Triptychonflügel als Pendants? Vergleichendes Sehen und andächtiges Schauen in Rubens’...

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Rubens’ Beschäftigung mit dem Triptychon hat nostalgische Züge, er greift in sehr spezifischen Funktionszusammenhängen – für Altartafeln und Epitaphien – auf ein langsam aussterbendes Medium zurück. 1 Die Hochzeit dieser Bildform liegt im späten Mittelalter, sie hat jedoch die Antwerpener Kunstproduktion auch im 16. Jahrhundert noch geprägt. Nun war das Triptychon mit seiner kultischen Aura in der Welt der Kunst und ihrer Sammlungen geradezu ein Fremdkörper geworden, obwohl es, worauf Felix Thürlemann aufmerksam gemacht hat, in einem gewissen Sinn die Keimzelle einer symmetrisch organisierten Zusammenführung mehrerer Bilder verschiedener Hierarchiestufen darstellt. 2 Am Beispiel des Epitaphs 3 für den Freund und Förderer von Rubens, den Bürgermeister Nicolaas Rockox und seine Frau Adriana Perez (Abb. 1 und 2), möchte ich diese anregende, aber zugleich dis- kussionswürdige Idee aufgreifen und mit anderen medienspezifischen Eigenheiten ins Verhältnis setzen. Dabei gehe ich davon aus, dass Rubens im Hinblick auf die räumliche Logik, die Disposition der Figuren und die Blickbeziehungen eine Art Summe der flämischen Triptychontradition inszenierte, diese aber zugleich der besonderen Funktionalität eines Epitaphs unterstellte. Triptychon und Pendant Für das Verschwinden des Triptychons im 17. Jahrhundert wurden verschiedene Gründe genannt. 4 Jüngst hat Wolfgang Ullrich das zeitweilige Aussterben mit dessen implizitem Bildkonzept verbunden, das einen „Totalitätsanspruch“ erhebe und sugge- riere, dass alles, was wichtig sei, zur Darstellung gelange. 5 Ab dem 17. Jahrhundert sei dies mit einem neuen „spielerisch-subtilen Bildbegriff“ nicht mehr vereinbar. „Eines der letzten großen Triptychen vor der Krise und langen Pause, Peter Paul Rubens’ Rockox-Triptychon (1613), weist bereits auf die neuen Vorlieben voraus und versucht sie noch mit der alten Gattung in Einklang zu bringen.“ 6 Populär, so Ullrich, werde danach insbesondere das Pendant: Man machte geradezu eine Kulturtechnik daraus, jeweils zwei Bilder aufeinander zu beziehen, die als Entgegensetzung oder Variationen eines Themas fungierten und den Betrachter in einen Zustand der Balance versetzten, der dazu stimulierte, über das auf den Bildern Dargestellte hin- auszudenken. 7 Marius Rimmele Triptychonflügel als Pendants? Vergleichendes Sehen und andächtiges Schauen in Rubens’ Rockox-Epitaph

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Rubens’ Beschäftigung mit dem Triptychon hat nostalgische Züge, er greift in sehr spezifischen Funktionszusammenhängen – für Altartafeln und Epitaphien – auf ein langsam aussterbendes Medium zurück.1 Die Hochzeit dieser Bildform liegt im späten Mittelalter, sie hat jedoch die Antwerpener Kunstproduktion auch im 16. Jahrhundert noch geprägt. Nun war das Triptychon mit seiner kultischen Aura in der Welt der Kunst und ihrer Sammlungen geradezu ein Fremdkörper geworden, obwohl es, worauf Felix Thürlemann aufmerksam gemacht hat, in einem gewissen Sinn die Keimzelle einer symmetrisch organisierten Zusammenführung mehrerer Bilder verschiedener Hierarchiestufen darstellt.2 Am Beispiel des Epitaphs3 für den Freund und Förderer von Rubens, den Bürgermeister Nicolaas Rockox und seine Frau Adriana Perez (Abb. 1 und 2), möchte ich diese anregende, aber zugleich dis-kussionswürdige Idee aufgreifen und mit anderen medienspezifischen Eigenheiten ins Verhältnis setzen. Dabei gehe ich davon aus, dass Rubens im Hinblick auf die räumliche Logik, die Disposition der Figuren und die Blickbeziehungen eine Art Summe der flämischen Triptychontradition inszenierte, diese aber zugleich der besonderen Funktionalität eines Epitaphs unterstellte.

Triptychon und Pendant

Für das Verschwinden des Triptychons im 17. Jahrhundert wurden verschiedene Gründe genannt.4 Jüngst hat Wolfgang Ullrich das zeitweilige Aussterben mit dessen implizitem Bildkonzept verbunden, das einen „Totalitätsanspruch“ erhebe und sugge-riere, dass alles, was wichtig sei, zur Darstellung gelange.5 Ab dem 17. Jahrhundert sei dies mit einem neuen „spielerisch-subtilen Bildbegriff“ nicht mehr vereinbar. „Eines der letzten großen Triptychen vor der Krise und langen Pause, Peter Paul Rubens’ Rockox-Triptychon (1613), weist bereits auf die neuen Vorlieben voraus und versucht sie noch mit der alten Gattung in Einklang zu bringen.“6 Populär, so Ullrich, werde danach insbesondere das Pendant:

Man machte geradezu eine Kulturtechnik daraus, jeweils zwei Bilder aufeinander zu beziehen, die als Entgegensetzung oder Variationen eines Themas fungierten und den Betrachter in einen Zustand der Balance versetzten, der dazu stimulierte, über das auf den Bildern Dargestellte hin-auszudenken.7

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Triptychonflügel als Pendants?

Vergleichendes Sehen und andächtiges Schauen

in Rubens’ Rockox-Epitaph

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Hier zeigt sich gleichzeitig eine Nähe wie auch eine signifikante Differenz zu den Überlegungen Thürlemanns. Wesentlicher Unterschied ist dabei dessen aus dem Studium tatsächlicher Hängungen gewonnene Einsicht, dass die Mittelachse keineswegs konstitutiv leer bleibt, sondern Pendantpaare in der Praxis häufig eine übergeordnete Mittelposition flankieren. Das von Ullrich betonte „Über-die-Bilder-Hinausdenken“, die dem Rezipienten überantwortete kognitive Leistung, ist demnach weniger eine der „Einbildungskraft“8 als vielmehr eine intellektuellere: Gefordert ist ein vergleichendes Sehen, das sich gerade bei einer derartigen ‚Triangulierung‘ mit

Abb. 1: Peter Paul Rubens, Rockox-Epitaph, 1613–1615. Antwerpen, Koninklijk Museum

voor Schone Kunsten

besetzter Mittelposition auf die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den gleich gewichteten Pendants sowie auf die kategoriale Differenz zum Mittelbild zu richten hat:

Bei der Pendanthängung werden gewichtige Einzelstücke auf der Mittelachse der Wand einzeln angebracht und durch ein Bildpaar oder Bildpaare gerahmt, die in Format und Gattung, idealer-weise auch in Thema und Komposition einander entsprechen. Die rahmenden Pendant-Paare gehören dabei einer anderen, im Vergleich zu dem die Mittelachse rahmenden Einzelstück meist untergeordneten Bildgattung an.9

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Gerade als Vorbereiter dieses Dispositivs betrachtet Thürlemann das Triptychon, das nicht nur an zwei Sehkompetenzen, das naiv-einfühlende, dialogische Betrachten der Ikone und das „auf inhaltliche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen zwei Bildern hin ausgerichtete vergleichende Sehen“10 appelliert, sondern zugleich auch das für die Pendantordnung konstitutive Prinzip der Hierarchisierung etabliert. Selbstverständlich ist mit dieser Genealogie kein clavis universalis für das Verständnis des Triptychons und seiner Bildlogik gefunden, auch Thürlemann selbst hat in seinen Interpretationen von Triptychen andere Aspekte verfolgt, es vor allem als symbolisch wie narrativ genutztes

Abb. 2: Peter Paul Rubens, Rockox-Epitaph

(geschlossener Zustand), 1613–1615. Antwerpen,

Koninklijk Museum voor Schone Kunsten

Schema befragt.11 Meine eigenen Forschungen zielten hingegen bislang vorwiegend auf die Erbmasse des Triptychons als Schrein, bei dem die Flügel vor allem ein heiliges Zentrum bedecken und inszenieren.12 Das Rockox-Epitaph mit seiner ahistorischen Darstellung eines vor den Aposteln Paulus, Petrus und Thomas erscheinenden Aufer-standenen,13 das von Frans Francken II. in die Sammlung des Bürgermeisters Rockox zumindest hineingemalt wurde (ohne Flügel!),14 verspricht nun gleichermaßen dem Zeitalter des Schreins und demjenigen der Kunstordnungen anzugehören. Entsprechend aufschlussreich könnte es sein, den pendantgeschichtlichen Bezug Thürlemanns mit meinen eher aufs Sakrale und Medienreflexive gerichteten Fragen zu verbinden.

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Flügel als Pendants?

Inwiefern ist das Rockox-Epitaph ein Zeugnis für den gegenreformatorischen Katholizismus, zumindest seitens der Auftraggeber, die sich frühniederländischer Traditionen als einer Bildsprache der Altgläubigkeit bedienten15 und inwiefern trägt es Züge genuin künstlerischer Kriterien und Reflexionen? Rubens war nicht nur, wie seine Kollegen, dazu aufgerufen, die von den Bilderstürmen gerissenen Lücken in den Kirchen Antwerpens wieder angemessen zu füllen. Mit seinen Auftraggebern teilte er auch den Stolz auf die einstigen Errungenschaften seiner Kunstlandschaft.16 Es ist sicher keine verwegene These, zu behaupten, dass er sich auch im Hinblick auf das Triptychon und all seiner Implikationen der Tradition bewusst war und sich in der Position sah, als Erbe eine Art vollendete Summe zu bilden.17

Gehen wir von den impliziten Sinnstiftungsleitungen der Pendanthängung aus, in deren Vorgeschichte wir das Triptychon versuchsweise einordnen wollen, so drohen die beiden Portraitflügel des Rockox-Epitaphs (Abb. 3), auch wenn sie im 18. Jahrhundert in Paris eine Weile tatsächlich als Pendants ausgestellt waren,18 zunächst mit einer für religiöse Triptychen symptomatischen Unterkomplexität: Pendanthängungen erlauben einen komplexen Abgleich der einander syntagmatisch zugeordneten Bilder hinsichtlich formaler, gattungsspezifischer und inhaltlicher Ka-tegorien.19 Das typische Triptychon hingegen verwendet die Flügel zwar häufig als hierarchisch herabgestufte Ebene der Repräsentation, die idealtypisch von assistie-renden Heiligenfiguren oder Adoranten besetzt wird. Doch diese werden in der Regel allenfalls über das heraldische Prinzip der Dextralität einer sanften Form sinnstif-tender Differenzierung ausgesetzt.20 Die Differenz zur Mitteltafel ist normalerweise die alles entscheidende, zuweilen dient sie sogar der Unterscheidung von Sphären. Im vorliegenden Fall lässt sich eine leichte Differenzierung der Größenmaßstäbe und des Hintergrundes erkennen – das Ehepaar befindet sich weder in unserer Welt, noch unmittelbar im Kontext der Szenerie. Selbst die Malweise zwischen Flügeln und Mitteltafel unterscheidet sich.21

Eine prinzipielle zweite Möglichkeit wäre die Nutzung der Flügel als eigen-ständige Erzählregister, die häufig einer chronologischen Ordnung folgen. Nahezu unvermeidlich erfolgt auch in diesem Fall eine Aufwertung der mittleren Szene, die so einen erhöhten Hang zur Überzeitlichkeit gewinnt. Über die Hierarchisierung zweier in Funktion und Erscheinungsweise differenzierter Subgattungen des religiösen Bildes gehen diese Ordnungen aber selten hinaus. So gesehen zeichnen sich zwar beim Betrachten des Triptychons wie bei der Pendanthängung bestimmte, für ein geltendes System relevante Kategorisierungen ab – religiöse wie kunstbezogene –, aber normalerweise in einer sehr simplen Art und Weise. Insbesondere erschließt sich nur selten ein inhaltlicher Mehrwert beim vergleichenden Sehen der beiden einander zugeordneten ‚Pendants‘.22

Rubens jedoch scheint das vergleichende Sehen, welches für die neuzeitliche Kunsthängung so prägend ist, mit den Flügeln des Rockox-Triptychons bewusst anzuregen, indem er bestimmte Differenzen inszeniert (Abb. 3). Neben Selbstver-ständlichkeiten wie geschlechts- und standesgemäß differenzierter Kleidung sind

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Abb. 3: Peter Paul Rubens, Rockox-Epitaph (Detail: Flügelinnenseiten), 1613–1615.

Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten

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dem neunfachen Bürgermeister Nicolaas Rockox und seiner neun Jahre jüngeren Frau aus der Händler- und Bankiersfamilie Perez unterschiedliche Instrumente privater Frömmigkeit zugeordnet: Rockox hat ein Gebetbuch in der Hand und sei-ne Frau einen Rosenkranz. Mit dem Finger in der ‚Seitenwunde‘ des Buches, der Hand auf dem eigenen Herzen und den Kugeln in den Händen evozieren sie eine ins Mediensystem des Glaubens verschobene fromme Haptik, die aus der Begeg-nung zwischen Thomas und Christus selbst verbannt wurde. Beide Praktiken – bzw. Bildformeln, was den Finger im Buch anbelangt – können eine Form des inneren Sehens markieren.23 In der frühniederländischen Malerei stößt man auf Beispiele für beide Devotionalia, ohne zwingende geschlechtliche Verteilung.24 Im Oeuvre des in Antwerpen als Gründungsvater lokaler Malerei hochgeschätzten25 Quentin Massys und seinem Umfeld allerdings lässt sich eine Tendenz zur Zuordnung des Rosen-kranzes zur Frau ablesen. Deshalb muss dem Mann aber nicht komplementär das Buch zugewiesen werden. Auch die farbliche Inszenierung weckt den Verdacht, dass Rubens mit seiner Verteilung über eine bloße Darstellungstradition hinauszugehen scheint: Beide Objekte zitieren nämlich als einzige Elemente ihrer Sphären genau das Rot der zentralen Christusdraperie, jeweils ergänzt um Gold. Rubens greift zwei klassische Elemente der niederländischen Stifterdarstellung auf, verteilt sie auf die Flügel und bezieht sie zugleich auf die zentrale Szene. Nach diesem Muster geht er auch bei den anderen Differenzen vor.

Besonders im Hinblick auf die Hintergründe gewinnt man den Eindruck einer synthetisierenden Gegenüberstellung traditioneller Elemente. Hinter dem Bürger-meister zeigen sich ein Pilaster und eine Archivolte; er scheint wie im Seitenschiff einer Kirche positioniert, eine Lösung, die schon Jan van Eyck, z.B. in seinem kleinen Dresdner Marientriptychon, etabliert hat.26 Die Frau dürfte zwar räumlich komplementär positioniert sein – man kann insbesondere rechts oben Andeutungen spiegelbildlicher architektonischer Elemente identifizieren –, vor allem aber wird sie von einer auffälligen, zur Hälfte gerafften dunkelroten Draperie hinterfangen. Folgt man Hans Gerhard Evers, erblickt man einen fürs Portrait typischen „Apparat des großen Ranges“: „die Nische, die Säule, den Vorhang“.27 Doch wie die archi-tektonischen Elemente ist auch die Draperie explizit an die spezifische Grenz- und Raumlogik des Bildträgers angepasst. Während die Architektur in verbreiteter Weise auf die flächige Gliederung in ‚Mittel-‘ und ‚Seitenschiff‘ bezogen ist und so einen der Funktion des Bildes durchaus angemessenen Aufenthalt der Verstorbenen in einer Art Kirche nahelegt, reagiert der Vorhang auf das räumliche Dispositiv Triptychon. Bei genauem Hinsehen zeichnet sich eine einzigartige Konstruktion ab: Der Vorhang ist an einer unmittelbar auf den Betrachter zu ragenden Vorhangstange befestigt. Diese besondere rechtwinklige Anbringung, die man in der linken oberen Ecke des Flügels erkennen kann, spielt mit der variablen Räumlichkeit der beweglichen Flügel, die durch Stellung im 90°-Winkel zuweilen einen Altarvorhang ersetzen konnten. Solche ‚Einkästelungen‘ sowie 45°-Stellungen mit Altarvorhängen zeigt Abb. 4, eine zwar enzyklopädisch verdichtende (und inhaltlich tendenziöse), aber in der Darstellung der Räumlichkeiten durchaus realistische Darstellung einer katholischen Kirche im frühen 17. Jahrhundert.28

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Der Rekurs des Bildes auf den realen Flügel wird im vorliegenden Fall pointiert durch die spezielle ‚Anbringung‘ des Vorhangs gleichsam am Scharnier des Flü-gels. Diese Form medialer Autoreferenz hat ihrerseits Vorläufer in der flämischen Tradition, z.B. in Robert Campins Mérode-Triptychon.29 Wohl genau um diese selbstbezügliche ‚Vernähung‘ mit dem Trägermedium deutlicher auszustellen, ist der Vorhang links am Scharnier noch vollständig herabhängend, nur zur Hälfte wurde er nach außen hin mit einer Kordel gerafft. Angebracht als Blickbarriere zwischen dem ‚Seitenschiff‘ und dem Geschehen der Mitte, wie ein Altarvorhang neben der

Abb. 4: Anonym, Vera Imago Ecclesiae papisticae. Ware abcontrofeitung der Romis-

sche bapstische Kirchen, Kupferstich, nach 1600. Paris, Bibliothèque Nationale

Mensa, wird er zur symbolischen Grenze zwischen unserer Welt und einer ande-ren, in welche die 1619 Verstorbene, exakt auf jener Grenze situiert, ausdrücklich Einblick erhält. „Der Vorhang (oder der Schleier) ist das Zeichen par excellence für die Offenbarung“, er „verdeckt und enthüllt das Heilige“.30 Es wird also ein dop-

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pelter Öffnungsvorgang aufgerufen: Die inszenierte Differenz der Winkel zwischen Flügel und Vorhang bezieht sich auf die Öffnungsmöglichkeiten des realen Flügels die aufgerufene Symbolik sowie die konkrete Ausrichtung im fingierten Bildraum beziehen sich auf den gewährten Blick ins Jenseits. Diese pointierte Engführung ist dem Gedanken nach nicht neu, der Vorhang hat, gerade auf der Innenseite der Flügel, eine lange Tradition als Metapher für die inszenatorischen Qualitäten und die Semantik der Offenbarung oder Epiphanie im Triptychon.31 Ähnlich der her-vorgehobenen Variation der religiösen Hilfsmittel, die so auffällig komplementär auf den Auferstandenen bezogen sind, bietet Rubens dem Pendant-Sehen auch eine Variation typischer Flügellösungen an, eine flächige und eine räumliche, beide inhaltlich motiviert.

Der letzte auffällige Aspekt, den er gezielt variiert zu haben scheint, ist der Blick und mit ihm die Ausrichtung der ganzen Person. Während Rockox selbst mit seiner Darstellung fast im Profil ganz in die Betrachtung des auf der Mitteltafel Präsen-tierten versunken zu sein scheint, wendet sich seine Frau mehr dem Betrachter zu und blickt wissend frontal aus dem Bild heraus. Die Alleinstellung des kinderlosen Ehepaars auf ihren Flügeln, unterstrichen durch den Verzicht auf die üblichen Na-menspatrone, verschärft den Eindruck, dass hier zwei Modi des Blickens ausgestellt werden. Handelt es sich dabei auch um zwei Modi religiöser Schau?

Ausgehend von Thürlemanns Einsichten zum vergleichenden Sehen frühneuzeit-licher Pendants stellt sich hier die Frage, ob in einer solch forcierten Differenzierung nun „relevante[n] Kategorien operationell“ werden, und wenn ja, welche: religiöse, kunsttheoretische, medienspezifische, sonstige?32 Nach Geraldine A. Johnson gehen mit den Blickrichtungen auch genderspezifische visuelle Privilegierungen einher:

Adriana Perez is empowered by her direct visual communication with the outside viewer, but at the same time she remains excluded from the true centre of power, the sacred body of Christ, which is accessible only to the male gazes of her husband and the apostles.33

Diese Interpretation der Differenzen überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Erstens lehrt uns die Darstellungstradition von Stifterfiguren auf Triptychonflügeln, dass sich neben dominierenden gesenkten oder unfokussierten Blicken sowohl herausschau-ende Männer wie Frauen finden, und zwar im Gleichklang wie komplementär. Dem ließe sich die allenthalben zu beobachtende Verschärfung von Geschlechterdiffe-renzen in der Frühen Neuzeit entgegenhalten.34 Rubens könnte eine Variationsbreite, die vorher geschlechtsindifferent war, misogyn besetzt haben. Doch zum religiösen Entwurf der frühneuzeitlichen Frau passt es nicht, dass ausgerechnet sie für den Kon-takt ‚nach draußen‘ zuständig sein soll, dafür aber von einem intimen verinnerlichten Kontakt zum Göttlichen ausgenommen bleibt. Gerade anders herum funktionieren die Idealmodelle.35 Zudem lässt sich auf ein nahezu gleichzeitiges niederländisches Triptychon mit exakt umgekehrter Rollenverteilung verweisen36 sowie auf die Tat-sache, dass Rubens hier ein Grabbild für ein befreundetes Ehepaar37 gemalt hat.

Ein Epitaph bzw. Epitaphaltar38 hat einen sehr wichtigen Status für die Bewahrung der Erinnerung und den gleichzeitigen Ausdruck von Heilszuversicht. Man könnte von einer Art bildlichem Ruheraum der Abgelebten, d.h. Entkörperten, zwischen

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Tod und Wiederauferstehung sprechen.39 Von den gemalten ‚Avataren‘ werden nicht nur traditionell Formen der Frömmigkeit praktiziert, die eine kürzere Fegefeuerzeit erhoffen lassen; das gute Ende wird sogar vermittels jenseitiger Blickbeziehungen und einer heterotopischen bis dezidiert paradiesischen Örtlichkeit schon latent vor-weggenommen.40 Das inszenierte vorbildliche Gebet bzw. die ‚Betrachtung‘ spielen auch auf das erhoffte Finale an, die endzeitliche Schau Gottes.41 So oder so hätte Rubens mit einer religiös qualifizierend gemeinten Abwendung des Blicks vom Ge-schehen die Frau seines guten Freundes gleichsam ‚verdammt‘.42 Wir haben bereits erkannt, dass ihr im Epitaph vermittels des Vorhangs eine religiöse Schau dezidiert zugestanden wird. Die Differenzierung der Blickachsen müsste also, gerade weil sie in der von Rubens synthetisierten Tradition bereits etabliert ist, eine andere Funk-tion haben; eine, die aus dem Bild blickende Personen nicht vom Heilsversprechen ausnimmt. Wie bei den anderen Aspekten ist davon auszugehen, dass Rubens zwei Darstellungsoptionen der Tradition in forcierter Weise einander gegenüberstellt und zugleich eine inhaltliche Anbindung an die Mitteltafel und damit auch an die Funk-tion des Bildes schafft. Inwiefern damit, wie beim Vorhang, triptychonspezifische Darstellungsaspekte betroffen sind, bleibt zu überlegen.

Berühren – Sehen – Glauben

Rubens hat sich mit seiner Mitteltafel, die eine Erscheinung des Auferstandenen vor einigen Aposteln zeigt, an Caravaggio orientiert. Vier forciert plastisch gemalte Personen drängen sich in Knielänge vor einem unbestimmt dunklen Hintergrund fast aus dem Bild heraus.43 Das auffälligste Merkmal von Caravaggios Potsdamer Ungläubigem Thomas (Abb. 5), den Rubens in der Sammlung Giustiniani in Rom ge-sehen haben könnte,44 ist der tief in die Seitenwunde geschobene Zeigefinger und das konzentrierte Starren auf den Leib bzw. die Seitenwunde des Auferstandenen durch alle Beteiligten. Man hat vor dem Hintergrund von Caravaggios ‚haptischer‘ Malerei auf verschiedenste Art45 versucht, das hervorgehobene Tasten und das Schauen mit der zentralen Botschaft der Thomasperikope zu verbinden, die hier zitiert sei:

Und über acht Tage waren abermals seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit Euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und siehe meine Hände und reiche Deine Hand her und lege sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor den Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubet, Jesus sei der Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen. (Joh 20,26–31)

Die Stelle enthält bestimmte Unklarheiten, die die Kommentatoren beschäftigt ha-ben.46 Inwiefern ist Thomas ein Vorbild? Die Seitenwunde berühren zu wollen ist doch Ausdruck eines Glaubenszweifels, aber die Bibelstelle sagt nicht, dass er sein

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zuvor angekündigtes Vorhaben (Joh 20,25) tatsächlich in die Tat umgesetzt habe. Er glaubt schließlich, weil er gesehen hat. Das 17. Jahrhundert versteht ihn, wie auch schon ältere Kommentatoren, vorrangig als Glaubenszeugen.47 Doch auch in dieser Absicht hat man ihn schon früh als Tastenden dargestellt.48 Ein Maler braucht nicht viel Phantasie, um seine eigene Praxis des Zu-Sehen-Gebens in dieser religiös besetzten Sinneskonkurrenz zu verorten. Sei es als Überbietung des Tastens, sei es als medial perpetuierte Evidenzstiftung, die den Moment der Bildbetrachtung in Analogie zum Moment von Thomas’ Erkennen setzt, oder gar in selbstkritischer

Abb. 5: Caravaggio, Der ungläubige Thomas, 1602–03. Potsdam, Schloss Sanssouci

Abarbeitung an der Reaktion Jesu, der den Glauben jenseits aller Evidenzen einzu-fordern scheint. Die Signifikanz der Szene für einen religiösen Diskurs über Bilder wird noch gesteigert, wenn sie nun für ein Epitaph verwendet wird, in welchem die Glaubensfestigkeit der Erinnerten ebenso beteuert wird wie die Hoffnung auf eine jenseitige visio beatifica. Letztlich stimmen sogar die Absichten von Christus und

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Rubens überein: Kann letzterer mit seinem Triptychon ebensolche Evidenzen für eine sichere Auferstehung stiften wie ersterer, der durch verschlossene Türen in den Raum tritt und seine eigene mit Wunden bezeugt?49

Die Forschung hat zunächst gelernt, nicht nur den Wegfall des Berührens, ja der Seitenwunde selbst,50 sondern auch die der biblischen Szene widersprechende Zusammenstellung ausgerechnet von Paulus, Petrus und Thomas im Hinblick auf bestimmte theologisch verknüpfte Bibelstellen zu verstehen, die allesamt den Zu-sammenhang von visus, Glauben an die Auferstehung und Erlösung thematisieren. Statt eines konkreten Ereignisses aus dem Johannes-Evangelium dürfte vielmehr ein theologischer Konsens dargestellt und bezeugt sein, der z.B. in den folgenden Stellen aus den Petrus- und Paulus-Briefen fasslich wird:

Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, wiewohl ihr ihn nicht sehet, und freuet euch mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, die ihr das Ziel eures Glaubens davonbringt, nämlich der Seelen Seligkeit. (1 Petr 1,8)

Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. (2 Kor 4,18)

Freedberg hat noch weitere solcher Stellen, die mit den ‚Fremdkörpern‘ Petrus und Paulus zu verbinden sind, angeführt und deren zentralen Stellenwert in Liturgie und Bibelkommentar im (jesuitisch geprägten) Antwerpen des frühen 17. Jahrhunderts belegt – einschließlich ihrer Verknüpfung mit der Thomasperikope.51

Meines Wissens hat angesichts solcher theologischer Argumente bislang niemand über den dabei eingetretenen sehr persönlichen Effekt einer Art Kryptosignatur des Petrus Paulus Rubens nachgedacht. Eine vergleichbare Strategie hat er nachweislich in einem anderen Epitaph verfolgt.52 Man sollte vielleicht auch die gemeinsame Zu-gehörigkeit von Rockox und Rubens zur humanistischen Peter und Paul-Bruderschaft berücksichtigen.53 Bezeichnenderweise ist der Maler dort am 29. Juni 1609 aufgenom-men worden – seinem Namenstag.54 Trotzdem dürften die beiden Hauptvertreter der katholischen Kirche in der Tat auch theologische Zeugen des Auferstehungsglaubens als Voraussetzung für die Auferstehung des Ehepaars sein. 55 Die untypische Absenz des Tastens ist also ex negativo schon Ausdruck eines bedingungslosen Glaubens, der zur Erlösung führen sollte – wenn da nicht das verflixte Sehen wäre. Man muss sich der Tatsache stellen, dass Rubens zum Betrachten der Szene und insbesondere der Handwunde auffordert und somit offenbar den Glauben zu stärken wünscht.

Es gibt mehrere Parteien, die in unterschiedlicher Weise visuellen Zugang zu Christus gewinnen: Zumindest Thomas und Petrus waren in einer historischen Situ-ation Augenzeugen, das Ehepaar Rockox scheint durch imaginierte oder visionäre, also geglaubte, erhoffte oder offenbarte Bilder Zeuge der Auferstehung zu sein, und den Betrachtern wird ein Gemälde angeboten. Obgleich eine mögliche Lesart, ist es nur schwer vorstellbar, dass Rubens die nicht leiblich sehenden Stifter getreu den Texten als bessere Gläubige gegen einen naiven Thomas ausspielen möchte.56 Das Bild müsste vielmehr wie Rosenkranz und Buch Hilfsmittel des Glaubens sein.

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Das Epitaph als Andachtsbild

Barbara Haeger erkennt in ihrer ausführlichen Neuinterpretation57 die These von Monballieu an, dass hier bestimmte Glaubensinhalte verbildlicht seien, sieht aber den Schwerpunkt in einer Repräsentation der dualen Natur des inkarnierten Gottes, vor allem aufgrund der theologischen Auseinandersetzungen mit der Thomasperi-kope. Ihre besondere Pointe ist nun, dass sie diese Dualität mit den jesuitischen und gegenreformatorischen Reflexionen zum Wesen und zur Legitimation des Bildes verbindet. So lassen sich die drei von Rubens – nach Betrachtern gestaffelt – insze-nierten Blickobjekte ‚Christusleib‘, ‚Vision/Imagination‘ und ‚Gemälde‘ stimmig verknüpfen. Der Betrachter, so Haeger, solle vom Bild und seinen Protagonisten zu einer Meditation über die Inkarnation und die Auferstehung verführt werden und so vom körperlichen zum spirituellen Sehen aufsteigen, wie es die verschiedenen Vorbilder demonstrieren: Thomas, der Christus körperlich als Mensch und spirituell als Gott sieht, Petrus, der schon den anderen Aposteln die körperliche Auferstehung Christi bezeugt hat und ganz auf die Handwunde fokussiert, sowie Paulus, der den strahlenumkränzten Kopf Christi in einem differenten Modus des Sehens wahrzu-nehmen scheint. Ihm ist bekanntlich der Auferstandene nurmehr visionär begegnet. Dieser Gesamtlesart, gewonnen aus dem Studium theologischer Texte, aber durch-aus verbunden mit einer detaillierten Bildanalyse, ordnet Haeger alle Elemente des Bildes, wie die fehlende Seitenwunde eines ewigen „Prototyps“ Christus und den appellativen Einbezug des Betrachters, unter. Damit löst sie den möglichen Widerspruch zwischen einer Propagierung bildlosen Glaubens und dem Bild selbst mit seinen verschiedenen Modi des Sehens überzeugend auf. In punkto Bildfunk-tion ist die einseitige Betonung eines (selbstbezüglichen) Andachtsbildcharakters58 jedoch ein Schritt hinter Eisler und Freedberg zurück, die das Thema und auch die skulpturale Auffassung der Figuren mit der Grabsituation und der Auferstehungs-hoffnung verbunden hatten.59 Problematisch scheint mir insbesondere der Versuch, die so offensichtlich variierte Darstellung der Adoranten ebenfalls vollständig der bildtheoretischen Gesamtinterpretation unterzuordnen: Obwohl Perez die Manifes-tation Christi nicht anschaut, sei sie ebenfalls dabei, ein innerlich empfangenes Bild zu meditieren, was durch ihre Nutzung des Rosenkranzes suggeriert werde.60 Ihr Blick gehe nicht wirklich zum Betrachter, sondern sei letztlich unfokussiert.61 Die verschiedenen Richtungen markierten dabei keine Differenz, sie machten vielmehr eine Sequenz anschaulich, bzw. eine Verknüpfung zwischen dem Körperlichen und dem Spirituellen.62 Perez signalisiere demnach körperliches Sehen, führe es aber de facto nicht aus.63 Das klingt etwas forciert. Ein näher liegender Aspekt wird zumin-dest kurz erwähnt: Der Blick aus dem Bild kann den Betrachter ‚abholen‘, erregt seine Aufmerksamkeit.

In diesem Blick aus dem Bild liegt geradezu die Essenz einer bürgerlichen Por-traitkunst, die ursprünglich auf Fürbitte angelegt ist, anstatt herrschaftsgenealogische oder loyalitätsheischende Aufgaben zu verfolgen.64 Natürlich sind Epitaphien seit dem Spätmittelalter bevorzugt auch Andachtsbilder, doch dies nicht aus Selbstzweck, sondern hauptsächlich, um fromme Handlungen, insbesondere Gebete, anzuregen,

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die den repräsentierten Stiftern dann zugute kommen sollen.65 Deren Interessen gilt es bei der Interpretation des Triptychons nicht aus dem Blick zu verlieren, umso weniger, als es sich um Freunde des Malers handelt.

Aufenthalt im Zwischenraum

In gewisser Weise teilen die beiden ‚Flügelbewohner‘ zwei traditionelle Aufgaben des Epitaphs untereinander auf, nämlich an die Fürbitte und Erinnerung des Betrachters zu appellieren und selbst eine gleichermaßen vorbildlich-fromme wie optimistische ‚Schau‘ auszustellen. In diesem Sinne haben sich die beiden Blickachsen zur Mittel-tafel hin66 und aus dem Bild heraus etabliert, die Rubens vergleichend gegeneinander stellt. Durch den Vorhang und den Rosenkranz markiert er zugleich, dass der Blick aus dem Bild kein weltliches Geschäft ist oder gar Ausdruck einer Verweigerung im Sinne Johnsons. Und es gibt noch eine weitere, von der Rubens-Forschung ignorierte Blickachse, die gerade im Barock von erheblicher Bedeutung war: Bilder Verstorbener – häufig, aber nicht nur plastische Darstellungen – werden gerne auf die Messfeier im Kirchenraum ausgerichtet, von der sie offenbar profitieren sollen.67 Da sich das Trip-tychon nachweislich auf der linken (Nord-)Wand der hinter dem Hochaltar gelegenen Kapelle befand, lässt sich mit guten Gründen argumentieren, dass die divergierende Blickrichtung der Frau auch darauf abzielt, sie dem Messgeschehen der hinteren Ostwand mehr zuzuwenden, statt sie diesem den Rücken zukehren zu lassen.68 In der betonten Differenz und impliziten Vielzahl der Blickbeziehungen manifestiert sich die paradoxe Verortung von Rockox und seiner Frau zwischen Jenseits und Diesseits, zwischen der konservierten Vergangenheit ihrer Leiber und ihrer erhofften Zukunft, in einer Gegenwart, die gleichermaßen bildlich, sozial und liturgisch gestiftet ist.

Wenn durch die fehlende Seitenwunde der Christuskörper gleichsam in seiner Göttlichkeit gezeigt ist, während er zudem seine für die sinnliche Evidenzstiftung zentrale Handwunde behält und diese den Gläubigen anbietet, lässt sich diese Ambi-valenz zwar wie von Haeger vorgeführt auf die prinzipielle Dualität des Inkarnierten und auf die klassischen Urbild-Abbild-Argumente der Bildtheologie,69 aber eben auch auf die komplexe Zeitstruktur aufeinander verweisender ‚Schauvorgänge‘ zweier zu Erlösender beziehen.70

Neben den konkreten Funktionen und Traditionen des Epitaphbildes zwischen religiöser Memoria und Vorwegnahme zukünftiger Orte bzw. Blickverhältnisse ist meines Erachtens die Eigenlogik des Triptychons als heterotopischer und virtueller ‚Ruheraum‘ der Verstorbenen ebenfalls stärker zu berücksichtigen, auch wenn diese Aspekte nicht bruchlos mit der Szene der Mitteltafel zu verbinden sind.71 Eine Lösung, die alle Aspekte und Bedeutungshorizonte eines Bildes auf der Grundlage theolo-gischer Texte miteinander harmonisiert, ist selbstverständlich elegant, muss aber nicht richtiger sein als eine leicht dissonante Vielstimmigkeit unter Einschluss der Bildtradition, atavistisch-religiöser und ganz persönlicher Bedeutungsmomente.

So interpretiert Haeger ausgerechnet den vom forcierten Pendantkonzept der Flügel hervorgehobenen Vorhang nicht, der sich bereits als Klammer zwischen den

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Inhalten und der besonderen Medialität des Triptychons erwiesen hat. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Rubens nicht nur im Falle Rockox die Außenseite des Triptychons mittels geschlossener ‚Wände‘ mit steinernen Kartuschen, ebensolchen Engelsköpfen und den beiden Wappen zur Welt hin ‚abgeschlossen‘ hat (Abb. 2). Er wollte also für die Epitaphe das Triptychon – durchaus in Übereinstimmung mit der Tradition – als Ort, genauer: als eine Art Schrein oder Grab72 verstanden wissen. Die Erscheinung des auferstandenen Christus spielt sich demnach tatsächlich zumindest potentiell73 hinter verschlossenen Türen ab, ein Umstand, der nicht nur in der zitierten Johannesstelle, sondern auch in den Antwerpener Adnotationes et Meditationes in Evangelia Nadals hervorgehoben wird.74 Der triptychonspezifische Verschluss der Mitteltafel wird so mit den Erscheinungswundern des Auferstandenen verknüpfbar. Und noch ein Aspekt des Mediums hat sinnstiftende Kraft: Mit dem Rückbezug des Bildprogramms auf die spezifische Räumlichkeit des Dispositivs wird auch die relative Position der Flügelbewohner unterstrichen, die auf der Schwelle zwischen den Räumen und Zeiten positioniert sind und darauf mit ihren Blicken reagieren.

Wie der Vorhang die medienspezifische Vielfalt möglicher Winkelungen aufruft bzw. das Thema der Schau an die Bewegungen des (rechten) Flügels und die damit entstehenden Raumkonstruktionen koppelt, so gewinnt auch die vorgeführte Summe der Blickachsen eine zusätzliche Bedeutung aus der Medialität des Triptychons. Neben einem Seitenblick über die Schwelle des Scharniers hinweg und einem Blick nach außen, in den Raum der Liturgie und der Gemeinschaft mit den Lebenden, er-öffnet – oder besser er-schließt – ein Triptychon auch den frontalen ‚inneren‘ Blick von der Seiten- auf die Mitteltafel im geschlossenen Zustand. So besehen wurde Adriana neben ihrem appellativen zugleich auch ein sehr intimer ‚jenseitiger‘ Blick in ihrem Schrein gewährt. Der Vorhang markiert ihn für uns.

Diese Dimension von Bildbezügen, die der Doppelseite des Buches, dem Diptychon und dem Triptychon eigen sind, wurde von der aufs Flächige fixierten Kunstgeschichte – im Gegensatz zu Blickverbindungen oder typologischen Gegenü-berstellungen in realen Räumen – noch kaum reflektiert, den Künstlern hingegen ist sie in ihrer jahrhundertlangen Befragung solcher Medien sicher nicht entgangen.75

Rubens, so war zu zeigen, synthetisierte mit seinem forcierten ‚Pendant-Spiel‘ auf den Flügeln typische Elemente der flämischen Triptychontradition, ganz im Sinne eines Nachgeborenen, der frei über sein Erbe verfügt. Der Gebrauch, den er von dieser Tradition machte, belegt, dass er sich der archaischen (und nicht immer gegenrefor-matorisch-korrekten) Leistungen des Bildes für das Fortleben der Toten bewusst war und dass er diese wie seine flämischen Vorväter mit den besonderen räumlichen und semantischen Potentialen des Triptychons zu verknüpfen verstand.

257Triptychonflügel als Pendants?

Anmerkungen

1 Vgl. Colin Eisler, Rubens’ Uses of the Northern Past. The Michiels Triptych and its Sources, in: Bulletin, Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique (1967), bes. 44; David Freedberg, Rubens. The Life of Christ after the Passion, London 1984 (Corpus Rubenianum Ludwig Burchard, 7), 84.

2 Vgl. Felix Thürlemann, Vom Einzelbild zum hyperimage. Eine Herausforderung für die kunstge-schichtliche Hermeneutik [2004], Wiederabdruck in diesem Band, ??–??, hier ?? (231).

3 Peter Paul Rubens, Rockox-Triptychon, Mitteltafel 145 x 123 cm, Flügel 145 x 56 cm, datiert auf dem linken Flügel mit 1615, im Prozess der Herstellung geändert von ursprünglich 1613, vgl. Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 84; das Triptychon befindet sich heute im Koninklijk Mu-seum voor Schone Kunsten in Antwerpen (Nr. 307–311). Die gängige Bezeichnung als ‚Epitaph‘, der auch ich hier folge, trifft nicht den engsten Sinn des kunsthistorischen Wortgebrauchs, da das Werk selbst keine Inschrift enthält und in unmittelbarer Nähe zum Grab des Ehepaars Rockox in einer Kapelle der Antwerpener Rekollekten-Kirche positioniert war, vgl. ebd. Die unmittelbar benachbarte Grabinschrift lautete: In Christo vita. Nicolaus Rockox Eques hujus Urb. consul VIIII Adrianae Perez conjugi clariss. P. cum qua XXX ann. concors vixit. Decessit XXII septemb. an. MDCXIX aet. LI. Ille conjugem secutus pridie idus Decembris anno MDCXL aetatis LXXX. Bene de sua bene de postera aetate meritus. Zitiert nach Max Rooses, L’oeuvre de P.P. Rubens. Histoire et description de ses tableaux et dessins, Bd. 2, Antwerpen 1886–1892, Reprint Soest 1977, 159.

4 Vgl. Klaus Lankheit, Das Triptychon als Pathosformel, Heidelberg 1959 (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse; Jahrgang 1959; 4. Abhandlung), 19 und passim; Shirley N. Blum, Early Netherlandish Triptychs. A Study in Patronage, Berkeley/Los Angeles 1969, 114; Wolfgang Pilz, Das Triptychon als Kompositions- und Erzählform in der deutschen Tafelmalerei von den Anfängen bis zur Dürerzeit, München 1970, 13–16 und passim; ähnlich auch Karl Schade, Ad excitandum devotionis affectum. Kleine Triptychen in der altniederländischen Malerei, Weimar 2001, 98f; Victor M. Schmidt, Art. Triptych, in: Dictionary of Art, Bd. 31, London 1996, 343–345, hier 344.

5 Wolfgang Ullrich, Autoritäre Bilder. Die zweite Karriere des Triptychons seit dem 19. Jahrhundert, in: Marion Ackermann (Hg.), Drei. Das Triptychon in der Moderne, Ausstellungskatalog, Stuttgart, Kunstmuseum, Ostfildern 2009, 15–23, hier 17.

6 Ebd., 17. 7 Ebd., 18. 8 Vgl. ebd., 16f. 9 Felix Thürlemann, Vom Sinn der Ordnung. Die Bildersammlung des Frankfurter Konditormeister

Johann Valentin Prehn (1749–1821), in: Aleida Assmann/Monika Gomille/Gabriele Rippl (Hg.), Sammler – Bibliophile – Exzentriker, Tübingen 1998, 315–324, hier 317.

10 Thürlemann, Vom Einzelbild zum hyperimage (wie Anm. 2), XX (230).11 Neben der Hierarchisierung hat Thürlemann die implizite Hieratik und ruhige Gefügtheit hervorgeho-

ben, mithin die Potenz, eine „unveränderliche göttliche Ordnung zu spiegeln“ sowie die narrativen Potentiale der Dreitafelform, vgl. ders., Robert Campin. Das Mérode-Triptychon. Ein Hochzeitsbild für Peter Engelbrecht und Gretchen Schrinmechers aus Köln, Frankfurt a.M. 1997, 53–56, Zitat 56, vgl. auch ders., Rogier van der Weyden. Leben und Werk, München 2006, 50–99. Die durch übergreifende Raumfiktionen ab und an asymmetrisch überspielten, aber nie ganz eskamotierten Grenzen zwischen den Tafeln hat er mehrfach überzeugend als Thematisierung von Grenzverläufen, z.B. zwischen Sphären oder Heilszeiten, gedeutet, vgl. Thürlemann, Mérode-Triptychon (s.o.), bes. 57–59; ders., Das Lukas-Triptychon in Stolzenhain. Ein verlorenes Hauptwerk von Robert Campin in einer Kopie aus der Werkstatt Derick Baegerts, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 61 (1992), 524–564.

12 Vgl. Marius Rimmele, Das Triptychon als Metapher, Körper und Ort. Semantisierungen eines Bildträgers, München 2010.

13 Christum Videre lautet der neue Titelvorschlag von A. Monballieu, Bij de iconografie van Rubens’ Rockox-epitafium, in: Jaarboek Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen (1970), 133–151, auf Grundlage seiner dezidiert ahistorischen Lesart der Szene. Es handele sich nicht um

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eine spezifische Episode, sondern um ein „leerstellig stuk waar het geloof in de opstanding uit de doden aanschouwelijk wordt voorgesteld“ (140). Dieser Ansicht stimmen Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1) und Barbara Haeger, Rubens’ Rockox Triptych. Sight, Meditation, and the Justification of Images, in: Netherlands Yearbook for History of Art 55 (2004), 117–153, im Prinzip zu, verwenden aber trotzdem den etablierten Titel Incredulity of St. Thomas weiter; letztere betont dabei die Wichtigkeit der beinhalteten Begegnung zwischen Thomas und dem Auferstandenen für das Bildverständnis. Martin Warnke, Peter Paul Rubens. Leben und Werk, Köln 1977, 63, nennt als Titel der Mitteltafel Christus erscheint Thomas, Paulus und Petrus.

14 Frans Francken d.J., Gastmahl im Hause des Bürgermeisters Rockox, 1630–35, München, Alte Pinakothek. Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 84, vermutet, dass eine Kopie der Mitteltafel in der Sammlung gehangen haben könnte oder aber nur ein „ricordo“ des Auftrags in die Samm-lung hineingemalt wurde. Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 142f, geht davon aus, dass die Darstellung der Sammlung allegorische Qualitäten aufweist und das Erscheinungsbild im hinteren Zimmer in einer Art ‚Jenseits‘ angesiedelt sei.

15 Vgl. Eisler, Northern Past (wie Anm. 1), bes. 44f; Thomas Glen, Rubens and the Counter Refor-mation. Studies in his religious paintings between 1609 and 1620, New York/London 1977, bes. 12–17 und 23.

16 Vgl. Eisler, Northern Past (wie Anm. 1), passim. 17 Ulrich Heinen argumentiert in seiner Dissertation Rubens zwischen Predigt und Kunst. Der Hochaltar

für die Walburgenkirche in Antwerpen, Weimar 1997, 77, vehement gegen Annahmen wie die von Glen, das altertümliche Triptychonformat sei Rubens mehr oder minder gegen sein Interesse von konservativen Auftraggebern aufgezwungen worden. Vielmehr belege nicht nur das Beispiel der Kreuzerhöhung, das Heinen als komplexe Überblendung der Triptychonstruktur mit der rhetorischen Architektur einer gemalten Predigt versteht (vgl. 76f), sondern auch die Tatsache, dass die Maßstäbe setzenden Hauptwerke Antwerpens vor Rubens allesamt Triptychen gewesen seien und er mindestens zehn selbst geschaffen hat, sein intrinsisches künstlerisches Interesse am Triptychon.

18 Zu dieser kuriosen Trennung nach der Entführung des Werkes nach Paris (Musée Centrale), die in einer Notiz von 1796 belegt ist, welche die Flügel als „pendans“ adressiert, vgl. Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 89.

19 Vgl. Thürlemann, Vom Einzelbild zum hyperimage (wie Anm. 2), XX (233). 20 Vgl. Hugo van der Velden, Diptych Altarpieces and the Principle of Dextrality, in: John O. Hand/Ron

Spronk (Hg.), Essays in Context. Unfolding the Netherlandish Diptych, New Haven/London 2006, 124–155. Van der Velden betont die auch für das Triptychon relevante Kreuzung des Dextralitäts-prinzips, dass also die heraldisch rechte Seite höherrangig ist, mit der Bedeutung der Zentralität. Als Ergebnis steht (idealtypisch) die erste Person rechts von der Mitte höher als die erste Person links von der Mitte, diese jedoch höher als die zweite Person rechts usw. Natürlich gibt es diverse weitere Faktoren, die auf eine Anordnung von Personen (das Prinzip verzerrenden) Einfluss nehmen könnten.

21 „Throughout the two panels the brushwork has a freedom and spontaneity which greately enlivens the presentation of the donors. By contrast the central panel is much lighter and cooler in tone.“ Christopher White, Peter Paul Rubens. Man & Artist, New Haven/London 1987, 106; vgl. auch Theodor Hetzer, Rubens und Rembrandt, Mittenwald 1984, 177f.

22 Eine Ausnahme wäre etwa der kosmologisch organisierte sog. Bladelin-Altar von Rogier van der Weyden, vgl. Thürlemann, Rogier van der Weyden (wie Anm. 11), 76f.

23 Vgl. Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 135, zur Tradition des Fingers im Buch. Zum Rosenkranz als Hilfsmittel meditativer Betrachtungen vgl. jüngst Moritz Jäger, Bild für Bild, Perle für Perle, Finger für Finger. Der Rosenkranz als teils inneres, teils äußeres Bildsystem, in: David Ganz/Felix Thürlemann (Hg.), Das Bild im Plural. Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin 2010 (Bild+Bild, 1), 201–216.

24 Der Rosenkranz kann auch nicht als spezifisch weibliches Andachtsinstrument bezeichnet werden, vgl. Zur Entstehungsgeschichte und zu prominenten männlichen Besitzern, Jäger, Bild für Bild (wie Anm. 23).

259Triptychonflügel als Pendants?

25 Vgl. Eisler, Northern Past (wie Anm. 1), 50.26 Zur Raumgestaltung hinter Rockox siehe Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 88f, und Glen,

Counter Reformation (wie Anm. 15), 106–108. Zu Jan van Eycks Dresdner Marientriptychon vgl. z.B. Karl Schade, Ad excitandum (wie Anm. 4), 80f. Zur engen Verbindung von Triptychon und Kirchenraum siehe Blum, Early Netherlandish Triptychs (wie Anm. 4), 4–7.

27 Hans Gerhard Evers, Peter Paul Rubens, München 1942, 78, zur Verwendung der genannten Ele-mente in Rubens’ Genueser Portraitmalerei. Eine spezifische Adaption dieser Statusformeln im Rockox-Epitaph zur raumzeitlichen Abgrenzung zur Mitteltafel bemerkt White, Peter Paul Rubens (wie Anm. 21), 103.

28 Vgl. Christine Göttler, „Jede Messe erlöst eine Seele aus dem Fegefeuer“. Der privilegierte Altar und die Anfänge des barocken Fegefeuerbildes in Bologna, in: Peter Jezler (Hg.), Himmel, Hölle, Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter, Ausstellungskatalog, Zürich, Schweizerisches Landesmuse-um und Köln, Schnütgen-Museum/Wallraf-Richartz-Museum, Zürich 1994, 149–164, hier 149f.

29 Dort hängt die dargestellte Tür auf dem linken Flügel gleichsam im Scharnier der Tafel.30 Daniela Hammer-Tugendhat, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des

17. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2009, 227; zur Tradition des Motivs siehe Johann Konrad Eberlein, Apparitio regis – revelatio veritatis. Studien zur Darstellung des Vorhangs in der bildenden Kunst von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters, Wiesbaden 1982.

31 Vgl. Rimmele, Das Triptychon (wie Anm. 12), 77–84. 32 Thürlemann, Vom Einzelbild zum hyperimage (wie Anm. 2), XX (233). 33 Geraldine A. Johnson, Pictures Fit for a Queen. Peter Paul Rubens and the Marie de’ Medici Cycle,

in: Art History 16 (1993), 447–469, hier 463.34 Vgl. z.B. Daniela Hammer-Tugendhat, Erotik und Geschlechterdifferenz. Aspekte zur Aktmalerei

Tizians, in: Daniela Erlach u.a. (Hg.), Privatisierung der Triebe. Sexualität der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1994, 367–445, mit weiteren Literaturhinweisen.

35 Vgl. ebd., 382 und 385; Marina Warner, Maria. Geburt, Triumph, Niedergang – Rückkehr eines Mythos? München 1982, 211–227, bes. 222–224.

36 Cornelis van Haarlem, Kreuzigungstriptychon mit einer unbekannten Familie, ca. 1600, Miami Beach, The Bass Museum of Art, vgl. Truus van Bueren (Hg.), Leven na de dood. Gedenken in de late Middeleeuwen, Ausstellungskatalog, Utrecht, Museum Catharijneconvent, Turnhout 1999, 102f.

37 Bereits 1611 bezeichnet er Rockox explizit als seinen Freund und Förderer, vgl. Frans Baudouin, Nicolaas Rockox, friend and patron of Peter Paul Rubens, Antwerpen 1977, bes. 19.

38 Zur Differenzierung, auch zur (im vorliegenden Fall schwierigen) Abgrenzung vom Grabmal vgl. Paul Schoenen, Art. Epitaph, in: RDK, Bd. 5, Stuttgart 1967, 872–921, sowie Kurt Pilz, Art. Epitaphaltar, ebd., 921–932.

39 Höchst instruktiv für das Verständnis von Stifterdarstellungen in vielen Epitaphien scheint mir, was Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, 104, zu florentinischen Wachsvotiven ausführt: „Der künstliche Körper übernahm die religiöse Reprä-sentation des lebenden Körpers sowohl im retrospektiven Sinne seiner bürgerlichen Existenz wie auch im prospektiven Sinne der künftigen Auferstehung des Körpers. Auf diese Weise füllte seine Präsenz in der Verwandlung zum Bild das Intervall, das zwischen dem Tod der betreffenden Person und dem Jüngsten Gericht bestand.“ Vgl. auch Elisabeth Heller, Das altniederländische Stifterbild, München 1976, 25f.

40 „The use of art as epitaph is, in a sense, the assertion of imagery as the opposite of vanitas; in which art, in subject and context functioning as a surrogate immortality, provides the beholder with an intimation of divine revelation. The painted epitaph – a prayer in perpetuity – is also a spiritualized effigy of the body buried below, realizing in its contents the faith and aspiration of its deceased sponsor.“ Eisler, Northern Past (wie Anm. 1), 78. Vgl. auch Heller, Stifterbild (wie Anm. 39), 46. Zur Tradition, die Stifter an einen explizit quasi-paradiesischen Ort zu versetzen, wo sie zuver-sichtlich auf die Auferstehung warten, vgl. Wolfgang Schmid, Zwischen Tod und Auferstehung. Zur Selbstdarstellung städtischer Eliten des ausgehenden Mittelalters im Spiegel von Stifterbildern, in: Jezler (Hg.), Himmel, Hölle, Fegefeuer (wie Anm. 28), 101–116, bes. 103–105.

260 Marius Rimmele

41 So versteht auch ein Interpret des 18. Jahrhunderts, Jacob van Sanden, die Schau von Rockox: „Om het klaer aenschyn Gods blij te zien na de dood“, vgl. Monballieu, Rockox-epitafium (wie Anm. 13), 152.

42 Rubens ließ kurz nach dem Tod von Adriana 1619 einen religiösen Stich mit Widmungsinschrift verbreiten. Der Stich von Lucas Vorstermann ist mit 1620 datiert und zeigt Adriana als Elisabeth, er trägt die Widmung: D. ADRIANAE PEREZ N.V. NICOLAI ROCCOXI EQUITIS CONJUGI PETRUS PAULUS RUBENS AUCTOR LUBENS MERITO DEDICAVIT, vgl. Baudouin, Nicolaas Rockox (wie Anm. 37), 23.

43 Vgl. Evers, Peter Paul Rubens (wie Anm. 27) 138–140.44 Nach Creighton Gilbert, Michelangelo Merisi da Caravaggio and his Two Cardinals, University

Park 1995, 152, handelt es sich bei dem Bild zudem um „the most copied of all Caravaggios in his period“, vgl. auch Alfred Moir, Caravaggio and his Copyists, New York 1976, 88–90.

45 Die Spannbreite reicht von linientreu gegenreformatorisch über idiosynkratisch ‚empirisch‘ und homoerotisch bis zu ironisch-selbstreflexiv, vgl. etwa Jürgen Harten/Jean-Hubert Martin (Hg.), Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung, Ausstellungskatalog, Düsseldorf, Museum Kunstpalast, Ostfildern 2006, 118; Ferdinando Bologna, L’incredulità del Caravaggio e l’esperienza delle ‚cose naturali‘, Turin 1992, bes. 168; Nicola Suthor, Bad touch? Zum Körper-einsatz in Michelangelo/Pontormos ‚Noli me tangere‘ und Caravaggios ‚Ungläubigem Thomas‘, in: Valeska von Rosen/Klaus Krüger/Rudolf Preimesberger (Hg.), Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, Berlin 2003, 261–281; Wolfram Pichler, Die Evidenz und ihr Doppel. Über Spielräume des Sehens bei Caravaggio, in: Vera Beyer u.a. (Hg.), Das Bild ist der König. Repräsentation nach Louis Marin, 125–156.

46 Vgl. jüngst Andreas Matena, Ein tastender Blick, in: David Ganz/Thomas Lentes (Hg.), Sehen und Sakraliktät in der Vormoderne, Berlin 2011 (KultBild, 4), 62–77, mit weiterer Literatur.

47 Vgl. ebd., zu Auslegungen des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 121–123.

48 „Trotz des biblisch geschilderten visuellen Kontaktes des Apostels entschieden sich patristische Exegeten dafür, diese Betrachtung als Berührung zu interpretieren.“ Matena, Ein tastender Blick (wie Anm. 46), 63f. Grund für diese Tendenz ist die klare Absetzung von gnostischen Auffassungen, die von einem Scheinleib ausgehen. Sehen allein reicht vor diesem Hintergrund nicht mehr aus, um einen menschlichen Leib zu bezeugen, vgl. ebd.,70.

49 Zur theologischen Auslegungstradition der Szene, insbesondere bei dem Jesuiten Hieronymus Nadal, der bei den Szenen der Erscheinung des Auferstandenen explizit Fragen der Evidenzstiftung aufwirft, vgl. Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), bes. 125; vgl. auch Walter Melion, The Art of Vision in Jerome Nadal’s ‚Adnotationes et Meditationes in Evangelia‘, in: Frederick A. Homann, S. J. (Hg.), Jerome Nadal, Annotations and Meditations on the Gospels, Volume I: The Infancy Narratives, Philadelphia 2003, 1–96, hier 14–16.

50 Zur Bewertung der fehlenden (oder eventuell doch nur übermalten?) Seitenwunde siehe Monballieu, Rockox-epitafium (wie Anm. 13), 147–151; Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 146.

51 Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 82f. 52 Es handelt sich um das so genannte Michiels-Epitaph; zur dort angewandten Strategie des Erset-

zens von Stiftern durch Namenspatrone vgl. Otto von Simson, Peter Paul Rubens (1577–1640). Humanist, Maler und Diplomat, Mainz 1996, 511.

53 Die Mitgliedschaft setzte humanistische Neigungen und einen Romaufenthalt voraus, Rubens befand sich dort unter anderem in der Gesellschaft von Jan Brueghel d.Ä., seinem späteren Schwiegervater Jan Brant und eben Nicholaas Rockox, vgl. ebd., 109.

54 Vgl. ebd. 55 Dafür spricht nicht zuletzt, dass die Auferstehung Christi der rote Faden eigentlich aller von Rubens

gemalten Epitaphien war, vgl. David Freedberg, Rubens as a Painter of Epitaphs, 1612–1618, in: Gentse bijdragen tot de kunstgeschiedenis 24 (1976–1978), 51–71.

56 So etwa Glen, Counter Reformation (wie Anm. 15), 103f. 57 Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13).

261Triptychonflügel als Pendants?

58 „Nadal’s work helps one understand how the Rockox panel may have functioned as a devotional work that simultaneously comments on itself and the process of meditation.“, Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 127.

59 Eisler, Northern Past (wie Anm. 1), 48, zu skulpturalen Qualitäten, die Rubens’ Malerei typischer-weise bei Grabbildern zeigt, prinzipiell zur Ewigkeitsstiftung durch Kunst, 76; vgl. auch Freedberg, Painter of Epitaphs (wie Anm. 55), 59 und 70f.

60 Vgl. Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 135.61 Ebd., 151 (Anm. 94).62 Ebd., 136.63 Ebd., 151.64 Vgl. Belting, Bild-Anthropologie (wie Anm. 39), 116 und 126.65 In aller Deutlichkeit ausgeführt bei Esther Meier, Die Gregorsmesse. Funktionen eines spätmittelalterlichen

Bildtypus, Köln/Weimar/Wien 2006, 214f und 219, vgl. auch Heller, Stifterbild (wie Anm. 39), 47.66 Der Blick der Adoranten ist traditionell selten fokussiert und oft etwas abgewendet, hierzu Schmid,

Tod und Auferstehung (wie Anm. 40), 103. Dies wird mit dem Status des jeweiligen Bildes als Vision oder Imagination erklärt, vgl. Craig Harbison, Visions and Meditations in Early Flemish Painting, in: Simiolous 15 (1985), 87–118. Zuweilen lässt es sich aber auch mit der realen Variabilität der Flügel in Verbindung bringen, vgl. Van der Velden, Diptych Altarpieces (wie Anm. 20), 145.

67 Vgl. Leo Bruhns, Das Motiv der ewigen Anbetung in der römischen Grabplastik des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte IV (1940), 253–432; Adolf Rein-le, Das stellvertretende Bildnis. Plastiken und Gemälde von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Zürich/München 1984, bes. 65, 208, 210f und 237; Geraldine A. Johnson, Activating the effigy. Donatello’s Pecci tomb in Siena Cathedral, in: Art Bulletin 77 (1995), 445–459, bes. 459; Laura D. Gelfand/Walter S. Gibson, Surrogate Selves. The Rolin Madonna and the Late-Medieval devotional Portrait, in: Simiolus 29.3/4 (2002), 119–138, bes. 131–138.

68 Zur Anbringungssituation in der Immaculata-Conceptio-Kapelle der heute nicht mehr existenten Kirche vgl. Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1), 84.

69 Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13), 133–135. 70 Vgl. Meier, Gregorsmesse (wie Anm. 65), 212, zu einem Epitaph mit Gregorsmesse, wo die Wahl

der Christusvision als Motiv ebenfalls auf die begehrte Gottesschau des Auftraggebers abzielt.71 Vgl. grundlegend Heller, Stifterbild (wie Anm. 39), 25f. 72 Dies wird am deutlichsten beim Moretus-Epitaph mit einer Auferstehung Christi in der Antwer-

pener Kathedrale (1612), wo ebenfalls zwei steinerne Engel, hier aber in Ganzfigur, explizit die verschlossenen Tore eines Grabes bewachen und damit auf das Grab Christi anspielen, vgl. Freed-berg, Painter of Epitaphs (wie Anm. 55), 54–56.

73 Spekulationen über die Anlässe und die Häufigkeit der tatsächlichen Öffnung von Triptychen im Kirchenraum, respektive in Kapellen sind problematisch, ich gehe deshalb nur vom objektiven Gesamtkonzept aus, das ein Außen und Innen ins Verhältnis setzt. Truus van Bueren weiß allerdings über holländische Epitaphtriptychen zu berichten, dass diese die meiste Zeit geschlossen waren und deshalb die Wappen auf der Außenseite die wichtigste Aufgabe im Rahmen der Stiftung von Memoria hatten, vgl. Bueren, Leven na de dood (wie Anm. 36), 92. Nach Meier, Gregorsmesse (wie Anm. 65), 213, gab es sogar steinerne Reliefepitaphe, die einst mit heute verlorenen Vorrichtungen die meiste Zeit des Jahres verschlossen gehalten wurden.

74 Sogar auf Nadals Schautafel 142 zur ersten Erscheinung Christi vor den Aposteln aus der Antwerpener Auflage von 1595 (Stich von Antoon Wiericx nach Bernardino Passeri) sind die mit einem dicken Riegel verschlossenen Türen nicht nur hervorgehoben, sondern werden zudem als Beweis von Christi besonderen leiblichen Qualitäten nach der Auferstehung extra erläutert: „Ianuae domus intelligantur clausae, ut credatur usus dono subtilitatis.“ Vgl. Melion, Art of Vision (wie Anm. 49), fig. 4. Glen, Counter Reformation (wie Anm. 15), 106, erkennt auch einen imaginierten (architektonischen) Be-gegnungsraum, berücksichtigt jedoch die reale Räumlichkeit des Triptychons dabei nicht.

75 Vgl. meine Thesen und Verweise auf erste Überlegungen anderer Autoren zu diesem Thema in Rimmele, Triptychon (wie Anm. 12), 313–320.

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Abbildungsnachweis

Abb. 1: Haeger, Rubens’ Rockox Triptych (wie Anm. 13)Abb. 2: Freedberg, Life of Christ (wie Anm. 1) Abb. 3: White, Peter Paul Rubens (wie Anm. 21)Abb. 4: Göttler, Der privilegierte Altar (wie Anm. 28)Abb. 5: Silvia Danesi Squarzina (Hg.), Caravaggio. Die Sammlung Giustiniani und die Berliner Ge-mäldegalerie in Preußen, Mailand 2001