mittelalters, I ff. Miinchen 2002 [im folgen den: LexMA], hier VIII, Sp. 774-780.

26 Das Werk des Pferdeliebhabers und vir illustris Vegetius Renatus, die Ars veterinaria sive Mulomedicina

(5. Jh.) gilt als hervorragendes lateinisches Werk der Spatantike, das teilweise auf den Texten der MC

basiert (von den Drieschl Peters (2003) [wie Anm. 5], S. 46). 27 Erich Dolz: Die Pferdeheilkunde des Bischofs Theodorich von Cervia (Abhandlung I). Diss med vet

Berlin 1937; Gunther Klutz: Die Pferdeheilkunde des Bischofs Theoderich von Cervia (Abhandlung II). Diss med vet Berlin 1936; Wilhelm Heinemeyer: Die Pferdeheilkunde des Bischofs Theodorich von Cer

via (Abhandlung III). Diss med vet Berlin 1936.

28 Froehner (1929) [wie Anm. 5], S. 362-364; Reinhard Froehner: Die Tierheilkunde des Abu Bekr Ibn

Bedr, Abhandlungen aus der Geschichte der Veterinarmedizin 23 (1931), S. 1 ff.; Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 221; Ubersetzungen: Nicolas Perron: Le Naceri. Paris 1852-60; Abdel-Rahman Al-Daccak

[Hg.]: Kasif hamm al-wayl ft ma'rifat 'amrad al-hayl. La perfection des deux arts, traite complet,

d'hippologie et d'hippiatrie, connu sous le nom Al-Nasiri, par Abu Bakr ibn Badr ad-Din al Bitar, Vol. I u. II, Paris 1991.

29 Ludwig Schnier: Die Pferdeheilkunde des Laurentius Rusius. Diss med vet Berlin 1937.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 65

albeyteria et fisica de las bestias. Die Schrift weist eindeutig arabische Einfliisse auf30, erfuhr jedoch, da auf Spanisch geschrieben, eine geringfugigere Verbreitung in Europa als

diejenige des Jordanus Ruffus. Das in persischer Sprache verfasste Buch Do Faras-Ndmeh enthalt neben einem Gedicht

auch einen Text in Prosa iiber die Haltung, Zucht und Behandlung von Pferden, der vermutlich auf eine Vorlage eines unbekannten Autors des 11.-13. Jh.s zuruckgeht31.

Tab. 1: Zeitliche Einordnung der in dieser Arbeit berucksichtigten spatantiken32 und friihmittelalterlichen Veterinarschriftsteller bzw. Werke.

Griechische

Autoren/Werke

Lateinische

Autoren/Werke

Arabische

Autoren/Werke

4. Jh.(l. Halfte) -

Apsyrtos

Theomnest

(2. Halfte) - Hierokles -

?Chiron"

6. Jh. -Ipocras (Sanskrit) 9. Jh.(l. Halfte)

- Theomnest wird von

Hunain iibersetzt

(2. Halfte) - ibn ah Hizam

9.-10. Jh. -CHG

12. Jh. - ibn al~ 'Awwarn

13. Jh. -Ipocras wird von

Moses iibersetzt -Jordanus Ruffus -Albertus Magnus - Theodorich von Cervia

-Do Faras-Nameh

(persisch, unbekannter

Autor)

14. Jh. - Laurentius Rusius - Johan Alvarez

de Salamiella

ibn al-Mundir

30 Werner Schwartz: Die Pferdeheilkunde des Johan Alvarez de Salamiella, Abhandlungen aus der Geschichte

der Veterinarmedizin 30 (1945), S. 121.

31 Eva Shirzadian: ?Faras-Nameh" Ein persischer Text iiber Pferdeheilkunde aus dem 11.-13. Jahrhundert.

Diss med vet Munchen 1991.

32 abgeandert nach Schdffer (1987) [wie Anm. 18], S. 219.

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66 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Die Krankheitskomplexe im Einzelnen

Masas

Das erste Krankheitsbild, der Masas, lasst sich trotz der strukturierten Beschreibung ibn alu Hizams auf den ersten Blick nur schwer einordnen33. Als Entstehungsursache nennt der Autor drei mogliche Verletzungsarten, namlich durch einen Stein, einen Holzsplitter oder einen Schlag, die dazu fuhren, dass der Knochen ?erweicht", d. h. sich entzundet. Das Aussehen des Masas beschreibt er folgendermaBen: ?Dann schwillt er an, und das, was von

ihm anschwillt, gleicht der WalnuB, groBer oder kleiner als sie, aber er erreicht nicht die Harte seines gesunden Knochens. Der Masas ist poros wie die markhaltigen Knochen34 des Schafes" (32r.2). Diese Beschreibung lasst an eine traumatisch bedingte Periostitis ossifi cans denken, die zur Bildung eines sog. Uberbeines fuhrt. Solche Uberbeine konnen dorsal, seitlich oder palmar bzw. plantar am Metacarpus bzw. Metatarsus auftreten und sind meist das Produkt statischer Einwirkungen, konnen aber auch direkt traumatisch bedingt sein oder im Rahmen des Heilungsprozesses einer Fraktur als sog. Kallus auftreten35.

Zur Lokalisation des Leidens bemerkt ibn afu Hizam, dass der Masas nicht nur den

MittelfuB, sondern auch Sprunggelenk, Sehne, Fessel oder ?Knie" (= Karpalgelenk36) betreffen konne. Diese Vielfalt an Pradilektionsstellen mag auf den ersten Blick verwirren, verwundert aber nicht, wenn man bedenkt, dass traumatische Arthritiden oder Periarthriti

den, die im chronischen Stadium mit der Bildung von Exostosen oder Hyperostosen einhergehen konnen, sich sowohl am Karpal- als auch am Tarsal- oder Fesselgelenk, wo sie als ?Schale" bezeichnet werden, entwickeln konnen. Der Entzundungsprozess kann entwe

der nur das Periost betreffen, so dass sich die Osteophytenbildung auf den Knochen und die AuBenflache des Gelenks beschrankt (Periostitis ossificans) oder, wie bei der artikularen

Form, auch auf den Gelenkknorpel ubergreifen und dort die Bildung von Usuren und

Ankylosen veranlassen37. Derartige Hyperostosen weisen ein blumenkohlartiges Aussehen

auf, ihre Oberflache ist unregelmaBig und durchlocht, was an und fur sich der von ibn alu Hizam erwahnten ?Porositat" entsprechen konnte.

Die Prognose bezeichnet ibn afu Hizam als ungunstig, insbesondere wenn das Gelenk betroffen ist: ?Manchmal befindet sich von ihm etwas im Inneren des Kniegelenks; ... und

jenes ist eins der iibelsten Masas, und es gibt kein Heilmittel dafur. Manchmal siehst du auch [....] wie der Knochen beginnt, zu einer bbsartigen Stelle zu werden, von der das Reittier nicht frei wird" (32r.2). Gute Heilungschancen haben seiner Meinung nach kleine,

33 Auch die Parallelstelle bei ibn al-'Awwam liefert keine zusatzlichen Angaben zum Text von ibn ahi

Hizam (Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 88-89). 34 Die Enden der Rohrenknochen bestehen in ihrem Inneren aus einer feinporigen, schwammahnlichen Sub

stantia spongiosa (Nickel/Schummer/Seiferle (1961) [wie Anm. 16], S. 17). 35 Hanns-Jurgen Wintzer: Krankheiten des Pferdes. Berlin/Hamburg 1984, S. 323; TedS. Stashak: Adams'

Lahmheit bei Pferden. Hannover 1989, S. 612-615.

36 Das Karpalgelenk wurde in friiheren Zeiten haufig als ?Vorderknie" bezeichnet. Infolge mechanischer

Einwirkungen konnen dort oft Verletzungen und entzundliche Schwellungen auftreten (z. B. Jakob Lech ner: Knie, in: Alois Koch [Hg.]: Encyklopadie der gesammten Thierheilkunde und Thierzucht. 5. Band.

Wien/Leipzig 1888, S. 426-428). 37 Erich Silbersiepe und Ewald Berge: Lehrbuch der speziellen Chirurgie fur Tierarzte und Studierende.

Stuttgart 1943, S. 311; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 360 ff., 551 ff.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 67

fleischige Knoten, die im Diaphysenbereich des MittelfuBes auftreten und sich irgendwann wieder auflosen. Dieser so genannte ?weiche MasaS" bildet sich auf der Dorsalseite des

MittelfuBes, kann aber auch ?unterhalb" der Vorderhand, d. h. auf die palmare Flache

gelangen. Manchmal ist er anfangs weich und verhartet sich spater oder er weist von Anfang an eine feste Konsistenz auf. Laut ibn aM Hizam kann der Masas sowohl an der Vorder- als auch der Hinterextremitat auftreten. Die Beschreibung des ?weichen MaSas" konnte auf eine traumatische Bursitis wie z. B. das Karpalhygrom38 oder eine Tendovaginitis des M. extensor carpi radialis, des M. extensor digitalis communis, des M. extensor carpi ulnaris und des M. extensor digitalis lat. zutreffen, die als weiche, fluktuierende beulenartige Verdickungen an der dorsalen Flache des Karpus auftreten und die sich vielfach gut behandeln lassen39. Ein ahnliches Erscheinungsbild haben auch Synovialhernien, die durch den Vorfall der Synovialmembran infolge eines Defekts in der Gelenkkapsel oder Sehnen scheide entstehen, sowie Synovialfisteln, die als Verbindungen zwischen zwei Synovial hohlen meist zwischen Gelenk und Sehnenscheide auftreten, und Ganglien, d. h. zystische Umfangsvermehrungen mit muzinem Inhalt40. Knotige, erbsen- bis huhnereigroBe entzund liche Verdickungen an den Gleichbeinbandern und Beugesehnen konnen auch durch den Befall mit den adulten Stadien von Onchocerca reticulata, einer weltweit und besonders im Orient verbreiteten Filarienart, hervorgerufen werden41. Die Anwesenheit abgestorbener Individuen im Sehnengewebe fiihrt zu einer Verkalkung an seiner Oberflache, was der von ibn alii Hizam beschriebenen Verhartung entsprechen konnte.

Als weitere Moglichkeit wird der Masas an den Sehnen beschrieben (52r), der durch eine

Verletzung entsteht, die primar eine Rotung, gefolgt von einer Schwellung hervorruft. Mit diesem Masas in Form von knotenformigen Umfangsvermehrungen an Sehnen sind

moglicherweise Kontusionen und Distensionen von Muskeln und Sehnen42 bis hin zu

partiellen Sehnendurchtrennungen gemeint, die infolge von Hieb- oder Schnittwunden vor allem im Bereich des Metakarpus und Metatarsus auftreten. Nach der Ruptur der Sehnenfa sern sammelt sich blutige und serose Fliissigkeit an, die an der Rissstelle eine entzundliche, proliferative Reaktion in Gang setzt. Im Lauf des Heilungsprozesses kommt es zur Produk tion von kollagenem Narbengewebe, das verknorpelte oder verkalkte Zonen aufweisen

kann. Die Heilungsaussichten der Strecksehnen, die normalerweise ohne Operation ver

sorgt werden, sind besser als die der Beugesehnen43. SchlieBlich kann der Masas auch ein BlutgefaB betreffen (51 v.2). Wenn man davon

ausgeht, dass es sich dabei um ein verletzungsbedingtes Geschehen handelt, konnten hier

38 Hygrome sind flussigkeitsgefullte Exsudationszysten, die meist infolge einer chronischen Entziindung aus einem Schleimbeutel oder einer Sehnenscheide entstehen (Hanns-Jurgen Wintzer: Hygrom (Wasser

geschwulst), in: Ekkehard Wiesner und Regine Ribbeck [Hrsgg.]: Lexikon der Veterinarmedizin. Stutt

gart 2000, S. 678; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 483). 39 Wintzer (1984) [wie Anm. 35], S. 325; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 475 ff.

40 Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 433.

41 SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 339; Josef Boch und Rudolf Supperer: Veterinarmedizinische

Parasitologie. Berlin/Hamburg, 1992, S. 426-428.

42 Unter Kontusion versteht man eine durch Sturz, StoB oder Schlag hervorgerufene Prellung von Muskeln

und Faszien, die mit einer ZerreiBung von GefaBen und einem entzundlichen Odem einhergeht. Sie bildet

den Ubergang zur Quetschung, d. h. Kompression. Distension ist eine Uberdehung der Muskeln und

Sehnen infolge eines stumpfen Traumas (Hanns-Jurgen Wintzer: Contusio; Distensio, in: WiesnerlRib beck (2000) [wie Anm. 38], S. 288, 353).

43 SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 337; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 466, 764.

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68 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

entweder Schurfwunden der Haut und Unterhaut oder ein subkutanes Hamatom gemeint sein.

Die Angaben iiber die Behandlung des Masas stehen am Anfang des therapeutischen Teils von ibn afu Hizams Werk. Das erste Rezept auf Folio 50v beginnt mit der Aufforde

rung, nicht genauer prazisierte Mengen Narzissenzwiebeln44 und Kamelhockerfett45 zu

zerkleinern und miteinander zu verkneten. Dann sollte um die erkrankte Stelle herum ein aus einem Tuchfetzen hergestellter Ring gelegt werden, der mit dieser Arznei gefullt und mit einem Blatt46 abgedeckt werden sollte. Wenn der Masas nach zwei Tagen weicher

geworden ist, soil man den Anteil an Kamelhockerfett verringern. Wenn er nicht von selbst

erweicht, wurde empfohlen, ihn aufzuschneiden. War der Inhalt flussig, sollte ein Verband mit zerkleinerten, gebrannten Tonscherben47 angelegt werden. Dieser Behandlungsvor schlag entspricht dem Wortlaut der Behandlung von ?shesh" im Do Faras-Nameh und weist

gewisse Parallelen zu den Therapievorschlagen fur die Uberbeine im Liber mariscaltie und fur ?meschesch" bei ibn al-Mundir auf48.

Ein weiteres Rezept, das ebenfalls bei ibn al- 'Awwam, im persischen Pferdetext und in

Abwandlung auch bei ibn al-Mundir49 zu finden ist, bestand aus einer Salbe aus andari schem Salz50 und zerlassener Kuhbutter51, die man auftrug und mit folgender Beschwo

rungsformel einrieb: ?Weiche, bei der GroBe Gottes; weiche bei der Erhabenheit Gottes;

44 Die Zwiebeln der verschiedenen Narzissenarten wurden auBerlich zur Behandlung von Geschwiiren an

gewendet (Georg Dragendorff: Die Heilpflanzen der verschiedenen Volker und Zeiten. Miinchen 1967, S. 132); Galen und Dioskurides schrieben der ?Narcissenwurzel" eine trocknende Wirkung und Krafte zur Heilung groBer Wunden zu. AuBerdem sei sie auch in der Lage, abgeschnittene Sehnen heilen zu

konnen (Joseph von Sontheimer: Grosse Zusammenstellung iiber die Krafte der bekannten einfachen

Heil- und Nahrungsmittel von Abu Mohammed Abdallah ben Ahmed aus Malaga bekannt unter dem Namen ebn Baithar. 2. Band. Stuttgart 1842, S. 552-553); dieses Werk von ibn al-Baifar (Ende 12. Jh. -

1248) stellt die bekannteste Sammlung der arabischen Pharmakognosie und Diatetik dar, die vor allem

auf den Werken des Dioskurides und Galen beruht. Neben von Sontheimers deutscher Ubersetzung, die von Ullmann als ?sehr fehlerhaft" bezeichnet wurde, existiert eine franzosische Version (Lucien Leclerc:

Traite des simples par Ibn el-Beithar, Notices et Extraits des manuscrits de la Bibliotheque Nationale

Tome XXIII, I, XXV, I, XXVI, I. Paris 1877, 1881, 1883) (Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 281-283). 45 Das Kamelhockerfett wurde mit anderen Fetten vermischt als Salbe zur Behandlung auBerlicher Krank

heiten verwendet (Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 153). 46 Schon seit friihester Zeit verwendete man vermutlich neben Leinenfasern auch Blatter zur Abdeckung

von Wunden (Johannes Steudel: Der Verbandstoff in der Geschichte der Medizin. Ein kulturhistorischer

Uberblick. Duren-Rhld. 1962, S. 5); bei Do Faras-Nameh heiBt es ?man legt Blatter eines Baumes auf

(Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 46). 47 Ton und Lehm haben schwach desinfizierende Eigenschaften, womit man sich ihre austrocknende und

entziindungswidrige Wirkung auf Wunden erklart (Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 72; Eugen Froh ner und Richard Reinhardt: Lehrbuch der Arzneimittellehre fur Tierarzte. Stuttgart 1946, S. 228).

48 vgl. Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 46; Gisbert Sponer: Die Pferdeheilkunde des Ipocras indicus.

Diss med vet Hannover 1966, S. 60; Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 85.

49 vgl. Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 89; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 47; Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 85.

50 Steinsalz, Natrium chloratum, wird durch Reinigung zu Kochsalz. Es wirkt antiseptisch und in hohen

Konzentrationen auBerlich reizend (FrohnerI Reinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 141 ff.); Elandarani

wird von einigen Leuten laut Dioskurides das Mineralsalz genannt. Es zerstort ?luxurirendes Fleisch" in

Geschwiiren. Nach Galen hat das Salz zerteilende, trocknende und zusammenziehende Krafte (von Sonthei mer (1842) [wie Anm. 44], S. 527-531).

51 Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 66; nach Galen wirkt die Butter zerteilend (von Sontheimer (1842)

[wie Anm. 44], S. 56).

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 69

weiche bei der Macht Gottes; und es ist keine Kraft auBer bei Gott, dem Erhabenen, dem

Gewaltigen" (50v. 2). Ein anderer Umschlag zur Behandlung des Masas, der auch bei ibn al-'Awwam und im

persischen Pferdetext daran anschlieBt52, setzte sich aus zerkleinerten roten Senfkornern53,

die mit Mangoldsaft54 verriihrt wurden, zusammen (51r.l). Dabei wird dem Behandelnden

geraten, diese Masse nicht uber den Masas hinaus aufzutragen, auBerdem die Stelle uber Nacht mit einem Tuch zu umwickeln und dies mehrmals zu wiederholen. Ibn alu Hizam

bescheinigt diesem Rezept eine ?tiefgehende [Wirkung]", die zweifelsohne auf die stark reizenden Inhaltsstoffe zuriickgefuhrt werden kann.

Aus rotem karamanischem Borax55, indischem Salz56 und Kuhbutter57 konnte man ebenfalls einen wirksamen Verband (51r.2) anfertigen. Bei diesem Rezept wird die exakte

Menge, namlich je zwei Dirham58, angegeben. Ebenso fur ein weiteres Rezept (51v.l), dessen Bestandteile - ein Ratl59 Balsamol60, vier Ratl gereinigtes Olivenol61, eineinhalb Ratl frische spanische Fliegen62, 15 Narzissenzwiebeln63 und eine Handvoll andarisches

52 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 90; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 47: In diesem Text wird noch zusatzlich ?keramanischer Borax" erwahnt, was aber nach der Anmerkung der Ubersetzerin nicht mit dem Original ubereinstimmt. Borax ist bei ibn alii Hizam Bestandteil des folgenden Rezeptes (51r.2).

53 Die dunkelbraunroten Samen des Schwarzen Senfs, Sinapis nigra L. oder Brassica nigra L., wirken auf

grund ihres Gehaltes an Sinigrin, einem Senfolglykosid, stark hautreizend und hyperamisierend. Bei lan

gerer Einwirkung konnen schwere Entziindungen und Nekrosen auftreten (Otto Gessner und Gerhard

Orzechowski: Gift- und Arzneipflanzen von Mitteleuropa. Heidelberg 1974, S. 100-104); Dioskurides

empfahl, Senf, der nicht sehr trocken und rot ist, zu verwenden. Er sei bei alien chronischen Schmerzen

anwendbar, wenn es darum ginge, alles, was in der Tiefe des Korpers sei, an die Oberflache zu ziehen

(Joseph von Sontheimer: Grosse Zusammenstellung uber die Krafte der bekannten einfachen Heil- und

Nahrungsmittel von Abu Mohammed Abdallah ben Ahmed aus Malaga bekannt unter dem Namen ebn

Baithar. 1. Band. Stuttgart 1840, S. 355-357). 54 Der zuckerreiche Saft des Mangolds, Beta vulgaris L., wurde auBerlich bei Geschwiiren angewendet.

Diese Pflanze wurde von den griechischen Autoren als Seutlon und von den Arabern als Silq bezeichnet

(Dragendorff (1967) [wie Anm. 44], S. 196); nach Galen besitzt der Mangold zerteilende Krafte (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 41-42).

55 Borax, Na2B40 +10 aqua7, bildet harte, weiBe Kristalle und hat eine schwache antiseptische Wirkung (FrohnerlReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 279).

56 vgl. Anm. 50. 57 vgl. Anm. 51. 58 Der Dirham bildet neben dem Mitqal die Grundlage der islamischen Gewichtseinheiten. Da sich im Lau

fe der Zeit in verschiedenen Regionen unterschiedliche Werte fur diese MaBe herausgebildet haben, ist eine zuverlassige Ermittlung der Einheiten schwierig. Fur den Standard-Dirham wurde ein Wert von

3,125 Gramm berechnet (Walther Hinz: Islamische Masse und Gewichte. Leiden 1955, S. 1-3). 59 Ein Ratl entsprach in der islamischen Fruhzeit in Mekka 1,5 kg (Hinz (1955) [wie Anm. 58], S. 27 ff.). 60 Der Balsam von Balsamodendron gileadense Kth. oder Amyris gileadensis L. wird auch heute noch im

Orient fur viele Zwecke z. B. auch zur Wundbehandlung verwendet (Dragendorff (1961) [wie Anm. 44], S. 368).

61 Olivendl, Oleum Olivarum, wird durch kaltes Auspressen aus den Friichten des Olbaumes, Olea europa ea L., gewonnen. Auf der Haut wirken die Fette und fetten Ole einhullend und deckend. Ranzige fette Ole

haben durch die freien Fettsauren eine reizende Wirkung (Albert Dietrich: Die Dioskurides-Erklarung des Ibn al-Baitar. Ein Beitrag zur arabischen Pflanzensynonymik des Mittelalters. Gottingen 1991, S. 49; FrohnerlReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 219); alle Arten des Olivenols erwarmen und erweichen die

Haut (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 550-553). 62 Spanische Fliegen, Cantharidae, getrocknete griine Kafer (Lytta vesicatoria), die Kantharidin enthalten,

das auf der Haut entziindungserregend und blasenziehend wirkt. Es wurde meist in Form von Salben bei

chronischen Sehnen- oder Gelenksentzundungen, Knochenauftreibungen, Phlegmonen etc. aufgetragen

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70 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Salz64 mit einer Narzissenzwiebel - zerkleinert, vermischt und in einen Wasserschlauch

gefiillt werden, der iiber funf Monate in die Sonne gelegt und wochentlich geschiittelt werden sollte. Diese Arznei trug man dann drei mal taglich drei Tage lang auf. Bildete sich am Masas Eiter, sollte man diesen von oben nach unten ausdriicken. In verkurzter Form findet sich dieses Rezept auch im Liber mariscaltie65.

Den ?weichen Masas" am MittelfuB und an den BlutgefaBen (51 v.2) empfiehlt ibn alu Hizam Tag und Nacht zu reiben. Wenn er sich dadurch nicht bessert, soil man aus Miinzen einen Abguss in der GroBe des Masas herstellen, mit Blei aufgieBen und fest auf der erkrankten Partie anbringen. Zwischendurch konne der Verband abgenommen und die Stelle gerieben werden. Auch bei ibn al- 'Awwam sowie in dem persischen Pferdetext Do Faras-Nameh wird diese MaBnahme in einer ahnlichen Formulierung beschrieben66. Durch das Zusammenwirken der resorptionsfordernden ?Massagen" und die Kompression durch den Verband konnte dieses Verfahren einen Riickgang der Schwellung bewirkt haben.

Zur Behandlung des Masas an der Sehne (52r) soil man sehr reife weiBe Feigen67 drei

Tage lang in Weinessig68 einweichen, diese dann zerkleinern und zwei Tage lang mit einem Blatt Papier69 iiber dem Masas befestigen. Wenn man diese Prozedur mehrmals wiederholt, so wird versprochen, werde der Masas zuriickgehen. Um ganz sicher zu gehen, rat ibn alu

Hizam, die Stelle punktformig zu kauterisieren70.

(Frohner/Reinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 201 ff.); nach Galen und Dioskurides ist die Wirkung der

Kanthariden Faulnis erzeugend, erwarmend und Geschwiir bildend (von Sontheimer (1840) [wie Anm.

53], S. 469-471). 63 vgl. Anm. 44.

64 vgl. Anm. 50.

65 Sponer (1966) [wie Anm. 48], S. 60. 66 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 90; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 47.

67 Die Friichte des Feigenbaumes, Ficus carica L., wurden in der Volksmedizin der alten Zeit vielfach als

erweichendes Mittel verwendet (Dragendorff (1967) [wie Anm. 44], S. 172); nach Galen besitzen die

Feigen erwarmende und verdunnende Krafte, so dass sie geeignet sind, harte Knoten zu erweichen (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 221-225).

68 Weinessig, Acetum vini, wird durch einen Garungsvorgang gewonnen und enthalt als wirksame Substanz

Essigsaure, die antiseptisch und hautreizend bis atzend wirkt (Eugen Frohner: Lehrbuch der Arzneimit

tellehre fur Tierarzte. Stuttgart 1914, S. 382 ff.); die trocknenden, kiihlenden und adstringierenden Eigen schaften des Essigs wurden schon von Galen und Dioskurides beschrieben. Sie wandten ihn zur Behand

lung von Geschwiiren an. In Verbindung mit getrockneten Feigen wurde er als sicheres Heilmittel fiir raue und entzundete Korperpartien empfohlen (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 377-380).

69 Gleichbedeutend mit ?Papier" kann auch der Begriff ?Papyrus" verwendet werden. Die Pflanze Cyperus papyrus L. wurde in der Antike von Agypten ausgehend, wo groBe Produktionsgebiete lagen, nicht nur

zur Papierherstellung angebaut, sondern auch als Medikament z. B. bei Augenkrankheiten eingesetzt

(Dragendorff (1967) [wie Anm. 44], S. 91). 70 Die Kauterisation ist eines der altesten chirurgischen Verfahren, das in seiner urspriinglichen Form in der

tierarztlichen Praxis noch bis Mitte des letzten Jh.s regelmaBig angewendet wurde und auch heute noch

in Gegenden, wo traditionelle Tierheilkunde betrieben wird, zu den alltaglichen BehandlungsmaBnah men gehort (Jitendra K. Malik, Aswin M. Thaker und Allauddin Ahmad: Ethnoveterinary Medicine in

Western India, in: Constance M. McCorkle, Evelyn Mathias und Tjaart W. Schillhorn van Veen [Hrsgg.]:

Ethnoveterinary Research & Development, London 1996, S. 148-157). Es wurden Brenneisen in ver

schiedenen Formen (Messer-, Beil-, Knopf-, Kegelform) verwendet und man unterschied oberflachliches

(Punkt- und Strichfeuer), perkutanes, perforierendes und subkutanes Brennen. Die durch das Brennen

hervorgerufene lokale Gewebszerstorung nutzte man einerseits zur Blutstillung und Desinfektion.

Andererseits entwickelt sich durch den unspezifischen Reiz in der Umgebung der gebrannten Stelle eine

reaktive Hyperamie und heilungsfordernde Entziindung. Aus diesem Grunde stellten chronische Entziin

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 71

Auf die sachgerechte Durchfuhrung des Brennens geht der Autor im darauf folgenden Abschnitt (52v) ausfiihrlicher ein: Man soil sich diese Methode nur bei einer entsprechen den ?Notwendigkeit", d. h. Indikation, zu Nutze machen. Damit das Pferd durch das

?Feuer" nicht verunziert werde, wird geraten, moglichst feine Stifte mit glatten Enden zu

verwenden, den Masas quadratisch71 entsprechend seinen MaBen, gleichmaBig und nicht im

gesunden Gewebe zu brennen. Auch die Ermahnung, dabei den FuB des Pferdes sicher

aufzuhangen, - ?denn ich habe schon Reittiere gesehen, denen er manchmal vom Herunter

fallen zerbrochen und zerrissen wurde" - und der Rat, vor dem Brennen eine Skizze auf dem

Haar anzulegen, weisen darauf hin, dass der Autor auf eigene praktische Erfahrungen

zuriickgreift und diese in seinen Text mit eingearbeitet hat. Mochte man allerdings ein

weiteres Mai brennen, sollte man die Stelle vorab mit Teer oder mit Teer und Honig72 bestreichen, um eine tiefer gehende Wirkung zu erzielen. Der beste Grad der Kauterisation

sei erreicht, wenn man sieht, ?daB sich die Haut unter dem Brandmal leicht spaltet". Zum

Schluss soil man Salzwasser daruber sprengen. Die beiden letzten Therapievorschlage (52r,v) werden von ibn al-'Awwam mit einem

Verweis auf ?Abi Aben Hizam" iibernommen73. Fin* die Therapie des Masas lasst sich zusammenfassen: Der Autor verwendet minerali

sche, pflanzliche oder tierische Substanzen, die eine lokal reizende, hyperamisierende oder

desinfizierende Wirkung haben und die zusammen mit einer fetthaltigen, abdeckenden

Tragersubstanz, wie etwa Kamelfett oder Kuhbutter, aufgetragen wurden. Auch chirurgi sche MaBnahmen wie z. B. das Aufschneiden und Ausdriicken des aufgeweichten, ?eitri

gen" Masas (50v.l; 51v.l), das Anlegen eines komprimierenden Verbandes sowie das

(Punkt)Brennen sind Teil der Therapie. Auffallig sind dabei seine - wohl auf personlichen

Erfahrungen beruhenden - Ratschlage zum vorsichtigen Umgang mit dem Feuer bzw. mit

atzenden Substanzen: ? ... gehe damit nicht uber die Stelle des Masas hinaus" (51r.l). Wenn man davon ausgeht, dass sich hinter dem Begriff Masas das Krankheitsbild der

traumatischen Uberbeine verbirgt, hat sich im Vergleich zu den damaligen Methoden deren

Behandlung nur unwesentlich geandert: Uberbeine im subakuten und chronischen Stadium

bringt man, wenn sie nicht von selbst kleiner werden, mit der Durchfuhrung von Reizthera

pien wie der Anwendung von Irritantien oder Punktbrennen zum Verschwinden74. In der

akuten Phase verwendet man heute Antiphlogistika, Kaltebehandlung, Stiitzverbande sowie

Massagen und legt Wert auf die Gewahrung einer ausreichenden Ruhezeit. Stellen die

dungszustande der Knochen, Gelenke, Sehnen und Sehnenscheiden, die durch die Kauterisation in akute, rascher heilende Prozesse umgewandelt werden, die wichtigsten Indikationen fur ihre Anwendung dar

(Richard Vdlker: Eugen Frohners Lehrbuch der allgemeinen Therapie fur Tierarzte. Stuttgart 1943, S.

75-77). Die moderne westliche Medizin benutzt im Klinikbetrieb den Autokauter, ein Gerat zur Elektro

koagulation, das durch Hitzeeinwirkung eine Gerinnung des Gewebes hervorruft (Leo Brunnberg: Auto

kauter, in: WiesnerlRibbeck (2000) [wie Anm. 38], S. 137). 71 Ibn alu Hizam betont an dieser Stelle ausdnicklich ?quadratisch" zu brennen ?... (aber brenne ihn nicht

kreisformig)"(52v). Dem gegeniiber findet sich in der MC der Rat ?marmora, aquatilia, elomata, ossilla

ginis" in kreisformiger Anordnung zu brennen (MC 35-37: Angelika Baumgartner: Buch I der Mulome

dicina Chironis. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1976, S. 22-23). 72 Honig hat desinfizierende Wirkung und wurde in der Wundbehandlung eingesetzt; Teer wirkt antisep

tisch und granulationsfordernd (Frohner/Reinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 308 und S. 127); vgl. Anm.

114 und 154.

73 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 90-91.

74 Silbersiepe/Berge (1943) [wie Anm. 37], S. 318; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 615.

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72 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Uberbeine einen erheblichen Schonheitsfehler dar, werden sie operativ, d. h. mit Hammer und MeiBel entfernt, wie im Ubrigen schon in der MC beschrieben wurde75. Bursitiden und

Sehnenscheidenentzundungen behandelt man im Anfangsstadium mit Boxenruhe und Kalt

wassertherapie, spater mit adstringierenden oder hyperamisierenden Verbanden; Synovial hernien, -fisteln und Ganglien werden chirurgisch entfernt76. Auch zur Behandlung von

Sehnenwunden empfahl man noch vor einigen Jahrzehnten - wie ibn afu Hizam - zuerst desinfizierende Umschlage anzulegen und zum Abschluss der Behandlung das Brennen77.

Heutzutage schiitzt man die Verletzungen nach Sauberung und chirurgischer Versorgung ebenfalls mit einem Druckverband. Allerdings vermeidet man die Anwendung atzender oder reizender Medikamente, weil man erkannt hat, dass diese leicht zu uberschieBender Granulation und Narbenbildung fiihren78.

Eine Uberpriifung der entsprechenden Kapitel im CHG iiber das rheuma im Knie79, iiber die harten Gebilde an den FuBen, marmaros und poroi80, iiber die ?Knochen"entzundung, ?osteon" phlegmone81, iiber die Sehnenverletzung, neuron traumata82, die entsprechenden

Stellen in CHG II83, sowie die betreffenden Rezepte84 bzw. in MC iiber marmur und mallon in den Knien85, Knochenverdickung, ossilago, mirmices an den Unterschenkeln86 und die Salben und Umschlage87 ergab keine Ubereinstimmungen mit der arabischen Vorlage. Vielmehr unterscheidet sich ibn afu Hizams Text durch eine Anzahl von verwendeten

Wirkstoffen, die in den spatantiken Werken bislang nicht erwahnt wurden wie z. B.

Kamelhockerfett, andarisches Salz oder karamanischer Borax88.

Auch die Schriften der Stallmeister liefern keine Anhaltspunkte dafur, dass ihre Autoren das Werk ibn afu Hizams gekannt haben, obwohl dies im Falle des Spaniers Johan Alvarez

75 MC 593-595, 597, 641-646: Walter Wohlmuth: Teile von Buch VI und Buch VII der Mulomedicina Chironis. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1978, S. 43?47.

76 Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 433, 477, 483. 77 SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 337-338.

78 Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 770.

79 CHG I, S. 227 ff.: LeopoldZellwecker: Die Kapitel iiber die Erkankungen an den Extremitaten im Corpus

Hippiatricorum Graecorum. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1981, S. 45-46.

80 CHG I, S. 237 ff.: Zellwecker (1981) [wie Anm. 79], S. 72 ff.; CHG I, S. 370-371: Zellwecker (1981)

[wie Anm. 79], S. 95 ff.; zur Synonymie der Begriffe marmor,poroi, ossilago s. JamesN. Adams: Pelago nius and latin veterinary terminology in the roman empire. Leiden/New York/Koln 1995, S. 250-262.

81 CHG I, S. 276-278: Dieter Gohel: Ausgewahlte Kapitel aus dem Bereich der inneren Medizin im Corpus

Hippiatricorum Graecorum. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1984, S. 55-58.

82 CHG I, S. 305: Georg Reiter: Die Kapitel iiber Erkrankungen an Kopf und Hals im Corpus Hippiatrico rum Graecorum. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1981, S. 91.

83 CHG II, S. 38-40: Georg Unterholzner: Die Hippiatrica parisina im Corpus Hippiatricorum Graecorum, Band II (?? 1-567). Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1988, S. 64 ff., 81 ff.

84 CHG I, S. 403 ff.: Johann Schdffer: Die Rezeptesammung im Corpus Hippiatricorum Graecorum Band I

(Kapitel 129, 130; Appendices 1-9). Diss med vet Munchen 1981, S. 80 ff.

85 MC 110-112: Rudiger Frik: Buch II und Buch IV Kapitel 38-57 der Mulomedicina Chironis. Uber

setzung und Besprechung. Diss med vet Munchen 1979, S. 46-49; MC 590-592: Wohlmuth (1978) [wie Anm. 75], S. 40-41.

86 MC 593-595, 597, 641-646: Wohlmuth (1978) [wie Anm. 75], S. 43-47.

87 MC 844-945: Jtirgen Kruger: Buch IX der Mulomedicina Chironis. Ubersetzung und Besprechung. Diss

med vet Munchen 1981, S. 43 ff.

88 s. ?IV. Index specierum", in: Eugen Oder und Carl Hoppe: Corpus Hippiatricorum Graecorum II. Leipzig 1927, S. 343-354; ?Index specierum", in: Eugen Oder: Claudii Hermeri Mulomedicina Chironis. Leipzig 1901, S. 456-467.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 73

de Salamiella gewiss zu erwarten gewesen ware. Letztgenannter fuhrt iibrigens die Entste

hung der Uberbeine nicht nur auf Verletzung, Uberanstrengung und Knochenbruch, son dern auch auf erbliche Faktoren zurtick und halt das Brennen in Form eines Baumes fur die beste Behandlung89. Weder bei Jordanus Ruffus90, noch bei Albertus Magnus91, Theodorich von Cervia92, Laurentius Rusius93, oder de Salamiella94 zeigen die TherapiemaBnahmen bei Uberbeinen wortliche Ubereinstimmungen mit den Angaben des ibn afu Hizam. Nur zwei

Rezepte des Liber mariscaltie weisen, wie bereits erwahnt, gewisse Ahnlichkeiten zu ibn aln Hizams Text auf und entsprechen selbst wiederum fast wortlich den Angaben Theode richs. Dagegen tauchen zumindest einige von ibn afu Hizams Anweisungen in jeder uns

zuganglichen arabischen Schrift jiingeren Datums auf.

Intisar

Mit Intisar wird zunachst eine Sehnenschwellung bezeichnet, die sich an unterschiedlichen Stellen der Vorder- und Hinterhand manifestieren kann. Als Ursachen kommen u. a. an

strengende Arbeit, Rennen oder das Anschlagen der VordergliedmaBe an die Futterkrippe in Frage (32v). Dabei entwickelt sich, so ibn afu Hizam, eine ?Erhitzung", womit wohl die

lokale, entzundliche Erwarmung der Sehne gemeint ist. Als weitere Symptome nennt er das Anschwellen eines Sehnenabschnittes, und zwar an ihrem Anfang, in der Mitte oder an ihrem Ende, sowie ihre ?rundliche" Form. Im gesunden Zustand sind die Sehnen ?wie Saiten unterhalb der Vorderhand". Das deutet darauf hin, dass bei der Intisar in erster Linie die Beugesehnen auf der Palmar- bzw. Plantarseite der Mittelhand bzw. des MittelfuBes betroffen waren. Heute als ?Sehnenbogen" bezeichnet, werden sie entsprechend ihrer Lokalisation in einen ?hohen, mittleren und tiefen Sehnenbogen" eingeteilt95.

Durch Palpation, aber auch bloB durch genaue Adspektion, kann, so der Autor, jeder mann die Symptome erkennen: ?Diese [Untersuchung] benotigt dafiir keinen Fachmann

(und was den Fachmann angeht, so macht genaues Hinschauen etwas anderes vollig tiber

fliissig), aber man muB scharf hinschauen" (32v). Da fur den Pferdefachmann der Sitz der Krankheit offensichtlich war, versteht sich, warum im weiteren Textverlauf darauf verzich tet wird, naher auf die unterschiedlichen anatomischen Strukturen, die betroffen sein konnen - etwa die oberflachliche oder die tiefe Beugesehne, der M. interosseus medius oder die Sehnenscheiden -

einzugehen. Auch bleibt ein wichtiges Begleitsymptom unerwahnt, namlich das Lahmen erkrankter Reittiere. Obwohl also die Schilderung der anatomischen Verhaltnisse sehr vereinfacht erscheint, hat ibn afu Hizam die Bedeutung der Sehnen in ihrer tragenden und stabilisierenden Funktion im Gelenkbereich zweifelsohne erkannt: Mit der Formulierung ?denn sie ist das Sehnenband der Gelenke und deren Verbindungen" (54r) konnte beispielsweise der Fesseltrageapparat gemeint sein.

89 Schwartz (1945) [wie Anm. 30], S. 31.

90 Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 133-137, 155-157.

91 Wiemes (1938) [wie Anm. 25], S. 50-54, 62.

92 Klutz (1936) [wie Anm. 27], S. 63-65, 68-71.

93 Schnier (1937), [wie Anm. 29], S. 49-54, 121.

94 Schwartz (1945) [wie Anm. 30], S. 31-32, 46, 79, 88.

95 Ronald J. Riegel und Susan E. Hakola: Bild-Text-Atlas zur Anatomie und Klinik des Pferdes. Bewe

gungsapparat und Lahmheiten. Hannover 1999, S. 86-87.

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74 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Am Schluss seiner Ausfiihrungen iiber Atiologie und Symptomatik gibt ibn afu Hizam auch eine Prognose ab: Wenn ?der untere Teil der Sehne durch die Intisar verbreitert ist, so kann man nichts dagegen tun; so verstehe dies" (32v). Auf letztgenannte Form der Intisar

geht der Autor spater noch einmal ein: Es ist die Rede von einer Sehne, die ?von hinten her verbreitert ist" und deren ?Fleischansatz [...] gerissen [ist]", so dass es ?zu einer hasslichen

Angelegenheit geworden [ist]" (54r). Aufgrund dieser Symptomatik und der recht ungunsti gen Prognose kame hier als Diagnose die meist traumatisch bedingte Ruptur einer Beuge sehne in Frage. Ob es sich dabei um den vergleichsweise haufig vorkommenden Abriss der

Hufbeinbeugesehne oder ein ZerreiBen des Fesseltragers oder Kronbeinbeugers96 gehandelt hat, muss offen bleiben.

Vor dem Hintergrund der stark eingeschrankten Nutzungsmoglichkeiten der an Intisar erkrankten Reittiere sowie deren Wertverlust versteht sich die Ausfuhrlichkeit, mit der ibn atii Hizam auf die Behandlung eingeht. Je nach Schweregrad variieren die Behandlungsvor schlage von Umschlagen iiber kleinere, aber fur die Erhaltung der Arbeitsfahigkeit der Tiere nicht ganz ungefahrliche, chirurgische Eingriffe bis hin zur Kauterisation als ultima ratio.

Zur Behandlung einer Intisar im Anfangsstadium sind ein Verband und Bandagen anzulegen (53r.l, 2). Falls sich aber ?ein Knoten mit frischem Brut" gebildet haben sollte, wird geraten, vorab die ?gereizte Ader" zu beruhigen, bis das Blut wieder abflieBt97. Danach soil man diese Stelle nicht mit einem Skalpell ?beriihren", da es sonst zu Verhartun

gen komme. Moglicherweise warnt ibn alii Hizam hier vor dem Risiko einer Entzundung. Weiter heiBt es, dass man die ?gereizte Ader" an der Fessel ?nur von auBen", wahrschein

lich also nur auBerlich, behandeln diirfe98. AnschlieBend werden die Ingredienzien fur die

Zubereitung eines Breiumschlags aufgelistet und seine Applikationsweise erlautert: Aloe99,

Myrrhe100, Gummi Arabicum101, Morath102, Drachenblut103 und Sammetpappel104 werden

96 In alien Fallen tritt eine hochgradige Stiitzbeinlahmheit auf. AuBerdem ist bei der Ruptur der Hufbein

beugesehne eine Aufrichtung der Zehe und bei der des Kronbeinbeugers und des M. interosseus medius

ein Absinken des Fesselkopfes auf den Boden zu beobachten (SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 336; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 765).

97 Im Text von Do Faras Nameh heiBt es dazu, dass die ?gereizte Ader" geoffnet und das Pferd solange

geritten werden sollte, bis das Blut und die Masse, die sich angesammelt hatte, herausgekommen sei

(Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 44). 98 Es muss offen bleiben, ob dieser Text die Bildung eines Hamatoms beschreibt (?Knoten mit frischem

Blut"), das beispielsweise beim Anschlagen der Sehne entstanden sein konnte, oder ob mit der Bezeich

nung ?gereizte" oder ?wilde" Ader die Pulsation der MittelfuBarterie gemeint ist, die fur Entziindungen im distalen GliedmaBenbereich charakteristisch ist. Auch heutzutage versucht man Hamatome im Glied

maBenbereich, z. B. die haufig an der mediopalmaren Flache des Karpus auftretenden Hamatome bei

Trabern, zuerst mit kiihlenden und heparinhaltigen Verbanden zu behandeln. Erst wenn es dadurch zu

keinem Erfolg kommt, rat man, das Hamatom zu spalten und die Blutkoagula auszuraumen (Wintzer

(1984) [wie Anm. 35], S. 326). 99 Die glanzenden dunkelbraunen Aloe-Stucke stellt man durch Einkochen aus dem Saft der Blatter ver

schiedener Aloe-Arten her. Dieses uralte, schon im 2. Jahrtausend v. Chr. in Agypten verwendete Heil

mittel wurde auch im griechischen und romischen Altertum gerne eingesetzt. AuBerlich wirkt Aloe bei

Wunden granulationsfordernd (FrohnerlReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 159-160); nach Dioskuri

des und Galen trocknet der Saft der Aloe und lasst schwer heilende Wunden vernarben (von Sontheimer

(1842) [wie Anm. 44], S. 120-125). 100 Myrrhe, das Gummiharz von verschiedenen Commiphora-(Balsamodendron-)Arten, ist eines der altes

ten Heilmittel. Durch seinen Gehalt an atherischen Olen wirkt es auBerlich reizend und desinfizierend

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 75

mit EiweiB105 und Blut106 zu einer Masse verarbeitet, die man bis auf ?die Haarwurzeln"

aufzutragen hatte und anschlieBend mit Bandagen umwickeln sollte. Um den Halt der

Bandagen zu verstarken, sollte man daruber Schusterleim streichen und einen Verband aus Seide107 anlegen. Da ein solcher Umschlag durch die Zugabe von EiweiB und Blut sicher stark angehaftet hat, rat ibn afu Hizam, ihn beim Entfernen nicht einfach vom FuB zu reiBen, da dadurch nur die erkrankte Region erneut gereizt wiirde, sondern das Pferd in Wasser waten zu lassen, bis sich der Verband von selbst lost (53v). Diese praktische Empfehlung findet sich neben dem etwas abgewandelten Rezept auch im Liber mariscaltie. Dabei ist

interessant, dass hier das Blut, das zur Herstellung des Pflasters benotigt wird, von einem Aderlass stammt, der zu Beginn der Behandlung an einem GefaB an der Innenseite des Knies vorgenommen werden sollte 108.

Da eine Sehnenschwellung auch auf Reisen auftreten kann, wird ein Rezept fur einen

Umschlag angefuhrt, das man unterwegs zubereiten kann: Sehr alter Leinsamen109 und

(Gerhard Madam: Lehrbuch der biologischen Heilmittel. Band I?III. Leipzig 1938, Neudruck Hildes heim 1976, S. 1943 ff.); nach Dioskurides besitzt Myrrhe erwarmende Krafte, weshalb man aus ihr heilende Salben machte. AuBerdem wirkt sie trocknend und adstringierend (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 496-500).

101 Gummi arabicum besteht aus eingetrocknetem Pflanzensaft verschiedener afrikanischer Akazienarten, der sich mit Wasser zu Schleim auflosen lasst. Es wurde fruher zur Herstellung von ruhig stellenden Verbanden genutzt (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 472); nach Galen hat Gummi arabicum eine trocknende und zusammenklebende Kraft (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 133).

102 Diese Substanz konnte nicht geklart werden. 103 Drachenblut, Resina draconis, ist das braunrote Harz aus den Friichten einer ostindischen Palme. Man

setzte es als Adstringens und Zusatz zu Scharfpflastern ein (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 330); Ibn

al-Baifar zitiert in seinem Werk unter dem Stichpunkt ?Drachenblut" ,?lbasri", der das Drachenblut als ein Mittel zur Blutstillung nannte, das auf frische Wunden und Exkoriationen aufgetragen werden konn te (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 426); Isa ibn Massa al-Basfi war vermutlich Zeitgenosse

Hunain ibn Ishaq al Ibadi (192/808-260/873 oder 264/877) und war Verfasser eines Buches iiber Dia

tetik (Ullmann (1970) [wie Anm. 4], S. 119, 122-123). 104 Sammetpappel, Althaea officinalis L., oder Eibisch genannt, wurde in friiheren Zeiten u. a. als Wundmit

tel verordnet (Madaus (1938/1976) [wie Anm. 100], S. 494); die Wurzel und die Blatter des Eibisch enthalten Schleimstoffe, die man fur die Zubereitung von Kataplasmen nutzte (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 469); die Wurzel wurde zur Erweichung von Verhartungen verwendet (Dietrich (1991) [wie Anm. 61], S. 211).

105 EiweiB sollte nach Galen bei alien Schmerzen angewendet werden, fur die brennende Arzneien schad lich waren und bei ?bosartigen, verdorbenen Geschwiiren". Ei wurde auch als Verbandmittel gebraucht (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 193-198).

106 Blut von Baren, Ziegenbocken, Widdern und Ochsen, das warm aufgetragen wurde, hielt man fur wirk sam bei Geschwulsten (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 425).

107 Seide wurde Jahrhunderte lang von China aus in den Westen befordert und war somit ein auBerordent

lich teures Gewebe. Ab dem 5. Jh. bluhte die Seidenweberei im nahen und mittleren Orient und gelangte mit den islamischen Eroberungen nach Spanien. Als Verbandmaterial wird Seide seit Roger Frugardi (vor 1140-1195) gebraucht (Leonie von Wilckens: Seide, in: LexMA [wie Anm. 25], VII (2002), Sp. 1701-1702; GundolfKeil: Verbandstoffe, in: LexMA [wie Anm. 25], VIII (2002), Sp. 1482-1483).

108 Sponer (1966) [wie Anm. 48], S. 59-60; s. auch Do Faras Nameh (Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S.

44). 109 Leinsamen, Semen lini, sind braune flache ca. 4 mm lange Samen, die in der Schale Schleim und im

Kern fettes 01 und EiweiB enthalten. AuBerlich wendete man sie zur Herstellung von Kataplasmen,

Latwergen und Emulsionen an (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 471); Leinsamen wurden in ihrer

Wirkung dem Bockshornklee (vgl. Anm. 141) gleichgesetzt und fur Umschlage bei Geschwulsten ver

wendet (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 133-135).

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76 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

zerstoBener Borax110 sollen in einem Schopfloffel erhitzt und dann aufgetragen werden. Damit die Stelle sich nicht entziindet, soli man sie mit einem in Ol getrankten Tuch umwickeln.

Fiir die Behandlung anhaltender /wft'sar-Beschwerden, bei denen sich an den Sehnen bereits Verdickungen zeigen, wird der Leser auf die beim Masas beschriebene Therapie mit in Essig eingeweichten Feigen verwiesen. Aber auch fiir nicht so weit fortgeschrittene Stadien der Intisar sei dieses Mittel, das auch in Do Faras-Nameh erwahnt wird111, auBerst wirksam. Zur Heilung besonders umfangreicher Sehnenschwellungen fiihrt ibn afu Hizam ein ebenfalls einfaches Verfahren an112: Man soli mehrmals hintereinander einen Umschlag aus zerkleinertem Hammelschwanz113 aufbinden, der die erhitzte Sehne kuhlt. Allerdings kdnnte das darin enthaltene Fett durch die aufgenommene Warme schmelzen und der Verband zu stinken anfangen. Um dies zu vermeiden, empfiehlt er getrocknete Datteln zerkleinert unterzumischen. Zusatzlich konnen langsam gesteigerte Bewegung sowie tagli ches Waten in Wasser den Ruckgang der Schwellung unterstiitzen. Mit diesen einfachen

MaBnahmen, die die Durchblutung fordern, erganzt ibn atii Hizam die medikamentose

Behandlung durch eine Art ?Physiotherapie". Wie wichtig dem Autor die richtige Therapiewahl war, verdeutlicht auch folgende

Aussage: Zuerst soil man mit den genannten Umschlagen erreichen, dass die Sehnen so diinn ?wie Saiten" aussehen, und sie dann durch ?Kiihlung" beleben. Ausdriicklich warnt er vor einer voreiligen Behandlung der Intisar mit dem ?Feuer", ?denn das zuletzt [anzuwen dende] Heilmittel ist die Kauterisation", es sei denn, es handelt sich um eine besonders schwere Form der Krankheit oder eine umfangreiche Schwellung der Sehne (54r). Tatsach lich war die Gefahr eines ,,Kunstfehlers" beim Brennen gegeben, so dass, falls es eine andere Therapiemoglichkeit gab, diese immer vorzuziehen ware. Am Anfang der Behand

lung durch ?Kuhlung" stehen die Atzung des Hufes mit Kalk und die Rasur der Haare, gefolgt von einer grundlichen Reinigung mit Wasser. Mit einem breiten Skalpell soli man dann einen gleichmaBigen, nicht allzu tiefen Schnitt in die Sehne machen ?bis gesundes Blut herausflieBt" (55r). Wie das Instrumentarium fiir einen solchen Eingriff ausgesehen haben konnte, zeigt uns eine Abbildung im Werk von Johan Alvarez de Salamiella (Abb. 2). Nach dem Schnitt wurde eine antiseptisch und hyperamisierend wirkende Salbe aus Teer und spanischen Fliegen114 zweimal taglich iiber drei Tage auf die Sehne aufgetragen. Der

110 vgl. Anm. 55.

111 Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 45.

112 vgl. auch Do Faras Nameh (Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 45). 113 Das butterahnliche, milde und wohlschmeckende Fett aus dem Fettschwanz der gleichnamigen Schafe

gilt bei bestimmten Volkern als ein beliebtes Speisefett, wird aber wie alle Haussaugetierfette auch in der Medizin als Salbengrundlage verwendet (Robert von Ostertag: Fette der Haussaugetiere (ausschlieB lich des Milchfettes), in: Ferdinand Pax und Walther Arndt [Hrsgg.]: Die Rohstoffe des Tierreichs. 3.

Lieferung. Berlin 1929, S. 92-132); der Fettschwanz der Schafe wurde von Ibn al-Baifar als passendes Mittel fur Umschlage bei verharteten Sehnen bezeichnet (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 77

78). 114 Holzteer, Pix liquida, durch trockene Destination des Holzes von Pinaceen gewonnene, dickflussige,

braunschwarze, kornige Masse mit antiseptischer Wirkung. AuBerdem verwendete man Teer zur Anre

gung der Granulation. Die Zeder, Pinus cedrus L., ist der Baum, von dem nach Dioskurides der beste

Teer, al-qatran, gewonnen wird (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 94-96; FrohnerlReinhardt

(1946) [wie Anm. 47], S. 193; Dragendorff"(1967) [wie Anm. 44], S. 68; Dietrich (1991) [wie Anm. 61], S. 62; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 126); vgl. Anm. 62.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 77

von ibn alu Hizam vorgeschlagene Eingriff erinnert (entfernt) an das als ?Tendonsplitting" bezeichnete Verfahren, das erst Mitte des 20. Jh.s entwickelt wurde und mit dem hervorra

gende klinische Erfolge erzielt werden konnten. Bei dieser Operation wird die Sehne in ihrem Faserverlauf gespalten und dadurch eine gute Revaskularisation und Regeneration der erkrankten Region angeregt115. Nach dem Eingriff soil man, so ibn alu Hizam, jedoch darauf achten, dass das Tier sich nicht an seiner Vorderhand kratzt, ?denn siehe, wenn es

seine Vorderhand kratzt, so geht es zugrunde. Denn ich habe schon so viele Reittiere, dass ich sie gar nicht zahlen kann, vom Kratzen zugrunde gehen sehen" (55r). Um dem vorzu

beugen, wird geraten, durch ein Loch in Huf und Hufeisen (s. unten) ein Seil zu ziehen, mit dem man den FuB anwinkeln und somit fixieren kann (Abb. 3). Zum Abschluss der

Behandlung verordnet er, den FuB mit Sesamol116 zu salben und das Pferd in Wasser waten zu lassen, womit in erster Linie eine kiihlende und abschwellende Wirkung erreicht werden

sollte, ohne das der Huf aufweicht. Im Wasser sollten die Hufe ?gekoppelt", d. h. vermut

lich mit FuBfesseln versehen sein. Im Anschluss daran wird vorgeschlagen, das Pferd in den

115 Wintzer (\9%4) [wie Anm. 35], S. 316; Stashak (\9%9) [wie Anm. 35], S. 567-468.

116 Oleum Sesami, hellgelbes, geruchloses Ol, das aus den Samen von Sesamum indicum L. kalt ausgepresst wird (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 483).

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78 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Abb. 3: Das von ibn afti Hizam beschriebene Verfahren zur Fixierung einer Pferdeglied maBe konnte der hier abgebildeten Methode entsprochen haben

(aus: Ludwig Wagenfeld: Encyklopadie der gesammten Thierheilkunde.

Leipzig 1843, Tab. XIV, Fig. 6).

Schlamm117 zu fiihren und auf diesen, wenn er sich ?zusammenzieht", also trocknet,

Asche118 zu streuen.

117 Lehm (Mischung aus Ton, Sand und Eisenoxyd) hat eine gunstige Wirkung auf Wunden (Frohner (1914)

[wie Anm. 68], S. 298). 118 Asche von Pflanzen enthalt als wasserlosliche Bestandteile Kalium- und Natriumkarbonate, -sulfate und

-chloride, als unlosliche Bestandteile Karbonate, Phosphate und Silikate des Kalziums, Magnesiums und

Eisens. Knochenasche besteht vor allem aus Kalziumphosphat. Durch den Gehalt an Alkalien, die eine

starke chemische Affinitat zu EiweiB haben, entwickelt die Asche auf der Haut eine antiseptische, rei

zende, erweichende und losende Wirkung; auBerdem ist wie bei der medizinischen Kohle, carbo medici

nalis, von einer starken Adsorptionskraft auszugehen, durch die bei Wunden oder nassenden Dermatosen

Sekrete gebunden werden konnen (?Kohle-MitteP\ in: Gustav Uebele: Handlexikon der tierarztlichen

Praxis. Band 1, S. 262; ?Asche", in: Der grosse Brockhaus 1. Wiesbaden 1953, S. 431; Eugen Frohner

und Richard Reinhardt: Lehrbuch der Arzneimittellehre fur Tierarzte. Stuttgart 1937, S. 219 ff.).

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 79

Wie bereits gesagt, gait die Behandlung der Intisar mit ?Feuer" als nicht ungefahrlich, weshalb die Anweisungen wohl erst am Ende des Kapitels erfolgen (55v). Das Brennen wurde vor allem bei chronischen Krankheiten angewendet. Man meinte, es sei kaustischen

Mitteln vorzuziehen, da es nicht wie diese ?den mit dem gebrannten Organ verbundenen

Organen" schade. Es wurde neben vielen anderen Indikationen bei ?Geschwulsten" an den Unterschenkeln und VorderfiiBen sowie zur Blutstillung angewandt119.

Zu Beginn nennt ibn afu Hizam die Jahreszeiten Fruhling und Sommer, in deren Verlauf diese MaBnahme besonders wirksam sein soil. Ahnliches empfehlen Apsyrtos und Hierok les in ihren Texten tiber das Brennen120. Erst wenn mit Hilfe der bereits erwahnten Therapi en die ?Erhitzung" und ,,Schwellung" abgeklungen sei, sollte ein ?schones Brandmal auf

gleicher Hone von den beiden Seiten" angelegt werden. Diese MaBnahme gehort in den Bereich der unspezifischen Reiztherapie mit dem Ziel, die Durchblutung und damit die

Abheilung zu stimulieren. GroBen Wert legt ibn afu Hizam auf die genaue Durchfiihrung des Brennens: Es kommt ihm dabei nicht nur auf den optischen Effekt an, dass der FuB des Pferdes durch die Kauterisation nicht verunstaltet wird, sondern weitaus wichtiger ist es fiir

ihn, weder Knochen noch Sehnen zu beschadigen, weil dies zur Lahmheit fuhrte. Wie schon bei der Therapie des Masas beschreibt er auch hier die richtige Starke des Brennens, die erreicht sei, wenn die Haut sich nach zweimaligem Brennen unter dem Brandmal spalte. Um einem Rezidiv vorzubeugen, sollte abschlieBend ein drittes Mai gebrannt werden, wobei die Brandwunde zur Verstarkung der Wirkung noch mit Teer bestrichen werden konnte. In schweren Fallen sei es auch moglich, die Kauterisation und das Einschneiden der Sehne zu kombinieren, indem man zwischen den Schnittlinien punktformig brenne. Interes santerweise halt ibn afu Hizam hier das Brennen an den Vorderlaufen fiir ?schoner" als die

Einschnitte, was eigentlich im Gegensatz zu seiner Grundiiberzeugung steht, namlich ?das zuletzt [anzuwendende] Heilmittel ist die Kauterisation" (54r).

Zur Nachbehandlung der Kauterisationsstelle wird ein Umschlag empfohlen, dessen

Rezeptur und Wirkung in medizinischen Kreisen seit langerem bekannt gewesen sein diirfte. Darauf deuten die Parallelen zu den Angaben in den alteren Schriften des Apsyrtos, Hierokles, Theomnest und in den Epitome der Hippiatrika hin121: Wachs122, flussiges Pech123, Schweineschmalz124, Salz und Olivenol werden gleichmaBig vermischt, mit einer

119 von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 547-548; Vbiker (1943) [wie Anm. 70], S. 75-77. 120 CHG I, S. 326-335: Ludwig Amann: Ausgewahlte Kapitel iiber Chirurgie und Pferdezucht im Corpus

Hippiatricorum Graecorum. Diss med vet Munchen 1983, S. 55 und 62; vgl. Sponer (1966) [wie Anm.

48], S. 212. 121 CHG I, S. 326-335: Amann (1983) [wie Anm. 120], S. 55,56,62; Sponer (1966) [wie Anm. 48], S. 99,108. 122 Gelbes Wachs, Cera flava, wird durch Ausschmelzen der entleerten Honigwaben gewonnen und als

deckendes Mittel zur Herstellung von Salben verwendet. Die griechische Bezeichnung lautet Knpog, die

arabische al-mum oder as-sam' (Dietrich (1991) [wie Anm. 61], S. 109; Frohner IReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 219); Dioskurides hielt das gelbe Wachs fur das beste und schrieb ihm erwarmende, erwei

chende und Geschwiire ausfiillende Krafte zu. Nach Galen liefert es den Ausgangsstoff fur alle Pflaster, da es selbst zwischen den Dingen ist, die erwarmen und kiihlen, die befeuchten und trocknen sowie

etwas Dickes und wenig Klebendes an sich hat (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 106-108). 123 Fliissiges Pech wird aus den Abdampfruckstanden der Teerdestillation gewonnen. Auf Griechisch heiBt

es mooa 'vypd, im arabischen Text az-zift (Dietrich (1991) [wie Anm. 61], S. 60); nach Dioskurides

zerteilt fliissiges Pech Verhartungen (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 533-535). 124 Adeps suillus, Schweineschmalz, dient als Salbengrundlage (Frohner I Reinhardt (1946) [wie Anm. 47],

S. 218); Galen bezeichnete das Schweinefett als das feuchteste, das Scharfe mildert und daher fur die

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Feder aufgetragen und nach sieben Tagen, nachdem bereits Asche aufgestreut wurde, mit

Wasser abgewaschen. Danach sollte die Stelle mit einem Gemisch aus Wein, Olivenol und zerkleinerten Wicken125 eingerieben und jeden zweiten Tag mit heiBem Wasser gereinigt werden. Auch in dem persischen Pferdetext Do Faras-Nameh werden das Brennen und die

Behandlung der Brandwunde, sowie die Sehnenschnitte, letztere hier als Eroffnung der Adern geschildert, fast mit den gleichen Details wie bei ibn afu Hizam wiedergegeben, aber ohne dessen personliche Bemerkungen126.

Das Kapitel iiber die Behandlung der Intisar schlieBt mit wichtigen Ratschlagen, die die

Praxiserfahrung des Autors illustrieren. So sei das Punktbrennen wirkungsvoller, wenn die Haare an der betroffenen Stelle vorher durch das Auftragen von Kalk entfernt oder abrasiert wiirden. Die Genesung werde durch das Einreiben mit Rosensalbe127 beschleunigt. AuBer dem warnt er den Leser nochmals eindringlich vor Wundheilungsstorungen durch das

Benagen und Kratzen der Tiere: ?Sei ganz auf der Hut, dass es nicht an seiner Vorderhand mit seinen Zahnen kratzt, oder sich mit der einen Vorderhand an der anderen kratzt. Denn

siehe, wenn seine Genesung beginnt, so versucht es sich dauernd zu kratzen,..." (55v).

Gleichzeitig gibt er aber auch an, wie dieses Problem vermieden werden kann. Beispiels weise soil man nach sieben Tagen, wenn die Wunde abgeheilt ist, die Stelle mit Sesamol salben. AuBerdem empfiehlt er schon zu Beginn der Kauterisation das Pferd ?mit Milde" zu

fiihren und ihm ein FuBbad im Wasser zu ?verordnen". Mit der nochmaligen Aufforderung zu einem maBvollen Umgang mit dem Brenneisen, auch fur den schon erfahrenen Praktiker - ?Wenn du mit der Kauterisation mit deinem Wissen schon vorangekommen bist, so nimm dich sehr in Acht" (55v)

- stellt er eine Uberleitung zum Thema Pfuschertum und somit zur

Berufsethik her: ?Pass aber auf, dass dein Reittier nur ein einfiihlsamer, mitempfindender, aufrichtiger und geschickter Tierarzt behandelt, denn manchmal habe ich Tierarzte gesehen, die die Reittiere mit etwas behandelten, an dem gar kein Bedarf bestand, und damit dem Besitzer des Reittieres einen Schrecken einjagten und demjenigen, der auf der StraBe

vorbeiging, um maximalen Lohn zu erzielen und sich von den Leuten bewundern zu lassen. Das Reittier geht dadurch zugrunde, und es kummert ihn gar nicht, und ofter habe ich schon ein Reittier gesehen, das die Behandlung zugrunde gerichtet hat; so begreife denn jenes" (55v). Wahrend eine Warnung vor der Gewinnsucht des Hippiaters auch in ahnlicher Form bereits in der Mulomedicina des Vegetius zu lesen ist, stellt diese Aufzahlung der charakter lichen Anforderungen an einen Tierarzt ein Novum dar, da sie besonderen Wert nicht nur

Wundbehandlung eingesetzt wurde. Dioskurides macht genaue Angaben zur Reinigung des Fetts. Nach

Dioskurides wirkt das alte Fett des Schweines erwarmend und erweichend (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 398 und von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 87-93).

125 Linsen- oder Schwarzwicke, Vicia ervilia L., mit der griechischen Bezeichnung opopog und dem arabi

schen Namen al-kirsinna, wurde auBerlich zur Herstellung von Kataplasmen benutzt (Dietrich (1991)

[wie Anm. 61], S. 118; Dragendorff (1967) [wie Anm. 44], S. 330-331); Dioskurides beschrieb die

Herstellung des Mehls aus den Samen dieser Pflanze, das zum medizinischen Gebrauch verwendet wur

de z. B. zur Behandlung bosartiger Geschwure. Galen bezeichnete es als trocknendes und erwarmendes

Mittel (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 367-368). 126 Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 44-45.

127 Die Rosenblatter enthalten ein angenehm duftendes atherisches 01, Oleum Rosae, das pharmakologisch vor allem als Geruchskorrigens und wegen seines Gehaltes an Gerbstoffen von Bedeutung ist (Gessnerl Orzechowski (1974), [wie Anm. 53], S. 306); dem Rosenol wurde von Dioskurides eine adstringierende und kuhlende Kraft zugeschrieben. Man mischte es zu Umschlagen zur Heilung tiefer Geschwure und

Milderung der Bosartigkeit von Geschwuren (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 440-442).

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 81

auf die Ehrlichkeit, sondern auch auf die Geschicklichkeit und die Empfindsamkeit des Behandelnden legt. Auf solche berufsethischen Auffassungen wird auch ibn al-Mundir

eingehen, der sich jedoch von den diesbeziiglichen Vorstellungen in der Humanmedizin

inspirieren lasst, ubertragt er doch den Eid des Hippokrates auf tierarztliche Verhaltnisse128. Im Anschluss an diese Ausfiihrungen sind noch zwei Rezepte fiir Polsterverbande (57r,

57v.l), davon einer als eine Art Angussverband mit fein zerstoBenem Salz, der andere mit Alaun129 angefugt. Es scheint, dass sie im Nachhinein noch erganzt wurden, da sie fiir die

Anwendung vor der Kauterisation empfohlen werden. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die geschilderten MaBnahmen allgemein den

Prinzipien der Behandlung von Sehnenschwellungen entsprechen, wie man sie noch bis Mitte des letzten Jahrhunderts praktiziert hat: Frische Sehnenentziindungen versorgte man mittels Kuhlung, feuchter Warme, Salben und Bandagen130. Anstelle dieser Verfahren stehen heute als Initialtherapie die Kaltwasser- und Eisbehandlung, kombiniert mit Druck verbanden und der Applikation von Antiphlogistika im Vordergrund. Fiir altere bzw. chronische Leiden finden noch immer die verschiedenen, unspezifischen Reizbehandlun

gen z. B. scharfe Einreibungen und kutanes Punktfeuer Anwendung, wenn auch bislang Kontrollstudien zu ihrer Wirksamkeit fehlen131.

Die Texte der zum Vergleich herangezogenen Autoren, haben zwar alle die Erkrankun

gen des Sehnen- bzw. Bandapparats zum Inhalt, weisen aber, die genannten Stellen ausge nommen, keine Ubereinstimmung mit der Schilderung von ibn afu Hizam auf.

'Aran

Unter der Uberschrift ?Was den 'Aran betrifft" (33r) wird eine Entziindung abgehandelt, die

haufig die Hinterhand, aber auch die VordergliedmaBen bis iiber die Fesselbeuge hinauf befallen kann. Ibn afu Hizam erwahnt eine feuchte, eine eitrige und eine trockene Form, bei der sich die betroffene Hautstelle, die wie ?Fischschuppen" aussieht, abschalt. Aufgrund der Lokalisation und der von ibn aHi Hizam beschriebenen unterschiedlichen Auspragungen dieser Krankheit ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass es sich hier um das Krankheitsbild der Mauke bzw. Raspe, d. h. also Dermatitiden im Bereich der Fessel und des Karpal- bzw. Tarsalgelenks, handelt.

Wahrend im Ms LOr 528 ibn afu Hizam keine Ursachen fiir diese Krankheit angibt, erwahnt ibn al-'Awwam mit dem Verweis auf ?Aben abi Hizam"132 Uberhitzung, Trocken heit und Staub, der sich nach dem Baden als Schmutz am FuB festsetzt, als Griinde fiir jene Geschwure, die im Bereich der Kronen entstehen konnen133. Diese Beschreibung entspricht auch der heutigen Auffassung, wonach sich die Haut der Fesselbeugengegend vor allem

128 von den DrieschlPeters (2003) [wie Anm. 5], S. 51, 81; Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 3.

129 Alaun, KAl(S04)2+12 H20, kristallines Pulver, das desinfizierend, austrocknend und oberflachlich at

zend wirkt (FrohnerlReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 243; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 43). 130 Silbersiepe/Berge (1943) [wie Anm. 37], S. 326 ff.

131 RiegellHakola (1999) [wie Anm. 95], S. 89; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 467-468.

132 Beim Vergleich der oben genannten Manuskripte von ibn aM Hizdms Werk lasst sich diese Textstelle

bislang nicht erganzen. 133 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 76.

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durch die Ansammlung von Schmutz, der besonders in der Behaarung der Kdte hangen bleibt, entziindet. Der Einfluss anderer Faktoren wie der Befall mit Chorioptes-Milben, Futterunvertraglichkeit oder die Photosensibilisierung134 scheinen noch nicht bekannt ge wesen zu sein.

Bei der Entwicklung einer Dermatitis entstehen nach der Ausbildung eines entziindli chen Erythems und Schwellung Blaschen, die aufplatzen und sich sekundar infizieren

konnen, so dass eine serose oder eitrige Fliissigkeit austritt. Durch die starke Schwellung konnen auf der Haut Querfalten auftreten, daher vielleicht die Formulierung bei ibn atii Hizdm: ?Manchmal verlauft er quer" (33r). Auch stimmt dessen Beobachtung, dass das Exsudat austrocknen und Krusten bilden oder die Dermatitis unter starker Schuppenbildung abheilt. Richtig ist auch, dass die Mauke, vor allem wenn sie durch Schmutz entsteht, an

mehreren GliedmaBen gleichzeitig auftreten kann. Dagegen bleibt unerwahnt, dass im

fortgeschrittenen Stadium die betroffenen Pferde lahmen bzw. aus Schmerzgriinden ihre GliedmaBen schonen.

Zur Behandlung des 'Aran nennt ibn afu Hizdm nicht weniger als acht Rezepte (57v.2 59r.2). Bei drei Anweisungen wird als Gewahrsmann eine Person namens Abu Yusuf angegeben, z. B. ?Behandlung des trockenen 'Aran, die bewahrt ist, aus der Behandlung des Abu Yusuf, das heiBt seinem Vater" (57v.2)135. Am Anfang der Therapie steht die griindli che Reinigung der betroffenen Stelle mit Wasser und Seife136 bzw. Mangoldwasser137. AuBerdem wird dem Leser klargemacht, dass eine Schonung des Pferdes die Heilung vorantreiben wiirde: ?Solange es geritten wird, wird es nicht versorgt; wenn es aber nicht

geritten wird, so pflegt es seine Erholung zu beschleunigen..." (58r.l). Das erste Rezept scheint sehr bewahrt und entsprechend weit verbreitet gewesen zu sein.

Sein Text ist identisch mit dem Text bei ibn al-Mundirus und wird von ibn al- 'Awwam und im Liber mariscaltie, bei denen die Mauke unter den Bezeichnungen ?Hornspalten" bzw.

?Risse" oder ?Schrunden" beschrieben wird, etwas verkurzt wiedergegeben139. Nach einer

dreitagigen Reinigung des 'Aran mit Seife, sollte man ihn abwaschen und gut abtrocknen. Uber einem gelinden Feuer kochte man eine Masse aus zerstoBenem persischen Gummi140

134 Heinz Gerber: Pferdekrankheiten. Band 1: Innere Medizin einschlieBlich Dermatologie. Stuttgart 1994, S. 20.

135 Zur Person des Abu IUsh/konnte bisher noch nichts in Erfahrung gebracht werden; es konnte, dieser

Formulierung nach, der Vater von ibn atii Hizam gewesen sein oder das Rezept stammt von dem Vater

des genannten Abu Yusuf. 136 Seife, Sapo, ist das Produkt der Einwirkung von Alkalien auf Fett. Die reinigende und keratolytische

Wirkung der Seife kommt durch den Gehalt an freiem Alkali, ihre Zerlegung im Wasser zu freiem Alkali

und sauren fettsauren Alkalien, sowie ihrer Fahigkeit, Fette zu emulgieren, zu Stande (FrohnerlRein hardt (1946) [wie Anm. 47], S. 270 ff.); die Quellen von ibn al-Baitar schreiben iiber die Seife: Sie

?sammelt den Eiter und erweicht die harten Geschwulste", sie vertreibt die Schuppen und heilt die Ge

schwiire (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 119-120). 137 vgl. Anm. 54.

138 Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 93.

139 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 76-77; Sponer (1966) [wie Anm. 48], S. 62.

140 Weihrauchahnliches Harz, das aus Astragalus sarcocolla oder Penaea sarcocolla L., Penaea mucronata

L., Penaea squamosa L. gewonnen wird. Die arabische Bezeichnung ist al- 'anzarut. Dieses traditionelle

Heilmittel wurde auBerlich zur Behandlung von Wunden und Hautkrankheiten verwendet und ist auch

heute noch teilweise im Gebiet des mittleren Ostens in Gebrauch (Dragendorff'(1967) [wie Anm. 44], S.

323 und 461; William Dymock: Pharmacographia indica. A history of the principal drugs of vegetable

origin. Vol. I. London 1890, Neudruck Karachi 1972, S. 475; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 130

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 83

und syrischem Klee141 in Kuhmilch142 und trug sie, wenn sie eingedickt war, auf einem Blatt Papier143 auf die betroffene Stelle auf und verband dies mit einem Tuch. Nach vier

Tagen wurde der Verband gelost und ein Ruhetag eingelegt; anschliefiend wiederholte man dieselbe Prozedur. Durch ihren Gehalt an schleimbildenden und fetthaltigen Substanzen durften diese Ingredienzien deckend und Reiz mildernd gewirkt haben. Die durchblutungs fordernde Wirkung des Bockshornkleesamens konnte die Abheilung beschleunigt haben.

Auf ahnlichen therapeutischen Prinzipien beruhen auch die anderen Rezepturen, wie etwa bei den Umschlagen bzw. Salben bestehend aus zerstoBenem Knoblauch144 und Hammelschwanzfett145 (58r.l), aus Bleiglatte146, Griinspan147, goldgelbem und silbrigem

131); diesem Mittel wurden von Galen und Dioskurides trocknende und Wunden heilende Fahigkeiten

zugeschrieben (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 92-93). 141 Syrischer Klee oder Bockshornklee, Trigonella foenum graecum L., eine Heilpflanze, von der die Sa

men und das Kraut seit Alters her zur Anwendung kamen. Die Bockshornkleesamen enthalten 20-30%

Schleim, fettes 01, Steroidsaponine und Trigonellin. Aufgrund ihres hohen Schleimgehaltes setzte man

sie in erster Linie als Mucilaginosum ein. Aber auch ihre hyperamisierende Wirkung nutzte man bei der

Behandlung mit Kataplasmen. Diese heiBen Breiumschlage wurden z. B. bei Phlegmonen und Eiterun

gen angewandt (GessnerlOrzechowski (1974) [wie Anm. 53], S. 416-417; Madaus (1938/1976) [wie Anm. 100], S. 1365; Bernhard Zepernick, Liselotte Langhammer und Jorg B.P. Ludcke: Lexikon der

offizinellen Arzneipflanzen. Berlin/New York 1983, S. 419-420); Galen schatzte diese Pflanze als er

warmendes und trocknendes Mittel zur Behandlung von Geschwiilsten (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 313-314).

142 Milch der verschiedenen Tierarten ist nicht nur ein hochverdauliches Nahrungsmittel, sondern sie wird auch in verschiedenen Formen als Diat oder zur Neutralisation von Giften verabreicht oder auBerlich

aufgetragen (Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 16-11; Amalius Weisenberg: Handwoerterbuch der

gesammten Arzneimittel von der altesten Zeit bis auf die neueste Zeit fur Aerzte und studirte Wundarzte. Jena 1853, Neudruck Hildesheim/New York 1969, S. 375-378); der Gehalt der Kuhmilch an Proteinen

(2,9-4,4%), Fetten (3,6-6,1%) und Vitaminen, der aber rasse- und futterungsbedingt schwanken kann, stellt eine nahrstoffreiche Grundlage fur Arzneimittel dar (Gerhard Kielwein: Leitfaden der Milchkunde und Milchhygiene, Berlin 1994, S. 18 ff.); Galen und Dioskurides schreiben ausfuhrlich iiber die ver

schiedenen Qualitaten der Milch und die vielfaltigen Moglichkeiten ihrer Zubereitung darunter z. B. ihre Anwendung zur Schmerzstillung bei Geschwiiren (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 413

427). 143 vgl. Anm. 69. 144 Knoblauch, Allium sativum L., wirkt durch seinen Gehalt an atherischen Olen und den darin enthaltenen

Alkylsulfiden, die zu lokalen Reizungen fiihren. Resistenzsteigernde Effekte wurden experimentell be

statigt. In der Volksmedizin wird Knoblauch auBerlich als Hautreizungsmittel und zur Wundbehandlung verwendet (GessnerlOrzechowski (1974) [wie Anm. 53], S. 328); nach Galen und Dioskurides erwarmt

und trocknet der Knoblauch. Auf der Haut fuhrt er zu Brennen. Ein anderer Autor, Sofian von Andalusi

en, halt Knoblauch, den man zerreibt und dessen Scharfe man durch irgendein Fett mindert, fur heilsam bei Geschwiiren (von Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 230-233); vgl. Shirzadian (1991) [wie Anm.

31], S. 56.

145 vgl. Anm. 113.

146 Bleiglatte, auch Lithargyrum genannt, ist Bleioxid (PbO), das als gelbes oder rotgelbes, wasserunlosli

ches Pulver zur Herstellung von bleihaltigen Pflastern und Salben verwendet wurde. Blei wirkt durch

seine Affinitat zu EiweiB mit der Ausbildung von Bleialbuminaten in hoher Konzentration auf Schleim

haute und Wunden atzend, in verdiinnten Losungen adstringierend und austrocknend (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 278); Bleiglatte wurde bereits von Galen zur Behandlung von Geschwiiren verwendet

(Guillaume Valette: Die Pharmakologie bei den Griechen und Romern, in: Richard Toellner: Illustrierte

Geschichte der Medizin. Band 1, Salzburg 1986, S. 480-505); man schrieb der Bleiglatte trocknende

und zusammenziehende Wirkung zu. Nach Dioskurides wirkt die Bleiglatte nicht nur adstringierend, sondern auch erweichend, beruhigend, kuhlend, Krusten bildend und Geschwiire heilend (von Sonthei mer (1842) [wie Anm. 44], S. 505-508).

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Galmei148, von dem je ein Teil mit Weinessig149 und Olivenol verknetet wurde (58v.2), oder aus einem Viertel Ratl150 Ocker151 und zwei Unzen152 Gallapfeln153, die man griindlich zerkleinert mit einem halben Ratl Honig154 verknetete (58v.3).

Die beiden letztgenannten Rezepte enthalten zusatzlich auch adstringierende Kompo nenten, ebenso das folgende Rezept, welches zwei Tage lang auf den ?schlimmen" 'Aran

aufgetragen werden sollte: Je fiinf Drachmen155 von Myrrhe156 und Drachenblut157 sowie die doppelte Menge vom syrischen Klee158 sollten griindlich zerstoBen, durch ein feines Sieb gegeben und dann mit frischer Milch159 verknetet appliziert werden (58r.2). Ahnlich

147 Griinspan, Cuprum aceticum, besteht aus dunkelgrunen Kristallen, die durch Auflosen von Kupferoxyd in Essigsaure entstehen. Kupfer wirkt auf Schleimhaute und Wunden adstringierend (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 284).

148 Galmei, auch gelbes Erz genannt, kommt meist mit Kieselzinkerz gemengt vor. Galmeistein, das natiir

lich vorkommende Zinkcarbonat, wurde fruher in deckenden Salben angewendet. Die Zinksalze wirken

wie die Kupfersalze durch die Bildung von Zinkalbuminaten je nach Konzentration adstringierend bis

atzend (Wilhelm F. Loebisch: Galmei, in: Alois Koch [Hg.]: Encyclopadie der gesammten Thierheilkun de und Thierzucht. 3. Band. Wien und Leipzig 1886, S. 375; Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 286); Galen beschreibt die Gewinnung (in Ofen bei der Schmelzung von Erz, in Minen) und die Arten dieser

Substanz, die stark trocknende Eigenschaften besitzt. Sie wurde zur Reinigung von Geschwuren ver

wendet (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 314-316). 149 vgl. Anm. 68.

150 vgl. Anm. 59.

151 Roter Ocker, Fe203, Rotel, Hamatit ist Eisenoxid, das schon seit fruhester Zeit von Menschen benutzt wurde und auch heute noch z. B. von den Himbas in Nordnamibia zusammen mit Tierfett zur Korper

pflege verwendet wird (Gert Goldenberg: Montanarchaologie. Neolithischer Hamatitbergbau im Stid

schwarzwald, -

www.ufg.uni-freiburg.de/d/publ/gg/szb/haematit.html); fein zerriebener Blutstein wur

de zur Behandlung von Geschwuren und bei wucherndem Granulationsgewebe angewendet. Er wurde aus roter Tonerde und aus Magnetstein gewonnen (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 77-78).

152 Eine Unze entspricht 1/12 Ratl. Im Friihislam wurde in Mekka ihr Gewicht mit 40 Dirham =125 Gramm

angegeben (Hinz (1955) [wie Anm. 58], S. 34-35). 153 Gallapfel, Gallae, durch den Stich der Gallwespe an den jungen Trieben der Eiche entstandene Aus

wiichse, die aufgrund ihres hohen Gerbsauregehaltes adstringierend wirken (FrohnerIReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 232-233); nach Galen und Dioskurides wirken die jungen Gallapfel starker adstrin

gierend und trocknend als die alteren. Pulverisiert vermindern sie luxurierendes Fleisch, gerostet wur

den sie zur Blutstillung eingesetzt (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 199-201). 154 Honig, Mel, wurde auBerlich zur Behandlung von Wunden und Mauke angewendet. Seine Wirkung be

ruht nicht nur auf dem durch die hohe Zuckerkonzentration verursachten osmotischen Gefalle, sondern

auch auf seinem Gehalt an Vitaminen und Enzymen (FrohnerI Reinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 330); nach Galen hat der Honig erwarmenden und trocknenden Charakter. Laut Dioskurides und Elbasri zieht er die Feuchtigkeiten an, so dass er zur Behandlung tiefer Geschwure verwendet wurde. AuBerdem wirkt er reinigend auf die Haut (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 190-193).

155 Die meisten arabischen Termini technici wurden aus dem Griechischen entlehnt: Aus dpaxjurf wurde

darahml und dirham (Ullmannn (1970) [wie Anm. 4], S. 317). Eine Drachme entspricht 3,411 Gramm

(Schaffer (1981) [wie Anm. 84], S. 223). 156 vgl. Anm. 100.

157 vgl. Anm. 103.

158 vgl. Anm. 141.

159 vgl. Anm. 142; Wahrend im ersten Rezept zur Behandlung des 'Aran alle Bestandteile in der Milch

aufgekocht wurden, wird hier ausdriicklich frische Milch gefordert. Durch die Warmebehandlung ist je nach Hohe und Dauer der Temperatureinwirkung eine Beeinflussung der Inhaltsstoffe unvermeidbar.

Andererseits kbnnte sich der Keimgehalt der Rohmilch durch die Stoffwechselreaktionen der Bakterien

auch auf die Qualitat der Milch auswirken. In diesem Rezept werden keine Angaben zur Tierart ge macht, von der die Milch stammen soli. Im Allgemeinen ist die Zusammensetzung von Kuh-, Ziegen und Kamelmilch sehr ahnlich, wahrend die Milch von Schafen (7,2%) und Buffeln (7,6%) einen hohe

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 85

bei der nachsten Behandlungsanweisung, die neben Myrrhe und Drachenblut160 auch Blei

glatte161 und SiiBholzwurzeln162 zu gleichen Teilen enthalt. Als Salbengrundlage diente weiBes Wachs163 und 01 von griinen Oliven164, das zusammen mit den anderen, einzeln

zerkleinerten, Heilmitteln in einer Kasserolle bis zur Gerinnung gekocht werden sollte

(58v.l). Alternativ konnte man nach der Reinigung mit Seife gekochten und zerkleinerten Fisch165 auftragen (59r.l). Bei ibn al-'Awwam und ibn al-Mundir166 ist in diesem Zusam

menhang von Rindfleisch die Rede, das iiber Nacht in Essig eingelegt und dann als

Umschlag angewendet werden sollte. Hier konnte die antiseptische Wirkung des Essigs zum Tragen gekommen sein.

Ein letztes Mittel (59r.2), das die entzundete Haut vermutlich stark gereizt hat, bestand aus spanischen Fliegen167, die in 01 erhitzt und mit einem Blatt Papier um den FuB

gebunden wurden. Damit diese scharfe Arznei nicht zu lange einwirkt, gibt ibn oM Hizdm auch die Therapiedauer an, namlich zwischen Mittag- und Nachmittaggebet (ca. drei bis vier Stunden). Um die atzende Wirkung dieses Medikaments zu mildern, wird geraten, das Pferd hinterher zu salben, die Stelle sanft zu reinigen und das Tier nicht zu reiten, sondern zum Wasser zu fiihren.

Insgesamt zeigt sich, dass der Autor ein breites Spektrum von medikamentosen Therapi en anbietet, aus dem der Anwender je nach Schwere des Falles bzw. Verfiigbarkeit der

Ingredienzien auswahlen konnte. Dabei haben sich die Grundlagen der Therapie, namlich die Reinigung des betroffenen Hautareals, die Schonung des Tieres sowie das Anlegen von desinfizierenden und adstringierenden Verbanden168, bis heute nicht wesentlich geandert.

ren Fettgehalt aufweist (Kielwein (1994) [wie Anm. 142], S. 20,92 und 178); die Milch von Dromedaren

weist einen geringeren Fettgehalt (3,8%) auf, als die Kuhmilch (4,5%) (Rainer Burgemeister: Die Ver

breitung und Nutzung des Dromedars, Der Tropenlandwirt, Zeitschrift fur Landwirtschaft in den Tropen und Subtropen 77 (1976), S. 43-53).

160 vgl. Anm. 100 und 103. 161 vgl. Anm. 146. 162 Die Wurzel des SiiBholzes, Glycyrrhiza glabra L., ist ein schon seit der Antike geschatztes Heilmittel

aus deren Saft Arzneien gegen innere Erkrankungen, aber auch zur Wundbehandlung hergestellt wurden

(Madaus (1938/1976) [wie Anm. 100], S. 1776-1781); man schrieb ihr adstringierende und wundheilen de Krafte zu (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 66-67); auBerdem wurde Radix Liquiritiae als

Expektorans, Geschmackskorrigens und Bindemittel fur Latwergen verwendet (Frohner (1914) [wie Anm. 68], S. 474-475).

163 Das sonnengebleichte Bienenwachs wird weiBes Wachs, Cera alba, genannt. Es dient zur Herstellung von Salben und Pflastern (FrohnerIReinhardt (1946) [wie Anm. 47], S. 219); Dioskurides schildert aus

fuhrlich die Zubereitung des weiBen Wachses, stellt es aber an die zweite Stelle hinter dem gelben Wachs

(vgl. Anm. 122) (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 106-108). 164 vgl. Anm. 61; das aus den unreifen Oliven erzeugte 01 heisst Elanfdk und wirkt adstringierend (von

Sontheimer (1840) [wie Anm. 53], S. 550-553). Die Gewinnung des in den Pflanzensamen gespeicher ten Ols, Triglyceride mit einem hoheren Gehalt an ungesattigten Fettsauren, erfolgt durch Auspressen und nachfolgende Abtrennung von Verunreinigungen (Wilhelm F. Loebisch: Oele, in: Alois Koch [Hg.]:

Encyclopadie der gesammten Thierheilkunde und Thierzucht. 7. Band. Wien und Leipzig 1890, S. 317?

319). 165 Der gesalzene und verbrannte Kopf von Maena smaris wurde nach Dioskurides zur Behandlung von

wucherndem Fleisch und bosartigen Geschwuren verwendet (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S.

51-54). 166 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 76; Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 93.

167 vgl. Anm. 62; s. auch Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 77.

168 Wintzer (1984) [wie Anm. 35], S. 424; Gerber (1994) [wie Anm. 134], S. 20.

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86 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Die verschiedenen Behandlungsvorschlage schlieBen fast regelmaBig mit einer beinahe beschworenden Formel ab, mit der ibn afu Hizam entweder die Wirksamkeit eines Rezepts betont (?Es ist nutzlich, so Gott will, ihm sei Ehre und GroBe" (58v.l)) oder auch eine

giinstige Prognose fur den Verlauf der Heilung stellt, z. B. ?dann wird es genesen, so Gott

will, erhaben ist er!" (58r.2). Auch heutzutage beurteilt man die Heilungschancen bei

friihzeitiger Therapie giinstig. Ein Vergleich mit den Rezepten des CHG zur Mauke, ozaina169, zu den Schrunden,

rhagddes110, und zum ?Rheuma" in den FiiBen, chirdma111 sowie mit den Parallelstellen der MC iiber die Behandlung von ozaenae, ozenae172 bzw. Schorf173 zeigte zwar, dass die

Rezepte aus ahnlichen Komponenten bestehen und somit eine vergleichbare Wirkung entfalten, trotzdem aber, auch im Ansatz, nicht wortlich ubereinstimmen. Dasselbe gilt auch fur die Texte der Autoren im mittelalterlichen Abendland, die zur Behandlung mit Salben

umschlagen jeweils noch Aderlass und Brennen empfehlen, wie z. B. Johan Alvarez de Salamiella oder Jordanus Ruffus114.

Saza

Mit diesem Begriff bezeichnete man zwei verschiedene Strukturen: Zum einen hieB so ?der Knochen, der dem MittelfuB anhaftet", womit wahrscheinlich die Griffelbeine175 gemeint waren, zum anderen wird damit auch die ?vorstehende Bundelung der groBen Sehne"

beschrieben, die oberhalb des Fesselgelenks innen, auBen oder beidseitig auftritt, ?wild" wuchert und mit Entzundungen einhergehen kann (33v). Die Schwellung der Sehne kann an

Vorder- oder Hinterhand auftreten und das obere oder untere Ende der Sehne betreffen. Das Pferd ist dadurch so beeintrachtigt, dass es kaum noch leistungsfahig ist. Diese ungiinstige Prognose wurde der Schilderung ibn al-Mundirs entsprechen, der unter der Uberschrift

?Schasa fi 1-a'sab" das EinreiBen einer Sehne beschreibt176.

Wahrend ein vollstandiger Abriss der Hufbeinbeugesehne an der Aufrichtung der Zehe erkennbar ist und schlechte Heilungschancen hat, fiihrt die vollstandige oder partielle Ruptur der Kronbeinbeugesehne und des M. interosseus medius zu einem Durchtreten in der

Fessel, zu einem raschen Anschwellen der betroffenen Region und zur Lahmheit. Neben der

operativen Behandlung mit einer Sehnennaht kann der Sehnenriss der oberflachlichen

169 CHG /, S. 417^119: Schaffer (1981) [wie Anm. 84], S. 119-122; CHG /, S. 278: Gobel (1984) [wie Anm. 81], S. 57; Johann Schaffer: Die Behandlung der Mauke in der Rezeptesammlung des Corpus

Hippiatricorum Graecorum, Band I, Historia Medicinae Veterinariae 8:3 (1983), S. 80-96.

170 CHG /, S. 381: Josef Appel: Die Kapitel iiber die Haut, die Haare und das Urogenitalsystem im Corpus

Hippiatricorum Graecorum. Ubersetzung und Besprechung. Diss med vet Miinchen 1983, S. 36-37.

171 CHG /, S. 229 ff.: Zellwecker (1981) [wie Anm. 79], S. 46 ff.

172 MC 609-614: Wohlmuth (1978) [wie Anm. 75], S. 56-58; MC 943-944: Kriiger (1981) [wie Anm. 87], S. 86-87.

173 MC 52-54: Baumgartner (1976) [wie Anm. 71], S. 37-39.

174 Schwartz (1945) [wie Anm. 30], S. 51-53, 74, 84; Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 143 ff.

175 Griffelbeine sind die Metacarpal- bzw. Metatarsalknochen des Pferdes (Ossa metacarpalia bzw. meta

tarsalia II und IV), die auch als NebenmittelfuBknochen bezeichnet werden (Rolf Berg: Griffelbein, in:

WiesnerlRibbeck (2000) [wie Anm. 38], S. 590). 176 Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 89.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 87

Beugesehne und des M. interosseus medius auch unter Verband der Selbstheilung uberlas sen werden und nach ca. 6-12 Monaten zu einer belastungsfahigen Narbe fiihren177.

Zur Behandlung verweist ibn afn Hizdm auf die bei der Intisdr genannten Methoden178, namlich Kiihlung, ?Feuer und Einschnitte", die sich besser als das Punktbrennen bewahrt

hatten, und betont nochmals die Bosartigkeit dieser Erkrankung, die fur das Pferd schwerer

ertraglich sei als die Intisdr und seine Leistungsfahigkeit einschranke: ?Kaum wird das Pferd davon zugrunde gehen; es ertragt sie, auBer den kleineren Pferden, bei leichter Arbeit" (59v.2).

Zawd'Td (Geschwulste)

An der ?Stelle, wo Fessel und MittelfuB zusammentreffen" (34r), d. h. im Bereich des

Fesselgelenks, konnen Verhartungen auftreten, die eine knochenahnliche Beschaffenheit haben und in Aussehen und GroBe einer Walnuss gleichen. Diese Wucherungen konnen laut ibn afu Hizdm so groB werden, dass die FiiBe sich gegenseitig behindern und aneinander

schlagen, so dass sie bluten und Lahmheit auftritt. AuBen, d. h. wahrscheinlich lateral,

gelegene Verhartungen sind weniger schadlich als innen, d. h. medial gelegene. Ebenso verhalt es sich mit den Verhartungen im vorderen (?dorsalen") Teil der Gelenke, die ibn afn

Hizdm ?Eselsgeschwiire" nennt.

Die Verhartungen konnen sowohl an der Vorder- als auch an der Hinterhand auftreten, wobei dann meist noch die Intisdr entsteht. Wenn es aber zu einem ?Absterben" der

Verhartungen kommt - d. h. wahrscheinlich, dass eine Versteifung des Gelenks im Sinne einer Ankylose auftritt - besteht die Gefahr, dass das Pferd ?strauchelt oder schwer hinfallt"

(34r).

Auffallig ist die Formulierung der Prognose, in der ein gewisses Mitgefuhl fur das erkrankte Tier zum Ausdruck kommt: ?Das Pferd erduldet die Geschwulste; obwohl sie fur es bedriickend sind, kannst du schwere Arbeiten [mit ihm] verrichten" (34r). Ausdriicklich erwahnt ibn afn Hizdm, dass ihm keine Ursachen fur dieses Leiden bekannt sind.

Diese Beschreibung konnte sowohl Zubildungen infolge einer Arthropathia deformans, einer Periostitis ossificans wie z. B. Leist, einer Gleichbeinlahmheit oder auf der dorsalen Gelenkflache einer Synovialitis villosa einschlieBen. Andererseits kommen - der erwahnten

groBen Wachstums- und Blutungsneigung entsprechend - eine iiberschieBende Granulati

onsgewebsbildung im Verlauf der Heilung von Verletzungen wie Streichwunden und Kronentritten oder auch Neoplasmen wie z. B. das Equine Sarkoid in Frage179.

Wie bei der Sazd verweist ibn afn Hizdm zur Behandlung dieser Krankheit (59v.3) auf

MaBnahmen, zu denen er schon bei der Intisdr geraten hatte, so dass dieser Krankheitskom

plex eine zentrale Stellung eingenommen zu haben scheint. Zusatzlich zeigt sich daran aber

177 Wintzer (1984) [wie Anm. 35], S. 316-317; vgl. Anm. 96.

178 Es fallt auf, dass ibn al-Mundir bei der Behandlung nicht wie ibn affi Hizam auf die IntiSar, sondern auf

den Masas verweist, der auch eine Verletzung der Sehne umfassen kann (Froehner (1931) [wie Anm.

28], S. 89). 179 Wintzer (1984) [wie Anm. 35], S. 304-314, 446; RiegellHakola (1999) [wie Anm. 95], S. 100-109;

Silbersiepe/Berge (1943) [wie Anm. 37], S. 358, 371-372, 453-454; Stashak (1989) [wie Anm. 35], S. 369, 582.

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88 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

auch, dass der Autor auf unnotige Wiederholungen verzichtet und damit die Bedeutung der erwahnten Therapievorschlage unterstreicht. Wenn die Krankheit noch neu ist, rat er, den

Umschlag mit Leinsamen und Borax (53v) anzuwenden, in fortgeschritteneren Fallen helfe das Brennen mit feinen Stiften. Dieser Text ist mit einem Zusatz bei ibn al- 'Awwam unter Verweis auf ibn ain Hizam wiedergegeben180. Die Prinzipien der Behandlung von damals und heute sind vergleichbar: Die adstringierenden Verbande und der unspezifische Reiz durch das Punktbrennen hatten einen ahnlichen Effekt wie die Antiphlogistika, die man

heutzutage gegen Knochenzubildungen im akuten Stadium einsetzt und die hyperamisie renden Einreibungen im chronischen Stadium. Zusatzlich wird heute geraten, eine langere Boxenruhe einzuhalten, die zusammen mit einem orthopadischen Hufbeschlag auch bei einer Gleichbeinlahmheit die am meisten Erfolg versprechende MaBnahme ist. Dagegen hilft bei einer Synovialitis villosa nur ein operativer Eingriff181.

Am Ende dieses Kapitels fiihrt ibn afii Hizam noch zwei kurze Rezepte an: Entweder sollte man einen Verband aus frischem, zerstoBenem Efeulaub182 anbringen oder Asche183, die von Weinstocken stammt, mit Essig184 zu einem Umschlag verarbeiten (59v.l). Sowohl in dem Text von Apsyrtos als auch in der entsprechenden Passage der MC werden zur

Behandlung der Verhartungen an der Krone185, die als poroi bzw. tumor magnus et durus bezeichnet werden, ebenfalls diese beiden Rezepte erwahnt186. Auf grand ihrer Zusammen

setzung diirfte es sich aber hier um Umschlage handeln, die bereits in der Antike und auch im Bereich der Humanmedizin weit verbreitet waren.

180 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 85-86; der Zusatz lautet: ?Es ist sehr vorteilhaft, feuchtwarme Um

schlage zu machen, indem man die Wucherungen mit einem Tuch, in das etwas zerriebenes Salz sowie

gekochtes Ol gegeben wurde, bedeckt. Allerdings gibt es nichts besseres als die feine Punktion". 181 Wintzer (1984) [wie Anm. 35], S. 304, 309, 311; RiegellHakola (1999) [wie Anm. 95], S. 101, 103.

182 Efeu, Hedera helix L., wurde im Altertum und in der Volksmedizin haufig als Heilmittel sowohl zur

innerlichen als auch auBerlichen Behandlung wie z. B. bei Geschwiiren und Wunden verwendet. Im

Griechischen Kiaaoq und im Arabischen al-labldb genannt (Dietrich (1991) [wie Anm. 61], S. 146; Madaus (1938/1976) [wie Anm. 100], S. 1512 ff.); Galen schrieb dem Efeu adstringierende, scharfe und

?laue" Eigenschaften zu (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 299-300). 183 vgl. Anm. 118; Asche besitzt nach Avicenna reinigende Krafte und wurde zu verschiedenen Zwecken

angewendet, z. B. auch bei Geschwiiren, Wunden und Gelenkschmerzen (Shirzadian (1991) [wie Anm.

31], S. 139); nach Dioskurides besitzt die Asche der Reben eine brennende Kraft. Sie wurde fur Um

schlage bei Muskelquetschungen, Gelenkschlaffheit und zur Starkung der Sehnen verwendet (von Sonthei mer (1840) [wie Anm. 53], S. 504-505).

184 vgl. Anm. 68.

185 Knochenzubildungen im Bereich des Kron- und Hufgelenks, so genannte Schalen, werden auch von den

Autoren der Stallmeisterzeit beschrieben. Der Text von Jordanus Ruffus, der in ahnlicher Form auch bei

Theodorich von Cervia und Laurentius Rusius zu finden ist, enthalt einige Stichpunkte wie ibn alii

Hizams Text (Verhartung, das Gehen wird behindert, Verweis auf Behandlung des Uberbeins), erscheint

aber groBtenteils eigenstandig z. B. gibt Ruffus verschiedene Ursachen fur die Entstehung der Schale an

(Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 156-157). 186 CHGI, S. 370-371: Zellwecker (1981) [wie Anm. 79], S. 95; MC 621-622: Wohlmuth (1978) [wie Anm.

75], S. 59-60.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 89

Dahas

Der Dahas wird als eine knotenartige Veranderung beschrieben, die grbBer als ein Dattel kern ist und im Bereich zwischen Fessel und Huf sowie am Kronsaum auftritt (34v.l, 60r.l). Er wird meistens durch fehlerhaftes Brennen, aber auch durch unsachgemaBen Aderlass verursacht (60r.l). Ibn aM Hizam bemerkt zu den Heilungschancen dieses Lei dens: ?Ich kenne keinen schlimmeren Fehler als diesen. Selten habe ich gesehen, daB Reittiere dem Lahmen entronnen sind" (34v.l).

Eine chirurgische Behandlung, z. B. das Ausschneiden dieser Stelle mit einem Messer oder das Brennen mit Punktfeuer, verschlimmere die Sache nur noch, so ibn alii Hizam

(60r.l). Vielmehr empfiehlt er, wie bei der Intisar beschrieben (55r), mit Umschlagen aus Teer und spanischen Fliegen zu behandeln. Mehrmals warnt er vor der Bosartigkeit des

Dahas, der bei chronischem Verlauf zur Versteifung des Gelenks fuhren kann (60r.l). Wahrend Wunden an der Krone in der Regel durch traumatische Insulte hervorgerufen

werden, wie z. B. der Kronentritt, fuhrt ibn alu Hizam den Dahas auf Komplikationen bei zwei chirurgischen Eingriffen, dem Brennen und AderlaB, zuriick. Es ist durchaus vorstell

bar, dass sich im Zuge eines AderlaBes, der bei Erkrankung der GliedmaBen an der V.

palmar is communis durchgefiihrt wurde187, eine Thrombophlebitis eingestellt hat. Aber auch bei einer Kauterisation bestand die Gefahr von Verletzungen und damit das Risiko einer Wundinfektion. Wie wir heute wissen, kann sich als Folge einer Wundinfektion eine koronare Phlegmone herausbilden, die auf die benachbarten Gelenke iibergreifen und

langfristig zu einer Ankylosierung fuhren kann188. Die Prognose ist, wie auch ibn alu Hizam

feststellte, in solchen Fallen zweifelhaft (s. oben). Zwei erprobte Rezepte fur Umschlage fuhrt ibn alu Hizam zur Behandlung des Dahas an:

Beide bestehen aus einer Grundlage aus Honig und Essig189, die man entweder mit zerklei nerten Blattern des SuBholzbaumes190 oder mit fein gemahlenem Schwarzkummel191 ver mischen sollte. Zwischendurch wurde diese Stelle mehrmals mit heiBem Wasser ubergos sen. Heutzutage fiihrt man zur Therapie einer koronaren Phlegmone ebenfalls eine

Verbandbehandlung durch. Ibn al-'Awwam zitiert in seinem Text liber die gleiche Krank heit wiederum fast wortlich seinen Gewahrsmann ibn alii Hizam192. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Jordanus Ruffus, die auch von Theodorich von Cervia und Laurentius Rusius ubernommen wurde, wonach der Kronentritt, eine

187 Amann (1983) [wie Anm. 120], S. 46. 188 SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 362-366; Winner (1984) [wie Anm. 35], S. 302.

189 vgl. Anm. 154 und Anm. 68.

190 Dioskurides beschrieb die Blatter des SuBholzbaumes als klebrig und am Ast des Baumes dicht angeord net; aus pharmakologischer Sicht wichtiger war, nach Galen, der siiBe Saft der Wurzel dieses Baumes

(von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 66); vgl. Anm. 162; ob an dieser Stelle ein Schreibfehler eines

Kopisten vorliegt - die Begriffe fur ?Blatter" und ?Wurzel" unterscheiden sich nur durch einen Vokal

und Konsonanten - muss offen bleiben, da auch der Paralleltext bei ibn al- 'Awwam hier abweicht.

191 Schwarzkummel, Nigella sativa L., wurde schon von Dioskurides fur Umschlage bei Verhartungen emp fohlen (Madaus (1938/1976) [wie Anm. 100], S. 1970-1974); Galen bezeichnete ihn als ein vorziigli ches Arzneimittel mit ?einschneidender, abstergierender, trocknender und erwamender" Kraft (von Sontheimer (1842) [wie Anm. 44], S. 111-113).

192 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 75; die Vorschlage Hemprichs, das ?dajaso" auch als Gallen oder

Saumbandentziindung zu interpretieren, erscheinen aufgrund der erwahnten Bosartigkeit des Prozesses

wenig wahrscheinlich.

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90 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

Verletzung im Bereich der Hufkrone, deren Beschreibung keine Parallelen zu Dahas zeigt, spater zu ?Krebs" werden kann, einem Krankheitsbild, das dem folgenden Saratan entspre chen konnte193.

Saratan

Diese Erkrankung schildert ibn aHi Hizam als Wucherung, die den ?vorstehenden Teil der Fessel" befallt, sich von hier ausbreitet, die Kote iiberwuchert und verhartet (34v.2). Der

Saratan, der an der Hinterhand in einer leichteren Form auftritt, beeintrachtigt das Pferd nicht so schwer, dass es nicht einsatzfahig sei. Diese Schilderung, die auch in ahnlicher

Weise bei ibn al- 'Awwam, davon abweichend bei ibn al-Mundir und in Do Faras-Nameh194 zu lesen ist, konnte auf das Krankheitsbild der verrukosen Mauke (Warzenmauke, Straub

fuB) zutreffen, die meist aus einem Ekzem der Fesselbeuge entsteht, sich schnell ausbreitet und in eine chronische hyperplastische Dermatitis mit Sklerosierung der Haut und Unter haut iibergeht195. Nicht selten ist diese Krankheit auch mit dem Hufkrebs, Pododermatitis chronica verrucosa, verbunden, wodurch sich erklaren lieBe, dass ibn al-Mundir und ibn al ' Awwam den Saratan als ?Krebs" bezeichneten. AuBerdem kame noch wucherndes Granu

lationsgewebe, so genanntes ?wildes Fleisch" in Frage, das sich meist infolge von Verlet

zungen bildet. Da uns vom Autor keine weiteren Angaben zur Atiologie oder Symptomatik iiberliefert wurden, lasst sich die Beschreibung nicht eindeutig interpretieren.

Wahrend die Prognose im vorherigen Absatz recht giinstig formuliert wurde, rat ibn alu Hizam nun hinsichtlich der BehandlungsmaBnahmen, dass man nur eine solche auswahlen

sollte, die das Tier am Leben erhalte, ?denn wenn sie es nicht erhalt, so soil man sich nicht mit einer Behandlung um es kiimmern" (60v.2). Bevor man drei Tage lang heiBen Teer und

spanische Fliegen196 und ebenso lange diese Substanzen in kalter Form auftragt, sollen die Haare mit Teer entfernt werden. Da diese Substanzen auf die Haut reizend wirken, wird zum Abschluss der Behandlung empfohlen, die Stelle einzuolen und in Wasser zu baden.

Ibn ain Hizam fiihrt noch andere MaBnahmen, das Punktbrennen und das Kauterisieren von Einschnitten an, steht aber diesen Verfahren kritisch gegeniiber: Das ?Feuer" bewirke zwar eine Verkleinerung des Saratan, diese sei aber mit einer ?Austrocknung des Fesselner ves" verbunden. Daraus lasst sich schlieBen, dass der Autor die Folgen dieser gewebescha digenden Methode kannte, sie aber seiner Leserschaft nicht vorenthalten wollte, da sie anscheinend zu den iiblichen Praktiken zahlten (?Einige Leute brennen ...."). Diese War

nung vor den Gefahren des Brennens und Schneidens in sehnen- und gefaBreichem Gewebe findet sich auch in den Texten von Jordanus Ruffus, Theodorich von Cervia und Laurentius Rusius zur Behandlung des ?Krebses" 197'. Neben diesem Krankheitsbild werden in der

193 Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 171; Klutz (1936) [wie Anm. 27], S. 83; Schnier (1937) [wie Anm. 29], S. 64.

194 Hemprich (1999) [wie Anm. 5], S. 84; Froehner (1931) [wie Anm. 28], S. 92; Shirzadian (1991) [wie Anm. 31], S. 57.

195 SilbersiepelBerge (1943) [wie Anm. 37], S. 345; Klaus Koch: Warzenmauke, in: WiesnerlRibheck (2000) [wie Anm. 38], S. 1574.

196 vgl. Anm. 62.

197 ?Krebs" wird in den Texten der Stallmeister meist nicht nur als ?Hufkrebs" beschrieben (Schwartz (1945) [wie Anm. 30], S. 38), sondern als Krankheitsgeschehen zwischen Fessel- und Hufgelenk (Sponer (1966)

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 91

Vergleichsliteratur u. a. das so genannte Honiggeschwulst, melikens198; ?mal pinsonese"199 oder ?Maulbeere"200 beschrieben, die zwar aufgrund der Symptomatik dem Sarafan zuge ordnet werden konnen, inhaltlich aber keine Parallelen zeigen.

Noch vor 60 Jahren wurde die chronische Mauke als schwer behandelbar beschrieben. In fruhen Stadien wurden austrocknende Verbande empfohlen, in fortgeschrittenen Fallen blieb nur operatives Vorgehen201.

Bewertung aus veterinarhistorischer Sicht

Ibn aM Hizams Beschreibung von sieben Krankheiten, die distal an den Extremitaten

auftreten, und ihren Behandlungsmethoden umfasst ca. 20 Seiten und nimmt somit ungefahr ein Funftel des Gesamtwerkes ein. Der gute Zustand der GliedmaBen ist fur den Gebrauch der Pferde von groBer Bedeutung, wie schon der griechische Reiterfiihrer Xenophon im 5. Jh. v. Chr. in seiner Reitkunst formulierte: ?Wie man namlich von einem Haus keinen Nutzen hatte, wenn es zwar einen sehr schonen Oberbau hatte, ohne dass jedoch die Fundamente den Anforderungen entsprachen, so wurde man auch von einem Militarpferd keinen Nutzen haben, selbst dann nicht, wenn es alles sonst in gutem Zustand hatte, aber schlecht auf den FiiBen stande; denn von keinem seiner Vorzuge konnte es Gebrauch

machen"202. Daher wurde der Diagnostik und Therapie von Lahmheiten der Pferde von

jeher eine groBe Bedeutung beigemessen und so widmeten sich auch die Autoren der

Spatantike wie z. B. Apsyrtos, Hierokles und Theomnest diesem Thema. Obwohl man annehmen muss, dass im arabischen Raum zu ibn aiu Hizams Zeit hauptsachlich Rinder, Esel und Dromedare im Transportwesen eingesetzt wurden, weiB man aber auch von der Existenz einer schlagkraftigen Reiterei203. AuBerdem trug der Einsatz von Pferden bei der

Jagd und die Leidenschaft der Araber fur Wettrennen und ritterliche Kiinste zur Forderung einer eigenen Pferdezucht bei, die ab dem 7. Jh. groBen Aufschwung nahm204. Legendar ist

[wie Anm. 48], S. 59; Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 157; Klutz (1936) [wie Anm. 27], S. 83; Schnier

(1937) [wie Anm. 29], S. 117). 198 CHG /, S. 293-299: Amann (1983) [wie Anm. 120], S. 92 ff.; MC 649: Wohlmuth (1978) [wie Anm. 75],

S. 53; heute bezeichnet man mit Meliceris eine Retentionszyste der Glandula sublingualis (Hans-Wer ner Fuchs: Ranula, in: WiesnerlRibbeck (2000) [wie Anm. 38], S. 1211).

199 Diese Krankheit wird auch ?malum pinganese" oder ?Pinzanesische Krankheit" genannt. Nach den An

gaben der Autoren tritt sie an der Fessel und im Bereich des Ballen auf und behindert das Pferd beim

Laufen (Hiepe (1990) [wie Anm. 23], S. 163; Klutz (1936) [wie Anm. 27], S. 87; Schnier (1937) [wie Anm. 29], S. 117).

200 Mit diesem Begriff oder ?morus" wird wildes, wucherndes Gewebe beschrieben, das im CHG ohne

Lokalisation beschrieben wird (CHG /, S. 383-384: Amann (1983) [wie Anm. 120], S. 103), wahrend

Theodorich von Cervia und Laurentius Rusius das Fesselgelenk bzw. Bein angeben (Klutz (1936) [wie Anm. 27], S. 83-84; Schnier (1937) [wie Anm. 29], S. 85).

201 Silbersiepe/Berge (1943) [wie Anm. 37], S. 345-346.

202 Klaus Widdra: Xenophon. Reitkunst. Schriften und Quellen der alten Welt herausgegeben von der Sek

tion fur Altertumswissenschaften bei der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Band 16.

Berlin 1965, S. 35.

203 Franz Altheim und Ruth Stiehl: Die Araber in der alten Welt. Berlin 1967, S. 293-296.

204 Karl W. Ammon: Nachrichten von der Pferdezucht der Araber und den arabischen Pferden. Niirnberg 1834, Neudruck Hildesheim 1972, S. 81 ff.; Frangois Vire: Faras, in: Bernard Lewis, Charles Pellat und

Joseph Schacht [Hrsgg.]: The Encyclopaedia of Islam II, Leiden/London 1965, S. 784-787.

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92 Veronika Weidenhofer/Martin Heide/Joris Peters

die groBe Verehrung, die die Araber ihren Pferden entgegen brachten und die nicht nur in diversen Dichtungen Eingang gefunden hat, sondern auch in einem pferdekundlichen Fachbuch wie dem Werk ibn alu Hizams zum Ausdruck kommt, z. B. in der Ermahnung zum einfuhlsamen Umgang mit dem Pferden (55v).

Im vorliegenden Text werden drei Krankheitskomplexe, der Masas, die Intisar und der

'Aran, ausfiihrlicher erlautert, wahrend die Kapitel tiber Saza, Zawa'Td (Geschwiilste), Dahas und Sarafan kiirzer gefasst sind und teilweise auf die anderen Abschnitte Bezug nehmen, um so Wiederholungen zu vermeiden. Die Kapitel sind klar strukturiert, der

sprachliche Ausdruck ibn alu Hizams ist anschaulich, aber ohne Ausschmiickungen. Durch Einschiibe wie ?denn siehe", ?so paB darauf auf', ?wie ich dir beschrieben habe" oder ?so

begreife denn jenes" spricht er den Leser nicht nur personlich an und fesselt seine Aufmerk

samkeit, sondern erhalt der Text auch Lehrbuchcharakter. Soweit ihm die Ursachen einer Krankheit bekannt waren - hier vor allem auBere Einwir

kungen wie Verletzungen, Uberanstrengung, unsachgemaBe tierarztliche Eingriffe -, fiihrt ibn alu Hizam diese an. Ist ihm die Entstehung eines Leidens unklar, schreibt er dies auch ausdriicklich (34r) und lasst sich nicht zu Spekulationen hinreiBen.

Die Symptome der Krankheiten schildert er in einer deutlichen Art und Weise, indem er

meist die betroffenen anatomischen Strukturen benennt und die GroBe und Form der

Veranderung mit bildhaften Vergleichen belegt z. B. ?gleicht der WalnuB" (32r.2) oder

?fiihlt sich an wie Fischschuppen" (33r). Nur an wenigen Stellen, z. B. bei der Schilderung der Intisar, macht ibn alu Hizam direkt

Angaben zur Diagnostik: ?wenn du die Sehne betastest, [wirst] du sie erkrankt vorfinden"

(32v) oder ?und es ist unter der Stelle, die man betasten kann, hart und ahnlich dem Knochen" (34r).

Bei der Angabe der Prognose gibt der Autor eindeutige MaBstabe vor und pladiert fiir eine ehrliche Haltung des Tierarztes gegenuber den Tierhaltern. Deutlich warnt er den Leser bei aussichtslosen Fallen ?es gibt nichts, was man dagegen tun konnte. So paB darauf auf und begreife es" (54r). Dieser ethische Aspekt tierarztlichen Verhaltens kommt mehrmals zum Ausdruck, so dass der Inhalt der Texte uber den reinen Informationsgehalt eines

praktischen Handbuches hinaus an Tiefgriindigkeit gewinnt. Davon unabhangig sind die

positivistischen Abschlusssatze zu sehen (vgl. S. 29), mit denen am Ende mancher Rezepte der Erfolg der Behandlung versprochen wird. In spateren Jahrhunderten treten ahnliche

Formulierungen in den Texten der Stallmeister auf, die stereotyp ohne Differenzierung jeder noch so aussichtslosen Krankheit angehangt sind.

Die Schilderung der BehandlungsmaBnahmen geschieht nicht durch willkurliche

Aneinanderreihung von Rezepten, sondern erfolgt in einem iiberlegten und logischen Auf bau. Zuerst werden die schwacher wirkenden und spater die starkeren Heilmittel empfohlen; meist sind dies Umschlage aus verschiedenen pflanzlichen, mineralischen und seltener aus

tierischen Drogen. Dabei wird oft genau die Menge der Substanzen, die Herstellung der Arznei und deren Anwendung beschrieben. Die Auswahl der Grundsubstanzen erfolgt nach den Prinzipien der Humoraltheorie, was nicht verwundert, da die arabische Pharmakologie im 9. Jh. stark von den Lehren Galens beeinflusst war205. Allerdings werden auch einige

Wirkstoffe genannt, die, so scheint es, fiir den arabischen Raum spezifisch waren, z. B. das

205 Martin Levey: Early arabic pharmacology. Leiden 1973, S. 33 ff.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 93

Kamelhockerfett oder karamanischer Borax. Fiir bestimmte Falle waren auch chirurgische Eingriffe notig z. B. das Spalten des Masas oder das Anlegen von Einschnitten in die Sehne und Brennen bei der Intisar. Diese Aufgaben zahlten offensichtlich zu den Tatigkeiten eines

Hippiaters, wahrend im Bereich der Humanmedizin die Ausiibung der Chirurgie wahrend des fruhen Mittelalters in den Handen einer bunt gemischten Gesellschaft wie Wundarzten und Badern, aber auch bestens qualifizierten Chirurgen lag206. Wie wohliiberlegt und sinn voll ibn aHT Hizam seine Therapievorschlage abfasste, lasst sich auch an folgendem Rat

ablesen, den er zu Beginn der BehandlungsmaBnahmen des Intisar gibt: ?Das Reittier soil

beschlagen sein, und sein Huf gleichmaBig [zugerichtet] sein" (55r). Bevor der Behandelnde scharfe Umschlage oder sogar das Brenneisen einsetzt, kann er bei der Pflege und dem

Beschlag des Hufes, mogliche andere Lahmheitsursachen ausschlieBen und den Huf in einen

optimalen Zustand versetzen. Aber nicht nur der praktische Hintergrund ist an dieser Anwei

sung bemerkenswert, sondern auch die Tatsache, dass uns hier ein erster schriftlicher Hinweis auf den Gebrauch des Hufbeschlages uberliefert wurde. Wahrend in der MC noch der Einsatz von so genannten Hipposandalen, soleae ferreae, im Rahmen der Behandlung der Huftlahmheit der Pferde erwahnt wird, scheint sich der Hufbeschlag im Westen erst im Laufe des Mittelalters durchgesetzt zu haben207. Auf der anderen Seite wird berichtet, dass auch im arabischen Raum nicht alle Pferde beschlagen waren, weil es aufgrund der Bodenbe schaffenheit und der harten Hufqualitat nicht immer notig war208. In seinen Reiseschilderun

gen beschreibt der franzosische Ritter Arvieux (1635-1702) die Art des Hufbeschlages: ?Die Hufeisen verfertigen sie aus einem weichen und geschmeidigen Eisen, hammern sie kalt, und machen sie allemal zwey Finger kiirzer als der Pferdehuf ist: alles hervorragende Horn aber schaben sie sorgfaltig ab, damit die Pferde im Laufen durch nichts gehindert werden"209.

Zu manchen Behandlungsvorschlagen nimmt ibn a\n Hizam auch kritisch Stellung: ?Einige Leute brennen den Saratan punktformig, aber das verhalt sich nach meiner Ansicht so..." (60v.2). Auch die Tatsache, dass weder aberglaubische Einfltisse zu spuren sind noch

Wirkstoffe aus dem Bereich der so genannten Dreckapotheke verwendet werden, spricht fiir den Pragmatismus und die Qualitat dieses Werkes. Dagegen lasst die Anrufung Gottes, mit der fast jedes Rezept endet, auf eine religiose Grundhaltung schlieBen: Der Erfolg der

Therapie hangt nicht allein von der Wirkung der Heilmittel ab, sondern erfordert auch den Beistand einer gottlichen Kraft, in deren Hand das Schicksal eines jeden Lebewesens liegt. Diese Einstellung entspricht auch der allgemeinen Entwicklung der Medizin: Wahrend in

praislamischer Zeit in Vorderasien eine Volksmedizin verbreitet war, die bis auf bestimmte Arzneimittel der mediterranen Heilkunde ahnlich, aber auch mit magischen Praktiken und animistischen Vorstellungen verwoben war, nahm die arabisch-islamische Schulmedizin auf der Grundlage der Ubersetzungen antiker Texte erst zu Beginn des 9. Jh.s ihren

Aufschwung und anstelle der fruheren Theorien traten die Erklarungen des monotheisti schen Systems eines Allah210.

206 Emile Forgue und Alain Bouchet: Die Chirurgie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Richard Toell ner: Illustrierte Geschichte der Medizin. Band 2. Salzburg 1983, S. 911-1001.

207 von den DrieschlPeters (2003) [wie Anm. 5], S. 38-39.

208 Ammon (1834/1972) [wie Anm. 204], S. 338.

209 Ernst F.K. Rosenmuller: Die Sitten der Beduinen-Araber. Aus dem Franzosischen des Ritters Arvieux.

Leipzig 1789, S. 72.

210 Roy Porter: Die Kunst des Heilens. Heidelberg/Berlin 2000, S. 94-96.

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94 Veronika WeidenhOfer/Martin Heide/Joris Peters

Allgemein lasst sich feststellen, dass die Behandlungsvorschlage ibn aHi Hizams groBen teils damals tibliche Mittel und Methoden einschlieBen, die aber vom Autor uberlegt ausgewahlt und zusammengestellt wurden. Auch vom heutigen Standpunkt aus erscheinen sie zur lokalen, symptomatischen Therapie durchaus sinnvoll. Uber den Erfolg der Araber bei der Behandlung ihrer Pferde schrieb schon der bereits erwahnte Arvieux: ?Diese Pferde werden selten krank. Die Araber sind gute Stallmeister, und kennen die Krankheiten ihrer Pferde eben so gut, als die Mittel, die man dagegen gebrauchen muB"211.

Unter dem Vorbehalt, dass die hier analysierten Texte lediglich einen Ausschnitt aus dem Gesamtwerk darstellen und auch nur einen Themenbereich umfassen, bei dem eigene Erfahrungen leichter einzubringen sind, lassen sich folgende Aussagen zur Herkunft und

Auswirkung der Schrift von ibn afti Hizam machen: Deutliche Parallelen zu ibn aM Hizams Werk zeigen die zeitlich jiingeren Texte von ibn al- 'Awwam, ibn al-Mundir und das Buch Do Faras-Nameh, was bei einer Uberlieferung im arabischen Sprachraum zu erwarten war.

Ubereinstimmungen mit Texten der alteren Autoren, etwa der Spatantike, gibt es an zwei Stellen (55v) und (59v.l). Da es sich hier um Rezepte handelt, die vermutlich weit verbrei tet waren und in ihrer Zusammensetzung, wie die meisten anderen TherapiemaBnahmen, den Prinzipien der galenischen Tradition entsprechen, andererseits jedoch in der Beschrei

bung der Krankheiten bisher keine Ahnlichkeiten aufgefallen sind, bleibt abzuwarten, ob die von Bjdrck festgestellte Abhangigkeit von der Schrift Theomnests nach der Bearbeitung des restlichen Werkes bestatigt werden kann212. Auch im Hinblick auf die Entwicklung der Tierheilkunde im mittelalterlichen Abendland gestaltet sich der Vergleich eher unbefriedi

gend. Konkrete Anhaltspunkte fiir die Ubernahme von Textpassagen sind selten, ungeachtet der groBen Verbreitung des Werkes im arabischen Sprachraum. Parallelen zum Liber mariscaltie eines anonymen Autors, beruhend auf einer arabischen Vorlage, bestehen an

vier entsprechenden Textstellen (50v.l, 51 v.2, 53r.2, 57v.2). Neben arabischer Literatur wird das Werk von Ipocras indicus auch als Quelle fiir die Schriften der beiden Stallmeister Jordanus Ruffus und Johan Alvarez de Salamiella genannt, in denen sich bisher nur

Anklange, aber keine grundlegenden Ubereinstimmungen mit ibn alii Hizam feststellen lieBen. Im Gegensatz zur Entwicklung auf dem Gebiet der Humanmedizin, wo z. B. der Canon medicinae Avicennas uber Jahrhunderte hinweg nicht nur auf die islamische Welt, sondern auch auf die abendlandische medizinische Tradition groBen Einfluss hatte, scheint die Uberlieferung im tiermedizinischen Bereich relativ unabhangig voneinander verlaufen zu sein. Da wahrend des 12. und 13. Jh.s die wissenschaftlichen Werke und Ubersetzungen der Araber uber Sizilien und Spanien wieder in den abendlandischen Kulturkreis zuriickge kommen sind, ist anzunehmen, dass es auf diesem Wege auch zu einem Austausch veteri narmedizinischer Kenntnisse gekommen ist, wohl aber eher im Bereich der praktischen Tierheilkunde, als im Buchwissen213. Ob die Ursache hierbei in dem an der Uberlieferung beteiligten Personenkreis - zum Teil waren es Universalgelehrte wie z. B. Albertus Magnus, die meisten aber waren Stallmeister, also Praktiker, die vor allem ihre eigenen Erfahrungen

211 Rosenmuller (1789) [wie Anm. 209], S. 71.

212 Bjdrck (1936) [wie Anm. 1], S. 9.

213 Joachim Boessneck: Mosaik der Geschichte der Tierchirurgie, in: Horst Schebitz und Wilhelm Brass

[Hrsgg.]: Allgemeine Chirurgie fiir Tierarzte und Studierende. Berlin/Hamburg 1975, S. 31-57.

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Zur Frage der Kontinuitat des hippiatrischen Erbes der Antike 95

niederschrieben - oder in der gesellschaftlich weniger anerkannten Volkstierheilkunde

liegt, muss dahin gestellt bleiben.

Aufgrund der vorliegenden Studie lasst sich zwar noch nicht endgiiltig sagen, welchen

Rang das vorliegende Manuskript im Werk von ibn alu Hizam einnahm, die gewahlten Ausschnitte gewahren uns aber nicht nur erste Einblicke in die arabische Pferdeheilkunde des 9. Jh.s, sondern erlauben auch einige Ruckschlusse auf die Uberlieferungstradition tierheilkundlichen Wissens zu ziehen. Mit Spannung bleibt zu erwarten, welche Ergebnisse die Ubersetzung und Auswertung der restlichen Textabschnitte bringen wird, nicht nur hinsichtlich der Quellenlage sondern auch um die literarischen Eigenheiten des Autors und die Person ibn afu Hizam weiter beleuchten zu konnen. Fest steht aber, dass die uns nun in

Ubersetzung vorliegenden Seiten aus dem Kitab al-furuslya wa-l-baytara von ibn afu Hizam ein, nach den heutigen Kenntnissen, bisher einzigartiges Dokument einer, allem Anschein nach eigenstandigen, arabischen Tierheilkunde darstellen.

Summary

The issue of continuity in ancient horse medicine: The treatment of diseases of the extremi ties described in the Kitab al-furiislya wa-l-baytara by Muhammad ibn Ya'qub ibn alu

Hizam al-HuttulT.

Since the late 9th century, scientific literature in Arabian language, based on the transla tion and compilation of works of the Classical, Persian and Indian culture considerably increased. This also applies to the field of veterinary medicine, as is illustrated by a number of hippological and hippiatric treatises. Affinities between texts on horse medicine in

Antiquity and in Arabian literature have been mentioned by philologists, but the degree of

dependence on classical texts could not be verified due to the lack of translations of the Arabian texts. In this respect, the oldest available text about hippology and hippiatry, the Kitab al-furuslya wa-l-baytara, written by Muhammad ibn Ya'qub ibn alu Hizam al

HuttulT, equerry at the court of caliph al-Mu'tasim, al-Mutawakkil or al-Mutadid during the

second half of the 9th century, is of particular importance. In this contribution we focus upon seven major diseases affecting the distal extremities in

horses. The contents have been analysed from an historical and a medical point of view and

compared with those from a representative selection of medieval treatises that circulated in the Mediterranean region and the Orient up to the 14th century. This comparison reveals obvious similarities between ibn alu Hizams text and later hippiatric treatises, written in medieval Arabic. Parallels to the texts of the authors of the late Antiquity and the medieval

Occident, however, can not be observed. The Kitab al-furuslya wa-l-baytara thus evidences that Arabian hippiatry had its own tradition, at least when dealing with the diseases of the extremities.

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. vet. Veronika Weidenhofer

Dr. phil. Martin Heide

Prof. Dr. Dr. Joris Peters

Institut fur Palaoanatomie und Geschichte der Tiermedizin

Kaulbachstr. 37/111 D-80539 Munchen

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